Carl Schmitt – Ernst Rudolf Huber: Briefwechsel 1926–1981: Mit ergänzenden Materialien [1 ed.] 9783428541706, 9783428141708

Carl Schmitt (1888–1985) und sein Schüler Ernst Rudolf Huber (1903–1990) zählen zu den bedeutendsten deutschen Juristen

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Carl Schmitt – Ernst Rudolf Huber: Briefwechsel 1926–1981: Mit ergänzenden Materialien [1 ed.]
 9783428541706, 9783428141708

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Carl Schmitt – Ernst Rudolf Huber Briefwechsel 1926–1981

Carl Schmitt – Ernst Rudolf Huber

Briefwechsel 1926–1981

Mit ergänzenden Materialien

Herausgegeben von

Ewald Grothe

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlag: Carl Schmitt (© Privatarchiv Gerd Giesler, Berlin) Ernst Rudolf Huber (© Privatarchiv Gerhard Huber, Freiburg) Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: AZ Druck und Datentechnik, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-14170-8 (Print) ISBN 978-3-428-54170-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-84170-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Anne und Ulrich

Vorwort Auch dieses Buch hat eine Geschichte. Sie begann 1983. Ich meldete mich bei meinem späteren Habilitationsbetreuer Hartwig Brandt an der Universität Marburg zu einer Übung mit dem schlichten Titel „Carl Schmitt“ an. Sie fiel wegen einer zu geringen Zahl von Interessenten leider aus. Aber ich entschloss mich, die vorbereitende Lektüre für ein Referat in meinem Nebenfach „Öffentliches Recht“ zu nutzen. Seitdem ließ mich „CS“ nicht mehr los – nicht mehr in meinen juristischen Studien, nicht mehr in meinen Nebenfachprüfungen, nicht mehr bei der Wahl des Themas meiner Habilitationsschrift. Und früh verband sich mit Schmitt der Name von Ernst Rudolf Huber. Und ich ahne bereits jetzt, dass Huber und Schmitt mich auch nach dieser Veröffentlichung weiter beschäftigen und weiter faszinieren werden. Es ist Pflicht und Freude zugleich, erneut vielen Freunden, wissenschaftlichen Wegbegleitern und Ratgebern ebenso wie zahlreichen Institutionen zu danken, ohne die dieses Vorhaben nicht erfolgreich abgeschlossen worden wäre. Mein Dank gilt zunächst meinen Freunden Anne Nagel und Ulrich Sieg, die sorgfältig und gewissenhaft den gesamten Band durchgesehen haben und deren Korrekturen und wertvolle Hinweise mir unentbehrlich waren. Reinhard Mehring las gleichfalls alles und gab als bester Kenner aller Schmittiana wichtige Anregungen für die Auswahl der Dokumente und die Kommentierung. Edgar Liebmann korrigierte die Einleitung. Als wichtige Gesprächspartner standen mir Hartwig Brandt und Gerd Giesler zur Seite. Das Buch hätte nicht erscheinen können ohne die Unterstützung der Söhne von Ernst Rudolf Huber. Von Ulrich, Gerhard und ihrer Schwägerin Barbara Huber erhielt ich Informationen aus der Familie und Fotos. Hervorheben möchte ich aber insbesondere den jederzeit informativen Austausch und das stets teilnehmende Interesse von Wolfgang Huber, der außerdem in die Veröffentlichung der Dokumente seines Vaters einwilligte. Wichtige und kompetente Ratgeber waren für mich zudem Wilhelm Bleek, Philipp Gessler und Ulf Morgenstern. Sehr zu Dank verpflichtet bin ich Rudolf Smend und Horst Müller, die mir Dokumente bzw. Fotos zur Verfügung stellten, vor allem auch Michael Stolleis, der mit Zuspruch und Gutachten half. Jürgen Becker erteilte für den Schmitt-Nachlass die Benutzungs- und Veröffentlichungsgenehmigung. Ohne die Hilfe von Hans Gebhard (†) wäre die Kurzschrift von Carl Schmitt unentziffert geblieben. Bei Hans-Werner Hahn, Günther Heydemann und Peter Hoeres habe ich meine Forschungsergebnisse in Jena, Dresden und Würzburg zur Diskussion stellen dürfen.

8

Vorwort

Am Ende bleibt noch der vielfältige Dank für die Unterstützung zahlreicher Archive und Bibliotheken. Mit diesen Institutionen verbinden sich etliche Namen von Kolleginnen und Kollegen. Besonders hervorheben möchte ich Matthias Meusch und Uwe Zuber (Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, Duisburg), die mich freundschaftlich und unbürokratisch unterstützten. Ohne die kollegiale Hilfe der Universitätsbibliothek Wuppertal, insbesondere der dortigen Fernleihe, sähe dieser Band anders aus. Zu danken ist ferner besonders dem Bundesarchiv Koblenz, der Staatsbibliothek Berlin, dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin, der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen und der Juristischen Fakultät der Universität Bonn für die Zustimmung zum Abdruck von Dokumenten. Außerdem danke ich zahlreichen Kolleginnen und Kollegen in Archiven und Bibliotheken: dem Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, dem Bundesarchiv und dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, alle in Berlin, dem Archiv der Juristischen Fakultät Bonn, den Universitätsarchiven Berlin (Humboldt-Universität), Bonn, Freiburg, Göttingen, Heidelberg, Köln und Leipzig, dem Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, dem Sächsischen Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden, der Deutschen Fotothek, Dresden, dem Staatsarchiv Hamburg, der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek Kiel, den Stadtarchiven Hannover, Kiel, Leipzig, München und Oldenburg, den Archives diplomatiques, Ministère des affaires étrangères, La Courneuve, dem Deutschen Literaturarchiv Marbach, dem Archiv der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München, dem Niedersächsischen Landesarchiv, Oldenburg, dem Landesarchiv Schleswig-Holstein, Schleswig, dem Landesarchiv Baden-Württemberg und dem Stefan GeorgeArchiv in der Württembergischen Landesbibliothek, beide in Stuttgart. Ich danke der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf, für ein 15monatiges Forschungsstipendium sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten, was mir ungestörte Arbeit an der Edition ermöglichte. Der Verlag Duncker & Humblot, Berlin, nahm den Band in sein Programm auf, wofür ich seinem Verleger Florian Simon verbunden bin. Frau Heike Frank betreute die Drucklegung. Am Ende ertrug es meine Familie, meine Frau Elke und mein Sohn Henning, dass ich ein Projekt nach Feierabend weiter und zu einem glücklichen Ende führte, obwohl ich tagsüber im Archiv des Liberalismus in Gummersbach tätig war. Dieser Rückhalt ist nicht genug zu betonen – und auch zu bewundern. Die Edition, dessen Thema mich seit meiner Studienzeit beschäftigt, widme ich denjenigen, die seit über drei Jahrzehnten darum wissen: meinen Marburger Freunden Anne und Ulrich. Wuppertal, im September 2014

Ewald Grothe

Inhalt „Sehnsucht nach einem Gespräch“. Die Korrespondenz zwischen Carl Schmitt und Ernst Rudolf Huber 1926–1981. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Chronologisches Briefverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

Briefe 1926–1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

1933–1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135

1945–1981 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

317

Anhang Editorische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

393

I.

Promotion und Veröffentlichung der Dissertation von Ernst Rudolf Huber 1. Lebenslauf des Referendars Ernst Rudolf Huber, 15.11.1926 . . . . . . . . . 2. Carl Schmitt, Dissertationsgutachten über Ernst Rudolf Huber, 28.11.1926 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Carl Schmitt an Oskar Siebeck, Godesberg, 6.3.1927 . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Carl Schmitt an Oskar Siebeck, Godesberg, 18.3.1927 . . . . . . . . . . . . . . . 5. Carl Schmitt an Oskar Siebeck, Godesberg, 28.3.1927 . . . . . . . . . . . . . . . 6. Carl Schmitt an Richard Thoma, Berlin, 25.7.1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . .

394 394

Rezensionen von Ernst Rudolf Huber über Carl Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . 1. [o.V.], Das Zeitalter der Technik, in: Der Ring 2 (1929), S. 998–1001 2. [o.V.], Die neutralen Mächte im modernen Staat, in: Der Ring 2 (1929), S. 1001 f.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Manfred Wild [= Ernst Rudolf Huber], Repräsentation, in: Der Ring 3 (1930), S. 545–547 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. [o.V.], Hugo Preuß, in: Der Ring 3 (1930), S. 552. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Manfred Wild [= Ernst Rudolf Huber], Der Hüter der Verfassung, in: Der Ring 4 (1931), S. 328–330 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ernst Rudolf Huber, Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt, in: Blätter für Deutsche Philosophie 5 (1931/32), S. 302–315 7. Friedrich Landeck [= Ernst Rudolf Huber], Verfassung und Legalität, in: Deutsches Volkstum 14 (1932), S. 733–737 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

400 400

II.

394 395 396 398 398

405 408 414 417 425 443

10

Inhalt 8. Ernst Rudolf Huber, Rezension zu „Das Recht der nationalen Revolution“. Schriftenreihe, herausgegeben von Dr. Georg Kaisenberg und Dr. Franz Albrecht Medicus, Carl Heymanns Verlag, Berlin 1933, Heft 3. Das Reichsstatthaltergesetz. Von Carl Schmitt, in: Reichsverwaltungsblatt und Preußisches Verwaltungsblatt 54 (1933), S. 856– 858 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 9. Ernst Rudolf Huber, „Positionen und Begriffe“. Eine Auseinandersetzung mit Carl Schmitt, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 101 (1941), S. 1–44 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450

III.

Briefe Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tula Simons an Carl Schmitt, Berlin, 1931 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bernhard von Mutius an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 10.5.1935 . . . . . . . 3. Eberhard Freiherr von Medem an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 4.12.1935. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Eberhard Freiherr von Medem an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 11.12.1935 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Eberhard Freiherr von Medem an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 16.12.1935 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Tula Huber-Simons an Carl Schmitt, Berlin, 21.8.1936 . . . . . . . . . . . . . . . 7. Tula Huber-Simons an Carl Schmitt, Freiburg, 19.12.1965 . . . . . . . . . . . .

488 488 488

Stellungnahmen von Ernst Rudolf Huber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ernst Rudolf Huber an Rudolf Smend, Falkau, 10.3.1947 . . . . . . . . . . . . . 2. Ernst Rudolf Huber an Hellmut Becker, Falkau, 31.7.1948. . . . . . . . . . . . 3. Ernst Rudolf Huber, Idee und Realität eines Freideutschen Bundes, 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

494 494 496 504

V.

Autobiographisches von Ernst Rudolf Huber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Exposé, 1946/47 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lebensbericht, 1961/62 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rede zum 80. Geburtstag, 1983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Carl Schmitt in seiner Bonner Zeit, 1988 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

520 520 556 568 576

VI.

Gegenseitige Widmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582

IV.

489 490 491 492 492

VII. Verzeichnis fehlender Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 VIII. Ernst Rudolf Huber: Bibliographie der Veröffentlichungen seit 1973 . . . . . . 590 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

593 593 594 598

Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614

Abkürzungsverzeichnis a.

am/an

Abs.

Absatz

Art.

Artikel

beil.

beiliegend

betr.

betreffend

bezgl.

bezüglich

Bhf

Bahnhof

d. h.

das heißt

d. J.

dieses/n Jahres

d. M.

dieses/n Monats

Diss.

Dissertation

DJZ

Deutsche Juristen-Zeitung

evt.

eventuell

Frh.

Freiherr

Frl.

Fräulein

geb.

geboren/e

JW

Juristische Wochenschrift

MS

Manuskript

NSDAP

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

o. V.

ohne Verfasser

Prof.

Professor

Rh.

Rhein

RV

Reichsverfassung

S.

Seite

sog.

sogenannt/e

StGH

Staatsgerichtshof

u. a. m.

und anderes mehr

z. B.

zum Beispiel

z. T.

zum Teil

z. Zt.

zur Zeit

„Sehnsucht nach einem Gespräch“. Die Korrespondenz zwischen Carl Schmitt und Ernst Rudolf Huber 1926–1981 Einleitung Carl Schmitt und Ernst Rudolf Huber zählen zu den bekanntesten deutschen Juristen des 20. Jahrhunderts. Sie sind sich als akademischer Lehrer und Student erstmals 1924 an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn begegnet. Damals waren Schmitt und Huber 36 bzw. 21 Jahre alt. Seit 1926 führten sie einen Briefwechsel, der über 56 Jahre bis 1981 reicht und damit bis wenige Jahre vor beider Tod dauerte. Die Korrespondenz, die in 219 Schreiben erhalten ist, begleitet das wechselseitige Verhältnis über gut ein halbes Jahrhundert und zwei politische Systembrüche hinweg1. Damit reflektiert der Briefwechsel nicht nur die jeweilige intellektuelle Entwicklung, sondern er steht auch im Zeichen des „Zeitalters der Extreme“ (E. Hobsbawm) und spiegelt die politische Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. Die Edition des Briefwechsels zwischen Huber und Schmitt soll nicht nur deren Beziehung, sondern auch das intellektuelle Feld der Staatsrechtslehre intensiver ausleuchten. Huber und Schmitt bewegen sich hierin als zwei Hauptakteure, die über exzellente Kontakte verfügen und als wichtige Ideengeber fungieren. Im Zentrum steht die Frage, wie beide Wissenschaftler die NS-Zeit wahrnahmen und sich mit ihr auseinandersetzten. Der Briefwechsel stellt sowohl von den beteiligten Korrespondenzpartnern als auch von seiner inhaltlichen Relevanz her eine zentrale Quelle zur Intellektuellengeschichte des 20. Jahrhunderts dar. Nachfolgend wird zunächst ein Blick auf die Forschungssituation und die Editionstätigkeit zu den beiden Protagonisten geworfen. Danach erfolgt eine Darstellung der wichtigsten Themen und der Entwicklung der Korrespondenz. Einige formale, statistische und editionstechnische Bemerkungen beschließen die Einleitung.

1 Ausführlich hat erstmals Reinhard Mehring die Korrespondenz für seine Schmitt-Biographie herangezogen. Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biographie, München 2009, bes. S. 264–267, 418–423, 480–483.

14

Einleitung

I. Die Forschungssituation zu Carl Schmitt und Ernst Rudolf Huber ist angesichts der ihnen zugemessenen unterschiedlichen Bedeutung sehr ungleichgewichtig. Die Beschäftigung mit Person und Werk Carl Schmitts hat sich im letzten Jahrzehnt nochmals deutlich ausgeweitet. Nach einigen eher tastenden biographischen Arbeiten2 ist 2009 eine erste gründliche wissenschaftliche Biographie aus der Feder von Reinhard Mehring erschienen3. Die Flut von Einzelstudien war schon vor Jahren unüberschaubar4. An Primärquellen sind etliche vergriffene Studien Schmitts neu aufgelegt bzw. nachgedruckt worden5. So hat der Publizist Günter Maschke zwei umfangreiche Bände mit verstreutem Kleinschrifttum Schmitts zum Staats- und Völkerrecht sowie zur internationalen Politik vorgelegt6. Eine gedruckte Bibliographie sowie eine im Internet verfügbare Zusammenstellung informieren über das Schrifttum von und über Schmitt7. Insbesondere die Zahl der Editionen aus dem Nachlass von Carl Schmitt im Landesarchiv Rheinland hat in den letzten zwanzig Jahren erheblich zugenommen. Lange Zeit musste man fast ausschließlich auf die acht Bände „Schmittiana“ verweisen, die der Belgier Piet Tommissen zwischen 1988 und 2003 herausgegeben hatte8. Aber inzwischen sind sorgfältig kommentierte Editionen von Tagebüchern und anderen Materialien publiziert wor2 Joseph W. Bendersky, Carl Schmitt. Theorist for the Reich, Princeton 1983; Paul Noack, Carl Schmitt. Eine Biographie, Berlin/Frankfurt a. M. 1993; Andreas Koenen, Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum „Kronjuristen des Dritten Reiches“, Darmstadt 1995; Reinhard Mehring, Carl Schmitt zur Einführung, 3. Aufl., Hamburg 2006 [zuerst 1992]. 3 Mehring, Carl Schmitt. 4 Der wichtigste ältere Sammelband: Helmut Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 28. Sonderseminars 1986 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1988 (= Schriftenreihe der Hochschule Speyer, 102); zuletzt: Rüdiger Voigt (Hg.), Freund-FeindDenken. Carl Schmitts Kategorie des Politischen, Stuttgart 2011 (= Staatsdenken, 15). 5 Der Verlag Duncker & Humblot gibt regelmäßig Sonderprospekte über die Nachdrucke und Neuauflagen der Werke Schmitts heraus. 6 Carl Schmitt, Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916–1969, hg. v. Günter Maschke, Berlin 1995; ders., Frieden oder Pazifismus? Arbeiten zum Völkerrecht und zur internationalen Politik 1924–1978, hg. v. Günter Maschke, Berlin 2005; zuletzt: Carl Schmitt, Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches. Der Sieg des Bürgers über den Soldaten. Zweite Auflage. Mit einem Anhang: Die Logik der geistigen Unterwerfung, hg. v. Günter Maschke, Berlin 2011. 7 Alain de Benoist, Carl Schmitt. Internationale Bibliographie der Primär- und Sekundärliteratur, Graz 2010, sowie http://www.carl-schmitt.de/ (2.1.2014). 8 Piet Tommissen (Hg.), Schmittiana. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts, 8 Bde., Berlin 1988–2003.

Einleitung

15

den9. Zudem liegen verschiedene Briefwechsel von Schmitt vor. Beachtung erfuhren besonders der briefliche Austausch mit dem Philosophen Hans Blumenberg, mit dem Schriftsteller-Ehepaar Ernst und Gretha Jünger, mit seinem Schüler Armin Mohler oder zuletzt mit dem Publizisten Hans-Dietrich Sander und dem Staatsrechtler Rudolf Smend10. Umfangreicher und zeitlich weiter ausgreifend als die meisten dieser Korrespondenzen ist der Briefwechsel Schmitts mit seinem akademischen Schüler, dem Staatsrechtler Ernst Forsthoff11. Kann man von einer Publikationswelle über Carl Schmitt reden, so ist bei Ernst Rudolf Huber das Gegenteil der Fall. Im Buchhandel sind von seinen Werken nur noch die umfangreiche „Verfassungsgeschichte“ sowie die begleitenden Quelleneditionen verfügbar12. Neuere Sammlungen seiner 9 Ernst Hüsmert (Hg.), Carl Schmitt. Tagebücher. Oktober 1912 bis Februar 1915, 2. Aufl., Berlin 2005; ders./Gerd Giesler (Hg.), Carl Schmitt. Die Militärzeit 1915 bis 1919. Tagebuch Februar bis Dezember 1915, Aufsätze und Materialien, Berlin 2005; Wolfgang Schuller (Hg.), Carl Schmitt. Tagebücher 1930 bis 1934, Berlin 2010; Frank Hertweck/Dimitrios Kisoudis (Hg.), „Solange das Imperium noch da ist“. Carl Schmitt im Gespräch mit Klaus Figge und Dieter Groh (1971). Mit einem Nachwort von Dieter Groh, Berlin 2010. Schmittiana. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts, hg. von der Carl-Schmitt-Gesellschaft, NF, 2 Bde., Berlin 2011–2014. 10 Montserrat Herrero (Hg.), Briefwechsel Carl Schmitt und Alvaro d’Ors, Berlin 2004; Erik Lehnert/Günter Maschke (Hg.), Carl Schmitt/Hans-Dietrich Sander, Werkstatt – Discorsi. Briefwechsel 1967–1981, Schnellroda 2009; Armin Mohler (Hg.), Carl Schmitt – Briefwechsel mit einem seiner Schüler. In Zusammenarbeit mit Irmgard Huhn/Piet Tommissen, Berlin 1995; Rolf Rieß (Hg.), Carl Schmitt – Ludwig Feuchtwanger: Briefwechsel 1918–1935. Mit einem Vorwort von Edgar J. Feuchtwanger, Berlin 2007; Alexander Schmitz/Marcel Lepper (Hg.), Hans Blumenberg – Carl Schmitt. Briefwechsel und weitere Materialien, Frankfurt a. M. 2007; Ingeborg Villinger/Alexander Jaser (Hg.), Briefwechsel Gretha Jünger – Carl Schmitt (1934–1953), Berlin 2007; Reinhard Mehring (Hg.), „Auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts“. Briefwechsel Carl Schmitt – Rudolf Smend 1921–1961, Berlin 2010; Herbert Kopp-Oberstebrink/Thorsten Palzhoff/Martin Treml (Hg.), Jakob Taubes – Carl Schmitt. Briefwechsel, mit Materialien, Paderborn/München 2011; Kai Burckhardt (Hg.), Carl Schmitt und die Öffentlichkeit. Briefwechsel mit Journalisten, Publizisten und Verlegern aus den Jahren 1923 bis 1983, Berlin 2013. 11 Dorothee Mußgnug/Reinhard Mußgnug/Angela Reinthal (Hg.), Briefwechsel Ernst Forsthoff – Carl Schmitt (1926–1974), Berlin 2007. 12 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, 8 Bde. Bd. 1: Reform und Restauration 1789 bis 1830. Bd. 2: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850. Bd. 3: Bismarck und das Reich. Bd. 4: Struktur und Krisen des Kaiserreichs. Bd. 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung 1914–1919. Bd. 6: Die Weimarer Reichsverfassung. Bd. 7: Ausbau, Schutz und Untergang der Weimarer Republik. Bd. 8: Registerband, Stuttgart u. a. 1957–1991; ders. (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850. 3. Aufl., Stuttgart u. a. 1978. Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente

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Aufsätze gibt es nicht13. Und auch aus dem reichhaltigen Nachlass Hubers im Bundesarchiv Koblenz ist bisher nichts ediert worden. Seit 1973 liegt immerhin eine vollständige Bibliographie der bis dahin erschienenen Schriften vor14. Zudem wurden einige biographische Arbeiten über Huber seit Mitte der 1990er Jahre veröffentlicht15. Anhand dieser Untersuchungen lassen sich die äußeren Lebensumstände Hubers nachfolgend darstellen. II. Ernst Rudolf Huber kam im Jahr 1903 in Oberstein (heute: Idar-Oberstein) als Sohn eines Kaufmanns zur Welt16. Oberstein gehörte, wie Hu1851–1918. Bd. 3: Dokumente der Novemberrevolution und der Weimarer Republik 1918–1933, Stuttgart u. a. 1964/66. 13 Es existieren lediglich zwei ältere Bände: Ernst Rudolf Huber, Nationalstaat und Verfassungsstaat. Studien zur Geschichte der modernen Staatsidee, Stuttgart 1965; ders., Bewahrung und Wandlung. Studien zur deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Berlin 1975. 14 Tula Huber-Simons/Albrecht Huber, Bibliographie der Veröffentlichungen von Ernst Rudolf Huber, in: Ernst Forsthoff/Werner Weber/Franz Wieacker (Hg.), Festschrift für Ernst Rudolf Huber zum 70. Geburtstag am 8. Juni 1973, Göttingen 1973 (= Göttinger rechtswissenschaftliche Studien, 88), S. 385–416. 15 Martin Jürgens, Staat und Reich bei Ernst Rudolf Huber. Sein Leben und Werk bis 1945 aus rechtsgeschichtlicher Sicht, Frankfurt a. M. 2005 (= Rechtshistorische Reihe, 306); Marie-Theres Norpoth, Norm und Wirklichkeit. Staat und Verfassung im Werk Ernst Rudolf Hubers, Münster 1998 (= Politikwissenschaft, 49); Ralf Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken. Eine wissenssoziologische Studie zu Ernst Rudolf Huber, Berlin 1997; Ewald Grothe, Eine ‚lautlose‘ Angelegenheit? Die Rückkehr des Verfassungshistorikers Ernst Rudolf Huber in die universitäre Wissenschaft nach 1945, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 47 (1999), S. 980– 1001; ders., Zwischen Geschichte und Recht. Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900–1970, München 2005 (= Ordnungssysteme, 16); ders., Über den Umgang mit Zeitenwenden. Der Verfassungshistoriker Ernst Rudolf Huber und seine Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart 1933 und 1945, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 53 (2005), S. 216–235; ders., „Strengste Zurückhaltung und unbedingter Takt“. Der Verfassungshistoriker Ernst Rudolf Huber und die NS-Vergangenheit, in: Eva Schumann (Hg.), Kontinuitäten und Zäsuren. Rechtswissenschaft und Justiz im „Dritten Reich“ und in der Nachkriegszeit, Göttingen 2008, S. 327–348. 16 Kurzbiographie Hubers bei: F.[lorian] Herrmann, Huber, Ernst Rudolf, in: Michael Stolleis (Hg.), Juristen. Ein biographisches Lexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, S. 297 f.; darüber hinaus informieren mehrere Nachrufe: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Ernst Rudolf Huber zum 70. Geburtstag, in: Archiv des öffentlichen Rechts 98 (1973), S. 255–259; Hans H. Klein, Zum Gedenken an Ernst Rudolf Huber (1903 bis 1990), in: Archiv des öffentlichen Rechts 116 (1991), S. 112–119; Christian Starck, Ernst Rudolf Huber. 18. Juni 1903 – 28. Oktober 1990, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen für das

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ber später sagte, zur „staatsrechtlich-historischen Kuriosität“ des Fürstentums Birkenfeld17. Denn dieses war geographisch im südlichen Rheinland gelegen, zugleich aber völkerrechtlich eine Exklave des Großherzogtums Oldenburg. Huber war also linksrheinisch geboren und erfuhr damit nach dem Ersten Weltkrieg, an dem er nicht mehr teilnehmen musste, die Rheinlandbesetzung hautnah. Konfrontiert mit den massiven politischen und wirtschaftlichen Folgen der Kriegsniederlage, engagierte er sich in der Jugendbewegung und wurde Mitgründer des Nerother Wandervogels18. Nach 1921 studierte Huber in Tübingen und München zunächst Geschichte und Literaturwissenschaft, dann Nationalökonomie. Aufgrund der begrenzten Quellenlage ist unklar, inwieweit er sich in diesen Jahren im turbulenten politischen Umfeld des Hitler-Putsches politisierte. Bereits in München wechselte er zur Rechtswissenschaft, aber, so erinnerte er sich später: „Zum Juristen bin ich erst geworden, als ich 1924 das Studium in Bonn aufnahm.“19 Sein späterer Doktorvater Carl Schmitt brachte ihm, so Huber, die Jurisprudenz als Kunst nahe, als Handwerk erlernte er sie im Repetitorium. Schmitt „war damals ein junger Mann [. . .], ein katholischer Rheinländer von brillantem Geist, universaler Bildung, faszinierender Argumentationskraft, vollendetem Sprachstil“20. „Es ist mir unvergeßlich, wie hingerissen ich war, als ich ihn zum ersten Mal in der Vorlesung sah und hörte“21. Diese Attribute für Schmitt wurden ähnlich von anderen Zeitgenossen gewählt22. Jahr 1991, Göttingen 1992, S. 232–243; Ewald Grothe, Ernst Rudolf Huber (1903– 1990). Rechtswissenschaftler, in: Landschaftsverband Rheinland (Hg.), Internetportal Rheinische Geschichte. Rheinische Köpfe [30.9.2010]. Online unter: http:// www.rheinische-geschichte.lvr.de/persoenlichkeiten/H/Seiten/ErnstRudolfHuber.aspx [5.1.2014]; Leipziger Professorenkatalog: http://www.uni-leipzig.de/unigeschichte/ professorenkatalog/leipzig/Huber_474/ (5.1.2014). 17 Huber, Lebensbericht, Anhang Dok. V.2. Siehe auch: Huber, Rede zum 80. Geburtstag, Anhang Dok. V.3. 18 Walkenhaus, Staatsdenken, S. 11. Weitere Informationen bei Werner Kindt (Hg.), Die deutsche Jugendbewegung 1920 bis 1933. Die bündische Zeit. Quellenschriften. Mit einem Nachwort von Hans Raupach, Düsseldorf/Köln 1974 (= Dokumentation der Jugendbewegung, 3), S. 211–224; Rudolf Kneip, Jugend der Weimarer Zeit. Handbuch der Jugendverbände 1919–1938, Frankfurt a. M. 1974 (= Quellen und Beiträge zur Geschichte der Jugendbewegung, 11), S. 190–192. Briefliche Auskunft von Tula Huber-Simons an Ralf Walkenhaus, 7.9.1994. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 554. 19 Huber, Lebensbericht, Anhang Dok. V.2. 20 Ebd. 21 Huber, Carl Schmitt in seiner Bonner Zeit, Anhang Dok. V.4. 22 So u. a. von Forsthoff: Florian Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft. Ernst Forsthoff und seine Zeit, Berlin 2011, S. 37 f.

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Schmitt hatte sich bereits vor dem Erscheinen seiner berühmten „Verfassungslehre“ von 1928 einen Namen gemacht. Mit der „Politischen Romantik“, dem „Römischen Katholizismus“, der „Politischen Theologie“, der „Diktatur“ oder auch der Parlamentarismus-Schrift hatte er als präziser politischer Denker und außergewöhnlicher Jurist über die engen Fachkreise hinaus Bekanntheit erlangt. Huber äußerte später, dass er „ohne diese Klärung, Härtung und Formung des Denkens“ durch Schmitt „nicht geworden [wäre], was ich bin“23. Schmitt hatte ihn gefangen mit seiner „Kunst, den anderen durch die unerwartete, fast überfallartige Art des Fragens zum Mitdenken zu zwingen“.24 Huber berichtet, dass die Mitschriften von Schmitts Vorlesungen, die er als „literarische Kabinettstücke“ betrachtete, „lange Zeit ein gesuchtes und verbreitetes Studiermittel für Anfänger und für Fortgeschrittene“ gewesen seien25. Neben der Faszination für den Wissenschaftler Schmitt schätzte Huber auch den akademischen Lehrer. Er lobte die Seminarabende in einem Bonner Gasthaus, bei denen „beim Wein improvisiert in Gemeinschaft über wissenschaftlich-politische Grundsatz- und Tagesfragen“ diskutiert wurde26. Hubers und Schmitts Korrespondenz dreht sich in den Anfangsjahren primär um die Dissertation. Dabei werden u. a. Treffen in Bonn verabredet, um die Arbeit zu besprechen. 1926/27 fertigte Huber seine Doktorarbeit über das Staatskirchenrecht der Weimarer Republik an. Schmitt lobte in seinem Gutachten an Hubers Dissertation die „musterhafte Sachlichkeit und [. . .] ruhige Sicherheit“27. Als es wenige Monate später um den Druck der Arbeit ging, schrieb Schmitt an den Verleger Oskar Siebeck, es handele sich um die „ausgezeichnete Arbeit eines bedeutenden jungen Menschen“28. So konnte Hubers Untersuchung im renommierten Verlag Mohr-Siebeck erscheinen29. 23

Huber, Lebensbericht, Anhang Dok. V.2. Ders., Carl Schmitt in der Reichskrise der Weimarer Endzeit, in: Helmut Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 28. Sonderseminars 1986 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1988 (= Schriftenreihe der Hochschule Speyer, 102), S. 33–50, hier S. 34. 25 Huber, Carl Schmitt in seiner Bonner Zeit, Anhang Dok. V.4. 26 Ebd. 27 Anhang Dok. I.1. und I.2. Siehe dazu weitere Unterlagen: Archiv der Juristischen Fakultät Bonn, Promotionsakte Huber. Ernst Rudolf Huber, Die Gewährleistung der kirchlichen Vermögensrechte durch die Weimarer Verfassung. Auszug aus der Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Hohen Juristischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn, Bonn 1927. 28 Anhang Dok. I.3 bis I.5. (Briefe vom 6.3., 18.3. und 27.3.1927). 29 Die Korrespondenz Schmitts und Hubers mit dem Verlag findet sich in der Staatsbibliothek Berlin, Nachlass 488, Verlagsarchiv Mohr-Siebeck, Kasten 429. 24

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Huber kam in einen Kreis von Mitdoktoranden, von denen mehrere später zu bekannten Hochschullehrern wurden: der Heidelberger Staatsrechtler Ernst Forsthoff oder der spätere Bundesverfassungsrichter Ernst Friesenhahn, um nur zwei der wichtigsten herauszugreifen30. Als Schmitt 1928 an die Berliner Handelshochschule ging, blieb Huber in Bonn und wandte sich in seiner bei dem Wirtschaftsrechtler Heinrich Göppert angefertigten Habilitationsschrift dem Wirtschaftsverwaltungsrecht zu; sie lag 1931 vor31. Seit Mitte der 1920er Jahre liebäugelte Huber mit jungkonservativen Ideen, die im Umfeld der Konservativen Revolution vertreten wurden. Huber zählte – ähnlich wie Ernst Forsthoff32 – zum sogenannten „Ring“-Kreis, der sich aus Autoren der gleichnamigen Zeitschrift zusammensetzte. Parallel zu seinen wissenschaftlichen Arbeiten publizierte er dort sowie in der Zeitschrift „Deutsches Volkstum“ und nahm insbesondere zur zeitgenössischen Politik und Verfassungsentwicklung kritisch Stellung33. In den insgesamt sieben hier abgedruckten Aufsätzen aus den Jahren 1929 bis 1932 sind fünf in der Zeitschrift „Der Ring“ und einer im „Deutschen Volkstum“ erschienen. Alle beziehen sich auf Abhandlungen oder Vorträge Schmitts, stellen aber nur einen Bruchteil der gesamten jungkonservativen Publizistik Hubers dar34. Der erste Beitrag über das „Zeitalter der Technik“ zitiert lange Passagen aus Schmitts im gleichen Jahr erschienenen Aufsatz über „Die europäische Kultur im Zwischenstadium der Neutralisierung“. Im zweiten Beitrag paraphrasiert Huber einen kurz zuvor gehaltenen Vortrag 30 Zu Forsthoff pflegte Huber eine lebenslange Freundschaft. Zahlreiche Forsthoff-Briefe befinden sich im Nachlass Hubers. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 197. Huber beteiligte sich 1972 auch an der Festschrift zu Forsthoffs 70. Geburtstag, wie umgekehrt Forsthoff an derjenigen von Huber 1973. Über „das legendäre Seminar“ in Bonn: Mehring, Carl Schmitt, S. 177–184. 31 Ernst Rudolf Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht. Institutionen des öffentlichen Arbeits- und Unternehmensrechts, Tübingen 1932. Siehe zur Bonner Zeit Hubers: Matthias Maetschke, Ernst Rudolf Huber. Im Schatten Carl Schmitts – Ernst Rudolf Hubers Bonner Jahre 1924–1933, in: Mathias Schmoeckel (Hg.), Die Juristen der Universität Bonn im „Dritten Reich“, Köln u. a. 2004 (= Rechtsgeschichtliche Schriften, 18), S. 368–386. 32 Meinel, Jurist, S. 50 f. 33 Anhang Dok. II.1 bis II.5 sowie II.7. Dazu: Stefan Breuer, Carl Schmitt im Kontext: Intellektuellenpolitik in der Weimarer Republik, Berlin 2012, bes. S. 180– 187; Dieter Grimm, Der Akteur als Historiker. Zum Abschluß von Hubers Deutscher Verfassungsgeschichte, in: Rechtshistorisches Journal 5 (1986), S. 83–90. 34 Insgesamt handelt es sich um knapp sechzig großenteils anonym oder unter Pseudonym erschienene Aufsätze in den beiden genannten Zeitschriften zwischen 1929 und 1934. Huber-Simons/Huber, Bibliographie, S. 389–391. Huber schrieb unter folgenden sieben Pseudonymen: Cassius, Walter Esch, K. Fehling, Friedrich Landeck, Friedrich Schreyer, Lothar Veeck und Manfred Wild. Eine Erklärung für die Namensgebung konnte nicht ermittelt werden.

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Schmitts, der in enger inhaltlicher Verbindung damit steht. Die weiteren Aufsätze setzen sich mit dem Begriff der „Repräsentation“ und mit Schmitts Vortrag über Hugo Preuß auseinander. Gelegentlich ließ Huber in seiner Publizistik schon Kritik an Schmitt erkennen und setzte eigene Akzente. Es ist erstaunlich für einen jungen Privatdozenten, dass er 1931/32 mehrere Schriften seines Doktorvaters in den angesehenen „Blätter[n] für Deutsche Philosophie“ besprach35. Das war Wagnis und Gratwanderung zugleich – und Huber meisterte den Balanceakt bravourös. Er erwarb sich die Anerkennung der Fachgenossen und die Wertschätzung Schmitts. Dabei hatte er eigenständig argumentiert und an Schmitts Dezisionismus Kritik geübt. Die Verfassung selbst sei nicht eine Entscheidung, sondern sie beruhe auf ihr. Was auf den flüchtigen Blick wie eine Nuancierung von Schmitts Definition klang, war in Wirklichkeit eine deutliche Abweichung. Die Verfassung war damit nicht mehr der Urgrund des Rechts, sondern sie wurde getragen von einem vorausgesetzten politischen Willen. Huber unterrichtete Schmitt vor dem Erscheinen seines Rezensionsaufsatzes über seine „bescheidenen Einwendungen“36. Solche Differenzen taten aber der engen Verbindung von Lehrer und Schüler keinen Abbruch. Vielmehr betonte Huber die „unmittelbare Übereinstimmung in einigen Grundkategorien“. Er sei, schrieb er im Herbst 1931 an Schmitt, „gerade in diesen Jahren, in denen ich äußerlich von Ihnen getrennt war, Ihr Schüler geworden“37. Während Huber seinen Doktorvater verehrte, hielt Schmitt seinerseits Huber für eine außerordentliche Begabung. Das sahen auch andere Kollegen ähnlich. Der Berliner Staatsrechtler Carl Bilfinger schrieb Schmitt im Dezember 1932 über Huber: „Er ist doch weitaus das beste Pferd in ihrem Stall.“38 Dementsprechend schlug Schmitt im Juli 1932 Huber für seine Vertretung an der Handelshochschule Berlin vor und wandte sich deshalb an den Bonner Dekan Richard Thoma39. Zwar misslang dieses Vorhaben, aber stattdessen wurde der noch nicht dreißigjährige Huber nur einen Monat später auf Initiative von Carl Schmitt als Politikberater tätig und unterstützte die letzten Präsidialkabinette und die Reichswehrführung mit juristischem Sachverstand. Er traf sich zunächst mit Schmitt in Plettenberg, dann reiste er allein in dessen Berliner Wohnung weiter40. In der Reichshauptstadt beriet er zusammen mit Schmitt Reichswehroffiziere, die Papen und Schleicher angeblich bei dem Vorhaben unterstützten, die NSDAP zu verbieten und ihre 35 36 37 38 39

Anhang Dok. II.6. Brief Nr. 27 (29.4.1931). Brief Nr. 33 (20.10.1931). Zitiert nach Mehring, Carl Schmitt, S. 296. Anhang Dok. I.6 (25.7.1932).

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Anführer zu inhaftieren. Doch der Plan scheiterte. „Der 20. Juli ist dahin!“, soll Schmitt Ende Januar 1933 bemerkt haben, berichtete Huber später. Denn dieses Datum habe für Schmitt „das Grunderlebnis seines damaligen staatspolitischen Wirkens“ bedeutet41. Danach sei der Nationalsozialismus kaum mehr aufzuhalten gewesen. Immer wieder wird dieser 20. Juli 1932 zum Thema in der späteren Korrespondenz. Huber verteidigte den sogenannten „Preußenschlag“ des Reiches publizistisch gegen die sozialdemokratische Berliner Regierung vom 20. Juli 1932, indem er eine Broschüre zum Staatsgerichtshofprozess über die Reichsexekution gegen Preußen verfasste, die ein kontroverses Echo auslöste42. Seine und Schmitts Gegner bezeichnet er in diesem Zusammenhang als „Berliner Giftspritzen“43. Schmitt konnte in seiner exponierten Stellung die Studie nicht selbst verfassen und gab den Auftrag wohl an Huber weiter. Später war Schmitt eifersüchtig, weil er selbst gerne das Buch geschrieben hätte44. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wandelten sich Schmitts und Hubers Einstellungen spürbar und nachhaltig. Bereits zum 1. Mai traten beide der Partei bei – sie waren „Maikäfer“ in der Diktion der Zeit. Huber heiratete im selben Jahr Tula Simons45, eine Mitarbeiterin von Schmitt und Tochter des früheren Reichsgerichtspräsidenten Walter Simons46. Zwischen 1934 und 1942 kamen fünf Söhne zur Welt47. Noch im 40 Siehe dazu die zahlreichen Eintragungen im Tagebuch Schmitts über Huber zwischen Ende August und Ende Dezember 1932. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934, S. 211–246. 41 Huber, Carl Schmitt in der Reichskrise, S. 38. 42 Ernst Rudolf Huber, Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, Oldenburg i. O. 1932 (= Schriften an die Nation, 42). Vgl. autobiographisch: ders., Carl Schmitt in der Reichskrise, S. 33–50. Vgl. Gabriel Seiberth, Anwalt des Reiches. Carl Schmitt und der Prozeß „Preußen contra Reich“ vor dem Staatsgerichtshof, Berlin 2001 (= Zeitgeschichtliche Forschungen, 12), S. 55 ff., 68; ders., Legalität oder Legitimität? „Preußenschlag“ und Staatsnotstand als juristische Herausforderung für Carl Schmitt in der Reichskrise der Weimarer Endzeit, in: Piet Tommissen (Hg.), Schmittiana. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts. Bd. 7, Berlin 2001, S. 131–164; Lutz Berthold, Carl Schmitt und der Staatsnotstandsplan am Ende der Weimarer Republik, Berlin 1999, S. 32–35; Wolfram Pyta, Verfassungsumbau, Staatsnotstand und Querfront: Schleichers Versuche zur Fernhaltung Hitlers von der Reichskanzlerschaft August 1932 bis Januar 1933, in: ders./Ludwig Richter (Hg.), Gestaltungskraft des Politischen. Festschrift für Eberhard Kolb, Berlin 1998, S. 173–197; Dirk Blasius, Carl Schmitt. Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich, Göttingen 2001, S. 15–70; Maetschke, Huber, S. 381–384. 43 Brief Nr. 60 (8.1.1933). 44 Schmitt, Tagebücher, S. 238, 241. 45 Marion Röwekamp, Juristinnen – Lexikon zu Leben und Werk, Baden-Baden 2005, S. 148–150. 46 Über seinen Schwiegervater schrieb Huber später einen Aufsatz. Ernst Rudolf Huber, Walter Simons 1861–1937, in: Wuppertaler Biographien. 9. Folge, Wupper-

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Herbst des Jahres 1933 wurde Huber als einem hoffnungsvollen Nachwuchsjuristen und NS-Aktivisten der Lehrstuhl des renommierten und aus rassischen Gründen entlassenen Völkerrechtlers Walther Schücking an der Universität Kiel übertragen48. In Kiel entfaltete Huber eine rege Tätigkeit. Wissenschaftspolitisch engagierte er sich beim Aufbau der sogenannten Kieler Schule, einem Kreis jüngerer Hochschullehrer, die das Recht im nationalsozialistischen Sinn umgestalten wollten49. Mit Schmitt zusammen war er in der Reichsfachgruppe Hochschullehrer des Bundes nationalsozialistischer Deutscher Juristen tätig, und beide beteiligten sich auch intensiv an den Debatten über eine juristische Studienreform50. Huber publizierte 1937 sein Hauptwerk unter dem schlichten Titel „Verfassung“, das zum maßgeblichen Lehrbuch über das Staats- und Verfassungsrecht im Nationalsozialismus avancierte. 1939 erschien es der Zeit entsprechend unter dem erweiterten Titel „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches“. Seit seiner Kieler Zeit beschäftigte sich Huber seit 1936/37 schwerpunktmäßig mit verfassungshistorischen Themen aus der Ideen- und Militärgeschichte. Sein Werk „Heer und Staat in der deutschen Geschichte“ aus dem Jahr 1938 gab einen großen Überblick zum Thema, wobei er sich erneut mit Schmitts Thesen kritisch auseinandersetzte51. 1937 wurde er an die Universität Leipzig und 1941 an die neu gegründete Reichsuniversität Straßburg berufen52. Für beide Wechsel waren wissenschaftspolitische und tal 1970 (= Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde des Wuppertals, 17), S. 61– 79. Drei überlieferte Schreiben von Tula Huber-Simons an Schmitt sind im Anhang Dok. III.1, III.6 und III.7 ediert. 47 Zu Carl Schmitt hatte der älteste Sohn, Konrad Huber, den engsten Kontakt. 48 Ulf Morgenstern, Bürgergeist und Familientradition. Die liberale Gelehrtenfamilie Schücking im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn 2012, S. 426–439. 49 Zur Kieler Schule gibt es mehrere Spezialstudien. Ein knapper Überblick: Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, S. 168–172. Vgl. auch Christina Wiener, Kieler Fakultät und ‚Kieler Schule‘. Die Rechtslehrer an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zu Kiel in der Zeit des Nationalsozialismus und ihre Entnazifizierung, Baden-Baden 2013 (= Kieler Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, NF 67); Rudolf Meyer-Pritzl, Die Kieler Rechts- und Staatswissenschaften. Eine „Stoßtruppfakultät“, in: Christoph Cornelissen u. a. (Hg.), Wissenschaft an der Grenze. Die Universität Kiel im Nationalsozialismus, Essen 2. Aufl. 2010 (= Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, 86), S. 151–174; Ralf Walkenhaus, Gab es eine „Kieler Schule“? Die Kieler Grenzlanduniversität und das Konzept der „politischen Wissenschaften“ im Dritten Reich, in: Wilhelm Bleek/Hans J. Lietzmann (Hg.), Schulen der deutschen Politikwissenschaft, Opladen 1999, S. 159–182. 50 Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, S. 190–205. 51 Ebd., S. 251–256. 52 Ulf Morgenstern, Die riskante „Rückkehr in das gesegnete rheinische Land“. Über Ernst Rudolf Hubers sächsische und elsässische Jahre und deren Darstellung

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persönliche Gründe ausschlaggebend. Leipzig reizte Huber als Sitz des Reichsgerichts, nach Straßburg ging er, weil er es als Stück der rheinischen Heimat betrachtete. Carl Schmitt, spätestens mit seinem Ruf nach Köln 1932 endgültig etabliert, hat im NS-System Karriere gemacht. Noch 1933 wurde er von Köln, wo er nach dem Weggang von der Berliner Handelshochschule lehrte, an die Universität Berlin berufen. Göring ernannte ihn zum preußischen Staatsrat. Schmitt wirkte an wichtigen Gesetzesvorhaben der Nationalsozialisten mit und wurde deren „Kronjurist“. Wie Huber publizierte er in einflussreichen juristisch-publizistischen Organen, gab mit der „Deutschen JuristenZeitung“ das wichtigste selbst heraus und wurde zum Leiter der Reichsfachgruppe Hochschullehrer des Bundes nationalsozialistischer Deutscher Juristen ernannt53. 1936 endete sein Aufstieg allerdings abrupt. Er wurde bei der SS als ‚Anpasser‘ denunziert und von seinen wichtigsten Ämtern entbunden. Wohl nur der Schutz des preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring hielt ihn auf seinem Lehrstuhl in Berlin54. Schmitt und Huber waren wie viele andere von der Richtigkeit ihres Handelns im NS-Staat überzeugt, sie waren sich einer positiven politischen Zukunft Deutschlands gewiss, wollten aktiv mitgestalten und sich am Aufbau eines neuen Staates beteiligen. Huber bezeichnete die Kieler Schule als „unseren Kreis“, der als „Stoßtrupp“ „die politische Rechtswissenschaft des neuen Staates“ vertrete55. „Denn nur der Nationalsozialismus“, so Huber an Schmitt im Mai 1934, „schafft die Grundlage, auf der die gesamte Staatswissenschaft als Ausdruck der völkischen Totalität wieder möglich wird“56. Beide hatten sich nicht nur auf das Regime eingelassen, sie waren ‚Überzeugungstäter‘. Gegen die verstockten und einem überholtem Denken verhafteten „liberalistischen“ Feinde müsse man sich ebenso wie gegen andere Gegner wappnen und „gut wehren“57. Ende 1934 resümierte Huber gegenüber Schmitt, man sei „in diesem Jahr des Aufbaus einen Schritt voran gekommen“. „Die Staatswissenschaft [wird] nicht zurückstehen, wenn der in seinen „Straßburger Erinnerungen“, in: ders./Ronald Lambrecht (Hg.), „Kräftig vorangetriebene Detailforschungen“. Aufsätze für Ulrich von Hehl zum 65. Geburtstag, Leipzig/Berlin 2012, S. 243–273; Herwig Schäfer, Juristische Lehre und Forschung an der Reichsuniversität Straßburg 1941–1944, Tübingen 1999 (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, 23). 53 Verwiesen sei vor allem auf die Biographie von Mehring, Carl Schmitt. 54 Koenen, Schmitt, S. 651–827; Blasius, Staatsrat, S. 153–180; Mehring, Carl Schmitt, S. 378 ff. 55 Brief Nr. 72 (16.8.1933). 56 Brief Nr. 94 (16.5.1934). 57 Brief Nr. 96 (24.5.1934).

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Staat selbst im nächsten Jahre in den entscheidenden Abschnitt des Kampfes eintritt.“58 In Hubers Schrifttum werden enge Bezüge zu den Denkkategorien und Begriffen von Carl Schmitt vielfach deutlich: „Das normative Denken wird [. . .] durch das konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken“ überwunden59. Der Führer ist nicht allein „Träger der Regierungsgewalt“, sondern er vereinigt darüber hinaus „die Totalität der staatlichen Gewalt“60. Konkretes Ordnungsdenken und die Zusammenführung aller Zweige der Staatsgewalt in der Person eines Führers können als wichtige Bestandteile der Überlegungen Schmitts gelten. Die Themen der Korrespondenz zwischen Schmitt und Huber sind vor allem die Hochschulpolitik und das neue Rechtsdenken. Es geht um Berufungsfragen, auch um die Deutungshoheit im Verfassungsrecht61, schließlich um die Organisation von Tagungen oder die Beratung über Gesetzesvorhaben. Ein immer wieder aufgegriffenes Themenfeld ist die Frage, wie sich die Rechtswissenschaft gegenüber dem neuen Staat positionieren, wie sich das Recht an die NS-Politik und die Ideologie anpassen soll. Hier gibt es strategische Überlegungen von beiden Seiten, so dass in dieser Hinsicht der Unterschied zwischen Lehrer und Schüler ganz verschwindet. Daneben nutzt Carl Schmitt den Briefwechsel wiederholt zu antisemitischen Ausfällen. So liest man, der Kieler Kollege Hubers, Friedrich Schaffstein, lasse sich von Liberalen und Juden „verblüffen“62, sachkundige Juden könne man nicht als Referenten einladen63, oder mit ironischer Wendung, dass nur „die lieben Juden fehlen“64; schließlich bösartig über Otto von Gierke: „Ich gebe nichts auf die Intuition eines Deutschen, der sich jüdisch fortpflanzt.“65 Das persönliche Verhältnis Hubers zu Schmitt geriet Anfang 1936 in eine erste tiefe Krise. Huber sagte ein ihm angebotenes Referat auf dem von Schmitt organisierten Juristentag ab66. Und auch an der Tagung der Reichsfachgruppe Hochschullehrer am 3. und 4. Oktober 1936 nahm er wegen der 58

Brief Nr. 124 (30.12.1934). Die Zitate in der Reihenfolge: Ernst Rudolf Huber, Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, Hamburg 1935 (= Der deutsche Staat der Gegenwart, 16), S. 73, 92, 40. 60 Ebd., S. 83. 61 Erbittert bekämpft werden die sogenannten SS-Juristen um Reinhard Höhn, aber auch die Person und Schriften von Otto Koellreutter. 62 Brief Nr. 98 (16.6.1934). 63 Brief Nr. 142 (21.11.1935). 64 Brief Nr. 152 (4.12.1938). 65 Brief Nr. 100 (30.6.1934). 66 Brief Nr. 146 (24.1.1936); Brief Nr. 147 (14.10.1936). Die Tagungseinladungen wurden zum Teil stellvertretend für Schmitt von seinen Mitarbeitern Bernhard 59

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Ableistung seines Wehrdienstes nicht teil67. Schmitt fuhr hier einen seiner bösartigsten antisemitischen Angriffe, indem er forderte, jüdische Autoren in der juristischen Literatur entweder nicht mehr zu zitieren oder jedenfalls als Juden zu kennzeichnen68. Angeblich hat gerade dieser aggressive Antisemitismus Schmitts Huber abgestoßen69. Es trat im Briefwechsel jedenfalls eine Pause von eineinhalb Jahren ein, bevor sich Schmitt im März 1938, anlässlich der Geburt eines weiteren Sohnes Hubers, mit einem Glückwunschschreiben wieder meldete70. Auch Huber zeigte sich versöhnungsbereit. In einem allerdings nur als Entwurf überlieferten Brief zu Schmitts 50. Geburtstag schrieb er: „Durch eine Kette von Mißverständnissen und unkontrollierbaren Zwischenträgereien ist in den letzten Jahren das klare und eindeutige Verhältnis, das zwischen Ihnen und mir bestand, gelöst worden.“ Nun wolle er die frühere Verbindung wieder aufnehmen71. Doch das alte Vertrauensverhältnis ließ sich nicht wieder in vollem Umfang herstellen. Gleichwohl wechselten erneut Briefe zwischen Berlin und Leipzig bzw. Straßburg, den nächsten Lehrstühlen Hubers, im Abstand weniger Wochen oder, wenn es hochkam, Monate. Huber lud Schmitt nach Leipzig ein, sie trafen sich in Berlin oder unterwegs. Auch die Verehrung Hubers blieb. Im Mai 1939, als er Schmitt zum Vortrag nach Leipzig bat, schrieb er: „[S]ie bestimmen die innere Situation der Zeit in einem Augenblick, in dem die wahre Struktur noch von Schutt und Abraum verdeckt ist – und sie bezeichnen die Tendenz einer Entwicklung in einem Moment, in dem die bestimmende[n] Kräfte sich ihrer selbst noch nicht bewusst geworden sind“72. Als Huber 1941 seine zweite längere Rezension zu Schmitt, und zwar über den Sammelband „Positionen und Begriffe“73, verfasste, bemerkte er, dass ihn diese Aufsätze „zwingend auf die sachlichen und menschlichen Voraussetzungen meiner wissenschaftlichen Existenz“ von Mutius und Eberhard Freiherr von Medem versendet. Anhang Dok. III.2 bis III.5. 67 Anhang Dok. III.6 (21.8.1936). 68 Carl Schmitt, Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist, Berlin 1936 (= Das Judentum in der Rechtswissenschaft, 1), S. 14–17, 28–34. Siehe dazu u. a.: Hasso Hofmann, „Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist!“, in: Karlheinz Müller (Hg.), Geschichte und Kultur des Judentums. Eine Vorlesungsreihe an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Würzburg 1988 (= Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg, 38), S. 223–240; Mehring, Carl Schmitt, S. 373–378. 69 So Konrad Huber in einem Gespräch mit dem Verfasser. 70 Brief Nr. 148 (11.3.1938). 71 Brief Nr. 150 (vor 11.7.1938). Zu dieser Krise im Verhältnis der beiden und der Zeit danach: Mehring, Carl Schmitt, S. 418–423. 72 Brief Nr. 158 (30.5.1939). 73 Anhang Dok. II.9.

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hingewiesen hätten74. Wie bereits 1931/32 findet Huber bei Lob und Zustimmung eine eigenständige wissenschaftliche Linie. Die Wertschätzung beider Korrespondenten war gegenseitig. Als Reaktion auf die Zusendung von Hubers Leipziger Rede über „Verfassungskrisen“ im Kaiserreich kommentierte Schmitt 1940, „man müßte von diesem Aufsatz aus eine neue Verfassungsgeschichte des Zweiten Reiches schreiben.“75 Das war als unverhüllte Aufforderung zu verstehen, dass Huber Schmitts Skizze über die Verfassungsgeschichte des Kaiserreiches von 1934 ausbauen solle76. Tatsächlich hatte Huber mit der Konzeption seiner „Deutschen Verfassungsgeschichte“ zu diesem Zeitpunkt schon begonnen77. Doch die Bewertung des Kaiserreiches und damit des deutschen Konstitutionalismus als Staatsform fiel darin deutlich anders als bei Schmitt aus78. Mit Kritik an der NS-Führung hielten sich beide Gelehrte zurück: zum einen, weil sie nicht grundsätzliche, sondern eher marginale Einwände gegen das Regime hatten, zum anderen, weil sie ihre Briefe unter den Bedingungen der Zensur verfassten. Bei Huber sind kritische Distanzierungen in seinen Schriften nach 1940 allenfalls angedeutet. Im Briefwechsel an Schmitt formuliert er dagegen offener und zum Teil sogar recht deutlich: 1934, so schrieb er sieben Jahre später, wäre ein Festhalten am „institutionellen Denken“ besser gewesen als die Propagierung des „konkreten Ordnungsdenkens“, denn „im Mangel an echten Institutionen sehe ich unser eigentliches Verfassungsproblem“.79 In den letzten Jahren beobachte er einen unausweichlichen, aber fragwürdigen Prozess „der totalen Verstaatlichung des Volkstums“80. Ihnen beiden, so Huber im Oktober 1942, seien „nach 1933 die schnellen und glatten Lösungen nicht gelungen“81. Und angesichts der damaligen Kriegssituation äußerte er schließlich zu Silvester 1943 gegenüber seinem Doktorvater: Heute könne man „die These von der staatsbildenden Kraft des Heeres nicht mehr mit soviel Zuversicht wie vor einem Ansturm verfechten“82. 74

Brief Nr. 161 (21.2.1940). Brief Nr. 164 (2.5.1940). 76 Carl Schmitt, Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches. Der Sieg des Bürgers über den Soldaten, Hamburg 1934 (= Der deutsche Staat der Gegenwart, 6). 77 Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, S. 259. 78 Siehe dazu: Ewald Grothe, Verfassungsgeschichte als „politische Wissenschaft“. Carl Schmitt „über die neuen Aufgaben“ und die Deutung der deutschen Verfassungsgeschichte im Nationalsozialismus, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 29 (2007), S. 66–87. 79 Brief Nr. 170 (23.12.1940). 80 Brief Nr. 176 (11.11.1941). 81 Brief Nr. 181 (4.10.1942). 82 Brief Nr. 184 (31.12.1943). 75

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Die Distanz zwischen Schmitt und Huber ist in ihrer Korrespondenz nach 1936 nicht wirklich zu greifen, sondern eher zu ahnen. Man spürt sie vor allem zwischen den Zeilen, sie bleibt aber fast immer unausgesprochen, das gebot schon allein die Höflichkeit. Nach dem letzten überlieferten Brief Hubers an Schmitt vom April 194483 sorgte der Krieg für eine längere Unterbrechung der Korrespondenz. Erst knapp drei Jahre später konnte Huber an die alte Verbindung zu Schmitt wieder anknüpfen. Ende 1944 floh Huber aus Straßburg vor den alliierten Truppen über den Rhein. Die letzten Kriegsmonate erlebte er in Heidelberg, wo er im Wintersemester 1944/45 auf Vermittlung von Ernst Forsthoff einen Lehrauftrag wahrnahm. Schließlich verbrachte er den überwiegenden Teil des Jahres seit März 1945 gemeinsam mit seiner Familie in dem kleinen Flecken Falkau im Hochschwarzwald, wo der befreundete Straßburger Historikerkollege Hermann Heimpel ein Haus besaß84. III. Huber war als Hochschullehrer der ehemaligen Reichsuniversität Straßburg seit Frühjahr 1945 stellungslos und hing – wie er sich ausdrückte – „beruflich ganz in der Luft“85. Tula Huber-Simons sicherte als Rechtsanwältin ihrem Mann und den fünf Söhnen, die 1945 zwischen drei und elf Jahre alt waren, eine materielle Basis. Carl Schmitt war in diesen ersten Nachkriegsjahren zunächst in Berlin inhaftiert86. In den Nürnberger Prozessen wurden beide im April 1947 durch den amerikanischen Ankläger Robert W. Kempner verhört. Huber wurde dabei auch auf sein Verhältnis zu Schmitt angesprochen. Dabei betonte er seine Schülerschaft, hob auch hervor, dass er Schmitt „seit Jahrzehnten freundschaftlich verbunden sei“, vermied es aber, wie er unmittelbar nach seiner Rückkehr in den Schwarzwald notierte, „mit voller Absicht [. . .], auf die vielfache Trübung und schließliche Erkaltung dieses Verhältnisses hinzuweisen“87. Dieses zeigt sich aber in der nachfolgenden Korrespondenz 83

Brief Nr. 186 (6.4.1944). Schäfer, Juristische Lehre, S. 247. Bericht Hubers über die Flucht im Bundesarchiv Berlin, Berlin Document Center, Personalakte, sowie Helmut Heiber, Universität unterm Hakenkreuz. Teil 2: Die Kapitulation der Hohen Schulen: Das Jahr 1933 und seine Themen, Bd. 2,1, München 1992, S. 252–254. Siehe dazu auch Bundesarchiv Berlin, R 21, Nr. 794. 85 Huber an Pauline Siebeck, 29.7.1945. Staatsbibliothek Berlin, Nachlass 488, Verlagsarchiv Mohr-Siebeck, Kasten 503. 86 Siehe generell Mehring, Carl Schmitt, S. 438–463. 87 Ernst Rudolf Huber, Nürnberger Reise, unveröffentlichtes Manuskript, geschrieben in Falkau im April 1946. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 788. 84

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mit Schmitt. Huber war vor allem von seinem Aktenstudium in Nürnberg schockiert, hatte er doch damit schriftlichen Einblick in die NS-Verbrechen erhalten. In den Falkauer Jahren widmete sich Huber der wissenschaftlichen Arbeit, nutzte die Zeit aber auch für eine politisch-moralische Besinnung und Umorientierung. Zur Vorbereitung seines Entnazifizierungsverfahrens, aber sicherlich auch zur eigenen Vergewisserung hatte er vermutlich in den Jahren 1946/47 ein 19 Seiten umfassendes und mit dem nichtssagenden Titel „Exposé“ versehenes Schriftstück verfasst88, das er im März 1947 u. a. dem Göttinger Staatsrechtler Rudolf Smend, bezeichnenderweise aber nicht Carl Schmitt, zuschickte. Das Dokument stellt eine sehr differenzierte und persönliche Stellungnahme zu den eigenen Aktivitäten in der NS-Zeit dar. Es ist Schuldeingeständnis und Entlastungszeugnis zugleich89. In seinem Begleitbrief äußerte sich Huber offen und einsichtig: „Es ist mir vollkommen einleuchtend, daß die ‚Karenzzeit‘, wie sie sich ausdrücken, für mich unvermeidlich ist. Wahrscheinlich wird sie zu einer immerwährenden Quarantäne führen. Auch das hoffe ich, auf irgendeine Weise zu ertragen, als notwendige Folge einer Verantwortlichkeit, die ich in den zwölf Jahren immer empfunden habe und die ich auch nicht leugne.“90 An Carl Schmitt wandte Huber sich erstmals Ende Januar 1947, als er von dessen Haftentlassung erfahren hatte. Huber versuchte zunächst einmal, auf Schmitts Situation vor und nach 1945 einzugehen: „Das Schicksal der Gefangenschaft und Schlimmeres hätte Sie auch ein Jahr früher treffen können. Sie werden in diesem Doppelt-Gefährdet-Sein ein Zeichen Ihrer alten Situation sehen.“ Schließlich aber bekannte er: „Über die Vergangenheit wäre Vieles zu sagen, auch über unseren Beitrag, unsere Irrtümer, unsere Fehlschläge. Doch war es notwendig und wichtig, daß wir damals die Schiffe hinter uns verbrannt haben.“91 Der Brief erreichte Schmitt zwar, aber dieser reagierte zunächst nicht. Huber unternahm deshalb Ende Mai 1947 einen zweiten Anlauf, und diesmal formulierte er zurückhaltender. 88

Anhang Dok. V.1. Siehe zur Situation Hubers nach 1945: Ewald Grothe, Eine ‚lautlose‘ Angelegenheit? Die Rückkehr des Verfassungshistorikers Ernst Rudolf Huber in die universitäre Wissenschaft nach 1945, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 47 (1999), S. 980–1001, sowie ders., Über den Umgang mit Zeitenwenden. Der Verfassungshistoriker Ernst Rudolf Huber und seine Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart 1933 und 1945, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 53 (2005), S. 216–235; ders., „Strengste Zurückhaltung und unbedingter Takt“. Der Verfassungshistoriker Ernst Rudolf Huber und die NS-Vergangenheit, in: Eva Schumann (Hg.), Kontinuitäten und Zäsuren. Rechtswissenschaft und Justiz im „Dritten Reich“ und in der Nachkriegszeit, Göttingen 2008, S. 327–348. 89 Näheres zum Inhalt: Grothe, „Strengste Zurückhaltung“, S. 333 f. 90 Anhang Dok. IV.1. 91 Brief Nr. 187 (27.1.1947).

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Man habe in den vergangenen zwei Jahren an Schmitt „in sorgender Teilnahme gedacht, besonders in dieser letzten Zeit. Es erübrigt sich, Worte darüber zu machen. Im Wechsel der Zeiten behauptet sich das Beständige. [. . .] Es wäre viel zu sagen über die Erfahrungen all der Jahre, seit wir uns zuletzt sahen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir uns wiederbegegnen, fast möchte es zu einem unendlichen Gespräch sein.“92 Jetzt reagierte Schmitt schnell, doch die Antwort wirkt distanziert, geradezu ausweichend. „Diese ‚Verortungen‘ unseres Schicksals sind unerschöpfliche Probleme.“ Man sei hin- und hergeworfen „nach soviel Ausbombungen, Regimewechseln, Rohrbrüchen“. Die Denkarbeit der Vergangenheit sei nicht fruchtlos gewesen93. Bei Huber kam dieses kühle Schreiben gedanklich offenbar nicht an. Während er zunehmend über das Verhältnis zur Vergangenheit nachdachte und Distanz zu ihr gewinnen wollte, fahndete Schmitt nach den Kontinuitäten des Denkens jenseits von „Regimewechseln“ und „Rohrbrüchen“94. Erneut trat eine Pause von einem Jahr in der Korrespondenz ein, die wiederum Schmitt beendete. Er habe, schrieb er im Juni 1948, „Sehnsucht nach einem Gespräch mit Ihnen“. Und: „Es ist mir in weitem Maße gelungen, mich weder von der Vergangenheit noch von der Zukunft bedrücken zu lassen.“95 Huber antwortete umgehend und formulierte deutlich: Die letzten Jahre seien „eine sehr lehrreiche Zeit gewesen“, und in der Hausarbeit habe er eine „fast gemäße Lebensform“ gefunden. Mit Schmitts Rechtfertigungsschrift „Ex captivitate“ konnte er hingegen wenig anfangen und kommentierte: „Es wäre soviel zu sagen über Vergangenes und Gegenwärtiges, daß sich beim Versuch der schriftlichen Fixierung immer wieder Hemmungen ergeben.“96 Als eine Art Reaktion auf Schmitts Art der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit schickte Huber ihm eine Ausarbeitung, die er kurz darauf beim Treffen des der Jugendbewegung angehörenden „Freideutschen Kreises“ im Kloster Altenberg bei Wetzlar vorlegte97. Das Thema lautete: „Idee und Realität eines Freideutschen Bundes“98. Huber äußerte sich in dem zehnseitigen Papier zum „Menschenbild des christlichen Humanismus“ und nahm positiv Stellung zu den Werten Freiheit, Toleranz und Solidarität. Politisches Ziel müsse die „Wiedergeburt des Volkes nach einem halben 92

Brief Nr. 188 (28.5.1947). Brief Nr. 189 (3.6.1947). 94 Ebd. 95 Brief Nr. 190 (2.6.1948). 96 Brief Nr. 191 (11.6.1948). 97 Winfried Mogge, Der Altenberger Konvent 1947. Aufbruch einer jugendbewegten Gemeinschaft in die Nachkriegsgesellschaft, in: Jahrbuch des Archivs der Deutschen Jugendbewegung 18 (1998), S. 391–418. 98 Anhang Dok. IV.3. 93

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Jahrhundert des fortschreitenden Verfalls, der beschämenden Barbarisierung“ sein. Scham angesichts der Vergangenheit, Demut, Zurückhaltung, zugleich aber auch Neubesinnung kennzeichnen den Text. Damit grenzte sich Huber nachdrücklich von der Einstellung seines Doktorvaters ab. Schmitt antwortete, diese Ausarbeitung habe ihm zum Bewusstsein gebracht, „wie missverständlich und vereinsamt meine eigene Position in der vorangehenden Zwischensituation bleiben musste“. Freimütig bekannte er überdies, Hubers Aufsatz über Goethe aus dem Jahr 194499 sei ihm „ziemlich fremd geblieben“. Und er fügte hinzu: „Hier steckt wohl eine unserer größten Wesensverschiedenheiten und ich fühle oft den Wunsch, Sie gerade darin besser zu verstehen, ein Wunsch, der durch die Lektüre ihrer ‚Idee und Realität‘ wieder sehr lebhaft geworden ist.“100 Huber zeigte sich enttäuscht. Er beklagte die in dem Schreiben zutage getretenen „Grenzen des gegenseitigen Verstehens“ und appellierte an Schmitts „Freude an streitbarer Diskussion“, die er vermisse. Er bemerkte, man müsse „nachträglich [. . .] realisieren, was das ‚dritte Reich‘ als Vernichtungssystem effektiv bedeutet hat“. Es gebe „kaum [eine] erschütterndere Dokumentation als den aktenmäßigen Niederschlag des Terrorismus“. Damit spielte er auf die Unterlagen an, die er in Nürnberg zu sehen bekommen hatte. Huber erkannte den Charakter des Regimes als Unrechtsstaat, dem man mit allen rechtlichen Konstruktionen nicht beikommen könne. Selbst seine eigenen Versuche zur juristischen ‚Einhegung‘ relativierte er, auch wenn er sie nicht als Fehler zugab. Zugleich versuchte er aber, Schmitt in dieses Eingeständnis von Fehleinschätzungen mit einzubeziehen und ihm damit eine Art Entlastung von Schuld anzubieten: „Was an berechtigtem Vorwurf bleibt, ist, daß wir eine Zeitlang geglaubt haben, ideologische Fassaden zu existentiellen Ordnungen verdichten zu können.“101 Das Eingeständnis der Verführbarkeit, der eigenen Fehleinschätzungen und der Irrtümer im Umgang mit dem NS-System zählten nach 1945 zum verbreiteten Argumentationsarsenal. Auch die nachträgliche Versicherung, nicht nur vieles gegen das Regime versucht zu haben, sondern dabei auch persönlich ein „existentielles Risiko“ eingegangen zu sein, findet man immer wieder in den Rechtfertigungen. Schmitt mochte von alledem indes nichts hören und nichts verstehen. Zwar respektiere er Hubers „durchaus ethische Haltung“, aber er akzeptierte nicht die von diesem versuchte Vereinnahmung102. Seine vorher bereits geäußerte Kritik an Hubers Schriften 99 Gemeint war: Ernst Rudolf Huber, Goethe und der Staat, in: Das Innere Reich 11 (1944/45), S. 1–19. 100 Brief Nr. 192 (18.6.1948). 101 Brief Nr. 193 (7.7.1948). 102 Brief Nr. 196 (25.8.1948).

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der 1940er Jahre weitete er jetzt sogar noch aus: Mit dessen ideengeschichtlichen Arbeiten könne er sich nicht anfreunden. So setzte sich in diesen Jahren ein „briefliches Zwiegespräch“ fort, in dem beide nicht zueinander fanden103. Zunehmend dominierten Personalnachrichten oder der Bericht über Lektüre die Briefe. Es war aber mehr gegenseitige Information als wirklicher Gedankenaustausch. Und immer wieder beschwor Huber jene Situation vom Jahresende 1932, die Tage der engsten Zusammenarbeit, die zum entscheidenden Angelpunkt in der politischen Geschichte Deutschlands wie in ihrer persönlichen Freundschaft erhoben wurde. „Ob einmal die Geschichte des Jahres 1932 geschrieben werden wird? In ihm liegt das Schicksal für alles Spätere. Auch das gegenwärtige Elend rührt daher, daß damals die Stunde der Entscheidung versäumt worden ist.“ „Wir wußten uns damals alle an einem Abgrund“, es sei ein „gutes Wagnis“ gewesen, und es habe die Chance bestanden, „die Gefahr des Absturzes zu bannen.“ Huber zeigte sich davon überzeugt, „daß es notwendig war, das existentielle Risiko einzugehen, durch das dieser Weg bestimmt war“. Und er scheute sich nicht, auch die Konsequenzen dieser zunächst legitimen Haltung mit zu bedenken. Denn er führte weiter aus, dass es trotz dieser Bemühungen zur „planmäßigen Diskriminierung, Entrechtung, Vernichtung“ gekommen sei. Am Ende habe sich zur „offenen Brutalität pseudolegalitärer Setzungen das Gift pseudolegitimer Beteuerungen gesellt, immer unter dem Beistand einer beflissenen Jurisprudenz“104. Huber gestand damit persönliche Verantwortung als ‚Schreibtischtäter‘ ein. Die südbadische Spruchkammer stufte Huber am 15. Dezember 1948 in Gruppe 4 als „Mitläufer“ ein105. Es wurden keine Sühnemaßnahmen über ihn verhängt. Im Juli 1949 schrieb er seinem Verleger Hans Georg Siebeck über seine Lage: „Eigene Berufspläne habe ich nicht; ich freue mich über die Muße, in der ich meinen wissenschaftlichen Arbeiten nachgehen kann. Durch das Fegefeuer der épuration [Entnazifizierung, E.G.] bin ich inzwischen hindurchgegangen. Ich bin als ‚amnestiebegünstigter Mitläufer‘ eingestuft. Unmittelbare Konsequenzen hat das für mich natürlich nicht; aber ich bin ganz froh, diese lästige Etappe im Hindernisrennen des heutigen Lebens hinter mich gebracht zu haben.“106 103

Brief Nr. 197 (23.12.1948). Brief Nr. 201 (7.2.1950). 105 Staatsarchiv Freiburg, D 180/4 Spruchkammer Südbaden, Nr. 59; Archives diplomatiques, Ministère des affaires étrangères, Délégation provinciale pour le pays de Bade, La Courneuve. 106 Brief vom 18.7.1949. Staatsbibliothek Berlin, Nachlass 488, Verlagsarchiv Mohr-Siebeck, Kasten 513. 104

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Doch das Ende der juristischen Überprüfung Hubers zog sich unerwartet noch in die Länge. Im Frühjahr 1950 wurde das Spruchkammerverfahren gegen ihn „zwecks Strafverschärfung“ erneut aufgerollt. Angeblich habe er seinen Aufenthaltsort verheimlicht. Zudem gebe es einen Hinweis, dass er „eine Schrift über SS Theorie veröffentlicht habe“, die bei der ersten Untersuchung nicht berücksichtigt worden sei107. Huber reagierte empört auf die unberechtigten Vorwürfe. Seine Anwältin Maria Plum, eine Sozia seiner Frau, reichte eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens ein. Erneut mussten die früheren Gutachten vorgelegt und darüber hinaus neue eingeholt werden. Anfang Dezember 1950 endete der Prozess indes mit dem gleichen Ergebnis wie zuvor108. Huber beurteilte das juristisch zum Teil zweifelhafte und moralisch fragwürdige Spruchkammerverfahren als „widerwärtig und peinlich“109. Bei Carl Schmitt konnte von Einsicht oder gar Eingeständnis von Fehlern in der Vergangenheit keine Rede sein. Er trauerte vielmehr dem besseren Verhältnis zu Huber nach und sprach rückblickend von der 25jährigen „Weggenossenschaft in einem überaus gefährlichen Fach“110. Sich selbst charakterisierte er als „outlaw“, der „in [s]einem eigenen Vaterland entrechtet“ sei111. Huber bilanzierte im November 1950, dass „in unseren Beziehungen von Ihrer Seite aus eine gewisse Entfremdung spürbar ist“. Er hoffe, dass es nur „vorübergehende Trübungen des unmittelbaren Vertrauens“ seien112. Schmitt hatte wenig Verlangen danach, das Gespräch mit Huber unter dessen Bedingungen fortzusetzen. Er schätzte die Einstellung Hubers zur NS-Zeit, insbesondere dessen dabei zutage tretende protestantische Ethik, vermutlich als verlogen ein und bevorzugte dagegen seine eigene Haltung des Nichteingestehens und Nichtzugebenwollens. Seit Ende 1950 verwandelte sich der zuvor sehr regelmäßige und lebhafte Briefwechsel in einen reinen Gelegenheitsschriftverkehr. Den über zweihundert Briefen in 25 Jahren bis 1950 stehen nur noch rund ein Dutzend in den kommenden dreißig Jahren gegenüber. Dabei handelt es sich überwiegend 107 Wie Anm. 105. Schreiben des Staatskommissariats vom 21.3., 4.4., 25.4. und 6.7.1950. 108 Wie Anm. 105. 109 Brief Nr. 199 (vor 26.8.1949); vgl. Huber an Smend, 10.3.1947. Anhang Dok. IV.1. 110 Mehring, Briefwechsel Smend. Hier findet sich eine ähnliche Formulierung Schmitts im Briefwechsel, die in den Titel der Edition aufgenommen wurde. 111 Brief Nr. 202 (24.3.1950). Zu Schmitts Situation nach 1945 vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 438–578, sowie Dirk van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993. 112 Brief Nr. 207 (9.7.1953), Anm. 1726.

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um Dank- und Glückwunschschreiben. An den Festschriften für Schmitt zum 65., 70. und 80. Geburtstag beteiligte sich Huber bezeichnenderweise nicht. 1953 wurde er nachträglich zu einem Aufsatz für die geplante Festschrift eingeladen, den er jedoch nicht mehr schrieb113. 1958 war er – so äußerte er gegenüber Forsthoff – mit seinem Beitrag nicht zufrieden und entschied sich deshalb gegen eine Veröffentlichung: „Es wäre auch Schmitt gegenüber unangemessen, zu seiner Ehrung eine Arbeit beisteuern zu wollen, die ich selber nicht als gültige wissenschaftliche Aussage anerkennen könnte.“114 Persönlich sind sich Schmitt und Huber in den vier Jahrzehnten nach 1945 offenbar nicht mehr begegnet, zumindest haben sie sich nicht besucht. Noch dreimal ließ Huber gegenüber Schmitt den Blick in die gemeinsame Vergangenheit schweifen: 1963 erinnerte er an die fast vierzig Jahre zurückliegende „entscheidende Begegnung [. . .], die das aus mir gemacht hat, was ich geworden und geblieben bin“115. Und 1978 bzw. 1981 dachte er an den Beginn des Bonner Studiums zurück. Er sei damals von der „herausfordernden Art des Fragens“ bei Schmitt begeistert gewesen116. „Ich habe mein Studium zwar mit der Geschichte begonnen, und so war es in gewissem Sinn vorgezeichnet, dass ich dahin zurückkehren würde. Aber ohne von Ihnen in der Verfassungslehre und der Verfassungswirklichkeit unterwiesen zu sein, wäre ich nicht zur Verfassungsgeschichte, wie ich sie darzustellen versuche, gekommen.“117 Gegenüber seinem Freund Hans Raupach bedauerte Huber, die Beziehung zu Schmitt sei „leider seit langem gestört, woran sich auch nichts mehr ändern läßt – meine Verehrung für ihn ist dadurch nicht geringer geworden.“118 Schmitt seinerseits war längst nicht mit allen Passagen von Hubers „Deutscher Verfassungsgeschichte“ einverstanden. 1964, nach dem Erscheinen des dritten Bandes, äußerte Schmitt gegenüber Ernst Forsthoff, es verletze ihn, im Zusammenhang mit seiner Einschätzung des deutschen Konstitutionalismus von Huber „in die ideologische Schublade verwiesen“ zu werden119. Erst 1976 indes, über zehn Jahre später, beschwerte er sich bei Huber persönlich: Er habe ihm damals „die Spitzmarke ‚ultrakonservativ‘ 113 Dies schildert Huber in seinem Briefwechsel mit Forsthoff, 3.5. und 14.6.1953. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 197. 114 Ebd. Brief vom 7.6.1958. 115 Brief Nr. 211 (14.7.1963). 116 Brief Nr. 217 (8.7.1978). 117 Brief Nr. 218 (30.8.1981). 118 Archiv der Bayerischen Akademie der Wissenschaften München, Nachlass Hans Raupach, Nr. 7 (21.2.1978). 119 Schmitt an Forsthoff, 10.1.1964. Mußgnug, Briefwechsel Forsthoff, Nr. 179, S. 199 f., hier S. 199.

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angehängt. Das hat mir manchen Ärger verschafft. Ich möchte nicht in Diskussionen eintreten, und erwarte auch keine Antwort auf diese Zeilen.“120 Die in der Zwischenzeit vollzogene Reintegration Hubers in die universitäre Wissenschaft dauerte Jahre und damit viel länger als bei anderen vergleichbar belasteten Gelehrten. Es begann mit der redaktionellen Mitarbeit beim „Archiv des öffentlichen Rechts“ um 1950, einem Lehrauftrag in Freiburg seit 1952 und der Anerkennung der erweiterten Neuauflage seines „Wirtschaftsverwaltungsrechts“ 1954121. Die Wiederaufnahme in den Fachverband, die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, 1955 war nur eine logische Konsequenz122. Am Ende folgten 1956/57 langwierige und politisch recht schwierige Berufungsverhandlungen, bis Huber eine Professur an der winzigen Hochschule für Sozialwissenschaften in Wilhelmshaven übernehmen konnte123. Durch die Integration der Wilhelmshavener Hochschule in die Universität Göttingen lehrte Huber von 1962 bis zu seiner Emeritierung 1968 schließlich noch an einer renommierten Fakultät124. Danach zog er zu seiner Frau nach Freiburg und arbeitete weiter wissenschaftlich – konzentriert vor allem auf die Vollendung seiner „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789“ sowie an den begleitenden Quellenbänden. IV. Der Briefwechsel zwischen Carl Schmitt und Ernst Rudolf Huber dauerte über ein halbes Jahrhundert. In dieser Zeit der politischen Umbrüche war die Korrespondenz einem tiefgreifenden Wandel unterworfen, der zugleich das veränderte Verhältnis zwischen den beiden Briefschreibern transparent werden lässt, aber auch die Wechselfälle der politischen Geschichte in Deutschland widerspiegelt. War man sich seit den 1920er und bis Mitte der 1930er Jahre bei fachlicher Nähe einig in den politischen Zielen, so traten seit Ende der dreißiger Jahre zunehmend Meinungsverschiedenheiten auf, bis sich seit den 1950er Jahren die Wege endgültig trennten. 120

Brief Nr. 212 (11.2.1976). Dazu: Grothe, Eine ‚lautlose‘ Angelegenheit, S. 986 f. 122 Zur Staatsrechtslehre nach 1945 siehe vor allem: Frieder Günther, Denken vom Staat her. Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration 1949–1970, München 2004 (= Ordnungssysteme, 15); Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Bd. 4: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in West und Ost 1945–1990, München 2012. 123 Die näheren Einzelheiten zur Wilhelmshavener Berufung: Grothe, Eine ‚lautlose‘ Angelegenheit, S. 990–997. Siehe dazu auch den Brief von Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, 21.7.1956. Mußgnug, Briefwechsel Forsthoff, Nr. 95, S. 126 f., hier S. 126. 124 Dazu: Huber, Rede zum 80. Geburtstag, Anhang Dok. V.3. 121

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Zunächst dominierte die Verehrung: Huber fühlte sich voll und ganz als Schmitt-Schüler und bewunderte seinen akademischen Ziehvater auch dann noch, als er selbst ein eigenständiges wissenschaftliches Profil entwickelte. Mitte der dreißiger Jahre, als sich Huber in Kiel etabliert hatte, begegnen sich Schmitt und er auf Augenhöhe. Das hinterlässt deutliche Spuren in der Korrespondenz, die seitdem immer wieder unterschwellige Kritik auf der einen und Loyalitätsbezeugungen Hubers auf der anderen Seite enthält. Eine erste nachhaltige Krise trat 1936 ein. In der Korrespondenz unausgesprochen, dürften dabei vor allem der aggressiver werdende Antisemitismus Schmitts, aber auch Verärgerungen über Tagungsabsagen eine Rolle gespielt haben. Danach hatte das Verhältnis einen deutlichen Bruch erlitten; trotz eines wieder einsetzenden regelmäßigen Briefaustauschs seit 1938 kehrte die alte Vertrautheit nicht mehr zurück. Nach kriegsbedingter Briefpause Mitte der 1940er Jahre mehrten sich zwischen 1947 und 1950 Anzeichen des zunehmenden Nichtverstehens in der Korrespondenz, die schließlich zwar nicht zu einem Abbruch, aber nur noch zu einem sehr sporadischen brieflichen Austausch führten. Ursache für diese Entfremdung war die sehr unterschiedliche Auseinandersetzung der Briefpartner mit der Vergangenheit und insbesondere mit der eigenen Rolle darin. Während Huber sich seiner Verantwortung allmählich bewusst wurde, selbst wenn er dies nur vereinzelt öffentlich kundtat, so fehlte dieses Empfinden bei Schmitt nahezu ganz. Er sah sich isoliert und entwickelte ein ausgeprägtes Selbstgefühl als Ausgestoßener, als externer Kritiker von Wissenschaft und Lebenswelt der Bundesrepublik. Huber nahm nach 1945 allmählich Abstand von früheren Überzeugungen. Dabei handelte es sich aber um einen über Jahre sich hinziehenden Vorgang. So sprach er noch nach Gründung der Bundesrepublik von einer „Okkupations-Diktatur“125. Anfang der fünfziger Jahre dachte er noch über die zukünftige Staatsform nach und bemerkte, dass eine Rückkehr Deutschlands zur Monarchie auch unter dem Grundgesetz sogar möglich sei126. Erst nach anfänglichem Zögern und Zweifeln fand er schließlich ein positives Verhältnis zur bundesrepublikanischen Demokratie. Huber hielt in den 50er Jahren, soweit es ihm möglich war, Kontakt zu den früheren wissenschaftlichen Freunden und Kollegen, u. a. aus Bonner, Kieler, Straßburger und Heidelberger Zeiten. Mit ihnen teilte er die Skepsis gegenüber dem neuen Staat, 125

Brief Nr. 199 (vor 26.8.1949). Frank-Lothar Kroll, Geschichtswissenschaft in politischer Absicht. Hans-Joachim Schoeps und Preußen, Berlin 2010, S. 63 f., 98–100; Hans-Christof Kraus, Eine Monarchie unter dem Grundgesetz? Hans-Joachim Schoeps, Ernst Rudolf Huber und die Frage einer monarchischen Restauration in der frühen Bundesrepublik, in: ders. (Hg.), Souveränitätsprobleme der Neuzeit. Freundesgabe für Helmut Quaritsch anlässlich seines 80. Geburtstages, Berlin 2010, S. 43–69. 126

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misstraute er der Stabilität der Demokratie und den sie tragenden Parteien. Zudem fühlte er sich als Ausgestoßener von denjenigen, die sich mit politisch-moralischem Zeigefinger gegen seine Reintegration in die Wissenschaft durch Aufnahme in die Vereinigung der Staatsrechtslehrer aussprachen127. Dagegen postulierte er in seinen Veröffentlichungen seit den 1960er Jahren den „Verfassungsstaat“ als ein „Gefüge überpositiver Wertprinzipien“128. Auf dieser Grundlage argumentierte er insbesondere in seinem Bekenntnis zum „sozialen Rechtsstaat“ des Grundgesetzes und in seinen Veröffentlichungen zur Kultur- und zur Wirtschaftsverfassung129. Dies lässt sich zweifellos als Zustimmung zum Staatswesen der Bundesrepublik von konservativer Seite aus deuten130. Der Briefwechsel Schmitts mit Ernst Forsthoff erscheint in Bezug auf die hier vorliegende Korrespondenz mit Huber besonders interessant131. Denn Forsthoff und Huber gelten als die beiden wichtigsten Schüler Carl Schmitts auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts. Vor 1945 war Huber einer der engsten Vertrauten Schmitts, nach dem Krieg übernahm Forsthoff diese Rolle. In vieler Hinsicht ergänzen sich die beiden Korrespondenzen, zum Teil bilden sie eine Gegenfolie. Hier wird mit- und oft auch übereinander geschrieben. Im Vergleich zum Briefwechsel mit Forsthoff erscheint derjenige Schmitts mit Huber besonders vor 1945 deutlich dichter, reflexiver und damit intensiver. Auch für die Nachkriegszeit stellt sich der Briefwechsel Hubers mit Schmitt anders dar. Während Schmitt und Forsthoff sich ähnlich kritisch gegenüber der zweiten deutschen Demokratie äußern, zeigt sich bei Huber eine gewandelte und weiter wandelnde politische Einstellung. Die Thematisierung der Schuldfrage, aber ebenso die unausgesprochene Haltung zur bundesrepublikanischen Staatsordnung verleihen der Korrespondenz Hubers mit Schmitt einen eigentümlichen Reiz. Huber revidiert seine verfassungsgeschichtliche Deutung der deutschen Geschichte, während Schmitt diese Wendung nicht mit vollzieht. Der Briefwechsel zwischen Schmitt und Huber ist als Dokument einer sich verändernden persönlichen Beziehung von zwei bedeutenden Gelehrten 127 Diese Haltung ist seinen Briefen an Forsthoff zu entnehmen. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 197. 128 Ernst Rudolf Huber, Vorwort, in: ders., Nationalstaat, S. 7 f., hier S. 7. 129 So beispielsweise: ders., Die erweiterte wirtschaftliche Mitbestimmung und der Verfassungsstaat, in: ders., Bewahrung und Wandlung, S. 274–294; ders., Zur Problematik des Kulturstaats, in: ebd., S. 295–318. 130 Ähnlich: Reinhard Mehring, Wandlung und Bewahrung. Ernst Rudolf Hubers bundesrepublikanische Kehre, in: Ästhetik & Kommunikation 36 (2005), S. 143– 147, hier S. 146 f. Huber habe die Bundesrepublik nicht geliebt, aber ihr dennoch gedient. Walkenhaus, Staatsdenken, S. 330–389. 131 Mußgnug, Briefwechsel Schmitt-Forsthoff.

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bemerkenswert. Inhaltlich werden wissenschaftliche und politische Fragen angesprochen. Bei den wissenschaftlichen Debatten geht es um Rechtsphilosophie, Staatsrecht und Verfassungsgeschichte. Diskutiert wird über die politische Rolle der deutschen Rechtswissenschaft, die Deutung der NSRechtswirklichkeit sowie der Verfassungsgeschichte als historischer Legitimationsbasis. Schließlich geht es um Personalfragen, die Freunde und Bekannte betreffen. In der Korrespondenz zeigen sich intellektuelle Netzwerke und institutionelle Aktionsfelder. Man erkennt zudem, wie wichtig der briefliche Austausch für beide Partner war, denn die Korrespondenz ersetzt zuweilen ein Gespräch oder führt ein solches fort, präzisiert und ergänzt es. Auffällig ist, dass sich Schüler und Lehrer immer wieder gegenseitig in Diskussionen verstricken. Huber drängt mit zum Teil inhaltlich elaborierten Themen Schmitt zur Stellungnahme, aber auch umgekehrt fordert Schmitt Huber. Thema ist dabei oft der Konstitutionalismus als Staatsform. Gerade in den Kriegsjahren stellen sich beide die Frage nach der moralisch-politischen Verantwortung für das Geschehen. Dahinter steht das grundsätzliche Problem der juristischen Verantwortlichkeit für das Handeln von Politikern. Bei Huber dominiert darüber hinaus eine nationale Haltung, Schmitt favorisiert primär eine etatistische Sichtweise. Beide beschäftigt die Sorge um die Zukunft Deutschlands: Dem einen geht es um das Reich, dem anderen um den Staat, beide streben nach der rechtlichen Organisation eines Gemeinwesens. Auch die Frage einer möglichen Nachkriegsordnung nach dem Sturz des Nationalsozialismus klingt an. Nach 1945 sieht sich Huber rückblickend verführt. Der Ältere weicht aus und verweigert die politisch-moralische Auseinandersetzung über die Frage der Schuld. Die Korrespondenz fällt nun wieder in jene Asymmetrie zurück, die im Briefverkehr zwischen Lehrer und Schüler bis Anfang der 1930er Jahre kennzeichnend gewesen und später allmählich verloren gegangen war. Insgesamt handelt es sich um einen Briefwechsel von hoher Dichte, mit politischer Brisanz und intellektuellem Anspruch. Gerade die enge persönliche Beziehung sowie die politische und fachliche Nähe ermöglichten einen intensiven brieflichen Austausch. Kein anderer Briefwechsel Schmitts gibt einen so intensiven Einblick in das NS-Engagement und die spätere Reflexion des eigenen Verhaltens unter den Bedingungen der Diktatur. Die Korrespondenz zwischen Schmitt und Huber ist ein zentrales Dokument der verfassungshistorischen und moralisch-politischen Reflexion von zwei der prominentesten NS-Wissenschaftler.

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V. Der Briefwechsel zwischen Carl Schmitt und Ernst Rudolf Huber reicht von 1926 bis ins Jahr 1981 und erstreckt sich damit über 56 Jahre. Er umfasst insgesamt 219 Stücke. 121 Briefe stammen von Carl Schmitt, 98 von Ernst Rudolf Huber. Der Nachlass von Carl Schmitt befindet sich im Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland in Duisburg132, derjenige von Ernst Rudolf Huber im Bundesarchiv Koblenz133. Weitere Huber-Briefe sind im Landesarchiv NRW in den Deposita der Schmitt-Freunde Gerd Giesler und Piet Tommissen enthalten134. Insgesamt liegen 56 Schreiben in Düsseldorf, 183 befinden sich in Koblenz. Aus der Gesamtzahl von 239 Stücken folgt, dass zwanzig Schreiben doppelt – sowohl als Ausfertigung als auch als Durchschlag – überliefert sind. Es handelt sich insgesamt um 176 Briefe und 43 Karten; 139 sind handschriftlich, 80 maschinenschriftlich abgefasst. Generell ist die Überlieferung im Nachlass Huber dichter, weil hier nicht nur die erhaltenen, sondern vor allem auch zahlreiche abgesendete Schreiben in Abschrift erhalten sind. Im Gegenzug lässt sich vermuten, dass Schmitt einige Huber-Briefe entweder nicht verwahrt oder aber möglicherweise aus der Hand gegeben hat. Mindestens 43 Briefe sind zwar geschrieben und abgeschickt worden, aber nicht erhalten. Sie fehlen in den jeweiligen Nachlässen sowohl von Schmitt als auch in demjenigen von Huber. Auch in den Deposita von Gerd Giesler und Piet Tommissen sind sie nicht auffindbar und müssen deshalb (vorläufig) als verloren gelten. Die Korrespondenz ist entsprechend den Umbruchjahren der historischen Entwicklung in drei Abschnitte geteilt worden, wobei der 30. Januar 1933 und der 8. Mai 1945 als Eckdaten dienen. Eine wirkliche inhaltliche Zäsur war der Januar 1933 allerdings nicht. Die Briefdichte ist sehr unterschiedlich. Sie erreicht in den Jahren 1932 bis 1935 ihren höchsten Stand mit jeweils gut zwanzig Schreiben. Dabei ragt noch einmal das Jahr 1934 mit 41 Schreiben heraus. Vor 1945 gibt es nur drei Jahre, in denen Schmitt und Huber vorbehaltlich verlorener Briefe nicht miteinander korrespondiert haben: 1928, 1937 und 1945. 1928 war die Doktorarbeit abgeschlossen, und es gab noch kein konkretes Folgeprojekt, 1937 war das Krisenjahr im Verhältnis der beiden Juristen, und 1945/46 verhinderten möglicherweise die schwierigen Kriegs- und Nachkriegsumstände eine Korrespondenz. Nach 1945 gibt es einen regelmäßigen brieflichen Austausch lediglich in den Jahren 1947 bis 1950, danach sind nur noch 13 Briefe punktuell überliefert. 132

Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265 Nachlass Carl Schmitt. Bundesarchiv Koblenz, N 1505 Nachlass Ernst Rudolf Huber. 134 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 579 Sammlung Tommissen; ebd., RWN 260 Sammlung Carl Schmitt. 133

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Auch die Länge der Schreiben variiert signifikant. Handelt es sich um eher kurze Briefe oder Postkarten in den Jahren der dichtesten Korrespondenz 1932–34, in denen man kurze Absprachen trifft, so sind es in den Kriegsjahren und der unmittelbaren Nachkriegszeit längere Schreiben, die zum Teil in eine Art „Gespräch“ münden. Der explizit geäußerte Wunsch Schmitts nach einem „Gespräch“ lässt sich auch so deuten, dass er nicht primär auf einen mündlichen Austausch und auf persönliche Begegnung zielt, sondern tatsächlich auf einen längeren und andauernden Briefwechsel. Ergänzt wird der Briefwechsel durch einen ausführlichen Anhang. Hierin wird das für die wechselseitige Beziehung zwischen Schmitt und Huber relevante Material bereit gestellt. Es handelt sich dabei um Schriftverkehr im Zusammenhang mit Hubers Promotion und deren Veröffentlichung, um Rezensionen oder Vortragsberichte Hubers über Schmitt, um Schreiben Dritter, die sich auf Huber beziehen, um briefliche Stellungnahmen sowie autobiographische Skizzen Hubers. Schließlich werden die zu ermittelnden gegenseitigen Widmungen der beiden Protagonisten aufgeführt135, die fehlenden, aber erschlossenen Schreiben aufgelistet und eine Bibliographie der Schriften Hubers beigefügt, welche diejenige von Tula Huber-Simons und Albrecht Huber aus dem Jahr 1973 ergänzt. Für den Anhang wurden, über die Unterlagen aus den Nachlässen Schmitts und Hubers hinausgehend, weitere handschriftliche Bestände in Archiven und Bibliotheken herangezogen, so u. a. aus dem Nachlass von Rudolf Smend in Göttingen oder dem Verlagsarchiv von Mohr-Siebeck, das sich inzwischen in Berlin befindet. Neben den Protagonisten dieser Edition treten weitere Korrespondenten hinzu: Hubers Ehefrau Tula und die Mitarbeiter Schmitts Eberhard von Medem und Bernhard von Mutius als weitere Briefschreiber sowie Hubers Assistent Hellmut Becker, der Verleger Oskar Siebeck sowie die Staatsrechtler Rudolf Smend und Richard Thoma als Briefempfänger. Erstere schrieben zum Teil stellvertretend, letztere Briefe enthalten wichtige Informationen über das Verhältnis von Schmitt und Huber oder stehen in engem sachlichen Zusammenhang mit anderen Dokumenten. Die Transkription der Briefe erfolgt buchstabengetreu und ungekürzt. Absätze und Einrückungen werden wiedergegeben, Randbemerkungen werden gekennzeichnet. Auch der Seitenwechsel wird gekennzeichnet. Verbesserungen in den Schreiben selbst werden nur dann erwähnt, wenn sie inhaltlich relevant sind. Lediglich kleine Versehen, z. B. im Buchstabenbestand oder fehlende Worte, werden entweder stillschweigend oder in eckigen Klam135 Diejenigen Teile der Bibliothek von Konrad Huber, die nach dessen Tod nach Santiago de Compostela gelangten, konnten nicht ausgewertet werden. Hier könnten auch Sonderdrucke aus dem Besitz von Ernst Rudolf Huber verblieben sein.

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mern ergänzt. Abkürzungen in den Briefen werden beibehalten, und Worte werden dann in eckigen Klammern ergänzt, wenn das Verständnis dies erfordert. Die im Anhang wiedergegebenen bereits veröffentlichten Aufsätze Hubers werden im Unterschied zu den Briefen nicht zusätzlich kommentiert. Die Anmerkungen stammen von Huber selbst und sind auch in den Formalia nur leicht ergänzt wiedergegeben. Die Wiedergabe der Briefe von Schmitt und Huber folgt einem einheitlichen editorischen Muster. Der Briefkopf ist mit Nummerierung, Absendeort und Datum, Absender und Adressat sowie der Fundstelle standardisiert. Es wird zudem angemerkt, ob es sich in der Form um einen Brief oder eine Karte handelt, ob es eine Handschrift oder ein maschinengeschriebenes Exemplar ist. Angegeben werden im Kopf u. a. die Adressierung der Briefe und ein zum Teil vorgedruckter Briefkopf des Absenders.

Chronologisches Briefverzeichnis 98 Briefe Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 121 Briefe Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 1926–1933 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25.

5.5.1926 22.5.1926 23.6.1926 25.7.1926 9.9.1926 16.10.1926 1.11.1926 8.11.1926 9.2.1927 13.3.1927 16.3.1927 18.3.1927 25.3.1927 30.3.1927 25.4.1927 1.6.1929 1.7.1929 2.5.1930 11.5.1930 12.6.1930 15.7.1930 18.9.1930 23.1.1931 10.2.1931 28.3.1931

Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber

42

26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61.

Chronologisches Briefverzeichnis

12.4.1931 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 29.4.1931 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 2.5.1931 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 27.6.1931 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 3.9.1931 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 12.10.1931 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 15.10.1931 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 20.10.1931 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 22.11.1931 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 25.11.1931 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 6.2.1932 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 18.2.1932 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 22.3.1932 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 9.7.1932 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 10.7.1932 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 14.7.1932 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 22.7.1932 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber nach 25.7.1932 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 9.8.1932 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 23.8.1932 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 23.8.1932 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 28.8.1932 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 5.10.1932 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 21.10.1932 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 31.10.1932 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 1.11.1932 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 23.11.1932 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 3.12.1932 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 4.12.1932 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 7.12.1932 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 7.12.1932 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 18.12.1932 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 20.12.1932 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 31.12.1932 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 8.1.1933 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 13.1.1933 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber

Chronologisches Briefverzeichnis

1933–1945 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94.

27.3.1933 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 14.4.1933 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 24.4.1933 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 25.4.1933 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber ca. 22.5.1933 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 12.6.1933 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 12.7.1933 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 23.7.1933 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 10.8.1933 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 12.8.1933 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 16.8.1933 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 19.8.1933 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 31.8.1933 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 25.10.1933 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 28.10.1933 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 10.11.1933 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 12.11.1933 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 17.11.1933 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 21.11.1933 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 24.11.1933 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 14.12.1933 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 17.12.1933 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 10.1.1934 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 10.1.1934 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 14.1.1934 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 22.1.1934 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 3.3.1934 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 17.4.1934 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 1.5.1934 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 8.5.1934 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 12.5.1934 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 15.5.1934 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 16.5.1934 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt

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95. 96. 97. 98. 99. 100. 101. 102. 103. 104. 105. 106. 107. 108. 109. 110. 111. 112. 113. 114. 115. 116. 117. 118. 119. 120. 121. 122. 123. 124. 125. 126. 127. 128. 129.

Chronologisches Briefverzeichnis

23.5.1934 24.5.1934 3.6.1934 16.6.1934 20.6.1934 30.6.1934 7.7.1934 8.7.1934 18.7.1934 30.7.1934 16.8.1934 21.8.1934 4.9.1934 8.9.1934 25.9.1934 1.10.1934 12.10.1934 16.10.1934 19.10.1934 30.10.1934 31.10.1934 2.11.1934 2.11.1934 1.12.1934 2.12.1934 4.12.1934 10.12.1934 16.12.1934 27.12.1934 30.12.1934 3.3.1935 26.3.1935 27.3.1935 6.4.1935 11.4.1935

Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber

Chronologisches Briefverzeichnis

130. 131. 132. 133. 134. 135. 136. 137. 138. 139. 140. 141. 142. 143. 144. 145. 146. 147. 148. 149. 150. 151. 152. 153. 154. 155. 156. 157. 158. 159. 160. 161. 162. 163. 164.

14.4.1935 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 20.4.1935 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 24.4.1935 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 28.4.1935 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 12.5.1935 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 6.8.1935 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 22.8.1935 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 16.9.1935 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 28.9.1935 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 6.10.1935 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 14.11.1935 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 19.11.1935 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 21.11.1935 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 6.12.1935 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 17.12.1935 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 10.1.1936 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 24.1.1936 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 14.10.1936 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 11.3.1938 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 28.5.1938 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber vor 11.7.1938 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 20.7.1938 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 4.12.1938 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 1.3.1939 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 9.3.1939 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 17.4.1939 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 21.4.1939 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 29.4.1939 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 30.5.1939 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 2.11.1939 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 4.1.1940 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 21.2.1940 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 23.3.1940 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 24.3.1940 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 2.5.1940 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber

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165. 166. 167. 168. 169. 170. 171. 172. 173. 174. 175. 176. 177. 178. 179. 180. 181. 182. 183. 184. 185. 186.

Chronologisches Briefverzeichnis

4.5.1940 1.7.1940 26.10.1940 2.11.1940 4.11.1940 23.12.1940 1.5.1941 15.9.1941 23.9.1941 7.10.1941 6.11.1941 11.11.1941 23.11.1941 7.12.1941 10.8.1942 21.8.1942 4.10.1942 9.10.1942 14.3.1943 31.12.1943 24.2.1944 6.4.1944

Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 1945–1981

187. 188. 189. 190. 191. 192. 193. 194. 195. 196.

27.1.1947 28.5.1947 3.6.1947 2.6.1948 11.6.1948 18.6.1948 7.7.1948 25.7.1948 31.7.1948 25.8.1948

Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber

Chronologisches Briefverzeichnis

197. 198. 199. 200. 201. 202. 203. 204. 205. 206. 207. 208. 209. 210. 211. 212. 213. 214. 215. 216. 217. 218. 219.

23.12.1948 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 10.1.1949 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber vor 26.8.1949 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 10.12.1949 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 7.2.1950 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 24.3.1950 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 16.6.1950 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 15.11.1950 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 1.12.1950 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 15.12.1950 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 9.7.1953 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 12.9.1954 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 10.3.1958 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 7.7.1958 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 14.7.1963 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 11.2.1976 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 9.10.1976 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 25.10.1976 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 19.2.1978 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 10.3.1978 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 8.7.1978 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 30.8.1981 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 10.9.1981 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber

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Briefe

Briefe 1926–1933 Nr. 1 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Oberstein, 5.5.1926 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6246 Brief, handschriftlich

Oberstein1, den 5. Mai 1926. Sehr verehrter Herr Professor! Da ich meiner angegriffenen Gesundheit einige Monate opfern mußte2, konnte ich meine Arbeit erst vor wenigen Wochen wieder aufnehmen. Ich denke[,] das Thema nunmehr so zu fassen: „Die Gewährleistung der Vermögensrechte der Religionsgesellschaften durch die Reichsverfassung vom 11. Aug. 1919“.3 Es erscheint diese Garantie dann als ein Sonderfall der Gewährleistung von Vermögensrechten überhaupt und Abs. 1 des Art. 138 mit seinen Ablösungsmodalitäten als ein Unterfall der generellen Garantie des Art. 138 Abs. 24. Ich bin jetzt dabei, das außerordentlich umfangreiche Material der Vorkriegszeit5 zu sichten und durchzuarbeiten. Die Literatur 1 In Oberstein wurde Huber 1903 geboren; seine Eltern wohnten dort bis zu ihrem Tod. Die Stadt an der Nahe gehörte zum Landesteil Birkenfeld, einer linksrheinischen Exklave des Freistaats Oldenburg. Im April 1933 wurden insgesamt 18 Ortsteile zur neuen Stadt Idar-Oberstein zusammengelegt, die ungefähr fünfzig Kilometer nordwestlich von Kaiserslautern liegt. Oberstein gilt aufgrund lokaler Vorkommen, aber auch wegen des darauf beruhenden Handels als Edelsteinstadt. 2 Es ist unklar, von welcher Krankheit Huber hier spricht. 3 Die am 15. November 1926 eingereichte Dissertationsfassung trug den Titel „Die Gewährleistung der kirchlichen Vermögensrechte durch die Weimarer Verfassung“. Archiv der Juristischen Fakultät Bonn, Promotionsakte Huber. 4 Die Rechte der Religionsgesellschaften wurden im dritten Abschnitt des zweiten Hauptteils der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 garantiert. Art. 138, Abs. 1 sah die Ablösung der Staatsleistungen durch die Landesgesetzgebung vor. Das angekündigte Reichsgesetz über die Grundsätze kam allerdings nicht zustande. In Abs. 2 wurden die Eigentumsrechte der Religionsgesellschaften „an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecken bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen“ gewährleistet. Eine allgemeine Eigentumsgarantie gewährte Art. 153, Abs. 1. Ernst Rudolf Huber (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. Bd. 3: Dokumente der Novemberrevolution und der Weimarer Republik 1918–1933, Stuttgart u. a. 1966, Nr. 154, S. 129–156, hier S. 149, 151.

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Briefe 1926–1933

über das neue Verfassungsrecht dagegen ist recht spärlich; sie geht nicht wesentlich über das hinaus, was sich bei Anschütz6 und Giese7 zitiert findet. Einen Plan über den Aufbau der Arbeit im Einzelnen werde ich erst einreichen können, wenn ich die notwendigen Vorarbeiten beendet habe. Der Vorbereitungsdienst am hiesigen Amtsgericht8 nimmt mich immerhin so sehr in Anspruch, daß ich nicht hoffen kann, die Arbeit noch in diesem Semester zu vollenden. Ich werde aber im Laufe dieses Semesters nach Bonn9 kommen[,] um das Weitere mit Ihnen besprechen zu können. Ich lebe hier etwas weltabgewandt und von den störenden Einflüssen eines Lebens im größeren Kreise frei. Die erste praktische Tätigkeit hat einen eigenen Reiz. Meine vorgesetzten Richter lassen mir in vielen Dingen freie Entscheidung, sodaß ich im Kleinen den Kern des Juridischen wesentlich erlebe. Ich | glaube[,] daraus nicht nur im Hinblick auf eine spätere praktische Tätigkeit Gewinn zu ziehen. Im Januar besuche ich von Bremen aus10 unsere Haupt- und Residenzstadt Oldenburg11. In der Athmosphäre dieser ländlichen Juristenstadt12 werde ich mich wohler fühlen als in der „Hochspannung“ westlicher Großstädte. Ich kann es nicht bedauern, als Oldenburger auf den preußischen Staatsdienst verzichten zu müssen. 5

Gemeint ist die Zeit vor Beginn des (Ersten) Weltkrieges 1914. Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919. Mit Einleitung und Erläuterungen, Berlin 1921 bzw. ausführlich: ders., Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, Berlin 1933. 7 Friedrich Giese, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919. Taschenausgabe, Berlin 1920. 8 Den Vorbereitungsdienst hatte Huber am Amtsgericht Oberstein im Jahr 1926 geleistet, war danach zum Regierungspräsidium Birkenfeld, von dort zum Landgericht Koblenz, zum Landgericht Bonn und schließlich zum Oberlandesgericht Köln gewechselt. Universitätsarchiv Göttingen, Personalakte Huber, Kultusministerium Baden, Personalakten. 9 Huber studierte seit dem Sommersemester 1924 Rechtswissenschaft in Bonn, nachdem er vorher drei Semester in München gewesen war. Im Januar 1926 legte er die erste juristische Staatsprüfung am Oberlandesgericht Köln ab und war seit Februar dieses Jahres als Referendar im oldenburgischen Staatsdienst tätig. Seinen Vorbereitungsdienst absolvierte er am Amtsgericht Oberstein. Siehe Anhang V.2 und V.3. 10 Die Entfernung zwischen Bremen und Oldenburg beträgt rund fünfzig Kilometer. 11 Die Stadt Oldenburg war Hauptstadt des Freistaates Oldenburg, der durch den Thronverzicht des Großherzogs 1918 entstand und bis 1945 ein Gliedstaat des Deutschen Reiches war. Das Oldenburger Land liegt in der norddeutschen Tiefebene westlich der Unterweser. Der geographisch im Rheinland gelegene Landesteil Birkenfeld an der Nahe wurde 1937 der preußischen Rheinprovinz zugeschlagen. 12 Oldenburg besaß nach der Volkszählung von 1925 etwas mehr als 52.000 Einwohner. 6

Briefe 1926–1933

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Ich bitte, mich Herrn Prof. Peterson13 zu empfehlen. Mit den besten Grüßen bleibe ich Ihr ergebener Huber

Nr. 2 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Bonn, 22.5.1926 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Adresse: „Herrn Referendar Rudolf Huber / Oberstein (Nahe)“; Absender: „Prof. Schmitt / Endenicher Allee14 20 / Bonn a. Rh.“

Lieber Herr Huber! Schnell nur ein Wort[,] um Ihnen für Ihren Brief zu danken und Ihnen zu sagen, daß ich mich sehr gefreut habe, von Ihnen Nachricht zu erhalten. Mit dem Thema „Die Gewährleistung der Vermögensrechte etc.“ bin ich sehr einverstanden; kennen Sie die Abhandlung von Müssener, Die Ansprüche der kath.[olischen] Kirche an den Staat?15 Koellreutter16 hat einen Vortrag über Staat und Kirche bei Mohr veröffentlicht17; in derselben Sammlung, in der Göpperts18 Vortrag Staat und 13 Erik Peterson (Grandjean) (1890–1960) lehrte als Professor für Kirchengeschichte und Neues Testament in den Jahren 1914 bis 1929 in Bonn. Er konvertierte 1930 zum Katholizismus und zog 1933 nach Rom. Seit 1947 lehrte er am Päpstlichen Institut für christliche Archäologie und wurde dort 1956 zum Ordinarius ernannt. Peterson war ein enger Freund und 1926 Trauzeuge der zweiten Ehe Schmitts. Barbara Nichtweiß, Peterson, Erik, in: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 260 f.; Michele Nicoletti, Erik Peterson und Carl Schmitt: Wiederaufnahme einer Debatte, in: Giancarlo Caronello (Hg.), Erik Peterson. Die theologische Präsenz eines Outsiders, Berlin 2012, S. 557–580. 14 Die Endenicher Allee liegt in der sogenannten Weststadt Bonns und zeichnet sich durch eine gründerzeitliche Bebauung aus. 15 Hermann Müssener, Die finanziellen Ansprüche der katholischen Kirche an den preußischen Staat auf Grund der Bulle „De salute animarum“ vom 16. Juli 1821, Mönchengladbach 1926 (= Apologetische Tagesfragen, 20). 16 Otto Koellreutter (1883–1972) war von 1921 bis 1949 Ordinarius für Öffentliches Recht in Jena. Koellreutter war zunächst Anhänger, später nationalkonservativer Gegner des Nationalsozialismus. Mit Schmitt befand er sich seit Ende der 1920er Jahre in scharfen fachlichen Kontroversen. Michael Stolleis, Koellreutter, Otto, in: Neue Deutsche Biographie 12 (1980), S. 324 f. 17 Otto Koellreutter, Staat, Kirche und Schule im heutigen Deutschland, Tübingen 1926 (= Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 43). 18 Heinrich Göppert (1867–1937) war Professor für Handels- und Arbeitsrecht in Bonn, gründete das Industrierechtliche Seminar und wurde später der Betreuer von Hubers Habilitationsschrift. Oliver Wolff, Heinrich Göppert, in: Mathias Schmoekkel (Hg.), Die Juristen der Universität Bonn im „Dritten Reich“, Köln u. a. 2004 (= Rechtsgeschichtliche Schriften, 18), S. 233–250.

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Wirtschaft erschienen ist19. Die Dissertation von Schlosser ist gedruckt20; für Ihr jetziges Thema aber wohl nicht mehr von Interesse (Art. 14921). Präsident Happ22 hat mir neulich nochmals seine Freude über Ihre schöne Referendar-Arbeit23 ausgesprochen. Ich freue mich, wenn Sie mir gelegentlich einmal wieder etwas über Ihre Arbeit und Ihr Befinden mittheilen und grüße Sie herzlich. Auch Prof. Peterson läßt bestens grüßen. Stets Ihr Carl Schmitt. | Prof. Harnack24 war hier zu einer Gastvorlesung25. Großer Erfolg – der Schwanengesang des Liberalismus26. 19 Heinrich Göppert, Staat und Wirtschaft, Tübingen 1924 (= Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 33). 20 Josef Schlosser, Die rechtliche Stellung der Religionsgesellschaften hinsichtlich des Religionsunterrichts nach der Reichsverfassung vom 11. August 1919, jur. Diss. Bonn 1926. 21 Im vierten Abschnitt des zweiten Hauptteils der Reichsverfassung über „Bildung und Schule“ war in Art. 149 der Religionsunterricht als „ordentliches Lehrfach“ geregelt. Huber, Dokumente, Bd. 3, Nr. 154, S. 150. 22 August Happ (geb. 1862) war seit 1918 Senatspräsident und 1923–1928 Vizepräsident des Oberlandesgerichts in Köln. Ihm wurde 1925 die juristische Ehrendoktorwürde und 1928 eine Honorarprofessur an der Universität Bonn verliehen. Verena Berchem, Das Oberlandesgericht Köln in der Weimarer Republik, Köln/Weimar/ Wien 2004 (= Rechtsgeschichtliche Schriften, 17), S. 330. 23 Bei der ersten juristischen Staatsprüfung am Oberlandesgericht Köln erhielt Huber laut Zeugnis vom 8. Januar 1926 im Privatrecht, Strafrecht und in Rechtsgeschichte die Note „voll befriedigend“, im Öffentlichen Recht und in Wirtschaftswissenschaft „gut“. Archiv der Juristischen Fakultät Bonn, Personalakte Huber. Die Arbeit trug den Titel „Die Kirchenhoheit der Länder des Reiches und ihre Einschränkung durch die Reichsverfassung vom 11. August 1919“ und findet sich im Nachlass Hubers im Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 404. 24 Adolf von Harnack (1851–1930) war evangelischer Theologe und Wissenschaftsorganisator. Von 1888 bis 1924 wirkte er als Kirchenhistoriker in Berlin, zwischen 1911 und 1930 war er erster Präsident der auf seinen Vorschlag hin gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der heutigen Max-Planck-Gesellschaft. Politisch vertrat er eine prorepublikanische, rechtsliberale Position. Christian Nottmeier, Adolf von Harnack und die deutsche Politik 1890–1930. Eine biographische Studie zum Verhältnis von Protestantismus, Wissenschaft und Politik, Tübingen 2004 (= Beiträge zur historischen Theologie, 124). Von Harnacks „Gastspiel“ in Bonn berichtet Schmitt auch in einem Brief vom 21. Mai 1926 an Ludwig Feuchtwanger. Carl Schmitt, Ludwig Feuchtwanger, Briefwechsel 1918–1935, hg. v. Rolf Rieß. Mit einem Vorwort von Edgar J. Feuchtwanger, Berlin 2007, S. 166, sowie Agnes von Zahn-Harnack, Adolf von Harnack, Berlin-Tempelhof 1936, S. 522 f. 25 Die Vorlesungen erschienen im Druck: Adolf von Harnack, Die Entstehung der christlichen Theologie und des kirchlichen Dogmas. Sechs Vorlesungen, Gotha 1927.

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Nr. 3 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Oberstein, 23.6.1926 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 579, Nr. 159; Abschrift: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 834 Brief, handschriftlich

Oberstein, den 23. Juni 1926. Sehr verehrter Herr Professor! Für Ihre freundliche Karte und insbesondere für die liebenswürdige Übersendung des Hochland-Aufsatzes27 danke ich Ihnen sehr. Der Aufsatz bot mir eine wertvolle Ergänzung Ihrer früheren Schrift28, und er sollte geeignet sein, der wissenschaftlichen Diskussion endlich die maßgebende Perspektive zu geben. Ein Vergleich mit Beckers29 Schild-Genossen-Arbeit30 ist sehr interessant. An der Antinomie von Demokratie und Liberalismus sollten nun eigentlich keine Zweifel mehr bestehen. Rätselvoll bleibt immer noch die Frage nach dem Schnittpunkt dieser Ideenkreise31, der trotz aller „juristischen“ Unterscheidungen zu evident ist, als daß er geleugnet werden könnte. (Die Meinung, in der Demokratie nichts als ein organisatorisches Prinzip und keineswegs eine Ideologie zu sehen, erscheint mir zu formalistisch und deshalb zu einer wirklichen Lösung ungeeignet.) Die Schrift von Müßener war mir bekannt, Koellreutters Abhandlung habe ich mir bestellt, und ich erhoffe davon mindestens einiges Material zu den Grundfragen. Ich bin mit meiner Arbeit inzwischen voran gekommen und habe, nachdem ich einleitend einiges Grundsätzliche dargelegt, einen 26

Harnack war ein gemäßigter Liberaler, der für eine konstitutionelle Monarchie eintrat. 27 Carl Schmitt, Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie, in: Hochland 23 (1926), S. 257–270. Das „Hochland“ war eine seit 1903 monatlich erscheinende katholische Zeitschrift, deren Schriftleitung ihrem Gründer, dem Publizisten Carl Muth (1867–1944), oblag. 28 Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, München/Leipzig 1923. 29 Werner Becker (1904–1981) war ein katholischer Theologe, der zunächst in Marburg, 1938–1961 in Leipzig wirkte und sich für die ökumenische Bewegung einsetzte. Werner Becker, Briefe an Carl Schmitt, hg. v. Piet Tommissen, Berlin 1998, S. 10–18. 30 Werner Becker, Demokratie und moderner Massenstaat, in: Die Schildgenossen 5 (1924/25), S. 459–478. Bei den „Schildgenossen“ handelte es sich um eine Zeitschrift aus der katholischen Jugendbewegung. 31 Eventuell Anspielung auf: Hermann Heller, Die politischen Ideenkreise der Gegenwart, Breslau 1926 (= Jedermanns Bücherei, Abteilung: Rechts- und Staatswissenschaft).

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größeren Abschnitt über die Bedeutung des Art. 153 beendet32. Es war nicht ganz einfach, bei dieser Erörterung, die eine notwendige Vorstufe zur | Würdigung des Art. 138 bildet, durch eingehendes Verweilen bei Einzelfragen den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen. Ich muß die endgültige Formulierung daher noch einer späteren Sichtung überlassen. Ich werde in einer Reihe von Fragen, vor allem auch in der der Stellung des Art. 138 II zu dem Art. 153 II, zu Thesen gelangen, die von der üblichen Meinung abweichen. Das ältere Material, das ich bearbeitete, war nicht sehr ergiebig; in neueren Schriften fand ich über den Art. 138 nur spärliche und keineswegs stichhaltige Bemerkungen. Einiges Material ist mir hier nicht zugänglich, und ich werde zu seiner Bearbeitung nach Bonn kommen müssen. Für die Mitteilung etwaiger weiterer Neuerscheinungen wäre ich Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Ich bin körperlich wieder auf dem Damm und hoffe, bei einiger Intensität mit meiner Arbeit rasch weiter zu kommen. Ich werde Ihnen darüber noch berichten. Ich bleibe Ihr sehr ergebener Huber Nr. 4 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Bonn, 25.7.1926 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich

Lieber Herr Huber! Besten Dank für Ihren Brief. Am liebsten wäre es mir, wenn wir uns Freitag33 träfen (vielleicht 12 Uhr im Institut) oder Samstag 32 Der Art. 153 der Weimarer Reichsverfassung lautete: „(1) Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen. (2) Eine Enteignung kann nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. Sie erfolgt gegen angemessene Entschädigung, soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt. Wegen der Höhe der Entschädigung ist im Streitfalle der Rechtsweg bei den ordentlichen Gerichten offen zu halten, soweit Reichsgesetze nichts anderes bestimmen. Enteignung durch das Reich gegenüber Ländern, Gemeinden und gemeinnützigen Verbänden kann nur gegen Entschädigung erfolgen. (3) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste.“ Huber untersuchte in seiner Dissertation im Kapitel II des ersten Teils „die allgemeine Eigentumsgarantie und die Sondergarantie des Kirchenguts“ und in Kapitel III „Art und Umfang der gewährleisteten kirchlichen Vermögensrechte“. Huber, Dokumente, Bd. 3, Nr. 154, S. 149, 151. Ders., Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte in der Weimarer Verfassung. Zwei Abhandlungen zum Problem der Auseinandersetzung von Staat und Kirche, Tübingen 1927, S. 6–55. 33 30.7.1926.

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abend. Samstag vormittag bin ich in Köln zum Examen34, Sonntag verreist. Auf Wiedersehn, herzliche Grüße Ihres Carl Schmitt. 25/7/26. Nr. 5 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Godesberg, 9.9.1926 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Adresse: „Herrn Referendar / Ernst Rudolf Huber / Oberstein (Nahe)“, Absender: „Prof. Schmitt / Godesberg. / Friesdorf.“35

Lieber Herr Huber! Besten Dank für Ihren Brief! Könnten Sie nicht diesen Samstag (11. Sept.) oder Sonntag kommen? Meine Wohnung ist von Bonn leicht zu erreichen, 2 Minuten vor der Haltestelle Friesdorf der Bonn-Godesberger Bahn, ein einzelnes, von der Straße zurückliegendes Haus (Bonnerstraße 211). Ich weiß nicht, ob ich nächste Woche so gut Zeit habe wie jetzt. Die Disposition der Arbeit ist jetzt sehr klar und konzis. Ich freue mich auf Ihren Entwurf. Auf Wiedersehn! Herzlich Ihr Carl Schmitt 9/9 26. Nr. 6 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Godesberg, 16.10.1926 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Adresse: „Herrn Referendar / Ernst Rudolf Huber / Oberstein (Nahe)“, Absender, gedruckt: „Prof. Schmitt / Godesberg. / Friesdorf.“

16/10 26. Lieber Herr Huber! Ich habe Ihre Dissertation erhalten und werde sie noch diesen Monat lesen, um das Referat zu machen36. Daß größere Umarbeitungen erforderlich sein werden, glaube ich, nach erster, schneller Durchsicht, 34

Schmitt nahm Prüfungen am Kölner Oberlandesgericht ab. Südlicher Stadtteil von Bonn, unmittelbar an der Grenze zu Bad Godesberg. 36 Huber reichte die Dissertation am 15. November ein. Schmitts Gutachten („Referat“) datiert vom 28. November 1926. Archiv der Juristischen Fakultät Bonn, Promotionsakte Huber. Anhang I.2. 35

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nicht. Daher würde es genügen, wenn Sie zur mündlichen Prüfung nach Bonn kämen. Ich persönlich freue mich natürlich immer, Sie zu sehen. Wegen des mündlichen Examens habe ich bei Ihnen keine Besorgnis; doch wäre es schön, wenn es besonders gut verlief37. Für die Besorgung der beiden Steine danke ich Ihnen sehr38; ich würde sie beide nehmen, wenn sie schön sind[,] und den Betrag nach Ihrer Angabe überweisen. Mit den besten Grüßen Ihr ergebener Carl Schmitt

Nr. 7 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Oberstein, 1.11.1926 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6247 Brief, handschriftlich

Oberstein, den 1. November 1926. Sehr verehrter Herr Professor! Ich danke Ihnen recht sehr für Ihre letzte Karte. Ich komme erst heute zu einer Arbeit, weil ich wegen einer Blinddarmreizung eine Woche zu Bett lag. Ich sandte heute die beiden Steine an Sie ab und hoffe, daß ich gefunden habe, was Sie sich vorstellten. Ich habe lange nach einem großen Kristall gesucht, der die schöne dunkle Farbe zeigt wie die kleinen Spitzen, doch fand ich nichts; man pflegt[,] diese seltenen und sehr wertvollen Stücke sofort zu schleifen. Ich glaube, daß Sie es nicht als eine Zudringlichkeit empfinden werden, wenn ich Sie bitte, die Steine als Geschenk von mir anzunehmen39. Ich habe vor, am Samstag40 für einige Tage nach Bonn zu kommen, um die zunächst notwendigen Dinge zu erledigen. Ich werde wieder Coblenzerstr. 45 wohnen. Lohmann41 schrieb mir heute, daß er wieder in Fahr42 37 Ebd. In der mündlichen Prüfung Hubers im Hauptfach Staatsrecht und im zweiten Nebenfach Völkerrecht am 10. Dezember 1926 erhielt er von Schmitt jeweils ein „sehr gut“. Die Prüfung im ersten Nebenfach Strafrecht nahm Schmitts Kollege Ernst Landsberg (1860–1927) ab. Gerhard Dilcher, Landsberg, Ernst, in: Neue Deutsche Biographie 13 (1982), S. 511 f. 38 Es geht um die Besorgung von zwei Edelsteinen aus Oberstein. 39 Nach anfänglichem Zögern nahm Schmitt dieses Geschenk später an. 40 6.11.1926. 41 Karl Lohmann (1901–1996) legte 1928 seine Promotion bei Schmitt vor und war nach 1933 einer seiner engsten Mitarbeiter, u. a. war er 1934–1936 Schriftleiter der „Deutschen Juristen-Zeitung“. Huber und Lohmann waren miteinander befreun-

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ist, und ich werde ihm vorschlagen, doch auch über Sonntag in Bonn zu sein. Wir könnten dann zusammen bei Ihnen vorsprechen. Sollte etwas im Wege stehen, so sind Sie vielleicht so freundlich, mir Nachricht zu geben. Mit besten Grüßen Ihr sehr ergebener Huber

Nr. 8 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Godesberg, 8.11.1926 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich, gedruckter Kopf: „Dr. Carl Schmitt / o. ö. Professor der Rechte / an der Universität Bonn“; „Godesberg-Friesdorf / Bonner Str. 211“

8/11 26 Lieber Herr Huber! Ich freue mich sehr, Sie bald wiederzusehn und bitte Sie, es so einzurichten, daß Sie womöglich Sonntag43 bei mir zu Mittag essen. Wenn Herr Lohmann dann auch kommen könnte, so wäre das umso schöner. Ihre Arbeit habe ich zu 2/3 gelesen und bin im wesentlichen außerordentlich erfreut über diese Leistung44. Vielleicht kommen Sie Sonntag um 12, wir essen dann um 1 und können vorher eine | Stunde über Ihre Arbeit sprechen. Die beiden Amethysten45 sind herrlich. Daß Sie sie mir als Geschenk anbieten, rührt mich sehr. Aber so kostbare Geschenke darf ich gar nicht annehmen. Also hoffentlich auf baldiges Wiedersehn. Mit herzlichen Grüßen Ihr aufrichtig ergebener Carl Schmitt

det. Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biographie, München 2009, S. 178 f., 364 f. 42 Fahr ist eine kleine Ortschaft am Rhein, die gegenüber von Andernach liegt. Lohmann stammte aus dem nahe gelegenen Koblenz. 43 Vermutlich war der 14.11.1926 gemeint. 44 Schmitt bewertete Hubers Dissertation mit dem Prädikat „magna cum laude“, wollte für die mündliche Prüfung „die Möglichkeit einer Bewertung mit summa cum laude nicht ausschließen.“ Anhang I.2. Im Prüfungsprotokoll vom 16. Dezember blieb es allerdings bei einem „magna cum laude“. Archiv der Juristischen Fakultät Bonn, Promotionsakte Huber. 45 Ein blau-violetter Edelstein, der u. a. auch in Idar-Oberstein zu finden ist.

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Nr. 9 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Godesberg, 9.2.1927 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Adresse: „Herrn Referendar / Dr. Ernst Rudolf Huber / Oberstein (Nahe)“, Absender: „Prof. Schmitt / Godesberg. / Friesdorf.“

9/2[.19]27. Lieber Herr Dr. Huber, könnten Sie diesen Samstag oder Sonntag (12.–13[.] Februar) kommen? Ich war in den letzten Monaten jedes Wochenende verreist und muß übernächste Woche wieder nach Berlin, sodaß mir die vorgeschlagen[en] Tage besonders gut passen würden. Auf Wiedersehn, herzlichen Dank für Ihre beiden Briefe46, stets Ihr Carl Schmitt.

Nr. 10 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Godesberg, 13.3.1927 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Godesberg. Friesdorf. 13/3 27. Lieber Herr Huber! Der Verlag Mohr47 hat mir heute auf meinen Brief geantwortet, daß er darauf bestehen müsse, daß keine Pflichtexemplare Ihrer Dissertation abgeliefert werden48. Es wäre nun möglich, daß die Fakultät Ihnen auf Antrag den Druck erläßt; dann brauchten Sie nur 4 geschriebene Exemplare abzuliefern. Vielleicht ist der Verlag dann bereit, Ihre Abhandlungen zu drucken. 46

Entsprechende Schreiben sind nicht überliefert. Es handelt sich um den im Jahre 1801 gegründeten und seit 1878 im Besitz der Familie Siebeck befindlichen Tübinger Wissenschaftsverlag, der seine Schwerpunkte in den Bereichen Theologie, Philosophie, Wirtschafts- und Rechtswissenschaft hatte und bis heute hat. 48 Staatsbibliothek Berlin, Nachlass 488, Verlagsarchiv Mohr-Siebeck, Kasten 429. Der Verlag hatte nach der Anfrage Hubers vom 15.2. am 1.3. Schmitt um „ein sachliches Urteil“ gebeten und bereits die Frage der Pflichtexemplare angeschnitten. Schmitt schrieb am 6.3. und nochmals am 18.3. an den Verleger Oskar Siebeck. Siehe Anhang I.3. und I.4. 47

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Ich schicke Ihnen den Brief des Verlages mit49; senden Sie ihn bitte bald zurück, weil ich ihn wegen der prinzipiellen Frage (Stellung des deutschen Verlegervereins50) für eine Fakultätssitzung brauche. Überlegen Sie bitte, ob Sie nach diesem Brief nicht doch lieber im AöR51 veröffentlichen wollen. Ich habe nichts dagegen, kann Ihnen aber aus privaten Gründen keine Empfehlung geben52. Wahrscheinlich wird die Redaktion des AöR (Prof. Günther Holstein53 in Greifswald) die Abhandlungen gerne drucken, wenn sie auf einen entsprechenden Umfang gebracht sind. | Mit den besten Grüßen Ihr sehr ergebener Carl Schmitt Nr. 11 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Oberstein, 16.3.1927 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 579, Nr. 159, Abschrift: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 834 Brief, handschriftlich

Oberstein, 16.3.27. Sehr verehrter Herr Professor! Ich habe mit großem Interesse Ihren letzten Brief und das Schreiben von Mohr gelesen. Ich würde aus verschiedenen Gründen vorziehen54, die Abhandlungen als Monographie drucken zu lassen. Ich halte es für unzweckmäßig, die Abhandlungen auseinander zu reißen; die sachliche Verknüpfung bedingt ein häufiges Bezugnehmen im zweiten Teil auf den ersten; das scheint mir nur möglich, wenn auch ein äußerer Zusammenhang besteht. 49

Der Brief enthielt keine Anlagen. 1927 gab es den Reichsverband Deutscher Fachzeitschriftenverleger (gegr. 1892) und den Verein Deutscher Zeitschriftenverleger (gegr. 1907). 1929 erfolgte deren Zusammenschluss zum Reichsverband Deutscher Zeitschriften-Verleger e. V., der seitdem als Dachverband (seit 1949 unter dem Namen Verband Deutscher Zeitschriftenverleger) agiert. 51 Das „Archiv des öffentlichen Rechts“ erscheint seit 1886 im Verlag Mohr-Siebeck und gilt als eine der angesehensten juristischen Fachzeitschriften. 52 Schmitt hatte eine tiefe Abneigung gegen den Herausgeber Günther Holstein. Mehring, S. 134. 53 Günther Holstein (1892–1931) lehrte als deutscher Staats- und evangelischer Kirchenrechtler zwischen 1924 und 1929 auf einem Ordinariat für Öffentliches Recht in Greifswald. Ernst Wolf, Holstein, Günther, in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 552 f. 54 Im Original steht hier versehentlich: „vorzuziehen“. 50

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Ich scheue mich auch, die Arbeit auf den Umfang zu reduzieren, den sie als Aufsatz im besten Falle haben kann. Es liegt in der Natur des Themas, daß die Stärke der Arbeit nicht in der knappen Formulierung liegen kann. Bei jeder Durchsicht der Arbeit glaubte ich neue Gesichtspunkte berücksichtigen zu müssen; auch Sie haben mich bei jeder Unterredung auf eine wichtige Ergänzung in der einen oder anderen Frage hingewiesen. Es scheint mir jetzt beinahe unmöglich, die Arbeit zu einem Aufsatz zusammen zu streichen. Ich zweifele auch daran, daß Holstein zwei Aufsätze von mir annehmen würde; die Ablösungsfrage55 müßte dann wohl zurücktreten; sie ist aber das aktuellere Thema. Nach dem Schreiben von Mohr halte ich es für möglich, daß Mohr die Abhandlungen als Monographie nimmt, wenn die Fakultät auf den Druck verzichtet. Ich habe keine Bedenken, daß die Fakultät Schwierigkeiten machen wird, denn Zycha56 hat mir nach dem Examen gleich nahe gelegt, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Ich werde heute ein | entsprechendes Gesuch nach Bonn schicken57. Ich selbst kann solange wohl nicht an Mohr schreiben, als ich von ihm58 keine Antwort erhalte. Vielleicht besitzen Sie die Freundlichkeit, auf den letzten Brief von Mohr noch einmal zu antworten und ihm, vorausgesetzt daß Sie mit mir einverstanden sind, meinen Standpunkt mitzuteilen59. Ich hoffe, daß es mir gelingen wird, den deutschen evangelischen Kirchenbund60 für meine Arbeit zu interessieren; mein Vater61 wird in der nächsten Zeit 55 Gemeint ist die in Art. 138 der Weimarer Reichsverfassung vorgesehene Ablösung der Staatsleistungen durch die Landesgesetzgebung, die allerdings nicht zustande kam. 56 Adolf Zycha (1871–1948) war ein österreichischer Rechtshistoriker, der von 1923 bis 1937 in Bonn lehrte. 1933 wurde er wegen seiner Ehe mit einer „Nichtarierin“ als Rektor abgesetzt. Steffen Wiederhold, Adolf Zycha, in: Mathias Schmoeckel (Hg.), Die Juristen der Universität Bonn im „Dritten Reich“, Köln/Weimar/Wien 2004 (= Rechtsgeschichtliche Schriften, 18), S. 603–639. 57 Mit Schreiben vom 21.3.1927 bat Huber die Fakultät, auf die Abgabe der gesamten Arbeit im Druck zu verzichten, und bot stattdessen „4 Schreibmaschinenexemplare und 150 Auszüge der Dissertation“ an. Archiv der Juristischen Fakultät Bonn, Promotionsakte Huber. 58 Gemeint ist hier der Verleger Oskar Siebeck (1880–1936), der seit 1920 mit seinem Bruder Werner (1891–1934) den Verlag Mohr-Siebeck leitete. 59 Staatsbibliothek Berlin, Nachlass 488, Verlagsarchiv Mohr-Siebeck, Kasten 429. Schmitt setzte sich am 18.3. nochmals ganz entschieden und erfolgreich für Huber und seine Schrift ein. Siehe Anhang I.4 und I.5. 60 Der 1922 gegründete Zusammenschluss von dreißig evangelischen Landeskirchen wurde 1933 von der Deutschen Evangelischen Kirche abgelöst; 1945 wurde daraus die Evangelische Kirche in Deutschland. 61 Der Kaufmann Rudolf Huber (1868–1943) war mit Helene, geb. Wild (1874– 1955), verheiratet. Er war Mitglied des Konsistoriums der Evangelischen Kirche des

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wohl mit einigen Herren vom Kirchenbundsamt62 zusammen treffen. Ich möchte die Arbeit natürlich nicht vom Kirchenbund veröffentlichen lassen63; es wird ihr zu leicht der Stempel einer Parteischrift aufgedrückt. In einer sehr interessanten Aussprache zwischen den Mitgliedern der Regierung64, des Konsistoriums65, des Landesausschusses (= Provinziallandtag)66 und der Landessynode67 hielt ich am letzten Montag68 das einleitende Referat über „Die Kirchenhoheit des Staates und die Weimarer Verfassung“69. Ich war überrascht zu hören, wie stark von den Vertretern des Staates die Zusammengehörigkeit von Kirche und Staat betont wird. Bei der Regierung bin ich Spezialist für Kirchenfragen; es ist sehr interessant, die Kirchenhoheit in praxi70 zu handhaben. Ich stelle hier fest, daß die Staatsaufsicht über Katholiken71 und Juden viel stärker als die über die Protestanten ist. Landesteils Birkenfeld, die 1934 in die Altpreußische Union der Rheinischen Provinzialkirche aufgenommen wurde. Freimut Heiderich, Geschichte der evangelischen Kirche im oldenburgischen Fürstentum und Landesteil Birkenfeld. Organisation und Verwaltung von 1817 bis zum Ende der Birkenfelder Landeskirche 1934, Birkenfeld/Düsseldorf 1998, S. 226 f. 62 Offenbar ist das Verwaltungsorgan des Kirchenbundes gemeint. 63 Huber hoffte aber möglicherweise auf einen Druckkostenzuschuss. Dieser war aber schließlich gar nicht erforderlich. 64 Mitglieder der oldenburgischen Landesregierung waren neben dem seit 1923 amtierenden Ministerpräsidenten sowie Justiz- und Kultusminister Eugen von Finckh (1860–1930), Innen- und Handelsminister Franz Driver (1863–1943) sowie Finanzminister und Minister für Soziale Fürsorge Bernhard Willers (1881–1941). Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 6: Die Weimarer Reichsverfassung, Stuttgart u. a. 1981, S. 829–833; Klaus Schaap, Die Endphase der Weimarer Republik im Freistaat Oldenburg 1928–1933, Düsseldorf 1978 (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, 61). 65 Das Konsistorium war das Leitungs-, Aufsichts- und Verwaltungsorgan der Landeskirche. Die Kirchenleitung lag in den Händen des Präses, des Konsistorialpräsidenten und des Generalsuperintendenten. Präses war von 1919 bis 1932 Friedrich Walter Paul Wolff, Konsistorialpräsident zwischen 1920 und 1932 Johann Freiherr von der Goltz und Generalsuperintendent zwischen 1913 und 1928 Karl Viktor Klingemann. 66 Der Rheinische Provinzialverband und damit der Landesausschuss und der Provinziallandtag als seine Organe waren über das gemeinsame Arbeitsfeld der Wohlfahrtspflege mit den kirchlichen Behörden verbunden. 67 Die Landessynode fungierte als Parlament der Rheinischen Landeskirche. 68 Am 14.3.1927. 69 Der Vortrag blieb offenbar ungedruckt. Gedanken davon sind vermutlich eingeflossen in: Ernst Rudolf Huber, Staatsverträge mit den protestantischen Landeskirchen, in: Der Ring 2 (1929), S. 868–872. 70 In der Praxis. 71 Diese war in den Konkordaten, d.h. Staatsverträgen mit der katholischen Kirche, geregelt. Dazu: ders., Die politische Bedeutung des Konkordats, in: ebd., S. 933–935.

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Den Brief von Mohr72 füge ich wieder bei. Ich danke Ihnen recht herzlich für die Mühe, die Sie sich inzwischen wieder in meiner Angelegenheit gemacht haben. Empfehlen Sie mich bitte Ihrer Frau Gemahlin73. Mit den besten Grüßen bleibe ich Ihr aufrichtig ergebener Huber

Nr. 12 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Godesberg, 18.3.1927 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Adresse: „Herrn Referendar / Dr. Ernst Rudolf Huber / Oberstein (Nahe)“, Absender: „Prof. Schmitt / Godesberg. Friesdorf.“

Lieber Herr Dr. Huber, besten Dank für Ihren Brief vom 16. März. Ich habe also nochmals an Mohr geschrieben74 und werde Ihr Gesuch bei der Fakultät dringend befürworten75. Mit herzlichen Grüßen, auf Wiedersehn, stets Ihr Carl Schmitt 18/3 27.

Nr. 13 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Godesberg, 25.3.1927 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich

Lieber Herr Huber, in Eile diesen Brief von Mohr76, den Sie mir gelegentlich zurückgeben wollen. 72

Der oben erwähnte Brief vom 10.3.1927. Duschka Schmitt (1903–1950), geb. Todorovic´, zweite Ehefrau von Carl Schmitt. 74 Am gleichen Tag, dem 18.3.1927. Siehe oben Anm. 48 und 59. 75 Weder das Gesuch noch Schmitts Befürwortung scheinen in den Bonner Fakultätsakten überliefert zu sein. 76 Staatsbibliothek Berlin, Nachlass 488, Verlagsarchiv Mohr-Siebeck, Kasten 429. Mohr-Siebeck hatte am 24.3.1927 geschrieben, dass sie die Arbeit drucken würden. Schmitts „argumentum ad hominem“ für Huber, schrieb Oskar Siebeck, sei „schlechterdings ausschlaggebend“ gewesen. Schmitt dankte am 28.3.1927. Anhang I.5. 73

Briefe 1926–1933

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Ich wünsche Ihnen herzlich Glück und hoffe, daß dieser gute Anfang Ihrer publizistischen Laufbahn ein gutes Vorzeichen ist! Stets Ihr Carl Schmitt 25/3 27.

Nr. 14 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Oberstein, 30.3.1927 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6248 Brief, handschriftlich

Oberstein, 30.3.27. Sehr verehrter Herr Professor, ich danke Ihnen recht herzlich für die Übersendung des Briefes von Mohr. Ich hatte am gleichen Tage einen Brief von Mohr direkt erhalten und habe gestern meine Arbeit an ihn geschickt77. Ich glaube[,] hoffen zu dürfen, daß die Angelegenheit nunmehr ohne größere Schwierigkeiten verlaufen wird. Sie dürfen versichert sein, daß ich mir wohl bewußt bin, daß ich diesen Erfolg einzig ihrer Fürsprache verdanke. Ich habe mir daher nicht versagen können, der Arbeit ein Wort des Dankes und der Verehrung für Sie vorauszustellen78. Ich sehe einen großen Vorzug der oldenburgischen Ausbildung darin, daß jeder Referendar eine Zeitlang in der Verwaltung beschäftigt wird. Auch in der richterlichen Tätigkeit spielt das öffentliche Recht heute eine hervorragende Rolle; wer nie gesehen hat, wie der Verwaltungsapparat funktioniert, wird nur schwer eine rechte Vorstellung von den Instituten des öffentlichen Rechts erwerben. Die Schriften Hofackers79 sind gerade dadurch ausgezeichnet, daß sie die Rechtsinstitute in ihrer Realität erfassen80; es liegt allerdings die Gefahr nahe, daß die wissenschaftliche Erkenntnis gewissen 77

Ebd. Der Brief des Verlages an Huber datiert vom 24.3. und die Einsendung des Manuskripts vom 29.3.1927. Der Verlagsvertrag über 800 Exemplare wurde auf den 4.4.1927 ausgestellt; es wurde kein Druckkostenzuschuss gefordert. 78 Huber, Garantie, S. III. Die Passage des Vorworts, das auf den 24.12.1926 datiert ist, lautet: „Herrn Professor Dr. Carl Schmitt in Bonn, der mir die Wege zur Erkenntnis des Geistes des öffentlichen Rechtes wies, gilt meine stetige Dankbarkeit und Verehrung.“ 79 Wilhelm Hofacker (geb. 1891) war Ministerialrat im württembergischen Innenministerium, der sich u. a. mit dem dortigen Verwaltungsrecht beschäftigte. 80 Wilhelm Hofacker, Die Neugestaltung der öffentlichen Verwaltung, Stuttgart 1926; ders., Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen, Stuttgart 1926.

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Nützlichkeitserwägungen hintangesetzt wird; auch Hofacker scheint mir dieser Gefahr nicht ganz entgangen zu sein. Ich freue mich immerhin, im Juli die engen Verhältnisse der Kleinstadt verlassen zu können. Ich finde hier zwar genügend Zeit zum Lesen; ich vermisse aber sehr alle andern Anregungen insbesondere auf dem Gebiete der Kunst. Hier hält nur die Arbeit und die Natur mich davon ab, | ein rechter Bürger zu werden. Beides sind sehr schöne Dinge, aber für sich allein auf einer gewissen Zivilisationsstufe etwas dürftig. Ich bitte Sie, mich Ihrer Frau Gemahlin und gelegentlich Herrn Prof. Peterson zu empfehlen. (Ich treffe hier zuweilen einige junge Pfarrer; es wird eifrig diskutiert: hie Peterson – hie Barth81.) Den Brief von Mohr82 lege ich wieder bei. Mit herzlichem Gruß bleibe ich Ihr aufrichtig ergebener Huber

Nr. 15 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Godesberg, 25.4.1927 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Godesberg. Friesdorf, 25/4 27. Lieber Herr Huber! Besten Dank für Ihren Brief. Die offizielle Antwort der Fakultät auf Ihr Gesuch will ich beschleunigen. Es wäre gut, wenn Sie die Formalitäten (Druck des Auszuges, 4 Exemplare) ohne jede Bezugnahme auf die Publikation bei Mohr erledigten, also 4 maschinenschriftlich geschriebene Exem81

Der evangelisch-reformierte Schweizer Theologe Karl Barth (1886–1968) wirkte seit 1925 als Professor für Systematische Theologie in Münster und wurde 1930 nach Bonn berufen. 1934 verlor er als Mitglied der Bekennenden Kirche seinen Lehrstuhl und ging zurück in die Schweiz, wo er bis 1962 in Basel lehrte. Streitpunkt zwischen Peterson und Barth war der Gegensatz zwischen dogmatisch begründeter und dialektischer Theologie. Zu den diametral verschiedenen Denkansätzen von Schmitt und Barth: Mathias Eichhorn, Es wird regiert! Der Staat im Denken Karl Barths und Carl Schmitts in den Jahren 1919 bis 1938, Berlin 1994 (= Beiträge zur politischen Wissenschaft, 78). 82 Der oben erwähnte Brief vom 24.3.1927.

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plare schickten, den Auszug nicht von Mohr drucken lassen etc.83, damit die Fakultät die spätere Publikation84 ganz ignorieren kann. Ich werde wohl nicht nach Berlin gehen85. Diesen Sommer bin ich sicher noch hier; höchst wahrscheinlich auch definitiv. Ich würde mich also freuen, wenn Sie im Sommer nach Bonn zum Seminar kommen könnten. Es soll donnerstags nachmittags 6–8 stattfinden, vorausgesetzt, daß genug geeignete Teilnehmer dabei sind. Wenn Sie mich besuchen, freue ich mich sehr. Wie geht es eigentlich Herrn Lohmann? Auf Wiedersehn, lieber Herr Huber, herzliche Grüße Ihres Carl Schmitt.

Nr. 16 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 1.6.1929 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Berlin, den 1. Juni86 1929 Lieber Herr Huber, besten Dank für Ihren Brief87. Ich habe mich sehr gefreut etwas von Ihnen zu hören und freue mich besonders darauf, Ihre neue Arbeit88 bald zu lesen. Auf meinen Aufsatz „Das deutsche Reich als pluralistisches Gebilde“ kön83 Der drei Textseiten umfassende Auszug mit leicht abweichendem Titel von dem späteren Dissertationsdruck wurde von Heinrich Ludwig, einer Spezialdruckerei für Dissertationen in Bonn, gedruckt. Ernst Rudolf Huber, Die Gewährleistung der kirchlichen Vermögensrechte durch die Weimarer Verfassung. Auszug aus der Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Hohen Juristischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn, Bonn 1927. 84 Hubers Dissertation lag – dem Dankbrief Hubers an den Verlag zufolge – Mitte August 1927 gedruckt vor. Staatsbibliothek Berlin, Nachlass 488, Verlagsarchiv Mohr-Siebeck, Kasten 429. 85 Zum Sommersemester 1928, also erst ein Jahr nach diesem Brief, wechselte Schmitt an die Handelshochschule Berlin. Den Ruf nahm er am 5.10.1927 an. Mehring, S. 205. 86 Das Datum ist mit Bleistift von „Juli“ in „Juni“ korrigiert. 87 Fehlt. 88 Gemeint war wahrscheinlich: Ernst Rudolf Huber, Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich, Breslau 1930 (= Abhandlungen aus dem Staats- und Verwaltungsrecht sowie aus dem Völkerrecht, 44).

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nen Sie nicht warten; ich weiß es selber noch nicht, wann ich ihn fertig machen kann, und in welcher Form und welchem Umfang89. Ich bleibe mit den besten Grüßen und Wünschen Ihr stets ergebener Carl Schmitt. Nr. 17 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 1.7.1929 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Adresse: „Herrn Dr. jur. / E. R. Huber / Assistent bei der Jur.[istischen] Fakultät / der Universität / Bonn a. Rh. / Beethovenstr. 2“, Absender: „Carl Schmitt / Klopstockstr. 48“90

Lieber Herr Dr. Huber, ich habe Ihren Brief erhalten91 und Herrn Geheimrat T.[riepel]92 verständigt. Mit den besten Grüßen und Wünschen stets Ihr Carl Schmitt. 1/7 29. Nr. 18 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 2.5.1930 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Berlin, den 2. Mai 1930. Lieber Herr Huber! Über Ihren Brief aus Ragusa93 habe ich mich sehr gefreut. Hoffentlich haben Sie sich von den Anstrengungen und den großen Leistungen der letzten 89 Schmitt hatte über dieses Thema bei einem Vortrag auf der 25. Tagung der deutschen Kant-Gesellschaft am 22. Mai 1929 in Halle gesprochen. Die gedruckte Fassung: Carl Schmitt, Staatsethik und pluralistischer Staat, in: Kantstudien 35 (1930), S. 28–42. 90 Schmitt wohnte am Rand des Tiergartens in der ehemaligen Wohnung des Malers Lovis Corinth. Mehring, S. 231. 91 Der Brief Hubers fehlt. 92 Heinrich Triepel (1868–1946) lehrte seit 1913 in Berlin Staats- und Völkerrecht. Ulrich M. Gassner, Heinrich Triepel. Leben und Werk. Berlin 1999 (= Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht, 51).

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Jahre gut erholt. Ich gratuliere Ihnen herzlich zu dem bestandenen Assessor-Examen und dem schönen Prädikat94; gleichzeitig aber auch zu Ihrem Buch über Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich95. Ich habe es vor 2 Stunden mit der Morgenpost erhalten und mit größtem Interesse und aufrichtiger Bewunderung der systematischen Ordnung wie der gründlichen Materialbearbeitung darin gelesen, soweit man eben in 2 Stunden lesen kann, und ich hatte, neben der großen Freude über eine solche Leistung, vor allem den Wunsch, mit Ihnen mündlich über Grundsätzliches und Einzelheiten dieses säkularen (oder millenaren96) Themas zu sprechen. Ich hoffe[,] in den Pfingstferien97 nach West Deutschland98 zu kommen; vielleicht läßt es sich dann einrichten, daß wir uns mehrere Stunden in Ruhe unterhalten. Sie wissen, daß mich das Problem des „Pluralismus“ seit langem beschäftigt. In Halle habe ich vor einem Jahr darüber gesprochen, doch ist der Vortrag noch nicht erschienen99. Das interessanteste ist mir die Allianz von Kirche und Gewerkschaft, die in der pluralistischen Staatslehre erscheint und die Verwertung aller Argumente, die zugunsten der Kirche vorgebracht werden, nunmehr zugunsten der Gewerkschaft. Ich wußte nicht, daß die heute in Preußen herrschende parteipolitische Koalition100 einer solchen [am linken Rand: vor der Kirche natürlich zu desavouierenden] geistesgeschichtlichen Basierung fähig ist und daß hinter der Gleichzeitigkeit von Kulturkampf und Sozialistengesetz101 | dieser „pluralistische“ Staat erscheint. Laski102 ist ja nichts als eine Ausbeutung von John Neville Figgis, 93 Stadt an der Südspitze Siziliens. Der genannte Brief aus einem Urlaubsziel Hubers fehlt. 94 Huber hatte sein Assessorexamen, d.h. die zweite juristische Staatsprüfung, am 17. März 1930 mit der Note „gut“ bestanden. Archiv der Juristischen Fakultät Bonn, Personalakte Huber. Zum 1.10.1930 trat er seine Assistentenstelle in Bonn an. Matthias Maetschke, Ernst Rudolf Huber. Im Schatten Carl Schmitts – Ernst Rudolf Hubers Bonner Jahre 1924–1933, in: Mathias Schmoeckel (Hg.), Die Juristen der Universität Bonn im „Dritten Reich“, Köln u. a. 2004 (= Rechtsgeschichtliche Schriften 18), S. 368–386, hier S. 376. 95 Siehe oben Anm. 88. 96 Anspielung Schmitts auf die rund tausendjährigen engen Beziehungen zwischen Staat bzw. deutschem Königtum und der Kirche seit dem Hohen Mittelalter. 97 Pfingstsonntag fiel auf den 8.6.1930. 98 Insbesondere nach Plettenberg. 99 Siehe oben Anm. 89. 100 In Preußen regierte seit den Landtagswahlen vom Mai 1928 die sogenannte Weimarer Koalition aus SPD, Deutscher Demokratischer Partei (DDP) und (katholischer) Zentrumspartei unter Ministerpräsident Otto Braun (1872–1955). 101 Beide Maßnahmen zur Eindämmung von Katholizismus und Sozialismus fielen – allerdings zeitversetzt – in die Bismarcksche Politik der 1870er Jahre, wobei der Kulturkampf 1872 begann, während die Maßnahmen um das sogenannte Sozialistengesetz 1878 einsetzten.

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Churches in the modern State, London (oder Cambridge) 1913103, dessen Lektüre ich Ihnen sehr empfehle. Bei diesem Anlaß noch ein kleiner Hinweis: 1897 ist eine Berliner Dissertation von Hans Meydenbauer erschienen: Vigens ecclesiae disciplina104, dazu die Besprechung im Arch. des kath.[olischen] Kirchenrechts von Jos. Biederlack105, und die Entgegnung von Meydenbauer, Deutsche Zeitschr. f. Kirchenrecht VIII.1. S. 106106. Das Problem ist interessant für die Frage der existenziellen Vorbehalte, die jedem Vertrag koordinierten Größen immane[nt] sind. Das sieht M.[eydenbauer] nicht; trotzdem ist seine Dissertation beachtlich (analoger Vorbehalt im Völkerrecht: die domestical affairs107, Völkerbundsatzung Art. 15 Abs. 8108). Die von Ihnen geplante Arbeit über den „fehlerhaften Staatsakt im Arbeitsrecht“ finde ich dem Gegenstande nach außerordentlich interessant und notwendig109; doch habe ich Bedenken gegen einen solchen Titel und halte es für möglich, daß Sie, im Laufe der Beschäftigung mit dem Thema, eine bessere Formel finden als diesen Anklang an Walter Jellineks110 Prägun102 Harold Joseph Laski (1893–1950) war als Politikwissenschaftler und Lehrstuhlinhaber in London einer der führenden Theoretiker des Pluralismus. Ralf Dahrendorf/Colin Crouch, Laski, Harold Joseph, in: Wilhelm Bernsdorf/Horst Knospe (Hg.), Internationales Soziologenlexikon. Bd. 1: Beiträge über bis Ende 1969 verstorbene Soziologen, 2. neu bearb. Aufl., Stuttgart 1980, S. 232 f. 103 John Neville Figgis, Churches in the modern State, London 1913. 104 Hans Meydenbauer, Vigens ecclesiae disciplina, jur. Diss. Berlin, Gräfenhainichen 1897. 105 Josef Biederlack, Rezension zu Hans Meydenbauer, Vigens ecclesiae disciplina, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 78 (1898), S. 198–200. 106 Hans Meydenbauer, in: Deutsche Zeitschrift für Kirchenrecht 8 (1898), S. 106 ff. 107 Engl.: „innere Angelegenheiten“. 108 Die Satzung des Völkerbunds war Teil der Pariser Vorortverträge (Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919). Art 15, Abs. 8 lautet in deutscher Übersetzung: „Macht eine Partei geltend, und erkenne der Rat an, dass sich der Streit auf eine Frage bezieht, die nach internationalem Rechte zur ausdrücklichen Zuständigkeit dieser Partei gehört, so hat der Rat dies in einem Bericht festzustellen, ohne eine Lösung der Frage vorzuschlagen.“ 109 Huber hatte im März 1930 sein Zweites Staatsexamen abgelegt. Bereits nach 1928 war er wissenschaftliche Hilfskraft am Industrierechtlichen Seminar von Heinrich Göppert gewesen. Maetschke, S. 375 f. Nun plante er offenbar seine Habilitationsschrift im Bereich des Arbeitsrechts. 110 Walter Jellinek (1885–1955), seit 1929 Professor für öffentliches Recht in Heidelberg, galt als einer der angesehensten Juristen seiner Zeit; 1935 wurde er aus seinem Amt vertrieben. Noch berühmter war sein Vater Georg Jellinek (1851– 1911). Klaus Kempter, Die Jellineks 1820–1955. Eine familienbiographische Studie zum deutschjüdischen Bildungsbürgertum, Düsseldorf 1998 (= Schriften des Bundesarchivs, 52); Reinhard Mehring (Hg.), Walter Jellinek – Carl Schmitt. Brief-

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gen111. Aber das allgemeine Problem des Rechtsschutzes im Arbeits- und Wirtschaftsrecht ist von größter, unmittelbarer Bedeutung. Nochmals besten Dank für Ihren Brief und Ihr ausgezeichnetes Buch und alle guten Wünsche Ihres aufrichtig ergebenen Carl Schmitt.

Nr. 19 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 11.5.1930 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

11. Mai 30 Lieber Herr Huber, besten Dank für Ihren Brief112. Ich hoffe Herrn Lohmann morgen hier zu sehen. Die beil.[iegenden] Revisionsbogen113 (die Sie nicht zurückzusenden brauchen) bitte ich Sie gelegentlich in Ruhe zu lesen; die Broschüre soll bald erscheinen; die Anmerkungen 5 (Repräsentation)[,] 8 (Kirche und Gewerkschaft)[,] 20 (Art. 76114) und 26/27 (liberale Staatslehre) interessieren Sie vielleicht besonders115; dann S. 23 (Hegels116 Staat-Kirche). Auf Wiedersehn, herzliche Grüße Ihres Carl Schmitt.

wechsel 1926 bis 1933, in: Schmittiana, NF, Bd. 2, hg. von der Carl-Schmitt-Gesellschaft, Berlin 2014, S. 87–117. 111 So vor allem: Walter Jellinek, Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen. Eine verwaltungs- und prozeßrechtliche Studie, Tübingen 1908. Es handelt sich um den Druck von Jellineks Straßburger Dissertation aus dem gleichen Jahr. 112 Ein Schreiben Hubers zwischen den beiden Briefen Schmitts fehlt. 113 Schmitt hatte Huber offenbar um das Lesen von Korrekturen gebeten. 114 In Art. 76 der Reichsverfassung waren die Modalitäten einer Verfassungsänderung festgesetzt. Huber, Dokumente, Bd. 3, Nr. 154, S. 140. 115 Carl Schmitt, Hugo Preuß. Sein Staatsbegriff und seine Stellung in der deutschen Staatslehre, Tübingen 1930 (= Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 72), S. 27–29, 32, 34. 116 Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) erlebte seit den 1920er Jahren eine Renaissance, den sogenannten Neuhegelianismus. Herbert Schnädelbach, G.W.F. Hegel zur Einführung, Hamburg 1999, 3. Aufl. 2007.

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Nr. 20 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 12.6.1930 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

12/6 30. Lieber Herr Huber, morgen (Freitag) abend wollte ich mit meiner Frau nach Bonn kommen und im Hotel Stern117 wohnen. Wenn Sie in Bonn sind und Zeit haben[,] könnten Sie vielleicht zwischen ½ 9 und 9 dort vorbeikommen und nach mir fragen; ich würde mich sehr freuen, Sie wiederzusehn und eine Stunde mit Ihnen zu plaudern. Mit herzlichen Grüßen, auch an Herrn Lohmann stets Ihr Carl Schmitt.

Nr. 21 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Bonn, 15.7.1930 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6249 Brief, handschriftlich

Bonn, 15. Juli 1930 Godesbergerstr. 6 II Hochverehrter Herr Professor, für die freundliche Übersendung Ihres Vortrags über „Staatsethik und pluralistischer Staat“118 danke ich Ihnen sehr herzlich. Ich habe den lange erwarteten und überaus wichtigen Vortrag mehrere Male gelesen, und finde immer neue und aufschlußreiche Wendungen. Besonders überraschend, aber auch besonders eindrucksvoll ist ja die positive Bewertung des richtig verstandenen Pluralismus. Es finden sich da, wenn ich richtig verstehe, Anklänge an den Korporativismus Gierkes119; ich glaube auch[,] eine stärkere Wendung zu angelsächsischen als zu romanischen Vorstellungen zu spüren. Der „stato corporativo“120 ist, wie ich glaube, nicht in diesem Sinne plurali117

Das Sternhotel liegt direkt am Marktplatz im Zentrum von Bonn. Siehe oben Anm. 89. 119 Otto von Gierke (1841–1921) gilt wegen seines Hauptwerkes als „Vater“ des deutschen Genossenschaftsrechts. G.[erhard] Dilcher, Gierke, Otto von, in: Michael Stolleis (Hg.), Juristen. Ein biographisches Lexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, S. 232–234. 118

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stischer Staat und unterscheidet sich eben dadurch vom Ständestaat germanischer Prägung. Es fehlt das Moment der „eigenen“ Zielsetzung, der „eigenen Sphäre“, der „Selbstverwaltung“. Umso wesentlicher erscheint mir, daß nun die deutsche Auffassung bei Ihnen so einleuchtend zum Ausdruck kommt121. Mit meiner neuen Arbeit komme ich nur langsam voran. Ich beschäftige mich jetzt mit französischem, englischem und amerikanischem Recht. Für Frankreich habe ich das Buch von Alibert (Le contrôle jurisdictionnel de l’administration)122, für England sind im letzten Heft des „Archivs“ einige Sachen angezeigt123. Leider habe ich den genauen Titel des Buches von Commons124, den Sie mir Pfingsten125 nicht genau angeben konnten126, bisher nicht feststellen können. | Vielleicht haben Sie die Freundlichkeit, ihn gelegentlich Herr[n] Friesenhahn127 mitzuteilen, den ich ja wohl bald hier zu treffen Gelegenheit haben werde. Mit Herrn Prof. Kaufmann128 habe ich kürzlich einmal ausführlich über meine Pläne gesprochen. Er riet mir sehr zu, die Verbindung von Staats120 Der korporative Staat. Ein autoritär verstandener korporativer Staat wurde nach deren eigener Aussage von den italienischen Faschisten unter Benito Mussolini verwirklicht. 121 Mit dieser besonderen deutschen Prägung von Selbstverwaltung schlossen sich Schmitt und Huber an Gierke und Hugo Preuß an. Diese argumentierten allerdings genossenschaftsrechtlich. Huber grenzt sich insbesondere vom italienischen Faschismus ab. 122 Raphael Alibert, Le contrôle jurisdictionnel de l’administration au moyen du recours pour excès de pouvoir, Paris 1926. 123 Angezeigt wurden von Otto Koellreutter u. a. folgende Monographien: Hermann Kantorowicz, Der Geist der englischen Politik und das Gespenst der Einkreisung Deutschlands; Noel Baker, The present juridical status of the British Dominions in international law; William A. Robson, Justice and Administrative Law, in: Archiv des öffentlichen Rechts 57, NF 18 (1930), S. 446, 451–453, 457 f. 124 John Rogers Commons, Industrial Government, New York 1929. 125 Der Pfingstsonntag fiel 1930 auf den 8. Juni. 126 Ein Brief von Pfingsten 1930 ist nicht überliefert. 127 Ernst Friesenhahn (1901–1984) war 1927 von Carl Schmitt promoviert worden und bereits seit 1924/25 sein Assistent in Bonn, ab 1930 erneut bei Schmitt an der Handelshochschule Berlin. Seit 1938 bekleidete er ein Extraordinariat für Öffentliches Recht in Bonn und lehrte dort erneut von 1946 bis 1970. Zwischen 1951 und 1963 war er Richter am Bundesverfassungsgericht. Nach 1933 brachen Schmitt und Friesenhahn ihren Kontakt ab. Huber und Friesenhahn kannten sich aus dem Bonner juristischen Seminar. Huber widmete ihm 1981 den sechsten Band seiner „Deutschen Verfassungsgeschichte“. Stefan Stolte, Ernst Friesenhahn, in: Mathias Schmoeckel (Hg.), Die Juristen der Universität Bonn im „Dritten Reich“, Köln u. a. 2004 (= Rechtsgeschichtliche Schriften, 18), S. 185–231. 128 Erich Kaufmann (1880–1972) lehrte seit 1920 auf einem Ordinariat für Öffentliches Recht in Bonn. Seit 1922 agierte er als Rechtsberater des Auswärtigen

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und Verwaltungsrecht mit Arbeits- und Wirtschaftsrecht zu wählen. Sein Seminar ist immer hochinteressant, eigentlich sogar spannend. Es blieb bisher nur sehr im Kritischen stecken, doch hat K.[aufmann] versprochen, abschließend seine Ansichten noch einmal im Zusammenhang vorzutragen. Indem ich Sie bitte, mich Ihrer Frau Gemahlin zu empfehlen, bin ich mit den besten Grüßen Ihr sehr ergebener Ernst Rudolf Huber

Nr. 22 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 18.9.1930 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Adresse: „Herrn Assessor D. E. R. / Huber / Bonn a. Rh. / Universität / Industrierechtliches / Seminar“, Absender: „Schmitt / Klopstocks[traße] / 48“

Lieber Herr Huber, eben lese ich in einem, soviel ich weiß[,] noch nicht veröffentlichten Urteil des R[eichs-]G[erichts] [rechts eingefügt: IV. Zivilsenat] vom 23. Juni 1930, anläßlich der Erörterung der Frage, ob 153 RV129 auch öffentlich-rechtliche Ansprüche schützt (was verneint wird)[,] eine interessante Bezugnahme auf Ihr Buch über die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte S. 6–10. Kennen Sie das Urteil (in Sachen Schulverband Soest gegen Preuß.[ischen] Fiskus)?130 Herzliche Grüße Ihres Carl Schmitt131. Berlin 18.9.1930.

Amtes. 1934 wurde er zunächst an die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin versetzt und dann als Jude zwangsemeritiert. Er emigrierte 1938 in die Niederlande. Nach seiner Rückkehr erhielt er 1950 eine Professur in München und war von 1950 bis 1958 Rechtsberater des Bundeskanzlers und des Auswärtigen Amtes. Kaufmann war Schmitts Intimfeind. Stefan Hanke/Daniel Kachel, Erich Kaufmann, in: Mathias Schmoeckel (Hg.), Die Juristen der Universität Bonn im „Dritten Reich“, Köln u. a. 2004 (= Rechtsgeschichtliche Schriften, 18), S. 387–424. 129 Abkürzung für „Reichsverfassung“. In dem Artikel ist von der Eigentumsgarantie die Rede. Siehe oben Anm. 32. 130 Das Urteil wurde wenig später veröffentlicht in: Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen. Bd. 129. Mit Anhang: Entscheidungen des Staatsgerichtshofs, hg. v. den Mitgliedern des Gerichtshofes und der Reichsanwaltschaft, Berlin/ Leipzig 1930, Nr. 50, S. 246–251. Der Bezug auf Huber: ebd., S. 250. 131 Huber besuchte Schmitt in Berlin am 30.10.1930. Schmitt, Tagebücher, S. 50.

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Nr. 23 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 23.1.1931 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Berlin, den 23. Januar 1931. Lieber Herr Huber, ich war sehr erfreut, Nachricht von Ihnen zu erhalten132 und besonders über die Mitteilung, daß Ihre Arbeit gut vorwärts geht. Hoffentlich geht es dann auch mit der Erledigung Ihrer Habilitation gut vorwärts. Was Ihre Frage angeht, so kann ich Ihnen nicht gut raten, einen Aufsatz über meine Publikationen zu schreiben, wenn Sie nicht von sich aus schon dazu entschlossen sind133. Die Schwierigkeit liegt natürlich nicht in dem zerstreuten Material, das Sie übrigens vollständig genug angegeben haben; sondern einmal in der Aufgabe eines zusammenfassenden Referates, das Ihnen vielleicht gerade jetzt nicht in die Gedankengänge Ihrer Arbeit paßt, und Ihnen unverhältnismäßig viel Zeit kostet; und zweitens in der mehr personal-taktischen Bedenklichkeit, überhaupt von mir zu sprechen und meinen harmlosen Namen zum Thema einer Erörterung zu machen; denn Sie wissen ja, wie dieser Name auf Viele wirkt. Diese beiden Bedenken (es gibt wahrscheinlich noch mehr, doch drängen sie sich nur im Augenblick besonders auf) beiseite gesetzt, würde ich mich natürlich über ein solches Referat von Ihnen sehr freuen, und wenn Sie dadurch den sehr gut gemeinten Plan der Blätter für deutsche Philosophie fördern helfen könnten, wäre das wohl auch kein schlechtes Werk. Nach dem Aufsatz von A. E. Günther in der Zeitschrift „Deutsches Volkstum“ (Jan 31)134 scheint mir ein juristisches (nicht etwa unpolitisches) Referat besonders à propos135. | Wenn Sie sich nun wirklich entschließen könnten, so käme es nicht auf die sog. philosophischen etc. Präliminarien an, mit denen man sich – ein Gegenbild zur Abrüstungskommission – „rüstet“, um nichts tun zu müssen und nicht gegenständlich zu werden. Deshalb fände ich Ihren Vorschlag richtig. Nur den „Ausnahmezustand“ möchte ich nicht missen; denn die Erkenntnis, daß sich hier der Kern des Staates enthüllt, ist eine schöne staatstheoretische Entdeckung und eine konkrete Erkenntnis. In dem Vortrag vom 132

Ein Schreiben Hubers fehlt. Huber schreibt aber einen Rezensionsaufsatz. Siehe unten Anm. 159. 134 Albrecht Erich Günther, Der Endkampf zwischen Autorität und Anarchie. Zu Carl Schmitts „Politischer Theologie“, in: Deutsches Volkstum 13 (1931), S. 11–20. 135 Franz.: „passend“. 133

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20. Jan. d. J.136 vor der Verwaltungsakademie Berlin137 habe ich gezeigt, wie nicht nur inhaltlich (vom militärisch-polizeilichen zum wirtschaftlichfinanziellen A.[usnahmezustand])[,] sondern auch in Beziehung auf die Staatsstruktur die Sache stimmt: der Ausnahmezustand des alten JustizStaates ist Standrecht, d.h. summarische Gerichtsbarkeit; im Exekutiv-Staat Übergang der vollziehenden Gewalt; im Gesetzgebungsstaat: gesetzvertretendes Verordnungsrecht. Ich lege einige Zeitungsnotizen bei138, mit der Bitte um gelegentliche Rückgabe (weil das die letzten Belege sind, die ich noch habe); Sie sehen, wie ich hier produziere; alles in Vorträgen zerstreut, weil meine Schreibfaulheit grenzenlos ist. Doch ist diese Art Wirkung in Berlin sehr groß, gerade weil sie anonym ist. Ihre Auslegung des Art. 24 RV.139 halte ich nicht für richtig. Smend140 läßt übrigens eine Dissertation darüber schreiben, die bald fertig sein soll141. Wir wollen sie abwarten. Heute habe ich noch 2 Fragen, für deren baldige Beantwortung ich Ihnen besonders dankbar wäre: haben Sie Zeit[,] die Korrekturen meiner Neuausgabe des „Hüter der Verfassung“142 mitzulesen? (da es sich um eine sowohl 136

Abkürzung für: „d[ies]es Jahres“. Der Vortragstitel lautete: „Über die staatsrechtliche Bedeutung der Notverordnung vom 1. Dezember“. In den Verwaltungsakademien wurden Kommunalbeamte weitergebildet; die Berliner Einrichtung wurde 1919 gegründet. Schmitt, Tagebücher, S. 81, Anm. 525. 138 Die Beilagen zum Brief fehlen. 139 In Art. 24 der Weimarer Verfassung war der jährliche Zusammentritt des Reichstags am ersten Mittwoch im November festgelegt. Huber, Dokumente, Bd. 3, Nr. 154, S. 133. 140 Rudolf Smend (1882–1975) war einer der bekanntesten deutschen Staatsund Kirchenrechtler im 20. Jahrhundert. Er lehrte seit 1915 in Bonn, wechselte 1922 nach Berlin und wurde 1935 nach Göttingen versetzt, wo er bis 1951 tätig war. Gegenüber dem NS-Regime wahrte er eine kritische Distanz. E.[rnst] R.[udolf] Huber, Rudolf Smend, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen für das Jahr 1976, Göttingen 1977, S. 105–121. Zu Schmitts Verhältnis zu Smend ausführlich: „Auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts“. Briefwechsel Carl Schmitt – Rudolf Smend 1921–1961, hg. v. Reinhard Mehring, Berlin 2010. 141 Es ist unklar, auf welche Arbeit sich Schmitt hier bezieht. Wohl eher nicht gemeint ist Heinz Schütz, Die Einberufung des Reichstags nach Art. 24 der Reichsverfassung, jur. Diss., Erlangen-Bruck 1932. 142 Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, Tübingen 1931 (= Beiträge zum öffentlichen Recht der Gegenwart, 1). Die erste Fassung war erschienen in: Archiv des öffentlichen Rechts 16 (1929), S. 161–237. Alain de Benoist, Carl Schmitt. Internationale Bibliographie der Primär- und Sekundärliteratur, Graz 2010, S. 35, 97. 137

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lästige wie eilige Arbeit handelt, wäre es ganz | von selbst verständlich, wenn Sie nein sagten; Friesenhahn frage ich nicht, weil ich weiß, daß er sehr in Anspruch genommen ist); zweitens, das Wichtigste: ich suche für den Sommer einen Assistenten, wie damals Friesenhahn im vorigen Sommer. Werner Weber143 hat im Kultusministerium einen so schönen Anfang, das[s] ich ihn im Sommer nicht in Anspruch nehmen will. Wäre vielleicht Fräulein Simons144 bereit, im Sommer zu kommen? Zu denselben Bedingungen, wie damals Friesenhahn, bei dem Sie das Nähere erfragen könnten. Oder wissen Sie sonst jemanden? Ich müßte noch mit dem Kuratorium sprechen. Doch glaube ich, dass sich alles wieder wie im vorigen SommerSemester einrichten läßt. Herzliche Grüße Ihres stets ergebenen Carl Schmitt.

Nr. 24 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 10.2.1931 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

10.2.31. Lieber Herr Huber, besten Dank für die freundliche Besorgung der Korrekturen; hoffentlich hält es Sie nicht zu sehr auf und quält Sie der unfertige Zustand der jetzigen Fassung nicht allzuviel. Ich ändere noch manches. Dürfte ich Sie bitten, mir bald mitzuteilen, was Sie über einen Herrn Dr. Barion145 wissen oder erfahren können, der im November eine Antrittsvor143 Werner Weber (1904–1976) wurde 1930 von Schmitt promoviert und fand 1931 eine Anstellung im preußischen, 1934 im Reichskultusministerium. 1935 wurde er auf eine Professur für Öffentliches Recht an die Handelshochschule Berlin berufen und wechselte 1942 nach Leipzig. 1945 wurde er zunächst amtsenthoben, bevor er 1949 in Göttingen wieder einen Lehrstuhl erhielt. Christian Starck, Würdigung – Erinnerung an Werner Weber (geb. 1904), in: Die Öffentliche Verwaltung 57 (2004), S. 996–1000. 144 Tula Simons (1905–2000) war „Fakultätsassistentin“ bei Schmitt und heiratete 1933 Ernst Rudolf Huber. Sie wirkte bei vielen seiner Publikationen mit und arbeitete nach 1945 als Rechtsanwältin in Freiburg. Das Ehepaar Huber hatte fünf Söhne, die zwischen 1934 und 1942 geboren wurden. Marion Röwekamp, Juristinnen – Lexikon zu Leben und Werk, Baden-Baden 2005, S. 148–150. 145 Hans Barion (1899–1973) habilitierte sich 1930 in Bonn und lehrte seit 1933 katholisches Kirchenrecht an der Staatlichen Akademie Braunsberg (Ostpreußen), 1938 in München und 1939 in Bonn. 1945 wurde er amtsenthoben. Barion war langjähriger Freund Schmitts und gab 1968 die Festschrift für Schmitt mit heraus.

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lesung (in Bonn oder Köln; er wohnt in Wesseling146) gehalten hat, und zwar über das Thema „Rudolph Sohm im Widerstreit der Meinungen“147. Ist es etwas Ernsthaftes? Können Sie etwas über ihn und die Vorlesung erfahren? Herzliche Grüße Ihnen und den gemeinsamen Bekannten von Ihrem Carl Schmitt.

Nr. 25 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 28.3.1931 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich

28.3.31. Lieber Herr Huber, hier überreiche ich Ihnen ein Exemplar des „Hüter der Verfassung“ und danke Ihnen nochmals von Herzen für Ihre Hilfe bei der Korrektur. Gleichzeitig benutze ich diese Gelegenheit, Ihnen für Ihre Arbeit guten Erfolg zu wünschen. Ich habe vor, diese Tage nach Westfalen148 zu reisen und dort bis Mitte April zu bleiben. Um diese Zeit soll ich in Barmen einen Vortrag halten149. Vielleicht läßt es sich einrichten, daß wir uns in den Ferien sehen; ich würde mich besonders freuen, wenn es sich einrichten ließe, daß wir einen Tag in Ruhe miteinander sprechen könnten. Würden Sie mir bitte | nach Plettenberg 2 Bahnhof (Westfalen) Nachricht geben, wie Sie in den nächsten Wochen zu erreichen sind. Von Frl. Simons habe ich keine Nachricht. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es übernehmen wollten, sie zu einer Mitteilung zu veranlassen, von hier aus ist alles in Ordnung und kann sie ihre Tätigkeit übernehmen. Ich habe ihre Bonner Adresse verlegt und muß Sie deshalb um diesen Gefallen bitten. Thomas Marschler, Kirchenrecht im Bannkreis Carl Schmitts. Hans Barion vor und nach 1945, Bonn 2004. 146 Stadt zwischen Bonn und Köln. 147 Hans Barion, Rudolph Sohm und die Grundlegung des Kirchenrechts. Bonner Antrittsvorlesung, Tübingen 1931 (= Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 81). 148 Gemeint ist Plettenberg. 149 Das Tagebuch verzeichnet keinen solchen Vortrag, wohl aber den Aufenthalt in Westfalen und im Rheinland vom 2. bis zum 20. April 1931. Schmitt, Tagebücher, S. 102–105.

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Schließlich noch eine Bitte von Frau Schmitt. Einen der schönen Amethyste, und zwar den so [eingefügte Zeichnung] gestaltigen (nicht die Druse150), den Sie mir einmal schenkten151, habe ich verloren. Ich möchte einen ähnlichen kaufen und Sie bitten, mir die Adresse eines Geschäftes zu sagen, wo man ihn bestellen kann. Auf Wiedersehn lieber Herr Huber[,] herzliche Grüße Ihres Carl Schmitt.

Nr. 26 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 12.4.1931 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Lieber Herr Huber, vielen herzlichen Dank für Ihren Brief152. Ich komme Mitte dieser Woche für einige Tage nach Köln und wollte Sie fragen, ob wir uns vielleicht Freitag153 nachmittag sehen könnten, etwa so, daß Sie um ½ 6 in Köln ankommen und ich Sie an der Trankgasse154 abhole und wir dann abends mit Frl. Simons zu Abend essen und Sie an den Zug nach Berlin bringen155. Wenn Sie Freitag verhindert sind, geben Sie mir bitte Nachricht an die Adresse: bei Dr. med. Jos. Schmitt156, Köln-Kalk157, Lahnstr. 4. Ich freue mich sehr darauf, Sie wiederzusehn und bleibe mit den besten Grüßen immer Ihr Carl Schmitt 12.4.31.

150 Bezeichnung für einen unvollständig mit Kristallen ausgefüllten Hohlraum im Gestein. 151 Siehe oben Brief Nr. 7. 152 Ein Schreiben Hubers zwischen diesen beiden Briefen Schmitts ist nicht überliefert. 153 17.4.1931. Sonntags, 19.4., trafen sich beide nochmals. Schmitt, Tagebücher, S. 104 f. 154 Die Trankgasse liegt in der nördlichen Kölner Altstadt zwischen Hauptbahnhof und Rheinufer. 155 Schmitt kam nach Köln und traf Huber und Tula Simons wie vorgeschlagen am 17. und 19.4.1931. Schmitt, Tagebücher, S. 104 f. 156 Schmitts Bruder Joseph (1892–1978) praktizierte als Arzt in Köln. 157 Kalk ist ein rechtsrheinischer Stadtteil von Köln.

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Nr. 27 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Bonn, 29.4.1931 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6250 Brief, handschriftlich

Bonn, 29. April 1931 Schumannstr. 66 II Hochverehrter Herr Professor, unsrer Verabredung gemäß schickte ich Ihnen vorige Woche die Dissertation von Rudolf Krieger158; sie ist hoffentlich in Ihre Hände gelangt. Ich bin jetzt dabei, den kleinen Bericht über den „Hüter der Verfassung“ für die Blätter für deutsche Philosophie zu schreiben159. Ich habe vor, nur den Mittelteil zu behandeln, und zwar nicht in Form einer Wiedergabe und Kritik Ihrer Darstellung des heutigen Verfassungszustands160, wozu ich natürlich nicht im Geringsten kompetent bin. Ich will vielmehr untersuchen, in welchem Sinne solche verfassungspolitischen Entwicklungserscheinungen überhaupt Gegenstand einer „Verfassungstheorie“ sein können. Dazu bedarf es einer Auseinandersetzung mit dem „positiven Verfassungsbegriff“, der Ihrer Verfassungslehre zugrunde liegt. Ich hoffe zeigen zu können, daß Gegenstand einer wirklichen Verfassungstheorie (wie Sie sie begründet und systematisch aufgebaut haben) gerade die Spannung ist, die zwischen der „geltenden“ Verfassung und den „Erscheinungen der Verfassungswirklichkeit“ besteht, daß also weder eine rein statische noch ein[e] rein dynamische Betrachtung, ebenso weder eine rein normative noch eine rein existentielle Betrachtung zu einer wirklichen Verfassungstheorie führt. Die Kraft Ihrer Argumentation (etwa bei der Auslegung des Art. 48161 oder der Bestimmung der Stellung des Reichspräsidenten162) scheint mir auf dieser Verbindung von Gesichtspunkten zu beruhen, die aus der geltenden Verfassung und zugleich aus den besondren Bedingungen der „konkreten politischen Situation“ gewonnen werden. Ich werde mich dabei mit einigen Grundbe158 Rudolf Krieger, Sprache und Rhythmus der späten Hymnen Hölderlins, phil. Diss. Gießen 1928, Stuttgart 1928. 159 Ernst Rudolf Huber, Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt, in: Blätter für Deutsche Philosophie 5 (1931/32), S. 302–315. Siehe Anhang II.6. 160 Beim „Mittelteil“ handelte es sich um das zweite von drei Kapiteln, das die Überschrift „Die konkrete Verfassungslage der Gegenwart“ trug. Schmitt, Hüter, S. 71–131. 161 Art. 48 der Reichsverfassung enthielt das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten. Huber, Dokumente, Bd. 3, Nr. 154, S. 136 f. 162 Die Ausführungen finden sich bei Schmitt, Hüter, S. 115–131 (Art. 48) bzw. ebd., S. 132–159 (Reichspräsident).

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griffen | Ihrer „Verfassungslehre“ kritisch auseinandersetzen müssen; ich habe Bedenken gegen die Definition der Verfassung als „Entscheidung“ und glaube, daß man sagen muß, daß die Verfassung auf einer Entscheidung (oder einem Vertrag) beruht, ferner daß bestimmte Verfassungselemente nur mittelbar mit der politischen Einheit gegeben sind und insoweit eine „bewußte“ Gestaltung durch den Träger der verfassungsgebenden Gewalt nicht stattfindet. Beides findet sich in Ihrer „Verfassungslehre“ ausgesprochen, und ich glaube, damit nicht in Gegensatz zu Ihrer Auffassung zu treten. Nicht ganz klar scheinen mir auch Ihre Ausführungen über die „Rechtfertigung“ der Verfassung zu sein (Verfassungslehre S. 87)163; mir scheint die Rechtfertigung in der die politische Einheit konstituierenden politischen Idee (natürlich nicht in einer „ethischen oder juristischen Norm“) gegeben zu sein; in diesem Sinn liegt die Rechtfertigung dann, wie Sie sagen, „in der politischen Existenz“. Mit diesen Andeutungen meiner bescheidenen Einwendungen möchte ich mich hier begnügen. Vielleicht erlauben Sie, daß ich Ihnen demnächst den Entwurf meines Referats übersende; ich möchte die für mich sehr heikle Aufgabe nicht ohne Einvernehmen mit Ihnen erledigen. Den Aufsatz von Voegelin164 habe ich inzwischen gelesen165; er ist in der Haltung ja sehr fair, ich finde aber nicht, daß er in der Sache wesentlich weiterhilft. Auch die Entscheidung des Reichsarbeitsgerichts über die Betriebsvertretung bei den Russen habe ich inzwischen gesehen (Bensheimer Sammlung Bd. II Heft 2166); sie redet an Ihnen und an Mendelssohn167 vorbei, in der üblichen Art, mit der die Gerichte unbequeme Gutachten behandeln. Die letzten Entscheidungen des StGH168 und vor allem die Erklärung 163

Carl Schmitt, Verfassungslehre, München/Leipzig 1928. Der deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Eric(h) Voegelin (1901– 1985) lehrte seit 1928 Allgemeine Staatstheorie in Wien, emigrierte 1938 in die USA und wurde Professor in Baton Rouge. 1958 nahm er einen Ruf an die Universität München an und wechselte 1969 zurück nach Stanford, wo er bis 1974 unterrichtete. Michael Henkel, Eric Voegelin zur Einführung, Hamburg 1998. 165 Erich Voegelin, Die Verfassungslehre von Carl Schmitt. Ein Versuch einer Analyse ihrer staatstheoretischen Prinzipien, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 11 (1931), S. 89–109. 166 Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts, hg. v. den Mitgliedern des Gerichtshofes, Bd. 2, Berlin/Leipzig 1929. Der Name „Bensheimer Sammlung“ leitet sich von der Sammlung der Entscheidungen der Reichs- und Landesarbeitsgerichte her, die ursprünglich im Mannheimer Verlag J. Bensheimer erschien. 167 Albrecht Mendelssohn Bartholdy (1874–1936), ein Enkel des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy, lehrte seit 1920 Zivilprozess, Auslandsrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Hamburg. Er wurde wegen seiner jüdischen Herkunft 1933 in den Ruhestand versetzt und emigrierte ein Jahr später nach England. Gisela Gantzel Kress, Mendelssohn Bartholdy, Albrecht, in: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), S. 62 f. 164

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des Vorsitzenden169 darf man wohl unmittelbar auf Ihre Arbeiten zurückführen. Die Erklärung selbst ist für ein „Gericht“ doch sehr ungewöhnlich und zeigt wieder einmal, daß auch in dem Verzicht auf Politik eine politische Entscheidung (hier natürlich eine richtige) liegt. Mit dem zweiten Teil meiner Arbeit über den „Rechtsschutz im Wirtschafts- | verwaltungsrecht“ bin ich fertig170, bis auf einige Literaturhinweise, die nicht mehr viel Arbeit machen. Als Untertitel dachte ich hinzuzufügen: „Untersuchung über die Beziehungen von Justiz und Verwaltung im Arbeits- und Unternehmensrecht“171. Sie waren so freundlich, mir in Aussicht zu stellen, daß Sie sich an Herrn Siebeck wegen der Aufnahme in die „Beiträge“172 wenden wollten. Soll ich zunächst selbst einmal an Siebeck schreiben oder wollen Sie unmittelbar etwas unternehmen? Ich habe daran gedacht, eine Antrittsvorlesung über ‚Reichsverfassung und Wirtschaft‘ zu halten173 und dabei vor allem auch auf Ihre These vom „Wirtschaftsstaat“174 einzugehen – im übrigen auf Wirtschaftsneutralität, Wirtschaftsfreiheit, Gemeinwirtschaft, Wirtschaftsdemokratie, Wirtschaftsverfassung, Interventionismus und was sonst in diesen Rahmen gehört. Auch hier wäre ich Ihnen für ein Urteil sehr dankbar. Im Winter hoffe ich[,] neben Wirtschaftsrecht ein einstündiges Kolleg über ‚Grundrechte‘ oder über ‚Staatstheorien der Gegenwart‘ halten zu können175. 168 Abkürzung für „Staatsgerichtshof“. Präsident des Reichsgerichts und in Personalunion des Staatsgerichtshofs war Erwin Bumke. 169 Erwin Bumke (1874–1945) war seit 1929 der letzte amtierende Reichsgerichtspräsident. Dieter Kolbe, Reichsgerichtspräsident Dr. Erwin Bumke. Studien zum Niedergang des Reichsgerichts und der deutschen Rechtspflege, Karlsruhe 1975 (= Studien und Quellen zur Geschichte des deutschen Verfassungsrechts, A 4); Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 2007, S. 84. Die erwähnte Erklärung Bumkes war nicht zu ermitteln. 170 Es geht um die Habilitationsschrift Hubers, das „Wirtschaftsverwaltungsrecht“. 171 Der endgültige Untertitel lautete: „Institutionen des öffentlichen Arbeits- und Unternehmensrechts“. 172 Gemeint sind die bei Mohr zwischen 1931 und 1940 in sieben Bänden erschienenen „Beiträge zum öffentlichen Recht der Gegenwart“. Als Band 1 war Carl Schmitts „Hüter der Verfassung“ herausgekommen. 173 Huber hielt seine Antrittsvorlesung unter dem Titel „Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat“ am 22. Juli 1931. Archiv der Juristischen Fakultät Bonn, Personalakte Huber, fol. 11. 174 Carl Schmitt, Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates (1930), in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, Berlin 1958, S. 41–59, hier S. 42–45. 175 Huber wurde am 25. Juni 1931 die Venia legendi (Lehrbefugnis) für Staatsrecht, Verwaltungsrecht, Staatskirchenrecht, Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht verliehen. Archiv der Juristischen Fakultät Bonn, Personalakte Huber, fol. 8.

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Indem ich Sie bitte, mich Frau Schmitt empfehlen zu wollen, bin ich mit herzlichen Grüßen Ihr ganz ergebener Ernst Rudolf Huber

Nr. 28 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 2.5.1931 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

2. Mai 1931 Lieber Herr Huber, vielen Dank für die Zusendung der Dissertation von Rudolf Krieger, sie wurde mir sofort von einem großen Hölderlin176Freund177 weggenommen. Hoffentlich darf ich sie noch einige Wochen behalten, weil ich sie in Ruhe durchlesen möchte, ehe ich sie Ihnen zurückgebe. Besten Dank auch für Ihren Brief vom 29. April. Auf Ihren Bericht über den „Hüter der Verfassung“ freue ich mich sehr, besonders auf Ihre kritischen Äußerungen. Es kann für mich nichts geben, was wertvoller und mehr antreibend wäre, als eine solche Kritik; und da sie nicht von älteren oder gleichaltrigen Kollegen zu erwarten ist, bin ich hier ganz auf Sie und wenige andere junge Juristen angewiesen. Daß Sie sagen, die „Rechtfertigung“ der Verfassung führe zur rechtfertigenden politischen Idee[,] scheint sich übrigens, wenn ich richtig sehe, mit Voegelins Versuch zu treffen, die „politische Idee“ in die Verfassungslehre einzuführen. Sie sprechen in Ihrem Brief von einer Erklärung des Vorsitzenden des StGH. Wo ist sie veröffentlicht?178 Ich weiß im Augenblick nicht, was Sie damit meinen. Siebeck schreibe ich gleich wegen Ihrer Arbeit. Das Thema Ihrer Antrittsvorlesung ist hochaktuell und wird die Mitglieder meines gegenwärtigen Seminars besonders interessieren179. Der Rechtsanwalt der hiesigen 176 Der Dichter Friedrich Hölderlin (1770–1843) stieß nach dem Ersten Weltkrieg auf großes Interesse. Ulrich Gaier, Hölderlin. Eine Einführung, Tübingen 1993. 177 Möglicherweise war es der mit Schmitt befreundete Journalist Veit Roßkopf (1898–1976), der mit einer Arbeit zum Thema „Der Titel des lyrischen Gedichts“ 1927 in Tübingen promoviert worden war. 178 Siehe oben Anm. 169. 179 Im Sommersemester 1931 hielt Schmitt ein öffentlich-rechtliches Seminar am Donnerstagabend ab. Schmitt, Tagebücher, S. 468.

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freien Gewerkschaften, Dr. Franz Neumann180[,] hält in diesem Seminar ein Referat über den Begriff der Wirtschaftsverfassung181. Es tut mir nur leid, daß die | Publikation Ihrer Antrittsvorlesung in der Sammlung Recht und Staat182 dadurch erschwert sein dürfte, daß gerade eine Bonner Antrittsvorlesung (Barion) dort erschienen ist183 und Siebeck nicht mehr als 2 oder 3 Nummern im Jahr veröffentlichen will184. Auf Wiedersehn, lieber Herr Huber, ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute für Ihre Habilitation und bleibe mit den besten Grüßen, denen sich auch meine Frau anschließt, immer Ihr Carl Schmitt. PS. 1) Ihren Aufsatz im „Ring“185 habe ich in diesem Augenblick gelesen; ich finde ihn sehr schön, besonders den Schluß über den innerpolitischen Pazifismus186. Die Vorbemerkung der Redaktion läßt allerhand ahnen und vermuten187. 180 Der Rechtsanwalt und Politikwissenschaftler Franz Leopold Neumann (1900– 1954) war 1928–1933 Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik, emigrierte 1933 nach England und von dort in die USA. 1948 wurde er Professor an der Columbia Universität und begründete als Gastprofessor in Berlin die westdeutsche Politikwissenschaft mit. Samuel Salzborn (Hg.), Kritische Theorie des Staates. Staat und Recht bei Franz L. Neumann, Baden-Baden 2009 (= Staatsverständnisse, 25). 181 Der Vortrag in Schmitts Seminar fand am 25.6.1931 statt. Schmitt, Tagebücher, S. 119. 182 Die Reihe „Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart. Eine Sammlung von Vorträgen und Schriften aus dem Gebiet der gesamten Staatswissenschaften“ erschien von 1913 bis 1983 mit insgesamt 512 Heften. 183 Siehe oben Anm. 147. 184 Barions Beitrag wurde als Nr. 81 der Reihe gezählt, Hubers als Nr. 85. Allein 1931 erschienen neun Hefte mit den Nummern 78 bis 86. 185 Unter dem Pseudonym Manfred Wild, Der Hüter der Verfassung, in: Der Ring 4 (1931), S. 328–330. Siehe Anhang II.5. Vgl. dazu Stefan Breuer, Carl Schmitt im Kontext. Intellektuellenpolitik in der Weimarer Republik, Berlin 2012, S. 186. Die Zeitschrift „Der Ring“ erschien seit 1928 und war dem jungkonservativen Spektrum zuzuordnen. Armin Mohler, Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932. Ein Handbuch, 4. Aufl., Darmstadt 1994, S. 293. Huber schrieb in diversen nationalkonservativen Blättern unter verschiedenen Pseudonymen. Dieter Grimm, Der Akteur als Historiker. Zum Abschluß von Hubers Deutscher Verfassungsgeschichte, in: Rechtshistorisches Journal 5 (1986), S. 83–90; Breuer, Schmitt im Kontext, S. 180–187, u. passim. 186 Wild, Hüter der Verfassung, S. 330: „Es ist eine besondere verfassungspolitische Form des Pazifismus, die sich in dem Streben nach einer Verfassungsjustiz äußert.“ Huber warnt anschließend vor einer Verschiebung politischer Fragen in den Justizbereich. 187 Die Schriftleitung hob hierin die grundsätzliche Bedeutung der Frage hervor im Hinblick auf den „totalen Staat“, über den eine besondere Studie angekündigt wurde. Ebd., S. 328. Zum „Ring“-Kreis: Breuer, Schmitt im Kontext, S. 173–197. Zu Hubers Engagement: ebd., S. 180–187.

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2) Ich habe hier eine gute Dissertation über den R[eichs-]Wirtsch[afts-]Rat von Haubold188. Wenn es Sie für Ihre Antrittsvorlesung interessiert, veranlasse ich Herrn H.[aubold][,] Ihnen einen Abdruck des Manuskripts zu schicken. Nr. 29 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 27.6.1931 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Berlin, 27. Juni 1931. Lieber Herr Huber! Vielen Dank für Ihren Brief vom 25. Juni189, über den ich mich sehr freue. Ich wünsche Ihnen von Herzen Glück zu dem Beginn Ihrer akademischen Laufbahn und hoffe, daß sich Ihre große Begabung und Ihr ernstes Interesse an dieser schicksalvollen Sache dort bald zu allgemeiner Anerkennung durchsetzt. Zu dem Thema „Wirtschaftsstaat“ darf ich Sie vielleicht noch, wenn Sie es nicht schon kennen sollten, auf die Vorträge von Popitz190 hinweisen, die soeben in dem von Harms191 herausgegebenen Sammelwerk: Kapital und Kapitalismus (bei R. Hobbing192) erschienen sind (die Kapitalwirtschaft der öffentl.[ichen] Hand; die Kapitalbildung der öffentlichen Hand193). Darauf, 188 Wilhelm Haubold, Die Stellung des Reichswirtschaftsrates in der Organisation des Reiches, Berlin 1932. Der 1901 geborene Haubold absolvierte seine mündliche Doktorprüfung am 29.7.1931, erhielt von Schmitt aber nur ein „genügend“. Schmitt, Tagebücher, S. 127. 189 Dieses Schreiben Hubers fehlt. Er hatte darin u. a. seine am selben Tag erfolgte Habilitation mitgeteilt. 190 Johannes Popitz (1884–1945) wirkte von 1925 bis 1929 als Staatssekretär im Reichsfinanzministerium, ab 1933 als preußischer Finanzminister. Er schloss sich der nationalkonservativen Widerstandsgruppe des 20. Juli 1944 an und wurde als deren Mitglied 1945 hingerichtet. Schmitt war mit Popitz befreundet und widmete ihm 1958 seine „Verfassungsrechtliche[n] Aufsätze“. Gerhard Schulz, Popitz, Johannes, in: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 620–622; Lutz-Arwed Bentin, Johannes Popitz und Carl Schmitt. Zur wirtschaftlichen Theorie des totalen Staates in Deutschland, München 1972 (= Münchener Studien zur Politik, 19). 191 Bernhard Harms (1876–1939) lehrte von 1908 bis 1933 an der Universität Kiel Wirtschaftswissenschaft und gründete dort 1911/14 das Institut für Weltwirtschaft. Karl C. Thalheim, Harms, Christoph Bernhard Cornelius, in: Neue Deutsche Biographie 7 (1966), S. 682 f. 192 Der 1903 von Reimar Hobbing (gest. 1919) gegründete Verlag hatte sich auf die Fächer Geschichte und Politik spezialisiert. Ende der 1920er Jahre war er der fünftgrößte Verlag in Berlin.

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daß Ihr Vortrag bald erscheint, freue ich mich außerordentlich. Mit Dr. Siebeck sprach ich noch einmal in Freiburg; die Zusammendrängung Ihrer Arbeit auf 15 Bogen194 ist kein Unglück, jedenfalls eine der schönsten Gelegenheiten, aus der Not eine besonders schöne Tugend zu machen. Ich kann die Verhältnisse in Bonn nicht beurteilen, verstehe aber Ihr Interesse an einer öffentlich-rechtlichen Übung sehr gut. Wenn ich mir noch eine, etwas Äußerliches betreffende Anregung erlauben darf, so möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht gleich Mitglied der V.[ereinigung] der deutschen Staatsrechtslehrer werden | können195. Den Aufsatz Ihres Freundes Krieger schicke ich als Drucksache zurück; er hat mir (und andern Hölderlin-Verehrern) gut gefallen. Auch das MS.196 Ihres Aufsatzes über meine geistreichen Werkchen gebe ich mit bestem Dank zurück. Über Ihre kritischen Bemerkungen zur verfassunggebenden Gewalt möchte ich mich mit Ihnen mündlich unterhalten; auch über die verschiedenen Verfassungsbegriffe, von denen einem einige bei der Betrachtung der Grundrechte (die etwas andres sind als erschwert abänderbare Gesetze oder „Rechte“) von selber aufgehen. Sie werden es bei Ihrer Vorlesung sehen. Daß Sie mich als „politischen Soziologen“ bezeichnen197, liefert mich der Gemeinheit und Bosheit zahlreicher Kollegen aus, die Ihnen lebhaft zustimmen werden, ohne weiteres Interesse an Ihren sonstigen Ausführungen. Ich füge noch 2 kleine Separata198 bei, nur als Zeichen, nicht als eine wichtige Angelegenheit. Der [am linken Rand: für das Handbuch übernommene] einleitende Aufsatz über „Grundrechte“ macht mir viel Mühe und 193 Johannes Popitz, Die Kapitalwirtschaft der öffentlichen Hand, in: Bernhard Harms (Hg.), Kapital und Kapitalismus. Vorlesungen gehalten in der Deutschen Vereinigung für Staatswissenschaftliche Fortbildung, Bd. 2, Berlin 1931, S. 226–262; ders., Die Kapitalbildung der öffentlichen Hand, in: ebd., Bd. 1, S. 251–288. 194 Das sind 240 Seiten. Am Ende hatte Hubers „Wirtschaftsverwaltungsrecht“ 304 Seiten, d.h. 19 Bogen. 195 Die Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer wurde auf Anregung von Heinrich Triepel 1922 in Berlin gegründet, 1949 wiederbelebt und besteht bis heute. Ulrich Scheuner, Die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in der Zeit der Weimarer Republik, in: Archiv des öffentlichen Rechts 97 (1972), S. 349–374; Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 3: Staatsund Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914–1945, München 1999, S. 186–202. 196 Abkürzung für: „Manuskript“. 197 Huber, Verfassung und Verfassungswirklichkeit, S. 309. Das Zitat lautet: „wodurch unterscheidet sich eine solche [d.h. Schmitts] Verfassungstheorie von einer politischen Soziologie“. Siehe Anhang II.6. 198 Es könnte sich um folgende Anfang 1931 erschienene zwei Aufsätze gehandelt haben: Carl Schmitt, Reichs- und Verfassungsreform, in: Deutsche Juristen-Zeitung 36 (1931), Sp. 5–11 sowie ders., Die Wendung zum totalen Staat, in: Europäische Revue 7 (1931), S. 241–250.

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Ärger199. Die Dummköpfe von „Positivisten“200, die sich in Weimar201 über Naumann202 lustig machten, beherrschen heute noch das Feld, aber noch schlimmer: sie positivieren den opportunistischen Sammeltopf des 2. Hauptteils203. Lesen Sie bitte einmal den von groben Selbstwidersprüchen starrenden Aufsatz des Präsidenten Jahn im Reichsverw.[altungs]blatt vom 20. Juni über die wohlerworbenen Rechte204. Doch will ich nicht schimpfen und zanken, denn dieser Brief sollte etwas ganz andres sein, nämlich ein Glückwunsch für Sie und Ihren neuen status. Arbeiten Sie gut weiter, lassen Sie sich nie entmutigen und vergessen Sie nicht, daß ich immer gern bereit bin, Ihnen so gut ich kann, zu helfen. Stets Ihr Carl Schmitt. Nr. 30 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Paderborn, 3.9.1931 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Motiv auf der Rückseite: Ansicht der Jesuitenkirche in Paderborn205, Adresse: „Herrn Privatdozenten / Dr. E. R. Huber / Villa Fernsicht / Ostseebad Kellenhusen“206

Lieber Herr Huber, herzlichen Dank für Ihren Brief207, den ich gut verstehe und der meinen Wunsch, mit Ihnen zu sprechen, sehr lebhaft gemacht hat. 199 Carl Schmitt, Inhalt und Bedeutung des zweiten Hauptteils der Reichsverfassung, in: Gerhard Anschütz/Richard Thoma (Hg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts, Bd. 2, Tübingen 1932, S. 572–606. 200 Schmitt zählte wie Rudolf Smend und Hermann Heller zu der Gruppe der sogenannten Antipositivisten, die sehr heterogen zusammengesetzt war. Zu den Positivisten gehörten vor allem Gerhard Anschütz und Richard Thoma, die Herausgeber des Staatsrechts-Handbuchs. 201 Während der Verfassungsberatungen zur Weimarer Reichsverfassung von 1919. 202 Der liberale Politiker Friedrich Naumann (1860–1919) gehörte als Mitgründer und erster Vorsitzender der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) 1919 der Weimarer Nationalversammlung an und war Mitglied in deren Verfassungsausschuss. Rüdiger vom Bruch (Hg.), Friedrich Naumann in seiner Zeit, Berlin 2000. 203 Der zweite Hauptteil der Weimarer Reichsverfassung enthielt in den Artikeln 109 bis 165 die „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen“. Huber, Dokumente, Bd. 3, Nr. 154, S. 145–154. 204 [Gustav] Jahn, Die wohlerworbenen Rechte der Beamten, in: Reichsverwaltungsblatt und Preußisches Verwaltungsblatt 52 (1931), S. 481–485. Jahn war bis Ende 1930 Präsident des Reichsfinanzhofs in München gewesen. Zum Thema: Carl Schmitt, Wohlerworbene Rechte und Gehaltskürzungen (1931), in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954. Materialien zu einer Verfassungslehre, Berlin 1958, S. 174–180. 205 Die zwischen 1682 und 1692 errichtete Jesuitenkirche St. Franz Xaver war eine Stiftung Fürstbischof Ferdinands von Fürstenberg (1661–1683) für die Paderborner Jesuiten.

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Hoffentlich können wir uns einmal im Oktober treffen208, wenn Sie mit Ihrer Arbeit209 fertig sind. Alle guten Wünsche Ihres Carl Schmitt. 3.9.31

Nr. 31 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Bonn, 12.10.1931 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6251 Brief, handschriftlich

Bonn, 12. Oktober 1931 Godesbergerstr. 6 II Hochverehrter Herr Professor, vor einer Woche habe ich Ihnen die Revisionsbogen meiner Antrittsvorlesung geschickt210. Inzwischen habe ich das Manuskript Ihres Beitrags für die Festschrift der Handelshochschule211 gelesen. Ich bedaure nun doch sehr, bei der Abfassung meiner Vorlesung Ihre wichtigen prinzipiellen Ausführungen noch nicht gekannt zu haben. Die Unterscheidung von institutioneller Garantie und Institutsgarantie ist so unmittelbar einleuchtend, daß sie sich bald durchgesetzt haben wird. Nun ist auffällig, daß die Rechtsinstitute, die Gegenstand einer Garantie sind, durchweg privatrechtlichen Charakter tragen; und es wäre interessant zu wissen, weshalb das so ist. Mir ist etwas bedenklich, ob dieser privatrechtliche Charakter wirklich eine entscheidende Rolle spielt. Von der Ehe ist ohnedies zweifelhaft, ob sie ein Institut des Privatrechts ist; gerade Art. 119 deutet auf den Zusammenhang mit öffentli206 Kellenhusen liegt in Ostholstein an der Lübecker Bucht zwischen Neustadt und Heiligenhafen. 207 Es handelt sich um einen verlorenen Brief Hubers an Schmitt, vermutlich vom August 1931. 208 Huber besuchte Schmitt in Berlin am 26.9.1931; außerdem trafen sich beide auf der Staatsrechtslehrertagung in Halle am 29.10.1931. Schmitt, Tagebücher, S. 138, 141. 209 Gemeint war vielleicht die Drucklegung der Habilitationsschrift über das „Wirtschaftsverwaltungsrecht“, die 1932 erschien. 210 Für den Fall, dass dies mit einem Brief verbunden war, was wahrscheinlich ist, so ist dieser verloren. 211 Carl Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung, in: ders. u. a., Rechtswissenschaftliche Beiträge zum 25jährigen Bestehen der Handels-Hochschule Berlin, Berlin 1931, S. 1–31; wieder abgedruckt in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 140–173.

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chen Kategorien (Familie, Nation) hin212. Auch beim Erbrecht, wenn es auch durch die Testierfreiheit213 individualistisch aufgelockert ist, ist der Zusammenhang mit der Familie noch evident. Und beim Eigentum schließlich ist durch Art. 153 Abs. 3 doch eine sehr entschiedene Betonung der öffentlichen Gebundenheit erfolgt214. Mir scheint, daß diese drei Kerninstitute für die staatsrechtliche Betrachtung viel mehr sind als Institute des Privatrechts. Sie konstituieren die soziale Ordnung, und ihre Garantie bedeutet die Garantie bestimmter sozialer Grundkategorien – und zwar in einer Ebene, in der die Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht nicht mehr relevant ist. Es scheint mir auch, daß die Institutsgarantien unter diesem Gesichtspunkt zahlreicher sind als Sie | ausführen. So neige ich dazu, in Art. 161 eine Garantie des Instituts der sozialen Versicherung anzuerkennen215, nicht wie Loewenstein216 eine „institutionelle Garantie“217, aber auch nicht wie Sie nur ein Gesetzgebungsprogramm. Denn es soll ja nicht – wie etwa bei der Selbstverwaltung – die Organisationsform des Versicherungswesens (etwa durch selbständige Körperschaften) garantiert werden, sondern das Versichertsein als solches. Und von einem Gesetzgebungsprogramm kann man doch dann nicht mehr sprechen, wenn der Plan in allen wesentlichen Teilen durchgeführt ist; was vorher verfassungswidriges Programm war, wandelt sich nun in eine echte Garantie um; der Verfas212 Art. 119 der Weimarer Reichsverfassung lautete: „Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Sie beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter. (2) Die Reinerhaltung, Gesundung und soziale Förderung der Familie ist Aufgabe des Staats und der Gemeinden. Kinderreiche Familien haben Anspruch auf ausgleichende Fürsorge. (3) Die Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staats.“ Huber, Dokumente, Bd. 3, Nr. 154, S. 146. 213 Möglichkeit, über das eigene Vermögen zu verfügen, um von der gesetzlichen Erbfolge abzuweichen. 214 Siehe oben Anm. 32. 215 Art. 161 der Weimarer Reichsverfassung lautete: „Zur Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit, zum Schutz der Mutterschaft und zur Vorsorge gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Schwäche und Wechselfällen des Lebens schafft das Reich ein umfassendes Versicherungswesen unter maßgebender Mitwirkung der Versicherten.“ Huber, Dokumente, Bd. 3, Nr. 154, S. 152 f. 216 Karl Loewenstein (1891–1973) habilitierte sich 1931 in München für Öffentliches Recht und musste 1933 emigrieren. Er lehrte in Yale und Amherst (USA) und wurde Militärberater der US-Regierung. Seit 1956 war er Professor für Politikwissenschaft in München. 1945 veranlasste er Schmitts Verhaftung und die Beschlagnahme seiner Bibliothek. Peter Schneider, Löwenstein, Karl, in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 103 f.; Markus Lang, Karl Loewenstein. Transatlantischer Denker der Politik, Stuttgart 2007 (= Transatlantische historische Studien, 28). 217 Karl Loewenstein, Erscheinungsformen der Verfassungsänderung. Verfassungsrechtsdogmatische Untersuchungen zu Art. 76 der Reichsverfassung, Tübingen 1931 (= Beiträge zum öffentlichen Recht der Gegenwart, 2).

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sungssatz hindert, daß das Versicherungswesen beseitigt und in den Zustand des „Programms“ zurückversetzt wird. In einem Versorgungsstaat, wie wir i[h]n haben, scheint mir die soziale Versicherung ein rechtliches Institut von etwa der gleichen Bedeutung wie Eigentum und Erbrecht zu sein – und es macht dabei verfassungstheoretisch garnichts aus, ob es sich hier um öffentlichrechtliche, dort um privatrechtliche Institute handelt. Von hier aus ergibt sich dann die Möglichkeit, auch den Umschlag der ursprünglichen liberalen Freiheiten in Rechtsinstitute anzuerkennen, wie ich es in meiner Antrittsvorlesung [über der Zeile: für die Wirtschaftsfreiheit] getan habe. Es würde mich sehr interessieren, ob Sie in diesen Spekulationen einen fruchtbaren Ansatz erblicken, wie es überhaupt für mich sehr wertvoll wäre, von Ihnen ein Urteil über meine Vorlesung zu erhalten. Mit herzlichen Grüßen und den besten Empfehlungen an Ihre Gattin218 bin ich Ihr ganz ergebener Ernst Rudolf Huber

Nr. 32 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 15.10.1931 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

15/10 31. Lieber Herr Huber, vielen Dank für Ihren Brief, den Sonderdruck Ihres Aufsatzes mit Ihrer freundlichen Widmung219, und für die Revisionsbogen Ihrer Antrittsvorlesung220. Ich antworte Ihnen erst heute und verspätet, was Sie freundlichst entschuldigen müssen, weil ich seit einer Woche auf Reisen bin221. Ihre Antrittsvorlesung halte ich für ganz ausgezeichnet, ein Muster einer solchen Vorlesung, in der Darlegung der Frage, in der vorsichtigen und doch deutli218

Duschka Schmitt. Die Widmung lautete: „Herrn Prof. Dr. Carl Schmitt als Zeichen des Dankes 10.11.31 E.R.H.“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 27117. 220 Die Antrittsvorlesung „Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat“ vom 22. Juli 1931 erschien noch im selben Jahr unter demselben Titel im Verlag Mohr-Siebeck, Tübingen, als Heft 85 der Reihe „Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart“. 221 Nach den Eintragungen im Tagebuch fuhr Schmitt am 9. Oktober nach Meschede, hielt sich dann kurz in Plettenberg auf, reiste am 20. Oktober nach Hamburg und von dort nach Berlin zurück. Schmitt, Tagebücher, S. 139 f. 219

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chen Beantwortung und vor allem in der zusammenfassenden Übersicht über das ganze (sehr schwierige und auf wenig Vorbereitung der Hörer und Leser stoßende) Problem. Ich habe die Revisionsbogen222 an Popitz weitergegeben, der ebenfalls entzückt war. Wie mir Hensel223 erzählte, bewegte sich die Diskussion auf dem Juristentag in Kiel224 eigentlich nur um das Problem dieser „Gesamtentscheidung“. In der Sache interessiert mich im Augenblick am meisten Ihre These, daß die „Freiheit“ doch Instituts-Charakter erhalten hat. Was Sie darüber in Ihrem Briefe schreiben ist ein ganz großer Fortschritt unserer Verfassungstheorie. Nur „soziale Ordnung“ (deren Institute Familie, Eigentum, Erbrecht sind) gefällt mir noch nicht, ist aber vorläufig durchaus praktisch akzeptabel. Darum handelt es sich in der Tat bei jeder Grundrechtsaufstellung; | Grundrechte sind immer „vorstaatlich“; das kann man hier als „sozial“ bezeichnen. Vielleicht genügen Ihnen diese schnellen Andeutungen, um Ihnen mein Interesse und vielleicht auch mein Verständnis zu zeigen. Ich wollte Ihnen nur noch zu meiner Rechtfertigung sagen, daß die Unterscheidung Institution-Institut ganz als nur erste Unterscheidung gedacht ist, um überhaupt einmal die Erstarrung etwas zu lösen und an diesem, allen geläufigen Gegensatz von öffentlich-rechtlich und privatrechtlich anzusetzen, weil mir das eine richtige Kerbe schien. Mehr nicht. Das Wesentliche muß folgen, und ich sehe zu meiner größten Freude, daß Sie längst soweit sind, daß ich Ihnen nichts Neues mehr sage. Auch Ihr Bericht in den Blättern für deutsche Philosophie ist sehr gut225. Er trifft namentlich S. 314 in der Feststellung des Zusammentreffens zweier Argumentationen durchaus meine Intention. Besonders dankbar bin ich Ihnen auch für die Richtigstellung der oft geradezu kindischen Mißdeutungen des „Dezisionismus“. Auf S. 313 oben, wo von der „gewohnheitsrechtlichen Fortbildung“ die Rede ist (Art. 48) | fehlt (an sich nicht so wichtig, aber wegen der Aktualität des Art. 48 Abs. 2 mir doch nicht gleichgültig), daß ich vor allem Art. 48 Abs. 2 (bis zum Erlaß des Ausführungsgesetzes) als offenes Provisorium ansehe; ich vermeide lieber das Wort „Gewohnheitsrecht“ [am linken Rand eingefügt: obwohl grade hier ein richtiger Fall be222

Korrekturbogen. Der Öffentlichrechtler Albert Hensel (1895–1933) lehrte seit 1923 in Bonn, bekleidete seit 1926 ein Ordinariat in Königsberg, wurde 1933 zwangsweise emeritiert und emigrierte nach Italien. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 222 f. Das Gespräch mit Schmitt über den Juristentag fand am 15. September statt. Schmitt, Tagebücher, S. 136. 224 Schmitt irrt sich, denn der 36. Deutsche Juristentag fand vom 9. bis zum 13. September in Lübeck und nicht in Kiel statt. Verhandlungen des Sechsunddreißigsten Deutschen Juristentages 1931, 2 Tle., Berlin 1931. 225 Der oben bereits erwähnte Titel: Huber, Verfassung und Verfassungswirklichkeit. Siehe Anhang II.6. Die Passagen ebd., S. 439–443. 223

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achtlicher Gewohnheit vorliegt.] Consuetudo supplet legem226 sagt (?) Tertullian227(?) hier fehlt eben die „nähere Regelung“. Das ist etwas andres, als wenn eine gewollte und erkennbare Regelung vorliegt. Tertullian sagt (diese Stelle de corona228 4) consuetudo pro lege accipitur cum deficit lex229. Nur so komme ich zu der Argumentation mit Präzedenzfällen. – Wegen der Unterscheidung S. 305 f. (die Verf.[assung] entsteht nicht durch[,] sondern beruht auf der Entscheidung) bin ich mir noch nicht klar. An diesem Punkt ist auch der Gegensatz von konstitutiv und deklaratorisch sehr problematisch. Übrigens: hat ein feierliches Bekenntnis wirklich „keine gestaltende Kraft“? Ich schicke Ihnen die Fahnen der neuen Ausgabe des „Begriffs des Politischen“230, weil Sie vielleicht in den Ferien einen Augenblick der Ruhe finden, um diese Abhandlung in ihrer neuen Gestalt anzusehen. Doch brauchen Sie sich nicht verpflichtet zu fühlen, sie zu lesen. Die Korrekturen sind erledigt, manches verbessert; die Ihnen zugesandten | Fahnen können sie wegwerfen. In einigen Tagen reise ich über Hamburg nach Berlin zurück231. Ich hoffe Friesenhahn einige Stunden in Hagen treffen zu können232. Im Sauerland ist es jetzt zu unsicher mit dem Wetter, als daß ich Sie hierher hätte einladen können. Ich war eine Woche in den Kreisen Brilon und Meschede233, wo es bei klarem und sonnigem Wetter herrlich ist; den Regen und Nebel würden aber wohl nur einzelne Fanatiker dort schätzen, zu denen ich selber allerdings auch gehöre. 226

Lat.: „Die Gewohnheit ersetzt das Gesetz“. Quintus Septimius Florens Tertullianus, kurz Tertullian (um 150–230) war ein frühchristlicher römischer Schriftsteller. 228 Tertullian verfasste seine Schrift „De corona militis (Vom Kranze des Soldaten) nach dem Jahr 200. 229 Tertullian, De corona militis, Kap. 4: „consuetudo [. . .] etiam in civilibus rebus pro lege suscipitur, cum deficit lex“. „Die Gewohnheit ist auch in Zivilsachen heranzuziehen, wenn das Gesetz versagt“. 230 Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen. Mit einer Rede über das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen, München 1932 (= Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, 10). Dazu ausführlich: Reinhard Mehring (Hg.), Carl Schmitt. Der Begriff des Politischen. Ein kooperativer Kommentar, Berlin 2003. 231 In Hamburg hielt sich Schmitt nach dem 20. Oktober 1931 mehrere Tage auf. Spätestens am 25.10. war er wieder zurück in Berlin. Schmitt, Tagebücher, S. 140. 232 Schmitt traf am 20. Oktober Friesenhahn in Hagen und fuhr mit ihm auf die benachbarte Hohensyburg. Ebd. 233 Meschede und Brilon sind zwei Kleinstädte, die im Norden und Nordosten des Sauerlandes liegen. Schmitt war zwischen dem 9. und dem 13. Oktober hier unterwegs. 227

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Auf Wiedersehn, lieber Herr Huber, ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute für das kommende Semester und freue mich immer, von Ihnen zu hören. Stets Ihr Carl Schmitt.

Nr. 33 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Bonn, 20.10.1931 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6252 Brief, handschriftlich

Bonn, 20. Oktober 1931 Hochverehrter Herr Professor, es drängt mich, Ihnen von Herzen für Ihren so überaus freundlichen Brief aus Plettenberg gleich zu danken. Nicht in erster Linie für die liebenswürdige Beurteilung und die sachliche Anerkennung meiner kleinen Arbeiten, so sehr ich mich freue und Ihnen dankbar bin, daß Sie mir Mut machen, mich weiter um diese Fragen zu kümmern. Ich empfinde, und dafür danke ich Ihnen vor allem, in Ihrem Brief eine unmittelbare Übereinstimmung in einigen Grundkategorien, und es wurde mir aus Ihrem Brief besonders deutlich, wie sehr ich gerade in diesen Jahren, in denen ich äußerlich von Ihnen getrennt war, Ihr Schüler geworden bin. Erlauben Sie mir bitte später, auf Ihren Brief sachlich einzugehen. Auch zu Ihrer Neubearbeitung des „Begriffs des Politischen“ kann ich vielleicht noch einmal etwas sagen. Für die Fahnen, die Sie mir schickten, danke ich Ihnen vielmals. Ich freue mich sehr, Sie nächste Woche in Halle234 sehen zu können und bin mit herzlichen Grüßen Ihr ganz ergebener Ernst Rudolf Huber

234 In Halle an der Saale tagte zwischen dem 28. und dem 30.10.1931 zum achten Mal die Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer. Huber nahm an der Veranstaltung teil und traf dort auch Schmitt. Schmitt, Tagebücher, S. 141. In Halle brach der sogenannte Richtungsstreit zwischen den Staatsrechtslehrern offen aus. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 195–199.

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Nr. 34 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Bonn, 22.11.1931 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6253 Brief, handschriftlich

Bonn, 22. November 1931 Godesbergerstr. 6 II Hochverehrter Herr Professor, Sie besaßen die große Freundlichkeit[,] mir Ihre Schrift über „Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung“ zu übersenden und mir die neue Ausgabe des „Begriffs des Politischen“ vom Verlage zuschicken zu lassen. Ich danke Ihnen von Herzen dafür. Je mehr ich mit meiner Vorlesung über Grundrechte235 voran komme, desto mehr sehe ich[,] wie Sie auf diesem Gebiet (wie auf so vielen anderen) die maßgebenden verfassungsrechtlichen Kategorien festgestellt und abgegrenzt haben. Gerade indem ich mich bemüht habe, Ihren Lehren mit einem gewissen kritischen Abstand gegenüberzustehen, ist mir bewußt geworden, in welchem Maße Sie den Elementen unseres politischen Denkens den ersten Ausdruck geben und wie sehr Sie dadurch dieses Denken wiederum bestimmend lenken. Ihre Schrift über den „Begriff des Politischen“ stellt nicht nur erkennend diesen Begriff fest[,] sondern hat bisher schon im weitesten Maße den Willen zu wirklicher Politik bewußt gemacht, gefestigt und in eine bestimmte Bahn gelenkt. Und dieses Letzte scheint mir das Wesentliche an den von Ihnen geschaffenen verfassungsrechtlichen und politischen Kategorien zu sein, daß sich in ihnen der Zusammenhang von Form und Inhalt sinnfällig zeigt, daß also mit bestimmten Grundformen des verfassungsrechtlichen und politischen Denkens bestimmte verfassungsrechtliche und politische Werte notwendig verbunden sind. Ihre Verfassungstheorie kann nicht für jede denkbare „Verfassung“ und der Begriff des Politischen kann nicht für jede denkbare „Politik“ mißbraucht werden. | Der Verlag236 hat mir, wie er schreibt, auf Ihre Anregung ein Besprechungsexemplar des „Begriffs des Politischen“ übersandt. Es freut mich sehr, daß Sie daran gedacht haben, ich könnte eine Rezension der Schrift übernehmen. Unter andren Verhältnissen wäre der „Ring“237 ja ein geeigneter Ort für eine solche Besprechung gewesen, aber ich nehme an, daß Sie darauf keinen Wert mehr legen. Wären Sie damit einverstanden, daß ich 235

An der Universität Bonn im Wintersemester 1931/32. Duncker & Humblot in München und Leipzig. 237 Die politische Wochenschrift „Der Ring“ erschien zwischen 1928 und 1943 und vertrat jungkonservative Ideen. 236

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mich an Herrn Stapel238 mit der Bitte wende, einen Aufsatz in das Volkstum über Ihre Schrift aufzunehmen? Halten Sie es für erforderlich, daß ich den Aufsatz pseudonym schreiben würde?239 An Vorlesung und Übung habe ich große Freude. Für den Sommer werde ich Staat und Kirche 1 stdg240, Besondres Verwaltungsrecht (vor allem Polizeirecht 2 stdg), Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1 stdg, und Repetitorium oder Übung des Ö.[ffentlichen] R.[echts] anzeigen; vielleicht auch noch eine kleine staatstheoretische Vorlesung. Jetzt fressen die Korrekturen des „Wirtschaftsverwaltungsrechts“241 alle Zeit auf, sodaß ich zu neuen Arbeiten fürs Erste nicht komme. Mit den besten Empfehlungen an Ihre Gattin und mit herzlichen Grüßen bin ich Ihr ganz ergebener Ernst Rudolf Huber

Nr. 35 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 25.11.1931 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich, gedruckter Kopf: „Professor Carl Schmitt“

25/11 31. Lieber Herr Huber, vielen herzlichen Dank für Ihren Brief242. Was Ihre Frage nach der Publikation einer Besprechung meines „Begriff des Politischen“ angeht, so ist es wohl besser, wenn Sie sich vorläufig zurückhalten. Daß ich mich ganz besonders über eine Stellungnahme von Ihnen freuen würde, wissen Sie. Aber im „Volkstum“ schreibt zweckmäßigerweise A. E. 238 Wilhelm Stapel (1882–1954) war Mitherausgeber der Zeitschrift „Deutsches Volkstum“ und später Redakteur bei der Hanseatischen Verlagsanstalt in Hamburg. Heinrich Keßler, Wilhelm Stapel als politischer Publizist, Ein Beitrag zur Geschichte des konservativen Nationalismus zwischen den beiden Weltkriegen, Erlangen 1967. 239 Unter den vielen, großteils unter Pseudonym verfassten Rezensionen Hubers, u. a. im „Deutschen Volkstum“, findet sich keine über den „Begriff des Politischen“. Zum Kreis um das „Deutsche Volkstum“: Breuer, Schmitt im Konktext, S. 199–232. Zur Publizistik Hubers in diesem Organ: ebd., S. 209 f., 218–223. 240 Abkürzung für „stündig“. 241 Ernst Rudolf Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht. Institutionen des öffentlichen Arbeits- und Unternehmensrechts, Tübingen 1932. Es handelt sich um die Druckfassung der Habilitationsschrift. 242 Im Tagebuch hatte Schmitt am 24.11. notiert: „wunderschöner Brief von Huber“. Schmitt, Tagebücher, S. 148.

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Günther243 oder sein Bruder244; in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift wie AöR wird man nichts damit anfangen können245. Vor allem: Sie dürfen sich nicht [unter der Zeile eingefügt: mir gegenüber] zu einer Besprechung verpflichtet fühlen. Morgen, Donnerstag, werden in meinem Seminar246 | zwei Referate über Ihren Vortrag „Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat“ gehalten247; ich schicke Ihnen einen Durchschlag der Thesen oder der wichtigsten Ansichten. Lesen Sie bitte auch einmal in „Der deutsche Volkswirt“ (herausg. Stolper)248 vom 13. Nov. 1931 den Aufsatz von A. Salz: Öffentliche Wirtschaft249. Der „totale Staat“ ist danach schon in dieser liberalen Zeitschrift selbstverständlich. Noch eine mir besonders am Herzen liegende Bitte: bei Thoma250 ist in den Übungen ein Günther Krauß251 aus Köln, der sich Ihnen einmal vorgestellt hat. Frl. Simons kennt ihn vom Sommer her. Er verdient besondere Beachtung und Rücksicht, wegen seiner merkwürdigen Klugheit, seines 243 Albrecht Erich Günther (1893–1942) war ein jungkonservativer Publizist und Mitherausgeber der Zeitschrift „Deutsches Volkstum“. Ascan Gossler, Publizistik und konservative Revolution. Das „Deutsche Volkstum“ als Organ des Rechtsintellektualismus 1918–1933, Münster 2001, S. 106. 244 Gerhard Günther (1889–1976) war wie sein Bruder politischer Publizist. 245 Hans Liermann, Rezension zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, in: Archiv des öffentlichen Rechts 62 (1933), S. 353 f.; Clemens Lang, Die Ideologie des Widerstandes. Bemerkungen zu Carl Schmitts „Begriff des Politischen“, in: Deutsches Volkstum 14 (1932), S. 959–964. 246 Das „Verfassungstheoretische Seminar“ fand am Donnerstag abends zwischen 18 und 20 Uhr statt. 247 Den Tagebüchern zufolge hielt Wolfgang Dietl ein Referat über „Wirtschaftsstaat und Pluralismus“. Schmitt, Tagebücher, S. 149. Huber hatte Schmitt am 10.11.1931 ein Widmungsexemplar seiner Antrittsvorlesung übersandt mit den Worten: „Herrn Prof. Dr. Carl Schmitt als Zeichen des Dankes“. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 27117. 248 „Der deutsche Volkswirt. Zeitschrift für Politik und Wirtschaft“ wurde seit 1926 von dem Nationalökonomen Gustav Stolper (1888–1947) herausgegeben. 249 Arthur Salz, Öffentliche Wirtschaft, in: Der deutsche Volkswirt 4 (1931), S. 213–217. 250 Richard Thoma (1874–1957) war einer der renommiertesten Öffentlichrechtler in der Weimarer Republik. Er lehrte zu dieser Zeit als Nachfolger Schmitts in Bonn. Fabian Sösemann, Richard Thoma, in: Mathias Schmoeckel (Hg.), Die Juristen der Universität Bonn im „Dritten Reich“, Köln u. a. 2004 (= Rechtsgeschichtliche Schriften, 18), S. 555–580; Richard Thoma, Rechtsstaat – Demokratie – Grundrechte. Ausgewählte Abhandlungen aus fünf Jahrzehnten, hg. v. Horst Dreier, Tübingen 2008. 251 Der spätere Rechtsanwalt Günther Krauß (1911–1989) war seit 1929 Schüler Schmitts und wurde 1935 in Berlin promoviert. Mehring, S. 362 f.

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großen Ernstes und seines einsamen Fleißes. Sagen Sie es bitte auch Friesenhahn. Auf Wiedersehn, lieber Herr Huber, herzlich Ihr Carl Schmitt Nr. 36 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 6.2.1932 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich, gedruckter Kopf: „Professor Carl Schmitt / Berlin NW 87 / Flotowstr. 5“

6.2.32 Lieber Herr Huber, herzlichen Dank für die Zusendung Ihres Aufsatzes über die Geschäftsregierung252. Ich halte ihn für sehr gut, für das Beste, was man im Rahmen der DJZ253 sagen kann. Im Seminar habe ich vorigen Donnerstag versucht, die Begriffe Legalität und Illegalität an diesem Exempel der „Geschäftsregierung“ und des permanent werdenden Provisoriums zu illustrieren. Vielleicht wird | Ihnen Herr Krauß davon erzählen254. Er hat mir von Bonn und von Ihnen einiges berichtet, was mir, wie jede Nachricht von Ihnen, sehr wohl getan hat. Ich soll Ende Februar im Rundfunk über die Frage sprechen „Was ist legal?“255 Soll man das tun? Übrigens hatte Kirchheimer256 die ausgezeichnete These: Funktion des Legalitätsbegriffes sei Ausschluß des Widerstandsrechts; eine im Wege des Staatsstreichs zur Macht gelangte Regierung sei legitimer, nicht legaler als eine permanente Geschäftsregierung. Stets Ihr Carl Schmitt 252 Ernst Rudolf Huber, Die Stellung der Geschäftsregierung in den deutschen Ländern, in: Deutsche Juristen-Zeitung 37 (1932), Sp. 194–199. 253 Abkürzung für „Deutsche Juristen-Zeitung“. 254 Dessen Anwesenheit im Seminar am 4.2.1932 notierte Schmitt in sein Tagebuch. Schmitt, Tagebücher, S. 174. Hier ist allerdings versehentlich „Loyalität“ statt „Legalität“ transkribiert. 255 Der Vortrag wurde am 24.2. aufgezeichnet. Druck eines Fragmentes bei Günter Maschke (Hg.), Zwei Rundfunkvorträge Carl Schmitts aus den Jahren 1931 und 1932, in: Schmittiana. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts, Bd. 8, hg. v. Piet Tommissen, Berlin 2003, S. 9–26, hier S. 22–26. 256 Otto Kirchheimer (1902–1965) war Schüler Schmitts aus der Bonner Zeit, der 1933 emigrieren musste, zunächst in Paris und seit 1950 Politikwissenschaft an der Columbia University in New York lehrte. Frank Schale, Zwischen Engagement und Skepsis. Eine Studie zu den Schriften von Otto Kirchheimer, Baden-Baden 2006; Reinhard Mehring, Otto Kirchheimer und der Links-Schmittismus, in: Rüdiger Voigt (Hg.), Der Staat des Dezisionismus. Carl Schmitt in der internationalen Debatte, Baden-Baden 2007 (= Staatsverständnisse, 14), S. 60–82.

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Nr. 37 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 18.2.1932 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich, gedruckter Kopf: „Professor Carl Schmitt / Berlin NW 87 / Flotowstr. 5“

Lieber Herr Huber, eben, als ich gerade eine Reise nach Königsberg257 antrete, erhalte ich Ihr Buch über Wirtschaftsverwaltungsrecht258. Ich werde auf der Rückreise259 darin lesen, außerdem im Sommer eine Vorlesung halten, die sich auf Ihr Buch stützen soll260. Es wird sich also wohl noch manche Bemerkung zu Ihrem Werk von meiner Seite aus ergeben. Heute bestätige ich nur den Empfang und danke Ihnen herzlich für die Zusendung und die freundlichen Worte261, die | sie begleiten. Ich gratuliere Ihnen zu dieser neuen Leistung, die Ihr vorliegendes Gesamtwerk zu einem respekteinflößenden und unwiderleglichen Beweis Ihrer Produktivität und Arbeitskraft erhebt[,] und hoffe von Herzen, daß sich auch die Wirkung dieser Leistung bald in allgemeiner Anerkennung durchsetzt262. Mit den besten Grüßen und Wünschen bleibe ich Ihr Carl Schmitt. 18.2.32

257 Schmitt hielt dort auf Einladung von Albert Hensel eine staatsrechtliche Übung und am Tag darauf (20.2.) einen Vortrag über „Völkerrechtliche Formen des modernen Imperialismus“ im Hindenburg-Gymnasium. Schmitt, Tagebücher, S. 179. 258 Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht. 259 Die Rückreise erfolgte von Marienburg aus am 22. Februar. Schmitt, Tagebücher, S. 180. 260 Schmitt hielt eine Vorlesung zum „Verwaltungsrecht, insbesondere Wirtschaftsverwaltungsrecht“. Ebd., S. 469. 261 Es muss sich um eine Widmung oder um einen Brief mit Beilage handeln, die aber beide nicht überliefert sind. 262 [Ottmar] Bühler, Rezension zu Ernst Rudolf Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: Archiv des öffentlichen Rechts 63 (1934), S. 126–130. Zum „Wirtschaftsverwaltungsrecht“ sind mindestens 22 weitere Rezensionen nachweisbar.

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Nr. 38 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Bologna, 22.3.1932 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Motiv auf der Rückseite: 17 Geschlechtertürme in Bologna; Bilduntertitel: „Bologna ai tempi che VI soggiorno Dante“263

Lieber Herr Huber, diese Illustration der Begriffe „Pluralismus“ und „Polykratie“ sendet mit herzlichen Grüßen und Wünschen für Ostern264 Ihr Carl Schmitt. Bologna265 22.3.32. [unter dem Kartentext von anderer Hand:] „Herzl.[iche] Grüße Ihr Erik Peterson“266. Nr. 39 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 9.7.1932 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich, gedruckter Kopf: „Professor Carl Schmitt / Berlin NW 87 / Flotowstr. 5“, Vermerk mit Bleistift: „9.7.32“

Lieber Herr Huber, ich möchte mich an der Handels-Hochschule für den Winter beurlauben lassen. Käme es in Betracht, daß Sie mich vertreten? Ich möchte über die Bedingungen, Honorar usw. erst verhandeln, wenn ich weiß, daß Sie nicht grundsätzlich ablehnen müßten, was ja leicht möglich wäre. Geben Sie mir bitte kurz Nachricht. | Die Fahnen meiner neuen Schrift über Legalität und Legitimität267 schicke ich Ihnen wegen [des] vorgeschrittenen Semesters268 lieber nicht. Hoffentlich erhalten Sie das Buch Anfang August. Herzliche Grüße Ihres alten Carl Schmitt. 9.7.1932 263

Die Ansichtskarte von Angelo Finelli stammt aus dem Jahr 1929. Der Bilduntertitel lautet übersetzt: „Bologna in der Zeit Dantes.“ Rechts neben dem Bild findet sich weiterer Erläuterungstext auf Italienisch. 264 Der Ostersonntag fiel 1932 auf den 27. März. 265 Schmitt brach am 15. März von Berlin auf und fuhr über Halle, München und Bozen (Südtirol) nach Bologna. Von dort ging es über Florenz nach Rom, wo er sich vom 23.3. bis 31.3., d.h. über das Osterfest, aufhielt. Über Mailand und Frankfurt erreichte er Plettenberg, von wo er am 7. April nach Berlin zurückkehrte. Schmitt, Tagebücher, S. 185–188. Huber und Schmitt trafen sich am 11.6.1932 in Lobeda (seit 1946 Stadtteil von Jena) zur Tagung des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes. Ebd., S. 196. 266 Erik Peterson begleitete Schmitt auf der Italienreise. 267 Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, München/Leipzig 1932. 268 Das Sommersemester dauerte in der Regel bis Mitte Juli.

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Briefe 1926–1933

Nr. 40 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Bonn, 10.7.1932 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6254 Brief, handschriftlich

Bonn, 10. Juli 1932 Hochverehrter Herr Professor, auf Ihre freundliche Karte, für die ich Ihnen sehr herzlich danke, will ich Ihnen gleich antworten. Es ist eine große Ehre für mich[,] und es hat mich auch persönlich sehr gefreut, daß Sie bei der Vertretung an mich gedacht haben. Ich sehe in vieler Beziehung einen großen Gewinn für mich darin, ein Semester an Ihrer Stelle und in Berlin tätig sein zu können. Ich bin von dieser Aussicht sehr begeistert; grundsätzlich kann ich Ihnen gleich jetzt meine Bereitschaft zur Annahme der Vertretung aussprechen. Die Schwierigkeiten, die es natürlich auch hier gibt, sind folgende: einmal hat Göppert mir für den Winter seine Vorlesung über Wirtschaftsrecht abgegeben, um sich zu entlasten, ich muß mich deshalb mit ihm verständigen; zum andern muß ich mir die Assistentenstelle, die ich hier habe und die ich natürlich dann aufgeben muß, für den nächsten Sommer sichern, das ist eine Existenzfrage für mich269. Auch daß meine Zusammenarbeit mit Heckel270 unterbrochen wird, ist ein gewisses Hemmnis. Aber alle diese Schwierigkeiten sind wohl zu überwinden; ich teile sie Ihnen nur mit, um meine faktische Lage zu erklären. Auf der andren Seite kommt es natürlich auf die Art und den Umfang meiner etwaigen Lehrverpflichtungen an. Ich möchte nun gleich mit Heckel über die Sache reden, mit Göppert und dem Dekan271 aber erst, nachdem ich Näheres von Ihnen über die Bedingungen der Vertretung gehört habe. Ich werde mich sehr freuen, Ihre Schrift über Legalität und Legitimität kennen zu lernen. Ich soll diese Woche vor unserer Fachschaft über Reichsreform sprechen272; es ist sehr schwierig. Man hat mir die Fortführung von 269 Nach Auslaufen der ersten Assistentenstelle erhielt Huber zum 1.4.1933 eine zweite im wieder errichteten Bonner Kirchenrechtlichen Seminar, die er allerdings nur einen Monat lang innehatte, weil er in Kiel eine Lehrstuhlvertretung wahrnahm. Maetschke, S. 381 f., 384. 270 Johannes Heckel (1889–1963) war seit 1928 Professor für Staats- und evangelisches Kirchenrecht in Bonn und wechselte 1934 nach München. Hermann Krause, Heckel, Johannes Wilhelm Otto, in: Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 180. Zu Schmitts Verhältnis zu ihm: Briefwechsel Schmitt-Smend, S. 171 f. (Gutachten für Heckel, 1935). 271 Dekan war Richard Thoma. 272 Der Titel und der Tag des ungedruckten Vortrags konnten nicht ermittelt werden.

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Stier-Somlos273 Hand- | kommentar zur Gewerbeordnung274 angeboten. Können Sie mir nicht einen guten Rat geben? Mit Günther Krauß habe ich eine Verabredung für diese Woche. Vor acht Tagen hörte ich die Rede Brünings275 in der Beethovenhalle276; wie klein ist dieser Mann in seinem Ärger gegenüber dem Zorn des gestürzten Bismarck277. Ich würde mich sehr freuen, bald weitere Nachrichten von Ihnen zu erhalten. Mit herzlichen Grüßen Ihr Ernst Rudolf Huber

Nr. 41 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 14.7.1932 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich, gedruckter Kopf: „Professor Carl Schmitt / Berlin NW 87 / Flotowstr. 5“

Lieber Herr Huber, herzlichen Dank für Ihren Brief. Jetzt müssen Sie mir noch Ihre finanziellen Wünsche mitteilen; tun Sie das bitte offen und ohne Umschweife, wie Sie sich diese Seite der Sache denken; ich habe keine Vorstellung von Ihren Bonner Einkünften. Ferner: wieviel brauchen Sie mo273 Fritz Stier-Somlo (1873–1932) war ein österreichisch-ungarischer Öffentlichrechtler und Politikwissenschaftler, der 1920 bis 1932 ein Ordinariat in Köln bekleidete. Schmitt wurde Nachfolger auf seinem Lehrstuhl. Ina Gienow, Leben und Werk von Fritz Stier-Somlo, jur. Diss., Köln 1990; Briefwechsel Schmitt-Smend, S. 155– 161. 274 Fritz Stier-Somlo (Hg.), Kommentar zur Gewerbeordnung für das Deutsche Reich. Mit einer Einführung, sämtlichen Novellen, den wichtigsten Ausführungsbestimmungen, Nebengesetzen und einem Sachregister, 2. Aufl., Mannheim u. a. 1923 (= Sammlung deutscher Gesetze, 27). Huber übernahm nicht die Fortführung des Kommentars. 275 Heinrich Brüning (1885–1970) gehörte der Zentrumspartei an und war zwischen 1930 und 1932 deutscher Reichskanzler. Brüning war am 30.5.1932 zurückgetreten und befand sich auf Wahlkampfreise für die Reichstagswahl am 31.7.1932. Herbert Hömig, Brüning. Kanzler in der Krise der Republik. Eine Weimarer Biographie, Paderborn u. a. 2000; ders., Brüning. Politiker ohne Auftrag. Zwischen Weimarer und Bonner Republik, Paderborn u. a. 2005. 276 Die zum 100. Geburtstag des Komponisten Ludwig van Beethoven (1770– 1827) im Jahre 1870 in Bonn errichtete Halle wurde 1944 durch Bomben zerstört. 277 Otto von Bismarck (1815–1898) amtierte seit 1862 als preußischer Ministerpräsident und war 1871–1890 deutscher Reichskanzler. Lothar Gall, Bismarck. Der weiße Revolutionär. 2. Aufl., Berlin 2002.

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natlich für Berlin? Dann kann ich Ihnen hoffentlich einen passenden Vorschlag machen.

14/7 32.

Stets Ihr Carl Schmitt.

Nr. 42 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin 22.7.1932278 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich, gedruckter Kopf: „Professor Carl Schmitt / Berlin NW 87 / Flotowstr. 5“

Lieber Herr Huber, ich habe den geschäftsführenden Vorsitzenden des Kuratoriums der H.H.279[,] der Göppert von früher her kennt, gebeten, ihm in Ihrer (oder besser meiner) Sache nochmals zuzureden. Es würde mir sehr leid tun, wenn es wirklich unmöglich wäre, daß Sie kommen. Finanziell ist es so, daß wir Ihnen 3000 Mark für den Winter280 bieten könnten. Normalerweise kommt noch manches hinzu, aber damit kann man diesen Winter nicht rechnen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen | in Bonn eigentlich gefällt, möchte Ihnen aber für alle Fälle doch sagen, daß Sie sich ohne weiteres bei mir habilitieren können281. Herzliche Grüße Ihres 22/7 32.

Carl Schmitt.

Nr. 43 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, nach 25.7.1932 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich, gedruckter Kopf: „Professor Carl Schmitt / Berlin NW 87 / Flotowstr. 5“

Lieber Herr Huber, besten Dank282; ich habe Thoma geschrieben283. 278 Vor diesem Schreiben ist am 20.7.1932 im Tagebuch notiert: „Eilbrief von Huber“. Schmitt, Tagebücher, S. 201. Dieses Schreiben ist offenbar nicht überliefert. 279 Abkürzung für „Handels-Hochschule“. Geschäftsführender Vorsitzender des Kuratoriums der Handelshochschule Berlin war Fritz Demuth (1876–1965). Er war von 1902 bis 1933 Syndikus der Industrie- und Handelskammer Berlin und nach seiner Emigration in die Schweiz und nach England Mitbegründer der „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland“. http://www.bundesarchiv.de/akten reichskanzlei/1919-1933/0000/adr/adrag/kap1_4/para2_55.html (26.5.2014). 280 Für das Wintersemester. 281 Huber habilitierte sich aber bei Göppert in Bonn.

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Wo sind Sie in den Ferien zu erreichen? Haben Sie sich mit Ihrer Stellungnahme zu der konkreten Frage des Reichskommissars vom 20. Juli284 schon geäußert (abgesehen von dem Aufsatz in der DJZ285)? Schreiben Sie mir bitte einige kritische Bemerkungen zu meinem in der nächsten DJZ erscheinenden Aufsatz286, den Sie gleich (Ende der Woche) | von mir zugesandt erhalten. Sind Sie dann noch in Bonn? Herzliche Grüße Ihres Carl Schmitt.

Nr. 44 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 9.8.1932 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Professor Carl Schmitt / Berlin NW 87, / Flotowstr. 5“

9.8.1932 Lieber Herr Huber, vielen Dank für Ihren Brief287; er ist mir sehr wertvoll gewesen; die Unterscheidung der verschiedenen Arten von Geschäftsregierungen, aber auch vieles Andere, z. B. der Hinweis auf das Jesuitengesetz288[,] sind fruchtbare Gedanken. Die Klagebeantwortung der R[eichs-]R.[egierung] ist noch nicht veröffentlicht289; man überläßt es richtigerweise wohl besser der Gegen282

Der Dank bezieht sich offenbar auf einen verlorenen Brief. Schmitt teilte Thoma am 25.7.1932 mit, dass Huber seine Vertretung in Berlin im Wintersemester übernehmen wolle. Thoma antwortete am 28.7., Huber lehne die Vertretung ab, weil er in Bonn gebraucht werde. Archiv der Juristischen Fakultät Bonn, Personalakte Huber. Siehe Anhang I.6. 284 Im Verlauf des Konflikts zwischen dem Reich und Preußen setzte Reichspräsident Paul von Hindenburg (1847–1934) mit der Notverordnung nach Art. 48 der Reichsverfassung Reichskanzler Franz von Papen (1879–1969) am 20. Juli 1932 als Reichskommissar in Preußen ein. Ministerpräsident Otto Braun (1872–1955) wurde abgesetzt. 285 Möglicherweise ist der in Anm. 252 genannte Aufsatz gemeint. Huber schrieb sonst noch pseudonym: Lothar Veeck, Verfassungsnotstand, in: Deutsches Volkstum 14 (1932), S. 983 f. 286 Carl Schmitt, Die Verfassungsmäßigkeit der Bestellung eines Reichskommissars für das Land Preußen, in: Deutsche Juristen-Zeitung 37 (1932), Sp. 953–958. Der Aufsatz erschien am 1.8.1932. 287 Das Schreiben fehlt. 288 Auf dem Ausnahmerecht nach Art. 68 der Reichsverfassung von 1871 beruhten die Gesetze Bismarcks gegen die vermeintlichen Reichsfeinde, nämlich das Jesuitengesetz von 1872 und das Sozialistengesetz von 1878. 289 Die Klagebeantwortung der Reichsregierung findet sich im Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 18908, Bd. 1. 283

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seite, das Tatsachenmaterial in die Öffentlichkeit zu zerren. Den rechtlichen Teil werden Sie wohl bald in seinem Wortlaut kennen lernen. Heute wollte ich Sie, nachdem ich auf S. 154 Ihres Wirtschaftsverwaltungsrechtes nachgelesen habe, wegen des Begriffs der R[echts]streitigkeiten im Sinne des Art. 19 RV290 fragen. Sie haben sicher von der Feststellungsklage, die Bayern und Baden vorigen Samstag erhoben haben291, gehört. Lesen Sie bitte auch Frankf. Zeitung, Sonntags- (Reichs)ausgabe 7/8 32 S. 3, den Bericht aus Karlsruhe292, der sehr wichtig ist. Ihre Ausführungen S. 154 müßte man noch vertiefen. Was ist ein konkreter Fall? Bereits eingetretener Fall? Also der Gegensatz: konkret – abstrakt (generell): Vergangenheit – Zukunft? Es scheint seit Wach293 keine Prozessualisten mehr zu geben. Wach (den Sie leider nicht zitieren) versucht „Rechtssache“, Voraussetzungen des Rechtsschutzanspruchs usw. herauszuarbeiten. Wenn Sie Zeit | und Lust haben, lesen Sie doch einmal nach und schreiben Sie mir darüber. Wann ist etwas streitig? Sarwey294 konnte ich noch nicht nachsehn; er ist, nach meinen früheren Erfahrungen, klug. Heute nur diese Frage in großer Eile. Ich mußte meine Ferienreise nach Westfalen aufgeben. Doch werde ich, da ich den Ruf nach Köln erhalten habe295, im Lauf der nächsten Wochen dorthin reisen müssen. Vielleicht können wir uns dann treffen296; das würde mich jedenfalls sehr freuen. Herzliche Grüße Ihres Carl Schmitt. 290 Artikel 19 der Weimarer Reichsverfassung lautete: „(1) Über Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, in dem kein Gericht zu ihrer Erledigung besteht, sowie über Streitigkeiten nichtprivatrechtlicher Art zwischen verschiedenen Ländern oder zwischen dem Reiche und einem Lande entscheidet auf Antrag eines der streitenden Teile der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich, soweit nicht ein anderer Gerichtshof des Reichs zuständig ist. (2) Der Reichspräsident vollstreckt das Urteil des Staatsgerichtshofs.“ Huber, Dokumente, Bd. 3, Nr. 154, S. 132 f. 291 Zur Feststellungsklage von Baden und Bayern: Gabriel Seiberth, Anwalt des Reiches. Carl Schmitt und der Prozess „Preußen contra Reich“ vor dem Staatsgerichtshof, Berlin 2001 (= Zeitgeschichtliche Forschungen, 12), S. 145–147. 292 [o.V.], Der Kampf um Preußen und die Länderrechte, in: Frankfurter Zeitung, Sonntags-(Reichs)ausgabe, Zweites Morgenblatt, Nr. 586 vom 7.8.1932, S. 2. 293 Adolf Wach (1843–1926) war seit 1869 Professor in Rostock, Tübingen, Bonn und 1875–1920 in Leipzig. Von ihm erschienen das „Handbuch des deutschen Zivilprozeßrechts“ (1885) und die „Struktur des Strafprozesses“ (1914). Dagmar Unger, Adolf Wach (1843–1926) und das liberale Zivilprozeßrecht, Berlin 2005. 294 Otto von Sarwey, Allgemeines Verwaltungsrecht, Freiburg/Tübingen 1884 (= Handbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart in Monographien, 1,2). 295 Carl Schmitt hatte im Sommersemester 1933 ein Ordinariat in Köln inne. 296 Schmitt traf Huber am 26. und 27.8., als er sich in Plettenberg aufhielt. Schmitt, Tagebücher, S. 211.

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Nr. 45 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Bonn, 23.8.1932 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6255 Brief, handschriftlich

Bonn, 23. August 1932 Hochverehrter Herr Professor, für die sehr freundliche Übersendung Ihrer neuen Schrift297 danke ich Ihnen von Herzen. Es ist nur ein vorläufiger Dank, weil ich sie noch nicht ganz zu Ende lesen konnte; ich möchte deshalb auch noch nicht sachlich Stellung nehmen und nur sagen, daß ich von der Kunst der Darstellung wie von der Tiefe der politischen und juristischen Anschauung den stärksten Eindruck empfangen habe. Ich schreibe Ihnen in diesem Augenblick aus anderem Anlaß. Herr Michael298 telegraphierte mir gestern299, ob ich bereit sei, einige Wochen „zu dringenden staatsrechtlichen Aufgaben“ nach Berlin zu kommen; dabei stellte er in Aussicht, daß ich bei Ihnen wohnen könne. Ich danke Ihnen sehr herzlich für diese mittelbare Einladung. Ich habe Herrn Michael geantwortet300, daß ich bis 15. September hier beschäftigt bin, daß ich aber einer Aufforderung von Ihnen, an einer konkreten verfassungsrechtlichen Aufgabe mitzuarbeiten, Folge leisten würde. Ich habe, wie Sie daraus bitte ersehen wollen, nicht die Absicht, mich an der heute verbreiteten Projektenmacherei, zu der, wie mir scheint, auch Herr Michael neigt, zu beteiligen; etwas ganz Andres wäre es, wenn Sie den Wunsch hätten, daß ich nach Berlin käme. Ich habe Herrn Michael um weitere Angaben gebeten und teile Ihnen zu Ihrer Unterrichtung den Sachverhalt gleichzeitig mit. Mit herzlichen Grüßen Ihr ganz ergebener Ernst Rudolf Huber

297

Schmitt, Legalität und Legitimität. Horst Michael (1901–1983) war 1929 bei dem Berliner Historiker Erich Marcks (1861–1938) promoviert worden. Michael war Schmitts Kontaktmann zum späteren Reichskanzler Kurt von Schleicher (1882–1934). 299 Das Telegramm ist nicht überliefert. 300 Nicht überliefert. 298

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Nr. 46 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 23.8.1932 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

23/8 32. Lieber Herr Huber, Freitag301 reise ich ins Sauerland und komme nachmittags 311 in Hagen i. W.[estfalen] an302. Könnten Sie mich dort treffen, indem Sie mich entweder auf dem Bahnsteig oder im Wartesaal erwarten?303 Ich würde es [über der Zeile: jedenfalls] für mich persönlich als einen großen Dienst empfinden, wenn ich Sie in den nächsten Wochen regelmäßig sprechen und fragen könnte. Ob das aber für Sie die Grundlage zu dem Entschluß, zunächst einmal 14 Tage [über der Zeile: zu mir] nach Berlin zu kommen, werden kann, ist natürlich eine andere Frage. Wie wäre es also, wenn wir uns in Hagen träfen und dort eine Stunde miteinander sprächen. Sie könnten sich darauf einrichten, von Hagen gleich nach Berlin zu reisen (während ich noch einige Tage im Sauerland bleibe), oder, wenn Sie sich dazu noch nicht entschließen können, einen Tag mit mir im Sauerland zu bleiben304. Jedenfalls übersehe ich die Lage am Freitag besser als heute. Wenn Sie nicht nach Hagen kommen können, ist es auch nicht schlimm. Dann schreiben Sie mir bitte nach Plettenberg Bahnhof (Westfalen) Hotel Hanebeck305. Auf Wiedersehn und herzliche Grüße Ihres Carl Schmitt.

301

Am 27.8.1932. Auf dem Weg von Berlin nach Plettenberg musste Schmitt stets in Hagen umsteigen. 303 Huber wurde in Hagen von Schmitts Frau Duschka, seinem Bruder Joseph und Forsthoff abgeholt. Schmitt, Tagebücher, S. 211. 304 Huber blieb einen Tag in Plettenberg und fuhr am 27.8.1932 nach Berlin. Ebd. 305 Das Hotel im Besitz der Familie Hanebeck lag in Plettenberg-Eiringhausen an der Lennebrücke. 302

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Nr. 47 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Berlin, 28.8.1932 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6256 Brief, handschriftlich

Berlin, 28. August 1932306

Hochverehrter Herr Professor, in Kürze möchte ich Ihnen mitteilen, daß ich gestern abend hier wie vereinbart Herrn O.[tt]307 mit zwei Herren308 seines Kreises getroffen habe. Wir haben gemeinsam in Ihrer Wohnung309 auf Grund Ihres Briefes die Angelegenheit eingehend erörtert und Fragen und Bedingungen präzise formuliert. Es wäre natürlich sehr wertvoll gewesen, wenn Sie dabei gewesen wären, aber Ihr Brief hatte die Unterredung so gut vorbereitet310, daß ich glaube, der Fall ist nun geklärt. Herr O.[tt] meinte, daß Ihre Anwesenheit hier vor Dienstag Abend311 nicht notwendig sein wird312. Indem ich Ihnen und Frau Schmitt nochmals von Herzen für die Gastfreiheit danke, die Sie mir hier so freundlich gewähren, bin ich mit besten Grüßen Ihr ganz ergebener Ernst Rudolf Huber Nr. 48 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Bonn, 5.10.1932 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6257 Brief, handschriftlich

Bonn, 5. Oktober 1932 Godesbergerstr. 6 II Hochverehrter Herr Professor, von Herzen danke ich Ihnen, nachdem ich nun wieder in dieser friedlichen Oase eingekehrt bin, für die Freundlichkeit, mit der Sie es mir ermöglicht 306

Schmitt erwähnt diesen Brief Hubers im Tagebuch. Schmitt, Tagebücher, S. 212. Eugen Ott (1889–1977) war seit 1932 der Chef der Wehrmachtsabteilung im Reichswehrministerium. 1934 wurde er zum Militärattaché und 1938 zum Botschafter in Tokio ernannt. Bernd Martin, Ott, Eugen, in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 649 f. 308 Es handelte sich um die Hauptleute Hermann Böhme (1896–1968) und von Carlowitz. Lutz Berthold, Carl Schmitt und der Staatsnotstandsplan am Ende der Weimarer Republik, Berlin 1999, S. 32 f.; Huber, Reichskrise, S. 40. 309 In der Flotowstraße 5 im Bezirk Tiergarten. Mehring, S. 271. 310 Schmitt hatte Huber einen Brief für Ott mitgegeben. Schmitt, Tagebücher, S. 211. 311 Dienstag war übermorgen, der 30.8.1932. 312 Schmitt kehrte am Dienstagabend nach Berlin zurück. Schmitt, Tagebücher, S. 212. 307

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haben, einige Wochen in Berlin zu sein313. Diese Zeit war für mich nicht nur anregend und interessant wegen der Menschen und der Dinge, mit denen ich in Berührung kam. Sie bedeutet vor allem für mich einen reichen persönlichen und sachlichen Gewinn durch die ständige Teilnahme an Ihrer Arbeit, nicht weniger aber auch durch die gastliche Fürsorge von Frau Schmitt und durch die Freude an der kleinen Anima314. Sagen Sie bitte Ihrer Gattin nochmals meinen herzlichen Dank für alle Freundlichkeit und Mühe. Ich bin am Freitag315 nicht gleich nach Braunschweig gefahren, wie ich vorhatte, sondern ich bin in Magdeburg ausgestiegen, um den Dom316 und das Denkmal Ottos des Großen317 anzusehen. Der Dom hat mir großen Eindruck gemacht, und ich habe mich sehr gefreut, im letzten „Volkstum“ noch eine Ergänzung zu dieser Magdeburger Zeit Ottos zu finden318. Das Denkmal ist wirklich großartig; ich danke Ihnen sehr dafür, daß Sie mich darauf hingewiesen haben. Aber auch das ruhige, etwas ältere Steinbild von Otto und Editha319 im Dom ist sehr eindrucksvoll; es scheint mir eine sehr wesentliche Ergänzung zu sein. Die Braunschweiger Kirchen sind sehr schön, zum Teil sind sie eigenartig dadurch, daß sie verschieden geformte Türme und zwischen den Doppeltürmen eine hochgezogene Fassade haben320. Aber das Wesentliche in Braunschweig scheint mir doch ein ganz alter Christus zu sein, ein Gekreuzigter mit langem, strengem Gewand, mit einem ungeheuer ausdrucksvollen Kopf321, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Ich lege 313 Huber hatte sich vom 27.8. bis zum 30.9.1932 in Berlin aufgehalten. Ebd., S. 211–221. 314 Anima Louise Schmitt (1931–1983) war das einzige Kind Schmitts. Sie heiratete später den spanischen Juristen Alfonso Otero (1925–2001), der an der Universität von Santiago de Compostela lehrte. Reinhard Mehring, „Eine Tochter ist das ganz andere“. Die junge Anima Schmitt (1931–1983), Plettenberg 2012 (= Carl Schmitt Opuscula, Plettenberger Miniaturen, 5). 315 Am 30.9.1932. 316 Zwischen 1209 und 1520 errichtete hochgotische Kathedrale. 317 Otto I. (912–973) war deutscher Kaiser in den Jahren 936–973. Sein Denkmal, der sogenannte Magdeburger Reiter (geschaffen um 1240), stand auf dem Alten Markt. 318 Auferweckung des Lazarus, Reichenauer Arbeit für den Hochaltar des Magdeburger Doms, gestiftet von Otto dem Großen, in: Deutsches Volkstum 14 (1932), nach S. 808. Es handelt sich um den aus Elfenbein mit Goldblech geschnitzten Einband des Codex Wittekindeus, der auch heute noch in der Staatsbibliothek zu Berlin aufbewahrt wird. Deutsche Fotothek, Aufnahme-Nr. FD 176 328. 319 Das Herrscherpaar aus dem 14. Jahrhundert in der Kapelle des Doms soll Otto I. und seine erste Frau Editha (910–946) darstellen. 320 Es könnten der Dom, die Magnikirche, die Martinskirche, die Katharinenkirche und die Andreaskirche gemeint sein, die zwischen dem 11. und dem 13. Jahrhundert erbaut wurden.

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Ihnen eine Aufnahme bei322. Schließlich war ich noch in Hildesheim; mir scheint, daß die ganze Größe der sächsischen Kaiser323 erst in den romanischen Bauten | von Hildesheim offenbar wird. Der zweigeschossige Kreuzgang des Doms324, die in der äußeren Gestalt ganz reine Kirche St. Godehards325, vor allem aber das Innere von St. Michael326 waren für mich Eindrücke von großer Wucht. Das Großartigste allerdings ist das Grab des Bischofs Bernward327, ein[e] rein romanische Krypta unter St. Michael. Wir sprachen in Berlin viel über Gräber, und ich habe in Magdeburg und Braunschweig noch u. a. die Gräber von Otto dem Großen und Heinrich dem Löwen328 gesehen. Vieles kommt der Größe, der Würde und dem Frieden dieses fast ein Jahrtausend alten Bischofsgrabs gleich. (Umso empörender für einen Protestanten, daß ein mit grellen Mosaikarbeiten versehener Altar des 19. Jahrhunderts in diesem Raum aufgestellt worden ist; die Krypta ist katholisch, während St. Michael selbst seit 1546 protestantisch ist). Wichtiger als ein Buch über Staat und Drama329 scheint mir ein Buch über Staat und Baukunst zu sein. Moeller van den Brucks330 „Preußischer Stil“331 ist etwas sehr Vorläufiges; die große Frage: Friedrich332 und Sanssouci333 ist mir erst bei diesen Bauten der Ottonen ganz aufgegangen. 321 Gemeint ist das im Braunschweiger Dom hängende monumentale romanische Imervard-Kreuz, das nach dem unbekannten Bildhauer benannt ist, der es um 1150 schuf. 322 Die Anlage fehlt. 323 Fünf sächsische Kaiser regierten das Reich zwischen 919 und 1024. Aus dem sächsischen Adelsgeschlecht der Liudolfinger stammend, wurde die Dynastie nach dem ersten Kaiser Otto benannt. Zu den Ottonen zählen die Kaiser Otto I. (936– 973), Otto II. (973–983), Otto III. (983–1002) und Heinrich II. (1002–1024). 324 Der Mariendom in Hildesheim wurde 872 eingeweiht. 325 Die rein romanische Kirche St. Godehard, erbaut vor 1172, liegt am Südrand der Altstadt von Hildesheim. 326 Die romanische Kirche St. Michael wurde im Jahre 1033 geweiht. 327 Bernward (950/960–1022) war seit 993 Bischof von Hildesheim. 328 Heinrich der Löwe (um 1130–1195) war der bedeutendste Herzog aus dem Geschlecht der Welfen und Gegenspieler Kaiser Friedrichs I. Sein Grab befindet sich im Braunschweiger Dom. 329 Gustav Hillard, Staat und Drama, Berlin 1932. 330 Arthur Moeller van den Bruck (1876–1925), Kunsthistoriker und Staatstheoretiker, war einer der Hauptvertreter der Konservativen Revolution. Sein Hauptwerk mit dem Titel „Das dritte Reich“ erschien 1923. André Schlüter, Moeller van den Bruck: Leben und Werk, Köln 2010. 331 Arthur Moeller van den Bruck, Der preußische Stil, München 1916. Die Abhandlung über Kunst und Architektur Preußens erschien 1931 bereits in fünfter Auflage mit bis dahin insgesamt 20.000 Exemplaren. 332 Friedrich II., genannt der Große (1712–1786) war preußischer König seit 1740. 333 Das Potsdamer Sommerschloss Friedrichs II. wurde in den Jahren 1745 bis 1747 im Rokokostil erbaut.

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Es ist mir aber auch klar geworden, wie sehr die deutschen Bischöfe zu Kaiser und Reich gehörten und wie mit dem unglücklichen Ausgang des Investiturstreits334 das Gerüst des Reiches gebrochen ist. Alles was unser Staatskirchenrecht treibt, dreht sich um Surrogate335 der Investitur. Und in der säkularisierten Form beschäftigt uns die Investitur ja unausgesetzt336.337 In den Zeitungen liest man jetzt täglich Andeutungen über den Verfassungsausschuß338; ich entnehme daraus, daß die Pläne Gayls339 inzwischen feste Gestalt gewonnen haben. Mir scheint immer noch, man sollte zunächst einige Entscheidungen fällen, bevor man an Normierungen denkt. Ich glaube nicht, daß man durch Normen politisch gestalten kann; ich glaube auch immer noch, daß eine Verfassung eine (vereinbarte) Norm, aber keine wirkliche Entscheidung ist. Es ist sehr deprimierend, Herrn Brachts340 Vorschriften über die Zwickel und ausgeschnittenen Beine der Badeanzüge zu lesen341, statt von wirklichen Ereignissen zu hören. Es ist wirk- | lich unglaublich, wie Alles gelähmt auf den Staatsgerichtshof342 starrt; man hat glücklich nun auch im Volke den Eindruck erweckt, daß erst dort die Entscheidung fällt. Ich hoffe sehr, daß Sie vor dem Beginn des Prozesses343 noch einige Tage Ausspannung gefunden haben. Wegen des Ausgangs habe ich auch jetzt, nachdem ich den Argumenten nicht mehr so nahe stehe wie in Berlin, 334

Der 1076 begonnene Investiturstreit, die Auseinandersetzung der deutschen Kaiser und Fürsten mit der Kirche über die Einsetzung und die Eignung der Bischöfe, endete 1122 mit dem Wormser Konkordat. 335 Ersatz. 336 Anspielung auf den häufigen Wechsel der Reichskanzler und der Reichsregierungen 1932/33. 337 Hier am Rand hatte sich Schmitt offenbar mit Bleistift Notizen über Bahnverbindungen gemacht. 338 Vermutlich ist ein Ausschuss zur Beratung der geplanten Reichsreform gemeint. 339 Wilhelm Freiherr von Gayl (1879–1945) war 1921–1932 Mitglied des Reichsrats und wurde unter von Papen 1932 Reichsinnenminister. http://www.bundesar chiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0000/adr/adrag/kap1_7/para2_23.html (26.5. 2014). 340 Franz Bracht (1877–1933) war seit dem Preußenschlag am 20.7.1932 preußischer Staatskommissar für Inneres. http://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/ 1919-1933/0011/adr/adrag/kap1_2/para2_259.html (26.5.2014). 341 Am 18.8.1932 erließ Bracht eine Ergänzung der Badepolizeiverordnung, den sogenannten „Zwickelerlass“, der als einer der übertriebenen Eingriffe des Staates in die Privatsphäre galt und breiten Raum für Spott bot. 342 Der Staatsgerichtshof beim Reichsgericht in Leipzig musste nach Art. 108 der Weimarer Reichsverfassung über die Reichsexekution vom 20.7.1932 gegen Preußen entscheiden. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 7, S. 1120–1132. 343 Der Prozess bestand aus drei mündlichen Verhandlungstagen am 10., 14. und 17.10. und endete mit dem Urteil am 25.10.1932.

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keine Sorge. Auch nicht wegen des Abs. 1344: der Zwang zur Pflichterfüllung ist der Natur der Sache nach bei Gefahr im Verzug nur unmittelbar möglich; die Anwendung des Zwangs würde durch vorheriges Gehör unmöglich gemacht; Verfahrensvorschriften sind dann unanwendbar, wenn ihre Befolgung die Ausübung der Befugnis zum Zwang ausschließen würde. Die Forderung nach rechtlichem Gehör auch bei Gefahr im Verzug soll die Waffe des Reichszwangs stumpf machen; sie verstößt deshalb gegen „Wortlaut und Geist“ der Verfassung345. Ich wünsche Ihnen sehr herzlich alles Gute für den Prozeß, nicht nur für den Ausgang, sondern auch für den Verlauf; Sie werden sich mit dem Gerichtshof unterhalten und nicht mit den Gegnern streiten! Empfehlen Sie mich bitte den Herren Bilfinger346 und Jacobi347. Beste Grüße und nochmaligen Dank für Frau Schmitt und Sie; einen besonderen Gruß für Anima. Ihr ganz ergebener Ernst Rudolf Huber

Nr. 49 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Braunschweig, 21.10.1932 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Motiv auf der Rückseite: Braunschweig Dom Westfront, Adresse: „Herrn Privatdozenten / Dr. E. R. Huber / Oberstein/Nahe / Auf der Au 18“, gestrichen: „Bonn a. Rh. / Godesbergerstr. 6 II“ 344 Art. 48, Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung lautete: „Wenn ein Land die ihm nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann der Reichspräsident es dazu mit Hilfe der bewaffneten Macht anhalten.“ Huber, Dokumente, Bd. 3, Nr. 154, S. 136. 345 Es handelt sich hierbei nicht um ein wörtliches Zitat. Vielmehr zählt es zu den klassischen juristischen Aussagen, dass in einem Rechtsstaat grundsätzlich Handlungen nicht gegen Wortlaut und Geist der geltenden Verfassung verstoßen dürfen. 346 Carl Bilfinger (1879–1958) war seit 1924 Professor für Öffentliches Recht in Halle, 1933 wechselte er nach Heidelberg. Zu ihm: http://www.catalogus-professo rum-halensis.de/indexb1918.html (26.5.2014). 347 Erwin Jacobi (1884–1965) lehrte 1920–1933 als Professor Öffentliches Recht in Leipzig und wurde 1933 aus rassischen Gründen entlassen. Bilfinger, Jacobi und Schmitt vertraten im Prozess gemeinsam die Reichsregierung. Martin Otto, Von der Eigenkirche zum Volkseigenen Betrieb: Erwin Jacobi (1884–1965), Tübingen 2008 (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, 57); ders. (Hg.), „Es ist eigenartig, wie unsere Gedanken sich begegnen.“ Erwin Jacobi und Carl Schmitt im Briefwechsel 1926 bis 1933, in: Schmittiana. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts, NF 1 (2011), S. 33–57.

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21. X 32 L.[ieber] H.[err] H.[uber,] Erst hier (wohin mich Ihr Brief getrieben hat348) kann ich mich bedanken und Ihre Grüße vom 5. Oktober erwidern. Könnten wir uns Sonntag abend in Köln treffen? Ich wohne [im] Dom Hotel und würde Sie, bejahendenfalls, bitten, mich gegen ½ 11 Sonntag morgen anzurufen349. Herzliche Grüße Ihres Carl Schmitt.

Nr. 50 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Bonn, 31.10.1932 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag

Bonn, den 31. Oktober 1932 Godesbergerstr. 6 Sehr verehrter Herr Professor, auf Ihre telefonische Anfrage hin350 habe ich mich, wie es selbstverständlich ist, bereit erklärt, nach Berlin zu kommen351, wenn ich dort nützlich sein kann352. Ich danke Ihnen für diesen erneuten Beweis Ihres Vertrauens, der mich sehr erfreut hat; ich halte es für meine Pflicht, Ihnen in dieser Zeit zur Verfügung zu stehen. Bei der Entscheidung über Art und Dauer des mir evt. zu erteilenden Auftrags bitte ich Sie folgendes zu berücksichtigen: Wenn ich jetzt für vierzehn Tage nach Berlin komme353, so wird meine Vorlesungstätigkeit empfindlich gestört. Ich habe eine Uebung im öffentlichen Recht in Konkurrenz mit Geheimrat Thoma zu halten, und die Hörer werden natürlich zu Thoma abwandern, wenn ich erst vierzehn Tage nach Semesterbeginn anfangen 348 Schmitt reiste auf Empfehlung Hubers (5.10.) mit dem Umweg über Braunschweig und Hildesheim nach Köln. Schmitt, Tagebücher, S. 226. 349 Zu einem Treffen am Sonntag, dem 23.10., kam es nicht. Huber rief Schmitt aber an. Schmitt, Tagebücher, S. 226. 350 Offenbar in dem Telefonat am 23.10. 351 Am 2. bzw. 3.11.1932 teilte der Kurator der Universität Bonn der Juristischen Fakultät mit, dass Huber „vom Ministerium für eine besondere Aufgabe für etwa 4 Wochen in Anspruch genommen“ werde. Archiv der Juristischen Fakultät Bonn, Personalakte Huber. Vgl. zu diesen Vorgängen auch Maetschke, S. 382 f. 352 Huber traf am 2.11.1932 in Berlin ein. Schmitt, Tagebücher, S. 229. 353 Huber blieb vom 2. bis zum 29.11., d.h. vier Wochen, in Berlin. Ebd., S. 229–240.

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kann354. Auch in meinen übrigen Vorlesungen werde ich voraussichtlich eine starke Einbusse an Hörern erleiden. Selbstverständlich spielt diese Frage, insbesondere auch ihre finanzielle Seite, eine durchaus untergeordnete Rolle. Aber da die Einnahme aus diesen Vorlesungen der wesentliche wirtschaftliche Rückhalt für mich ist, wird der Verlust mich nicht unempfindlich treffen. Es ist auch, abgesehen von allen wirtschaftlichen Fragen, keine angenehme Situation, das Semester vor leeren Bänken zu lesen. Ich bitte Sie auch zu bedenken, dass meine Beziehungen zur hiesigen Fakultät nicht günstig beeinflusst werden, wenn ich jetzt nach Berlin gerufen werde. Die Fakultät wird diese neue Sache selbstverständlich mit meinen früheren Bemühungen um Urlaub in Verbindung bringen, und die objektive | Unrichtigkeit dieser Auffassung wird die höchst subjektive Stellungnahme einzelner Herren nicht wandeln. Verstärkt würden alle diese Schwierigkeiten natürlich, wenn sich ergäbe, dass vierzehn Tage für den Auftrag nicht ausreichen, und wenn dann eine nachträgliche Verlängerung eintreten müsste. Ich schreibe Ihnen alles das nicht, weil meine Zusage mir inzwischen leid geworden wäre. Ich möchte Ihnen nur von vornherein ein klares Bild der Lage vermitteln, wie sie sich von Bonn aus darstellt. Vielleicht ist es Ihnen möglich, bei der Gestaltung meines Auftrags auf die Bonner Lage in irgendeiner Form Rücksicht zu nehmen. Ich muss selbstverständlich davon absehen, Ihnen irgendeinen konkreten Vorschlag zu machen, da ich die Voraussetzungen nicht kenne, unter denen ich in Berlin sein soll. Einen gewissen Vorteil würde es für mich bedeuten, wenn ich erst einmal acht oder vierzehn Tage hier lesen könnte, um dann für vierzehn Tage nach Berlin zu gehen, oder aber wenn ich einen festen Auftrag für die Dauer des Semesters erhielte, der meine volle Beurlaubung möglich machte. (obwohl in diesem letzten Fall der Aerger der Fakultät, der sich aber überhaupt nicht wird vermeiden lassen, nicht gerade gemindert würde). Ich nenne beides nur beispielhaft und möchte nicht, dass Sie annehmen, ich wolle Bedingungen stellen oder Vorschläge machen, was mir gänzlich fern liegt. Ich hoffe sehr, Sie verstehen diesen Brief, so, wie er gemeint ist, Es gibt für mich keine Vorbehalte und Bedingungen vor einer ernsthaften Aufgabe, und ich stehe voll zu Ihrer Verfügung. Ich würde mich aber freuen, wenn meine Angaben dazu dienen könnten, die schwebenden Fragen in Ihrem wie in meinem Interesse zu klären. Mit herzlichen Grüssen 354 Huber teilte dem Dekan am 2. bzw. 3.11.1932 mit, dass er vom Reichskommissar „den Auftrag zur Anfertigung einer wissenschaftlichen Arbeit“ und die Zusage von Urlaub für einen vierwöchigen Aufenthalt in Berlin erhalten habe. Er beantrage bei der Fakultät, seine Vorlesungen erst zum 1.12.1932 aufnehmen zu dürfen. Archiv der Juristischen Fakultät Bonn, Personalakte Huber.

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Nr. 51 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 1.11.1932 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, mit handschriftlichen Zusätzen, gedruckter Briefkopf: „Professor Carl Schmitt / Berlin NW 87, / Flotowstr. 5“

1. November 1932. Lieber Herr Huber! Vielen herzlichen Dank für Ihren Brief. Ich erhielt ihn einen Tag nach meinem Gespräch mit dem Reichsminister Bracht, der vom Preussischen Staatsministerium aus Sie telegraphisch bei der Fakultät auf 4 Wochen für das Staatsministerium anfordern wollte355. Natürlich liesse sich das nötigenfalls zu einer Anforderung für das ganze Semester erweitern, doch möchte ich darüber erst mit Ihnen mündlich sprechen. Die Finanzierung Ihres Auftrages ist durch eine ausdrückliche Erklärung einer Reichsbehörde sichergestellt, alles weitere möchte ich Ihnen lieber mündlich sagen, wenn Sie hier sind. Sie können wieder bei mir wohnen; sollte es Ihnen zweckmässig erscheinen, dass ich nicht genannt werde (ich habe Bracht empfohlen, meinen Namen nicht zu nennen), so könnten Sie irgendwo anders unterkommen; das überlasse ich ganz Ihnen. [am linken Rand handschriftlich: Wir würden uns freuen, Sie wieder für weitere Wochen als Gast bei uns zu haben.] Was Sie über die fakultätstechnischen Schwierigkeiten sagen, verstehe ich sehr gut. Ich hätte Sie nicht in Anspruch genommen, wenn es sich nicht um eine sehr wichtige, allerdings auch sehr anstrengende Angelegenheit handelte, für die einfach niemand356 anders da ist als Sie. Deshalb weiss ich auch Ihren Brief im Ganzen und insbesondere seinen Schluss wohl zu schätzen. [ab hier handschriftlich:] Morgen (Mittwoch) treffe ich Ott357. Herzliche Grüße Ihres Carl Schmitt.

355 Im Tagebuch notierte Schmitt, dass er sich mit Bracht am Montag, dem 31.10.1932, um 6 Uhr getroffen habe. Schmitt, Tagebücher, S. 229. 356 Im Original steht hier versehentlich „niemals“. 357 Das Gespräch mit Ott fand nachmittags um 5 Uhr statt, am selben Tag traf auch Huber in Berlin ein. Ebd.

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Nr. 52 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Düsseldorf, 23.11.1932 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Motiv auf der Rückseite: Jan-Wellem-Denkmal358 in Düsseldorf, Adresse: „Herrn / Dr. E. R. Huber / bei Prof. Schmitt / Berlin NW 87 / Flotowstr. 5“

23.11.32359. Lieber Herr Huber, vielen Dank für das MS360 Ihrer Abhandlung361, das heute morgen pünktlich eintraf; ich habe es schon gelesen und finde es ganz großartig und in jeder Hinsicht ganz und rund. Das können Sie auch M.[ichael] von mir sagen. Mein Vortrag362 hat mir viele Freude gemacht. Auf Wiedersehn, herzliche Grüße Ihres Carl Schmitt

Nr. 53 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Bonn, 3.12.1932 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6258 Brief, handschriftlich

Bonn, 3. Dezember 1932 Hochverehrter Herr Professor, die Reise ist ohne Zwischenfälle verlaufen363, und langsam gewöhne ich mich in den Universitätsbetrieb zurück. Die ersten Vorlesungen waren leid358 Das barocke Reiterstandbild des italienisch-flämischen Bildhauers Gabriel de Grupello (1644–1730) wurde 1711 auf dem Marktplatz der Düsseldorfer Altstadt errichtet. Es stellt den Kurfürsten und Herzog von Jülich und Berg Johann Wilhelm von der Pfalz (1658–1716) dar. 359 Schmitt erwähnt diese Karte im Tagebuch. Schmitt, Tagebücher, S. 238: „Broschüre von Huber gelesen, begeistert, ihm gleich eine Karte geschrieben.“ 360 Abkürzung für „Manuskript“. 361 Ernst Rudolf Huber, Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, Oldenburg i. O. 1932 (= Schriften an die Nation, 42). Huber hatte sich zusätzlich unter Pseudonym zum Urteil geäußert: [Konrad Fehling], Das Urteil des Staatsgerichtshofs, in: Deutsches Volkstum 14 (1932), S. 985 f. 362 Schmitt trug am 23.11. vor dem sogenannten Langnamverein in Düsseldorf zum Thema „Gesunde Wirtschaft im starken Staat“ vor, der in den Mitteilungen des Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen 21 (1932), S. 13–32, gedruckt wurde. Schmitt, Tagebücher, S. 237. 363 Huber reiste am Dienstag, dem 29.11., von Berlin zurück nach Bonn. Schmitt, Tagebücher, S. 240.

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lich besucht; ich hatte ungefähr die Hälfte der Hörer wie in früheren Semestern, und ich bin damit ganz zufrieden. Aufs Allerherzlichste habe ich Ihnen zu danken für die gastliche Aufnahme in Ihrem Hause, vor allem aber für die Eindringlichkeit, mit der Sie mich bei der Schrift über den Staatsgerichtshof beraten und unterstützt haben. Es war mir ein besonders schönes Zeichen Ihres Vertrauens, daß Sie mich zu dieser Arbeit herangezogen haben, und ich hoffe nur, daß das endgültige Ergebnis Sie nicht allzu sehr enttäuschen wird. Die Korrekturen sind erledigt, und gestern habe ich schon den Umbruch der beiden ersten Bogen erhalten. Ich finde das Bild, das die Sache annimmt, schön und bin sehr froh darüber, daß die Arbeit in dieser Schriftenreihe364 erscheinen kann. Friesenhahn, dem ich davon erzählte, bedauerte es sehr, daß ich nicht zu einem juristischen Verlag gegangen bin, sondern in einer Reihe mit Schacht365 und ähnlichen Leuten erscheinen soll366, und er verstand es nicht ganz, als ich ihm sagte, daß mir dieser Rahmen gerade besondere Freude mache. Nun, wo Schleicher367 Kanzler geworden ist, wird es mir erneut zweifelhaft, ob Sie im Sommer368 wirklich in Köln sein werden. Denn wenn Schleicher das ist, was wir von ihm hoffen369, wird die jetzt fühlbare Entspannung im nächsten Jahr der entscheidenden | Auseinandersetzung weichen. Dann wird der General Sie nicht entbehren können. Wie denken Sie über die Versendung von Dedikationsexemplaren370 der Schrift. Ich wollte vom Verlag aus „im Auftrag des Verfassers“ die Schrift an die Richter und die preußischen, bayrischen und badischen Prozeßvertre364 Die Broschürenreihe „Schriften an die Nation“ erschien mit über siebzig Bänden zwischen 1931 und 1942 im Verlag Gerhard Stalling (Oldenburg). 365 Hjalmar Schacht (1877–1970) amtierte von 1923 bis 1930 und von 1933 bis 1939 als Reichsbankpräsident und zwischen 1934 und 1937 als Reichswirtschaftsminister. Christopher Kopper, Hjalmar Schacht. Aufstieg und Fall von Hitlers mächtigstem Bankier, München 2006. 366 Hjalmar Schacht, Grundsätze deutscher Wirtschaftspolitik, Oldenburg 1932 (= Schriften an die Nation, 1). Weitere Autoren waren bis 1932 Karl Jaspers, Oswald Spengler und Arthur Moeller van den Bruck. 367 Kurt von Schleicher (1882–1934) war ursprünglich General der Infanterie und wurde am 3.12. von Reichspräsident von Hindenburg als Nachfolger Franz von Papens zum deutschen Reichskanzler ernannt. Irene Strenge, Kurt von Schleicher. Politik im Reichswehrministerium am Ende der Weimarer Republik, Berlin 2006. 368 Gemeint ist hier das Sommersemester 1933. Schmitt wechselte zum Wintersemester 1933/34 an die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. 369 Huber und Schmitt erwarteten von Schleicher, dass er unter allen Umständen die Nationalsozialisten von der Macht fernhalten würde. 370 Widmungsexemplare.

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ter schicken lassen, den Reichsvertretern371 und einigen Reichsministern dagegen die Schrift persönlich zuschicken. In den Korrekturen habe ich noch einige kleine Ergänzungen vorgenommen. Vor allem habe ich noch ein Häberlin372-Zitat eingefügt373, um diesem prachtvollen Mann nicht Unrecht zu tun. Ich habe die maßgebenden Kapitel bei ihm jetzt gelesen, und ich finde sie einfach großartig. Das Schönste ist die Selbstverständlichkeit, mit der er ein jus eminens374 gegenüber staatsgefährdenden Gerichtsurteilen annimmt; er ist deswegen später auch von Zachariae375 und andren beschimpft worden. Es ist aber nur selbstverständlich, daß die justizförmige Politik als Abwehr ein solches jus eminens hervorruft. Der Verzicht auf die Vollstreckung und die Anwendung des Art. 48 Abs. 2376 in der Verordnung vom 18. November377 ist eine Anwendung des jus eminens in „legaler“ Verhüllung. 371 Als Prozessvertreter wirkten mit für das Reich: Ministerialdirektor Georg Gottheiner, Ministerialrat Werner Hoche sowie die Staatsrechtler Carl Schmitt, Carl Bilfinger und Erwin Jacobi, für das Land Preußen: die Ministerialdirektoren Arnold Brecht und Hermann Badt, die Staatsrechtslehrer Gerhard Anschütz und Friedrich Giese, für das preußische Zentrum der Staatsrechtler Hans Peters, für die SPD der Staatsrechtler Hermann Heller, für Bayern Staatsrat Heinrich von Jan und die Staatsrechtler Hans Nawiasky und Theodor Maunz, für Baden Ministerialdirektor Hermann Fecht und Oberregierungsrat Ernst Walz. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 7, S. 1121. 372 Karl Friedrich Häberlin (1756–1808) war ein deutscher Staatsrechtslehrer, der in Erlangen und Helmstedt wirkte. Marta Asche, Häberlin, Karl Friedrich, in: Neue Deutsche Biographie 7 (1966), S. 420 f. 373 Hubert, Reichsgewalt. Gemeint ist wohl das Zitat auf S. 44: „Die Gerichtshöfe sind bestellt, Justizsachen zu erörtern und zu entscheiden. Sobald sie weitergehen und sich auch in Regierungssachen mischen, so überschreiten sie die ihnen angewiesene Gränze. So wenig der Landesherr Despot seyn darf, ebenso wenig dürfen sich die Gerichte über ihn erheben und sich das Recht anmaßen zu beurtheilen, welcher gestalt die Hoheitsrechte auszuüben sind.“ [Carl Friedrich] Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts nach dem System des Herrn Geheimen Justizrath Pütter, Bd. 2,2, Berlin 1797, S. 456–458. Es findet sich bei Huber, Reichsgewalt, S. 69 ein weiteres Zitat Häberlins. 374 Gemeint ist ein Ausnahmerecht, das oft als Begründung für eine umfassende Landeshoheit des Landesherrn diente. 375 Heinrich Albert Zachariae (1806–1875) war ein deutscher Jurist und Politiker, der an der Universität Göttingen lehrte und 1848/49 in der Deutschen Nationalversammlung saß. Christian Starck, Heinrich Albert Zachariae. Staatsrechtslehrer in reichsloser Zeit, in: Fritz Loos (Hg.), Rechtswissenschaft in Göttingen. Göttinger Juristen aus 250 Jahren, Göttingen 1987, S. 204–228. Es könnte aber auch Karl Salomo Zachariae (1769–1843) gemeint sein. Er lehrte seit 1807 in Heidelberg. William Fischer, Zachariae, Karl Salomo, in: Allgemeine Deutsche Biographie 44 (1898), S. 646–652. 376 Art. 48, Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung lautete: „Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich

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Mit der Fakultät hier habe ich schon einige bittere Erfahrungen machen müssen. Eine 4-stündige öffentlichrechtliche Vorlesung, die von den Ordinarien des Staatsrechts im Sommer nicht gelesen wird, wurde Graf Dohna378 angetragen; es scheint mir kein sachlicher Anlaß dafür zu bestehen, und die Begleitumstände, unter denen ich hier ausgeschaltet worden bin, waren für mich reichlich kränkend. Leider hat auch Heckel sich in dieser Sache anders verhalten, als ich glaubte erwarten zu dürfen. Mit herzlichen Grüßen Ihr dankbar ergebener Ernst Rudolf Huber PS. Einen Füllfederhalter und einen Bleistift, die ich habe liegen lassen, kann Herr Vorwerk379 gelegentlich abholen lassen und mir zuschicken.

Nr. 54 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 4.12.1932 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Professor Carl Schmitt / Berlin NW 87, / Flotowstr. 5“

4. Dez. 1932. Lieber Herr Huber, herzlichen Dank für Ihren Brief vom 3. Dezember. Gleichzeitig erhielt ich von Stalling380 die umgebrochene Korrektur des ganzen Buches. Es ist wirklich eine sehr schöne, klare und präzise Schrift geworden. Die kleine gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen.“ Huber, Dokumente, Bd. 3, Nr. 154, S. 145 f., 151. 377 Anordnung des Reichspräsidenten über die Abgrenzung der Zuständigkeiten in Preußen vom 18. November 1932. Ebd., Nr. 477, S. 542–544. 378 Alexander Graf zu Dohna(-Schlodien) (1876–1944) war seit 1926 Professor für Strafrecht in Bonn. 379 Friedrich Vorwerk (1893–1969) war Publizist und Verleger. Er war Schriftleiter der Zeitschrift „Der Ring“, in der Huber um 1930 etliche Beiträge veröffentlichte. Briefwechsel Ernst Forsthoff – Carl Schmitt (1926–1974), hg. v. Dorothee Mußgnug/Reinhard Mußgnug/Angela Reinthal, Berlin 2007, S. 357. 380 Der 1789 gegründete Stalling-Verlag wurde von 1896 bis 1934 von den Urenkeln des Firmengründers Gerhard Stalling, Heinrich (1865–1941) und seinem Bruder Paul Stalling (1861–1944), gemeinsam geführt.

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Korrektur, die Lohmann noch anbringen wollte und wegen der Sie gestern antelegrafiert wurden381, ist nicht so wesentlich, daß man ihretwegen auch nur einen Augenblick Bedenken haben sollte. Wir wußten nicht, daß die Drucklegung schon soweit vorgeschritten war. Ich finde bei der Lektüre der umgebrochenen Fahnen sogar einen gewissen Vorzug darin, daß sich zwischen die ersten beiden sehr frappanten Seiten und die Darlegung der „Zerstörung der Prozeßform“382 eine kleine allgemeinere Reflexion von nur 2 Seiten als ein ritardando383 einfügt384. Namentlich, weil die „Zerstörung der Prozeßform“ ein Kabinettstück ersten Ranges ist, in dem es Ihnen gelungen ist, die überaus schwierige, verwickelte und widerspänstige Materie in einer schlichten, durchsichtigen Einfachheit hinzusetzen. Wenn auch nicht Herr Schwalb385, so könnte doch z. B. Herr v. Müller386 kapieren, was hier los ist. Daß das Buch in der Stalling’schen Schriftenreihe erscheint, halte auch ich für gut und richtig387. Friesenhahn wird seine Bedenken vor allem daraus geschöpft haben, daß [über der Zeile: selbst] er noch kein größeres Buch in einem „juristischen“ Verlag hat erscheinen lassen388. Wenn statt Schacht Graf Dohna in der Reihe schriebe, so wäre sie wohl juristischer? Und von einem „geschärften kritischen Bewußtsein“ getragen?389 | Was die Dedikationsexemplare angeht, so müssen Sie bei den persönlichen Zusendungen vorsichtig sein. Ich würde die Zusendung an die Richter und die klägrischen Vertreter nur mit einer Besuchskarte begleiten, natürlich nicht mit einer handschriftlichen Widmung. Bei einigen Fachkollegen[,] wie Anschütz, Giese390[,] ist es wieder anders. Bumke selbst ist ein in die381 Das Telegramm ist nicht überliefert. Zur Entstehung der Broschüre: Breuer, Schmitt im Kontext, S. 214 f. 382 Huber, Reichsgewalt, S. 11–17. 383 Richtig: retardando, d.h. Verschiebung, Verzögerung. 384 Die Seiten 9 bis 11 thematisieren allgemein die Funktion des Staatsgerichtshofs in der Weimarer Verfassung und schließen mit einem Hegel-Zitat. Das erste Kapitel trägt die provokante Überschrift „Politische Justiz“ (S. 7–11). 385 Maximilian Schwalb (1864–1943) war seit 1924 Reichsgerichtsrat und Mitberichterstatter im Prozess Preußens gegen das Reich. http://www.bundesarchiv.de/ aktenreichskanzlei/1919-1933/0020/adr/adrsz/kap1_1/para2_264.html (26.5.2014). 386 Eventuell der Geheime Justizrat Georg Müller (1868–1945), der seit 1922 als Reichsgerichtsrat tätig war. 387 Die Broschüre sollte ursprünglich bei der Hanseatischen Verlagsanstalt erscheinen. Das Reichswehrministerium hatte eine Abnahmegarantie von 10.000 Exemplaren zugesagt. Breuer, Schmitt im Kontext, S. 210. 388 Eine polemische Bemerkung, denn dessen Dissertation Ernst Friesenhahn, Der politische Eid, Bonn 1928 (= Bonner rechtwissenschaftliche Abhandlungen, 1) war im Bonner Verlag Röhrscheid erschienen. 389 Offenbar ein Zitat aus einem Schreiben Friesenhahns.

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ser Hinsicht sehr schwieriger Fall. Hier scheint mir entweder ein Begleitschreiben oder eine bloße Karte das Richtige. Doch schreibe ich das nur, um Ihre Frage nach meiner Meinung über diese Seite der Angelegenheit nicht unbeantwortet zu lassen. Wahrscheinlich weiß Fräulein Simons hier besser Bescheid als ich391. Ich habe auf die Berliner Promiskuität392 mit einer zu großen Distanz-Empfindlichkeit reagieren müssen, um hier ein guter Berater zu sein. Das Häberlin-Zitat auf S. 43/44 ist sehr schön393; über die Ehrenrettung H.[äberlin]’s freue ich mich; ich habe ihn mir schon aus der Bibliothek kommen lassen. Welcher Abschnitt eignet sich zum Abdruck in Zeitungen? Lassen Sie sich durch die Fakultätserfahrungen nicht deprimieren; sie sind lehrreich und heilsam, wenn man ihre Bitterkeit nicht giftig werden läßt, und das hat man selber in der Hand. Ich sage das nicht, weil ich die Bitterkeit solcher Erfahrungen nicht kännte; auch nicht etwa, weil ich mich praktisch desinteressiere, ganz im Gegenteil; Sie stehen damit nicht allein[,] und es gibt hoffentlich für Sie auch noch andere Erfahrungen. Frau Schmitt schickt Ihnen die beil. Abzüge394. Leider ist nur ein Bild gut geworden. Wenn Sie den Film wünschen, bekommen Sie ihn gleich. Frau Schmitt läßt vielmals grüßen und für Ihren freundlichen Brief danken; sie hat sich ebenso wie ich aufrichtig darüber gefreut, daß Sie unser Gast waren. Zum Schluß alle guten Wünsche für Ihre Schrift über Reichsgewalt und Staatsgerichtshof und herzliche Grüße Ihres Carl Schmitt.

390 Friedrich Giese (1882–1958) war von 1914 bis 1946 Professor für Staats-, Verwaltungs-, Steuer- und Kirchenrecht in Frankfurt am Main. Michael Stolleis, Friedrich Giese (1882–1958), in: ders./Bernhard Diestelkamp (Hg.), Juristen an der Universität Frankfurt am Main, Baden-Baden 1989, S. 117–127. 391 Anspielung darauf, dass Tula Simons die Tochter des früheren Reichsgerichtspräsidenten Walter Simons war. 392 Gemeint sind die verschiedenen sich vermischenden Interessen in der Reichshauptstadt. 393 Deutschland, schrieb Häberlin 1797, sei glücklich, weil man hier „Revolutions-Prozesse“ führen könne. Gerichtshöfe dürften aber keine Regierungssachen entscheiden. 394 Im Huber-Nachlass sind weder der Brief noch die Fotos enthalten.

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Nr. 55 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Bonn, 7.12.1932 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6259 Brief, handschriftlich

Bonn, 7. Dezember 1932 Sehr verehrter Herr Professor, für die beiden Briefe vom 4. und 6. Dezember395 danke ich Ihnen herzlich. Ich freue mich sehr, daß Sie die Schrift so günstig beurteilen und daß Sie die Bedenken Lohmanns gegen den ersten Abschnitt nicht so erheblich finden. Wegen des Vorabdrucks in Zeitungen hat Herr Michael mir auch geschrieben. Er meint, ein einzelner Abschnitt eigne sich nicht besonders dazu, und er will lieber ein Referat herstellen. Er mag damit wohl Recht haben. Allenfalls wären die drei letzten Abschnitte (S. 62–73)396 zum selbständigen Abdruck geeignet; man könnte dabei die geschichtlichen Bemerkungen (S. 66–69 oben)397 weglassen, weil das Ganze wohl zu lang ist. Von Triepels Aufsatz398 habe ich auch schon gehört. Ich nehme an, daß diese Gattung von Leuten besonders empfindlich auf meine Schrift reagieren wird. Aber das ist nicht schlimm. Vielleicht können Sie mit Geheimrat Stalling399 die Frage der Reklame einmal kurz besprechen. Die Anzeige im Buchhändler Börsenblatt400 war mir nicht sehr angenehm, und ich habe Stalling gestern deswegen geschrieben401. Ich werde als „bekannter Staatsrechtslehrer“ angepriesen; die auf S. 11 angegebenen Worte Hegels402 werden als meine Worte angeführt; u. a. m. Es scheint mit allen Verlegern dasselbe zu sein. 395

Ein Brief vom 6.12.1932 ist nicht überliefert. Das sind die Kapitel aus Huber, Reichsgewalt, mit den Überschriften „Der Mißbrauch der Rechtsstaatlichkeit“ (S. 62–69), „Justizförmige Politik“ (S. 69–71) und „Die Ehre Preußens“ (S. 71–73). 397 Es handelt sich um Ausführungen zum Exekutionsrecht im Alten Reich, im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. 398 Heinrich Triepel, Die Entscheidung des Staatsgerichtshofs im Verfassungsstreite zwischen Preußen und dem Reiche, in: Deutsche Juristen-Zeitung 37 (1932), Sp. 1501–1508. 399 Heinrich Stalling führte den Titel Geheimer Kommerzienrat. 400 Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 282 vom 3.12.1932, S. 5828. Neben den anschließend genannten Zitaten lautet die markige Überschrift: „Der Staatsgerichtshof – eine Gefahr für die Einheit und Stärke des Reiches!“ Diese Gefahr entstehe, wenn sich die Staatsgerichtsbarkeit wie zuletzt „als politisches Kampfmittel des Parteienbundesstaates“ zeige. 401 Das Schreiben ist nicht überliefert. 396

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An dem Aufsatz von Clemens Lang403 stört mich nicht nur das Wort „Ideologie“, sondern auch eine gewaltsame Überheblichkeit im Ton, die ich nicht | gut vertrage. Aber es finden sich doch sehr viele gute Bemerkungen und Beobachtungen. Ich möchte Ihnen, nachdem ich „das abenteuerliche Herz“404 auf der Reise gelesen habe, noch einmal ganz besonders für dieses Geschenk danken. Das Buch ging mir sehr nahe, nachdem ich den „Prinzen von Homburg“405 gesehen und mit Ihnen und Anderen so viel über dieses Stück gesprochen und nachgedacht hatte. Ich habe das Stück jetzt noch einmal gelesen. Der Schlüssel muß im ersten Akt liegen, und der Traum406 ist nur verständlich, wenn man zum Traum dieses Verhältnis Jüngers407 hat, der von Romantik und Psychoanalyse gleich weit entfernt ist. Sie müssen mit Jünger doch noch einmal über den Homburg-Traum sprechen; er muß darüber sehr wichtige Dinge zu sagen haben. Bestellen Sie bitte Frau Professor408 meinen herzlichsten Dank für die Bildchen; es tut mir sehr leid, daß die meisten, vor allem die mit Anima, nichts geworden sind. Es ist doch empörend, daß Bumke nach dem Schandurteil vom 25. Oktober409 durch das Stellvertreter-Gesetz410 diese Erhöhung erfahren soll. Aber 402

Das Zitat des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) lautete: „Aber die Rechtspflege tritt ganz aus ihrer Natur, wenn Staatsgewalt ihr Gegenstand werden soll, weil hiermit sie, die wesentlich nur ein Teil des Staats ist, hiermit über das Ganze gesetzt würde.“ Das Zitat stammt aus Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Parallelstellen zur Verfassungsschrift, in: ders., Frühe Schriften, Frankfurt a. M. 1986 (= Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke, 1), S. 582–602 [zuerst 1800–1802], hier S. 595. 403 Unter dem Pseudonym Clemens Lang veröffentlichte Günther Krauß. Es ist gemeint: Lang, Die Ideologie des Widerstandes. Siehe oben Anm. 245. 404 Ernst Jünger, Das abenteuerliche Herz, Berlin 1929. 405 Der Prinz von Homburg („Prinz Friedrich von Homburg oder die Schlacht bei Fehrbellin“) ist ein 1809/10 von Heinrich von Kleist (1777–1811) verfasstes Drama, das erst nach seinem Tod 1821 in Wien uraufgeführt wurde. 406 Das Theaterstück spielt am Vorabend der Schlacht von Fehrbellin 1675, in der sich der Prinz im Traum bereits als Sieger sieht. In Fehrbellin (sechzig Kilometer nordwestlich von Berlin) schlugen preußische Truppen überraschend die Schweden. Landgraf Friedrich II. von Hessen-Homburg (1633–1708) befehligte die brandenburgische Kavallerie. Huber verglich die Situation des Prinzen von Homburg mit derjenigen der Schmitt nahe stehenden Juristen Ende 1932. 407 Der Schriftsteller Ernst Jünger (1895–1998) war lange Jahre mit Schmitt befreundet. Helmuth Kiesel, Ernst Jünger. Die Biographie, Berlin 2007; Ernst Jünger – Carl Schmitt. Briefe 1930–1983, hg. v. Helmuth Kiesel, Stuttgart 1999. 408 Duschka Schmitt. 409 Das Urteil des Staatsgerichtshofs im Streit zwischen Preußen und dem Reich. Ein Auszug ist gedruckt bei Huber, Dokumente, Bd. 3, Nr. 474, S. 536–539.

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es ist nur konsequent; der Dank des Parteienbundesstaats war ihm gewiß. Daß die Nazis sich zum Vollstrecker dieses Dankes machen, gliedert sie vollends in die Front von Leipzig ein411. Schleicher und Hindenburg412 dürfen nicht zulassen, daß dieses Gesetz zustande kommt; aber der schlaue Bumke (oh weiser, oh gerechter Richter413) wird wohl triumphieren. Mit herzlichen Grüßen Ihr dankbar ergebener Ernst Rudolf Huber414

Nr. 56 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 7.12.1932 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, am Briefkopf mit Bleistift: „7/12 32“

Lieber Herr Huber, Freitag mittag treffe ich mit dem Geh.[eimen] Rat Stalling zusammen415. Für den Fall, daß Sie bei ihm etwas durch mich anbringen möchten, geben Sie mir bitte rechtzeitig Nachricht. Triepel veröffentlicht seine Diskussionsrede aus der Deutschen Gesellschaft416 in den nächsten Nummern der DJZ417; Schluß: ein begeistertes: 410 Reichsgesetz vom 17.12.1932. Reichsgesetzblatt 1932 I, S. 547. Danach war nicht mehr der Reichskanzler, wie nach Art. 51 der Reichsverfassung, sondern der Reichsgerichtspräsident der ständige Vertreter des Reichspräsidenten. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 7, S. 1168–1170. Die Debatte über dieses Gesetz im Reichstag fand am 7.12.1932 statt, an dem dieser Brief verfasst wurde. 411 Die NSDAP-Fraktion im Reichstag hatte den Gesetzentwurf eingebracht, um damit den Reichskanzler zu schwächen. Vgl. auch Carl Schmitt, Die Stellvertretung des Reichspräsidenten, in: Deutsche Juristen-Zeitung 38 (1933), Sp. 27–31. 412 Paul von Hindenburg (1847–1934) war im Ersten Weltkrieg Generalfeldmarschall und Chef der Obersten Heeresleitung gewesen. Nach dem Tod von Friedrich Ebert wurde er 1925 zum zweiten Reichspräsidenten der Weimarer Republik gewählt. 1933 ernannte er Hitler zum Reichskanzler. Wolfram Pyta, Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, München 2007. 413 Ein Zitat des jüdischen Geldverleihers Shylock gegenüber der Adligen Portia in William Shakespeare, Der Kaufmann von Venedig, 4. Aufzug, 1. Szene. 414 Schmitt kommentierte am 8.12.1932: „Schöner Brief von Huber“. Schmitt, Tagebücher, S. 243. 415 Er traf Stalling am 9.12.1932 im Hotel Bristol. Ebd. 416 Die Deutsche Gesellschaft 1914 e. V. war ein 1915 gegründeter politischer Klub in Berlin, der sich 1934 zwangsweise selbst auflöste. Schmitt hatte am 10.11.1932 in der Deutschen Gesellschaft über das „Leipziger Urteil“ gesprochen. 417 Siehe oben Anm. 398.

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Fiat justitia, pereat mundus418. Schön, daß Ihr Fiat justitia[,] pereat Germania419 kommt. Eine kleine Korrektur habe ich übersehen: Häberlin sagt: vor wirklichen gewaltsamen Revolutionen sicher420. Wenigstens steht es so in der Ausgabe von 1797; übrigens ist es nicht wichtig. Haben Sie den Aufsatz Ideologie des Widerstands421 im letzten Heft des D. V.422 gelesen? Das Wort Ideologie stört mich sehr. Sonst ist der Aufsatz voll und kompakt. Über den Satz: „An seiner offiziellen Staatslehre besitzt Deutschland kein nennenswertes potentiel de guerre“423 kann man sich lange freuen. Besten Dank für Ihre Karte424 und herzliche Grüße Ihres Carl Schmitt. 7.12.1932.

Nr. 57 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 18.12.1932 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

18. Dezember 1932 Lieber Herr Huber! Vielen Dank für die Zusendung Ihrer Schrift über den Staatsgerichtshof und den herrlichen Satz von Kleist425. Wenn nur einige Köpfe und Herzen Ihrer 418

Lat. Sinnspruch: „Es möge Recht geschehen, und sollte die Welt daran zerbrechen.“ 419 Abwandlung des lateinischen Sinnspruchs: „Es möge Recht geschehen, und sollte Deutschland daran zerbrechen.“ Dies steht am Ende des Hegel-Zitats von 1802 in Huber, Reichsgewalt, S. 5. 420 Huber, Reichsgewalt, S. 69, hatte Häberlin folgendermaßen zitiert: „Ein Glück, daß wir in Teutschland Revolutions-Prozesse führen können! So lange wir dies dürfen und dadurch Abhilfe unserer Beschwerden bewirken können, sind wir vor wirklichen Revolutionen sicher.“ 421 Siehe oben Anm. 245. 422 Abkürzung für „Deutsches Volkstum“. 423 Franz: „Kriegsmittel, Kampfmittel.“ Dazu: Lang, Ideologie, S. 963. Siehe oben Anm. 245. 424 Nicht überliefert. 425 Heinrich von Kleist (1777–1811) zählte in den Weimarer Jahren zu den am meisten gelesenen Dichtern. Der erwähnte Satz war entweder in einer Widmung für Schmitt oder in einem verlorenen Begleitbrief enthalten.

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Jahrgänge diese Schrift erfassen, ist es gut. Von den Alten ist nicht viel zu hoffen; selbst wenn sie alles genau verstehn, sind sie doch keiner conclusio426 fähig. Daß man jetzt auch von Reichswegen den Staatsgerichtshof in der Begnadigungsfrage427 anrufen will, weil es sich hier um Menschenleben handelt, ist Beweis genug. Der preußische Generalstab428 ist das großartigste Kollektiv der Welt, er überlebt Niederlagen und Siege, Armut und Reichtum, aber jetzt steht er vor der neuen Aufgabe, das Reich zu retten. Sie haben ihm durch Ihre Schrift tapfer geholfen und die Ehre unseres Faches gerettet. Lassen Sie sich deshalb durch keinerlei hämische Kritik deprimieren, am wenigsten durch die von Spezialkollegen. Die fachliche Leistung, die Sie mit diesem Büchlein erbracht haben, ist groß und außerordentlich. Auch der nüchterne Bilfinger, der „abwarten“ wollte, bis er Ihr Buch gelesen hatte, ist voller Anerkennung und nennt die Schrift gerade wegen Ihrer selbständigen Gedanken und Formulierungen ausgezeichnet und musterhaft429. Heute möchte ich Ihnen nur kurz meinen Dank | aussprechen, zugleich meine Freude über dieses mutige und ermutigende, klare und saubere Dokument. Herr Vorwerk wird Ihnen wohl die wichtigsten Zeitungsäußerungen430 zusenden; ich sammle sie auch, so gut ich kann. Wenn der zu erwartende General-Gegenangriff eingesetzt hat, können wir überlegen, wie wir 426

Schlussfolgerung. Die Begnadigungsproblematik stand seit der Ermordung eines der KPD angehörenden Arbeiters durch SA-Mitglieder in der kleinen oberschlesischen Gemeinde Potempa am 10.8.1932 im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Am 22. August wurden fünf Angeklagte von einem Sondergericht in Beuthen zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde von der preußischen Kommissariatsregierung am 2. September in lebenslange Haftstrafen umgewandelt. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 7, S. 1064–1066. Am 20.12. verabschiedete der Reichstag in Berlin ein Amnestiegesetz für politische Straftäter. 428 Gemeint ist hier vermutlich die Führung der Reichswehr. Das Reichswehrministerium leitete Reichskanzler Kurt von Schleicher, Chef der Heeresleitung war General Kurt von Hammerstein-Equord (1878–1943). 429 Bilfinger an Schmitt, 15.12.1932. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 1376/1. Schmitt hatte Bilfinger zu einer Rezension in der „Europäischen Revue“ aufgefordert. Schmitt antwortet ausführlich am 27.12.1932. Archiv der MaxPlanck-Gesellschaft, Abt. III, Repositur 4. Carl Bilfinger, Rezension zu Ernst Rudolf Huber, Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, in: Europäische Revue 9 (1933), S. 56– 58. 430 Otto Liebmann, Herausgeber der Deutschen Juristenzeitung, hatte für Hubers Schrift nach seiner Aussage „eine große Reklame losgelassen“ und sie seinen Freunden empfohlen. So erschienen u. a. folgende Rezensionen zu Ernst Rudolf Huber, Reichsgewalt und Staatsgerichtshof v. Dryander, in: Deutsche Juristen-Zeitung, Literatur-Beilage 38 (1933), S. 116; Kurt Lewerenz, in: Beamten-Jahrbuch 20 (1933), S. 209 f. Andreas Koenen, Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum „Kronjuristen des Dritten Reiches“, Darmstadt 1995, S. 206, Anm. 207. 427

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uns wehren. Vorläufig wird aus Leipziger Quellen weiter verbreitet, Bumke habe schlaflose Nächte gehabt, um wenigstens das zu retten, worauf dieses Urteil hinauskam. Sehr offen sind zwei nationalistische Blätter431, die ich Ihnen gleichzeitig als amüsante Kleinigkeiten schicke432, weil sie Ihnen in Bonn vielleicht entgehen. Stalling schickte mir ein besonders schön gebundenes Exemplar der Schrift. Ich hoffe, daß er sich in der Honorarfrage ordentlich benommen hat. Die Präsidenten der Landesstaatsgerichtshöfe, besonders der vortreffliche Gustav Müller433 in München, müßten eigentlich auch ein besonderes Exemplar Ihrer Schrift mit Ihrer Karte erhalten. Von der Seite Nawiaskys434 her wird man sich auf einige spezifisch geartete Unverschämtheiten gefaßt machen müssen435. Die meisten Spezialkollegen werden taktvoll schweigen[,] bis nichts mehr zu riskieren ist. Nochmals vielen herzlichen Dank, lieber Herr Huber, und alles Gute für diese Publikation. Zu Weihnachten werden Sie sich hoffentlich gut erholen und ausruhen können. Wir wünschen Ihnen ein schönes Fest und grüßen Sie alle – Frau Schmitt, Anima und ich – von ganzem Herzen. Immer Ihr getreuer Carl Schmitt. PS. Herr Dr. Oberheid436 wird sich wahrscheinlich bald um Rat an Sie wenden437. Ich wäre Ihnen besonders dankbar, wenn Sie sich etwas um ihn kümmern könnten. 431

Mit den nationalistischen Blättern könnten die „Neue Preußische Kreuzzeitung“ oder die „Tägliche Rundschau“, die beide in Berlin erschienen, gemeint sein. 432 Die Anlagen sind nicht überliefert. 433 Gustav Müller war Präsident des Bayerischen obersten Landesgerichts und wurde mit dessen Auflösung am 1.4.1935 in den Wartestand versetzt. Lothar Gruchmann, Justiz im Dritten Reich 1933–1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner, München 1988 (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 28), S. 237. 434 Hans Nawiasky (1880–1961) hatte seit 1919 eine Professur für öffentliches Recht in München inne. 1933 emigrierte er in die Schweiz und kehrte 1947 nach München zurück. Florian Herrmann, Hans Nawiasky, in: Hermann Nehlsen/Georg Brun (Hg.), Münchener rechtshistorische Studien zum Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. u. a. 1996 (= Rechtshistorische Reihe, 156), S. 411–443. 435 Hans Nawiasky, Zum Leipziger Urteil. Staatsrechtliche und staatspolitische Betrachtungen, in: Bayerische Verwaltungsblätter 80 (1932), S. 338–345. 436 Heinrich Oberheid (1895–1977) war ein evangelischer Theologe und enger Freund Schmitts. Nach 1933 wirkte er als Bischof der Deutschen Christen von Köln-Aachen. Heiner Faulenbach, Ein Weg durch die Kirche: Heinrich Josef Oberheid, Bonn 1992 (= Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, 105).

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Nr. 58 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Bonn, 20.12.1932 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6260 Brief, handschriftlich

Bonn, 20. Dezember 1932438 Hochverehrter Herr Professor, Ihr Brief vom Sonntag439 war mir eine ganz große Freude und Erleichterung; ich danke Ihnen von Herzen dafür. Sie haben heute wohl meinen Brief mit der Einlage an Jellinek440 erhalten. Inzwischen sind diese Angriffe weitergegangen. Ich erhielt gestern einen langen Brief441 von Leibholz442, in dem meine Schrift als „Plaidoyer für Carl Schmitt, dessen Thesen Sie fast bedingungslos übernehmen“ bezeichnet wurde. Heute kam ein Brief443 von Erich Kaufmann, der im Ton freundlich, in der Sache aber sehr scharf ist. Ich habe mich dazu hergegeben, den Ärger eines Anderen abzureagieren und sein Mundstück zu werden. Es ist nicht mein Stil, nicht meine Argumentationsart; es ist nicht meine, sondern Schmitts Schrift. Das alles wirkt „sehr sehr peinlich“; der Eindruck auf die, die Ihren Vortrag444 hörten, ist „sehr, sehr übel“. Man „verübelt“ mir die Schrift sehr. Das alles ist bitter für diejenigen, die mir wohlwollten. Und so weiter! Ich gebe Ihnen eine Abschrift meiner Antwort445. Es schien mir richtig, zunächst höflich zu bleiben, und den Erfolg abzuwarten. Wahrscheinlich nüt437 Briefe von Oberheid an Huber sind nicht überliefert. Es dürfte sich um eine Frage zum oder einen Rat im Staatskirchenrecht gehandelt haben. 438 Über der Anrede steht ein Vermerk Schmitts in Kurzschrift. 439 Vom 18.12.1932. 440 Eine Einlage ist nicht (mehr) vorhanden. Möglicherweise handelt es sich um: Walter Jellinek, Zum Konflikt zwischen Preußen und dem Reich, in: Reichsverwaltungsblatt und Preußisches Verwaltungsblatt 53 (1932), S. 681–684. 441 Das Schreiben ist nicht überliefert. 442 Gerhard Leibholz (1901–1982), seit 1931 Professor für öffentliches Recht in Göttingen, musste 1938 nach Großbritannien emigrieren. Zwischen 1951 und 1971 gehörte er dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe an. Werner Heun, Leben und Werk verfolgter Juristen – Gerhard Leibholz (1901–1982), in: Eva Schumann (Hg.), Kontinuitäten und Zäsuren. Rechtswissenschaft und Justiz im „Dritten Reich“ und in der Nachkriegszeit, Göttingen 2008, S. 301–326. 443 Auch dieser Brief ist – wie der von Leibholz – nicht erhalten. 444 Schmitt hielt in diesen Wochen drei Vorträge. Schmitt, Tagebücher, S. 297 f. Vermutlich ist derjenige vor der Deutschen Gesellschaft über den Leipziger Prozess am 10.11.1932 gemeint. Der Bericht aus der Vossischen Zeitung in Briefwechsel Schmitt-Smend, S. 168–170. 445 Der Brief von Kaufmann an Huber und dessen Antwort sind nicht überliefert.

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zen solche Briefe nichts; es gibt eben keine Möglichkeit, auf solche Angriffe mit Argumenten und Beteuerungen zu antworten. Aber ich halte es für wichtiger, zunächst einmal diesen Ton wenigstens anzuwenden, und ich glaube auch nicht, daß es bei dem jetzigen Stand der Dinge opportun ist, daß Sie eingreifen. Ich werde voraussichtlich Ihre Hilfe noch später dringend brauchen, und ich meine, daß Sie nicht zu früh eingreifen dürften. Es wird ja auch wenig Wert haben, wenn Sie für mich günstige Erklärungen abgeben; | gegen diese Methode der Verunglimpfung ist man wehrlos! Ich lasse mich natürlich durch solche Angriffe nicht deprimieren. Ich habe gewußt, daß ich mit der Schrift meine Laufbahn aufs Spiel setze, und nun, wo es soweit ist, ist es beinahe beruhigend, da ich ja nun weiß, auf welche Weise ich erledigt werde. Die Sache erinnert mich etwas an unser Gespräch über die Todesstrafe446 im September447; es ist doch ein wichtiges Element des Rechtsstaats, daß die Todesart durch Gesetz festgelegt wird448. Vielen Dank auch für die Ausschnitte. Der Artikel449 von Niekisch450 ist recht gut. Von allen mir bekannten Artikeln ist allerdings keiner so geschickt wie der Germania-Aufsatz451; diese Art, Sätze aus dem Zusammenhang zu reißen und sinnwidrig zu verwerten, ist eine teuflische Journalistenkunst, der niemand gewachsen ist. Die Berliner werden sich wohl auf den Ausdruck „Pseudonym für Schmitt“ stürzen. Bilfingers Urteil ist mir natürlich ganz besonders wertvoll und erfreulich. Wenn es auch gegenüber den Andren nichts ausrichten kann, ist es mir selbst doch eine große Beruhigung, weil diese ewig wiederkehrenden Redereien einen schon an sich selbst irre machen können. 446 Die Todesstrafe war in der Weimarer Republik geltendes Recht. Ihre von SPD und USPD geforderte Abschaffung fand keine Mehrheit. Sie wurde in der Praxis vor allem für politisch motivierte und spektakuläre Gewaltverbrechen verhängt. Christoph Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1997, S. 296. 447 Bei Hubers Aufenthalt in Berlin. 448 Nach § 211 des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 wurde Mord mit dem Tode bestraft. Die Hinrichtungsmethode war das Enthaupten, das seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nur noch nicht-öffentlich vollzogen wurde. 449 Ernst Niekisch, Zum Begriff des Politischen, in: Widerstand 8 (1933), S. 369–375. 450 Der Politiker und Publizist Ernst Niekisch (1889–1967) gehörte 1919 zu den Anführern der Münchener Räte. Als Anhänger des sogenannten Nationalbolschewismus wurde er 1937 verhaftet. Birgit Rätsch-Langejürgen, Das Prinzip Widerstand. Leben und Wirken von Ernst Niekisch, Bonn 1997 (= Schriftenreihe Extremismus & Demokratie, 9). 451 A. Menzerath, Staatsrecht oder politische Publizistik, in: Germania. Zeitung für das deutsche Volk, Nr. 351 vom 18.12.1932.

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Der Brief soll noch zur Post, deshalb muß ich abbrechen. Grüßen Sie bitte Frau Professor Schmitt452 und die kleine Anima. Auch Ihnen die herzlichsten Grüße Ihres dankbaren und ergebenen Ernst Rudolf Huber

Nr. 59 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 31.12.1932 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Plettenberg, den 31. Dezember 1932453. Lieber Herr Huber! Meine Grüße und Wünsche zum Neuen Jahr schicke ich Ihnen aus dieser schönen sauerländischen Ruhe, die im Winter noch schweigsamer ist als im Sommer. Ich reise heute weiter in den Kreis Brilon und am 4. Januar zu Koellreutter nach Jena454, der mir einen sehr sympathischen und verständigen Brief über Sie geschrieben hat455. Am 5. oder 6. Januar denke ich[,] wieder in Berlin zu sein456. Für Ihren Brief mit den Abschriften danke ich Ihnen herzlich, ebenso für die Zusendung des Sonderdruckes Ihres Aufsatzes über die Grundrechte457 und vor allem für die Widmung458, deren Versprechen ich aus ganzer Seele erwidere. Ich glaube nicht, daß Sie sich deprimieren zu lassen brauchen durch die Art Anmaßung, mit der man Ihnen Unselbständigkeit oder Abhängigkeit vorwirft; höchstens ästhetisch deprimierend ist die takt- und beziehungslose Zudringlichkeit gewisser Einmischungen und geltungsbedürftiger Wichtigmacherei. Auch die hoheitsvolle Geste Bumkes braucht Ihnen nicht wehzutun; sie ist hilflos und klein, ihr Begriff von Hoheit etwa der452

Duschka Schmitt. Schmitt erwähnt den Brief in seinem Tagebuch. Schmitt, Tagebücher, S. 248. 454 Schmitt reiste erst einen Tag später nach Jena. Ebd., S. 249. 455 Ein Brief Koellreutters an Schmitt ist nicht überliefert. 456 Schmitt kehrte bereits am 3.1.1933 nach Berlin zurück. Ebd. 457 Ernst Rudolf Huber, Bedeutungswandel der Grundrechte, in: Archiv des öffentlichen Rechts, NF 23 (1932/33), S. 1–98. 458 Der Text der Widmung ist durch die Beschneidung des Bandes bei der Bindung etwas beschädigt. „Herrn Prof. Schmitt [. . .] in treuer Verbundenheit 22/ 12.[19]32 E.R.H.“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 27117. 453

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selbe, aus dem heraus Grimme459 und Klepper460 Hoheitsminister sind. Zwar gehe ich nicht soweit wie Bilfinger, der Sie als einen „Glückspilz“ bezeichnet461, aber da man Sie nicht mehr totschweigen kann, bin ich auch nicht mehr besorgt, daß man Sie einfach schächtet462. Augenblicklich sieht es eher so aus, als kämen Sie mit einigen Spritzern aus der Berliner Giftapotheke ganz gut davon. | Von Berlin aus schicke ich Ihnen den Vortrag vom Langnamverein463, den ich erst jetzt erhalten habe. Der Januar wird wahrscheinlich wieder unruhig und aufreibend. Doch gehe ich mit einem gewissen Behagen in den Kampf, weil die wenigen Tage Sauerland mich sofort regeneriert haben. Geben Sie mir bitte regelmäßig Nachricht über Ihre Angelegenheiten, soweit ich dabei in Betracht komme, und seien Sie sicher, daß ich Ihnen immer gern helfe; so gut ich nur kann. Alles Gute also für das kommende Jahr und die besten Grüße und Wünsche Ihres alten Carl Schmitt. Nr. 60 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Bonn, 8.1.1933 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6261 Brief, handschriftlich

Bonn, 8. Januar 1933 Hochverehrter, lieber Herr Professor, von Herzen danke ich Ihnen für Ihren freundlichen Brief aus Plettenberg und Ihre Wünsche zum Neuen Jahr. Ihnen, Ihrer hochverehrten Gattin464 und der lieben, kleinen Anima wünsche ich für 1933 vor allem einen guten 459 Adolf Grimme (1889–1963) war 1930–1932 preußischer Kultusminister als Nachfolger von Carl Heinrich Becker. Kai Burkhardt, Adolf Grimme. Eine Biographie, Köln/Weimar/Wien 2007. 460 Otto Klepper (1888–1957) amtierte 1931/32 als preußischer Finanzminister. Martin Schumacher, Klepper, Otto, in: Neue Deutsche Biographie 12 (1980), S. 49– 51. 461 [Carl] Bilfinger, Exekution, Diktatur und Föderalismus, in: Deutsche JuristenZeitung 37 (1932), Sp. 1017–1021. 462 Den Begriff für das rituelle Schlachten koscherer Tiere (u. a. im Judentum) in diesem Zusammenhang zu verwenden, ist dem Antisemitismus Schmitts geschuldet. 463 Der Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen. 464 Duschka Schmitt.

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Anfang in Köln; mögen Sie dort alles finden, was Sie sich erhoffen, vor allem ein schönes Haus auf dem Lande465 und ein fruchtbares Arbeitsfeld. Mit diesen und vielen anderen guten Wünschen für das Neue Jahr verbinde ich den Dank für die Güte und die Freundschaft, die Sie und Frau Schmitt mir im vergangenen Jahr erwiesen haben. Der Aufenthalt in Ihrem Hause und die Zusammenarbeit mit Ihnen gehört zu den schönsten Erinnerungen an das Jahr 1932. Es gibt nichts, was mir diese Zeit bei Ihnen auch nur von ferne verleiden könnte. Über die Schrift „Reichsgewalt und Staatsgerichtshof“ habe ich weiter viele Zuschriften und sonstige Meinungsäußerungen erhalten466. Sehr freundlich und sachlich schrieb mir Albert Hensel; zustimmend und nett schrieben auch Helfrich467 und Marschall468. Peters469 wirft mir, was verständlich ist, „politische Vorurteile“ vor. Giese ist „tief betrübt“ über die Schrift, die das Ansehen der deutschen Justiz untergräbt; das Urteil nennt er ein „Meisterwerk“. Thoma schreibt, daß ihm die „Haare zu Berge stehen“ – „über Ihre – sagen wir einmal: Akzentsetzungen“ (so drückt er sich aus), will sich aber über das „Inhaltliche“ meiner „ungemein eindringlichen und eleganten Ausführungen“ noch mit mir unterhalten470. Das ist so eine 465 Schmitt wohnte in der Pfarriusstraße in Köln-Lindenthal, einem westlichen Stadtteil, in der Nähe des Stadtwalds. 466 Aus dem Presseecho: [Hans Bayer], Dreimal Staatsgerichtshof, in: Tägliche Rundschau. Unabhängige Zeitung für nationale Politik, Nr. 300 v. 21.12.1932, S. 2; [ders.], Huber über den Staatsgerichtshof, in: ebd., Nr. 307 v. 29.12.1932, S. 3; dazu: Joachim Pöhls, Die „Tägliche Rundschau“ und die Zerstörung der Weimarer Republik 1930 bis 1933, 2 Tle., Münster 1975 (= Arbeiten aus dem Institut für Publizistik der Universität Münster, 14), hier Tl. 1, S. 432–434; weiterhin: [Albrecht Erich] G.[ünther], Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, in: Deutsches Volkstum 15 (1933), S. 175–177; K.[arl] L.[ohmann], in: Reichsreform. Mitteilungen des Bundes zur Erneuerung des Reiches 4 (1932), S. 153. Weitere Rezensionen erschienen in Deutsches Adelsblatt 51 (1933), S. 27; Glaube und Volk 2 (1933), S. 18 f.; Jungnationale Stimmen 8 (1933), S. 46 f.; Deutsche Wirtschaftszeitung 30 (1932), S. 1233 f. 467 Carl Helfrich (1906–1960) war ein promovierter Journalist, der 1942 wegen Verbindungen zum NS-Widerstand verhaftet wurde. 468 Fritz Freiherr Marschall von Bieberstein (1883–1939) war Staatsrechtler und lehrte seit 1920 in Freiburg. 469 Hans Peters (1896–1966) hatte bei Schmitt studiert und war seit 1928 Professor für Staatsrecht an der Technischen Hochschule Berlin und Zentrumspolitiker. Später gehörte er der Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis an und war 1945 Mitbegründer der CDU. Peters hatte 1932 im Leipziger Prozess die Seite Preußens vertreten. Levin von Trott zu Solz, Hans Peters und der Kreisauer Kreis. Staatslehre im Widerstand, Paderborn u. a. 1997 (= Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, NF 77). 470 Friedrich Giese, Zur Verfassungsmäßigkeit der vom Reich gegen und in Preußen getroffenen Maßnahmen, in: Deutsche Juristen-Zeitung 37 (1932), Sp. 1021– 1024.

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kleine Blütenlese471. Mit dieser Art Ablehnung war zu rechnen, und sie ist, scheint mir, nicht weiter unangenehm für mich, während die „Berliner Gift| spritzen“ mich doch anfänglich etwas angegriffen haben. Stutz472, von dem die erste Aktion ausging473, hat sich auf den Brief hin beruhigt; auch Jellinek schrieb mir gleich474, so sei es nicht gemeint gewesen. Vielleicht geben sich auf die Dauer auch Triepel und Smend wieder zufrieden, aber mir soll es gleich sein. Vielen Dank auch für die Zusendung des Vortrags in Düsseldorf!475 Ich habe ihn mit größter Freude gelesen; er ist nicht nur in der Form meisterlich, sondern auch in der Sache eindrucksvoll und schlagend. Wollen Sie ihn nicht als Broschüre herausbringen, vielleicht zusammen mit dem Vortrag vor den Chemikern?476 Gerade weil jetzt eine Atempause in die Verfassungsreform eingelegt worden ist, wären Ihre Vorträge sehr heilsam für Reformatoren und Gegenreformatoren. Es wäre wirklich schade, wenn die Vorträge nicht weiter bekannt werden477. Heckel schreibt über das Urteil im nächsten Archiv478. Es kommt ihm vor allem auf die Unterscheidung von Art. 15479 und Art. 48 Abs. 1 an, 471

Die Briefe sind sämtlich nicht überliefert. Ulrich Stutz (1868–1938) war ein deutscher Kirchenrechtler und Rechtshistoriker, der seit 1917 in Berlin lehrte. 473 Die erwähnte „Aktion“ von Stutz konnte nicht ermittelt werden. 474 Der Brief ist nicht überliefert. Schmitts Briefe an Jellinek und Bilfinger über Huber vom 30.12. und 27.12.1932 werden zitiert bei Otto, Eigenkirche, S. 227. 475 Siehe oben Anm. 362. 476 Gemeint ist der Vortrag „Konstruktive Verfassungsprobleme“ vom 4.11.1932 auf der Hauptversammlung des „Vereins zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie“ in Berlin. Er wurde erstmals 1995 veröffentlicht. Carl Schmitt, Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916–1969, hg. v. Günter Maschke, Berlin 1995, S. 55–70. 477 Zahlreiche Vorträge blieben zu Lebzeiten Schmitts ungedruckt und wurden erst in den letzten Jahren von Günter Maschke herausgegeben. Schmitt, Großraum; ders., Frieden. 478 Johannes Heckel, Das Urteil des Staatsgerichtshofs vom 25.10.1932 in dem Verfassungsstreit Reich-Preußen, in: Archiv des öffentlichen Rechts 62, NF 23 (1933), S. 183–246. 479 Artikel 15 der Weimarer Reichsverfassung lautete: „(1) Die Reichsregierung übt die Aufsicht in den Angelegenheiten aus, in denen dem Reiche das Recht der Gesetzgebung zusteht. (2) Soweit die Reichsgesetze von den Landesbehörden auszuführen sind, kann die Reichsregierung allgemeine Anweisungen erlassen. Sie ist ermächtigt, zur Überwachung der Ausführung der Reichsgesetze zu den Landeszentralbehörden und mit ihrer Zustimmung zu den unteren Behörden Beauftragte zu entsenden. (3) Die Landesregierungen sind verpflichtet, auf Ersuchen der Reichsregierung Mängel, die bei der Ausführung der Reichsgesetze hervorgetreten sind, zu beseitigen. Bei Meinungsverschiedenheiten kann sowohl die Reichsregierung als die Landesregierung die Entscheidung des Staatsgerichtshofs anrufen, falls nicht durch 472

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und was er mir darüber erzählt hat, war zum Teil sehr einleuchtend. Aber an Art. 48 Abs. 2 will er nicht heran; er kommt vom alten Belagerungszustand480 nicht los! Trotz großen Widerstrebens habe ich für die D.J.Z. den versprochenen Aufsatz über „Selbstverwaltung und Verfassungsaufbau“ geschrieben; er soll am 1. Februar erscheinen481. Am 13. Februar soll ich in Halle, im arbeitsrechtl.[ichen] Seminar von Joerges482, einen Vortrag halten; ich habe zugesagt. In diesem Monat spreche ich in der Verwaltungsakademie hier483 und in Koblenz484 über Wahlreform. Forsthoff485 war am vergangenen Sonntag kurz hier; er erzählte von dem Zusammentreffen mit Ihnen in Remscheid486. Stalling klagte übrigens über den schlechten Absatz der Schrift. Wahrscheinlich will das Publikum von dieser blamablen Sache nichts mehr wissen. Ihnen und den Ihren viele herzliche Grüße. Ihr treu ergebener Ernst Rudolf Huber

Reichsgesetz ein anderes Gericht bestimmt ist.“ Huber, Dokumente, Bd. 3, Nr. 154, S. 131 f. 480 Der bis 1919 geltende Belagerungszustand beruhte auf einem preußischen Gesetz von 1851. Gesetz-Sammlung für die Königlich Preußischen Staaten, Jg. 1851, S. 451–456. 481 Ernst Rudolf Huber, Selbstverwaltung und Verfassungsaufbau, in: Deutsche Juristen-Zeitung 38 (1933), Sp. 209–215. 482 Rudolf Joerges (1868–1957) war seit 1928 Professor für Rechtsphilosophie, Rechtsmethodologie, für das Römische, Bürgerliche sowie Arbeitsrecht in Halle. Im Mai 1933 wurde er beurlaubt. 483 Die 1925 errichtete Mittelrheinische Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie in Bonn bildete Beamte und Angestellte des Öffentlichen Dienstes fort. 484 In Koblenz und Trier hatte die Bonner Verwaltungsakademie 1927 Zweigstellen errichtet. 485 Ernst Forsthoff (1902–1974) hatte 1925 bei Schmitt promoviert und lehrte seit 1933 zunächst in Frankfurt a. M., später in Wien und seit 1950 in Heidelberg. Forsthoff war mit Huber befreundet und pflegte mit Schmitt vor allem nach 1945 engen Kontakt. Huber widmete Forsthoff 1969 den vierten Band seiner „Deutschen Verfassungsgeschichte“. Florian Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft: Ernst Forsthoff und seine Zeit, Berlin 2011. 486 Das Treffen in Remscheid fand am 28.12.1932 statt. Schmitt, Tagebücher, S. 248.

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Nr. 61 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 13.1.1933 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich, gedruckter Kopf: „Professor Carl Schmitt / Berlin NW 87 / Flotowstr. 5“

Lieber Herr Huber, herzlichen Dank für Ihren Brief. Ich habe mich inzwischen davon überzeugen können, daß heute die wirklich maßgebenden Leute Ihre Arbeit (und zwar sowohl Ihre bisherige Gesamtleistung wie in specie487 auch Ihre Schrift über den StGH.488) wohl zu schätzen wissen und daß Sie in dieser Hinsicht nicht besorgt zu sein brauchen. Gestern wurde in meinem Seminar489 ein | Referat über Ihren Begriff der wirtschaftlichen Selbstverwaltung gehalten490; in der Diskussion konzentrierte sich schließlich alles auf die Unterscheidung von Interessenten, Beteiligten, und vor allem Wirtschaftsträgern (auch von Wirtschaftskräften sprechen Sie S. 323491). In welchem Maße Selbst-Verwaltung auf vor- oder überstaatlichen Ansprüchen beruht, wurde sehr deutlich; in dieser Hinsicht aber auch die Problematik einer wirtschaftlichen Selbstverwaltung, die auf der Identifizierung mit „der Wirtschaft“ beruht. Mit herzlichen Grüßen stets Ihr Carl Schmitt. 13.1.33.

487

Im Besonderen. Hubers Broschüre „Reichsgewalt und Staatsgerichtshof“. 489 Das „Verfassungstheoretische Seminar“ lief am Donnerstagabend. Ebd., S. 469. 490 Es referierte ein Student mit Namen Knapp „schlecht“. Ebd., S. 251. 491 Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht. 488

Briefe 1933–1945 Nr. 62 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Weimar, 27.3.1933 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Motiv auf der Rückseite: Pergamon-Museum492, Berlin, Die Athena Parthenos493

Weimar494, 27.3.33. Lieber Herr Huber, zweierlei wollte ich Ihnen schnell durch diese Karte mitteilen: 1) daß Sie bei einem Besuch in Berlin unbedingt Geh.[eim-]Rat Demuth495 von der Handelskammer aufsuchen müssen (Dorotheenstr. 8); sein Interesse an Ihnen ist sehr groß496; 2) daß E.[rwin] Jacobi sich freuen würde497, wenn Sie in seinem arbeitsrechtlichen Institut den Eröffnungsvortrag498 halten möchten. Vielen Dank für Ihre Karte aus Tirol499 und die besten Wünsche für Ihre Ferien-Arbeit von Ihrem alten Carl Schmitt.

492 Zwischen 1910 und 1930 errichtetes Museum auf der Berliner Museumsinsel, in dem der berühmte Pergamonaltar zu sehen ist. 493 Es handelt sich um eine Nachbildung der bronzenen Kolossalstatue des Bildhauers Phidias für den Parthenon-Tempel auf der Akropolis in Athen. 494 Schmitt hielt am 27.3.1933 in Weimar auf der Frühjahrstagung der Deutschen Vereinigung für Staatswissenschaftliche Fortbildung einen Vortrag über „Das Staatsnotrecht im modernen Verfassungsleben“. Eine Zusammenfassung erschien von [Friedrich] Brodführer, in: Deutsche Richterzeitung 25 (1933), S. 254 f. 495 Fritz Demuth war Kuratoriumsvorsitzender der Handelshochschule. 496 Demuth, so schrieb Schmitt am 25.3. in sein Tagebuch, wolle Huber an die Handelshochschule berufen. Schmitt, Tagebücher, S. 273. 497 Schmitt und Jacobi hatten sich auf der Tagung in Weimar getroffen, bei der Jacobi auch referierte. 498 Gemeint ist vermutlich der erste Vortrag im Sommersemester 1933. Ob dieser zustande kam, kann nicht geklärt werden. Am 1.11.1933 wurde Jacobi aufgrund des Berufsbeamtengesetzes in den Ruhestand versetzt. Otto, Eigenkirche, S. 239 f. 499 Gemeint ist möglicherweise eine Karte aus einem Skiurlaub Hubers, die nicht überliefert ist.

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Nr. 63 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Bonn, 14.4.1933 Landesarchiv NRW Rheinland, RWN 260, Nr. 375 Karte, handschriftlich, Kopie

Bonn, 14. April 1933 Sehr verehrter Herr Professor

500

,

vielen Dank für Ihren freundlichen Brief501, den ich eben noch vor meiner Abreise nach Oberstein502 erhielt. Ich habe Koellreutter sofort ermächtigt zu erklären, daß ich voll und ganz hinter ihm stehe und bereit bin, der NSDAP beizutreten503, ferner auch, daß ich aus der Vereinigung504 austreten werde. Ich nehme an, daß es notwendig sein wird, eine Fachgruppe Staatsrecht in der NSDAP zu organisieren505. In Berlin506 hatte ich mich dafür eingesetzt, daß die Mitarbeiter | des Volkstum507 unter Führung von Stapel und Günther der Partei beitreten; Vorwerk und Lohmann waren jedoch noch sehr zurückhaltend. Ich bedaure sehr, daß ich Sie in Berlin am Montag508 nicht mehr getroffen habe509; da ich auf dem Potsdamer Bahnhof verabredet war, konnte ich die Reisedisposition leider nicht mehr ändern. Bonn mißfiel mir bei meiner Rückkehr wie noch nie. Ihnen wünsche ich von Herzen noch einige schöne Tage. Mit besten Ostergrüßen510 Ihr stets ergebener Huber

500 Bereits am 15.4.1933 notiert Schmitt im Tagebuch den Empfang des Briefes. Schmitt, Tagebücher, S. 282. 501 Der Brief ist offenbar nicht überliefert. 502 Eine Reise zu seinen Eltern. 503 Huber trat mit Wirkung vom 1.5.1933 der NSDAP bei. Hubers Brief an Koellreutter ist nicht überliefert. 504 Die 1922 gegründete Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 186–202. 505 Es gab nach 1933 den Bund nationalsozialistischer Deutscher Juristen, der 1936 in NS-Rechtswahrerbund umbenannt wurde. Darin konnten nicht allein Staatsrechtslehrer Mitglied sein. Ebd., S. 311–315. 506 Huber und Schmitt hatten sich am 6. und 7.4. in Berlin getroffen. Schmitt, Tagebücher, S. 279 f. 507 Gemeint ist die Zeitschrift „Deutsches Volkstum“. 508 10.4.1933. 509 Auch Schmitt berichtet, dass er Huber auf dem Bahnhof Friedrichstraße verpasst habe. Schmitt, Tagebücher, S. 280. 510 Hubers Brief war am Karfreitag verfasst.

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Nr. 64 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Bonn, 24.4.1933 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 579, Nr. 159, Kopie: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 834 Brief, handschriftlich

Bonn, 24. April 1933 Hochverehrter Herr Professor, vielmals danke ich Ihnen für Ihre Schrift über das Statthaltergesetz511, die ich natürlich mit ganz besonderem Interesse gelesen habe. Nachdem ich das Gesetz512 eingehend durchdacht habe, drängt es mich, Sie aus ganzem Herzen zu dieser großen Leistung zu beglückwünschen513. Ich empfinde mit Ihnen die große sachliche und persönliche Genugtuung, die Ihnen dieses Gesetz nach den Erfahrungen des letzten Herbstes514 bereiten muß. Ich möchte Ihnen auch jetzt noch einmal sagen, wie dankbar ich Ihnen dafür bin, daß ich im letzten Jahr bei Ihnen sein durfte, als diese großen Kämpfe um Reichsgewalt und Reichseinheit ausgetragen wurden. Die freundliche Notiz über mein Büchlein515 hat mich natürlich sehr erfreut; auch dafür danke ich Ihnen herzlich. Gestern war ich bei Forsthoffs in Mülheim516; mit Vater und Sohn habe ich mich über viele Fragen der großen und kleinen Politik ausgesprochen und durchaus verstanden. Neben den kirchenpolitischen Entscheidungen, die sich vorbereiten517, waren es vor allem die hochschulpolitischen Fragen, die uns nagten. Wir fürchten alle, daß die Maßnahmen des Ministeriums518 511

Carl Schmitt, Das Reichsstatthaltergesetz, Berlin 1933 (= Das Recht der nationalen Revolution, 3). 512 Der offizielle Name lautete: Zweites Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich, 7.4.1933. Reichsgesetzblatt 1933 I, S. 171–173. 513 Huber rezensierte die Broschüre im Rahmen einer Sammelbesprechung im „Reichsverwaltungsblatt“. Siehe Anhang II.8. 514 Nach dem Urteil im Leipziger Prozess Reich-Preußen. 515 Schmitt, Reichsstatthaltergesetz, S. 9, Anm. 1 hieß es: „Über das Urteil des Staatsgerichtshofs unterrichtet am besten die rechtswissenschaftlich wie schriftstellerisch gleich ausgezeichnete Schrift von E. R. Huber, Reichsgewalt und Staatsgerichtshof“. 516 In Mülheim/Ruhr war Heinrich Forsthoff (1871–1942), der Vater des SchmittSchülers Ernst, bis 1934 Gemeindepfarrer. Briefwechsel Forsthoff-Schmitt, S. 4. 517 In der evangelischen Kirche übernahmen Anhänger der nationalsozialistisch eingestellten Deutschen Christen nach den Kirchenwahlen Ende Juli 1933 vielerorts die Kirchenleitung. Mit der katholischen Kirche strebte die Hitler-Regierung den Abschluss eines Reichskonkordats an. 518 Das preußische Kultusministerium, seit 1. Mai 1934 Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, unter Leitung von Bernhard Rust. Dazu:

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nicht zureichen könnten, sodaß es dann in der nächsten Woche zu ernsten Konflikten kommen würde. Das würde dann wohl das Ende von Rust519 und seinen Mitarbeitern bedeuten. Aber wenn die Herren zu wirklich entschiedenen Änderungen nicht imstande sind, so ist ihre Haltung sachlich widerlegt. Von Koellreutter haben wir beide noch nichts gehört, wir sind aber der Meinung, daß wir unsere persönlichen Schritte ganz von seinen weiteren Vorschlägen abhängig machen sollen. | Heute morgen sprach ich mit Heckel, der in Berlin zu den Verhandlungen des Kirchensenats520 war. Ich war in der letzten Zeit ihm gegenüber sehr skeptisch auf Grund persönlicher und sachlicher Differenzen. Heute morgen hatte ich aber den bestimmten Eindruck, daß wir ihm Unrecht tun, wenn wir ihn einfach in die Reihe Triepel – Kaufmann – Smend einordnen. Er hat die Absicht, das Archiv521 ganz für den neuen Staat einzusetzen und bat dringend um unsere Mitarbeit. Auf Grund eines Gesprächs mit Koellreutter hatte er den Eindruck, als meinten Sie, Ihre Mitarbeit am Archiv würde von den Herausgebern nicht gerne gesehen. Er versicherte mir dagegen, wie sehr er es begrüßen würde, wenn Sie sich zur Mitarbeit entschließen würden. Ich sagte ihm, daß jede Mitarbeit voraussetze, daß im Archiv nicht mehr jede Richtung gleichberechtigt zu Worte komme, sondern daß ein klarer Trennungsstrich gezogen werde. Er versicherte, daß das geschehen werde. Meine Meinung ist, daß wir uns unter diesen Umständen des Archivs als einer Plattform bedienen könnten. Ich verstehe Ihre Bedenken gegen Heckel durchaus, aber ich meine, daß man ihn nicht in das Berliner Lager, aus dem er sich wohl lösen möchte, zurücktreiben sollte; dazu ist er zu schade; in ihm ist doch gute fränkisch-lutherische Substanz522. Henkel523 besuchte mich kurz am Sonnabend. Seine Haltung war würdig, er gab offen zu, daß seine Stellung innerlich unhaltbar ist. Anne Chr. Nagel, Hitlers Bildungsreformer. Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1934–1945, Frankfurt a. M. 2012. 519 Bernhard Rust (1883–1945) wurde 1933 preußischer und 1934 Reichswissenschafts- und Reichserziehungsminister. 1945 beging er Selbstmord. Klee, S. 516; Nagel, Bildungsreformer, passim. 520 In der Kirche der altpreußischen Union ging die Kirchenleitung, die bis 1918 beim preußischen König lag, 1922 auf den Kirchensenat über. Der Präses der Generalsynode stand dem Kirchensenat vor und vertrat die Kirche nach außen. 521 Das „Archiv des öffentlichen Rechts“. 522 Der Pfarrersohn Johannes Heckel war gebürtig aus Kammerstein in Mittelfranken, etwa zwanzig Kilometer südwestlich von Nürnberg gelegen. 523 Heinrich Henkel (1903–1981) wurde 1934 als Professor für Strafrecht nach Marburg berufen und wechselte 1935 nach Breslau. 1951–1959 war er Professor in Hamburg. Klee, S. 245.

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Sehr gerne würde ich Sie, Ihre Gattin524 und Anima einmal in Köln aufsuchen; ich fürchte aber, Ihre Zeit ist sehr beschränkt. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir einmal kurz Nachricht geben würden, wann ich Sie, ohne zu stören, antreffe. Ihnen und den Ihren herzliche Grüße Ihres treu ergebenen Ernst Rudolf Huber Nr. 65 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Köln, 25.4.1933 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich, Adresse: „Herrn Privatdozenten / D. E. R. Huber / Bonn a. Rh. / Godesbergerstr. 6 II, gedruckter Kopf: „Professor Carl Schmitt / Köln-Lindenthal / Pfarriusstr. 6“

Lieber Herr Dr. Huber, vielen Dank für Ihren Brief! Könnten Sie Freitag nachmittag etwa gegen 6 Uhr kommen und zum Abendessen bei uns bleiben?525 Wenn ich keine Nachricht erhalte, darf ich Sie erwarten. Auf Wiedersehn und herzliche Grüße Ihres Carl Schmitt 25/4 33.

Nr. 66 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Köln, ca. 22.5.1933 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich, gedruckter Kopf: „Professor Carl Schmitt / Köln-Lindenthal / Pfarriusstr. 6“

Lieber Herr Huber, herzlichen Dank für Ihren Brief526. Ich habe nächsten Montag (29. Mai) Stratenwerth527 aus Bonn im R[e]f[eren]d[a]r.-Examen528; könnten Sie mir ein Wort zu seiner Charakterisierung schreiben? Seine häusl.[iche] Arbeit ist etwas abstrakt und leer, aber gewandt. Sams524

Duschka Schmitt. Huber kam pünktlich aus Bonn nach Köln und blieb bis in den späten Abend. Schmitt, Tagebücher, S. 287. 526 Das Schreiben ist nicht überliefert. 527 Vermutlich Fritz H. Stratenwerth, der 1936 in München promoviert wurde. Fritz H. Stratenwerth, Verordnung und Verordnungsrecht im Deutschen Reich. Eine verfassungsgeschichtliche und systematische Studie, Berlin 1937. Dazu die Rezension Hubers in der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 97 (1937), S. 740– 744. 525

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tag, den 27. Mai[,] bin ich in Berlin529. Ich suche einen Privatdozenten für Köln. Wo sind Sie in den Pfingstferien530? Viele Grüße Ihres Carl Schmitt.

Nr. 67 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 12.6.1933 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Hotel Bristol /Berlin / Unter den Linden 5–6 / Telegr. Adr. ‚Bristhotel‘ / Telephon: At Jäger 0033“

Lieber Herr Huber, ich bin ganz traurig über das Mißverständnis, das mich um die Zusammenkunft mit Ihnen gebracht hat. Vor allem hätte ich Ihnen gern persönlich und mündlich alles Gute zu Ihrer Vermählung mit Fräulein Simons531 gewünscht. Hoffentlich kann ich das bald nachholen. Wenn Sie Zeit haben, schreiben Sie mir doch bitte über Ihre Tätigkeit in Kiel532. Zum Unterschied von dem wie mir schien etwas pessimistischen Bericht Ihres letzten Briefes533 hörte ich hier in Berlin nur die höchste Anerkennung für Ihre Arbeit und Ihre dortigen Vorlesungen534. Auf Wiedersehn, lieber Herr Huber, herzliche Grüße Ihres getreuen Carl Schmitt.

528 Die juristische Staatsprüfung besteht aus zwei Teilen, dem ersten bzw. zweiten Staatsexamen. Das Referendarexamen ist dabei das erste Staatsexamen, das zum Zugang zum juristischen Vorbereitungsdienst, dem Referendariat, berechtigt. 529 Schmitt, Tagebücher, S. 291. 530 Der Pfingstsonntag fiel auf den 4.6.1933. 531 Ernst Rudolf Huber heiratete Tula Simons am 1.7.1933. 532 Huber hatte am 28. April 1933 einen Lehrauftrag in Kiel erhalten. Martin Jürgens, Staat und Reich bei Ernst Rudolf Huber. Sein Leben und Werk bis 1945 aus rechtsgeschichtlicher Sicht, Frankfurt a. M. u. a. 2005 (= Rechtshistorische Reihe, 306), S. 11. 533 Vermutlich der nicht überlieferte, in Anm. 526 genannte Brief. 534 Die Vorlesungen Hubers in Kiel sind erst ab dem Wintersemester 1933/34 im regulären Vorlesungsverzeichnis enthalten. In diesem Semester las er „Grundzüge des Staats- und Verwaltungsrechts für Nationalökonomen“, „Wirtschaftsrecht“ sowie „Staatslehre“. Christian-Albrechts-Universität Kiel, Personalverzeichnis Sommersemester 1933 und Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1933/34, Kiel 1933, S. 26 f.

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Nr. 68 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Köln, 12.7.1933 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich

Lieber Herr Huber, die Nachricht von Ihrer Berufung zum Ordinarius535 hat uns aufs Höchste erfreut. Frau Schmitt und ich gratulieren Ihnen von ganzem Herzen und wünschen Ihnen Alles, was zu dem großen Amt eines Staatsrechtslehrers an einer deutschen Grenzuniversität536 gehört: Gesundheit, ermutigende Erfolge, treue Freunde und gute Schüler und Hörer. Wir grüßen Sie und Ihre Frau | vielmals und bleiben stets Ihre Duska und Carl Schmitt. 12.7.33.

Nr. 69 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 23.7.1933 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6262 Brief, handschriftlich

Kiel, 23. Juli 1933 Feldstr. 127 III Hochverehrter Herr Professor, zu Ihrer Ernennung zum preußischen Staatsrat beglückwünsche ich Sie aufs herzlichste537. Ich habe mich ganz besonders über die große Ehre und Anerkennung gefreut, die Ihnen damit erwiesen worden ist. Am 20. Juli habe ich sehr lebhaft an Sie gedacht538; es war in manchem Sinne doch der schönste Tag, gerade weil er ein Vorbote war und später so bitter beeinträchtigt wurde539. 535

Zum ordentlichen Professor in Kiel wurde Huber offiziell erst am 28.10. rückwirkend zum 1.8.1933 berufen. Er wurde Nachfolger des aus politischen Gründen entlassenen Völkerrechtlers Walther Schücking (1875–1935). Jürgens, S. 15. 536 Gemeint ist die Universität Kiel als „Grenzlanduniversität“ im Norden. Im Osten wurden Breslau und Königsberg als Grenzlanduniversitäten bezeichnet. 537 Schmitt war am 11.7.1933, seinem 45. Geburtstag, zum Preußischen Staatsrat ernannt worden. Dirk Blasius, Carl Schmitt. Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich, Göttingen 2001. 538 Anspielung Hubers auf den Jahrestag des sogenannten Preußenschlags von 1932. Schmitts Gedenken schlug sich nieder in: Carl Schmitt, Ein Jahr deutsche Politik – Rückblick vom 20. Juli 1932 – Von Papen über Schleicher zum ersten deutschen Volkskanzler Adolf Hitler, in: Westdeutscher Beobachter, Nr. 176 vom 23.7.1933, S. 1.

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Für Ihre freundlichen Glückwünsche zur Berufung danke ich Ihnen und Frau Professor Schmitt sehr herzlich; ich habe mich sehr über Ihre Karte gefreut. Ich schreibe Ihnen heute vor allem, um Sie um Ihren Rat zu bitten. Mit den Herren Larenz540 und Dahm541 bespreche ich seit einiger Zeit den Plan einer Zeitschrift für die gesamte Rechtswissenschaft542, die die Aufgabe haben soll, die politische Rechtswissenschaft des neuen Staates als Einheit zur Darstellung zu bringen. Es sollen also größere wissenschaftliche Abhandlungen, die diesem Gedanken dienen, gebracht werden; außerdem soll versucht werden, durch rechtspolitische Arbeiten die Gesetzgebung im neuen Staat vorbereitend zu unterstützen. Wir haben diesen Plan kürzlich mit Herrn Ahlmann543 besprochen und seine Zustimmung gefunden. Als Träger der Zeitschrift käme ein Kreis jüngerer Dozenten544 in Frage; es war natürlich auch beabsichtigt, Sie um Ihren Rat und Ihre Mitarbeit zu bitten. Der Plan sollte auf einer Zusammenkunft in 8 Tagen in Kassel545 einmal grundsätzlich besprochen werden. 539 Anspielung zum einen auf das Reichsstatthaltergesetz, zum anderen auf den Reichsgerichtshofprozess. 540 Der Zivilrechtler und Rechtsphilosoph Karl Larenz (1903–1993) lehrte seit 1933 an der Universität Kiel. Er gehörte zur sogenannten Kieler Schule der nationalsozialistischen Rechtserneuerung. Nach 1945 wirkte er vor allem über sein einflussreiches Lehrbuch zum Schuldrecht. Ralf Frassek, Von der „völkischen Lebensordnung“ zum Recht. Die Umsetzung weltanschaulicher Programmatik in den schuldrechtlichen Schriften von Karl Larenz (1903–1993), Baden-Baden 1996 (= Fundamenta juridica, 29). 541 Der Straf- und Völkerrechtler Georg Dahm (1904–1963) lehrte gleichfalls ab 1933 in Kiel. Etwas später als Huber wechselte er 1939 nach Leipzig und von dort 1941 nach Straßburg. Ab 1955 wirkte er in Kiel. Michael Grüttner, Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik, Heidelberg 2004 (= Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, 6), S. 37. 542 Der Plan dieser Zeitschrift scheiterte bereits 1933. Lothar Becker, „Schritte auf einer abschüssigen Bahn“. Das Archiv des öffentlichen Rechts (AöR) und die deutsche Staatsrechtswissenschaft im Dritten Reich, Tübingen 1999 (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, 24), S. 98–100. 543 Wilhelm Ahlmann (1895–1944) arbeitete als Referent im preußischen Wissenschaftsministerium. Er war im Ersten Weltkrieg erblindet. Nach dem Stauffenberg-Attentat beging er vor seiner vermutlichen Verhaftung Selbstmord. Percy Ernst Schramm, Ahlmann, Wilhelm, in: Neue Deutsche Biographie 1 (1953), S. 111. 544 Der Kreis jüngerer Dozenten beteiligte sich im Sommer 1933 am sogenannten Kitzeberger Lager. Es waren dies die Professoren Huber, Dahm, Larenz, Michaelis, Schaffstein und Siebert. 545 An dem Treffen in Kassel am 31.7.1933 nahmen die Öffentlichrechtler Dahm, Forsthoff, Henkel, Huber, Lange, Larenz, Michaelis, Ritterbusch, Schaffstein, Siegert und Walz teil. Siehe unten Brief Nr. 70.

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Nun hörte ich kürzlich von Forsthoff546, daß Sie selbst Zeitschriftenpläne verfolgen547; Forsthoff hat mir Näheres davon aber nicht mitgeteilt. Ich wollte nun fragen, ob es Ihnen möglich ist, mich über Ihre Pläne kurz zu informieren; ich sichere Ihnen natürlich, wenn Sie es wünschen, jede Diskretion zu. Ich möchte aber natürlich hier keinen Plan verfolgen oder unterstützen, der sich mit dem Ihren deckt oder überschneidet. Ich würde mich im Gegenteil, wenn die Ziele meiner Kieler Freunde im Rahmen Ihrer Pläne verfolgt werden können, hier dafür einsetzen, | daß der hiesige Plan zugunsten Ihres Planes aufgegeben wird. Ich könnte das den hiesigen Herren gegenüber natürlich nur dann tun, wenn die rechtsphilosophische Arbeit, wie sie Herr Larenz betreibt, und die kriminalpolitische Arbeit, wie sie durch die Herren Dahm und Schaffstein548 gekennzeichnet ist, im Rahmen Ihres Planes Platz fände, wenn Sie also nicht an eine ausschließlich staatsrechtliche Zeitschrift denken. Ich wäre Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, wenn Ihre Zeit es zuließe, daß Sie mir eine kurze Information zukommen lassen. Mit besten Grüßen, auch von meiner Frau, für Ihre Gattin und Sie Ihr stets ergebener Ernst Rudolf Huber

Nr. 70 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 10.8.1933 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 579, Nr. 159, Kopie: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 834, Entwurf: ebd., Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich

Kiel, den 10. August 1933 Feldstr. 127 III Hochverehrter Herr Staatsrat! Sie können sich denken, dass ich ganz ausserordentlich bestürzt gewesen bin, als ich in Berlin Ihre Ansicht über die Kasseler Tagung erfuhr549. Ich 546

Der Brief ist nicht überliefert. Schmitt übernahm am 1.7.1934 die Herausgeberschaft der Deutschen JuristenZeitung. 548 Friedrich Schaffstein (1905–2001) lehrte Strafrecht und Rechtsgeschichte in Leipzig, Kiel und später in Straßburg; nach 1954 in Göttingen. Manfred Maiwald, Schaffstein, Friedrich, in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 541 f. 549 Schmitt und Huber hatten sich am Tag vor diesem Brief, dem 9.8.1933, in Berlin getroffen. Schmitt, Tagebücher, S. 299. Ebd., Anm. 1498, ist irrtümlich da547

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hoffe sehr, dass die Unterredung bei Herrn Ahlmann550 Sie überzeugt hat, dass meine Haltung weder eine sachliche noch eine persönliche Untreue Ihnen gegenüber bedeutete. Ich bedaure sehr, dass durch eine Kette von Missverständnissen ein Zweifel an meiner Loyalität bei Ihnen hat entstehen können. Weder die Bearbeitung des Zeitschriftenplans noch die Vorbereitung der Kasseler Zusammenkunft lagen in meiner Hand, und ich war ausserstande, Ihnen über den Kopf der übrigen Beteiligten hinweg früher und eingehender, als es geschehen ist, eine Mitteilung über diese Dinge zu machen. In Kassel habe ich mit voller Absicht vermieden, Ihre Beteiligung an der Zeitschrift zum Gegenstand der Diskussion zu machen; einmal weil eine Diskussion über Ihre Person und Ihre Leistung eine Unmöglichkeit wäre, und dann, weil ich diese Frage offen lassen musste[,] solange ich ohne Antwort auf meinen letzten Brief an Sie war und infolgedessen nicht wusste, ob überhaupt mit Rücksicht auf Ihre Pläne bezüglich der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft551 Ihre Mitwirkung bei unserer Zeitschrift in Frage kam. Es ist Ihnen vielleicht nicht ganz deutlich geworden, dass ich hoffte, durch Ihre Antwort die Möglichkeit zu erhalten, Sie in den Kasseler Plan einzubeziehen; viel leichter wäre mir das natürlich gewesen, wenn ich gewusst hätte, dass Herr Ahlmann Herrn Walz552 bereits bestimmte Anweisungen über die Art Ihrer Beteiligung gegeben hatte. Niemand hat mehr bedauert als ich, dass durch | Ungeschicklichkeiten, Missverständnisse, unzureichende Informationen und gegenseitiges Misstrauen in Kassel ein Ergebnis erzielt worden ist, dem Forsthoff und ich mit grössten Bedenken gegenüber standen. Ich habe aber die feste Zuversicht, dass der Zeitschriftenplan in seiner jetzigen Form eine glückliche Lösung bedeutet. Nach Ihrem Weggehen habe ich mit Herrn Ahlmann noch einige Punkte besprochen; er hat mich gebeten, Sie davon zu unterrichten. 1. Wir sind der Ansicht, dass am besten nur die Namen der Herausgeber und die des Schriftleiters Ritterbusch553 auf dem Umschlag genannt wervon die Rede, dass man über die „Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht“ gesprochen habe. 550 In den Tagebüchern ist, ebd., S. 299, ein Treffen mit Achelis statt mit Ahlmann erwähnt. 551 Die Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft war 1844 von dem liberalen Staatswissenschaftler Robert von Mohl (1799–1875) gegründet worden und erschien von Beginn an im Verlag Mohr-Siebeck. Es handelte sich um eine interdisziplinär ausgerichtete Zeitschrift mit juristischen, historischen und wirtschaftswissenschaftlichen Beiträgen. 552 Gustav Adolf Walz (1897–1948) lehrte seit 1933 in Breslau Völkerrecht. Christoph Schmelz, Der Völkerrechtler Gustav Adolf Walz. Eine Wissenschaftskarriere im „Dritten Reich“, Berlin 2011. 553 Paul Ritterbusch (1900–1945) lehrte seit 1935 Öffentliches Recht an der Universität Kiel und war Rektor. Seit 1941 organisierte er den Kriegseinsatz der Gei-

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den. Die namentliche Anführung des engeren Mitarbeiterkreises würde es erschweren, weitere Mitarbeiter zu gewinnen. 2. Wir meinen, dass ausser den eigentlich juristischen Fragen auch die staatsrechtlich wichtigen Kapitel der Staatengeschichte in der Zeitschrift behandelt werden müssen. 3. Wir glauben ferner, dass die Zeitschrift die Aufgabe hat, sich dem neuen Studienziel der Universität554 anzupassen und dass sie dazu beitragen muss, den neuen Beamtentypus zu prägen. 4. Es besteht Einverständnis darüber, dass die Veröffentlichung von Aufsätzen aus unserem Kreise in konkurrierenden Zeitschriften der Genehmigung der Herausgeber bedarf. Ausnahmen sollen für das Deutsche Volkstum und die Blätter für Deutsche Philosophie555 gelten. Ich hoffe sehr, dass nach dem etwas verunglückten Beginn der weitere Start der Zeitschrift ohne Unfall vonstatten geht und dass Ihre mir begreifliche Verstimmung durch die Berliner Aussprache behoben worden ist. Mit den besten Grüssen und herzlichen Wünschen für die Ferien, auch für Ihre Gattin bin ich Ihr stets ergebener Ernst Rudolf Huber

Nr. 71 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Köln, 12.8.1933 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich, gedruckter Kopf: „Professor Carl Schmitt“, gestrichen: „Berlin NW 87 / Flotowstr. 5“

Köln Lindenthal556 den 12. August 1933 Lieber Herr Huber, besten Dank für Ihr Schreiben. Ich freue mich sehr darauf, daß die neue Zeitschrift bald erscheinen kann. Es wird viel Arbeit und ein harter Kampf werden. steswissenschaften („Aktion Ritterbusch“). 1945 beging er Selbstmord. Martin Otto, Ritterbusch, Paul, in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 668–670. 554 Es wurde parallel über die Reform u. a. des juristischen Studienganges beraten. 555 Die „Blätter“ erschienen seit 1927/28 als wissenschaftliches Organ der konservativen Deutschen Philosophischen Gesellschaft und wurden von Ernst Hugo Fischer, ab 1930 gemeinsam mit Gunther Ipsen, herausgegeben. 556 Stadtteil im Westen Kölns.

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Mit den Abmachungen, die Sie mit Ahlmann getroffen haben, bin ich einverstanden. Nur noch 2 Fragen: steht der Name der Zeitschrift schon fest? und ist die Liste der Mitarbeiter schon aufgestellt? Ich möchte mir gern darüber | klar werden, ob man Bilfinger nennen soll. Er ist eine wertvolle Kraft, Nationalsozialist, freilich manchmal alt und eigensinnig. Bevor ich mit Achelis557 oder Ahlmann spreche[,] möchte ich Ihre Meinung hören. Mit den besten Grüßen, auch von Frau Schmitt an Sie und Ihre Frau bleibe ich Ihr alter Carl Schmitt P.S. haben Sie vielleicht die kleine Schrift von Panenziola pluralità del dirito e l’unità dello Stato558 grade zur Hand? Ich wäre Ihnen für eine Übersendung besonders dankbar.

Nr. 72 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 16.8.1933 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 579, Nr. 159, Kopie: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 834, Entwurf: ebd., Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich

Kiel, den 16. August 1933 Feldstr. 127 III Sehr verehrter Herr Staatsrat! Für Ihre Karte vom 12. August danke ich Ihnen sehr herzlich. Es freut mich, dass Sie den ergänzenden Abmachungen, die ich mit Herrn Ahlmann getroffen habe, zustimmen. Als Name für die Zeitschrift war in Kassel vorgesehen: „Deutsche Rechtswissenschaft. Zeitschrift der Hochschulgruppe für nationalsozialistische Rechtserneuerung“559. Ich bin in Kassel schon ge557 Johann Daniel Achelis (1889–1963) war 1934–1945 Professor für Physiologie in Heidelberg und 1933/34 Ministerialrat im Preußischen, dann Reichsministerium für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung. Grüttner, S. 13. 558 Gemeint ist: Sergio Panunzio, Stato e diritto. L’unità dello Stato e la pluralità degli ordinamenti giuridici, Modena 1931. 559 Drei Jahre später erschien im Verlag der Hanseatischen Verlagsanstalt: Deutsche Rechtswissenschaft. Vierteljahresschrift der Akademie für Deutsches Recht, hg. v. der Abteilung für Rechtsforschung der Akademie für Deutsches Recht, Hamburg 1 (1936) – 8 (1943). Hans-Rainer Pichinot, Die Akademie für Deutsches Recht. Aufbau und Entwicklung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft des Drit-

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gen den Untertitel gewesen und halte meine Bedenken dagegen auch jetzt noch aufrecht. Ich finde die Formulierung sprachlich unschön und gedanklich inkorrekt, vor allem aber auch unzweckmässig, weil aus ihr jeder nationalsozialistische Dozent, auch wenn er nicht in unseren Kreis passt, einen Anspruch auf Mitarbeit herleiten könnte. Ich bin deshalb dafür, einfach zu sagen: „Deutsche Rechtswissenschaft“; alles weitere muss sich aus dem Inhalt der Zeitschrift ergeben. Die Mitarbeiterliste bestand ursprünglich aus den Namen der Kasseler Teilnehmer (Ritterbusch, Lange560, Forsthoff, Schantz561, Henkel, Siegert562, Walz, Schaffstein, Michaelis563, Larenz, Dahm, Huber). Herr Ahlmann und ich waren der Ansicht, es sei zweckmässig, den Kreis der engeren Mitarbeiter nicht namentlich aufzuführen. Doch wird in dem Kasseler Kreis großer Wert darauf gelegt, dass die Mitarbeiterliste erscheint, damit so deutlich gemacht werde, dass es sich um eine „Zeitschrift der Jungen“564 handelt. Wenn diese Meinung beibehalten wird, so wird es natürlich unmöglich sein, Herrn Bilfinger als Mitarbeiter zu nennen565. Aber gerade dieser Fall scheint mir zu zeigen, dass es besser ist, die Mitarbeiter nicht namentlich aufzuführen. Denn ich glaube, wir müssen Wert darauf legen, gerade Herrn Bilfinger zur Mitarbeit an der Zeitschrift zu gewinnen. Alle diese schwierigen Personalfragen | fallen weg, wenn man sich damit begnügt, die Herausgeber und den Schriftleiter namentlich zu bezeichnen. Ich habe von Herrn Ahlmann leider noch keine Nachricht über den Stand der Verhandlungen mit dem Verlag Eher566. In dem Kasseler Kreis war allgemein keine Neigung für Eher vorhanden; es war ein Spezialwunsch von Herrn Walz, dass man sich an Eher wende, und er selbst hat eigenmächtig ten Reichs, jur. Diss. Kiel 1981, S. 102 f. Die Zeitschrift erschien seit 1936 hg. v. Karl August Eckhardt und wurde seit 1938 im Namen der Rechtsforschungsabteilung von Wilhelm Felgentraeger, Werner Weber und Heinrich Lange herausgegeben. 560 Heinrich Lange (1900–1977) lehrte Bürgerliches Recht in Breslau, später in München. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 262. 561 Der Würzburger Rechts- und Staatswissenschaftler Georg von Schanz (1853– 1931) war im Dezember 1931 verstorben. Bei seiner Erwähnung muss es sich um ein Versehen handeln. 562 Rudolf Siegert (1899–1945) wurde 1926 in Jura promoviert, war 1933 sächsischer Ministerialrat und seit 1934 im Reichsfinanzministerium tätig. Später trat er der SS bei und war Abteilungsleiter im Reichssicherheitshauptamt. Klee, S. 582. 563 Karl Michaelis (1900–2001) lehrte seit 1934 als Professor Bürgerliches Recht, Neuzeitliche Rechtsgeschichte und Kirchenrecht in Kiel und seit 1938 in Leipzig. Nach 1945 wirkte er in Münster und Göttingen. Klee, S. 410. 564 Die Mitglieder des Kasseler Kreises waren hauptsächlich zwischen 1900 und 1905 geboren. Sie zählten damit zur sogenannten Kriegsjugendgeneration, die den Ersten Weltkrieg als Jugendliche, ohne männliches Familienoberhaupt in der Heimat und noch nicht an der Front erlebt hatte. 565 Carl Bilfinger gehörte zum Jahrgang 1879.

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die Verhandlungen mit dem Münchner Parteiverlag eingeleitet. Es würde von allen übrigen Mitarbeitern sehr begrüsst werden, wenn es Ihnen und Herrn Ahlmann gelänge, die Zeitschrift bei der Hanseatischen Verlagsanstalt567 unterzubringen. Die Schrift von Pannuziola habe ich leider nicht in Kiel; sie steckt unter meinen Büchern in Bonn. Ich werde mich bemühen, sie mir von dort kommen zu lassen und werde sie Ihnen, wenn mir das gelingt, zusenden. Mit herzlichen Grüssen an Sie und Ihre Gattin, auch von meiner Frau, Ihr stets ergebener Ernst Rudolf Huber

Nr. 73 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Köln, 19.8.1933 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Briefkopf: „Preußischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Köln-Lindenthal, / Pfarriusstr. 6“

den 19. August 1933 Lieber Herr Huber! Besten Dank für Ihr Schreiben vom 16. August. Der Name „Deutsche Rechtswissenschaft“ gefällt mir gut. An dem Untertitel finde ich nur das Wort „Hochschulgruppe“ bedenklich. Dagegen würde mir „Zeitschrift für nationalsozialistische Rechtserneuerung“ oder irgend eine andere Wendung, in der das Wort Nationalsozialismus vorkommt, nützlich erscheinen. Schon der Distanz wegen. Was Herrn Bilfinger angeht, so ist die Frage dadurch erledigt, daß die Mitarbeiter nicht enumerativ genannt werden. Ich habe soeben seinen Aufsatz für das A. ö. R. über das Reichsstatthaltergesetz568 gelesen und habe sehr große Bedenken. 566 Der Franz-Eher-Verlag wurde 1901 gegründet und 1920 von der NSDAP übernommen. Seit 1922 führte der NS-Reichspresseleiter Max Amann (1891–1957) das als Zentralverlag der Partei geltende Unternehmen. 567 In der Hanseatischen Verlagsanstalt erschienen etliche nationalsozialistisch ausgerichtete juristische Schriften, ab 1936 auch die „Deutsche Rechtswissenschaft“. Siegfried Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt. Politisches Buchmarketing im „Dritten Reich“, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 38 (1992), S. 1–189. 568 Carl Bilfinger, Das Reichsstatthaltergesetz, in: Archiv des öffentlichen Rechts 63, NF 24 (1934), S. 131–165.

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Daß Wolf569 Ordinarius in Frankfurt geworden ist, werden Sie wohl schon gehört haben. Das letzte Heft des Verwaltungsarchiv[s]570 mit einem Aufsatz von Merkl (!) über Verfassungsgerichtsbarkeit571, ferner die Einleitung zu Band V von Lammers-Simons572 werden Ihnen zeigen, daß wir keine leichte Aufgabe haben und es uns nicht leisten können, im bisherigen Gelehrtenstil [uns] untereinander zu bekämpfen und ausspielen zu lassen. In aufrichtiger Erwiderung Ihrer Grüße stets Ihr Carl Schmitt [ab hier handschriftlich ergänzt:] P.S.573 Vielleicht wäre es gut, größere Abhandlungen als Beihefte zu veröffentlichen oder sonstwie anzugliedern.

Nr. 74 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 31.8.1933 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt / Köln“

Kiel, den 31. August 1933 Feldstr. 127 III Sehr verehrter Herr Staatsrat! Haben Sie herzlichen Dank für Ihr Schreiben vom 19. d. Ms. Ueber den Untertitel „Zeitschrift für nationalsozialistische Rechtserneuerung“ ist in Kassel auch gesprochen worden. Man war der Ansicht, dass bei diesem all569 Hans J. Wolff (1898–1976) sollte Nachfolger Forsthoffs und Hermann Hellers als Professor für Öffentliches Recht in Frankfurt werden, was aber die NSDAP verhinderte. Er lehrte seit 1935 am Herder-Institut in Riga und seit 1941 in Kiel. Martin Kriele, Hans J. Wolff, in: Juristen im Portrait. Verlag und Autoren in 4 Jahrzehnten, München 1988, S. 694–700. 570 Das „Verwaltungsarchiv“ erschien seit 1893 als eine renommierte Fachzeitschrift mit Beiträgen und Gerichtsentscheidungen zum Verwaltungsrecht. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 304–306. 571 Adolf Merkl, Die Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich, in: Verwaltungsarchiv 38 (1933), S. 219–231. 572 Walter Simons, Zum Geleit, in: ders./Heinrich Lammers (Hg.), Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich und des Reichsgerichts auf Grund Artikel 13 Absatz 2 der Reichsverfassung. Bd. 5: Entscheidungen aus der Zeit vom 1. Oktober 1931 bis 30. September 1932, Berlin 1933, S. VII–XII. 573 Postskriptum, d. h. Nachsatz.

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gemeinen Titel die Gefahr bestehe, dass alle nationalsozialistischen Rechtsanwälte aus dem Juristenbund574 den Anspruch erheben werden, in der Zeitschrift zu schreiben. Deshalb wurde das Wort „Hochschulgruppe“ eingefügt. Da auch dieses Wort bedenklich ist und da ich glaube, dass alle in Betracht kommenden Formulierungen des Untertitels Anlass zu unerwünschten Ansprüchen und Einwirkungen von aussen geben können, halte ich es für besser, den Untertitel ganz wegzulassen. Aber grosse Bedeutung hat diese Frage natürlich nicht. Ueber die Frage des Verlages habe ich nichts mehr gehört. Ich nehme an, dass die Verhandlungen von Ihnen oder von Herrn Ritterbusch unmittelbar geführt werden. Das hat den grossen Vorteil, dass nicht eine Vielheit von Personen in der Sache tätig sind, wodurch ja bisher schon zahlreiche Misshelligkeiten entstanden sind. Von Herrn Larenz höre ich, dass er Herrn Ritterbusch einen Aufsatz zur Verfügung gestellt hat, und auch Herr Dahm wird in absehbarer Zeit einen Aufsatz liefern können575. Damit ist der Grundstock für das erste Heft ja schon vorhanden. Es würde also unter Umständen möglich sein, das erste Heft schon zum Juristentag576 herauszubringen. Der Charakter der Zeitschrift lässt wohl grössere Aufsätze von mehr als höchstens eineinhalb Bogen577 nicht zu; ich finde deshalb Ihren Vorschlag, grössere Abhandlungen als Beihefte (oder in einer besonderen Reihe?) zu veröffentlichen, sehr zweckmässig. Ich sehe wie Sie die ganze Schwere der Aufgabe, die uns gestellt ist, und ich würde es für verhängnisvoll halten, wenn die Geschlossenheit unserer Gruppe gesprengt oder untergraben würde. Während des September[s] werde ich im Urlaub sein578; Post wird mich über meine Kieler Adresse erreichen. Mit den besten Grüssen Ihr stets ergebener 574

Bund nationalsozialistischer deutscher Juristen (BNSDJ). Dahm hatte dies gegenüber Schmitt angedeutet. Im ersten Jahrgang der Deutschen Rechtswissenschaft 1 (1936) erschien allerdings kein Aufsatz von Dahm. 576 Der Deutsche Juristentag ist ein seit 1860 bestehender eingetragener Verein, dessen Zweck die Durchführung der nach ihm benannten Fachversammlungen ist. Der für den Herbst 1933 geplante Deutsche Juristentag wurde abgesagt. Stattdessen veranstaltete der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ) am 2.10.1933 in Leipzig seine Tagung unter diesem Titel. Peter Landau, Die deutschen Juristen und der nationalsozialistische Juristentag 1933, Leipzig 1986 (= Leipziger juristische Vorträge, 19). 577 Ein Bogen Papier entspricht acht Blättern und damit 16 Seiten. 578 Huber und Schmitt trafen sich am 26.9.1933 in Köln sowie am 1.10.1933 in Leipzig. Schmitt, Tagebücher, S. 304. 575

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Nr. 75 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 25.10.1933 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag

Kiel, den 25. Oktober 1933 Hansastr. 79. Hochverehrter Herr Staatsrat! Von Herrn Dr. Fickel579 habe ich gehört, daß der Zeitschriftenplan vorläufig zurückgestellt werden muß, daß Sie aber statt dessen sofort mit der staatsrechtlichen Broschürenreihe580 herauskommen wollen. Ich halte es für ein großes Unglück, daß die Zeitschrift uns nicht gelungen ist; die Leipziger Besprechung581 war ein so verheißungsvoller Anfang. Es ist die allgemeine Ueberzeugung unseres Kreises582, daß trotz des einstweiligen Mißerfolges eine weitere enge Zusammenarbeit stattfinden soll, und es ist angeregt worden, in den Weihnachtsferien ein Treffen zu veranstalten, das unsere Einmütigkeit und Geschlossenheit im Handeln verstärken soll. Ich halte das für einen sehr glücklichen Gedanken und würde es sehr begrüßen, wenn Sie als Führer des Kreises diese Anregung aufnehmen würden. Ihre mir durch Herrn Dr. Fickel übermittelte Aufforderung, meine Broschüre „Deutscher Sozialismus“ als zweites Heft der neuen Schriftenreihe erscheinen zu lassen583, ehrt und erfreut mich sehr. Ich habe Herrn Fickel bereits zustimmend geantwortet, möchte aber auch Ihnen noch sehr herzlich für dieses Angebot danken. Ich finde es sehr gut, daß wenigstens durch die Schriftenreihe die Gemeinsamkeit der politischen Haltung, die in unserem Kreise besteht, zum Ausdruck gebracht werden kann. Ich halte es aber dann doch für notwendig, daß Sie als Herausgeber der Reihe in die Erscheinung treten584. Die Geschlossenheit unserer Front wird dadurch sehr merkbar unterstrichen. Ferner halte ich es für geboten, die Reihe nicht auf eigentlich 579

Georg Fickel war Lektor bei der Hanseatischen Verlagsanstalt. Die Broschürenreihe erhielt den Titel „Der deutsche Staat der Gegenwart“. Bis 1936 erschienen zwanzig Hefte. 581 Diese Unterredung fand vermutlich während des Juristentages statt. 582 Gemeint ist die „Kieler Schule“ der Rechtswissenschaft, der die Professoren Dahm, Huber, Larenz, Michaelis, Schaffstein und Siebert angehörten, sowie einige weitere Hochschullehrer. Ewald Grothe, Zwischen Geschichte und Recht. Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900–1970, München 2005 (= Ordnungssysteme, 16), S. 181 f. 583 Der Titel wurde etwas abgewandelt. Ernst Rudolf Huber, Die Gestalt des deutschen Sozialismus, Hamburg 1934 (= Der deutsche Staat der Gegenwart, 2). 584 Schmitt gab die Reihe heraus. 580

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staatsrechtliche Arbeiten zu beschränken oder richtiger: den Ausdruck „Staatsrecht“ hier in einem totalen Sinne zu verstehen. Mindestens das Strafrecht müßte nach meiner Ansicht sehr stark zu Worte kommen. Wir haben das Glück, daß die vier Strafrechtler unseres Kreises585 sehr eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten – stärker als es leider bei den Staatsrechtlern der Fall ist. Zudem ist Herr Dahm durch die Berufung in die Strafrechtskommission des Reichsjustizministers586 sichtbar ausgezeichnet worden (außer ihm sind Nagler587, Kohlrausch588 und Mezger589 darin), sodaß unserem Kreise hier eine sehr wichtige Arbeitsmöglichkeit gegeben ist. Strafrechtliche Broschüren in Ihrer Schriftenreihe würden also eine besonders aktuelle Bedeutung besitzen. Auf Grund einer früheren Unterhaltung, die ich mit Ihnen über diesen Punkt führte, glaubte ich mich berechtigt, Herrn Dahm zu erklären, daß Sie die Reihe sicher auch auf strafrechtliche Arbeiten auszudehnen wünschten590. Das Manuskript meiner Broschüre ist im wesentlichen fertig. Die Gesamtrichtung ist Ihnen aus den Aufsätzen im Deutschen Volkstum591 bekannt. Die Schrift gliedert sich in 8 Abschnitte: 1. Die öffentliche Wirtschaft; 2. Kapitalismus und Marxismus; 3. Gemeineigentum und Gemeinwirtschaft; 4. Wirtschaftliche Selbstverwaltung; 5. Arbeitsselbstverwaltung; 6. Kartellverwaltung; 7. Der ständische Aufbau; 8. Die Staatswirtschaft592. 585 Gemeint waren u. a. die in Kiel lehrenden Georg Dahm, Friedrich Schaffstein und Heinrich Henkel. 586 Franz Gürtner (1881–1941) war von 1932 bis 1941 Reichsjustizminister. Ekkehard Reitter, Franz Gürtner. Politische Biographie eines deutschen Juristen, Berlin 1976 (= Beiträge zu einer historischen Strukturanalyse Bayerns im Industriezeitalter, 13). 587 Josef Nagler (1876–1951) hatte seit 1928 eine Professur für Straf- und Strafprozessrecht, Zivilprozessrecht und Kirchenrecht in Breslau inne. Thomas Vormbaum, Nagler, Johannes, in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 715 f. 588 Eduard Kohlrausch (1874–1946) war seit 1919 Lehrstuhlinhaber für Strafrecht in Berlin. Von ihm stammt der bekannte Kurzkommentar zum Strafgesetzbuch. Holger Karitzky, Eduard Kohlrausch – Kriminalpolitik in vier Systemen. Eine strafrechtshistorische Biographie, Berlin 2002 (= Berliner juristische Universitätsschriften, Strafrecht, 15). 589 Edmund Mezger (1883–1962) lehrte als Professor für Strafrecht seit 1925 in Marburg und seit 1932 in München. Gerit Thulfaut, Kriminalpolitik und Strafrechtslehre bei Edmund Mezger (1883–1962). Eine wissenschaftsgeschichtliche und biographische Untersuchung, Baden-Baden 2000 (= Juristische Zeitgeschichte, 4,2). 590 Es erschienen 1934 als Heft 3 und 4 zwei Broschüren zum Strafrecht in dieser Reihe. Heinrich Henkel, Strafrichter und Gesetz im neuen Staat, Hamburg 1934; Friedrich Schaffstein, Politische Strafrechtswissenschaft, Hamburg 1934. 591 Allein 1933 erschienen von Huber fünf Aufsätze im „Deutschen Volkstum“. Tula Huber-Simons/Albrecht Huber, Bibliographie der Veröffentlichungen von Ernst Rudolf Huber, in: Ernst Forsthoff u. a. (Hg.), Festschrift für Ernst Rudolf Huber zum 70. Geburtstag am 8. Juni 1973, Göttingen 1973, S. 385–416, hier S. 393.

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Ich denke, daß ich das Manuskript Ende der Woche nach Hamburg absenden kann. Ich schrieb Ihnen vor einigen Tagen im Auftrag der Verwaltungs-Akademie der Nordmark593 und bat Sie, hier einen Vortrag zu halten. Ich möchte Sie nochmals sehr herzlich bitten, das große Opfer zu bringen und diesen Vortrag zu übernehmen. Sie haben in Leipzig erlebt594, wie das Volk und besonders die Beamtenschaft danach hungert, Klarheit über die staatsrechtlichen Grundfragen zu erhalten, und es gibt eben außer Ihnen heute niemanden, der diese Fragen behandeln kann. | Für das schwere Semester, das Sie nun in Berlin beginnen595, wünsche ich Ihnen alles Gute. Heute jährt sich der Tag, an dem das Leipziger Urteil596 erlassen wurde; wie schnell waren diese Scheinfassaden zerstört! Ich spreche gerade vor Marineoffizieren im Rahmen der sogenannten „Führergehilfenausbildung“597 über diese Fragen und bin wieder erfreut über den klaren Blick, der diese Leute auszeichnet. Die Herren, die demnächst zu einem Kurs nach Berlin müssen, möchten gerne einmal Ihre Vorlesung598 besuchen, und ihr Führer, Korvettenkapitän Weicholdt599, wird sich dann mit Ihnen in Verbindung setzen. Es sind 8 Kapitänleutnants, die Elite von zwei Jahrgängen, die für den Admiralstab ausgebildet werden, und es ist für mich sehr schön, hier mitarbeiten zu können. Ihnen und Frau Professor Schmitt die besten Grüße, auch von meiner Frau, Ihr dankbar ergebener 592

Die Kapitelnamen blieben mit einer Ausnahme recht ähnlich. Nur das zweite Kapitel hieß im Druck „Die Interessenwirtschaft“. Huber, Gestalt. 593 Huber war Studienleiter der Verwaltungsakademie der Nordmark in Kiel. Es gab weitere Standorte in Flensburg, Lübeck und Itzehoe. Der Brief ist nicht überliefert. 594 Gemeint ist sein Aufenthalt auf dem Deutschen Juristentag zwischen dem 29.9. und 3.10.1933. Huber hielt am 3.10. einen Vortrag mit dem Titel „Der Neubau des Staats- und Verwaltungsrechts“. Schmitt, Tagebücher, S. 304 f. 595 Carl Schmitt wurde zum Wintersemester 1933/34 von Köln nach Berlin berufen. 596 Im Prozess Preußens gegen das Reich 1932. 597 Seit 1920 hatte sich jeder jüngere Reichswehroffizier einer Wehrkreisprüfung zu unterziehen. Die zehn besten Absolventen wurden anschließend zur Führergehilfenausbildung einberufen. 598 Schmitt hatte für das Wintersemester drei Vorlesungen angekündigt. Schmitt, Tagebücher, S. 469. 599 Eberhard Weichold (1891–1960) war bis 1934 Lehrer an der Marineakademie und seit 1939 im Oberkommando der Wehrmacht tätig. Hans H. Hildebrand/Ernest Henriot, Deutschlands Admirale 1849–1945, Bd. 3, Osnabrück 1990, S. 526 f.

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Nr. 76 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Köln, 28.10.1933 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preußischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Köln-Lindenthal, / Pfarriusstr. 6“

den 28. Oktober 1933 Lieber Herr Huber! Ueber Ihren Brief vom 25. Oktober habe ich mich ganz besonders gefreut. Dieses Datums habe ich mich auch erinnert und zwar in einem Vortrag, den ich vor den Elberfeldern nationalsozialistischen Juristen gehalten habe600. Am meisten freut es mich, daß Ihre Abhandlung in unserer Broschürenreihe bald erscheint. Es ist gut, wenn dann sofort noch mehrere, vor allem strafrechtliche Abhandlungen einsetzen601. Das Uebergewicht der Strafrechtslehrer liegt in der Natur der Sache und soll auch nicht bestritten werden. Ich glaube, daß der Gesamtname „Der Deutsche Staat der Gegenwart“ nicht ins verfassungsrechtliche mißdeutet werden kann. Sowohl Dahm, wie Schaffstein, die ich beide in Leipzig kennen gelernt habe, gehören zu unserem Stoßtrupp602 und sind ganz unentbehrlich. Es würde mir leid tun, wenn sie aus einer spezialfachlichen Befürchtung heraus zurückblieben. Die Hauptsache ist jetzt, daß die Reihe bald in der Welt ist603, dann wird sich alles weitere auch für die Zeitschrift finden. Ob ich als Herausgeber zeichne, ist nichts als eine Frage der Zweckmäßigkeit; ich möchte darüber noch die Ansicht von Ritterbusch hören. Nach Kiel komme ich sehr gern[,] und für Ihre Einladung danke ich Ihnen herzlich. Ich muß mir nur noch den Termin überlegen. Ende nächster Woche reise ich nach Berlin604, der Umzug wird aber erst Mitte November stattfinden605. Ich muß mich in der schwierigen 600 Der Vortrag fand auf Einladung des Wuppertaler Rechtsanwalts Hermann Schroer am 25.10.1933 statt. Der Titel ist nicht bekannt. Schmitt, Tagebücher, S. 307. 601 Siehe oben Anm. 590. 602 Diese militärische Bezeichnung wurde auch für die sogenannten Stoßtrupp-Fakultäten verwendet. So Karl August Eckhardt, Das Studium der Rechtswissenschaft, Hamburg 1935, S. 9. Dazu: Rudolf Meyer-Pritzl, Die Kieler Rechts- und Staatswissenschaften. Eine „Stoßtruppfakultät“, in: Christoph Cornelißen/Carsten Mish (Hg.), Wissenschaft an der Grenze. Die Universität Kiel im Nationalsozialismus, Essen 2009, S. 151–174. 603 Als Band 1 erschien: Carl Schmitt, Staat, Bewegung, Volk. Die Dreigliederung der politischen Einheit, Hamburg 1933, mit einer Auflage von 6.000 Stück. Noch im selben Jahr erfolgte eine zweite Auflage. Koenen, S. 456 f., Anm. 36. 604 Am Samstag, dem 4.11.1933, traf Schmitt in Berlin ein. Schmitt, Tagebücher, S. 308.

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neuen Lage erst zurechtfinden, ehe ich irgend welche Vortragsverpflichtungen für den Winter übernehmen kann. Daß Sie Freude an den Marine-Offizieren haben, kann ich Ihnen lebhaft nachempfinden. Wenn Ihre Hörer von der Marine nach Berlin kommen, würde ich sie gern kennen lernen. Hoffentlich sehe ich Sie selbst auch bald einmal wieder. Mit herzlichen Grüßen [ab hier handschriftlich:] an Sie und Ihre Frau von Ihrem alten Carl Schmitt.

Nr. 77 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Köln, 10.11.1933 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

10/11 33 Lieber Herr Huber, ich schreibe Ihnen auf der Reise nach Köln. Montag morgen bin ich wieder in Berlin (Hotel Bristol)606. Erst am 21. Nov. werden wir unsere Berliner Wohnung (Steglitz607, Schillerstr. 2) beziehen können. Heute wollte ich Ihnen die beil. Abhandlung608 überreichen und Ihnen mitteilen, daß Frank609 mich zum Reichsfachgruppenführer der Fachgruppe Hochschullehrer im NS Juristenbund610 machen will (vgl. Völk. Beob. von heute611). Das gäbe viel Arbeit, aber auch die Möglichkeit, Notwendiges 605 Familie Schmitt zog Ende November in die Schillerstraße 2, heute ArnoHolz-Straße 6. Ebd., S. 468. 606 Schmitt reiste am Freitag, dem 10.11., nach Köln und am Sonntag, dem 12.11., im Schlafwagen zurück nach Berlin. Schmitt, Tagebücher, S. 309. Das Hotel Bristol befand sich auf der Berliner Prachtstraße Unter den Linden. 607 Berliner Stadtteil im Südwesten. 608 Schmitt, Staat, Bewegung, Volk. 609 Hans Frank (1900–1946) war der höchstrangigste Jurist im „Dritten Reich“ und hatte gleich mehrere Ämter inne. Er war Reichsrechtsführer, 1933/34 bayerischer Justizminister und Reichsminister ohne Geschäftsbereich, Präsident der Akademie für Deutsches Recht. Frank war Förderer und Protektor von Schmitt. Dieter Schenk, Hans Frank. Hitlers Kronjurist und Generalgouverneur, Frankfurt a. M. 2006. 610 Der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ) wurde 1928 als Organisation innerhalb der NSDAP durch Hans Frank gegründet; 1936 wurde er in Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund (NSRB) umbenannt. Michael Sunnus, Der NS-Rechtswahrerbund: (1928–1945). Zur Geschichte der nationalsozialistischen Juristenorganisation, Frankfurt a. M. u. a. 1990 (= Rechtshistorische Reihe, 78). 611 [o.V.], Die neue Staatsrechtslehre, in: Völkischer Beobachter, Norddeutsche Ausgabe, Nr. 313 vom 9.11.1933.

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durchzusetzen. Auch unsere Zeitschrift wäre dann gesichert. Hoffentlich kann ich bald einmal mit Ihnen darüber sprechen. Ist es möglich, daß Sie im Nov. noch nach Berlin kommen?612 Und vor allem: kann ich bei der neuen Aufgabe auf Ihre Mitarbeit und treue Hilfe rechnen? Triepel hat eine Erklärung verschickt, daß der frühere (jüdische) Juristentag noch bestehe und in 2 Jahren zusammentreten werde613. Sie sehen die Sinnesart meiner Berliner Kollegen. Geben Sie mir bitte bald Nachricht. Ich freue mich auf Ihre neue Schrift614. Herzliche Grüße an Sie und Ihre Frau von Ihrem alten Carl Schmitt. Nr. 78 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 12.11.1933 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag

Hochverehrter Herr Staatsrat! Sehr herzlich danke ich Ihnen für Ihre Briefe vom 28. Oktober und vom 10. November und vor allem für die freundliche Zusendung Ihrer neuen Schrift „Staat, Bewegung, Volk“. Es war mir eine grosse Freude, Ihre hinreissenden Ausführungen von dem Juristentag615 nun zu lesen; besonders gefesselt haben mich natürlich die zahlreichen Ergänzungen, die die schriftliche Ausarbeitung des Vortrags enthält. Nach so vielen unglücklichen und verfehlten Veröffentlichungen über „Sinn und Wesen der nationalen Revolution“616 ist mit Ihrer Schrift die Grundlage geschaffen, auf der die neue staatsrecht612 Folgt man dem Tagebuch, so kam Huber erst am 27.1.1934 wieder nach Berlin. Schmitt, Tagebücher, S. 323. 613 Nach der Absage des Deutschen Juristentages 1933 tagte dieser erst wieder 1949 in Köln. Zwar waren etliche deutsche Juristen jüdischen Glaubens, Schmitts Bemerkung ist in dieser Zuspitzung aber polemisch und antisemitisch. Triepel war Vorsitzender der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages. 614 Gemeint ist vermutlich Huber, Gestalt. 615 Der Deutsche Juristentag fand zwischen dem 29.9. und 3.10.1933 in Leipzig statt. Schmitt hielt einen Vortrag über den „Neubau des Staats- und Verwaltungsrechts“ am 3.10.1933. Er ist dokumentiert in Rudolf Schraut (Hg.), Deutscher Juristentag 1933. 4. Reichstagung des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen e. V. Ansprachen und Fachvorträge, Berlin 1933, S. 242–252. Ein Auszug erschien im November 1933: Carl Schmitt, Führertum als Grundbegriff des nationalsozialistischen Rechts, in: Europäische Revue 9 (1933), S. 676–679. Eine Ausarbeitung der Rede war Carl Schmitt, Staat, Bewegung, Volk. 616 Otto Koellreutter, Vom Sinn und Wesen der nationalen Revolution, Tübingen 1933 (= Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 101).

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liche Arbeit aufbauen kann. Es ist sehr schön, dass die Schriftenreihe mit dieser Broschüre eröffnet wird. Ich hoffe, dass Herr Ziegler617 inzwischen eingesehen hat, dass meine Broschüre, die den Titel „Die Gestalt des deutschen Sozialismus“ erhalten soll, in die neue Reihe und nicht in die alte Hanseatenreihe618 gehört. Ich habe die Strafrechtler unseres Kreises davon unterrichtet, dass Sie den grössten Wert auf ihre Mitarbeit in der Reihe legen. Ich beglückwünsche Sie sehr herzlich zu dem Erfolg Ihrer ersten Vorlesung in Berlin619. Ich freue mich sehr über den glücklichen Gedanken Franks, Sie zum Führer der Fachgruppe Hochschulen im NS-Juristenbund zu machen. Diese organisatorische Arbeit wird nicht immer erfreulich sein, aber es ist so dringend notwendig, dass die Führung der Hochschullehrer in Ihren Händen liegt. Das Verhalten Triepels wäre unglaublich, wenn man von ihm in der letzten Zeit nicht dauernd solche Dinge hätte erleben müssen. Selbstverständlich werde ich Sie gerne nach | besten Kräften unterstützen. Ich weiss nicht, wie Sie die Akademie für Deutsches Recht620 jetzt beurteilen, aber ich neige zu der Annahme, dass die unter Ihrer Führung stehende Hochschulfachgruppe die Akademie sehr wertvoll wird ergänzen können. Wenn Sie wünschen, dass ich einmal nach Berlin komme, so würde ich zu Ihrer Verfügung stehen; da ich jeden Wochentag lese, werde ich allerdings nur sonntags hier abkommen können. Dass die Hoffnung besteht, auf diese Weise die Zeitschrift doch noch durchzusetzen, ist besonders schön. Die Enttäuschung in unserem Kreise über den Leipziger Misserfolg war sehr gross. Herr Ritterbusch hat offenbar die Flinte ins Korn geworfen; anders kann ich mir seinen Eintritt [in] die Schriftleitung der „Zeitschrift für Politik“621 (neben Koellreutter622) nicht erklären. Er hat in einem Brief an Dahm623 die Zeitschrift für Arbeiten aus unserem Kreise angeboten, aber die Strafrechtler haben an diesem Organ kein Interesse und sind im Begriff, sich eng mit der Zeitschrift für die ge617

Benno Ziegler (1894–1949) leitete seit 1931 die Hanseatische Verlagsanstalt. Lokatis, S. 52–59. Gemeint war eventuell die ältere „Schriftenreihe zur politischen Erziehung“. Ebd., S. 31. 619 Die erste Vorlesung in Berlin fand am 6.11.1933 statt. Schmitt, Tagebücher, S. 309. 620 Die am 26.6.1933 in München gegründete Akademie für Deutsches Recht sollte die Umgestaltung des Rechtssystems im Sinne des Nationalsozialismus wissenschaftlich unterstützen. Pichinot, passim. 621 Die „Zeitschrift für Politik“ wurde als Organ der Hochschule für Politik in München 1907 gegründet. Ab 1933 wurde sie von Wilhelm Ziegler (1891–1962), Paul Ritterbusch und Paul Meier-Benneckenstein (1894–1971), dem Präsidenten der NS-Hochschule für Politik Berlin, herausgegeben. 622 Koellreutter wurde nicht Mitherausgeber der „Zeitschrift für Politik“. 623 Der Brief ist nicht überliefert. 618

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samte Strafrechtswissenschaft624, deren Leitung jetzt wesentlich bei Herrn Gallas625 liegt, zu verbinden. Ich fürchte, dass unser Kreis trotz des allseitigen guten Willens auseinanderfällt, wenn wir nicht bald in der Zeitschrift ein starkes und sichtbares Bindemittel besitzen. Im Namen der Verwaltungsakademie danke ich Ihnen sehr herzlich für die grosse Ehre, die Sie uns mit der Uebernahme des Vortrages erwiesen haben. Wäre es möglich, dass Sie den Vortrag am 31. Januar halten? Oder könnten Sie schon am 13. Dezember kommen?626 Ich will Sie natürlich nicht drängen, aber wir haben ein gewisses Interesse, den Termin möglichst bald festzulegen. Für den Einzug in Berlin627 wünschen meine Frau und ich Ihnen und Ihrer Gattin alles Gute. Mit herzlichen Grüssen Ihr treu ergebener

Nr. 79 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 17.11.1933 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

17/11 33. Lieber Herr Huber, herzlichen Dank für Ihren Brief. Ich habe Frank versprochen, zu Ostern628 das 1. Heft der Zeitschrift629 fertig zu machen. Hoffentlich gelingt das. An Sie habe ich dabei als hauptsächlichen Mitarbeiter gedacht630. 624

Die „Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft“ wurde 1881 gegründet. Wilhelm Gallas (1903–1989) war als Strafrechtsprofessor in Gießen, Königsberg und Tübingen tätig. Nach dem Krieg lehrte er in Tübingen und Heidelberg. Gallas wurde 1934 Schriftleiter und 1935 Herausgeber der „Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft“. http://www.uni-leipzig.de/unigeschichte/professoren katalog/leipzig/Gallas_455.pdf (27.5.2014). 626 An beiden Terminen kam Schmitt nicht nach Kiel. 627 Der Einzug erfolgte Ende November 1933. 628 Der Ostersonntag 1934 fiel auf den 1. April. 629 Schmitt wurde erst mit Heft 11 zum 1. Juni 1934 neuer Herausgeber der „Deutschen Juristen-Zeitung“, die im Untertitel seit dem 39. Jahrgang 1934 als „Organ der Reichsfachgruppe Hochschullehrer des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen“ firmierte. 630 Huber veröffentlichte in der „Deutschen Juristen-Zeitung“ 1934 einen und 1935 drei Aufsätze, 1934 außerdem drei Rezensionen. Huber/Huber-Simons, S. 393–395, 409 f. 625

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Ich soll mir 9 Leute als „Führerrat“ der Reichsfachgruppe Hochschullehrer aussuchen631. Vielleicht helfen Sie mir mit Vorschlägen. Ist Dahm unbedingt zuverlässig oder schon im ‚Betrieb‘? Noch eine Bitte, die den Entwurf eines Reichsrechtskammergesetzes632 betrifft. Es würde mich interessieren, wie Sie sich ein solches Gesetz denken. Werfen Sie doch bitte eine Skizze mit dem Wesentlichen aufs Papier, damit ich es mit hiesigen Entwürfen vergleichen kann. Auf Ihre Sozialismus-Broschüre633 freue ich mich außerordentlich, auch, daß sie mit meiner Broschüre zusammen als das 1. Heft unserer Reihe erscheint634. Nochmals herzlichen Dank für Ihren Brief und alle guten Wünsche für Sie und Ihre Frau. Stets Ihr getreuer Carl Schmitt. Sobald die Vorbereitung[en] für eine Besprechung weiter gediehen sind, mache ich Ihnen einen Vorschlag für eine Zusammenkunft.

Nr. 80 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 21.11.1933 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag

Kiel, 21. November 1933 Hochverehrter Herr Staatsrat! Sehr herzlichen Dank für Ihren Brief vom 19. d. M.635. Ich beglückwünsche Sie sehr von Herzen zu der inzwischen vollzogenen Ernennung zum Führer 631 Die Mitwirkenden bei der Herausgabe der „Deutschen Juristen-Zeitung“ waren Mitglieder des Reichsfachgruppenrates. Es waren dies in der ersten Nummer unter Schmitts Herausgeberschaft Viktor Bruns, Georg Dahm, Carl August Emge, Justus Wilhelm Hedemann, Ernst Rudolf Huber, Wilhelm Kisch, Friedrich Klausing, Heinrich Lange, Johannes Popitz und Paul Ritterbusch. 632 Ein Reichsrechtskammergesetz und eine Reichsrechtskammer existierten nicht. Vielleicht war ein Entwurf zu der am 13. Dezember 1935 (RGBl. I, 1470) beschlossenen Reichsrechtsanwaltsordnung gemeint, durch die eine Reichsrechtsanwaltskammer entstand. 633 Siehe oben Anm. 583. 634 Das erste Heft erschien unter Schmitts, das zweite unter Hubers Verfasserschaft. 635 Ein Schreiben vom 19.11.1933 ist nicht überliefert.

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der Fachgruppe, von der ich in der Zeitung gelesen habe636. Auch das Erscheinen der Zeitschrift ist nach den Meldungen jetzt fest in Aussicht genommen. Herr Ziegler berichtete mir näher über die Unterredung, die er deswegen mit Ihnen hatte. Ich entnehme daraus, daß nun doch Eher der Verleger sein wird637 und daß die Zeitschrift für alle Mitglieder der Fachgruppe offenstehen muß. Es ist sehr schade, daß der ursprüngliche Plan nicht durchgeführt werden konnte. Ich freue mich aber, daß Sie auf meine Mitarbeit für das erste Heft rechnen; ich werde immer nach besten Kräften zu Ihrer Verfügung stehen. Ich meine, Sie sollten bei der Auswahl des Führerrates unsere junge Gruppe stark berücksichtigen, auch auf die Gefahr hin, ältere Anwärter zu verletzen. Sie müßten in dem Führerrat einen kleinen Stoßtrupp haben, auf den Sie sich voll und ganz verlassen können. Dahm, Lange und Ritterbusch sollten Sie unbedingt nehmen. Dahm ist unbedingt zuverlässig; ich glaube, zuverlässiger als Schaffstein, der zwar temperamentvoller, aber auch leichter beeinflußbar ist. Vielleicht ist es gut, Sie nehmen auch Walz, der sicher brauchbar ist, wenn er seinen Ehrgeiz befriedigt sieht; gleiches gilt von Eckhardt638. Von den Zivilisten ist Stoll639 wohl noch der brauchbarste. Koellreutter und Kisch640 lassen sich wohl nicht vermeiden. Falls die Nationalökonomen auch zu Ihrer Gruppe gehören, empfehle ich Ihnen dringend, Jessen641 aufzufordern; er ist ehrgeizig, aber sehr tüchtig und anständig. Ich war in den letzten Tagen und bin auch heute und morgen so beschäftigt, daß ich über die Reich[s]rechtskammer noch nicht in Ruhe nachdenken konnte. Das Zeitungsmaterial, das mir vorliegt, ist auch so dürftig, daß mir 636 Die Ernennung Schmitts erfolgte laut Tagebuch am 15.11.1933. Schmitt, Tagebücher, S. 310. In welcher Tageszeitung Huber die Meldung gelesen hatte, konnte nicht ermittelt werden. 637 Die „Deutsche Juristen-Zeitung“ war bis 1933 im Verlag von Otto Liebmann (Berlin), dem Herausgeber, erschienen. Seit 1934 wurde sie bei C.H. Beck (München/Berlin) publiziert. 638 Karl August Eckhardt (1901–1979) lehrte als Rechtshistoriker seit 1928 in Kiel, danach in Berlin und Bonn. Er war Mitglied der SS und 1934–1936 für das Reichswissenschaftsministerium tätig. Mechthild Niemann, Karl August Eckhardt, in: Mathias Schmoeckel (Hg.), Die Juristen der Universität Bonn im „Dritten Reich“, Köln u. a. 2004 (= Rechtsgeschichtliche Schriften, 18), S. 160–184. 639 Heinrich Stoll (1891–1937) lehrte seit 1927 Bürgerliches Recht in Tübingen. 640 Wilhelm Kisch (1874–1952) war als Professor für Bürgerliches Recht seit 1916 in München tätig. Peter Koch, Kisch, Wilhelm, in: Neue Deutsche Biographie 11 (1977), S. 683. 641 Jens Jessen (1895–1944) lehrte Staatswissenschaften in Göttingen, Kiel, Marburg und Berlin. 1944 wurde er als Widerstandskämpfer hingerichtet. Regina Schlüter-Ahrens, Der Volkswirt Jens Jessen. Leben und Werk, Marburg 2001 (= Beiträge zur Geschichte der deutschsprachigen Ökonomie, 16).

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der Zweck dieser Organisation noch nicht ganz aufgegangen ist. Ich werde Ihnen in den nächsten Tagen noch darüber schreiben. Ich glaube, Herr Dahm wird sehr gerne an dem ersten Heft mitarbeiten642. Mit besten Grüssen und Wünschen, auch für Ihre Gattin, Ihr stets ergebener

Nr. 81 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 24.11.1933 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag

Kiel, den 24. November 1933 Hansastr. 79 Hochverehrter Herr Staatsrat! Ihrem Wunsch gemäss gebe ich Ihnen nachstehend einige Notizen über den Aufbau der Reichsrechtskammer an: 1. Der Reichsjustizminister errichtet folgende Fachkammern: a) Richterkammer (umfassend alle Richter der Länder und des Reichs ausschließlich der Referendare). b) Anwältekammer (umfassend alle Rechtsanwälte der Ländergerichte und des Reichsgerichts). c) Kammer für Verwaltungsjuristen (umfassend alle Beamten des höheren Verwaltungsdienstes und alle leitenden Gemeindebeamten, sowie alle leitenden Beamten der Wirtschaftsstände). d) Kammer für Volkswirte (umfassend alle in der privaten Wirtschaft tätigen leitenden Angestellten, ohne Rücksicht auf Vorbildung). e) Kammer für Rechtspfleger. f) Kammer für Patentanwälte. g) Kammer der Hochschullehrer (umfassend alle ordentlichen Professoren, Privatdozenten und Assistenten der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultäten). 642 Georg Dahm, Die Erneuerung der Ehrenstrafe, in: Deutsche Juristen-Zeitung 39 (1934), Sp. 821–832, erschien aber erst in Heft 13, also im dritten von Schmitt herausgegebenen Heft.

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2. Einteilung in Bezirkskammern. a) Die Reichsrichterkammer besteht aus der Kammer für die Richter am Reichsgericht und Bezirksrichterkammern entsprechend den Oberlandesgerichtsbezirken. b) Die Reichsrechtsanwaltskammer ist entsprechend untergeteilt. c) Die Reichskammer für Verwaltungsjuristen gliedert sich in Bezirkskammern, und zwar in Preussen nach Provinzen, im übrigen nach Ländern. Die kleineren Länder könnten entsprechend den Reichsstatthalterschaften zusammengefasst sein643. d) Die Kammer für Volkswirte gliedert sich in Unterkammern entsprechend den Treuhänderbezirken. e) Die Kammer der Rechtspfleger wie a) und b). f) und g) Diese beiden Kammern sind nicht untergeteilt. 3. Die sieben Fachkammern zusammen bilden die Reichsrechtskammer. Die Reichsrechtskammer sowie die Fachkammern und die Bezirkskammern sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Sie stehen unter der Führung des Reichsjustizministers, der die Aufsicht über die Kammern führt und die obersten Organe bestellt. 4. Kammerzugehörigkeit. Automatische Zugehörigkeit der erfassten Personenkreise, also keine blosse Beitrittspflicht. 5. Kammerorgane: Führer und Führerräte in der Gesamtkammer, den Fachund Bezirkskammern. Führer der Reichsrechtskammer vom Reichsjustizminister ernannt. Personalunion wie beim Reichsnährstand644 und bei der Reichskulturkammer645 nicht empfehlenswert. Ueberhaupt fraglich, ob zum ständischen Aufbau nicht Inkompatibilität von Staatsamt und Stan643 Insgesamt gab es elf Reichsstatthalter, von denen sieben für je ein Land zuständig waren. Der Reichsstatthalter in Oldenburg war für Oldenburg und Bremen, derjenige in Dessau für Braunschweig und Anhalt, der in Detmold für Lippe und Schaumburg-Lippe und der in Schwerin für Mecklenburg und Lübeck zuständig. Ernst Rudolf Huber, Verfassung, Hamburg 1937 (= Grundzüge der Rechts- und Wirtschaftswissenschaft. Rechtswissenschaft, A), S. 200. 644 Der Reichsnährstand war eine Ständeorganisation der NS-Agrarpolitik mit Sitz in Goslar. Reichsbauernführer Walter Darré (1895–1953) als dessen Präsident war in Personalunion Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft. Daniela Münkel, Nationalsozialistische Agrarpolitik und Bauernalltag, Frankfurt a. M./New York 1996 (= Campus Forschung, 735); Uffa Jensen, Reichsnährstand, in: Wolfgang Benz u. a. (Hg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, Stuttgart 5. Aufl. 2007, S. 750. 645 Joseph Goebbels (1897–1945) war Präsident der Reichskulturkammer und in Personalunion Reichspropagandaminister. Peter Longerich, Joseph Goebbels. Biographie, München 2010.

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desamt gehört. Führer der Gesamtkammer beruft seinen Führerrat646, ernennt die Führer der Fachgruppen und bestellt den Geschäftsführer der Gesamtkammer. Führer der Fachkammer beruft seinen Führerrat, ernennt die Führer der Bezirkskammern und bestellt den Geschäftsführer der Fachkammer. | Entsprechend verfährt der Führer der Bezirkskammer. Für die spätere Führerbestellung könnte ein Recht der Führerräte zur Einreichung einer Vorschlagsliste mit drei Namen eingerichtet werden; jedoch keine Bindung an die Liste. 6. Satzung der Gesamtkammer von ihrem Führer erlassen, vom Reichsjustizminister genehmigt. Satzung der Fachkammer von ihrem Führer erlassen, vom Führer der Gesamtkammer genehmigt. Satzung der Bezirkskammer von ihrem Führer erlassen, vom Führer der Fachkammer genehmigt. 7. Beitragspflicht. Mitglieder zahlen Beiträge an Fachkammern; diese finanzieren die Bezirkskammern und die Gesamtkammer. Beiträge im Verwaltungszwangsverfahren beigetrieben. 8. Aufgaben. Die Kammern nehmen die Aufgaben des ständischen Aufbaus wahr. Dazu gehört auch die wissenschaftliche Behandlung der das Fach berührenden Fragen, die Veranstaltung von wissenschaftlichen Tagungen usw. Ferner gehört dazu die Wahr[ung] der Standesehre durch die Errichtung von Standesgerichten. 9. Verhältnis zum NS-Juristenbund. Entspricht dem Verhältnis von NSBO und Arbeitsfront647. NS-Juristenbund hat also politische Aufgaben und ist der NSDAP zugeordnet, während die Reichsrechtskammer ständische Aufgaben erfüllt und dem Staate zugeordnet ist648. Mit den besten Empfehlungen Ihr sehr ergebener

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Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 35 f. Die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO) löste auf Parteiebene zusammen mit der Deutschen Arbeitsfront auf staatlicher Ebene nach deren Auflösung die Gewerkschaften ab. Gunther Mai, Die Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation. Zum Verhältnis von Arbeiterschaft und Nationalsozialismus, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 31 (1983), S. 573–613. 648 Die Errichtung einer Reichsrechtskammer kam nicht zustande. 647

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Nr. 82 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 14.12.1933 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preußischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt“, Kölner Adresse gestrichen

Berlin-Steglitz, am 14. Dez. 1933. Schillerstr. 2 Lieber Herr Huber! Die letzten Wochen war ich sehr in Anspruch genommen und konnte Ihnen keinen Vorschlag wegen einer Zusammenkunft in Berlin machen, obwohl ich sehr oft den Wunsch hatte, mit Ihnen zu sprechen. Daß sich die Publikation Ihrer Abhandlung über den deutschen Sozialismus verzögert[,] ist unangenehm, aber kein Unglück. Mit meiner Broschüre habe ich die Erfahrung gemacht, daß man besser bis zum Erscheinen eines entscheidenden Gesetzes wartet. Es wird Sie übrigens interessieren, daß Koellreutter sich ein Exemplar der Korrekturbogen verschafft hat und nun an Hand der Aenderungen in die Welt posaunt, ich hätte meinen Standpunkt gewechselt usw. Das ist die Methode Koellreutters. Seien Sie also vorsichtig mit Ihrer Korrektur; wir können nur noch bei Wenigen ein normales Maß von Anständigkeit voraussetzen. Ich habe vor, Sie und Dahm [über der Zeile: und Schaffstein] in besonderem Maße für die Arbeit der deutschen Akademie649 heranzuziehen und hoffe, daß dieses der Weg ist, auf dem man im Laufe eines Jahres einige gute Mitglieder in die Akademie hineinbekommt. Mit den Alten und den Gleichgeschalteten ist es zum Verzweifeln. Für die Zeitschrift „Deutsche Rechtswissenschaft“ habe ich noch wenige brauchbare Mitarbeiter. Das erste Heft muß aber trotzdem gut werden. Leider fehlt es an richtigen Zivilrechtlern[,] auch im Völkerrecht sieht es trostlos aus650. Ich wäre Ihnen für jeden Hinweis auch auf Leute zweiten Ranges dankbar. Inzwischen habe ich Heckel näher kennen und außerordentlich hoch schätzen gelernt. Heute nur diese kurze Mitteilung. Herzliche Grüße Ihnen und Ihrer Frau mit Heil Hitler! Ihr alter Carl Schmitt. 649 650

400.

Gemeint ist die Akademie für Deutsches Recht. Einen Überblick zum Völkerrecht gibt Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 380–

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Nr. 83 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 17.12.1933 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag

Kiel, den 17. Dezember 1933 Hansastr. 79 Hochverehrter Herr Staatsrat! Haben Sie sehr herzlichen Dank für Ihren freundlichen Brief vom 14. d. M. sowie die Zusendung der Broschüre „Staat, Bewegung, Volk“ mit der schönen Widmung651. Ich kam noch nicht dazu, die endgültige Fassung zu lesen und die Aenderungen, die Herrn Koellreutter so sehr beschäftigen, festzustellen, werde aber in den nächsten Tagen bestimmt Zeit dazu finden. Wegen der Broschüre über den deutschen Sozialismus bin ich in einiger Verlegenheit, nachdem das Gesetz über die nationale Arbeit652 nun doch nicht vor Weihnachten erschienen ist. Ich bin im Zweifel, ob ich das Gesetz abwarten soll653. Da es erst zum 1. Mai 1934 in Kraft treten soll, ist mir zweifelhaft, ob es schon im Januar erscheinen wird. Als Herausgeber der Schriftenreihe, in die meine Broschüre aufgenommen worden ist, haben Sie die Entscheidung über den Zeitpunkt der Veröffentlichung in der Hand. Ich wäre Ihnen deshalb sehr dankbar dafür, wenn ich Ihre Meinung erfahren könnte. Ist es Ihnen recht, wenn ich für die Zeitschrift „Deutsche Rechtswissenschaft“ einen Aufsatz über „Die Entstehung der Deutschen Evangelischen Kirche“ schreibe?654 Es würde eine schöne Gelegenheit sein, die Geltung der Weimarer Verfassung und vor allem die Sinnwandlung der fortbestehenden Verfassungsvorschriften zu behandeln. Ich hoffe, Sie haben meine beiden Briefe vom 21. und vom 24. November erhalten, obwohl Sie vorzeitig an Ihre Steglitzer Wohnung gerichtet waren. Zur Vollendung des Rechtsstandes655 und zu Ihrer Betrauung mit der Führung der Fachgruppe beglückwünsche ich Sie sehr herzlich.# Voraussichtlich bin ich am 2. Januar auf der Durchreise in Berlin. Ich werde versuchen, Sie dann anzutreffen, fürchte aber, daß Sie im Sauerland oder sonstwo in den Bergen sein werden656. 651

Das Widmungsexemplar für Huber ist nicht überliefert. Das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit erschien am 20.1.1934. Reichsgesetzblatt 1934 I, S. 45–56. 653 Huber datierte sein Nachwort auf den 23. Dezember 1933. Huber, Gestalt, S. 87. 654 Huber veröffentlichte keinen solchen Artikel. 655 Am 13.12.1933 meldete der Völkische Beobachter: „Die Deutsche Rechtsfront proklamiert den Deutschen Rechtsstand“, der neben Arbeitsfront und Nähr- und Wehrstand getreten sei. Zit. nach Sunnus, S. 174. 652

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Meine Adresse vom 27. bis 31. Dezember ist: Streckewalde657 im sächs.[ischen] Erzgebirge (bei Vollert658). Mit herzlichen Grüßen Ihr sehr ergebener Nr. 84 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 10.1.1934 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6263, Durchschlag: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Professor Dr. Ernst Rudolf Huber / Kiel, den / Hansastr. 79“

10. Januar 1934 Hochverehrter Herr Staatsrat! In den Zeitungen findet sich heute eine Verordnung des Stabsleiters659 der PO.660, durch die allen Gauleitern zur Pflicht gemacht wird, „Verlautbarungen schriftlicher oder mündlicher Art über ständischen Aufbau zu verhindern“661. Ich verstehe den Ausdruck „Verlautbarungen“ so, daß damit öffentliche Kundmachungen von Parteistellen oder sonstigen Organisationen betroffen werden sollen, mit denen eine praktische Einwirkung auf die ständische Organisation erstrebt wird. Dagegen halte ich es für ausgeschlossen, daß der Ausdruck „Verlautbarungen“ sich auch auf wissenschaftliche Erörterungen bezieht. Immerhin geht das aus der Verordnung nicht ganz einwandfrei hervor, und ich möchte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, wie diese Anordnung des Stabsleiters der PO. zu verstehen ist. Das Kapitel VII meiner Schrift662, das die „ständische Selbstverwaltung“ betrifft, behandelt in kurzen Zügen auch die ständische Organisation. Ich habe mich bei meinen 656 Am 2.1.1934 hielt sich Schmitt noch in Berlin auf, traf Huber aber nicht, da dieser seine Reise verschob. Erst am nächsten Tag fuhr Schmitt mit Zwischenstationen in Magdeburg und Goslar nach Duisburg. Schmitt, Tagebücher, S. 316 f. 657 Kleiner Ort im Erzgebirge, heute Ortsteil von Großrückerswalde, etwa zehn Kilometer nordöstlich von Annaberg-Buchholz. In Streckewalde lebte Ernst Rudolf Hubers zweitältester Bruder Otto. Ich danke Wolfgang Huber für diese und die nachfolgende Information. 658 Alma Vollert war die Tante von Ernst Rudolf Huber. Ihr Mann war der Eigentümer eine Pressspanfabrik, die später Hubers Bruder Otto übernahm. 659 Bezeichnung für Robert Ley (1890–1945), den Führer der Deutschen Arbeitsfront, der 1945 Selbstmord beging. Ulrich Schulz, Ley, Robert, in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 424 f. 660 Abkürzung für: „Partei-Organisation“. 661 Das Archiv. Nachschlagewerk für Politik, Wirtschaft, Kultur. Nachtragsband, Bd. 3, Berlin 1934, S. 1248 (6.1.1934). 662 Huber, Gestalt, S. 65–74.

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Ausführungen der größten Zurückhaltung befleißigt und die bestehenden Schwierigkeiten mehr angedeutet, als erörtert. Wenn aber alle „Verlautbarungen“, auch wissenschaftlicher Art, von dem Verbot betroffen sind, so würde dieser Abschnitt meiner Broschüre wohl darunter fallen. Meine Reise nach Berlin mußte ich, wie ich Ihnen schon kurz mitteilte663, auf den 27. Januar verschieben; ich würde mich sehr freuen, Sie dann zu sehen664. Sehr dankbar wäre ich Ihnen auch für eine Mitteilung darüber, ob Sie den Vortrag, den Sie freundlicher Weise für die Verwaltungsakademie der Nordmark zugesagt haben, am 31. Januar halten können oder ob Ihnen ein anderer Zeitpunkt lieber ist665. Ich hörte, daß Heckel die Redaktion des Archivs niedergelegt hat und daß Koellreutter die Leitung nunmehr allein in der Hand hat666. Es ist mir vorläufig noch unverständlich, aus welchem Grunde er die Polemik gegen Sie so führt, wie er es in seinen letzten „Verlautbarungen“ tut667. Mit herzlichen Grüßen Ihr sehr ergebener Ernst Rudolf Huber Nr. 85 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 10.1.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Professor Carl Schmitt / Preußischer Staatsrat“

Berlin-Steglitz, Schillerstr. 2, den 10.1.34. Lieber Herr Huber! Besten Dank für Ihre freundliche Karte und Ihre Glückwünsche zum neuen Jahr668, die ich für Sie und Ihre Frau auch im Namen von Frau Schmitt 663 Huber hatte seinen Berlin-Aufenthalt am 17.12. für den 2.1.1934 angekündigt. Ein Brief, worin er Schmitt die Verschiebung des Termins mitteilt, ist nicht überliefert. 664 Das Treffen am 27.1. kam zustande. Schmitt, Tagebücher, S. 323. 665 Schmitt hielt den Vortrag nicht am 31.1.1934. 666 Heckel legte nach internen Querelen die Herausgeberschaft mit einem Rundschreiben an die Kollegen vom 27.12.1933 nieder. Neben Koellreutter gab es ab Bd. 25 (1935) noch drei weitere neue Herausgeber. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 301–303; Becker, Schritte, S. 116–118. 667 Otto Koellreutter, Volk und Staat in der Verfassungskrise. Zugleich eine Auseinandersetzung mit der Verfassungslehre Carl Schmitts, Berlin 1933; ders., Der deutsche Führerstaat, Tübingen 1934. Dazu Koenen, S. 527–534.

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herzlichst erwidere. Ich hoffe, dass wir uns noch im Januar in Berlin treffen können, weil sehr viel zu besprechen ist669. Die Akademie für Deutsches Recht hat, wie Sie gelesen haben werden, den „Begriff des Standes“ als Preisaufgabe gestellt und die Ablieferungsfrist wegen der Dringlichkeit des Themas auf ein halbes Jahr verkürzt670. Ich weiss nicht, wann Ihre Broschüre erscheinen soll. Hoffentlich wird sie nun bald das Licht der Oeffentlichkeit erblicken können, ohne sofort überholt zu werden. Das Problem der ständischen Organisation ist noch lange nicht gelöst, und eine theoretische Vertiefung ist, wie Sie schon aus der Preisaufgabe ersehen können, immer willkommen. Ob ich Ende Januar nach Kiel kommen kann, ist leider sehr fraglich. Meine Ueberlastung mit Berliner Arbeit ist zu gross. Die Veröffentlichung des Gemeindeverfassungsgesetzes vom 15. Dez. 1933671 war eine Belohnung mühseliger Arbeiten, die aber naturgemäss nicht periodisch sein kann. Haben Sie die Besprechungen gelesen, die Staatssekretär Freisler672 in der Deutschen Justiz vom 5. Januar über Koellreutter und mich geschrieben hat?673 Auf Wiedersehen, lieber Herr Huber, geben Sie mir bitte | bald Nachricht. [ab hier handschriftlich:] Hätten Sie Lust, in der Akademie674 mit mir über das neue Problem der Körperschaften des öffentlichen Rechts675 mitzuarbeiten? Herzliche Grüße Ihres Carl Schmitt. 668

Möglicherweise handelt es sich hier um eine nicht überlieferte Postkarte aus Streckewalde. 669 Sie trafen sich am 27.1. Siehe unten Anm. 683. 670 Am 28.12.1933 hatte die Akademie für Deutsches Recht vier Preise in Höhe von 12.000 Reichsmark ausgeschrieben. Aufgabe 2 hieß: „Der Begriff des Standes und seine Funktionen in Staat und Volk“. Pichinot, passim. 671 Das Preußische Gemeindeverfassungsgesetz vom 15.12.1933 vereinheitlichte das bis dahin zersplitterte preußische Kommunalrecht nach nationalsozialistischen Grundsätzen. Preußische Gesetzsammlung 1933, Nr. 78, S. 427–441. Es wurde zum 1.4.1935 durch die reichseinheitliche Deutsche Gemeindeordnung vom 30.1.1935 ersetzt. Reichsgesetzblatt 1935 I, S. 49–64. 672 Roland Freisler (1893–1945) war seit 1934 Staatssekretär im Preußischen und dann im Reichsjustizministerium und von 1942 bis 1945 Präsident des Volksgerichtshofs. Er starb bei einem Bombenangriff. Matthias Blazek, Zur Biographie Roland Freislers (1893–1945), in: Journal der juristischen Zeitgeschichte 4 (2010), S. 35–37. 673 Roland Freisler, Rezension zu Otto Koellreutter, Grundriß der allgemeinen Staatslehre, in: Deutsche Justiz 1934, S. 37; ders., Rezension zu Karl Schmidt[!], Staat, Bewegung, Volk, in: ebd., S. 37 f. 674 Gemeint ist die Akademie für Deutsches Recht. 675 Erst Jahre später erschien: Ernst Rudolf Huber, Zum Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts, in: Reichsverwaltungsblatt 61 (1940), S. 613–617.

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Nr. 86 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 14.1.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag

14. Januar 1934 Hochverehrter Herr Staatsrat! Haben Sie herzlichen Dank für Ihren freundlichen Brief vom 10. d.M. sowie die liebenswürdige Zusendung der schönen gebundenen Ausgabe Ihrer Schrift „Staat, Bewegung, Volk“. Meine Broschüre676 steht unter einem unglücklichen Stern. Sie ist in den letzten Tagen ausgedruckt worden, und nun hat gestern das Kabinett das Gesetz über die nationale Arbeit beschlossen!677 Ich hoffe, daß Herr Ziegler sich entschließen wird, einen Bogen der Broschüre neu drucken zu lassen, damit sie nicht in einem wichtigen Punkte schon beim Erscheinen überholt ist678. Ich habe mit großem Interesse gelesen, daß die Akademie den Begriff des Standes als Preisaufgabe gestellt hat. Sie kennen meine Skepsis in Bezug auf ständische Ideologien, und es wäre schön, wenn der Stand einmal mit realistischer Nüchternheit behandelt würde. Das Problem der öffentlichrechtlichen Körperschaften beschäftigt mich nach wie vor sehr. In welcher Form käme für mich eine Mitarbeit im Rahmen der Akademie in Frage? Vielleicht können wir uns darüber auch bald mündlich unterhalten. Ich bedaure sehr, daß Sie voraussichtlich Ende Januar nicht hier sprechen können. Würde es Ihnen passen, statt dessen am 14. Februar hier zu sprechen?679 Es liegt mir sehr viel daran, daß die Kieler Studentenschaft Sie bald einmal hört[,] und ich bitte Sie sehr dringend, trotz Ihrer großen Ueberlastung den Vortrag nicht ganz aufzugeben. Ich werde, wenn es irgend geht, am 26. und 27. Januar in Berlin sein. Mit herzlichen Grüßen Ihr sehr ergebener 676

Huber, Gestalt. Siehe oben Anm. 652. 678 Huber hatte noch die letzten Verordnungen vom Dezember 1933 einarbeiten können. Huber, Gestalt, S. 87 (Nachwort). Der Neudruck eines Bogens erfolgte jedenfalls nicht. 679 Auch am 14.2. kam es nicht zu dem Vortrag. 677

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Nr. 87 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 22.1.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Steglitz, / Schillerstr. 2“

22. Jan. 1934 Lieber Herr Huber! Vielen herzlichen Dank für die Zusendung Ihrer Abhandlung „die Gestalt des deutschen Sozialismus“. Ich habe mich sehr darüber gefreut und danke Ihnen besonders für die schöne Widmung680. Hoffentlich hat das Buch den verdienten Erfolg für Sie und unsere Reihe681. Es ist jedenfalls von den täglich wechselnden Zufallskonstellationen unabhängig. Ich freue mich sehr darauf[,] Sie am Sonntag bei unserer Gaufachberater Tagung682 zu sehen und hoffe, dass sich Gelegenheit findet[,] eine Stunde in Ruhe zu plaudern683. Mit herzlichen Grüssen für Sie und Ihre Frau und Heil Hitler! Ihr alter Carl Schmitt.

Nr. 88 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 3.3.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Steglitz, / Schillerstr. 2“, Adresse: „Herrn / Professor Dr. Ernst Rudolf Huber / Kiel / Hansastr. 79“

3. März 1934. Lieber Herr Huber! Exc.[ellenz] Bottai684 hat mich gebeten, ihm einen Bericht über den Stand der Theorien und der gesetzlichen Massnahmen auf dem Gebiet der syndi680

Das Widmungsexemplar für Schmitt ist in dessen Nachlass nicht überliefert. Hubers Schrift verkaufte sich mit 1.377 Exemplaren sehr gut. Nur die Hefte 1 und 6, die von Schmitt selbst stammten, liefen noch besser mit 7.780 und 1.722 abgesetzten Stücken. Koenen, S. 456 f., Anm. 36. Dazu auch Lokatis, S. 52–59. 682 Die Tagung fand am 28.1.1934 im Preußischen Landtag statt. Schmitt, Tagebücher, S. 323. 683 Huber und Schmitt trafen sich einen Tag vor der Tagung am 27.1.1934. Ebd. 681

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kalistischen und korporativen Bewegung in Deutschland zuzusenden. Dieser Artikel (von etwa 30 Seiten Umfang) müsste ihm bis spätestens 30. April eingesandt werden. Für diesen Beitrag wird ein Honorar von 750.– Lire angeboten, zahlbar bei Erhalt des Manuskriptes (die Uebersetzung wird dort besorgt). Ich musste ablehnen und habe Sie vorgeschlagen; es wäre schön, wenn Sie das machen könnten685. Heil Hitler! Carl Schmitt.

Nr. 89 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 17.4.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Prof. Dr. Schmitt / Berlin-Steglitz“

17. April 1934. Sehr verehrter Herr Staatsrat! Haben Sie sehr herzlichen Dank für die freundliche Uebersendung Ihres Aufsatzes „Nationalsozialismus und Rechtsstaat“686. Ihre klärenden Unterscheidungen und Feststellungen waren dringend notwendig und haben hoffentlich die Folge, daß künftig in offenen Fronten um diese Frage gekämpft wird. Zu danken habe ich Ihnen auch noch für Ihren Brief vom 3. März, der den Artikel für Bottai betraf. Exz.[ellenz] Bottai hat sich nicht an mich gewandt; ich danke Ihnen aber jedenfalls dafür, daß Sie mich in Vorschlag gebracht haben. Meine Ferien sind etwas beeinträchtigt durch die Dozentenakademie Kitzeberg687, an der ich als Kursusleiter tätig bin. Die Arbeit ist anstrengend, macht aber viel Freude. 684

Guiseppe Bottai (1895–1959) war ein italienischer Jurist und langjähriger Minister unter Mussolini. Den Artikel forderte er möglicherweise für die von ihm gegründete Zeitschrift „La rivista critica fascista“ an. Ein Aufsatz von Huber oder Schmitt ist dort 1934 oder 1935 nicht nachweisbar. 685 Ein entsprechender Artikel Hubers ist nicht erschienen. 686 Carl Schmitt, Nationalsozialismus und Rechtsstaat, in: Deutsche Verwaltung 11 (1934), S. 35–42. 687 Die Dozentenakademie dauerte ungefähr vom 7. bis 22.4.1934. Leo Just, Briefe an Hermann Cardauns, Paul Fridolin Kehr, Aloys Schulte, Heinrich Finke, Albert

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Vor einigen Tagen ist mir der Lehrstuhl von Gerber688 in Tübingen angeboten worden689. Tübingen hat natürlich manches Verlockende. Am 17. März fragte ich bei Ihnen an690, ob Sie den in Aussicht genommenen Vortrag vor der Verwaltungsakademie am 16. Mai abends 8 h. c.t.691 halten können692. Ich wäre Ihnen für einen Bescheid sehr dankbar, damit wir uns entsprechend einrichten können. Mit den besten Empfehlungen! Heil Hitler! Ihr sehr ergebener Nr. 90 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 1.5.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Steglitz, / Schillerstr. 2“

1.5.1934. Lieber Herr Huber! Zu der Geburt Ihres Sohnes Konrad693 gratulieren Frau Schmitt und ich Ihnen und Ihrer Frau aufs Herzlichste. Geben Sie uns doch bitte bald eine wenn auch nur kurze Nachricht über das Befinden von Mutter und Kind. Ist Ihre Frau noch in der Klinik oder bereits wieder zu Hause? Brackmann und Martin Spahn 1923–1944, hg. von Michael F. Feldkamp, Frankfurt a. M. u. a. 2002 (= Beiträge zur Kirchen- und Kulturgeschichte, 12), S. 135 (Just an Spahn, 14.4.1934). Kitzeberg ist ein Ortsteil der Gemeinde Heikendorf am Ostufer der Kieler Förde, etwa zehn Kilometer von Kiel entfernt. Hier fand bereits 1933 ein „Lager junger Rechtsgelehrter“ statt. Franz Wieacker, Das Kitzeberger Lager junger Rechtslehrer, in: Deutsche Rechtswissenschaft 1 (1936), S. 74–80. 1934 wurde dort die erste preußische Dozentenakademie gegründet. Vgl. auch Folker Schmerbach, Das „Gemeinschaftslager Hanns Kerrl“ für Referendare in Jüterbog 1933–1939, Tübingen 2008 (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, 56), S. 197 f. 688 Hans Gerber (1889–1981) war seit 1927 Professor für Öffentliches Recht in Tübingen gewesen und wechselte 1934 nach Leipzig, von dort 1941 nach Freiburg. Martin Bullinger, Hans Gerber, in: Archiv des öffentlichen Rechts 106 (1981), S. 651–654. 689 Unterlagen zu diesem Ruf finden sich im Nachlass Huber, Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 708. 690 Eine schriftliche Anfrage ist nicht überliefert. 691 Um 20.15 Uhr. Die akademische Gepflogenheit des „cum tempore“ bedeutet, dass eine Veranstaltung 15 Minuten nach der vollen Stunde beginnt. 692 Auch am 16.5.1934 kam kein Vortrag in Kiel zustande. 693 Konrad Huber (1934–2006), der älteste von fünf Söhnen von Ernst Rudolf Huber und Tula Huber-Simons, arbeitete später als Rechtsanwalt in Freiburg. Er wurde am 29.4.1934 geboren.

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Ich wäre gern am 16. Mai nach Kiel gekommen, um den versprochenen Vortrag zu halten, doch ist es mir inzwischen ganz unmöglich geworden. Über das Wochenende (12[.]–14[.]) muß ich zur Gau-Tagung des NS. J.B.694 nach Düsseldorf695 und verliere dadurch 3 in Berlin kaum entbehrliche Tage. Die Reise nach Düsseldorf ist aus verschiedenen Gründen notwendig, vor allem auch aus einem politischen Grunde, weil die Angriffe auf mein wissenschaftliches Ansehn von dort (Jungfront-Zentrale696) ausgehn. Der Aufsatz von Helfritz697 aus der DJZ698 ist z. B. vorige Woche in Rheinischen liberalen und Zentrumsblättern699 unter der fettgedruckten Überschrift „Wissenschaft oder Propaganda?“ verbreitet worden700. Unsere Meinungsverschiedenheit wegen des Gestalt-Begriffes betrifft anscheinend eine sehr tief gehende philosophische Frage. Ich wollte Sie nur bitten, dieser Verschiedenheit wegen nicht meine Schriften nur in Abwehrstellung zu lesen. Ich würde mich sehr freuen, Sie bald wiederzusehen; hoffentlich | kommt bald eine Gaufachberater-Tagung zustande, auf der wir uns sprechen können. Inzwischen wiederhole ich meine herzlichen Glückwünsche und bitte Sie, Ihre Frau vielmals von uns zu grüßen. Heil Hitler! Ihr Carl Schmitt.

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Abkürzung für „Nationalsozialistischer Juristenbund“. Die Gautagung des Nationalsozialistischen Juristenbundes in Düsseldorf stand unter dem Thema „Grundzüge des nationalsozialistischen Rechtsdenkens“. 696 Jungfront war eigentlich die Bezeichnung für die Jugendorganisation der Kommunistischen Partei Deutschlands. Gemeint ist hier allerdings der 1896 gegründete Katholische Jungmännerverband Deutschlands (KJMVD), der seit 1907 seinen Sitz in Düsseldorf hatte. Barbara Schellenberger, Katholische Jugend und Drittes Reich. Eine Geschichte des Katholischen Jungmännerverbandes 1933–1939 unter besonderer Berücksichtigung der Rheinprovinz, Mainz 1975 (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, B 17). 697 Hans Helfritz (1877–1958) war seit 1920 Professor für öffentliches Recht in Breslau, 1933 kurzfristig auch Rektor. Thomas Ditt, „Stoßtruppfakultät Breslau“. Rechtswissenschaft im „Grenzland Schlesien“ 1933–1945, Tübingen 2011 (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, 67), S. 20–25, 48–51, 234–242. 698 Hans Helfritz, Rechtsstaat und nationalsozialistischer Staat, in: Deutsche Juristen-Zeitung 39 (1934), Sp. 426–433. Koenen, S. 532 f. 699 Koenen, S. 539 erwähnt neben den in Anm. 700 genannten Zeitungen die „Germania“ und das „Wochenblatt der katholischen Jungmänner-Vereine“. 700 Wissenschaft – Propaganda, in: Junge Front, 15.4.1934. Ditt, S. 235. Helfritz selbst hatte in der Kölnischen Zeitung vom 24.4.1934 einen Artikel unter dem Titel „Politik und Rechtsstaat“ veröffentlicht. 695

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Nr. 91 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 8.5.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag

8. Mai 1934 Hochverehrter Herr Staatsrat! Infolge meiner Tätigkeit an der Dozentenakademie Kitzeberg, die bis zum letzten Sonnabend701 dauerte, komme ich erst heute dazu, Ihnen für Ihre Schrift „Ueber die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens“ und die freundliche Widmung zu danken702. Ich habe mich über die Zusendung sehr gefreut und Ihre Untersuchung mit stärkster Anteilnahme gelesen. Ich halte Ihre Unterscheidung für ausserordentlich fruchtbar und fürchte nur, daß sie eigentlich bloß dem Staatsrechtler voll verständlich ist. Das scheint mir damit zusammenzuhängen, daß das Ordnungs- und Gestaltungsdenken703 der staatsrechtlichen Arbeit besonders nahe entspricht, und der Vorrang, den das Staatsrecht als Materie heute besitzt, prägt sich auch darin aus, daß die spezifisch staatsrechtliche Denkweise, das Ordnungs- und Gestaltungsdenken, das gesamte Rechtsdenken zu bestimmen beginnt. Das Hölderlin-Zitat auf S. 17704 und das Hegel-Zitat auf S. 46705 haben mich an unsere Meinungsverschiedenheit über den Gestalt-Begriff erinnert; besonders Hegel, der von der Gestalt als einer Realisierung des Geistes im Dasein spricht706, scheint mir meine Verwendung des Wortes zu rechtfertigen. 701

Bis zum 5. Mai 1934. Carl Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, Hamburg 1934 (= Schriften der Akademie für Deutsches Recht). Ein Widmungsexemplar ist im Nachlass Hubers nicht überliefert. 703 E.[rnst]-W.[olfgang] Böckenförde, Ordnungsdenken, konkretes, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. Joachim Ritter/Karlfried Gründer, Bd. 6, Darmstadt 1984, Sp. 1312–1315. 704 Hölderlin: „Der Nomos, das Gesetz, ist hier die Zucht, sofern sie die Gestalt ist, worin der Mensch sich und dem Gott begegnet, die Kirche und das Staatsgesetz und altererbte Satzungen, die, strenger als die Kunst, die lebendigen Verhältnisse festhalten, in denen mit der Zeit ein Volk sich begegnet hat und begegnet.“ Schmitt, Über die drei Arten, S. 17. Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke. Historisch-Kritische Ausgabe, hg. v. Norbert v. Hellingrath u. a., Bd. 6: Dichtungen – Jugendarbeiten – Dokumente, Berlin 1923, S. 8 f. (Bruchstücke aus Pindar: Das Höchste), hier S. 9. 705 Hegel: Der Staat ist eine „Gestalt, welche die vollständige Realisierung des Geistes im Dasein ist“; eine „individuelle Totalität“, „ein Reich der objektiven Vernunft und der Sittlichkeit.“ Schmitt, Über die drei Arten, S. 46. 706 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, 3. Aufl. hg. v. Karl Hegel, Berlin 1848 (= Hegel, Werke, 9), S. 22. 702

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Darf ich Sie nochmals bitten, mir doch[,] so bald es geht[,] mitzuteilen, ob Sie hier den für Mittwoch den 16. Mai vorgesehenen Vortrag in der Verwaltungsakademie halten werden707. Mit den besten Grüßen Heil Hitler! Ihr sehr ergebener

Nr. 92 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 12.5.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag

12. Mai 1934. Hochverehrter Herr Staatsrat! Für die freundlichen Glückwünsche, die Frau Schmitt und Sie uns zur Geburt unseres Sohnes708 ausgesprochen haben, danken meine Frau und ich Ihnen von Herzen; wir haben uns sehr darüber gefreut. Meine Frau und der Junge sind seit einigen Tagen aus der Klinik zurück, und es geht beiden in jeder Hinsicht ausgezeichnet. Daß Sie am 16. Mai nicht nach Kiel kommen können, bedauern wir sehr. Nun muß Dahm mit einem Vortrag für Sie einspringen709. Ich wage, angesichts Ihrer übermäßigen Belastung, kaum noch die Frage, ob wir Sie zu einem anderen Zeitpunkt in diesem Semester noch erwarten dürfen. Falls Sie es noch möglich machen können, so wären Sie uns natürlich jederzeit herzlich willkommen. Ich bitte Sie dann, mir darüber noch einen Bescheid zu geben. Selbstverständlich ist unsere Meinungsverschiedenheit in bezug auf den Gestalt-Begriff für mich nicht der geringste Anlaß, Ihre Schriften auch nur in irgend einer Hinsicht in Abwehrstellung zu lesen. Ich halte es vielmehr für dringend notwendig, daß man sich gerade in solchen Differenzen der gemeinsamen Frontstellung bewußt bleibt. Mir scheint, daß die gemeinsamen Gegner noch zu zahlreich und zu mächtig sind, als daß man die eigene Front auch nur einen Augenblick lockern dürfte. 707 Eigentlich hatte Schmitt in seinem Brief vom 1.5.1934 bereits abgesagt. Siehe oben Brief Nr. 90. 708 Konrad Huber. 709 Der Titel des Vortrags von Georg Dahm am 16.5.1934 in Kiel war nicht zu ermitteln.

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Möglicherweise komme ich während der Pfingstferien nach Berlin710. Ich werde versuchen, Sie dann zu treffen, und würde mich sehr freuen, wenn Sie etwas Zeit für mich hätten. Frau Schmitt und Ihnen die besten Grüße, auch von meiner Frau. Heil Hitler! Ihr stets ergebener Nr. 93 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 15.5.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich, gedruckter Kopf: „Professor Carl Schmitt“, gestrichen: „Berlin NW 87 / Flotowstr. 5“

15. Mai 1934. Lieber Herr Huber, herzlichen Dank für Ihren Brief. Wir haben uns über die Nachricht von Ihrer Frau sehr gefreut und wünschen auch fürderhin alles Gute. Daß Sie mich in den Pfingstferien besuchen wollen, ist besonders schön. Er ist sehr viel zu erzählen[,] und ich würde mich freuen[,] wenn Sie einen Abend bei uns verbringen könnten. Pfingstsamstag bis Pfingstmontag sind wir verreist711; dann aber immer zu Hause. | Nur wäre ich Ihnen für eine möglichst frühzeitige Mitteilung dankbar, da ich auch in den Ferien viel in Anspruch genommen werde. Auf Wiedersehn und herzliche Pfingstgrüße und Pfingstwünsche Ihnen, Ihrer Frau und dem kleinen Konrad! Heil Hitler! Stets Ihr Carl Schmitt. Nr. 94 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 16.5.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt / Berlin Steglitz“

16. Mai 1934. Hochverehrter Herr Staatsrat! Zugleich im Namen der Kieler Professoren der wirtschaftlichen Staatswissenschaften Predöhl712 und Bente713 möchte ich Ihnen Folgendes vortragen: 710

Im Tagebuch ist kein Besuch Hubers erwähnt. Pfingstsonntag fiel 1934 auf den 20. Mai. 711 Schmitt reiste mit seiner Frau nach Goslar und über Halberstadt zurück nach Berlin. Schmitt, Tagebücher, S. 345 f.

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Die Herren Predöhl und Bente haben im vergangenen Jahr zusammen mit Herrn Professor Jens Jessen die Herausgabe von Conrads Jahrbücher[n] für Volkswirtschaft und Statistik714 übernommen. Nachdem das Preußische Kultusministerium entschieden hat, daß Herr Jessen aus seinem Urlaub nicht nach Kiel zurückkommen wird715, haben die Herren Predöhl und Bente die Herausgebergemeinschaft mit ihm gelöst und den Vertrag mit dem Verleger Gustav Fischer-Jena716 aufgehoben. Sie sind dan[n] an mich mit dem Vorschlag herangetreten, mich gemeinsam mit ihnen um die Herausgabe einer Zeitschrift für Volkswirtschaft und öffentliches Recht zu bemühen. Ungefähr gleichzeitig hat der Verleger Siebeck mir einen Plan über die Reorganisation seiner Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft unterbreitet717, der auf einer unmöglichen Grundlage aufgebaut war; ich habe es von vornherein abgelehnt, mich an diesem Plan zu beteiligen718. Herr Predöhl hat diese Sachlage im Preußischen Kultusministerium vorgetragen, und im Auftrag des Ministeriums haben wir dann versucht, Herrn Siebeck zu veranlassen, uns die Zeitschrift zu übertragen719. Die entscheidenden

712 Andreas Predöhl (1893–1974) lehrte seit 1930 Wirtschaftswissenschaft in Königsberg und wechselte 1932 nach Kiel. Nach dem Weltkrieg lehrte er in Münster und schließlich in Hamburg. Grüttner, S. 134. 713 Hermann Bente (1896–1970) war seit 1933 Professor für Wirtschaftswissenschaft in Kiel. Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 1, München 1995, S. 428. 714 Die „Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik“ wurden 1862 begründet und nach dem zwischenzeitlichen Herausgeber (1878–1890), dem in Halle lehrenden Nationalökonomen Johannes Conrad (1839–1915), auch als „Conrads Jahrbücher“ bezeichnet. 1933 wurde ihr Herausgeber Ludwig Elster (1856–1935) auf politischen Druck hin abgelöst. Seine Nachfolger wurden schließlich Otto Zwiedineck Edler von Südenhorst (1871–1957) und Gerhard Albrecht (1889–1971). 715 Jessen war, nachdem er ein regierungskritisches Papier ungeprüft weitergeleitet hatte, auf eigenen Antrag zunächst beurlaubt worden und wurde im August 1934 als Professor für Nationalökonomie an die Universität Marburg versetzt. SchlüterAhrens, S. 50–53. 716 Es handelt sich um den 1878 von Gustav Fischer (1845–1910) in Jena gegründeten Wissenschaftsverlag, der seit 1905 von dem Neffen und Adoptivsohn des Verlagsgründers Gustav Adolf Fischer (1878–1946) geführt wurde. 717 Siebeck hatte einen Reorganisationsplan für die „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“ am 19.4.1934 an insgesamt acht mögliche Herausgeber versendet, unter denen sich Huber befand. Staatsbibliothek Berlin, Nachlass 488, Verlagsarchiv Mohr-Siebeck, Kasten 477. 718 Hubers Ablehnungsbrief an Siebeck stammt vom 22.4.1934. Ebd. 719 Am 30.4. kündigte Huber Siebeck an, dass er einen Vorschlag zur Reorganisation machen könne, „der die volle Unterstützung des Reichsunterrichtsministeriums besitzt.“ Ebd.

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Verhandlungen mit dem Verleger sollen in der Woche nach den Pfingstferien stattfinden. Wir lassen uns dabei von folgenden Erwägungen leiten720. 1) Der Gedanke einer „Gesamten Staatswissenschaft“ ist ein wis- | senschaftliches Prinzip, das heute notwendig fruchtbar gemacht werden muß. Die Zeitschrift würde dem Ziel dienen, nicht eine bloße Summierun[g] wissenschaftlicher Teilergebnisse auf verwandten Gebieten zu bringen, sondern aus den Teilgebieten den einheitlichen Wissensgrund in Staatslehre, Staats- und Verwaltungsrecht, Volkswirtschaft, Soziologie und Wirtschaftsrecht zu ermitteln. Die Zeitschrift müßte eindeutig auf die Idee des Nationalsozialismus gegründet sein, nicht im Sinne einer nur äusseren Anpassung und Einordnung in den nationalsozialistischen Staat, sondern im Sinne der geistigen Verwurzelung in der nationalsozialistischen Bewegung. Denn nur der Nationalsozialismus schafft die Grundlage, auf der die gesamte Staatswissenschaft als Ausdruck der völkischen Totalität wieder möglich wird. 2) Diese Aufgabe einer im Geiste des Nationalsozialismus erneuerten gesamten Staatswissenschaft ist der Kieler Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät bereits bei ihrem Neuaufbau im Jahre 1933 gestellt worden721. Die politischen Absichten, die das Preußische Kultusministerium in Kiel verfolgt, verlangen geradezu eine eigene Kieler Zeitschrift, die auf der bezeichneten Grundlage arbeitet. Das „Institut für Weltwirtschaft“722 soll künftig bewußt als Arbeitsgrundlage für die gesamte Staatswissenschaft verwandt werden. Die in ihm gegebene einzigartige wissenschaftliche Apparatur soll auch für die Zeitschrift eingesetzt werden; diese soll dazu beitragen, das Institut innerlich von der Weltwirtschaft auf die Staatswissenschaft umzustellen. Nicht organisatorisch, aber in der Sache soll die Zeitschrift also ein Organ der Kieler Fakultät und des Kieler Instituts sein. 3) Dieses Organ soll eindeutig für die staatsrechtliche und volkswirtschaftliche Front der neuen deutschen Wissenschaft offen stehen und Ausdruck ihres Wollens und Erkennens sein. Die Uebernahme der Zeitschrift durch den Kieler Kreis würde die derzeitige unmögliche Situation überwinden, die darin besteht, daß es für die neue Front kein wissenschaftliches Or720 Nachfolgende zwei Absätze finden sich zum Teil wortgleich in dem Plan, den Huber am 8.5.1934 Siebeck dargelegt hatte. Ebd. 721 Wiener, S. 105–130. 722 Das Institut für Weltwirtschaft wurde 1914 als „Königliches Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft“ von Bernhard Harms (1876–1939) gegründet und im Januar 1934 umbenannt. Seit Juli 1934 war Andreas Predöhl Direktor. Hans-Christian Petersen, Expertisen für die Praxis. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft 1933 bis 1945, in: Christoph Cornelissen/Carsten Mish (Hg.), Wissenschaft an der Grenze. Die Universität Kiel im Nationalsozialismus, Essen 2009, S. 57–80.

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gan im Archiv-Stil gibt723. Eine solche Zeitschrift ist auf die Dauer unentbehrlich. Da Neugründungen vorläufig | unmöglich sind, ist es notwendig, sich zur Fortführung bereits bestehender Zeitschriften zu entschließen. Die Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft ist durch ihren prägnanten Titel und ihre wissenschaftliche Tradition (Robert v. Mohl und Schäffle724) ein ausgezeichnetes Werkzeug für die hier umschriebene Aufgabe. Es muß nach unserer Ansicht unter allen Umständen verhindert werden, daß diese Zeitschrift in ungeeignete Hände kommt und ein Instrument reaktionärer Kräfte wird. Das kann nur geschehen, wenn wir im jetzigen günstigen Augenblick zugreifen. 4) Es bleibt die Frage des Verlegers: Das Preußische Kultusministerium hat in voller Anerkennung der angeführten Erwägungen die an sich vorhandenen Bedenken gegen den Verlag Mohr-Siebeck725 zurückgestellt und uns für die Bemühungen um die Zeitschrift jede Unterstützung zugesagt. Aus dem Eintritt von Herrn Ministerialdirektor Nicolai726 in eine der Mohr’schen Zeitschriften727 geht überdies hervor, daß auch das Reichsinnenministerium keine politischen Bedenken gegen den Verlag mehr hat. Wir glauben, angesichts dieser Entscheidung maßgebender politischer Instanzen die an sich gebotene Zurückhaltung gegenüber dem Verlag in diesem Fall aufgeben zu sollen. Das Gelingen der von uns in Aussicht genommenen Arbeit hängt entscheidend davon ab, daß wir die Mitarbeit der dem Nationalsozialismus zugehörigen und innerlich verbundenen Kräfte der Rechts- und Staatswissenschaften gewinnen. Ganz wesentlich ist für uns in erster Linie, daß Sie, 723 Gemeint ist eine Art führende Zeitschrift, wie es das „Archiv des öffentlichen Rechts“ darstellte. 724 Der Volkswirtschaftler Albert Schäffle (1831–1903) lehrte als Professor in Tübingen und Wien. Von 1860 bis zu seinem Tod gab er die Zeitschrift in der Nachfolge Robert von Mohls heraus. Dirk Kaesler, Schäffle, Albert Eberhard Friedrich, in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 521 f. 725 Die Bedenken gegen den Verlag Mohr-Siebeck waren politischer Natur, denn er zählte in den Weimarer Jahren zu den wichtigsten Verlagen des Kulturprotestantismus. Silke Knappenberger-Jans, Verlagspolitik und Wissenschaft. Der Verlag J.C.B. Mohr, Wiesbaden 2001 (= Mainzer Studien zur Buchwissenschaft, 13), bes. S. 542–553. 726 Helmut Nicolai (1895–1955) war 1934/35 Ministerialdirektor im Reichsinnenministerium. Mathias Schmoeckel, Nicolai, Helmut, in: Neue Deutsche Biographie 19 (1998), S. 204 f. 727 Im Verlag Mohr-Siebeck erschienen damals verschiedene juristische Fachzeitschriften, so das Archiv für die civilistische Praxis, das Archiv des öffentlichen Rechts sowie Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht. Nicolai trat im März 1934 in die Redaktion des Archivs des öffentlichen Rechts ein. Becker, Schritte, S. 133 f.

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hochverehrter Herr Staatsrat, als Führer und vornehmster Repräsentant der erneuerten Rechtswissenschaft unserm Unternehmen Ihre Unterstützung nicht versagen. Im Auftrag der Herren Predöhl und Bente und im eigenen Namen bitte ich Sie deshalb schon jetzt im Stadium der Vorverhandlungen, der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, sobald sie in unsere verantwortliche Leitung gekommen ist, Ihre unschätzbar wertvolle Mitarbeit zur Verfügung zu stellen. Wir würden es | uns zur besonderen Ehre anrechnen und aufs dankbarste begrüssen, Beiträge aus Ihrer Hand veröffentlichen zu dürfen. Mit den besten Empfehlungen, denen sich Herr Predöhl und Herr Bente anschließen! Heil Hitler! Ihr aufrichtig ergebener

Nr. 95 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 23.5.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag

23. Mai 1934. Hochverehrter Herr Staatsrat! Einer Aufforderung von Herrn Dr. Schilling728 entsprechend, übersende ich Ihnen anliegend einige Bemerkungen zur Denkschrift der Reichsfachgruppe Referendare729 im BNSDJ730. Haben Sie herzlichen Dank für Ihre freundliche Karte vom 15. Mai; auch meine Frau hat sich sehr über Ihre Grüße gefreut und läßt Frau Schmitt und Ihnen herzlich danken. Meine Absicht, diese Woche nach Berlin zu kommen, muß ich aufgeben. Wir haben einen plötzlichen Todesfall in der Fakultät zu beklagen731, und ich muß an der Trauerfeier, die am Samstag stattfindet, teil728 Karl Schilling (geb. 1910) studierte Rechts- und Wirtschaftswissenschaft sowie Geschichte und Sprachen an den Universitäten Wien, Genf und Berlin und war Assistent bei Carl Schmitt an der Handelshochschule Berlin. Er wurde 1939 mit einer völkerrechtlichen Arbeit über das Königreich Jugoslawien promoviert. 729 Im Bund nationalsozialistischer deutscher Juristen gab es Reichsfachgruppen u. a. für Anwälte, Hochschullehrer, Notare, Referendare, Richter und Staatsanwälte. Sunnus, S. 35. 730 Bund nationalsozialistischer Deutscher Juristen. 731 Der Zivil- und Arbeitsrechtler Werner Wedemeyer (1870–1934) starb am 23.5.1934. Dirk Henning Hofer, Karl Konrad Werner Wedemeyer (1870–1934) –

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nehmen. Es tut mir besonders leid, daß ich Ihrer freundlichen Einladung, für die ich vielmals danke, jetzt nicht folgen kann, da ich gerne eine Reihe von hochschulpolitischen Fragen gerne mit Ihnen besprochen hätte. Ich denke[,] aber nun bestimmt in einigen Wochen nach Berlin zu reisen. Besonders dankbar wäre ich Ihnen für eine kurze Mitteilung zur Frage der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. Mit den besten Grüßen! Heil Hitler! Ihr stets sehr ergebener

Nr. 96 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 24.5.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Steglitz, / Schillerstr. 2“, Adresse: „Herrn / Prof. Dr. E. R. Huber. / Kiel / Hansastr. 79.“

den 24. Mai 1934 Lieber Herr Huber! Besten Dank für Ihre Stellungnahme zur Denkschrift der Referendare, die mir besonders wertvoll war. Ich bedaure, dass Ihr erwarteter Besuch nicht Wirklichkeit geworden ist, hoffe aber, Sie auf unserer Gaufachberatertagung am 10. Juni zu sehen und in Ruhe zu sprechen732. Werden Sie auf der Gautagung in Hamburg733 sein? Ich kann leider auch dort nicht hinkommen. Was Ihre Zeitschrift anbelangt, so helfe ich natürlich gern, so gut ich kann. Mein Misstrauen gegenüber gleichgeschalteten Verlagen ist Ihnen bekannt. Herr Predöhl ist mir unbekannt. Er hat mich auch nicht aufgesucht anlässlich seiner Berliner Demarchen734. Ein Juristen- und Gelehrtenleben in drei Reichen. Eine Biographie, Frankfurt a. M. 2010 (= Rechtshistorische Reihe, 399). 732 Im Tagebuch ist ein Treffen mit Huber erst wieder am 28.8.1934 verzeichnet. Schmitt, Tagebücher, S. 354. 733 Datum und Thema der erwähnten Gautagung in Hamburg waren nicht zu ermitteln. 734 Eigentlich handelt es sich um einen diplomatischen Einspruch eines Staates gegenüber einem anderen. Hier geht es wohl um Hochschulpolitik.

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Dass die Situation im Augenblick sehr interessant ist, werden Sie aus der letzten Nummer des „Deutschen Rechts“735 entnommen haben. Die Reaktion macht einen grossen konzentrischen Angriff, als dessen erstes Opfer Forsthoff ausersehen zu sein scheint736. Es ist daher nötig, dass wir uns | gut wehren. Die Situation erinnert in manchem an die Staatsrechtslehrertagung im Oktober 1931737. Auf Wiedersehen und alles Gute für Ihre Frau und Ihren Sohn [ab hier handschriftlich:]

stets Ihr Carl Schmitt

(Für die Absätze dieses Briefes bin ich nicht verantwortlich!)738 Nr. 97 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 3.6.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag

3. Juni 1934. Hochverehrter Herr Staatsrat! Für die in Ihrem Brief vom 29. Mai739 mitgeteilte Ernennung zum Mitglied des Reichsfachgruppenbeirats danke ich Ihnen sehr herzlich. Ich bin mir der Verantwortung bewußt, die mit dieser ehrenvollen Auszeichnung verbunden ist, und ich werde alles daran setzen, was in meiner Kraft steht, um den mir zugewiesenen Platz auszufüllen. Das gilt natürlich mit in erster Linie für die Mitarbeit an der DJZ740. Herr Lohmann hat mich in dieser Woche fernmündlich aufgefordert, binnen wenigen Tagen einen Aufsatz für das erste Heft zur Verfügung zu stellen741; dazu war ich leider nicht imstande. Ich werde aber sehr gerne für 735

Deutsches Recht 4 (1934), Nr. 9 war am 10.5.1934 erschienen. Erst auf das Jahr 1935 werden Forsthoffs früheste Konflikte mit dem Regime in der Einleitung zu seinem Briefwechsel mit Schmitt datiert. Briefwechsel Forsthoff-Schmitt, S. 10. 737 Über die denkwürdige achte Tagung der Staatsrechtslehrer in Halle, auf der der Richtungsstreit in der Staatsrechtslehre offen ausbrach, berichtet Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 195–199. 738 Der Brief enthält im Original nach fast jedem Satz einen Absatz. Offenbar hatte Schmitt ihn schreiben lassen. 739 Dieser Brief ist nicht überliefert. 740 Schmitt wurde am 1.6.1934 Herausgeber der „Deutschen Juristen-Zeitung“. 741 Karl Lohmann war zwischen 1934 und 1936 Schriftleiter der „Deutschen Juristen-Zeitung“. 736

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die nächsten Hefte etwas schreiben. Was halten Sie von einem Aufsatz über die Frage: „Gilt die Weimarer Verfassung noch?“742 Zu dem grossen Erfolg, den Sie mit der Uebernahme der DJZ errungen haben, beglückwünsche ich Sie von Herzen. Ganz abgesehen von der persönlichen Genugtuung, die Ihnen zu Teil geworden ist, ist es ein grosser sachlicher Gewinn, daß wir nun eine Zeitschrift haben, in der wir uns konzentrieren können. Trotz dieser durch die Eroberung der DJZ geschaffenen neuen Sachlage möchte ich an dem Plan der „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“ festhalten. Aufgabe und Erscheinungsweise unterscheiden eine solche Zeitschrift ganz deutlich von einem Organ wie der DJZ, und ich glaube, daß wir auf die Dauer ein Organ von Art und Stil der „Zeitschrift“ nicht entbehren können. Ihr Urteil über den Verleger743 ist völlig zutreffend; aber es kommt uns eben darauf an, i[h]m die anderweite Verwertung seiner Zeitschrift jetzt unmöglich zu machen. Angesichts der trostlosen Lage des Zeitschriftenwesens744 müssen wir m. E. unter allen Umständen verhindern, daß auch dieses Blatt in ungeeignete | Hände kommt745. Entscheidend ist für mich ebenso wie [für] die beiden anderen Herausgeber ein vertrauensvolles Verhältnis zur Fachgruppe Hochschullehrer der Rechtsfront, und wir sind Ihnen deshalb besonders dankbar für die Mitteilung, daß Sie uns gerne bei unsrer Arbeit unterstützen werden. Ich würde sehr glücklich sein, wenn ich trotz der starken Besetzung des kommenden Samstag-Sonntag mit offiziellen und halboffiziellen Veranstaltungen746 Gelegenheit finden würde, einige Worte in Ruhe mit Ihnen wechseln zu können. In jedem Falle freue ich mich sehr darauf, Sie bald wiederzusehen. Mit herzlichen Grüßen, auch an Frau Schmitt. Heil Hitler! Ihr sehr ergebener

742 Huber schrieb schließlich den Aufsatz „Die Einheit der Staatsgewalt“, in: Deutsche Juristen-Zeitung 39 (1934), Sp. 950–960. Die Frage der Fortgeltung der Weimarer Reichsverfassung wurde zwar diskutiert, aber von den führenden NS-Juristen um Carl Schmitt entschieden zurückgewiesen. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 316–318, bes. S. 317, Anm. 10. 743 Oskar Siebeck. 744 Einen Überblick gibt Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 299–311. Die Zahl der öffentlichrechtlichen Fachzeitschriften ging von 155 (1933) auf 97 (1935) zurück. 745 Eventuell eine Anspielung auf die Übernahme des Archivs des öffentlichen Rechts durch Koellreutter und Nicolai. 746 Am 9. und 10.6.1934 fand die Gaufachleitertagung statt. Ein Treffen mit Huber steht nicht im Tagebuch. Schmitt, Tagebücher, S. 347.

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Nr. 98 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 16.6.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Steglitz, / Schillerstr. 2“, Adresse: „Herrn / Professor Dr. E. R. Huber. / Kiel.“

den 16. Juni 1934 Lieber Herr Huber! Ich habe Frank vorgeschlagen, Sie, Dahm und Ritterbusch zu Mitgliedern der Akademie für Deutsches Recht zu ernennen. Das soll bald geschehen747. Schaffstein, Walz und noch ein anderer sind ebenfalls angeregt, aber nicht von mir748. Hinsichtlich Schaffstein bin ich noch nicht sicher. Er läßt sich anscheinend doch leicht von den Liberalen und Juden verblüffen. Uebrigens freute es mich, wenn er Mitglied würde. Ich wäre Ihnen besonders dankbar, wenn Sie uns bald einen schönen, konkreten Aufsatz für die D.J.Z. schreiben könnten749. Eben höre ich von einer besonders interessanten, aber vielleicht auch heiklen Frage, nämlich von dem Streit, ob die Kulturkammern auf Grund der Durchführungsbestimmungen750 in literarische Urheberrechte eingreifen und etwa ein Lied für frei erklären könnten. Ich bitte aber diese Anregung nicht so zu verstehen, als wenn nicht auch ein anderes Thema erwünscht wäre. Ich bitte meinen Hilfeschrei auch Dahm weiterzugeben. Ich habe Frank751 in einem langen Gespräch über die Lage des Strafrechts informiert. An dem grossen Erfolg der Schrift | von Henkel, „Strafrichter und Gesetz“752, sehe ich, dass gerade Strafrechtler heute publizieren müssen. Es ist auch nicht schwer, das Interesse der Oeffentlichkeit zu erregen, aber das geschieht im Augenblick wirksamer durch einen Aufsatz 747 Eine genaue Datierung der Ernennung von Dahm, Huber und Ritterbusch zu Mitgliedern der Akademie für Deutsches Recht war nicht möglich. Dahm wurde als Einziger bereits im Mitgliederverzeichnis von 1933/34 aufgeführt. Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht 1 (1933/34), S. 252–260, hier S. 252. 748 Pichinot, S. 156–167. Von den genannten fünf Juristen ist lediglich Ritterbusch nicht im Mitgliederverzeichnis erwähnt. 749 Huber schrieb 1934 einen Aufsatz. Siehe oben Anm. 742. 750 Erste Durchführungsverordnung zum Reichskulturkammergesetz, 1.11.1933. Reichsgesetzblatt 1933 I, S. 797–800. 751 Hans Frank. 752 Von dieser Schrift, die als Heft 3 der Reihe „Der deutsche Staat der Gegenwart“ erschien, wurden 850 Hefte gedruckt und 783 verkauft. Koenen, S. 456 f., Anm. 36.

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in der D.J.Z. als in der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft753. Bei der gestrigen Sitzung des Ausschusses für Völkerrecht754 traf ich Herrn Reichsgerichtspräsidenten Simons, Ihren Schwiegervater755. Es hat mich sehr gefreut, dass er meinem Aufsatz in der D.J.Z. „Der Weg des Deutschen Juristen“756 besonders lebhaft zustimmte. Mit Koellreutter hatte ich gestern auf Wunsch des Herrn Ministers Frank in Gegenwart unseres Pressechefs, Freiherrn Duprel757, eine Unterredung, die damit endete, dass Herr Koellreutter die bisherige Art der Polemik gegen mich aufzugeben und auch seinen letzten gegen mich gerichteten Vortrag auf der Tagung der Kantgesellschaft nicht zu veröffentlichen versprach758. Ich möchte Sie dringend bitten, in der Koellreutterschen Schrift von 1930 „der Sinn der Reichstagswahlen vom 14. September 1930“, Heft 78 der Sammlung Recht und Staat759[,] S. 18/19 aufmerksam zu lesen. Die fortwährenden Selbstzitierungen Koellreutters760 müssen den Eindruck erwecken, als habe er nichts zu widerrufen. Ich bin aber in diesem Punkte der Ansicht, dass man hier eine klare Stellungnahme verlangen kann. Ich 753

Die renommierte Fachzeitschrift erschien seit 1881. Diese Sitzung des Ausschusses für Völkerrecht der Akademie für Deutsches Recht ist bei Werner Schubert (Hg.), Akademie für Deutsches Recht 1933–1945. Protokolle der Ausschüsse. Ausschüsse für Völkerrecht und für Nationalitätenrecht (1934–1942), Frankfurt a. M. 2002, nicht dokumentiert. 755 Walter Simons (1861–1937) war 1920/21 Reichsaußenminister und zwischen 1922 und 1929 Reichsgerichtspräsident in Leipzig. Simons war seit 1933 der Schwiegervater von Huber. Martin Otto, Simons, Walter, in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 441–443. Ernst Rudolf Huber, Walter Simons 1861–1937, in: Wuppertaler Biographien. 9. Folge, Wuppertal 1970 (= Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde des Wuppertals, 17), S. 61–79. Simons war Mitglied des Völkerrechtsausschusses und nahm 1935/36 an dessen Sitzungen zusammen mit Carl Schmitt teil. Schubert, Akademie, S. 32–34. 756 Carl Schmitt, Der Weg des deutschen Juristen. Ein Geleitwort, in: Deutsche Juristen-Zeitung 39 (1934), Sp. 691–698. Der Artikel erschien zur Übernahme der Herausgeberschaft am 1.6.1934. 757 Maximilian du Prel (1904–1945) war Schriftleiter des „Völkischen Beobachters“ und Pressechef der Deutschen Rechtsfront. Seit 1934 amtierte er zudem als Reichsamtsleiter der Reichspressestelle der NSDAP. 758 Das angebliche Versprechen hielt er indes nicht ein. Otto Koellreutter, Volk und Staat in der Weltanschauung des Nationalsozialismus, Berlin 1935. Der Vortrag vor der Kant-Gesellschaft fand am 23.5.1934 in Halle statt. Koenen, S. 540. 759 Otto Koellreutter, Der Sinn der Reichstagswahlen vom 14. September 1930 und die Aufgaben der deutschen Staatslehre, Tübingen 1930 (= Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 76). Es handelt sich um Heft 76, nicht 78, wie Schmitt meint. 760 Ebd., S. 18 f. verweist Koellreutter explizit nur ein einziges Mal auf eine eigene Publikation. Insofern ist der Vorwurf Schmitts nicht berechtigt. 754

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habe nicht den Eindruck gewonnen, dass es zweckmässig ist, mit Koellreutter weitere Verhandlungen zu führen, ebensowenig dass mit dieser äusseren Bereinigung der Sache genug geschehen ist. Sein Geltungsbedürfnis und seine Unfähigkeit, von etwas anderem zu reden, als von sich selbst, scheinen mir durchaus krankhaft zu sein. | Ich muss vor Semesterschluss761 eine Tagung meines Ausschusses für Staats- und Verwaltungsrecht762 veranstalten und wollte Sie fragen, ob Sie nicht ein Referat über das Verhältnis der neuen Standesgerichtsbarkeit zur allgemeinen Gerichtsbarkeit übernehmen wollten763. Wenn diese Frage nicht bald in Angriff genommen wird, wird entweder der ganze Anlauf zu etwas Neuem in der Routine des Alten versinken, oder eine chaotische Unordnung einsetzen. Teilen Sie mir bitte mit, ob Sie ein gutdokumentiertes Referat bis Mitte Juli fertigstellen könnten. Mit besten Grüssen und Heil Hitler! stets Ihr [ab hier handschriftlich:] herzliche Grüße an Ihre Gattin

von Ihrem Carl Schmitt.

Nr. 99 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 20.6.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt / Berlin-Steglitz“

20. Juni 1934. Hochverehrter Herr Staatsrat! Ueber Ihren Brief vom 16. d.M. habe ich mich ganz ausserordentlich gefreut; ich danke Ihnen sehr herzlich dafür. Besonders danke ich Ihnen für die grosse Ehre, die Sie mir erwiesen haben, indem Sie mich zur Aufnahme 761

D.h. vor Mitte Juli. Schmitt leitete seit Mai 1934 den Ausschuss für Staats- und Verwaltungsrecht der Akademie für Deutsches Recht. Carl Schmitt, Bildung eines Ausschusses für Staats- und Verwaltungsrecht, in: Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht 1 (1933/34), S. 207–211. 763 Ob und wenn ja, welches Referat Huber zum Thema „Standesgerichtsbarkeit“ hielt, konnte nicht geklärt werden. 762

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in die Akademie empfohlen haben. Dahm ist übrigens seit längerer Zeit Mitglied der Akademie, und soviel ich weiß auch Ritterbusch. Soeben habe ich Lohmann den versprochenen Aufsatz über die „Einheit der Staatsgewalt“ übersandt764, Dahm hat, wie ich von ihm hörte, seinen Aufsatz bereits vor einigen Tagen eingereicht. Wir würden uns beide sehr freuen, wenn unsere Aufsätze im selben Heft erscheinen könnten765. Kennen Sie das Urteil des Sondergerichts Darmstadt vom 26. März über die Bibelforschervereinigung766 und Art. 137 Abs. 2?767 Es ist der Gipfel abstrakter Rechtsprechung; für ein „politisches“ Gericht eine unglaubliche Entgleisung!768 Was Koellreutter angeht, so meine ich, daß man ihn einfach links liegen lassen sollte, falls er wirklich sein Versprechen hält und seine sinnlosen Angriffe einstellt. Die Stelle über die Judenfrage, auf die Sie mich hingewiesen haben, ist besonders kennzeichnend, da er sich jetzt als den grossen Hüter des völkischen Gedankens ausgibt. Die Studenten haben über den „nationalen Rechtsstaat“769 und die „allgemeine Staatslehre“770 ein völlig eindeutiges und richtiges Urteil; übrigens kommen sie dazu ganz von selbst, ohne jede Belehrung | oder Beeinflussung. Das bestärkt mich für den Augenblick in der Meinung, daß ignorieren besser ist als polemisieren. Mit „Toleranz“ hat das natürlich nichts zu tun! Der Vorschlag, vor Ihrem Ausschuss ein Referat über das Verhältnis der Standesgerichtsbarkeit zur allgemeinen Gerichtsbarkeit zu halten, ist sehr verlockend. Das Thema ist sehr schön und besonders aktuell. Was verstehen Sie unter einem gutdokumentierten Referat? Material liegt bisher kaum vor, oder es ist, wie vor allem bei der Partei- und SA-Gerichtsbarkeit, nicht zugänglich. Mir läge mehr daran, einen prinzipiellen Vortrag (der nicht ab764

Siehe oben Anm. 742. Dahms Aufsatz über die „Erneuerung der Ehrenstrafe“ erschien in Heft 13, Hubers Aufsatz über die „Einheit der Staatsgewalt“ erst in Heft 15. 766 Abgedruckt in: Juristische Wochenschrift 63 (1934), S. 1744–1747. Mit dem Begriff „Bibelforscher“ waren die Zeugen Jehovas gemeint. Zum Urteil: Gruchmann, Justiz, S. 543. 767 Art. 137, Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung lautete: „Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen.“ Huber, Dokumente, Bd. 3, Nr. 154, S. 148. 768 Ernst Rudolf Huber, Anmerkung zum Urteil des Sondergerichts Darmstadt vom 26. März 1934 – S M 26/34, in: Juristische Wochenschrift 63 (1934), S. 1745– 1747. 769 Otto Koellreutter, Der nationale Rechtsstaat. Zum Wandel der deutschen Staatsidee, Tübingen 1932 (= Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 89). 770 Ders., Grundriß der allgemeinen Staatslehre, Tübingen 1933. 765

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strakt sein soll!) zu halten als ein durch Materialauswertung dokumentiertes Referat. Einen solchen prinzipiellen Vortrag würde ich bis zur zweiten JuliHälfte wohl vorbereiten können. Ihnen und Frau Schmitt die besten Grüße, auch von meiner Frau! Heil Hitler! Ihr stets ergebener

Nr. 100 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 30.6.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Steglitz, / Schillerstr. 2“, Adresse: „Herrn / Prof. Dr. E. R. Huber. / Kiel. Hansastrasse 79.“

den 30. Juni 1934 Lieber Herr Huber! Herzlichen Dank für Ihren Brief und Ihren grossartigen Aufsatz771. Ich empfinde heute jeden derartigen Aufsatz als eine persönliche Wohltat. Darum ist meine Freude doppelt und dreifach gross. Hoffentlich sehen wir uns im Laufe des Juli772. Ich möchte vor allem auch wegen Forsthoff mit Ihnen sprechen, der mir grosse Sorge macht, weil sein letzter Aufsatz773 nicht nur oberflächlich[,] sondern schlecht war. Die Ausarbeitung und äussere Gestaltung Ihres Gutachtens oder Ihrer Denkschrift zur Frage der ständischen Gerichtsbarkeit überlasse ich Ihnen. Das Wichtigste ist, dass Sie für Mitte Juli vorbereitet sind. Den genauen Termin muss ich mir noch überlegen. Ich fürchte die Honoratioren und die Prominenten, während mir die Arbeit in der Sache grosse Freude macht. Von Maunz774 in München habe ich eine sehr schöne Arbeit über „Neue 771

Vermutlich ist gemeint Huber, Einheit der Staatsgewalt. Zu einem nächsten Treffen kam es wohl erst Ende August. Schmitt, Tagebücher, S. 354. 773 Von Ernst Forsthoff erschienen 1934 drei Aufsätze, von denen einer gemeint sein muss. Ernst Forsthoff, Der Neubau der kommunalen Selbstverwaltung in Preußen, in: Deutsche Juristen-Zeitung 39 (1934), Sp. 308–311; ders., Der Formalismus im öffentlichen Recht, in: Deutsches Recht 4 (1934), S. 347–349; ders., Über Gerechtigkeit, in: Deutsches Volkstum 16 (1934), S. 969–974. 774 Theodor Maunz (1901–1993), seit 1932 Privatdozent in München, lehrte seit 1935 in Freiburg und seit 1952 in München. Er kommentierte während der NS-Zeit das Polizeirecht, nahm 1948 am Verfassungskonvent von Herrenchiemsee teil und wurde einer der führenden Grundrechtskommentatoren. Von 1957 bis 1964 amtierte 772

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Grundlagen des Verwaltungsrechts“ bekommen775. Dagegen ist TatarinTarnheyden776 anscheinend hoffnungslos. Die Schwätzerei über [den] Rechtsstaat auf S. 162-4 seines neuen Werkes „Werdendes Staatsrecht“ ist ärgerlich777. Ich halte es auch nicht für zulässig, dass jemand in der Vorrede behauptet, seine Schrift | habe Mitte Dezember 1933 fertig vorgelegen778, und auf dieser Grundlage eine Reihe von wichtigen Veröffentlichungen wie Ihre „Gestalt des deutschen Sozialismus“ und meine Abhandlung „Staat, Bewegung, Volk“ ignoriert, dagegen die Rede Rosenbergs vom 30. April 1934779 heranzieht (S. 73). Die Glorifizierung Gierkes und seiner Sehergabe (S. 25) ist auch geschmacklos780. Ich gebe nichts auf die Intuition eines Deutschen, der sich jüdisch fortpflanzt781. Vor einigen Tagen bin ich eigens nach Wolfenbüttel782 gereist und habe hochinteressante Sachen in dem Nachlass von Jolson-Stahl783 gefunden. Hoffentlich wird das Material bearbeitet, bevor es in falsche Hände gerät. er als bayerischer Kultusminister, musste aber nach Bekanntwerden seiner NS-Vergangenheit zurücktreten. Seit den 1960er Jahren veröffentlichte er unter Pseudonym in einer rechtsnationalen Zeitung. Michael Stolleis, Theodor Maunz – ein Staatsrechtslehrerleben, in: Kritische Justiz 26 (1993), S. 393–396. 775 Theodor Maunz, Neue Grundlagen des Verwaltungsrechts, Hamburg 1934 (= Der deutsche Staat der Gegenwart, 9). Huber rezensierte das Buch in der Deutschen Juristen-Zeitung 39 (1934), Sp. 1474–1476. Hier war davon die Rede, dass es „mehr ein anregender Versuch als eine fertige Lösung“ sei. 776 Edgar Tatarin-Tarnheyden (1882–1966) lehrte seit 1922 in Rostock Staatsrecht. Die Jahre zwischen 1945 und 1954 verbrachte er in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 291. 777 Edgar Tatarin-Tarnheyden, Werdendes Staatsrecht. Gedanken zu einem organischen und deutschen Verfassungsneubau, Berlin 1934. Auf den genannten Seiten setzte sich der Verfasser ausführlich und kritisch mit dem Rechtsstaatsbegriff in Carl Schmtts „Legalität und Legitimität“ auseinander. Schmitt halte den Begriff für „schillernd“. 778 Tatarin-Tarnheyden schrieb, dass die Aufzeichnung der Schrift zwischen Juli und Mitte Dezember 1933 erfolgt sei. Er datierte die Vorrede auf den Silvestertag 1933. Tatarin-Tarnheyden, Staatsrecht, S. VIII. 779 Tatarin-Tarnheyden, Staatsrecht, S. 73, Anm. 2. Alfred Rosenberg, Der deutsche Ordensstaat, in: ders., Gestaltung der Idee. Blut und Ehre II. Band. Reden und Aufsätze von 1933–1935, hg. v. Thilo von Trotha, München 1936, S. 70–89. 780 Gierke habe den „Typ deutschrechtlichen Genossenschaftswesens rechtshistorisch nachgewiesen und genial-intuitiv gestaltet“. Diese „Sehergabe“ blühe bisher im Verborgenen. Tatarin-Tarnheyden, Staatsrecht, S. 25. 781 Der Vater von Marie Cäcilie Elise Loening (1850–1936), seit 1873 verheiratet mit Otto von Gierke (1841–1921), Karl Friedrich Loening (1810–1884), war vom jüdischen Glauben konvertiert. 782 In die Herzog-August-Bibliothek. 783 Friedrich Julius Stahl (1802–1861), der vor seiner Konversion vom Judentum zur evangelischen Kirche Joel Jolson hieß, war einer der bedeutendsten Juristen des 19. Jahrhunderts. Wilhelm Füßl, Professor in der Politik: Friedrich Julius Stahl. Das

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Ritterbusch war noch nicht Mitglied der Akademie. Henkel auch nicht. Diese beiden habe ich mit Ihnen vorgeschlagen. Ich schreibe in grosser Eile, nur um Ihnen für Ihren Brief und Ihren Aufsatz zu danken und um Ihnen zu sagen, dass ich mich freue, Sie bald zu sehen. Grüssen Sie bitte Ihre Frau, auch von Frau Schmitt[,] und sagen Sie ihr unsere besten Wünsche für sie und das Kind. Auf Wiedersehen und Heil Hitler! Stets Ihr Carl Schmitt.

Nr. 101 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 7.7.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Steglitz, / Schillerstr. 2“, Adresse: „Herrn / Prof. Dr. E. R. Huber. / Kiel. Hansastrasse 79.“

den 7. Juli 1934 Lieber Herr Huber! Ich möchte nochmals für Ihren Aufsatz „Die Einheit der Staatsgewalt“ danken. Er ist wirklich hervorragend, und man sollte meinen, jetzt müsste jeder deutsche Jurist begreifen, um was es sich handelt. Ich freue mich, ihn am 1. August zu veröffentlichen784. In das zweite Juliheft passte er nicht recht, weil dieses Heft absichtlich unpolitisch und farblos gehalten ist785. Aus der Sitzung des Akademieausschusses für Staats- und Verwaltungsrecht wird vorläufig nichts. Ich hoffe aber trotzdem, Sie bald zu sehen und auch die versprochene Denkschrift im Lauf des Juli zu bekommen. Vielleicht können wir uns Anfang August anlässlich des Beginns der Ferienreisen in Berlin treffen786. monarchische Prinzip und seine Umsetzung in die parlamentarische Praxis, Göttingen 1988 (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 33). 784 Hubers Aufsatz erschien damit nicht nur im selben Heft, sondern direkt im Anschluss an den berüchtigten Beitrag: Carl Schmitt, Der Führer schützt das Recht, in: Deutsche Juristen-Zeitung 39 (1934), Sp. 945–950. 785 Deutsche Juristen-Zeitung 39 (1934), Sp. 881–944. Das Heft 14 vom 15.7.1934 enthielt in der Tat fast keine im engeren Sinn politischen Aufsätze, sondern vor allem Beiträge aus der juristischen Praxis. 786 Im Tagebuch Schmitts ist allerdings kein Treffen Anfang August 1934 verzeichnet.

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Herzliche Grüsse an Sie und Ihre Frau und die besten Wünsche für das Kind. Mit Heil Hitler! stets Ihr Carl Schmitt.

Nr. 102 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 8.7.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Berlin“

Hansastr. 79 / 8. Juli 1934. Hochverehrter Herr Staatsrat! In der Anlage überreiche ich Ihnen die „Ankündigung“ der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft787. Ich danke Ihnen bei dieser Gelegenheit sehr herzlich für die große Unterstützung, die Sie unserm Plan durch Ihre freundlichen Worte bei der Gaufachberatertagung788 haben zuteil werden lassen. Und ich erneuere die Bitte, sobald es Ihnen möglich ist, einen Beitrag für unsere Zeitschrift zur Verfügung zu stellen789. Das erste Heft soll im Oktober erscheinen; es wird unter anderem einen Aufsatz von Dahm über Ihre Schrift „Ueber die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens“ enthalten790. Auch für „Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches“791 hoffe ich[,] eine gute Besprechung zu bekommen792. 787

Eine Anlage ist nicht überliefert. Die besagte Tagung fand am 9. und 10.6.1934 statt. Schmitt, Tagebücher, S. 347. 789 Der erste Beitrag Schmitts erschien 1935. Carl Schmitt, Was bedeutet der Streit um den „Rechtsstaat“?, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 95 (1935), S. 189–201. 790 Georg Dahm, Die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 95 (1935), S. 181–188. 791 Carl Schmitt, Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches. Der Sieg des Bürgers über den Soldaten, Hamburg 1934 (= Der deutsche Staat der Gegenwart, 6). Eine ausführlich kommentierte Neuausgabe erschien, herausgegeben von Günter Maschke, Berlin 2011. Zur Wirkung der Schrift: Ewald Grothe, Verfassungsgeschichte als „politische Wissenschaft“. Carl Schmitt „über die neuen Aufgaben“ und die Deutung der deutschen Verfassungsgeschichte im Nationalsozialismus, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 29 (2007), S. 66–87. 792 Das gelang nicht. Schmitts Schrift wurde nur kurz erwähnt bei Gottfried Neeße, Verfassungsrechtliches Schrifttum, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 96 (1936), S. 388–403, hier S. 392. 788

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Für Ihren Brief vom 30. Juni danke ich Ihnen bestens. Ich sitze nun an dem Referat über Standesgerichtsbarkeit, und ich bin ganz gut voran gekommen. Es zeigt sich allerdings, daß es sich um einen sehr umfänglichen Fragenkomplex handelt. Ich dachte, eine ausführliche schriftliche Bearbeitung einzureichen; der mündliche Bericht könnte nur einen Auszug enthalten. Wollen Sie angesichts der politischen Lage793 an dem Termin im Juli festhalten? Da Sie auf das Thema gekommen sind, würde es mich interessieren, worin Sie den Kern der Frage erblicken; | es hätte wenig Sinn, wenn ich das Thema von einer völlig anderen Blickstellung aus behandle. Daß Maunz sich so gewandelt hat, ist mir sehr interessant. Sein Buch über öffentliches Sachenrecht794 ließ das nicht erhoffen. Tatarins „Werk“ ist ein neuer Beweis dafür, wie wichtig die Frage der Lehrmittelreform ist795. Siebeck macht übrigens große Anstrengungen, mich für ein „Staatsrecht“ zu gewinnen!796 Scheuner797 hat mich eingeladen, als Mitherausgeber in die „Deutsche Forschung“798 einzutreten; ich werde das natürlich ablehnen. Er hat Zusagen von Smend und Gerber; aufgefordert hat er noch Heckel, Bruns799 und Koellreutter[.] Vielen Dank noch für Ihre Mitteilung über das Staatsnotwehrgesetz800[;] ich halte es für sehr angebracht; daß dieses Gesetz jetzt nicht öffentlich behandelt wird. Mit den besten Grüßen, auch an Frau Schmitt, denen sich meine Frau anschließt. Heil Hitler! Ihr stets ergebener 793

Gemeint ist die Situation unmittelbar nach den Morden im Zusammenhang mit der sogenannten Röhm-Affäre Ende Juni/Anfang Juli 1934. 794 Theodor Maunz, Hauptprobleme des öffentlichen Sachenrechts. Eine Studie zur Methodik und Dogmatik des deutschen Verwaltungsrechts, München 1933. Es handelt sich um seine Münchener Habilitationsschrift von 1931. 795 Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, S. 205–209. 796 Ebd., S. 206 f. Siebecks Bemühungen scheiterten. Hubers „Verfassungsrecht“ erschien 1937 bei der Hanseatischen Verlagsanstalt. 797 Ulrich Scheuner (1903–1981) bekam 1933 eine Professur für öffentliches Recht in Jena. 1940 ging er nach Göttingen und wechselte 1941 nach Straßburg. Von 1950 bis 1972 lehrte er Staatsrecht und Staatskirchenrecht in Bonn. Peter Landau, Scheuner, Ulrich, in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 713 f. 798 Die Schriftenreihe „Deutsche Forschung“ wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Berlin zwischen 1928 und 1934 und als Neue Folge von 1937 bis 1942 herausgegeben. 799 Viktor Bruns (1884–1943) lehrte zunächst Bürgerliches Recht, später Staatsund Völkerrecht seit 1920 in Berlin. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 256 f., Anm. 57. 800 Reichsgesetzblatt 1934 I, S. 529. Das Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr legalisierte die Röhm-Morde vom 30. Juni 1934.

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Nr. 103 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 18.7.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Berlin-Steglitz / Schillerstr. 2“

Hochverehrter Herr Staatsrat, haben Sie herzlichen Dank für Ihren Brief vom 7. d. M., der sich mit meinem letzten Brief an Sie kreuzte. Ihre freundlichen Worte über meinen Aufsatz „Die Einheit der Staatsgewalt“ haben mich sehr erfreut. Die Denkschrift über die „Standesgerichtsbarkeit“ hat mich in den letzten Wochen sehr beschäftigt, und ich habe ein ziemlich umfangreiches Manuskript abgeschlossen. Die Arbeit bedarf jedoch noch der gründlichen Durchsicht und Ausfeilung, und ich bin im Augenblick so abgespannt und mit anderen Dingen so beladen, daß ich vor dem Semesterende nicht zum endgültigen Abschluß kommen werde. Voraussichtlich werde ich Anfang August in Berlin sein; ich habe dann im Auftrag meiner Fakultät im Kultusministerium zu tun801. Falls Sie dann noch in Berlin sind, würde ich Sie gerne aufsuchen802, um wieder einmal in Ruhe mit Ihnen sprechen zu können. Ich würde bei dieser Gelegenheit auch gerne über die Denkschrift mit Ihnen reden. Meine Zeit ist jetzt sehr ausgefüllt. Zu allem übrigen habe ich jetzt noch das Dekanat übernehmen müssen803. Ihnen und Frau Schmitt sehr herzliche Grüße, auch von meiner Frau[.] Heil Hitler! Ihr stets ergebener Nr. 104 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 30.7.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Steglitz, / Schillerstr. 2“, Adresse: „Herrn / Prof. Dr. E. R. Huber. / Kiel. Hansastr. 79.“

den 30. Juli 1934 Lieber Herr Huber! Ich danke Ihnen für Ihren Brief vom 18. Juli und möchte Ihnen jetzt, nachdem das Augustheft der DJZ erschienen ist, nochmals meinen Dank für Ih801 Es ging vermutlich um Berufungsverhandlungen, eventuell aber auch um die neue juristische Studienordnung. 802 Im Tagebuch Schmitts findet sich keine Notiz über ein Treffen. 803 Huber war Dekan der Kieler Juristischen Fakultät vom Wintersemester 1934/ 35 bis zum Sommersemester 1936. Jürgens, S. 19.

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ren Aufsatz aussprechen. Ich würde mich freuen, Sie Anfang August in Berlin zu sehen und lade Sie ein[,] bei uns zu wohnen. Mit herzlichen Grüssen und Heil Hitler! stets Ihr Carl Schmitt.

Nr. 105 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 16.8.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Berlin-Steglitz / Schillerstr. 2“

16. August 1934 Hochverehrter Herr Staatsrat! Für Ihren freundlichen Brief vom 30. Juli danke ich Ihnen sehr herzlich, vor allem auch für die liebenswürdige Einladung, bei Ihnen zu wohnen. Das plötzliche Ausscheiden von Herrn Achelis aus der Hochschulabteilung804 hat meine Reise nach Berlin wieder hinausgeschoben. Ich warte jetzt auf Nachricht von Herrn Vahlen805, wann ich ihn sprechen kann. Ende August wird es wohl werden, bis ich die Reise unternehmen kann. Ich fürchte sehr, daß ich Sie dann nicht mehr in Berlin treffen werde; ich werde mich aber gleichwohl rechtzeitig für alle Fälle bei Ihnen melden.

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Achelis wurde 1934 als Professor für Physiologie nach Heidelberg berufen. Grüttner, S. 13. 805 Theodor Vahlen (1869–1945) war zwischen 1911 und 1924 Professor für Mathematik in Greifswald, wurde dann wegen seiner NS-Aktivitäten entlassen. Seit 1930 an der Technischen Hochschule Wien, kehrte er 1933 nach Greifswald zurück und leitete von 1934 bis 1937 das Amt Wissenschaft im Reichserziehungsministerium. Er war Vertreter der nationalsozialistisch ausgerichteten „Deutschen Mathematik“. Von 1939 bis 1943 wirkte er als Präsident der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Wolfram Fischer/Rainer Hohlfeld/Peter Nötzoldt, Die Berliner Akademie in Republik und Diktatur, in: Wolfram Fischer (Hg.), Die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1914–1945, Berlin 2000, S. 556– 561.

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Ich sitze an einem Aufsatz über die „Idee der Staatswissenschaft“, der mir viel Mühe macht806. Heute sprach ich in der Dozentenakademie807 über einige Fragen aus diesem Zusammenhang. Mit den besten Grüßen! Heil Hitler! Ihr stets ergebener Nr. 106 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 21.8.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Hotel Hanebeck / „Deutsches Haus“ / Leitung: F. Schlegel / Fernruf 513 / Plettenberg-Bhf, den“

21.8.1934 Lieber Herr Huber! Besten Dank für Ihren Brief vom 16. August. Ich habe vor, am 25. oder 26. August nach Berlin zurückzukehren808; hoffentlich können wir uns dann Ende des Monats in Berlin treffen809. Ich wiederhole nochmals herzlichst unsere Einladung. Auf Ihren Aufsatz über die „Idee der Staatswissenschaft“ bin ich sehr gespannt. Ich überlege, wie ich Ihrem Wunsch, einen Aufsatz für Ihre Zeitschrift zu schreiben, entsprechen könnte. Ich würde das sehr gern tun. Vielleicht können wir uns bei Ihrem Besuch darüber unterhalten. Viele herzliche Grüße an Sie und Ihre Frau und auf baldiges Wiedersehn in Berlin! Heil Hitler! Stets Ihr Carl Schmitt. [von der Hand Hubers unten links:] beantwortet 25.8.34810 806 Es handelt sich um die ersten Vorarbeiten zu dem programmatischen Aufsatz: Ernst Rudolf Huber, Die deutsche Staatswissenschaft, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 95 (1935), S. 1–65. 807 In Kitzeberg, einem Ortsteil der Gemeinde Heikendorf am Ostufer der Kieler Förde, befand sich eine NS-Dozentenakademie. Bernd Rüthers, Schwierigkeiten mit der Geschichte?, in: Juristenzeitung 56 (2001), S. 181–185, hier S. 183 f. 808 Schmitt kehrte am 25.8.1934 aus Plettenberg nach Berlin zurück. Schmitt, Tagebücher, S. 354. 809 Schmitt und Huber trafen sich am 28. und 29.8. Ebd. 810 Dieser Brief ist nicht überliefert.

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Nr. 107 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 4.9.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Prof. Dr. Schmitt / Berlin-Steglitz“

4. September 1934 Sehr verehrter Herr Staatsrat! Ihnen und Frau Schmitt danke ich nochmals sehr herzlich für die schönen Tage in Berlin811. Es war mir eine große Freude, wieder einmal in Ruhe und Ausführlichkeit mit Ihnen sprechen zu dürfen. Hoffentlich hat Ihr Gespräch mit Herrn Landgerichtsrat Kasper812 einen zufriedenstellenden Verlauf gehabt. Ich glaube immer stärker, daß es richtiger ist, wenige Fakultäten einheitlich zu besetzen, als die paar Leute, die zur Verfügung stehen, über das ganze Gebiet hin zu verstreuen. Das, was in Kiel jetzt im Ansatz vorhanden ist, wird nur dann fruchtbringend entwickelt werden können, wenn die Vakanzen so besetzt werden, daß ein ganz einheitlicher Körper entsteht. Aus diesem Grunde wiederhole ich noch einmal meine Bitte, uns zu helfen, daß wir Henkel bekommen813. Mit ihm, Michaelis und Mackenroth814 würde unsere Fakultät ausgezeichnet besetzt sein. Wenn dann noch die Nachfolge Hoeniger815 entsprechend geregelt 811

Huber hatte sich am 28. und 29.8.1934 in Berlin aufgehalten. Ebd. Das Gespräch fand am 31.8. statt. Ebd. Gerhard Kasper (1904–1981) war von 1934 bis 1945 als Justitiar im Reichserziehungsministerium tätig, zunächst Landgerichtsrat, dann Obergerichtsrat, 1940 Ministerialrat. Grüttner, S. 87. 813 Henkel wechselte 1934 von der Universität Frankfurt nach Marburg und 1935 nach Breslau. Ebd., S. 74. 814 Gerhard Mackenroth (1903–1955) lehrte seit November 1934 als außerordentlicher Professor für Theoretische Nationalökonomie, Wirtschaftspolitik und Statistik an der Universität Kiel. 1941 wurde er an die Reichsuniversität Straßburg berufen, wirkte dort bis zum Sommersemester 1943 und war geschäftsführender Direktor des Staatswissenschaftlichen Instituts. Patrick Henßler/Josef Schmid, Bevölkerungswissenschaft im Werden. Die geistigen Grundlagen der deutschen Bevölkerungssoziologie, Wiesbaden 2007, S. 157–218, 224–244. 815 Heinrich Hoeniger (1879–1961), Professor für Arbeitsrecht, war 1932 von Freiburg nach Kiel berufen worden. Am 9.4.1934 musste er als „jüdisch versippt“ zwangsweise aus dem Lehrkörper ausscheiden. Er wechselte nach Frankfurt, wurde 1935 zwangsemeritiert und emigrierte 1938 in die USA. 1950 kehrte er zurück und lehrte bis 1960 als Gastprofessor in Frankfurt am Main. Ralph Uhlig, Vertriebene Wissenschaftler der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) nach 1933. Zur Geschichte der CAU im Nationalsozialismus. Eine Dokumentation, Frankfurt a. M. u. a. 1991 (= Kieler Werkstücke. Reihe A: Beiträge zur schleswig-holsteinischen und skandinavischen Geschichte, 2), S. 37 f. 812

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wird816, ist wirklich eine Fakultät vorhanden, mit der man etwas machen kann. Eine große Freude und Ehre war es mir, daß Sie Ihre baldige Mitarbeit an der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft in sichere Aussicht stellten. Ich bitte Sie herzlich, wenn es irgend geht, einen Aufsatz für das zweite, im Januar erscheinende Heft zu schreiben. Sehr schön fände ich es, wenn Sie uns einen Aufsatz über den „Rechtsstaat“ zur Verfügung stellten817. Es ist so dringend notwendig, daß über dieses Thema noch einmal grundsätzlich von Ihnen gesprochen wird. Für dasselbe Heft hoffe ich, einen Aufsatz von Dahm über „Hoch- und Landesverrat“ zu bekommen818. Natürlich bin ich völlig einverstanden, wenn Sie über eines der anderen Themen schreiben, die wir besprachen; das steht | selbstverständlich völlig in Ihrem Ermessen. Unser Gespräch über Forsthoff hat mich noch viel beschäftigt. Ich bin immer noch der Meinung, daß Forsthoff seit dem vorigen Jahr unter besonders schwierigen Verhältnissen arbeitet (teils persönlicher, teils sachlicher Art)819, und ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß er zu ernster, positiver Arbeit kommt, sobald er in normalen Umständen lebt. Ich meine, man sollte ihm die Chance geben, nun endlich von seinen großen Qualitäten den entsprechenden Gebrauch zu machen. Ich würde Forsthoff gerne, damit er weiß, woran er ist, von dem sachlichen Inhalt unserer Unterredung Kenntnis geben, werde das aber natürlich nur tun, wenn Sie mich dazu ermächtigen820. Ich glaube, daß ein offenes Wort dazu beitragen könnte, den gegenwärtigen, unerfreulichen Zustand zu überwinden. Es wäre außerordentlich viel wert, wenn es Ihnen gelingen würde, Weber und Lohmann den Weg in die Hochschullaufbahn zu öffnen821. Es ist ein beinahe hoffnungsloses Balancieren zwischen Reaktion und Unzulänglichkeit, das den jetzigen Zustand kennzeichnet. Lohmann und Weber würden die schmale Front wesentlich verstärken; die Hochschulverwaltung sollte deshalb hier nicht formalistisch sein. 816

Nachfolger Hoenigers in Kiel wurde 1935 vermutlich Wolfgang Siebert. Siehe unten Anm. 903. 818 Georg Dahm, Verrat und Verbrechen, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 95 (1935), S. 283–310. 819 Forsthoff war Ende Oktober 1933 auf eine Professur in Frankfurt berufen worden, scheiterte dort aber mit seinen Plänen, eine besonders profilierte politische Fakultät aufzubauen. Nach internen Streitigkeiten wechselte er im Frühjahr 1935 nach Hamburg. Er verlobte sich 1934 mit Ursula Seefeldt (gest. 1960), die er 1935 heiratete. Briefwechsel Forsthoff-Schmitt, S. 6–8. 820 Der Brief Hubers an Forsthoff ist nicht überliefert. 821 Werner Weber wurde 1935 an die Handelshochschule Berlin berufen und wechselte 1942 nach Leipzig. Karl Lohmann habilitierte sich 1943 bei Carl Bilfinger in Heidelberg, erhielt aber keine Professur. Mehring, S. 401 f. 817

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Mein Aufsatz über die „Staatswissenschaft“ ist fertig, d.h. ich habe ihn unfertig abgeschlossen. Es ist kein Aufsatzthema, sondern ein Vor[ent]wurf für ein Buch, und so blieb alles bei Andeutungen stehen. Die epochale Bedeutung Ihrer Schrift über die drei Arten822 ist mir bei dem Thema der Staatswissenschaft erst vollständig klar geworden. Das Ordnungs- und Gestaltungsdenken ist nicht nur die Betrachtungsweise der Rechtswissenschaft, sondern der politischen Staatswissenschaft überhaupt. Alle billigen Antithesen, wie normativ und existentiel[l], statisch und dynamisch usw.[,] werden durch diese Art des Denkens aufgehoben. Ich halte übrigens daran fest, daß der Begriff der „Gestalt“ besser als Ordnung und Gestaltung den Gegenstand dieses Denkens beschreibt. Es ist ein großer Mangel, daß es keine gute Untersuchung über den Gestaltbegriff | im Idealismus und der Romantik gibt. Und es ist überhaupt beklagenswert, daß diese ganze große Epoche auch heute noch von den falschen Leuten untersucht und dargestellt wird. Herr Dahm schreibt mir823, daß er Sie Anfang nächster Woche in Berlin besuchen will. Er wird dann wohl auch über nullum crimen sine lege824 mit Ihnen sprechen. Ich habe den bestimmten Eindruck, daß keine prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten vorliegen, nur unvermeidliche und unschädliche Verschiedenheiten in der Nuancierung und Akzentuierung. Die Front, wie sie durch Ihre Schriftenreihe825 bezeichnet wird, ist fest und wird deshalb auch eine immer stärkere Widerstands- und Stoßkraft entfalten. Auch um dieser Geschlossenheit willen scheint es mir notwendig, Forsthoff, wenn es irgend geht, wieder einzureihen. Denn die Gegner ziehen aus jeder Uneinigkeit unmittelbaren Nutzen. Mit herzlichen Grüßen und nochmaligem Dank, auch an Frau Schmitt! Heil Hitler! Ihr stets ergebener Nr. 108 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Nürnberg, 8.9.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Poststempel: „Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg vom 5. mit 10. Sept. 1934“, Motiv auf der Rückseite: Adolf Hitler und Julius Streicher826 im Brustbild seitlich nebeneinander, Adresse „Herrn Professor / Dr. E. R. Huber“, Kieler Adresse gestrichen, von fremder Hand: „Obers[t]dorf827 / Al[l]gäu / postlagernd“ 822

Schmitt, Über die drei Arten. Der Brief von Dahm an Huber ist nicht überliefert. 824 Lat.: „kein Verbrechen ohne Gesetz“. 825 Die Reihe „Der deutsche Staat der Gegenwart“. 826 Julius Streicher (1885–1946) war Gründer, Eigentümer und Herausgeber des nationalsozialistischen Hetzblatts „Der Stürmer“. Er wurde 1946 hingerichtet. Randall Lee Bytwerk, Julius Streicher, New York 2001. 823

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Lieber Herr Huber, vielen herzlichen Dank für Ihren Brief! Ich will mein Möglichstes tun und den Aufsatz über den „Rechtsstaat“ schreiben. Auf der Reise828 habe ich Ihr Wirtschaftsverwaltungsrecht daraufhin gelesen. Die besten Grüße Ihnen und Ihrer Frau von Ihrem alten Carl Schmitt Nürnberg [8].9.34. Nr. 109 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Neuhaus, 25.9.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Motiv auf der Rückseite: „Blick v. Dürnbachschwand auf Fischhausen u. Schliersee“, Adresse: „Herrn Professor / Dr. E. R. Huber / Kiel / Hansastr. 79.“

Lieber Herr Huber, ich war einige Tage am Schliersee829, als Gast von H. Frank830, und möchte Anfang Oktober wieder in Berlin sein. Hoffentlich gehen Ihre Wünsche bezgl. H.[einrich] H.[enkel] bald in Erfüllung831. Auf Ihr 1. Heft d. Z. f. d. ges. Staatsw.832 bin ich sehr begierig. Schreiben Sie mir bitte bald Ihr Urteil über Maunz. Mit vielen herzlichen Grüßen an Sie und Ihre Frau bleibe ich Ihr alter Carl Schmitt 25/9 34. Nr. 110 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 1.10.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Berlin-Steglitz“

1. Oktober 1934 Hochverehrter Herr Staatsrat! Haben Sie sehr herzlichen Dank für Ihre beiden Karten aus Nürnberg und vom Schliersee, über die ich mich sehr gefreut habe. Besonders danke ich 827

Oberstdorf ist ein Wintersportort im Allgäu. Von Berlin nach Nürnberg zum Reichsparteitag der NSDAP vom 5. bis 10.9.1934. 829 Bergsee und gleichnamiger Ort, etwa fünfzig Kilometer südöstlich von München. 830 Hans Frank und seine Familie lebten auf einem Bauernhof in Neuhaus am Schliersee. 831 Huber hoffte, Henkel nach Kiel holen zu können, was misslang. Siehe oben Anm. 813. 832 Abkürzung für „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“. 828

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Ihnen für die Zusage, den Aufsatz über den „Rechtsstaat“ zu schreiben. Ich antworte Ihnen erst heute, weil ich drei Wochen im Allgäu war. Meine Frau und ich haben großartige Bergtouren machen können, und wir sind beide recht erholt zurückgekommen. Die Schrift von Maunz „Neue Grundlagen des Verwaltungsrechts“ habe ich nun genau gelesen833. Sie unterscheidet sich nicht nur in Haltung und Stil sehr vorteilhaft von der früheren Arbeit834, sondern ist auch absolut gesehen ein schöner Anfang der neuen Verwaltungsrechtsarbeit; sie steht weit über dem Aufsatz von Tatarin-Tarnheyden im Archiv des öffentlichen Rechts835. Besonders gut gefällt mir der Abschnitt über das Ermessen (etwa S. 17)836; auch die Anwendung des Ordnungsdenkens auf das Verwaltungsrecht ist im Ansatz recht gelungen. Auch die fruchtbare Dreigliederung: Formen des Rechts, Finden des Rechts, Ausrichten am Recht (S. 52) sei hervorgehoben. Daneben finde ich aber doch eine Reihe erheblicher Mängel. Ich will nur zweierlei hervorheben: die Herleitung der subjektiven öffentlichen Rechte aus den Mitarbeiterverhältnissen (S. 32) scheint mir unzulänglich zu sein; die Urbilder des subjektiven öffentlichen Rechts, nämlich der Gehaltsanspruch des Beamten, der Entschädigungsanspruch bei der Enteignung und der Anspruch aus Amtshaftung, können mit dieser Konstruktion nicht erklärt | werden. Die starre Ablehnung jedes Rechtes des Gefolgsmanns gegenüber dem Führer ist kaum haltbar; dem Lehnsverhältnis etwa entspricht gerade der Schutzanspruch des Lehnsmannes gegen den Herrn, eine Vorstellung, die selbst im Soldaten- und Beamtentum des absoluten Fürstenstaates nicht verloren gegangen ist. Zum zweiten ist doch auch die entscheidende Stelle über die Verwaltungsrechtspflege (S. 55) etwas dürftig ausgefallen. Die Verwaltungsrechtspflege wird nur logisch bestimmt (und nicht sehr glücklich S. 47), aber es wird weder gesagt, wieso sie notwendig und sinnvoll ist. Wie das Verfahren aussehen soll, wenn es nicht von subjektiven öffentlichen Rechten ausgeht, ob es etwa ein Popularverfahren837 sein soll oder was sonst, bleibt vollends unklar838. Die Arbeit läßt also trotz ihrer offenbaren Qualitäten viele Fragen unbeantwortet, und ich sehe in ihr mehr einen anregenden Versuch als eine fertige Lösung. 833

Maunz, Grundlagen. Vermutlich ist gemeint: Theodor Maunz, Hauptprobleme des öffentlichen Sachenrechts. Eine Studie zur Methodik und Dogmatik des deutschen Verwaltungsrechts, München 1933. 835 Edgar Tatarin-Tarnheyden, Grundlagen des Verwaltungsrechts im neuen Staat, in: Archiv des öffentlichen Rechts 24 (1934), S. 345–358. 836 Der Titel des ersten Abschnitts lautete: „Rechtliches und politisches Ermessen“. Maunz, Grundlagen, S. 9–21. 837 Ein von jedem Bürger einleitbarer Gerichtsprozess. 834

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Leider sind die Berufungen, über die ich mit Ihnen sprach, bisher nicht voran gekommen. Inzwischen ist, wie Sie wissen werden, Prof. Eckhardt839 Personalreferent im Kultusministerium geworden. Es sind also neue Verhandlungen nötig, zu denen ich voraussichtlich nächste Woche nach Berlin kommen werde. Ich bitte Sie sehr herzlich, die Vorschläge meiner Fakultät auch gegenüber dem neuen Referenten zu unterstützen. Den Ruf nach Tübingen habe ich übrigens vor einigen Wochen abgelehnt840. Das erste Heft unserer Zeitschrift wird etwa in 14 Tagen erscheinen. Die Qualität ist gemischt; ich halte besonders viel von Predöhls Aufsatz über die Stellung der exakten Theorie in der gesamten Staatswissenschaft841. Ihnen und Frau Schmitt die besten Grüße, auch von meiner Frau. Heil Hitler! Ihr stets ergebener

Nr. 111 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 12.10.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Berlin-Steglitz / Schillerstr. 2“

12. Oktober 1934 Hochverehrter Herr Staatsrat! Sehr herzlich danke ich Ihnen für Ihre telegrafische Mitteilung, nach der Sie von Donnerstag bis Sonntag dieser Woche verreist sind. Es hat sich inzwischen ergeben, daß meine Reise nach Berlin nicht notwendig ist. Herr Eckhardt teilte mir telefonisch mit, daß die Kieler Berufungen in dem Sinne durchgeführt werden, in dem ich sie vor einigen Wochen mit Ihnen und Herrn Kasper besprochen habe. Die Sache Henkel bleibt allerdings noch in der Schwebe; für den Winter bekommen wir Thierfelder-München842 zur Vertretung. 838 Die Bemerkungen beziehen sich auf den vierten und letzten Abschnitt der Broschüre mit dem Titel „Die Zukunft der Verwaltungsrechtspflege“. Maunz, Grundlagen, S. 47–60. 839 Karl August Eckhardt. 840 An Huber hatten im Jahr 1934 die Universitäten Heidelberg, München und Tübingen Interesse gezeigt. Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, S. 182. 841 Andreas Predöhl, Gesamte Staatswissenschaft und exakte Wirtschaftstheorie, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 95 (1935), S. 102–115.

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Herr Dr. Walter Heinrich-Wien843, ein Spannschüler844, der Ihnen dem Namen nach vielleicht bekannt ist, schreibt in der zweiten Auflage seines Buches „Das Ständewesen“, die soeben erschienen ist (Verlag Gustav Fischer, Jena)845 auf S. 256/57 über mich Folgendes: Bezeichnend für den Dilletantismus vieler „Ständetheoretiker“ der jüngsten Zeit sind die Versuche von E. R. Huber, ursprünglich demokratischer Marxist (vgl. die Aufsätze in „Deutsches Volkstum“, 1932, S. 883 ff. und 953 ff.846), wendet sich H.[uber] unter dem Eindrucke der nationalsozialistischen Revolution vom Liberalismus ab (vgl. „Deutsches Volkstum“, 1933, S. 333 ff.847) und einem – seinem früheren marxistischen[,] theoretisch gleichläufigen – kollektivistischen Standpunkte zu: er fordert den „totalen Wirtschaftsstaat“, der „die Verwaltung der für den Staat und den Bestand der Nation entscheidenden Wirtschaftsbereiche zu Regalen848 erhoben und in die Hand öffentlicher Anstalten gegeben hat“ (Die Gestalt des deut- | schen Sozialismus, Hamburg 1934, S. 86; ähnlich ebd., S. 14, 28 u. ö.; vgl. auch „Deutsches Volkstum“, 1934, S. 80 ff.849 bes. [S.] 82 und „Die Totalität des völkischen Staates“, in „Die Tat“, April 1934[,] S. 30 ff.850). Die gemeine Verleumdung, ich sei ursprünglich demokratischer Marxist gewesen und hätte mich unter dem Eindrucke der nationalsozialistischen 842 Franz Thierfelder (1896–1963) war von 1930 bis 1937 Generalsekretär der Akademie zur Wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums (Deutsche Akademie) in München. 843 Walter Heinrich (1902–1984) lehrte seit 1933 als außerordentlicher Professor für Volkswirtschaftslehre an der Wiener Hochschule für Welthandel. In den Jahren 1934–1936 lehrte er am Düsseldorfer Institut für Ständewesen. Bernd-Ulrich Hergemöller, Mann für Mann. Ein biographisches Lexikon, Frankfurt a. M. 2001, S. 333– 335. 844 Othmar Spann (1878–1956) war ein bekannter Wiener Nationalökonom und Soziologe, der zwischen 1919 und 1938 an der dortigen Universität lehrte und als der führende Theoretiker des Ständestaats galt. Schmitt war erbitterter Gegner Spanns. Sabine A. Haring, Spann, Othmar, in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 629 f. 845 Walter Heinrich, Das Ständewesen mit besonderer Berücksichtigung der Selbstverwaltung der Wirtschaft, Jena 1934. 846 Gemeint sind die Aufsätze: Ernst Rudolf Huber, Selbstverwaltung der Wirtschaft, in: Deutsches Volkstum 14 (1932), S. 883–889, sowie ders., Die Berufsverbände und der Staat, in: ebd., S. 953–958. 847 Ders., Das Gesetz über die Berufsverbände, in: ebd. 15 (1933), S. 333–339. 848 Rechte des Staates, ursprünglich königliche Rechte. 849 Ders., Die Berufsstände im Schrifttum, in: ebd. 16 (1934), S. 80–82. 850 Ders., Die Totalität des völkischen Staates, in: Die Tat. Wege zu freiem Menschentum 26 (1934/35), S. 30–42.

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Revolution vom Liberalismus abgewandt, verletzt meine Standesehre, und ich überlege mir, welche Schritte ich in dieser Sache tun soll. Zunächst habe ich den Verleger ersucht, die verleumderische Behauptung aus dem Buche entfernen zu lassen. Mich mit Herrn Heinrich privat auseinanderzusetzen[,] habe ich keine Veranlassung. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir in dieser Sache raten könnten. Uebrigens ist Herr Heinrich nicht nur in Wien, sondern auch am Düsseldorfer Institut für Ständewesen851 tätig. Ihnen und Frau Schmitt die besten Grüße, auch von meiner Frau Heil Hitler! Ihr sehr ergebener

Nr. 112 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 16.10.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Adresse: „Herrn Professor / Dr. Huber / Kiel.“

den 16.10.34. Lieber Herr Huber! Besten Dank für Ihren Brief. Ich habe es sehr bedauert, dass Sie nicht nach Berlin gekommen sind. – Wegen des Angriffs von Heinrich brauchen Sie sich keine Sorge zu machen. Ich werde mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln für Sie eintreten. Mit Eckhardt werden Sie inzwischen in Kiel gesprochen haben852. Ich wende mich noch einmal hilfesuchend an Sie und Dahm (dem ich dieses zu übermitteln bitte) wegen eines Aufsatzes für die DJZ853. – Wer ist 851 Ein von dem Großindustriellen Fritz Thyssen (1873–1951) im Mai 1933 ins Leben gerufenes Institut zur Legitimation eines Ständestaates, das 1936 geschlossen wurde. Heinrich war 1933/34 dessen wissenschaftlicher Leiter. 852 Eckhardt schrieb am 20.10.1934 an Huber: „Ich hoffe, Sie sind mit der vorläufigen Ausbeute für Kiel zufrieden. [. . .] Vorschläge erbitte ich sofort nach Vakantwerden der betreffenden Professuren ohne dienstliche Aufforderung“. Familienarchiv Albrecht Eckhardt (Oldenburg). 853 Huber veröffentlichte 1935 drei Aufsätze in der „Deutschen Juristen-Zeitung“ über den „Treuhänder der Arbeit“, „das Reichsstatthaltergesetz vom 30. Januar 1935“ und die Frage „Ist ein SA.-Führer Beamter im Sinne des § 359 StGB?“, in: Deutsche Juristen-Zeitung 40 (1935), Sp. 202–210, 257–264, 1022–1024.

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übrigens der Kieler Assistent, der sich neulich in der JW854 über staatsrechtliche Fragen geäussert hat?855 Mit den besten Grüssen und

[ab hier handschriftlich:]

Heil Hitler Ihr Carl Schmitt

Könnten Sie nicht Ihre Bemerkungen zu Maunz in Ihrem Brief vom 1. Okt. zu einer kleinen Besprechung von 21 Zeilen oder etwas mehr für die DJZ machen?856 Herzliche Grüße Ihnen und Ihrer Frau von Ihrem alten Carl Schmitt.

Nr. 113 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 19.10.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Berlin-Steglitz“

19. Oktober 1934. Hochverehrter Herr Staatsrat! Für Ihren freundlichen Brief vom 16. d.M. danke ich Ihnen sehr herzlich. Herr Heinrich macht mir weiter keine Sorge; aber ich will diese Unverschämtheit auch nicht so ganz stillschweigend hinnehmen. Der Verleger Gustav Fischer-Jena hat inzwischen die weitere Auslieferung des Buches bis zur „restlosen Erledigung“ der Angelegenheit eingestellt857. Sehr gerne will ich den Rest der Ferien verwenden, um einen Aufsatz für die DJZ zu schreiben. Mit Lohmann habe ich deswegen wiederholt korrespondiert, doch sind wir uns über das Thema noch nicht ganz einig geworden. Ich würde am liebsten wieder eine prinzipielle staatsrechtliche Frage behandeln. Würde Ihnen ein Aufsatz über „Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches“858 in Ihr Programm passen? Ich denke dabei an Fragen wie 854

Abkürzung für „Juristische Wochenschrift“. Carl Dernedde, Staatslehre als Wirklichkeitswissenschaft, in: Juristische Wochenschrift 63 (1934), S. 2514–2518. Zu Carl Dernedde siehe unten Anm. 892. 856 Ernst Rudolf Huber, Rezension zu Theodor Maunz, Neue Grundlagen des Verwaltungsrechts, in: Deutsche Juristen-Zeitung 39 (1934), Sp. 1474–1476. 857 Das Zitat stammt offenbar aus einem Brief Fischers an Huber, der nicht überliefert ist. 858 Ein Aufsatz mit diesem Titel erschien – möglicherweise wegen seiner Länge – allerdings nicht in der „Deutschen Juristen-Zeitung“. Ernst Rudolf Huber, Das 855

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Staatsführung und Volksführung, Souveränität und Führung, Gesetzgebung und Führung, Kommandogewalt, Diktaturgewalt, Gerichtsgewalt u. ä. Mir liegt an dem Aufsatz[,] weil er die Untersuchung über die Einheit der Staatsgewalt859 systematisch fortsetzt. Vielleicht veranlassen Sie Herrn Lohmann, mir Ihre Meinung über dieses Thema bald mitzuteilen. – Die Besprechung der Schrift von Maunz wird in diesen Tagen an Herrn Lohmann gehen. Mit Herrn Dahm habe ich wegen eines Aufsatzes gesprochen. Er ist im Augenblick mit der Erfüllung anderer Verbindlichkeiten voll besetzt, hofft aber bald wieder für die DJZ schreiben zu können. | Herr Lange verhandelt mit dem Verleger Siebeck über eine Grundrißreihe, und Siebeck hat Dahm und mich aufgefordert, die Reihe zusammen mit Lange herauszugeben860. Herr Dr. Fickel hat ähnlich[e] Pläne für die Hanseatische Verlagsanstalt. Ich halte für diese Aufgabe Siebeck für geeigneter und will morgen mit Herrn Ziegler die Sache einmal durchsprechen. Vor allem aber liegt mir daran, Ihre Meinung über diese Frage zu hören. Ich bin an sich an Grundrißen und Lehrbüchern persönlich garnicht interessiert; sie sind für den Autor nur eine ungeheure Belastung. Aber ich fürchte, daß wir uns dieser so außerordentlich wichtigen Aufgabe nicht entziehen können. Ihnen und Frau Schmitt herzliche Grüße, auch von meiner Frau[.] Heil Hitler! Ihr sehr ergebener

Nr. 114 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 30.10.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Steglitz, / Schillerstr. 2“, Adresse: „Herrn Professor / Dr. Ernst Rudolf Huber / Kiel. / Hansastr. 79.“

30. Oktober 1934. Lieber Herr Huber! Gestern wurde mir erzählt, daß Sie das Buch von Fritz Sc h u l z 861 über „Die Prinzipien des römischen Rechts“ Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 95 (1935), S. 202–229. Er sandte ihn Schmitt „mit herzlichen Grüßen“. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 27117. 859 Der Aufsatz mit diesem Titel war 1934 in der „Deutschen Juristen-Zeitung“ erschienen. 860 Siebeck an Huber, 25.1.1934. Staatsbibliothek Berlin, Nachlass 488, Verlagsarchiv Mohr-Siebeck, Kasten 477.

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als vorzüglich gerühmt hätten862. Da wir in der Deutschen Juristen-Zeitung einen Aufsatz [über der Zeile: von Lange] über dieses Buch bringen wollen863, wäre ich Ihnen für eine authentische Mitteilung dankbar. Heil Hitler! herzlich Ihr Carl Schmitt.

Nr. 115 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 31.10.1934 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6264, Durchschlag: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Professor Dr. Ernst Rudolf Huber / Kiel, den / Hansastr. 79“, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Berlin-Steglitz“

den 31. Okt. 1934 Hochverehrter Herr Staatsrat! Wie ich höre, ist Ihnen von irgend einer Seite berichtet worden, ich hätte mich über das neue Buch von Fritz Schulz „sehr positiv“ geäussert. Ich möchte nicht verfehlen, diesem Bericht sofort mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten. Ich habe das Buch von Fritz Schulz überhaupt nicht gelesen, ja nicht einmal in der Hand gehabt; schon deshalb ist es ausgeschlossen, daß ich es anerkennend beurteilt habe. Wahrscheinlich habe ich gelegentlich einmal im Gespräch darauf hingewiesen, wie gefährlich es ist, daß wir uns in einer furchtbaren Kleinarbeit verzetteln, während Leute wie Schulz „dicke Bücher“ schreiben (ich weiß aber, wie gesagt, nicht, ob das Buch dick ist)864. Eine solche Aeusserung, wie Sie sie ja schon auf der Gaufachberatertagung im Juni getan haben, ist natürlich das Gegenteil einer positiven Anerkennung. Die Besorgnis, die wir alle teilen, ist angesichts des Schulz’schen Buches allerdings besonders 861 Fritz Schulz (1879–1954) lehrte seit 1923 in Bonn und seit 1931 Römisches Recht in Berlin, wurde 1934 aber nach Frankfurt versetzt und ein Jahr später zwangsweise emeritiert. 1939 emigrierte er nach England. Schmitt kannte ihn aus der Bonner Zeit. Wolfgang Ernst, Schulz, Fritz, in: Neue Deutsche Biographie 29 (2007), S. 714 f. 862 Fritz Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, München 1934. 863 Heinrich Lange, Deutsche Romanistik? Grundsätzliche Bemerkungen zu Fritz Schulz „Prinzipien des römischen Rechts“, in: Deutsche Juristen-Zeitung 39 (1934), Sp. 1493–1500. 864 Schulz’ Buch umfasste 188 Seiten.

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begründet, da es, wie ich vielfach gehört habe, sehr geschickt und bestechend geschrieben sein soll. Ich selbst habe mir, wie erwähnt, ein Urteil noch nicht bilden können. Mit besten Grüßen! Heil Hitler! Ihr sehr ergebener Ernst Rudolf Huber

Nr. 116 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 2.11.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Motiv auf der Rückseite: Plettenberg Blick ins Lennetal, Adresse: „Herrn Professor / D: E. R. Huber / Kiel / Hansastr. 79.“

2.11.34 L.[ieber] H.[err] H.[uber] besten Dank für Ihre Mitteilung betr. das Buch von F.[ritz] Sch.[ulz]. Damit ist auch meine (inzwischen bei Ihnen wohl eingetroffene) Anfrage865 beantwortet. Das Gerücht wurde von einer nicht zu ignorierenden Seite an mich herangebracht. Daher mein Interesse an der schnellen Aufklärung, für die ich Ihnen sehr danke und die notwendig war. Ist das 1. Heft Ihrer Zeitschrift schon erschienen? Wir sind alle sehr gespannt. Herzliche Grüße Ihnen und Ihrer Frau, alles Gute und Heil Hitler! Stets Ihr Carl Schmitt

Nr. 117 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 2.11.1934 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6265, Durchschlag: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Professor Dr. Ernst Rudolf Huber / Kiel, den / Hansastr. 79“, handschriftliche Notizen von Schmitt

den 2. November 1934 Sehr verehrter Herr Staatsrat! Ihren Brief vom 30. Oktober erhielt ich vorgestern abend, nachdem ich Ihnen bereits am Vormittag wegen des Buches von Fritz Schulz geschrieben hatte. 865

Siehe Brief Nr. 114.

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Für Ihre Karte von gestern danke ich Ihnen bestens. Es war mir angenehm, daß ich Gelegenheit hatte, dieser Mißdeutung sofort entgegenzutreten. Das erste Heft der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft soll heute die Druckerei verlassen; es wird Ihnen sofort nach dem Erscheinen zugehen. Ich bin nun bei der Vorbereitung des zweiten Heftes und bitte Sie, mir mitzuteilen, bis wann ich das Manuskript Ihres Aufsatzes über den Rechtsstaat erhalten kann. Herr Lohmann schrieb mir, daß Sie den Aufsatz über das Staatsoberhaupt, den ich Ihnen für die DJZ anbot, aufnehmen wollen. Ich hoffe[,] im Lauf der nächsten Woche den Aufsatz an Lohmann absenden zu können. Ich schrieb Ihnen vor einigen Wochen über die von Herr[n] Siebeck geplante Grundrißreihe. Auch die Hanseatische Verlagsanstalt interessiert sich jetzt für diese Sache866. Herr Lange scheint mit Siebeck zu einer festen Vereinbarung gekommen zu sein867. Dahm und ich wollen erreichen, daß unsere Gruppe auch hier geschlossen bleibt868. Siebeck will in der nächsten Woche nach Kiel kommen. Mit den besten Grüßen! Heil Hitler! Ihr sehr ergebener Ernst Rudolf Huber

Nr. 118 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 1.12.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat Professor Carl Schmitt / Berlin-Steglitz, / Schillerstr. 2“, Adresse: „Herrn / Professor Dr. Huber / Kiel / Hansastrasse“

Lieber Herr Huber! In der unmässigen Arbeit der letzten Wochen bin ich leider nicht dazu gekommen, Ihnen den lang geplanten und oft hinausgeschobenen Brief zu 866 Bei der Hanseatischen Verlagsanstalt erschienen die „Grundrisse der Rechtsund Wirtschaftswissenschaft“, die Dahm, Eckhardt und Huber herausgaben. 867 Die „Grundrisse des deutschen Rechts“ bei Mohr-Siebeck wurden von den beiden Zivilrechtlern Heinrich Stoll und Heinrich Lange herausgegeben. 868 Eine letzte Einladung Siebecks an Bente, Dahm, Huber, Larenz, Michaelis und Predöhl zu einer Besprechung über eine Reihe „Grundrisse des deutschen Rechts“ erfolgte am 15.12.1934. Staatsbibliothek Berlin, Nachlass 488, Verlagsarchiv Mohr-Siebeck, Kasten 477.

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schreiben, den ich Ihnen schulde. Auch heute muß ich mich leider mit einigen Sätzen begnügen. Ich hatte immer gehofft, Sie in Berlin zu treffen, weil sehr viel zu besprechen ist. Werden Sie vor dem 20. Dezember noch einmal hierherkommen? Zunächst muß ich Ihnen meinen Dank für den Aufsatz869 und das ganze erste Heft Ihrer „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“ aussprechen. Ihr Aufsatz ist sehr bedeutend und eine ausgezeichnete Generalstabskarte für die künftige Arbeit. Hoffentlich fehlt es jetzt nicht [an] der weiteren Ausarbeitung. Ich selber bin noch nicht zur Ausarbeitung des versprochenen Aufsatzes über den Rechtsstaat gekommen. Das Material häuft sich immer mehr. Eine kleine, für ihre Zeitschrift nicht geeignete, mehr für den Praktiker berechnete Zusammenfassung hat mir Frank für das Handwörterbuch der NSDAP abgenommen870. Ich sehe immer mehr, welche Schande es für unsere Wissenschaft ist, daß sich die bisherigen Erörterungen im Broschürenstil Koellreutters bewegten; ihm fehlt ja nicht nur das einfachste geschichtliche Bewußtsein der Zusammenhänge, sondern im Vergleich zu dieser traurigen Schwätzerei ist Richard Thomas Aufsatz aus dem Jahre 1910871 eine bedeutende und ernsthafte Leistung. Bis wann müssen Sie das Manuskript des versprochenen Aufsatzes haben? | Zu den vielen Arbeiten, mit denen ich befaßt werde, ist Anfang dieser Woche noch hinzugekommen, daß mich mein Adjutant Bung872 im schlimmsten Augenblick der Vorbereitung unserer Tagung873 im Stich gelassen hat. Auch die DJZ macht mir sehr viel Mühe. Der Kampf mit den internen Schwierigkeiten ist fürchterlich und aufreibend. Was halten Sie von dem letzten Heft der DJZ, insbesondere von dem Aufsatz874 von Wieacker?875 869 Ernst Rudolf Huber, Die deutsche Staatswissenschaft, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 95 (1935), S. 1–65. 870 Carl Schmitt, Der Rechtsstaat, in: Hans Frank (Hg.), Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung, München 1935, S. 24–32. 871 Richard Thoma, Rechtsstaatsidee und Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts 4 (1910), S. 196–218. 872 Hubertus Bung (1908–1981) war Assistent Schmitts beim NS-Rechtswahrerbund und wurde 1934 Rechtsanwalt und Notar. 873 Gemeint war die Tagung zur juristischen Studienreform am 20. und 21.12.1934 in Berlin. Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, S. 196–198. 874 Franz Wiecker, Zum Wandel der Eigentumsverfassung, in: Deutsche JuristenZeitung 39 (1934), Sp. 1446–1450. Es handelt sich um Heft 23 vom 1.12.1934. 875 Franz Wieacker (1908–1994) wurde 1939 Professor für Römisches Recht in Leipzig. Nach dem Krieg lehrte er in Freiburg und Göttingen. Huber widmete ihm 1963 den dritten Band seiner „Deutschen Verfassungsgeschichte“. Okko Behrends/ Eva Schumann (Hg.), Franz Wieacker – Historiker des modernen Privatrechts, Göttingen 2010.

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Das nächste Heft wird wegen unserer Tagung überwiegend ein Professorenheft876. Ich höre, daß Ihr neuer Kieler Kollege Michaelis mit einer interessanten Arbeit über den geschichtlichen Einfluß theologischer Dogmatik auf die Rechtswissenschaft beschäftigt ist. Könnten Sie ihm nicht zureden, daß er sie in unserer Schriftenreihe veröffentlicht?877 Ich wäre Ihnen dafür sehr dankbar. Ich selber will ihm auch in diesem Sinne schreiben. Wieacker möchte ich auch um eine Broschüre über das Thema seines DJZ-Aufsatzes bitten878. Herzliche Grüße an Sie und Ihre Frau und Heil Hitler! Stets Ihr Carl Schmitt.

Nr. 119 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 2.12.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

2/12 34. Lieber Herr Huber! W. Heinrich schickt mir eine Abschrift seiner Korrespondenz mit G. Fischer, sowie den Zettel mit der Richtigstellung des Vorwurfs „demokratischer Marxist“879. Bitte teilen Sie mir mit, wie die Sache jetzt steht. Heinrich schreibt mir, wir stünden doch in einer gemeinsamen Kampffront und müßten solche Differenzen überwinden.

876

Deutsche Juristen-Zeitung 39 (1934), Heft 24 vom 15.12.1934, Sp. 1489– 1552. Von insgesamt zehn Abhandlungen des Heftes stammten allerdings nur drei von Professoren, nämlich von Heinrich Lange, Paul Gieseke und dem Honorarprofessor Werner Pinzger. 877 Gemeint sein könnte: Karl Michaelis, Wandlungen des deutschen Rechtsdenkens seit dem Eindringen des fremden Rechts, in: Karl Larenz (Hg.), Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft, Berlin 1935, S. 9–61. Es handelte sich um einen Beitrag in dem Sammelwerk, an dem alle Hochschullehrer der Kieler Schule (Dahm, Huber, Larenz, Michaelis, Schaffstein, Siebert) teilnahmen. 878 Franz Wieacker, Wandlungen der Eigentumsverfassung, Hamburg 1935 (= Der deutsche Staat der Gegenwart, 13). 879 Ein Schreiben von Walter Heinrich an Carl Schmitt ist im Nachlass von Schmitt nicht überliefert.

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Herzliche Grüße und Heil Hitler! Stets Ihr Carl Schmitt. Wie finden Sie Forsthoffs Aufsatz im „Volkstum“?880

Nr. 120 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 4.12.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt / Berlin-Steglitz / Schillerstr. 2“

4. Dezember 1934 Hochverehrter Herr Staatsrat! Sehr herzlich danke ich Ihnen für Ihre Briefe vom 1. und 2. d. Ms. Insbesondere danke ich Ihnen für Ihre freundlichen Worte über meinen Aufsatz. Daß Sie ihn als „Generalstabskarte“ bezeichnen, empfinde ich als eine große Ehre. Selbstverständlich bin ich mir bewußt, wieviel unbekanntes und unerforschtes Gebiet noch innerhalb der vorbereitenden Kartenskizze liegt. Da ich weiß, wie stark Sie mit dringenden Arbeiten überladen sind, habe ich Sie wegen des Aufsatzes über den „Rechtsstaat“ nicht gedrängt. Umso erfreuter bin ich zu hören, daß Sie an dem Aufsatz arbeiten konnten. Es wäre herrlich, wenn ich den Aufsatz noch rechtzeitig für das zweite Heft der Zeitschrift bekommen könnte. Ich müßte das Manuskript dann allerdings bis zum 15. Dezember haben. Das Heft soll im Januar erscheinen. Sollten Sie bis zum 15. Dezember mit dem Aufsatz nicht fertig werden, so müßte ich Sie bitten, den Aufsatz für das dritte Heft der Zeitschrift zur Verfügung zu stellen, das im Frühjahr erscheinen soll. Ich halte aber an der Hoffnung fest, daß Sie den Aufsatz noch für das zweite Heft abschließen können. Leider bin ich hier so in Anspruch genommen, daß ich vor dem 20. Dezember nicht nach Berlin kommen kann. Vielleicht ergibt sich während der Sitzungen881 doch eine Gelegenheit zu einer ruhigen Unterhaltung. Von Lohmann werden Sie gehört haben, daß ich ihm einen Aufsatz für die DJZ 880 Ernst Forsthoff, Über Gerechtigkeit, in: Deutsches Volkstum 16 (1934), S. 969–974. 881 Während der Tagung über die juristische Studienreform.

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geschickt hatte882, den er mir wegen des großen Umfangs aber zurückgeben mußte. Es tat mir leid, daß dieser Versuch, Sie bei der Zeitschrift zu unterstützen, mißlang. Mich beschäftigt jetzt | sehr die „Zulässigkeit des Rechtswegs“. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich darüber schreiben883. Den Aufsatz von Wieacker über die „Eigentumsverfassung“ finde ich ausgezeichnet884. Es ist sehr erfreulich, daß ein Romanist in dieser Weise auf dem Weg zum konkreten Denken ist. Für wenig glücklich halte ich allerdings den Ausdruck „Rechtszuständigkeit“ oder „Sachzuständigkeit“, den er für das Eigentum gebraucht. Ein in besonderem Maße materieller Begriff wird dabei durch eine formelle Bezeichnung umschrieben. Aber dieser Schönheitsfehler stellt den Wert des Aufsatzes nicht in Frage. Wir möchten übrigens Wieacker gerne mit einem Lehrauftrag nach Kiel haben885, und ich hatte, noch bevor ich den Aufsatz las, deswegen an Eckhardt geschrieben886. Mit Michaelis will ich gerne wegen der Veröffentlichung seiner Broschüre in Ihrer Schriftenreihe887 sprechen. Eine große Schwierigkeit besteht darin, daß der Verlag Junker und Dünnhaupt888 im Juni 1933 Verträge mit Larenz, Dahm, Michaelis und mir über die Veröffentlichung von Broschüren geschlossen hat. Die Arbeiten sollten schon im letzten Frühjahr erscheinen, und wir befinden uns seither im Verzuge. Nun bestehen Junker und Dünnhaupt auf der Vertragserfüllung, und Larenz, Dahm und Michaelis wollen im nächsten Frühjahr schreiben, während ich mich noch bemühe, eine Frist bis 1936 zu erhalten889. Der Verlag Gustav Fischer hat mir eine Richtigstellung angeboten890, mit der ich mich nicht einverstanden erklären konnte, weil sie in versteckter Form die ursprüngliche Behauptung zum Teil aufrecht erhält. Ich habe nun selbst eine Berichtigung entworfen, die meinem Anspruch genügen würde. Den Text lege ich zu Ihrer Information bei891. Eine Antwort darauf habe 882

Es ist unklar, um welchen Aufsatz Hubers es sich gehandelt haben könnte. 1936 veröffentlichte Huber einen Aufsatz zum Thema. Ernst Rudolf Huber, Die Zulässigkeit des Rechtsweges im Schallplattenprozeß, in: Deutsche Juristen-Zeitung 41 (1936), Sp. 995–1001. 884 Franz Wieacker, Eigentumsverfassung, in: Deutsche Juristen-Zeitung 39 (1934), Sp. 1446–1451. 885 Wieacker lehrte für zwei Gastsemester in Kiel. 886 Der Brief ist nicht überliefert. 887 Der deutsche Staat der Gegenwart. 888 Ein 1927 in Berlin von Paul W. Junker und Rudolf Dünnhaupt gegründeter konservativ-revolutionär ausgerichteter Verlag. 889 Siehe unten Anm. 1016. Die einzelnen Beiträge des 1935 publizierten Sammelwerks über „Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft“ erschienen auch als Broschüren. 890 Ein entsprechendes Schreiben ist nicht überliefert. 883

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ich noch nicht erhalten. Daß wir in einer „gemeinsamen Kampffront“ stehen, hätte Herrn Heinrich früher auffallen müssen. Aber ich bin durchaus zufrieden, wenn er jetzt die Konsequenzen aus seiner späten Einsicht zieht. Sie wissen, daß ich | nicht rachsüchtig bin, sondern gerne dazu beitrage, solche Affären zu überwinden. In einem Ihrer früheren Briefe fragten Sie nach dem Kieler Assistenten Dernedde892, der in der Juristischen Wochenschrift einen Aufsatz über „Staatslehre als Wirklichkeitswissenschaft“ geschrieben hat. Dernedde ist Assistent von Poetzsch-Heffter893 am Institut für Staatsforschung. Er ist begabt und kenntnisreich, aber auch anmaßend und noch etwas unerzogen. Aber ich habe die Hoffnung, daß aus ihm noch einmal etwas wird. Mit den besten Grüßen an Sie und Ihre verehrte Gattin Heil Hitler! Ihr sehr ergebener

Nr. 121 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 10.12.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Steglitz, / Schillerstr. 2“

10. XII. 1934. Lieber Herr Huber! In der Sache Walter Heinrich gebe ich Ihnen recht. Ich hoffe, daß sie bald in Ordnung kommt. Frau Othmar Spann894 war hier und hat eingehend mit mir darüber gesprochen. Ich freue mich darauf, Sie anläßlich unserer Tagung zu sehen; vielleicht können Sie über den Sonntag in Berlin bleiben. Leider habe ich den Aufsatz über den „Rechtsstaat“ noch nicht fertig bekommen. Ich fürchte, daß ich auch in den Weihnachtsferien bestenfalls nur 891

Die Beilage fehlt. Carl Dernedde (geb. 1909) studierte Rechtswissenschaft in München und Kiel. Er war 1934 Fakultätsassistent und Assistent am Institut für Staatsforschung, zunächst in Kiel, später in Berlin. 1938 wurde er mit einer Arbeit über das Thema „Ämterverbindungen“ bei Huber promoviert. 893 Fritz Poetzsch-Heffter (1881–1935) war seit 1932 Professor in Kiel und Leiter des Instituts für Staatsforschung. Er verstarb an den Folgen eines Autounfalls. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 280. 894 Die Schriftstellerin Erika Spann-Rheinsch (1880–1967) war in zweiter Ehe seit 1906 mit Othmar Spann verheiratet. 892

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einige Seiten schreiben kann. Vielleicht gelingt es mir aber, in einfachen und klaren Thesen etwas Klärung zu schaffen und den Dilletanten wenigstens ihr gutes Gewissen zu nehmen. Ich schicke Ihnen ein in der „Danziger Juristenzeitung“ abgedrucktes Gutachten mit einer Entscheidung des Danziger Obergerichts895, die Sie vielleicht an die Weimarer Zeiten erinnert. Michaelis hat mir geschrieben896. Bitte sagen Sie ihm lieber nichts mehr in der Angelegenheit seiner Publikationspläne. Eine Hauptfrage der Studienreform wird die Grundrisse betreffen. Ich sehe, daß alle jungen Professoren bereits bis an die Ohren dem Pluralismus der Verleger verfallen und „gebunden“ sind897. Meinetwegen. Man wird auch dieses Zwischenstadium überwinden. Auf Wiedersehen! Viele herzliche Grüße und Heil Hitler! Stets Ihr Carl Schmitt.

Nr. 122 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 16.12.1934 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6266, Durchschlag: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Professor Dr. Ernst Rudolf Huber / Kiel, den / Hansastr. 79“, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Berlin-Steglitz / Schillerstr. 2“

16. Dezember 1934 Hochverehrter Herr Staatsrat! Haben Sie sehr herzlichen Dank für Ihren freundlichen Brief und für Ihr interessantes Gutachten aus der Danziger Juristenzeitung. Daß das Danziger Obergericht die Lehre von der institutionellen Garantie anerkannt hat, ist ein schöner Erfolg und auch sachlich ein großer Gewinn. Ich glaube, daß diese Lehre auch in unserem neuen Staatsrecht ihre große Bedeutung hat, weil das Wesentliche an ihr ja nicht die „Garantie“[,] sondern die „Institution“ ist. 895 Carl Schmitt, Die Verfassungsmäßigkeit der Einsetzung von Staatskommissaren, in: Danziger Juristen-Zeitung 13 (1934), Nr. 11 vom 25. November 1934, S. 113–116. 896 Der Brief von Michaelis an Schmitt ist nicht überliefert. 897 Anspielung auf eine Verpflichtung, in bestimmten Zeitschriften oder Schriftenreihen zu veröffentlichen.

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Vielmals danke ich Ihnen auch für das Interesse, das Sie an meinem Konflikt mit Herrn Walter Heinrich nehmen. Heute bekam ich einen Brief vom Verleger Gustav Fischer898, der mir mitteilt, daß Herr Heinrich es ablehnt, die Berichtigung in der von mir vorgeschlagenen Form zu bringen. Vielleicht kann ich in Berlin mit Ihnen noch einmal über diese Angelegenheit sprechen. Sehr dankbar bin ich Ihnen vor allem dafür, daß Sie den Aufsatz über den „Rechtsstaat“ während der Weihnachtsferien abschließen wollen. Wir werden das zweite Heft dann natürlich noch etwa[s] hinausschieben, damit Ihr Aufsatz noch aufgenommen werden kann. Mittwoch Abend komme ich nach Berlin; ich habe vor, bis Sonnabend einschließlich dort zu bleiben899. Neben anderen Angelegenheiten möchte ich mit Ihnen einige Personalfragen unserer Fakultät besprechen. Es scheint, daß Herr Poetzsch-Heffter nun bereit ist, Kiel zu verlassen900, und Eckhardt hat uns vor einigen Tagen aufgefordert, über die Nachfolge zu beraten. Wir haben Eckhardt – zunächst inoffiziell – Werner Weber901 | vorgeschlagen. Ich habe diesen Vorschlag angeregt in Erinnerung an die Unterhaltung, die wir Anfang September über Weber hatten. Es wäre ein großer Vorteil für die Universität, wenn Weber beim Neuaufbau der Hochschule eingesetzt werden könnte, und ich halte es für eine Pflicht der Kieler Fakultät, ihm den Weg für einen schnellen und wirksamen Einsatz zu bahnen. Ich wäre sehr erfreut, wenn Sie unseren Vorschlag gutheißen und unterstützen würden. Wir haben ferner beantragt, Wieacker, Freiburg, mit einem Lehrauftrag nach Kiel zu schicken902. Ich hoffe sehr, daß Sie uns auch in diesem Punkte helfen werden. Mit den besten Grüßen Heil Hitler! Ihr stets ergebener Ernst Rudolf Huber

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Dieser Brief ist nicht überliefert. Geplant war ein Aufenthalt zwischen Mittwoch, dem 19.12., und Sonnabend, dem 22.12.1934. 900 In Aussicht stand die Berufung von Poetzsch-Heffter nach Leipzig. Koenen, S. 663 f. 901 Weber trat aber die Nachfolge von Schmitt an der Berliner Handelshochschule an. 902 Wieacker lehrte 1935/36 zwei Semester als Gastdozent an der Universität Kiel, bevor er 1936 als planmäßiger außerordentlicher (und 1939 ordentlicher) Professor nach Leipzig wechselte. 899

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Nr. 123 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 27.12.1934 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Steglitz, / Schillerstr. 2“

den 27. Dez. 1934. Lieber Herr Huber! Hier schicke ich Ihnen das versprochene Manuskript903. Die vielen Korrekturen werden Sie erschrecken, aber nach meinen Erfahrungen mit den vortrefflichen Setzern des Verlages Mohr ist ein solcher Zustand eines Manuskripts immer noch tragbar. Schlimmer wäre es, wenn sich die fürchterliche Eile und Hetze, in der dieser kleine Aufsatz entstanden ist, an der gedanklichen und sprachlichen Qualität bemerkbar gemacht hätten. In diesem Falle, über den Sie besser entscheiden können als ich, schicken Sie mir das Opus einfach zurück. Ich nähme es wirklich nicht übel. Daß ich vor dem Schluß dieses ereignisreichen Jahres noch einen ganzen Abend mit Ihnen plaudern und mich besprechen konnte, war für mich eine große Erholung. Die innere Anstrengung des Berliner Kampfes ist härter, als man zeigen kann, und die Art der Erholung wird ebenfalls anders, als bei einer etwas menschlicheren Art der Arbeit. Es gibt in Berlin unter den hundert interessanten Leuten[,] die ich kenne[,] nicht einmal drei, mit denen ich einen so erquickenden Abend verbringen könnte, wie den von vorigen Samstag. Für das kommende Jahr sage ich Ihnen und Ihrer Frau von Herzen meine besten Wünsche. Auch Frau Schmitt läßt herzlich grüßen und ihre Wünsche übermitteln. Ich hoffe, daß wir in dem kommenden Jahr, das sicher Mancherlei bringen wird, gute Kameraden und Bundesgenossen bleiben. Heil Hitler! Stets Ihr alter Carl Schmitt.

903 Carl Schmitt, Was bedeutet der Streit um den „Rechtsstaat“? In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 95 (1935), S. 189–201.

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Nr. 124 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 30.12.1934 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6267, Durchschlag: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Professor Dr. Ernst Rudolf Huber / Kiel, den / Hansastr. 79“, Adresse: „Herrn / Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt / Berlin-Steglitz / Schillerstr. 2“

30. Dezember 1934 Hochverehrter Herr Staatsrat! Sehr herzlich danke ich Ihnen für Ihren freundlichen Brief vom 27. Dezember. Mir war es eine große Freude, nach dem Abschluß der interessanten und im Ganzen doch erfreulichen und erfolgreichen Tagung der Hochschullehrer mit Ihnen zusammen sein zu dürfen. So stark die Tagung selbst uns noch einmal die ganze Schwere der Aufgabe, vor der wir stehen, bewußt werden ließ, so zeigte doch ihr Ergebnis und noch stärker das Gespräch, das ich mit Ihnen führen durfte, daß wir in diesem Jahr des Aufbaus einen Schritt voran gekommen sind und daß die Staatswissenschaft nicht zurückstehen wird, wenn der Staat selbst im nächsten Jahre in den entscheidenden Abschnitt des Kampfes eintritt. Alle Anfeindungen und Widerwärtigkeiten, denen Sie ausgesetzt sind, können nicht darüber täuschen, daß ohne Ihr Werk das Rüstzeug und die geistigen Losungsworte fehlen würden, mit denen die Staatswissenschaft unserer Epoche ihren Kampf führen wird. Haben Sie vor allem Dank für Ihren großartigen Aufsatz, der den Streit um den „Rechtsstaat“ in das Feld einer wirklich wissenschaftlichen Auseinandersetzung erhoben hat. Es ist ein Glück und eine Ehre für unsere Zeitschrift, daß sie bei Beginn des Jahres 1935 diesen Aufsatz bringen kann. Ich habe das Manuskript hier noch einmal abschreiben lassen, weil ich zu den Setzern in Tübingen nicht ganz das Vertrauen habe wie Sie. Ich habe selbstverständlich selbst sorgfältig geprüft, | daß keine Fehler unterlaufen sind. Das Heft wird Ende Januar erscheinen und damit noch rechtzeitig vor dem verfrühten Semesterende904 herauskommen. Ueber die Studienordnung habe ich gestern Abend noch einmal eingehend mit Eckhardt gesprochen. Er will es bei den Namen „Verfassungsgeschichte der Neuzeit“, „Verfassung“ und „Verwaltung“ lassen. Für die Verfassung hat er eine Stunde mehr als bisher vorgesehen eingesetzt, nämlich 4–5 Stunden905. Ich glaube, wir können damit zufrieden sein. Wir haben gestern vor allem auch über den Nachfolger Eckhardts hier in Kiel verhandelt. Da wir uns weder für Wohlhaupter906 noch für Thieme907 904 Das übliche Ende des Wintersemesters Mitte Februar war offenbar vorverlegt worden. 905 Eckhardt, Studium.

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entschließen konnten, sind wir schließlich darauf gekommen, zu prüfen, ob man nicht Lintzel908 aus Halle, obwohl er nicht Jurist ist, berufen könnte. Der Eckhardtsche Lehrstuhl ist ausschließlich für germanische Rechtsgeschichte bestimmt, und dieses Fach könnte Lintzel nach unserer Ansicht in vollem Umfang vertreten. Noch schwieriger ist für uns die eventuelle Nachfolge Poetzsch-Heffter. Nachdem Weber ausgeschieden ist, bleiben praktisch nur noch Maunz und Forsthoff verfügbar. (Höhn909 kann man von Heidelberg nicht schon wieder wegnehmen). Bei der Wahl zwischen Maunz und Forsthoff neigt unsere Fakultät trotz der Bedenken, die wir alle in stärkstem Maße teilen, dazu, Forsthoff den Vorzug zu geben. Zu einem endgültigen Beschluß sind wir jedoch noch nicht gelangt. Der Plan der Grundrißreihe steht nun ziemlich fest910. Ich habe noch einige Verhandlungen zu führen und werde, wenn diese abgeschlossen sind, Ihnen eine Uebersicht zusenden. Für Ihre freundlichen Wünsche zum Neuen Jahr danken meine Frau und ich Ihnen und Frau Schmitt sehr herzlich. Wir erwidern Ihre Wünsche von Herzen. Mit den besten Grüßen Heil Hitler! Ihr dankbar ergebener Ernst Rudolf Huber 906 Eugen Wohlhaupter (1900–1946) lehrte in Kiel Deutsche Rechtsgeschichte. Hans Hattenhauer (Hg.), Rechtswissenschaft im NS-Staat. Der Fall Eugen Wohlhaupter, Heidelberg 1987 (= Motive – Texte – Materialien, 45). 907 Hans Thieme (1906–2000) lehrte Deutsche Rechtsgeschichte seit 1938 in Breslau und seit 1940 in Leipzig. Nach dem Krieg war er in Göttingen und Freiburg tätig. http://www.uni-leipzig.de/unigeschichte/professorenkatalog/leipzig/Thieme_546/ (28.5.2014). 908 Martin Lintzel (1901–1955) lehrte zunächst als Dozent mittelalterliche Geschichte in Halle, 1935/36 vorübergehend in Kiel, danach wieder in Halle. Er nahm sich das Leben. http://www.historikertag2002.uni-halle.de/halle_geschichte/lintzel. shtml (28.5.2014). 909 Reinhard Höhn (1904–2000) habilitierte sich 1935 in Heidelberg und leitete anschließend das Institut für Staatsforschung in Berlin. Er gehörte dem Sicherheitsdienst der SS an. Seit 1956 leitete er die einflussreiche Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft in Bad Harzburg. Michael Wildt, Der Fall Reinhard Höhn. Vom Reichssicherheitshauptamt zur Harzburger Akademie, in: Alexander Gallus/ Axel Schildt (Hg.), Rückblickend in die Zukunft. Politische Öffentlichkeit und intellektuelle Positionen in Deutschland um 1950 und um 1930, Göttingen 2011 (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, 48), S. 254–271. 910 In zwei Unterreihen A und B erschienen bis 1944 etliche Bände zu einzelnen Rechtsgebieten im Verlag der Hanseatischen Verlagsanstalt.

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Nr. 125 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 3.3.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Steglitz, / Schillerstr. 2“

3. März 1935. Lieber Herr Huber, Herr Höhn sagte mir, daß sein für Ihre Z.[eitschrift für die] ges.[amte] Staatsw.[issenschaft] bestimmter Aufsatz über die Rechtsgemeinschaft zu lang geraten sei; er will ihn als Broschüre in meiner Reihe veröffentlichen und Sie um Ihre Zustimmung bitten911. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß die Entscheidung natürlich nur bei Ihnen liegt und ich mich auch nicht mit einem Wunsch darin einmische. Ihr Aufsatz über das Staatsoberhaupt ist sehr gut; nur glaube ich nicht, daß Art. 48 weitergelten kann, ohne daß die W.[eimarer] Verf.[assung] weiter gilt [am linken Rand: Die Wahrheit von Luk 5.36912 tritt in dem Aufsatz nicht genug hervor.]; auch ist das Wort Staatsoberhaupt ein nicht ungefährlicher Allgemeinbegriff. Die staatsrechtliche Deutung des 30. Juni 1934913 ist der Prüfstein allen heutigen Staatsrechts914; der Gegensatz zwischen der rechtsstaatlichen Ministerialbürokratie und dem klaren Wort und Gedanken des Führers tritt hier geradezu herausfordernd zu Tage. Körner915, der Freund und Staatssekretär Görings916, sagte mir neulich, daß er den Aufsatz „Der Führer schützt das Recht“ erst jetzt Satz für Satz verstehe. Für Ihre beiden Aufsätze in der DJZ muß ich Ihnen ganz besonders herzlich danken917. Sie können nicht ahnen, welche Hilfe Sie mir dadurch in 911 So geschah es: Reinhard Höhn, Rechtsgemeinschaft und Volksgemeinschaft, Hamburg 1935 (= Der deutsche Staat der Gegenwart, 14). 912 Lukas 5, 36 lautet: „Niemand setzt einen Flicken von einem neuen Kleide auf ein altes Kleid; sonst wird er sowohl das neue zerschneiden, als auch der Flicken von dem neuen zum alten nicht passen wird.“ 913 Gemeint ist die juristische Einschätzung der Röhm-Morde. 914 Schmitts Meinung dazu: Carl Schmitt, Der Führer schützt das Recht. Zur Reichstagsrede Adolf Hitlers vom 13. Juli 1934, in: Deutsche Juristen-Zeitung 39 (1934), Sp. 945–950. 915 Paul Körner (1893–1957) war 1933 bis 1945 Staatssekretär von Hermann Göring und leitete für ihn das preußische Staatsministerium und die Vier-JahresplanBehörde. http://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919–1933/0000/adr/adrhl/ kap1_4/para2_221.html (28.5.2014). 916 Hermann Göring (1893–1946) war seit 1933 preußischer Ministerpräsident und Reichsminister für Luftfahrt. 1946 wurde er in den Nürnberger Prozessen verurteilt und hingerichtet. Alfred Kube, Pour le mérite und Hakenkreuz. Hermann Göring im Dritten Reich, München 1987.

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dem aufreibenden Kampf gegen Dilettantismus und Qualitätsfeindlichkeit geleistet haben. Mitte dieses Monats bin ich in Holland918; am 19. oder 20. März wieder zurück in Berlin. Könnten wir uns dann nicht anläßlich ihrer Grundrechte Tagung919 treffen? Darüber würde ich mich sehr freuen. Mit den besten Grüßen und Wünschen für Sie und Ihre Frau und mit Hitler Heil bleibe ich stets Ihr alter Carl Schmitt. Nr. 126 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 26.3.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Berlin-Steglitz / Schillerstr. 2“

26. März 1935 Hochverehrter Herr Staatsrat! Sehr habe ich bedauert, Sie neulich in Berlin nicht anzutreffen. Ich kam erst nach Ihrer Abreise nach Holland in Berlin an und mußte wegen meiner Dekanatsgeschäfte am 18. März wieder in Kiel sein. Nun werde ich nächste Woche, am 2. April, zum Festakt des Reichsjustizministeriums920 nach Berlin kommen, und ich würde mich sehr freuen, wenn ich Sie bei dieser Gelegenheit treffen könnte. Der Festakt ist Nachmittags um 3 Uhr; abends ist eine Festvorstellung im Opernhaus, an der ich teilnehmen möchte. Wenn ich Sie Dienstag Morgen aufsuchen könnte, so würde ich es so einrichten, daß ich Montag Abend in Berlin ankomme. Mittwoch früh muß ich unbedingt nach Kiel zurück. Hinsichtlich meines Aufsatzes über das Staatsoberhaupt möchte ich nur noch sagen, daß ich für den Ausdruck „Staatsoberhaupt“ nicht verantwort917

Ernst Rudolf Huber, Der Treuhänder der Arbeit, in: Deutsche Juristen-Zeitung 40 (1935), Sp. 202–210; ders., Das Reichsstatthaltergesetz vom 30. Januar 1935, in: ebd., Sp. 257–264. 918 Schmitt hielt auf Einladung der Studentenschaften Vorträge an den Universitäten Utrecht und Leiden sowie an der Handelshochschule Rotterdam. Mehring, S. 365 f. 919 Näheres über eine von Huber organisierte Tagung zum Thema „Grundrechte“ in Kiel oder Berlin war nicht zu ermitteln. Ausfluss der Tagung bzw. ihrer Vorbereitung war vermutlich der Aufsatz: Ernst Rudolf Huber, Die Rechtsstellung des Volksgenossen. Erläutert am Beispiel der Eigentumsordnung, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 96 (1936), S. 438–474. 920 Gemeint ist der Staatsakt in der Berliner Staatsoper aus Anlass der „Verreichlichung“ der Justiz am 2.4.1935. Gruchmann, Justiz, S. 121–123.

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lich bin. Auch Lukas 5.36 trifft nicht mich, sondern den Tatbestand der „legalen Revolution“, zu deren Wesen nun einmal die Rezeption „alter Kleider“ gehört. Mit besten Grüßen, sowie Empfehlungen an Frau Schmitt! Heil Hitler! Ihr sehr ergebener Nr. 127 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Goslar, 27.3.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Motiv auf der Rückseite: Goslar. Kaiserhaus Ulrichskapelle, Grab Kaiser Heinrichs III.921, Adresse: „Herrn / Professor Dr. E. R. Huber / Kiel / Hansastr. 79.“

Lieber Herr Huber, leider komme ich erst Dienstag, den 2. April, mittags von einer Reise zurück. An dem Festakt wollte ich auch teilnehmen, hoffentlich sehen wir uns dann und können nachher eine Stunde miteinander plaudern. Herzliche Grüße an Sie und Ihre Frau und auf Wiedersehn am Dienstag! Heil Hitler! stets Ihr 27.3.35.

Carl Schmitt

Nr. 128 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 6.4.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Steglitz, / Schillerstr. 2“, Adresse: „Herrn / Professor Huber / Kiel / Hansastrasse.“

den 6. April 1935. Lieber Herr Huber! Leider konnte ich am Dienstag nicht an dem Festakt im Opernhaus teilnehmen, weil ich noch im Rheinland festgehalten war. Ich hörte aber, dass Sie sich mit Eckhardt über das Wesentlichste einig geworden sind. Für Ihren Vortrag über den „Sinn der Verfassung“ danke ich Ihnen vielmals922. Er ist eine Ihrer besten Leistungen, wundervoll klar und sicher. Ich habe mich sehr darüber gefreut. 921 Heinrich III. (1017–1056) war seit 1046 deutscher Kaiser. In Goslar liegt Kaiser Heinrich II. (973/978–1024) begraben, der von 1002 bis 1024 regierte.

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Der Aufsatz, den der Verfassungshistoriker Hartung923 über meine Schrift „Staatsgefüge und Zusammenbruch“ im letzten Heft der historischen Zeitschrift veröffentlicht hat924, wird hier mit grossem Eifer verbreitet. Auf mich hat er keinen Eindruck gemacht; ich wundere mich nur, mit welcher perfekten Ahnungslosigkeit diese Historiker ihr eigenes Todesurteil aussprechen und vollziehen. Gerade die Schrift „Staatsgefüge und Zusammenbruch“ ist doch, wie Sie wissen, aus der intensivsten Beobachtung und Teilnahme an den geschichtlichen Ereignissen der letzten Jahre entstanden. Deshalb hatte ich vermutet, dass gerade ein Historiker den geschichtlichen Ernst einer solchen Schrift verstehen würde. Aber vielleicht verhält es sich eben umgekehrt und erscheint | diese Art von Beteiligung unseren Historikern instinktiv als etwas „unwissenschaftliches“ und sogar „ungebildetes“. Ueber die Schrift von Wieacker: „Wandlungen der Eigentumsverfassung“ habe ich mich ganz besonders gefreut925. Ich finde sie ungewöhnlich, hinreissend und ein bewundernswertes Zeichen einer vollen Begabung. Nächste Woche wollte ich verreisen926, Mitte Mai – nach einer Verabredung mit dem Staatssekretär Stuckart927 – eine Zusammenkunft über die Frage der Verwaltungsgerichtsbarkeit veranstalten928. Können Sie bis dahin eine gute Denkschrift über eine der Grundfragen dieses Problemkreises anfertigen? Etwa über den Begriff der Verwaltungsgerichtsbarkeit; oder die Ueberwindung der begrifflichen und organisatorischen Trennung von Justiz und Verwaltung; oder die Organisation einer vernünftigen Korrektur von Entscheidungen der Verwaltungsbehörden, ohne das bisherige liberale System der Verwaltungsgerichtsbarkeit? Werner Weber wollte ich die Behand922 Ernst Rudolf Huber, Vom Sinn der Verfassung. Rede, gehalten am 30. Januar 1935 anläßlich der Feier des Reichsgründungstages und des Tages der deutschen Revolution, Hamburg 1935. 923 Fritz Hartung (1883–1967) war Schüler des Historikers Otto Hintze und folgte diesem 1923 auf dem Lehrstuhl für Verfassungsgeschichte in Berlin, wo er bis 1949 lehrte. Werner Schochow, Ein Historiker in der Zeit. Versuch über Fritz Hartung (1883–1967), in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 32 (1983), S. 219–250. 924 Fritz Hartung, Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches, in: Historische Zeitschrift 151 (1935), S. 528–544. 925 Wieacker, Wandlungen. 926 Schmitt reiste am 12.4.1935 nach Italien und kehrte einen Monat später nach Berlin zurück. Mehring, S. 366. 927 Wilhelm Stuckart (1902–1953) war Staatssekretär nacheinander im preußischen, dann im Reichserziehungsministerium und seit 1935 im Reichsinnenministerium. Das NSDAP- und SS-Mitglied wurde im Wilhelmsstraßenprozess angeklagt und verurteilt. 1953 starb er bei einem Verkehrsunfall. Hermann Weiß (Hg.), Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, Frankfurt a. M. 1998, S. 452 f.; Grüttner, S. 171. 928 Die Tagung trug den Titel „Eigentum und Enteignung“. Mehring, S. 366.

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lung der Frage der Gerichtsbarkeit und der Körperschaften des öffentlichen Rechts vorschlagen. Ich habe früher schon einmal m[it] Ihnen darüber korrespondiert, muss aber fürchten, dass Ihr früherer Brief jetzt überholt ist. Geben Sie mir bitte bald Nachricht. Die Sache ist sehr wichtig und die Möglichkeit einer starken Einflussnahme sehr gross. Nach dem Aufsatz von Schelcher929 im Reichsverwaltungsblatt vom 16. März 1935930 und nach allen bisherigen Erfahrungen ist zu befürchten, dass die alten Praktiker des Verwaltungsrechts einfach die Ergebnisse ihrer Routine kodifizieren. Ich grüsse Sie und Ihre Frau herzlichst und wünsche Ihnen und Ihrer ganzen Familie alles Gute zum Osterfest931. Heil Hitler! Stets Ihr alter Carl Schmitt. Nr. 129 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 11.4.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Steglitz, / Schillerstr. 2“, Adresse: „Herrn / Professor Dr. Huber / Kiel / Hansastr. 79“

den 11. April 35. v. M[edem]932 /Ja. Sehr geehrter Herr Professor, am Mittwoch, dem 15. Mai d. J. vormittags[,] ist im Rahmen der Akademie für Deutsches Recht eine Beratung über die Fragen der künftigen Verwaltungsordnung, insbesondere der Verwaltungsgerichtsbarkeit geplant933, an der eine Reihe besonderer Sachkenner des Verwaltungsrechtes teilnehmen werden. 929 Herbert Schelcher (1883–1946), bis 1945 Präsident des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, wurde 1946 in Haft genommen, in der er verstarb. 930 Herbert Schelcher, Auf dem Wege zur Einheit des Verwaltungsrechts, in: Reichsverwaltungsblatt 56 (1935), S. 205–212. 931 Der Ostersonntag fiel auf den 21. April 1935. 932 Eberhard von Medem (1913–1993) war seit 1935 der Sekretär Schmitts beim Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, im Kultusministerium von Nordrhein-Westfalen und als Kanzler der Universität Bonn tätig. Briefwechsel ForsthoffSchmitt, S. 416; Koenen, S. 652, Anm. 6. 933 Über eine im Rahmen der Akademie für Deutsches Recht abgehaltene Beratung über Fragen der Verwaltungsordnung und der Verwaltungsgerichtsbarkeit war nichts in Erfahrung zu bringen.

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In meiner Eigenschaft als Vorsitzender dieser Tagung erlaube ich mir, Sie zu den Besprechungen ergebenst einzuladen. Herr Staatssekretär Stuckart vom Reichs- und Preussischen Ministerium des Innern hat seine Teilnahme zugesagt. Mit herzlichen Grüßen!

Heil Hitler! Prof. Dr. Carl Schmitt Preussischer Staatsrat.

Nr. 130 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 14.4.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Berlin-Steglitz / Schillerstr. 2“

14. April 1935. Hochverehrter Herr Staatsrat! Sehr herzlich danke ich Ihnen für Ihre Briefe vom 6. und 11. April. Leider werde [ich] Ihrer freundlichen Einladung, an der Sitzung des AkademieAusschusses934 teilzunehmen, nicht nachkommen können. Ich habe seit längerer Zeit für den 15. Mai einen Vortrag in Königsberg übernommen935, und ich kann meine Zusage jetzt nicht mehr zurücknehmen. Es tut mir besonders leid, bei den Beratungen über die künftige Verwaltungsordnung nicht anwesend sein zu können. Es ist ja eine bisher nur in den Anfängen erfaßte, dabei besonders schwierige und wichtige Aufgabe, das neue Rechtsdenken im Bereich der Verwaltung durchzusetzen. Ich habe mich oft gefragt, ob nicht wichtiger als jede andere wissenschaftliche Arbeit die intensive Beschäftigung mit dem Recht unserer Verwaltung sei. Aber ich stecke vorläufig noch so tief in anderen Arbeiten, daß ich einfach die Zeit und die Ruhe für die Probleme des Verwaltungsrechts nicht finde. Auch wenn ich zu der Sitzung am 15. Mai würde kommen können, hätte ich Sie gebeten, mir die Erstattung eines schriftlichen oder mündlichen Berichts zu erlassen. Ich würde bis Mitte Mai eine gute und solide Arbeit nicht machen können; oberflächliche Arbeiten aus unserem Kreise aber werden immer nur die Position der alten Bürokratie verstärken. Dabei habe ich gerade bei der Beschäftigung mit dem Thema, das wir im vorigen Jahre für ein solches 934

Ausschuss für Staats- und Verwaltungsrecht der Akademie für Deutsches Recht. 935 Das Thema von Hubers Vortrag in Königsberg am 15.5.1935 war nicht zu ermitteln.

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Referat in Aussicht nahmen, gesehen, in welches Labyrinth | man gerät, sobald man etwas tiefer in verwaltungsrechtliche Fragen einzudringen versucht. Vollständiges Material, ordnender Verstand und gute Einfälle vereinigen sich nicht schon bei flüchtigem Bemühen zu einem guten Werk. Sehr habe ich bedauert, daß ich Sie in Berlin nicht sehen konnte. Unter anderem hätte ich gerne mit Ihnen über Lohmann gesprochen. L.[ohmann] erzählte mir vor einiger Zeit, er wolle an der Handelshochschule Berlin den Dr. habil. machen. Ich habe ihm vorgeschlagen, seine Arbeit doch lieber in Kiel einzureichen. Wir haben so wenig brauchbare Leute in unserm Fach, daß wir – nach meiner Ansicht – L.[ohmann,] soweit es geht[,] die Bahn ebnen müssen936. Hartungs Besprechung937 ist auch hier viel gelesen worden. Auf einige ältere Herren hat sie offenbar Eindruck gemacht. Unter den Jüngeren hat sie auch denjenigen nicht imponiert, die Ihrer Schrift mit Kritik begegnen. Ich bekam die Rezension erst dieser Tage zur Hand, und ich kann nur sagen, daß ich mehr erwartet hätte. So schlecht war das zweite Reich938 nicht, daß es nicht bessere Verteidiger verdient hätte! Man müßte sich eine Gegenschrift Treitschkes939 gegen Ihre Arbeit vorstellen, um die Vision eines wissenschaftlichen Kampfes zu haben940. So bleibt es bei einer kleinlichen Rechthaberei. Ein Historiker, der heute bei „gesicherten Ergebnissen“ stehen bleibt, der nicht jede geschichtliche Epoche neu zu sehen vermag, ist ein schlechter Repräsentant des deutschen Geistes. Hier – wie überall – wird die Verteidigung des statusquo nichts nützen. Schlimm ist nur, daß es überhaupt niemanden gibt, dem man die Besprechung Ihrer Schrift anvertrauen könnte941. Ich habe früher Heckel darum gebeten, der aber ablehnte. Ihnen und Frau Schmitt die besten Grüße und Wünsche zu Ostern! Heil Hitler! Ihr stets ergebener 936

Lohmann wechselte nach Heidelberg und habilitierte sich 1943 bei Bilfinger. Siehe oben Anm. 924. 938 Der im sogenannten Dritten Reich übliche Begriff für das deutsche Kaiserreich nach 1871. 939 Der Historiker und politische Publizist Heinrich von Treitschke (1834–1896) saß von 1871 bis 1884 als zunächst nationalliberaler Abgeordneter im Reichstag. Besonders einflussreich wurde seine mehrbändige „Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert“. Ulrich Langer, Heinrich von Treitschke. Politische Biographie eines deutschen Nationalisten, Düsseldorf 1998. 940 Treitschke war berüchtigt für seine scharfe Polemik. 941 In der Publizistik erschienen gleichwohl insgesamt fast dreißig Rezensionen. Die engere Fachwelt hielt sich dagegen auffallend zurück. Grothe, Verfassungsgeschichte, S. 78–81. 937

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Nr. 131 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Ravenna, 20.4.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Poststempel: „Ferrara 20 – IV / 35“, Motiv auf der Rückseite: Innenkuppel der Kirche Basilica di S. Apollinare in Classe942, Adresse: „Germania / Herrn Professor / Dr. E. R. Huber / Hansastr. 79. / Kiel“

Lieber Herr Huber, viele herzliche (ergo christliche) Ostergrüße und Wünsche für Sie und Ihre Familie von Ihrem getreuen Carl Schmitt Ravenna943 Karfreitag 1935.

Nr. 132 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 24.4.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Berlin-Steglitz / Schillerstr. 2“

24. April 1935 Hochverehrter Herr Staatsrat! Sehr herzlich danke ich Ihnen für Ihre Ostergrüße aus Ravenna, die ich mit den besten Wünschen für Ihre Reise erwidere. Ich bin dabei, eine kleine Abhandlung über den Verfassungsbegriff abzuschließen944. Sie behandelt im wesentlichen folgende Fragen: Verfassungsform und Verfassungswirklichkeit, Die liberal-demokrat.[ische] Verfassung, Soziologischer und juristischer Verfassungsbegriff, Die Verfassung als „Integrationssystem“, Die Verfassung als „Entscheidung“, Die Verfassung als „Ordnung“, Entstehung und Aenderung der Verfassung, Inhalt der völkischen Verfassung. Ich habe die Arbeit der Hanseatischen Verlagsanstalt angeboten. Es würde mir eine Ehre und Freude sein, wenn Sie die Arbeit in Ihre Reihe aufnehmen würden. Aber ich werde es natürlich voll verstehen, wenn Sie mir zu einer selbständigen Veröffentlichung der Abhandlung raten. 942 Abgebildet ist die mit einem Mosaik verzierte Kuppel der Kirche Sant’Apollinare in Classe, einem Vorort von Ravenna, aus dem 6. Jahrhundert. 943 Schmitt besuchte eine Reihe von oberitalienischen Städten und reiste bis nach Rom, wo er einen Vortrag hielt. Mehring, S. 366. 944 Ernst Rudolf Huber, Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, Hamburg 1935 (= Der deutsche Staat der Gegenwart, 16).

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Mit herzlichen Grüßen, auch von meiner Frau! Heil Hitler! Ihr stets ergebener

Nr. 133 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Zagreb, 28.4.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

z. Zt. Zagreb945, den 28. April 1935. Lieber Herr Huber! Ihren Brief vom 14. April erhielt ich erst heute, da er über eine Reihe italienischer Städte nachgesandt worden ist; gleichzeitig kam Ihr Brief vom 24. April hier an. Besten Dank für beide Schreiben. Daß Sie bei der Beratung über das neue Reichsverwaltungsgesetz946 nicht anwesend sein können, tut mir natürlich besonders leid, gerade weil das „Labyrinth“ der Fragen so undurchdringlich ist, und weil Sie mit Ihrem Hinweis auf die Schwierigkeiten der heutigen verwaltungsrechtlichen Gesetzgebung so sehr recht haben. Ich habe jedoch sowohl bei der Gemeindeordnung947 wie bei dem neuen Beamtengesetz948 gesehen, daß es möglich ist, manchen Gedanken durchzusetzen, und damit muß man sich heute begnügen. Ihr Referat sollte die Selbstgefälligkeit der Bürokraten erschüttern, mehr nicht. Aber ich will Sie jetzt mit dieser Angelegenheit nicht mehr in Anspruch nehmen. Lohmann habe ich schon gesagt, daß ich Ihren Gedanken, ihn in Kiel zum Dr. habil. zu machen[,] für richtig halte. Wir wollen hoffen, daß er bald dazukommt. Wegen der Publikation Ihrer neuen Abhandlung über den Verfassungsbegriff möchte ich Ihnen eine Erfahrung mitteilen, die ich in der letzten Zeit öfters gemacht habe, daß nämlich die Schriftenreihe | einer solchen Abhandlung unvergleichlich größeres publizistisches Gewicht gibt, als heutzu945 Mehring vermutet, Schmitt habe sich in Zagreb, der Hauptstadt Jugoslawiens, um den Ariernachweis seiner Frau Duschka bemüht. Mehring, S. 672, Anm. 55. 946 Das angekündigte Reichsverwaltungsgesetz kam nicht zum Abschluss. 947 Deutsche Gemeindeordnung vom 30.1.1935. Reichsgesetzblatt 1935 I, S. 49– 64. 948 Deutsches Beamtengesetz vom 26.1.1937. Reichsgesetzblatt 1937 I, S. 39–70.

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tage eine Einzelpublikation haben kann. Noch heute tut es mir z. B. leid, daß die „3 Arten“949 nicht in der Reihe erschienen sind und ich mich von Frank habe bereden lassen. Ich würde es also für schön und richtig halten, wenn Sie Ihre neue Schrift in diesen Rahmen stellten – es sei denn, daß Sie selber glauben, die Schrift falle ganz heraus. Das kann ich mir allerdings kaum denken, namentlich nicht nach Ihrer Kieler Rede. Die Reihe ist auch schon so mannigfaltig, daß keine Besorgnis mehr besteht, sie könnte in einer engen Weise auf mich eingestellt sein. Ich glaube, dieser Moment ist längst überwunden. Sie haben mir Ihre Meinung über die Schrift von Wieacker950 noch nicht mitgeteilt. Ich wäre Ihnen für ein Wort darüber sehr dankbar. Wer soll sie in Ihrer Zeitschrift besprechen?951 Fragen Sie doch einmal bei Popitz an; es ist nicht sehr wahrscheinlich, aber auch nicht ganz unmöglich, daß er doch Einiges dazu sagt, besonders vom Standpunkt des Steuerrechts, der ja wichtig genug ist. Henkel hat sich ebenfalls höchst anerkennend geäußert, sitzt aber zu sehr in seinen historischen Arbeiten952. Lange (Breslau) schrieb mir953, daß er bereit ist, sich zu äußern, doch weiß ich nicht, ob er für Ihre Zeitschrift geeignet ist. Viele herzliche Grüße an Sie und Ihre Frau! Heil Hitler! Stets Ihr alter Carl Schmitt.

Nr. 134 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 12.5.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt / Berlin-Steglitz / Schillerstr. 2“

12. Mai 1935 Hochverehrter Herr Staatsrat! Sehr herzlich danke ich Ihnen für Ihren freundlichen Brief aus Agram954 vom 28. April. Inzwischen erhielt ich Nachricht, daß die Sitzung des Aka949

Schmitt, Über die drei Arten. Wieacker, Wandlungen. 951 Karl Larenz, Rezension zu Franz Wieacker, Wandlungen der Eigentumsverfassung, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 96 (1936), S. 412–416. 952 Es ist unklar, welche Arbeiten hier konket gemeint sein könnten. 953 Ein Schreiben Langes an Schmitt ist im Nachlass Schmitt nicht überliefert. 950

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demieausschusses verlegt worden ist955. Der Entwurf des neuen Beamtengesetzes956 ist mir vom Juristenbund zu einer Aeußerung vorgelegt worden. Ich will demnächst in einem kleinen Gutachten zu einigen Fragen Stellung nehmen957. Besonders zu danken habe ich Ihnen dafür, daß Sie die Abhandlung über den Verfassungsbegriff in Ihre Reihe aufnehmen wollen. Ich bin mir über die Vorteile völlig klar, die mit einer Publikation innerhalb dieser Reihe, die sich allgemeines Ansehen erworben hat[,] verbunden ist. Aber es sind natürlich nicht diese Vorteile, sondern es ist die innere Bindung an Ihre Reihe, die mich veranlaßt hat, Sie um die Aufnahme zu bitten. Ich habe alles Nähere mit Herrn Ziegler besprochen und hoffe[,] das Manuskript in Kürze an den Verlag schicken zu können. Um die Besprechung von Wieackers Schrift958 hatte ich, als Ihr Brief kam, Herrn Larenz bereits gebeten959. Ich selbst habe einen vorzüglichen Eindruck von der Schrift. Sie ist für das breite Publikum, zu dem ja auch manche Universitätsprofessoren zu rechnen sind, etwas schwierig geschrieben, aber das beeinträchtigt den Wert nach meiner Ansicht in keiner Weise. Wieacker hat sich auch hier in der Fakultät großartig bewährt, und ich bewundere seine Bildung, seine Klugheit und sein sicheres Urteil. Umsomehr bedaure ich, daß Herr Eckhardt sich unfreundlich über die Schrift geäußert hat960. Die Angriffe Höhns auf Wieacker wie überhaupt die ganze Schrift „Volksgemeinschaft oder Rechtsgemein- | schaft“’ haben hier aufs stärkste befremdet961. Wir empfinden einen so heftigen Angriff auf einen aus unserer Mitte als eine Attacke auf unsere ganze Gruppe und werden genötigt sein, gegen Höhns Vorgehen in geeigneter Form zu protestieren. Ich bedaure diese Zuspitzung sehr, da ich selbst mit Herrn Höhn bisher sehr gut ausgekommen bin962. 954

Deutschsprachiger Name von Zagreb. Bernhard von Mutius an Ernst Rudolf Huber, 10.5.1935. Siehe Anhang III.2. 956 Das Deutsche Beamtengesetz erschien am 26.1.1937. Reichsgesetzblatt 1937 I, S. 39–70. 957 Ein solches Gutachten war nicht zu ermitteln. 958 Wieacker, Wandlungen. 959 Karl Larenz, Rezension zu Franz Wieacker, Wandlungen. 960 Das Urteil von Karl August Eckhardt über Wieacker konnte – sofern es publiziert wurde – nicht ermittelt werden. Generell zum Echo der Schrift Wieackers: Thorsten Keiser, Eigentumsrecht in Nationalsozialismus und Fascismo, Tübingen 2005 (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, 49), S. 128–132. 961 Höhn, Rechtsgemeinschaft, S. 65–69. Huber zitiert die beiden Substantive im Titel in der falschen Reihenfolge. 962 Höhn war später allerdings ein erbitterter Gegner Hubers. Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, S. 247–251. 955

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Mit herzlichen Grüßen und der Bitte um eine Empfehlung an Frau Schmitt[.] Heil Hitler! Ihr stets ergebener Nr. 135 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 6.8.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Steglitz,“ / gestrichen: „Schillerstr. 2“ / handschriftlich: „umbenannt in: Arno Holzstr.963 6.“

6. August 1935. Lieber Herr Huber! Ein Ferientag nach dem andern ist mir durch die aufdringliche Berliner Arbeit verloren gegangen, sodaß ich Ihnen erst heute wenigstens mit einem Wort für Ihre neue Arbeit über „Wesen und Inhalt der Verfassung“ und für die freundliche Widmung danken kann964. Meine Freude über dieses Buch ist ganz besonders groß: das Thema, die vorbildliche Klarheit der Systematik wie der Einzelheiten, die pädagogisch-vorlesungstechnische Vorzüglichkeit, die es bewirkt, daß wir jetzt, dank Ihrem Buch, für einen wesentlichen Teil einer völlig neu zu schaffenden Vorlesung965 einen schon fast vollkommenen Grundriß haben, die vielen lebendigen Zitate mit ihren überraschenden Ausblicken, das alles und viele andere Qualitäten machen mich als Herausgeber stolz und als alten Verfassungsrechtslehrer glücklich. Soweit ich bisher wahrnehmen konnte, z. B. im Juristenbund oder bei dem Minister Popitz, ist das Urteil überall das gleiche und der Erfolg dieses neuen Werkes sehr groß. Ich reise heute für eine Woche ins Sauerland, bin aber Ende August und Anfang September in Berlin; am 22[.]/23. August will ich an der Reichsbahn-Studienkonferenz in Hamburg teilnehmen966. Könnten wir uns nächstens einmal treffen? Wenn Sie dann in Kiel sind, könnte ich von Hamburg aus, am 23. August abends, dorthin kommen. Es ist soviel Sachliches und 963

Arno Holz (1863–1929) war ein deutscher Schriftsteller. Das Widmungsexemplar ist im Nachlass Schmitt nicht überliefert. 965 Nach der neuen Studienordnung für die Rechtswissenschaft. Siehe oben Anm. 602. 966 6. Studienkonferenz mit Professoren an deutschen Universitäten und Hochschulen vom 19. bis 24. August 1935 in Berlin – Prenzlau – Züsedom – Hamburg, hg. v. der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft, Berlin 1935. 964

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Persönliches zu besprechen, daß ich oft den Wunsch habe, Sie | wiederzusehn. Auch Ihre Frau und Ihren Sohn würde ich gern begrüßen. Nächstens erhalten Sie die „Disputation über den Rechtsstaat“967 von G.[ünther] Krauß und Otto v. Schweinichen968. Bitte widmen Sie ihr eine Stunde und sagen Sie mir dann offen Ihre Meinung. Es ist ein Experiment969, deshalb liegt mir besonders an Ihrem Urteil. Auf Wiedersehn, lieber Herr Huber, grüßen Sie bitte Ihre Frau herzlich von uns und seien Sie nochmals bedankt für Ihr schönes neues Buch. Mit Heil Hitler! stets Ihr alter Carl Schmitt.

Nr. 136 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Osnabrück, 22.8.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Sonderstempel: „Vorsicht mit Feuer in Wald und Heide“, Motiv auf der Rückseite: Osnabrück Moeserhaus970, Adresse: „Herrn / Prof. Dr. E. R. Huber / Kiel / Hansastr. 79.“

Lieber Herr Huber, vielen Dank für Ihren Brief und besonders für Ihre freundliche Einladung971. Ich bin aber wahrscheinlich nur 1 Tag in Kiel und möchte deshalb lieber in einem Hotel am Bahnhof übernachten. Freitag abend denke ich anzukommen; die Zeit weiß ich noch nicht; ich melde mich gleich bei Ihnen. Sehr gern würde ich auch Samstag972 mit Siebert973 und Wieacker ein Wort sprechen und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese, 967 Günther Krauß/Otto von Schweinichen, Disputation über den Rechtsstaat. Mit einer Einleitung und einem Nachwort von Carl Schmitt, Hamburg 1935 (= Der deutsche Staat der Gegenwart, 17). 968 Otto von Schweinichen (1910–1938) wurde als Jurist promoviert und war Hörer von Schmitt in Berlin. Mehring, S. 362. 969 Die Veröffentlichung einer Disputation mit These und Gegenthese war und ist äußerst ungewöhnlich. 970 Das Geburtshaus des Juristen und Staatsmannes Justus Möser (1720–1794) stand am Markt in Osnabrück, wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und später wieder aufgebaut. 971 Die Einladung muss in einem verlorenen Schreiben enthalten gewesen sein. 972 Am 24.8.1935. 973 Wolfgang Siebert (1905–1959) wurde 1935 zum außerordentlichen Professor für Privatrecht und Arbeitsrecht in Kiel ernannt. 1938 wechselte er auf eine ordentliche Professur nach Berlin. Hans-Peter Haferkamp, Siebert, Wolfgang, in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 325.

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falls sie in Kiel anwesend sind, verständigen wollten. Herzliche Grüße an Sie und Ihre Frau und auf Wiedersehn! Heil Hitler! Stets Ihr Carl Schmitt.

Nr. 137 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 16.9.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Berlin-Steglitz“

16. September 1935 Hochverehrter Herr Staatsrat! Im Anschluß an unser Kieler Gespräch bitte ich Sie, Ihren Vortrag vor der Verwaltungsakademie über das Thema „Das Gesetz als Plan und Wille des Führers“ am Mittwoch[,] den 16. Oktober[,] zu halten974. Ich wäre Ihnen für eine kurze Nachricht dankbar, ob dieser Termin Ihnen paßt. Kurze Zeit nach Ihrem Besuch in Kiel war Eckhardt hier; im wesentlichen, um seinen neuen Zeitschriftenplan vorzutragen975. Sie werden jedenfalls von ihm unterrichtet sein. Obwohl der Plan eine deutliche Spitze gegen die Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft enthält (u. a. wird mir die Aufnahme des Aufsatzes von A. E. Günther976 zum Vorwurf gemacht), fühle ich mich durch die Neugründung weder verletzt noch beunruhigt. Selbstverständlich wird mir die Arbeit etwas erschwert, aber ich hoffe[,] einigermaßen das Niveau und die Linie des ersten Jahrganges halten zu können. Sie haben mich im ersten Jahrgang durch den Aufsatz über den „Rechtsstaat“ ausserordentlich unterstützt977. Ich würde glücklich sein, auch im zweiten Jahrgang einen Aufsatz von Ihnen bringen zu können. Wollen Sie 974 Diesen Titel nennt er wörtlich in Carl Schmitt, Die Rechtswissenschaft im Führerstaat, in: Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 2 (1935), S. 435–440, hier S. 439. 975 Es ging vermutlich um die Gründung der Zeitschrift „Deutsche Rechtswissenschaft“. Becker, Schritte, S. 142–144. Die neue Zeitschrift sollte von seiten des Sicherheitsdienstes der SS, namentlich durch Höhn und Eckhardt, der Gruppe um Carl Schmitt Konkurrenz machen. 976 Albrecht Erich Günther, Die Aufgabe der Wehrwissenschaft an der Hochschule, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 95 (1935), S. 557–568. 977 Schmitt, Was bedeutet der Streit.

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nicht die Untersuchung über die Beziehung von Rechtswissenschaft und Staatstypus in Form eines Aufsatzes veröffentlichen?978 Die Disputation über den Rechtsstaat979 habe ich gelesen. Es ist schade, daß Schweinichen seine Gegenthese in ein so fragwürdiges philosophisches Gewand gekleidet hat. Auch sonst stört bei ihm Vieles; etwa ein Satz wie der auf S. 66: „Der Staatsbegriff liegt auf soziologischer, der Rechtsbegriff auf normativer Ebene“! – Das Hauptverdienst von Krauß ist die endgültige, vernichtende Erledigung der Stahl-Legende980. Dagegen finde ich nicht, daß er Stein981 und Gneist982 voll gerecht geworden ist. Wortkombinationen wie Rechts-Staat können offenbar einen doppelten Sinn haben; Gegensätze zu verschleiern – oder Gegensätze zu überwinden. Bei Stein und Gneist wirkt unzweifelhaft das Ringen um eine Ueberwindung der Gegensätze. Der Begriff des Rechtsstaats hat für den späten Stein983 dieselbe Bedeutung wie die Idee des sozialen Königtums für den jungen984. Es genügt nun heute nicht festzustellen, daß dieser Kampf um die echte Synthese, wo er auch aufgenommen worden ist, im 19. Jahrhundert gescheitert ist – denn diese Tatsache ist bekannt. Es scheint mir darauf anzukommen zu zeigen, warum alle diese fruchtbaren Ansätze und ernsthaften Bemühungen nicht zum Erfolge führen konnten. Mit herzlichen Grüßen! Heil Hitler! Ihr stets ergebener 978 Schmitts nächster Beitrag in der „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“ erschien erst in Band 100 von 1940. 979 Krauß/Schweinichen. 980 Gemeint ist der Philosoph und Jurist Friedrich Julius Stahl und seine angebliche Lehre vom Rechtsstaat. Krauß/Schweinichen, S. 14–22. 981 Der Staatsrechtler, Soziologe und Nationalökonom Lorenz von Stein (1815– 1890) lehrte 1846–1852 als außerordentlicher Professor der Staatswissenschaften in Kiel. 1855 wechselte er an die Universität Wien. Michael Löbig, Persönlichkeit, Gesellschaft und Staat. Idealistische Voraussetzungen der Theorie Lorenz von Steins, Würzburg 2004 (= Contradictio, 3). 982 Rudolf von Gneist (1816–1895) lehrte seit 1855 als Jura-Professor an der Universität Berlin. Erich J. Hahn, Rudolf von Gneist 1816–1895. Ein politischer Jurist in der Bismarckzeit, Frankfurt a. M. 1995 (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, 74). 983 Lorenz Stein, Verwaltungslehre. Tl. 1, Stuttgart, 2. Aufl. 1869, S. 296 f. schrieb: „Man muß zunächst davon ausgehen, dass Wort und Begriff des ‚Rechtsstaates‘ spezifisch deutsch sind. Beide kommen weder in einer nicht deutschen Literatur vor, noch sind sie in einer nicht deutschen Sprache correct wieder zu geben.“ 984 Dirk Blasius, Lorenz v. Steins Lehre vom Königtum der sozialen Reform und ihre verfassungstheoretischen Grundlagen, in: Der Staat 10 (1971), S. 33–51; Ernst Rudolf Huber, Lorenz von Stein und die Grundlegung der Idee des Sozialstaats, in: ders., Nationalstaat und Verfassungsstaat. Studien zur Geschichte der modernen Staatsidee, Stuttgart 1965, S. 127–143. Der Aufsatz geht auf einen Leipziger Vortrag von 1941/42 zurück und wurde zuerst 1958 veröffentlicht.

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Nr. 138 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 28.9.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Berlin-Steglitz“

28. September 1935 Hochverehrter Herr Staatsrat! Haben Sie vielen Dank für die freundliche Einladung zu der wissenschaftlichen Arbeitstagung am 12. und 13. Oktober985. Leider macht die Verlegung der Tagung es mir unmöglich, teilzunehmen. An den gleichen Tagen findet die Jahresversammlung des Reichsverbandes Deutscher Verwaltungsakademien986 in Dresden statt. Dieser Termin steht schon geraume Zeit fest, und ich habe meine Zusage schon länger gegeben. Auch ist meine Anwesenheit in Dresden wichtig, weil der Studienplan der Verwaltungsakademien festgelegt wird. Es kommt darauf an, die neue juristische und nationalökonomische Studienordnung987 auch für die Verwaltungsakademien einzuführen, wogegen sich erhebliche Widerstände regen. Bisher bin ich der einzige, der für die Uebernahme der Eckhardt’schen Reform eingetreten ist, und ich darf deshalb nicht fehlen. Ich bitte Sie daher, mich für diesmal in Berlin entschuldigen zu wollen. Sie haben mir noch nicht mitgeteilt, ob der 16. Oktober Ihnen für den Vortrag in Kiel genehm ist. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir bald eine Nachricht darüber geben würden. Meine Frau und ich waren zehn Tage in Thüringen und Franken. Wir waren in Naumburg988, Bamberg, Vierzehnheiligen989, Schloß Banz990, Kloster Ebrach991. Es ist für den Verfassungshistoriker immer wieder ein 985 Gemeint war die Arbeitstagung der Reichsfachgruppe Hochschullehrer über Vereins- und Körperschaftsrecht, die am 12. und 13.10.1935 in Berlin stattfand. Mehring, S. 367. Bericht in: Deutsche Juristen-Zeitung 40 (1935), Sp. 1294–1296. 986 Der Reichsverband war der Zusammenschluss der deutschen Verwaltungsakademien. Der Chef der Staatskanzlei, Hans Heinrich Lammers (1879–1962), war seit Ende Mai 1935 mit der Führung des Reichsverbandes beauftragt. Die Jahrestagung fand am 11.10.1935 statt. 987 Eckhardt, Studium; ders., Das Studium der Wirtschaftswissenschaft, Hamburg 1935 (= Der deutsche Staat der Gegenwart, 15). 988 Stadt an der Saale mit berühmtem spätromanischem Dom. 989 Barocke Wallfahrtskirche in Oberfranken, die im 18. Jahrhundert nach den Plänen von Balthasar Neumann (1687–1753) errichtet wurde. 990 Barocke Klosterkirche, die derjenigen von Vierzehnheiligen im Maintal gegenüber liegt. 991 Ehemaliges Zisterzienserkloster in Oberfranken mit barocker Abteikirche.

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übermächtiger Eindruck, wie sich die politischen Schicksale des Reiches in den Baustilen widerspiegeln. Die Krise des 13. Jahrhunderts wird nirgends so deutlich, wie in den großen Bauten des [am linken Rand: Konrad III.992] Uebergangsstils993. In Bamberg liegt der Kaiser994 in der romanischen Krypta, der Papst995 im gotischen Chor begraben; Heinrich III.996 und Kunigunde997 ruhen in der Mitte des Schiffes! Es ist sehr schade, daß das Grab des letzten Papstes des ottonischen Systems998, Clemens II., keine stärkere politische und religiöse Bedeutung für uns erhalten hat. Ich möchte die in meinem letzten Brief ausgesprochene Bitte wiederholen, Ihre Arbeit über Rechtswissenschaft und Staatsform in der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft zu veröffentlichen. Mit herzlichen Grüßen! Heil Hitler! Ihr stets sehr ergebener

Nr. 139 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Bad Tölz, 6.10.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Motiv auf der Rückseite: Tölz a. d. Isar999 im Jahre 1664. Nach Merian1000, Adresse: „Herrn / Professor Dr. Huber / Kiel / Hansastr. 79.“

Lieber Herr Huber, ich hatte bis vor einigen Tagen mit Ihrem Besuch in Berlin gerechnet, den Herr Lohmann für Anfang Oktober erwartete, und alle Antworten auf Ihre Briefe auf eine mündliche Besprechung verschoben. 992 Konrad III. (1093–1152) war seit 1127 zunächst Gegenkönig und von 1138 bis 1152 römisch-deutscher König. Er war der erste Staufer auf dem deutschen Thron und Vorgänger von Friedrich I. Barbarossa. 993 Gemeint ist offenbar der Übergang von der Romanik zur Gotik, die in Deutschland bereits Anfang des 12. Jahrhunderts begann. 994 Heinrich II. 995 Clemens II. (1005–1047), dessen ursprünglicher Name Suidger, Graf von Morsleben und Hornburg, lautete, wurde 1046 zum Papst gewählt. Georg Gresser, Clemens II. – der erste deutsche Reformpapst, Paderborn 2007. 996 Gemeint ist hier Heinrich II., der letzte Ottone. 997 Kunigunde von Luxemburg (980–1033) war durch die Heirat mit Heinrich II. seit 1002 deutsche Königin und seit 1014 Kaiserin. Ingrid Münch, Kunigunde von Luxemburg, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 4 (1992), Sp. 817– 820. 998 Das sogenannte ottonisch-salische Reichskirchensystem. 999 Oberbayerischer Kurort an der Isar, der etwa fünfzig Kilometer südlich von München liegt. 1000 Matthäus Merian der Jüngere (1621–1687) war ein berühmter deutscher Kupferstecher. Der Stich von Tölz stammt etwa aus dem Jahr 1664.

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Jetzt beeile ich mich, Ihnen mitzuteilen, daß ich gern am 16. Okt. nach Kiel komme; Thema: Unser Gesetzesbegriff1001. Geben Sie mir bitte bald Nachricht, ob es nicht zu spät ist. Viele herzliche Grüße an Sie und Ihre Frau und Heil Hitler! Stets Ihr alter Carl Schmitt. 6. Okt. 1935.

Nr. 140 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 14.11.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Bund National-Sozialistischer Deutscher Juristen e. V. / Reichsgeschäftsstelle / Berlin W 35, Tiergartenstr. 20 / Der Reichsfachgruppenleiter / Hochschullehrer“, Adresse: „Herrn / Professor Dr. Huber / Kiel / Hansastr. 79“, v. M.[edem]/Mei.“

14.11.1935 Sehr verehrter Herr Kollege! Nach der so gut verlaufenen Oktobertagung der Fachgruppe1002 ist jetzt die nächste Arbeitstagung für voraussichtlich den 20. bis 22. Dezember d. J. festgelegt worden. Sie wird sich – wie schon am Schluss der letzten Tagung vorgesehen war – mit dem Fragenbereich „Öffentliches und privates Recht“ befassen1003. Da mir – wie Sie sicher bereits aus den Zeitungen entnommen haben1004 – die Leitung der neugebildeten wissenschaftlich-rechtspolitischen Abteilung des BNSDJ sowie die rechtspolitische Schulung übertragen worden ist, kommt dieser Tagung eine besondere Bedeutung zu. Wie bisher sollen auch diesmal die eigentlichen Beratungen durch grundlegende kurze Referate eingeleitet werden. Ich möchte Sie bitten, ein Refe1001 Schmitt hielt den Vortrag zum Thema „Das Gesetz als Plan und Wille des Führers“ in Kiel am 16.10.1935. Mehring, S. 367. 1002 Die oben in Anm. 985 erwähnte Arbeitstagung der Reichsfachgruppe Hochschullehrer über Vereins- und Körperschaftsrecht. 1003 Johannes Heckel/Heinrich Henkel/Gustav Adolf Walz/Karl Larenz (Hg.), Berichte über die Lage und das Studium des öffentlichen Rechts, Hamburg 1935 (= Der deutsche Staat der Gegenwart, 12). 1004 Zeitungsberichte über Carl Schmitt als Leiter einer wissenschaftlich-rechtspolitischen Abteilung des Bundes nationalsozialistischer deutscher Juristen konnten nicht ermittelt werden. Zur Reichsfachgruppe Hochschullehrer kurz: Sunnus, S. 114 f. Die von Schmitt genannte Abteilung ist im Organigramm nicht ausgewiesen. Ebd., S. 36.

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rat von Ihrem Fachgebiet aus gesehen übernehmen zu wollen. Möglicherweise wird bei der Bedeutung gerade des Verfassungs- und Verwaltungsrechts für die Frage „Öffentliches und Privates Recht“ auch noch Professor Heckel, München, sprechen, der dabei besonders das Wehrrecht berühren könnte1005. | Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir recht bald mitteilen würden, ob Sie das Referat übernehmen wollen, und würde mich ganz besonders freuen, wenn Sie dazu bereit wären. Mit herzlichen Grüssen Heil Hitler! Ihr sehr ergebener Carl Schmitt.

Nr. 141 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 19.11.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, zweites Blatt oben rechts mit Textverlust abgerissen, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Berlin-Steglitz / Arno-Holz-Str. 6“

19. November 1935 Hochverehrter Herr Staatsrat! Sehr herzlich danke ich Ihnen für Ihr Schreiben vom 14. November. Es ist eine Ehre und Auszeichnung, daß ich auf der Dezembertagung der Fachgruppe sprechen soll, und ich will die Aufgabe gerne übernehmen. Ich sitze zwar sehr tief in der Arbeit an meinem Grundriß1006 und wollte mich eigentlich jeder anderen Aufgabe entziehen. Aber es ist selbstverständlich, daß ich mich trotzdem für das Referat zur Verfügung stelle. Eines möchte ich noch hervorheben. Ich habe mich kürzlich über die Frage „öffentliches und privates Recht“ ausführlich geäussert1007, und ich müsste den dabei eingenommenen Standpunkt auch in Berlin verfechten. Nun wird meine Unterscheidung von hoheitlichem und volksgenössischem 1005 Johannes Heckel, Staats-, Verwaltungs- und Kirchenrecht im Dritten Reich, in: ders./Heinrich Henkel/Gustav Adolf Walz/Karl Larenz (Hg.), Berichte über die Lage und das Studium des öffentlichen Rechts, Hamburg 1935 (= Der deutsche Staat der Gegenwart, 12), S. 9–29. Das Wehrrecht wurde in seinen Ausführungen allerdings nicht behandelt. 1006 Huber, Verfassung. 1007 Vielleicht ist gemeint: ders., Rechtsstellung.

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Recht ja vielfach angegriffen; auch unter meinen Kieler Kameraden finden sich heftige Gegner dieser Lehre. Ich fürchte deshalb, daß bei der Tagung eine große Auseinandersetzung über die grundsätzliche Frage entstehen wird, und grundsätzliche Fragen werden bekanntlich leicht zu „allgemeinen“ Fragen. Die bisherigen Tagungen der Fachgruppe zeichnen sich nun dadurch aus, daß es gelungen ist, zu den wirklich konkreten Fragen vorzudringen, und das müßte auch diesmal geschehen. Ich würde mich, wenn ich das Referat halte, bemühen, an die konkreten Fragen, auch die Einzelfragen heranzugehen. Dabei muß sich dann erweisen, ob meine grundsätzliche Haltung der konkreten Lage gerecht wird oder nicht. Ich denke vor allem daran, | die enge Verflechtung hoheitlicher und volksgenös[sischer Rechte] zu zeigen; es gibt eine Fülle schöner Beispiele ger[ade im öffentlichen] Recht. Auch die Frage „Justiz und Verwaltung“ sowie das [Problem des Rechts]wegs überhaupt müßte ich anschneiden, da sich die eigentl[iche Lösung] der Gesamtfrage erst hier zeigt1008. Natürlich möchte ich gerne bald wissen, ob Herr Heckel ein Referat halten wird, oder wer sonst als zweiter Referent auftritt1009. Es ist doch notwendig, die Referate vorher gegeneinander abzugrenzen und aufeinander abzustimmen. Das Semester hat hier gut angefangen. Mit herzlichen Grüßen! Heil Hitler! Ihr sehr ergebener

Nr. 142 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 21.11.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Adresse: „Herrn / Professor Dr. Ernst Rudolf Huber / Kiel“

21. November 1935 Lieber Herr Huber! Vielen Dank für Ihre treue und freundliche Bereitwilligkeit. Das Referat ist nur als eine einleitende Anregung gedacht. Wir wollen uns auf Grund der bisherigen Erfahrungen einfach von der Sachverständigen-Aussprache tragen lassen. Heckel hat leider abgesagt. Wissen Sie einen guten zweiten Re1008 Am rechten oberen Rand ist ein Teil des Briefpapiers abgerissen; deshalb müssen einige Textteile ergänzt werden. 1009 Heckel referierte neben Henkel, Walz und Larenz. Siehe oben Anm. 1005.

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ferenten? Eventuell nehmen wir einen Praktiker aus Berlin. Sehr wichtig wäre eine Verbindung mit dem Steuerrecht, aber da Popitz keine Zeit hat und die anderen Sachkundigen sämtlich Juden sind1010, weiss ich nicht, wen ich dafür nehmen soll. Mit den besten Wünschen für das Semester, herzlichen Grüssen von Haus zu Haus und Heil Hitler! Ihr alter Carl Schmitt.

Nr. 143 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 6.12.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Schmitt / Berlin-Steglitz“

6. Dez. 1935 Hochverehrter Herr Staatsrat! Für Ihren freundlichen Brief vom 21. November danke ich Ihnen sehr herzlich. Ich werde mich bei meinem Referat also auf eine einleitende Anregung beschränken. Ueber den zweiten Referenten werden Sie sich inzwischen schlüssig geworden sein. Nachdem Heckel abgesagt hat, wüßte ich niemanden vorzuschlagen. Von Steuerrecht versteht Friesenhahn ja etwas1011. Eben erhalte ich einen Brief von Herrn v. Medem1012, in dem er anfragt, ob ich für die Tagung eine Uebersicht über die Gesetzgebung in der Frage „Rechtsschutz und ständisches Recht“ vorbereiten könne. Mir ist nicht klar, in welchem Zusammenhang diese Frage mit dem Thema „Oeffentliches und privates Recht“ steht. Falls Sie wünschen, daß mein Referat auf diese Frage hinlenkt, so bitte ich, mich noch darüber zu informieren. Ich verstehe 1010 Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 226, spricht vom „zwangsweisen Exodus der Gründer des Steuerrechts“. Gemeint sind Kurt Ball, Herbert Dorn, Albert Hensel, Rolf Grabower, Ludwig Waldecker, Heinrich Reinach und Max Lion. 1011 Friesenhahn wurde 1938 zum außerordentlichen Professor für Staats- und Steuerrecht in Bonn berufen. Er hatte aber den Kontakt mit Schmitt bereits seit November 1934 abgebrochen. Mehring, S. 314, 655, Anm. 40. 1012 Eberhard von Medem hatte das Schreiben vom 4.12.1935 im Auftrag Schmitts verfasst. Zwei weitere Schreiben vom 11. und 16.12. folgten. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198. Siehe Anhang III.3, III.4 und III.5.

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auch nicht ganz, worauf die Formulierung, die Herr v. Medem gewählt hat, zielt. Soll es sich um die ständische Ehrengerichtsbarkeit handeln? Oder um die ständische Schiedsgerichtsbarkeit (Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten zwischen den Standesgenossen)? Eine genaue und erschöpfende Uebersicht nach Webers Muster1013 werde ich bis zur Tagung nicht mehr herstellen können. Aber ich werde mich über das vorliegende Material unterrichten können, das z. T. allerdings schwer zugänglich ist (Anordnungen des Reichsnährstandes1014, der Marktverbände usw.). Mit den besten Grüßen! Heil Hitler! Ihr stets ergebener

Nr. 144 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 17.12.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Berlin-Steglitz“

17. Dezember 1935 Hochverehrter Herr Staatsrat! Die Anfrage von Herrn v. Medem1015 erhielt ich, als ich im Begriffe war, Ihnen wegen des Referats zu schreiben. Das Thema „Oeffentliches und privates Recht“ ist unendlich. Ich muß mich auf wenige Fragen beschränken. Ausschalten möchte ich die Fragen, über die ein weitgehendes Einverständnis hergestellt zu sein scheint; ferner diejenigen, die ich selbst in den Aufsätzen „Neue Grundbegriffe des hoheitlichen Rechts“1016 und „Justiz und Verwaltung“1017 ausführlich behandelt habe. Diese ganzen Fragen möchte ich, soweit es überhaupt um des Zusammenhangs notwendig ist, nur ganz knapp in Thesenform berühren. Der eigentliche Inhalt des Referats sollen folgende Fragen sein: 1013 Werner Weber/Franz Wieacker, Eigentum und Enteignung, Hamburg 1935 (= Der deutsche Staat der Gegenwart, 19). Positive Rezension Hubers in der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 96 (1936), S. 585–587. 1014 Siehe oben Anm. 644. 1015 Das Schreiben Eberhard von Medems vom 16.12.1935 findet sich im Anhang III.5. 1016 Ernst Rudolf Huber, Neue Grundbegriffe des hoheitlichen Rechts, in: Karl Larenz (Hg.), Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft, Berlin 1935, S. 143– 188. 1017 Ernst Rudolf Huber, Justiz und Verwaltung, in: Deutsches Recht 5 (1935), S. 401–406.

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1) Die Einheit des Gemeinschaftsrechts. 2) Die Gestaltungsformen des Rechts. 3) Die Arten des Rechtsschutzes. ad 1) Die Einheit des Gemeinschaftsrechts. Hier kommt es mir darauf an, daß die nach Ueberwindung der Trennung von öffentlichem und privatem Recht gewonnene Einheit keine ideologische, sondern eine konkrete Einheit wird. Dazu gehören konkrete Rechtsbegriffe, die allen Rechtsbereichen gemeinsam sind. Solche Rechtsbegriffe sind Volksgenosse, Rechtsstellung, Rechtsschutz. ad 2) Die Gestaltungsformen des Rechts. Ausgehend von der Unterscheidung „Hoheitliche und volksgenössische Rechtsgestaltung“ möchte ich insbesondere die Verbindung beider Gestaltungsformen im positiven Recht nachweisen. Ich möchte ein System dieser kombinierten Gestaltungsakte aufstellen. Es liegt mir hier besonders daran, daß man nicht bei allgemeinen Ideologien stehen bleibt, sondern an das konkrete Material des Rechts herangeht. ad 3) Die Arten des Rechtsschutzes. Der unter 1) entwickelte allgemeine Begriff des Rechtsschutzes soll hier als gegliederte Einheit dargestellt werden. Ich möchte den | Aufbau der Gerichtsbarkeit systematisch darstellen: Verwaltungsgerichtsbarkeit; Dienstgerichtsbarkeit; Ehrengerichtsbarkeit; Ständische Verbandsgerichtsbarkeit; Standesgenössische Gerichtsbarkeit; Volksgenössische Gerichtsbarkeit. Ich werde Vorschläge für die Zuständigkeitsabgrenzung machen und betonen, daß eine straffe Zusammenfassung des Rechtsschutzes nottut, damit die Gefahr einer pluralistischen Aufspaltung vermieden wird. Ich werde Ihnen zu der Sitzung drei Anlagen des Referats mitbringen: 1) ein System der kombinierten Gestaltungsakte 2) ein System des Rechtsschutzes 3) die Thesen, die ich im Referat verfechten will. Ich werde Freitag abend1018 in Berlin ankommen und wahrscheinlich im Russischen Hof1019 wohnen. Mit den besten Grüßen! Heil Hitler! Ihr stets sehr ergebener 1018 1019

Am 20.12.1935. Der Russische Hof lag in der Georgenstraße im Bezirk Mitte.

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Nr. 145 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 10.1.1936 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Bund National-Sozialistischer Deutscher Juristen e. V. / Berlin W 35“, „v. M.[edem]/Mei. / Durch Eilboten“, „Der Leiter / der wissenschaftl. Abt[ei]l.[ung]“, Adresse: „Herrn / Professor Dr. Huber / Kiel / Hansastr. 79“

10.1.19351020 Sehr verehrter Herr Kollege! Bei den Besprechungen über die Vorbereitung der fachwissenschaftlichen Vorträge auf dem Deutschen Juristentag 19361021, die unter der Leitung des Reichsjuristenführers, Reichsminister Dr. Hans Frank, stattfanden, ist vorgesehen, dass Sie evtl. einen Vortrag – wahrscheinlich vor der Reichsfachgruppe Rechtsanwälte – über das Thema des freien Anwalts im nationalsozialistischen Staate übernehmen. Der Reichsfachgruppenleiter Rechtsanwälte, Herr Dr. Droege/Hamburg1022, will sich noch persönlich mit Ihnen in Verbindung setzen1023. Ich darf Sie bitten, mir mitteilen zu wollen, ob Sie zur Übernahme eines Referates bereit sein würden und gegebenenfalls zu einer Besprechung über die nähere Ausgestaltung des Themas, die zwischen den wissenschaftlichen Hauptrednern des Deutschen Juristentages geplant ist, am 18. Januar d. J., vormittags um 11 Uhr1024, nach Berlin in das Haus der Deutschen Rechtsfront1025, Tiergartenstr. 20, kommen könnten. i. A. des Reichsjuristenführers: Heil Hitler! Ihr sehr ergebener Prof. Carl Schmitt. Preussischer Staatsrat 1020

Das Schreiben ist offenbar versehentlich auf 1935 statt auf das Jahr 1936 da-

tiert. 1021 Der vom Bund nationalsozialistischer deutscher Juristen (BNSDJ) organisierte Deutsche Juristentag fand vom 16. bis 19.5.1936 in Leipzig statt. 1022 Heinrich Droege aus Hamburg war Mitglied des Reichsfachgruppenrates der Rechtsanwälte und Mitglied des Präsidiums der Anwaltskammer Hamburg. 1023 Ein entsprechender Brief von Droege an Huber ist nicht überliefert. 1024 An diesem Tag fand eine Vorbesprechung des Juristentages statt. Es kam zum offenen Konflikt zwischen Eckhardt und Schmitt. Mehring, S. 369. 1025 Die Deutsche Rechtsfront wurde am 1. Juni 1933 gegründet. Ihr gehörten neben dem Bund nationalsozialistischer deutscher Juristen zahlreiche gleichgeschaltete Berufsverbände an, die mit dem Rechtswesen zusammenhingen. Gruchmann, Justiz, S. 88.

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Nr. 146 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 24.1.1936 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag

24. Januar 1936 Hochverehrter Herr Staatsrat! Wie ich von mehreren Seiten höre, hat es Ihnen mißfallen, daß ich das mir angetragene Referat auf dem Juristentag nicht übernehmen konnte. Da ich in dieser Lage den direkten Weg für besser als Vermittlungen halte, schreibe ich Ihnen noch einmal1026 in dieser Angelegenheit. Meine Bitte, von der Uebertragung des Referats an mich abzusehen[,] hat, wie ich Ihnen bereits schrieb, ausschließlich sachliche Gründe. Ich sehe eine allgemeine Gefahr für die Wissenschaft unserer Zeit darin, daß Viele glauben, von allem etwas zu verstehen und über alles reden zu können. Ich habe von mir diese Meinung nicht, sondern bin mir meiner Grenzen durchaus bewußt. Ich halte es für meine durch wissenschaftliche Verantwortlichkeit gebotene Pflicht, nicht über eine Frage zu sprechen, für die ich m. E. aus den Ihnen mitgeteilten Gründen1027 inkompetent bin. Sehr würde ich es bedauern, wenn Sie hinter meinem sachlichen Vorbringen irgendwelche persönliche[n] Motive vermuteten. Um jedes Mißverständnis in dieser Richtung auszuschließen, versichere ich Ihnen nochmals in aller Form, daß von meiner Seite aus keinerlei derartige Beweggründe auch nur entfernt mitsprechen. Ich glaube[,] darauf hoffen zu dürfen, daß Sie einen aus wissenschaftlicher Ehrlichkeit entstandenen Entschluß nicht als eine persönliche Unfreundlichkeit auffassen und auf einen Mangel an Bereitschaft zur Mitarbeit zurückführen werden. Mit den besten Grüßen!

Heil Hitler! Ihr stets sehr ergebener

Nr. 147 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Kiel, 14.10.1936 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „An den Leiter / der wissenschaftl.[ichen] Abteilung / des BNSDJ / Herrn Staatsrat Prof. Dr. C. Schmitt / Berlin W 35 / Tiergartenstr. 20“ 1026

Ein erster Ablehnungsbrief Hubers zwischen dem 10. und dem 24.1.1936 ist nicht überliefert. 1027 Huber bezieht sich hier auf ein Gespräch oder ein Schreiben, das nicht überliefert ist.

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14. Okt. 1936 Hochverehrter Herr Staatsrat! Für Ihre ehrenvolle Aufforderung, für den Deutschen Juristentag ein Referat zu übernehmen1028, danke ich Ihnen verbindlichst. Ich würde an sich dieser Aufforderung gerne nachgekommen sein. Doch liegt das in Aussicht genommene Thema „Der freie Anwalt im nationalsozialistischen Staat“ meinem Arbeitsgebiet und meinem Gesichtskreis so fern, daß ich es nicht verantworten kann, die mir angetragene Aufgabe zu übernehmen1029. Die Behandlung des Themas setzt nicht nur umfassende geschichtliche und rechtsvergleichende Kenntnisse voraus, über die ich nicht verfüge. Sie verlangt auch ein echtes Verständnis für die innere Haltung des Anwaltstandes gegenüber seinem Amt, das mir durchaus fehlt. Dieser letztgenannte Mangel könnte auch durch ein eingehendes literarisches Studium nicht ausgeglichen werden. Für eine sachgemäße Berichterstattung scheint es mir schlechthin entscheidend zu sein, daß sie von jemandem übernommen wird, der die wirkliche konkrete Ordnung der Anwaltschaft und nicht nur die Anwaltsgesetzgebung kennt. Allein aus diesem Grunde bitte ich Sie, mich mit einem Referat über das genannte Thema nicht zu betrauen. Mit den besten Grüßen!

Heil Hitler! Ihr stets sehr ergebener

Nr. 148 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 11.3.1938 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich, gedruckter Kopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Dahlem / Kaiserswerther Str. 17“, handschriftliche Notiz auf dem Kopf: „beantw.[ortet] 21/5“

den 11. März 1938. Lieber Herr Huber, über die Nachricht1030 von der Geburt Ihres dritten Sohnes1031 haben Frau Schmitt und ich uns sehr gefreut. Wir gratulieren Ihnen und Ihrer sehr ver1028

Der Verein „Deutscher Juristentag“, der bis 1931 die Veranstaltungen organisiert hatte, wurde zum 1.7.1937 zwangsweise aufgelöst. 1029 Zum Thema: Udo Reifner, Die Zerstörung der freien Advokatur im Nationalsozialismus, in: Kritische Justiz 17 (1984), S. 380–393.

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ehrten Gattin herzlichst dazu und wünschen, daß es Mutter und Kind recht gut geht und beide sich bester Gesundheit erfreuen. Mit den besten Grüßen Ihr Carl Schmitt.

Nr. 149 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 28.5.1938 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Dahlem / Kaiserswerther Str. 17“

den 28. Mai 1938. Lieber Herr Huber! Vielen Dank für Ihr freundliches Schreiben vom 21. Mai1032. Frau Schmitt und ich haben mit großer Freude erfahren, daß es Ihrem jüngsten Sohn1033 jetzt wieder gut geht und hoffen, mit herzlichen Grüßen an Ihre Frau, daß es so bleibt und er Ihnen nicht mehr Sorge macht, als es nun einmal den Maßen menschlichen Glückes entspricht. Ihrem Buch über „Heer und Staat“1034 sehe ich mit großer Erwartung entgegen. Was sachliche Kritik und Gegenmeinung angeht, so bin ich, wie Sie wissen, eher neugierig als empfindlich. Gegenüber einer in unserm Fach besonders gefährlichen Art unsachlicher Gegnerschaft muß man sich einrichten, so gut es geht. Sie haben aber recht, wenn Sie die Möglichkeit unsachlicher Mißdeutungen sachlicher Gegensätze mit in Rechnung stellen. Deshalb habe ich mich über Ihren Brief besonders gefreut, sowohl aus persönlichen Gründen, in der Erinnerung unserer langjährigen Bekanntschaft, wie auch wegen unseres gemeinsamen Berufes und Standes. Ihr neues Thema ist nicht ohne Gefahren. Ich hoffe, daß Ihnen aber das Schlimmste 1030 Falls diese Nachricht per Anzeige oder Brief erfolgte, sind diese nicht überliefert. Huber könnte hier die Geburt seines dritten Sohnes als Chance genutzt haben, den Kontakt mit Schmitt nach einer Pause von fast eineinhalb Jahren wieder aufzunehmen. 1031 Albrecht Huber wurde am 7. März 1938 geboren. 1032 Der erwähnte Brief ist nicht überliefert. 1033 Nähere Angaben über Albrecht Hubers Krankheit konnten nicht ermittelt werden. 1034 Ernst Rudolf Huber, Heer und Staat in der deutschen Geschichte, Hamburg 1938.

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dessen erspart bleibt, was ich in dieser Hinsicht erfahren habe1035. Also nochmals besten Dank und alles Gute für Sie und Ihre Familie! Heil Hitler! Ihr Carl Schmitt. Nr. 150 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Leipzig, vor 11.7.1938 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Briefentwurf, handschriftlich mit Korrekturen, Rückseite: Anzeige einer sogenannten Kriegstrauung 1916, Johannes und Hella Niemeyer, geb. Simons1036, 11.7.1916

Hochverehrter Herr Staatsrat! Der 11. Juli 1938, der für Sie ein Tag des stolzen Rückblickes auf ein Leben der wissenschaftlichen Leistung ist, ist für Ihre Schüler und Freunde ein Tag des dankbaren und verehrenden Erinnerns1037. Als ich vor über einem Jahrzehnt meine von Ihnen betreute Dissertation veröffentlichte, durfte ich im Vorwort aussprechen, daß Ihnen, der Sie mir die Wege zur Erkenntnis des Geistes des öffentlichen Rechtes wiesen, meine stetige Dankbarkeit und Verehrung gelte1038. Nach einem Jahrzehnt eigener wissenschaftlicher Versuche und Bemühungen besteht dieses Bekenntnis Ihres einstigen Schülers in unvermindertem Maße fort. Sie haben in dieser Zeit der deutschen Wissenschaft eine solche Fülle tiefer Einsichten vermittelt und die geistige Gestalt unseres Volkes in so unvergänglicher Form mitgeprägt, | daß es der lauten und vielen Worte darüber nicht bedarf. Sie haben daneben auf eine weniger sichtbare, aber nicht weniger eindringende Weise durch das persönliche und vertraute Wort das Schaffen der heranwachsenden Generation in seiner Intensität, seinen Bahnen und seinen Zielen bestimmt. Wenn die deutsche Staatsrechtslehre und Staatstheorie dem Agnostizismus1039 des früheren Systems nicht vollends erlag, und wenn sie nicht unvorbereitet von dem großen Geschehen einer totalen Revolution ergriffen wurde, so war es das Verdienst der unerbittlichen geistigen Konsequenz, mit der Sie die Schleier von einer zerfallenden Staats- und Gesellschaftsordnung rissen. Wenn nun in einer Zeit der gestal1035 Schmitt spielt an dieser Stelle auf seinen „Sturz in der Ämterhierarchie“ Ende 1936 an, als er seine führende Stellung in der deutschen Rechtswissenschaft einbüßte, seine Professur in Berlin allerdings behielt. Mehring, S. 378–380. 1036 Vermutlich eine Schwägerin von Huber. 1037 Der 50. Geburtstag von Carl Schmitt. 1038 So wörtlich im Vorwort von Huber, Garantie, S. III. 1039 Ignoranz bzw. Erkenntnisverweigerung.

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tenden Tat die Achtung vor dem erkennenden Geist neu gewonnen werden | soll, so wird dies den wenigen großen wissenschaftlichen Leistungen zu danken sein, die, wie Ihr Werk über Hobbes1040, nicht dem Bedürfnis des Augenblickes verfallen sind, aber gerade dadurch der Gegenwart und Zukunft dienen. Es ist ein schönes Symbol Ihrer einzigartigen Stellung in der deutschen Wissenschaft, daß dieser 11. Juli 1938 seine Würde durch dieses Werk über den Leviathan1041 erhält. Indem Sie die innere Größe und die in der Größe gegebenen Gefahren eines geistigen Gebildes enthüllen, geben Sie an einem Beispiel eine Lehre, die bedeutungsvoll für die heutige und für fernere Zeiten sein wird. Erlauben Sie mir[,] ein persönliches Wort anzuschließen. Durch eine Kette von Mißverständnissen und unkontrollierbaren Zwischenträgereien ist in den letzten Jahren | das klare und eindeutige Verhältnis, das zwischen Ihnen und mir bestand, gelöst worden1042. Die Glückwünsche, die ich Ihnen zu Ihrem fünfzigsten Geburtstag auch im Namen meiner Frau von ganzem Herzen ausspreche, sollen durch diese Trübung nicht beschwert sein. Wenn ich Sie bitte, das Buch „Heer und Staat“ als ein bescheidenes Geschenk zu diesem Tage anzunehmen, so geschieht es, weil Sie auch hier durch Ihre Arbeit der Forschung den Weg zur Erkenntnis des Geistes, der die Zeiten und Gestalten formt, gewiesen haben1043. Ihr dankbar ergebener ERH Nr. 151 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 20.7.1938 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Dahlem / Kaiserswerther Str. 17“

den 20. Juli 1938. Lieber Herr Huber! Ihr Brief zu meinem 50. Geburtstag, das wunderschöne, kostbare Geschenk Ihres neuen Buches „Heer und Staat“ und die bedeutungsvolle Wid1040

Carl Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, Hamburg 1938. 1041 Ein Seeungeheuer in der christlich-jüdischen Mythologie, das bei Hobbes zum Symbol des Staates wird. 1042 Zwischen Oktober 1936 und März 1938 gab es offenbar keinen brieflichen Kontakt zwischen Schmitt und Huber. 1043 Schmitt hatte sich zu dem in Hubers Buch angeschnittenen Fragenkomplex des Verhältnisses von Heer und Staat u. a. in seiner Broschüre „Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches“ geäußert.

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mung1044 sind mir sehr nahe gegangen, weil alles durch die vielen, an wechselnden Ereignissen so reichen Jahre unserer Bekanntschaft einen andern, ernsteren und tieferen Sinn erhält, als ihn sonstige Beglückwünschungen haben können. Ich danke Ihnen herzlich dafür und freue mich vor allem, einen so schönen Anlaß zu finden, um Ihnen meine vertrauensvolle Freundschaft zu versichern, an der jedes weitere Mißverständnis und alle Zwischenträgereien scheitern sollen. Da Sie in Ihrem Brief auch meine „durch das persönliche und vertraute Wort“ bestimmte | Wirksamkeit erwähnen, darf ich noch einen besonderen Wunsch hinzufügen: daß wir uns einmal wieder zu einem Gespräch zusammenfinden, in dem jeder über sachliche und persönliche Angelegenheiten unbedenklich sprechen kann und die Möglichkeit von Mißverständnissen und Zwischenträgereien durch die Unmittelbarkeit der Aussprache von selbst ausgeschlossen ist. Ihr neues Buch nehme ich mit in die Ferien. Ein Blick hat mir schon die ungewöhnliche Leistung und den starken Anstoß zum Bewußtsein gebracht, der sowohl für mich wie für uns alle davon ausgehen wird. Ich hoffe, in einigen Wochen Sauerland1045 zu klareren Stellungnahmen zu kommen, als sie mir jetzt möglich sind. Im Hintergrund steht die beunruhigende Frage der stecken gebliebenen Bewegung des Jahres 18481046, die ich wie einen Albdruck empfinde. Ihr | Buch spannt den Rahmen so weit, daß die Gefahr, in der Sackgasse einer bloßen Verneinung des 19. Jahrhunderts zu enden, überwunden ist. Aber die Frage „Heer und Budget“ ist mir noch nicht endgültig beantwortet; sie steht hinter Ihrer Kritik meiner Beurteilung1047 der Indemnitätsvorlage1048, und von dort her will ich versuchen, Ihrem Buch verfassungsgeschichtlich nahe zu kommen1049. Ich weiß selber nicht, wie das Ergebnis ausfallen wird; aber daß Ihre hervorragende wissenschaftliche Arbeit dabei ihre volle Anerkennung finden wird, steht jetzt schon außer 1044 Die Widmung lautete: „Herrn Staatsrat Carl Schmitt dem Meister und Lehrer der Geschichte, der Theorie und des Rechts der Verfassung zum 11. Juli 1938 in dankbarer Verehrung überreicht.“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 23184. 1045 Schmitt plante in den Sommersemesterferien 1938 wohl – wie üblich – einen Aufenthalt in Plettenberg. 1046 Die Beurteilung der Revolution von 1848/49 fiel damals (und fällt bis heute) sehr uneinheitlich aus; dabei ist oft vom Scheitern, aber auch vom Steckenbleiben die Rede. Hubers Ansicht zu 1848 in: Ernst Rudolf Huber, Der Volksgedanke in der Revolution von 1848, in: Paul Ritterbusch (Hg.), Politische Wissenschaft, Berlin/ Leipzig/Wien 1940, S. 11–26. 1047 Schmitt, Staatsgefüge. 1048 Bismarck verfolgte 1866 die Strategie, sich vom Preußischen Abgeordnetenhaus nachträglich eine Legitimation, d.h. Indemnität, für eine dreijährige Regierung ohne ordentliches Budget zu besorgen. Ernst Rudolf Huber (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851– 1918, Stuttgart 1964, Nr. 83, S. 88 f. 1049 Huber, Heer, S. 239–244.

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Zweifel und außer jedem Streit. In diesem Zusammenhang möchte ich auch nicht verschweigen, daß mich die Art und Weise, wie Sie Ihre Kritik meiner Schrift „Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches“ von der Hartungs1050 absetzen1051, überaus wohltuend berührt hat. Doch will ich in diesem Dankesbrief nicht gleich in eine fachwissenschaftliche Erörterung | verfallen. Ich freue mich vielmehr auf den Umgang mit Ihrem Buch, der mir den Aufenthalt in den sauerländischen Bergen zu einer besonders schönen und fruchtbaren Ferienzeit machen wird. Daß Sie meinem „Leviathan“ einiges Gute abzugewinnen wissen, macht mir die größte Freude. Es war, oder vielmehr ist kein leichtes Experiment, und Niemand weiß, was daraus noch wird. Einige Zuschriften haben mir bereits bewiesen, wie die Aufdeckung der spezifisch jüdischen Haltung Wut und Haß hervorruft, und das Weitere werden dann deutsche Kollegen schon eifrigst besorgen1052. Aber auch das liegt in Gottes Händen und ist kein Grund zur Sorge oder zur Verzweiflung gegenüber den mannigfachen Arten „indirekter Gewalten“. Ich grüße Sie und Ihre Frau herzlichst, lieber Herr Huber[,] und wünsche Ihnen und Ihrer Familie, auch im Namen von Frau Schmitt, alles Gute. Mit nochmaligem Dank für Ihre schöne und inhalt[s]reiche Gratulation bleibe ich in alter Anhänglichkeit und Treue allezeit Ihr Carl Schmitt. Nr. 152 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 4.12.1938 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

den 4. Dez. 1938. Lieber Herr Huber, vielen Dank für Ihren Brief1053. Die Aussicht, Sie Ende dieser Woche wiederzusehen, erfüllt mich mit großer Freude. Da Freitag abend1054 der Emp1050 Gemeint war der Artikel des Verfassungshistorikers Fritz Hartung in der „Historischen Zeitschrift“ des Jahres 1935, in dem dieser auf Schmitts gleichnamige Broschüre reagierte. Hartung, Staatsgefüge. 1051 Huber, Heer, S. 225, Anm. 1 und 2. 1052 Zur Reaktion auf den „Leviathan“: Mehring, S. 386–388. Den Antisemitismus in Schmitts „Leviathan“ kritisierte besonders der Bonner Theologe Erik Peterson. Generell dazu: Raphael Gross, Carl Schmitt und die Juden. Eine deutsche Rechtslehre, Frankfurt a. M. 2000.

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fang bei R.[eichs-]Minister Frank ist, werden wir diesen Abend nicht gut verwenden können. Hoffentlich geht es dann Samstag abend, von dem ich allerdings noch nicht weiß, ob wir dann für uns allein sein können. Auf Ihre neue Arbeit bin ich sehr begierig. Es gibt heute wenig Gutes. Was Sie „Neo-Positivismus“ nennen1055, ist mit „Neo“ noch zu gut bezeichnet. Es ist das ganz alte, nationalliberale, verkrampfte, dem nur die lieben Juden fehlen. Auf Wiedersehn, lieber Herr Huber! Viele herzliche Grüße von Haus zu Haus! Ich bleibe, mit Heil Hitler! stets Ihr alter Carl Schmitt.

Nr. 153 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Leipzig, 1.3.1939 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag

Leipzig C 11056, 1. März 1939 Helfferichstr.1057 112 Hochverehrter Herr Staatsrat! Unser Institut für Politik, das von Herrn Gerber und mir geleitet wird1058, veranstaltet in jedem Semester gemeinsam mit dem Freyer’schen1059 Insti1053 Offenbar ein nicht überliefertes Schreiben, in dem er u. a. seinen Besuch in Berlin ankündigt. 1054 Der 9.12.1938. 1055 Die Aussage bezieht sich offenbar auf eine Stelle in einem nicht überlieferten Schreiben. 1056 C 1 war die Kennzeichnung des Leipziger Hauptpostamts am Augustusplatz. 1057 Karl Helfferich (1872–1924) war ein deutschnationaler Politiker und Bankier. Die besagte Straße heißt heute Käthe-Kollwitz-Straße. 1058 Es handelt sich um das Institut für Politik, ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Leipzig. Huber war 1937 von der Universität Kiel nach Leipzig gewechselt. Zu den dortigen Verhältnissen: Ulf Morgenstern, Die riskante „Rückkehr in das gesegnete rheinische Land“. Über Ernst Rudolf Hubers sächsische und elsässische Jahre und deren Darstellung in seinen „Straßburger Erinnerungen“, in: Ronald Lambrecht/Ulf Morgenstern (Hg.), „Kräftig vorangetriebene Detailforschungen“. Aufsätze für Ulrich von Hehl zum 65. Geburtstag, Leipzig/Berlin 2012, S. 243–273, hier S. 247–253. 1059 Hans Freyer (1887–1969) lehrte seit 1925 in Leipzig Soziologie und leitete seit 1933 die Deutsche Gesellschaft für Soziologie. Siehe unten Anm. 1227. Jerry Z. Muller, The Other God That Failed. Hans Freyer and the Deradicalization of German Conservatism, Princeton 1987.

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tut für Kultur- und Universalgeschichte eine politische Vortragsreihe1060. In Vertretung von Herrn Freyer wird diese Vortragsreihe jetzt von dem Dozenten Dr. Pfeffer1061 betreut. Wir haben vor, die Vorträge des Sommers in lockerer Weise um das Thema Frankreich zu gruppieren, nachdem wir in diesem Semester englische Probleme behandelt haben1062. Wir haben nun an Sie die herzliche Bitte, im Sommersemester in dem genannten Rahmen mit einem Vortrag mitzuwirken. Wir haben daran gedacht, daß es Sie interessieren könnte, über die Gestalt des französischen Juristen zu sprechen1063. Wenn Ihnen aber ein anderes Thema näher liegt, so fügen wir uns sehr gerne. Vielleicht gibt es ein schönes völkerrechtliches Thema, das in besonderer Weise mit Frankreich verknüpft ist und das Sie für geeignet ansehen. Wir haben gefunden, daß diese Vortragsreihe, die wir in ganz kleinem Kreise, also in seminaristischer Form, veranstalten, ein sehr nützliches Mittel aussenpolitischer Erziehung darstellt. Vor allem1064 die anschließenden Aussprachen, für die sich die Redner zur Verfügung gestellt haben, [sind]1065 sehr ergiebig und aufschlußreich gewesen1066. Wir stellen Ihnen also kein großes Publikum in Aussicht, aber da die Intensität der Rede bei einem kleinen Hörerkreis besonders stark sein kann, würde es sich doch um keine undankbare Aufgabe handeln. Da ich nun gerade dabei bin, Ihnen Wünsche vorzutragen, erlauben Sie mir auch noch eine zweite Bitte zu äussern. Die „Zeitschrift für | die ge1060 Seit dem Sommersemester 1938 fanden im Rahmen des „Kolloquiums über Außenpolitik und Staatenkunde“ Vorträge statt. Dieses wurde von Freyer, Huber und Gerber geleitet. Morgenstern, S. 250. Hermann Heimpel referierte in diesem Rahmen am 14. Juli 1939 über „Frankreich und das Reich“. Gedruckt in: Historische Zeitschrift 161 (1940), S. 229–243. Anne Christine Nagel, Im Schatten des Dritten Reichs. Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1970, Göttingen 2005 (= Formen der Erinnerung, 24), S. 73. 1061 Karl Heinz Pfeffer (1906–1971) hatte sich 1934 in Leipzig für Soziologie habilitiert und lehrte seit 1940 als außerordentlicher Professor für Volks- und Landeskunde Großbritanniens an der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Universität Berlin. 1962 wurde er Abteilungsleiter an der Sozialforschungsstelle Dortmund und erhielt eine Professur in Münster. Klee, S. 458. 1062 Siehe oben Anm. 1060. Näheres zu den Leipziger Vorträgen über Frankreich und England war nicht zu ermitteln. 1063 Später erschien: Carl Schmitt, Die Formung des französischen Geistes durch den Legisten, in: Deutschland-Frankreich 1 (1942), S. 1–30. 1064 An dieser Stelle findet sich im Typoskript das Wort „haben“, das im Satzzusammenhang keinen Sinn ergibt. 1065 Das Wort steht im Original am Satzende, muss aber grammatikalisch hierhin. 1066 Offenbar hat Huber den Satz beim Schreiben umformuliert und die Änderung des Satzanfangs versäumt.

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samte Staatswissenschaft“ wird im Herbst in ihrem hundertsten Bande erscheinen. Ich möchte versuchen, dieses Gedenken in der Form zu begehen, daß ich ein besonders gutes Heft der Zeitschrift herausbringe. Es würde die Zeitschrift ehren, wenn Sie sich bereit finden würden, für das im Oktober erscheinende erste Heft des hundertsten Bandes, einen Aufsatz zu schreiben1067. Ich bitte Sie sehr herzlich auch um diesen Dienst. Das Semester war für mich sehr arbeitsam; mit viel Mühe, aber auch viel Freude habe ich Völkerrecht gelesen1068. Man sollte nur die Möglichkeit haben, sich ganz auf dieses Gebiet zu konzentrieren. Mein Seminar über die Revolution von 18481069 war sehr erfreulich; diese Leipziger Studenten sind von einem unheimlichen Eifer, und es ist erstaunlich, was auch Leute mittlerer Begabung leisten können. Das Thema der Revolution ist unerschöpflich; ich habe versucht, dem Zusammenhang von idealistischer Philosophie und politischer Aktion ein wenig nachzuspüren, und ich glaube eine der Ursachen für das Versagen der bürgerlichen Revolution hier entdeckt zu haben. (Wenn das richtig ist, dann hätte Ihr Wort von 1933 „Hegel ist tot“1070 noch eine besondere Bedeutung). Ich will jetzt für einige Wochen1071 zum Skilaufen. Falls Sie mir schreiben wollen, so erreicht mich bis Mitte März die Post unter der Anschrift: Kölner Haus im Komperdell,1072 Ried in Tirol1073. Mit den besten Grüßen und herzlichen Wünschen für die Ferien! Heil Hitler!

1067 Carl Schmitt, Das ‚allgemeine deutsche Staatsrecht‘ als Beispiel rechtswissenschaftlicher Systembildung, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 100 (1940), S. 5–24. 1068 Huber bot im Wintersemester 1938/39 eine Vorlesung zum Völkerrecht an. Universität Leipzig, Vorlesungs-Verzeichnis Wintersemester 1938/39, Leipzig o. J. [1938], S. 90. 1069 Huber veranstaltete ein Seminar mit dem Titel „Die deutsche Revolution 1848/49“ im Sommersemester 1939. Vorlesungsverzeichnis Leipzig 1939, S. 76. Daraus ergab sich die Veröffentlichung des Aufsatzes über 1848. Huber, Volksgedanke. 1070 Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 31 f. Am 30.1.1933 sei, so Schmitt „Hegel gestorben“, weil nun nicht mehr die „Einheit von Beamtentum und staatstragender Schicht“ gegeben sei. 1071 Gemeint waren wohl zwei Wochen. 1072 An dieser Stelle steht ein vermutlich verschriebenes und gestrichenes Wort „Rest“. 1073 Das Kölner Haus auf 1.985 Meter Meereshöhe und die Komperdellalpe sind vom östlich gelegenen Tiroler Wintersportort Serfaus (1.429 m) erreichbar. Nordöstlich von Serfaus liegt Ried im Oberinntal (876 m), knapp neunzig Kilometer westlich von Innsbruck.

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Nr. 154 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 9.3.1939 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Motiv auf der Rückseite: Plettenberg (Sauerland), Adresse: „Herrn / Prof. Dr. E. R. Huber / Leipzig / Helfferichstr. 12“

Lieber Herr Huber, besten Dank für Ihr Schreiben, das ich mit herzlichen Ferienwünschen an Ihre Leipziger Adresse beantworte, weil ich die Ferienadresse nicht hier habe. Das Thema „Gestalt des französischen Juristen“1074 lockt mich sehr. Hoffentlich können wir in Kiel1075 darüber1076 sprechen; ebenso über den Plan eines Aufsatzes für Ihre Zeitschrift. Inzwischen alles Gute für Ihre Ferien. Stets Ihr Carl Schmitt. 9.3.1939

Nr. 155 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Leipzig, 17.4.1939 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Berlin-Dahlem1077 / Kaiserswerther Str.“

am 17. IV. 1939. Hochverehrter Herr Staatsrat! Bei unserer Unterhaltung in Kiel über den Vortrag, den ich Sie im Rahmen unserer Frankreich-Vortragsreihe zu halten bat, sind wir nicht zu einer endgültigen Abrede gekommen. Ich glaubte[,] Sie aber doch so verstehen zu dürfen, daß Sie zwar die gegenwärtige französische Situation für fragwürdig 1074 Später lautete der Titel „Die Formung des französischen Geistes durch den Legisten“. 1075 In Kiel fand unter der Leitung von Paul Ritterbusch vom 31.3. bis 3.4.1939 die 25jährige Jubiläumsfeier des Instituts für Politik und Internationales Recht statt, zu der auch die Reichsfachgruppe Hochschullehrer tagte. Schmitt trug am 1.4.1939 vor. Mehring, S. 393. Gekürzt in: Carl Schmitt, Der Reichsbegriff im Völkerrecht, in: Deutsches Recht 9 (1939), S. 341–344, übernommen in: ders., Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht, Berlin/Wien/Leipzig 1939 (= Schriften des Instituts für Politik und Internationales Recht an der Universität Kiel, NF 7), S. 35–49, vollständig in: ders., Positionen, S. 303–312. 1076 Die Lesung des Wortes ist wegen der an dieser Stelle gelochten Postkarte nicht ganz sicher. 1077 Stadtteil im Südwesten Berlins.

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halten, daß Sie aber trotz dieses allgemeinen Bedenkens bereit sind, zu uns über die Gestalt des französischen Juristen zu sprechen. Unsere Vorträge finden Freitags abends statt[,] und ich möchte Sie bitten, mir bald einen genauen Termin zu nennen, der Ihnen passend erscheint. Die Termine bis zum 5. Mai einschließlich sind fest belegt, außerdem ist der 30. Juni und der 14. Juli vergeben, unter den übrigen Terminen aber haben Sie die freie Entscheidung. Für einen freundlichen Bescheid wäre ich Ihnen zu besonderem Dank verpflichtet. Mit besten Grüßen! Heil Hitler! Ihr stets ergebener

Nr. 156 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 21.4.1939 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich, gedruckter Kopf: „Staatsrat Professor Carl Schmitt“, gestrichen: „Berlin-Steglitz / Schillerstr. 2“

Dahlem, 21/4 39. Lieber Herr Huber! Besten Dank! Ich schlage Freitag, den 2. Juni[,] vor. Das Thema macht mir große Freude, nachdem ich wieder einen Blick in Bodins1078 Six livres getan habe (Buch III C. 2.)1079. Ist Ihr Kieler Vortrag im MS zu sehen?1080 Ich habe nachträglich noch vieles davon gehört, das mich für meine Sommersemestervorlesung über Verfassungsgeschichte1081 sehr neugierig gemacht hat. Heil Hitler! Herzlich Ihr Carl Schmitt.

1078 Jean Bodin (1529/30–1596) war einer der bedeutendsten französischen Staatstheoretiker. 1079 Jean Bodin, Les six livres de la République. Livre troisième, Paris 1986 [zuerst 1576], S. 45–69 (Kap. 2: „Des Officiers et Commissaires“). 1080 Huber, Volksgedanke. 1081 Er hielt die Vorlesung – wie schon im Wintersemester 1936/37 und in den Sommersemestern 1938 und 1939 – unter dem Titel „Rechtsentwicklung der Neuzeit“. Mehring, S. 398.

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Nr. 157 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Leipzig, 29.4.1939 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6268, Durchschlag: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Dr. Ernst Rudolf Huber / Professor der Rechte / Leipzig, / Helfferichstr. 12“, Adresse: „Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Berlin-Dahlem / Kaiserswerther Str.“

am 29. IV. 1939. Hochverehrter Herr Staatsrat! Haben Sie sehr herzlichen Dank für Ihre freundliche Mitteilung vom 21. April. Wir erwarten Sie also am Freitag, den 2. Juni. Ich nehme an, daß es Ihnen recht ist, wenn wir Ihnen hier ein Zimmer in einem guten Hotel bestellen. Mein Kieler Vortrag wird in einer erweiterten Fassung in den nächsten Tagen in der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft erscheinen1082. Ich werde Ihnen dann sofort einen Sonderdruck zusenden. Es hat mir besonders leid getan, Ihren Vortrag nicht gehört zu haben. Aus den Zeitungsberichten1083 und den sonstigen Darstellungen kann man sich ein zuverlässiges Bild des Gesamten doch nicht machen. Beim Anhören der gestrigen Führerrede1084 war ich bei der Stelle über die Monroedoktrin1085 lebhaft an das erinnert, was ich an Einzelheiten über Ihren Vortrag hörte. Es schien mir, als hätten Sie hier doch etwas sehr wesentliches in Ihrem Vortrag bereits vorweggenommen. Mit herzlichen Grüßen! Heil Hitler! Ihr ganz ergebener Ernst Rudolf Huber 1082

Ernst Rudolf Huber, Der Volksgedanke in der Revolution von 1848, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 99 (1939), S. 393–439. 1083 Zeitungsberichte – etwa in den „Kieler Neuesten Nachrichten“ – über den Schmitt-Vortrag in Kiel am 1.4.1939 konnten nicht ermittelt werden. Siehe oben Anm. 1075. 1084 In seiner Rede am 28.4.1939 vor dem Reichstag lehnte Hitler die Forderung des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt (1882–1945) ab, eine Nichtangriffserklärung abzugeben. 1085 Im Jahre 1823 hatte der amerikanische Präsident James Monroe (1758–1831) die gegenseitige Nichteinmischung der europäischen und amerikanischen Staaten auf dem jeweils anderen Kontinent deklariert. Schmitt hatte seinerseits für Deutschland 1939 einen mittel- und osteuropäischen „Großraum [. . .] mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte“ gefordert.

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Nr. 158 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Leipzig, 30.5.1939 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6269, Durchschlag: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Dr. Ernst Rudolf Huber / Professor der Rechte / Leipzig, / Helfferichstr. 12“, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Berlin-Dahlem / Kaiserswerther Str. 17“

30. Mai 1939. Hochverehrter Herr Staatsrat ! Obwohl nur wenige Tage uns von Ihrem Besuch in Leipzig trennen1086, möchte ich Ihnen noch schreiben, um Ihnen herzlich für die Zusendung Ihrer Schrift über die „Völkerrechtliche Grossraumordnung“1087 und Ihres Aufsatzes über „Neutralität und Neutralisierungen“1088 zu danken. Ich bedaure nun noch mehr als vorher, dass ich Ihren Vortrag in Kiel und die anschliessende Diskussion versäumt habe. Allerdings führen Ihre beiden Arbeiten, die in einem sehr tiefen und bezeichnenden inneren Zusammenhang stehen, auf eine Fülle so schwieriger Fragen und komplexer Sachverhalte, dass weder Diskussionen noch auch ein Briefwechsel das Wesentliche ausschöpfen könnten. Es wird Ihnen oft gesagt worden sein, aber es scheint mir wichtig genug, es zu wiederholen, wie sehr Ihre Arbeiten aus den beiden letzten Jahren an die Funktion Ihrer früheren Schriften erinnern: sie bestimmen die innere Situation der Zeit in einem Augenblick, in dem die wahre Struktur noch von Schutt und Abraum verdeckt ist – und sie bezeichnen die Tendenz einer Entwicklung in einem Moment, in dem die bestimmende[n] Kräfte sich ihm selbst noch nicht bewusst geworden sind. Es gehört auch zum inneren Gesetz dieser Ihrer neuen Schriften wie der älteren, dass sie Widerspruch hervorrufen müssen. Jedenfalls scheint mir, dass Ihre grosse Wirksamkeit | nicht so sehr auf dem ungeteilten Beifall beruhte (wie Sie ihn etwa mit der Schrift über das „Ordnungsdenken“ fanden, wobei die Folge war, dass eine wesentliche Erkenntnis in den Mund Aller geriet und dort zu einer Banalität wurde), sondern dass diese Wirksamkeit ihre Tiefe und Dauer dort fand, wo Sie eine echte wissenschaftliche Diskussion ausgelöst haben. Ich würde sehr wünschen, dass Ihre neuen Schriften 1086 Schmitt kam nach Leipzig und hielt vermutlich den Vortrag über den französischen Legisten. Mehring glaubt, dass Schmitt nicht am 1. Großdeutschen Rechtswahrertag in Leipzig teilgenommen habe. Mehring, S. 396. 1087 Siehe oben Anm. 1075. 1088 Carl Schmitt, Neutralität und Neutralisierungen. Zu Christoph Steding „Das Reich und die Krankheit der europäischen Kultur“, in: Deutsche Rechtswissenschaft 4 (1939), S. 97–118.

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diesen echten wissenschaftlichen Kampf, in dem es nicht um taktische Positionen, um opportunistische Rücksichten, um das Geltungsbedürfnis von „Richtungen“ und „Schulen“, sondern um die Sache selbst geht, einleiten werden. Eine „Wissenschaft“, die entweder fraternisiert oder diffamiert, hat mit Wissenschaft wenig mehr zu tun. Von den zahlreichen Fragen, die Ihre Schriften aufrollen, scheint mir für eine solche Diskussion u. a. sehr wichtig die auffällige Differenzierung, die Sie zwischen der Monroe-Doktrin und dem englischen Reichsgedanken vornehmen1089. Selbstverständlich sehe ich, dass Sie die Monroe-Doktrin nur als Beispiel und nicht als Vorbild aufführen. Doch empfinden Sie offenbar die klassische Monroe-Doktrin als ein irgendwie gerechtfertigtes politisches Prinzip, das englische Weltreich aber als ein in sich brüchiges und verwerfliches politisches System. Obwohl Sie darin vielleicht atavistisch-nationalliberale Anglophilie vermuten werden, bekenne ich, dass mir der englische Reichsgedanke als ein grossartiger und in sich gerechtfertigter Fall von Grossraumordnung erscheint (gerechtfertigt durch eine grosse Leistung des Aufbaues und der Ordnung), während ich die Monroe-Doktrin auch in ihrer klassischen Prägung für eine durch keinerlei Leistung oder sonstigen Titel legitimierte Anmassung halte. Weil das – nach meiner Ansicht – so ist, ist England unser notwendiger Feind, sobald wir mehr sein wollen als ein Volk – nämlich ein Reich. Ihr Einwand gegen das englische Weltreich, dass es sich nicht auf einen geschlossenen Grossraum, sondern auf Einzelräume und ihre Verbindungswege beziehe, überzeugt mich nicht ganz. Wäre nicht auch unser Reich, wenn ihm erst die volle | Entfaltung gelänge, eine grossräumige Ordnung, die die ganze Weite des Erdballs umgreift? Liegt nicht gerade darin der Grund für den unentrinnbaren Widerstreit, der die beiden grossen Reichsvölker voneinander trennt? Das vergangene Jahr, das uns diesen Weg vom Volk zum Reich hat beschreiten lassen1090, mit allen verhängnisschwangeren Notwendigkeiten, die wir damit auf uns nehmen, lehrt uns – so scheint mir – auch die Situation des Zweiten Reiches und seines Gründers besser und gerechter begreifen. Bismarck hat diesen Weg vom kontinentalen Nationalstaat zum Welt-Reich lange gescheut und ihn dann doch wagen müssen1091. Die Verfassungsfrage, vor die er gestellt war, lautete damit: In welcher inneren Verfassung muss ein Volk sein, um die äussere Verfassung einer Grossraumordnung sicher 1089 Schmitt kontrastierte die Monroe-Doktrin und den englischen Reichsgedanken u. a. in Schmitt, Großraumordnung. 1090 Das war die gängige Interpretation der nationalsozialistischen Staats- und Verfassungsrechtler für den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938. 1091 Erst 1884 begann die deutsche Kolonialpolitik, als Südwestafrika, Togo und Kamerun unter deutschen „Schutz“ gestellt wurden.

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und dauerhaft entwickeln zu können? Es ist kein Wort darüber zu verlieren, dass Bismarck dieses Problem nicht gemeistert hat. Wir stehen heute vor der gleichen Frage, die mit der Antithese „Neutralität oder Totalität“1092 doch wohl nur näher umschrieben, aber noch nicht beantwortet ist. Jedenfalls wissen wir, dass die innere Verfassung, um die es dabei geht, nicht auf Institutionen oder Ideologien, sondern auf Auslese und Haltung beruht. – Es würde mich besonders freuen, wenn Ihre Zeit erlaubte, etwas länger in Leipzig zu bleiben. Falls Sie schon am Freitag Nachmittag1093 hier sind, so lassen Sie es mich bitte wissen. Im übrigen wird Herr Dr. Pfeffer die technischen Fragen Ihres Besuches mit Ihnen geordnet haben. Mit sehr herzlichen Grüssen! Heil Hitler! Ihr stets ergebener Ernst Rudolf Huber Nr. 159 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 2.11.1939 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Karte, handschriftlich, gedruckter Fuß: „Berlin-Dahlem / Kaiserswerther Str. 17 / Tel. 76 29 14“

[erste Zeile gedruckt:] Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt spricht, auch im Namen von Frau Schmitt, die herzlichsten Wünsche aus zur Geburt des kleinen Gerhard Huber1094 und hofft, daß es Mutter und Kind recht gut geht. 2.11.1939. Nr. 160 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 4.1.1940 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Motiv auf der Rückseite: Plettenberg (Sauerland), Adresse: „Herrn Prof. Dr. E. R. Huber / Leipzig C. / Helfferichstr. 12“

4/1 1940 Lieber Herr Huber, vielen Dank für Ihre Neujahrswünsche1095, die ich herzlich von Haus zu Haus erwidere; besondren Dank auch für Ihren Aufsatz 1092 Carl Schmitt, Völkerrechtliche Neutralität und völkische Totalität, in: Monatshefte für Auswärtige Politik 5 (1938), S. 613–618. 1093 Der 2.6.1939. 1094 Gerhard Huber war am 28. Oktober 1939 zur Welt gekommen.

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aus der „Deutschen Rechtswissenschaft“1096, der mir für die Vorlesung dieses kommenden Trimesters1097 wie gerufen erscheint. Nächstens erhalten Sie meine „Positionen und Begriffe“1098. Aus dem Sauerland die besten Grüße Ihres alten Carl Schmitt

Nr. 161 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Leipzig, 21.2.1940 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6270, Durchschlag: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Dr. Ernst Rudolf Huber / Professor der Rechte / Leipzig, / Helfferichstr. 12“

den 21. Febr. 40. Hochverehrter Herr Staatsrat! Von ganzem Herzen beglückwünsche ich Sie zu der Herausgabe der „Positionen und Begriffe“ und besonders herzlich ist mein Dank für die Worte der Freundschaft und Verbundenheit, mit der Sie mir das Buch übersandt haben1099. Es konnte, wenn ich dieses persönliche Bekenntnis an die Spitze stellen darf, in dieser Zeit kein Buch erscheinen, das mich so zwingend auf die sachlichen und menschlichen Voraussetzungen meiner wissenschaftlichen Existenz hinweisen konnte wie diese Veröffentlichung. Ich habe, wie meine Generation, meine erste Berührung mit der Wissenschaft in jenen Jahren erfahren, in denen das Erlebnis des Weltkrieges noch unmittelbar gegenwärtig war und die Systeme von Versailles, Genf und Weimar1100 noch offenkundig als die Symbole des deutschen Zusammenbruchs und der nationalen Er1095

Ein Schreiben mit Neujahrswünschen ist nicht überliefert. Vermutlich: Ernst Rudolf Huber, Die Rechtsgestalt der NSDAP, in: Deutsche Rechtswissenschaft 4 (1939), S. 314–351. 1097 Schmitt hielt im ersten Trimester 1940 zwei Vorlesungen: „Volk und Staat“ sowie „Verfassung“. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Vorlesungsverzeichnis 1. Trimester 1940, Berlin o. J. [1940], S. 23. 1098 Carl Schmitt, Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles 1923–1939, Hamburg 1940. 1099 Offenbar ist das Begleitschreiben zum Buch verloren gegangen. 1100 Gemeint sind der Versailler Friedensvertrag von 1919, der in Genf ansässige Völkerbund, dem Deutschland seit 1925 angehörte, sowie – nach dem Ort der Verfassungsverhandlungen – die Weimarer Republik. 1096

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niedrigung erschienen. Vielleicht musste man im Rheinland leben, um diese Situation in ihrer vollen Heillosigkeit zu empfinden; jedenfalls musste es ein Rheinländer sein1101, der diese Lage wissenschaftlich und politisch so enthüllte, dass es nun keine Verschleierung mehr gab. Ihr Vortrag „Völkerrechtliche Probleme im Rheingebiet“ hat damals auf „jene gefährliche, aber vielleicht typisch-deutsche Polarität“ hingewiesen: „ein starkes, aber unklares Gefühl der Entrüstung in Verbindung mit einer technisch-fleissigen und sogar pedantischen, irgendeinen Zustand als nun einmal gegeben hinnehmenden Kleinarbeit“1102. Wenn man diesen Satz heute liest, so fühlt man sich mit einem Schlage in die innere Haltung jener Jahre zurückversetzt[,] und man erinnert sich mit einem Male wieder daran, was Ihre Reden und Aufsätze über die Stellung des Rheinlandes1103 damals bedeuteten, indem sie jene gefährliche Polarität durch den erkennenden Vorstoss in die konkrete Situation überwanden. Sollte ich mich darin irren, dass auch für | Sie die innere Notwendigkeit, die konkrete Situation zu erkennen, in der das Rheinland und wir Rheinländer1104 uns befanden, der eigentliche Ansatz für das „konkrete Denken“ gewesen ist, wie Sie es seitdem für Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Verfassungsrecht und Völkerrecht zur bestimmenden Methode haben werden lassen? Wenn eine spätere Generation den Vorwurf erhoben hat, die Wissenschaft jener Zeit habe „politisch versagt“, so hat sie weder jene Zeit wirklich gekannt noch von dem Kampfe und von den Waffen gewusst, der in solchen Aufsätzen und Reden geführt worden ist. Meine Altersgenossen, für die ich hier sprechen darf, haben jedenfalls den Weg zu Ihnen gefunden1105, nicht nur weil Sie ein geistvoller Autor, ein glänzender Redner und ein hinreissender Lehrer waren, wie Ihre Gegner Ihnen damals wie heute gerne bescheinigten, sondern weil Sie mit den Waf-

1101 Schmitt war gebürtiger Plettenberger und damit Westfale. Er lehrte allerdings in den 1920er Jahren im rheinischen Bonn und 1932/33 in Köln. 1102 Carl Schmitt, Völkerrechtliche Probleme im Rheingebiet, in: Rheinischer Beobachter 7 (1928), S. 340–344, hier S. 340. Der Vortrag fand am 28.10.1928 anlässlich der Tagung des Verbandes Deutscher Geschichtslehrer statt. Benoist, S. 96. 1103 So beispielsweise Carl Schmitt, Neue Herrschaftsformen im Kampf um den Rhein, in: Hans-Heinrich Schmidt-Voigt u. a. (Hg.), Deutsche Kultur. Ein Lesebuch von deutscher Art und Kunst für die Oberstufe höherer Schulen, Frankfurt a. M. 1925, S. 142–145, oder ders., Die politische Lage der entmilitarisierten Rheinlande, in: Abendland 5 (1930), S. 307–311. 1104 Huber empfand sich als Rheinländer, obwohl er nicht im preußischen Rheinland, sondern in der oldenburgischen Exklave Birkenfeld (Oberstein an der Nahe) geboren worden war. 1105 Huber (geb. 1903) meint hier die in benachbarten Jahrgängen geborenen Schmitt-Schüler, u. a. Ernst Forsthoff (geb. 1902), Ernst Friesenhahn (geb. 1901) und Werner Weber (geb. 1904).

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fen Ihres Geistes und Ihrer Beredsamkeit einen entschiedenen und überlegenen Kampf gegen die Mächte, die uns in Fesseln hielten, führten. Ich darf sagen, dass ich mich bei jeder dieser Arbeiten an die Situation erinnere, in der Sie damit hervortraten, und ich weiss, dass jede von ihnen eine kämpferische Tat war, die aus der geistigen Entwicklung dieser 15 Jahre nicht fortzudenken ist. Was diese Arbeiten im Ganzen auszeichnet, haben Sie selbst am besten ausgedrückt, in dem Sie sie unter der Bezeichnung „Positionen und Begriffe“ zusammenfassten. Jede dieser Arbeiten bestimmt eine geistige Position im Kampf – und die Waffe, mit der gekämpft wird, ist der Begriff. Sie haben Meinecke1106 damals vorgehalten, dass der Verzicht auf den Begriff einen Verzicht auf Struktur und Architektur bedeute1107; er bedeutet auch, wie am Beispiel Meineckes besonders deutlich ist, einen Verzicht auf die kämpferische Position und auf den entscheidenden Waffengang. Es würde den ideologischen Schwärmer vielleicht überraschen, nicht aber den Soldaten, dass man – um zu kämpfen – definieren muss; im Kampfe gegen Parlamentarismus und Demokratie, gegen Imperialismus und Völkerbund, gegen Pluralismus und Neutralität haben Sie durch Definitionen damals die | entscheidenden Siege erfochten – und der „Begriff des Politischen“ war ganz offenkundig eine gewonnene Schlacht. Nicht nur politische Begriffe, sondern auch wissenschaftliche Begriffe sind polemische Begriffe1108 – eine Feststellung, die Ihre Formel nicht ergänzt, sondern nur erläutert, da es für Sie eine Trennung von Wissenschaft und Politik nie gegeben hat, so fern Ihre Arbeiten allen Verfälschungen der Wissenschaft und der Politik stehen, die die These durch das Schlagwort und das Argument durch die Beteuerung ersetzen. Indem Sie sich zu Positionen und Begriffen bekannt haben, haben Sie sich zum Kampfe gestellt – und Sie haben Gegnerschaft und Feindschaft, wie das nicht anders sein konnte, herausgefordert. Es ist mir immer als ein bedenklicher Verfall der Wissenschaftlichkeit erschienen, dass Sie früher mehr offene Gegner und weniger verborgene Feinde hatten als in der späteren Zeit, aber vielleicht ist es nur der Ruhm Ihrer vielen

1106 Friedrich Meinecke (1862–1954) war einer der bedeutendsten deutschen Historiker im 20. Jahrhundert. Er lehrte seit 1914 in Berlin und gab zwischen 1896 und 1935 die „Historische Zeitschrift“ heraus. 1948 wurde er zum Ehrenrektor der Freien Universität Berlin ernannt. Meinecke gilt als führender Vertreter der deutschen Ideengeschichte. Gerhard A. Ritter (Hg.), Friedrich Meinecke. Akademischer Lehrer und emigrierte Schüler. Briefe und Aufzeichnungen 1910–1977, München 2006. 1107 Carl Schmitt, Zu Friedrich Meineckes „Idee der Staatsräson“ (1926), in: ders., Positionen und Begriffe, S. 45–52, hier S. 45. 1108 Schmitt, Begriff des Politischen, S. 31.

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Siege, der Ihre Gegner mehr und mehr davor zurückgehalten hat, offene Positionen zu beziehen und mit der Waffe des Begriffs zu fechten. Die volle Bedeutung der völkerrechtlichen Aufsätze, die seit 1933 erschienen sind1109, wird sich erst im Kriege erweisen. Was hier über Krieg und Feind, über Neutralität und Totalität, über Grossraum und Reich gesagt worden ist, enthält eine Fülle von Vorwegnahmen, die sich erst in den jetzt und künftig eintretenden Situationen voll erschliessen. Was Sie über die „konstruktiven Vorwegnahmen“ des Donoso Cortes1110 gesagt haben, wird auch einmal von vielem in diesen Arbeiten gelten, unter anderen von der Stelle aus „Der Status quo und der Friede“ (S. 38)1111, die Ihnen bei der Durchsicht gewiss aufgefallen sein wird. Was insbesondere die Lehre vom Grossraum für das Völkerrecht der Zukunft bedeutet, wird erst am Ende des Krieges feststehen. Die Kriegsentwicklung hat bisher eine Fülle von anschaulichem Material für Ihre umstürzende These geliefert. | Auch der Altmark-Fall1112 wird wohl nur in diesem Zusammenhang voll verständlich, da es England offenbar darum geht, Skandinavien – oder wenigstens die Seewege durch norwegische Gewässer – als einen Teil seines Imperiums zu beanspruchen. Dass eine auf Grossräumen aufgebaute Völkerrechtsordnung nur den Imperien das jus belli1113 lässt, hat natürlich die Folge, dass auch nur sie die Fähigkeit zur Neutralität besitzen, woraus die prekäre Situation des Nordens und Südostens unmittelbar folgt. Auf den verfassungsrechtlichen Teil Ihres Aufsatzes „Neutralität und Neutralisierung“1114 müsste ich eigentlich besonders eingehen. Aber daraus würde dann ein Aufsatz, und das ist nicht der Sinn dieses Briefes, der Ihnen doch nur danken soll für das Geschenk und die ehrende Widmung des Bu1109 So u. a. Carl Schmitt, USA und die völkerrechtlichen Formen des modernen Imperialismus, in: Auslandsstudien 8 (1933), S. 117–142; ders., Der Vorbehalt beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge, in: Deutsche Juristen-Zeitung 39 (1934), Sp. 1286 f.; ders., Nationalsozialismus und Völkerrecht, Berlin 1934 (= Schriften der Deutschen Hochschule für Politik, 1,9). 1110 Ders., Donoso Cortés in Berlin (1849), in: Max Ettlinger u. a. (Hg.), Wiederbegegnung von Kirche und Kultur in Deutschland. Eine Gabe für Karl Muth, München 1927, S. 338–373; ders., Der unbekannte Donoso Cortés, in: Hochland 27 (1929), S. 491–496, beide auch in: ders., Positionen und Begriffe, S. 75–85, hier S. 83, sowie ebd., S. 115–120. 1111 Ders., Der Status quo und der Friede, in: Hochland 23 (1925), S. 1–9, auch in: ders., Positionen und Begriffe, S. 33–42. 1112 Am 16.2.1940 griff ein britischer Zerstörer in norwegischen Territorialgewässern den deutschen Dampfer Altmark an, der als Hilfsschiff des Panzerschiffs Graf Spee 300 bis 400 britische Gefangene an Bord hatte. 1113 Recht zum Krieg. 1114 Siehe oben Anm. 1088.

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ches1115 und der zugleich den Dank ausdrücken soll für die unmittelbare persönliche und sachliche Belehrung, die ich in den 15 Jahren, denen diese Aufsätze entnommen sind, von Ihnen erfahren habe. Diese Jahre gehören in der Tat nicht mehr Ihnen, sondern sind zum allgemeinen Besitz der deutschen Wissenschaft geworden; dass in mir etwas von diesen Jahren, die Sie hinter sich gelassen haben, lebendig geworden und geblieben ist, begründet eine Verbundenheit und eine Verpflichtung, deren ich mich stets, auch in den Zeiten des Schweigens, erinnere als Ihr ergebener und getreuer Ernst Rudolf Huber

Nr. 162 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Bursfelde, 23.3.1940 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Postkarte, handschriftlich, Motiv auf der Rückseite: Bursfelde a. d. Weser1116, Alte Klosterkirche aus dem 11. Jahrhundert1117, renoviert 1902/1905

23/III 1940. Lieber Herr Huber! Meinen Dank für Ihren Brief zu meinen „Positionen und Begriffen“ verbinde ich mit herzlichen Osterwünschen-1118 und Grüßen für Sie und Ihre Familie. Ich hoffe, daß wir uns bald einmal wiedersehn1119 und ich Ihnen mündlich meine große Freude über Ihren Brief aussprechen kann. Ich würde, außer Ihnen, nicht vielen das Recht geben, mich so anzuerkennen, wie Sie es getan haben; oft erinnere ich mich der Tagung in Halle vom Oktober 19311120. Stets Ihr alter Carl Schmitt.

1115

Das Widmungsexemplar ist im Nachlass Hubers nicht überliefert. Bursfelde an der Weser ist heute ein Stadtteil von Hannoversch Münden. 1117 Die Kirche des 1093 gestifteten ehemaligen Benediktinerklosters wurde im romanischen Stil etwa zwischen 1093 und 1135 errichtet. Die Türme wurden im 19. Jahrhundert ergänzt. Walter Ziegler, Bursfelde, in: Ulrich Faust (Hg.), Die Benediktinerklöster in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bremen, St. Ottilien 1979 (= Germania Benedictina, 6), S. 80–100. 1118 Der Ostersonntag fiel auf den 24.3.1940. 1119 Das nächste Treffen fand Ende April 1940 statt. 1120 In Halle an der Saale tagte 1931 (und damit letztmals vor 1933) die Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer. Hier brach der Richtungsstreit in der Staatsrechtslehre offen aus. 1116

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Nr. 163 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 24.3.1940 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Lieber Herr Huber! Donnerstag[,] den 28. März[,] habe ich in Bremen einen Vortrag1121, von dem ich am 29. März einige Tage ins Sauerland fahren möchte. So läßt es sich leider nicht einrichten, daß wir uns diesesmal in Berlin treffen. Das tut mir ganz besonders leid. Hoffentlich läßt es sich bald nachholen. Mit herzlichem Dank für Ihren freundlichen Vorschlag1122 und den besten Grüßen stets Ihr Carl Schmitt. 24/III 1940.

Nr. 164 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 2.5.1940 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198, Durchschlag: Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 13101 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Dahlem / Kaiserswerther Str. 17“, Adresse: „Herrn / Professor Dr. Ernst Rudolf Huber / Leipzig C 1“

2. Mai 1940 Lieber Herr Huber! Ich habe vorigen Sonntag1123 unser Gespräch in der Bahn1124 auf dem zweiten Teil meiner Reise1125 noch fortgesetzt, indem ich Ihre „Verfassungskrisen“1126 las. Der Vortrag ist in der Fülle seines Inhaltes und der ruhigen Klarheit seiner Darlegungen ein kleines Meisterstück, besonders auch darin, 1121

Er sprach über seine Großraumlehre. Mehring, S. 404. Huber hatte in einem nicht überlieferten Brief offenbar den 28.3.1940 für ein Treffen vorgeschlagen. 1123 Am 28.4.1940. 1124 Schmitt und Huber fuhren gemeinsam mit der Bahn zwischen Kiel und Ludwigslust. Bei Ludwigslust zweigt die Bahnlinie nach Wismar von der Bahnstrecke zwischen Hamburg und Berlin ab. 1125 Möglicherweise reiste er von einem Vortrag in Kiel über die Großraumlehre zum nächsten nach Rostock. Mehring, S. 404. 1122

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daß er alle schwierigen und heiklen Kernfragen stellt und enthüllt, ohne ausfällig oder gar polemisch zu werden. Man müßte von diesem Aufsatz aus eine neue Verfassungsgeschichte des Zweiten Reiches schreiben. Mir fällt immer wieder ein, dass der arme Wilhelm II.1127 doch immer gelernt und auch von Bismarck selbst immer wieder gehört hatte, das Wesen der konstitutionellen Monarchie bestehe darin, daß der König selber regiere, und das ist doch nichts anderes als „persönliches Regiment“1128. Der Fürst Eulenburg1129 hat (in dem Zitat S. 282/83 der „Positionen und Begriffe“1130) in erstaunlicher Weise das Wesentliche getroffen. Der wirkliche Regierer mußte sich fortwährend selber desavouieren, um überhaupt regieren zu können. Das wird durch Ihre Herausarbeitung der besonderen Art Führungsordnung, die Sie Kanzlersystem nennen, zum Greifen deutlich. Sie haben auch recht, wenn Sie sagen, dass dieses System noch nirgends verfassungstechnisch entwickelt oder verfassungstechnisch niedergelegt ist. Es gehört auch zu diesem Konstitutionalismus, daß der regierende Kanzler keine Partei hinter sich hatte wie heute Mussolini1131. Man müsste doch einmal die Versuche italienischer | Kollegen, das heutige italienische Regierungssystem als Konstitutionalismus zu bezeichnen1132, mit dem Bismarck’schen System vergleichen. 1126 Ernst Rudolf Huber, Verfassungskrisen des Zweiten Reiches, Leipzig 1940 (= Leipziger Universitätsreden, 1). 1127 Wilhelm II. (1859–1941) regierte von 1888 bis 1918 als letzter Deutscher Kaiser und preußischer König. John C.G. Röhl, Wilhelm II., 3 Bde., München 1993–2008. 1128 Diese Frage beschäftigte Huber auch nach 1945: Ernst Rudolf Huber, Das persönliche Regiment Wilhelms II., in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 3 (1951), S. 134–148. 1129 Philipp Fürst zu Eulenburg und Hertefeld (1847–1921) war ein preußischer Diplomat und der engste Vertraute von Kaiser Wilhelm II. John Röhl, Graf Philipp zu Eulenburg – des Kaisers bester Freund, in: ders., Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II. und die deutsche Politik, 3. Aufl., München 1988, S. 35–77. 1130 Das Zitat lautete: „Ich glaube, daß sich die schwere Mißstimmung herangebildet hat, weil die lange Regierung eines Mannes, der nicht der König war, viel zu intensiv den liberalen, das heißt den parlamentarischen Gedanken – oder nennen wir ihn auch nur den konstitutionellen – in Preußen gefördert hat, als daß die gebildeten Stände es noch ohne innere Auflehnung ertragen könnten, wenn ein König selbst regieren will . . . Im Reich begreift man überhaupt nichts anderes mehr als den Parlamentarismus. Die Macht des Adels, der Stände ist dort (nämlich im Reich, das heißt außerhalb Preußens) bereits 300 Jahre eher gebrochen als in Preußen. Der Liberalismus, ja der Demokratismus steckt dem gesamten Reich in den Knochen, und ein deutscher Kaiser, der selbst regiert, ist dem Reich noch viel unverständlicher, als ein selbstregierender König es in Preußen heutzutage ist. Im Reich ist daher der Regierer, der kein Kaiser war, während nahezu 20 Jahren den Deutschen wirklich das geworden, was ein demokratischer Historiograph in späteren Zeiten einmal nennen wird ‚der vom Schicksal bestimmte Führer der Deutschen auf der Bahn des politischen Fortschritts‘.“ 1131 Benito Mussolini (1883–1945) war Führer der faschistischen Partei und von 1922 bis 1943 Diktator Italiens.

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Das Buch des intelligenten jungen Paolo Biscaretti di Ruffia1133 „LE NORME DELLA CORRETTEZZA COSTITUZIONALE“, Mailand 19391134, werde ich daraufhin auch noch einmal durchsehen. Dieser Tage möchte ich Ihnen die Druckbogen des Aufsatzes von Lorenz von Stein über die preussischen Verfassungsfragen aus dem Jahre 18521135 schicken, auch als Fortsetzung unseres Gespräch[s] zwischen Kiel und Ludwigslust. Da ich nicht weiß, ob die Schrift selbst in absehbarer Zeit erscheint, möchte ich Ihnen schon die Druckbogen zugänglich machen. Auch die genannte Aeußerung des Fürsten Eulenburg erscheint nach der Lektüre dieses Steinschen Aufsatzes in einem noch erstaunlicheren Licht. Das Geheimnis des Kanzlersystems Bismarcks liegt eben darin, dass man mit dem angeblichen Gegensatz von Konstitutionalismus und parlamentarischer Monarchie in Wirklichkeit nicht ernst machte, während der in Wirklichkeit regierende Kanzler fortwährend versichern mußte, daß er selber nicht regiere. Die zeitliche Dauer dieser Führungsordnung ist tatsächlich auf die Dauer der Zusammenarbeit Bismarcks mit dem alten Kaiser Wilhelm1136 beschränkt, also auf den Zustand den der Fürst Eulenburg unangenehm boshaft, aber in der Sache doch treffend als „die Kombination des regierenden Staatsmannes und des schlafenden Heldenkaisers“1137 gekennzeichnet hat. Ich freue mich auf eine Fortsetzung unseres Gesprächs und bin mit herzlichen Grüssen an Sie und Ihre Frau allezeit Ihr Carl Schmitt. 1132 Beispiele: Giuseppe di Ferri, Crisi costituzionale negli Stati Uniti, Roma 1938; Gabrio Lombardi, Lo sviluppo costituzionale dalle origini alla fine della repubblica, Roma 1939 (= Civilta romana, 10); Giuseppe LoVerde, Diritto costituzionale e diritto corporativo, Padova 1939. 1133 Paolo Biscaretti di Ruffia (1911/12–1996) war Professor für Verfassungsrecht in Catania und Pavia. 1134 Paolo Biscaretti di Ruffia, Le Norme della correttezza costituzionale, Milano 1939 (= Pubblicazioni dell’Istituto di diritto pubblico e di legislazione sociale della R. Università di Roma, Ser. 2,8). 1135 Lorenz von Stein, Zur preußischen Verfassungsfrage, hg. v. Carl Schmitt, Berlin 1940 (= Dokumente zur Morphologie, Symbolik und Geschichte). Der Aufsatz Lorenz von Steins war ursprünglich 1852 in der Deutschen Vierteljahrsschrift erschienen. 1136 Wilhelm I. (1797–1888) war 1861–1888 preußischer König und 1871–1888 zugleich Deutscher Kaiser. Er war der Großvater Kaiser Wilhelms II. Jürgen Angelow, Wilhelm I. (1861–1888), in: Frank-Lothar Kroll (Hg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., München 2000, S. 242–264. Die Zusammenarbeit mit Bismarck dauerte von 1862 bis 1888. 1137 Philipp zu Eulenburg an Friedrich von Holstein, 2.12.1894, zit. nach Johannes Haller, Aus dem Leben des Fürsten Philipp zu Eulenburg-Hertefeld, Berlin 1924, S. 171.

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Nr. 165 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Leipzig, 4.5.1940 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, Abschrift, gedruckter Briefkopf: „Dr. Ernst Rudolf Huber / Professor der Rechte / Leipzig / Helfferichstr. 12“

4. Mai 1940 Hochverehrter Herr Staatsrat! Über unserem lebhaften Gespräch zwischen Kiel1138 und Ludwigslust vergaß ich ganz, Sie zu fragen, ob Sie nicht Lust hätten, in diesem Sommer wieder wie vor einem Jahre hier in unserm außenpolitischen Kolloquium zu sprechen1139. Unser Rahmenthema im jetzigen Trimester ist „Bemühungen um eine europäische Friedensordnung“. Wir lassen dabei in lockerer Folge Themen vom römischen Reich über das fränkische und mittelalterliche Reich, über [den] Westfälischen Frieden1140 und Versailles bis hin zur Gegenwart behandeln. Wir würden uns ganz besonders freuen, wenn Sie in diesem Rahmen, zu dessen Fragen Sie in den „Positionen und Begriffen“ so unendlich viel beigetragen haben, zu uns sprechen wollten. Vielleicht haben Sie Lust, die Frage des Großraums weiter zu behandeln; vielleicht haben Sie Neigung, das besondere Problem der „Freiheit der Meere“ zu behandeln. Die Fragestellung, die wir für die Gesamtarbeit gewählt haben, ist so sehr Ihr eigenes Thema, daß ich Ihnen nicht mit Anregungen zu kommen brauche; welche Frage Sie auch immer zu behandeln wünschen, sie wird ihre Zuordnung finden. Als Termin haben wir an den 28. Juni gedacht. | Vielleicht haben Sie die Freundlichkeit, mir bald zu antworten, damit wir entsprechend disponieren können. Wie groß der sachliche Gewinn für unsere Arbeit und wie herzlich die persönliche Freude bei Veranstaltern und Teilnehmern sein würde, wenn Sie sich zu dem Vortrag entschließen würden, brauche ich nicht besonders zu betonen. Den kleinen Vortrag über die „Verfassungskrisen“ habe ich Ihnen nach unserm Gespräch nur zögernd gegeben. Unsere Unterhaltung hat im Wechsel der Rede die schwierige und komplexe Frage so viel weiter geführt und 1138 Huber und Schmitt befanden sich vermutlich auf der Rückreise von der Tagung zur Eröffnung des „Gemeinschaftswerks“ der Staatsrechtslehrer als Teil des „Kriegseinsatzes der deutschen Geisteswissenschaften“. Eva Schumann, Von Leipzig nach Göttingen. Eine Studie zu wissenschaftlichen Ntzwerken und Freundschaften vor und nach 1945, in: Festschrift der Juristenfakultät zum 600jährigen Bestehen der Universität Leipzig, Berlin 2009, S. 633–678, hier S. 671 f. 1139 Der Vortrag von Schmitt in Leipzig fand am 5.7.1940 statt. 1140 Der Westfälische Friede von Münster und Osnabrück im Jahre 1648 beendete den Dreißigjährigen Krieg.

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sie schließlich in eine so tiefe Schicht verfolgt, daß die kleine Rede nur mehr ein Beitrag zu den Voraussetzungen des Gesprächs war und für Sie keine eigentliche Fortsetzung der Unterhaltung sein konnte. Aber ich danke Ihnen sehr für Ihren Brief, in dem Sie das Thema des Vortrags so freundlich aufgenommen haben. Ich las gestern aus anderem Anlaß noch einmal Montesquieus1141 berühmtes Kapitel über die Englische Verfassung1142, und es wurde mir sehr deutlich, daß hier doch auch der Konstitutionalismus in betontem Gegensatz zum Parlamentarismus gesehen ist. Das ist nicht unwichtig in bezug auf die von Ihnen aufgeworfene Frage der inneren Logik des Verfassungssystems, die Sie ganz | auf der Seite des Parlamentarismus sehen. Aber eine Logik, die vom Postulat des Gleichgewichts der Gewalten ausgeht, muß, wie Montesquieu zeigt, gerade zur Ablehnung des Parlamentarismus kommen. Es ergeben sich von hier aus eine Fülle weiterer Fragen, z. B. die[,] in welchem Zusammenhang die Theorie vom Europäischen Gleichgewicht mit der Gewaltenteilung steht – eine Frage zu dem Strukturzusammenhang von Völkerrecht und Verfassungsrecht, deren Bedeutung sich mir erst jetzt bei der nochmaligen Durchsicht Ihres Steding-Aufsatzes1143 erschlossen hat. Auch die Frage scheint mir wichtig, wie Constants1144 Lehre vom pouvoir neutre1145 eine Fortbildung der Gewaltenteilung wird, indem die monarchische Gewalt von der Regierung getrennt und nun als eine autoritative ausgleichende Gewalt über die „drei Gewalten“ Regierung – Volksvertretung – Richtertum tritt. Im übrigen ist der „Konstitutionalismus“ des Zweiten Reiches nicht nur von Constant[,] sondern auch von Montesquieu der Substanz nach verschieden, was sich schon daraus ergibt, daß M.[ontesquieu] – entsprechend dem englischen Vorbild, von dem er ausgeht – in seinem Gewaltensystem weder die militärische Kommandogewalt noch die innere Verwaltung vorgesehen hat; der pouvoir | exécutrice1146 ist wie bei Locke1147 nur auswärtige Gewalt, woraus sich die Un1141

Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu (1689– 1755) war ein französischer Staatstheoretiker im Zeitalter der Aufklärung. In seinem Hauptwerk „De l’esprit des lois“ („Vom Geist der Gesetze“, 1748) vertrat er die These der Gewaltenteilung zwischen verschiedenen Staatsorganen zur Begrenzung von deren jeweiliger Macht. 1142 Charles Louis de Secondat de Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, Stuttgart 1993 [zuerst Paris 1748], Buch 2, Kapitel 6. 1143 Schmitt, Neutralität und Neutralisierungen. 1144 Der französisch-schweizerische Staatstheoretiker Benjamin Constant (1767– 1830) trat für einen liberal-konstitutionellen Staat ein. Lothar Gall, Benjamin Constant. Seine politische Ideenwelt und der deutsche Vormärz, Wiesbaden 1963 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, 30, Abteilung Universalgeschichte). 1145 Bei Constant sollte der konstitutionelle König eine neutrale, vermittelnde Position einnehmen. 1146 Franz.: „die ausführende oder vollziehende Gewalt“.

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anwendbarkeit der ganzen Theorie für die kontinentalen Staaten ohne Weiteres ergibt. Ich freue mich sehr darauf, bald die Druckbogen des Stein’schen Aufsatzes zu erhalten. Das 19. Jahrhundert wird immer schwieriger, aber auch immer interessanter1148; auch die bürgerliche Gesellschaft ist eine complexio oppositorum1149, unter anderem mit der Spannungsweite von der Anarchie bis zum totalen Staat. Mit herzlichen Grüßen Ihr stets ergebener Ernst Rudolf Huber Nr. 166 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 1.7.1940 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Dahlem / Kaiserswerther Str. 17“

1. Juli 1940 Lieber Herr Huber! Ich habe vor, Freitag, den 5. Juli[,] mit dem Mittagszug in Leipzig einzutreffen1150. Bitte lassen Sie sich in Ihrer Arbeit nicht stören und lassen Sie mir nur durch Ihren Assistenten ein Zimmer im Hotel Astoria1151 reservieren. Ich will mich nachmittags ausruhen. Vielleicht können wir uns dann am Spätnachmittag treffen. Ich hoffe[,] Sie und auch Ihre Frau bei guter Gesundheit und Zufriedenheit anzutreffen. Herzliche Grüsse Ihres Carl Schmitt. 1147 John Locke (1632–1704) war ein englischer Staatstheoretiker. Eines seiner Hauptwerke war „The Second Treatise of Civil Government“ aus dem Jahr 1690. 1148 Huber hatte zu dieser Zeit möglicherweise bereits mit den ersten Entwürfen für seine „Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789“ begonnen. 1149 Lat.: „Vereinbarkeit von Gegensätzen“. Diese Formel wurde 1923 von Schmitt für die katholische Kirche geprägt, die kraft ihres politischen Universalismus eine alle Gegensätze in sich vereinende politische Form besitze. Carl Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, Hellerau 1923, S. 10. 1150 Siehe oben Anm. 1139. 1151 Das Hotel Astoria lag direkt neben dem Leipziger Hauptbahnhof und damit im Zentrum der Stadt.

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Nr. 167 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 26.10.1940 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Dahlem / Kaiserswerther Str. 17“

26. Oktober 1940 Lieber Herr Huber! Ich habe Ihr Schreiben vom 24. Oktober1152 erhalten und danke Ihnen bestens dafür. Die Verpflichtungserklärung1153 sende ich Ihnen in der Anlage unterzeichnet zurück1154, muß dabei allerdings bemerken, daß mir der Lieferungstermin Ende 1940 fast utopisch erscheint1155. Wegen der Placierung meines Aufsatzes habe ich mich soeben mit Werner Weber unterhalten. So wie der vierteilige Aufbau Ihres Programms gegenwärtig vorliegt, finde ich meinen Aufsatz am Ende des 1. Bandes sehr angenehm placiert1156. Wäre der Aufbau auf den Unterschied von Krieg und Frieden abgestellt, so hätte mein Thema entweder einleitenden oder abschließenden Charakter und müßte dementsprechend an den Anfang oder an den Schluss[,] bei der jetzigen Einteilung dagegen könnte es an keiner andren Stelle stehen, vor allem nicht am Anfang von Band II[,] der hauptsächlich die Eingliederung neuer Gebiete behandelt1157. Sollte keine wesentliche Aenderung des Aufbaus erfolgen, so wäre ich also mit meinem jetzigen Standort (Band I Nr. 10) durchaus einverstanden. Dieser Standort hat zudem den unschätzbaren Vorteil einer gewissen Unauffälligkeit, was bei einem so heiklen Thema wesentlich ist. 1152

Das Schreiben ist nicht überliefert. Es handelt sich um die Erklärung gegenüber einem Herausgeber oder einem Verlag, einen bestimmten Aufsatz in festgelegter Frist zu liefern. 1154 Eine Anlage des Briefs ist nicht überliefert. 1155 Es geht um die Lieferung der Beiträge zu dem zweibändigen Sammelwerk, das aus der Tagung in Leipzig am 4. und 5.10.1940 hervorging. Ernst Rudolf Huber (Hg.), Idee und Ordnung des Reiches. Gemeinschaftsarbeit deutscher Staatsrechtslehrer, 2 Bde., Hamburg 1942/43. Dazu: Frank-Rutger Hausmann, „Deutsche Geisteswissenschaft“ im Zweiten Weltkrieg. Die „Aktion Ritterbusch“ (1940–1945), Dresden/München 1998 (= Schriften zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, 1), S. 248–252. 1156 Von Schmitt erschien kein Beitrag in den zwei von Huber herausgegebenen Bänden. Band 1 enthielt acht und Band 2 vier Aufsätze. 1157 Die Aufteilung der Aufsätze auf die beiden Bände wurde demnach offensichtlich später verändert. Denn die beiden Beiträge zur „Eingliederung neuer Gebiete“ (Ostmark, Sudetenland) befinden sich in Band 1. 1153

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Von Jahrreiß1158 habe ich noch nichts gehört1159. Es ist auch vielleicht richtiger, wenn ich nicht gleich auf der ersten Tagung auftrete1160. Vielleicht kann sich einmal der Nachwuchs zeigen, unter dem ich, was das Völkerrecht angeht, vor allem Stödter1161 (Hamburg) empfehle, der soeben eine vorzügliche Abhandlung „Handelskontrolle im Seekrieg“ veröffentlicht hat1162. Auch hier möchte ich lieber anderen den Vortritt lassen. Ich habe mich mit dem Aufsatz „Raum und Großraum“1163 weit vorgewagt, dabei steht mir allerdings der Sonderstab für Handels- und Wirtschaftskriegführung1164, insbesondere dessen Leiter, Admiral Groos1165, | sehr zur Seite. Aber die Methoden der Kollegen und anderer Stellen sind trotzdem wirksam. Sie lassen sich sämtlich auf die schöne Reihenfolge reduzieren, die ein- für allemal in Goethes Schreiben an Riemer1166 vom 29. August 17961167 festgestellt ist: „Erst schweigen sie, dann mäkeln sie, dann beseitigen sie, dann bestehlen und verschweigen sie“1168. Jede Etappe dieser Ent1158 Hermann Jahrreiß (1894–1992) wurde 1932 als Ordinarius für Öffentliches Recht, Völkerrecht, Rechts- und Staatsphilosophie an die Universität Greifswald berufen. Seit 1937 war er in Köln, Göttingen und Innsbruck (bis 1962) tätig. 1958–1960 leitete er als Präsident die Westdeutsche Rektorenkonferenz. Klee, S. 282. 1159 Jahrreiß schrieb wenig später über Schmitt. Hermann Jahrreiß, Wandel der Weltordnung. Zugleich Auseinandersetzung mit der Völkerrechtslehre von Carl Schmitt, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 21 (1941), S. 513–536. 1160 Im Rahmen des Kriegseinsatzes waren mehrere Broschürenreihen zum Völkerrecht geplant; von einer Tagung ist hingegen nichts bekannt. Hausmann, Geisteswissenschaft, S. 253–259. 1161 Rolf Stödter (1909–1993) hatte sich 1936 in Hamburg habilitiert und wurde 1943 dort zum außerordentlichen Professor berufen. Im Hauptberuf war er Geschäftsführer beim Verband Deutscher Reeder. Briefwechsel Forsthoff-Schmitt, S. 369, Anm. 1. 1162 Rolf Stödter, Handelskontrolle im Seekrieg. Prisenrechtliche Betrachtungen zum Navicert-System, Hamburg 1940. Sehr lobende Besprechung von Ernst Rudolf Huber in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 101 (1941), S. 748 f. 1163 Carl Schmitt, Raum und Großraum im Völkerrecht, in: Zeitschrift für Völkerrecht 24 (1940), S. 145–179. 1164 Der Sonderstab für Handels- und Wirtschaftskrieg war beim Oberkommando der Wehrmacht angesiedelt. 1165 Otto Groos (1882–1970) war Vizeadmiral und Veteran des Ersten Weltkriegs. 1166 Der Schriftsteller und Bibliothekar Friedrich Wilhelm Riemer (1774–1845) war seit 1814 der Sekretär von Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832). 1167 Im Original versehentlich: „1896“. 1168 Das Zitat stammt nicht aus einem Brief Goethes an Riemer, sondern aus einem Schreiben an Carl Friedrich Zelter (1758–1832) vom 9.8.1816. Heinrich Döring (Hg.), Goethes Briefe in den Jahren 1768 bis 1832, Leipzig 1837, Nr. 737, S. 305. Die Briefstelle zitiert Schmitt auch in einem Schreiben an Armin Mohler vom 13.11.1954. Armin Mohler u. a. (Hg.), Carl Schmitt – Briefwechsel mit einem seiner Schüler, Berlin 1995, Nr. 148, S. 181–183, hier S. 182.

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wicklung habe ich jetzt so gründlich kennen gelernt, daß ich weiß, wessen ich mich zu gewärtigen habe, wenn ich mit einem neuen Gedanken auftrete. Herr Dr. Mehner1169, Leiter der Abteilung für zeitdokumentarisches Schrifttum, in der Deutschen Bücherei1170, Berlin, Hermann Göringstrasse, hat mich um die Mitarbeit bei der Sichtungstätigkeit des Reichsschrifttumsarchivs1171 gebeten. Ich würde Sie, Werner Weber und Lohmann gern dazu heranziehen. Werner Weber will Ihnen bei seinem nächsten Besuch in Leipzig einiges darüber erzählen. Es könnte sein, dass diese Arbeit interessant und nützlich ist und auch für einige Ihrer Schüler in Betracht kommt. Ich schicke mit der Bitte um vertrauliche Behandlung und um Rückgabe die beiliegenden Leitsätze mit1172. Darf ich zu den Bedingungen, die ich unterschrieben habe, noch bemerken, dass ich annehme, dass jeder der Mitarbeiter ein vollständiges Exemplar des gesamten Werkes erhält. Diesen Mittwoch1173 reise ich zu einem Vortrag nach Kiel1174. Hoffentlich sehen wir uns bald einmal wieder. Ich habe es sehr bedauert, daß Sie neulich nicht kommen konnten. Mit herzlichen Grüssen von Haus zu Haus und Heil Hitler! stets Ihr Carl Schmitt.

1169 Kurt Mehner wurde später Herausgeber der Geheimen Tagesberichte der Deutschen Wehrmachtführung im Zweiten Weltkrieg und eines Buches über die Waffen-SS und die Polizei. 1170 Die Deutsche Bücherei wurde 1912 von der Stadt Leipzig, dem Königreich Sachsen und dem Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig mit Sitz in Leipzig gegründet. Ihre Aufgabe war es, die gesamte seit 1913 erscheinende deutsche und fremdsprachige Literatur des Inlandes und die deutschsprachige Literatur des Auslandes zu sammeln, bibliografisch zu verzeichnen und unentgeltlich für die Benutzung zur Verfügung zu stellen. 1171 Das Reichsschrifttumsarchiv war ein Synonym für die Abteilung für zeitdokumentarisches Schrifttum bei der Deutschen Bücherei. Sie unterstand dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. 1172 Anlagen zum Brief sind nicht überliefert. 1173 Am 30.10.1940. 1174 Schmitt trug in Kiel über die Großraumlehre vor. Mehring, S. 404.

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Nr. 168 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Leipzig, 2.11.1940 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Briefentwurf, handschriftlich

Leipzig, 2.11.40 Hochverehrter Herr Staatsrat! Endlich kann ich Ihnen die Korrekturbogen meines Aufsatzes über die „Positionen und Begriffe“ zusenden1175. Es geschieht in dem Bewußtsein, daß es mir nicht möglich war, die überwältigende Fülle der Gedanken, die in diesen Aufsätzen und Reden ausgesprochen sind, die Perspektiven, die hier eröffnet sind, und die Nebentöne, die mitschwingen, zu einem adäquaten Ausdruck zu bringen. Ich muß mich mit dem anspruchslosen Referat bescheiden, das ich zuwege gebracht habe. Doch glaubte ich[,] es Ihnen schuldig zu sein, daß ich mich bei diesem sachlichen Bericht nicht auf den konventionellen Beifall beschränkt habe, sondern daß ich versucht habe, an einigen Stellen, die mir besonders wichtig erschienen, einen eigenen Standpunkt zu beziehen. Gerade in dem Gefühl der Dankbarkeit und Verehrung, das mich Ihrer Person und Ihrer Leistung gegenüber erfüllt und im Angesicht dieser Arbeiten, die ein gutes Teil meiner eigenen Entwicklung bestimmt haben, glaubte ich[,] verpflichtet zu sein, auch dort mit meiner Meinung nicht zurückzuhalten, wo ich von der Ihren abweiche. Sie haben solche „kritischen Gänge“ bisher mit Freundlichkeit und Nachsicht aufgenommen, und ich hoffe auch in diesem Falle, daß meine Bemühungen um eine sachliche Auseinandersetzung erkennen lassen, wie sehr ich mich Ihnen gerade dort verpflichtet weiß, wo ich eine abweichende Ansicht vorgetragen habe. Ich war versucht, im Untertitel statt eine „Auseinandersetzung“ ein „Gespräch“ zu schreiben, um jeden Eindruck einer streitsüchtigen Polemik zu vermeiden. Es handelt sich für mich in der Tat um ein „Gespräch“, das ich mit Ihnen zu führen suche; aber ich fand, daß dieser intimere Hintergrund die Öffentlichkeit nichts angeht, und ich habe daher den sachlichen Ausdruck stehen lassen. Ich habe mich auch bei einigen Stellen gefragt, ob sie nicht besser zu streichen wären, da sie vielleicht Raum für Mißdeutungen bieten und Anlaß für neue Angriffe gegen Sie oder gegen mich oder gegen | uns beide sein könnten. Aber ich habe mir gesagt, daß es eine Möglichkeit der Sicherung gegen die tela calumniae1176 doch nicht gibt1177. So glaubte ich, ohne Rücksicht auf solche Möglichkeiten böswilliger 1175 Ernst Rudolf Huber, „Positionen und Begriffe“. Eine Auseinandersetzung mit Carl Schmitt, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 101 (1941), S. 1–44. Siehe Anhang II.9. 1176 Lat.: „Gewebe der Täuschung“. Die beiden Worte sind an dieser Stelle gestrichen.

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Insinuationen einfach aufrichtig und ehrlich sagen zu sollen, was ich denke – in der Überzeugung, daß auch die menschlichen Beziehungen allein durch die wissenschaftliche Wahrheit in Ordnung gehalten werden können. Ein besonderes Wort ist vielleicht wegen der Stellen über das „Entsetzen“ gegenüber dem „nebulösen Rationalismus“ Hegels notwendig (S. 8 unten). Ich empfinde selber gegenüber der Hegel’schen Dialektik – in der Logik wie in der Geschichtsphilosophie und der Staatslehre so etwas wie „Entsetzen“ – [,] gerade weil sie so unentrinnbar ist, wenn man in ihren Bannkreis einbezogen ist1178, und ich möchte diesem persönlichen Bekenntnis nur hinzufügen, daß ich das „Entsetzen“ ebensowenig wie die Leidenschaft, sofern beide echt sind, für einen unwissenschaftlichen Affekt halte. Daß Ihre Ausgabe der Schrift Lorenz von Steins, wie ich fürchte, noch nicht erschienen sein wird, wenn meine Rezension gedruckt ist, konnte ich nicht voraussehen, als ich sie schrieb; ich bitte Sie, diese Vorwegnahme1179 zu entschuldigen, aber1180 ich konnte an dieser Arbeit, nachdem ich einmal das Problem des Konstitutionalismus angeschnitten hatte, nicht vorbeigehen. Ihre neuesten Arbeiten zum Problem des „Großraums“1181 konnte ich natürlich nur noch nachträglich zitieren, aber es war nicht mehr möglich, im Text noch darauf einzugehen. Sehr herzlich danke ich für Ihren Brief vom 26. Oktober. Ich werde Ihnen darauf noch besonders antworten. In steter Verehrung Ihr Nr. 169 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 4.11.1940 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

4. November 1940 Lieber Herr Huber! Ihren Aufsatz erhielt ich, mit Ihrem Brief vom 2. November, heute morgen. Für beides herzlichen Dank! Ich will diesen Abend einer gewissen Ruhe, 1177 Folgender Halbsatz ist hier gestrichen: „diese sich in der Regel an die harmlosesten Bemerkungen anknüpfen“. 1178 Foldende Passage ist hier gestrichen: „so etwas wie ein Entsetzen“. 1179 Huber, Schmitt, Positionen, S. 21–23. 1180 Folgende Passage ist hier gestrichen: „vielleicht ist es gar kein Schade, wenn dieses“. 1181 So u. a. Schmitt, Raum; ders., Der neue Raumbegriff in der Rechtswissenschaft, in: Raumforschung und Raumordnung, November–Dezember 1940, S. 440–442.

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den wir der Erwartung von Fliegeralarm1182 verdanken, zu einer Antwort benutzen, damit ich Ihnen unter dem ganz unmittelbaren, ersten Eindruck schreiben kann. Das ist sicher besser, als eine wohlüberlegte Antwort, sachlich besser und, angesichts der Weggenossenschaft, die sich in Ihrem Brief und in Ihrem Aufsatz dokumentiert, auch menschlich richtiger. Sie dürfen mit Bezug auf diesen Aufsatz nicht von einem „anspruchslosen Referat“ sprechen. Es ist ein Meisterstück an klärender, erhellender Darlegung und war bei meiner vordergründigen Buntheit und Sprunghaftigkeit keine leichte Arbeit. Umso größer ist der Freundschaftsdienst, den Sie mir damit erbracht haben und den ich mit großer Dankbarkeit empfinde. Das Motto von Stein1183 ist wundervoll und gibt gleich die richtige Atmosphäre, das Wort „Auseinandersetzung“ ist durchaus passend, ohne falschen Nebensinn, denn Sie haben sich mit mir auseinanderzusetzen, weil wir sehr verschieden sind und Sie Ihre ruhige und unauffällige Eigenart mir gegenüber sehr wirksam zu behaupten wissen. Ich wüßte nicht, wie die über die Jahrgänge und Generationen hinweg greifende Arbeit sachgemäßer und würdiger geleistet werden könnte. Ich müßte mich mit Triepel auseinandersetzen1184; Smend entzieht sich zu seinem eigenen Schaden diesem Prozeß1185; was Sie mir in diesem Aufsatz zu sagen haben, führt die publizistische Arbeit auf eine Weise fort, daß Ihre innere und äußere Überlegenheit | jedem Kenner Freude machen muß. Es ist auch in seiner Sachlichkeit so unangreifbar, daß ich es unter unserer Würde fände, auch nur einen Augenblick nach den möglichen Mißdeutungen durch Außenstehende zu fragen. Wer bei der Lektüre Ihres Aufsatzes nicht merkt, daß dieses eine Auseinandersetzung innerhalb bestimmter Denkmethoden und auf dem Boden geistiger Ansprüche ist, denen man sich erst einmal gewachsen zeigen muß, ehe man mit- oder hineinreden darf, den können wir außer Acht lassen, auch wenn er zufällig in der Lage wäre, einem in den Rücken zu schießen oder einfach die nächste Jauchespritze in Bewegung zu setzen. 1182

Im Juni 1940 flogen französische Bomber die ersten Luftangriffe auf Berlin, im August 1940 folgten britische Flugzeuge. 1183 Das Hubers Rezensionsaufsatz über Schmitt vorangestellte Motto Lorenz von Steins lautete: „Laßt uns an diesen Gedanken nicht den kurzen Maßstab des bloßen Recht- und Unrechthabens anlegen.“ Huber, Positionen, S. 1. Siehe Anhang II.9. 1184 Gemeint ist vielleicht: Heinrich Triepel, Die Hegemonie. Ein Buch von führenden Staaten, Stuttgart 1938. Triepel entstammte dem Jahrgang 1868 und war damit zwanzig Jahre älter als Schmitt. Carl Schmitt, Führung und Hegemonie. Rezension zu Heinrich Triepel, Die Hegemonie, in: Schmollers Jahrbuch 63 (1939), S. 513–520. Huber rezensierte Triepel in der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 101 (1941), S. 172–182. 1185 Vgl. dazu den Brief von Smend an Schmitt, 9.7.1940, in: Briefwechsel Schmitt-Smend, Nr. 75, S. 101–103.

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Sowohl das, was Sie zu Hobbes (S. 7) wie das, was Sie zu Hegel sagen, wird mich zwingen, noch einmal Stellung zu nehmen. Nicht überzeugend ist mir die Beurteilung Preußens vor 1840. Sie sagen 1815–1848; es handelt sich aber um dieses Stichjahr 18401186; nicht nur um Motz1187 und Maaßen1188, die mehr als Etatisten und Bürokraten waren, sondern den Zollverein1189 geschaffen haben, auch um Schinkel1190, Altenstein1191, den jungen Bruno Bauer1192, Preußen als „deutsche Form der Skepsis“, wie Nietzsche1193 sagt1194, um den penetranten „Rationalismus“ Friedrichs des Großen, diesen „Zug zur männlichen Skepsis“1195, der keine Angst vor dem Nihilismus hat und daher vor Köppels-Bleek sicherer ist als alle Restaurations-Brüder, die geborenen Opfer des Oberförsters1196. Das große Problem des „Konstitutionalismus“ möchte ich heute ganz in der weltpolitischen Perspektive der von England gezogenen „amity line“1197 sehen; es ist von dem damaligen Preußen oder Deutschland her nicht zu leisten. Über „Großraum“ hoffentlich bald mündlich. 1186 1840 war das Jahr des preußischen Thronwechsels von König Friedrich Wilhelm III. zu Friedrich Wilhelm IV. 1187 Friedrich von Motz (1795–1830) amtierte von 1825 bis 1830 als preußischer Finanzminister und bereitete maßgeblich die Gründung des Deutschen Zollvereins 1834 vor. Stefan Hartmann, Motz, Friedrich von, in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 228–230. 1188 Karl Georg Maaßen (1769–1834) war Nachfolger von Motz als Finanzminister und führte die Verhandlungen zum Abschluss des Zollvereinsabkommens. Stefan Hartmann, Maaßen, Karl Georg, in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 601 f. 1189 Der Vertrag über den Deutschen Zollverein trat zum 1. Januar 1834 in Kraft. 1190 Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) war ein berühmter preußischer Architekt, der im Stile des Klassizismus und der Neugotik etliche Gebäude in der Berliner Innenstadt entwarf. Mario A. Zadow, Karl Friedrich Schinkel. Leben und Werk, Stuttgart 2001. 1191 Karl vom Stein zum Altenstein (1770–1840) hatte zwischen 1817 und 1838 das Amt des preußischen Kultusministers inne. Heinz Gollwitzer, Altenstein, Karl Sigmund Franz Freiherr von Stein zum Altenstein, in: Neue Deutsche Biographie 1 (1953), S. 216 f. 1192 Bruno Bauer (1809–1882) war ein deutscher Theologe und Philosoph, der zum Linkshegelianismus gezählt wird. Joachim Mehlhausen, Bauer, Bruno, in: Theologische Realenzyklopädie 5 (1980), S. 314–317. 1193 Friedrich Nietzsche (1844–1900) gilt als einer der einflussreichsten Denker in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 1194 Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft, Berlin 1968 (= Nietzsche Werke, 6,2) [zuerst 1886], S. 145. 1195 Ebd. 1196 Anspielung auf den Roman von Ernst Jünger, Auf den Marmorklippen, Hamburg 1939/41. In der Rodung Köppelsbleek entdecken der Erzähler und sein Bruder eine mit verwesenden Leichenteilen geschmückte und gefüllte Schinderhütte, das Mord- und Folterquartier des Oberförsters. 1197 Engl.: „freundschaftliche Grenze“. Gemeint war die Trennungslinie zwischen Europa und dem außereuropäischen Raum.

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Eine ganz private Kleinigkeit will ich noch erwähnen: das Buch „Gesetz und Urteil“1198 (S. 5) scheint mir schon sehr dezisionistisch, nicht mehr normativistisch, besonders S. 48 ff. dieses Buches über die „abstrakte Bedeutung der Entscheidung an sich“ (in diesem Buch schon gesperrt gedruckt!)1199. Gleich wird der Behemoth1200 zur Begrüßung des großen Vogels Zitz1201 inbrünstig heulen1202. Ich breche daher ab und schicke Ihnen diesen Brief, der nichts anderes besagen soll, als meinen Dank für Ihren Aufsatz und meine Erwartung Ihres Besuches. Immer und unveränderlich Ihr Carl Schmitt

Nr. 170 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Leipzig, 23.12.1940 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6271, handschriftlicher Entwurf: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich

Leipzig, den 23. Dezember 1940.1203 Hochverehrter Herr Staatsrat! Ihren Brief vom 4. November, den ich als ein Dokument Ihrer freundschaftlichen Gesinnung dankbar empfangen habe, habe ich bisher nicht beantwortet, weil ich von Woche zu Woche hoffte, Ihnen den Sonderdruck des Rezen1198

Carl Schmitt, Gesetz und Urteil. Eine Untersuchung zum Problem der Rechtspraxis, Berlin 1912. 1199 Das Zitat findet sich ebd., S. 49. 1200 Es handelt sich um ein Landungeheuer in der christlich-jüdischen Mythologie, das bereits in der Bibel vorkommt und später vielfach literarisch und philosophisch verarbeitet wurde. 1201 Ein riesiger Urvogel in der Mythologie. 1202 Eine Anspielung auf den bevorstehenden Fliegeralarm. 1203 Auf dem Briefkopf notierte Schmitt Folgendes: „Roman Schnur. Zur Kenntnisnahme wegen der auf der Rückseite angezeichneten Stelle mit der Bitte um baldige Rückgabe! C.S. 29/8[.19]60“. Siehe unten Anm. 1209. Roman Schnur (1927– 1996) habilitierte sich 1961 in Heidelberg bei Forsthoff. Er hatte 1965 eine Professur für Politische Wissenschaften in Bochum, 1968 den Lehrstuhl für Vergleichende Verwaltungswissenschaft und Öffentliches Recht in Speyer und 1972–1993 eine Professur für Öffentliches Recht in Tübingen inne. Zum Gedenken an Professor Dr. iur. Dr. h.c. Roman Schnur (1927–1996), hg. v. der Juristischen Fakultät in Zusammenarbeit mit dem Presseamt der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Tübingen 1999 (= Tübinger Universitätsreden, 12).

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sionsaufsatzes1204 zusenden zu können. Aber nachdem schon die Auslieferung des Heftes selbst sich lange verzögert hat, scheint nun der Buchbinder die Fertigstellung der Sonderdrucke ganz zurückgestellt zu haben. So sind sie nicht einmal für Weihnachten fertig geworden, und die Freude, die es mir gemacht hätte, Ihnen und einigen unserer gemeinsamen Freunde diesen Versuch zu dem Fest zu übersenden, ist mir genommen. Doch sollen deshalb meine Weihnachtsgrüsse für Sie nicht noch länger aufgeschoben werden. Von Herzen wünsche ich, dass Sie mit den Ihren das Fest in ungetrübter Freude feiern können. Auch meine Frau lässt Ihnen herzliche Wünsche sagen. Stärker noch als bei der Abfassung des Aufsatzes ist mir kürzlich, als ich in einem intimeren Kreis von Historikern und Philosophen über den Konstitutionalismus sprach1205, bewusst geworden, in welchem Masse unser gesamtes staatstheoretisches Denken durch die Begriffe, die Sie entwickelt haben, bestimmt ist. Schon für eine äusserliche Betrachtung liegt das auf der Hand; aber die wirkliche Bedeutung Ihrer „Begriffe“ erschliesst sich doch erst, wenn man sich bemüht, für unsere Gegenwart eine wirkliche Theorie der Politik zu entwickeln. Darin scheint mir die wichtigste wissenschaftliche Aufgabe der nächsten Zukunft zu bestehen; und gerade ein Rückblick auf die ältere Theorie zeigt, dass uns bisher alle echten Begriffe für eine eigne Theorie fehlen. Denn dass das ideologische Gerede über Führung und Gemeinschaft, zu dem sich die Wissenschaft bemüssigt gesehen hat1206, mit echter Theorie und wirklicher Begrifflichkeit nichts zu tun hat, bedarf kaum der Feststellung. Da ich, wie ich gerne bekenne, als Wissenschaftler „konservativ“ bin (Heckel | hielt mir das vor einiger Zeit in einem Briefe1207 vor, in dem er sich selbst als „revolutionär“ bezeichnete), d.h. genauer, da ich die Tradition deutscher Wissenschaft in mir lebendig weiss ebenso wie ich unser Volk in seinen wirklichen Ordnungen durch lange Überlieferung bestimmt empfinde, scheint es mir notwendig, auch für eine neue politische Theorie überlieferte Fundamentalbegriffe fruchtbar zu machen. Das ist, so scheint mir, kein Widerspruch zur „Situationsgebundenheit“ des Begriffs, denn auch Ihnen lag bei dieser Lehre sicher fern, den echten politischen Grundbegriff in Frage zu stellen. Auch diese Grundbegriffe haben gewiss ihren polemischen Charakter, aber der Zustand, gegen den sie sich wenden, ist das gestaltlose Chaos, und wofür sie streiten, ist Ordnung und Institution an sich. Heute scheint mir fast, Sie hätten richtiger 1204

Huber, Positionen. Siehe Anhang II.9. Huber trug zu seinem Abschied im Leipziger Kolloquium über das Thema „Die konstitutionelle Monarchie“ vor. So die Straßburger Erinnerungen, Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 710. 1206 So beispielsweise Werner Ziegenfuß, Deutsches Genossenschaftswesen. Eine Einführung, Berlin 1938, S. 37. 1207 Der Brief ist nicht überliefert. 1205

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getan, 1934 an dem Begriff des institutionellen Denkens festzuhalten, statt vom konkreten Ordnungsdenken zu sprechen1208. Das wäre für die Meute zwar das Stichwort gewesen, auf das hin man Sie angefallen und mediterranen oder noch schlimmeren Denkens bezichtigt hätte. Aber dieses Wort wäre nicht nur dem Missbrauch entgangen, dem das Wort vom Ordnungsdenken preisgegeben war; es hätte auch präziser bezeichnet, worum es geht, d.h. woran es uns fehlt. Im Mangel an echten Institutionen sehe ich unser eigentliches Verfassungsproblem.1209 Über die geplante Tagung1210 wird Ihnen Weber wohl gelegentlich berichten1211; wir halten an der Hoffnung fest, dass Sie doch ein Referat übernehmen. Auch Jahrreiss hat diesen Wunsch und wird sich deswegen an Sie wenden1212. An der von Herrn Dr. Mehner geplanten Sichtungstätigkeit will ich gerne mitarbeiten. Die Unterlagen, die Sie mir schickten, füge ich Ihnen in der Anlage wieder bei1213. Besonders danke ich Ihnen für die Zusendung Ihres Aufsatzes über das International Law1214. Das wichtige Problem hat mit diesem Aufsatz eine neue Vertiefung erfahren[,] und zugleich ist diese entscheidende Zeit, die mit Bismarcks Sturz1215 beginnt, weiter aufgehellt worden. Haben Sie also für die Weihnachtszeit und für das Neue Jahr die herzlichsten Wünsche Ihres Ernst Rudolf Huber 1208

Schmitt, Über die drei Arten. Die Stellen über das „institutionelle Denken“ 1934 sowie der Satz „Im Mangel an echten Institutionen sehe ich unser eigentliches Verfassungsproblem“ waren gekennzeichnet. Siehe oben Anm. 1203. 1210 Huber plante eine Tagung der Staatsrechtslehrer zum Thema „Die Verfassung des Reiches hinsichtlich ihrer Entwicklung und ihrer heutigen Gestalt“. In die Vorbereitung hatte er Reinhard Höhn, Hermann Jahrreiß und Karl Larenz einbezogen. Bundesarchiv Berlin, R 4901, Nr. 2843. 1211 Ein diesbezügliches Schreiben Webers an Schmitt findet sich nicht im Nachlass Schmitts. Hier gibt es eine Lücke zwischen einem Brief Webers vom 30.10.1939 und einer Karte vom 16.4.1943. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 17738, 17739. 1212 Ein Brief von Jahrreiß an Schmitt in dieser Angelegenheit ist nicht überliefert. 1213 Die Anlage ist nicht überliefert. 1214 Carl Schmitt, Die Auflösung der europäischen Ordnung im „International Law“ (1890–1939), in: Deutsche Rechtswissenschaft 5 (1940), S. 267–278. 1215 Bismarcks Sturz datiert auf das Jahr 1890, das allgemein als eine Zäsur in der Geschichte des Kaiserreichs angesehen wird. 1209

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Nr. 171 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Leipzig, 1.5.1941 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6272, maschinenschriftliche Abschrift: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Leipzig, 1. Mai 1941 Hochverehrter Herr Staatsrat! Bei der Rückkehr von einer längeren Reise1216 fand ich hier die schöne Ausgabe von Lorenz Steins Schrift „Zur preußischen Verfassungsfrage“, die Sie mir zu Ostern1217 übersandten. Mein Dank gilt der freundschaftlichen Gesinnung, die aus den Worten spricht[,] mit der Sie die Zusendung begleiteten1218, nicht minder aber der außerordentlichen sachlichen Bereicherung und Belehrung, die Sie mir durch die Herausgabe dieses versteckten und bisher übersehenen Werks haben zuteil werden lassen. Dieser meisterliche Aufsatz Steins ist eine große Entdeckung, und seine Bedeutung hätte nicht trefflicher hervorgehoben werden können, als durch diese Ausgabe und das Nachwort, das Sie ihr mitgegeben haben. Stärker als die „Geschichte der sozialen Bewegung“1219, die nur im Spiegel französischer Probleme die deutsche Verfassungsfrage behandelt, lebendiger als die „Verwaltungslehre“1220, in der die Bewegung des Jahrhunderts bereits in den Bann fester Institutionen geschlagen ist, umreißt dieser Aufsatz das zentrale Thema unseres nationalen Werdens. Die deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung und Verfassungstheorie müßte unter dem Eindruck dieser Arbeit in eine neue | Phase treten, und nichts zeigt den neuen Anfang, an dem wir in der Verfassungswissenschaft stehen, deutlicher, als daß erst jetzt das Verständnis für diesen Aufsatz zu reifen beginnt. 1216 Im März 1941 hatte Huber einen Vortrag über „Verfassung und Verwaltung“ u. a. an der Universität Budapest gehalten. Das Manuskript liegt im Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 202, sowie Briefe ebd., Nr. 1037–1041. Ein Vortrag am 17.3.1941 im Ungarischen Verwaltungswissenschaftlichen Forschungsinstitut in Budapest erschien gedruckt: Ernst Rudolf Huber, Begriff und Wesen der Verwaltung, in: Geist der Zeit 19 (1941), S. 287–294. Am 10.3.1941 hatte er sich in das Gästebuch des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts eingetragen. Frank-Rutger Hausmann, „Auch im Krieg schweigen die Musen nicht“. Die Deutschen Wissenschaftlichen Institute im Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2001 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 169), S. 161. 1217 Der Ostersonntag fiel auf den 13.4.1941. 1218 Ein Begleitbrief ist nicht überliefert. 1219 Lorenz Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage. In drei Bänden, Leipzig 1850. 1220 Ders., Die Verwaltungslehre, 8 Teile, Stuttgart 1865–1884.

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Ich1221 habe seit langem vor, Ihnen zu schreiben; eigentlich hätten Sie der erste sein sollen, dem ich über den geplanten Aufbau der Straßburger Fakultät1222 berichtete. Aber ich war 8 Wochen verreist und vorher während des Trimesters nicht nur durch das Vielerlei amtlicher Geschäfte[,] sondern auch durch Krankheit behindert. Die letzten Wochen des Trimesters las ich in Budapest1223, wo es viel zu sehen und zu lernen gab; es war die letzte Zeit vor der Entscheidung im Südosten1224, und die Spannung der nahenden Krisis war in der Hauptstadt Ungarns weit stärker zu spüren als bei uns. An einem strahlenden Vorfrühlingstag stand ich auf den Höhen von Fünfkirchen1225, und ich werde die eigentümliche Stille des Friedens nicht vergessen, der sich über das weite Land bis hin zur jugoslavischen Grenze breitete. Die inneren Probleme Ungarns wurden sehr anschaulich bei einem Empfang der deutschen Gesandtschaft demonstriert, bei dem zum ersten Male die Vertreter der Opposition geladen waren, an ihrer Spitze Imredy1226. In Freyer hatte ich in der ganzen Zeit einen vorzüglich unterrichteten und | überaus aufmerksamen Mentor1227. Freyer ist in diesen Tagen hier. Er spricht morgen in unserm „Außenpolitischen Kolloquium“1228, und das ist der Grund, aus dem ich an der Sitzung des Völkerrechtsausschusses1229 nicht teilnehmen kann. Ich habe gehofft, 1221 Die nächsten zwei Absätze sind zitiert bei Hausmann, Musen, S. 161, Anm. 34. Dort ist der Brief allerdings versehentlich auf 1944 datiert. 1222 Huber wurde im November 1941 von Leipzig nach Straßburg berufen und kümmerte sich dort intensiv um den Aufbau der Fakultät an der neugegründeten deutschen Reichsuniversität. Herwig Schäfer, Juristische Lehre und Forschung an der Reichsuniversität Straßburg 1941–1944, Tübingen 1999 (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, 23). Zu Hubers Anteil: ebd., S. 77–80, 168–184. 1223 Siehe oben Anm. 1216. 1224 Im April 1941 besetzten das Deutsche Reich und Italien das Königreich Jugoslawien und lösten es auf. 1225 Die Stadt in Südungarn, das heutige Pécs, etwa 35 Kilometer nördlich der damaligen jugoslawischen Grenze, liegt am Fuß des Mecsek-Gebirges, das fast 700 Meter Höhe erreicht. 1226 Béla Imrédy (1891–1946) amtierte 1938/39 als ungarischer Ministerpräsident und führte antisemitische Gesetze ein. Nach seinem Rücktritt blieb er einer der führenden Oppositionspolitiker, der 1946 von einem kommunistischen Volksgericht verurteilt und hingerichtet wurde. 1227 Freyer leitete – gleichzeitig mit seiner Professur in Leipzig – von 1935 bis 1944 das Deutsche Kulturinstitut in Budapest. Seit 1941 amtierte er dort als Direktor des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts. Hausmann, Musen, S. 146–166. 1228 Zum Vortrag Freyers in Leipzig im Mai 1941 konnte nichts Näheres ermittelt werden. 1229 Huber war allerdings weder Mitglied des Völkerrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht noch an dessen Sitzungen beteiligt. Schubert, Akademie.

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Sie dort zu treffen, und Ihnen von Straßburg erzählen zu können. Es war für mich nicht leicht, die Leipziger Fakultät, zu deren Aufbau ich in den letzten Jahren einiges beitragen konnte, zu verlassen. Aber es schien mir nicht nur nationalpolitisch[,] sondern auch hochschulpolitisch richtig zu sein, zu zeigen, daß es unter den heutigen Voraussetzungen möglich ist, eine fachlich qualifizierte und menschlich achtbare Fakultät an dieser Stätte deutscher Überlieferungen1230 und deutscher Hoffnungen neu zu gründen. Daß dies nicht leicht sei, war von Anfang an offenbar; daß es nicht unmöglich sei, ist die Überzeugung, an der ich trotz aller Schwierigkeiten festhalte. Von Weber höre ich, daß Herr Jahrreiß die Aufforderung an Sie, auf der geplanten Tagung zu sprechen, in eine etwas eigenartige Form gekleidet hat. Ich möchte Ihnen | dazu nur mitteilen, daß der ganze Plan der Tagung dadurch ein neues Gesicht bekommen hat, daß Ritterbusch jetzt offenbar an eine sehr große Veranstaltung denkt1231, weniger an eine Arbeitstagung, wie wir ursprünglich meinten. Es sollte unlängst darüber mit Stuckart beraten werden, in Anwesenheit von Ritterbusch, Höhn, Walz, Jahrreiß und mir; doch wurde die Besprechung abgesagt. Ich nehme danach an, daß die ganze Tagung noch sehr im weiten Felde liegt und daß das ursprüngliche Programm starken Veränderungen unterworfen sein wird. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß ich nicht der Mann bin, um Veranstaltungen dieses Gepräges zu organisieren. Mit herzlichen Grüßen Ihr dankbar ergebener Ernst Rudolf Huber

Die besagte Sitzung des Ausschusses fand am 2. und 3.5.1941 statt. Bericht in der Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 8 (1941), S. 162. 1230 Straßburg gehörte bis 1697 dem Heiligen Römischen Reich an. Die Straßburger Bibliothek bewahrt zahlreiche frühe Drucke auf. 1231 Der Jurist und Politikwissenschaftler Paul Ritterbusch organisierte den Kriegseinsatz der deutschen Geisteswissenschaften. Daraus ging u. a. ein Sammelband hervor, an dem auch Carl Schmitt beteiligt war: Paul Ritterbusch (Hg.), Das Reich und Europa, Leipzig 1941. Hausmann, Geisteswissenschaft, S. 177–203.

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Nr. 172 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 15.9.1941 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Berlin-Dahlem, den 15. September 1941. Lieber Herr Huber! Endlich habe ich Ihre Straßburger Adresse1232 und kann Ihnen zunächst meine besten Wünsche für Ihre neue Wohnung sagen, wobei ich Sie bitte, diese Wünsche auch Ihrer Frau mit meinen herzlichen Grüßen zu übermitteln. Dann muß ich den schon lange fälligen Dank für Ihren Aufsatz über „Reichsgewalt und Reichsführung im Kriege“1233 aussprechen. Er hat mir schon für meine Vorlesung im Sommersemester1234 die vorzüglichsten Dienste getan. Ich würde gern mit Ihnen darüber sprechen, da sich das Beste schriftlicher Fixierung entzieht. Einige Arbeiten zum Problem der „Kolonialgewalt“, die ich in den letzten Wochen machen mußte1235, haben mir das ganze Problem von einer neuen Seite gezeigt. Es handelt sich eben um die konkreten organisatorischen und institutionellen Erscheinungsformen der Führergewalt, um die „Gliederung“ wie Sie sagen, um die Ordnung des Zugangs zum Führer1236, und dazu kann man in den Denkschriften des Frh. 1232 Huber war seit 1. Juli 1941 in der Fritsche Closenerstr. 3 gemeldet. Benannt war die Straße nach Fritsche (Friedrich) Closener (um 1315–vor 1373), einem Straßburger Chronisten. Harry Gerber, Fritsche Closener, in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 294 f. 1233 Ernst Rudolf Huber, Reichsgewalt und Reichsführung im Kriege, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 101 (1940/41), S. 530–579. Das Schmitt zugesandte Exemplar befindet sich im Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 27117. 1234 Schmitt hielt im Sommersemester 1941 zwei Vorlesungen über „Volk und Staat“ sowie „Verfassung“. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Personal- und Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1941, Berlin o. J. [1941], S. 148. 1235 Es ist unklar, was Schmitt hier gemeint haben kann; eine konkrete Veröffentlichung dazu gibt es nicht. Über das Problem der „Kolonialgewalt“ hatte er sich 1938 geäußert. Carl Schmitt, Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff, München/Leipzig 1938 (= Schriften der Akademie für Deutsches Recht, 5); auch in: Schmitt, Frieden, S. 518–597, hier S. 524, 534. 1236 Diese Frage beschäftigte Schmitt sehr lange. Carl Schmitt, Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber, Pfullingen 1954; ders., Der Zugang zum Machthaber, ein zentrales verfassungsrechtliches Problem (1947), in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 430–439.

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vom Stein1237 aus den ersten Reformjahren1238 vieles Lehrreiche entnehmen. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen für Ihre Beamten-Abhandlung1239 schon gedankt habe. Sollte ich es versäumt haben, so liegt es bestimmt nicht daran, daß ich sie nicht mit großem Interesse und Nutzen gelesen habe. Ich muß Ihre verfassungsgeschichtliche Gestaltungskraft immer mehr bewundern. | In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, daß Neeße1240 mich um eine Abhandlung über den Leipziger Staatsgerichtshof-Prozeß PreußenReich von 1932 gebeten hat und daß ich, wenn es meine Zeit erlaubt, gern ein Bild davon geben werde1241, so wie es sich mir heute, nach 10 Jahren, darstellt. Sollten Sie aber selber diese Abhandlung schreiben wollen, so lasse ich Ihnen ohne weiteres den Vortritt. Es handelt sich um eine neue, von Frank, Barth1242, Best1243 und Lingg1244 herausgegebene Schriftenreihe zum Recht der Partei im Eher Verlag1245. Wegen meines Beitrags zum verfassungsrechtswissenschaftlichen „Einsatz“ bin ich in Schwierigkeiten1246. Mit längerer Kriegsdauer verändert sich das Thema wesentlich, aber auch mit wachsender Einbeziehung der besetzten Gebiete in den deutschen Großraum. Ob es nicht besser ist, ein anderes Thema zu wählen? An sich habe ich mich jetzt bereits mit 2 Arbeiten 1237 Frhr. Karl vom Stein (1757–1831) zählt zu den bedeutendsten preußischen Staatsmännern. Er war für die Durchführung der Reformen nach der Niederlage gegen Frankreich 1805/06 maßgeblich verantwortlich. Heinz Duchhardt, Stein. Eine Biographie, Münster 2007. 1238 Die preußischen Reformen begannen im Jahr 1807. 1239 Ernst Rudolf Huber, Die verfassungsrechtliche Stellung des Beamtentums, in: Festschrift der Leipziger Juristenfakultät für Dr. Heinrich Siber zum 10. April 1940, Bd. 1, Leipzig 1941 (= Leipziger rechtswissenschaftliche Studien, 124), S. 275–326. 1240 Der Jurist Gottfried Neeße (1911–1987) war zwischen 1938 und 1942 leitender Mitarbeiter der NSDAP-Parteizentrale in München. 1241 Ein Aufsatz mit dieser Thematik erschien nicht. 1242 Vermutlich ist Heinrich Barth (geb. 1900) gemeint, der seit 1937 Leiter des Amtes Rechtspolitik im Reichsrechtsamt war. Klee, S. 29. 1243 Der Jurist Werner Best (1903–1989) war ein hoher SS-Funktionär. Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903–1989, Bonn 1996. 1244 Anton Lingg (geb. 1902) war promovierter Jurist und Hauptamtsleiter der NSDAP-Reichsleitung. In vielfachen Auflagen erschien: Anton Lingg, Die Verwaltung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, München 1939. 1245 Kaum gemeint sein kann: Carl Haidn/Ludwig Fischer/Hans Frank (Hg.), Das Recht der NSDAP. Vorschriften-Sammlung mit Anmerkungen, Verweisungen und Sachregister, München 1937. Das Werk erschien 1937/38 in drei Auflagen im EherVerlag. 1246 Angesprochen war hier ein Beitrag Schmitts zum „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“.

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im Rahmen des von Ritterbusch geführten Einsatzes beteiligt: mit einem Vortrag über „die Prägung des französischen Geistes durch den französischen Juristen“ (1940 vor Romanisten)1247 und dem beil. Vortrag vor Historikern, Februar 19411248. Der erste Vortrag, eine Weiterführung des vor Ihnen in Leipzig gehaltenen Vortrages1249[,] hat mir viele Arbeit gemacht, er liegt seit fast einem Jahr druckfertig da und erscheint nicht, während Herr Rohden1250 den Rahm abschöpft. Der zweite Vortrag ist ohne Anmerkungen erschienen1251; ich lege Ihnen | daher die (miserable) italienische Übersetzung1252 bei, die wenigstens einige Hinweise enthält, für den Fall, daß Sie einigen Fragen nachgehen wollen. Die Arbeit mit diesem Vortrag war ungeheuer; allein das geschichtliche Schrifttum über Piraterie kann einen erdrükken. Doch bin ich mit dem Ergebnis zufrieden und arbeite weiter an dem unermeßlichen Problem. Ich will Sie jetzt nicht länger aufhalten, denn ich sehe aus Ihren Veröffentlichungen, daß Sie neben der wohl sehr mannigfaltigen Arbeit der Installierung in Straßburg Ihre wissenschaftliche Arbeit unvermindert weiterführen. Darf ich Sie nur noch um zwei Einzelheiten bitten, die mir am Herzen liegen: 1) Könnten Sie auf meine Ausgabe von Steins Preußischer Verfassungsfrage in Ihrer Zeitschrift oder an anderer geeigneter Stelle hinweisen1253. Was Sie mir dazu geschrieben haben, ist so treffend, daß es wohl auch in der Öffentlichkeit wirksam werden könnte, wenn Sie nicht nur, wie in Ihrem Aufsatz zu den „Positionen und Begriffen“, sondern einmal in Form einer kurzen Besprechung Ihre Meinung dazu sagen wollten. 2) Haben Sie noch ein Stück des Sonderdruckes Ihres Aufsatzes über die „Positionen u. Begriffe“? Ich habe Ihr Widmungsexemplar dem Mi1247

Siehe oben Anm. 1063. Carl Schmitt, Staatliche Souveränität und freies Meer. Über den Gegensatz von Land und See im Völkerrecht der Neuzeit, in: Paul Ritterbusch (Hg.), Das Reich und Europa, Leipzig 1941, S. 79–105. Schmitt hielt diesen Vortrag am 8.2.1941 in Nürnberg vor Hochschullehrern der mittleren und neueren Geschichte. Benoist, S. 123. 1249 Siehe oben Anm. 1063. 1250 Peter R. Rohden, Die französische Politik und ihre Träger. Advokat, Schriftsteller, Professor, München 1941. Peter Richard Rohden (1891–1942) war ein Ideenhistoriker, der der Konservativen Revolution zuzurechnen ist. Seit 1927 lehrte er als Privatdozent für Neuere Geschichte an der Universität Berlin. 1251 Siehe oben Anm. 1248. 1252 Carl Schmitt, Sovranità dello Stato e libertà dei mari, in: Rivista di studi politici internazionali 8 (1941), S. 60–91. 1253 Eine Buchanzeige oder Rezension Hubers über Schmitts Stein-Buch erschien nicht. 1248

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nisterialrat Burmeister1254 geliefert, der aber jetzt in Kowno1255 und für solche Kleinigkeiten nicht mehr erreichbar ist. | Damit genug für diesen Brief, der Ihnen wohl vor allem den Eindruck vermittelt, daß mein Wunsch nach einem Gespräch mit Ihnen sehr lebhaft ist. Indem ich Ihnen die herzlichsten Grüße von Haus zu Haus sage[,] bleibe ich stets Ihr alter und unveränderlicher Carl Schmitt. Nr. 173 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Straßburg, 23.9.1941 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Briefabschrift, maschinenschriftlich

Strassburg, 23. September 1941 Fritsche Closenerstr. 3 Hochverehrter Herr Staatsrat! Mit Ihrem so unmittelbaren und herzlichen Brief haben Sie mir eine grosse Freude gemacht. Ich hatte seit langem vor, Ihnen von Strassburg aus zu schreiben; aber das vergangene Vierteljahr brachte soviel innere und äussere Unruhe mit sich, dass mir kaum eine Stunde der Sammlung blieb. Auch jetzt schreibe ich Ihnen zwischen zwei Reisen; ich kam gestern abend von Oberstein, wo ich meinen jüngsten Bruder1256, der bei Smolensk verwundet wurde1257, traf, und ich fahre heute abend nach Paris, um Bücher für unsere Institute zu kaufen1258. 1254 Wilhelm Burmeister (1905–1983) war 1939–1941 Ministerialrat im Reichserziehungsministerium und persönlicher Referent von Bernhard Rust. 1941–1945 leitete er die Hauptabteilungen Politik und Verwaltung beim Reichskommissar Ostland in Riga. Nach 1945 war er in verschiedenen Unternehmen und schließlich als Rechtsanwalt tätig. Grüttner, S. 33. 1255 Polnischer Name der litauischen Stadt Kaunas, 100 Kilometer westlich von Vilnius, die im Juni 1941 von deutschen Truppen besetzt worden war. 1256 Heinz Huber (1914–1945). Er starb Ende März 1945 nach einer schweren Verwundung in Gdingen (nahe Danzig). Ich danke Ulrich Huber für diesen Hinweis. Ernst Rudolf Huber an Tula Huber-Simons, 5.11.1945. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 1075. 1257 Nach einer Kesselschlacht im Spätsommer 1941 wurde Smolensk, gelegen in Westrussland (in der Nähe des heutigen Weißrussland), von deutschen Truppen besetzt und fast vollständig zerstört. 1258 In seinen Erinnerungen ist von der hier erwähnten Reise nach Paris im September 1941 keine Rede. Vielmehr erwähnt Huber darin eine „erste“ Paris-Fahrt im Januar 1942. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 710 („Straßburger Erinnerungen“).

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Ihre freundlichen Worte über meine letzten literarischen Bemühungen haben mich beschämt. Mir fehlt es, seit ich vom Militär entlassen bin1259, durchaus an der Fähigkeit, das zu leisten, was ich schuldig bin. In Leipzig war es das Dekanat1260, jetzt ist es die weit umfassendere Aufbauarbeit, die mich an der wirklichen wissenschaftlichen Arbeit hindert. Seit ich hier bin, gehe ich ganz in bibliothekarischen und anderen technischen Arbeiten auf. Ich habe die Gesamtleitung des Aufbaus unserer Institute übernommen, und Sie machen sich schwerlich eine Vorstellung, wie wir die alten Bestände hier vorgefunden haben1261. Die Franzosen haben nichts getan, und es ist ein untrügliches Zeichen für die Schwäche und Unsicherheit des „Siegers“ von 1918, dass seitdem kein deutsches Buch mehr angeschafft wurde, ja dass man keine deutsche Zeitschrift und keine deutsche Entscheidungssammlung weitergeführt hat. Erst seit 1933 zeigt sich ein erwachendes Interesse an der deutschen Rechtswissenschaft in einigen Anschaffungen, die jedoch durchaus zufälligen Charakter tragen. Doch wollte ich Sie nicht mit den bescheidenen Erkenntnissen, die | die bibliothekarische Arbeit vermittelt, langweilen. Es wäre Ihnen vielleicht interessanter, über den politischen Neuaufbau und die „Eingliederung“ unterrichtet zu werden. Aber man kann hier kaum vorsichtig genug urteilen. Sicher ist, dass hier viele Fehler, die in Lothringen gemacht wurden1262, vermieden worden sind. Sicher auch, da[ss] es eine erstaunlich grosse Zahl von Menschen gibt, die sich ehrlich für die deutsche Sache einsetzen. Alles andere ist eine Frage des Kriegsausgangs, mehr aber noch der inneren und äusseren Neuordnung, die der Sieg uns aufgeben wird. Wenn man in dieser Zeit von Sorge erfüllt ist, so vor allem, weil die Geschichte lehrt, dass Kriege erst im Frieden, d.h. nach dem militärischen Sieg[,] gewonnen werden. Dass zu den vielen verfassungsrechtlichen Fragen, die damit aufgeworfen sind, auch die Organisation der Obersten Führung1263 gehört, deuten 1259 Huber leistete von August bis September 1936 sowie von August bis Oktober 1938 Wehrdienst und vom September bis Dezember 1939 Kriegsdienst. Universitätsarchiv Göttingen, Kuratorium, Personalakte Huber. 1260 Huber war vom Sommersemester 1939 bis zum Sommersemester 1941 Dekan der Leipziger Juristenfakultät. Jürgens, S. 26. 1261 Grundstock waren u. a. 15.000 Bände, die Huber im Keller der Universität gefunden hatte. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 710 („Straßburger Erinnerungen“). 1262 Lothringen wurde im August 1940 vom Deutschen Reich besetzt, faktisch wie ein Reichsgebiet behandelt und einem Chef der Zivilverwaltung unterstellt, der in Saarbrücken residierte. Zu einer förmlichen Eingliederung kam es aber bis zur Rückeroberung durch die Alliierten 1944 nicht. 1263 Dazu: Ernst Rudolf Huber, Der Kampf um die Führung im Weltkrieg, Hamburg 1941 (= Hanseaten-Bücherei). Es handelt sich um einen Separatdruck aus Hu-

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Sie in Ihrem Brief an, und es hat mich gefreut, dass Sie zwischen den Zeilen meines Materialberichtes gelesen haben, wie sehr mir diese Frage am Herzen liegt. Weder dem Frh. vom Stein noch Bismarck ist es gelungen, dieser Frage Herr zu werden; wie sehr sich beide darum gemüht haben, ist verfassungsgeschichtlich bei weitem noch nicht ergründet. Auch in dem Konflikt Hardenberg-Humboldt1264 besitzt diese Frage entscheidenden Rang. Sie haben mich vor vielen Jahren im Gespräch darauf hingewiesen, welche zentrale Bedeutung die Frage des Zugangs zum Führer besitzt, und Sie haben völlig Recht damit, wenn Sie auch jetzt dieses Problem unter den fundamentalen Verfassungsfragen erwähnen. Ein Aufsatz von Weber über den Führererlass, der im nächsten Heft meiner Zeitschrift erscheinen wird1265, behandelt ein ähn- | lich wichtiges Problem. Aber zeigen nicht alle Erwägungen dieser Art, wie weit unser personalistisch-dynamisches System von Ordnung und Institution und damit von „Verfassung“ entfernt ist? Auch aus den Erfahrungen der Weimarer Zeit lässt sich heute vieles lernen, und es ist deshalb eine ausgezeichnete Idee, dass Sie über den Prozess Preussen-Reich schreiben wollen. Selbstverständlich müssen Sie das tun; so richtig es in mancher Hinsicht war, dass Sie damals die Broschüre1266 nicht selbst geschrieben haben, so notwendig ist es, dass Sie heute diese Arbeit auf sich nehmen. So schmerzlich es für mich als den Herausgeber ist, so sehr sehe ich ein, dass Sie in dem Kriegseinsatz-Werk den vor einem Jahr geplanten Beitrag jetzt vielleicht besser nicht schreiben1267. Aber Sie werden mir auch zugeben, dass ein Gemeinschaftswerk der deutschen Staatsrechtslehrer nicht erscheinen kann, ohne dass Sie dabei mitarbeiten. Ich bitte Sie deshalb sehr herzlich, zu überlegen, ob es nicht ein anderes Thema gibt, das Sie in absehbarer Zeit behandeln können. Es wäre unangemessen, wenn ich Ihnen Vorschläge machen wollte. Es gibt sicher in der Fülle der Fragen, mit denen Sie sich beschäftigen, die eine oder andere, deren Erörterung Sie jetzt in Angriff nehmen könnten. Ich mache mir keine übertriebenen Vorstellungen bers Monographie von 1938 „Heer und Staat in der deutschen Geschichte“, S. 369– 444. 1264 Im Jahre 1817 gerieten der preußische Staatskanzler Karl August von Hardenberg (1750–1822) und der Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt (1767– 1835) über die Frage der künftigen staatlichen Struktur Preußens in Konflikt. Während Hardenberg eine Führungsrolle für sich beanspruchte, forderte Humboldt eine kollegiale Leitung durch einen Staatsrat. 1265 Werner Weber, Führererlaß und Führerverordnung, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 102 (1942), S. 101–137. 1266 Huber, Reichsgewalt. 1267 Es ist unklar, welchen Beitrag Schmitt schreiben wollte.

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von der Bedeutung des sog. Kriegseinsatzes. Aber ich glaube doch, dass es nicht ganz unwesentlich ist, wenn es gelingt, die Staatsrechtslehrer nach 8 Jahren der Zersplitterung1268 zu einer gemeinsamen Leistung zusammenzufassen. Wenn Sie dabei fehlen, so ist es eben nicht gelungen. Deshalb habe ich die sehr dringende Bitte, dass Sie sich nicht versagen möchten. Ich glaube Ihnen auch versichern zu können, dass Ihr Beitrag bei mir nicht ungebührlich lange liegen bleibt, wie es mit Ihrem Vortrag über den französischen Juristen leider geschehen ist. Die andere Arbeit über „Staatliche Souveränität und freies Meer“1269, die auf der Nürnberger Tagung1270 so grossen Eindruck gemacht hat, hatte | ich bereits gelesen. Ich freue mich sehr, sie auch als Sonderdruck zu besitzen, und die italienische Uebersetzung ist mir wegen der Anmerkungen sehr wertvoll. Haben Sie sehr herzlichen Dank für die Zusendung. Sie haben damit den Unterschied zwischen dem kontinentalen und dem insularen Denken stärker aufgehellt, als es Ritter1271 mit dem Buch über Machiavell und Morus1272 gelungen ist1273. Ihre Ausgabe von Steins Preussischer Verfassungsfrage will ich gern in meiner Zeitschrift gesondert anzeigen. Ich hoffe, nach der Rückkehr aus Paris gleich an diese Arbeit zu kommen. Den Aufsatz über die „Positionen und Begriffe“ füge ich Ihnen bei1274. Kommen Sie nicht einmal nach Strassburg?1275 Ich hoffe, dass es mir gelingen wird, eine Einrichtung, die dem Leipziger Kolloquium entspricht[,] 1268

Gemeint ist die Zeit seit der Auflösung der „Vereinigung der Staatsrechtslehrer“. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 311–315. 1269 Siehe oben Anm. 1248. 1270 Die Tagung fand am 8.2.1941 statt. 1271 Gerhard Ritter (1888–1967) lehrte von 1925 bis 1956 Neuere Geschichte an der Universität Freiburg. Der nationalkonservative Gelehrte, der Kontakt zu den Widerstandskreisen des 20. Juli 1944 besaß, war besonders nach 1945 einer der einflussreichsten deutschen Historiker. Christoph Cornelißen, Gerhard Ritter. Geschichtswissenschaft und Politik im 20. Jahrhundert, Düsseldorf 2001. 1272 Der florentinische Staatsmann Niccolò Machiavelli (1469–1527) und der englische Politiker Thomas Morus (1478–1535) waren der Ausgangspunkt von Ritters Darstellung der Ideengeschichte seit der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. 1273 Gerhard Ritter, Machtstaat und Utopie. Vom Streit um die Dämonie der Macht seit Machiavelli und Morus, München/Berlin 1940. Vgl. dazu: Ernst Rudolf Huber, Machtstaat und Utopie, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 102 (1942), S. 168–176. Ritter antwortete in einem Anhang der dritten Auflage von 1943, S. 175–195. Zur Kontroverse Hubers mit Ritter unter Hinweis auf Briefquellen: Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, S. 254 und Anm. 409. 1274 Huber, Positionen. Siehe Anhang II.9. Eine Beilage ist nicht überliefert. 1275 Über Huber an der Straßburger Universität orientiert: Morgenstern, S. 253– 269.

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hier zu schaffen, aber das wird bis zum Winter noch nicht möglich sein. Sie werden dann der erste sein, den ich zu einem Vortrag einlade. Aber vielleicht wäre es noch schöner, wenn Sie bald einmal ganz ohne offiziellen Anlass und ohne lästige Verpflichtungen nach Strassburg und ins Elsass kämen. Meine Frau würde sich sehr freuen, und Sie sollten unsere Söhne einmal wiedersehen. Vielleicht fänden wir dann die Möglichkeit zu einem richtigen Gespräch leichter als in dem Berliner Getriebe, das, wie ich gestehen muss, mein kleinstädtisches Gemüt immer etwas ausser Fassung bringt. Mit sehr herzlichen Grüssen bleibe ich Ihr dankbar ergebener g[e]z.[eichnet] Ernst Rudolf Huber

Nr. 174 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 7.10.1941 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Dahlem / Kaiserswerther Str. 17“

den 7. Oktober 1941. Lieber Herr Huber! Vielen herzlichen Dank für Ihren Brief vom 23. September. Ich beantworte ihn heute nur mit einer eiligen Frage. Nächste Woche reise ich nach Paris und werde in dem letzten Drittel des Oktober[s] zurückreisen1276. Die Rückreise würde ich gerne über Straßburg machen und bei dieser Gelegenheit könnte ich Sie vielleicht eine Stunde dort treffen, wenn Sie Zeit haben1277. Schreiben Sie mir bitte ein Wort dazu nach Berlin. Ich werde am 13. Okt. hier abreisen. Hoffentlich läßt es sich einrichten. Meine Freude, Sie, Ihre Frau und Ihre Söhne1278 in Straßburg zu treffen, ist ganz außerordentlich. Immer Ihr Carl Schmitt. 1276 Schmitt hielt am 17.10.1941 einen Vortrag beim Deutschen Institut in Paris. Christian Tilitzki, Die Vortragsreisen Carl Schmitts während des Zweiten Weltkrieges, in: Piet Tommissen (Hg.), Schmittiana. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts, Bd. 6, Berlin 1998, S. 191–270, hier S. 199 f., 257. Benoist, S. 124, verzeichnet einen Vortrag auf Französisch zum Thema „Das Meer gegen das Land“ im Pariser Maison de la Chimie, der in der Zeitschrift „Das Reich“ am 9.3.1941, S. 1 f. erschien. 1277 Mehring, S. 410, vermerkt eine Rückreise Schmitts über Straßburg und ein Treffen mit Huber am 23.10.1941. In den Straßburger Erinnerungen Hubers kommt Schmitt allerdings nicht vor. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 710. 1278 Konrad, Ulrich, Albrecht und Gerhard Huber.

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Nr. 175 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 6.11.1941 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Dahlem / Kaiserswerther Str. 17“

den 6. November 1941. Lieber Herr Huber! Auf der Reise von Straßburg nach Berlin habe ich mit großem Genuß Ihre Ausführungen zum „Kampf um die Führung im Weltkriege“1279 nochmals gelesen; es ist nicht nur lehrreich, sondern ich möchte sagen existenziell wesentlich, sich immer wieder dieser Ereignisse zu erinnern, weil heute wie damals eine weltpolitisch gleiche Situation in der Tiefe vorhanden ist, sodaß die jeweilige „Gegenwart“ nicht mehr so absolut neu und einmalig erscheint, wie es dem Mechanismus unserer täglichen Apperzeption1280 selbstverständlich erscheint. So sehe ich auch die Begegnung mit Ihnen nur als einen Ausdruck einer tieferliegenden und dauernden Entwicklung an. Ich würde gern Ihren Eröffnungsvortrag1281 hören und habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, | dabei zu sein. Hat Ihnen Dr. Steinlein1282 die Druckfahnen der Tagebuchblätter von Ernst Jünger1283 gebracht? Wenn Sie sie gelesen haben, schicken Sie sie mir bitte gelegentlich zurück. Hoffentlich auf baldiges Wiedersehn! Inzwischen herzliche Grüße an Sie und Ihre Frau, die in Straßburg in Ihrem neuen Heim gesehen zu haben, mir eine besonders schöne Erinnerung bleibt. Stets Ihr alter Carl Schmitt.

1279

Huber, Kampf. Wahrnehmung. 1281 Ernst Rudolf Huber, Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, Straßburg 1942 (= Straßburger Universitätsreden, 2). Die Eröffnung der Reichsuniversität fand am 23.11.1941 statt; Huber hielt seinen Vortrag am Vormittag des 24.11.1941. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 710 („Straßburger Erinnerungen“); Morgenstern, S. 256. 1282 André Steinlein (1891–1964) war ein Vetter von Carl Schmitt. 1283 Es handelt sich um: Ernst Jünger, Gärten und Straßen. Aus den Tagebüchern von 1939 und 1940, Berlin 1942. 1280

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Nr. 176 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Straßburg, 11.11.1941 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Briefabschrift, maschinenschriftlich, Briefkopf: „Dr. Ernst Rudolf Huber / Prof. d. Rechte“, Adresse: „Herrn Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt / Berlin-Dahlem / Kaiserswerther Str. 17“

Strassburg, den 11. November 41 Fritsche Closenerstr. 3 Hochverehrter Herr Staatsrat! Mit sehr herzlichem Dank sende ich Ihnen die Tagebuchblätter von Ernst Jünger zurück. Ich fand sie vor etwa einer Woche in meinem Briefkasten und freute mich sehr über dieses Zeichen Ihrer freundschaftlichen Gesinnung. Es ist schwer, den Eindruck, den diese Blätter hervorrufen, in Worten zu fixieren. Indem der äusseren Form nach vom Kriege als einem militärischen Ereignis nur beiläufig die Rede ist, entsteht doch das innere und eigentliche Bild des ungeheuren Vorgangs, in den wir gebannt sind. Im Rahmen des sachlich-nüchternen Berichts springen hier und dort die Lichter auf, die in die Tiefe eines zugleich elementaren und geistigen Ereignisses dringen. Haben Sie vielen Dank auch für Ihren Brief. Wie lange scheint die Zeit zurückzuliegen, da ich dieses letzte Kapitel von „Heer und Staat“ schrieb1284. Dass es kein Schlusskapitel ist, sondern nur die Variation einer immer wiederkehrenden Themen-Gruppe, war schon damals sichtbar; die Ereignisse haben dies bestätigt. So zeigt die Verfassungsgeschichte überhaupt, dass in allen Verwandlungen und Umwälzungen die fundamentalen Probleme konstant bleiben. Nach scheinbaren Lösungen tauchen die wirklich echten Fragen in neuer Einkleidung immer wieder auf. So lehrt die Verfassungsgeschichte uns nur die Probleme, aber nicht die Lösungen erkennen. Dass dies nicht im Gefühl der Resignation gesagt ist, werden Sie verstehen. Denn die Befreiung, die das wissenschaftliche Denken vermittelt, liegt doch eben darin, dass es uns zur richtigen Fragestellung führt. | Es wäre schön, wenn Sie zur Eröffnung der Universität nach Strassburg kommen könnten. Die Rede, die ich zu halten habe, soll die Entwicklung des Volksbewusstseins bei Herder1285, Fichte1286 und Hegel betreffen1287. 1284 Gemeint ist das Kapitel „Die Wehrverfassung im Weltkrieg“ (Huber, Heer, S. 369–444), das unter dem Titel „Der Kampf um die Führung im Weltkrieg“ in zwei Auflagen 1941 und 1943 separat erschien. 1285 Johann Gottfried von Herder (1744–1803) war ein deutscher Dichter, Theologe und Philosoph.

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Die letzten Jahre haben uns die Fragwürdigkeit der totalen Verstaatlichung des Volkstums, die durch die völkischen Ideologien nur notdürftig verdeckt wird, sehr deutlich werden lassen – zugleich aber die Unausweichlichkeit dieses geschichtlichen Prozesses. Davon kann in einer bei diesem Anlass gehaltenen Rede natürlich nur andeutend die Rede sein. Da wir uns in den letzten Jahren selten gesehen haben, ist mir jede Begegnung in doppelt starker Erinnerung. Die wahre Zusammengehörigkeit zeigt sich darin, dass auch bei äusserer Trennung und ohne sichtbaren Zusammenhang die sich wandelnde Zeit im gleichen Sinne erlebt wird. Seien Sie herzlich gegrüsst von Haus zu Haus Ihr stets ergebener g[e]z.[eichnet] Ernst Rudolf Huber

Nr. 177 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 23.11.1941 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Dahlem / Kaiserswerther Str. 17“

den 23. November 1941. Lieber Herr Huber! Jetzt ist es mir doch nicht möglich gewesen, zu den Eröffnungsveranstaltungen der Universität Straßburg zu reisen. Ich muß mich also damit begnügen, meine Wünsche schriftlich zu äußern und Ihnen auf diesem Wege Glück und besten Erfolg zu wünschen. Morgen, Montag, werde ich mich um 10 Uhr daran erinnern, daß Sie im Lichthof des Universitätsgebäudes über „Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins“ sprechen. Für Ihren Brief vom 11. November und die Rücksendung der Fahnen von Jüngers Tagebuchblättern danke ich Ihnen vielmals. Was Sie von dem Schicksal der Verstaatlichung sagen[,] ist richtig. Vergessen Sie nicht, daß Tocqueville (1859 gestorben!)1288 das schon für Frankreich gesehen1289 und 1286 Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) gehörte zu den wichtigsten Philosophen des deutschen Idealismus. Er lehrte an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. 1287 Siehe oben Anm. 1281. 1288 Alexis de Tocqueville (1805–1859) war als Publizist, Politiker und Historiker tätig. Sein bekanntestes Werk handelt „Über die Demokratie in Amerika“ und erschien auf Französisch in zwei Bänden 1835/40. Karlfriedrich Herb/Oliver Hidalgo, Alexis de Tocqueville, Frankfurt a. M. u. a. 2005 (= Campus Einführungen). 1289 Alexis de Tocqueville, L’ancien régime et la revolution, Paris 1856.

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daß Max Weber1290 es dahin formuliert hat, daß die Bürokratie unser unabwendbares Schicksal ist1291. Da nun die Legalität der Funktionsmodus der Bürokratie ist, und die wüsten Störungen des Apparates nur Empörung hervorrufen, so können wir noch eine schöne Rache des Rechts- und Gesetzesstaates erleben, den wir so schneidig besiegt haben. Ich habe noch zwei Anliegen, die ich Ihnen kurz vortragen darf: | 1) Es wäre notwendig, über Kolonien mehr in unseren Fachzeitschriften zu sagen, als heute geschieht. Besonders das Problem der Kolonie in ihrer verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Besonderheit gegenüber dem unterschiedslosen Begriff des Staatsgebiets ist ein besserer Beitrag zur Überwindung des Staates durch den Reichsbegriff als die Angriffe auf den „Apparat“. Sie haben meinen völkerrechtlichen Vorstoß Z.[eitschrift] f. Völkerrecht, XXIV, Heft 2 vielleicht bemerkt1292. Aber verfassungsrechtlich ist noch alles zu tun. Interessiert es Sie nicht selbst, oder wissen Sie niemand, den man für einen guten Aufsatz gewinnen könnte? Scheuner hat wohl jetzt wenig Zeit1293. Ich meine, Sie selber müßten es einmal versuchen. 2) Vor kurzem ist bei Heymann1294 ein dickes Buch von Dr. SuthoffGroß1295 „Die Rechtsstellung des Bürgermeisters“ erschienen1296. Der Verfasser wollte damit bei uns den Dr. habil. machen1297, doch hat er das Colloquium1298 abgebrochen. Ich habe mit der Arbeit 3 Jahre ent1290

Max Weber (1864–1920) gilt als einer der bedeutendsten Soziologen und Nationalökonomen des 20. Jahrhunderts. Seit 1894 lehrte er in Freiburg und seit 1896 in Heidelberg Nationalökonomie. Politisch agierte er im Nationalsozialen Verein von Friedrich Naumann und gehörte 1918 zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Demokratischen Partei. Wolfgang J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik 1890–1920, Tübingen 1959; Joachim Radkau, Max Weber. Die Leidenschaft des Denkens, München 2005. 1291 Max Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland. Zur politischen Kritik des Beamtentums und Parteiwesens, in: ders. Zur Politik im Weltkrieg. Schriften und Reden 1914–1918, hg. v. Wolfgang J. Mommsen/Gangolf Hübinger, Tübingen 1984 (= Max Weber Gesamtausgabe, 1,15), S. 421–596 [zuerst 1918], hier S. 465. 1292 Schmitt, Raum. 1293 Scheuner war neu an die Reichsuniversität Straßburg berufen worden. 1294 Die 1815 durch Carl Heymann (1793–1862) gegründete Buchhandlung und der 1835 nach Berlin übergesiedelte juristische Fachverlag wurde nach 1945 in Köln ansässig. 1295 Rudolf Suthoff-Groß (geb. 1894) war 1933–1945 Bezirksbürgermeister in Berlin-Wedding. 1296 Rudolf Suthoff-Groß, Die Rechtsstellung des Bürgermeisters in seinem Verhältnis zum Staat und zu den übrigen Beamten der Gemeinde, Berlin 1941. 1297 Mit dem Dr. habilitatus ist die Habilitation als höchstrangigste Hochschulprüfung gemeint, welche die Qualifikation zur Erlangung einer Professur bedeutet. Mit

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setzliche Mühe gehabt, bis aus einer ganz primitiven Praktikerskizze im Stil des RVerwBl.1299 das vorliegende Opus entstanden war. Meinen Bericht an die Fakultät lege ich bei1300. Wenn Sie ihn mit kleinen Anpassungen als Bericht für Ihre Zeitschrift brauchen können, verwerten Sie ihn bitte1301. Sonst möchte ich nur, auf Wunsch des Autors, anregen, daß das Buch von Ihnen oder Forsthoff besprochen wird1302. Herzliche Grüße, lieber Herr Huber, von Ihrem alten Carl Schmitt.

Nr. 178 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Straßburg, 7.12.1941 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Briefabschrift, maschinenschriftlich, Briefkopf: „Herrn / Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt / Berlin-Dahlem / Kaiserswertherstr. 17“

Strassburg, den 7. Dezember 41 Fritsche Closenerstr. 3 Hochverehrter Herr Staatsrat! Sehr herzlich danke ich Ihnen für Ihren Brief vom 23. November. Es hat mir sehr leid getan, dass Sie nicht zu der Eröffnungsfeier nach Strassburg kamen. Der offizielle Festakt war würdig und schön; das Missliche, das solche offiziellen Veranstaltungen wohl in allen Zeiten an sich gehabt haben, trat gegenüber der inneren Bedeutung dieses einmaligen Vorgangs zurück. Was Sie über meine Rede vom Montag1303 vielleicht in der Zeitung1304 gelesen haben, spiegelt mein Anliegen naturgemäss nur in Andeutungen wieder. Ich hoffe, Ihnen den Text der Rede bald zusenden zu können. Inzwischen haben wir mit den Vorlesungen beginnen können, und wir haben alle der zumeist nachfolgend verliehenen Privatdozentur ist die Pflicht und auch das Recht zur Lehre verbunden. 1298 Gemeint ist das nach der Abgabe der Habilitationsschrift und einem wissenschaftlichen Vortrag erforderliche Fachgespräch vor der Fakultät. 1299 Abkürzung für „Reichsverwaltungsblatt“. 1300 Das Schreiben enthält keine Anlagen. 1301 Schmitts Gutachten erschien als Rezension. Carl Schmitt, Die Rechtsstellung des Bürgermeisters, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 102 (1942), S. 386–391. 1302 Eine Rezension von Forsthoff zu Suthoff-Groß erschien nicht. 1303 Montag war der 24.11.1941. Huber, Aufstieg. 1304 Ein Bericht erschien vor Ort: [-ch.], Festvorlesung in der Universität Straßburg, in: Straßburger Neueste Nachrichten, Nr. 326 vom 23.11.1941.

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von den jungen elsässischen Studenten einen guten Eindruck. Eine grosse Schwierigkeit liegt gerade für die juristischen Vorlesungen darin, dass alles, was sonst eine Vorlesung an selbstverständlicher Bildung und selbstverständlicher Erfahrung voraussetzen kann, einfach nicht vorhanden ist. Die jungen Leute wissen nichts von deutscher Geschichte, nichts von deutscher Literatur, nichts von der deutschen politischen Entwicklung der letzten 25 Jahre – und es fehlen deshalb alle Assoziationen, auf die das Kolleg angewiesen ist. Aber man täuscht sich wahrscheinlich auch bei einer Vorlesung vor reichsdeutschen Hörern über das Mass, in dem dieser bildungs- und stimmungsmässige Untergrund heute nicht mehr vorhanden ist. Ihre Besprechung des Buches von Dr. Suthoff-Gross nehme ich mit Freude in meine Zeitschrift auf. Ich habe Ihren Bericht in eine entsprechende Form gebracht und warte nun noch die notwendigen bibliographischen Angaben des Heymann-Verlages ab. Die Rezension wird | dann im Januarheft erscheinen. Ich freue mich sehr, wieder einmal etwas von Ihnen veröffentlichen zu können. Ich habe seit Kriegsausbruch nicht mehr gewagt, Sie um Ihre Mitarbeit zu bitten, weil ich weiss, in welchem Umfang Sie beschäftigt sind, und weil ich mir denken kann, wie lästig es Ihnen ist, von Zeitschriften und anderen Veranstaltungen immer wieder gedrängt zu werden. Aber vielleicht darf ich Ihnen bei dieser Gelegenheit doch einmal wieder sagen, wie dankbar ich es begrüsse, wenn Sie mir einen Beitrag für die Zeitschrift zur Verfügung stellen. Ich weiss, wieweit die Zeitschrift hinter den Anforderungen zurücksteht, die sich aus ihrer Tradition und ihrem Programm ergeben. Aber ich glaube doch auch, dass es ein Gewinn ist, bisher ein Organ erhalten zu haben, das keiner „Gruppe“, sondern der Sache und damit dem Ganzen dient. Wenn sich irgendwann aus Ihrer Arbeit ein Aufsatz oder ein Vortrag ergibt, den Sie zu veröffentlichen wünschen, so erinnern Sie sich bitte daran, wie gerne ich jeden Beitrag von Ihnen in der Zeitschrift herausbringen werde. Das Kolonialproblem liegt mir sehr am Herzen, und ich hatte gehofft, dass Scheuner im Rahmen des sogen. Kriegseinsatzes das Thema in der von Ihnen angedeuteten Weise behandeln würde. Nun ist er in letzter Zeit von Riga nach Saloniki gekommen1305, und es ist nicht zu hoffen, dass er Zeit zu wissenschaftlichen Arbeiten behält. Ich habe schon Ausschau nach einem andern Fachvertreter gehalten, der das Thema in geeigneter Weise behandeln könnte. Aber es ist kaum jemand zu finden. Ich selbst komme nach den Erfahrungen des vergangenen halben Jahres während der Strassburger Aufbauzeit an eine solche neue Arbeit nicht heran. Aber wäre dies nicht gerade ein Thema, das Sie behandeln müssten? Sie haben durch die 1305 Scheuner war offenbar als Soldat der Wehrmacht in Lettland und Griechenland im Einsatz.

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Arbeit der letzten Jahre die Grundlagen für die Behandlung dieses Themas, bei der sich das Völkerrecht vom inneren Staatsrecht ja garnicht trennen lässt, geschaffen. Wäre es nicht das Beste, wenn Sie selbst diesen Rahmen nach | einer so grundsätzlich wichtigen Seite hin auszufüllen unternähmen? Es gibt niemanden, der so über die Voraussetzungen für diese Arbeit verfügte wie Sie. Wollen Sie nicht für unsere staatsrechtliche Gemeinschaftsarbeit1306 diesen Beitrag übernehmen, nachdem Sie das ursprünglich vorgesehene Thema zurückgestellt haben? Wenn Ihnen dieser Rahmen nicht mehr passend erscheint, so würde ich natürlich gerne meine Zeitschrift für einen solchen Beitrag von Ihnen öffnen. Ueber die Leipziger Entwicklung werden Sie von Werner Weber unterrichtet sein1307. Die grundsätzliche Seite des Vorfalls liegt nicht so sehr im Verhalten der Dresdener Stelle1308 als in der Ohnmacht der Reichszentralgewalt1309, die sich hier enthüllt. Die vor dem Erlass des Reichsstatthaltergesetzes von 19331310 offenkundig gegebene Gefahr, dass ein neuer Partikularismus sich entwickle, hat durch die beste juristische Konstruktion nicht gebannt werden können. Allerdings ist durch das Gesetz von 19351311 ein wichtiges Prinzip des ersten Gesetzes, der „Dualismus“ von Reichsstatthalter und Landesregierung, preisgegeben worden. Nun sind wir tief in die Entwicklung zum „Stammesherzogtum“1312 und „Stammeskönigreich“ hineingeraten. Sollen wir wieder auf dem Weg zum Reich und Grossraum die Staatlichkeit der deutschen Einheit verlieren? Die Situation wäre auch der des 19[.] J[a]hrh[un]d[er]ts. nicht nur ähnlich, indem mit der Ausdehnung des Staates (durch totale Bürokratisierung) die Aufspaltung des Staates (durch partikulare und plurale Gewalten) Hand in Hand geht. Sehr herzliche Grüsse von Haus zu Haus Ihr dankbar ergebener g[e]z.[eichnet] Ernst Rudolf Huber 1306

Gemeint ist der „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“. Das Schreiben von Weber an Schmitt über die Leipziger Vorgänge ist nicht im Schmitt-Nachlass enthalten. Deshalb bleibt unklar, was hier gemeint ist. 1308 Gemeint ist hier vermutlich das Sächsische Ministerium für Volksbildung mit Sitz in Dresden. 1309 Anspielung auf das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. 1310 Vorläufiges Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31. März 1933. Reichsgesetzblatt 1933 I, S. 153. 1311 Reichsstatthaltergesetz vom 30. Januar 1935. Reichsgesetzblatt 1935 I, S. 65 f. 1312 Gemeint sind mit diesem Begriff die Territorialfürstentümer, die sich in der fränkischen Zeit bildeten. Als sogenannte jüngere Stammesherzogtümer des 9. und 10. Jahrhunderts gelten Bayern, Franken, Lothringen, Sachsen und Schwaben. 1307

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Nr. 179 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 10.8.1942 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

10. August 1942. Lieber Herr Huber! Über Ihre Zusendung des Aufsatzes „Reich, Volk und Staat in der Reichsrechtswissenschaft des 17[.]/18[.] Jahrhunderts“1313 habe ich mich sehr gefreut, besonders auch darüber, daß Sie sich des 20. Juli 1932 erinnern1314. Welche der damals brennenden Fragen ist heute wirklich beantwortet? Was ist nur entproblematisiert und durch andere Fragen abgelöst statt gelöst? Das Bürgertum hat auf seine Bildung und die Arbeiterschaft auf ihr Klassenbewußtsein verzichtet, vielmehr ist das Klassenbewußtsein dadurch gegenstandslos geworden. Oft drängt sich mir eine Parallele mit der Wirkung von 1848 auf, insofern der Ausbruch einer lange vorher in intensiver Denkarbeit vorbereiteten Bewegung diese Denkarbeit zunächst einfach überspült und scheinbar bedeutungslos macht. Aber wieviel wichtiger sind uns heute die Denker der Jahre 1837–1847 als die späteren Positivisten, Neu-Kantianer und Neu-Hegelianer von 1848–1918! Vor hundert Jahren, Winter 1841/42, hielt Schelling seine berühmte Berliner Vorlesung1315; im Auditorium saßen, ohne voneinander zu wissen, Friedrich Engels1316, Jakob Burckhardt1317, 1313

Ernst Rudolf Huber, Reich, Volk und Staat in der Reichsrechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 102 (1942), S. 593–627. 1314 Die möglicherweise von einem nicht überlieferten Brief begleitete Zusendung des Sonderdrucks war von Huber mit folgender Widmung versehen: „In Erinnerung an den 20. Juli 19[32] mit herzlichen Grüssen E.R.H.“. Huber erinnerte damit an den Tag des sogenannten Preußenschlages der Reichsregierung Papen. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 27117. 1315 Der Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775–1854) wurde 1841 auf den vakanten Lehrstuhl Hegels berufen und hielt in diesem Wintersemester seine Berliner Antrittsvorlesung unter dem Titel „Die Philosophie der Offenbarung“. Walter E. Ehrhardt, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, in: Theologische Realenzyklopädie 30 (1999), S. 92–102. 1316 Der Philosoph und Gesellschafttheoretiker Friedrich Engels (1820–1895) gilt zusammen mit Karl Marx als Begründer des Marxismus. Im März 1842 erschien die Broschüre: Friedrich Engels, Schelling und die Offenbarung. Kritik des neuesten Reaktionsversuchs gegen die freie Philosophie, Leipzig 1842. 1317 Jacob Burckhardt (1818–1897) war ein bedeutender Schweizer Kulturhistoriker, der seit 1854 in Zürich und seit 1858 in Basel lehrte. Werner Kaegi, Jacob Burckhardt. Eine Biographie. 7 Bde., Basel 1947–1982. Jacob Burckhardt berichtete über Schelling in einem Brief an Gottfried Kinkel, 13.6.1842. Jacob Burckhardt, Briefe. Bd. 1: Jugend und Schulzeit, erste Reisen nach Italien. Studium in Neuenburg, Basel, Berlin und Bonn 1818 bis Mai 1843, Basel 1949, Nr. 61, S. 199–203, hier S. 202.

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Kierkegaard1318, Bakunin1319, der Bruder Bruno Bauers1320, und jeder von ihnen hat damals zu Schelling sich so geäußert, daß man das heute mit aktueller Spannung liest! Wer weiß, wann die Arbeit der Jahre 1922–1932 zum Zuge kommt? Inzwischen triumphiert die Organisation und die Verwertung des Wertlosen. Nur mit klarem Bewußtsein der eigenen existenziellen Situation läßt sich ein der Wissenschaft von Reich, Staat und Verfassung gewidmetes | Leben heute ertragen und die Ehre des Standes retten. Das sage ich auch unter dem Eindruck Ihrer Bemerkungen zu Franks „Technik des Staates“1321 und eines langen Gespräches mit Frank über dieses Buch. Wir brauchen uns vor keinem Praktiker klein zu fühlen, und wenn wir unsere Würde wegwerfen, so wird dieses sacrificium intellectus1322 uns nicht retten und der hilfsbedürftigen Praxis nichts nützen. Ich wollte Sie schon lange bitten, doch einmal Grillparzers „Bruderzwist im Hause Habsburg“1323 unter verfassungsgeschichtlichen Aspekten zu lesen. Es ist ein Stück von Shakespearscher1324 Größe, erst heute erkennbar[,] und die Habsburger haben hier den großen Dramatiker gefunden, der den Hohenzollern fehlt. Rudolf II. ist ein echter Katechon1325 und – wie mir Otto Brunner1326 schrieb1327 – ist dieses Wort die beste Formel für das 1318 Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard (1813–1855) gilt als Begründer der Existenzphilosophie. Peter P. Rohde, Sören Kierkegaard in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Hamburg 1967, S. 70–74 (Briefe zwischen November 1841 und Februar 1842). 1319 Michail Bakunin (1814–1876) war ein russischer Revolutionär und Anarchist. Für die oben Anm. 1316 genannte Schrift von Engels wird teilweise auch Bakunin als Verfasser genannt. Bakunin schrieb nach Hause: „Ihr könnt euch nicht vorstellen, mit welcher Ungeduld ich die Vorlesungen Schellings erwarte.“ Zitiert nach: Manfred Frank, Der unendliche Mangel an Sein. Schellings Hegelkritik und die Anfänge der Marxschen Dialektik, 2. Aufl. München 1992, S. 31. 1320 Edgar Bauer (1820–1886) war ein politisch-philosophischer Schriftsteller und Publizist. Briefwechsel zwischen Bruno Bauer und Edgar Bauer während der Jahre 1839–1842 aus Bonn und Berlin, Berlin 1844, S. 120–125 (11.2.1841), hier S. 120. Sein Bruder schrieb: Bruno Bauer, Schelling der Philosoph in Christo, oder die Verklärung der Weltweisheit zur Gottesweisheit für gläubige Christen, denen der philosophische Sprachgebrauch unbekannt ist, Berlin 1842. 1321 Hans Frank, Technik des Staates, Berlin 1942 (= Schriftenreihe für die Technik des Staates an der Technischen Hochschule München, 1). Die positive Rezension Hubers erschien in der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 102 (1942), S. 740–742. 1322 Lat.: „intellektuelles Opfer“. 1323 Das Drama von Franz Grillparzer (1791–1872) entstand 1848 und wurde 1872 in Wien uraufgeführt. Der historische Hintergrund spielt in Wien um das Jahr 1600, als zwischen Kaiser Rudolf II. (1552–1612) und Erzherzog Matthias (1557– 1619) ein Thronstreit ausbrach. 1324 William Shakespeare (1564–1616) gilt als der bedeutendste englische Dramatiker.

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habsburgische Reich überhaupt. War es eine Schande, daß das Reich kein Staat wurde? Daß es sich auf zu niedrig gestellte Fragen nicht einließ und dem falschen Dezisionismus hilflos gegenüber stand? Bei der Lektüre Ihrer Straßburger Rede „Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins“ habe ich oft so denken müssen. Ich komme grade aus dem Sauerland, wohin ich Anima zum Besuch ihrer Großeltern1328 gebracht habe, und bin vorgestern noch einmal den Weg über dem Lennetal gegangen, den wir vor fast 10 Jahren einmal zusammen gegangen sind1329. Dabei hatte ich wieder das tröstliche Gefühl einer Kontinuität, die sich, über unsere täglichen und jährlichen Wechselfälle und Wechsellagen hinweg, als die Gesamtlinie eines menschlichen Lebens herausstellt und an der wir uns zu bewähren haben. Alle guten Wünsche für Sie und die Ihrigen! Herzlichst Ihr alter Carl Schmitt. Nr. 180 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 21.8.1942 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

21. August 1942. Lieber Herr Huber! Zu der Geburt Ihres fünften Sohnes1330, Wolfgang Dietrich1331, gratulieren wir alle in großer Freude. Jetzt sind Sie uns allen soweit überlegen, daß wir 1325 Schmitt deutete das Wirken von Kaiser Rudolf als das Aufhalten des Antichristen. Für Schmitt ist das dem Brief des Apostels Paulus an die Thessaloniker entnommene Prinzip eine zentrale Kategorie seiner Geschichtstheologie. 1326 Otto Brunner (1898–1982) war ein österreichischer Historiker, der seit 1941 eine Professur in Wien innehatte und 1939 sein Hauptwerk „Land und Herrschaft“ veröffentlichte. Von 1954 bis 1968 lehrte er in Hamburg. Brunner stützte sich in seinen Thesen 1939 auf den Verfassungsbegriff Schmitts. James Van Horn Melton, From Folk History to Structural History: Otto Brunner (1898–1982) and the Radical-Conservative Roots of German Social History, in: ders./Hartmut Lehmann (Hg.), Paths of Continuity. Central European Historiography from the 1930s to the 1950s, Cambridge 1994, S. 263–292. 1327 Brunner an Schmitt, 25.6.1942. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 2110. 1328 Der kaufmännische Angestellte Johann Schmitt (1853–1945) und seine Ehefrau Louise (1863–1943). 1329 Den Weg über dem Lennetal könnten Schmitt und Huber beim Besuch Hubers am 28.8.1934 gegangen sein. Schmitt, Tagebücher, S. 354.

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nur noch helle Begeisterung bei dem Gedanken empfinden, daß sie dem Zeitalter und seinen Gefahren in der geschlossenen Phalanx von 5 Jungen entgegentreten können. Wir hoffen von Herzen, daß es Ihrer Frau und dem kleinen Wolfgang Dietrich recht gut geht und grüßen Sie und Ihre Familie mit allen guten Wünschen. Ich habe Ihnen als Drucksache den Aufsatz über den französischen Legisten1332 geschickt, der aus einem Leipziger Vortrag, zu dem Sie mich eingeladen hatten1333, und einem Vortrag vor Romanisten vom Mai 19401334 hervorgegangen ist. Seit einem Jahr ist er gedruckt. Mit dem glücklichen Familienereignis vom 12. August will ich ihn in keinerlei Verbindung bringen, weshalb ich ihn gesondert als Drucksache schicke. Wer weiß, ob der kleine Wolfgang Dietrich überhaupt etwas mit juristischen Dingen zu tun bekommt, und wenn das der Fall sein sollte, dann hoffentlich in einer schöneren Zeit als wir und ohne die Berufsgefahren, die einem in der Geschichte des Legisten so deutlich zum Bewußtsein kommen. Sie werden aber | bei der Lektüre fühlen, wie sehr mich allgemeine Standesfragen beschäftigt haben und daß das ganze Problem einen deutschen Juristen nicht aus bloßer Sympathie für französisch-geschichtliche Entwicklungen angeht. Wenn man die Prägung bedenkt, die Lorenz von Stein von dort erhalten hat1335 (vgl. besonders die herrliche Vorrede zur Geschichte des französischen Strafrechts und des Prozesses, 18451336), so gehen einem die echten europäischen Probleme auf und wird man mit absprecherischen Antithesen von Staat und Reich das große Problem nicht lösen wollen. Warum macht sich niemand praktischkonkret-juristisch klar, wie Hegel dazu gekommen ist, den Staat als Reich der objektiven Vernunft zu definieren1337. Das war und ist doch, trotz Larenz, wirklich so gemeint. Aus Ihrem letzten Aufsatze entnehme ich, daß Sie sich mit Leibniz beschäftigen1338. Das ist ein weites Feld, auf dem ich 1330

Wolfgang Huber wurde am 12.8.1942 geboren. Wolfgang Huber (geb. 1942) wurde 1980 Theologieprofessor in Marburg und lehrte seit 1984 in Heidelberg. Er wirkte seit 1993 als Landesbischof von BerlinBrandenburg und von 2003 bis 2009 als Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. 1332 Schmitt, Formung. 1333 Der Vortrag fand im Juli oder August 1939 statt. 1334 Siehe oben Anm. 1063. 1335 Lorenz von Stein hatte sich 1841/42 und 1848 in Paris aufgehalten. 1336 L.[orenz] Stein, Geschichte des französischen Strafrechts und des Processes, Basel 1846 (= Französische Staats- und Rechtsgeschichte, 3), S. VII–XII. 1337 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 1820, S. 11–29 (Vorrede). 1338 Huber, Reich, Volk und Staat, S. 600–621. Gottfried Wilhelm Leibniz (1646– 1716). Ewald Grothe, „Reichsidee“ und „Nationalbewußtsein“. Das Leibniz-Bild des Verfassungsjuristen Ernst Rudolf Huber in der Zeit des Nationalsozialismus, in: 1331

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mich nicht zu Hause fühle. Die den „Politiciens“ des französischen 16. Jahrhunderts1339 entsprechenden deutschen Vertreter einer „composition“1340, wie man es damals nannte, sind doch mangels einer staatlichen Dezision nicht durchgedrungen. Sehr wichtig ist dabei die Figur des Kardinals Klesel1341, den Grillparzer in Rudolf II.1342 richtig gesehen hat, als einen der Möglichkeit nach so großen Staatsmann, wie es für Frankreich Richelieu1343 war. Die Zeit Rudolfs II. wird mir täglich interessanter. Nochmals viele Grüße, lieber Herr Huber[,] und herzliche Wünsche für Sie und Ihre Familie, besonders natürlich für den Jüngsten und seine Mutter. Stets Ihr getreuer Carl Schmitt.

Nr. 181 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Straßburg, 4.10.1942 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Briefabschrift, maschinenschriftlich, Adresse: „Herrn / Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt / Berlin-Dahlem / Kaiserswertherstr. 17“

Strassburg, 4. Oktober 1942. Hochverehrter Herr Staatsrat! Haben Sie von Herzen Dank für Ihre beiden Briefe vom 10. und 21. August1344. Vor allem danken meine Frau und ich Ihnen für die Wünsche zur Geburt unseres kleinen Wolfgang Dietrich. Meine Frau hat sich, nachdem wir in dem ersten Straßburger Jahr schwere Zeiten durch ernste KinderWenchao Li/Hartmut Rudolph (Hg.), „Leibniz“ in der Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart 2013 (= Studia Leibnitiana, Sonderhefte, 42), S. 105–115. 1339 Gemeint waren die Vorkämpfer religiöser Toleranz im Frankreich des 16. Jahrhunderts: Schmitt, Formung, S. 195–202. 1340 Zur Bodin-Rezeption im Reich: Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 1: Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600– 1800, München 1988, S. 174–184. 1341 Melchior Klesl (1552–1630) war seit 1598 Bischof von Wien und wurde 1615 zum Kardinal ernannt. Als Förderer der Gegenreformation wurde er 1618 verhaftet. Johann Rainer, Klesl, Melchior, in: Neue Deutsche Biographie 12 (1979), S. 51 f. 1342 Grillparzers Drama „Bruderzwist im Hause Habsburg“ (1848). 1343 Armand-Jean I. du Plessis de Richelieu (1585–1642), seit 1622 Kardinal und seit 1631 Herzog von Richelieu, war der wichtigste Berater von König Ludwig XIII. (1601–1643). 1344 Briefe Nr. 179 u. 180.

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krankheiten1345 und durch harte Verluste im engeren Familienkreis1346 erleben mussten, wieder einigermassen erholt und geht ihren gesteigerten Pflichten mit gutem Mute nach. Für uns beide ist der fünfte Sohn eine reine und grosse Freude, die auch durch die Frage, in welche Welt diese Kinder erst hineinwachsen werden, nicht beeinträchtigt werden kann. In einem Brief Goethes vom 8. Juni 1821 findet sich die Wendung: „Jede Lösung eines Problems ist ein neues Problem“1347. Dieser Satz könnte der deutschen Verfassungsgeschichte nicht nur des letzten Jahrgehalts1348, sondern in ihrem gesamten Ablauf vorausgeschickt werden. Er gilt wohl auch und gerade für Kaiser Rudolf II., die Vorgeschichte des dreissigjährigen Kriegs1349 und seinen Ablauf und Ausgang. Ich bin Ihnen für den Hinweis auf den „Bruderzwist in Habsburg“ sehr dankbar. Es ist mir aus Grillparzers Dichtung deutlich geworden, wie sehr das Wesen des Reiches gerade darin besteht, dass seine Probleme nicht lösbar sind. Für Frankreich gab es in der Zeit seiner grossen inneren Konflikte die Möglichkeit der eindeutigen Dezision (durch den Staatsbegriff, die Revolution von 1789, die III. Republik1350). Die deutsche Geschichte kennt (bisher) keine endgültigen Entscheidungen; weder der Konflikt zwischen Friedrich Barbarossa1351 und Heinrich dem Löwen1352, noch der Kampf zwischen Reformation und Ge1345

Konrad Huber hatte eine schwere Mittelohrentzündung. Bei Gerhard Huber bestand zwischenzeitlich der Verdacht einer spinalen Kinderlähmung, der sich aber nicht bestätigte. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 710 („Straßburger Erinnerungen“). 1346 Im Januar 1942 waren der Vetter Eckart Wild und im Februar 1942 der Neffe Hellmut Niemeyer jeweils an schweren Kriegsverletzungen gestorben. Ebd. 1347 C.[arl] A.[ugust] H.[ugo] Burkhardt (Hg.), Goethes Unterhaltungen mit dem Kanzler Friedrich v. Müller, Stuttgart 1870, S. 41–44, hier S. 44. 1348 Es handelt sich entweder um einen Schreibfehler oder um eine ungewöhnliche Bezeichnung für das vergangene Jahrzehnt. 1349 Der Dreißigjährige Krieg dauerte von 1618 bis 1648 und stellte die größte kriegerische Auseinandersetzung zwischen den europäischen Großmächten Österreich, Spanien, Frankreich, der Niederlande, Schwedens und Dänemarks auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches um die politische und konfessionelle Vormachtstellung in Europa dar. 1350 Die Epoche zwischen dem Sturz Kaiser Napoleons III. (1808–1873) im Jahre 1871 und der Niederlage Frankreichs gegen das Deutsche Reich 1940 wird als Dritte Republik bezeichnet. 1351 Der aus dem Geschlecht der Staufer stammende Friedrich I. (ca. 1122–1190), genannt Barbarossa, herrschte seit 1152 als römisch-deutscher König und wurde 1155 zum Kaiser gekrönt. Knut Görich, Friedrich Barbarossa. Eine Biographie, München 2011. 1352 Der Welfe Heinrich der Löwe (ca. 1129/30–1195), seit 1142 Herzog von Sachsen und seit 1156 zugleich Herzog von Bayern, wurde 1180 von Friedrich Barbarossa als Herzog abgesetzt.

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genreformation, noch die Gegensätze von Reich und Staat, oder Volk und Staat sind wirklich entschieden worden, | und es hängt noch damit zusammen, dass es bei uns keine echten Revolutionen gegeben hat; die Schicksalsjahre 1848 und 19181353 stehen so in einem sinnvollen Bezug zu der politischen und geistigen Gesamtentwicklung des Reiches. Aber ist nicht diese Tragik unaufhebbarer Spannungen der Grund für den Glanz und die Grösse des Reiches, so wie sie auch der Grund für vieles Elend, viele Niedrigkeit und die schweren Katastrophen von 1648, 1806–091354 und 19181355 gewesen ist? Und sollte nicht doch auch ein tieferer Sinn darin verborgen sein, dass uns nach 1933 die schnellen und glatten Lösungen nicht gelungen sind? Wie wenig die glatte Antithese von Reich und Staat unserer deutschen und europäischen Situation entspricht, haben wir seit 10 Jahren zu begreifen täglich Gelegenheit gehabt. Jede Ausweitung und Intensivierung der einzelnen Elemente der Staatlichkeit steigert die Notwendigkeit, diese Elemente in sinnvollen Zusammenhang zu bringen und so den geordneten Staat zu entwickeln, in dem die „Macht . . . einig wie der Wille“ ist und es nicht Kräfte gibt, „die im Dunkeln / am Hofe selbst sich bilden zur Partei / und die Parteiung in den Ländern nähren“1356. Es sind nun zehn Jahre her, dass Sie die quantitative von der qualitativen Totalität unterschieden1357 – selbst unter den Fachgelehrten hat kaum einer Notiz davon genommen. Von der Praxis war kaum zu erwarten, dass sie die Formel von der Totalität nicht missverstehen würde, so verhängnisvoll dieses Missverständnis gerade auch für sie werden musste. Dass in der falschen Totalität alle wesenhaften Unterscheidungen, alle sachlichen Begriffe, alle substantiellen Ordnungen untergehen müssten, ist von uns damals gesehen und ausgesprochen worden. Aber man fragt sich doch oft, ob alles von unserer Seite geschehen ist, um dieses und andere Missverständnisse auszuschliessen und ob wir nicht durch allzu schnelle und glatte Parolen die Verantwortung für eine Fehlentwicklung tragen, die wir in ihren ersten Ansätzen gefördert haben, ohne ihre Tendenz und Dynamik ganz zu übersehen. | 1353 Die beiden revolutionären Bewegungen der Jahre 1848 und 1918 gelten für Schmitt nicht als echte Revolutionen. 1354 Gemeint ist hier der Untergang des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation sowie die anschließende französische Besetzung größerer deutscher Gebiete. 1355 Gemeint sind der Westfälische Friede von 1648, der Untergang des Reiches und die Besetzung Deutschlands durch Frankreich zwischen 1806 und 1809 sowie die Weltkriegsniederlage des Jahres 1918. 1356 Es handelt sich um ein Zitat des Kardinals Klesl in Grillparzers Drama „Bruderzwist im Hause Habsburg“. 1357 Zitate aus: Carl Schmitt, Gesunde Wirtschaft im starken Staat (1932); der Aufsatz erschien nochmals 1995. Carl Schmitt, Starker Staat und gesunde Wirtschaft, in: Schmitt, Staat, Großraum, Nomos, S. 71–91, hier S. 74.

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Haben Sie Dank vor allem für Ihren Aufsatz über den französischen Legisten. Er war eine schöne Erinnerung an die letzten Friedenswochen 1939, in denen Sie in Leipzig zu uns sprachen, und wenn wir uns damals und früher über die [Ba]nalität des „Friedens“ auch im Klaren waren, so doch nicht über die Realität eines langen und unabsehbaren Krieges. Der Aufsatz lässt noch stärker als die gesprochene Rede die so ganz anders geartete deutsche Entwicklung bewusst werden; es gibt bei uns den ausgeprägten Typus des Juristen nicht, sondern an seiner Stelle steht doch wohl der des Beamten, der eine grosse Tradition besitzt; auch der Richter ist, trotz der Kammergerichtsräte des Müller-Arnold-Prozesses1358, im Grunde immer mehr Beamter gewesen als eben Jurist, und so gibt es auch heute keinen wirklichen Stand, der mit seiner Existenz dem Rechte unausweichlich zugeordnet wäre. Die Richter sind, um es zugespitzt zu sagen, mehr Rechts-Verwalter als Rechts-Wahrer, und so darf man sich nicht wundern, wenn die Justiz praktisch zu einem Verwaltungsdezernat geworden ist. Dagegen war der Hochschullehrer früher ein wirklicher Stand. Für die Antwort auf die Frage, ob er es auch heute noch sei, wird die Haltung der Fakultäten in der Sache Forsthoff1359 bezeichnend sein. Ich habe bei mehreren auswärtigen Kollegen, die mich in der letzten Zeit aufsuchten, um sich Rat für die Besetzung ihrer vakanten Lehrstühle zu holen, wenig ermutigende Erfahrungen gemacht. Auch in der Frage des Verwaltungsstudiums1360 scheint es unmöglich zu sein, eine gemeinsame Haltung des Standes herzustellen, die frei von Lokal- und Fachinteressen einerseits und persönlichen Ambitionen andererseits wäre. Und aus dem Kreise der heranwachsenden Generation sind die, die die innere Freiheit zu einer selbständigen Haltung erworben hatten, auf den Schlachtfeldern Russlands geblieben1361. Sehr herzliche Grüsse Ihr stets ergebener g[e]z.[eichnet] Ernst Rudolf Huber.

1358

Ein legendärer Rechtsfall aus der Regierungszeit Friedrichs II. von Preußen, der 1778/79 angeblich mit einem königlichen Machtspruch einem enteigneten Müller zu seinem Recht verhalf. Malte Dießelhorst, Die Prozesse des Müllers Arnold und das Eingreifen Friedrichs des Großen, Göttingen 1984. 1359 Ernst Forsthoff wurde 1942 zunächst von Königsberg nach Wien berufen, dort aber hintertrieb man seine Berufung, bis Forsthoff 1943 nach Heidelberg ging. Briefwechsel Forsthoff-Schmitt, S. 13–18. 1360 Eine Reform des Verwaltungsrechtsstudiums wurde jahrelang diskutiert. 1361 Ein Beispiel ist der Leipziger Dozent Johannes Poppitz (1911–1943). Hans Gerber, In memoriam Johannes Poppitz, in: Archiv des öffentlichen Rechts NF 34 (1944), S. 1 f.

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Nr. 182 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 9.10.1942 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

9. Oktober 1942. Lieber Herr Huber! Heute will ich nur auf einen Teil Ihres inhaltvollen Briefes vom 5. Oktober1362 antworten. Was Sie aus Anlaß der Zusendung meines „LegistenAufsatzes“ über den deutschen Beamten schreiben, ist verfassungsgeschichtlich sehr richtig und bedeutend, und was Sie zu der Lage unsres Standes sagen, sehr ernst. Darüber hoffe ich[,] bald mit Ihnen zu einer besonderen mündlichen oder schriftlichen, weiteren Aussprache zu kommen. Mein jetziges Schreiben soll nur an Ihre Bemerkungen zu Grillparzers „Bruderzwist“ und das Problem Rudolfs II. anknüpfen. Ein Freund von mir1363 hat zu diesem Thema am 1. Juli 1942 einen reichsverfassungsgeschichtlichen[,] überaus interessanten Vortrag gehalten. Er sah die Aufgabe der damaligen Zeit und Situation in der „Staatwerdung“ Deutschlands, das organisatorische Mittel dazu in der „composition“ des konfessionellen Problems durch die Aufhebung des geistlichen Vorbehalts von 15551364 und die Schaffung eines evangelischen geistlichen Fürstenstandes. Ich muß gestehen, daß mir erst dadurch die alte Reichsverfassung klar und die Lektüre der 3 Bände Pütter1365 zu einer spannenden Beschäftigung geworden ist. Leider habe ich den Vortrag nicht mehr im Wortlaut schriftlich. Vielleicht genügen Ihnen aber diese Andeutungen, um meine 1362

Gemeint ist vermutlich das Schreiben vom 4. Oktober. Der Vortrag von Johannes Popitz am 1.7.1942 in der Mittwochsgesellschaft im Anschluss an die Aufführung von Grillparzers „Bruderzwist im Hause Habsburg“ behandelte die Frage, ob zwischen 1555 und 1618 „eine Möglichkeit bestanden hätte, die dem deutschen Volk in seiner Geschichte gestellte Aufgabe der Staatswerdung zu lösen und die Katastrophe der Religionskriege durch eine staatsmännische Tat zu vermeiden.“ Klaus Scholder (Hg.), Die Mittwochs-Gesellschaft. Protokolle aus dem geistigen Deutschland 1932 bis 1944, Berlin 1982, S. 294–298, hier S. 295. 1364 Beim sogenannten Reservatum ecclesiasticum handelt sich um eine Regelung des Augsburger Religionsfriedens von 1555, die besagt, dass ein katholischer Landesherr beim Konfessionswechsel sein Territorium verliert und ein neuer katholischer Fürst eingesetzt wird. Heinrich de Wall, Geistlicher Vorbehalt, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, 2. Aufl., hg. v. Albrecht Cordes u. a., Berlin 2009, Sp. 8–10. 1365 Johann Stephan Pütter, Litteratur des teutschen Staatsrechts. 3 Bde., Göttingen 1776–1783. 1363

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Stellungnahme lesen zu können, die ich beifüge1366. Ich wäre Ihnen dankbar, | wenn Sie mir diese Blätter gelegentlich zurückschicken wollten, da ich keinen Abdruck mehr habe und das Thema mich verfassungsgeschichtlich weiter interessieren wird. Ich wollte Sie auf diese Weise an einer Diskussion beteiligen, die uns im Sommer einige Tage lebhaft beschäftigt hat. Mit vielem Dank für Ihren Brief und in herzlicher Erwiderung Ihrer Grüße von Haus zu Haus stets Ihr Carl Schmitt.

Nr. 183 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Straßburg, 14.3.1943 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6273, Entwurf: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Dr. Ernst Rudolf Huber / Professor der Rechte / Strassburg i. Els., / Fritsche Closenerstrasse 3“

14. März 1943 Hochverehrter Herr Staatsrat! Die Nachrichten von dem letzten schweren Angriff auf Berlin1367 lassen uns mit Sorge an Sie und Ihre Familie denken, da, wie man hört, die Gegend von Dahlem besonders stark getroffen sein soll1368. Meine Frau und ich wünschen sehr herzlich, daß Sie wenigstens vor ernsteren Schäden bewahrt geblieben sind1369. Straßburg ist bisher, von einigen Zufallsbomben abgesehen, nicht angegriffen worden1370; mit umso größerer Teilnahme denkt man an die Städte und die Menschen, die in der letzten Zeit in die Zone des totalen Krieges einbezogen worden sind. Ich muß sehr um Entschuldigung bitten, daß ich Ihnen erst jetzt für die Zusendung von „Land und Meer“1371, mit der Sie mir eine große Freude 1366

Beilagen zum Brief sind nicht überliefert. Vom 16. Januar bis zum 30. März 1943 dauerte eine Phase intensiver alliierter Bombenangriffe auf die Berliner Innenstadt. 1368 Bei einem Luftangriff am 1.3.1943 wurde das Botanische Museum der Universität im Stadtteil Dahlem zerstört. 1369 Am 23. August 1943 wurde Schmitts Wohnung in der Kaiserswerther Str. 17 durch eine Luftmine ausgebombt. Mehring, S. 414. 1370 Im schwersten Luftangriff auf Straßburg am 11. August 1944 wurden das Münster und Teile der Straßburger Altstadt von alliierten Bomben zerstört. 1371 Carl Schmitt, Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung, Leipzig 1942. 1367

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gemacht haben, danke. Durch den plötzlichen Tod meines Vaters1372 und die damit verbundenen Reisen, durch mancherlei andere Sorgen und Geschäfte bin ich in den letzten Monaten kaum zur Ruhe gekommen, und so blieb der Dank, der Sie schon zu Weihnachten erreichen sollte, ungesagt. Erlauben Sie mir, daß ich ihn jetzt noch nachhole. Sie haben mit dieser kleinen komprimierten und prägnanten Schrift das von vielen beflissenen Kärrnern so heillos zerredete Thema auf großartige Weise wieder ins Allgemeine und Grundsätzliche gewandt. Und Sie haben mit dieser Antithese „Land und Meer“, indem Sie einen neuen Ausgangspunkt für eine allgemeine welthistorische Sicht bestimmt haben, zugleich die konkrete Situation bezeichnet, in der unser Schicksal sich in diesem Krieg entscheidet. Indem wir gezwungen sind, uns gegen Land und Meer zu verteidigen, müssen wir in beide Elemente | eingehen; aus diesem Zwang folgt die Gefahr, in der wir uns befinden, aber auch die Stärke, mit der wir ihr bisher begegnet sind. Seit der Bismarckschen Reichsgründung besteht die deutsche Frage darin, daß wir nur als Seemacht unsere Landmacht sichern konnten, und so war es eine notwendige Entwicklung, daß auf die Aera Bismarck die Aera Tirpitz1373 folgte. (Einige Andeutungen in dieser Richtung finden sich in „Heer und Staat“, S. 283 f.). Wilhelm II. hat von der englischen Mutter1374 wohl einen gewissen Instinkt für das Meer mitbekommen; hätte er die Kraft besessen, zugleich Admiral und Feldherr zu sein, wie er in seinen jungen Tagen beanspruchte, so hätte der Erste Weltkrieg vielleicht die Entscheidung gebracht, um die wir jetzt kämpfen und die vielleicht erst der Dritte Weltkrieg bringen wird. Hitlers ursprüngliche Konzeption richtete sich, wenn ich es richtig sehe, wieder auf die Koordination von deutscher Landmacht und englischer Seemacht; aber die Zeit ließ ein solches Gleichgewicht offenbar nicht mehr zu. Ich denke noch oft mit Freude an unser kurzes Zusammensein in Paris1375. Hier sitze ich ganz in meinen Studien über den Volksgedanken 1372 Rudolf Huber war am 15.1.1943 gestorben. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 710 („Straßburger Erinnerungen“). 1373 Alfred von Tirpitz (1849–1930) wurde als deutscher Großadmiral und seit 1897 Staatssekretär im Reichsmarineamt durch seine forcierte Rüstungspolitik, den sogenannten Tirpitz-Plan, berühmt. Michael Salewski, Tirpitz. Aufstieg, Macht, Scheitern, Göttingen 1979 (= Persönlichkeit und Geschichte, 12/12a). 1374 Victoria von Großbritannien und Irland (1840–1901) wurde als englische Prinzessin geboren und heiratete 1858 den preußischen Thronfolger Friedrich (1831–1888), der 1888 für 99 Tage als Deutscher Kaiser (Friedrich III.) regierte. Seine Witwe nannte sich „Kaiserin Friedrich“. 1375 Es muss sich um die Frankreich-Reise Schmitts Anfang November 1942 handeln. Mehring, S. 412. Huber erwähnt in seinen Straßburger Erinnerungen zwar den Paris-Aufenthalt, aber nicht ein Treffen mit Schmitt. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 710.

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fest1376; sie fesseln mich durch den Zauber, den die antiquarischen Gegenstände ausstrahlen. Ich werde mich mit Ihrer „Politischen Romantik“1377 etwas auseinandersetzen müssen; wenn ich auch Ihrem Verdikt nicht ganz zustimme, so bin ich doch erneut betroffen zu sehen, wie unfruchtbar die Romantik in der deutschen Bewegung zwischen Möser1378 und Herder auf der einen Seite, Stein und Hegel auf der anderen Seite steht. Ich habe immer davon abgesehen, Sie um die Mitarbeit an der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft zu bedrängen. Aber ich möchte Ihnen doch wieder einmal sagen, daß es für mich als Herausgeber keine größere Freude gäbe, als wenn ich eine Arbeit von Ihnen veröffentlichen könnte. Mit sehr herzlichen Grüßen von Haus zu Haus! Stets Ihr Ernst Rudolf Huber

Nr. 184 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Straßburg, 31.12.1943 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 579, Nr. 159, maschinenschriftliche Abschrift: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198, Kopie: ebd., Nr. 834 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Dr. Ernst Rudolf Huber / Professor der Rechte / Strassburg i. Els.[aß], / Fritsche Closenerstrasse 3“, am Ende des Briefes Notizen Schmitts in Kurzschrift für einen Antwortbrief (siehe unten Nr. 185)

31. Dezember 1943 Hochverehrter Herr Staatsrat! Dieser Brief an Sie sollte längst geschrieben sein. Aber mein Wunsch, den Brief mit der Zusendung der 2. Auflage von „Heer und Start“1379 zu verbinden, hat eine Verzögerung um Monate veranlaßt. Denn das Buch, das seit langem fertig ist, wurde durch Bahnsperren und andere Hindernisse in der schlesischen Druckerei1380 festgehalten; es kam erst jetzt in meinen Be1376 Huber veröffentlichte zwischen 1937 und 1944 insgesamt neun umfangreiche ideengeschichtliche Aufsätze, die er dann in einem Manuskript zur deutschen Ideengeschichte („Deutsches Staatsdenken von Leibniz bis Hegel“) zusammenführte. Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, S. 256–262. 1377 Carl Schmitt, Politische Romantik, München/Leipzig 1919. 1378 Justus Möser (1720–1794) war ein Jurist, Publizist und Staatsmann, der vor allem über die Landesgeschichte Osnabrücks arbeitete, wo er seit 1763 die Regentschaft für den dortigen Fürstbischof ausübte. Karl H. L. Welker, Rechtsgeschichte als Rechtspolitik. Justus Möser als Jurist und Staatsmann. 2 Bde., Osnabrück 1996 (= Osnabrücker Geschichtsquellen und Forschungen, 38). 1379 Ernst Rudolf Huber, Heer und Staat in der deutschen Geschichte, 2. Aufl., Hamburg 1943.

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sitz. Irgendwie hat das Erscheinen eines solchen Buches gegenwärtig den Charakter des Unwirklichen, ja Gespenstischen – nicht nur wegen der äußeren Schwierigkeiten, die fast unüberwindbar sind, sondern mehr noch wegen des inneren Abstands, den die Gegenwart von der Entstehungszeit trennt. Zweite Auflagen sind wohl immer ein Problem, da Zeiten und Menschen fortschreiten, während der in System und Wort gebannte Gedanke fixiert ist und auch durch Zusätze und Erläuterungen nicht eigentlich entwikkelt werden kann. In diesem Falle ist die Kluft der fünf Jahre, die die erste und die zweite Auflage trennt, besonders tief, und es ist selbstverständlich, daß man die These von der staatsbildenden Kraft des Heeres nicht mehr mit soviel Zuversicht wie vor einem Ansturm verfechten könnte. Aber ich darf Ihnen zugleich bekennen, daß gerade deshalb mein Herz an diesem Buch hängt, so wie die frühen Bekenntnisse durch die Resignation, die die Erfahrung über sie breitet, nicht zerstört, sondern geläutert und gehärtet werden. Ich will daher nicht verschweigen, daß dieses Buch mir, trotz seiner offenbaren Mängel, auch heute noch eine Freude ist, und daß es mir daher auch eine Freude bedeutet, Ihnen, dem ich gerade für diese Arbeit soviel verdanke, die zweite Auflage zuzusenden. Vielleicht wird es doch auch hier oder dort verstanden werden, daß die These von der staatsbildenden Kraft des Heeres keine Feststellung voll von fröhlicher Gewißheit ist, sondern eine Forderung, der durch die äußere Entfaltung des militärischen Apparates ebensowenig wie durch die Absonderung des militärischen Bereichs genügt werden kann. Vielleicht kann ich durch dieses neue Exemplar des Buches auch eine der in Ihrer Bibliothek entstandenen Lücken schließen. Erst spät habe ich gehört, daß Sie schon im vergangenen Sommer durch den ersten schweren Angriff auf Berlin empfindlich getroffen worden sind. Ich weiß nicht, ob Sie überhaupt etwas von Ihren Sachen haben retten können und ob Ihr Haus wieder bewohnbar geworden ist1381. Daß wir Ihnen und Ihrer Familie in herzlichem Mitgefühl gedenken, brauche ich Ihnen nicht besonders zu versichern. Wenn ich irgend etwas tun kann, um Ihnen im einen oder anderen Fall einen Verlust zu ersetzen, so lassen Sie es mich bitte wissen. Wir hoffen sehr, daß Sie von den späteren Angriffen nicht mehr unmittelbar betroffen worden sind. Was die Luftangriffe in Zukunft für den Einzelnen und die Gesamtheit bringen werden, ist dunkel, aber man muß an der Hoffnung festhalten, daß es eine Linie des inneren Widerstandes gibt, die unantastbar ist. 1380

Das Buch wurde bei der Druckerei Hoffmann & Reiber in Görlitz hergestellt. Schmitts Bücher und Manuskripte wurden beim Bombenangriff vom 23.8.1943 weitgehend verschont. Die Familie zog im Dezember in den südwestlich gelegenen Stadtteil Schlachtensee um. Mehring, S. 414. 1381

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Sie werden in der Zeit der Feste1382 nicht in Berlin gewesen sein, | und so hätte auch ein früher geschriebener Brief Sie nicht rechtzeitig erreicht. Erlauben Sie mir daher Ihnen und den Ihren noch nachträglich die herzlichsten Wünsche auszusprechen. Einzelnes zu wünschen, wäre in dieser Zeit, in der alles auf ein Ganzes ankommt, ohne Sinn, und das Totale entzieht sich seinem Wesen nach der Definition. Und da alles, was in früheren Jahren noch als Mögliches erschien, ins Ungreifbare entrückt ist, muß man die Wünsche mutig auf das Unmögliche richten. Wenn alle Ausflüchte verschlossen sind, gibt es nur Einen Weg. In der Hoffnung, daß wir ihn gerade und bis zum Ende gehen werden, grüße ich Sie getreulich am Beginn dieses neuen Jahres. Ein gnädiges Schicksal hat uns hier in Straßburg bisher ein äußerlich verhältnismäßig unbedrohtes Dasein gewährt. Unsere früheren Wohnungen in Kiel und Leipzig sind zerstört, und so hat es sich sonderbar gefügt, daß wir in der Unsicherheit der hiesigen Existenz eine unerwartete Sicherheit gefunden haben. Daß das ein Provisorium ist, ist selbstverständlich; das Bild des Westens wird sich wohl im kommenden Frühjahr verändern1383. Ich war in diesem Jahr wiederholt in Frankreich, und es ist dort erregend zu spüren, wie sich unter der Decke einer fiktiven bürgerlichen Welt kommende Katastrophen vorbereiten. Leider habe ich bei verschiedenen Besuchen in Paris Ernst Jünger, den ich gerne aufgesucht hätte, nicht angetroffen. Man müßte sich jetzt einmal mit ihm über den „Arbeiter“1384 unterhalten können. | Langsam wird es doch deutlich, was der „Oberförster“ ist1385. Vielleicht hängt für die Zukunft alles davon ab, ob wir den Weg vom Bürger, vom Arbeiter, vom Soldaten wieder zum Menschen finden, so daß im Besonderen das Allgemeine und Umfassende wieder lebendig und mächtig wird. Der Kampf gegen die falschen Abstraktionen war notwendig, aber es war nur ein Zwischenspiel; im Kampf gegen die falschen Absonderungen wird die Entscheidung fallen. Der Begriff des „Großraums“ ist doch wohl vom „Unternehmer“ oder vom „Arbeiter“ her gedacht; Europa aber wird nur sein, wenn es gelingt, die Gestalt des Menschen neu zu gewinnen. Mit sehr herzlichen Grüßen Ihr dankbar ergebener Ernst Rudolf Huber 1382

Weihnachten und Neujahr. Hubers Prognose traf etwas verspätet zu, denn am 6. Juni 1944 landeten die Alliierten in der Normandie und begannen mit der Rückeroberung Frankreichs. 1384 Ernst Jünger, Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt, Hamburg 1932. 1385 Anspielung auf den Roman von Jünger, Marmorklippen. Siehe oben Anm. 1196. 1383

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Nr. 185 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 24.2.19441385a Landesarchiv NRW Rheinland, RW 579, Nr. 159 Briefentwurf in Kurzschrift auf Brief Nr. 186

Natürlich habe ich die 2. Auflage Ihres Buches noch in dieser Nacht meiner Ankunft in Plettenberg verschlungen. Für mich war dieses Phänomen einer 2. Auflage sehr aufregend. Es ist Ihnen gelungen, [. . .], von denen Sie in Ihrem Brief schrieben, zu [. . .]. Das war [. . .]. Ich bin inzwischen in das große Thema von einer anderen Seite herangegangen, nämlich der des Völkerrechts-Kriegsbegriffes, eine unendlich mühevolle, aber auch fruchtbare Arbeit. Darüber habe ich mit Ihnen [?] in Madrid1386 nicht selber gesprochen, aber das Wesentliche nur in spanischer Sprache gesagt und publiziert1387. Ein kleiner Auszug steht in der Marine Rundschau August 431388, von dem ich keine Sendung bekommen habe1389. Den Heereskonflikt 1862–661390 sehe ich schon als europäische Angelegenheit, zwischen 1848 und 1918. Suchen Sie einmal[,] B.[runo] Bauer[,] Russland und das Germanenthum, Berlin 18531391 zu bekommen und zu [. . .], das öffentlich sich der Welt hinzu[. . .] Sie die Geschichtsphilosophie ohne die Wehrmacht zu nennen, die damals 1830 bereits die [. . .] Russland und Amerika. [. . .] für Bismarcks Seite. Dank für die vielsagende Widmung1392 und das ver[. . .] Buch.

1385a

Das Datum ist erschlossen aus dem Dank Hubers in Brief Nr. 186 sowie der vermuteten Rückkehr nach Plettenberg am Semesterende. 1386 Schmitt hielt am 1.6.1943 einen Vortrag in Madrid. 1387 Carl Schmitt, Cambio de estructura del derecho internacional, in: Revista de Estudios Politicos, Juni 1943, S. 3–36. Eine Übersetzung findet sich: ders., Strukturwandel des Internationalen Rechts [1943], in: ders., Frieden oder Pazifismus? Arbeiten zum Völkerrecht und zur internationalen Politik 1924–1978, hg. v. Günter Maschke, Berlin 2005, S. 652–700. 1388 Carl Schmitt, Die letzte globale Linie, in: Marine-Rundschau 47 (1943), S. 521–527. 1389 Schmitt hatte offenbar keine Sonderdrucke zum Versenden erhalten. 1390 Der Konflikt zwischen dem preußischen König und der Zweiten Kammer über die Erhöhung des Militäretats, der sich zum Verfassungskonflikt ausweitete und erst unmittelbar nach dem preußisch-österreichischen Krieg durch die von Bismarck initiierte Indemnitätserklärung beseitigt wurde. 1391 Bruno Bauer, Russland und das Germanenthum, Berlin 1853. 1392 Ein Widmungsexemplar ist im Schmitt-Nachlass nicht überliefert.

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Nr. 186 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Straßburg, 6.4.1944 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 579, Nr. 159, Kopie: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 834 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Dr. Ernst Rudolf Huber / Professor der Rechte / Strassburg i. Els., / Fritsche Closenerstrasse 3“

6. April 1944 Hochverehrter Herr Staatsrat! Sehr herzlich danke ich Ihnen für Ihre Briefe vom 21. Januar und vom 24. Februar1393. Es war mir eine große Freude zu hören, daß Sie nach der Zerstörung Ihrer Dahlemer Wohnung ein neues Heim gefunden haben1394. Möchten Sie darin bei den März-Angriffen1395 verschont geblieben sein! Wenn ich Ihnen erst heute antworte, so liegt der Grund in manchen schweren Schicksalsschlägen, die meine Familie in den vergangenen Monaten hinnehmen mußte; man wird in solchen Zeiten schweigsam. Im März war ich einige Wochen im Schwarzwald1396, und der Frieden der winterlichen Welt hat dem Herzen und den Sinnen wohlgetan. Einer meiner Brüder1397 ist im Februar bei Tscherkassy1398 gefallen, und ich bemühe mich, meiner alten Mutter1399 in ihrem Schmerz etwas beizustehen. Fast gleichzeitig erhielt der Sohn1400 meines ältesten Schwagers Hans Simons1401 das Ritterkreuz – ein erfreuliches und nachdenkliches Ereignis. Ihre Bemerkungen zu „Heer und Staat“ waren mir sehr wertvoll. Mein Buch ist ein erster und von meinem eigenen Standpunkt aus unzulänglicher 1393

Das Schreiben vom 21.1.1944 ist nicht überliefert. Nach verschiedenen vorübergehenden Quartieren zog die Familie Schmitt zum 1.12.1943 in eine Villa in Schlachtensee (Schönererzeile 19). Mehring, S. 414. 1395 Vom 22. bis 24. März 1944 hatten mehrere Luftangriffe Teile der Berliner Innenstadt zerstört. 1396 Möglicherweise hielt sich Huber damals schon im Haus des befreundeten Historikers Hermann Heimpel (1901–1988) in Falkau auf. 1397 Max Huber, der zweitjüngste Bruder, starb am 3.2.1944 während der Kesselschlacht um Tscherkassy (Ukraine). Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 710 („Straßburger Erinnerungen“). 1398 Im Winter 1943/44 gewann die deutsche Wehrmacht in der Nähe von Tscherkassy, das etwa 160 Kilometer südöstlich von Kiew liegt, eine schwere Schlacht. 1399 Helene Huber. 1400 Vermutlich ist Gerhard Simons (geb. 1921) gemeint, der am 29.2.1944 das Ritterkreuz erhielt. 1401 Der deutsche Jurist Hans Simons (1893–1972) war 1934 über die Schweiz in die Vereinigten Staaten emigriert, wo er bis 1960 an der New School für Social Research in New York lehrte. 1394

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Versuch, zu den großen Verfassungsproblemen des 19. Jahrhunderts ein neues Verhältnis zu gewinnen. Sicher ist der Verfassungskonflikt | der entscheidende Akt „der Tragödie im Sittlichen, welche das Absolute mit sich selber spielt“1402 – auch und gerade in der großen Auseinandersetzung von Bürgertum und Staat im 19. Jahrhundert. Von den Hegelianern komme ich doch immer wieder auf Hegel selbst zurück. Sein großer Versuch, die Monarchie aus dem Widerstreit von Reaktion und Revolution zu befreien und sie neu im Absoluten zu begründen, ist im Prozeß des historischen Vollzugs gescheitert. Aber gerade das tragische Scheitern der kühnen und folgerichtigen Entwürfe hat im Geistigen (und wohl auch im Politischen) eine fortzeugende Kraft. Ich hoffe, jetzt bald meine Studien über die Geschichte der deutschen Volks- und Staatslehre mit dem Hegel-Kapitel abschließen zu können. Ein großes Manuskript wird dann daliegen und auf den Frieden warten1403. Als eine Nebenfrucht ist ein Vortrag „Goethe und der Staat“ entstanden, den ich Ihnen vielleicht bald in einem Privatdruck zuschicken kann1404. Ich habe viel Zeit und Mühe auf diese Studien, die sich auf die Zeit von Leibniz bis Hegel erstrecken, verwandt. Aber ich hoffe, nun doch die Grundlage für das Verständnis der Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts gewonnen zu haben – und auch einen neuen Zugang zu unserer eigenen Zeit. Es liegt wohl nicht nur an der Papierlosigkeit der Zeit, daß die wissenschaftliche Arbeit weithin ihre Publizität verloren hat. Aber es bleibt ein Jammer, daß Ihre in Spanien gehaltenen Vorträge1405 (und wahrscheinlich manches Andere) unzugänglich sind. | Wollen Sie sich nicht doch entschließen, die spanischen Vorträge vom vergangenen Jahr in Deutschland zu publizieren? Ich habe Ihnen öfters die Bitte vorgetragen, daß Sie wieder einmal in meiner Zeitschrift das Wort ergreifen. Vielleicht wären doch gerade diese Vorträge dazu geeignet. Von unserm Straßburger Physiker Karl Friedrich v. Weizsäcker1406, der gerade aus Madrid und Lissabon zurück1402 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, seine Stelle in der praktischen Philosophie und sein Verhältnis zu den positiven Rechtswissenschaften, in: ders., Werke in zwanzig Bänden, hg. v. Eva Moldenhauer/Karl Markus Michel, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1970, S. 434–530, hier S. 494 f. 1403 Hubers umfangreiches Werk zur deutschen Ideengeschichte wurde nicht veröffentlicht. Es befindet sich als mehrere hundert Seiten umfassendes Manuskript in seinem Nachlass. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 24, 205, 206. 1404 Ernst Rudolf Huber, Goethe und der Staat, in: Das Innere Reich 11 (1944/ 45), S. 1–19. 1405 Gemeint sind die Vorträge auf Schmitts Spanienreise im Mai 1943. Tilitzki, S. 225. 1406 Der Atomphysiker Carl Friedrich v. Weizsäcker (1912–2007) hatte von 1942 bis 1944 den Lehrstuhl für theoretische Physik an der Reichsuniversität Straßburg

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gekommen ist, erfuhr ich, daß man Sie jetzt zu neuen Vorträgen dort erwartet1407. Vielleicht wäre doch auch einer dieser Vorträge zur Veröffentlichung in meiner Zeitschrift geeignet. Ich will Sie damit nicht bedrängen; aber hie und da sollte die Potenz der Wissenschaft doch sichtbar demonstriert werden. Herr Sudhoff-Groß hat mich gestern besucht und mir Grüße von Ihnen übermittelt, für die ich Ihnen sehr herzlich danke. Ich bin hier, was mir angenehm ist, der Verwaltungsakademie-Arbeit etwas fern gerückt und habe deshalb keinen unmittelbaren Einfluß. Aber ich will gern einmal mit Dölle1408 sprechen, der Studienleiter ist und vielleicht dem Wunsch von Herrn Sudhoff-Groß entsprechen kann1409. Gneists Zusatz über den Verfassungskonflikt in „Gesetz und Budget“1410, auf den Sie mich freundlicher Weise aufmerksam machen, war mir bekannt. Die Bedeutung des Gneist’schen Standpunkts in der Konfliktsfrage, deren ich | mir schon bei der ersten Niederschrift des Buches bewußt war, ist heute vielleicht doch noch sinnfälliger als vor 5 oder 10 Jahren. Wir haben jetzt erlebt, was die Preisgabe des Gesetzes-Begriffs staatsrechtlich bedeutet1411. Autorität und Freiheit finden ihre sicherste Gewähr im Gesetz, und dafür hat Gneist als Führer der Opposition im Konflikt einen untrüglichen Instinkt bewiesen. Ich würde heute, wenn ich das Kapitel über den Konflikt neu zu schreiben hätte, auf den Kern an objektiver Wahrheit, der sich auch im liberalen Widerstand gegen Bismarck fand, noch nachdrücklicher hinweisen, als ich es vor 6 Jahren tun konnte. Im „Kampf des Rechtes gegen die Gesetze“1412, den eine wohlmeinende Staatsrechtslehre vor 2 Jahrzehnten einleitete, hat sich auch das Recht selbst zerstört. Was daraus entstand, inne. Nach 1945 arbeitete er am Max-Planck-Institut für Physik in Göttingen und erhielt 1960 einen Lehrstuhl für Philosophie in Hamburg. Er war einer der profiliertesten Gegner einer Atombewaffnung der Bundeswehr. Michael Drieschner, Carl Friedrich von Weizsäcker. Eine Einführung, Wiesbaden 2005. 1407 Eine zweite Spanienreise Schmitts fand im Mai/Juni 1944 statt – begann also rund einen Monat nach diesem Brief. Tilitzki, S. 239–251. Er hielt Vorträge in Madrid, Coimbra und Barcelona. 1408 Hans Dölle (1893–1980) lehrte von 1924 bis 1941 in Bonn und danach in Straßburg, nach 1945 in Tübingen und 1956–1960 in Hamburg Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht. 1409 Möglicherweise interessierte sich Suthoff-Groß für eine Stelle an einer Verwaltungsakademie. 1410 Rudolf Gneist, Gesetz und Budget. Constitutionelle Streitfragen aus der preussischen Ministerkrisis vom März 1878, Berlin 1879, S. 222–231. Der Zusatz ist als „Exkurs IV.“ bezeichnet. 1411 In Hubers Nachlass findet sich ein ungedruckter Vortrag mit dem Titel „Gesetz und Maßnahme“, den er später auch in Heidelberg hielt. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 202, VII.

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war das bürokratische Regime der Verordnung, die Diktatur der Maßnahme und die Willkür der Interpretation. Der autoritär-liberale Kompromiß des Konstitutionalismus war vielleicht doch mehr als ein Kompromiß im abschätzigen Sinn, und vielleicht ist die Verständigung doch eine zuverlässigere Grundlage der Ordnung als die Dezision. Sehr herzliche Wünsche für die Ostertage1413, für ihre iberische Reise und überhaupt die kommende Zeit Stets Ihr Ernst Rudolf Huber

1412 Fritz Adolf Marschall von Bieberstein, Vom Kampf des Rechtes gegen die Gesetze. Akademische Rede zum Gedächtnis der Reichsgründung gehalten am 17. Januar 1925 in der Aula der Albert-Ludwigs-Universität, Stuttgart 1927. 1413 Der Ostersonntag fiel auf den 9.4.1944. Huber verfasste seinen Brief also am Gründonnerstag.

Briefe 1945–1981 Nr. 187 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Falkau, 27.1.1947 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6274 Brief, handschriftlich, handschriftliche Notiz: „erh.[alten] 22/2“

Falkau/Schwarzwald1414, 27. Januar 1947 Haus Sonnenschein1415 Sehr verehrter, lieber Herr Schmitt, von gemeinsamen Hamburger Freunden1416 höre ich, daß Sie nach Berlin zurückgekehrt seien1417. Ich hoffe von Herzen, daß diese Nachricht den Tatsachen entspricht, – und daß es wirklich die Freiheit ist, in die Sie zurückkehren konnten. Aber was heißt Freiheit in der Welt, in die wir gestellt sind? In die Einsamkeit, in der ich seit zwei Jahren lebe, sind nur Gerüchte über Ihr Ergehen gedrungen. Ich hoffe sehr, daß Sie die Zeit im Lager1418 unter erträglichen äußeren Bedingungen verbringen konnten. Das Schicksal der Gefangenschaft und Schlimmeres hätte Sie auch ein Jahr früher treffen können. Sie werden in diesem Doppelt-Gefährdet-Sein ein Zeichen Ihrer echten Situation sehen. Meine Familie war seit dem Fall Straßburgs1419 hier oben im hohen Schwarzwald, nahe am Feldberg1420; kurz vor dem Zusammenbruch kam 1414

Kleiner Ort im Hochschwarzwald, der heute zur Gemeinde Feldberg gehört. Das 1923 erbaute Ferienhaus im über 1.000 Meter hoch gelegenen Schwarzwalddorf Falkau gehörte der Familie des befreundeten Historikers Hermann Heimpel. Nach 1945 zog die siebenköpfige Familie von Ernst Rudolf Huber hier für mehrere Jahre ein. 1416 Wer hier gemeint ist, konnte nicht definitiv geklärt werden. Es könnte sich um Rolf Stödter handeln. 1417 Schmitt lebte nach seiner Haftentlassung im Oktober 1946 bis Ende März 1947 in Berlin. Mehring, S. 448. 1418 Schmitt wurde am 26.9.1945 verhaftet, kam zunächst in ein Internierungslager in Berlin-Lichterfelde und nach wenigen Tagen in ein Camp am Wannsee, das er am 10.10.1946 verlassen durfte. Ebd., S. 442, 448. 1419 Die Stadt Straßburg wurde am 23. November 1944 von alliierten Truppen erobert. Helmut Heiber, Universität unterm Hakenkreuz. Teil 2: Die Kapitulation der Hohen Schulen: Das Jahr 1933 und seine Themen, 2 Bde., München u. a. 1992/94, hier Tl. 2,1, S. 252–254. 1415

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ich von Heidelberg aus dazu1421. Wir leben seitdem unser einfaches ländliches Dasein. Den Kindern geht es gut, die beiden Ältesten sind in der Nähe in einem Landschulheim1422. Die Zeit war nicht ohne Zwischenfälle, aber von Katastrophen waren wir bisher verschont. Meine Frau ist sehr angestrengt, aber Energie und Gleichmut halten stand. Ich habe einen Teil meiner Bücher gerettet und habe Ruhe und Muße zur Arbeit. Über die Vergangenheit wäre Vieles zu sagen, auch über unsern Beitrag, unsere Irrtümer, unsere Fehlschläge. Doch war es notwendig und wichtig, daß wir damals die Schiffe hinter uns verbrannt haben1423. Dies soll nur ein Lebenszeichen und ein Gruß an Sie sein. Grüßen Sie bitte auch Frau Schmitt. In alter Verehrung Ihr Ernst Rudolf Huber

Nr. 188 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Oberstein, 28.5.1947 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 579, Nr. 159, Kopie: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 834 Brief, handschriftlich, handschriftliche Notiz von Schmitt: „beantw.[ortet] 3/6 47“

z. Zt. Oberstein, 28. Mai 47 Hochverehrter, lieber Herr Schmitt, zweimal in diesem Jahr habe ich Ihnen geschrieben, das erste Mal im Januar, unmittelbar nachdem ich von gemeinsamen Freunden aus Ham1420

Tula Huber-Simons war mit den Kindern bereits im September 1944 in den Schwarzwald zur Familie Heimpel gezogen. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 710 („Straßburger Erinnerungen“). 1421 Nach seiner Flucht hatte Huber im Wintersemester 1944/45 einen Lehrauftrag in Heidelberg erhalten, um den nach Berlin berufenen Carl Bilfinger zu vertreten. Er wohnte in dieser Zeit im Haus seines Kollegen Ernst Forsthoff. Morgenstern, S. 270 f. Noch Anfang November 1944 war geplant worden, ihn nach Tübingen zu versetzen. Joachim Lerchenmüller, Das Ende der Reichsuniversität Straßburg in Tübingen, in: Johannes Michael Wischnath (Hg.), Bausteine zur Tübinger Universitätsgeschichte. Bd. 10, Tübingen 2005, S. 115–174, hier S. 125. 1422 Konrad und Ulrich Huber waren auf dem Birklehof in Hinterzarten untergebracht, einem 1932 gegründeten reformpädagogisch ausgerichteten Schwesterinternat der Klosterschule Salem. Schulleiter war seit 1946 der Religionsphilosoph und Pädagoge Georg Picht (1913–1982). 1423 Dieser historische Topos ist seit der Antike geläufig.

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burg1424 die Nachricht von Ihrer Rückkehr nach Berlin erhielt, das zweite Mal, nachdem ich einem Brief von Forsthoff1425 entnahm, daß der erste Brief offenbar nicht in Ihren Besitz gekommen war. Diesen zweiten Brief sandte ich nicht ab, da mir vor seiner Aufgabe zur Post die bekannte Notiz in der „Neuen Zeitung“1426 in die Hand fiel. Nun schreibt Vorwerk1427 mir, daß er mit Ihnen in München zusammen war1428. Ich schreibe Ihnen heute nur diesen kurzen Gruß, um Ihnen zu sagen, wie beglückt ich bin zu hören, daß Sie nach Plettenberg reisen konnten1429 und dort mit Frau Schmitt zusammen sein werden. Ihre alten Freunde haben in diesen zwei Jahren Ihrer ständig in sorgender Teilnahme gedacht, besonders | in dieser letzten Zeit. Es erübrigt sich, Worte darüber zu machen. Im Wechsel der Zeiten behauptet sich das Beständige. Ich komme von einem Treffen alter Bünde1430, das in Vielem an Lobeda 19321431 erinnerte, in der Konstanz der Gesinnung aber noch reiner und beglückender war. Die Zuversicht im Zweifel schafft die Zellen der sich bewahrenden Existenz innerhalb der Selbstzersetzung des Massenzeitalters. Ich bin für wenige Tage bei meiner alten Mutter1432, die zwei Söhne im Osten verloren hat1433; der letzte meiner Brüder lebt in der Ostzone1434. Mit meiner Frau und den Kindern lebe ich seit zwei Jahren in Falkau/Schwarz1424 Wer hier gemeint ist, konnte nicht ermittelt werden. Es könnte sich um Rolf Stödter handeln. 1425 Forsthoff hatte Huber in einem Brief vom 6.4.1947 geraten, sich einmal bei Schmitt zu melden, der sich nach ihm erkundigt habe. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 197. 1426 Die „Neue Zeitung“ war eine in der amerikanischen Besatzungszone herausgegebene Tageszeitung. Näheres zu der besagten Notiz konnte nicht ermittelt werden. 1427 Friedrich Vorwerk (1893–1969) war Publizist und Verleger sowie seit 1928 Schriftleiter der Zeitschrift „Der Ring“. Briefwechsel Forsthoff-Schmitt, S. 357, Anm. 4. 1428 Der Brief ist nicht überliefert. 1429 Am 21.5.1947 kehrte Schmitt aus Berlin nach Plettenberg zurück und wohnte mit seiner Frau Duschka in seinem Elternhaus zusammen mit seinen Schwestern Anna und Auguste. Seine Tochter Anima wechselte erst Ostern 1948 die Schule und kam von Cloppenburg nach Plettenberg. Mehring, S. 452 f. 1430 Pfingsten 1947 (25./26.5.) wurde in Altenberg bei Wetzlar der Freideutsche Kreis gegründet. Winfried Mogge, Der Altenberger Konvent 1947. Aufbruch einer jugendbewegten Gemeinschaft in die Nachkriegsgesellschaft, in: Jahrbuch des Archivs der Deutschen Jugendbewegung 18 (1998), S. 391–418. 1431 Im Juni 1932 hatte sich ein Kreis jungkonservativer und christlich-sozialer Prägung auf Burg Lobeda bei Jena getroffen. Koenen, S. 164–170. 1432 Helene Huber war zu diesem Zeitpunkt 72 Jahre alt. 1433 Max und Heinz Huber. 1434 Otto Huber hatte die Leitung der Pressspan- und Pappenfabrik Arthur Höhme in Streckewalde im Erzgebirge übernommen und führte sie nach 1945 weiter.

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wald (Haus Sonnenschein). Vielleicht hat Vorwerk Ihnen von seinem Besuch bei uns erzählt. Es wäre viel zu sagen über die Erfahrungen all der Jahre, seit wir uns zuletzt sahen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß wir uns wieder begegnen, fast möchte es zu einem unendlichen Gespräch sein. Seien Sie sehr gegrüßt von Ihrem Ernst Huber1435 Nr. 189 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 3.6.1947 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Plettenberg Bhf Brockhauserweg 10 den 3. Juni 1947 Lieber Herr Huber! Ihr Brief vom 28. Mai ist gestern hier eingetroffen, vielen herzlichen Dank! Ihren Brief vom Januar habe ich in Berlin erhalten; er war 4 Wochen unterwegs[,] und ehe ich ihn beantworten konnte, wie ich wollte, war schon die Möglichkeit, Briefe zu schreiben, für mich wieder entfallen. Ich habe das übrigens Vorwerk neulich in München erzählt, denn auch über diesen ersten Brief von Ihnen habe ich mich ausserordentlich gefreut, nicht nur über die guten Nachrichten, die er enthielt, sondern noch mehr über die mutige Sicherheit, die sich in ihm aussprach und die wohl nur unter den Wissenden unseres Faches in solcher Überlegenheit möglich ist. Ich hoffe, dass Herr Dr. Peschke1436 in Baden-Baden (Markgrafen[straße] 124) meine Grüsse an Sie ausgerichtet hat; sonst bitten Sie ihn um meinen Gruss ex captivitate1437. Den Weg über den Abhang des Lennegebirges1438, den wir 1933 einmal zusammen gemacht haben1439, mache ich jetzt oft von neuem und führe un1435

Im Briefwechsel mit Ernst Forsthoff unterzeichnete Huber stets nur mit „Ernst“, während er gegenüber Schmitt und bei allen Veröffentlichungen seinen zweiten Vornamen hinzufügte. 1436 Hans Paeschke (1911–1991) hatte von 1931 bis 1936 Rechtswissenschaften u. a. in Berlin studiert und war dann in die Publizistik gewechselt. 1947 begründete er die Monatsschrift „Merkur“. 1437 Lat.: „aus der Gefangenschaft“. 1438 Gebirgszug des sauerländischen Berglands östlich der Lenne auf der Plettenberg gegenüber liegenden Seite mit der Homert (656 m) als höchstem Punkt.

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sere Gespräche weiter. Das ist so beglückend schön, dass ich es nur wie einen Traum geniessen kann. | Diese „Verortungen“ unseres konkreten Schicksals sind unerschöpfliche Probleme. Wir wissen nicht viel von uns, wenn wir – z. B. – nicht klar sagen können, was Berlin für uns bedeutet. Auch hier ist der Zusammenhang von Ordnung und Ortung das eigentlich Wirkliche, und was man „Nihilismus“ nennt1440, ist hauptsächlich die Trennung dieses Zusammenhanges. Wir, die wir mit oder ohne unsere Familien seit Jahren hin und her geworfen werden, müssen ja endlich auf diese Frage stossen, nach soviel Ausbombungen, Regimewechsel[n], Rohrbrüchen und Einweisungsverweigerungen. Gestern hatte ich Besuch von einem guten jungen Juristen1441 aus Altenhundem1442, der vor einigen Wochen in Tübingen mit einer Dissertation über die Pol.[itische] Klausel in Konkordaten summa cum laude promoviert hat1443. Die Arbeit ist wirklich sehr gut, sie zeigt auch, dass unsere Denkarbeit nicht fruchtlos war. Dieses ruhige Weiterwachsen ehrlicher Meinungen ist eine neue Erfahrung und bestätigt das, was Sie mir von der Konstanz im Wechsel geschrieben haben. Heute abend will Hans Schneider1444 kommen, der in Göttingen war. Frau Schmitt und Anima sind auch über Pfingsten hier gewesen1445 und lassen Sie, Ihre Frau und Ihre Kinder vielmals grüssen. Anima | ist jetzt schon grösser als ich1446. Ihre Jungens werden auch herangewachsen sein und sich 1439 Die Wanderung Schmitts mit Huber könnte am 26.9.1933 stattgefunden haben, als das Ehepaar Huber Schmitt besuchte. Schmitt, Tagebücher, S. 304. 1440 Eine Geisteshaltung, welche die Ablehnung jeder Wert- und Gesellschaftsordnung bezeichnet. 1441 Es handelt sich um Joseph H. Kaiser (1921–1998), der seit 1955 in Freiburg Öffentliches Recht und Völkerrecht lehrte. Er war später der Verwalter des wissenschaftlichen Nachlasses von Schmitt. Briefwechsel Forsthoff-Schmitt, S. 428 f. 1442 Ort im Sauerland, etwa dreißig Kilometer südöstlich von Plettenberg. 1443 Joseph H. Kaiser, Die politische Klausel der Konkordate, jur. Diss. (MS) Tübingen 1947. Die Dissertation wurde am 24.5.1947 in Tübingen vorgelegt und unter demselben Titel in Berlin 1949 gedruckt. Vgl. auch Werner Weber, Die politische Klausel in den Konkordaten. Staat und Bischofsamt, Hamburg 1939 (= Schriften der Akademie für Deutsches Recht, 3). 1444 Hans Schneider (1912–2010) studierte in Berlin und promovierte 1937 in Freiburg. Er habilitierte sich an der Wirtschaftshochschule Berlin und lehrte in Breslau. 1948 übernahm er ein Ordinariat in Göttingen, wechselte 1951 nach Tübingen und von dort 1955 nach Heidelberg. 1445 Duschka Schmitt löste den Berliner Haushalt auf und kam im Oktober endgültig nach Plettenberg; Anima ging in Cloppenburg zur Schule und kam zu Ostern 1948 ins Sauerland. Mehring, S. 452 f. Siehe oben Anm. 1429. 1446 Anima Schmitt wurde am 20.8. 16 Jahre alt.

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zum Start ins Leben rüsten1447. Zwei Jahre im Schwarzwald sind heute ein grosses Privilegium. Viele herzliche Grüsse und Wünsche für Sie alle von Ihrem Carl Schmitt

Nr. 190 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 2.6.1948 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Plettenberg II/Westfalen Brockhauserweg 10 den 2. Juni 1948. Lieber Herr Huber! Neulich war Cramer von Laue1448 hier und erzählte von Ihnen, freilich etwas weit zurückliegende Dinge. Seit langem (fast ein Jahr) habe ich nichts von Ihnen gehört1449, aber oft an Sie gedacht und Sehnsucht nach einem Gespräch mit Ihnen. Wie geht es Ihnen? Was beschäftigt Ihr Denken? Wie geht es Ihrer Frau und Ihren Kindern? Ich bin jetzt über ein Jahr hier. Dieses Jahr war schön, sicher eins der schönsten meines Lebens. Es ist mir in weitem Maße gelungen, mich weder von der Vergangenheit noch von der Zukunft bedrücken zu lassen und statt dessen das Accidens1450 meiner Gegenwart in gedanklicher Reinheit treu zu bestellen. Frau Schmitt ist seit Oktober 1947 hier, Anima seit Ostern 48 und geht hier zur Schule (auf Obersekunda1451). Ich würde mich sehr freuen, Nachricht von Ihnen und den Ihrigen zu erhalten. Wäre es Ihnen recht, wenn ich Ihnen eine Notiz über irgendetwas, das mich beschäftigt oder beschäftigt hat (z. B. Legalität und Beamten1447

Der älteste Huber-Sohn, Konrad, war 13 Jahre alt. Constantin Cramer von Laue (1906–1991) war nach einem Studium der Rechtswissenschaft für mehrere Jahre in Kriegsgefangenschaft und leistete seinen Referendardienst ab. Von 1951 bis 1971 arbeitete er als Referent im Bundeskanzleramt. http://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0000/z/z1960a/kap1_3/para2_31. html (30.5.2014). 1449 Der letzte Brief Hubers datierte vom Mai 1947. 1450 Zufälligkeit. 1451 Ältere Bezeichnung für die elfte Klasse im Gymnasium. 1448

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tum1452) schickte? An welche Adresse?1453 Und könnten | Sie mir nicht ein Dokument Ihrer gegenwärtigen Gedanken zusenden? Herzliche Grüsse und Wünsche Ihres Carl Schmitt. Nr. 191 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Falkau, 11.6.1948 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6275 Brief, handschriftlich, handschriftliche Notiz von Schmitt: „b.[eantwortet] 18/6 48“

Falkau, Schwarzwald Haus Sonnenschein den 11. Juni 1948 Hochverehrter[,] lieber Herr Schmitt, Ihr Brief kam in den Tagen an, in denen ich meinen 45. Geburtstag beging1454; Sie hätten mir keine größere Freude machen können als mit diesem unmittelbaren freundschaftlichen Gruß aus dem Exil in das Exil. Ich habe mir oft Vorwürfe gemacht, Ihnen so lange die Antwort auf den vor einem Jahr geschriebenen Brief1455 aus Plettenberg schuldig geblieben zu sein. Nehmen Sie mein Schweigen bitte nicht als ein Zeichen der Ermüdung – ich habe im Stillen manches lebhafte Gespräch mit Ihnen zu führen gesucht, auch an Hand Ihrer Aufzeichnungen „Ex captivitate“1456, die auf Umwegen in meinen Besitz kamen. Es wäre soviel zu sagen über Vergangenes und Gegenwärtiges, daß sich beim Versuch der schriftlichen Fixierung immer wieder Hemmungen ergeben, ganz abgesehen von den äußeren Umständen, die mich im vergangenen Jahr oft in zeitliche Bedrängnis brachten. Unser Leben hier oben1457 hat sich dadurch sehr verändert, daß meine Frau seit dem 1. September vorigen Jahres eine berufliche Arbeit übernom1452 Ein Aufsatz von Schmitt zum Thema „Legalität und Beamtentum“ ist nicht nachgewiesen. Eventuell sollte es um das Verhältnis der Beamten zum Nationalsozialismus gehen. So z. B. Schmitts Antwort in Nürnberg auf die Frage, wieso die Staatssekretäre Hitler gefolgt seien. Helmut Quaritsch (Hg.), Carl Schmitt – Antworten in Nürnberg, Berlin 2000, S. 102–114. 1453 Die Familie Huber lebte im Haus Sonnenschein in Falkau und zog erst 1949 nach Freiburg um. 1454 Am 8.6.1948. 1455 Gemeint ist der Brief vom 3.6.1947. 1456 Carl Schmitt, Ex captivitate salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47, Köln 1950. 1457 In Falkau im Hochschwarzwald.

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men hat. Sie ist in einem Freiburger Anwaltsbüro1458 tätig, als allgemeiner Vertreter einer Anwältin1459, die man wider ihren Willen, wie das hier üblich ist, als Vorsitzende einer Spruchkammer dienstverpflichtet hat. Meine Frau wohnt in Freiburg und kommt nur zum Wochenende zu uns herauf. Ich habe während eines ganzen halben Jahres die Hausarbeit übernommen, eine Funktion, für die ich nicht viel natürliches Talent einzusetzen hatte, aber ich fand dann doch, daß es eine dieser Zeit sehr gemäße Lebensform sei. Seit dem 1. März haben wir eine sehr tüchtige häusliche Hilfe, sodaß ich nun wieder an den | Schreibtisch zurückgekehrt bin. Die drei ältesten Söhne sind in der Nähe in einem Landschulheim untergebracht, Konrad in Obertertia, Ulrich in Quarta, Albrecht in Sexta1460, während die beiden jüngsten1461 hier oben bei uns wohnen. Meine Frau ist trotz der langen Unterbrechung ihrer juristischen Tätigkeit schnell in ihre Arbeit hineingewachsen und gibt sich ihrer Aufgabe fast mit zuviel Energie und Temperament hin. Ich bin gelegentlich in Freiburg, um Grewe1462 oder Wieacker zu sehen1463; im übrigen halte ich mich von der dortigen Fakultät wie auch von der Tübinger möglichst fern. Ich habe mich im wesentlichen auf meine verfassungsgeschichtlichen Studien beschränkt, die ich in diesen drei Jahren besser fördern konnte, als es mir je an einer Universität möglich gewesen 1458 Die 1928 gegründete Anwaltspraxis wurde von Maria Plum (1894–1962) und Karola Fettweis (1909–1994) geführt. Röwekamp, Juristinnen, S. 104–106, 299– 302; dies., Die ersten deutschen Juristinnen. Eine Geschichte ihrer Professionalisierung und Emanzipation (1900–1945), Köln u. a. 2011 (= Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung, 11), S. 484 f. Tula Huber-Simons, Dr. rer. pol. Maria Plum 1894–1962. Die erste niedergelassene Rechtsanwältin Freiburgs, in: Isolde TröndleWeintritt/Petra Herkert (Hg.), „Nun gehen Sie hin und heiraten Sie!“ Die Töchter der Alma mater im 20. Jahrhundert, Freiburg 1997, S. 44–57. 1459 Dr. Maria Plum war auch beim sogenannten Nürnberger Ärzteprozess als Anwältin tätig. 1950 verteidigte sie Ernst Rudolf Huber im wieder aufgenommenen Entnazifizierungsverfahren. Ewald Grothe, Über den Umgang mit Zeitenwenden. Der Verfassungshistoriker Ernst Rudolf Huber und seine Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart 1933 und 1945, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 53 (2005), S. 216–235, hier S. 229 f. 1460 Gemeint sind die Klassen 9, 7 und 5. 1461 Gerhard und Wolfgang Huber. 1462 Wilhelm Grewe (1911–2000) wurde 1936 bei Ernst Forsthoff promoviert und habilitierte sich 1941 in Königsberg. 1943 wurde er außerordentlicher Professor in Berlin. Er lehrte nach 1945 zunächst in Göttingen und kam 1947 nach Freiburg. Jochen Abraham Frowein, Wilhelm G. Grewe, in: Archiv des öffentlichen Rechts 125 (2000), S. 299–301. 1463 Grewe und Wieacker setzten sich 1952/53 erfolgreich für einen Lehrauftrag Hubers in Freiburg ein. Ewald Grothe, Eine ‚lautlose‘ Angelegenheit? Die Rückkehr des Verfassungshistorikers Ernst Rudolf Huber in die universitäre Wissenschaft nach 1945, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 47 (1999), S. 980–1001, hier S. 984 f.

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wäre1464. Daneben habe ich manches zu Papier gebracht, was sich mit aktuellen Gegenständen beschäftigt1465. Dazu gehören auch einige sehr persönliche Aufzeichnungen über Nürnberg1466. Sie wissen vielleicht, daß ich vor mehr als zwei Jahren für einige Zeit in diesen Strudel geraten bin, dann aber ebenso plötzlich wieder heraus kam wie vorher hinein. Es war für mich eine sehr lehrreiche Zeit. Ich war in diesem Februar noch einmal dort, zu einem Gespräch mit meinem früheren Assistenten Hellmut Becker1467, der jetzt Herrn v. Weizsäcker verteidigt1468. Es wird jetzt dort von beiden Seiten scharf geschossen. Die Hilfstruppen, die die persecution1469 ins Feld führt, sind nicht immer kriegstüchtig – so war das lahme staatsrechtliche Kolleg, das Herr Peters im Kreuzverhör von sich gab, nicht sehr ehrenvoll für die Zunft, der wir einst angehörten. Unter den deutschen Verteidigern scheint Kranzbühler1470 mit | Abstand das Spitzenpferd zu sein, aber auch Becker ist intelligent und wendig. Ein schweres Handicap ist, daß offenbar keiner vom Völkerrecht etwas versteht, und wenn auch der Ausgang der Prozesse davon schwerlich abhängig ist, so wäre es doch nützlich gewesen, wenn die deutsche Position von Anfang an klarer entwickelt worden wäre. Auch das Plaidoyer von Jahrreiß1471 läßt hier manche Wünsche unerfüllt. Dagegen hat Grewes Stuttgarter Referat1472 mir gut gefallen. 1464

Huber arbeitete bereits an seiner „Deutschen Verfassungsgeschichte“. Hubers erste Aufsätze nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen 1949 ungezeichnet oder mit dem Kürzel „U. M.“ 1466 Huber war u. a. zu den Nürnberger Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher gereist, um dort seinen früheren Schüler Hellmut Becker beim Prozess gegen den Diplomaten Ernst von Weizsäcker (1882–1951) zu unterstützen. Es gibt Aufzeichnungen Hubers über seine „Nürnberger Reise“ in Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 788. 1467 Hellmut Becker (1913–1993) war 1937 Assistent Hubers in Leipzig und später in Straßburg. In Nürnberg verteidigte er 1947 den Staatssekretär im Auswärtigen Amt Ernst von Weizsäcker. 1963 war er Mitgründer und erster Direktor des MaxPlanck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin. Hellmut Becker/Frithjof Hager, Aufklärung als Beruf. Gespräche über Bildung und Politik, München 1992; Ulf Morgenstern, „Bildungsbecker“ und „Liberaler Feuerkopf“. Hellmut Becker (1913– 1993), in: ders./Kristina Michaelis, Kaufleute, Kosmopoliten, Kunstmäzene. Die Gelnhäuser Großbürgerfamilien Becker und Schöffer, Hamburg 2013, S. 106–113. 1468 Über die Verbindung Hellmut Beckers zur Familie Carl Friedrich von Weizsäckers in Straßburg berichtet autobiographisch: Gundula von Weizsäcker, Damals in Straßburg, in: Gerold Becker/Jürgen Zimmer (Hg.), Lust und Last der Aufklärung. Ein Buch zum 80. Geburtstag von Hellmut Becker, Weinheim/Basel 1993, S. 119–124. 1469 Franz.: „Verfolgung“. 1470 Otto Kranzbühler (1907–2004) verteidigte den Großadmiral Karl Dönitz (1891–1980) in Nürnberg. Vor 1945 war er als Marinerichter tätig gewesen. 1471 Hermann Jahrreiß verteidigte in Nürnberg den Chef des Wehrmachtsführungsstabes Alfred Jodl (1890–1946). 1465

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Meine Beziehungen zur „Welt“ beschränken sich im wesentlichen auf die Pflege meiner freideutsch-bündischen Beziehungen. Constantin v. Cramer wird Ihnen davon erzählt haben. Ich füge Ihnen eine Aufzeichnung bei1473, die ich für einige wenige ausgesuchte Leute aus diesem Kreis angefertigt habe. Es ist eine Gelegenheitsschrift von mehr utopischem als realistischem Charakter. Allenfalls könnte ich mir denken, daß in dem Kreis um Steltzer1474 und Forsthoff Ansätze für dieses Ethos der Sachlichkeit entwickelt werden könnten. Vielleicht kommt es in diesem Sommer zu einer Begegnung unter Steltzers Vorsitz1475 im Kloster Altenberg bei Wetzlar1476, etwa am 1. August. Ob ich daran würde teilnehmen können, weiß ich nicht. Da attentisme1477 nichts mit Passivität und Resignation zu tun zu haben braucht, leide ich nicht unter der Zurückgezogenheit. Vielmehr empfinde ich diese drei Jahre für mich persönlich als einen reinen Gewinn. Die großzügige Herbheit der Landschaft, in der ich hier lebe, ist mir sehr gemäß, wenn ich auch manchmal die Heiterkeit und Milde des rheinischen Klimas entbehre. Es hat sich gezeigt, daß die menschliche Substanz sich in unserm engeren Bereich in fast allen Fällen | bewährt hat; das ist mehr, als man erwarten durfte. Auf äußere Restaurationen zu hoffen, wäre fehl am Platz1478; die Zuversicht auf eine innere Erneuerung braucht man nicht aufzugeben. 1472

Wilhelm G. Grewe, Nürnberg als Rechtsfrage. Eine Diskussion, Stuttgart

1947. 1473 Es handelt sich um das Manuskript „Idee und Realität eines Freideutschen Bundes“, das im Nachlass Schmitts, Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 219, überliefert ist und hier in Anhang IV.3 wiedergegeben wird. 1474 Theodor Steltzer (1885–1967) war Generalstabsoffizier im Ersten Weltkrieg und hatte sich im Zweiten Weltkrieg dem Widerstand des Kreisauer Kreises angeschlossen. Einer Hinrichtung entging er nur knapp. 1945 gehörte er zu den Mitgründern der CDU in Berlin und Schleswig-Holstein und 1946/47 wurde er zum Ministerpräsidenten dieses Landes ernannt. Klaus Alberts, Theodor Steltzer. Szenarien seines Lebens. Eine Biographie, Heide 2009. 1475 Steltzer war allerdings wegen einer Auslandsreise verhindert. Hauptredner der Tagung war der Historiker Hans-Joachim Schoeps (1909–1980). Mogge, Altenberger Konvent, S. 397. 1476 1167 gegründetes ehemaliges Prämonstratenserinnenkloster in der Nähe von Wetzlar. Hier kam es 1948 zu einem Treffen der Freideutschen Jugend. 1477 Franz.: „Abwarten“. 1478 Huber schätzte z. B. 1951 gegenüber Hans-Joachim Schoeps die Chancen für eine Restauration der Monarchie sehr schlecht ein. Hans-Christof Kraus, Eine Monarchie unter dem Grundgesetz? Hans-Joachim Schoeps, Ernst Rudolf Huber und die Frage einer monarchischen Restauration in der frühen Bundesrepublik, in: ders./ Heinrich Amadeus Wolf (Hg.), Souveränitätsprobleme der Neuzeit. Freundesgabe für Helmut Quaritsch anlässlich seines 80. Geburtstages, Berlin 2010, S. 43–69. Druck des Briefes von Huber vom 2.12.1951 in: Frank-Lothar Kroll, Geschichtswissenschaft in politischer Absicht. Hans-Joachim Schoeps und Preußen, Berlin 2010, S. 98–100.

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Nachdem die Kräfte, die wir früher bekämpft haben, sich so schnell erneut diskreditiert haben, wird das Feld für die Entwicklung echter Positionen über kurz oder lang wieder frei werden. Zensur ist offenbar ein ebenso dummes wie unzulängliches Mittel der Verteidigung, jedenfalls dann, wenn sie nicht mit konstruktiven Ideen und vitalen Energien kombiniert ist. Grüßen Sie bitte Frau Schmitt sehr herzlich und seien Sie selbst in alter Verehrung gegrüßt von Ihrem Ernst Rudolf Huber PS: Wenn Sie uns etwas von Ihren neuen Arbeiten mitteilen, so würde ich besonders dankbar sein.

Nr. 192 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 18.6.1948 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Plettenberg, den 18. Juni 1948 Lieber Herr Huber! Ihren Brief und Ihre Darlegung über „Idee und Realität des F.[reideutschen] B.[undes]“ habe ich heute erhalten. Ich habe beides mit grosser Spannung gelesen und warte, bis in mir eine Antwort schwingt, deren Mit- und Gegenschwingung sich von selbst in einem Brief an Sie dokumentiert. Heute schreibe ich nur diese Empfangsbestätigung und ein Wort des Dankes, damit Sie nicht gehindert sind, mir auch eine ausführlichere Antwort bald wieder zu schreiben und die Freude eines solchen Berichtes zu machen. Die Nachricht über Ihre Frau und Ihre Söhne hat mich und auch Frau Schmitt besonders gefreut und getröstet. Wir waren nahe daran, Anima diese Ostern nach Hinterzarten1479 zu tun, wo eine Tochter1480 von Rich.[ard] Siebeck1481 (dem Heidelberger Internisten) Lehrer an der dortigen Schule1482 ist. Jetzt 1479

Ein Höhenluftkurort, etwa 25 Kilometer östlich von Freiburg gelegen. Bertha Moritz, geb. Siebeck (1912–1989) war später Professorin für Anglistik in Würzburg. 1481 Der Internist Richard Siebeck (1883–1965) war Leiter der Heidelberger Universitätsklinik. Siebeck entstammte der gleichnamigen Tübinger Verlegerfamilie. Briefwechsel Forsthoff-Schmitt, S. 365, Anm. 1. 1482 Birklehof. 1480

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sind wir aber froh, dass das Kind bei uns geblieben ist und hier in Plettenberg zur Schule geht. Ich schicke Ihnen die Antwort, die ich im Mai 1947 in Nürnberg auf eine von K.[empner]1483 formulierte Frage gegeben habe1484. Die Frage hatte Schlegelberger1485 und Weizsäcker im Auge (dieser war aber damals gerade aus N.[ürnberg] entlassen worden). Meine Antwort ist keine wissenschaftliche Abhandlung1486. Ich möchte gern, dass Sie sie lesen und mir einige Bemerkungen dazu machen, nachdem auch Sie dem Genius loci1487 Nürnbergs begegnet sind, gleichgültig, ob Sie lieber die zugrunde liegenden sachlichen Themen oder persönliche Erfahrungen zum Ausgangspunkt Ihrer Glosse machen wollen1488 (Ist H.[ellmut] Becker der Sohn des Kultusministers B.[ecker]?1489) Die1490 Richtung, in der sich meine Gedanken nach der ersten Lektüre von „Idee und Realität“ bewegen, lässt sich am besten mit dem Stichwort „pouvoir | spirituel“1491 andeuten. Ich weiss, wie sehr dieser Begriff Ihnen zum Ärgernis werden muss. Aber ich denke ja nicht an die längst konstituierten Erscheinungsformen dieses pouvoir. Der ganze sog. Sozialismus des 19. Jahrhundert[s] ist seinem Ursprung und seinem Ansatz nach ein Versuch gewesen, endlich wieder ein solches pouvoir zu schaffen. Das erste grosse Dokument des Sozialismus ist nicht das Kommunistische Manifest von 18471492, sondern 1483 Robert Kempner (1899–1993) hatte im preußischen Innenministerium gearbeitet und war aufgrund der NS-Verfolgung 1935 in die USA emigriert. Zwischen 1945 und 1948 war er stellvertretender Chefankläger der Vereinigten Staaten in den Nürnberger Prozessen. Robert M. W. Kempner, Das Dritte Reich im Kreuzverhör. Aus den unveröffentlichten Vernehmungsprotokollen des Anklägers Robert M. W. Kempner, München-Esslingen 1969. 1484 Gemeint ist die Antwort auf die Frage vom 13.5.1947: „Warum sind die Staatssekretäre Hitler gefolgt?“ Veröffentlicht: Carl Schmitt, Das Problem der Legalität, in: Die Neue Ordnung 5 (1950), S. 270–275. 1485 Franz Schlegelberger (1876–1970) war von 1931 bis 1941 Staatssekretär im Reichsjustizministerium. Er wurde in Nürnberg angeklagt und war bis 1951 inhaftiert. Michael Förster, Jurist im Dienst des Unrechts. Leben und Werk des ehemaligen Staatssekretärs im Reichsjustizministerium, Franz Schlegelberger 1876–1970, Baden-Baden 1995. 1486 Carl Schmitt, Antworten in Nürnberg, hg. v. Helmut Quaritsch, Berlin 2000. 1487 Lat.: „Geist des Ortes“. 1488 Es erschien pseudonym: U. M., Habeas-Corpus in Kriegsverbrecherprozessen, in: Archiv des öffentlichen Rechts 36 (1949), S. 225–228. 1489 Hellmut Becker war tatsächlich der Sohn des ehemaligen preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker (1875–1933). 1490 Die Passage bis zum Absatzende trug Schmitt fast wörtlich in sein Glossarium ein. Carl Schmitt, Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947–1951, hg. v. Eberhard Freiherr von Medem, Berlin 1991, S. 166. 1491 Franz.: „geistige Macht“.

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Saint-Simons1493 „Nouveau Christianisme“ von 18251494, das ex professo1495, mit allem geschichtlichen und begrifflichen Bewusstsein, die Notwendigkeit und das Ziel eines neuen p.[ouvoir] sp.[irituel] formuliert. Ich lese viel Sohm’s1496 Kirchenrecht, besonders den II. (nachgelassenen) Band1497. Eine ganz unerschöpfliche Fundgrube für alle öffentlich-rechtlichen Probleme des Verfassungs- wie des Verwaltungsrechts. Von Tübingen aus lasse ich Ihnen eine Darlegung vom August 19451498 schicken, die ich damals auf Ansuchen in Berlin für einige Anwälte (darunter Dix1499) gemacht habe. Die Anwälte lehnten es damals ab, sich, wie einer sagte, auf „völkerrechtliche Seminarübungen“ einzulassen. Ich bin unmittelbar nach diesem Gutachten verhaftet und meiner Bibliothek beraubt worden1500. Heute sehe ich, dass ich damals die Ehre der europäischen Rechtswissenschaft gerettet habe und dafür sofort mundtot gemacht wurde. Deshalb lasse ich die Darlegung vom Sommer 1945 (vor Erhebung der Anklage musste sich ein Sachverständiger dieses alles sagen, was in der Darlegung steht!) wörtlich stehn und unverändert, als Dokument. Lesen Sie sie unter diesem Gesichtspunkt in aller Musse durch; solche Dinge eilen nicht 1492 Das dreißigseitige Manifest der Kommunistischen Partei wurde von Karl Marx und Friedrich Engels zur Jahreswende 1847/48 im Auftrag des Bundes der Kommunisten verfasst und im Februar 1848 in London publiziert. 1493 Henri de Saint-Simon (1760–1825) war ein französischer Philosoph, dessen Ansichten dem Frühsozialismus zugeordnet werden. 1494 Die Schrift, deren Titel auf Deutsch „Das neue Christentum“ heißt, erschien 1825 posthum. 1495 Lat.: „amtlich“. 1496 Rudolph Sohm (1841–1917) lehrte Bürgerliches und Kirchenrecht in Freiburg, Straßburg und ab 1887 in Leipzig. Er gründete zusammen mit Friedrich Naumann 1896 den Nationalsozialen Verein. Andreas Thier, Sohm, Rudolph, in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 539–541. 1497 Rudolph Sohm, Kirchenrecht. Bd. 2: Katholisches Kirchenrecht, Leipzig 1923 (= Systematisches Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft, 8,2). 1498 Carl Schmitt, Das internationale Verbrechen des Krieges in seiner Besonderheit gegenüber dem Kriegsverbrechen (Verletzungen der Regeln des Kriegsrechts und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, atrocities, August 1945. Gedruckt als: ders., Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz „Nullum crimen, nulla poena sine lege“, hg. v. Helmut Quaritsch, Berlin 1994). 1499 Rudolf Dix (1884–1952) hatte in Zürich Jura studiert und war 1932/33 Vorsitzender des deutschen Anwaltvereins. In Nürnberg verteidigte er Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht (1877–1970), 1947 übernahm er die Verteidigung des Unternehmers Friedrich Flick (1883–1972). 1500 Schmitts Bibliothek wurde nach seiner Verhaftung Ende September 1945 beschlagnahmt und im Oktober abgeholt. Heute befindet sich ein Teil im Landesarchiv NRW Rheinland, andere Teile sind verstreut. Mehring, S. 442. Martin Tielke, Die Bibliothek Carl Schmitts, in: Schmittiana. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts, NF 1 (2011), S. 257–332.

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und sind von unsern ephemeren Perzeptionen völlig unabhängig. Ich hätte nur gern das Exemplar gelegentlich zurück, da ich keine Abschrift mehr habe. | Dass Sie „Ex captivitate Salus“ gelesen haben, ist mir recht. Ich hoffe nur, dass Sie ein Exemplar ohne allzu viele Abschriftenfehler hatten. Einige dieser Fehler, von denen ich zufällig erfuhr, sind ärgerlich. Doch lernt man auch das ohne Ungeduld ertragen. Ihre „Idee und Realität“ hat mir wieder zum Bewusstsein gebracht, wie missverständlich und vereinsamt meine eigene Position in der vorangehenden Zwischensituation bleiben musste. Übrigens hat Ernst Jünger, dessen französische Tagebücher (die „Strahlungen“) in der Schweiz gedruckt und auch französisch erscheinen werden1501, dazu einige treffende Bemerkungen gemacht1502. Von Bonn höre ich gelegentlich vereinzelte Nachrichten. Ein Schüler von Thoma, Karl Schultes1503, der 1934 eine Arbeit über Art. 48 (eine Dissertation) gemacht hat1504, veröffentlichte vor einigen Monaten ein Pamphlet im niedrigsten Stil „Der Niedergang des staatsrechtlichen Denkens im Faschismus“1505. Der Verfasser ist inzwischen Voll-Marxist und SED-Mann1506 geworden und Ministerialdirektor im Justizministerium in Weimar. Radbruch1507 hat die Schrift kürzlich in der Südd.[eutschen] Jur.[isten] Z[ei]t[un]g. als „notwendige Reinigung“ angepriesen1508. Es wird Sie nicht 1501 Die Tagebücher Jüngers erschienen in zwei Bänden 1951/53 auf Französisch in Paris unter dem Titel „Journal“. 1502 Es könnte der Brief von Jünger an Carl Schmitt vom 9.6.1947 gemeint sein. Jünger–Schmitt, Briefe, S. 203–205. 1503 Karl Schultes (1909–1982) wurde nach amerikanischer Kriegsgefangenschaft 1946 stellvertretender Justizminister in Thüringen, floh aber 1950 aus der DDR. Zwischen 1970 und 1978 war er Richter am Landesverfassungsgericht von Nordrhein-Westfalen. 1504 Karl Schultes, Die Jurisprudenz zur Diktatur des Reichspräsidenten nach Art. 48 Abs. II der Weimarer Verfassung. Ein kritischer Rückblick, Bonn 1934 (= Bonner rechtswissenschaftliche Abhandlungen, 30). 1505 Karl Schultes, Der Niedergang des staatsrechtlichen Denkens im Faschismus. Die Lehren des Herrn Professor Carl Schmitt, Kronjurist der Gegenrevolution, Weimar 1947 (= Bausteine unseres neuen Weltbilds, 2). 1506 Anhänger bzw. Mitglied der aus der Zwangsfusion von Sozialdemokratischer und Kommunistischer Partei Deutschlands entstandenen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. 1507 Der Rechtsphilosoph Gustav Radbruch (1878–1949) gehörte der SPD an, wirkte 1921–1923 als Reichsjustizminister und nahm von 1926 bis 1933 eine Professur in Heidelberg wahr. 1933 wurde er von den Nationalsozialisten entlassen. Arthur Kaufmann, Gustav Radbruch. Rechtsdenker, Philosoph, Sozialdemokrat, München 1987. 1508 Gustav Radbruch, Rezension u. a. zu Karl Schultes, Der Niedergang des staatsrechtlichen Denkens im Faschismus, in: Süddeutsche Juristenzeitung 3 (1948), S. 223 f., hier S. 224: „eine für die Reinigung des politischen Denkens sehr notwendige Arbeit“.

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interessieren (Sie kommen nur ganz beiläufig vor, mit Koellreutter und Gerber1509); wohl aber interessiert mich der Stolz Thomas auf diesen seinen Schüler. Kannten Sie ihn? In Bonn wird Waldemar Gurian1510, jetzt von der Universität Indianapolis1511, einige Zeit Vorlesungen halten1512; er hat Friesenhahn in den Zeitungen öffentlich als seinen Freund begrüsst und seiner Freude darüber Ausdruck gegeben, in ein gereinigtes Bonn zurückkehren zu können. Wie mir E.[rwin] von Beckerath1513 erzählte, ist Friesenhahn in der Tat sehr eifrig. Er ist jetzt Dekan. Ich habe ihn nicht wiedergesehn. Kannten Sie ein Buch aus dem | Verlag von Herder (Freiburg) „Um des Reiches Zukunft“ von Walter Gerhart1514? W.[alter] G.[erhart] war ein Pseudonym für W.[aldemar] G.[urian]. Ich habe das Buch, das 1932 erschien, damals nicht gelesen, dafür aber jetzt, mit umso grösserem Interesse Kenntnis genommen, da W.[aldemar] G.[urian] als Richter des deutschen Katholizis[mus] auftritt. Was ich von Ihren Büchern und Schriften hatte, ist nun zum größten Teil mit meiner Bibliothek verloren gegangen, leider auch Ihre beamtenrechtlichen Abhandlungen1515, die ich im Zusammenhang mit dem Thema der beil.[iegenden] Beantwortung gern wieder gelesen hätte (auch fast alles von Wieacker). Haben sich bei Ihnen wieder einige Bücher eingefunden? Es ist wunderbar, wie die fata libellorum1516 1509 Schultes, Niedergang, S. 29. Huber wird neben Koellreutter u. a. als Kritiker Schmitts aufgeführt. 1510 Der Publizist und Politikwissenschaftler Waldemar Gurian (1902–1954) kannte Schmitt aus der Bonner Zeit, emigrierte 1934 in die Schweiz und war durch seine Veröffentlichungen Hauptgegner Schmitts 1936. Nach 1945 lehrte er an der Universität von Notre-Dame (Indiana). Heinz Hürten, Waldemar Gurian. Ein Zeuge der Krise unserer Welt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Mainz 1972 (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, 11). Ellen Thümmler/Reinhard Mehring (Hg.), „Machen Sie mir das Vergnügen und erwähnen Sie die Negerplastik“. Waldemar Gurian – Carl Schmitt. Briefwechsel 1924 bis 1932, in: Schmittiana, NF 1 (2011), S. 59–111; Ellen Thümmler, Katholischer Publizist und amerikanischer Politikwissenschaftler. Eine intellektuelle Biografie Waldemar Gurians, Baden-Baden 2011 (= Universitätsschriften, Politik, 178). 1511 Hauptstadt des amerikanischen Bundesstaates Indiana. 1512 Waldemar Gurian hielt zwischen 1948 und 1953 zahlreiche Vorträge an deutschen Universitäten, u. a. auch in Bonn. Thümmler, S. 180. 1513 Erwin von Beckerath (1889–1964) lehrte als Professor Nationalökonomie in Rostock, Kiel, Köln und Bonn. 1514 Walter Gerhart, Um des Reiches Zukunft. Nationale Wiedergeburt oder politische Reaktion? Freiburg 1932. 1515 Vor allem: Ernst Rudolf Huber, Rechtliche Gestaltung des öffentlichen Amtes und rechtliche Gestaltung des privaten Anstellungsverhältnisses, in: Atti del I Convegno del Comitato giuridico italo-germanico. Arbeitsgemeinschaft für die deutschitalienischen Rechtsbeziehungen, Roma 21–25 giugno 1938, Rom 1939; ders., Stellung des Beamtentums. 1516 Lat.: „Bücherschicksale“.

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mit der fatis1517 ihrer Autoren und ihrer Leser sich durchdringen. Auch die Liebe zu einzelnen bestimmten, oft kleinen Aufsätzen, die sich aus der Menge der gedruckten Schriften allmählich abheben und einem ans Herz wachsen, ist wunderbar. Ich überlasse mich dem allen mit grösster Dankbarkeit. Von Ihren Schriften sind es gegenwärtig am meisten die kirchen- und beamtenrechtlichen Aufsätze oder Besprechungen, die mich am meisten ansprechen, auch Ihre Dissertation1518, für die ich aber fast ganz auf Gedächtniserinnerungen angewiesen bin. Ich fand sie in Arbeiten des jungen Tübinger Kirchenrechtlers, Joseph Kaiser1519, öfters zitiert und konnte mich ihrer bis in Einzelheiten erinnern. Dagegen sind mir Ihre Aufsätze über Goethe1520 und ähnliches ziemlich fremd geblieben. Hier steckt wohl eine unserer grössten Wesensverschiedenheiten[,] und ich fühle oft den Wunsch, Sie gerade darin besser zu verstehen, ein Wunsch, der durch die Lektüre ihrer „Idee und Realität“ wieder sehr lebhaft geworden ist. Herzliche Grüsse und Wünsche, auch von Frau Schmitt, für Sie, Ihre Frau und Ihre Kinder! Stets Ihr Carl Schmitt.

Nr. 193 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Falkau, 7.7.1948 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6276, maschinenschriftliche Abschrift: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, Notizen von Schmitt in Kurzschrift

Falkau, 7. Juli 1948 Haus Sonnenschein Hochverehrter, lieber Herr Schmitt, am 11. Juli vollenden Sie Ihr sechzigstes Jahr. Zu anderer Zeit wäre dies ein Anlaß zur rühmenden Feier gewesen. Aber vielleicht sind Sie dankbar, daß Sie diesen Tag in der Stille begehen können und daß nur die Stimmen der echten Verehrung zu Ihnen dringen. Meine Frau und ich wünschen Ih1517

Lat.: „Schicksale“. Huber, Garantie. 1519 Joseph H. Kaiser (1921–1998) lehrte zunächst in Bonn und seit 1955 auf einer Professur für Öffentliches Recht und Völkerrecht in Freiburg. Er war Nachlassverwalter von Carl Schmitt. 1520 Huber, Goethe. 1518

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nen von Herzen, daß Sie diesen Tag guten Mutes und heiteren Sinnes begehen. Die Zeit der Prüfungen ist gewiß noch nicht zu Ende. Möge Ihre Kraft und Ihre Zuversicht allem standhalten, was Ihnen auferlegt ist und was an neuer Bürde noch kommen mag. Ihr Brief vom 18. Juni, für den ich Ihnen besonders danke, hat mich sehr beschäftigt. Daß mein Wort an die „Freideutschen“ Sie so wenig angesprochen hat, war mir lehrreich. Offenbar ist es schwer, über die Abgründe der vergangenen Jahre hinweg das Ohr des anderen zu erreichen und zu einer gemeinsamen Sprache zurückzufinden. So hat auch Ihre Erwiderung, mit der Sie mich auf den pouvoir spirituel verweisen, mich eher im intellektuellen als im existentiellen Bereich angetroffen. Ich bekenne offen, daß keine der vielen Erschütterungen der letzten 15 Jahre mich dem Anruf des pouvoir spirituel in einem über traditionelle und konventionelle Bindungen hinausgehenden Maße zugänglich gemacht hat. Daraus mögen die Grenzen des gegenseitigen Verstehens sich ergeben, die Ihr Brief so sehr betont. Ich spreche das so unumwunden aus, weil ich sicher bin, jedenfalls darin von Ihnen richtig verstanden zu werden, in dem Willen nämlich, Ihnen und mir gegenüber ganz aufrichtig zu sein. Es war meine Absicht, Ihnen zusammen mit diesem Brief | eine kurze Aufzeichnung zu schicken, die eine Erwiderung auf Ihre Niederschrift über die „Legalität“1521 enthalten soll. Doch fehlte es mir an der Zeit, mit dieser Aufzeichnung rechtzeitig fertig zu werden. Ich glaube, die Dinge etwas anders als Sie zu sehen, und was ich dazu zu sagen hätte, würde eine Art Streitgespräch sein, von dem ich allerdings hoffe, daß es auf einem Fundament gemeinsamer Positionen geführt werden könnte. Ich weiß nicht, ob Ihnen über die Jahre hinweg die Freude an der streitbaren Diskussion erhalten geblieben ist. Ich habe immer gefunden, daß sich in der Fähigkeit zum Streitgespräch die echte Gemeinsamkeit am sichersten und lautersten bewährt. Deshalb meine ich auch immer noch, daß Ihre treuesten Freunde diejenigen waren, die es auf sich nahmen, Ihnen mit Widerspruch zu begegnen. Leider habe ich bisher Ihre Darlegungen vom August 19451522 aus Tübingen nicht bekommen. Ich wäre Ihnen besonders dankbar für diese Zusendung, da ich die Auseinandersetzung mit Nürnberg für die wichtigste unter allen gegenwärtigen Aufgaben des Juristen halte. Ich meine allerdings auch, daß es notwendig ist, das in Nürnberg zusammengetragene Tatsachenmaterial voll in sich aufzunehmen und so wenigstens nachträglich ganz zu 1521

Es handelt sich um Schmitts Antwort auf Kempners Frage in Nürnberg „Warum sind die Staatssekretäre Hitler gefolgt?“ am 13.5.1947. Siehe oben Anm. 1484. 1522 Carl Schmitt, Das internationale Verbrechen des Krieges.

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realisieren, was das „Dritte Reich“ als Vernichtungssystem effektiv bedeutet hat. Für den, der Akten zu lesen versteht, gibt es keine erschütterndere Dokumentation als den aktenmäßigen Niederschlag des Terrorismus. So muß man, um ein vergleichsweise harmloses Beispiel zu wählen, ein Protokoll über den Vollzug der Prügelstrafe gesehen haben, um zu wissen, was „gesteuerter Terror“ bedeutet. Erst wenn man | die Tatsächlichkeit dieses Systems sozusagen en détail realisiert hat, ist man qualifiziert und legitimiert, über die juristische Fragwürdigkeit der Prozesse zu sprechen. Ich mache das gegenüber der vielfältigen Kritik, auf die man im Lande stößt, immer wieder geltend, gerade weil ich meine, daß die Kritik gegenüber diesem Verfahren nicht verstummen darf. An den Pamphletisten Karl Schultes habe ich eine dunkle Erinnerung. Ich sah ihn vor 33 in Thomas1523 Seminar, wo ich auch sein Referat über Art. 48 hörte, ein dünnblütiger Fanatiker mit Pseudo-Scharfsinn, politisch wohl linker Demokrat, ein Mann von der Art, die man bei Thoma öfter traf. Ich würde angenommen haben, daß Thoma zu viel Geschmack hätte, um sich an dem Machwerk dieses Schülers zu erfreuen. Radbruch hat sich durch den Beifall, den er dem Autor spendet, selbst das Urteil gesprochen. Leider stellt man fest, daß gerade unter den älteren Professoren das Maß an Honorigkeit, das man als selbstverständlich voraussetzen möchte, nicht vorhanden ist. Das gilt, um von anderen Fällen zu schweigen, auch von Eberhard Schmitt1524. Sie werden die Polemik, die er gegen Dahm zu richten für gut fand1525, und Dahms Antwort darauf1526 kennen. Waldemar Gurians unter so schönem deutschen Pseudonym erschienenes Buch von 19321527 kenne ich nicht. Ich sah kürzlich ein Heft einer Zeitschrift, die er drüben herausgibt1528, vornehmlich mit Emigranten als Mitarbeitern1529. Darunter 1523

Richard Thoma. Eberhard Schmidt (1891–1977) lehrte seit 1921 Rechtsgeschichte und Strafrecht in Breslau, Kiel, Hamburg, Leipzig und Göttingen, nach 1945 wirkte er in Heidelberg. Er war einer der bedeutendsten Strafrechtler der frühen Bundesrepublik. Arnd Koch, Schmidt, Eberhard, in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 181 f. 1525 Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Göttingen 1947 (= Jurisprudenz in Einzeldarstellungen, [1]), S. 397 f., über Georg Dahm. 1526 Georg Dahm an Eberhard Schmidt, 4.2.1948. Druck bei Friedrich Schaffstein, Erinnerungen an Georg Dahm, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 7 (2005/ 06), S. 173–202, hier S. 199–202. 1527 Walter Gerhart, Um des Reiches Zukunft. Nationale Wiedergeburt oder politische Reaktion?, Freiburg i. Br. 1932. 1528 Die Zeitschrift „The Review of Politics“ der Universität Notre Dame im USBundesstaat Indiana wurde von Gurian 1939 gegründet. 1529 Unter anderem publizierten hier Hannah Arendt (1906–1975), Leo Strauss (1899–1973) und Eric Voegelin (1901–1985). 1524

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war ein Aufsatz von Rothfels1530 über die Eyck’sche1531 Bismarck-Biographie1532, der seinem Verfasser Ehre machte. Hellmut Becker, der Verteidiger des Botschafters v. Weizsäcker, von dem ich Ihnen schrieb, ist in der Tat der Sohn des ehemaligen Ministers. | Vielleicht kennen Sie ihn, da Sie doch eine Zeitlang im Becker’schen Hause gewohnt haben. Es ist der jüngere der beiden Brüder; der ältere, Walter B.[ecker]1533, ist 1945 gefallen. Hellmut Becker war mein intelligentester und faulster Schüler; jetzt wird er dadurch gestraft, daß er maßlos arbeiten muß. In dem staatsrechtlichen Kreuzverhör, zu dem Peters sich zu Beginn des Wilhelmstraße[n]-Prozesses hergegeben hat, haben der kleine Münchener Seidl1534 und Becker einige gute Fragen gestellt. Ich nehme an, daß das Becker’sche Plaidoyer im Falle Weizsäcker1535 bemerkenswert sein wird. Es wird sich, wie ich annehme, mit dem Problem collaboration und résistance1536 in differenzierter Weise auseinandersetzen. In „Christ und Welt“1537 war übrigens neulich ein instruktiver Artikel über den Fall Weizsäcker1538.

1530 Hans Rothfels (1891–1976) lehrte von 1926 bis 1934 Geschichte der Neuzeit an der Universität Königsberg, bevor er aus rassischen Gründen 1939 in die USA emigrieren musste. 1950 kehrte der konservative Zeithistoriker nach einem Ruf an die Universität Tübingen zurück nach Deutschland. Wolfgang Neugebauer, Rothfels, Hans, in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 123–125. 1531 Der linksliberale Jurist und Historiker Erich Eyck (1878–1964) war als Journalist tätig, bevor er 1937 nach Großbritannien emigrieren musste. Bekannt wurde er vor allem durch seine Bismarck-Biographie. Klaus Hildebrand, Erich Eyck, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Deutsche Historiker, Göttingen 1973, S. 206–227. 1532 Hans Rothfels, Problems of a Bismarck Biography, in: The review of politics 9 (1947), S. 362–380. Die Rezension bezog sich auf Erich Eyck, Bismarck. Leben und Werk, 3 Bde., Erlenbach-Zürich 1941–1944. 1533 Walter Becker (1906–1945) war der älteste Sohn von Carl Heinrich und der Bruder von Hellmut Becker. 1534 Der Münchener Rechtsanwalt Alfred Seidl (1911–1993) verteidigte in den Nürnberger Prozessen Rudolf Heß und Hans Frank. Er war später Fraktionsvorsitzender der CSU und 1977/78 bayerischer Innenminister. 1535 Ernst von Weizsäcker (1882–1951) war im Ersten Weltkrieg Marineoffizier und seit 1920 im Auswärtigen Amt tätig. Er war seit 1931 Botschafter in Norwegen und später in der Schweiz. 1938 wurde er als Staatssekretär ins Auswärtige Amt berufen und wirkte seit 1943 als Botschafter beim Vatikan. 1947 wurde er verhaftet, in Nürnberg angeklagt und zu fünf Jahren Haft verurteilt. 1950 wurde er amnestiert. Hellmut Becker, Plädoyer für Ernst von Weizsäcker (1948), in: ders., Quantität und Qualität. Grundfragen der Bildungspolitik, Freiburg i. Br. 1968, S. 13–58. 1536 Franz.: „Zusammenarbeit und Widerstand“. 1537 Die konservativ ausgerichtete evangelische Wochenzeitung erschien erstmals am 6.6.1948; unter dem Titel „Deutsche Zeitung – Christ und Welt“ existierte sie selbstständig bis 1980.

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Bertha Moritz[,] geb. Siebeck[,] in Hi[n]terzarten kenne ich übrigens gut. Sie ist Konrads Klassenlehrerin, seit er im Birklehof1539 ist, eine sehr kluge und besondere Frau. Ihnen, Frau Schmitt und Ihrer nun schon fast erwachsenen Tochter Anima sehr herzliche Wünsche für alle Zukunft! Getreulich wie immer Ihr Ernst Rudolf Huber

Nr. 194 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 25.7.1948 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Plettenberg, den 25. Juli 1948. Lieber Herr Huber! Zu meinem 60. Geburtstag waren einige Freunde gekommen1540, denen ich den beil. „Gesang des Sechzigjährigen“1541 als Antwort auf einige schöne Ansprachen vorgelesen habe. Vor 10 Jahren, beim 50. Geburtstag, konnte ich meinen Gästen ein Exemplar des „Leviathan“ und einen Zinnbecher mit der Inschrift „Auf Gerechtigkeit – allezeit“ überreichen1542. Heute habe ich nur diese Meditation eines Experten des jus publicum Europaeum1543. Sie ist keine Antwort auf Ihren Brief vom 7. Juli, für den ich nicht nur ein Wort des Dankes, sondern eine ausführliche Antwort schuldig bin, wie sie durch eine mehr als 20jährige Weggenossenschaft in einer so gefahren1538 [hgst.], Der Weg des Freiherrn Ernst von Weizsäcker, in: Christ und Welt vom 27.6.1948, S. 3 f. 1539 Der Birklehof ist ein reformpädagogisches Gymnasium und Internat in Hinterzarten (Schwarzwald). 1540 Schmitt erhielt Glückwunschschreiben von Forsthoff, Ipsen, Scheuner, Siebert, Stödter und Weber. Mehring, S. 454 f. 1541 Carl Schmitt, Gesang des Sechzigjährigen, in: Der Fortschritt, 10.2.1951. Das Gedicht wurde mehrfach in Zeitungen nachgedruckt und befindet sich auch im „Glossarium“. 1542 Schmitt feierte seinen 50. Geburtstag mit einer „Serie von Treffen“; „die halbe Zunft gratuliert“. Mehring, S. 384. 1543 Zwei Jahre später erschien Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Köln 1950.

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vollen Disziplin1544, | durch Ihre „Auseinandersetzung mit Carl Schmitt“ vom Dezember 19401545, durch viele weitere wissenschaftlich-sachliche und menschlich-persönliche Gründe und Motive und schliesslich durch Ihren Glückwunschbrief vom 7. Juli in jedem Sinne des Wortes „fällig“ geworden ist. Ich habe seit dem Empfang Ihres Briefes nicht nur diesen Brief selbst, und nicht nur Ihre „Auseinandersetzung“ von 1940, sondern auch einige Ihrer Schriften und mehrere Briefe aus früheren Jahren wieder gelesen. Das Thema eines echten „Streitgesprächs“, das sich dabei immer deutlicher ausprägt, betrifft aber mehr zwei „Gestalten“ rechtswissenschaftlicher Geistigkeit, als einzelne, isolierbare Fragestellungen. Das ist sehr aufregend, jedenfalls für mich, als den | älteren. Doch müsste es eben ein Gespräch und nicht nur ein durch viele Hindernisse gestörter Briefwechsel sein. An einem Wort wie „pouvoir spirituel“ habe ich das gesehen (ich dachte an eine neu zu schaffende Autorität). Ich will heute nur sagen: die Gemeinsamkeit, die, wie Sie richtig sagen, in einem solchen Streitgespräch sich am echtesten bewährt, ist umso tiefer und fruchtbarer, je mehr das Thema sich der Begegnung solcher „Gestalten“ nähert. Darauf freue ich mich sehr, und ich bin sicher, dass wir uns eines Tages irgendwo dazu treffen werden1546. Tout a qui arrive est adorable1547. Meine Antwort auf Ihren vorletzten Brief hat darunter gelitten, dass ich über die Freideutsche Jugend nur aus fragmentarischen, wenig zusammenhängenden Andeutungen informiert bin. Ich hätte mich durch weitere Fragen bei Ihnen besser unterrichten müssen. Das will ich nachholen. Werden Sie deshalb | nicht ungeduldig mit mir. G. von Schmoller1548 schrieb mir aus Tübingen, dass ein Exemplar meiner Darlegung über die Kriminalisierung des Angriffskrieges vom August 1945 an Sie abgeschickt worden ist. Inzwischen hat Kelsen Ende 1947 in der International Quarterly Review im wesentlichen die gleiche Meinung 1544 Gegenüber Smend sprach Schmitt in der Widmung des Leviathan-Buches von der „gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts“. Briefwechsel SchmittSmend, S. 98. 1545 Huber, Positionen. Siehe Anhang II.9. 1546 Tatsächlich kam es nach 1945 zu keiner Begegnung mehr zwischen Schmitt und Huber. 1547 Franz.: „Alles was einem begegnet, ist bewundernswert.“ 1548 Gustav von Schmoller (1907–1991), ein Enkel des gleichnamigen Ökonomen, war seit 1935 Referent im Reichswirtschaftsministerium und danach im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren in Prag tätig. Nach 1945 wurde er zum Leiter des Referates für Verfassungs- und Besatzungsfragen in der Staatskanzlei des Landes Württemberg-Hohenzollern berufen. Er gründete 1947 das Institut für Besatzungsfragen in Tübingen und leitete es bis 1952. Später arbeitete er als Botschafter in Athen, Istanbul und Stockholm.

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vertreten1549. Er darf das; ich wurde damals sofort mundtot gemacht; Situationsrecht! [am linken Rand: Hat Hellmut Becker von meiner Darlegung Aug. 45 gehört? Könnten Sie ihn einmal fragen?] Von der grossen Blamage des armen Hans Peters1550 habe ich viel gehört. Dagegen hat Erich Kaufmann sich (am 3. Juni) hervorragend gehalten1551. Ich will jetzt aber nicht einen Brief beginnen, sondern nur meinen Dank an Sie und Ihre Frau mit einem Wort äussern, herzlich grüssen, auch im Namen von Frau Schmitt[,] und Ihnen unsere besten Wünsche für Sie und Ihre Familie aussprechen, in der Hoffnung, bald wieder von Ihnen zu hören und mit dem Versprechen, bald mehr und auf besserem Papier zu schreiben. Stets Ihr getreuer Carl Schmitt.

Nr. 195 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Falkau, 31.7.1948 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6277 Brief, handschriftlich

Falkau, 31. Juli 48 Hochverehrter, lieber Herr Schmitt, in der Eile des Aufbruchs zu einer Reise nach Oberstein zu meiner Mutter will ich Ihnen sehr herzlich für Ihren freundschaftlichen Brief danken, den 1549

Hans Kelsen, Will the Judgment in the Nuremberg Trial Constitute a Precedent in International Law? in: The International Law Quarterly 1 (1947), S. 153– 171. 1550 Peters war Vertreter der CDU bei den Nürnberger Prozessen, hielt staatsrechtliche Referate im Wilhelmstraßen-Prozess und widersetzte sich der Rehabilitierung politisch belasteter Hochschullehrer. Möglicherweise ging es hier um die Behauptung von Peters, das preußische Kultusministerium habe das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums besonders streng gehandhabt. Innenstaatssekretär Stuckart verwies dagegen auf Peters selbst, der trotz seiner NS-Gegnerschaft seine Hochschullaufbahn habe fortsetzen können. Hans-Christian Jasch, Das preußische Kultusministerium und die „Ausschaltung“ von „nichtarischen“ und politisch mißliebigen Professoren an der Berliner Universität in den Jahren 1933 bis 1934 aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933, in: forum historiae iuris, 25.8.2005. Online unter: http://www.forhistiur.de/zitat/ 0508jasch.htm (30.5.2014). 1551 Erich Kaufmann war Verteidiger im Nürnberger Wilhelmstraßen-Prozess gegen die ehemaligen Staatssekretäre. Näheres zum Auftritt Kaufmanns am 3.6.1948 konnte nicht ermittelt werden. Die Verhandlungen des sogenannten Wilhelmsstraßen-Prozesses gegen Angehörige des Auswärtigen Amts dauerten vom 6.1. bis 18.11.1948.

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ich später in Ruhe beantworten will. Ich danke Ihnen besonders für den „Gesang des Sechzigjährigen“, dieses hohe Lied menschlichen Beharrens gegenüber dem Schicksal, das uns mit Peitsche und Zügel zu zermürben droht. Herr von Schmoller schickte mir dieser Tage das Manuskript Ihrer Arbeit, in der Ihre rechtswissenschaftliche Meisterschaft sich erneut manifestiert hat. Ich werde Ihnen darüber noch schreiben. Nicht als Antwort darauf, überhaupt nicht als ein Beitrag, sondern nur als ein aperc¸u1552 schicke ich Ihnen einen Brief, den ich an H.[ellmut] Becker in der Sache seines Mandanten schrieb1553. Herzliche Grüße Ihres E. R. Huber

Nr. 196 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 25.8.1948 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198, Entwurf: Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6277 Brief, handschriftlich, Briefentwurf in Kurzschrift

Plettenberg, den 25. August 1948 Lieber Herr Huber! Ihre Darlegung über den „Widerstand in der Mitwirkung“ ist ganz ausgezeichnet, sowohl als allgemeine Betrachtung, wie auch als Herausarbeitung eines wesentlichen Gesichtspunktes für einen bestimmten Prozess. Die sozialethische Problematik des modernen Terrors ist noch niemals so konkret erfasst worden. Ich finde besonders die Stelle zur Metternich1554-Politik (am Schluss von I) hervorragend. Mich erquickt am meisten Ihre durchaus ethische Haltung, die sich gegenüber dem säkularisierten Puritaner-Moralismus weit überlegener zeigt als Zynismus, Skeptizismus oder dergleichen, wozu die Versuchung sehr nahe liegt. Es wäre überaus lehrreich zu wissen, ob ein Mann wie Karl Burckhardt1555 Ihre Darlegung kennt und etwas dazu bemerkt hat. Auf dem Soziologen-Tag in Worms soll das Thema „der mo1552

Gedankensplitter. Huber an Becker (Abschrift), 31.7.1948. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6245. Siehe Anhang IV.2. 1554 Clemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich-Winneburg (1773–1859) war als Staatskanzler von 1814 bis 1848 der Leiter der österreichischen Politik. Wolfram Siemann, Metternich. Staatsmann zwischen Restauration und Moderne, München 2010. 1555 Carl Jacob Burckhardt (1891–1974) war ein Schweizer Diplomat. 1553

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derne Terror“ gewesen sein1556. Ich glaube nicht, dass dort soviel Sachdienliches zu diesem Thema gesagt werden durfte wie | Sie es auf wenigen Seiten getan haben. Ihre, wie mir scheint[,] treffende Bemerkung „jeder Widerstand gegen den Diktator war paradoxer Weise auch ein Widerstand gegen die überwältigende Majorität des Volkes“ enthält in dem Zusatz „paradoxer Weise“ eine Konzession an gewisse, unkritische Idealisierungen der Demokratie und eine Ausserachtlassung von Erkenntnissen und Erfahrungen, die wir seit mehr als 2 Jahrzehnten mit der Massen-Demokratie in der arbeitsteiligspezialisierten, industriellen Gesellschaft gemacht haben. Hitlers Macht hatte alle Legalität und sogar die demokratische Legitimität auf ihrer Seite. Ich erlaube mir, Ihnen die Abschrift eines kleinen Aufsatzes zu schicken, den mir ein junger Jurist in rührender Weise als Beitrag zum 60. Geburtstag geschickt hat1557. Die Legalität ist ein Funktionsmodus nicht nur der modernen Bürokratie1558, sondern jeder modernen „Apparatur“, Armee und Auswärtiges Amt, sogar Industrie. Bei den Akten des I.G. Farben1559-Prozesses (Am.[erikanisches] Mil.[itär-] Gericht II1560) findet sich das | (Ihnen sicher dem Inhalt nach bekannte) Affidavit1561 Kühlmann1562, Schnitzler1563 Exhibit1564 14) in dem K.[ühlmann] aussagt, dass W. Churchill1565 ihm „mit allen Kräften zugesetzt hat, er solle 1556

Der 9. Deutsche Soziologen-Tag in Worms fand vom 9. bis zum 12.8.1948

statt. 1557

Der Name des jungen Juristen konnte nicht ermittelt werden. So u. a. Schmitt, Zugang, S. 434. Das von Max Weber hergeleitete Diktum findet sich bereits früher bei Schmitt. 1559 Die I.G. (Interessengemeinschaft) Farben wurde 1925/26 durch Umbenennung der Badischen Anilin-und Sodafabrik (BASF) und den Anschluss weiterer Unternehmen gegründet. 1560 Office of Military Government for Germany, United States (O.M.G.U.S). Ermittlungen gegen die I.G. Farbenindustrie AG. September 1945. Übersetzt und bearbeitet von der Dokumentationsstelle zur NS-Sozialpolitik Hamburg, Nördlingen 1986. 1561 Lat.: „Versicherung an Eides statt“. Hier sind die Protokolle der Anklagebehörde aus der Vernehmung von Zeugen und Auskunftspersonen gemeint. 1562 Richard von Kühlmann (1873–1948) war am Ende des Ersten Weltkriegs Staatssekretär des Äußeren und wurde 1944 nach dem Hitler-Attentat von der Gestapo verhaftet. Ralf Berg, Kühlmann, Richard von, in: Neue Deutsche Biographie 13 (1982), S. 189 f. 1563 Georg von Schnitzler (1884–1962) war promovierter Jurist und zwischen 1926 und 1945 Vorstandsmitglied des I.G.-Farben-Konzerns. 1948 wurde er wegen Kriegsverbrechen zu fünf Jahren Haft verurteilt, 1949 entlassen. Rolf Rieß (Hg.), Lilly von Schnitzler – Carl Schmitt. Briefwechsel 1919 bis 1977, in: Schmittiana. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts, NF 1 (2011), S. 113–256. 1564 Lat.: „Beweisstück“. 1558

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sich als Parteigenosse eintragen lassen“ und hinzufügte, wenn Leute wie Kühlmann sich fernhielten[,] „wie sollte da eine gemässigte Anschauung in der NSDAP zu Worte kommen oder gar die Oberhand gewinnen“.1566 Und Brierly1567 (Recueil der Haager Akad.[emie] Droit International, 1936, IV p. 117 Anm.1568) zitiert ein angeblich heute noch geltendes Gesetz von 1495 (!): sind in England zwei Könige vorhanden, einer de facto und einer de jure, so können die Untertanen, die dem de facto-König gefolgt sind, bei der Wiedereinsetzung des de jure-Königs nicht bestraft werden. Im Deutschland des Hitler-Regime[s] gab es aber nicht einmal den Schatten einer Gegen-Regierung! Ich höre, die Gördeler1569-Leute behaupteten heute, sie hätten eine Regierung gebildet. Ich habe einiges davon bei Popitz und Jessen aus nächster Nähe beobachten können und warte nur darauf, dass wir posthum auch noch Gegen-Regierungen | erleben, die von gleichem Stoff sind, wie Prof. Hans Peters als Held des deutschen Maquis1569a. Kann ich die Abschrift Ihres Briefes an D: Becker behalten? Ich hoffe, dass Sie die Möglichkeit haben, Ihre Darlegung einem grösseren Kreise zugänglich zu machen. Ich habe sie einigen Freunden gezeigt und ihre starke Wirkung feststellen können. Hier sehe ich eine für Ihre Begabung ganz spezifische grosse Möglichkeit. Dieser Eindruck erinnert mich daran, dass ein Mann wie Ott damals (1932) von Ihrem Vortrag und Ihrer Darlegungsweise aufs tiefste ergriffen war1570. Hier hoffe ich auch den Zugang zum rechten Verständnis des Teiles Ihres Werkes zu finden, die mir (wie der Aufsatz über Lessing, Klopstock und Möser1571, oder Reich, Volk und Staat in der 1565

Winston Churchill (1874–1965) war zweimal, 1941–1945 und 1951–1955, britischer Premierminister. Peter Alter, Winston Churchill (1874–1965), Stuttgart 2006. 1566 Diese Aussage findet sich auch bei [Henry Bernhard], Churchill und sein Kreis. Ein Briefwechsel mit Staatssekretär a.D. Richard von Kühlmann, in: Stuttgarter Rundschau, März 1947, S. 3–6, hier S. 5, in indirekter Rede zitiert und als mündliche Äußerung auf das Jahr 1937 datiert. 1567 James L. Brierly (1881–1955) war ein britischer Völkerrechtler. 1568 James-Leslie Brierly, Règles générales du Droit de la Paix, in: The Hague Academy of International Law, Recueil des cours 58 (1936), 4, S. 1–242, hier S. 117. 1569 Carl Friedrich Goerdeler (1884–1945) war von 1930 bis 1937 Oberbürgermeister von Leipzig und 1944 einer der Anführer der Widerstandsgruppe des 20. Juli. Als solcher wurde er verhaftet und hingerichtet. Ines Reich, Carl Friedrich Goerdeler. Ein Oberbürgermeister gegen den NS-Staat, Köln 1997. 1569a Gemeint ist der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus. 1570 Ernst Rudolf Huber, Carl Schmitt in der Reichskrise der Weimarer Endzeit, in: Helmut Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 28. Sonderseminars 1986 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1988 (= Schriftenreihe der Hochschule Speyer, 102), S. 33–50. 1571 Ernst Rudolf Huber, Lessing, Klopstock, Möser und die Wendung vom aufgeklärten zum historisch-individuellen Volksbegriff, in: Zeitschrift für die gesamte

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Reichsrechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrh.[underts] oder über den preuss.[ischen] Staatspatriotismus1572) weniger sagen. Übrigens erinnerte ich mich dieser Tage mit einer melancholischen Heiterkeit Ihrer 7 Merkmale eines „Bundes“ (in Ihrem Expose über Idee und Realität eines F.[rei-] d[eutschen] B.[undes]1573), als ich davon hörte, dass man sich in Herrenchiemsee1574 für den „Bund deutscher Länder“1575 entschieden hat. Herzliche Grüsse und Wünsche für Sie und Ihre Familie! Stets Ihr Carl Schmitt. [quer am linken Rand der vierten Seite:] Vorige Woche hat Wolfg.[ang] Siebert mich besucht, worüber ich mich sehr gefreut habe. Auch Dahm hat einen interessanten Brief geschrieben1576. Ich bitte ihn jetzt um Abschrift seines Briefes an Eb.[erhard] Schmidt.

Nr. 197 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Falkau, 23.12.1948 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6278 Brief, handschriftlich

Falkau, Schwarzwald Haus Sonnenschein 23. Dezember 48 Hochverehrter, lieber Herr Schmitt, verzeihen Sie bitte meine Säumigkeit im Schreiben! Es ist ein altes Laster, daß ich schwerfällig darin bin, Briefe, die mir auf der Seele liegen, zu PaStaatswissenschaft 104 (1944), S. 121–159. Huber hatte diesen Aufsatz Schmitt vermutlich 1944 ohne Widmung zugesandt. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 27117. 1572 Ders., Der preußische Staatspatriotismus im Zeitalter Friedrichs des Großen, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 103 (1943), S. 430–468. Huber hatte diesen Aufsatz Schmitt mit der Widmung „Mit herzlichen Grüssen E.R.H.“ zugesandt. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 27117. 1573 Siehe Anhang IV.3. 1574 Auf Schloss Herrenchiemsee tagte vom 10. bis 23.8.1948 der Verfassungskonvent der Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder, der die ersten Entwürfe und Vorlagen für das spätere Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beriet. 1575 Die Bezeichnung hätte eine Alternative zur späteren „Bundesrepublik“ sein können. Seit 1.3.1948 gab es als Vorläufer der späteren Deutschen Bundesbank die „Bank deutscher Länder“ für die drei westlichen Besatzungszonen. 1576 Gemeint sein könnte der Brief von Dahm an Schmitt vom 8.7.1948. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 2726. Hierin verteidigt Dahm Schmitt gegenüber denjenigen, die „glaubten, auch an Ihrem Werk vorübergehen zu dürfen“.

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pier zu bringen. Und die vergangenen Monate sind mir unter vielerlei Obliegenheiten unter der Hand zerronnen. Doch soll dies Jahr mit der denkwürdig-bedenkenswerten und auch bedenklichen Ziffer 481577 nicht zu Ende gehen, ohne daß ich unser briefliches Zwiegespräch wieder aufgenommen hätte. Lassen Sie mich zunächst von Herzen Dank sagen für Ihren Brief vom 25. August, der mir viel bedeutet hat. Ich habe manchem meiner Freunde Stellen daraus mitgeteilt, zum Zeichen, daß Sie auch im Exil ungebrochen auf geistigem Posten sind. „Toujours en vedette“1578. Das ist nun unsere Position, und wir sollten uns des Vorzugs dieser beharrlichen Wachsamkeit immer bewußt sein, auch wenn wir schwer daran tragen, daß uns die direkte Aktion versagt ist. Ich bin sicher, daß diese Jahre der Distanz nicht verloren sind und daß es insbesondere nichts gibt, was die vielen Spuren Ihrer Wirksamkeit zunichte machen könnte. Das Standhalten gegenüber der Übermacht wird seine Früchte tragen. Seien Sie vor allem herzlich gegrüßt zu den vor der Tür stehenden Festtagen. Ich wünsche Ihnen mit meiner Frau, daß Sie mit Frau Schmitt und Anima eine frohe und gesegnete Festzeit haben und daß Ihre Freunde Ihnen in Gedanken nahe sind in diesen stillen und erfüllten Wochen des sinkenden alten und des aufsteigenden neuen Jahres. Bei uns ist das Haus wie das Herz voll in dieser Zeit. Die drei großen Buben1579 sind aus ihrem Landschulheim in Ferien gekommen, und meine Frau wird während der Woche zwischen Weihnachten und Neujahr hier oben bei uns sein können. Sie ist sonst in ihrer Freiburger Arbeit sehr angespannt, besonders stark, seit sie im letzten August das Büro gewechselt hat. Sie ist jetzt in einer großen Industrie-Anwaltspraxis tätig, bei einer Anwältin1580, die eine bedeutende und prächtige | Frau ist – mit scharfem Verstand und warmer Menschlichkeit. Meine Frau ist erstaunlich gut in die praktische juristische Arbeit wieder hinein gewachsen, und aus ihrer Tätigkeit, die uns zunächst als eine Notlösung erschien, ist ein echter Beruf geworden, was uns beiden sehr dabei hilft, diese Zeit zu überstehen. Unsere drei älteren Söhne führen ihr eigenes Leben, bleiben aber trotz der langen Trennungszeiten dem Elternhaus zugehörig, und die Zeiten der Gemeinsamkeit sind doppelt schön für sie und für uns. Es ist schade, daß Sie die beiden älteren nicht einmal sehen können; Sie würden Freude am wachen Interesse der beiden Buben haben. Ich

1577 Anspielung auf den umstrittenen Art. 48 der Weimarer Reichsverfassung, der das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten regelte. 1578 Franz.: „immer auf dem Posten“. 1579 Konrad, Ulrich und Albrecht Huber. 1580 Maria Plum. Siehe oben Anm. 1458. Huber war vorher in der Praxis von Otto Rieß und Gabriele Krebs tätig.

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werde Ihnen in diesen Ferien „Land und Meer“ einmal zum Lesen geben und bin auf dieses geistige Abenteuer sehr gespannt. In meinen verfassungsgeschichtlichen Studien bin ich leider unter dem Druck der äußeren Lage etwas gespannt. Ich sitze jetzt über der Zeit von 1859–63, der Vorgeschichte des Frankfurter Fürstentags1581 mit der interessanten Figur Biegelebens1582 im Mittelpunkt. Durch einen Zufall kam mir eine Verteidigungsschrift1583 des obskuren Eisenbahngründers Strousberg1584 in die Hand, mit einer herrlichen Charakteristik des Abgeordneten Lasker1585. Eycks Buch über die Zeit Wilhelms II.1586 ist leider weniger ergiebig, als ich gehofft hatte1587. Daneben hat mich Nürnberg in diesen Monaten sehr beschäftigt, nicht nur der Weizsäcker-Komplex, sondern in anderm Zusammenhang auch die Nacht- und Nebelfrage1588, der Barbarossa1581 Auf dem Frankfurter Fürstentag berieten die deutschen Monarchen mit Ausnahme des preußischen Königs vom 17.8. bis 1.9.1863 über eine Reform des Deutschen Bundes. Die Passagen zu dessen Vorgeschichte und Geschichte („Der Kampf um die Bundesreform“) finden sich bei Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 378–435. Bd. 3 erschien erst 1963. 1582 Ludwig von Biegeleben (1812–1872) stand als Diplomat zunächst im Dienst des Großherzogtums Hessen-Darmstadt, seit 1850 wirkte er für Österreich. Taras Borodajkewycz, Biegeleben, Ludwig Freiherr von, in: Neue Deutsche Biographie 2 (1955), S. 224 f. 1583 Eventuell seine Memoiren: [Bethel Henry Strousberg], Dr. Strousberg und sein Wirken von ihm selbst geschildert, Berlin 1876, S. 95–117. Kapitel 3: „Der Abgeordnete Lasker und sein Auftreten gegen mich.“ 1584 Bethel Henry Strousberg (1823–1884) finanzierte als Unternehmer den Eisenbahnbau, vor allem in Preußen. Joachim Borchart, Der europäische Eisenbahnkönig Bethel Henry Strousberg, München 1991. 1585 Eduard Lasker (1829–1884) war einer der führenden linksliberalen Politiker im Reichstag und Kritiker von Strousbergs Eisenbahnfinanzierung. Rosemarie Schuder, Der „Fremdling aus dem Osten“. Eduard Lasker. Jude, Liberaler, Gegenspieler Bismarcks, Berlin 2008. 1586 Erich Eyck, Das persönliche Regiment Wilhelms II. Politische Geschichte des deutschen Kaiserreiches von 1890 bis 1914, Erlenbach-Zürich 1948. 1587 Ernst Rudolf Huber, Das persönliche Regiment Wilhelms II. (Bemerkungen zu: Erich Eyck, Das persönliche Regiment Wilhelms II. Politische Geschichte des deutschen Kaiserreiches von 1890–1914), in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 3 (1951), S. 134–148. Es handelt sich um eine von drei Buchbesprechungen Hubers nach 1945. Den Aufsatz hat er später erweitert und überarbeitet publiziert, u. a. in seinem Sammelband „Nationalstaat und Verfassungsstaat“, S. 224–248. 1588 Das war die bei den Nürnberger Prozessen geläufige Bezeichnung für den Führererlass vom 7.12.1941 („Richtlinien für die Verfolgung von Straftaten gegen das Reich oder die Besatzungsmacht in den besetzten Gebieten“), nach dem Zivilisten, die eines Verbrechens gegen das Deutsche Reich beschuldigt wurden, ohne weitere Untersuchung hingerichtet oder in ein Konzentrationslager verschleppt wurden. Lothar Gruchmann, „Nacht- und Nebel“-Justiz. Die Mitwirkung der Straf-

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Kriegsgerichts-Erlaß1589, der Terroristenerlaß1590 und anderes Material, das im OKW-Prozeß1591 gegen den trefflichen General Lehmann1592 vorgelegt wurde. Das Problem des Gegen-Terrors ist fast noch interessanter als das Terrorproblem; die ganze heillose Verstrickung unserer Zeit wird an ihm offenbar. Vor einigen Monaten besuchte mich Giese1593, ein wahres Prachtexemplar von harmloser Biederkeit und Betriebsamkeit. Es war mir erfreulich zu hören, wie anständig er über Sie sprach. Weniger erfreulich war mir eine zufällige und unerwünschte Begegnung mit dem Staatssekretär Strauß1594, dem Leiter | des Frankfurter Rechtsamts, CDU1595-Abgeordneter in Bonn, ein alter Anschütz-Schüler, der von gefährlichem Ressentiment erfüllt ist. Sein Einfluß in Frankfurt und Bonn scheint erheblich zu sein, und er nimmt ihn mit routinierter, aber auch substanzloser Dialektik wahr. Einen ausgezeichneten fachlichen und menschlichen Eindruck hatte ich dagegen von dem fränkischen CSU-Führer Haußleiter1596, der unserer Parteien-Demokragerichte an der Bekämpfung des Widerstandes in den besetzten westeuropäischen Ländern 1942–1944, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 29 (1981), S. 342– 396. 1589 Der Erlass über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet „Barbarossa“ und über besondere Maßnahmen der Truppe vom 13. Mai 1941 ordnete die sofortige Exekution von Kriegsverbrechern an. Felix Römer, „Im alten Deutschland wäre solcher Befehl nicht möglich gewesen.“ Rezeption, Adaption und Umsetzung des Kriegsgerichtsbarkeitserlasses im Ostheer 1941/1942, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 56 (2008), S. 53–99. 1590 Welcher Erlass gemeint ist, konnte nicht geklärt werden. Vielleicht meinte Huber den Erlass, der die Ermordung von Kriegsgefangenen anordnete, die für die Alliierten zum Einsatz kamen. 1591 Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945/46 wurde auch das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) angeklagt, d.h. etwa 130 Wehrmachtsoffiziere. 1592 Rudolf Lehmann (1890–1955) wurde als Generaloberstabsrichter und Leiter der Rechtsabteilung des Oberkommandos der Wehrmacht als Kriegsverbrecher zu sieben Jahren Haft verurteilt, aber bereits 1950 entlassen. Norbert Haase, Generaloberstabsrichter Dr. Rudolf Lehmann, in: Gerd R. Ueberschär (Hg.), Hitlers militärische Elite. Bd. 1, Darmstadt 1998, S. 154–161. 1593 Friedrich Giese war seit 1946 als Professor in Frankfurt am Main emeritiert worden. 1594 Walter Strauß (1900–1976) war 1948/49 Leiter des Rechtsamtes in der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebiets. Danach wurde er Mitglied des Parlamentarischen Rates (1948/49) und von 1949 bis 1963 Staatssekretär im Bundesjustizministerium. Für den Bundestag kandidierte Strauß 1949 allerdings vergeblich. Friedemann Utz, Preuße, Protestant, Pragmatiker. Der Staatssekretär Walter Strauß und sein Staat, Tübingen 2003 (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, 40). 1595 Die Christlich-Demokratische Union ist eine 1945 gegründete konservativchristliche Volkspartei.

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tie mit viel Kritik und Selbstkritik begegnet. Auch mit Scheuner traf ich einmal zusammen; es scheint mir, daß er spezifische Qualitäten entwickelt in dieser Zeit, die auch für ihn nicht leicht ist1597. In Freiburg sehe ich Grewe gelegentlich; er erweist sich in seiner norddeutschen Ruhe1598 und Sachlichkeit, als ein in jeder Hinsicht ausgezeichneter Mann. Seine Arbeit über das Besatzungsstatut1599 wird Ihnen zu Gesicht gekommen sein. Er hat mit Herrn v. Schmoller in Tübingen guten Kontakt. Ihre Niederschrift über Nürnberg habe ich übrigens im letzten Sommer gleich an Hellmut Becker nach Nürnberg gesandt. Ich hoffe, daß er sie für die Weizsäcker-Verteidigung verwertet hat. Sein Schluß-Plaidoyer ist für den juristischen Geschmack vielleicht etwas zu essayistisch gehalten – wahrscheinlich aber in dieser indirekten juristischen Argumentation wirksam für die Mentalität des amerikanischen Gerichtshofs. „Uebergesetzlicher Notstand“ und „Pflichtenkollision“ bilden im Zusammenhang mit „Widerstand durch Mitarbeit“ den Kern seiner Verteidigung. Ob er sich damit durchsetzen wird, ist mir zweifelhaft; die amerikanische Justiz wird sich schwerlich einen Angeklagten Nr. 1 entgehen lassen. Das Urteil von Tokio1600 zeigt, daß die wachsende Einsicht in die Gerichtshöfe noch nicht vorgedrungen ist; doch kündet sich in den dissenting opinions1601 der unausweichliche dialektische Umschlag an. Übrigens ist es aufschlußreich die Tokioter Charta1602 mit der von Nürnberg zu vergleichen1603; General Mac Arthur1604, der sie erlassen hat, hat wesentlich mehr Gefühl für das unab1596 August Haußleiter (1905–1989) war 1948/49 stellvertretender Vorsitzender der CSU, danach Gründer der rechtsextremen Deutschen Gemeinschaft. 1979 war er Mitgründer und wurde einer der Vorsitzenden der Partei „Die Grünen“. 1597 Scheuner war von 1947 bis 1949 beim Zentralbüro des Evangelischen Hilfswerks in Stuttgart tätig, bevor er 1950 an die Universität Bonn berufen wurde. Martin Otto, Vom „Evangelischen Hilfswerk“ zum „Institut für Staatskirchenrecht“: Ulrich Scheuner (1903–1981) und sein Weg zum Kirchenrecht, in: Thomas Holzner/ Hannes Ludyga (Hg.), Entwicklungstendenzen des Staatskirchen- und Religionsverfassungsrechts. Ausgewählte begrifflich-systematische, historische, gegenwartsbezogene und biographische Beiträge, Paderborn u. a. 2013, S. 551–570. 1598 Grewe war gebürtiger Hamburger. 1599 Das in Washington am 10.4.1949 von den drei Westalliierten beschlossene Besatzungsstatut regelte die Kompetenzabgrenzung zwischen der künftigen deutschen Bundesregierung und der Alliierten Hohen Kommission. 1600 Das Urteil des Internationalen Militärgerichtshofs für den Fernen Osten gegen Angehörige der japanischen Armee erging am 12.11.1948. Philipp Osten, Der Tokioter Kriegsverbrecherprozeß und die japanische Rechtswissenschaft, Berlin 2003 (= Berliner Juristische Universitätsschriften: Strafrecht, 16). 1601 Engl.: „abweichende Meinungen“. 1602 Nach dem Statut des Internationalen Militärgerichtshofs für den Fernen Osten wurden zwischen Mai 1946 und November 1948 die japanischen Kriegsverbrecher verurteilt.

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dingbare Minimum rechtsstaatlicher Garantien gezeigt als die Verfasser des Nürnberger Statuts. Forsthoff schrieb mir sehr angeregt über das Zusammensein mit | Ihnen in Burgbrohl1605. Ich habe eine gute und zuverlässige Verbindung mit ihm1606. Karl Lohmann besuchte mich im vergangenen Frühjahr; er ist treu und zugehörig wie in alter Zeit. Sehr bekümmert bin ich über die schwere Krankheit des armen Benno Ziegler1607. Er wäre, bei vollen Kräften, ein Fels in dieser chaotischen Zeit. Ihnen und Frau Schmitt sehr herzliche Grüße und viele gute Wünsche für das kommende Jahr, auch von meiner Frau Getreulich Ihr Ernst Rudolf Huber

Nr. 198 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 10.1.1949 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Plettenberg, den 10. Januar 1949. Lieber Herr Huber! Ihr Brief vom 23. Februar1608 traf vor Sylvester hier ein. Ich habe mir viele schöne und lange Antworten überlegt, um wenigstens einen Teil dessen zu schreiben, was ich Ihnen erzählen möchte und dessen Mitteilung an Sie mir am Herzen liegt. Aber dann kam Besuch, ein sehr schöner und interessanter 1603

Rechtsgrundlage der Nürnberger Prozesse war das von den Alliierten erlassene Londoner Statut vom 8. August 1945. Es stellte Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen gegen den Frieden unter Strafe. 1604 Douglas MacArthur (1880–1964) war Oberbefehlshaber der amerikanischen Truppen im Pazifik während des Zweiten Weltkriegs und danach Statthalter der USA in Japan. 1605 Forsthoff und Schmitt trafen sich Ende November 1948 in Burgbrohl, etwa dreißig Kilometer nordwestlich von Koblenz. Briefwechsel Forsthoff-Schmitt, Nr. 21, 22, S. 49 f. 1606 Huber und Forsthoff pflegten zwischen 1945 und 1961 eine intensive Korrespondenz. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 197. 1607 Die erwähnte Krankheit war offenbar ernster als Huber vermutete, denn Ziegler verstarb 1949. 1608 Ein Irrtum; gemeint war der Brief vom 23. Dezember 1948.

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Besuch[,] Hans Schneider aus Göttingen, mit dem ich u. a. auch über das neue Buch Rolf Stödters1609 und die „normative Kraft des Faktischen“1610 sprach, die ohne – alte oder neue – Institutionen doch nicht vorstellbar ist. Jetzt, Anfang der Woche, ergibt sich für mich die Notwendigkeit einer Reise nach Hamburg1611, sodass ich wieder keine Sammlung für einen wirklichen, eine Antwort an Ihren Brief darstellenden, eigenen Brief habe. Den in solchen Drangsalen naheliegenden Wunsch, Sie zu sehen und mit Ihnen zu sprechen, kann ich nicht unterdrücken, obwohl ich die Schwierigkeiten kenne, die ihm entgegenstehen. Aber ich fürchte, ich muss Sie um Geduld und Vertagung bitten, weil diese Zeilen nicht viel mehr als eine Empfangsbestätigung und eine Erwiderung Ihrer Wünsche sind, welche Erwiderung, Ihnen, Ihrer Frau und Ihren Söhnen gilt, von denen ich aus Ihrem Brief zu meiner grossen Freude soviel erfahren habe, | dass ich mir eine Vorstellung machen kann, nachdem Karl Lohmann mir bei seinem Besuch im Oktober schon davon erzählt hatte. Auf den Eindruck von „Land und Meer“, das ja schliesslich einem Mädchen1612 erzählt ist, bin ich gespannt. Die Themen „Verfassung“ und „Nürnberg“ beschäftigen und erfüllen mich so, dass ich nicht davon beginnen möchte, wenn nicht Zeit und Sammlung zu einem intensiven Gespräch gegeben ist. Ich bin Ihnen für jede Zeile Ihrer Mitteilungen dankbar und auch für jede künftige Zeile. Auch für jede Mitteilung über Ihre wissenschaftliche Arbeit, insbesondere Ihre Verfassungsgeschichte. Angesichts des Art. 143 des Bonner Entwurfs (Beamtenrechte)1613 habe ich gleich an Sie gedacht. Bei dem Gespräch mit H.[ans] Schneider über „die normative Kraft des Faktischen“ haben wir beide eine Stellungnahme von Ihnen zu dieser Redensart in der Erinnerung gehabt, aber nicht mehr finden und verifizieren können. Wo könnte sie stehen?1614 Den Pressedienst1615 lese ich mit lebhaftester Teilnahme, wobei

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Rolf Stödter, Deutschlands Rechtslage, Hamburg 1948. Georg Jellinek hat im Jahr 1900 diese Formel geprägt, die ausdrückt, dass durch die tatsächliche Entwicklung ein Zustand geschaffen wird, den das geltende Recht schließlich anerkennt. 1611 Hintergrund dieser Reise könnten Gespräche Schmitts mit Rolf Stödter und Hans Peter Ipsen über neue Tätigkeiten gewesen sein. Mehring, S. 465. 1612 Seiner Tochter Anima. 1613 Nach Art. 143a, Abs. 1 des Grundgesetzes können Beamte durch Gesetz einer „privat-rechtlich organisierten Eisenbahn des Bundes zur Dienstleistung zugewiesen werden“. 1614 Ernst Rudolf Huber, Friedrich Christoph Dahlmann und die deutsche Verfassungsbewegung, Hamburg 1937, S. 34. 1615 Pressedienst für undoktrinäre Politik. UNDO. Die deutsche Wirklichkeit in Artikeln, Glossen und Informationen, [hg. v. Ulrich Majewski], Jg. 1, Hamburg 1948/49. 1610

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ich mich natürlich am meisten freue, wenn ich Ihrer Handschrift oder sogar, wie neulich, Ihrem Namen begegne1616. In diesen letzten Wochen sind einige Todesanzeigen gekommen, die auf mich in meinen Jahren und meiner Wehrlosigkeit wie Voranzeigen von Vorgängern wirken, darunter G. A. Walz und Benno Ziegler. Ob jemand den Mut hat, Walz in der Öffentlichkeit gerecht zu werden?1617 Die Nachricht vom Tode Zieglers erhielt ich kurz nach Ihrem Brief, in dem Sie ihn schön und treffend gekennzeichnet haben. So werden wir zur Strecke gebracht, Walz mit 50 Jahren. Ecce quomodo moritur justis, et nemo considerat1618. Wir wollen aber doch eine christliche consideratio1619 nicht unterlassen. Ich füge eine Notiz1620 aus dem Camp1621 bei1622, die vor einiger Zeit unter der Hand zirkulierte und die Sie vielleicht kennen. Heute schicke ich sie Ihnen; Sie werden sie nicht falsch verstehen. Mit herzlichen Grüssen und Wünschen von allen in Ihr ganzes Haus, immer Ihr alter Carl Schmitt

Nr. 199 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Anger, vor 26.8.1949 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6279 Brief, handschriftlich, Notiz von Schmitt: „26 / 8 49 erhalten“

1616 Ernst Rudolf Huber veröffentlichte zahlreiche Beiträge im Pressedienst. Eine Auswahl von 14 anonym erschienenen Stücken findet sich in Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 546. 1617 Gustav Adolf Walz war 1945 aus dem Hochschuldienst entlassen worden und starb nach einem Aufenthalt in einem französischen Internierungslager am 17.12.1948. Ein Nachruf auf ihn konnte nicht ermittelt werden. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 262 f., bes. Anm. 105. 1618 Lat.: „Siehe wie ein Gerechter stirbt, und niemand merkt es“. Das Zitat stammt aus der mittelalterlichen Liturgie zum Tod Johannes des Täufers. Es findet sich im Zusammenhang mit dem Tod von Walz auch in Schmitt, Glossarium, S. 211 (20.12.1948). 1619 Lat.: „Betrachtung, Erwägung“. 1620 Um welche Notiz aus dem Internierungslager es sich handelte, konnte nicht geklärt werden. 1621 Schmitt verbrachte seine Haft ab dem 26.9.1945 in einem Interrogation Center in Berlin-Wannsee, dann seit 31.10.1945 in einem Internierungslager in BerlinLichterfelde-Süd, schließlich von Anfang 1946 bis zum 10.10.1946 in einem Civilian Detention Camp am Wannsee. Mehring, S. 442–445. 1622 Beigefügt war ein 12seitiges Schreibmaschinen-Manuskript „Ex Captivitate Salus“ mit der Notiz auf dem ersten Blatt oben links: „Für Ernst Rudolf Huber zur Erinnerung an C.S. Weihnachten 1948“.

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z. Zt. Anger bei Bad Reichenhall1623 Gasthaus Alpenhof Sehr verehrter, lieber Herr Schmitt, in meinen Ferienort, ein kleines Dorf am Rand der bayrischen Alpen, wurde mir Ihr Aufsatz über Francisco de Vitoria1624 nachgesandt. Ich bin sehr glücklich über diese erste Wiederbegegnung mit einem gedruckten Dokument Ihrer literarischen Wirksamkeit. Seien Sie von Herzen bedankt für diese Zusendung und haben Sie viele gute Wünsche zu diesem Wiederbeginn, der in so vielem eine schöne Wiederanknüpfung1625, zugleich aber eine produktive Weiterführung ist. Ihre geistige Handschrift ist – trotz aller Wirrsale der Zeit – die gleiche geblieben. Ihr Aufsatz erscheint mir als ein bedeutender Beitrag zu dem Kernproblem unserer anarchischen Zeit1626, und ich bin besonders berührt von dem, was Sie am Schluß über die „Heterogonie der Intentionen“ sagen. Das Risiko der „heterogenen Verwertung“ ist offenbar das spezifische Wagnis jeder Erkenntnis, gegen das es keinen Schutz gibt1627. Moraltheologie und Jurisprudenz scheinen ihm in besonderer Weise ausgesetzt zu sein. Ich muß Sie sehr um Entschuldigung bitten, weil ich Ihnen während eines ganzen Jahres nicht geschrieben habe. Sie werden es mir nicht als Treulosigkeit ausgelegt haben. Ich habe mich in diesem Jahr in der Einsiedelei des Schwarzwalds sehr zurückgehalten, und einige kleine Exkursionen in die lautere | Umwelt waren nicht immer ermutigend. Wir haben uns dann doch entschlossen, die Gelegenheit wahrzunehmen, nach Freiburg überzusiedeln. Wir wohnen seit Anfang Juli nun wieder in der Stadt1628 und stellen uns langsam im Äußeren auf eine „bürgerliche Existenz“ um. Meine Frau geht weiter ihrer Berufsarbeit nach. Sie ist seit einem Jahr in einer ausgezeichneten Freiburger Anwaltspraxis tätig; sie ist dort ganz in ihrem Element, da sie viel mit interessanten wirtschaftsrechtlichen Fragen beschäftigt ist. Unsere beiden älteren Söhne1629 lassen wir auf dem Birklehof, die drei kleineren1630 werden 1623 Die oberbayerische Gemeinde Anger liegt knapp zehn Kilometer nördlich von Bad Reichenhall. 1624 [Carl Schmitt], Francisco de Vitoria und die Geschichte seines Ruhmes, in: Die Neue Ordnung 3 (1949), S. 289–313. Der Aufsatz erschien anonym. 1625 Der Aufsatz war die Veröffentlichung eines Vortrags, den Schmitt im Mai 1944 in Lissabon und im Juni 1944 in Madrid gehalten hatte. Benoist, S. 129. 1626 Diese Deutung ist eigentümlich, denn im Mai 1949 war die Bundesrepublik Deutschland gegründet worden. 1627 Schmitt, Vitoria, S. 313. 1628 Die Familie Huber wohnte nahe der Universität in der Schwimmbadstraße, im Stadtteil Wiehre südlich des Hauptbahnhofs, benannt nach dem an ihrem südlichen Ende gelegenen Lorettobad.

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in Freiburg zur Schule gehen. Konrad, der Älteste, in dem sich die all-roundBegabung seiner Mutter fortsetzt, ist schon in Obersekunda. Gerhard, der vierte, fängt mit der Sexta an1631; man sieht, wie man alt wird. Meine eigene Arbeit ist weniger konzentriert als in den ersten Jahren nach der Kapitulation. Von einigen interessanten Gelegenheitsarbeiten1632, die ich hinter mir habe, könnte ich Ihnen nur mündlich berichten. Erzählen möchte ich Ihnen von einigen Begegnungen, erfreulichen und unerfreulichen. Zu den erfreulichen würde ein Besuch von Erich Kaufmann gehören, mit dem ich mich lange ausgesprochen habe, unter anderem über die in Gründung begriffene Staatsrechtslehrervereinigung1633. Ich habe ihm gesagt, daß ich keinerlei Wert darauf lege, der Vereinigung anzugehören, solange eine Diskussion über die Frage der „politischen Belastung“ geführt wird. Ich habe daher sehr die von Grewe verfochtene Ansicht unterstützt, die Vereinigung streng formal auf diejenigen zu beschränken, die in einem Lehramt | stehen, weil mir scheint, daß so am ehesten neue persönliche Diskriminierungen vermieden werden können1634. Im übrigen scheint mir die Lage der im Lehramt stehenden Staatsrechtler nicht beneidenswert. Substantielle Freiheit gibt es unter einer Okkupations-Diktatur nur außerhalb aller offiziösen Positionen. Mit meiner Frau genieße ich seit 10 Tagen die Freiheit der Berge. Wir waren zuletzt auf dem Hohen Göll1635, einem der herrlichen Berchtesgadener Gebirgsstöcke, hoch über Hitlers „Adlerhorst“1636, an dessen sonderbar enthusiastische Beschreibung1637 durch Francois-Poncet1638 Sie sich erinnern werden. Wenn uns das Wetter treu bleibt, wollen wir in den nächsten 1629

Konrad und Ulrich. Albrecht, Gerhard und Wolfgang. 1631 Obersekunda entspricht der Klasse 11, Sexta der Klasse 5. 1632 Huber veröffentlichte seine ersten kleinen Aufsätze mit dem Kürzel „U.M.“ im „Archiv des öffentlichen Rechts“ ab 1949. Huber-Simons/Huber, Bibliographie, S. 398 f. 1633 Die Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer hatte 1933 faktisch aufgehört zu existieren; 1938 wurde sie aufgelöst. 1949 fand die erste Nachkriegstagung der wieder gegründeten renommierten Vereinigung statt. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 311–315; ders., Die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. Bemerkungen zu ihrer Geschichte, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 80 (1997), S. 339–358, hier S. 346–355. 1634 Die Vereinigung entschied sich dafür, zunächst nur die auf ein akademisches Lehramt Berufenen aufzunehmen. 1635 Der Hohe Göll liegt mit 2.522 Metern in der Nähe des Watzmanns in den Berchtesgadener Alpen, rund sechs Kilometer südöstlich von Berchtesgaden. 1636 Gemeint ist das Kehlsteinhaus auf 1.820 Meter Höhe im Gebiet des Obersalzbergs, auf dem die NSDAP 1938 ein Alpengasthaus errichtete, das sie 1939 Adolf Hitler schenkte. Die Bezeichnung „Eagle’s Nest“ stammte von den Amerikanern. 1630

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Tagen noch auf den Watzmann1639. Ich fahre von hier aus dann für eine Woche nach Frankfurt, um mich mit einer arbeitsrechtlichen Sache1640 zu beschäftigen. Ich habe hier oben in Jüngers „Strahlungen“ gelesen und bin sehr berührt von der Problematik der literarischen Form des Tagebuchs. Gerade in einem Fall, in dem diese Form mit soviel Meisterschaft gehandhabt wird, ist mir zweifelhaft, ob sie eine adäquate Form der Mitteilung ist. Die Sachlichkeit der Aussage wird durch die schonungslose Indiskretion, die zum Wesen des Tagebuchs gehört, auf eine paradoxe Weise zugleich erhellt und getrübt. Lassen Sie mich diesen Terminbrief beenden: ich schreibe an einem wakkelnden Tisch und mit einer durch das Klettern im Fels etwas ungelenk gewordenen Hand. Ihnen und Frau Schmitt sehr herzliche Grüße, auch von meiner Frau Getreulich Ihr Ernst Rudolf Huber

Nr. 200 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 10.12.1949 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, Notiz von Huber: „beantw.[ortet] 7-2-50“

Plettenberg II 10/XII 49 Lieber Herr Huber! Ihren Brief von Ende August (aus Anger bei Bad Reichenhall) habe ich oft in diesen letzten Monaten beantworten wollen. Aber der Anlauf blieb immer stecken, sei es in der Fülle des zu schreibenden Stoffes, sei es in äußerlichen Hemmungen, an denen es nicht fehlte. Ich nehme jetzt wieder ei1637

André Franc¸ois-Poncet, Als Botschafter in Berlin 1931–1938, Mainz 1947, S. 348 f. Der französische Botschafter vergleicht den „Adlerhorst“ u. a. mit dem Berg Athos. 1638 André Franc ¸ ois-Poncet (1887–1978) bekleidete zwischen 1931 und 1938 den Posten des französischen Botschafters in Berlin. Danach wirkte er als Botschafter in Italien. Zwischen 1949 und 1953 war er als französischer Hoher Kommissar in Deutschland tätig. Claus W. Schäfer, André Franc¸ois-Poncet als Botschafter in Berlin (1931–1938), München 2004 (= Pariser Historische Studien, 64). 1639 Der Watzmann ist mit 2.713 Metern die höchste Erhebung der Berchtesgadener Alpen und damit der höchste Berg Deutschlands außerhalb des Wettersteingebirges mit der Zugspitze. 1640 Huber war seit Ende der vierziger Jahre wiederholt, allerdings unregelmäßig als Gutachter für Firmen in Fragen des Wirtschaftsrechts tätig.

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nen Anlauf, und hoffe, daß ich Ihnen wenigstens meine Weihnachtswünsche für Sie und Ihre Familie zum Ausdruck bringen kann, damit Sie nicht etwa meinen, ich hätte mich über Ihren Brief nicht gefreut und die fortwährende gedankliche Unterhaltung mit Ihnen hätte gestockt. Beides ist nicht der Fall. Insonderheit auch das letztere wäre ja wirklich unwahrscheinlich, angesichts dessen, was wir in diesen Monaten mit dem Bonner Grundgesetz erleben1641, auch angesichts der permanenten 50–50% Situation in zahlreichen wichtigen Kommunalvertretungen hier in der britischen Zone, dazu beamten-[,] betriebsräte- und andere[n] sozial- und verfassungsrechtlichen Fragen, die einen oft fatal an den Aus- | spruch von Kirchmanns1642 erinnern, daß der Jurist zum Wurm im faulen Holze1643 wird, was eine gewisse üppig wuchernde Gutachtenpraxis zu bestätigen scheint. Ich hoffe, daß es Ihnen an Ihrem neuen Wohnsitz gut gefällt und Ihre Arbeit gut weitergeht. Ganz besonders habe ich mich gefreut, daß Ihr Sohn Konrad die all-round-Begabung seiner Mutter weiterführt. Das ist etwas Wunderbares. Ich erlebe es – mit den Modifikationen, die sich von selbst verstehen – an meiner Tochter Anima, die jetzt auf Unterprima1644 ist und sich ihrer Begabung freut, ohne noch zu ahnen, welchen Haß sie bei den Unbegnadeten hervorrufen wird, wenn die Schule aufhört und das Leben beginnt. Sie haben mir eine freundliche Bemerkung zu meinem Vitoria-Aufsatz geschrieben. Aber Sie kennen ja wohl auch das weitere Schicksal dieses meines etwas naiven Versuches, mit einem sorgfältig überlegten, fachlichen Aufsatz in Deutschland Interesse zu finden, nachdem die Dominikaner in Walberberg1645 mir ein Asyl gegeben hatten1646. Die Asylschändung, die 1641 Carl Schmitt veröffentlichte zwei Stellungnahmen zu den Beratungen und zum Grundgesetz unter dem Pseudonym des befreundeten Reichsbahnbeamten Werner Haustein (1894–1959), „Präsident Dr. Haustein“: Haustein, Gegenwartsfragen der Verfassung, in: Der Eisenbahner 2,3 (1949), S. 65 f., sowie ders., Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, in: ebd., S. 194 f., 241 f., 266 f. 1642 Julius von Kirchmann (1802–1884) war Staatsanwalt in Berlin und Kommentator des preußischen Zivilgesetzbuches. Später wurde er Vertreter der Fortschrittspartei im preußischen Abgeordnetenhaus und im Reichstag. Friedbert Holz, Kirchmann, Julius Hermann von, in: Neue Deutsche Biographie 11 (1977), S. 654 f. 1643 Julius von Kirchmann, Ueber die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Ein Vortrag, gehalten in der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, Berlin 1848, S. 17. Das vollständige Zitat lautete: „Die Juristen sind durch das positive Gesetz zu Würmern geworden, die nur von dem faulen Holze leben [. . .] drei berichtigende Worte des Gesetzgebers und ganze Bibliotheken werden zu Makulatur“. 1644 Klasse 12. 1645 Die Provinz Teutonia des Dominikanerordens kaufte 1924 die mittelalterlicher Burg Rheindorf bei Walberberg, gelegen zwischen Köln und Bonn. Zwischen 1934 und 1974 befand sich hier die Albertus-Magnus-Akademie, die als Philosophisch-Theologische Hochschule der Dominikaner diente.

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sich | der Freiherr von der Heydte1647 leisten durfte1648, ohne daß auch nur ein einziger Mensch in Deutschland daran etwas auszusetzen hatte, ist für mich zu einer wichtigen Erfahrung geworden. Ich werde sie in die Reihe der bisherigen Erfahrungen einfügen. Es tut mir nur leid wegen der guten Patres in Walberberg, die nun als die Asylgeber mit betroffen sind, was für mich unendlich peinlich ist und es mir zur Pflicht macht, weiter zu wandern und ein andres Asyl zu suchen, obwohl sie sich mutig und männlich vor mich gestellt haben. Aber ich bin bisher niemand zur Last gefallen und möchte das auch auf meinen alten Tag nicht tun. Was Sie zu Jüngers Tagebuch schreiben (daß dieses eine „nicht adäquate Form der Mitteilung“ ist)[,] trifft besonders für mitgeteilte Gesprächs- und Brief-Fetzen zu. Vielleicht bin ich als Jurist darin besonders empfindlich. Die intellektuelle Bildung Jüngers ist doch naturwissenschaftlich-positivistisch1649. Dessen rühmt er sich ja auch. Auf geisteswissenschaftlichem Gebiet macht er intuitiv und wie mit zweitem Gesicht verblüffende Einzelwahr- | nehmungen, deren zusammenfassende Form er auch in „Heliopolis“1650 noch nicht gefunden hat. Er hat mich vor einigen Wochen hier besucht1651, aber es ist zu keinem rechten Gespräch gekommen. Das kleine Tagebuch der Frau Jünger1652 (die Palette1653) hat unendlich mehr von der vielgenannten desinvolture1654 als die Strahlungen und die Bücher Jüngers. Erinnern Sie sich noch an Otto Kirchheimer? Er ist jetzt beim State Department in Washington1655 und besuchte mich vor 14 Tagen, wobei er mir 1646 Schmitt hielt sich 1949 auf Einladung von Prior Eberhard Welty (1902–1965) mehrfach in Walberberg auf. Mehring, S. 470–472. 1647 Friedrich August von der Heydte (1907–1994) war Assistent von Hans Kelsen in dessen Kölner Zeit 1932/33, wurde aber von Carl Schmitt nicht übernommen. Von 1935 bis 1945 war er Angehöriger der Reichswehr. Er habilitierte sich erst 1947 bei Erich Kaufmann in München. Seit 1951 hatte er einen Lehrstuhl in Mainz, seit 1954 in Würzburg. Er war in die Flick- und die Spiegel-Affäre involviert. Vanessa Conze, Das Europa der Deutschen. Ideen von Europa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientierung (1920–1970), München 2005 (= Studien zur Zeitgeschichte, 69), S. 63–71. 1648 Friedrich August von der Heydte, Francesco de Vitoria und die Geschichte seines Ruhms. Eine Entgegnung, in: Die Friedens-Warte 49 (1949), S. 190–197. 1649 Jünger hatte in Leipzig und Neapel Zoologie und Philosophie studiert. 1650 Ernst Jünger, Heliopolis. Rückblick auf eine Stadt, Tübingen 1949. 1651 Jünger und Schmitt trafen sich am 2.11.1949 in Werdohl unweit von Plettenberg. Mehring, S. 467. 1652 Gretha Jünger (1906–1960), geb. von Jeinsen, war Schriftstellerin und seit 1925 mit Ernst Jünger verheiratet. 1653 Gretha Jünger, Die Palette. Tagebuchblätter und Briefe, Hamburg 1949. 1654 Franz.: „Ungezwungenheit“. 1655 Das Außenministerium in der US-amerikanischen Hauptstadt.

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auch von der Staatsrechtslehrertagung in Heidelberg1656 erzählte. Wir waren uns einig, daß ein so großartiger Ausbruch geistiger Freiheit und gedanklicher desinvolture[,] wie wir ihn 1930/32 erlebt haben, wohl kaum wieder zu erwarten ist. Die kümmerliche Art von Restauration, die wir heute erleben, versagt grade vor dieser Hauptsache. Mein Weihnachtswunsch für mich ist ein schönes Gespräch mit Ihnen, lieber Herr Huber. Vielleicht kommt es doch einmal wieder zustande. Ich wünsche Ihnen, Ihrer verehrten Frau und Ihren Kindern ein schönes Weihnachtsfest. Frau Schmitt, die gestern aus der Klinik zurückgekehrt ist1657, schließt sich, ebenso wie Anima, meinen Wünschen herzlich an. Ich bleibe stets Ihr Carl Schmitt [am linken Rand quer:] Anfang dieses Jahres schickte ich Ihnen Ex captivitate Salus: haben Sie es erhalten oder sollte es verloren gegangen sein?

Nr. 201 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Freiburg, 7.2.1950 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6280, maschinenschriftliche Abschrift: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, zahlreiche Notizen von Schmitt in Kurzschrift

Freiburg, 7. Febr. 1950 Schwimmbadstr. 13 Lieber Herr Schmitt, Ihr Brief vom 10. Dezember war mir eine große Freude. Er kam in einer Zeit, in der ich nach einer Operation im Krankenhaus lag1658, und es hat mir sehr geholfen, in der Stille des Krankenzimmers mit Ihnen in einem so unmittelbaren Gespräch zu sein. Ich hätte Ihnen gerne eher gedankt und geantwortet, aber ich war einige Zeit ziemlich reduziert und dann in den vergangenen vier Wochen durch liegengebliebene Arbeit sehr in Anspruch genommen. 1656 Die erste Nachkriegstagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer stand unter dem Thema „Kabinettsfrage und Gesetzgebungsnotstand. Tragweite der Generalklausel Art. 19 Abs. 4 des Bonner Grundgesetzes“ und fand am 20. und 21.10.1949 in Heidelberg statt. 1657 Bei Duschka Schmitt wurde 1949 Darmkrebs diagnostiziert. Sie wurde im Oktober in der Universitätsklinik Heidelberg von dem befreundeten Arzt Richard Siebeck operiert. Mehring, S. 466. 1658 Huber wurde an einem Leistenbruch operiert. Ich danke Ulrich Huber für diesen Hinweis.

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Zusammen mit diesem Brief schicke ich Ihnen den ersten Band einer verfassungsrechtlichen Quellensammlung1659, ein Nebenprodukt meiner verfassungsgeschichtlichen Bemühungen. Die Sammlung ist vor Jahren abgeschlossen; nach vielen Schwierigkeiten des Verlegers1660 ist sie jetzt erschienen. Meine Herausgeberschaft bitte ich, diskret zu behandeln. Als ich den Vertrag abschloß, konnte ich nicht daran denken, mit meinem Namen hervorzutreten, und da das Buch seit langem ausgedruckt ist, konnte ich daran jetzt nichts mehr ändern. Auch zeigen Ihre Erfahrungen, wessen man sich auch jetzt noch gewärtig halten muß. Das Pamphlet in der „Friedenswarte“1661 habe ich gelesen. Ich glaube, Sie sollten ihm nicht zuviel Bedeutung beimessen. Exzesse dieser Art schlagen im Grunde doch auf den Urheber zurück. Ich habe den Eindruck, daß es über die Methode der intellektuellen Verunglimpfung, wie sie hier angewandt ist, unter denen, auf | die es ankommt, eine einhellige und eindeutige Meinung gibt. Es wäre vielleicht nicht einmal ein Schade gewesen, wenn der Artikel Karl Thiemes1662 in den „Frankfurter Heften“ erschienen wäre1663. Es hat vieles für sich, wenn die Denunzianten sich dekouvrieren. Das Gift muß einmal ausgeschwitzt werden. Ich nehme deshalb auch Äußerungen, wie in der „Frankfurter Denkschrift“ vom vorigen Frühjahr1664, die Ihnen bekannt sein werden, nicht tragisch. Daß Herr Merkl in Tübingen den Anlaß der geplanten Berufung Scheuners auf einen Tübinger Lehrstuhl1665 benutzt hat, um einen üblen Angriff gegen mich zu starten1666, ist 1659 [Ernst Rudolf Huber (Hg.)], Quellen zum Staatsrecht der Neuzeit. Bd. 1: Deutsches Verfassungsrecht im Zeitalter des Konstitutionalismus (1806–1918), Tübingen 1949. Der Band erschien anonym. 1660 Der spätere Matthiesen-Verlag wurde 1892 von Emil Ebering in Berlin gegründet und von Marius Matthiesen nach dem Krieg zunächst in Tübingen fortgeführt, bevor er später nach Lübeck und 1975 nach Husum übersiedelte. 1661 Gemeint ist der Aufsatz von Friedrich August von der Heydte. Siehe oben Anm. 1648. 1662 Karl Thieme (1902–1963) war ein deutscher Historiker, Politikwissenschaftler und Theologe, der 1935 in die Schweiz emigrieren musste und seit 1947 eine Professur für europäische Geschichte, Philosophie und Deutschtumskunde in Mainz innehatte. Gemeint war der Artikel: Karl Thieme, Carl Schmitts Apologie, in: Deutsche Universitäts-Zeitung, 17.11.1950, S. 18. 1663 Stattdessen erschien eine redaktionelle Mitteilung in: Frankfurter Hefte 4 (1949), S. 985. 1664 Möglicherweise ist die Denkschrift der drei Militärgouverneure vom 2. März 1949 an den Parlamentarischen Rat gemeint. Hierin wurde eine Überprüfung des Grundgesetz-Entwurfs gefordert. Ernst Rudolf Huber (Hg.), Quellen zum Staatsrecht der Neuzeit. Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente der Gegenwart (1919–1951), Tübingen 1951, S. 210–214. 1665 Scheuner lehrte von 1950 bis 1972 in Bonn. In Tübingen wurde 1951 Hans Schneider berufen.

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mir im Grunde nur Scheuners wegen fatal. Im Zusammenhang mit der Staatsrechtslehrer-Tagung hat sich offenbar gezeigt, daß der Kreis der Kollegen von loyaler Gesinnung größer ist, als bisher anzunehmen war. Daß Erich Kaufmann aus persönlichen Motiven1667, die ich nicht zu durchschauen vermag, an seiner unversöhnlichen Haltung Ihnen gegenüber festhält, werden Sie wissen. Im übrigen aber habe ich den Eindruck, daß Kaufmann sich untadelig verhält. Er hat mich im vorigen Sommer in Falkau einmal besucht. Ich bin jetzt aufgefordert worden1668, an der Festschrift für ihn1669 mitzuarbeiten, und ich möchte mich dem nicht entziehen1670. Ich habe vor, einen verfassungsgeschichtlichen Aufsatz beizusteuern und mich damit im relativ neutralen Vorfeld der eigentlichen Probleme zu halten. | Wichtiger wäre es gewiß, in die Auseinandersetzung mit den aktuellen Verfassungs- und Verwaltungsstreitfragen einzutreten. Die vordergründige Kampflage ähnelt in einer gespenstischen Weise den Endjahren des Weimarer Systems, und auch der substantielle Untergrund ist der gleiche, da ja auch schon damals das scheinbar Aktuelle nur ein Reflex der sich vorbereitenden Auseinandersetzung zwischen Osten und Westen war. Die Chance, das Gesetz des Handelns für die Mitte zu gewinnen, für die wir unsere Existenz aufs Spiel gesetzt haben, ist verloren, und wird nicht wiederkehren. Europa hätte nicht anders als durch ein hegemoniales System zu einer dritten Position werden können. Seit der Existentialismus eine makabre Modesache geworden ist, ist es mißlich geworden, davon zu reden. Doch frage ich mich zuweilen, ob Ihre Art der Rechts- und Staatslehre nicht im Grunde ein Ausdruck existentiali1666 Merkl hatte am 27.11.1949 an Hans Peters geschrieben, es gebe eine „moralische Pflicht [. . .], einem weiteren Vordringen des Nazismus an den deutschen Hochschulen [. . .] zu begegnen“. Huber habe sich „durch das wiederholte Bekenntnis zum KZ als Gewahrsam für die ‚Staatsfeinde‘ [. . .] und gut ein Dutzend andere derartige Bekenntnisse selbst für die Aufnahme in die Vereinigung der Staatsrechtslehrer unmöglich gemacht“. Bundesarchiv Koblenz, N 1220, Nr. 67. Grothe, Angelegenheit, S. 988. 1667 Schmitt hatte sich nach 1933 aus offensichtlich antisemitischen Motiven vehement von Kaufmann distanziert. Mehring, S. 314. 1668 Am 4.6.1950 zog Hermann Jahrreiß in einem Schreiben an Huber diese Aufforderung zurück, weil der spätere Kanzleramtschef Hans Globke (1898–1973) zu bedenken gegeben hatte, dass eine Beteiligung Hubers an der Festschrift eine Belastung für Kaufmann sei und ihm schaden würde. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 189. 1669 Um Recht und Gerechtigkeit. Festgabe für Erich Kaufmann zu seinem 70. Geburtstag, 21. September 1950, überreicht von Freunden, Verehrern und Schülern, Stuttgart 1950. 1670 Huber lieferte am Ende doch keinen Aufsatz für die Festschrift.

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stischer Rechtsphilosophie ist. Die Argumentation von der Grenz-Situation her, das Durchstoßen durch die normativen Fiktionen zur Substanz des Daseins, das Wissen um existentielle Konflikte und um den Sinn existentieller Entscheidungen scheint mir mehr als nur einen Gleichklang des Vokabulars anzudeuten. Es fiele dann auch ein Licht auf das, was „Situations-Jurisprudenz“1671 eigentlich bedeutet, nicht willkürlicher Wechsel des Standorts je nach den wechselnden Bedürfnissen, sondern Argumentation aus der objektiven und in diesem Sinn „konkreten“ Wirklichkeit, in die wir gestellt sind. | Wenn allerdings das Wirkliche, in dem wir leben, zum Chaos, zur Anarchie und zum Terror wird, entschleiert die existentialistische Rechts- und Staatslehre das Faktum, daß es weder Recht noch Staat mehr gibt. Doch wäre das kein Einwand, der Sie wirklich treffen könnte, da auch die Enthüllung einer bloß fiktiven Normativität ein Dienst an der Wahrheit wäre. Was an berechtigtem Vorwurf bleibt, ist, daß wir eine Zeitlang geglaubt haben, ideologische Fassaden zu existentiellen Ordnungen verdichten zu können. Doch scheint mir auch heute noch, daß es notwendig war, das existentielle Risiko einzugehen, durch das dieser Weg bestimmt war. Es ist mir leid, daß ich Ihnen den Empfang Ihrer Niederschrift „Ex captivitate salus“ nicht bestätigt habe. Ich hatte eine Abschrift schon vorher erhalten, habe viel mit einigen Freunden, denen ich sie zu lesen gab, darüber gesprochen und glaube, verstanden zu haben, worum es Ihnen bei dieser Konfrontation mit den großen Geistern der Vergangenheit1672 gegangen ist. Seien Sie noch jetzt sehr bedankt für dieses Dokument der Identität und Kontinuität, das es in mehr als einem Sinne ist. Selbstverständlich erinnere ich mich gut an Otto Kirchheimer. Vielleicht wissen Sie noch, daß wir mit ihm im November 1932 durch den Tiergarten gingen, am Tage des Berliner Verkehrsstreiks, der von Nationalsozialisten | und Kommunisten gemeinsam unternommen war1673. Das bleibt ein Tag von denkwürdiger Aktualität, und zwar in einem abgründigen Sinn. Vieles dieser Art ward mir sehr gegenwärtig, als ich die Erinnerungen von Rudolf Diels1674 („Lucifer ante portas“1675) las. Sie werden sie kennen. Ob einmal die Geschichte des Jahres 1932 geschrieben werden wird?1676 In ihm liegt 1671 Der Begriff taucht als Zwischnruf zu Schmitts Stellungnahme im Prozess des Reiches gegen Preußen auf. Preußen contra Reich, S. 469. 1672 In Schmitt, Ex captivitate, S. 25–33 geht es um den französischen Publizisten Alexis de Tocqueville. 1673 Es handelt sich um das Treffen am 6.11.1932. Schmitt, Tagebücher, S. 231. Der Streik richtete sich gegen eine von der Berliner Verkehrsgesellschaft und den Gewerkschaften ausgehandelte Lohnkürzung. Er wurde am 7.11., einen Tag nach den Reichstagswahlen, abgebrochen. 1674 Rudolf Diels (1900–1957) fungierte seit 1933 als Chef der preußischen politischen Polizei, 1934 wurde er Regierungspräsident in Köln, dann in Hannover, seit

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der Schlüssel für alles Spätere. Auch das gegenwärtige Elend rührt daher, daß damals die Stunde der Entscheidung versäumt worden ist. Ich erfreue gelegentlich meine Söhne mit Erzählungen aus diesem dunkeln Jahr, in dem zuweilen das Licht durch die Dämmerung zu brechen schien, ehe die November-Nebel alles verdeckten. Grüßen Sie bitte Frau Schmitt mit herzlichen Wünschen und seien Sie selbst sehr gegrüßt, auch von meiner Frau Wie immer Ihr Ernst Rudolf Huber Nr. 202 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 24.3.1950 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Plettenberg, den 24/3 1950 Lieber Herr Huber! Ihr Brief vom 7. Februar und die Widmung Ihrer Dokumentensammlung1677 haben mich tief berührt. Ich schicke Ihnen die beiliegende Veröffentlichung1678 und schreibe Ihnen eine gleichlautende Widmung hinein. Eine solche Weggenossenschaft in einem überaus gefährlichen Fach ist etwas sehr Seltenes. Ich bin für jedes ihrer 25 Jahre dankbar. Ihre Dokumenten-Sammlung ist sehr nützlich und praktisch. Die Mühe, die in der Auswahl, der Zusammenstellung und Gruppierung, und in den kleinen Anmerkungen und Hinweisen steckt, wird von wenigen wirklich bewertet werden können. Doch kommt es darauf nicht an. Bei einer gewissen, durch ein Wort wie „Dokument“ nahegelegten Pedanterie könnte | man die Quellenangaben zu den einzelnen Dokumenten vermissen. Doch 1936 war er für die SS tätig. Klaus Wallbaum, Der Überläufer. Rudolf Diels (1900– 1957). Der erste Gestapo-Chef des Hitler-Regimes, Frankfurt a. M. 2010. 1675 Rudolf Diels, Lucifer ante portas. Zwischen Severing und Heydrich, Zürich o. J. [1949]; ders., Lucifer ante portas. Es spricht der erste Chef der Gestapo, Stuttgart 1950. 1676 Ernst Rudolf Huber, Reichskrise, passim, war sein eigener Beitrag. 1677 Ein Widmungsexemplar ist im Nachlass Schmitts nicht überliefert. 1678 Carl Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, Tübingen 1950. Die 32seitige Broschüre lag nicht bei. Die Widmung dieser Schrift („Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt“) ist erwähnt bei Schmitt, Glossarium, S. 213, Anm. 2.

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ist zu hoffen, dass Ihre Sammlung sich selber als Quelle durchsetzen wird. Ich würde über zahlreiche Einzelheiten gern mit Ihnen sprechen und begnüge mich heute mit dieser Empfangsbestätigung. Auf die folgenden Bände bin ich sehr begierig. Auch Ihr Brief vom 7/2 enthält zuviele Themen für ein Gespräch, als dass ich nicht lieber darauf warten, als durch unzulängliche schriftliche Darlegungen den grossen Eindruck verstellen möchte. Ein Thema wie „Existenzialismus“ ist zu gross, als dass mir nicht gleich die Feder aus der Hand fällt. Ich begnüge mich heute und hier, in diesem meinem Schreiben, mit der Behauptung, dass die erste existenzialistische Kategorie, in die Heideggers1679 Wendung zum „Geschichtlichen“1680 gerät, sobald es konkret wird[,] die Unterscheidung von Freund und Feind sein wird. Übrigens erklärte mir Smend 1929 in Berlin, nicht ohne Schärfe: „Der Kampf gilt den Ontologen“1681. Bis dahin | glaubte er mich als „antik“ abtun zu können. Aber Smend denkt inklusiv[,] d.h. er identifiziert sich und seine intellektuelle Existenz mit der Institution der deutschen Universität. Zu der gegen mich von Kaufmann betriebenen Hetze und der Art und Weise, wie sich frühere Kollegen diesem Terror beugen, muss ich schweigen. Ich bin outlaw1682, in meinem eigenen Vaterland entrechtet, und täusche mich nicht über die Wirklichkeit meiner Situation. Trotzdem habe ich es gewagt, die beiliegende Abhandlung zu veröffentlichen. Es wäre feige und niedrig gewesen, wenn ich die Beschwörung unausgesprochen gelassen hätte, die den Sinn meiner Darlegung ausmacht. Mehr als jemals in meiner 40jährigen Tätigkeit bin ich heute ein Vertreter der deutschen Rechtswissenschaft. Über dieses jus optime quaesitum1683 entscheiden nicht hasserfüllte Rivalen. Das ist eine Sache des objektiven Geistes, und die ökonomische Misere meines gegenwärtigen Zustandes spricht eher | für als gegen meine Würde. Ich habe Kaufmann nach 1933 vor seinen eigenen Taktlosigkeiten geschützt1684. Sein Hass fällt auf ihn zurück.

1679 Martin Heidegger (1889–1976) war einer der bedeutendsten deutschen Philosophen des 20. Jahrhunderts. Von 1928 bis 1945 lehrte er als Professor in Freiburg. Wegen seines NS-Engagements, vor allem als Rektor 1933/34, erhielt er nach 1945 keine Anstellung mehr. Hugo Ott, Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie, Frankfurt a. M. 1988. 1680 Heideggers Wendung zum Historischen erfolgt in seinem Frühwerk und lässt sich auf den Beginn der 1920er Jahre datieren. 1681 Gemeint sind die Philosophen, die sich mit Metaphysik/Ontologie beschäftigen. Auch Heidegger gilt als einer ihrer Vertreter. 1682 Engl.: „Gesetzloser, Entrechteter“. 1683 Lat.: „Recht, nach dem Besten zu fragen“. 1684 Schmitt hatte Kaufmann nach 1933 vielmehr mit antisemitischen Äußerungen überzogen.

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Das Buch von Diels ist wichtig. Ich hatte neulich ein Gespräch mit dem Staatssekretär Grauert1685. Ott ist auch wieder in Deutschland1686, wie Sie wissen werden. Alles kommt auf die Geschichte des Jahres 1932 an. Darin haben Sie recht. Es wäre wunderbar, wenn Sie sie schreiben würden1687. Ich wüsste keinen besser Berufenen. Aber die Macht der Psychosen des Zusammenbruchs ist noch zu gross, das Interesse ihrer Nutzniesser ist noch zu stark organisiert, und alle sind ja schliesslich auf dem Weg nach Moskau. Trotzdem gehört aber gerade dieses Thema zu meinen grossen Wünschen nach einem Gespräch mit Ihnen[,] und ich wüsste zu gern, was Sie Ihren Söhnen darüber erzählen. Ihnen und den Ihrigen wünsche ich von Herzen ein schönes Osterfest1688 und einen schönen Frühling in dem glücklichen Lande, in dem Sie jetzt leben. Stets Ihr Carl Schmitt. Nr. 203 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Freiburg, 16.6.1950 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6281, Durchschlag: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich

Freiburg, 16. Juni 1950 Schwimmbadstr. 13 Lieber Herr Schmitt, es ist, wie ich mit Bestürzung feststelle, fast ein Vierteljahr vergangen, seit ich Ihren Brief vom 24. März und die ihm beigefügte Schrift „Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft“ erhielt. Sie kennen meine Verehrung für Sie und meine Anteilnahme an allem, was Sie betrifft und was von Ihnen ausgeht, und so bin ich sicher, daß diese Anfälle unmotivierter Schweigsamkeit, an denen ich leide, von Ihnen nicht mit Unwillen registriert werden. Es war für mich eine große überraschende Freude, Ihren Namen zum ersten Male wieder auf einer gedruckten Publikation zu sehen. Nicht minder stark war die Bewegung, mit der ich diesen Vortrag las, von dem mir frü1685 Ludwig Grauert (1891–1964) wirkte seit 1933 als Staatssekretär im preußischen Innenministerium. 1686 Ott war bis 1942 deutscher Botschafter in Japan und lebte danach als Privatier in Peking. 1687 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 7, S. 900–1204. 1688 Der Ostersonntag fiel 1950 auf den 9. April.

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her, wenn ich mich recht erinnere, von unsern Leipziger Freunden berichtet worden ist; denn unter anderem dort haben Sie den Vortrag wohl damals gehalten1689. Lassen Sie mich übergehen, was an diesem meisterlichen Essay auch Ihre Feinde fesseln muß – den Reichtum an Variationen, mit dem das so durchsichtig festgehaltene Thema begleitet ist, die kunstvolle Fügung, mit der sich aus einer komplexen Situation die These scheinbar mühelos entfaltet, die Konzentration und der Glanz der Aussage, die immer hintergründig und zugleich von vollkommener Klarheit ist. Ich weiß nicht, wodurch ich mich in diesem Vortrag stärker angesprochen fühle – durch die Kontinuität Ihres wissenschaftlichen Denkens, die sich in ihm für den Kenner Ihres Gesamtwerks so deutlich manifestiert, oder durch die Kraft, mit der Sie im Kulminationspunkt der Krise zu neuen Einsichten vorgestoßen sind. Ihre alten Thesen von der existentiellen Situation und von der konkreten Ordnung sind hier stärker noch als in früheren Schriften unter einen säkularen Aspekt gebracht; sie sind von der Exemplifikation an ephemeren Erscheinungen befreit und treffen nun in die ganze Tiefe des ergriffenen Problems. Die Feststellung, daß die Antinomie rechtswissenschaftlicher Existenz darin besteht, zugleich den wechselnden Situationen ausgesetzt zu sein und doch im Wechsel die Kontinuität unwandelbarer Prinzipien zu bewahren, durchleuchtet die vielschichtige Fülle des Begriffs des situationsbezogenen und konkreten Rechtsdenkens. Wo Sie, wie mir scheint, über frühere Konzeptionen hinausgewachsen sind, ist es in innerer Freiheit und ohne Bruch geschehen. Die Distanzierung von der „Welt der bloßen Setzungen“, der „raum- und rechtlosen Planung“, des „legalitären Technizismus“ und der „subalternen Instrumentalisierung“ erhebt unsere Wissenschaft zu dem, was ihre Würde und ihren Erkenntniswert ausmacht. Der Schlußsatz, daß selbst die anarchische Pluralität noch eine Rettung aus der größeren Gefahr der „babylonischen Einheit“ bedeuten könne, ist ein Fanal, das mit fast schmerzender Leuchtkraft die dunkle Wirrnis unserer Zeit durchdringt1690. Er hat mich unmittelbarer noch als das Wort vom letzten Asyl des Rechtsbewußtseins getroffen, das angesichts der fortschreitenden Verflachung des rechtswissenschaftlichen Denkens weniger einer Feststellung als einer beschwörenden Mahnung gleichkommt. Fast möchte man sagen, daß die rechtswissenschaftliche Besinnung aus den rettenden Zufluchten in ein hoffnungsloses Exil getrieben sei. 1689

Schmitt hielt den Vortrag in drei Sprachen seit Februar 1943 insgesamt sechs Mal, in Bukarest, Budapest, Madrid, Coimbra, Barcelona und zuletzt am 1.12.1944 in Leipzig. Benoist, S. 59. 1690 Schmitt, Lage, S. 426. Der Schlusssatz lautete: „So wird der Genius uns nicht verlassen, und es wird sich zeigen, daß selbst die Sprachverwirrung besser sein kann als die babylonische Einheit.“

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Ich will jedoch nicht unterlassen zu sagen, daß Vieles in diesem Vortrag mir als ein Aufruf zur weiterführenden Auseinandersetzung erscheint, in eben dem Sinn, in dem ich mich früher zur Auseinandersetzung mit den Positionen Ihres Denkens aufgerufen | fühlte. So sehr ich Ihnen darin zustimme, daß die Verwandlung des Gesetzes in ein Instrument der pseudolegalitären Aktion und legalen Revolution zur Verderbnis von Freiheit, Ordnung und Recht geführt hat, so sehr ich deshalb an Ihrem Protest gegen den voraussetzungslos planenden Voluntarismus teilnehme, der die Ordnung in eine tabula rasa verwandelt, in der nur mehr juristische Funktionäre, Ingenieure, Stosstrupps und Partisanen zu operieren vermögen, so wenig ist mir sicher, ob Savignys1691 Lehre von der „absichtslosen Entstehung des Rechts“1692 der Situation adäquat ist, in der unsere abendländische Welt seit einem halben Jahrtausend steht, und ob sie als Gegenposition ausreicht. Schon die Rezeption war kein absichtsloser Vorgang, sondern ein Ergebnis planenden Willens, nur daß Wille und Planung noch in einer umfassenden und unbestrittenen Ordnung gebunden und geborgen waren. Seit dem Anbruch der modernen Welt steht unser Zeitalter in einer Kette von Rechtskrisen. Jede Rechtskrise aber kann nicht anders als im Entschluß zur rationalen und bewußten Reform überwunden werden, und der Appell an die absichtslosen und stillwaltenden Kräfte ist in einer kritischen Situation nichts anderes als ein von Absichten bestimmtes und daher paradoxes Programm. Eben dies schwächt die Ueberzeugungskraft der von Savigny im Streit mit Thibaut1693 eingenommenen Position und ist, wie mir scheint, auch die Quelle der logischen Widersprüche, die Sie im Programm der Historischen Schule feststellen. Fraglich ist mir auch, ob Sie voll im Rechte sind, wenn Sie die in der Krise der Legalität sichtbar gewordene Degeneration als mit dem modernen Begriff des Gesetzes notwendig gegeben ansehen. Durch den inneren Verfall von Staat und Gesetz sind, wie mir scheint, weder der Staat noch das Gesetz widerlegt. Auch das „Setzen“ als solches ist nichts Verderbliches, so wenig institutio und constitutio, status1694 und Verfassung es sind, solange sich in ihnen nicht die voraussetzungslose Aktion dokumentiert. Die große 1691 Friedrich Carl von Savigny (1779–1861), der seit 1810 in Berlin eine Professur für Römisches Recht innehatte, gilt als Begründer der Historischen Rechtsschule. Dieter Nörr, Savigny, Carl von, in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 470–473. 1692 Schmitt, Lage, S. 417 f. 1693 Anton Friedrich Justus Thibaut (1772–1840), der seit 1805 die Rechte in Heidelberg lehrte, vertrat im Gegensatz zu Savigny die Meinung, dass man das Zivilrecht kodifizieren müsse. Joachim Rückert, Thibaut, Anton Friedrich Justus, in: Stolleis, Juristen, S. 610–612. 1694 Lat.: „Institution, Verfassung, Staat“.

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Zeit der abendländischen Rechtswissenschaft, in der Savigny eher am Ende als an einem neuen Anfang steht, hat sich, wie mir scheint, in den großen Kodifikationen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts1695 absichtsvoll und doch legitim auszudrücken vermocht. In diesen Kodifikationen wird eine vorgegebene Ordnung nach rationalem Plan und mit sicherem Willen durchgesetzt; das Stillwaltende wird zur bewußt gelenkten und rational eingesetzten Kraft. Vielleicht sollte man Savignys Resignation im Angesicht der Aufgabe einer nationalen Gesetzgebung doch auch auf dem Untergrund des österreichisch-preußischen Dualismus sehen; hätte diese Spannung nicht bestanden und wäre es möglich gewesen, entweder das österreichische ABG oder das preußische ALR zu einem gesamtdeutschen Gesetzbuch zu erheben, so wäre es schwerlich zu einem so wirkungsvollen Protest gegen den Ruf nach einem nationalen Gesetzgebungswerk gekommen. Nun richtet sich Ihre Polemik gegen den Gesetzesbegriff des Positivismus, wenn ich es recht verstehe, wesentlich gegen den Anspruch auf Ausschließlichkeit, Schrankenlosigkeit und Voraussetzungslosigkeit der gesetzgeberischen Planung und Willenssetzung. Hat aber nicht gerade dafür auch Savigny durch seine Wendung gegen das Naturrecht den Weg frei gemacht? In Wahrheit aber blieb das Gesetz, auch nachdem der Traum des Naturrechts ausgeträumt war1696, im ganzen 19. Jahrhundert entgegen der Lehre des Positivismus durchaus noch in überpositiven, unverbrüchlichen Bindungen verhaftet, in Bindungen, die so stark waren, daß sie sich der Dis- | kussion und, wie es scheint, sogar dem wissenschaftlichen Bewußtsein entzogen. Das gilt, wie ich meine, auch noch von den großen Kodifikationen des Bismarck’schen Reiches1697, da selbst die bürgerlich-industrielle Gesellschaft trotz ihrer äusseren Zerrissenheit, in der Tiefe noch eine in sich geeinte, von solidarischem Rechtsbewußtsein bestimmte konkrete Ordnung war. Mehr noch als frühere Zeiten bedurfte diese bürgerlich-industrielle Welt allerdings, um Ordnung zu bleiben und sich als Ordnung zu erneuern, notwendig der Reform. Die Dialektik der abendländischen Rechtssituation scheint mir darin hervorzutreten, daß Ordnung und Krise sich nicht ausschließen, solange die Kraft zur Reform erhalten bleibt und der Uebergang in die revolutionäre Situation dadurch verhindert werden kann. Die gesetzgeberische Planung und Willenssetzung war, wenn ich es recht zu sehen vermag, während des ganzen 19. Jahrhunderts – also im Angesicht der drohenden bürgerlichen und dann der proletarischen Revolution – von dieser 1695 Das „Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten“ (ALR) von 1794 und das „Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch“ (ABGB) von 1812 in Österreich. 1696 Ein Zitat aus: Bernhard Windscheid, Recht und Rechtswissenschaft. Eine Rede im Namen der Universität Greifswald zur Feier des Geburtstages des Königs Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, Greifswald 1854, S. 9. 1697 So z. B. das Strafgesetzbuch von 1871.

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Kraft zur Reform, zur bewahrenden Wandlung, erfüllt. In diesem Prozeß der gesellschaftlichen Reform hatte das Gesetz seinen legitimen Sinn, während die Berufung auf die stillwaltenden Kräfte entweder der romantischen Illusion oder restaurativen, anti-reformistischen Intentionen entsprang. Ich neige daher dazu, nicht nur den zivilrechtlichen und strafrechtlichen Kodifikationen des späten 19. Jahrhunderts1698, die in gewissem Sinne dem absichtslos Gewordenen eine rationale Gestalt gegeben haben, sondern auch den großen Reformgesetzen (Bauernbefreiung, Gewerbefreiheit, Sozialversicherung1699) den Rang legitimer Gesetze zuzuerkennen. Und selbst die problematischen Kampfgesetze der Bismarck’schen Zeit (Kulturkampfgesetze, Sozialistengesetz1700), in denen das Gesetz am ehesten als technisch-instrumentales Mittel der politischen Aktion verwandt worden ist, waren doch wohl noch immer an einer legitimen Vorstellung von überpositiver Ordnung orientiert, wenngleich sich in ihnen zum ersten Male der beginnende Zerfall des solidarischen Rechtsbewußtseins kundtat. Ich meine also, daß die Gesetzeswirklichkeit dieser Epoche mehr an echter Legitimität in sich trug, als der legalitäre Positivismus der Rechtswissenschaft zu erkennen gibt. Und vielleicht war selbst die positivistische Rechtswissenschaft stärker in überkommenen oder neuerworbenen Legitimitätsvorstellungen gebunden, als ihr selber bewußt war. Erst der soziologische Positivismus Jherings1701 und Liszts1702 hat die Bahn frei gemacht für die Benutzung des Gesetzes für voraussetzungslose Zwecke, für den Mißbrauch der Legalität für die freigesetzte ideologische oder soziale Aktion, für die Tyrannis einer entfesselten legalitären Willkür, in deren Endstadium die Formen der motorisierten Rechtsetzung1703 nicht nur, sondern schließlich auch das Geheimgesetz im Panzerschrank erscheinen. Bei aller Polemik gegen die legalitäre Instrumentalisierung darf dann wohl auch nicht vergessen werden, daß in dieser Endphase der Dekomposition nicht nur das „Ge1698 So beispielsweise das 1871 erlassene Strafgesetzbuch oder das 1900 in Kraft getretene Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). 1699 Bauernbefreiung und Gewerbefreiheit wurden in Preußen 1807 und 1810 gewährt; die Sozialversicherung wurde in den Jahren 1883 bis 1889 (Kranken-, Unfall-, Invaliditäts- und Altersversicherung) begonnen. 1700 Der Kulturkampf wurde 1871 bis 1878 gegen die katholische Kirche geführt, die Sozialistengesetze galten in den Jahren 1878 bis 1890. 1701 Rudolf von Jhering (1818–1892) lehrte Rechtswissenschaft an verschiedenen deutschen Universitäten, seit 1872 in Göttingen. Er gilt als Schöpfer der sogenannten Begriffsjurisprudenz. Alexander Hollerbach, Jhering, Rudolf von, in: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 123 f. 1702 Franz von Liszt (1851–1919) lehrte von 1898 bis 1917 Strafrecht und Völkerrecht in Berlin. Monika Frommel, Liszt, Franz Ritter von, in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 704 f. 1703 Dies ist die Formulierung in Schmitt, Lage, S. 404.

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setz“, sondern auch das „Naturrecht“ zu einem Werkzeug der Willkür, der Diskriminierung und des Terrors wird. Die Berufung auf „konkrete Ordnung“, auf „gesundes Rechts- und Volksempfinden“, auf irrationale Energien, auf Natur oder Vernunft, auf Gerechtigkeit und Menschlichkeit, auf christliches Naturrecht und auf göttliches Rechtsgebot wird so gut wie das „Gesetz“ zu einer Waffe der planmäßigen Diskriminierung, Entrechtung, Vernichtung. So wird die Dekomposition erst vollendet, indem sich zur offenen Brutalität pseudolegalitärer Setzungen das Gift pseudo-legitimer Beteuerungen gesellt, immer unter dem Beistand einer beflissenen Jurisprudenz. Es fragt sich, wo es in einem solchen Zustand noch ein Asyl des unverfälschten Rechtsbewußtseins geben kann. | Ich fürchte, ich habe Sie mit dieser langatmigen und doch nur unvollkommen andeutenden Erörterung ermüdet. Sie ist, das wissen Sie von mir, nur dem Bedürfnis entsprungen, das in Ihrem Vortrag eröffnete Gespräch aufzunehmen und fortzusetzen. Es lohnt nicht, etwas über die Stimmen zu sagen, die sich in der Neuen Juristischen Wochenschrift und in der Göttinger Universitäts-Zeitung gegen Sie erhoben haben1704. Alle Argumente auf dem Kampffeld der politischen Denunziation richten sich durch sich selbst. Ich glaube, daß man Sie auf diesem Felde nicht treffen kann und daß Sie sich deshalb von Gegnern dieser Art nicht wirklich angesprochen fühlen sollten. Eben aber, weil, wie ich fürchte, eine sachliche Diskussion über Ihr Thema vermieden werden wird, habe ich gemeint, es sei in Ihrem Sinne, wenn ich mich hier ausführlicher, als es einem Brief ansteht, der ein Dank sein soll und nichts anderes als ein Dank sein will, zur Sache selbst geäussert habe. Der Brief ist zu lang geworden, als daß ich ihm weitere persönliche Berichte und Bemerkungen anschließen möchte. Ich darf dies, so sehr ich das Bedürfnis empfinde, Ihnen von anderem zu schreiben, auf das nächste Mal vertagen. Haben Sie also von Herzen Dank für diese Schrift, durch deren Widmung1705 Sie unsere Gemeinsamkeit in einer mich ehrenden und beglückenden Weise ausgedrückt haben, und seien Sie mit vielen guten Wünschen gegrüßt von Ihrem Ernst Rudolf Huber

1704

Walter Lewald, Carl Schmitt redivivus?, in: Neue Juristische Wochenschrift 3 (1950), S. 377. Gemeint war weiterhin der oben in Anm. 1662 genannte Artikel von Karl Thieme in der Universitäts-Zeitung. 1705 Ein Widmungsexemplar ist im Nachlass Hubers nicht überliefert.

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Nr. 204 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Freiburg, 15.11.1950 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6282, Abschrift: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, mit zahlreichen Notizen Schmitts in Kurzschrift

Freiburg, 15. November 1950 Schwimmbadstr. 13 Sehr verehrter, lieber Herr Schmitt, es drängt mich sehr, Ihnen zu sagen, daß meine Frau und ich in diesen Wochen und Monaten der schweren Leidenszeit von Frau Schmitt1706 aufs Tiefste bewegt sind von Allem, was wir aus Heidelberg hören und daß wir auch an Sie mit teilnehmender Sorge denken. Es wäre anmaßend, mehr darüber zu sagen; aber eben dies wollte ich Ihnen aussprechen, daß wir uns Ihnen in Gemüt und Gedanken verbunden wissen in dem, was Ihnen auferlegt ist. Ich will jetzt nicht weiter davon sprechen, daß, wir mir scheint, in unsern Beziehungen von Ihrer Seite aus eine gewisse Entfremdung spürbar ist. Vielleicht haben wir uns zulange nicht gesehen, als daß durch Briefe allein der spontane Kontakt immer hergestellt werden könnte. Doch bin ich sicher, daß es zwischen uns nur vorübergehende Trübungen des unmittelbaren Vertrauens geben und daß unser altes Verhältnis nur am Rande, nicht im Kern durch akzidentelle Störungen getroffen werden kann. Ich will Sie auch nicht aufhalten durch einen Bericht über die vielfachen Mißhelligkeiten, denen ich | im vergangenen halben Jahr ausgesetzt war und auch jetzt noch ausgesetzt bin1707. Die Tragik der Situation, nicht nur unserer persönlichen, sondern auch der allgemeinen, besteht, wenn ich es richtig empfinde, darin, daß wir mit unsern Gegnern und Peinigern im selben Boot sitzen; sie möchten uns über Bord gehen lassen, zugleich aber sicher sein, daß wir im Ernstfall für sie rudern. Das, was sich ideologisch der Westen nennt, wird durch nichts mehr als durch die Torheit und Bosheit dieser inneren Gegnerschaft bedroht. Offenbar ist es zu schwer, sich mächtig zu dünken und nicht dumm zu sein.

1706

Duschka Schmitt wurde in der Heidelberger Universitätsklinik behandelt und starb am 3.12.1950. 1707 Neben den Problemen hinsichtlich von Hubers Aufnahme in die Staatsrechtslehrervereinigung wurde das bereits beendete Entnazifizierungsverfahren Hubers 1950 nochmals aufgerollt und erst am 1.12.1950 abgeschlossen. Grothe, Umgang, S. 229 f.

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Mir ist bei der Lektüre von „Ex captivitate salus“, gerade auch der mir noch unbekannten Stücke, manche neue Klarheit zugekommen, wobei mich besonders auch das, was Sie über Tocqueville, über Däubler1708 und zu Mannheim1709 sagen, berührt hat und beschäftigt. Eines der abgründigen Probleme der Legalität (S. 18) besteht offenbar in der Frage, durch welches dialektische Moment sie zur Legalitätsfassade (S. 64) wird. Ich bin in den Anfängen dabei, mein altes „Wirtschaftsverwaltungsrecht“ zu einer 2. Auflage umzugestalten1710. Mein uferloses Projekt der „Verfassungsgeschichte“ lasse ich derweil weiter ablagern1711. Meine vielgeplagte Frau hat uns fürs Erste über die Berge der Not gebracht; aber es ist wenig Hoffnung, daß wir noch einmal freies Land gewinnen. Getreulich Ihr Ernst Rudolf Huber

Nr. 205 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 1.12.1950 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Plettenberg, den 1. Dezember 1950. Lieber Herr Huber, vorige Woche, als ich von einem Besuch in Heidelberg hierhin zurückkehrte, fand ich Ihren Brief vom 15. November hier vor. Ich habe mich sehr gefreut, von Ihnen etwas zu hören[,] und wollte Ihnen gleich antworten, aber dazu fand ich bisher keine rechte Sammlung. Erst kam plötzlich Besuch für 2 Tage (Herr Daskalakis1712 aus Athen, ich weiss nicht, ob Sie sich an ihn 1708 Theodor Däubler (1876–1934) war ein deutscher Schriftsteller, über dessen Werk sich Schmitt 1916 enthusiastisch geäußert hatte. Adalbert Elschenbroich, Däubler, Theodor, in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 470–472. 1709 Der Soziologe Karl Mannheim (1893–1947) bekleidete seit 1930 eine Professur in Frankfurt am Main, emigrierte 1933 nach England und lehrte in London. Wilhelm Hofmann, Karl Mannheim zur Einführung, Hamburg 1996 (= Zur Einführung, 138). 1710 Ernst Rudolf Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2 Bde., 2. Aufl., Tübingen 1953/54. Die erste Auflage in einem Band war 1932 erschienen. 1711 Der erste Band der „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789“ erschien erst 1957. 1712 Georgios D. Daskalakis (1912–1994) hatte sich 1938 bei Schmitt in Berlin habilitiert. 1981 war er kurzzeitig griechischer Innenminister.

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und seine Arbeit über „Das Gesetz als Mittel der Planung“1713 erinnern), dann musste ich nach Düsseldorf, wo ich am 13. Dezember im Rhein-RuhrClub sprechen soll1714, und zwischendurch ist alles durch das langsame, qualvolle Sterben meiner Frau bedrückt und überschattet. Ich habe ihr vor 14 Tagen das erste Exemplar des „Nomos der Erde“ nach Heidelberg gebracht und war ergriffen, als sie es noch in ihre zitternden und bleichen Hände nehmen konnte. Als Widmung habe ich ihr hineingeschrieben: Trotz Bomben und trotz Morgenthau1715, Trotz Terror und trotz Heldenklau, Trotz Automatik und Verrat, Trotz Nürnberg und trotz Stacheldraht, Trotz alledem entstand dies Buch Und wuchs ein Segen aus dem Fluch. Freilich reicht meine Verskunst nicht mehr hin, um nun auch das Lob der Segenstifterin zu singen, worin die eigentlich poetische Aufgabe läge. Die lange und schreckliche Krankheit meiner Frau (sie ist seit dem Herbst 1949 mit einigen Monaten Unterbrechung in der Klinik) bringt mir meine wirkliche Lage sehr deutlich zum Bewusstsein und befreit mich von vielen Illusionen, die ich mir über die Gesinnung und den Charakter früherer Bekannter immer noch gemacht hatte. Die Unterscheidung der | Nutzniesser des Zusammenbruchs von den andern Deutschen wird immer handgreiflicher, die Bösartigkeit der nutzniessenden Mediokrität immer schamloser. Ich erinnerte mich des Ausspruches von Benjamin Constant, den ich am Schluss von Legalität und Legitimität (S. 96) zitiert habe, als ich von dem Weissbuch der Gewerkschaften1716 hörte (ein Originalexemplar dieses Weissbuches habe ich bisher noch nicht bekommen). Als ich in Ihrem Brief 1713

Georgios D. Daskalakis, Das Gesetz als konkrete Seinsordnung und Planverwirklichung, Habil.-Schr., Berlin 1939. 1714 Schmitt hielt einen Vortrag zum Thema „Die Einheit der Welt und die Einheit Europas“ im Düsseldorfer Restaurant Wolfsschlucht. Mehring, S. 488 f. Eventuell handelt es sich bei folgendem Aufsatz um eine spätere Fassung: Carl Schmitt, Die Einheit der Welt, in: Merkur 6 (1952), S. 1–11. 1715 Henry Morgenthau (1891–1967) leitete zwischen 1934 und 1945 das amerikanische Finanzministerium. Sein 1945 publiziertes Buch „Deutschland ist unser Problem“, das den sogenannten Morgenthau-Plan vom August 1944 enthielt, sah eine Aufteilung und Demilitarisierung Deutschlands vor, das zudem ein Agrarstaat werden sollte. Wilfried Mausbach, Zwischen Morgenthau und Marshall. Das wirtschaftspolitische Deutschlandkonzept der USA 1944–1947, Düsseldorf 1996 (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte, 30). 1716 Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung. Dokumente über die Wiederherstellung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung und die Forderungen der Gewerkschaften, hg. vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Düsseldorf 1949.

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die Stelle las: sie möchten uns über Bord gehen lassen, zugleich aber sicher sein, dass wir im Ernstfall für sie rudern, fiel mir ein, dass die Benito-Cereno-Situation1717 nicht an das offen-totalitäre Regime geknüpft ist. Sie brauchen nicht zu fürchten, lieber Herr Huber, dass von mir aus eine Entfremdung zwischen uns eintreten könnte. Sie müssen nur verstehn, dass ich zurückhaltend bin, weil jedes meiner Worte, jede Geste sofort missdeutet wird. Was sich die Remigranten unter der lauten oder stillschweigenden Billigung früherer Kollegen in dieser Hinsicht erlaubt haben, ist schändlich. Ich habe mich erst dann dazu entschlossen, Ex Captivitate Salus zu veröffentlichen, als einer dieser Schächter1718 im Frühjahr 1950 verbreitete, ich liesse mich nicht entnazifizieren, weil ich ein schlechtes Gewissen hätte1719. Er hatte seine Gutachten über mich schon fertig und war wütend, dass ich nicht in sein Schächtmesser hinein lief. Nur so bin ich dazu gekommen, mich selbst öffentlich zu zeigen [und] meine Wunden zu entblössen, wie das in Ex Captivitate geschehen ist. Dass Sie eine 2. Auflage Ihres Wirtschaftsverwaltungsrechts vorbereiten, finde ich ausgezeichnet. Aber die Verfassungsgeschichte des letzten Jahrhunderts, bis heute, müssen sie trotzdem schreiben und veröffentlichen. Ich las dieser Tage zufällig einen erstaunlichen Aufsatz von Margret Boveri1720 in den Berliner Heften Juli 19481721, der mir so bedeutend scheint, dass ich ihn Ihnen schicken würde, wenn Sie ihn dort nicht auftreiben können. „Zwölf Jahre unseres persönlichen und nationalen Daseins liegen wie eine verwesende Leiche unter einem verhüllenden Tuch“, heisst es da. Ich bitte, ja, ich beschwöre Sie, das nicht zu vergessen. Sagen Sie bitte Ihrer verehr-

1717 „Benito Cereno“ ist die Titelfigur einer von dem amerikanischen Schriftsteller Herman Melville (1819–1891) 1855/56 veröffentlichten Kurzgeschichte. Schmitt verglich seine Situation in der NS-Zeit mit derjenigen des Benito Cereno, einem Kapitän, der auf seinem eigenen Schiff von Meuterern gefangen gehalten wird. 1718 Der Schächter nimmt im Judentum oder Islam das rituelle Schlachten von Tieren vor. Gemeint war hier vermutlich entweder der Ankläger in Nürnberg Robert W. Kempner oder Erich Kaufmann. 1719 Dazu: Schmitt, Glossarium, S. 272: „Warum lassen Sie sich nicht entnazifizieren? Erstens: weil ich mich nicht gern vereinnahmen lasse und zweitens, weil Widerstand durch Mitarbeit eine Nazi-Methode aber nicht nach meinem Geschack ist.“ 1720 Margret Boveri (1900–1975) war eine konservative deutsche Journalistin und Publizistin. In der Zeit des Nationalsozialismus veröffentlichte sie als Auslandskorrespondentin im „Berliner Tageblatt“ und in der „Frankfurter Zeitung“. Heike B. Görtemaker, Ein deutsches Leben. Die Geschichte der Margret Boveri 1900–1975, München 2005. 1721 Margret Boveri, Archäologie oder Geschichte?, in: Berliner Hefte für geistiges Leben 3 (1948), S. 1–8.

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ten Frau meine Grüsse und Wünsche und schreiben Sie mir gelegentlich wieder ein paar Zeilen. Stets Ihr alter und getreuer Carl Schmitt. Nr. 206 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Freiburg, 15.12.1950 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6283, Entwurf: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Freiburg, 15. Dezember 1950 Schwimmbadstr. 13 Sehr verehrter, lieber Herr Schmitt, lassen Sie mich sagen, daß die Nachricht vom Tode von Frau Schmitt meine Frau und mich in Gemüt und Gedanken sehr bewegt. Wir nehmen an Ihrem Schmerz und Ihrer Trauer von ganzem Herzen Anteil; nicht minder teilnahmsvoll denken wir an Ihre Tochter Anima, die gleich hart wie Sie getroffen ist. Lassen Sie mich auch sagen, daß die Erinnerung an Frau Schmitt, obwohl ich sie seit vielen Jahren nicht mehr sah, in mir lebendig ist wie in früheren Tagen und immer in mir lebendig bleiben wird. Es wird mir immer gegenwärtig sein, wie ich Fräulein Todorovic´1722 im Sommer 1925 in Ihrem Bonner Seminar | zum ersten Male sah. In ihrem fremdartigen Zauber, in der verhaltenen Intensität ihres Daseins, in der unkonventionellen Klugheit, die sie auszeichnete, war sie auf eine bezwingende Weise zugehörig zu dem Kreis, der sich damals um Sie gesammelt hatte. Einige der erregend-aufhellenden Bemerkungen und Fragen, mit denen sie in unsere Diskussionen eingriff, sind meinem Gedächtnis unvergeßlich eingeprägt. Ich erinnere mich sehr deutlich des Abends im Bonner Stadtgarten, an dem Sie mir von Ihrer Heirat berichteten; ich weiß um die sorgenvolle Zeit der ersten Erkrankung von Frau Schmitt1723 so gut wie um die glückliche Zeit, in der Ihre Tochter geboren wurde1724. Besonders dankbar werde ich immer sein für die freundschaftlich-fürsorgende Gastlich- | keit[,] mit der Frau Schmitt mich 1932 in Ihrem Hause in Berlin aufgenommen hat. Wir wußten uns damals alle an einem Abgrund; daß wir uns in gemeinsamen Hoff1722

Das war der serbische Geburtsname von Schmitts Ehefrau. Duschka Todorovic´, die Schmitt 1926 heiratete, war im Mai 1924 an Tuberkulose erkrankt. Mehring, S. 170. 1724 Anima Schmitt kam 1931 zur Welt. 1723

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nungen bemühten, zum Schlagen einer Brücke beizutragen, um die Gefahr des Absturzes zu bannen, wird mir immer als ein gutes Wagnis erscheinen. Ich glaube, ungefähr zu wissen, was Frau Schmitt in den Wirrungen und Fährnissen der beiden letzten Jahrzehnte in Ihrem Leben bedeutet hat. Es ist mir schmerzlich, ihr seit so vielen Jahren nicht mehr begegnet zu sein. Aber ich habe in Bewunderung immer wieder davon gehört, mit welcher Unerschrockenheit sie sich dem Unheil der Jahre vor und nach 1945 gewachsen und überlegen erwiesen hat. Mit Erschütterung habe ich die Berichte unserer gemeinsamen Freunde1725 gelesen, aus denen hervor- | ging, mit wieviel echter Standhaftigkeit Frau Schmitt sich in diesen Monaten schmerzvollen Leidens und Sterbens auf den Übergang in eine andere Welt vorbereitet hat. Ich wäre dankbar, wenn Sie es nicht als eine unerlaubte Vertraulichkeit betrachten würden, wenn ich schreibe, daß ich in dieser Nacht von Ihnen träumte und Ihnen dabei die Hand gab im sinnbildhaften Mitgefühl. Solche Begegnungen wiegen viele Trennungen auf. Sehr danke ich Ihnen für Ihren Brief vom 1. Dezember; ich werde Ihnen später darauf antworten. Seien Sie in dieser für Sie so trauervollen Adventszeit sehr gegrüßt von Ihrem stets aufrichtig ergebenen Ernst Rudolf Huber

Nr. 207 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Freiburg, 9.7.1953 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6284, Durchschlag: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, mit Notizen Schmitts in Kurzschrift

Freiburg, 9. Juli 1953 Schwimmbadstr. 13 Hochverehrter, lieber Herr Schmitt! Zu Ihrem Geburtstag, den Sie am Samstag1726 begehen, sagen meine Frau und ich Ihnen von Herzen die aufrichtigsten Wünsche. Sie blicken auf ei1725

Gemeint ist hier u. a. der in Heidelberg lebende Ernst Forsthoff. Der 65. Geburtstag Schmitts am 11.7.1953. Huber wollte sich ursprünglich an der für Schmitt geplanten Festschrift beteiligen. So Huber an Barion, 3.5.1953. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 185. Zur „Academia Moralis e. V.“, dem Freundeskreis Schmitts, der die Festschrift organisierte: Dirk van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993, S. 52–63. 1726

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nen an Erfolgen, Erfahrungen und Kämpfen reichen Lebensabschnitt zurück. Ihre Freunde wünschen mit ganzer Kraft, daß sie in der kommenden Zeit Ihren Werken, die über die Anfeindung erhaben sind, neue krönende Leistungen hinzufügen werden. Die Distanz von Menschen und Dingen, in der Sie leben1727, wird Ihnen in manchem Bezug schmerzlich sein. Eine wirkliche Einbusse kann sie Ihnen kaum bedeuten, da das Schöpferische auch in der Stille gedeiht. So wenig der laute Beifall eine Sache zu erhöhen vermag, so wenig kann der Versuch des Ueberschweigens ein gültiges Werk verkleinern. Und Schüsse aus dem Hinterhalt treffen nur den, der einzig im Vordergründigen steht. Gerne hätte ich mich dem Kreis derer, die ihre Wünsche am Samstag in Düsseldorf unmittelbar aussprechen werden1728, beigesellt. Doch muß ich von der Reise leider absehen, da ich an diesem Wochenende durch eine zwingende Verpflichtung hier gebunden bin. Sie wissen, daß meine brieflichen Wünsche nicht weniger herzlich sind. Ich hatte gehofft, Ihnen zum 11. Juli einen Aufsatz über „Bundesexekution und Bundesintervention“, der im Archiv des öffentlichen Rechts erscheint1729, überreichen zu können; doch hat sich der Druck verzögert. Ich werde mir erlauben, Ihnen den Aufsatz, in dem Sie die Spuren alter gemeinsamer Interessen entdecken werden, bald nachzureichen. In steter Verehrung Ihr Ernst Rudolf Huber Nr. 208 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Freiburg, 12.9.1954 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6285 Brief, handschriftlich

Freiburg, 12. September 1954 Schwimmbadstr. 13 Sehr verehrter, lieber Herr Schmitt, mit der freundlichen Zusendung Ihrer „Verfassungslehre“1730 haben Sie mir eine große Freude gemacht. Nicht nur Ihnen und Ihren alten Schülern, son1727

Gemeint war die Abgeschiedenheit von Plettenberg. Die Feier im Rahmen des Schmitt-Freundeskreises der „Academia Moralis“ fand mit etwa 150 Gästen in den Düsseldorfer Rheinterrassen statt. Mehring, S. 497 f. 1729 Ernst Rudolf Huber, Bundesexekution und Bundesintervention. Ein Beitrag zur Frage des Verfassungsschutzes im Deutschen Bund, in: Archiv des öffentlichen Rechts 79 (1953/54), S. 1–57. 1728

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dern allen, denen die Wissenschaft ein wirkliches Anliegen ist, muß es eine Genugtuung sein, daß dieses lebendig gebliebene Werk wieder allgemein zugänglich geworden ist. Es ist heute neu und fesselnd wie am ersten Tag, und ich bin sicher, daß es auf die wachsende junge Generation nicht weniger stark wirken wird, als auf die Generation von einst, der ich angehört habe. Mit besonderem Dank erfüllt mich die freundschaftliche Widmung1731, mit der Sie mir das Buch zugesandt haben. Sehr herzlich danke ich Ihnen auch für die zusammen[fassen]de Schrift1732 über die Verfassungsbeschwerden gegen den Art. 411733. Da ich an dem Kampf gegen die hessische Sozialisierung von der ersten Stunde an aktiv beteiligt gewesen bin1734, haben Ihre Ausführungen zu diesem Thema mich stets sehr beschäftigt. Es ist schade1735, daß der Streit nicht bis zum Letzten durchgefochten worden ist. Dr. Peter Schneider1736 – Zürich schickte mir vor einiger Zeit das Manuskript „Eine Studie zur Rechtslehre von C. S.“1737. Ich nehme an, daß das Manuskript Ihnen bekannt ist. Schneider wollte mich während der | Ausar1730

Carl Schmitt, Verfassungslehre, Berlin 1954. Es handelt sich um einen unveränderten Neudruck der Erstauflage von 1928. 1731 Im Nachlass Hubers ist kein Widmungsexemplar enthalten. 1732 Carl Schmitt, Rechtsstaatlicher Verfassungsvollzug. Rechtsgutachten zu der Frage: Ist den Eigentümern der von Art. 41 der Verfassung des Landes Hessen Abs. 1 Nr. 1 betroffenen Gegenstände ihr Eigentum durch Art. 41 mit Inkrafttreten der Verfassung entzogen worden?, Wetzlar 1952; auch in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 452–488. 1733 Artikel 41 der Verfassung des Landes Hessen vom 1.12.1946 lautete: „(1) Mit Inkrafttreten dieser Verfassung werden 1. in Gemeineigentum überführt: der Bergbau (Kohlen, Kali, Erze), die Betriebe der Eisen- und Stahlerzeugung, die Betriebe der Energiewirtschaft und das an Schienen oder Oberleitungen gebundene Verkehrswesen; 2. vom Staat beaufsichtigt oder verwaltet: die Großbanken und Versicherungsunternehmen und diejenigen in Ziffer 1 genannten Betriebe, deren Sitz nicht in Hessen liegt. (2) Das Nähere bestimmt ein Gesetz. (3) Wer Eigentümer eines danach in Gemeineigentum überführten Betriebes oder mit seiner Leitung betraut ist, hat ihn als Treuhänder des Landes bis zum Erlaß von Ausführungsgesetzen weiterzuführen.“ 1734 Die nach der hessischen Verfassung von 1946 vorgesehene Sozialisierung scheiterte vollständig. Es gab Widerstände nicht nur von Seiten der betroffenen Betriebe, sondern auch von der Landesregierung, führenden Juristen und der amerikanischen Besatzungsmacht. Ein Ausführungsgesetz wurde im Hessischen Landtag knapp abgelehnt. Gerd Winter, Sozialisierung in Hessen 1946–1955, in: Kritische Justiz 7 (1974), S. 157–175. 1735 Bemerkung Schmitts auf dem linken Rand: „ein Glück!“ 1736 Der Schweizer Rechtswissenschaftler Peter Schneider (1920–2002) nahm seit 1956 ein Ordinariat für Öffentliches Recht an der Universität Mainz wahr, wurde dort 1969 Rektor und 1974–1980 Präsident.

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beitung einmal aufsuchen, um sich über sein Thema mit mir zu unterhalten; eine Krankheit hat ihn dann an dem Besuch verhindert. Ich habe den Eindruck, daß die Arbeit sich trotz mannigfacher Kritik um eine sachliche und faire Würdigung bemüht. In jedem Falle erscheint es mir als ein Fortschritt, daß mit dieser Schrift der Bann des Schweigens, den die Zunft um Sie zu legen versucht hat, gebrochen wird. Die Arbeit soll, so viel ich weiß, im nächsten Jahr im Druck erscheinen1738. Daß die Widerwärtigkeiten, mit denen ich zu kämpfen habe1739, durch das Erscheinen meines „Wirtschaftsverwaltungsrechts“ nicht vermindert worden sind, brauche ich Ihnen nicht besonders zu sagen. Es war nicht anders zu erwarten. Ich bemühe mich im übrigen, mich nicht in die Rolle eines Experten für dieses Gebiet abdrängen zu lassen, sondern nunmehr anderen Dingen nachzugehen. Herzliche Grüsse und Wünsche Ihres Ernst Rudolf Huber

Nr. 209 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 10.3.1958 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Plettenberg, den 10. März 1958 Lieber und verehrter Herr Huber, Sie werden sich denken können, mit welcher Spannung und Beteiligung ich Ihre Antrittsvorlesung vom 16. November 19571740 gelesen habe und wer1737 Peter Schneider, Ausnahmezustand und Norm. Eine Studie zur Rechtslehre von Carl Schmitt, Stuttgart 1957 (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 1). 1738 Schneider habilitierte sich erst 1955 mit der Arbeit über Carl Schmitt in Tübingen. Sie erschien zwei Jahre später als Buch. 1739 Mehrere Versuche, Huber zu Beginn der 1950er Jahre zu berufen, scheiterten. Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, S. 325, Anm. 88. 1740 Ernst Rudolf Huber, Zur Problematik des Kulturstaates, Tübingen 1958 (= Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 212). Es handelt sich um die Antrittsvorlesung Hubers an der Hochschule für Sozialwissenschaften in Wilhelmshaven. Hier hatte Huber nach langer Wartezeit 1957 eine Professur erhalten. Grothe, Angelegenheit.

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den meine grosse Freude über diese in jeder Hinsicht meisterhafte „Konferenz“ wohl verstehen. Ich habe mich infolgedessen auch über Ihre Widmung1741 von Herzen gefreut. Jetzt wünsche ich Ihnen, dass Sie Ihre berufliche Arbeit ohne die niedrigen Anfeindungen und Schikanen fortsetzen können, mit denen man Sie bisher verfolgt und belästigt hat, und an denen Sie sich mit Ihrer moralischen und intellektuellen Überlegenheit so vollkommen bewährt haben. Hoffentlich kommt jetzt für Sie eine Zeit der Ruhe und Unangefochtenheit1742, in der Sie die weiteren Ergebnisse Ihrer grossartigen Arbeitskraft in die Scheuer bringen können. Ich musste in diesen letzten Monaten viel an Sie denken, weil ich eine Sammlung verfassungsrechtlicher Aufsätze herausgebe1743, was eine unglaublich mühevolle Arbeit ist. Jede Bemerkung muss Wort für Wort überlegt werden; jedes Zitat eines Namens wird zum Problem, weil ich den Zitierten nicht mit meinem verfolgten Namen in Verbindung bringen darf. Ich füge eine kleine Probe (die Bemerkung zu dem Enteignungs-Aufsatz von 19291744) bei. Und jetzt zu 21 Aufsätzen aus den Jahren 1924–54 Bemerkungen schreiben, dazu ein Vorwort1745, in dem jeder Satz von routinierten Charaktermördern verdreht werden wird, auf das ich aber doch nicht verzichten kann! Nun, das können Sie sich sicher | gut ausmalen. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass ich die zentrale verfassungsgeschichtliche Bedeutung des Jahres 1932 erkannt habe und zum Glück aus der Zeit von Sommer 32 bis Frühjahr 33 noch zahlreiche tägliche Aufzeichnungen besitze, über Gespräche mit Ihnen, dem Major Ott, Erich Mar[c]ks und vielen anderen, namentlich ein genaues, stenographiertes Tagebuch der Woche vor dem 30. Januar 19331746. Doch muss ich in meinen Bemerkungen mit persönlichen Erinnerungen zurückhaltend bleiben. Ich freue mich darauf, Ihnen das Buch bald schicken zu können. Der Umbruch ist korrigiert; vielleicht erscheint es noch im April oder Mai (504 Seiten, dazu Namen- und Sachregister).

1741 Die Widmung lautete: „Für Carl Schmitt in Erinnerung an meine Promotion in Bonn im WS 1926/27 und in beständiger Verehrung 3.3.[19]58 ERH“. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 25674. 1742 Eine Berufung Hubers nach Münster 1961 scheiterte. 1962 wurde die Hochschule für Sozialwissenschaften in Wilhelmshaven in die Universität Göttingen integriert. Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, S. 329 f. 1743 Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze. 1744 Ders., Die Auflösung des Enteignungsbegriffs, in: Juristische Wochenschrift 58 (1929), Sp. 495–497; auch in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 110–118; die Bemerkung ebd., S. 118–123. 1745 Ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 7 f. 1746 Ders., Tagebücher, S. 255–257.

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Über alles das hätte ich gern mit Ihrem Sohne Konrad gesprochen, den ich schätzen und lieben gelernt habe1747. Doch war er nach der Hochzeit Animas am 13. Dezember1748 plötzlich nicht mehr aufzutreiben, und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Ich wollte ihm noch ein Kinderphoto von ihm selber schenken, das ich damals, 1935, von seiner Mutter erhalten hatte1749; ferner Fotos von der Hochzeit zeigen, auf einem von denen er gut getroffen ist. Dann wollte ich Sie noch auf das Buch von Wolfgang Böckenförde1750 über „Gesetz und gesetzgebende Gewalt“1751 aufmerksam machen und Sie bitten, ihm nicht zu verargen, dass er Ihre Verfassungsgeschichte Bd. I1752 nicht mehr berücksichtigt hat. Ich halte ihn für einen ungewöhnlich begabten und ebenso gediegenen jungen Gelehrten des öffentlichen Rechts. Schliesslich schicke ich Ihnen noch einen Abdruck des Rundfunkvortrages von Walter Warnach1753 über Peter Schneiders Buch1754. Es hat mir weh getan, dass Friesenhahn dieses Buch benutzt, um mich als Feind des Rechtsstaates zu denunzieren1755; aber auch das ist nicht wichtig. 1747 Konrad Huber hatte Schmitt auf einer Tagung im Kloster Ebrach getroffen und ihm am 3.11.1957 für die Übersendung eines Widmungsexemplars des „Nomos der Erde“ gedankt. Am 8.12.1957 dankte er für die Einladung zur Hochzeit Anima Schmitts. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6292–6293. 1748 Nach der standesamtlichen Hochzeit in Santiago de Compostela heiratete Anima Schmitt am 13.12.1957 in der Heidelberger Schlosskapelle den spanischen Rechtshistoriker Alfonso Otero (1925–2001). Mehring, S. 510. 1749 Im Brief von Tula Huber-Simons an Schmitt aus dem Jahr 1965 wird dieses Foto erwähnt. Siehe Anhang III.7. 1750 Ernst-Wolfgang Böckenförde (geb. 1930) lehrte Öffentliches Recht an den Universitäten Heidelberg (1964–1969), Bielefeld (1969–1977) und zuletzt Freiburg. Von 1983 bis 1996 war er Richter am Bundesverfassungsgericht. Reinhard Mehring, Zu den neu gesammelten Schriften und Studien Ernst-Wolfgang Böckenfördes, in: Archiv des öffentlichen Rechts 117 (1992), S. 449–473. 1751 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt. Von den Anfängen der deutschen Staatsrechtslehre bis zur Höhe des staatsrechtlichen Positivismus, Berlin 1958 (= Schriften zum öffentlichen Recht, 1). 1752 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 1: Reform und Restauration 1789 bis 1830, Stuttgart 1957. 1753 Walter Warnach (1910–2000) war ein Philosoph, Kunsthistoriker und Schriftsteller und mit Schmitt seit Ende der 1940er Jahre befreundet. 1754 Der Vortrag wurde am 9.10.1957 im Süddeutschen Rundfunk ausgestrahlt. 1755 Friesenhahn war der akademische Lehrer Schneiders und protestierte in einem Leserbrief gegen die (anonyme) negative Rezension von dessen Buch über Schmitt. [o.V.], Rezension zu Peter Schneider, Ausnahmezustand und Norm, in: Civis 4 (1957/58), S. 49, sowie die Reaktionen ebd., S. 71. Dazu: Frieder Günther, Denken vom Staat her. Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration 1949–1970, München 2004 (= Ordnungssysteme, 15), S. 100 f.

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[am linken Rand quer:] Jetzt schliesse ich, lieber Herr Huber, mit nochmaligem Dank für die herrliche Antrittsvorlesung über das Problem des Kulturstaates und bleibe mit vielen Grüssen und mit den besten Wünschen für Sie und die Ihrigen Ihr alter Carl Schmitt.

Nr. 210 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Freiburg, 7.7.1958 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6286, Durchschlag: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Prof. Dr. Ernst Rudolf Huber / Freiburg-Zähringen i. Br., / In der Röte 2 / Telefon 7393“, Adresse: „Herrn / Prof. Dr. Carl Schmitt / Rua del Villar, 72 / Santiago de Compostela“1756

7.7.1958 Verehrter, lieber Herr Schmitt, Sie vollenden in wenigen Tagen das 7. Jahrzehnt Ihres reichen, tätigen, vielfältig ausstrahlenden und fortwirkenden Lebens1757. Lassen Sie sich zu diesem Tag Dank sagen für das, was Sie Ihren Schülern und Freunden vermittelt haben und durch das, was Sie sind, bedeuten. Lassen Sie sich nicht minder danken für den Beitrag, den Sie der Welt der Wissenschaft und des Geistes dargebracht haben in einer Lebensarbeit, die unvergleichlich in der Staats- und Verfassungslehre unserer Generation steht. Es wird Ihnen zu diesem Tag von vielen Seiten, und sicher von weit Berufeneren, gesagt werden1758, welches Maß an Erkenntnis dieses Jahrhundert der Konzentration und der Dekomposition der Staatlichkeit Ihrer Sicht der Dinge, Ihrem Einblick und Ihrer Aussage schuldet. Sie wissen das selbst am gewissesten. So wird die auch an einem solchen Tag nicht verstummende Polemik der Subalternen Sie unberührt lassen. Sie haben trotz des Unsterns, der über den Vergänglichkeiten der vergangenen 50 Jahre waltet, Unentdecktes in dauernde Gegenwärtigkeit emporzuheben vermocht. So bald wird man Ähnliches zum Ruhm eines deutschen Juristen nicht wieder sagen können. Meine Frau, Konrad und ich wünschen Ihnen von Herzen, daß der 11. Juli ein rechter Festtag für Sie wird, daß Sie ihn, dem westdeutschen 1756 Huber sendete den Brief an die Adresse von Tochter und Schwiegersohn Schmitts. Schmitt feierte dort seinen 70. Geburtstag. Mehring, S. 518. 1757 Am 11.7.1958 wurde Schmitt siebzig Jahre alt. 1758 Ein Jahr verspätet erschien eine Festschrift für Schmitt, an der Huber sich nicht beteiligte. Hans Barion/Ernst Forsthoff/Werner Weber (Hg.), Festschrift für Carl Schmitt, Berlin 1959.

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Getriebe und Gehabe weit entrückt, mit Anima und Ihrem Schwiegersohn aufs Schönste begehen und daß Ihnen auch nach dem Eintritt in dieses neue Jahrzehnt Frische und Kraft lange bewahrt bleiben. Mit herzlichen Grüßen dankbar und getreulich immer Ihr Ernst Rudolf Huber

Nr. 211 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Göttingen, 14.7.1963 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6287 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Prof. Dr. Ernst Rudolf Huber“, gestrichen: „Wilhelmshaven-Rüstersiel / Hochschuldorf / Telefon 24007“

Göttingen, 14. Juli 1963 Leonard Nelsonstr.1759 20 Hochverehrter, lieber Herr Schmitt! Im Drang des Semesterbetriebs1760 habe ich leider versäumt, Ihnen rechtzeitig zu schreiben. Nehmen Sie bitte meine von Herzen kommenden Wünsche zu Ihrem Geburtstag noch nachträglich an1761. Es sind nun fast vierzig Jahre her, daß mir als jungem Studenten in Bonn die entscheidende Begegnung mit Ihnen widerfuhr, die das aus mir gemacht hat, was ich geworden und geblieben bin. Des Dankes, den ich Ihnen für diese Wende schulde, die Sie meinem Leben, meinem Denken, meiner Entfaltung gegeben haben, bin ich mir immer bewußt. Einen großen Kreis von Schülern haben sie in ähnlicher Weise bestimmt und geprägt. Wenn Sie an einem solchen Festtag das Vergangene und das Kommende überdenken, werden Sie spüren, daß Sie in der Welt des Rechtsdenkens eine Tradition gestiftet haben, in der Sie fortwirkend gegenwärtig sind. Das, was Sie an Neuem in das Reich des Geistes eingebracht haben, kann weder durch Verflachungen noch durch Verfälschungen ausgelöscht oder verdunkelt werden. | 1759 Leonard Nelson (1882–1927) war ein deutscher Philosoph, der seit 1919 als außerordentlicher Professor in Göttingen lehrte. Holger Franke, Leonard Nelson. Ein biographischer Beitrag unter besonderer Berücksichtigung seiner rechts- und staatsphilosophischen Arbeiten, Ammersbek bei Hamburg 1991. 1760 Huber lehrte seit 1962 an der Universität Göttingen, in der die Wilhelmshavener Hochschule für Sozialwissenschaften aufgegangen war. 1761 Schmitt hatte am 11.7. seinen 75. Geburtstag gefeiert.

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Meine Frau, meine Söhne und ich selbst wünschen Ihnen zur Vollendung des fünfundsiebzigsten Jahres die ungeminderte Kraft zum Beharren in den Wechselfällen der sich ständig selbst gefährdenden Welt und zum Vertrauen auf die das Unrecht und die Unordnung am Ende dort überwindende necessitas rerum1762. Mit herzlichen Grüßen Ihr aufrichtig und dankbar ergebener Ernst Rudolf Huber

Nr. 212 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 11.2.1976 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Plettenberg-Pasel1763 11/2/ 76 Lieber Ernst Rudolf Huber, Sie haben mir in Ihrer grossartigen Deutschen Verfassungsgeschichte Bd. 3 – für deren Zusendung1764 ich mich noch nicht einmal bedankt habe – die Spitzmarke „ultrakonservativ“ angehängt1765. Das hat mir manchen Ärger verschafft1766. Ich möchte nicht in Diskussionen eintreten, und erwarte auch keine Antwort auf diese Zeilen. Nur hatte ich vor einigen Tagen ein langes Gespräch mit Christian Meier1767, der mich hier besuchte. Meier war sehr eifrig an der Frage der Indemnität interessiert, zitierte S. 19 meines „Staatsgefüges und Zusammenbruch“ und fand es „interessant“, dass 1762

Lat.: „Notwendigkeit“. Pasel ist ein im Osten gelegener Ortsteil der Stadt Plettenberg. Schmitt bewohnte ein freistehendes einstöckiges Einfamilienhaus, das seine Hausdame, Anni Stand (1915–1997), 1970 hatte bauen lassen. Mehring, S. 557. 1764 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 3 im Nachlass Schmitts. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 23545. 1765 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 3: Bismarck und das Reich, Stuttgart 1963, S. 366. 1766 Dies kommt in zwei Briefen Schmitts an Forsthoff vom 10.1.1964 und 15.12.1967 deutlich zum Ausdruck. Briefwechsel Schmitt-Forsthoff, Nr. 179, S. 199, und Nr. 238, S. 250. 1767 Christian Meier (geb. 1929) hatte seit 1966 verschiedene Professuren für Alte Geschichte, zuletzt 1981 bis 1997 in München inne. Er war von 1980 bis 1988 Vorsitzender des Verbandes der Historiker Deutschlands. Christian Meier, Lehrstuhl Christian Meier. 1.3.1981–31.3.1997, in: Jakob Seibert (Hg.), 100 Jahre Alte Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München (1901–2001), Berlin 2002, S. 183–195. 1763

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„Bismarck dann mit der Zeit merkt, dass der Kampf doch um Worte geht“. Dann wörtlich (im Zusammenhang mit der „gegenwärtigen übermächtigen Dynamik der Dinge“): „warum es da ‚konservativ‘ ist, die Dinge zu durchschauen, das ist ein stasiologisches1768 Problem“. Ich habe Chr.[istian] Meier versprochen, Ihnen einen Sonderdruck seines | Indemnitäts-Aufsatzes1769 zu schicken. Was hiermit geschieht1770. Ihr alter Carl Schmitt.

Nr. 213 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Freiburg, 9.10.1976 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6288 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Prof. Dr. Ernst Rudolf Huber / Freiburg-Zähringen i. Br., / In der Röte 2 / Telefon 0761/53718“, Notiz von Schmitt: „b.[eantwortet] 25/10/76“

9. Oktober 76 Lieber Herr Schmitt, Ihr Brief vom 11. Februar hat mich sehr berührt. Haben Sie Dank für das Zeichen des Gedenkens an alte Zeiten. Mit der Antwort habe ich gewartet, bis ich Ihnen den Band 2 der Edition „Staat und Kirche“ übersenden kann1771. Ich bitte Sie, auch im Namen des Mitherausgebers, meines jüngsten Sohnes1772, die vor kurzem erschienene Sammlung freundlich entgegenzunehmen. Besonders danke ich Ihnen für den Aufsatz von Herrn Christian Meier. Die treffliche Arbeit führt die Eigenart der Indemnitätsfrage im cäsaristischen System anschaulich vor Augen. Zu den Indemnitätsfragen des Verfassungsstaats habe ich inzwischen mannigfache weitere Beispiele gefunden. Ein schöner Fall ist die ohne Zustimmung des Reichstags, aber 1768 Schmitt definiert die christliche Trinitätslehre als Stasiologie. Carl Schmitt, Politische Theologie II. Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie, Berlin 1970, S. 118. 1769 Christian Meier, Das Kompromiss-Angebot an Caesar i. J. 59 v. Chr., ein Beispiel senatorischer „Verfassungspolitik“, in: Museum Helveticum 32 (1975), S. 197–208. 1770 Eine Beilage ist nicht überliefert. 1771 Ernst Rudolf Huber/Wolfgang Huber (Hg.), Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Bd. 2: Staat und Kirche im Zeitalter des Hochkonstitutionalismus und des Kulturkampfs 1848–1890, Berlin 1976. 1772 Wolfgang Huber.

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unter Indemnitätsvorbehalt vollzogene Ratifikation der Ergänzungsabkommen zum Frieden von Brest-Litowsk1773 (September 1918)1774. Winfried Baumgart1775 hat den Fall im Historischen Jahrbuch 1969 ins Licht gerückt1776, aber ihn staatsrechtlich nicht ganz in den Griff bekommen. Das Gesamtproblem der Indemnität mit den zahlreichen Varianten harrt immer noch auf die systematische Untersuchung. Mit guten Wünschen bin ich In alter Verehrung Ihr Ernst Rudolf Huber

Nr. 214 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 25.10.1976 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6288 Briefentwurf in Kurzschrift auf der Rückseite von Brief Nr. 213

Lieber Herr Huber, herzlichen Dank für das kostbare Geschenk und Ihr Begleitschreiben vom 9. Okt.! Ich weiß den allseitigen Wert – Arbeitswert, Aufmerksamkeitswert, Lehrwert, Sachwert, sogar Freizeitwert – eines solchen Dokumentenbandes wohl zu schätzen, der in vorliegender Editionsleistung unter aktuellen Gesichtspunkten etwas herrlichen bundes[. . .] Pluralismus wirkungsvollen [. . .]. Leider habe ich kein auch nur in Ehren[. . .] würdiges Gegengeschenk zur Verfügung. Den beigefügten kleinen Sonderdruck1777 bitte ich Sie[,] Ihrem Sohn Wolfgang zu übermitteln. Dabei möchte ich gar viel [. . .], dass ein 1773 Im Frieden von Brest-Litowsk vom 3.3.1918 schloss Russland mit den Mittelmächten einen Vertrag, der vor allem das Deutsche Reich begünstigte. Das Ergänzungsabkommen, das in Artikel 12 vorgesehen war, wurde am 27.8.1918 in Berlin unterzeichnet. 1774 Ernst Rudolf Huber, Die zustimmungslose Ratifikation mit Indemnitätsvorbehalt. Zur staatsrechtlichen Problematik der deutsch-russischen Ergänzungsabkommen zum Frieden von Brest-Litowsk, in: Rolf Stödter/Werner Thieme (Hg.), Hamburg, Deutschland, Europa. Beiträge zum deutschen und europäischen Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsrecht, Tübingen 1977, S. 47–67, hier S. 57, der Hinweis auf den Aufsatz von Meier und der Dank an Carl Schmitt für den Hinweis. 1775 Winfried Baumgart (geb. 1938) lehrte von 1973 bis 2003 als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Mainz. 1776 Winfried Baumgart, Die „geschäftliche Behandlung“ des Berliner Ergänzungsvertrags vom 27. August 1918. Eine Episode der deutschen Verfassungsgeschichte, in: Historisches Jahrbuch 89 (1969) S. 116–152. 1777 Carl Schmitt, Eusebius als der Prototyp Politischer Theologie, in: Gerhard Ruhbach (Hg.), Die Kirche angesichts der Konstantinischen Wende, Darmstadt 1976, S. 220–235.

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Gast, der die fürstlichen Geschenke eines fabelhaften weißen Elefanten mir überreichte, eines Schmetterlings als Gegengabe zu beantworten sucht. Ihre freundliche Erinnerung an die Zeit Ihrer Bonner Promotion [. . .] mir über sehr [. . .] hinweg. Also nochmals vielen Dank für alle guten Wünsche für Sie, für Ihre verehrte Frau und auch für Konrad1778; vielleicht [. . .] ist er noch interessiert. Ihr alter C. S.

Nr. 215 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Freiburg, 19.2.1978 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6289, Entwurf und Abschrift: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Prof. Dr. Ernst Rudolf Huber / Freiburg-Zähringen i. Br., / In der Röte 2 / Telefon 0761/53718“, Notiz von Schmitt: „beantw.[ortet] 9/9/81“

19. Februar 78 Lieber Herr Schmitt, erlauben Sie mir, Ihnen den fünften Band der „Verfassungsgeschichte“ in freundlichem Gedenken zu übersenden1779. Der Band hat mir länger zu schaffen gemacht, als ich voraussehen konnte; zuweilen hatte ich Zweifel, ob mir der Abschluß gelingen werde1780. Der dem Band, ungeachtet der aufgewandten Mühe, anhaftenden Mängel bin ich mir bewußt. Die Aufgabe, Selbsterlebtes als Geschichte – als abgeschlossenes, unwiderrufliches Geschehen – zu begreifen, ist unlösbar. Vielleicht aber hat es doch seinen Sinn, die Dinge aus einer Sicht, in der der Ausgang noch offen zu sein scheint, darzustellen und damit unmittelbar Zeugnis von Ereignissen, Erwä1778 Konrad Huber war 1961 in Freiburg promoviert worden. Mit Brief vom 21.12.1964 übersandte er Schmitt ein Exempar seiner Dissertation. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6294. Konrad Huber, Maßnahmegesetz und Rechtsgesetz. Eine Studie zum rechtsstaatlichen Gesetzesbegriff, Berlin 1963 (= Schriften zum öffentlichen Recht, 12). Sein jüngerer Bruder Ulrich wurde 1965 in Heidelberg promoviert und habilitierte sich 1968. Gerhard Huber wurde 1968 in München promoviert. Konrad, Ulrich und Gerhard Huber wurden Juristen, Albrecht Huber wurde 1964 in Kiel als Physiker promoviert. Wolfgang Huber erwarb den Doktortitel in Evangelischer Theologie 1966 in Tübingen und habilitierte sich 1972 in Heidelberg. Wolfgang Huber, Passa und Ostern. Untersuchungen zur Osterfeier der alten Kirche, Berlin 1969 (= Beiheft zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, 35). 1779 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung 1914–1919, Stuttgart u. a. 1978. 1780 Zwischen dem Erscheinen von Band 4 und Band 5 lagen neun Jahre, die längste Zeitspanne zwischen allen Bänden.

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gungen und Entscheidungen zu geben, von denen die heutige Welt durch so tiefe Cäsuren getrennt ist. Als Sonderdruck füge ich die neben vielen anderen Exkursen aus dem Band ausgeschiedene, in die Ipsen-Festschrift eingefügte kleine Studie über die „zustimmungslose Ratifikation“ der Ergänzungsverträge zum Frieden von Brest-Litowsk bei, die einen der zahlreichen Aspekte der Indemnitätsfrage behandelt1781. Für Werner Weber fand im vorigen Mai in Göttingen eine Gedenkfeier statt, bei der Hans Schneider eine | schöne Rede hielt1782, die sicher in Ihre Hand gekommen ist. Anfang Juli war ich in Bonn, wohin die Fakultät mich zur Erneuerung meines Doktordiploms geladen hatte1783. Friesenhahn, Scheuner, Flume1784, meine Frau waren dabei. Es war ein besonderer Anlaß, Ihrer und der alten Bonner Zeiten treulich zu gedenken1785. In der Hoffnung, daß Sie sich wohlbefinden und bei guten Kräften sind, bin ich mit herzlichen Wünschen Ihr immer ergebener Ernst Rudolf Huber Nr. 216 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 10.3.1978 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, handschriftlich

Plettenberg-Pasel 11c den 10. März 1978 Lieber Herr Huber, seit fast einem Monat lese ich in Ihrem Bd. V der Deutschen Verfassungsgeschichte und bei jedem Abschnitt war ich von neuem gefesselt. Es ist 1781

Die Anlage fehlt. Der erwähnte Aufsatz siehe oben Anm. 1774. In memoriam Werner Weber. Gedenkfeier am 6. Mai 1977 in der Aula der Universität Göttingen mit einer Gedenkrede von Hans Schneider und Gedenkworten von Hans-Jürgen Beug, Göttingen 1977 (= Göttinger Universitätsreden, 62). 1783 Am 6.7.1977 wurde das Goldene Doktorjubiläum Hubers in Bonn gefeiert. Huber hielt einen später erweitert veröffentlichten Vortrag. Ernst Rudolf Huber, Verfassungswirklichkeit und Verfassungswert im Staatsdenken der Weimarer Zeit, in: Hans-Wolf Thümmel (Hg.), Arbeiten zur Rechtsgeschichte. Festschrift für Gustav Klemens Schmelzeisen. Bd. 2, Stuttgart 1980 (= Karlsruher kulturwissenschaftliche Arbeiten, 2), S. 126–141. 1784 Werner Flume (1908–2009) hatte zwischen 1927 und 1932 in Bonn studiert und promoviert. Er lehrte seit 1953 Römisches Recht, vergleichende Rechtsgeschichte und Steuerrecht in Bonn. Wolfgang Ernst, Werner Flume zum 100. Geburtstag, in: Neue Juristische Wochenschrift 61 (2008), S. 2760 f. 1785 Erst 1988 – zum hundertsten Geburtstag Schmitts – entstand ein neunseitiges Manuskript „Carl Schmitt in seiner Bonner Zeit“, das sich in Hubers Nachlass befindet. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 289. Siehe Anhang V.4. 1782

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ein ungewöhnliches, bewunderungswürdiges Werk, sowohl in der Forschungsarbeit und Dokumentierung, wie in der Urteilskraft seiner Konklusionen und in der erquickenden Sicherheit seiner klaren Darlegung. Sie haben Recht[,] wenn Sie vermuten, dass ich diese Geschichte des ersten Weltkrieges und der anschliessenden Nachkriegsjahre als Zeitgeschichte mit autobiographischem Interesse lesen kann; denn ich war vier Jahre lang Referent für Kriegszustandsrecht (nach dem Bayerischen K[riegs-]Z[ustands-]Gesetz1786) der Abt.[eilung] P beim Stellv.[ertretenden] G[eneral]k[omman]do I. b.[eim] A[rmee-]K[orps]1787 in München in der HerzogMax-Burg1788, anschliessend Objekt der Eisner- und Niekisch-Republik1789, und dann wieder beim Stabe der Regierungstruppen (Hauptmann Rott1790, der spätere bayer.[ische] Justizminister) – alles Abschnitte Ihrer verfassungsgeschichtlichen Darstellung, die ich persönlich verifizieren kann. | So bin ich ein geradezu prädestinierter Leser und Benutzer Ihres Werkes und darf mir ein Urteil erlauben, wenn ich mich für Ihre freundliche Zusendung, für die ehrenvolle Widmung1791 und den persönlichen Begleitbrief herzlich bedanke. 1786 Das Bayerische Gesetz über den Kriegszustand stammte vom 5.11.1912. Michael Kotulla, Deutsches Verfassungsrecht 1806–1918. Eine Dokumentensammlung nebst Einführungen. Bd. 2: Bayern, Berlin/Heidelberg 2007, Nr. 472, S. 2014– 2017. 1787 Schmitt wurde am 23.3.1915 dorthin abkommandiert und war bis Ende März 1919 zunächst im Range eines Gefreiten, dann eines Unteroffiziers, schließlich ab März 1917 verbeamtet als Referatsleiter P 6 für Presseüberwachung und Zensur in den Bereichen Friedensbewegung, Unabhängige Sozialdemokratische Partei, Alldeutsche Bewegung usw. zuständig. Carl Schmitt, Die Militärzeit 1915 bis 1919. Tagebuch Februar bis Dezember 1915. Aufsätze und Materialien, hg. v. Ernst Hüsmert/Gerd Giesler, Berlin 2005, S. 183. 1788 Die Herzog-Max-Burg ließ Herzog Wilhelm V. von Bayern (1548–1626) zwischen 1593 und 1596 errichten. Sie hieß zunächst Wilhelminische Veste und wurde im 17. Jahrhundert nach Herzog Maximilian Philipp (1638–1705) genannt, der sie als Residenz nutzte. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie zerstört, aber 1954– 1957 als Neue Maxburg wieder aufgebaut. 1789 Der Journalist und Schriftsteller Kurt Eisner (1867–1919) war seit 1917 Mitglied der USPD, wurde am 8.11.1918 zum ersten Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern gewählt und am 21.2.1919 ermordet. Der Schriftsteller und Politiker Ernst Niekisch übernahm als Vorsitzender des Zentralrats der bayerischen Republik für einen knappen Monat die Regierungsgewalt. Haus der Bayerischen Geschichte (Hg.), Revolution! Bayern 1918/19. Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg 2008 (= Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur 37). 1790 Hauptmann Christian Roth (1873–1934) war als Leiter der Abteilung P beim Generalkommando der Vorgesetzte von Carl Schmitt. 1920/21 wurde er zum bayerischen Justizminister ernannt, 1928 Generalstaatsanwalt beim Verwaltungsgerichtshof. Schmitt, Militärzeit, S. 519 f. 1791 Die Widmung lautete: „Meinem Lehrer Carl Schmitt in treulicher Erinnerung an das Bonner staatsrechtliche Seminar der Jahre 1924–1926 und an seine Mitglie-

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Ihren beginnenden Lebensabend1792 eröffnen Sie, lieber Herr Huber, mit einem imposanten Werk. Das möge ein gutes Vorzeichen werden für eine nun einsetzende Phase, die der alles-wissende alte Goethe so gekennzeichnet hat: „Der Alte verliert eines der grössten Menschenrechte: er wird nicht mehr von seinesgleichen beurteilt.“1793 So – wörtlich, auch: Menschenrechte – ein Alter, der sich eigentlich nicht zu beklagen brauchte. Umso lebhafter und tiefer sind die Wünsche, die ich bei diesem schönen und hoffnungsvollen Anlass für Sie persönlich und für die Ihrigen zum Ausdruck bringen darf. Stets Ihr Carl Schmitt.

Anlage 1 Fotokopie (The Times 7.2.1978)1794 für: Ernst Rudolf Huber zur Erinnerung an das Jahr 1939/40 und seinen Aufsatz „Positionen und Begriffe“ III (S. 25 ff.) Carl Schmitt Februar/März 1978 7. Februar 1978 „Lines have to be drawn“1795 Schluss des „Nomos der Erde“ (1950) Anlage

der dankbar überreicht im Februar 1978 Ernst Rudolf Huber“. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 27514. 1792 Huber feierte im Juni 1978 seinen 75. Geburtstag. 1793 Johann Wolfgang von Goethe, Über Kunst und Alterthum. Einzelnes (1826), in: ders., Maximen und Reflexionen, hg. v. Jutta Hecker, Leipzig 1941, S. 44–60, hier S. 56. 1794 Eine Kopie des Artikels „Monroe Doctrine for Africa?“ sandte Schmitt auch an Mohler. Mohler, Briefwechsel mit einem seiner Schüler, Nr. 386, S. 423 f. (Februar 1978). 1795 Engl.: „Die Linien müssen gezogen werden.“

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L[ieber] H[uber], anbei ein verehrungswürdiges Dokument1796. Mohler, der ihn vor einigen Monaten besuchte, sagte mir, E.[hrenfried] Sch.[ütte]1797 werde jetzt 90 Jahre.

Nr. 217 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Freiburg, 8.7.1978 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6290 Brief, handschriftlich

Freiburg-Zähringen, 8. Juli 1978 Lieber, hochverehrter Herr Schmitt, von Herzen sagen meine Frau und ich Ihnen unsere guten Wünsche zu dem Festtag, den Sie am 11. Juli, gewiß im Kreis vieler Freunde, begehen werden1798. Die Gedanken, auch die der Freunde, wenden sich besonders an solchen Tagen in die Vergangenheit, die durch das Erinnern lebendige Gegenwart bleibt. Nach meinen Tübinger und Münchener Anfangsstudien kam ich zum Sommersemester 1924 nach Bonn; das erste Kolleg, das ich dort hörte, war Ihre staatsrechtliche Vorlesung1799; in der ersten Stunde der Übungen (die Sie dann an Bilfinger abgaben1800) behandelten Sie die Verfassungsprobleme der Aufwertung: ob diese nicht eigentlich eine „Abwertung“ und somit eine verfassungswidrige Teil-Konfiskation sei? Diese herausfordernde Art des Fragens zog mich von Beginn an in Ihren Bann. In diesem Frühjahr 1924 waren Sie 35, ich war 20 Jahre – wie hinreißend war es, damals Student zu sein und bei Ihnen Verfassungsrecht, bald auch Völkerrecht zu hören: in diesem bewegenden Jahr zwischen Inflation, Ruhrkampf, Separatismus, Münchener Putsch auf der einen, und der einsetzenden „Normalisierung“1801 auf der anderen Seite, eine Normalisierung, deren Schein-Charakter Sie uns ins Bewußtsein riefen. Sie haben Ihre Hörer in 1796

Schreiben von Carl Schmitt an Ehrenfried Schütte vom 13.1.1978. Ehrenfried Schütte (1910–2007) war ein Russlandforscher, der im Zweiten Weltkrieg am Russlandfeldzug auf der Krim teilnahm und nach 1945 bei der Münchener Rückversicherung beschäftigt war. Die Angabe, Schütte werde 1978 neunzig Jahre alt, ist falsch. 1798 Schmitt feierte seinen 90. Geburtstag mit einem großen Empfang in Plettenberg. Mehring, S. 569 f. 1799 Schmitt hielt 1924 die Vorlesung „Die deutsche Verfassung von 1919“. Personalverzeichnis für das Winter-Halbjahr 1923/24 und Vorlesungsverzeichnis für das Sommer-Halbjahr 1924. 15. April 1924 bis 14. August 1924 der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn und der landwirtschaftlichen Hochschule zu Bonn-Poppelsdorf, Bonn o. J. [1924], S. 57. 1800 Bilfinger vertrat einen Lehrstuhl in Bonn. 1797

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dieser Zeit der | vordergründigen Stabilisierung und der hintergründig fortdauernden Krisen- und Konfliktslagen mit dem Phänomen der „wirklichen“ Verfassung und des „wirklichen“ Völkerrechtssystems vertraut gemacht, vor allem in Ihren staatstheoretischen Seminaren, an denen ich vom Winter 1924/25 teilgenommen habe. Die bescheidenen Referate, die ich damals bei Ihnen halten durfte (das erste über Heinrich Göpperts „Staat und Wirtschaft“)1802, waren der Anfang eines viele Jahre anhaltenden wissenschaftlichen Gesprächs und für mich zugleich die ersten Gehversuche auf dem Weg der eigenen Arbeit. Erinnern Sie sich der vielen Abende im Weinhaus Streng1803, wohin Sie Ihre Schüler nach dem Seminar einzuladen pflegten? Wie wesentlich war für uns, Ihre Schüler, die durch Sie geschaffene Ebene freimütiger Diskussion, aus der sich auch zwischen uns Jüngeren eine so starke Bindung fürs Leben entwickelt hat. Lassen Sie sich aus Anlaß der Vollendung des neunten Lebensjahrzehnts danken für diesen damals in Bonn gelegten dauernden Grund lebendiger Lehre und Forschung, der sich, unbeeinträchtigt durch die Erosionen und Eruptionen der Zeit, erhalten hat und der sich vielleicht doch auch hinfort als beständig erweisen wird. Wir wünschen Ihnen weitere gute Jahre bei guten Kräften. An der beigefügten Gabe, einer Neuauflage des ersten Bandes der „Dokumente“, wird Sie vielleicht das eine oder andere der neuaufgenommenen Stücke interessieren1804. Nehmen Sie den Band bitte entgegen als Zeichen der dauernden Verehrung1805. Mit getreulichen Grüßen Ihr Ernst Rudolf Huber

1801 Auch in der Geschichtswissenschaft ist für die Zeit zwischen 1924 und 1929 häufig von einer ruhigen Phase der Weimarer Republik die Rede. 1802 Seinen Bonner Erinnerungen zufolge referierte Huber außerdem über Rousseaus Preisschrift von 1754 zum „Discours über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 289. Siehe Anhang V.4. 1803 1880 gegründete Weinstube und Weinhandlung in der Bonner Innenstadt (Mauspfad). Inhaber waren Peter und Josef Streng. 1804 Ernst Rudolf Huber (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850. 3. Aufl., Stuttgart u. a. 1978. Gegenüber der zweiten Auflage von 1961 mit 496 Seiten umfasste die dritte Auflage 637 Seiten und insgesamt 45 neue Dokumente. 1805 Die Widmung lautete: „Carl Schmitt in dankbarer Erinnerung an Bonn und Berlin mit guten Wünschen zum 11. Juli 1978 überreicht. Ernst Rudolf Huber“. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 27510.

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Nr. 218 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Freiburg, 30.8.1981 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6291 Brief, handschriftlich

Freiburg-Zähringen1806 In der Röte 2 30. August 1981 Lieber, verehrter Herr Schmitt! Der beigefügte sechste Band der „Verfassungsgeschichte“1807 hätte Ihnen zum 11. Juli zugehen sollen – die Verzögerungen, die das moderne Setzverfahren bei den Buchdruckern verursacht, haben das leider unmöglich gemacht. So kann ich Ihnen diesen Weimarer „Institutionen-Band“ (der „Krisen-Band“ soll noch kommen1808) erst jetzt übermitteln und Ihnen zugleich, wenn auch mit unziemlicher Verspätung, meine herzlichen Wünsche für das vierundneunzigste Jahr Ihres Lebens sagen. Ich verbinde damit den Ausdruck des Dankes, den ich Ihnen vielfältig schulde: für die Wendung, die Sie meinem Leben in meinen Bonner Anfängen gegeben haben wie für die mannigfache Förderung in der späteren Zeit. Ich habe mein Studium zwar mit der Geschichte begonnen1809, und so war es in gewissem Sinn vorgezeichnet, daß ich dahin zurückkehren würde. Aber ohne von Ihnen in der Verfassungslehre und der Verfassungswirklichkeit unterwiesen zu sein, wäre ich nicht zur Verfassungsgeschichte, wie ich sie darzustellen versuche, gekommen1810. In diesem Bewußtsein überreiche ich Ihnen den Weimarer Band und die ihm eingelegte, vor einigen Jahren in Bonn gehaltene, inzwischen gedruckte Rede1811 als Ihr getreulich ergebener Ernst Rudolf Huber 1806 Stadtteil im Norden Freiburgs. In der Nachbarschaft Hubers wohnten der Philosoph Martin Heidegger (1889–1976) und der Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis (1923–2012). 1807 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 6. 1808 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 7: Ausbau, Schutz und Untergang der Weimarer Republik, Stuttgart u. a. 1984. 1809 Im Lebenslauf Hubers ist von einem zweisemestrigen Studium der Literatur, Geschichte und Philologie in Tübingen die Rede. Seit dem Wintersemester 1922/23 studierte er Jura in München, allerdings hatte er nebenbei auch bei dem Historiker Hermann Oncken (1869–1945) gehört. Siehe Anhang V.2. 1810 Am linken Rand notierte Schmitt: „ein vergifteter“. 1811 Huber, Verfassungswirklichkeit.

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Nr. 219 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Plettenberg, 10.9.1981 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6289 Briefentwurf in Kurzschrift auf Brief Nr. 218

Plettenberg-Pasel, 10.9.81 Lieber verehrter Herr Huber, diese schwachen Zeilen wollen versuchen, den großen Dank für die freundliche Zusendung von Bd. VI Ihrer Verfassungsgeschichte wenigstens anzudeuten. Der wahre und angemessene Dank ist mir nicht mehr möglich. Vor drei Jahren, im März 1978, habe ich mich bei Ihnen für die Zusendung von Bd. V bedanken können1812. Heute wird mein substantieller Dank ständig zu einem heftigen Wunsch, aber auch die Schwierigkeit [. . .] der Substanzialisierung und adäquaten Aufbereitung. Denn seit 6 Monaten liegt auf meinem Schreibtisch ein [. . .] verunziertes Exemplar der neu bearbeiteten 2. Auflage1813 von Ingeborg Maus[,] „Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus“[,] zugl.[eich] Diss.[,] verlegt München 19801814, das jeder Voraus[. . .] gegen Schneider1815 gründige[. . .] Constitu[tion?] an der Verfassung meiner Stumpf- und Stielaufsätze [. . .] und durch scharfe alternative [. . .] bürgerliche [. . .]. Günstiger Fall, sondern [. . .] [. . .] Schluss morgen noch zu erleben1816. Der Rhein und [. . .] identisch [. . .]. Ihr alter C.S.

1812

Siehe Brief Nr. 216. Die zweite Auflage wurde nicht neu bearbeitet, sondern nur um ein Vorwort zur Neuauflage erweitert. 1814 Ingeborg Maus, Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus. Zur sozialen Funktion und aktuellen Wirkung der Theorie Carl Schmitts, 2. Aufl., München 1980. Es handelt sich um eine bei Carlo Schmid angefertigte politikwissenschaftliche Dissertation von 1971 in Frankfurt a. M., die in erster Auflage 1976 erschienen war. 1815 Möglicherweise ein Verweis auf den Schweizer Schmitt-Forscher Peter Schneider. 1816 Der siebte und letzte Band von Hubers „Verfassungsgeschichte“ erschien 1984. Zu diesem Zeitpunkt war Carl Schmitt bereits ein Pflegefall und litt unter Demenz, bevor er im Alter von fast 97 Jahren am 7.4.1985 in Plettenberg starb. Ernst Rudolf Huber erlebte das Erscheinen des achten, des Registerbandes der „Verfassungsgeschichte“ im Jahre 1991 nicht mehr, denn er verstarb am 28.10.1990 in Freiburg. 1813

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Editorische Vorbemerkung Die bereits veröffentlichten Manuskripte Hubers (Dok. II.1.–II.9.) wurden nicht mit editorischen Kommentaren versehen. Hier wurden lediglich die Anmerkungen Hubers vereinheitlicht und gegebenenfalls bibliographisch ergänzt.

I. Promotion und Veröffentlichung der Dissertation von Ernst Rudolf Huber 1. Lebenslauf des Referendars Ernst Rudolf Huber, 15.11.1926 Fakultätsarchiv Bonn, Promotionsakte Huber handschriftlich

Bonn, den 15. Nov. 1926. Ich bin am 8. Juni 1903 zu Oberstein im oldenburgischen Landesteil Birkenfeld als Sohn des Kaufmanns Rudolf Huber und seiner Ehefrau Helene geborene Wild geboren. Ich bin evangelischen Bekenntnisses und besitze die oldenburgische Staatsangehörigkeit. Seit Ostern 1909 besuchte ich die Volksschule in Oberstein. Ostern 1912 wurde ich in die Oberrealschule in Oberstein-Idar aufgenommen; dort erlangte ich Ostern 1921 das Zeugnis der Reife. Ich studierte zunächst zwei Semester lang Literatur, Geschichte und Philosophie in Tübingen. Im Sommer 1922 war ich vorübergehend im kaufmännischen Geschäfte meines Vaters tätig. Mit dem Wintersemester 1922/23 studierte ich Rechtswissenschaft, zunächst drei Semester in München und dann drei Semester in Bonn. Im Januar 1926 bestand ich die erste juristische Prüfung vor dem Prüfungsamt des Oberlandesgerichts Köln. Im Februar 1926 wurde ich zum oldenburgischen Referendar ernannt. Ich bin seitdem im Vorbereitungsdienst am Amtsgericht in Oberstein beschäftigt. Ernst Rudolf Huber 2. Carl Schmitt, Dissertationsgutachten über Ernst Rudolf Huber, 28.11.1926 Fakultätsarchiv Bonn, Promotionsakte Huber, Kopie: Landesarchiv Düsseldorf, RW 265, Nr. 21670 handschriftlich

Ernst Rudolf Huber, Die Gewährleistung der kirchlichen Vermögensrechte durch die Weimarer Verfassung. Die überaus schwierigen, bisher noch nicht systematisch behandelten Fragen der Art. 138 und 173 RV.1 sind in dieser Arbeit mit großer Sachkenntnis

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und Objektivität erörtert. Die Darlegung des Verhältnisses von Art. 138 II zu Art. 153 ist neu und, gegenüber den bisher geäußerten, wenig eingehend begründeten Ansichten, durchaus überzeugend (S. 30 ff.); die scharfsinnige Unterscheidung ist S. 40–44 durch ein klares Beispiel2 belegt. Wo prinzipielle Erörterungen (S. 52 ff.) oder historische Hinweise notwendig waren, sind sie unter strenger Beschränkung auf das Unentbehrliche, aber offenbar mit guter Kenntnis auch dieser Seite des Themas vorgebracht. Der zweite Teil der Arbeit könnte ausführlicher gestaltet werden, doch empfinde ich die vorliegende, etwas thesenhafte Übersicht nicht als einen Mangel. Immerhin müßte Einzelnes, z. B. die Behauptung des privatrechtlichen Charakters der staatlichen Verpflichtung (S. 125/6)[,] eingehender nachgewiesen werden. Ich glaube, daß die Arbeit das Prädikat magna cum laude verdient. Unter dem Eindruck der musterhaften Sachlichkeit und der ruhigen Sicherheit, mit der ein besonders schwieriges und delikates Thema behandelt ist, möchte ich, für den Fall einer entsprechenden Leistung und Bewährung im mündlichen Examen, die Möglichkeit einer Bewertung mit summa cum laude nicht ausschließen3. 28/11.26. Schmitt 3. Carl Schmitt an Oskar Siebeck, Godesberg, 6.3.1927 Staatsbibliothek Berlin, Nachlass 488, Verlagsarchiv Mohr-Siebeck, Kasten 429 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Dr. Carl Schmitt / o. ö. Professor der Rechte / an der Universität Bonn / Godesberg-Friesdorf / Bonner Str. 211, „Zu dem Schreiben vom 7/3 27 / Dr. S/he. A.“, Notiz „10. III. beantw.[ortet]“

6. März 1927. Sehr geehrter Herr Doktor4! Die 2 Abhandlungen von Herrn Dr. Ernst Rudolf Huber halte ich für außergewöhnlich gute, juristische Leistungen; sie sind die ersten rechtswissen1 Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung lautete: „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf. Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecken bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet.“ Artikel 173 hieß im Wortlaut: „Bis zum Erlaß eines Reichsgesetzes gemäß Artikel 138 bleiben die bisherigen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften bestehen.“ Huber, Dokumente, Bd. 3, Nr. 154, S. 149, 155. 2 Huber, Gewährleistung. Die Seitenzahlen sind nicht überprüfbar, da das Originalmanuskript der Dissertation nicht vorlag. 3 Das mündliche Examen bestand Huber am 10.12.1926 mit dem Prädikat „sehr gut“. Als Gesamtprädikat wurde „magna cum laude“ vergeben. Die Ernennung zum Doktor der Rechte erfolgte am 20.5.1927. Archiv der Juristischen Fakultät Bonn, Promotionsakten.

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schaftlichen Bearbeitungen des sehr aktuellen Themas. Herrn Dr. Huber selbst halte ich für einen begabten und bedeutenden Menschen, von dem ich hoffe, daß er sich in einigen Jahren habilitieren kann5. Was die Pflichtexemplare6 (zur Zeit 100) angeht, so ließe es sich einrichten, daß nur von einer Abhandlung eine oder 2 Lagen abgeliefert zu werden brauchen. Damit dürfte das buchhändlerische Bedenken gegen die Veröffentlichung auf ein Minimum reduziert sein. Ich bin immer bereit, soviel an mir liegt, alles zu tun, um Herrn Dr. Huber die Veröffentlichung seiner Arbeiten zu ermöglichen und stehe deshalb auch Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor, in dieser Angelegenheit immer zur Verfügung, falls Sie noch weitere Auskünfte oder Schritte wünschen. In vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener Carl Schmitt.

4. Carl Schmitt an Oskar Siebeck, Godesberg, 18.3.1927 Staatsbibliothek Berlin, Nachlass 488, Verlagsarchiv Mohr-Siebeck, Kasten 429 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Dr. Carl Schmitt / o. ö. Professor der Rechte / an der Universität Bonn / Godesberg-Friesdorf / Bonner Str. 211“, „24.III. 27 beantw.[ortet]“

18. März 1927. Sehr geehrter Herr Doktor! Darf ich Sie in Beantwortung Ihres Schreibens vom 10. März7 bitten, die Veröffentlichung der Abhandlungen von Herrn Dr. E. R. Huber in Ihrem Verlag doch noch einmal in wohlwollende Erwägung zu ziehen. Die Fakul4 Huber hatte am 15.2.1927 bei Oskar Siebeck vom Verlag Mohr-Siebeck angefragt. Der Verlag hatte am 1.3. Schmitt um „ein sachliches Urteil“ gebeten und bereits die Frage der Pflichtexemplare angeschnitten. Staatsbibliothek Berlin, Nachlass 488, Verlagsarchiv Mohr-Siebeck, Kasten 429. 5 Huber habilitierte sich 1931 an der Universität Bonn. Betreuer waren Heinrich Göppert und Johannes Heckel. 6 In allen Promotionsordnungen ist (bis heute) die Ablieferung von sogenannten Pflichtexemplaren vorgesehen, damit diese – vor allem bei ungedruckten Dissertationen – an andere Universitätsbibliotheken verteilt werden können. 7 Die Antwort des Verlags vom 10.3.1927 enthielt die Bedingung, „dass ausser an die ordentlichen Mitglieder der Fakultät keinerlei Pflichtexemplare abgeliefert werden müssen“. Landesarchiv Düsseldorf, RW 579, Nr. 159. Um dem Problem auszuweichen, empfahl Siebeck einen Druck im „Archiv des öffentlichen Rechts“.

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tät wird von den Pflichtexemplaren absehen, sodaß dieser erste Einwand entfiele. Für das Archiv des öffentlichen Rechts kommt höchstens ein Aufsatz in Betracht, nicht aber zwei Abhandlungen, deren Art in ihrer erschöpfenden Gründlichkeit liegt und die infolgedessen einen gewissen Umfang haben müssen. Die beiden Abhandlungen stehen in engstem sachlichen Zusammenhang, sodaß eine Verweisung aus dem zweiten auf den ersten Teil öfters notwendig wird. Nun kann es natürlich für Sie kein bestimmender Grund sein, die Abhandlungen zu veröffentlichen, weil sie sich aus irgend einem Grunde für die Veröffentlichung im Archiv des öffentlichen Rechts nicht eignen. Darin liegt auch nicht der Zweck meines Schreibens, der viel- | mehr nur darin besteht, Sie nochmals zu bitten, die ausgezeichnete Arbeit eines bedeutenden jungen Menschen doch womöglich nicht nach dem im allgemeinen sicher berechtigten Schema zu behandeln und ungeprüft abzulehnen. Das Interesse für die Arbeit ist vermutlich sehr groß. Der deutsche evangelische Kirchenbund wird sich hoffentlich dafür interessieren lassen. Doch finde ich es richtig, daß Herr Dr. Huber sich nicht vor der Veröffentlichung an solche Stellen wendet, damit die Schrift ihre volle Unabhängigkeit wahrt und nicht als Parteischrift erscheint. Was mich persönlich bestimmt, mich für die Arbeit des Herrn Dr. Huber so einzusetzen, wie ich es bisher niemals für irgend eine Arbeit getan habe, ist der ungewöhnliche Eindruck, den sowohl die sachliche Leistung wie die Person des Herrn Huber auf mich gemacht haben. Ich bin sicher, daß Sie von dem tiefen Ernst dieses Menschen ebenfalls einen starken Eindruck hätten, wenn Sie ihn persönlich kennen lernten. Und vielleicht ist ein solches argumentum ad hominem8 auch im Zeitalter des Großbetriebes nicht ganz wertlos. Ich bin, sehr geehrter Herr Doktor, in vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener Carl Schmitt.

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Lat.: „Argument für eine (bestimmte) Person“.

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5. Carl Schmitt an Oskar Siebeck, Godesberg, 28.3.1927 Staatsbibliothek Berlin, Nachlass 488, Verlagsarchiv Mohr-Siebeck, Kasten 429 Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Dr. Carl Schmitt / o. ö. Professor der Rechte / an der Universität Bonn / Godesberg-Friesdorf / Bonner Str. 211“

28. März 1927. Sehr geehrter Herr Doktor! Für Ihren Brief in der Angelegenheit des Herrn Dr. Huber muß ich Ihnen aufrichtig danken, in großer Freude, nicht nur über die Möglichkeit einer günstigen Regelung dieser Sache, sondern vor allem über dieses – verzeihen Sie – unerwartete, prächtige Beispiel der Großzügigkeit eines Verlegers. Ich bleibe in vorzüglicher Hochachtung, nochmals bestens dankend, Ihr sehr ergebener Carl Schmitt. 6. Carl Schmitt an Richard Thoma, Berlin, 25.7.1932 Fakultätsarchiv Bonn, Personalakte Huber Brief, handschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Professor Carl Schmitt / Berlin NW 87 / Flotowstr. 5“

25. Juli 1932. Hochverehrter Herr Geheimrat!

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Darf ich mich in einer mir persönlich besonders wichtigen Angelegenheit an Sie wenden? Ich habe mich für das kommende Wintersemester beurlauben lassen und brauche einen Vertreter, wofür nach Lage der Sache namentlich wegen seines „Wirtschaftsverwaltungsrechts“ Ihr Bonner Privatdozent Dr. Huber fast allein in Betracht kommt. Da nun, wie ich erfahre, Bedenken bestehen, ihn zu beurlauben und ihm gleichzeitig die Assistentenstelle, welche die wirtschaftliche Basis seiner dortigen Tätigkeit ist, offen zu halten, so möchte ich – nachdem Herr Geheimrat Demuth von der Industrie- und Handelskammer an Exz.[ellenz] Göppert geschrieben hat – jetzt mit der Bitte an Sie herantreten, mir, soweit es Ihnen möglich und zulässig erscheint, bei meinen Bemühungen um einen Vertreter gütigst zu helfen. Es kann für die Bonner Sachlage natürlich kein Argument sein, daß mein Interesse besonders groß ist, aber vielleicht besteht hier doch noch ein gewisser Raum für das Ermessen. Jedenfalls wäre ich Ihnen für eine wohlwollende Berücksichtigung dieses meines Wunsches besonders dankbar10. 9

Richard Thoma.

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Ich bleibe mit dem Ausdruck größter Verehrung und mit den besten Empfehlungen stets Ihr sehr ergebener Carl Schmitt.

10 Thoma antwortete am 28.7.1932, dass er sich aus fakultätsinternen Erwägungen nicht für eine Vertretung Hubers in Berlin einsetzen könne. Außerdem lehne Huber selbst die Vertretung ab, weil er in Bonn gebraucht werde. Archiv der Juristischen Fakultät Bonn, Personalakte Huber. Zu der Vertretung kam es nicht, weil Schmitt zum Wintersemester zunächst in Berlin blieb und anschließend nach Köln wechselte.

II. Rezensionen von Ernst Rudolf Huber über Carl Schmitt 1. [o. V.], Das Zeitalter der Technik, in: Der Ring 2 (1929), S. 998–1001. Professor Dr. Carl Schmitt, Berlin, hat auf der Tagung des Verbandes für kulturelle Zusammenarbeit in Barcelona einen Vortrag über „die europäische Kultur im Zwischenstadium der Neutralisierung“ gehalten, der in der „Europäischen Revue“, 5. Jahrgang, 1929, Heft 8, wiedergegeben ist. Der Vortrag bringt eine Analyse der geistesgeschichtlichen Entwicklung Europas und enthält eine Deutung der gegenwärtigen kulturellen Situation. Das Zeitalter der Technik wird in seinen ideologischen Zusammenhängen mit früheren Entwicklungsstufen der europäischen Kultur erkannt, seine geistige Struktur wird erforscht, die Wege zu seiner Ueberwindung werden angedeutet. Der Vortrag gibt Anlaß, auf einen Aufsatz zurückzugreifen, den Professor Dr. Karl Eschweiler, Braunsberg, über „die Herkunft des industriellen Menschen“ im „Hochland“, 22. Jahrgang, 1924/25, Heft 10, hat erscheinen lassen. Auch hier ist eine umfassende Deutung der kulturellen Gegenwart versucht; die philosophischen Grundlagen des modernen Industrialismus werden aufgespürt. Eschweiler glaubt, „den Baumstamm an dem Stammbaum des industriellen Menschen“ im absoluten Humanitätsbegriff Kants gefunden zu haben. Vielleicht ist von ihm doch nur eine Wurzel des Baumes bloßgelegt und vielleicht sind in den Forschungen Max Webers und Werner Sombarts gleich wichtige Wurzeln erkannt. Der Wert des Aufsatzes würde dadurch nicht geschmälert. Der Vortrag Schmitts und der Aufsatz Eschweilers ergänzen sich, wiewohl sie ohne sichtbaren Zusammenhang sind, darin, daß im einen die Gegenwart in ihrem sachlichen Zentralgebiet erfaßt und von diesem Gebiet aus gedeutet wird, während im anderen die Stellung des Individuums in der gegenwärtigen Kultur bestimmt ist. Beide Untersuchungen zeigen die Problematik der modernen Kultur und machen klar, daß eine Rettung sich nur aus einem entscheidenden Umschwung ergeben kann. Ihre besondere Bedeutung läßt einen Bericht über ihren Inhalt angezeigt erscheinen. | [Bericht über den Vortrag von Karl Eschweiler] Carl Schmitt beginnt mit dem Satz: „Wir in Mitteleuropa leben sous l’oeil des Russes“; er geht von dem Bild des heutigen Rußland aus, in dem

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mit der „Antireligion der Technizität“ Ernst gemacht ist und in einer enormen Uebersteigerung der „Kern der modernen Geschichte Europas“ gezeigt wird. „Man wird kein nennenswertes Wort über Kultur und Geschichte sprechen können, ohne sich der eigenen kulturellen und geschichtlichen Situation bewußt zu sein. Daß alle geschichtliche Erkenntnis Gegenwartserkenntnis ist, daß sie von der Gegenwart ihr Licht und ihre Intensität erhält und im tiefsten Sinne nur der Gegenwart dient, weil aller Geist nur gegenwärtiger Geist ist, haben uns viele, am besten Benedetto Croce gesagt . . . Alle Zeichen deuten darauf hin, daß wir in Europa jetzt noch in einer Periode der Ermüdung und der Restaurationsversuche leben, wie es nach großen Kriegen gewöhnlich und begreiflich ist. Die Ruhe der Restaurationsstimmung dient „einer rapiden und ungestörten Entwicklung neuer Dinge und neuer Verhältnisse, deren Sinn und Richtung durch die restaurierten Fassaden verdeckt wird. Ist dann der Augenblick gekommen, so verschwindet der legitimistische Vordergrund wie ein leeres Phantom“. Es sind „vier große, einfache, säkulare Schritte“, in denen sich der europäische Geist der letzten vier Jahrhunderte bewegt hat. Sie entsprechen den vier Jahrhunderten und gehen vom Theologischen zu Metaphysischen, von dort zum Humanitär-Moralischen und schließlich zum Oekonomischen . . . In den vergangenen vier Jahrhunderten europäischer Geschichte hatte das Kulturleben vier verschiedene Zentren, und das Denken der aktiven Elite, die den jeweiligen Vortrupp bildete, bewegte sich in den verschiedenen Jahrhunderten um verschiedene Mittelpunkte“. In dieser Zeit bestand allerdings immer „ein pluralistisches Nebeneinander verschiedener Kulturstufen . . . Die wechselnden Zentralgebiete betreffen nur das konkrete Faktum, daß in diesen vier Jahrhunderten europäischer Geschichte die führenden Eliten wechselten, daß die Evidenz ihrer Ueberzeugungen und Argumente sich fortwährend änderte, ebenso wie der Inhalt ihrer kulturellen Interessen, das Prinzip ihres Handelns, das Geheimnis ihrer sozialen Erfolge und der Bereitwilligkeit großer Massen, sich von bestimmten Suggestionen beeindrukken zu lassen.“ Im neunzehnten Jahrhundert erscheint in enger Verbindung mit dem Oekonomischen das „Technische“, als „Industrialismus“. Das System als solches ist jedoch noch ökonomisches System. „Allerdings wird schon im neunzehnten | Jahrhundert der technische Fortschritt so erstaunlich und ändern sich infolgedessen die sozialen und wirtschaftlichen Situationen so schnell, daß alle moralischen, politischen, sozialen und ökonomischen Probleme von der Rapidität dieser technischen Entwicklung ergriffen werden. Unter der ungeheuren Suggestion immer neuer, überraschender Erfindungen und Leistungen entsteht eine Religion des technischen Fortschritts, für welche alle anderen Probleme sich eben durch den technischen Fortschritt von selber lösen. Den großen Massen industrialisierter Länder ist dieser Glaube

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evident und selbstverständlich. Sie überspringen alle Zwischenstufen, die für das Denken der führenden Eliten charakteristisch sind, und bei ihnen wird aus der Religion des Wunder- und Jenseitsglaubens ohne Mittelglied gleich eine Religion der technischen Wunder, menschlicher Leistungen und Naturbeherrschung. Eine magische Religiosität geht in eine ebenso magische Technizität über. So erscheint das zwanzigste Jahrhundert als das Zeitalter nicht nur der Technik, sondern auch eines religiösen Glaubens an die Technik.“ „Alle Begriffe der kulturellen Sphäre einschließlich des Wortes Kultur selbst, sind in sich pluralistisch und nur aus der konkreten kulturellen Existenz heraus zu verstehen . . . Alle wesentlichen Vorstellungen der geistigen Sphäre des Menschen sind existentiell und nicht normativ. Wenn das Zentrum des geistigen Lebens sich in den letzten vier Jahren fortwährend verlagert, so ändern sich infolgedessen auch fortwährend alle Begriffe und Worte, und es ist notwendig, sich der Mehrdeutigkeit jedes Wortes und Begriffes zu erinnern.“ Dies gilt sowohl für den Begriff des Fortschritts, der moralische, ökonomische oder technische Vervollkommnung bedeuten kann, als auch für die typische Erscheinung des Repräsentanten der Geistigkeit und der Publizität, des clerc, der wechselnd der Theologe, der gelehrte Systematiker, der Schriftsteller der Aufklärung und der ökonomische Sachverständige ist. „Vor allem nimmt der Staat seine Wirklichkeit und Kraft aus dem jeweiligen Zentralgebiet. Solange das Religiös-Theologische im Zentrum stand, hatte der Satz ‚cuius regio eius religio‘ einen politischen Sinn. Als das Religiös-Theologische aufhörte, Zentralgebiet zu sein, verlor auch dieser Satz sein praktisches Interesse. Er ist inzwischen über das Stadium der Nation und des Nationalitätsprinzips (‚cuius regio eius natio‘) ins Oekonomische gewandert und besagt dann: in einem und demselben Staat kann es nicht zwei widersprechende Wirtschaftssysteme geben; kapitalistische und kommunistische Wirtschaftsordnung schließen einander aus (cuius regio cuius oeconomia).“ Die Stufenfolge vom Theologischen über das Metaphysische und das Moralische zum Oekonomischen „bedeutet gleichzeitig eine Reihe fortschreitender Neutralisierungen der Gebiete, von welchen das Zentrum wegverlegt wurde . . . Das bisherige Zentralgebiet wird dadurch neutralisiert, daß es aufhört, Zentralgebiet zu sein, und auf dem Boden des neuen Zentralgebiets hofft man das Minimum an Uebereinstimmung und gemeinsamen Prämissen zu finden, das Sicherheit, Evidenz, Verständigung und Frieden ermöglicht.“ „Die in vielen Jahrhunderten theologischen Denkens herausgearbeiteten Begriffe werden jetzt uninteressant und Privatsache. Gott selbst wird in der Metaphysik des Deismus im achtzehnten Jahrhundert aus der Welt heraus-

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gesetzt und gegenüber den Kämpfen und Gegensätzen des wirklichen Lebens zu einer neutralen Instanz. Im neunzehnten Jahrhundert wird erst der Monarch, dann der Staat zur neutralen Größe, und hier vollzieht sich in der liberalen Lehre vom pouvoir neutre und von dem stato neutrale ein Kapitel politischer Theologie, in welchem der Prozeß der Neutralisierung seine klassischen Formeln findet, weil er jetzt auch das Letzte, die politische Macht, ergriffen hat. Aber es gehört zur Dialektik der kulturellen Entwicklung, das[s] man gerade durch die Verlagerung des Zentralgebietes immer ein neues Kampfgebiet schafft. Auf dem neuen, für neutral gehaltenen Felde entfaltet sich sofort mit neuer Intensität der Gegensatz der Menschen und Interessen, und zwar um so stärker, je fester man das neue Zentrum des Kulturlebens in Besitz nimmt. Immer wandert die europäische Menschheit aus einem Kampfgebiet in neutrales Gebiet, immer wird das neugewonnene neutrale Gebiet sofort wieder Kampfgebiet, und es wird notwendig, neue neutrale Sphären zu suchen.“ „Die Evidenz des heute verbreiteten Glaubens an die Technik beruht nur darauf, daß man nunmehr glaubt, in der Technik den absolut und endgültig neutralen Boden gefunden zu haben. Denn scheinbar gibt es nichts neutraleres als die Technik . . . Gegenüber theologischen, metaphysischen, moralischen und ökonomischen Fragen haben die rein technischen Probleme etwas erquickend Sachliches; sie kennen einleuchtende Lösungen, und man kann es verstehen, daß man aus der unentwirrbaren Problematik aller anderen Sphären in die Technizität flieht. Die Sphäre der Technik erscheint als die Sphäre des Friedens, der Verständigung und der Versöhnung. Der sonst unerklärliche Zusammenhang pazifistischen und technizistischen Glaubens erklärt sich aus jener Richtung zur Neutralisierung, zu welcher der europäische Geist sich im siebzehnten Jahrhundert entschlossen hat und die er wie unter einem Schicksal weiter verfolgt. Aber die Neutralität der Technik ist etwas anderes als die Neutralität aller bisherigen Gebiete. Sie ist immer nur Instrument und Waffe, und eben weil sie jedem dient, ist sie nicht neutral. Aus der Immanenz des Technischen heraus gibt es keine einzige menschliche Entscheidung, am wenigsten die zur Neutralität. Jede Art von Kultur, jedes Volk und jede Religion, jeder Krieg und jeder Friede kann sich der Technik als Waffe bedienen.“ Aber die Technik selbst bleibt „kulturell blind“. Aus der reinen Nichts-als-Technik läßt sich infolgedessen keine einzige der Folgerungen ziehen, die sonst aus den Zentralgebieten des kulturellen Lebens abgeleitet werden: weder ein Begriff von kulturellem Fortschritt, noch der Typus eines clerc oder geistigen Führers, noch eines bestimmten politischen Systems.“ „Die unwiderstehliche Macht der Technik erscheint als Herrschaft der Geistlosigkeit über den Geist und als seelenlose Mechanik.“ Diesem Eindruck entsprang eine Kulturuntergangsstimmung, die als Angst vor dem

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Zeitalter der Technik im Grunde nur anzusehen ist als „der Zweifel an der eigenen Kraft, das großartige Instrumentarium der neuen Technik in seinen Dienst zu stellen, obwohl es nur darauf wartet, daß man sich seiner bedient. Auch ist es nicht zulässig, ein Ergebnis menschlichen Verstandes und menschlicher Disziplin, wie es jede und insbesondere die moderne Technik ist, einfach als tot und geistlos hinzustellen und die Religion der Technizität mit der Technik selbst zu verwechseln. Der Geist der Technizität, der zu dem Massenglauben eines antireligiösen Diesseits-Aktivismus geführt hat, ist Geist, vielleicht böser und teuflischer Geist, aber nicht als mechanistisch abzutun und nicht der Technik zuzurechnen. Er ist vielleicht etwas Grauenhaftes, aber selber nichts Technisches und Maschinelles. Er ist die Ueberzeugung einer aktivistischen Metaphysik, der Glaube an eine grenzenlose Macht und Herrschaft des Menschen über die Natur, sogar über die menschliche Physis, an das grenzenlose ‚Zurückweichen der Naturschranke‘, an grenzenlose Veränderungsmöglichkeiten des natürlichen Daseins der Menschen. Das kann man phantastisch und satanisch nennen, aber nicht einfach tot und mechanisierte Seelenlosigkeit.“ „Der Prozeß fortwährender Neutralisierung der verschiedenen Gebiete des kulturellen Lebens ist an seinem Ende angelangt, weil er bei der Technik angelangt ist. Die Technik ist nicht mehr neutraler Boden im Sinne jenes Neutralisierungsprozesses, und jede starke Kultur wird sich ihrer bedienen. Es kann daher nur ein Provisorium sein, das gegenwärtige Jahrhundert im kulturellen Sinn als das technische Jahrhundert aufzufassen. Der endgültige Sinn ergibt sich erst, wenn sich zeigt, welche Art von Kultur stark genug ist, sich der neuen Technik zu bemächtigen, und welches die eigentlichen Freund- und Feindgruppierungen sind, die auf dem neuen Boden erwachsen.“ „Die großen Massen industrialisierter Völker hängen heute noch einer dumpfen Religion der Technizität an, weil sie, | wie alle Massen, die radikale Konsequenz suchen, und unbewußt glauben, daß hier die absolute Neutralität gefunden ist, die man seit Jahrhunderten sucht und mit welcher der Krieg aufhört und der universale Friede beginnt. Doch die Technik kann nichts tun, als den Frieden oder den Krieg steigern, sie ist zu beidem in gleicher Weise bereit, und der Name und die Beschwörung des Friedens ändert nichts daran. Wir durchschauen heute den Nebel der Namen und der Worte, mit denen die psychotechnische Maschinerie der Massensuggestion arbeitet. Wir kennen sogar das geheime Gesetz dieses Vokabulariums und wissen, daß heute die furchtbarsten Kriege nur im Rahmen des Friedens möglich sind, wie die furchtbarste Sklaverei nur im Namen der Freiheit und die schrecklichste Unmenschlichkeit nur im Namen der Menschheit. Wir durchschauen endlich auch die Stimmung jener Generation, die im Zeitalter der Technizität nur den geistigen Tod und seelenlose Mechanik sah. Wir er-

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kennen den Pluralismus des geistigen Lebens und wissen, daß das Zentralgebiet des kulturellen Daseins kein neutrales Gebiet sein kann und daß es falsch ist, ein kulturelles Problem mit Antithesen von mechanisch und organisch, Tod und Leben zu lösen. Ein Leben, das gegenüber sich selbst nichts mehr sieht als den Tod, ist kein Leben mehr, sondern Ohnmacht und Hilflosigkeit. Wer keinen anderen Feind mehr hat als den Tod und in seinem Feinde nichts erblickt als leere Mechanik, ist dem Tode näher als dem Leben, und die bequeme Antithese vom Organischen und Mechanischen ist in sich selbst etwas Roh-Mechanisches. Eine Gruppierung, die auf der eigenen Seite nur Geist und Leben, auf der anderen nur Tod und Mechanik sieht, bedeutet nichts als einen Verzicht auf den Kampf und hat nur den Wert einer romantischen Klage. Denn das Leben kämpft nicht mit dem Tod und der Geist nicht mit der Geistlosigkeit. Geist kämpft gegen Geist, Leben gegen Leben, und aus der Kraft eines integren Wissens entsteht die Ordnung der menschlichen Dinge. Ab integro nascitur ordo.“ 2. [o. V.], Die neutralen Mächte im modernen Staat, in: Der Ring 2 (1929), S. 1001 f. Ueber dieses Thema sprach im Rahmen einer von der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln veranstalteten Sammelvorlesung über „Probleme der Demokratie“ am 10. Dezember Professor Dr. Carl Schmitt, Berlin. Der Vortrag steht in gewissem Zusammenhang mit den Vorträgen, die Carl Schmitt in diesem Sommer an der Hochschule für Politik in Berlin über „Das Fehlen eines pouvoir neutre in Deutschland“ und kürzlich in Barcelona über „Die europäische Kultur im Zwischenstadium der Neutralisierung“ gehalten hat. Im wesentlichen wurde folgendes ausgeführt. Wie alle politischen Begriffe ist auch der Begriff des „Neutralen“ ein polemischer Begriff; er ist daher nur von seinem Gegner aus zu bestimmen. Im heutigen Deutschland sind eine Reihe von neutralisierenden Kräften wirksam, deren gemeinsamer Gegner der moderne Parteienstaat (in dem von Richard Thoma entwickelten Sinne) ist, der den Vordergrund des politischen Betriebs in Deutschland durchaus beherrscht. Diese Kräfte relativieren die Herrschaft der politischen Parteien und wirken dadurch im Sinne einer Neutralisierung des öffentlichen Lebens. Sie gehören weder logisch noch systematisch in eine Ordnung, werden aber durch die gemeinsame Gegnerschaft zusammengefaßt und bedürfen deshalb der gemeinsamen Betrachtung. Sie zeigen sich in einer Reihe von heterogenen politischen Komplexen, die folgendermaßen umschrieben werden können: 1. Das Reich ist ein Beamtenstaat. Trotz aller Versuche, die Beamtenschaft zu politisieren und damit den Parteien dienstbar zu machen, hat sich

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nicht nur im Reich sondern auch in den Ländern das Berufsbeamtentum in seiner Objektivität und zu einem gewissen Grade auch in seiner Unabhängigkeit erhalten. Die Weimarer Verfassung hat nicht nur die wohlerworbenen Rechte des einzelnen Beamten garantiert, sondern vor allem das Berufsbeamtentum als Institution gewährleistet. Diese institutionelle Garantie läßt nicht nur eine unmittelbare Beseitigung des Berufsbeamtentums nicht zu, sie läßt auch die Ausschaltung des Berufsbeamtentums durch systematische Nichtbesetzung freiwerdender etatsmäßiger Stellen und die übermäßige Ausdehnung der Kategorie der politischen Beamten, die jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können, als verfassungswidrig erscheinen. 2. Das Reich ist ein Bundesstaat. Es ist zwar nicht mehr ein Bund von Staaten, sondern besteht als Einheit über dem gesamten Reichsvolk. Die Verschiedenheit der Parteiregierungen im Reich und in den Ländern und der Parteimehrheiten in den einzelnen Parlamenten hemmt jedoch, und darin besteht heute die eigentliche Leistung des Föderalismus, die einseitige Herrschaft einer Gruppe im ganzen Reich. Die Parteiherrschaft wird durch die Rivalität der verschiedenen herrschenden Parteigruppen zersetzt. 3. Das Reich ist ein liberaler Rechtsstaat. Die Garantie bestimmter Grundrechte im zweiten Hauptteil der Reichsverfassung sichert dem Bürger einen Raum seiner individuellen Freiheit, in den die Parteiherrschaft nicht reicht. Er ist besonders gesichert, seit die Gerichte sich die Befugnis vindiziert haben, Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfen. 4. Das Reich ist ein Reparationsstaat. Die Reparationspolitik hat zur Lösung der Reichsbank und der Reichsbahn aus der unmittelbaren Eingliederung in die Staatsorganisation geführt. Reichsbank und Reichsbahn sind heute Institute, die der Parteiherrschaft entzogen sind; auch der Young-Plan wird diese Unabhängigkeit nicht beseitigen. 5. Es sind im Reich Ansätze zu einem ökonomischen Sachverständigenstaat vorhanden. Gewisse Fragen der Wirtschaftspolitik werden gelegentlich einem Gremium unabhängiger Sachverständiger zur Vorbereitung oder zur Entscheidung zugewiesen. Auch der Reichswirtschaftsrat gehört zu den Versuchen, das Gebiet der Wirtschaftspolitik zu neutralisieren. Diese fünf Gruppen von Neutralisierungstendenzen werden zusammengehalten und wirksam gemacht vor allem dadurch, daß sie in der Person des Reichspräsidenten eine Verbindung haben, die selber als neutraler Faktor wirkt. Der Reichspräsident ist als Hüter der Verfassung Garant des Berufsbeamtentums, des Bundesstaats, des Rechtsstaats. Er hat das Recht der Beamtenernennung, und seine Mitwirkung bei der Ernennung des Reichsbankpräsidenten und des Generaldirektors der Reichsbahngesellschaft stellt die einzige Verbindung dieser Institute mit dem Reiche dar. Der Begriff des „Neutralen“ ist einer mannigfachen Deutung fähig. Er kann zunächst im Sinne des „Nichteinmischens“ verstanden werden und

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kennzeichnet in dieser Bedeutung den Liberalismus des 19. Jahrhunderts. Daß der Staat neutral sein solle, bedeutete dort, daß er sich der Einmischung in die wichtigen Sachgebiete (Religion, Erziehung, Wirtschaft) zu enthalten habe. In Verbindung mit diesem Begriff steht die Bedeutung der Neutralen als der „Neutralität der gleichen Chance“. Der Staat, als technischer Apparat gesehen, muß jedem Bürger in gleicher Weise zur Verfügung stehen; jeder muß ihn in gleichem Maße „in Bewegung setzen“ können. Dazu tritt als weitere Bedeutung des Neutralen die „Neutralität der gleichen Quote“. Jedem Interessenten muß ein gleicher Anteil am Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten zustehen. Bei dieser Betrachtung des neutralen Staates als eines Staates der Nichtintervention erhält der Art. 76 der Reichsverfassung, der die Abänderung der Verfassung durch Beschluß einer qualifizierten Mehrheit gestattet, eine besondere Bedeutung. Der Staat ist selbst seiner Verfassung gegenüber neutral, wenn er ein Verfahren vorsieht, in dem sie abgeändert werden kann. Nach der üblichen Auffassung geht diese Neutralität so weit, daß auch die existentiellen Grundlagen des Staates in dieser Weise beseitigt werden können. Es wäre jedoch jedenfalls illoyal und unzulässig, in diesem Verfahren die Neutralität selbst aufzuheben und zugleich mit einer Verfassungsänderung die Möglichkeit einer künftigen Aenderung auszuschließen. Es kann aber auch nicht möglich sein, die Grundlagen des Staates in diesem Verfahren zu vernichten, denn kein Staat kann seiner eigenen Existenz gegenüber neutral sein. Neben dem Begriff der Neutralität im Sinne der Nichtintervention, die also auf eine Entscheidung verzichtet, entwickelt sich | heute ein Begriff der Neutralität in dem Sinne, daß die neutrale Grundlage für eine Entscheidung, und zwar für eine sachliche Entscheidung, geschaffen werden soll. Der neutrale Staat ist der sachlich entscheidende Staat. Die neutralen Elemente des gegenwärtigen Staatsaufbaus haben bei dieser Bewertung nicht nur den Sinn, den Bürger gegenüber dem Parteienstaat zu schützen. Sie repräsentieren auch gegenüber der Zerrissenheit des Parteibetriebs die Einheit des Staatsganzen und sind deshalb für den Bestand des Staates unentbehrlich. Wird die Neutralität eines der genannten Komplexe aufgehoben, so wird sich die Neutralität eines der anderen verstärken. Die Gefahr ist heute die, daß der Parteienstaat den neutralen Staat im Berufsbeamtentum und im Bundesstaatssystem überwindet. Die Folge würde sein, daß von außen her durch Verstärkung der reparationsstaatlichen Elemente ein Ausgleich geschaffen würde, daß die Einheit des Reichs also allein durch äußeren Druck erhalten würde. Diese Gefahr gilt es zu erkennen; es sollte dann möglich sein, ihr wirksam entgegenzutreten. Zu dem außerordentlich beachtenswerten Vortrag selbst sei bemerkt, daß die Stellung der Reichswehr im Parteienstaate vielleicht einer besonderen Erwähnung bedurft hätte; sie scheint ein besonders bedeutsames Glied in

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der Reihe der neutralisierenden Mächte zu sein. Ihre Funktion geht in der des Berufsbeamtentums nur zum Teil auf. Es sei auch darauf hingewiesen, daß das Memorandum des Reichsbankpräsidenten eine besondere Bedeutung erhält, wenn man es als einen Vorstoß aus dem neutralen Raume (dem Reparations- wie Sachverständigenstaat) gegen den Parteienstaat bewertet. Im Ganzen bleibt problematisch, ob in den heutigen neutralen Mächten (von den reparationsstaatlichen abgesehen) nur Reste einer früheren oder auch Ansätze zu einer kommenden politischen Einheit zu sehen sind, ob also das Wesentliche der Neutralisierungstendenzen in der Negation des herrschenden Systems oder in der Grundlegung einer neuen Ordnung besteht. 3. Manfred Wild [= Ernst Rudolf Huber], Repräsentation, in: Der Ring 3 (1930), S. 545–547. Der Begriff der Repräsentation ist ein schillernder Begriff. Er findet sich nicht nur in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, der Theologie, der Philosophie, der Jurisprudenz, er wird auch innerhalb dieser Disziplinen in verschiedenem Sinne gebraucht. In seiner staatlich-politischen Bedeutung ist er in den Kämpfen zwischen Fürst und Parlament ein politisches Schlagwort und damit abgegriffen und inhaltsleer geworden. Aber es verbirgt sich hinter diesem vieldeutigen und schwer faßbaren Wort ein staatstheoretischer Begriff von besonderem Gewicht. Wenn alle staatsrechtlichen Begriffe „säkularisierte“ theologische Begriffe sind, so gilt das in besonderem Maße für den Begriff der Repräsentation. Er ist das zentrale Phänomen in der Lehre vom Wesen der römischen Kirche, und an ihm enthüllt sich besonders deutlich die Problematik des protestantischen Kirchentums. Organisation und Legitimation der priesterlichen Hierarchie des römischen Katholizismus sind darauf gegründet, daß der Papst „Stellvertreter“ Christi ist und sich in ständiger Sukzession an Petrus legitimiert. Problematisch am Wesen der protestantischen Kirche ist, wie weit auch hier eine Repräsentation des in der wahren Kirche des Herrn wirkenden Geistes in der weltlichen Kirche notwendig und möglich ist. Carl Schmitt hat in seiner Schrift „Römischer Katholizismus und politische Form“1 das Wesen der Repräsentation aus der Gegenüberstellung der römischen Kirche und des modernen Staates zu ermitteln gesucht. Das Besondere der Kirche sieht er darin, daß sie eine „konkrete persönliche Repräsentation konkreter Persönlichkeit“ bedeutet; sie „repräsentiert die civitas humana, repräsentiert in jedem Augenblick den historischen Zusammenhang 1

Verlag Jakob Hegner, Hellerau.

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mit dem historischen Augenblick der Menschwerdung und des Kreuzesopfers Christi, sie repräsentiert Christus selbst, persönlich, den in geschichtlicher Wirklichkeit menschgewordenen Gott; im Repräsentativen liegt ihre Ueberlegenheit über ein Zeitalter des ökonomischen Denkens“. Der Staat dagegen wird – dahin geht die These dieser Schrift –, je mehr ihn das moderne, ökonomische Denken zersetzt, ihm das „Ethos der Ueberzeugung“ nimmt, ohne das es keine Autorität und keine politische Idee geben kann, der Kraft zur Repräsentation beraubt. Denn „die Idee der Repräsentation ist so sehr von dem Gedanken persönlicher Autorität beherrscht, daß sowohl der Repräsentant wie der Repräsentierte eine persönliche Würde behaupten muß . . .. Gott, oder in der demokratischen Ideologie das Volk, oder abstrakte Ideen wie Freiheit und Gleichheit sind ein denkbares Thema einer Repräsentation, aber nicht Produktion oder Konsum“. Am Ende dieser Zersetzung der staatlichen Substanz und Aushöhlung der staatlichen Form – damit schließt die Schrift – steht die triumphierende Kirche; sie ist die letzte große Repräsentation, die „complexio alles Ueberlebenden“, die „Erbin“. In seiner „Verfassungslehre“2, einem Buche, das für das Verständnis der politischen Gegenwart von außerordentlichem Werte ist, hat Schmitt auf diesen Begriff der Repräsentation und den der Identität das altüberkommene System der Staatsformen – Monarchie, Aristokratie, Demokratie – zurückzuführen gesucht. Staat – so sagt Schmitt hier – ist „ein bestimmter Status eines Volkes, und zwar der Status politischer Einheit . . . Das Volk kann auf zwei verschiedene Weisen den Zustand politischer Einheit erreichen und halten. Es kann schon in seiner unmittelbaren Gegebenheit – kraft einer starken und bewußten Gleichartigkeit, infolge fester natürlicher Grenzen oder aus irgendwelchen anderen Gründen – politisch aktionsfähig sein. Dann ist es als real-gegenwärtige Größe in seiner unmittelbaren Identität mit sich selbst eine politische Einheit. Dieses Prinzip der Identität des jeweils vorhandenen Volkes mit sich selbst als politischer Einheit beruht darauf, daß es keinen Staat ohne Volk gibt, und ein Volk daher als vorhandene Größe immer wirklich anwesend sein muß. Das entgegengesetzte Prinzip geht von der Vorstellung aus, daß die politische Einheit des Volkes als solche niemals in realer Identität anwesend sein kann und daher immer durch Menschen repräsentiert werden muß“. In jeder der Grundtypen der Staatsformen – so legt Schmitt dar – finden sich Elemente der Repräsentation und der Identität; die Demokratie wird vorwiegend von Identitätsvorstellungen, die Monarchie vorwiegend von Repräsentationsvorstellungen, die Aristokratie von beiden in annähernd gleichem Maße bestimmt. Richtig ist nun gewiß, daß das Prinzip der Identität für die Gestaltung der politischen Einheit des Volkes von großer Bedeutung ist. Aber es geht 2

Verlag Duncker & Humblot, München.

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nicht an, wie Schmitt es will, in ihm ein schöpferisches und einigendes Prinzip der Staatsgestaltung zu sehen. Denn Identität, das Eins-sein einer Sache mit sich selbst, ist das Gegenteil eines Formprinzips, bedeutet die natürliche Gegebenheit einer Sache und nicht ihre gestaltete und damit gesteigerte Form. Alle Identitätsvorstellungen sind formfeindlich und gestaltungsunfähig; insbesondere ist das Volk in seiner Identität mit sich selbst eine unformierte und unorganisierte Größe. Die Funktion der Identitätsvorstellungen für die Staatsgestaltung ist daher negativer Art. Die Identität ist das Gegenprinzip jeder Formgebung und jeder Organisation; sie bewirkt nicht die politische Geschlossenheit, sondern fördert die Auflösung der absoluten Staatlichkeit. Sie ist daher ein gefährlicher, zerstörender Faktor, aber sie braucht nicht notwendig rein zerstörerisch zu sein. Sie kann auch dazu dienen, verhärtete und tote Formen aufzulösen und abzuscheiden, um Raum für neue und lebensvolle Formen zu schaffen. Aber das Prinzip der Identität ist nicht nur zur Staatsgestaltung ungeeignet; die Realpräsenz des Volkes ist überdies niemals verwirklicht. Denn Volk bedeutet stets mehr als die anwesende Menge, bedeutet mehr als die lebende Generation; es bedeutet die Totalität der Nation in ihrem vergangenen und zukünftigen Geschick. Es ist möglich, daß eine anwesende Gruppe sich mit dieser niemals realpräsenten Totalität identifiziert. Aber diese Identifikation ist keine wirkliche, sondern eine fiktive Identität; sie ist in Wahrheit Repräsentation des Ganzen durch eine aktionsfähige Gruppe. Das eigentliche politische Formprinzip ist somit das Prinzip der Repräsentation. Repräsentiert wird die politische Einheit als Ganzes, das heißt, repräsentiert wird der Staat. Es wird also in der Monarchie nicht der Fürst, in der Demokratie nicht das Volk, sondern der Staat selbst repräsentiert. Daß der Staat geeignet ist, repräsentiert zu werden, rührt – wie Schmitt nachweist – daher, daß er eine besondere Art Sein besitzt. Ihm kommt zu „die gesteigerte Art Sein, die einer Heraushebung in das öffentliche Sein, einer Existenz, fähig ist . . . Die Idee der Repräsentation beruht darauf, daß ein als politische Einheit existierendes Volk gegenüber dem natürlichen Dasein einer irgendwie zusammenlebenden Menschengruppe eine höhere und gesteigerte, intensivere Art Sein hat“. Das Prinzip der Repräsentation findet seinen klarsten Ausdruck in der Monarchie, wo der Fürst die Totalität des Staatsganzen repräsentiert und jede anderweite Repräsentation ausgeschlossen ist. Es ist ein Fall der „absorptiven Repräsentation“ gegeben. In der konstitutionellen Monarchie tritt neben den Fürsten das Parlament als Repräsentant des Ganzen. Es liegt also hier eine geteilte Repräsentation vor, die staatliche Einheit trägt in sich einen Dualismus, dessen Ausgleich das besondere Problem dieser „gemischten“ Staatsform ist. |

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Schmitt bezeichnet diesen Dualismus als die besondere Schwäche der konstitutionellen Monarchie. Er führt aus, daß der Kampf zwischen Fürst und Parlament im neunzehnten Jahrhundert darum gegangen sei, wer von ihnen der eigentliche Repräsentant des Volkes als politischer Einheit sei. Die Monarchie habe in dieser Auseinandersetzung versucht, sich theoretisch und ideell auf dem Boden der Legitimität zu halten. Legitimität aber sei etwas Normatives, während Repräsentation etwas Existentielles sei; beides seien daher völlig verschiedene Begriffe. Mit dem Rückzug auf die Legitimität habe die Monarchie deshalb ihren repräsentativen Charakter aufgegeben. Legitimität für sich allein begründe weder Autorität, noch Potestas, noch Repräsentation. Solange die Monarchie absolut gewesen sei, also zur Zeit ihrer intensivsten politischen Existenz, habe sie sich „legibus solutus“ gefühlt, das sei gerade das Gegenteil von Legitimität. Eine nichts als legitime Monarchie sei politisch und geschichtlich tot. Gegen diese Auffassung sind verschiedene Bedenken zu erheben. Einmal logisch: Dadurch, daß ein existentielles Phänomen zu einer Norm in Beziehung gesetzt wird, hört es nicht auf zu sein. Der Repräsentant bleibt Repräsentant, auch wenn er sich auf seine Legitimität beruft. Die besondere Evidenz der Repräsentation in der römischen Kirche beruht gerade auf der Legitimation durch die apostolische Sukzession. Dann historisch: Der absolute Fürst war von Ständen und Kirche unabhängig, gerade indem er sich an Gott unmittelbar legitimierte; legibus solutus sein bedeutet weder sprachlich noch in der Sache einen Verzicht auf Legitimität. Und zuletzt politisch: Die innere Kraft der Monarchie erlosch gerade dadurch, daß diese nicht mehr als legitimer Repräsentant des Staates empfunden wurde; das Parlament, das kraft seiner unmittelbaren Verbindung mit dem Volke eine stärkere Legitimität zu haben schien, wurde eben deshalb das Repräsentativorgan schlechthin. Der klassische Parlamentarismus bedeutet dabei nicht – wie Schmitt anzunehmen scheint – Repräsentation von Bildung und Besitz, sondern Repräsentation durch Bildung und Besitz. Das bürgerliche Parlament des neunzehnten Jahrhunderts soll weder „Bildung und Vernunft“ repräsentieren, noch die „Interessen der Besitzer“ vertreten. Ebensowenig wie die Bildung ist der Besitz eine rein materielle Funktion. In Bildung und Besitz versinnbildlichen sich für die Ideologie des neunzehnten Jahrhunderts die schöpferischen Kräfte der Nation. Das gebildete und besitzende Bürgertum war daher kraft dieser Qualitäten geeignet, im Parlament die Totalität der Nation zu repräsentieren. Das Zensuswahlrecht führt nach seinem geistesgeschichtlichen Ursprung nicht, wie Schmitt meint, eine bloße Interessenvertretung herbei, sondern bewirkt eine echte Repräsentation. Dagegen bedeutet die heutige „Krisis des Parlamentarismus“, daß das Parlament seine Funktion als Repräsentant der politischen Einheit verloren

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hat. Zwar repräsentieren nach der Ideologie, die den modernen Verfassungen zugrunde liegt – wie Schmitt ausführt –, alle aktiven Staatsbürger zusammen die politische Einheit, die über eine räumlich zusammengebrachte Versammlung und über den Augenblick der Versammlung erhaben ist. So ist weiter – nach Schmitt – das ganze Wahl- und Abstimmungsverfahren gedacht als ein Mittel, um eine Repräsentation der allein wesentlichen politischen Einheit zu erreichen; so soll ferner nicht nur jeder Abgeordnete, sondern auch jeder Wähler ein Repräsentant des ganzen Volkes sein. Wähler und Abgeordnete aber haben heute diese Funktion einer repräsentativen Stellung verloren. Sie wählen als isolierte Individuen und nicht als Glieder eines Ganzen; sie üben ihr Mandat aus als Vertreter von Interessenten und nicht als unabhängige Repräsentanten der Gesamtheit. Zum Repräsentanten gehört aber – so führt Schmitt mit Recht aus –, daß er unabhängig ist; Agenten, Funktionäre, Kommissare, Beamte, Vertreter oder Exponenten repräsentieren nicht. Zum Wesen der parlamentarischen Repräsentation gehört aber auch die Oeffentlichkeit, denn es ist ihr Sinn, daß die Ganzheit des Staates gegenüber den Untertanen vergegenwärtigt wird. Mit Recht legt Schmitt daher dar, daß ein Parlament nur so lange echte Repräsentation sein kann, als seine eigentliche Tätigkeit in der Oeffentlichkeit liegt. Sobald die öffentliche Tätigkeit des Parlaments leere Formalität wird und die Entscheidungen außerhalb der Oeffentlichkeit fallen, hört das Parlament auf, Repräsentant der politischen Einheit zu sein. Die heutige Form des parlamentarischen Betriebs nun, bei der alle wirklichen Entscheidungen in vertraulichen Einzelbesprechungen getroffen werden und für die Oeffentlichkeit nichts als ein Schauspiel, und dazu ein schlechtes, bleibt, muß dem Parlament somit jede persönliche Würde und repräsentative Kraft nehmen. Durchaus zutreffend hat also Carl Schmitt in seiner Schrift über den „Römischen Katholizismus“ die kritische Situation des politischen Repräsentationsprinzips im Staate hervorgehoben. Wie in dieser Schrift so bleibt aber auch in der „Verfassungslehre“, die die zentrale Bedeutung des Phänomens der Repräsentation im Staate so scharf hervorhebt, dunkel, ob Schmitt dem modernen Staate die Möglichkeit einer wirklichen Repräsentation und damit einer Regeneration der staatlichen Formierung zuerkennen will, oder ob er gerade diesen modernen Staat in seiner Haltlosigkeit zu enthüllen sucht, indem er zeigt, daß das wichtigste Fundament der politischen Formgebung fehlt. Die besondere Bedeutung des Repräsentationsbegriffs liegt darin, daß er die Einheit des Staates zu erklären vermag, ohne daß es der Fiktion einer „Staatspersönlichkeit“ oder eines „Staatsorganismus“, wie sie die deutsche Staatslehre des neunzehnten Jahrhunderts in bewußter Abkehr vom klassischen Staatsbegriff der Griechen vornahm, bedarf. Der Staat ist nicht Orga-

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nismus, sondern Ordnung, und zwar nicht normative, sondern reale Ordnung. Begriffe wie „Organismus“, und „Organ“, die die deutsche Staatslehre beherrschen, können nur die Bedeutung von Bildern haben, die reale Erscheinungen veranschaulichen. Solche Bilder haben ihren guten Sinn, ja sie sind zur Erklärung tatsächlicher Gegebenheiten unentbehrlich, aber es wäre ein Irrtum, das Bild für die Sache selbst zu nehmen. Zur Erklärung der Handlungsfähigkeit des Staates sind nun Begriffe wie „Organ“ und „Kompetenz“ durchaus genügend, und es wäre eine Spielerei, an ihrer Stelle den Begriff der Repräsentation einführen zu wollen. Es handelt sich jedoch um etwas ganz anderes als um den Ersatz der Organlehre durch eine neue Theorie von zweifelhaftem Wert. Repräsentation ist Darstellung der politischen Einheit, also das wesentliche politische Formprinzip. Es geht nicht darum, den Staat willens- und handlungsfähig zu machen, indem bestimmte Personen an Stelle der nicht vorhandenen natürlichen „Organe“ eingesetzt werden. Der eigentliche Sinn der Repräsentation liegt in der Darstellung und damit der Vergegenwärtigung und Sichtbarmachung einer nicht in realer Identität präsenten Größe; heißt in der Kirche also Darstellung des gen Himmel gefahrenen Herrn durch Petrus und seine Nachfolger, heißt im Staate eben Darstellung des Staates durch den Fürsten oder das Parlament oder – im konstitutionellen Staate – durch beide. Mit der Frage nach der Organstellung und der Kompetenz hat das nichts zu tun; es läßt sich insbesondere denken, daß ein Organ mit geringer Kompetenz eine starke repräsentative Kraft besitzt, daß also etwa der Reichspräsident bei weiterer Korrumpierung des Reichstages der eigentliche Repräsentant des Staates würde, obwohl dies im Sinne der Verfassung nicht zu liegen scheint. Darin eben ist die besondere Bedeutung des Repräsentationsbegriffs zu sehen, daß er deutlich macht, daß das Dasein des Staates sich nicht in seinen Handlungen erschöpft, daß vielmehr wesentlich an ihm die Formierung seiner natürlichen Gegebenheit ist. Die wesentliche, formbestimmende Funktion im Staate liegt in der Darstellung dieser Gegebenheit, nicht in den Handlungen der Staatsorgane, liegt in der Repräsentation, nicht in der Kompetenz. Es handelt sich bei der Repräsentation auch nicht um die Herstellung der politischen Einheit. Die Herstellung der Einheit, die von den moralischen Kräften der Nation getragene Entscheidung für ein politisches Sein, ist ein Akt des Trägers der verfassunggebenden Gewalt. Der Repräsentant ist keine entscheidende und formende, sondern eine geformte Kraft. Der Re- | präsentant konstituiert nicht den Staat und seine Verfassung, er ist ein Teil der Verfassung und wird zugleich mit dieser konstituiert. In einem Staate mit absoluter, absorptiver Repräsentation – der absoluten Monarchie etwa – ist allerdings der Repräsentant zugleich der Träger der verfassunggebenden Gewalt, fällt die Repräsentation mit der Herstellung der staatlichen Einheit und der Grundentscheidung über das staatliche Sein zusammen.

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Die Krisis des Parlamentarismus, die darin ihren tiefsten Grund hat, daß das Parlament seine repräsentative Funktion verlor, wird nicht etwa durch die Uebernahme der gesamten Repräsentation auf den Reichspräsidenten behoben werden können. Gewiß muß das Ziel einer Verfassungsreform sein, die Aufblähung des Parlamentarismus zu beseitigen und die Regierung aus einem abhängigen Ausschuß der Parlamentsmehrheit zu einem verantwortlichen, aber selbständigen Träger der obersten politischen Leitung zu machen. Aber mag auch die Korruption des heutigen Parlaments seine vorübergehende völlige Ausschaltung rechtfertigen, auf die Dauer wird jede Verfassungsform eine oberste „Repräsentativ-Versammlung“ (auch in Form einer Doppelkammer) mit einem bestimmten Maß politischer Einflußrechte einrichten müssen. Weder Rußland noch Italien haben auf sie ganz verzichtet. Das Parlament hat auch heute noch eine wichtige und auf die Dauer unentbehrliche Funktion. Worauf es ankommt, ist, das Parlament aus einer Vertretung von Einzel- und Gruppeninteressen wieder zu seiner eigentlichen Funktion zurückzuführen. Wesentlich und entscheidend ist dabei die Erneuerung des repräsentativen Gedankens im Parlamente selbst. Gelingt diese Erneuerung, so wird sich auch der Versuch erübrigen, eine berufsständische Vertretung zum eigentlichen Repräsentativorgan zu machen und das Parlament in dieser Weise auszuschalten; wahrscheinlich würde dieser Versuch doch mißlingen und lediglich an die Stelle einer verschleierten Interessenvertretung, wie es das Parlament ist, eine offene Interessenvertretung setzen. Technische Reformen werden diese Erneuerung immer nur unterstützen, nie selbst bewirken können. Entscheidend wird sein, ob es dem Parlament gelingt, sich durch eine freie geistige Leistung aus dem Sumpf der Interessenwirtschaft zur Würde eines Repräsentanten der Nation zu erheben. 4. [o. V.], Hugo Preuß, in: Der Ring 3 (1930), S. 552. Hugo Preuß ist als Verfasser des ersten Entwurfs zur Weimarer Verfassung und als erster Verfassungsminister der Deutschen Republik für das Staatsrecht und die Staatstheorie des neuen Reichs von außerordentlicher Bedeutung. Für das Verständnis des geltenden Verfassungsrechts ist deshalb die Kenntnis seiner Auffassung vom Wesen des Staats und von den Grundproblemen der neuen Verfassung besonders wichtig. Es ist darum von großem Wert, daß aus dem Nachlaß von Preuß die Schriften „Staat, Recht und Freiheit“ und „Reich und Länder“ herausgegeben worden sind; von den früheren Veröffentlichungen ist besonders bedeutsam die über „Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränität“. In einem Aufsatz über „Hugo Preuß, sein Staatsbegriff und seine Stellung in der deutschen Staatslehre“1 hat Carl 1

Erschienen bei J. C. B. Mohr (Siebeck) Tübingen 1930.

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Schmitt es sich zur Aufgabe gemacht, in einer Uebersicht über die Entwicklung der deutschen Staatsrechtslehre den Platz aufzuzeigen, an dem Preuß steht. Die drei wesentlichen Richtungen der deutschen Staatstheorie des 19. Jahrhunderts sind durch die Namen Gneist, Gierke und Laband charakterisiert. Gneist stellte und beantwortete die Frage, die für diese Epoche das eigentliche Problem war, die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Gesellschaft. Staat ist für ihn, im Anschluß an Hegel und Lorenz von Stein, etwas über der Gesellschaft Stehendes, „die Sphäre des Geistes und der Sittlichkeit, während die Gesellschaft die Region der Triebe, der Affekte und des Egoismus ist.“ Die Aufgabe, das Bürgertum als die die Gesellschaft beherrschende Schicht an dem über der Gesellschaft stehenden Staat zu beteiligen, will er lösen durch die Teilnahme der Bürger an der Verwaltung der Staatsgeschäfte, in der Selbstverwaltung dieser Geschäfte durch ehrenamtlich tätige Bürger. Die absolute Ueberlegenheit des Staates über die Gesellschaft wird relativiert in der organischen Staatstheorie Gierkes. Der Staat erscheint hier nur als eine (wenn auch die höchste) Genossenschaft unter anderen Genossenschaften. Das Problem des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft ist damit nicht mehr die Frage der Einbeziehung einer Schicht in einen bestehenden Staat, sondern die Selbstorganisation der Gesellschaft zum Staat. In der durch Laband entwickelten Staatslehre, die in der Vorkriegszeit die allein herrschende war, geht die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Gesellschaft überhaupt verloren. Die Staatslehre begnügt sich damit, „eine Legitimierung des gouvernementalen status quo“ zu geben und den wirklichen staatsrechtlichen Problemen durch Schein-Antithesen auszuweichen. Eine derartige Staatstheorie war möglich, weil die Bismarcksche Verfassung sich selbst als eine Umgehung der wesentlichen Entscheidungen darstellte. Vor allem war die fundamentale Frage nach der Souveränität nicht entschieden, sondern durch ein Kompromiß zwischen Monarch und Volk suspendiert. Nur so wird die Lehre dieser Schule von der „Souveränität des Staates“ möglich, die eben keine Lösung, sondern eine Umgehung des Problems darstellt und deshalb notwendigerweise voller Unrichtigkeiten und Unklarheiten sein muß. Hugo Preuß wandte sich gegen diesen Souveränitätsbegriff der Labandschen Schule, indem er die organische Staatslehre Gierkes ausbaute. Für ihn nimmt der Staat in der Stufenfolge der Gebietskörperschaften die oberste Stufe ein. Er hat zwar als nationale Einheit des ganzen Volkes einen eigenen Wert, ist aber von den anderen gesellschaftlichen Verbänden wesensmäßig nicht verschieden. Unter Herausarbeitung der demokratischen Elemente, die die genossenschaftliche Staatstheorie enthält, bekämpft er

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den monarchischen Obrigkeitsstaat. Nach dessen Wegfall erkennt er klar die Gefahr, die darin liegt, daß der moderne demokratische Staat notwendigerweise ein Parteienstaat sein muß, in dem eine schrankenlose Herrschaft der Parteien zu einem „verkehrten Obrigkeitsstaat“ führen muß. Preuß hat in seinem Verfassungsentwurf versucht, Hemmungen gegenüber dem Parteienstaat einzubauen. Als solche Hemmung stellen sich vor allem die Befugnisse des plebiszitären Reichspräsidenten dar. Die eigentliche Hemmung aber sieht er in dem Geist und der Gesinnung der nationalen Demokratie selbst, die die Herrschsucht der Parteien und ihrer Nutznießer überwinden muß. Es ist darin der erste Hinweis auf den „esprit de la nation“ zu sehen, „das heißt auf die politische Bildung und Intelligenz, die man bei jedem Volk voraussetzen muß, das sich zu einer Nation gebildet hat.“ Es liegt in der Konsequenz dieser Aeußerungen von Preuß, so meint Schmitt, daß seine Absicht war, neben die Kräfte des Parteienstaates auch Faktoren des neutralen Staates zu setzen, daß sein eigentlicher Staatsbegriff der „neutrale Staat“ ist. Es handelt sich dabei nicht um die Neutralität des passiven, agnostischen, auf ein Minimum reduzierten Staates, wie er in der liberalen Vorstellung besteht, sondern um eine Neutralität, die eine sachliche und gerechte Entscheidung ermöglicht. Denn die Neutralität des agnostischen Staates ist in dem heutigen sozial- und wirtschaftspolitischen Staat nicht mehr möglich. Soziologische Voraussetzung dieser Neutralität ist „eine nicht parteimäßig gebundene, aber doch allgemein respektierte Intelligenz, die der eigentliche und ideale ‚pouvoir neutre‘ wäre“. – – – Wenn im Vorwort dieses Aufsatzes davon gesprochen wird, daß in Preuß sich die drei genannten maßgebenden Richtungen der deutschen Staatstheorie verbinden, so ist in dem Aufsatz selbst diese Verbindung nicht aufgezeigt. Der eigentliche Einfluß für die Preußsche Staatstheorie geht nach der Darstellung Schmitts von Gierke aus; von ihm stammt vor allem der Gedanke der Wesensgleichheit aller sozialen Verbände, der für Preuß von zentraler Bedeutung ist. Von Gneist übernimmt Preuß zwar die Forderung nach Selbstverwaltung; aber sie gewinnt bei ihm eine ganz andere systematische Stellung. Während sie bei Gneist ein Mittel zur Einbeziehung des Bürgertums in den Staat ist, ist sie bei Preuß ein Mittel zur Selbstorganisation der Gesellschaft zum Staat, setzt also den Staatsbegriff Gierkes voraus. Von dem Wesentlichen an Gneists Auffassung, in der der Staat als selbständiger Wert, als die Sphäre des absoluten Geistes im Gegensatz zur Gesellschaft erscheint, ist bei Preuß nichts zu spüren. Der Einfluß Labands auf Preuß schließlich ist rein negativen Charakters; der Kampf gegen den Souveränitätsbegriff ist ein Kampf gegen Laband. Daß in dieser Negation des Souveränitätsbegriffs die eigentliche staatstheoretische Wendung von Preuß liegt, kommt bei Schmitt nicht mit voller Deutlichkeit zum Ausdruck. Vor Duguit und Laski hat Preuß den Begriff der Souveränität aus der Staatstheorie zu entfernen gesucht. Die

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pluralistische Auflösung des Staates in eine Vielheit gleichwertiger Verbände ist bei Preuß zwar noch nicht durchgeführt, findet in seiner Lehre aber ihr theoretisches Fundament. Trotz der Anerkennung des Staates als der Organisation der „nationalen Einheit“ und trotz der Konzeption des „neutralen Staates“ hat Preuß dazu beigetragen, die Auffassung des Staates als einer Institution mit eigenem sittlichen Wert und geschichtlicher Sendung zu zerstören. 5. Manfred Wild [= Ernst Rudolf Huber], Der Hüter der Verfassung, in: Der Ring 4 (1931), S. 328–330. Die nachfolgende Besprechung des Buches, das Professor Carl Schmitt unter dem Titel „Der Hüter der Verfassung“ soeben veröffentlicht hat, geht der Fragestellung des Verfassers nach, ohne die politischen Voraussetzungen zur Diskussion zu stellen, unter denen das Buch entstanden ist. Nur in seinem Schlußwort streift der Rezensent das Problem des Verfassungskonfliktes, der nicht von irgendeinem „Hüter der Verfassung“ rechtlich, sondern nur zwischen den in Konflikt miteinander liegenden Organen des Staates politisch entschieden werden kann. Es ist richtig, daß in der gegenwärtigen Situation das im konstitutionellen Sinne prävalierende Amt des Reichspräsidenten ihn zum „Hüter der Verfassung“ macht gegenüber einem durch seine Parteizerrissenheit und durch seine Abhängigkeit von Interessen zum Reichsverderber gewordenen Reichstag. Der Reichspräsident als „der Hüter der Verfassung“ ist heute politisch zum Garanten des Staates gegen die Vielheit der im Staat organisierten Interessen geworden, gegen das „pluralistische System“, wie es Schmitt getauft hat. Das aber ist nur eine politische Feststellung; das politische Problem liegt in der Ueberwindung dieses Systems, wozu die Kompetenzen des Reichspräsidenten als eines Hüters der Verfassung durchaus nicht zureichen; im Gegenteil: die Mitschuld der Verfassung an der Verfestigung des Systems kann nicht geleugnet werden. Daher ist das Mittel der Verfassungsänderung ein Mittel gegen das System selbst. Politisch scheiden sich die Geister in der Frage, ob das System überwunden werden kann und soll, oder ob es unlösbar eins ist mit dem Wesen des „totalen Staates“, der als ein zwangsläufiges Ergebnis in der Geschichte der Staatsformungen angesehen wird. Letzten Endes also wird die Auseinandersetzung über die Frage gehen, ob der „totale Staat“ ein unabwendbares Schicksal ist, mit dem wir uns abzufinden haben, oder ob er politisch überwunden werden kann; nur im ersten Fall, der den echten Verfassungskonflikt politisch ausschließt, ist die Funktion des Reichspräsidenten als eines „Hüters der Verfassung“ im Sinne der Rettung des Staates vor den Interessen gegeben. Ueber das Problem des „totalen Staates“ werden wir in einem der nächsten Hefte eine besondere politische Studie im Anschluß an Schmitts Buch bringen. Die Schriftleitung

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I. Als die deutsche Nationalversammlung in Art. 19 der Weimarer Verfassung einen Staatsgerichtshof zur Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes und von Streitigkeiten nicht privatrechtlicher Art zwischen verschiedenen Ländern oder zwischen dem Reich und einem Land schuf, war ein Schritt von überaus kennzeichnender Bedeutung geschehen. Auch die Bismarcksche Verfassung hatte die Entscheidung von nichtprivatrechtlichen Streitigkeiten zwischen mehreren „Bundesstaaten“ und von Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines „Bundesstaates“ als wichtige Aufgabe des Reiches angesehen und in Art. 76 geregelt. Neu ist in der Sache an Art. 19 der Weimarer Verfassung nur, daß auch nichtprivatrechtliche Streitigkeiten zwischen dem Reich und einem Land dem vorgesehenen Verfahren unterworfen werden. Dagegen hat die Nationalversammlung bezeichnenderweise darauf verzichtet, das Verfahren auf Verfassungsstreitigkeiten innerhalb des Reiches auszudehnen. Die wichtige und entscheidende Neuerung an Art. 19 der Weimarer Verfassung liegt aber nicht in dem Sachgebiet, das hier einem besonderen Verfahren unterworfen worden ist, sondern in dem Verfahren selbst. Während nach Art. 76 der alten Verfassung der Bundesrat zuständig war, die genannten Streitigkeiten „gütlich auszugleichen“ oder zu „erledigen“, werden nach Art. 19 der Weimarer Verfassung die behandelten Streitigkeiten vom Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich „entschieden“. An die Stelle des höchsten politischen Organs ist somit eine mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestattete und aus dem politischen Organismus ausgeschaltete Behörde getreten, deren justizförmige Organisation dadurch besonders betont wird, daß ihr Vorsitzender der Präsident des Reichsgerichts ist. An die Stelle eines politischen Verfahrens, das in erster Linie auf einen „gütlichen Ausgleich“ zielte, ist ein gerichtliches Prozeßverfahren getreten, das nach strengen Grundsätzen des Rechts orientiert sein soll und naturgemäß in einer „Entscheidung“ gipfeln muß. Für den zivilprozessual geschulten Juristen wie für den rechtsstaatlich gesonnenen Bürger hat diese Einsetzung eines Gerichtshofs etwas unmittelbar Einleuchtendes. Es handelt sich – so denkt man – um Rechtsstreitigkeiten (nicht etwa um „politische Konflikte“), die hier zur Entscheidung gestellt sind, und es ist eine der elementaren Forderungen jedes gewaltenunterscheidenden Rechtsstaates, daß solche Rechts-Streitigkeiten von unabhängigen Gerichten entschieden werden. Es ist bei solcher Betrachtung prinzipwidrig und unverständlich, daß nicht auch verfassungsrechtliche Streitigkeiten innerhalb des Reiches in dieses Verfahren einbezogen worden sind; insbesondere müßte es nach dieser Ansicht möglich sein, die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit eines Reichsgesetzes (oder einer Diktaturverordnung des Reichspräsidenten) vom Staatsgerichtshof entscheiden zu lassen. Diese For-

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derung nach einer Ausdehnung der Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs auf Verfassungsstreitigkeiten im Reich ist nicht nur eine bekannte Forderung politischer Parteien; sie wurde auch auf dem 34. Deutschen Juristentag 1926 in Köln einstimmig zur Resolution erhoben und fand lange Zeit in der deutschen Staatsrechtswissenschaft keinen Widerspruch. Obwohl diese Forderung nicht erfüllt worden ist, ist es dem Staatsgerichtshof gelungen, seine Zuständigkeit in der Weise auf die Reichsverfassung auszudehnen, daß er den Begriff der „Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes“ lokal auffaßt und auch Streitigkeiten über den Inhalt der Reichsverfassung, soweit sie zwischen Landesstellen entstehen und soweit die Reichsverfassung die Landesverfassung ergänzt, zu seiner Kompetenz rechnet. So wird der Staatsgerichtshof schon heute als „Hüter der Reichsverfassung“, als den er sich selbst bezeichnet, angesehen, und aus dieser Feststellung folgt dann erneut der Wunsch nach einer weiteren Ausdehnung und Befestigung seiner Kompetenz. Es mußte deshalb außerordentliches Aufsehen in allen politisch und fachlich interessierten Kreisen erregen, als der Berliner Staatsrechtslehrer Carl Schmitt in einer Abhandlung „Der Hüter der Verfassung“, die zunächst als Aufsatz erschien1 und die nun in einer neuen Fassung und in wesentlich erweiterter Form als Buch veröffentlicht worden ist2, dieser Forderung nach einer Ausdehnung der Verfassungsgerichtsbarkeit und dieser Kennzeichnung des Staatsgerichtshofs als des „Hüters der Verfassung“ nachdrücklich entgegentrat. Die außerordentliche praktisch-politische Bedeutung dieser verfassungstheoretischen Kontroverse gibt Anlaß, hier näher auf sie einzugehen. II. Carl Schmitt geht von der Frage aus, was die Justiz überhaupt zum Schutze der Verfassung tun kann und wie weit es möglich ist, auf ihrem Gebiet besondere Einrichtungen zu organisieren, deren Sinn und Zweck die Sicherung oder Garantie der Verfassung ist. Kann grundsätzlich und allgemein – so fragt er – die Funktion eines Hüters der Verfassung justizförmig wahrgenommen werden? Ist eine solche Tätigkeit, auch wenn sie mit dem Schein der Justizförmigkeit umgeben wird, in der Sache noch Justiz und die Justizförmigkeit etwas anderes als die irreführende Verkleidung andersgearteter und jedenfalls hochpolitischer Befugnisse? Die Antwort für die „Verfassungsjustiz“ ist die: ‚Entweder liegt eine offensichtliche, zweifellos 1

Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung. Archiv des öffentlichen Rechts, Neue Folge Bd. 16 (1929), S. 161 ff. 2 Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung. Beiträge zum öffentlichen Recht der Gegenwart. Bd. 1, Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1931.

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festzustellende Verfassungsverletzung vor, dann übt der Gerichtshof eine repressive und vindikative Art von Justiz aus und spricht in irgendeiner Form für vergangene Taten ein „Schuldig“; aber der Fall liegt unklar und zweifelhaft, sei es aus tatsächlichen Gründen, sei es wegen der notwendigen Unvollständigkeit und Weite jeder geschriebenen Verfassung im allgemeinen oder des zweiten Hauptteils der Weimarer Verfassung im besonderen, dann | liegt keine „reine Rechtsfrage“ vor und die Entscheidung des Gerichtshofs ist etwas anderes als Justiz‘. Denn wenn der Zweifel über den Inhalt einer Verfassungsnorm begründet und die Norm in ihrem Inhalt unklar ist, so hätte die Entscheidung des Gerichtshofs keinen andern Sinn als den einer authentischen Interpretation. Der Sinn ist nicht „überwältigende Argumentation, sondern eben Entscheidung durch autoritative Beseitigung des Zweifels“. Die Entscheidung über Zweifel und Meinungsverschiedenheiten ist vielfach, insbesondere bei den zahlreichen Kompromißformeln der Weimarer Verfassung (Schulkompromiß, Verhältnis von Staat und Kirche u. a. m.) erst die wirkliche rechtliche Normierung. Wenn hier ein Gerichtshof entscheidet, ist er offenbar Verfassungsgesetzgeber in hochpolitischer Funktion. Deshalb ist ein mit Berufsjuristen besetzter Gerichtshof stets bestrebt, in die Grenzen der Justiz zurückzukehren und zu vermeiden, in ernsten Fällen von einiger Tragweite dem ordentlichen Gesetzgeber oder der zuständigen Regierung entgegenzutreten. Es ist eben zwecklos, in sachwidriger Weise der Justiz Funktionen zuzumuten, die von einer Bindung an inhaltlich bestimmte Normen absehen müssen. Die Frage, wie weit es, praktisch-politisch gesehen, zweckmäßig ist, einen Verfassungsgerichtshof und eine Verfassungsjustiz zu schaffen, kann – so fährt Schmitt fort – nur beantwortet werden, wenn man von einem deutlichen und bestimmten Begriff der Verfassungsstreitigkeit ausgeht. Ein derartiger Begriff ergibt sich dann, wenn die Verfassung als Vertrag, und zwar entweder als Vertrag zwischen den Gliedern eines Bundesstaats oder als Vertrag zwischen dem Fürsten und der Volksvertretung in der konstitutionellen Monarchie aufgefaßt wird. Ein sinnvoller Begriff von Verfassungsstreitigkeit ergibt sich daher einmal im Bundesstaat, in dem ein Vertrag die Grundlage der Bundesverfassung ist; auch wenn, wie im Deutschen Reich, im Laufe der Entwicklung die vertragliche Grundlage entfällt, kann mit der sonstigen bundesstaatlichen Organisation ein bundesstaatlicher Staatsgerichtshof übernommen oder neu eingesetzt werden. Ebenso ergibt sich ein solcher Begriff der Verfassungsstreitigkeit in den deutschen Ländern aus der Entstehung des deutschen Konstitutionalismus; Verfassungsstreitigkeiten sind hier Streitigkeiten zwischen Regierung und Parlament über die beiderseitigen Rechte aus dem Verfassungspakt. Art. 19 der Weimarer Verfassung gehört daher in den systematischen Zusammenhang der bundesstaatlichen Organisation des Reichs. Streitigkeiten zwischen Reich und Ländern oder zwischen Ländern

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sind Streitigkeiten aus einer dem früheren Bundesvertragsverhältnis entstammenden und durch die Verfassung beibehaltenen Koordinierung staatlicher Gebilde. Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes bedürfen im Bundesstaat der Erledigung durch ein Bundesorgan (soweit kein Landesorgan eingesetzt ist), weil der Bund als solcher die Aufgabe zur allgemeinen „Befriedung“ besitzt. Demnach ist auch die Entscheidung solcher Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes durch einen Bundesgerichtshof aufs engste mit der bundesstaatlichen Organisation verbunden. Eine einfache Ausdehnung seiner Zuständigkeit auf Verfassungsstreitigkeiten innerhalb des Reichs wäre unzulässig, weil sie den Staatsgerichtshof insoweit aus seiner föderalistischen Funktion lösen und ihn in seiner Struktur von Grund auf umgestalten würde. Als entscheidendes Argument gegen die Ausdehnung der Verfassungsjustiz auf Verfassungsstreitigkeiten innerhalb des Reichs führt Schmitt an, daß die geltende Reichsverfassung an dem demokratischen Gedanken der homogenen, unteilbaren Einheit des ganzen Volkes festhält, das sich kraft seiner verfassunggebenden Gewalt durch positive politische Entscheidung, also durch einseitigen Akt, selbst diese Verfassung gegeben hat. Damit sind alle Deutungen und Anwendungen der Weimarer Verfassung, die aus ihr einen Vertrag, ein Kompromiß oder ähnliches zu machen bestrebt sind, in feierlicher Weise als Verletzungen des Geistes der Verfassung zurückgewiesen. Nun zeigt die Wirklichkeit der heutigen Verfassungszustände, daß eine Vielheit festorganisierter Komplexe (soziale Gruppen, Interessenverbände, politische Parteien) sich im Deutschen Reich ausbreitet und sich der staatlichen Willensbildung und der öffentlichen Machtpositionen bemächtigt. Die Verfassung erscheint dann als Kompromiß der Träger dieses staatlichen „Pluralismus“, die Rechte an der Staatsgewalt geltend machen. Würde die Verfassungsgerichtsbarkeit auf Streitigkeiten innerhalb des Reiches ausgedehnt, so würde es möglich, diese Usurpation von Rechten an der Staatsgewalt in einem gerichtlichen Verfahren durchzusetzen. Die Verfassungsjustiz würde dadurch ein weiteres Mittel zur pluralistischen Aufteilung des Staates und geriete in Gegensatz zur Verfassung selbst, die eine einheitliche politische Entscheidung zu sein beansprucht. Auf anderem Wege als durch „fiktive Justizförmigkeiten“ läßt sich (diesem Nachweis soll das Buch Schmitts dienen) die Frage nach dem Hüter der Verfassung beantworten, wenn man beachtet, daß das Deutsche Reich eine auf dem einheitlichen Entschluß des verfassunggebenden Volkes beruhende konstitutionelle Demokratie ist. Für jeden konstitutionellen Staat ist die Unterscheidung von auctoritas und potestas von größter praktischer Bedeutung. In dem konstitutionellen Staat, sei er Monarchie oder präsidentielle Republik, stellt das Staats[ober]haupt über die ihm zugewiesenen Zuständigkeiten hinaus die Kontinuität und Permanenz der staatlichen Einheit und ihres ein-

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heitlichen Funktionierens dar; aus Gründen der Kontinuität, des moralischen Ansehens und des allgemeinen Vertrauens muß es eine besondere Art von Autorität haben, die ebensogut zum Leben jedes Staates gehört, wie die täglich aktiv werdende Macht. Aus dieser besonderen Autorität des Staats[ober]hauptes ergibt sich seine Eignung zu einer zentralen, vermittelnden, regulierenden und wahrenden Stellung im Staate. Die Weimarer Nationalversammlung hat bei der Schaffung des Amtes eines Reichspräsidenten mit Absicht diese Funktion einer besonderen neutralen Gewalt in die Verfassung eingefügt. Der Reichspräsident steht im Mittelpunkt eines ganzen, auf plebiszitärer Grundlage aufgebauten Systems von parteipolitischer Neutralität und Unabhängigkeit. Sowohl das relativ Statische und Permanente seiner Stellung wie auch die Art seiner Befugnisse haben den Sinn, eine wegen ihres unmittelbaren Zusammenhangs mit dem staatlichen Ganzen parteipolitisch neutrale Stelle zu schaffen, die als solche der berufene Wahrer und Hüter des verfassungsmäßigen Zustandes und des verfassungsmäßigen Funktionierens der obersten Reichsinstanzen ist und für den Notfall wirksame Befugnisse zum aktiven Schutz der Verfassung besitzt. Dadurch, daß die Weimarer Verfassung – so schließt Schmitt – den Reichspräsidenten zum Mittelpunkt eines Systems plebiszitärer wie auch parteipolitisch neutraler Einrichtungen und Befugnisse macht, sucht sie ein Gegengewicht gegen den Pluralismus sozialer und wirtschaftlicher Machtgruppen zu bilden und die Einheit des Volkes als eines politischen Ganzen zu wahren. Darauf, daß dieser Versuch gelingt, gründen sich Bestand und Dauer des heutigen deutschen Staates. III. Wenn an eine kurze Wiedergabe dieser Argumente, die im Gegensatz zu der üblichen Auffassung für den Reichspräsidenten als den Hüter der Verfassung eintreten und die nicht nur im engen Fachgebiet der Staatsrechtslehrer vielfachen Anklang gefunden haben, sondern auch in der bekannten Denkschrift des Bundes zur Erneuerung des Reichs3 verwendet worden sind, einige Bemerkungen geknüpft werden, so sei voraus festgestellt, daß die entscheidende These, die diese Schrift entwickelt, daß nämlich ein Staatsgerichtshof nicht Hüter der Reichsverfassung sein kann, theoretisch unanfechtbar erscheint und durch zahlreiche verfassungspolitische Ereignisse praktisch erhärtet worden ist. Aber in gewissen Einzelheiten scheinen einige klärende Anmerkungen geboten zu sein, die hier auf das wichtigste Problem, die Verfassungsjustiz für Verfassungskonflikte im Reiche, beschränkt seien. 3 Die Rechte des deutschen Reichspräsidenten nach der Reichsverfassung. Carl Schmalfeldt Verlag, Berlin, 2. Aufl. 1930.

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Wenn von einem „Hüter der Verfassung“ gesprochen wird, so handelt es sich dabei um einen „polemischen Begriff“. Entscheidend für seinen Inhalt muß also sein, gegen welche Angriffe, Verletzungen oder Gefahren die Verfassung geschützt werden soll. Ein Angriff auf die Verfassung kann einmal ausgehen von revolutionären Gruppen oder Kräften; es handelt sich dann um einen Schutz der Verfassung gegen Umsturz. Zum Schutze der Verfassung gibt es hier zahlreiche Mittel, von denen insbesondere | die Strafjustiz mit ihren auch auf entfernte Vorbereitungshandlungen ausgedehnten Bestimmungen gegen den Hochverrat zu erwähnen ist, ferner die starken polizeilichen Möglichkeiten, die den Ländern offen stehen, und schließlich die Diktaturgewalt des Reichspräsidenten (Art. 48 der Verfassung), die in der Verhängung des Belagerungszustandes ihr schärfstes Mittel hat. Unter den verschiedenen Einrichtungen zum Schutz der Verfassung erscheint hier der Reichspräsident als die oberste und zugleich wirksamste, und es ist natürlich undenkbar, diesen Schutz, der in der Anwendung legaler Gewalt gegen illegale Angriffe gipfelt, einem Gerichtshof zu übertragen. Aber von diesem Schutz der Verfassung ist, weil hier Zweifel und Meinungsverschiedenheiten nicht möglich sind, nicht die Rede, wenn man von einem „Hüter der Verfassung“ spricht. – Eine schwere Gefährdung der geltenden Reichsverfassung liegt ferner darin, daß sie durch eine innere Auflösung des Volkes in eine Vielheit sozialer Gruppen, die, ohne offen in Erscheinung zu treten, die tatsächliche Willensbildung des Staates beherrschen, gesprengt werden könnte, daß also an die Stelle einer wirklichen politischen Einheit des Volkes ein Pluralismus sozialer und wirtschaftlicher Gruppen treten könnte. Diese Gefahr des „Pluralismus“ kann natürlich nicht durch irgendwelche äußeren Maßnahmen, vor allem nicht durch justizförmige Entscheidungen, bekämpft werden. Hier kann wirksam zur Erhaltung des Ganzen nur eine geistige Erneuerung und eine ständige Vereinigung des nationalen Wollens sein, kann nur das helfen, was Rudolf Smend4 als „Integration“ des Staates bezeichnet, also beständige Erneuerung, dauerndes Neuerlebtwerden, dauernde geistige Bewältigung und Weiterbildung des Staatsganzen. Eines der wesentlichen Mittel dieser geistigen Zusammenfassung des politischen Wollens besteht in der Repräsentation des einheitlichen Volkes durch den Reichspräsidenten, besteht in der Autorität, die diesem Amt natürlicherweise zukommt, und in der Kraft, die der Inhaber des Amtes den Gliedern des Volkes mitzuteilen vermag. Auch hier kann nicht zweifelhaft sein, daß der Reichspräsident der oberste und vornehmste Wahrer der verfassungsmäßigen Einheit des Volkes und damit der „Hüter der Verfassung“ schlechthin ist. – Eine dritte Gefährdung der Verfassung ist denkbar durch Verletzungen, die von den Inhabern der staatlichen Gewalt selbst ausgehen, sei es 4 Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, Verlag Duncker und Humblot, München und Leipzig 1928.

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von dem Reichstag, der in seinen Gesetzen die Schranken möglicherweise überschreitet, die die Verfassung ihm gezogen hat, sei es von der Regierung des Reiches, die in ihrer Amtsführung unter Umständen die ihr übertragenen Befugnisse mißbraucht, sei es schließlich von dem Reichspräsidenten selbst, der vielleicht unter Nichtbeachtung der Grenzen, die auch seiner Diktaturgewalt gezogen sind, die Verfassung antastet. In solchen Fällen kann natürlich der Reichspräsident nicht schlechthin der „Hüter der Verfassung“ sein, da es sich unter Umständen gerade darum handelt, die Verfassung gegen ihn (oder gegen eine Regierung, mit der der Präsident sachlich verbündet ist, oder gegen einen Reichstag, der in seinen politischen Zielen mit der Regierung und dem Präsidenten übereinstimmt) zu schützen. Die einzige Möglichkeit eines wirksamen organisierten Schutzes der Verfassung bestünde hier in der Tat darin, daß eine unabhängige und aus der gesamten sonstigen Verfassungsorganisation ausgeschiedene Behörde zum „Hüter der Verfassung“ gemacht würde, und auf dieser Erwägung beruht denn auch die scheinbare Evidenz eines Staatsgerichtshofs zum Schutze der Verfassung. Aber diese Evidenz ist eine „optische Täuschung“. Denn auch wenn die Verletzung der Verfassung hier in erster Linie als Verletzung des Rechts erscheint, sie ist eine Verletzung „politischen Rechts“, und der entstehende Konflikt ist ein hochpolitischer Verfassungskonflikt. Jede Behörde, die zu seiner Entscheidung berufen wird, mag sie auch ein „unabhängiges Gericht“ sein, wird durch die Art ihrer Aufgabe (sofern sie nicht von vornherein vor dem Inhaber der Verfassungsgewalt kapituliert), zu einer eminent politischen Behörde; sie gehört also zur politischen Verfassungsorganisation, und es obliegt ihr in der Tat die oberste politische Dezision. Damit aber verliert diese Einrichtung ohne weiteres ihren eigentlichen Sinn und ihre Evidenz, da es gerade darum ging, einen obersten Garanten des Verfassungsrechts unter Ausschaltung der politischen Entscheidung zu konstituieren. Es bleibt also dabei, daß es hier keinen eigentlichen und organisierten „Hüter der Verfassung“ geben kann. Möglich ist nur, daß in einem solchen Konflikt ein Organ des Staates sich mit der Verfassung zu identifizieren vermag, sei es kraft seiner besonderen Autorität der Reichspräsident, sei es kraft einer entschlossenen und zielbewußten Führung die Reichsregierung, sei es ein willens- und handlungsfähiges Parlament, sei es schließlich das zu einem Volksentscheid oder zu Neuwahlen oder zur Absetzung des Reichspräsidenten aufgerufene Volk. Die Entscheidung über den Verfassungskonflikt fällt also in dem System gegenseitiger Hemmungen und Balancen, das die Reichsverfassung bietet, durch die politische Autorität, Führung, Handlungsfähigkeit oder Aktivierung eines verfassungsmäßigen Organs; sie ist, wie es der Natur des Konfliktes entspricht, eine politische Entscheidung, die jeder justizförmigen Organisation entbehrt. In dieser Ueberlegung liegt denn auch das eigentliche Argument gegen eine Ausdehnung der Verfassungsjustiz auf das Reich.

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Es ist eine besondere verfassungspolitische Form des Pazifismus, die sich in dem Streben nach einer Verfassungsjustiz äußert. Sie dient, das hat aufs deutlichste die Entscheidung des Staatsgerichtshofs im preußischen Wahlrechtskonflikt gezeigt, wie jede pazifistische Organisation, im Grunde der Aufrechterhaltung des Status quo der politischen Machtverteilung. Sie wird, wie jede pazifistische Organisation, ausgeschaltet, sobald es sich um einen wirklichen Konflikt von hochpolitischer Bedeutung handelt, bei dem sich entschlossene und aktive Gegner im Kampf um die politische Führung entgegentreten, und der naive Glaube an den Schutz des Verfassungsrechts durch ein solches Gericht wird um so verhängnisvoller sein, je mehr er in blindem Vertrauen in die Unabhängigkeit und Neutralität der Justiz zu einer Lähmung des politischen Kampfgeistes und zu einem Auslöschen des selbstbewußten Wollens geführt hat. Nicht minder gefährlich als diese innerpolitische „Befriedung“ wäre die Verlagerung des Kampfplatzes aus dem Bereich der eigentlich politischen Organe in die Justiz. Der Glaube an die Unabhängigkeit und Neutralität jeder Justiz würde damit zerstört werden, und eine der wesentlichen Grundlagen des gewaltenunterscheidenden Rechtsstaats entfallen. 6. Ernst Rudolf Huber, Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt, in: Blätter für Deutsche Philosophie 5 (1931/32), S. 302–315. Neudruck in: ders., Bewahrung und Wandlung. Studien zur deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Berlin 1975, S. 18–36. [Der Beitrag wurde für den Neudruck im Jahr 1975 mit Zwischenüberschriften versehen und im Textbestand gering verändert. Die Zwischenüberschriften werden hier in eckigen Klammern wiedergegeben.] Dem Referat liegen von den größeren Schriften Schmitts zugrunde: Verfassungslehre. Duncker und Humblot, München 1928. XVIII, 404 S. (zit. VL Vgl. auch Bl.[ätter] f.[ür] D[eu]t.[sche] Ph.[ilologie] V 159 ff.), Der Hüter der Verfassung (Beiträge zum öffentlichen Recht der Gegenwart I.) J. C. B. Mohr, Tübingen 1931. VI, 159 S. Geb. 10,50; geh. 12,50 Mk. (zit. HdV), ferner folgende Abhandlungen, Aufsätze und Vorträge: Politische Theologie (1922), Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923), Die Diktaturgewalt des Reichspräsidenten, Veröff.[entlichungen] d. V[ereini]g[un]g. d. D.[eutschen] Staatsrechtslehrer, Heft 1 (1924),

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Volksentscheid und Volksbegehren, Berlin 1927, Der Begriff des Politischen, Arch.[iv] f. Soz.[ial]wiss.[enschaft und Sozialpolitik] Bd. 56 (1927), S. 1 ff. Der Hüter der Verfassung, Arch.[iv] [des] öff.[entlichen] Recht[s], NF Bd. 18 (1929) S. 161 ff. Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, in „Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben“ (1929), Bd. I, S. 154 ff. Die europäische Kultur in Zwischenstadien der Neutralisierung, Europ.[äische] Revue Bd. V (1929) S. 517 ff. Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, Mitt.[eilungen] d. Industrie- und Handelskammer Berlin (1930), S. 397 ff. Hugo Preuß (Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, Heft 72) J. C. B. Mohr, Tübingen 1930, 1,80 Mk. Staatsethik und pluralistischer Staat, Kant-Studien Bd. 35 (1930) S. 28 ff. Einberufung und Vertagung des Reichstages nach Art. 24 RV., Deutsche Juristen-Zeitung 1930, Sp. 1285 ff. Reichs- und Verfassungsreform, Deutsche Juristen-Zeitung 1931, Sp. 5 ff. Die Wendung zum totalen Staat, Europ.[äische] Revue Bd. 7 (1931), S. 241 ff. [I. Föderalismus, Pluralismus, Polykratie] Von drei Kapiteln der neuesten Schrift Carl Schmitt’s „Der Hüter der Verfassung“ trägt das mittlere die Überschrift „Die konkrete Verfassungslage der Gegenwart“. Es soll „den konkreten Verfassungszustand des heutigen deutschen Reiches“ durch drei Begriffe charakterisieren, nämlich durch die Begriffe Pluralismus, Polykratie und Föderalismus. Es handelt sich dabei um „drei voneinander unterscheidbare, auf verschiedenen Gebieten des staatlichen Lebens verschieden hervortretende Entwicklungserscheinungen unserer staatsrechtlichen Verhältnisse“, die durch den „Gegensatz gegen eine geschlossene und durchgängige staatliche Einheit“ verbunden sind. „Das Wort Föderalismus – so umschreibt Schmitt diese drei Begriffe – soll hier nur das Neben- und Miteinander einer Mehrheit von Staaten zum Ausdruck bringen, das innerhalb einer bundesstaatlichen Organisation besteht; hier steht eine Pluralität von staatlichen Gebilden auf staatlichem Boden. Pluralismus dagegen bezeichnet | eine Mehrheit fest organisierter, durch den Staat, d.h. sowohl durch verschiedene Gebiete des staatlichen Lebens, wie auch durch die territorialen Grenzen der Länder und die autonomen Gebietskörperschaften hindurchgehender sozialer Machtkomplexe, die sich

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als solche der staatlichen Willensbildung bemächtigen, ohne aufzuhören, nur soziale (nichtstaatliche) Gebilde zu sein. Die Polykratie endlich ist eine Mehrheit autonomer Träger der öffentlichen Wirtschaft, an deren Selbständigkeit der staatliche Wille eine Grenze findet.“ Kennzeichnend für die Funktion dieser drei Erscheinungen im Staate ist ihre Stellung gegenüber dem Staatswillen. „Der Pluralismus – so sagt Schmitt – bezeichnet die Macht mehrerer sozialer Größen über die staatliche Willensbildung; die Polykratie ist möglich auf dem Boden einer Herausnahme aus dem Staat und einer Verselbständigung gegenüber dem staatlichen Willen; im Föderalismus kommt beides zusammen: Einfluß auf die Willensbildung des Reichs und Freiheit vom Reiche in der Sphäre eigener Unabhängigkeit und Selbständigkeit (HdV S. 71 f.). Wenn diese Kennzeichnung der „konkreten politischen Situation“, die Schmitt mit zahlreichen und ausführlichen Einzelangaben und Daten erläutert und belegt, hier zum Ausgangspunkt einer verfassungstheoretischen Betrachtung gemacht werden soll, so muß dabei dahingestellt bleiben, ob diese Darstellung zutreffend und vollständig ist. Es kann sich für diese Skizze nur darum handeln, zu ergründen, in welchem Sinne überhaupt ein derartiger „Verfassungszustand“ Gegenstand einer Verfassungstheorie sein kann. Dabei ist zunächst zu fragen, welches denn das Verhältnis eines solchen „Verfassungszustandes“ zur „geschriebenen“ Weimarer Verfassung ist. Eine flüchtige Vergleichung mit dem Verfassungstext zeigt, daß die drei genannten Erscheinungen in einer ganz verschiedenen Beziehung zur Weimarer Verfassung stehen. Der Föderalismus ist eines der wesentlichen Elemente der Weimarer Verfassung selbst; sie hat die Länder als staatliche Einheiten aufrechterhalten und ihnen eben die von Schmitt beschriebene Stellung („Einfluß und Freiheit“) zugewiesen. Die Polykratie ist nicht in diesem Sinne von der Verfassung geordnet; doch sind die wichtigsten Träger dieser Polykratie, die Gemeinden, durch die Gewährleistung der Selbstverwaltung (Art. 127 RV.) besonders gefestigt und sind andere Erscheinungen der Polykratie, die Versicherungskörperschaften1, durch die Festlegung des Reichs auf „ein umfassendes Versicherungswesen unter maßgebender Mitwirkung der Versicherten“ (Art. 161 RV.) mit einer gewissen Garantie umgeben. Immerhin widerspricht die durch eine solche Aufspaltung der staatlichen Funktionen gekennzeichnete Polykratie der von der Verfassung gewollten Einheit, so daß sich hier gewisse Kräfte unter dem Schutz der Verfassung gegen die Verfassung wenden. Der Pluralismus schließlich ist eine Auflösung und Zersetzung der verfassungsmäßigen Einheit des Staates; er ist eine unmittelbar gegen die Weimarer Verfassung gerichtete Tendenz innerhalb der politischen und sozialen Gruppen. 1

Im Neudruck: „Sozialversicherungsverbände“.

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Wenn nun in der Tat, wie Schmitt ausführt, Polykratie und Pluralismus den heutigen Verfassungszustand darstellen, so wird offenbar problematisch, welches denn eigentlich die geltende Verfassung ist: der geschriebene Text der Weimarer Verfassung oder diese realen Entwicklungserscheinungen des staatlichen Lebens. Und damit taucht das Kernproblem jeder Verfassungstheorie auf, die Frage danach, ob überhaupt eine Verfassung in dem Sinne „gelten“ kann, daß sie als Norm dauernde Grundlage und fester Beziehungspunkt des staatlichen Lebens ist, ob es also Verfassungs- | recht gibt, oder ob die Verfassung nicht vielmehr die wandelbare und ständig wechselnde politische Struktur2 ist, in der eine Nation sich befindet. Diese Frage, die von Schmitt niemals ausdrücklich formuliert und beantwortet worden ist, erscheint doch als das immanente Problem seiner „Verfassungslehre“, die er in ihrem systematischen Aufbau in seinem Hauptwerk dargestellt hat und deren weiterer Durchdringung seither eine Reihe seiner größeren und kleineren Arbeiten gewidmet sind. [II. Der Begriff der Verfassung] Wesentlich ist in erster Linie, welcher Verfassungsbegriff einer echten Verfassungstheorie zugrunde liegen kann. Eine Staatstheorie, für die die Verfassung nichts anderes ist als eine Zusammenstellung von Rechtssätzen, in denen das Funktionieren des staatlichen Apparates, das Handeln der staatlichen Organe, das Tätigwerden der staatlichen Behörden seine rechtliche Grundlage findet, für die die Verfassung also ein „Gesetz“ bedeutet, von dem das rechtliche Geschehen im Staate sich in legitimer Folge ableitet, kennt eine besondere Verfassungslehre nicht. Die Verfassung ist für diese Theorie ein Gesetz neben anderen Gesetzen und damit der Gesetzgebung selbst unterworfen, wenn auch in der Regel für „Verfassungsgesetze“ ein besonderes Verfahren vorgesehen ist. Die Verfassung ist ausschließlich Gegenstand des positiven Staatsrechts, das die Formen der Verfassungsgebung zu behandeln und den Inhalt der gegebenen Verfassung zu ermitteln hat. „Entwicklungserscheinungen des staatlichen Lebens“ liegen außerhalb des Blickfeldes einer solchen „rein juristischen“ Betrachtung. Wird die Verfassung zum Gegenstand einer besonderen und selbständigen Theorie, die sich als „Verfassungslehre“ von der „allgemeinen Staatslehre“ wie vom „positiven Staatsrecht“ unterscheidet, so ist damit vorausgesetzt, daß die Verfassung mehr als ein Gesetz ist, sei es auch ein Gesetz besonderer formaler Kraft. So hat Schmitt es denn auch abgelehnt, diesen von ihm sogenannten „relativen Verfassungsbegriff“ zum Gegenstand der Verfassungstheorie zu machen (VL. S. 11 ff.). Er unterscheidet von diesem relati2

Im Neudruck eingefügt: „also die Verfassungswirklichkeit“.

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ven den „absoluten Verfassungsbegriff“, in dem die Verfassung ein ideales oder reales Ganzes bedeutet (VL. S. 3). Dabei lehnt er die Vorstellung der Verfassung als eines geschlossenen idealen Systems reiner Normativität als in sich unmöglich ab, weil sie auf dem entschwundenen Glauben an „die metaphysischen Voraussetzungen des bürgerlichen Naturrechts“ beruht (VL. S. 10 f.). Als existentielle Einheit bezeichnet die Verfassung „die konkrete, mit jeder politischen Einheit von selbst gegebene Daseinsweise“; sie ist entweder „der konkrete Gesamtzustand politischer Einheit und sozialer Ordnung“ des Staates und dann mit dem Staat identisch; oder sie bezeichnet „die konkrete Art der Über- und Unterordnung“ im Staate und ist dann die „Form der Herrschaft“, die zu jedem Staat gehört; oder sie bedeutet „das Prinzip des dynamischen Werdens der politischen Einheit“ (VL. S. 4 f.). Während in den beiden ersten Bedeutungen die Verfassung ein „Status“ ist, ist sie in der dritten Bedeutung etwas Entstehendes und Werdendes, sich Erneuerndes und Vergehendes; sie ist „Integration“ in dem von Rudolf Smend beschriebenen Sinn (Verfassung und Verfassungsrecht 1928). Der Verfassungsbegriff, der Gegenstand der Verfassungstheorie Schmitts ist, ist, wie er angibt, nicht dieser absolute Verfassungsbegriff in einer seiner verschiedenen Ausprägungen, sondern der „positive Verfassungsbegriff“. Verfassung bezeichnet hier | die „Gesamtentscheidung über Art und Form der politischen Einheit“ (VL. S. 20). Die Verfassung ist als Entscheidung ein einmaliger bewußter Willensakt. Sie setzt ein willens- und handlungsfähiges Subjekt voraus; das bedeutet, daß die politische Einheit, deren „Form und Art“, deren „besondere Gesamtgestalt“ durch die Verfassungsentscheidung bestimmt werden soll, selbst diese Entscheidung fällt, also bereits vorhanden ist. Die Verfassung ist „eine Entscheidung, welche die politische Einheit durch den Träger der verfassunggebenden Gewalt für sich selber trifft und sich selber gibt“ (VL. S. 21). [III. Der Akt der Verfassungsgestaltung] In dieser Begriffsbestimmung der Verfassung ist einmal jede rein normative Betrachtung der Verfassung verworfen – die Verfassung hat als reale Einheit eine Existenz und ist kein bloßes Sollen. Diese Definition wendet sich zum anderen gegen die dynamische Auflösung der Verfassung – die Verfassung hat als einmalige Entscheidung einen klaren Inhalt und kann nur durch eine neue bewußte Entscheidung aufgehoben oder abgeändert werden. Ist mit dieser prinzipiellen Abgrenzung von Theorien rein normativer und rein dynamischer Prägung der Standort Schmitts deutlich bestimmt, so scheinen mir in der Definition der Verfassung als „Entscheidung“ einige Unklarheiten gegeben, die es zu beseitigen gilt. Zunächst ist, wenn man eine rein dynamische Betrachtung ablehnt, notwendig, die Verfassung als

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etwas Dauerndes zu bezeichnen. Sie ist daher nicht „Wille“ und nicht „Entscheidung“, sie ist nicht ein Entstehungsvorgang, sondern der durch einen solchen Vorgang entstandene Zustand. So behandelt denn Schmitt selbst in einem besonderen Abschnitt die „Entstehung der Verfassung“ (VL. S. 44); es ist dort gesagt, daß die Verfassung durch „Entscheidung des Subjekts der verfassunggebenden Gewalt“ entsteht, nicht daß sie diese Entscheidung ist. Damit stellt Schmitt seine ursprüngliche Definition selbst dahin richtig, daß die Verfassung auf einer Gesamtentscheidung beruht; sie ist nicht diese Entscheidung selbst, sondern das, was durch diese Entscheidung gestaltet worden ist. Aber auch in dieser Abwandlung ist die Definition nicht ganz zutreffend, wie sich aus den Ausführungen Schmitts am gleichen Orte und im folgenden Abschnitt (VL. S. 61) ergibt. Es ist dort gesagt, daß eine Verfassung außer auf einer einseitigen Entscheidung auf einem „Vertrag“ beruhen kann. Als Beispiele sind der Bundesvertrag in einem Bundesstaat und der Verfassungsvertrag in einer konstitutionellen Monarchie genannt. Dabei wird allerdings darauf hingewiesen, daß nur im ersten Fall ein echter Vertrag (zwischen mindestens zwei bestehenden und fortbestehenden Parteien, die beide Subjekt der verfassunggebenden Gewalt sind) vorliegt, während es sich im zweiten Falle um eine „unechte Verfassungsvereinbarung“ handelt, bei der ein Kompromiß gegeben ist, der den Konfliktsfall unentschieden läßt (weil es im Rahmen einer politischen Einheit nicht mehrere Subjekte der verfassunggebenden Gewalt geben kann). In beiden Fällen liegt offenbar auch nach der Auffassung Schmitts keine „Entscheidung“ vor, im ersten Fall nicht, weil es sich um einen echten Vertrag handelt, im zweiten Fall nicht, weil durch einen Kompromiß die Entscheidung umgangen wird. Aber auch diese, auf einer „unechten Vereinbarung“ beruhende Verfassung sieht Schmitt als wirkliche Verfassung an, und es wäre natürlich auch unmöglich und widersinnig, gerade für die „konstitutionelle“ Monarchie das Bestehen einer wirklichen Verfassung zu leugnen. Die Entscheidung ist somit nicht der einzige Entstehungsvorgang der Verfassung. Verfassungsgebung im Sinne Schmitts ist vielmehr bewußte Gesamtgestaltung, sei es durch einseitige Entscheidung, sei es durch echten Vertrag, sei es durch Kompromiß. Als Gegenstand der Verfassungsgebung bezeichnet Schmitt „Form und Art der politischen Einheit“. Damit ist zunächst klargestellt, daß der „positive Verfassungsbegriff“ ein Unterfall des „absoluten Verfassungsbegriffs“ ist, und zwar der zweite Unterfall, in dem Verfassung gleich „Staatsform“ ist. Denn da „politische Einheit“ bei Schmitt „Staat“ bedeutet, bedeutet Art und Form der politischen Einheit Art und Form des Staates. Wenn Schmitt dabei neben der Form von der „Art“ der politischen Einheit spricht, so ist damit in der Sache nichts anderes und jedenfalls nicht die „Substanz“ der Einheit gemeint. Die Substanz der politischen Einheit, die Nation, ist ein

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wesentliches Element der Einheit selbst und kann nicht durch die Verfassungsgebung bestimmt werden. Als Gegenstand der Verfassung bleibt damit die Form des Staates, d.h. die konkrete und existentielle Form der Herrschaft im Staat. Die Verfassung ist somit als Form der Herrschaft eine „reale Totalität“3 und es ist etwas verwirrend, wenn er selbst einen Gegensatz zwischen diesem absoluten und einem besonderen „positiven“ Verfassungsbegriff zu konstruieren sucht. Nun betont Schmitt gleichzeitig, daß die politische Einheit nicht selbst durch die Verfassungsgebung konstituiert werde, sondern für den Akt der Verfassungsgebung vorausgesetzt sei, eben weil ein handlungsfähiges Subjekt vorhanden sein muß, das die Verfassung gibt. Es fragt sich nun, worin die politische Einheit bestehen kann, solange sie ohne „Art und Form“ ist, und ob nicht mit der Existenz der politischen Einheit selbst „Art und Form“ bereits gegeben sind. Jedenfalls sind nicht alle Formen der politischen Einheit einer bewußten Gestaltung durch einen Träger der verfassunggebenden Gewalt ausgesetzt. Jede politische Einheit trägt an und für sich (vor jeder bewußten Gestaltung) ein Minimum politischer Formen in sich. Eben durch dieses Minimum in unmittelbar gegebenen Formen unterscheidet sich die politische Einheit von einer „formlosen Masse“, wird sie willens- und handlungsfähig. So zeigt jede Revolution, daß von Beginn an bestimmte Formprinzipien für die neue Einheit maßgebend sind und daß ihr Erfolg davon abhängt, in welchem Maße diese unmittelbar gegebenen Formen sich festigen und eine tragfähige Einheit konstituieren, bevor eine bewußte Entscheidung eines Trägers der verfassunggebenden Gewalt erfolgen kann. Ja, dieses Subjekt der verfassunggebenden Gewalt selbst ist ein wichtiges und geradezu das wesentliche Formelement der politischen Einheit, und da die Gestaltung der „positiven Verfassung“ diesen Träger notwendig voraussetzt, ist das hervorragende Element der staatlichen Form vor der bewußten Verfassungsgebung vorhanden. Als Gegenstand der bewußten Verfassungsgestaltung bleibt daher eine verhältnismäßig beschränkte Aufgabe, die im wesentlichen die besondere Ausprägung bereits vorhandener Formprinzipien sein wird. Nun hebt Schmitt – mit vollem Recht – hervor, daß bei der Verfassungsgebung in demokratischen Staaten nicht die Nationalversammlung, sondern das Volk Träger der verfassunggebenden Gewalt ist (VL. S. 23). Da aber das Volk als unformierte Masse nicht selbst handeln, sondern nur durch „Akklamation“ tätig werden kann, hat sich in den modernen Demokratien ein besonderes Verfahren der Verfassungsgebung durch eine „Nationalversammlung“ herausgebildet, wobei die Zustimmung des Volkes dann durch ein nachträgliches Referendum erfolgt oder aber – wie bei der Entstehung 3

Im Neudruck eingefügt: „eine wirkliche Ganzheit“.

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der Weimarer Verfassung – in der Wahl zur Nationalversammlung enthalten ist | (VL. S. 84 f.). Nun ist eine solche „vorherige Zustimmung“ offenbar inhaltsleer, und es ist unmöglich, sie für sich allein als „bewußte“ Gestaltung zu werten. Sie enthält tatsächlich eine „Ermächtigung“ an die Nationalversammlung zur Feststellung des Inhalts der Verfassung und delegiert damit die Verfassungsgebung (der Ausübung, nicht der Substanz nach) an einen handlungsfähigen Repräsentanten des souveränen Volkes. Die bewußte Entscheidung über den Inhalt der Verfassung kann daher – was wiederum bei Schmitt nicht klar hervortritt – in diesem Falle nur durch die Nationalversammlung gefällt sein. Als wesentliche Elemente der durch die Weimarer Nationalversammlung getroffenen Verfassungsgestaltung bezeichnet Schmitt die Entscheidung für die Demokratie, für die Republik, für den Bundesstaat, für den Parlamentarismus und für den Rechtsstaat (VL. S. 23 f.). Dazu ist zu sagen, daß man von einer konstitutiven Entscheidung der Nationalversammlung für die genannten Grundformen des staatlichen Lebens nur in beschränktem Umfang sprechen kann. Denn im wesentlichen waren diese Formen bereits entstanden, als die Nationalversammlung tätig wurde; die Nation hatte bereits eine gewisse Gesamtgestalt gefunden, an der auch die Nationalversammlung nichts ändern konnte und nichts geändert hat. So stand bei dem Umsturz von vornherein fest, daß das deutsche Reich als Republik geformt sein werde. Mit der Berufung (nicht erst der Wahl) der Nationalversammlung auf Grund des Beschlusses der Reichskonferenz der Arbeiter- und Soldatenräte (16.–19. Dezember 1918) war die Entscheidung für die Demokratie und gegen eine Diktatur der Räte gefallen. Die Aufrechterhaltung der bundesstaatlichen Struktur des Reichs war gesichert, als auf der Staatenkonferenz am 26. Januar 1919 die einzelstaatlichen Regierungen die Einsetzung des Staatenausschusses erstritten hatten. Man kann allenfalls sagen, daß die Nationalversammlung eine konstitutive Entscheidung für den Parlamentarismus und für den bürgerlichen Rechtsstaat gefällt habe. Aber auch hier waren die Entwicklungslinien schon vorgezeichnet und war insbesondere die Anknüpfung an das Bestehende so deutlich, daß eigentlich nur eine Bestätigung und Bestärkung vorhandener Formen auf einem freien Akt der Versammlung beruhte. Die Ausprägung und Ausgestaltung dieser vorhandenen Formen im einzelnen ist natürlich das Werk der Nationalversammlung, aber gerade darin sieht Schmitt nicht den entscheidenden und wesentlichen Inhalt der Verfassung. Wenn man daher mit Schmitt die „Art und Form der politischen Einheit“ als die Verfassung ansehen will, so muß man darauf verzichten, die „bewußte Gestaltung“ durch den Träger der verfassunggebenden Gewalt als ihre entscheidende Grundlage anzusehen. Man wird genötigt sein, alle wesentlichen Formelemente der politischen Einheit zur Verfassung zu rechnen, auch wenn sie unabhängig von einer bewußten Ent-

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scheidung durch das Subjekt der verfassunggebenden Gewalt unmittelbar mit der konkreten Erscheinungsform der politischen Einheit gegeben waren. Das Subjekt der verfassunggebenden Gewalt kann ein feierliches Bekenntnis zu solchen Grundformen der politischen Einheit ablegen, und es wäre durchaus töricht, in einem solchen Bekenntnis lediglich eine hohle und tönende Proklamation zu sehen. Aber ein Bekenntnis, so stark und echt es sein mag, ist kein Willensakt und keine Entscheidung und hat keine gestaltende Kraft. [IV. Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit] Aus dieser Erkenntnis eines Unterschiedes der mit einer real-existenten politischen Einheit unmittelbar gegebenen Formen des staatlichen Seins und der besonderen Ausprägung und Ausgestaltung dieser Formen durch einen bewußten Willensakt des Trägers | der verfassunggebenden Gewalt ergibt sich, in welchem Sinne es möglich ist, von einer „konkreten Verfassungslage“ einer bestimmten geschichtlichen Periode zu sprechen. Wäre die Verfassung eine Entscheidung, so könnte man nicht von einer derartigen „Verfassungslage“ reden, denn eine Entscheidung, die einmalig und inhaltlich bestimmt ist, kann sich nicht in einer besonderen „Lage“ befinden, da Lage immer einen Zustand der Dauer und nicht einen einmaligen Akt bezeichnet. Ebenso gäbe es, wenn die Verfassung ausschließlich auf einem bewußten Akt beruhte, eine besondere „Situation“ der Verfassung, die durch „Entwicklungserscheinungen“ gekennzeichnet ist, nicht, da auch dann die Verfassung eine inhaltlich fest bestimmte Form bedeutete, die nur durch eine neue bewußte Entscheidung geändert (oder aufgehoben) werden könnte, nicht aber durch „Entwicklungserscheinungen“, die eine unbewußte und nicht von dem Träger der verfassunggebenden Gewalt gewollte Modifizierung der „Art und Form der politischen Einheit“ sind. Wenn dagegen die politische Einheit eine reale Existenz hat und gleichzeitig durch einige elementare Formprinzipien gekennzeichnet ist, die mit ihr selbst gegeben sind, so ist diese Einheit mit ihren Grundformen den realen Gesetzen einer natürlichen Entwicklung unterworfen, die sich unabhängig von bewußten Entscheidungen und Willensäußerungen vollzieht. Dann aber gibt es eine Verfassungswirklichkeit, die sich nicht notwendig mit dem Inhalt einer willensmäßigen, für die Dauer gedachten (und in der Regel schriftlich niedergelegten) Bestimmung der Art und Form der politischen Einheit deckt, sondern die eben den konkreten wandelbaren Zustand bezeichnet, in dem die Struktur einer politischen Einheit sich zu einem bestimmten geschichtlichen Zeitpunkt befindet. Aufgabe einer Verfassungstheorie kann es dann sein, diese Verfassungswirklichkeit in ihren Abweichungen von der geschriebenen Verfassung darzustellen, also etwa zu zeigen, wie die konkrete Verfassungslage

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des römischen Reiches deutscher Nation sich am Ende des 18. Jahrhunderts von der Verfassung des Westfälischen Friedens unterschied, oder wie die konkrete Verfassungslage des deutschen Kaiserreichs sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der streng föderalistischen Bismarckschen Verfassung entfernt und mit unitarischen Zügen erfüllt hatte, oder wie die demokratische Verfassung der deutschen Republik nach zehnjährigem Bestehen entgegen ihrem ursprünglichen „Geist“ mit Elementen des Pluralismus, der Polykratie und des Föderalismus durchsetzt worden ist. Diese Verfassungswirklichkeit, die „konkrete Verfassungslage“, weicht also sowohl von den ursprünglichen Formen der unmittelbaren Daseinsweise der politischen Einheit wie von den besonderen Ausprägungen, die diese Formen durch die geschriebene Verfassung erfahren haben, ab. Die Vorstellung einer Verfassungswirklichkeit entfernt sich damit offenbar von einer statischen Auffassung der Verfassung und nähert sich der Vorstellung der Verfassung als des „dynamischen Werdens der politischen Einheit“ an. Die Verfassung als „Verfassungswirklichkeit“ ist keine „Form“ der politischen Einheit mehr, sondern eine „Bewegung“, in der die politische Einheit sich befindet, sie ist keine ruhende und gesicherte Ordnung und hat keinen bestimmten Inhalt, sondern sie ist eine ständige Entwicklung von Kräften und Mächten, und für sie gilt das Wort, daß „alles fließt“. Carl Schmitt selbst hat wiederholt eine derartige dynamische Betrachtung der Verfassung von sich gewiesen; ihm ist Staat „ein bestimmter Status eines Volkes, und zwar der Status politischer Einheit“; ihm ist die Staatsform „die besondere Art | der Gestaltung dieser Einheit“ (VL. S. 205). Der Staat und seine Form haben für ihn somit eine statische Existenz, sind nicht Bewegung, und es widerspricht denn in der Tat auch jedem Begriff einer Form, ohne die der Staat nicht zu denken ist, sie als „Entwicklungserscheinung“ und als „Bewegung“ aufzufassen. Aber angesichts der Bedeutung, die in der Verfassungstheorie Schmitts die „konkrete politische Situation“, in der ein Volk sich befindet, besitzt, entsteht die Frage, wie überhaupt vom Staat und seiner Form als etwas Ruhendem und inhaltlich Bestimmtem ausgegangen werden kann, wo doch offenbar das staatliche Leben, das politische Geschehen eine ständige Bewegung und kein unwandelbarer Zustand ist. Oder anders gewandt: wodurch unterscheidet sich eine solche Verfassungstheorie von einer politischen Soziologie? [V. Verfassungszustand und Verfassungsgeltung] Der entscheidende Gegensatz zwischen einer Verfassungstheorie und einer politischen Soziologie liegt darin, daß die Verfassungslehre die Verfassung als eine Ordnung ansieht, die nicht nur in existentieller Gegebenheit reines

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Sein besitzt, sondern auch kraft ihres Seins dauernde Geltung beansprucht. Um diesen Geltungsanspruch eines realen Seins zu erklären, genügt natürlich nicht die bloße Berufung auf die bekannte, von Georg Jellinek geprägte Formel von der „normativen Kraft des Faktischen“. Denn nicht jedes Sein besitzt diese Art einer Normativität; es bedeutete eine Verneinung jedes Rechts, wenn jedes Faktum kraft seines natürlichen Daseins und Soseins dauernde Geltung zu beanspruchen vermöchte. Die Besonderheit der Verfassung als eines existentiellen Phänomens, die ihr einen Anspruch auf Geltung verleiht, beruht darin, daß sie „die konkrete Art der Über- und Unterordnung“ in der sozialen Wirklichkeit, daß sie die „besondere Form der Herrschaft“ in einer politischen Einheit bezeichnet. Nur die Herrschaft ist ein Faktum, das aus sich selbst Geltung beanspruchen kann. Dabei bezeichnet Herrschaft nicht die bloße Gewalt, sondern die legitime Ordnung. Denn eben weil es sich um die Herrschaft in einer politischen Einheit handelt, eine politische Einheit aber durch eine politische Idee konstituiert ist, gewinnt die konkrete Form der Über- und Unterordnung in einer politischen Einheit ihre Rechtfertigung aus dieser konstituierenden Idee. Diese Überlegung zeigt den unentrinnbaren Zusammenhang an, in dem für eine Verfassungstheorie Sein und Sollen, Wirklichkeit und Geltung, Existenz und Normativität stehen. Die konkrete Herrschaft ist durch eine tragende politische Idee legitimiert und besitzt eben dadurch den Anspruch auf dauernde Geltung. Diese Begründung der Verfassung auf die politische Idee, die die staatliche Einheit konstituiert, kommt bei Schmitt allerdings nicht zu klarem Ausdruck. Er führt aus, die Verfassung sei dann legitim, d.h. „nicht nur als faktischer Zustand, sondern auch als rechtmäßige Ordnung anerkannt“, wenn die verfassunggebende Gewalt anerkannt sei; er fährt dann fort, daß die Verfassung jedoch keine „Rechtfertigung an einer ethischen oder juristischen Norm“ bedürfe, sondern ihren Sinn in der politischen Existenz trage (VL. S. 87). Wichtig ist, daß hier ein Unterschied zwischen einem nur faktischen Zustand und einer politischen Existenz gemacht wird. Politische Existenz ist eben ein Sein, das nicht „nur faktisch“ ist, sondern durch die politische Idee, die erst eine politische Einheit ermöglicht, konstituiert ist. Diese mit der politischen Einheit gegebene und von ihr untrennbare politische Idee ist natürlich weder eine ethische noch eine juristische Norm. In diesem Sinne ist die Geltung der Verfassung voraussetzungslos; sie trägt ihre Geltung darin, daß sie Verfassung einer politischen | Einheit und damit konkreter Ausdruck einer politischen Idee ist. Nun ist diese politische Idee in ihrem sachlichen Inhalt nicht allgemein (durch eine „Definition“), sondern nur für eine konkrete Einheit bestimmbar; sie hat jedoch – wie Schmitt in seiner Abhandlung über den „Begriff des Politischen“ dargelegt hat – ein allgemeines Kennzeichen darin, daß sie die Unterscheidung von Freund und Feind ermöglicht. (Es sei dabei betont, daß in dieser Freund-

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Feind-Formel Schmitts natürlich keine strenge Definition des Politischen enthalten ist, daß sie vielmehr nur eine – und zwar die wesentliche – Funktion des Politischen bezeichnet.) Ebenso wie eine Verfassungstheorie in rein normativer Betrachtung schließlich zu einem öden Positivismus verflachen muß, so wird eine Verfassungslehre in rein existentieller Betrachtung zu einer Soziologie, die den Wert juristischer Formen und Institutionen nicht kennt, aufgelöst. Das Problem einer echten Verfassungslehre liegt darin, daß sie zugleich von der Wirklichkeit und von der Geltung einer konkreten Verfassung handeln soll. Wie die Wirklichkeit die immanente Tendenz hat, normative Geltung zu erlangen, so trägt die Norm die Tendenz in sich, in die Realität einzugehen. In diesem unlöslichen Zusammenhang und der damit bewirkten Spannung zwischen unmittelbarem Sein und normativer Geltung der Verfassung ist sowohl die politische Problematik des Verfassungslebens selbst als auch die wissenschaftliche Problematik einer echten Verfassungslehre gegeben. Man kann mit juristischen Fiktionen und Konstruktionen diese elementare Problematik umgehen und sie in einer reinen Begrifflichkeit oder einem leeren Positivismus leugnen. Aber solche Umgehungen und Ableugnungen widerlegen nicht das Problem, sondern den reinen Begriff und die leere Positivität. Es ist das Wesentliche an der Verfassungstheorie Schmitts, daß diese Spannung zwischen unmittelbarer realer Gegebenheit und normativer Geltung der Verfassung erkannt und als Gegenstand einer geschlossenen wissenschaftlichen Betrachtung anerkannt ist. Entwicklungserscheinungen des staatlichen Lebens, wie wir sie in allen verfassungsgeschichtlichen Epochen beobachten und wie Schmitt sie in seiner Untersuchung über „die konkrete Verfassungslage der Gegenwart“ mit dem besonderen Blick für verborgene und „apokryphe“ Vorgänge des politischen Geschehens, der ihn auszeichnet, dargestellt hat, besitzen eine verschiedene verfassungstheoretische Bedeutung. Sie zeigen unter Umständen an, daß die Idee, die die politische Einheit konstituiert, sich gewandelt hat, und daß die konkrete Herrschaftsform damit ihre transzendente Rechtfertigung verloren hat. Ihr Geltungsanspruch beruht dann nicht mehr auf einer echten Legitimation, sondern auf einer „bloßen Legitimität“. So hat Schmitt darauf hingewiesen, daß die Monarchie des 19. Jahrhunderts ihre politische Kraft (Autorität, Potestas und Repräsentation) verloren hatte, als sie versuchte, sich theoretisch und ideell auf dem Prinzip der Legitimität zu halten (VL. S. 212). Aber nicht weil solche „bloße“ Legitimität auf wesentlich normativer Grundlage beruht – wie Schmitt mißverständlich formuliert –, sondern weil sie mit dem Wandel der den Staat konstituierenden Idee ihre sachliche Legitimation verloren hatte, ist eine solche „nichts wie legitime“ Herrschaft „politisch und geschichtlich tot“. In diesem Sinne ist allerdings jeder Versuch, „einen status quo juristisch zu stabilisieren“, aussichtslos.

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Ganz anders verhält es sich mit den verfassungspolitischen Entwicklungserscheinungen, die Schmitt in seiner Untersuchung der gegenwärtigen Verfassungslage dargestellt | hat. Ein Pluralismus, der den Staat in seiner politischen Homogenität und Einheit auflöst und durch eine Vielheit sozialer Gruppen zersetzt, ist kein Zeichen für einen Wandel in der politischen Idee, die den Staat trägt, sondern gerade die Leugnung und Zerstörung dieses geistigen Einigungsprinzips des Staats. Ebenso ist eine Polykratie, die einen wesentlichen Bereich der staatlichen Aufgaben aus dem Staat herausnehmen und einer Vielheit heterogener Wirtschaftsträger überantworten will, nicht von einer politischen Idee geleitet, die der Idee der geltenden Verfassung widerspricht und an ihre Stelle treten könnte, um so eine neue, andersartige Herrschaftsform aufzurichten. Auch sie ist nur von dem Streben nach einer Verminderung und Ausschaltung der staatlichen Herrschaft bestimmt, ohne selbst die politische Einheit tragen zu können. Auch ein Föderalismus, der nur auf partikularistische Abspaltungen gerichtet ist, ohne die Einheit des Ganzen mit einer andersartigen Idee erfüllen zu können, gehört zu diesen Kräften, die die Art und Form des Staates zerstören, ohne sie neu zu bilden. An solchen verfassungspolitischen Erscheinungen zeigt sich nicht ein neues Werden, eine neue Dynamik und ein Wandel der konkreten Herrschaftsform, sondern ein beginnender Zerfall des Staates und seiner Einheit selbst. Durch solche Erscheinungen wird daher nicht die ideelle Rechtfertigung der geltenden Verfassung in Frage gestellt; es entsteht nicht eine neue Art und Form der politischen Einheit, sondern die politische Einheit als solche wird von einer Auflösung und Zersetzung und von Abspaltungen bedroht. Wenn Schmitt von einer „konkreten Verfassungslage der Gegenwart“ spricht, und damit aussagt, daß es eine von den Grundprinzipien der Weimarer Verfassung abweichende Verfassungswirklichkeit gibt, so ist damit nicht gemeint, daß eine neue Verfassung im Werden ist und daß eine andere Art und Form der politischen Einheit sich entwickelt hat, sondern daß die politische Einheit – der Staat – selbst durch die verfassungspolitische Entwicklung gefährdet ist. Solche Entwicklungserscheinungen sind daher nicht nur, wie Schmitt es ausdrückt, Verletzungen des Geistes der geltenden Reichsverfassung, die auf „dem demokratischen Gedanken der homogenen, unteilbaren Einheit des ganzen deutschen Volkes beruht“ (HdV. S. 62), sondern sie richten sich unmittelbar gegen diese Einheit selbst. Sie zerstören nicht nur die geltende Verfassung, sondern den Staat. [VI. Das geltende Weimarer Staatsrecht und die „Wendung zum totalen Staat“] Dagegen bedeutet eine andere unter den von Schmitt festgestellten Erscheinungen der verfassungspolitischen Wirklichkeit einen bedeutungsvol-

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len Wandel der geltenden Verfassung, der Art und Form der politischen Einheit selbst, nämlich „die Wendung zum totalen Staat“. Die Weimarer Verfassung enthält in vielen Teilen eine Festlegung der Prinzipien eines neutralen Staates; insbesondere die in ihrem zweiten Hauptteil garantierten bürgerlichen Grund- und Freiheitsrechte (Freiheit der Person, der Meinungsäußerung, des Bekenntnisses, der Wirtschaft, des Privateigentums, der Koalierung) „setzen einen solchen grundsätzlich nichtintervenierenden, höchstens zum Zwecke der Wiederherstellung der gestörten Bedingungen der freien Konkurrenz eingreifenden, neutralen Staat voraus“ (HdV. S. 78). Eine Garantie solcher Rechte setzt – so legt Schmitt dar – einen Dualismus von Staat und Gesellschaft voraus und bedeutet dann eben eine Garantie des gesellschaftlichen Daseins gegenüber dem Staat. Im modernen „Gesetzgebungsstaat“ entfällt dieser Dualismus, weil der Staat zur „Selbstorganisation der Gesellschaft“ geworden ist. Damit aber – so führt Schmitt aus – „werden alle sozialen und wirtschaftlichen Probleme unmittelbar | staatliche Probleme, und man kann nicht mehr zwischen staatlich-politischen und gesellschaftlich-unpolitischen Sachgebieten unterscheiden“. Die mit dem Staat identische Gesellschaft – so fährt er fort – „wird ein Wirtschaftsstaat, Kulturstaat, Fürsorgestaat, Wohlfahrtsstaat, Versorgungsstaat; . . . in dem zur Selbstorganisation der Gesellschaft gewordenen Staat gibt es eben nichts, was nicht wenigstens potenziell staatlich und politisch wäre; . . . die im Staat sich selbst organisierende Gesellschaft ist auf dem Wege, aus dem neutralen Staat des liberalen 19. Jahrhunderts in einen potenziell totalen Staat überzugehen“ (HdV. S. 79)4. Während in der pluralistischen, polykratischen und föderalistischen Auflösung und Aufspaltung des Staates Erscheinungen dargestellt werden, die gegen jeden Staat und jede Verfassung gerichtet sind, zeigt sich in dieser Vorstellung eines „totalen“ Staates eine positive Wendung zu einer neuen Art und Form der politischen Einheit und damit in der Tat ein neues verfassungspolitisches Werden. Es muß hier dahingestellt bleiben, ob Schmitt die Tatsachen, aus denen er diese Wendung zum totalen Staat ableitet, richtig beobachtet und zutreffend gewürdigt hat. Ist es der Fall, so zeigt sich ein fundamentaler Wandel der Verfassungswirklichkeit, der die geltende Verfassung nicht unberührt lassen kann. Wenn nach Schmitts „Verfassungslehre“ eines der wesentlichen Elemente der Weimarer Verfassung das Bekenntnis zum bürgerlichen Rechtsstaat ist, so fällt dieses Verfassungselement offenbar weg, wenn der Staat ein „totaler Staat“ wird. Damit verlieren alle Garantien bürgerlicher Freiheiten, die der zweite Hauptteil der Verfassung bie4 Im Neudruck ist folgende Anmerkung eingefügt: „Aus dem Zusammenhang ist deutlich, daß unter der ‚Wendung zum totalen Staat‘ hier wie im Folgenden die ‚Herrschaft der Gesellschaft über den Staat‘ gemeint ist, die das Ende des ‚neutralen Staates‘ bedeutet.“

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tet, ihren ursprünglichen Sinn. Der Versuch, sie in ihrem alten Sinn zu erhalten, würde (ähnlich wie in dem erwähnten Falle der konstitutionellen Monarchie) ohne sachliche Rechtfertigung sein und bedeuten, daß ein bloßer „status quo juristisch stabilisiert“ werden soll. Damit tritt in dieser Wendung zum totalen Staat die Spannung zwischen Geltung und Wirklichkeit der Verfassung offen hervor. Schmitt hat dieses große Problem einer Verfassungstheorie bisher nur beiläufig behandelt; man wird hoffen dürfen, daß er es zum Gegenstand einer grundsätzlichen Erörterung machen wird, um an ihm die Prinzipien seiner Verfassungstheorie zu bewähren. [VII. Das geltende Weimarer Staatsrecht und die Wendung zum „Präsidialsystem“] Während die verfassungsrechtlichen Folgerungen, die sich aus dieser Wendung zum totalen Staat ergeben, von Schmitt bisher nicht in voller Schärfe gezogen worden sind, hat er in zwei anderen wichtigen Fragen, die die Befugnisse und die Stellung des Reichspräsidenten betreffen, die verfassungsrechtlichen Konsequenzen, die sich aus seinen verfassungstheoretischen Betrachtungen ergeben, in vollendeter Klarheit dargestellt. Der Art. 48 Abs. 2 RV. hat bekanntlich dem Reichspräsidenten für den Fall einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung eine Reihe von einschneidenden Befugnissen eingeräumt, um deren Begrenzung eine heftige wissenschaftliche Kontroverse entbrannt ist. Schmitt selbst hat in einem Referat auf dem Jenaer Staatsrechtslehrertag 1924 diese Befugnisse auf die Ergreifung von „Maßnahmen“ einschränken wollen und insbesondere ein „Notverordnungsrecht“ des Präsidenten abgelehnt; seine Begründung ist auch von den Gegnern dieser Auffassung als eine meisterliche Leistung juristischer Argumentation anerkannt worden5. In seiner neuen Schrift räumt Schmitt ein, daß in zehnjähriger Rechtsentwicklung sich eine gegenteilige ständige Übung durchgesetzt habe, die von einer in der Staatsrechtslehre herrschenden Auffassung, von zahlreichen Präzedenzfällen und gerichtlichen Entscheidungen und von dem Verhalten des Reichstags getragen werde (HdV. S. 120). Er erkennt die Zulässigkeit von Notverordnungen, insbesondere auch solchen finanzgesetzvertretender Art, als „Bestandteil unseres heutigen Verfassungsrechts“ an (HdV. S. 117). Neben dieser (wie mir scheint, nicht recht überzeugenden) Berufung auf eine gewohnheitsrechtliche Fortbildung der Verfassung, in der eine allgemeine Erscheinung jeder Rechtsentstehung und kein besonderes verfassungstheoretisches Problem zu 5 Im Nachdruck ist folgende Anmerkung eingefügt: „Carl Schmitt, Die Diktatur des Reichspräsidenten, in: Gerhard Anschütz u. a. (Hg.), Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 1, Berlin/Leipzig 1924, S. 63–104.“

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sehen wäre, finden sich Argumente, die wesentlich von verfassungstheoretischen Erwägungen getragen sind. Schmitt unterscheidet die Staaten nach dem Gebiet staatlicher Tätigkeit, „auf dem sie das Zentrum ihrer Tätigkeit finden“, in Jurisdiktionsstaaten, Exekutivstaaten und Gesetzgebungsstaaten und zeigt, daß im „Ausnahmezustand“ das jeweilige Zentrum des Staates offen zutage tritt: der Jurisdiktionsstaat bedient sich hierfür des Standrechts, d.h. einer summarischen Justiz, der Exekutivstaat des Übergangs der vollziehenden Gewalt, der Gesetzgebungsstaat der Not- und Ausnahmeverordnungen, d.h. eines summarischen Gesetzgebungsverfahrens (HdV. S. 75 f.). Diese Ausführungen mögen in dem Zusammenhang, in dem sie stehen, als Beschreibung der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung und nicht als Argument für die Auslegung der Verfassung gemeint sein. Sie gewinnen aber den Charakter eines solchen Arguments, wenn Schmitt an anderer Stelle ausführt, daß die rechtswissenschaftliche Auslegung der Verfassung nicht ohne „historisch-kritisches Bewußtsein“ vor sich gehen dürfe (HdV. S. 128), und wenn er, wieder an anderer Stelle, sagt, daß die Entwicklung zum „Wirtschaftsstaat“ dazu gezwungen habe, sich bei der Handhabung des Art. 48 „auf wirtschaftlichem und finanziellem Gebiet zu bewegen“ (HdV. S. 128). Die verfassungstheoretische und historisch-kritische Feststellung – Entwicklung zum Gesetzgebungsstaat und zum Wirtschaftsstaat – wird damit zur Grundlage, auf der die den ursprünglichen Inhalt der Verfassung ausdehnende Handhabung des Art. 48 tatsächlich notwendig und juristisch möglich war. Gerade an diesem Fall zeigt sich in besonderer Klarheit die Bedeutung von „Entwicklungserscheinungen“ des Verfassungslebens für die Fortbildung des Verfassungsrechts und der Umschlag der Verfassungswirklichkeit in die Normativität. Am deutlichsten schließlich tritt die Bedeutung einer verfassungstheoretischen Betrachtung, wie Schmitt sie zu einem besonderen Zweig des öffentlichen Rechts erhoben hat, bei der Behandlung des eigentlichen Gegenstandes seiner neuesten Schrift – des Problems eines konkreten „Hüters der Verfassung“ – hervor. Schmitt zeigt hier, daß die Einrichtung eines Gerichtshofs zur Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten, wie sie für die deutschen Länder durch Art. 19 RV. vorgesehen ist und wie sie vielfach, u. a. von dem 34. deutschen Juristentag (Köln 1926), auch für das Reich gefordert wird, dazu führt, daß die politische Dezision sich hinter der „Pseudonormativität einer justizförmigen Gerichtlichkeit“ verbirgt (HdV. S. 31), und daß der Gerichtshof zu einem „Verfassungsgesetzgeber in hochpolitischer Funktion“ wird (HdV. S. 48). Gegenüber solchen Versuchen zu einer „fiktiven Justizförmigkeit“ weist Schmitt darauf hin, daß nach dem demokratischen Prinzip, auf dem die Weimarer Verfassung beruht, allein der Reichspräsident der „Hüter der Verfassung“ sein kann (HdV. S. 159) und daß „die Staatsordnung des heutigen deutschen Reiches“ auf den Reichspräsidenten in eben demselben

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Maße angewiesen ist, „in welchem die Tendenzen des pluralistischen Systems ein normales Funktionieren des Gesetzgebungsstaates erschweren oder sogar unmöglich machen“ (HdV. S. 158). Auch hier verbinden sich somit zwei Argumente, von denen | das erste aus dem Prinzip der geltenden Verfassung und der Stellung, die dem Reichspräsidenten durch die Art seiner Berufung, durch die Statik und Permanenz seines Amtes und durch seine Befugnisse zugewiesen ist, gewonnen wird, während das zweite sich aus der „konkreten Verfassungslage“, aus den Gefahren, die gewisse „Entwicklungserscheinungen des staatlichen Lebens“ für den Bestand der politischen Einheit bilden, ergibt. In dieser Zusammenstellung zweier Argumente zeigt sich die besondere Art der Dialektik einer verfassungstheoretischen Betrachtung, die nicht Norm und Realität in reiner Begrifflichkeit trennt, sondern sie in ihrer notwendigen Verbundenheit und ihrer lebendigen Spannung erkennt. Keines dieser aus scheinbar entgegengesetzten Prinzipien gewonnenen Argumente hat für sich allein beweisende Kraft. Dem Argument, das sich auf die geltende Verfassung stützt, kann entgegengehalten werden, daß im gleichen Maße der Reichstag auf dem demokratischen Prinzip, durch das die Verfassung konstituiert ist, beruhe, und daß mit gleichem Rechte auch er als oberster Hüter der Verfassung bezeichnet werden könne. Das Argument, das sich auf die konkrete verfassungspolitische Situation beruft, könnte durch den Hinweis entkräftet werden, daß nicht aus politischen Notwendigkeiten und Zweckmäßigkeiten allein auf eine verfassungsrechtliche Stellung des Reichspräsidenten geschlossen werden dürfe. Erst das Zusammentreffen der verfassungsrechtlichen und der verfassungspolitischen Argumentation ist beweiskräftig und führt zu einem zwingenden Schluß. Eben weil das Parlament zum „Schauplatz des pluralistischen Systems“ geworden ist und weil der Reichspräsident nach seiner verfassungsmäßigen Stellung „die Einheit des Volkes als eines politischen Ganzen“ versinnbildlicht, ist es seine Aufgabe, „als Hüter und Wahrer der verfassungsmäßigen Einheit und Ganzheit des deutschen Volkes zu handeln“ (HdV. S. 159). [VIII. Verfassungsrechtliche Spannungszustände und politischer Dezisionismus] An diesem wichtigen Beispiel zeigt sich der Sinn eines wahrhaft dialektischen Denkens, das nicht bei einem bloßen „einerseits-andererseits“ stehen bleibt und das aufgegebene Problem damit unentschieden läßt, das vielmehr in einer wirklichen Dezision gipfelt. Der „Dezisionismus“, der die Denkungsweise Carl Schmitts kennzeichnet, hat daher nichts, wie man ihm häufig vorgeworfen hat, mit einer einseitigen und vereinfachenden Betrachtung zu tun. Er ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Methode, die gerade aus der Synthese einer Mehrheit verfassungstheoretischer Prinzipien eine

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klare und bewußte Entscheidung gewinnt. Dabei geht dieser „Dezisionismus“ niemals soweit, daß auch dort eine Entscheidung gesucht wird, wo die besondere Struktur eines verfassungsrechtlichen Sachverhaltes gerade darin besteht, daß zwei einander entgegengesetzte Prinzipien sich die Wage halten und einen eigentümlichen Spannungszustand erzeugen, in dem eine Entscheidung nicht fällt. So hat Schmitt gezeigt, daß jede Staatsform auf einer Spannung zwischen den Prinzipien der Repräsentation und der Identität beruht und daß keine Verfassung bestehen kann, die nicht beide Formprinzipien in sich enthält (VL. S. 204 ff.). So hat er nachgewiesen, daß die Besonderheit der konstitutionellen Monarchie darin besteht, daß die Frage unentschieden bleibt, ob der Monarch oder ob das Volk souverän sei, wodurch eine eigenartige Schwebe im Verfassungsaufbau bewirkt wird (VL. S. 288 ff.). So hat er in besonders eindrucksvoller Weise die Lehre vom Bundesstaat darauf begründet, daß auch hier die Frage, ob der Bund oder das Glied souverän seien, offen gehalten ist (VL. S. 363 ff.). In dieser Feststellung verfassungsrechtlicher Spannungszustände ist, so scheint mir, eine Er- | kenntnis von allgemeiner verfassungstheoretischer Bedeutung enthalten. Es enthüllt sich hier nämlich, daß überhaupt die Spannung zwischen entgegengesetzten Prinzipien und Kräften der eigentliche politische Antrieb ist, aus dem sich die nationale Einheit entfaltet. Unter diesen Spannungsverhältnissen scheint mir die Zuordnung von Herrschaft und Volk das primäre verfassungstheoretische Problem, aus dem alle anderen Fragen von Belang sich in irgendeiner Weise ableiten. Die liberale Unterscheidung von Staat und Gesellschaft6, deren ideologische Konsequenzen Schmitt in seiner neuesten Schrift untersucht (HdV. S. 77 ff.) ist nur ein unvollkommener und schiefer Ausdruck für diese prinzipielle Entgegensetzung von Herrschaft und Volk. Darin liegt die große Dialektik aller politischen Gestaltung, daß der Staat einerseits des lebendigen Zustroms der gesellschaftlichen Kräfte bedarf und eine lebensvolle Verkörperung der nationalen Werte sein muß, daß er aber andererseits als Form der Herrschaft vom Volk in seinem natürlichen Zustand geschieden bleibt und eine besondere Art der Existenz besitzt. In diesem primären politischen Gegensatz gibt es keine Dezision mehr, die zu einer höheren Stufe führt; jede Entscheidung, die 6 Die folgende Anmerkung ist im Neudruck eingefügt: „Die Kennzeichnung der Antinomie von Staat und Gesellschaft als ‚liberal‘ ist unvollkommen. Das Gegensatzpaar ‚Staat – Gesellschaft‘ ist zwar ein wesentliches Moment des liberalen Weltbildes. Doch gehört es nicht ausschließlich der liberalen Konzeption an. Es ist vielmehr eine Wesensbedingung des Verfassungsstaats schlechthin; es ist ein unverzichtbares Kriterium der gesamten klassischen Verfassungstheorie. Dazu auch die Studien: Huber, Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, sowie ders., Vorsorge für das Dasein. Ein Grundbegriff der Staatslehre Hegels und Lorenz v. Steins, in: Roman Schnur (Hg.), Festschrift für Ernst Forsthoff zum 70. Geburtstag, München 1972, S. 139–163.“

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entweder das Prinzip der Herrschaft oder das Prinzip des Volkes zum ausschließlichen Träger der Verfassung macht7, endet in der Erstarrung oder der Auflösung der staatlichen Einheit. 7. Friedrich Landeck [= Ernst Rudolf Huber], Verfassung und Legalität, in: Deutsches Volkstum 14 (1932), S. 733–737. Die politischen Entscheidungen, die notwendig geworden sind, um der Not zu begegnen, in der das Reich und die Nation sich befinden, werden nicht nur von der öffentlichen Meinung, von interessierten Parteien und wachsamen Juristen an der „Verfassung“ gemessen. Wichtiger und wirklich wesentlich ist, daß der Reichspräsident und alle von ihm ins Kabinett berufenen Männer in der „Verfassung“ Richtschnur und Schranke ihrer politischen Handlungen erblicken und daß sie durch einen besonderen Eid zur Wahrung der „Verfassung“ gebunden sind. Aber damit der durch diesen Eid umrissene Bereich des politischen Handelns bestimmt werden kann, ist es notwendig zu wissen, was „Verfassung“ eigentlich bedeutet, was insbesondere die „Weimarer Verfassung“ ist, zu deren Wahrung der Reichspräsident sich durch seinen Eid verpflichtet hat. Es entspricht dem blassen Denken des juristischen Positivismus, der sich gerne mit dem Beiwort „rechtsstaatlich“ schmückt, den geschriebenen Wortlaut der 181 Weimarer Verfassungsartikel als die Verfassung zu bezeichnen und die Gleichwertigkeit aller einzelnen Bestimmungen zu betonen. Aber schon die strafrechtliche Behandlung des Hochverrats, des Versuchs zum Umsturz der „Verfassung“, zeigt, daß diese positivistische Auffassung unhaltbar ist; nicht der Umsturz eines einzelnen der 181 Artikel, sondern der Sturz der tragenden Pfeiler der Reichsverfassung ist nach althergebrachter Rechtsprechung des Reichsgerichts unter Strafe gestellt. Noch deutlicher tritt die Unsinnigkeit des positivistischen Verfassungsbegriffs im Eid des Reichspräsidenten hervor; nicht die 181 Artikel als solche, etwa die Vorschrift des Artikels 129 über die Einsicht der Beamten in ihre Personalakten, sondern die Verfassung als die Grundordnung, als das System der unser staatliches Sein tragenden Einrichtungen und Formen ist der Gegenstand, auf den der Eid des Reichspräsiden7 Diese Anmerkung ist im Neudruck eingefügt: „In der Formel ‚Prinzip des Volkes‘ ist, wie der Zusammenhang ergibt, das Volk nicht als politische Einheit (als demos), sondern das Volk als gesellschaftliche Vielheit (‚das Volk in seinem natürlichen Zustand‘) gemeint. Zu dieser Doppelwertigkeit des Begriffs ‚Volk‘ siehe Kant, Metaphysik der Sitten (§ 47). Als politische Einheit ist das Volk selber das Herrschaftsorgan (der Träger der volonté générale); als gesellschaftliche Vielheit tritt es dem Träger der Herrschaft mit dem Anspruch auf Freiheit entgegen. Die Bewahrung des Spannungsverhältnisses von Herrschaft und gesellschaftlicher Freiheit ist das verfassungstheoretische Postulat, in dem der Aufsatz endet. Näheres in der gleichzeitig entstandenen Studie Huber, Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat.“

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ten sich bezieht. Unter den zahlreichen bedeutenden Erkenntnissen, die Carl Schmitt durch seine im Jahre 1928 erschienene „Verfassungslehre“1 der deutschen Wissenschaft und Politik vermittelt hat, hat die Überwindung des formellen Verfassungsbegriffs des Positivismus den vornehmsten Rang. Indem Carl Schmitt den formellen Begriff der Verfassung in seiner ganzen Leere enthüllte und indem er ihm einen materiellen Begriff der Verfassung, den Begriff der „Gesamtentscheidung über Art und Form der politischen Einheit“, entgegenstellte, schuf er die Grundlagen einer neuen, eigentlichen Verfassungstheorie. | Aber mit dieser Aufstellung eines neuen, echten Verfassungsbegriffs war die Aufgabe der Verfassungslehre noch nicht vollendet. Auch die materielle Verfassung, so wie Schmitt sie definierte, tritt uns zunächst als ein System von Normen, von Forderungen an das politische Sein, entgegen. Damit dieses System von Normen Verfassung im eigentlichen Sinne sei, ist es notwendig, daß es zugleich Wirklichkeit im politischen Sein geworden ist. Die wahre Verfassung ist nicht nur eine normative, sondern zugleich eine wirkliche, seinsmäßige Verfassung. Daher ist alle verfassungsrechtliche Erkenntnis genötigt zu prüfen, ob die Verfassungsnormen auch Verfassungswirklichkeit geworden sind, oder ob nicht in der wirklichen Ordnung der politischen Einheit andere als die von der geschriebenen Verfassung geforderten Formen sich gebildet haben. Die Verfassung ist ein Teil der geschichtlichen Welt und daher der Wandlung unterworfen. Es ist also nicht nur notwendig, die materielle Verfassung von der formellen der 181 Artikel zu unterscheiden; man muß sie als wirkliche, seinsmäßige Ordnung auch von einer bloß normativen Verfassung abgrenzen. In seinem 1931 erschienenen Buch über den „Hüter der Verfassung“ hat Carl Schmitt die konkrete Verfassungslage der Gegenwart geschildert und den bloß normativen Regeln der Verfassungsurkunde entgegengesetzt2; er hat damit das zweite wesentliche Stück der Verfassungstheorie geschaffen. Das Kennzeichen der „konkreten Verfassungslage“ der Zeit, von der diese Schrift handelt, war die Aufspaltung der politischen Einheit durch andere als die von der ursprünglichen Verfassung vorgesehenen Mächte, eine Erscheinung, die Schmitt „Pluralismus“ genannt hat. Der Charakter dieser pluralen Mächte ist dadurch bezeichnet, daß sie sich der verfassungsmäßigen Formen (des Föderalismus, der politischen Parteien, der Selbstverwaltungskörper) bedienten, um unter dieser „legalen“ Maske die von der Verfassung gewollten Ordnungen von innen heraus zu zerstören. Der Leviathan des „totalen Staates“, der alles, was im Raum des Staates lebt (Religion, Kultur und Wirtschaft) auffrißt und zum Staate werden läßt, tauchte in dieser Schrift Schmitts drohend hinter dem zerstörenden 1 2

Schmitt, Verfassungslehre. Schmitt, Hüter.

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Pluralismus auf. Die zentrale, wenn auch noch nicht mit voller Schärfe formulierte Erkenntnis dieser Schrift war also, daß es Kräfte gibt, die dabei sind, die verfassungsmäßige Ordnung auf legalem Wege zu zerstören; der Reichspräsident als oberstes, unabhängiges Reichsorgan wurde als Hüter der Verfassung gegenüber diesen Zerstörern der Einheit des Reichs angerufen. Damit war das Problem der Legalität und das ganz andere Problem der Verfassungsmäßigkeit, die für die gegenwärtige Verfassungslage entscheidende Fragestellung, aufgeworfen. Alle Versuche zur Überwindung der verfassungsrechtlichen Notlage, in der das Reich sich seit zwei Jahren befindet, werden durch den Schrei nach der „Legalität“, der ihnen entgegenschallt, als verfassungswidrig gebrandmarkt und diffamiert. Es ist ein Zeichen der politischen Verantwortung eines deutschen Staatsrechtslehrers, daß Carl Schmitt in dieser bedrohlichen Lage durch seine soeben erschienene Schrift über „Legalität und Legitimität“ die Forderung nach der Legalität in ihrer verfassungsrechtlichen Nichtigkeit entlarvt hat3. | Schmitts These geht dahin, daß die „Legalität“ als Rechtfertigungssystem keine allgemeingültige Bedeutung hat, sondern einer ganz bestimmten Staatsart, dem parlamentarischen Gesetzgebungsstaat, zugehört, daß dieser parlamentarische Gesetzgebungsstaat heute in seinen geistigen Voraussetzungen und seinem tatsächlichen Sein zerstört ist, womit dann auch die rechtfertigende Kraft der Legalität entfallen ist. Der parlamentarische Gesetzgebungsstaat, wie ihn die Weimarer Verfassung in ihrem ersten Hauptteil, den organisatorischen Vorschriften, vorsieht, beruht auf zwei wesentlichen Fundamenten. Das eine ist der rechtsstaatliche Begriff des Gesetzes, der nach seiner formellen Seite hin die Mitwirkung der Volksvertretung, nach seiner materiellen Seite hin eine dauernde und für jedermann geltende, also allgemeine Rechtsnorm voraussetzt. Das andere ist die gleiche Chance der Machtergreifung für jede politische Gruppe im Volk4, d.h. die gleiche Aussicht, die Mehrheit in der Volksvertretung zu erreichen und damit die politische Macht im Staate zu erlangen. Dadurch daß die Staatsrechtslehre und die Praxis den materiellen Begriff des Gesetzes aufgegeben und jeden beliebigen Inhalt eines Volksvertretungsbeschlusses, also nicht nur dauernde und allgemeine Normen, sondern auch individuelle und konkrete Maßnahmen, als Gesetz anerkannt haben, ist der rechtsstaatliche Gesetzesbegriff zerstört worden. Dadurch daß die in Preußen seit 1918 regierende Mehrheit durch die berüchtigte Geschäftsordnungsänderung dem politischen Gegner die gleiche Chance der Machtergreifung nahm, hat das bisherige Legalitätssystem seine rechtfertigende Kraft verloren. 3

Schmitt, Legalität und Legitimität. Vgl. auch Carl Schmitt, Legalität und gleiche Chance politischer Machtgewinnung, in: Deutsches Volkstum 14 (1932), S. 557–564. 4

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Aber noch stärker als durch diese Vorgänge ist das Legalitätssystem des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates dadurch ausgeschaltet worden, daß die Weimarer Verfassung drei außerordentliche Gesetzgeber eingeführt hat, die neben den eigentlichen Gesetzgeber treten und sein Gesetzgebungsmonopol zerstören. Der parlamentarische Gesetzgebungsstaat beruht darauf, daß es nur einen Gesetzgeber, die Volksvertretung, gibt und daß diese die Gesetze mit einfacher Mehrheit beschließt, weil jede Erschwerung des Gesetzesbeschlusses durch die Einführung qualifizierter Mehrheiten die gleiche Chance vernichtet. Die drei außerordentlichen Gesetzgeber der Weimarer Verfassung sind: Erstens die qualifizierte Mehrheit der Volksvertretung, die nach Art. 76 RV. als Gesetzgeber für die im zweiten Hauptteil der Verfassung besonders verbrieften materiellen Werte, Einrichtungen und Freiheiten tätig wird; zweitens das Volk selbst, das nach Art. 73 RV. als selbständiger unmittelbarer Gesetzgeber zu Volksbegehren und Volksentscheid aufgerufen ist; drittens der Reichspräsident, der heute nach Art. 48 RV. nicht nur, wie es dem ursprünglichen Sinn dieser Vorschrift entsprach, das Recht zu konkreten, an die einmalige Situation gebundenen Maßnahmen besitzt, sondern der durch eine allgemein anerkannte gewohnheitsrechtliche Fortbildung dieses Artikels in den Stand gelangt ist, alle einfachen Gesetze zu erlassen und dabei sogar von der sonstigen Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Reich und Ländern abzuweichen. | Diese in der Verfassung vorgesehenen drei außerordentlichen Gesetzgeber sind nun an und für sich nur als untergeordnete Ansätze und Versuche und als Korrekturen für Mißstände des parlamentarischen Systems gedacht gewesen; eine entschiedene und bewußte Mehrheit der Volksvertretung hätte sich als den drei außerordentlichen Gesetzgebern überlegen erwiesen. Aber die Mehrheitskoalitionen der Parlamente beruhen seit langem nur mehr auf einem Kompromiß heterogener Machtorganisationen; die Volksvertretung ist der Schauplatz eines pluralistischen Systems geworden; sie ist daher vielleicht zu „taktischen Arbeitsgemeinschaften“, aber nicht zu eindeutigen Entscheidungen, wie sie notwendig sind, fähig. Daher ist es gekommen, daß alle wesentlichen Entscheidungen in dieser Zeit der Not nicht von dem ordentlichen Gesetzgeber getroffen werden konnten und daß der parlamentarische Gesetzgebungsstaat von anderen Staatsarten verdrängt worden ist. Schien es eine Zeitlang, als ob der Jurisdiktionsstaat, in dem die wesentlichen politischen Entscheidungen von unabhängigen Gerichten getroffen werden, an die Stelle des Gesetzgebungsstaates treten solle, so hat sich in der letzten Zeit erwiesen, daß der Regierungs- und Verwaltungsstaat, in dem die Entscheidungen in der Hand einer unabhängigen Regierung und einer neutralen Bürokratie liegen, die spezifische Art des Staates der Gegenwart ist. Der zu allen Maßnahmen, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen, berufene Reichspräsident und die von

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ihm unabhängig von den pluralen Mächten des Interessensystems eingesetzte Regierung führen und verwalten das Reich. Als kennzeichnende Form der staatlichen Entscheidungsgewalt ist an die Stelle des auf Dauer und Allgemeinheit gerichteten rechtsstaatlichen Gesetzes die aus der konkreten Situation und den Notwendigkeiten des staatlichen Seins geborene Maßnahme getreten. Das auf alle sachliche Wertentscheidung verzichtende und rein relativistisch auf den jeweiligen Willen der jeweiligen Mehrheit bezogene System des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates ist durch den pluralistischen Parteibetrieb zerstört worden. In dieser Lage tritt nun deutlich in Erscheinung, daß die Weimarer Verfassung sich nicht in dem Funktionalismus und Relativismus des ersten organisatorischen Teiles erschöpft, sondern daß das Wesentliche an ihr der zweite Hauptteil ist, der die Grundzüge „einer substanzhaften Ordnung“ enthält. Carl Schmitt hat in seinen Untersuchungen über den Gehalt der Weimarer Grundrechte klar gemacht, daß sie in ihren wesentlichen Teilen nicht liberale Freiheitsrechte alten Stiles sind, sondern daß hier durch die Sicherung öffentlicher Institutionen (z. B. des neutralen Beamtentums, der dem Staate verbundenen Kirchen, der sich selbst verwaltenden Gemeinden) und die Garantie privatrechtlicher Institute (z. B. der Ehe, des Eigentums, des Erbrechts) die sachlichen Werte anerkannt und gewährleistet sind, die die Ordnung des Reiches und der Nation bestimmen5. Insbesondere der fünfte Abschnitt des zweiten Hauptteils über das Wirtschaftsleben enthält alle sachlichen Grundsätze, deren Schutz, Förderung und Entwicklung zu einer wahrhaften Volksordnung in diesen | Lebensbereich führen kann, der durch das pluralistische System, das der organisatorische erste Teil der Verfassung ermöglicht hat, zerstört worden ist. Eine gerechte, ein menschenwürdiges Dasein für Alle sichernde Wirtschaftsordnung, in deren Grenzen die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen besteht (Art. 151), ein der Allgemeinheit verpflichtetes und dem gemeinen Besten dienendes Eigentum (Art. 153, Abs. 3), ein Grund und Boden, dessen Verteilung vom Staate überwacht wird und dessen Bearbeitung und Ausnutzung eine Pflicht des Besitzers gegenüber der Gemeinschaft bedeutet (Art. 155), eine öffentliche Bewirtschaftung der für die Vergesellschaftung geeigneten und für die Gemeinschaft notwendigen Unternehmungen (Art. 156), die Ausbildung des Arbeitsschutzes, des Arbeitsrechts und der Sozialversicherung (Art. 157, 161, 162), die Pflicht jedes Einzelnen zur Betätigung für das Wohl der Gesamtheit und das Recht jedes Einzelnen auf Arbeit (Art. 163), der Schutz der geistigen Arbeit und des Mittelstandes (Art. 158, 164), schließlich die öffentliche Anerkennung von Berufsverei5 Carl Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, Reimar Hobbing, Berlin 1932.

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nen und Betriebsvertretungen (Art. 159, 165): das alles sind wesentliche Teile der Weimarer Verfassung, durch die eine neue, geläuterte Ordnung unseres Wirtschafts- und Soziallebens geschaffen werden soll. In diesem Abschnitt der Verfassung sind alle Formen genannt und alle Forderungen erhoben, durch die die Neuordnung der Wirtschaft hätte bewirkt werden können; nur zu oft ist der Schutz dieser Formen und die Erfüllung dieser Forderungen seit dem Inkrafttreten der Weimarer Verfassung von einer „legalen“ Parlamentsmehrheit versäumt worden. Wenn heute die Frage nach dem Inhalt des Verfassungseides unseres Reichspräsidenten erhoben wird, so antworten wir, daß dieser Eid in erster und entscheidender Linie zur Erfüllung derjenigen Versprechungen des zweiten Hauptteils der Verfassung verbindet, die von der Volksvertretung immer wieder zynisch als bloße und unverbindliche Proklamation bezeichnet worden sind. Wer so häufig ein feierliches Versprechen der Verfassung für „unverbindlich“ erklärt hat, hat das Recht verwirkt, sich auf die Legalität zu berufen und die pedantische Wahrung unerfüllbar gewordener organisatorischer Normen des ersten Hauptteils zu verlangen, bloß weil damit die Machtpositionen des pluralistischen Interessensystems behauptet werden können. Es ist das große Verdienst Carl Schmitts, gezeigt zu haben, daß die Weimarer Verfassung zwei Verfassungen enthält, von denen nur eine verwirklicht werden kann. In dieser Situation ist es notwendig, daß eine Entscheidung für die sachlichen Formen und Einrichtungen des zweiten Hauptteils fällt, auch wenn damit einzelne Organisationsnormen des ersten Hauptteils außer Geltung treten. Verfassungsmäßig handelt, wer die im zweiten Hauptteil der Verfassung feierlich versprochene Volksordnung herstellt, nicht wer an den durch Schuld der Parteien zerstörten und unanwendbar gewordenen Organisationsnormen des ersten Hauptteils unter allen Umständen festzuhalten sucht. 8. Ernst Rudolf Huber, Rezension zu „Das Recht der nationalen Revolution“. Schriftenreihe, herausgegeben von Dr. Georg Kaisenberg und Dr. Franz Albrecht Medicus, Carl Heymanns Verlag, Berlin 1933, Heft 3. Das Reichsstatthaltergesetz. Von Carl Schmitt, in: Reichsverwaltungsblatt und Preußisches Verwaltungsblatt 54 (1933), S. 856–858. Die Weimarer Verfassung ist durch die nationalsozialistische Revolution in ihren wesentlichen Grundformen tatsächlich so gut wie beseitigt worden; was von ihr noch gilt, sind einzelne verfassungsgesetzliche Bestimmungen, aber als staatsrechtliches Gesamtsystem ist die alte Verfassung außer Kraft gesetzt. An ihre Stelle sind Formen und Kräfte getreten, die zum Teil der normativen Regelung noch bedürfen; zum Teil sind die Elemente der neuen Verfassung aber auch durch Einzelgesetze schon staatsrechtlich aufgebaut

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worden. Die Stellung der Reichsregierung, das Verhältnis Reich-Länder, das Beamtenrecht und Teile des Schulrechts sind neu geregelt worden. Die angezeigte Schriftenreihe hat es sich zur Aufgabe gesetzt, die Kenntnis dieser Gesetze durch kurze Erläuterungen zu vermitteln. Die einzelnen Hefte sind überwiegend von Männern geschrieben, die bei den neuen Gesetzen mitgearbeitet haben, sie sind deshalb um so bedeutsamer, als sie die sonst zur Auslegung von Gesetzen heranzuziehenden „Materialien“ in gewisser Weise ersetzen. [Besprechung der Hefte 1 und 2 der Schriftenreihe] Heft 3, bearbeitet von Carl Schmitt, behandelt das „Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ vom 7. April 1933, das sog. Reichsstatthaltergesetz. Die Erläuterungen von Carl Schmitt, der der zur Vorbereitung des Gesetzes gebildeten Kommission angehört hat, geben die geschichtlichen Notwendigkeiten an, die den Inhalt des Gesetzes bestimmt haben, und stellen die Verfassungslage, wie sie für das Verhältnis von Reich und Ländern im neuen Deutschland geschaffen worden ist, erschöpfend dar. Vor allem ist wichtig, was über die besondere Behandlung Preußens ausgeführt ist; Ziel des Gesetzes ist, eine starke Reichsgewalt zu schaffen; deshalb soll Preußen als eine Art Hausmacht in die Hand des Reiches gegeben sein. Deshalb hat Preußen seinen Statthalter bekommen, vielmehr übt hier der Reichskanzler die Befugnisse eines Statthalters selbst aus. Es wird an solchen Ausführungen Schmitts deutlich, daß der Bismarcksche Gedanke einer Personal- und Realunion hier nicht in der Form der preußischen Hegemonie, sondern in der Form des „Reichslandes Preußen“ durchgeführt worden ist. Bedeutsam ist ferner der nachdrückliche Hinweis darauf, daß das Reichsstatthaltergesetz nicht „unitarisch“ im Sinne der Uniformität und des Zentralismus ist, sondern weitest gehende Rücksicht auf das Eigenleben der Länder nimmt. Allerdings ist der deutsche Föderalismus von den „Resten früherer Souveränitäten“ befreit worden; die Möglichkeit eines politischen Konflikts zwischen Reich und Ländern ist damit ausgeschaltet. Es gibt deshalb tatsächlich „nur einen deutschen Staat: das Deutsche Reich“. Man kann vielleicht noch gewisse staatliche Rudimente in den Ländern feststellen, aber Staaten sind sie nicht mehr. Darum hat man auch nicht Staatspräsidenten, die staatliche Organe des Landes wären, eingesetzt, sondern die Reichsstatthalter berufen, die als Organe des Reichs und im Namen des Reichs handeln. Diese Feststellung hat nicht nur juristisch-konstruktive Bedeutung, sondern führt zu wichtigen politischen Folgerungen, die in der Praxis des Statthaltergesetzes bereits hervorgetreten sind. Die gelegentlich aufgeworfene Frage, ob es nicht dem Sinn des Gesetzes entspreche, die Statthalter auf die Landesverfassung zu vereidigen und sie das Landeswappen neben dem Reichswappen führen zu lassen, muß von dieser Grundauf-

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fassung, wie sie Schmitt zutreffend entwickelt hat, verneint werden. Die Statthalter stehen in politisch verantwortlicher Bindung nur gegenüber dem Reich und können einen politischen Eid deshalb nur auf die Reichsverfassung ablegen und nur das Reichswappen führen. Sehr beachtenswert ist der Hinweis darauf, daß der Reichsstatthalter kein Kommissar ist; Kommissare kommen nur im Ausnahmezustand oder zum Zwecke der Reichsexekution in Betracht, während der Statthalter „eine dauernde und organische Einrichtung“ ist. Schmitt hebt schließlich die Abgrenzung des neuen Gesetzes von der in Art. 15 RV. geregelten Reichsaufsicht hervor. Die Reichsaufsicht bleibt als besonderes Institut neben der Statthalterschaft bestehen, und es geht nicht an, den im Statthaltergesetz geprägten Begriff der politischen Führung mit dem der Aufsicht zu vermengen. Hier wäre anzumerken, daß die sog. selbständige Reichsaufsicht ihre Bedeutung durch das Statthaltergesetz eingebüßt hat, weil sie schon bisher nur dort geübt werden durfte, wo ein Landesgesetz die politischen Interessen des Reichs verletzte; gerade solche Angelegenheiten werden künftig zu dem Aufgabenkreis der Statthalter gehören. Die abhängige Reichsaufsicht dagegen wird im wesentlichen ihre bisherige Bedeutung behalten. [Besprechung der Hefte 4 bis 6 der Schriftenreihe] Die bisher vorliegenden Hefte der Schriftenreihe sind wertvolle Steine für den verfassungsrechtlichen Aufbau des neuen Staates, für welche Wissenschaft und Praxis den Verfassern und den Herausgebern lebhaften Dank schuldig sind. 9. Ernst Rudolf Huber, „Positionen und Begriffe“. Eine Auseinandersetzung mit Carl Schmitt, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 101 (1941), S. 1–44. „Laßt uns an diesen Gedanken nicht den kurzen Maßstab des bloßen Recht- und Unrechthabens anlegen.“ Lorenz von Stein.

I. Rechtstheoretische Grundlagen Unter dem Titel „Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar-GenfVersailles 1923–1939“ hat Carl Schmitt eine Anzahl von Arbeiten, zumeist Reden oder Aufsätze, zum Teil auch Abschnitte aus größeren Schriften oder Übersichten aus Seminaren, zusammengefaßt. Die Arbeiten betreffen zum einen Teile Gegenstände der Staatstheorie, zum anderen Teile sind sie Kernfragen des Völkerrechts gewidmet. Sie behandeln damit einen Fragen-

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kreis, dessen Struktur sich in der Zeit von 1923 bis 1939 auf das tiefste gewandelt hat. Es wäre daher nicht erstaunlich, und es könnte – da auch ein Gelehrter nicht außerhalb seiner Zeit und ihrer Entwicklung lebt – daraus kaum ein Einwand abgeleitet werden, wenn in einer solchen Sammlung von Arbeiten aus 17 Jahren Widersprüche in wesentlichen Punkten anzutreffen wären. Natürlich tritt in dem Sammelband eine starke innere Entwicklung in der Fragestellung und der Art und dem Ziel der Behandlung hervor. Das Vorwort der Sammlung beginnt mit dem Satze des Heraklit, daß man nicht zweimal durch denselben Fluß gehen kann. Etwa ein Drittel der Arbeiten ist am Rhein, zwei Drittel sind in Berlin entstanden, und jedermann weiß, daß dieser Wechsel des Standorts für Schmitt eine geistige und politische Entscheidung bedeutet hat. So wird mancher Leser vielleicht über- | rascht sein, daß in dieser Sammlung nicht der Eindruck der Wandlung und Entwicklung, sondern der Eindruck der inneren Konstanz weit überwiegt. Von den frühen staatstheoretischen Arbeiten über Begriff und Wesen der Demokratie führt eine gerade Linie zu den letzten völkerrechtlichen Arbeiten über Begriff und Wesen des heutigen Völkerrechts. So wie Schmitt in jenen ersten Arbeiten die Krise der Demokratie nicht nur dargestellt, sondern durch das Mittel der Darstellung verschärft und beschleunigt hat, so hat er in seinen letzten Arbeiten die Krise des Völkerrechts bewußt gemacht und durch diese Aufdeckung zur Auflösung und Zerstörung des alten Völkerrechtssystems beigetragen. Entscheidend aber ist der innere Zusammenhang, in dem die innerstaatliche Krise der Demokratie und die zwischenstaatliche Krise des Völkerrechts gesehen sind. Schmitt hat an verschiedenen Stellen seiner Arbeiten auf den Strukturzusammenhang innerstaatlicher und zwischenstaatlicher Vorgänge hingewiesen (z. B. S. 263, 290). Gerade hier, bei den beiden großen Krisen, unter deren Einwirkung das europäische Schicksal der letzten Jahrzehnte sich gestaltet hat, ist der Strukturzusammenhang zwischen innerstaatlicher und zwischenstaatlicher Ordnung am deutlichsten. Und es erscheint daher als eine fast zwingende Entwicklung, daß Schmitt nicht nur die innerstaatliche Krise der Demokratie, sondern auch die Krise der zwischenstaatlichen Erscheinungsform der Demokratie, eben des modernen Völkerrechts, mit der ihm eigentümlichen Methode wissenschaftlicher Forschung behandelt hat. Der situationsgebundene Begriff Diese Forschungs- und Arbeitsmethode Schmitts wird durch den Titel des Sammelbandes vortrefflich umschrieben. Die Bestimmung von „Positionen und Begriffen“ ist in der Tat das eigentliche Arbeitsprinzip, das hier mit einer glänzenden Virtuosität und zugleich einer unerbittlichen Beharrlichkeit angewandt wird. Die Sammlung zeigt, in welchem Maße Schmitt

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geradezu von einer Leidenschaft der Definition besessen ist. Seine Bestimmungen des Begriffs der Demokratie („Identität von Regierenden und Regierten“) und des Begriffs des Politischen („Unterscheidung von Freund und Feind“) sind wie die Begriffe des neutralen und totalen Staates oder wie der Begriff des Pluralismus seit langem wissenschaftliches Gemeingut der Staatstheorie. Auch in der Völker- | rechtstheorie geht Schmitt stets mit diesem Mittel der Definition der entscheidenden Begriffe vor; die Frage nach dem Begriff des Völkerbundes, die Frage nach den Begriffen Krieg und Frieden oder Neutralität tauchen immer wieder als die Kernfragen wissenschaftlicher Bemühungen auf. Doch wäre es ein grobes Versehen, diese Methode der Bestimmung von Begriffen als „Begriffsjurisprudenz“ zu kennzeichnen und zu diskreditieren. Denn für Schmitt ist der Begriff keine aus dem gesetzlichen Tatbestand oder seiner logischen Interpretation gewonnene Norm, sondern er ist ein Mittel der dialektischen und damit kämpferischen Entfaltung. „Eine geistesgeschichtliche Darstellung kann ihre Struktur nur durch Begriffe erhalten. Es mag ‚Rationalismus‘ sein, mit Begriffsschablonen zu arbeiten; es ist ein auf demselben Niveau verbleibender Irrationalismus, jede Begrifflichkeit zu vermeiden. Der Verzicht auf den Begriff enthält nicht nur einen Verzicht auf jede Spannung dialektischer Entwicklung . . ., sondern auf eine strenge Architektur überhaupt“[,] heißt es in einer Auseinandersetzung mit Fr.[iedrich] Meinecke (S. 45). Und es muß dabei an jene andere Feststellung Carl Schmitts erinnert werden, die sich zuerst in dem (hier nur teilweise wiedergegebenen) Aufsatz: „Der Begriff des Politischen“ findet, daß „alle politischen Begriffe, Vorstellungen und Worte einen polemischen Sinn [haben]; sie haben eine konkrete Gegensätzlichkeit im Auge, sind an eine konkrete Situation gebunden . . . und werden zu leeren und gespenstischen Abstraktionen, wenn diese Situation entfällt“1. Die „Begriffe“, die im Mittelpunkt dieser Art wissenschaftlicher Forschung stehen, sind keine voraussetzungslosen, neutralen und abstrakten Schemata, sondern es ist der polemische, der situationsgebundene und konkrete Begriff, der hier als Waffe im geistigen Kampfe verwandt wird. Diese Methode hat Schmitt häufig den Vorwurf der „Situationsjurisprudenz“ eingetragen, der auch in diesem Sammelband in einem bezeichnenden Zwischenruf zu der „Schlußrede vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig“ („Schlußrede vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig“, S. 184) festgehalten ist. Natürlich steht ein Verfahren, das sich der Situationsgebundenheit des rechtswissenschaftlichen Begriffs bewußt ist, in der Gefahr, als eine pseudowissenschaftliche Methode verkannt zu werden, die sich den ständig wechselnden „konkreten Situationen“ bereitwillig anpaßt und die eine in diesem Sinne „situationsge- | mäße Auslegung“ des Rechtes ermöglicht. Es 1

Schmitt, Begriff des Politischen, S. 18.

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ist nicht zu übersehen, daß die Lehre vom „situationsgebundenen“ Begriff leicht mit einer opportunistischen, der wandelnden Situation gefügigen Haltung verwechselt werden kann; in Wahrheit zielt sie jedoch gerade auf das Gegenteil einer solchen „situationsgemäßen“ Auslegung. Nicht die Grundsatzlosigkeit einer opportunistischen Wissenschaft wird hier verfochten, sondern der konkrete Standort der wissenschaftlichen Theorie und die damit gegebene Grundsätzlichkeit des Begriffs ist das bestimmende Prinzip eines solchen Verfahrens. Wenn festgestellt wird, daß Begriffe wie Souveränität oder Parlamentarismus situationsgebunden sind, so heißt das, daß sie ihren Sinn aus der konkreten Situation erhalten, in der sie entstanden sind, und daß sie nicht einfach mit unverändertem Sinngehalt weitergeführt werden können, wenn diese konkrete Sachlage entfällt. Mit einer beflissenen Angleichung des Begriffs an wechselnde Situationen hat das nichts zu tun. Häufig ist daher gegen Schmitt gerade eingewandt worden, daß er durch diese Lehre von der Situationsgebundenheit des Begriffs die Möglichkeit eines Sinnwandels und einer geschichtlichen Entwicklung des Begriffs verschließe, indem er es etwa abgelehnt hat, Begriffe wie den des Parlamentarismus oder den des „Rechtsstaats“ an eine veränderte geistesgeschichtliche und politische Lage anzupassen. Dieser grundsätzlich-konkrete Standort der Theorie wird im Titel des Buches mit dem Ausdruck „Position“ umrissen. Die Position ist die konkrete Gebundenheit der Theorie an Ort und Zeit, zugleich auch die feste Stellung, die der Theoretiker selbst in Ort und Zeit einnimmt. Es ist der selbstbewußte Anspruch, auch in wechselnden Situationen eine feste Position der Theorie und der persönlichen Haltung bekundet zu haben, der in diesem Buchtitel ausgedrückt wird. Entscheidungsdenken und Ordnungsdenken Damit steht nicht im Widerspruch, daß in der inneren Linie, die diese Reden und Aufsätze aus 17 Jahren deutlich werden lassen, eine starke persönliche und wissenschaftliche Entwicklung enthalten ist. Diese Entwicklung ist von Schmitt selbst in der bekannten, hier nicht veröffentlichten Schrift „Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens“ (1934) mit den Begriffen Entscheidungsdenken und Ordnungsdenken gekennzeich- | net worden. In dem Sammelband selbst ist von dieser Frage, die nicht nur methodischer, sondern weit mehr sachlicher Art ist, nicht direkt die Rede. Aber die mit solchen Ausdrücken umschriebene Entwicklung tritt, da sie von zentraler Bedeutung ist, in fast allen Arbeiten sichtbar hervor. Die Stufen rechtswissenschaftlichen Denkens, die Schmitt dabei durchschritten hat, sind keine einfache Entwicklung vom Entscheidungs- zum Ordnungsdenken. Mir möchte jedenfalls scheinen, daß die frühen Schriften Schmitts, z. B. „Gesetz und Urteil“ (1912), wesentlich dem Normativismus zugehören und daß dann

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bei ihm eine erste Art von „Ordnungsdenken“ sichtbar wird (etwa in der Schrift „Römischer Katholizismus und politische Form“ 1922). Der Sammelband spiegelt dann die späteren Stufen des Entscheidungsdenkens und des völkischen Ordnungsdenkens wider. Aber gerade hier zeigt sich, daß, wie Schmitt selbst immer hervorgehoben, diese verschiedenen Arten des Rechtsdenkens sich nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig durchdringen. So finden sich auch in den Zeiten, in denen bei Schmitt der Dezisionismus überwiegt, bedeutsame Ansätze des Ordnungsdenkens; als Beleg weise ich auf den Satz von 1926 hin: „Dieser status [d.h. hier der Staat] bedeutet die grundlegende und umfassende Einheit einer substantiellen, seinsmäßigen, wesentlich öffentlichen Ordnung“ („Zu Friedrich Meineckes ‚Idee der Staatsräson‘ “, S. 51). Hier erscheint der Begriff der „Ordnung“ nicht zufällig und beiläufig, sondern an der entscheidenden Stelle, und es ergibt sich im Begriff des Staates die Vorwegnahme einer später erst vollständig erschlossenen wissenschaftlichen und politischen Position. In anderen Arbeiten dieser Zeit überwiegt das dezisionistische Denken allerdings so stark, daß von ihm her auch der Begriff der „konkreten Ordnung“, wo er auftritt, bestimmt ist. Bezeichnend hierfür scheint mir der Vortrag „Staatsethik und pluralistischer Staat“ zu sein, wo sich etwa die Sätze finden: „Die politische Einheit ist höchste Einheit, . . . weil sie entscheidet. . . . Da wo sie ist, können die sozialen Konflikte . . . entschieden werden, so daß eine Ordnung, d.h. eine normale Situation besteht“ (S. 141). Einheit und Ordnung entstehen hier aus der Entscheidung, eine Auffassung, die sich noch durchaus im Dezisionismus Hobbes’schen Stiles bewegt. Das selbständige Ordnungsdenken bestimmt demgegenüber in besonders wesentlicher Tiefe die letzten Arbeiten Schmitts über Großraum und Reich im Völkerrecht („Großraum gegen Universalismus“, „Der Reichsbegriff im Völkerrecht“). Die Auseinandersetzung mit Hobbes Wenn man nach den philosophischen Positionen dieser rechtstheoretischen Entwicklung fragt, so liegt es nahe, für die erste Stufe des Ordnungsdenkens auf die Scholastik und die katholische Naturrechtslehre und ihren Begriff des „ordo“ zu verweisen; für die Stufe des Dezisionismus ist Hobbes in besonderem Maße bestimmend. Das bleibt in dieser Sammlung allerdings etwas im Hintergrund und wird erst deutlich, wenn man etwa die Schriften „Politische Theologie“ (1922; siehe S. 32 f.) und „Der Leviathan“ (1938)2 heranzieht. Die kritische Behandlung, die Hobbes in der zweitgenannten Schrift erfährt, vollzieht sich unter der selbstverständlichen Voraussetzung jener tieferen Verbundenheit, die von der Kritik nicht angetastet 2

Schmitt, Leviathan.

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wird. Den Fehlschlag der Hobbesschen Theorie sieht Schmitt darin begründet, daß „auf dem Höhepunkt der die Einheit von Religion und Politik bewirkenden souveränen Macht“ Hobbes an dem entscheidenden Punkte ausweicht; die souveräne staatliche Gewalt kann zwar befehlen, woran als an ein Wunder zu glauben ist, aber das gilt nur für die öffentliche Vernunft, während es dem Einzelnen unbenommen bleibt, bei sich selbst zu glauben, was ihm die private Vernunft gebietet. So ergibt sich hier „der unausrottbare individualistische Vorbehalt“ und mit ihm die Trennung von privat und öffentlich, von „innen“ und „außen“. Hier – in der Konstruktion des „Leviathan“ – liegt der „Beginn der modernen individualistischen Gedanken- und Gewissensfreiheit und damit der für die Struktur des liberalen Verfassungssystems kennzeichnenden Freiheitsrechte des Individuums“3. Dem entspricht es, daß auch der Gesetzesbegriff des 19. Jahrhunderts (Gesetz als „Entscheidung und Befehl im Sinne einer psychologisch berechenbaren Zwangsmotivierung“) zuerst bei Hobbes erscheint. Das „gesetzesstaatliche“ Denken, der „Gesetzespositivismus“ ist bei ihm vorgeformt, und Hobbes erscheint so als „ein geistiger Ahne des bürgerlichen Rechts- und Verfassungsstaates“4. Es ist eine zunächst verblüffende Entdeckung, daß der extreme Vorkämpfer des monarchischen Absolutismus damit als Weg- | bereiter des liberalen Verfassungssystems erscheint und daß der Dezisionist als Vorläufer des normativistischen Positivismus enthüllt wird. Vielleicht ist es statthaft, diesen Feststellungen gegenüber zwei Fragen zu erheben: Einmal bleibt offen, ob Schmitt, indem er den „individualistischen Vorbehalt“ kritisiert, durch den Hobbes die Allmacht des souveränen Staates in einem letzten Bereich einschränkte, sagen will, daß ohne diesen Vorbehalt der Fehlschlag der Hobbes’schen Staatskonstruktion nicht eingetreten wäre. Mir scheint, daß der entscheidende Fehler nicht in dem „Vorbehalt“ selber, sondern in der dem „Leviathan“ zugrunde liegenden Staatskonstruktion im ganzen liegt. Ein auf den Individualismus gegründetes absolutes Herrschaftssystem wird notwendig zum unerträglichen Despotismus, wenn nicht der Vorbehalt innerer Gewissensfreiheit gemacht wird. Der Vorbehalt, der sich in diesem System, damit es gedanklich überhaupt faßbar wird, notwendig ergibt, ist keine „Bruchstelle“, sondern zeigt die Brüchigkeit der Gesamtkonstruktion an. Dieselbe Fragwürdigkeit kennzeichnet die Verfassungen des 19. Jahrhunderts, soweit sie, nicht anders als Hobbes, vom Individualismus her zur Machtordnung zu kommen suchen. Daher ist das Gesetz hier wie dort „Entscheidung und Befehl“ und das Recht eine äußere Zwangsordnung. Aber es fragt sich doch – und damit erhebt sich das zweite Problem –, ob diese Pa3 4

Ebd., S. 85 f. Ebd., S. 103.

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rallelität der Situation ausreicht, um Hobbes zum geistigen Ahnherrn des 19. Jahrhunderts zu erklären. Denn für die innere Verwandtschaft oder Gegensätzlichkeit politischer Theorien ist entscheidend, welches der Sinn und Wert des Staates und welches das Ziel des Gesetzes ist. Daß hier die stärksten Gegensätze hervortreten – daß eine der staatlichen Macht dienende Ordnung etwas anderes als ein der individuellen Freiheit dienendes System ist –, liegt auf der Hand, und es hat daher doch wohl einen tieferen Sinn, daß Hobbes dem allgemeinen Bewußtsein als der Schildträger des „Leviathan“ und nicht als der Vorläufer des bürgerlichen Verfassungs- und Rechtsstaates gilt. Und Schmitt selbst gibt diesem Urteil die entscheidende Rechtfertigung, indem er in Hobbes „den großen Lehrer im Kampf gegen alle Arten der indirekten Gewalt“, die für den bürgerlichen Staat des 19. Jahrhunderts so typisch sind, preist5. In diesem Zusammenhang findet sich bei Schmitt die glänzende Umschreibung des Begriffs der indirekten Gewalt, zu deren Wesen | es gehört, „daß sie die eindeutige Übereinstimmung von staatlichem Befehl und politischer Gefahr, von Macht und Verantwortung, Schutz und Gehorsam, trübt und, aus der Unverantwortlichkeit eines zwar nur indirekten, aber darum nicht weniger intensiven Herrschens heraus, alle Vorteile und keine Gefahr der politischen Macht in der Hand hat“6. Der damit umschriebene politische Sachverhalt, der für jede politische Ordnung von schlechthin zerstörender Bedeutung ist, ist allein durch diese Art der Benennung entscheidend getroffen, und es zeigt sich dabei an einem bedeutenden Beispiel, daß schon die zutreffende Definition eines politischen Begriffs eine kämpferische Aktion bedeutet. Der angeführte Satz gehört zu den zentralen „Begriffen und Positionen“ Schmitts, und es dürfte daher gerechtfertigt sein, daß er hier besonders erwähnt wurde, obwohl er in der Sammlung selbst nur beiläufig anklingt (etwa S. 259 f.). Die Kritik an Hegel Die Auseinandersetzung Schmitts mit Hobbes hat nicht die Bedeutung einer polemischen Absage, sondern bringt eher zum Ausdruck, daß der Hobbes’sche Dezisionismus im konkreten Ordnungsdenken „aufgehoben“ ist in dem bekannten Doppelsinn der Hegelschen Dialektik. Es läge nahe, anzunehmen, daß dieses Ordnungsdenken eine nahe Verwandtschaft zur Hegelschen Philosophie besitze, und Schmitt selber hat das Ordnungsdenken besonders nachdrücklich auf Hegels Rechts- und Staatsphilosophie gestützt7. Dabei erscheint Hegel jedoch nicht eigentlich als der Vertreter einer neuen 5 6 7

Schmitt, Leviathan, S. 131. Ebd., S. 117. Ders., Über die drei Arten, S. 45 ff.

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philosophischen Haltung, sondern weit eher als der Erneuerer der Staatsphilosophie des katholischen und protestantischen Naturrechts, deren Ordnungsdenken in ihm „noch einmal lebendig“ wurde. Die Staatsphilosophie des deutschen Idealismus scheint für Schmitt nur insoweit eine Grundlage seines Denkens zu sein, als in ihr die ältere Staatsphilosophie aufgenommen und erneuert worden ist. Bei aller Achtung vor Hegel, dessen Größe und einmaliger Rang häufig betont wird (S. 112, 114), fällt doch in Schmitts Arbeiten eine letzte und unüberwindliche Reserve gegenüber Hegel und seiner Staatsphilosophie auf. Ist es zuviel gesagt, daß Schmitt an dem Entsetzen, von dem Donoso Cortes | gegenüber dem „nebulosen Rationalismus“ der Hegelschen Philosophie erfüllt war (S. 77), irgendwie Anteil hat? Gerade die Wende des Jahres 1933, die in vielem so stark zu einer Hegel-Renaissance geführt hat, hat Schmitt zu immer schärferem Protest gegen Hegel veranlaßt. So wird dem jungen Hegel vorgeworfen, daß er 1802 dazu beigetragen habe, den Reichsbegriff durch den Staatsbegriff zu überwinden („Reich – Staat – Bund“, S. 192). Wenig später fielen in der Leipziger Rede Schmitts die Worte, Hegel sei „gestorben“; sein Staatsbegriff sei durch eine andere Staatskonstruktion ersetzt8. Und in dem Aufsatz „Neutralität und Neutralisierungen“ (1939) findet sich der Einwand, die Hegelsche Staatsphilosophie sei zwar ein Ausdruck des konkreten preußischen Staates der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; sie sei aber bereits der Beginn einer Neutralisierung des Staatsoberhaupts und enthalte schon die im späteren Linkshegelianismus entfalteten Keime einer Revolutionierung im Sinne der westlichen Entwicklung („Neutralität und Neutralisierungen“, S. 292 f.). Diese Ansicht scheint mir allerdings der erneuten Prüfung bedürftig zu sein. Hegels Unterscheidung von „fürstlicher Gewalt“ und „Regierungsgewalt“ hat nichts mit Constants Lehre vom pouvoir neutre zu tun, sondern geht davon aus, „daß jede dieser Gewalten selbst in sich die Totalität dadurch ist, daß sie die anderen Momente in sich wirksam hat und enthält“ (Rechtsphilosophie, § 272) und daß insbesondere die fürstliche Gewalt „das Moment der letzten Entscheidung als der Selbstbestimmung, in welche alles übrige zurückgeht“, umfaßt (Rechtsphilosophie, § 275). Die „Regierungsgewalt“ ist demgegenüber „die Ausführung und Anwendung der fürstlichen Entscheidungen“, das „Geschäft der Subsumtion“ (Rechtsphilosophie, § 287). Die fürstliche Gewalt ist danach für Hegel weit eher eine totale als eine neutrale Gewalt. Und wenn überhaupt hier bei Hegel eine staatstheoretische Unterscheidung anklingt, so die klassische Unterscheidung von auctoritas und potestas, deren Wiederbelebung eines der besonderen staatstheoretischen Verdienste von Schmitt ist9. 8 9

Ders., Staat, Bewegung, Volk, S. 31 f. Ders., Verfassungslehre, S. 75, Anm. 1.

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Wenn es somit eine problematische Hypothese ist, in Hegel den Ansatz für die liberale Trennung von monarchischer Gewalt und Regierungsgewalt zu erblicken, so ist es nicht minder bedenklich, | daß Schmitt – hier vielleicht doch noch unter dem Eindruck einer überlieferten geistesgeschichtlichen Konstruktion – in Hegel den Staatsphilosophen des preußischen Staates sieht, dem der konkrete preußische Staat seiner Zeit „ein Reich der objektiven Vernunft und der Sittlichkeit“ gewesen sei (S. 292). Gerhard Dulckeit hat schon früher auf den Irrtum dieser verbreiteten Ansicht verwiesen10, und Karl Larenz hat neuerdings in einer interessanten Untersuchung der Staatsphilosophie Eduard Erdmanns gezeigt, woher dieses Mißverständnis der Hegelschen Philosophie als einer spezifisch preußischen Staatsphilosophie stammt11. Überraschend ist vor allem, daß Schmitt dem preußischen Staat dieses Zeitabschnitts – in der Zeit nach dem fürstlichen Absolutismus des 18. und vor dem liberalen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts – „eine spezifisch staatliche Art von Vollkommenheit und Klassizität“ nachrühmt. Es kann doch kaum zweifelhaft sein, daß der preußische Staat der Restauration (1815–1848) innen- und außenpolitisch unschöpferisch, ohne politische Führung und ohne politische Idee war, ein Staat, der die in den Freiheitskämpfen aufgebrochenen Kräfte vertrieb, alle Ansätze einer fruchtbaren Entfaltung abschnitt und sich einem öden Etatismus und Bürokratismus hingab. Für diesen Staat Scharnhorst und Gneisenau in Anspruch zu nehmen, wie Schmitt es tut, ist schwerlich gerechtfertigt, da beide im offenen Gegensatz gegen dieses System emporgestiegen sind; Scharnhorst war tot, als die Restauration einsetzte, Gneisenau aber wurde bald in den Ruhestand getrieben und ebenso ausgeschaltet wie die großen Männer der Befreiungszeit – Stein und Arndt, Boyen und Clausewitz. So bleibt von den von Schmitt erwähnten Kennzeichen der Klassizität und Vollkommenheit dieses Staatswesens nicht viel mehr als „die geordnete Finanzverwaltung unter Motz und Maaßen“ – im Grunde also, wie gesagt, nur Bürokratie und Etatismus; d.h. aber es bleibt ein System, das hoffnungslos dem revolutionären Zusammenbruch zutrieb, da es sich allen Anliegen der politischen Erneuerung wie allen Aufgaben der geistigen Entfaltung verschlossen zeigte. Preußen hat eine große Epoche in der absolutistischen und eine große Epoche in der konstitutionellen Zeit erlebt; die Zwischenzeit, in der Hegel wirkte, war eine Periode der geistigen und politischen Stagnation, | und es ist ungerechtfertigt, Hegel als einen „Restaurations-Philosophen“ diesem Abschnitt des geschichtlich-konkreten preußi10 Gerhard Dulckeit, Hegel und der preußische Staat. Zur Herkunft und Kritik des liberalen Hegelbildes, in: Zeitschrift für deutsche Kulturphilosophie 2 (1935), S. 63 ff. 11 Karl Larenz, Hegelianismus und preußische Staatsidee. Die Staatsphilosophie Johann Eduard Erdmanns und das Hegelbild des 19. Jahrhunderts, Hamburg 1940.

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schen Staates in einem spezifischen Sinne zuzuordnen. Er lebte und dachte vielmehr aus der Vergangenheit der ständischen Ordnung des Reichs und seiner Territorien und für die Zukunft einer erneuerten Volks- und Staatsordnung. II. Grundbegriffe der Staatstheorie In ihrem staatstheoretischen Gehalt geben die „Positionen und Begriffe“ einen Querschnitt durch die gesamte Theorie der Politik zwischen dem Ende des Weltkriegs und dem Ausbruch des englischen Kriegs von 1939. Die polemische Situation, die den konkreten Sinn der „Positionen und Begriffe“ bestimmt, wird durch den Gegensatz gegen die liberale Demokratie gekennzeichnet. Jedes Wort zur Staatstheorie, das Schmitt in diesen Arbeiten (und auch in zahlreichen anderen, hier nicht enthaltenen Schriften) gesprochen hat, ist unmittelbar von diesem Gegensatz getragen und erhält erst durch ihn seinen wirklichen Sinn. Wesentlich ist dabei, daß Schmitt gerade gegen die Verbindung von Liberalismus und Demokratie kämpft. Immer wieder findet sich in neuen Wendungen und unter neuen Aspekten der Nachweis, daß Liberalismus und Demokratie nicht dasselbe, ja daß sie gegensätzlicher Natur sind (insbesondere „Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie“, S. 52 ff.), und der Kampf richtet sich gerade gegen diese Verbindung gegensätzlicher Elemente und die damit hervorgerufene Verdunkelung und Verschleierung der wahren Situation. Es ist evident, daß Schmitts Angriffe sich nicht gegen einen echten, d.h. undemokratischen Liberalismus und nicht gegen eine echte, d.h. antiliberale Demokratie richten, sondern gegen die Korrumpierung, der beide politische Bewegungen durch ihre Verbindung erlegen sind. Die Waffe, deren Schmitt sich in diesem Kampf bedient, ist die einfache Bestimmung und Deutung der konkreten Situation; der Titel der bekannten Schrift „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“ (1923) läßt diese Blickrichtung deutlich hervortreten. Gegen Liberalismus und Demokratie In diesem Kampf gegen die liberale Demokratie hat Schmitt sich des ganzen Arsenals der antidemokratischen Theorien bedient, | soweit die hier gesammelten Waffen noch brauchbar erschienen. Von der „Idee der Staatsräson“ hält er sich dabei in auffälliger Distanz (vgl. „Zu Friedrich Meineckes ‚Idee der Staatsräson‘ “, S. 45 ff.), da sie ihm „in ihrem spezifischen Sinn an eine bestimmte Epoche, an den Absolutismus des 16. und 17. Jahrhunderts, gebunden und für die folgenden Jahrhunderte zu wenig charakteristisch und zentral“ erscheint (S. 51); heute – so sagt er schon 1926 – sind

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wir „von ratio und status weit entfernt“ (S. 52). Ob dabei nicht doch außer acht gelassen ist, daß einer der wesentlichen Träger des Widerstandes gegen die liberale Demokratie, nämlich die Bürokratie, bis in unsere Zeit ihre eigentliche Kraft aus der „Staatsräson“ gewinnt, sei nur nebenbei gefragt. Die Theorie des Anarchismus wird von Schmitt wohl eher um ihres polemischen Gehaltes willen angeführt; in diesem Sinne werden Proudhon und Bakunin und die „Theorie des Mythus“ benutzt („Die politische Theorie des Mythus“, S. 9 ff.). Die katholische Restaurationsphilosophie, insbesondere Donoso Cortes, wird in dieser Auseinandersetzung schon eher um ihrer positiven Sinngebung willen verwandt (vgl. „Donoso Cortes in Berlin“, S. 67 ff.; „Der unbekannte Donoso Cortes“, S. 115 ff.). Daneben erscheint die Staatstheorie des Faschismus als eine neuartige und wirksame Waffe in diesem Kampf (vgl. „Wesen und Werden des faschistischen Staates“, S. 109 ff.). Besonders wesentlich sind für Schmitt in diesem Zusammenhang natürlich Hobbes und Hegel. Beiden allerdings wird der Vorwurf gemacht, daß sie – durch mangelnde Folgerichtigkeit – zur Entwicklung der liberalen Demokratie beigetragen hätten, worauf oben bereits eingegangen wurde. Gleich wirksam wie der Kampf, den Schmitt von der antidemokratischen Gegenposition aus gegen Liberalismus und Demokratie geführt hat, ist die scharfe und schneidende Polemik, die er taktisch vom Boden der Weimarer Verfassung aus gegen das in ihr verwirklichte liberaldemokratische System gerichtet hat. Die Methode dieses Kampfes besteht darin, daß mit dem Mittel der Definition der echte Begriff einer politischen Institution bestimmt und eben dadurch der Abfall der faktischen Einrichtungen von ihrem eigenen Wesen bewußt gemacht wird. So tritt die Entartung der politischen Institutionen sichtbar hervor; durch die Definition des ursprünglichen Sinnes wird die Dekadenz verdeutlicht. Dieses Verfahren ist von Schmitt besonders eindrucksvoll bei den Begriffen Demokratie und Parlamentarismus angewandt worden; bei der Demokratie mit der berühmten Formel, daß sie „Identität von Regierenden und Regierten“ sei, beim Parlamentarismus mit | dem nicht weniger schlagkräftigen Satz, daß sein Wesen in der Diskussion und der Öffentlichkeit bestehe (dazu „Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie“, S. 52 ff.). Bei der Behandlung der „Grundrechte“12 und des „Rechtsstaates“13 hat Schmitt in hier nicht veröffentlichten Arbeiten sich des gleichen Verfahrens bedient, indem er beide auf ihre geistigen und politischen Wurzeln zurückgeführt und eben dadurch in ihrer bereits eingetretenen Brüchigkeit enthüllt hat. Daß schon diese Begriffsbestimmungen einen Angriff auf die bestehende liberaldemokratische Ordnung enthielten, ist 12 13

Schmitt, Freiheitsrechte. Ders., Was bedeutet der Streit.

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sofort verstanden worden, denn das System der Weimarer Verfassung war von einer solchen „Identität von Regierenden und Regierten“ und von einem „government by discussion“, wie auch von angeborenen und unantastbaren Rechten des Einzelnen weit entfernt. So mußte die Verteidigung des liberaldemokratischen Systems notwendig die Form des Gegenangriffs auf die Schmittsche Definition wählen. Die juristisch-begrifflichen Auseinandersetzungen mit Richard Thoma („Der Begriff der modernen Demokratie in seinem Verhältnis zum Staatsbegriff“, S. 19 ff.; „Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie“, S. 53 ff.) enthalten daher ein Stück schärfsten politischen Kampfes. Schmitt zeigte hier, wie sehr die deutsche politische Ordnung ihre innere Freiheit und Selbständigkeit preisgibt, wenn sie ihre Begriffe durch einen „weltläufigen Sprachgebrauch“ bestimmen läßt, der doch nur durch die angelsächsische Weltpresse als die Vorkämpferin der „demokratischen Freiheit“ hervorgerufen wird (S. 22). Doch gehen diese Bemühungen um den Begriff der Demokratie über die bloße Polemik gegen die vorhandene entartete Form der Liberaldemokratie hinaus. Es findet sich hier bereits der Einsatz für die künftigen Formen einer echten Demokratie, so wenn betont wird, daß der Faschismus zwar antiliberal, aber nicht antidemokratisch sei: „Volk ist ein Begriff des öffentlichen Rechts. Volk existiert nur in der Sphäre der Publizität. Die einstimmige Meinung von hundert Millionen Privatleuten ist weder Wille des Volkes, noch öffentliche Meinung . . . Vor einer . . . im vitalen Sinne unmittelbaren Demokratie erscheint das aus liberalen Gedankengängen entstandene Parlament als eine künstliche Maschinerie, während diktatorische und cäsaristische Methoden nicht nur von der acclamatio des Volkes getragen, sondern auch unmittelbare | Äußerungen demokratischer Substanz und Kraft sein können“ (S. 65). Trotz der Verwendung von Ausdrücken wie Diktatur und Cäsarismus ist in diesem Satze von 1926 Entscheidendes der späteren Entwicklung vorweggenommen. Insbesondere ist mit dem Begriff der acclamatio das Prinzip enthüllt, das in den modernen Großvölkern eine neue Form unmittelbarer Demokratie möglich gemacht hat. In der begrifflichen Unterscheidung von Diskussion und Akklamation ist der Gegensatz von liberaler und autoritärer Demokratie, der die seitherige politische Entwicklung beherrscht, auf eine klare Formel gebracht. In dem Aufsatz von 1929 „Wesen und Werden des faschistischen Staates“ (S. 109 ff.) ist dieses Thema aufgenommen und weitergeführt. Hier findet sich die Erkenntnis, daß diese neue und echte Demokratie notwendig eine Arbeiterdemokratie ist, weil die Arbeiter heute das Volk sind –, daß die Demokratie sich als ein „Arbeiterstaat mit Planwirtschaft“ entwickeln wird – und daß die in einer solchen Demokratie notwendige „Suprematie des Staates gegenüber der Wirtschaft . . . nur mit Hilfe einer geschlossenen, ordensmäßigen Organisation durchführbar“ ist.

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Gegen Neutralisierung und Pluralismus Die Entwicklung, Zersetzung und Überwindung der liberalen Demokratie spiegelt sich bei Schmitt in der inneren Verknüpfung des neutralen, des pluralistischen und des totalen Staates wider. Neutralität, Pluralismus und Totalität sind in der Theorie Schmitts, die hierin die Wirklichkeit besonders treffend wiedergibt, keine scharf gegeneinander abgrenzbaren Typen von Staaten, sondern sie sind Tendenzen der staatlichen Entwicklung, die sich gegenseitig bekämpfen und sich doch bedingen und durchdringen. In der 1929 gehaltenen berühmten Rede über „Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen“ (S. 120 ff.) ist gezeigt, daß „die Lehre vom neutralen Staat des 19. Jahrhunderts . . . im Rahmen einer allgemeinen Tendenz zu einem geistigen Neutralismus [steht], der für die europäische Geschichte der letzten Jahrhunderte charakteristisch ist“ (S. 127). Das neutralisierende Denken ist danach ein Kennzeichen der modernen geistigen Entwicklung überhaupt, kein spezifisches Merkmal des 19. Jahrhunderts. Für das 19. Jahrhundert ist kennzeichnend, daß der Neutralisierungsprozeß hier den Monarchen, der in die Stellung | des pouvoir neutre verwiesen wird, und schließlich auch den Staat, der zum stato neutrale e agnostico wird, ergreift. Hier erscheint somit die Neutralisierung als ein unaufhaltsamer und unentrinnbarer geistiger Prozeß, dem der moderne Mensch und der moderne Staat anheimgegeben sind. Der spätere Aufsatz über „Neutralität und Neutralisierungen“ (S. 271 ff.) deutet die Neutralisierungen des 19. Jahrhunderts nicht mehr in dieser Weise als ein unausweichliches Schicksal, sondern eher als einen verschuldeten Irrweg. Darin mag die – wie ich finde – geringere Überzeugungskraft beruhen, die von dem späteren Aufsatz ausstrahlt. Für die tiefere Einsicht in das Problem der Neutralität und in ihr Verhältnis zum Problem des Pluralismus ist wesentlich, daß, wie Schmitt in der „Übersicht über die verschiedenen Bedeutungen und Funktionen des Begriffs der innerpolitischen Neutralität des Staates“ (S. 158 ff.) nachgewiesen hat, der Begriff der Neutralität einen doppelten Sinn haben kann; er kann sowohl eine negative, von der Entscheidung wegführende, wie eine positive, zu einer Entscheidung hinführende Bedeutung besitzen. In dem negativen Sinne ist Neutralität eine Haltung der Nicht-Intervention, der instrumentalen Staatsauffassung, der Parität und gleichen Chance für alle in Betracht kommenden Gruppen und Richtungen. Hier führt die Neutralität des Staates also notwendig in den „Pluralismus“ der Gruppen, Parteien, Klassen, Gewerkschaften, Konzerne und Konfessionen; der neutrale ist hier zugleich der pluralistische Staat. In dem positiven Sinn ist Neutralität dagegen der „Ausdruck einer die gegensätzlichen Gruppierungen umfassenden, daher alle diese Gegensätzlichkeiten in sich relativierenden Einheit und Ganzheit“

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(S. 160). Neutralität ist damit hier eine politische Haltung, die den Pluralismus überwindet, indem sie ihn relativiert, und die dadurch die politische Einheit und Ganzheit herstellt und erhält; der neutrale Staat ist hier gerade kein pluralistischer Staat. Die negative Bedeutung der Neutralität ist somit das Gegenteil der politischen Totalität; die positive Bedeutung der Neutralität aber führt, da sie doch „Einheit und Ganzheit“ des Politischen schafft und verbürgt, in eine überraschende Nähe zu einer echten Vorstellung von politischer Totalität. Der Appell, mit dem die Rede „Staatsethik und pluralistischer Staat“ (S. 133 ff.) schließt, war in der damaligen Lage ein offener Aufruf zu einem Staat, der im Sinne dieser Neutralität die durch den Pluralismus zerstörte Einheit | und Ordnung des sozialen Lebens wiederherstellen und garantieren sollte. Während der Pluralismus die Staatsethik auflöst, ist der positive Begriff der Neutralität die Grundlage einer neuen politischen Ethik und einer neuen sittlichen Bindung an den Staat. Diese positive Art von Neutralität führt also, weil sie Anti-Pluralismus ist, zu einer bestimmten Art von politischer Totalität. Auf der anderen Seite aber ergibt sich, wie Schmitt wiederholt gezeigt hat, gerade aus der pluralistischen Situation der Weg in den totalen Staat („Die Wendung zum totalen Staat“, S. 146 ff.; „Weiterentwicklung des totalen Staats in Deutschland“, S. 185 ff.). Der „pluralistische Parteienstaat“ (S. 155), in dem die verschiedenen gesellschaftlichen Interessen und Tendenzen sich organisieren, ist eine „Selbstorganisation der Gesellschaft“ (S. 152), und es gibt hier „nichts, was nicht wenigstens potentiell staatlich und politisch wäre“. Der auf der Trennung von Staat und Gesellschaft beruhende, (im negativen Sinne) neutrale Staat geht so über den pluralistischen Parteienstaat in einen „potentiell totalen Staat“ über. Hier wird also gerade die Neutralität durch den Pluralismus überwunden und so der „totale Staat“ geschaffen. Der scheinbare Widerspruch, der darin liegt, wird dadurch aufgelöst, daß Schmitt nicht nur eine doppelte Bedeutung der „Neutralität“, sondern ebenso einen doppelten Begriff der „Totalität“ verwendet. Es gibt eine Totalität „im Sinne der Qualität und der Energie“ – zugleich aber eine Totalität „in einem rein quantitativen Sinne, im Sinne des bloßen Volumens, nicht der Intensität und der politischen Energie“ (S. 186/87). „Diese Art totaler Staat ist ein Staat, der sich unterschiedslos in alle Sachgebiete, in alle Sphären des menschlichen Daseins hineinbegibt, der überhaupt keine staatsfreie Sphäre mehr kennt, weil er überhaupt nichts mehr unterscheiden kann“. In dieser nur quantitativen Totalität ist daher auch der Pluralismus, der sie erzeugt hat, nicht überwunden, sondern er lebt mit neuem Vorzeichen und unter neuem Namen fort. So wird die positive Neutralität der obersten Entscheidung, indem sie den Pluralismus bändigt, zur Voraussetzung einer Totalität der Stärke, die sogar, weil sie zu unterscheiden vermag, eine staatsfreie Sphäre anerkennen kann. Die negative Neutralität der Nicht-Intervention dagegen wird durch

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den Pluralismus verdrängt, der dann selber in einer in sich pluralistischen Totalität „des bloßen Volumens“ endet; diese Totalität der Schwäche ist gezwungen, jede Art von politischer Freiheit zu vernichten. Diese Konsequenzen der Schmittschen Lehre sind bei den vielen | Auseinandersetzungen über den totalen Staat meistens übersehen worden; dabei erschließt sich aus ihnen erst der volle Sinn des Begriffs der politischen Totalität. Allerdings hat Schmitt selbst in späteren Arbeiten, wie der schon erwähnten Besprechung des Stedingschen Buches14 („Neutralität und Neutralisierungen“, S. 271), die doppelte Bedeutung des Begriffes „Neutralität“ nicht mehr deutlich hervortreten lassen. Was er hier über „die innerstaatlich-verfassungsrechtliche Neutralisierung von Staat und Regierung“ in der deutschen verfassungsgeschichtlichen Entwicklung sagt, trifft eben nur für die negative Bedeutung von Neutralität im Sinne der innerpolitischen Nicht-Entscheidung zu. Es mag zutreffen, daß Benjamin Constants Lehre vom „pouvoir neutre“ auf diesen negativen Begriff von Neutralität gegründet ist, obwohl Schmitt selbst früher Constants Lehre gerade für die positive Bedeutung von Neutralität in Anspruch genommen und die berühmte Unterscheidung von „régner“ und „gouverner“ auf die altrömische Unterscheidung von auctoritas und potestas zurückgeführt hat15. Constant wird hier nachgerühmt, daß er mit seiner Lehre „eine alte, in der Tradition der römischen Staatsstruktur begründete Weisheit lebendig erhalten hat“16. Doch kommt es hier nicht auf die richtige Einordnung Constants an, sondern darauf, daß überhaupt die positive Möglichkeit, die im Begriff der Neutralität liegt, nicht vergessen wird. Eben dieser positive Sinn von Neutralität ist für wichtigste Epochen des Deutschen Reiches bestimmend gewesen. An der Spitze des Deutschen Reiches haben in entscheidender Zeit Männer gestanden, die diese Art von positiver Neutralität in einer bezwingenden Weise verkörperten: Kaiser Wilhelm I. und der Reichspräsident v. Hindenburg. Eben weil es sich hier um eine Neutralität handelt, die nicht nur die Einheit und Ganzheit wahrt, sondern sich auch „die letzte Entscheidung vorbehält“, ist das Wort des Fürsten Philipp Eulenburg vom „schlafenden Heldenkaiser“, auf das Schmitt sich bezieht (S. 283), nicht nur bösartig, sondern auch in der Sache falsch. So fehlt in dieser verfassungsgeschichtlichen Analyse des Zweiten Reiches, so wertvoll ihre Ergebnisse sind, doch ein wichtiges staatstheoretisches | Element, das gerade durch die Anwendung des von Schmitt begründeten Begriffs der positiven Neutralität und der von ihm erneuerten Unterscheidung von auctoritas und potestas hätte erschlossen werden können. 14 Christoph Steding, Das Reich und die Krankheit der europäischen Kultur, Hamburg 1939. 15 Schmitt, Hüter, S. 135. 16 Ebd., S. 137.

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Gegen Konstitutionalismus und Parlamentarismus In engem Zusammenhang damit steht eine weitere Frage, die Schmitt in diesem Aufsatze und auch sonst berührt hat, die Frage nach dem Verhältnis von Konstitutionalismus und Parlamentarismus. Schmitt erkennt einen wirklich wesenhaften Unterschied zwischen Konstitutionalismus und Parlamentarismus nicht an. „Die Antithese war, logisch betrachtet, Unsinn, weil auch, und zwar in höherem Grade, die parlamentarische Monarchie eine konstitutionelle ist; in ihrer institutionellen Durchführung ist sie nur ein Schrittmacher auf dem Wege zur völligen Parlamentarisierung geworden“ (S. 275). An anderer Stelle (in dem Aufsatz „Über die neuen Aufgaben der Verfassungsgeschichte“, S. 229 ff.) wird die Unterscheidung eine bloße „Zweckantithese“ genannt, „die aus diesen bloßen Nuancen des liberal-autoritären Kompromisses einen tiefen weltanschaulichen Gegensatz zu machen suchte“, während es sich in Wahrheit nur um einen sekundären Gegensatz handelte, „denn die ‚konstitutionelle‘ Regierung kann immer höchstens ein Vorstadium auf dem Wege zur parlamentarischen Regierung sein“ (S. 231). Hier ist in der Tat das zentrale verfassungsgeschichtliche Problem des 19. Jahrhunderts aufgeworfen, und das Gewicht der Gründe, die für Schmitts These sprechen, ist nicht zu verkennen. Es liegt nahe, die berühmte Formel vom „dilatorischen Formelkompromiß“17 auf den Konstitutionalismus anzuwenden und in ihm einen bloßen Scheinkompromiß zu sehen, der die Entwicklung zum Parlamentarismus nur vorübergehend aufhalten, ihm aber keine echte und selbständige Lösung des politischen Problems entgegensetzen konnte. Doch ist nicht ohne Bedeutung, daß Schmitt selber in der „Verfassungslehre“ den Konstitutionalismus nicht zu diesen unechten Kompromissen gezählt und daß er ihn dort überhaupt noch in einer ganz anderen Weise gewertet hat. So heißt es dort z. B.: „Die überwältigenden Erfolge Bismarcks entschieden die Frage | gegen die parlamentarische Regierung und zugunsten der Monarchie; sie hielten die konstitutionelle Monarchie deutschen Stils noch ein halbes Jahrhundert aufrecht. Seit dem Jahre 1866 gibt es infolgedessen in Deutschland keine starke parlamentarische Ideologie mehr. Die königliche Regierung hatte im Kampf gegen das Parlament die nationale Einheit bewirkt; gegenüber dieser politischen Leistung konnte der Gedanke, daß das Parlament in höherem Maß als der König die nationale Repräsentation sei, nicht durchdringen“18. Nun liegt mir nichts ferner, als dem banalen Vergnügen und dem billigen Triumph nachzugehen, in dem umfassenden Werk eines großen Gelehrten Widersprüche aufzudecken. Jede tie17 18

Schmitt, Verfassungslehre, S. 32. Ebd., S. 314.

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fere Einsicht hebt frühere Erkenntnisse auf, und lebendige wissenschaftliche Arbeit ist daher eine fortschreitende Revision „vorgefaßter“ Meinungen. Aber die Frage ist die, ob nicht die „Verfassungslehre“ von 1928 die Verfassungswirklichkeit des Konstitutionalismus zutreffender erfaßt hat als die beiden zitierten Aufsätze von 1936 und 1939. Ich habe in anderem Zusammenhang darzulegen versucht, daß der „Konstitutionalismus“, wie er in Preußen seit 1848/50 und im Bismarckschen Reich verwirklicht war, sich von der parlamentarischen Monarchie dadurch unterschied, daß in ihm das Prinzip der „Königsherrschaft“ trotz der verfassungsmäßigen Zugeständnisse an Liberalismus und Demokratie gewahrt blieb19. Gewiß war die Königsherrschaft eine „neutrale Gewalt“, aber sie war von jener positiven Art der Neutralität, die in sich die Möglichkeit letzter Entscheidung durch den König bewahrte und damit die politische Einheit und Ganzheit sicherte. Dieses Prinzip der Königsherrschaft war allerdings nicht in der „Konstitution“ enthalten, sondern es fand sich gerade in den ausdrücklichen oder stillschweigenden Vorbehalten, die gegenüber dem normalen verfassungsmäßigen Verfahren dem König (und Kaiser) das letzte Entscheidungsrecht sicherten. Diese existentiellen Vorbehalte gegenüber der „Konstitution“ begründen den wesenhaften Unterschied, der den Konstitutionalismus vom Parlamentarismus trennt. Dabei ist natürlich richtig, daß es kühn ist, gerade dieses System der existentiellen Vorbehalte gegenüber der geschriebenen Verfassung als „Konstitutionalismus“ zu bezeichnen; dem Wortsinn nach ist das gerade nicht Konstitutionalismus, weil die Ver- | fassungswirklichkeit sich hier nicht in der Verfassungsnorm erschöpft, sondern ihre entscheidende Kraft außerhalb der Konstitution findet. Dem Wortsinn nach ist der Parlamentarismus der echte „Konstitutionalismus“; und der sogenannte Konstitutionalismus ist etwas ganz anderes; er ist eine Ordnung, in der die vorkonstitutionellen Kräfte des Staates, Königtum, Heer und Bürokratie, die entscheidenden Positionen für sich bewahren und den parteienstaatlichen Pluralismus in einer untergeordneten Stellung halten. Es ist vielleicht ein Zeichen von politischem Zynismus und amoralischer Unbekümmertheit, aber zugleich ein Zeichen von Frische, Angriffsgeist und innerer Stärke, wenn es in dieser Weise gelingt, im politischen Kampf den gegnerischen Schlachtruf aufzugreifen und ihn als wirksame Waffe gegen den Feind zu benutzen. Es bleibt der Einwand, der Konstitutionalismus sei eben doch nur eine Zwischenlösung gewesen, die schließlich die volle Parlamentarisierung des Reiches nicht habe verhindern können; der geschichtliche Erfolg habe erwiesen, daß er nur eine Vorstufe des Parlamentarismus gewesen sei. Aber 19

Huber, Heer.

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lehrt der geschichtliche Ablauf nicht doch etwas anderes? Konstitutionell ist in Preußen-Deutschland regiert worden von 1848 bis 1918, das sind 70 Jahre. Parlamentarismus hat es im Reiche von 1919 bis 1933 gegeben, aber in diesen 14 Jahren hat sich in den entscheidenden Ereignissen 1920, 1923/24 und 1930 bis 1933 der Parlamentarismus als eine für Deutschland unmögliche Verfassungsform erwiesen. Ermächtigungsgesetze, Diktaturverordnungen, schließlich das Präsidialsystem haben den Parlamentarismus in dieser Zeit ausgeschaltet. In Wirklichkeit ist in Deutschland weniger als zehn Jahre parlamentarisch verfahren worden. Das Parteiensystem aber, das diesem Parlamentarismus zugrunde lag, und das Parlament, in dem er sich verkörperte, zeigen einen so kläglichen Abfall gegenüber den Parteien und Parlamenten der „konstitutionellen“ Zeit, daß man berechtigt ist zu sagen, es habe einen lebendigen und echten Parlamentarismus in Deutschland überhaupt nicht gegeben. Der Sieg des Parlamentarismus war wirklich ein „posthumer“ Sieg (siehe auch „Positionen und Begriffe“, S. 275), d.h. der Parlamentarismus war tot, als er sich in der Weimarer Verfassung erfüllte, und sein Sieg war ein bloßer Scheinsieg. Der Konstitutionalismus war in Deutschland in der Zeit Bismarcks, also durch 30 Jahre hin, eine lebendige Wirklichkeit und eine trag- | fähige, leistungsstarke politische Form20; echten Parlamentarismus aber hat es in Deutschland nie gegeben. Das wird besonders dadurch verdeutlicht, daß in dem Augenblick, in dem die staatlichen Kräfte des Reiches sich auf sich selbst besannen, im Präsidialsystem eine Verfassungsform erstrebt wurde, die den Parlamentarismus überwinden sollte, indem sie das konstitutionelle System wiederherstellte. Aus welchen Gründen dieser Versuch einer Restauration des Konstitutionalismus scheiterte, ist bekannt. Doch bleibt es wichtig, daß nach dem kurzen Zwischenspiel eines funktionsunfähigen Parlamentarismus die alten Kräfte der Staatlichkeit (Heer und Bürokratie) auf die existentiellen Vorbehalte zurückgriffen, die das Wesen des Konstitutionalismus bestimmt und das Absinken in den parlamentarischen und pluralistischen Parteienstaat verhindert hatten. Dieser Vorgang erwies, daß der Konstitutionalismus in seinem besonderen, dem westeuropäischen Parlamentarismus entgegengesetzten „deutschen Stil“ die adäquate Form des „Verfassungsstaates“ in Deutschland war und auch in dieser Spätzeit noch eine stärkere innere Kraft in sich trug als der Parlamentarismus, der in Deutschland niemals Wurzeln geschlagen hat.

20 Daß nach Bismarcks Sturz der Konstitutionalismus in eine innere Krise geriet und daß hier der eigentliche Bruch der Verfassung des Reiches vorliegt, habe ich in dem Buche „Heer und Staat“ und in meiner Rede „Verfassungskrisen des Zweiten Reiches“ (1940) näher dargelegt.

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Lorenz von Stein über das Wesen der Verfassung In einem Nachwort zu Lorenz v. Steins anonymem Aufsatz „Zur preußischen Verfassungsfrage“ (1852), den Schmitt jetzt herausgegeben hat21, hat er dieses Thema erneut aufgegriffen. Stein wird hier als Kronzeuge dafür in Anspruch genommen, daß „Konstitutionalismus und Parlamentarismus im Wesen dasselbe sind“22. Es ist ein überaus großes Verdienst, das Schmitt sich damit erworben hat, daß er diesen ebenso tiefen wie glänzenden Aufsatz Steins der Vergessenheit entriß. Es gibt in der Tat keine bessere Deutung der preußischen Verfassungslage nach 1850 und damit keine überzeugendere Analyse des preußischen Konstitutio- | nalismus. Aber gerade das, was Schmitt in diesem Aufsatz belegt findet, die wesenhafte Identität von Konstitutionalismus und Parlamentarismus, kann ich hier nicht entdecken. Lorenz v. Stein selber geht in diesem Aufsatz von einem Verfassungsbegriff aus, der einen Gegensatz zwischen Regierung und Volksvertretung ausschließt, weil die Volksvertretung sich als das oberste und entscheidende Organ durchgesetzt hat23. Die echte „Verfassung“ ist also notwendig eine parlamentarische; die echte Volksvertretung strebt immer nach der Herrschaft im Staate, und die Entwicklung geht daher notwendig dahin, daß die Volksvertretung nicht nur an der Gesetzgebung, sondern auch an der Regierung und Verwaltung beteiligt wird. Preußen aber hat – auch seit 1850 – eine solche Verfassung und eine solche Volksvertretung nicht; es kann sie nicht haben, weil es zu einer (auf die Volksvertretung gegründeten) Verfassung nicht fähig ist24. Preußen ist durch die Einheit der Regierungsgewalt geschaffen; die Regierung ist das „staatbildende Element“25. „So wenig die Volksvertretung Preußen gebildet hat, so wenig kann Preußen eine Volksvertretung bilden“26. „Es ist die Tatsache, daß somit die Kraft der Regierung die wesentlichste Bedingung der Existenz des preußischen Staates bildet“27. Die Volksvertretung „wird die Maßregeln der Regierung oft kritisieren, oft angreifen, aber diese Maßregeln werden niemals von ihr abhängig sein, wie in einem wahrhaft konstitutionellen Staate“28. Die Volksvertretung wird daher „nur die Stellung der Opposition“ einnehmen und „nie eine dauernde Majorität“ gegen die Re21 Lorenz von Stein, Zur preußischen Verfassungsfrage. Mit einem Nachwort von Carl Schmitt, Berlin 1940. – Herr Staatsrat Schmitt war so freundlich, mir die Fahnen dieser Veröffentlichung zur Verfügung zu stellen, wofür ich ihm besonders danke. 22 Ebd., S. 69. 23 Ebd., S. 89. 24 Ebd., S. 12. 25 Ebd., S. 22. 26 Ebd., S. 23. 27 Ebd., S. 41. 28 Ebd., S. 46.

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gierung finden; sie wird weder die Macht haben, ein Ministerium zu stürzen, noch zu bilden. „In der Tat hat in solchem Staate nicht die Volksvertretung, sondern die Regierung den Schwerpunkt des Staatslebens in ihrer Mitte“29. „Wo Verfassung und Regierung miteinander in ernstlichen Kampf geraten, (wird) die Regierung stets die Verfassung bewältigen“30. „Die Staatsregierung wird die Herrin bleiben in diesem preußischen Staat“31. Man sieht, das Urteil über die politische Wirklichkeit des preußischen „Konstitutionalismus“ ist eindeutig. Das Ergebnis aller kommenden Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Volksvertretung, das Ergebnis insbesondere des preußischen Verfassungskonflikts ist von Stein im Jahre 1852 mit der | ihm gegebenen Hellsichtigkeit vorweggenommen. Er geht soweit, der „Verfassung“ von 1850 den Charakter der Verfassung zu bestreiten, und er stellt dieser Art von „Konstitutionalismus“ den wahrhaft konstitutionellen Staat, d.h. den parlamentarischen, entgegen. Es gehörte in der Tat eine kalte Bedenkenlosigkeit dazu, ausgerechnet das gegenrevolutionäre preußische System der oktroyierten und der (rückwärts) revidierten Verfassung von 1848/50 als „Konstitutionalismus“ zu bezeichnen, und es ist, wie schon erwähnt, wenn man vom ursprünglichen Wortsinne ausgeht, berechtigt zu sagen, nicht dieses preußische System, sondern der Parlamentarismus sei der „wahre“ Konstitutionalismus. Aber es handelt sich hier um die ganz andere Frage, ob das (mit Recht oder Unrecht) sogenannte „konstitutionelle“ System Preußens nur eine Vorstufe des „parlamentarischen“ Systems war und ob damit die ganze Unterscheidung von konstitutioneller und parlamentarischer Monarchie eine „sekundäre und nur taktische Kompromißunterscheidung“ war32, oder ob hier ein wesenhafter und sachlicher Gegensatz vorliegt. Die Antwort Steins ist: Es kann keinen Zugang vom preußischen System in das parlamentarische geben, denn Preußen ist „verfassungsunfähig“, d.h. hier muß stets die Regierung und kann nicht die Volksvertretung die „Bedingung der Existenz des Staates“ und den „Schwerpunkt des Staatslebens“ bilden. Preußen ist seinen Voraussetzungen und seinem Wesen nach (und daher auch unter der „Verfassung von 1850“) ein exekutiver Regierungsstaat, kein parlamentarischer Gesetzgebungsstaat33 – das ist die entscheidende These, zu der Steins Aufsatz führt. Er bestätigt m. E. 29

Ebd., S. 47. Ebd., S. 38. 31 Ebd., S. 59. 32 Schmitt, Nachwort, in: ebd., S. 68. 33 Diese Unterscheidung entnehme ich Carl Schmitts Abhandlung „Legalität und Legitimität“ (1932), die allerdings die hier behandelten Fragen nur beiläufig streift und sie nicht entscheidet, indem die konstitutionelle Monarchie zunächst als „Gesetzgebungsstaat“ bezeichnet, dann aber betont wird, daß es in ihr „noch nicht zu einem parlamentarisch-demokratischen Gesetzgebungsstaat gekommen war“ (S. 29). 30

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die Auffassung, die ich in meinem Buche „Heer und Staat in der deutschen Geschichte“ (1938) über „Kommandogewalt und Konstitutionalismus“ (S. 179 ff.) vorgetragen habe. Während Lorenz v. Stein die Verfassungsunfähigkeit Preußens behauptete, hat er die Verfassungsfähigkeit Deutschlands angenommen. Eine deutsche Volksvertretung scheint ihm als staatbildende und staattragende Macht möglich; die preußische „Ver- | fassung“ ist ihm „eine große und ernste Vorarbeit“ für diese deutsche Mission. Auch diese Einsicht ist eine großartige Vorwegnahme, und ihre innere Wahrheit liegt in einer sehr tiefen Schicht des Geschehens. Auf die Oberflächenschicht der Verfassungsentwicklung selbst bezogen aber hat diese Voraussage sich als irrig erwiesen. Das Reich von 1871 wurde, ebenso wie der preußische Staat, nicht durch die Volksvertretung, sondern durch die Regierung geschaffen. Nicht das Parlament, sondern die Regierung bildete den „Schwerpunkt des Staatslebens“ auch im Reiche selbst, und nach seiner Verfassung war es (um die Terminologie Steins zu verwenden) nur ein scheinbar, kein wahrhaft konstitutioneller Staat. Das aber hängt damit zusammen, daß sämtliche Gründe, auf die Stein die Unfähigkeit Preußens für eine echte Volksvertretung zurückführte (mangelnde landschaftliche, soziale, wirtschaftliche Einheitlichkeit usw.), in demselben Maße, entgegen Steins Annahme, auch für das Deutsche Reich zutrafen. Daß er angenommen hat, der Zusammenschluß werde diese Uneinheitlichkeit beseitigen, ist der höchst merkwürdige Trugschluß in diesem Aufsatz. Der echte Gegensatz von konstitutionellem und parlamentarischem Staat, von Regierungsstaat und Gesetzgebungsstaat erhielt sich auch in dieser Epoche deutscher Verfassungsentwicklung; auch das deutsche Volk erwies sich als „verfassungsunfähig“ im Sinne des westeuropäisch-parlamentarischen Verfassungsbegriffs. Zu einer wirklichen Nachahmung des westeuropäischen Verfassungssystems ist es in Deutschland im 19. Jahrhundert nicht gekommen. Es liegt nahe, hier einzuwenden, der Konstitutionalismus habe im Reich – vielleicht anders als in Preußen – ein labiles, kein stabiles Gleichgewicht gebracht, und die innere Logik habe hier doch in den Parlamentarismus getrieben. In der Tat ist fast die ganze Zeit des konstitutionellen Systems im Zweiten Reich von Kämpfen der Regierung gegen das Parlament erfüllt, das indirekt auf dem Wege über sein Gesetzgebungs- und Budgetrecht und später auch direkt durch Angriffe auf Kaiser und Kanzler und Eingriffe in die Rechte der Staatsführung nach einer Parlamentarisierung des Reiches strebte. Aber das eigentlich Aufregende dieser Kämpfe besteht doch darin, daß ein seit Bismarcks Sturz führungslos gewordenes politisches System dem Parlamentarismus durch drei Jahrzehnte hindurch noch Widerstand leisten konnte34. | Das ist gewiß nicht nur ein Zeichen für die 34

Vgl. Huber, Verfassungskrisen.

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Stärke des Konstitutionalismus, wenn auch das Beharrungsvermögen der spezifisch konstitutionellen Kräfte in Armee und Bürokratie hier von wesentlicher Bedeutung war. Wichtiger aber war die innere Schwäche des Parlamentarismus, der auch in dieser Zeit der „Dauerkrise“ des Zweiten Reichs nicht imstande war, sich in der Verfassung durchzusetzen. Eben darin, daß der Parlamentarismus die Kraft zur Opposition, nicht aber die Fähigkeit zur leitenden Bestimmung und zur aufbauenden Gestaltung des Staates besaß, zeigt sich, daß er in Deutschland – anders als in den westlichen Ländern – nicht die folgerichtige Entfaltung, sondern der innere Gegensatz des Konstitutionalismus war. Träger des Konstitutionalismus waren in Preußen und dem Reich die Armee und die Bürokratie, Träger des Parlamentarismus die bürgerlichen Parteien. Dieser Gegensatz der politischen und sozialen Struktur hatte einen verfassungsrechtlichen Unterschied zur Folge, der nicht nur in taktischen Modalitäten des Systems, sondern im Wesen selbst bestand. III. Der Neubau der Völkerrechtstheorie Von nicht geringerem Range als die staatstheoretischen sind die völkerrechtlichen „Positionen und Begriffe“, die in der Sammlung der Arbeiten Carl Schmitts sichtbar werden. Die zahlreichen, über viele Jahre verstreuten und aus den mannigfaltigsten Anlässen entstandenen Reden, Aufsätze und Skizzen zur Völkerrechtstheorie stehen, wenn man sie jetzt geschlossen vor sich sieht, in einem frappierenden inneren Zusammenhang und wirken, wenn nicht als systematische Studie, so doch als eine folgerichtig durchgeführte Reihe von Beiträgen zu einem großen Thema. Dieses Generalthema ist die rechtliche Struktur der Völkerordnung unserer Epoche, genauer die innere Gestalt des imperialistischen Völkerrechts, das sich in diesen Jahrzehnten entwickelt hat. Es ist die besondere wissenschaftliche Gabe Schmitts, neue Tendenzen und Strukturen unter der Oberfläche alter Systeme und hinter den Masken und Schleiern herkömmlicher Formeln zu spüren und durch begriffliche Fassung an das Licht und in das Bewußtsein zu heben. Als Schmitt im Frühjahr 1939 in Kiel mit der Rede über die „Großraumordnung“ hervortrat, um damit die Triebkräfte und die Gestaltungsformen des werdenden Völkerrechts | zu bestimmen, ist kaum beachtet worden, daß es sich hier um die letzte und schärfste Formulierung einer Einsicht handelte, die die gesamten völkerrechtlichen Studien Schmitts von Anfang an leitete. Diese Einsicht besteht darin, daß das Zeitalter des auf der Gleichberechtigung, Unabhängigkeit und Souveränität aller Staaten beruhenden Völkerrechts abgelaufen ist und daß ein Zeitalter der „Großräume“ heraufzieht. Dem Erscheinungsbild dieses modernen Imperialismus hat die völkerrechtstheoretische Forschung Schmitts stets gegolten.

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Der Imperialismus der Demokratien Die frühen Arbeiten Schmitts gehen diesem Problem zunächst dort nach, wo es sich in dem besondern völkerrechtlichen Status zeigt, den das Versailler Diktat dem Rheinlande zuwies. In der Rede von 1925 über „Die Rheinlande als Objekt internationaler Politik“ (S. 26 ff.) wird aufgedeckt, wie in den modernen Machtsystemen offene Annexion und offene Herrschaft vermieden und statt dessen die Methoden eines Systems von Kontroll- und Interventionsrechten ausgebildet werden. „Die Folge dieser Methode ist, daß Worte wie Unabhängigkeit, Freiheit, Selbstbestimmung, Souveränität ihren alten Sinn verlieren“ (S. 30). „Elementare Begriffe, wie Krieg und Frieden, ohne deren klare Unterscheidung ein Zusammenleben der Völker überhaupt unmöglich ist, verlieren ihren einfachen Sinn und lösen sich auf in einen quälenden Zwischenzustand“ (S. 33). Für den Versuch, den durch solche Methoden der verdeckten Herrschaft bestimmten status quo am Rhein durch Verträge zu legalisieren und zu garantieren, findet sich die schneidende Feststellung: „Wenn der status quo nicht selbst schon der Friede ist, so ist seine Garantie etwas Schlimmeres als ein Krieg, nämlich die Legalisierung eines unerträglichen Zwischenzustandes von Krieg und Frieden, in welchem der politisch Mächtige dem politisch Schwachen nicht nur das Leben, sondern auch sein Recht und seine Ehre nimmt“ („Der Status quo und der Friede“, S. 33 ff.). Damit aber ist gesagt, daß überhaupt die Grundbegriffe des bisherigen Völkerrechts durch die Methoden des Imperialismus zerstört werden, denn dieses alte Völkerrecht baute sich auf der Unabhängigkeit und Souveränität der Staaten und auf der begrifflichen Unterscheidung von Krieg und Frieden auf. Schmitt hat als erster darauf | aufmerksam gemacht, daß diese Unterwerfung des Rheinlandes unter fremde Kontrolle „im Zusammenhang der modernen Methoden imperialistischer Unterwerfung und Ausbeutung fremder Staaten“ betrachtet werden muß („Völkerrechtliche Probleme im Rheingebiet“, S. 97 ff.). In diesen drei Arbeiten zum Rheinproblem fällt das Wort von den „indirekten Gewalten“ noch nicht, das später von so entscheidender Bedeutung bei Schmitt geworden ist, aber es steht förmlich zwischen den Zeilen und kennzeichnet mit einer knappen Formel die hier geschilderte „konkrete Völkerrechtslage“ der entmilitarisierten Zone. In dieser „furchtbaren Gesamtlage“ wird das deutsche Volk auf „sein natürliches, selbstverständliches und allererstes Recht“ verwiesen – „nämlich das Recht auf eine freie, unabhängige, einige und ungeteilte Existenz“ (S. 108). Das Versailler Diktat erscheint hier als ein Anwendungsfall des seit langem entwickelten Stils des demokratischen Imperialismus. Die Grundbegriffe des klassischen Völkerrechts – Freiheit, Unabhängigkeit und Einheit des Staates – dienen als Waffen im Kampfe gegen die Methoden des modernen Imperialismus der west-

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lichen Demokratien. Diese polemische Situation ist ein Indiz dafür, daß das klassische Völkerrecht überhaupt ein Gegenrecht der Völker gegen die Bildung imperialer Großräume war. Das „moderne“ Völkerrecht jedenfalls hat sich als ein solches Gegenrecht entwickelt – erst als Gegenrecht gegen das alte Reich, dann als Gegenrecht gegen die neuen Versuche hegemonialer Großraumbildung auf dem Kontinent überhaupt. Auch England hat sich des klassischen Völkerrechts bedient, um die Bildung eines hegemonialen Imperialismus auf dem Kontinent zu verhindern, allerdings mit dem geheimen Ziele, eben dadurch die Rückenfreiheit für die Bildung seines überseeischen Imperiums zu gewinnen. Es hat sich daher gleichzeitig ein vom allgemeinen Völkerrecht in allen Grundsätzen abweichendes Seekriegsrecht geschaffen, das die Bildung seines imperialistischen Weltsystems ermöglichte, indem es die Grundsätze der Freiheit, Unabhängigkeit und Gleichberechtigung der Staaten zur See verleugnete. Das geschlagene Deutschland stand nach dem Weltkrieg in dieser Front der Völker, die das alte Völkerrecht als Widerstandsrecht gegen Hegemonie und Imperialismus benutzten – und diese Position ist die Ausgangslage, in der Schmitt sich dieser völkerrechtlichen Frage angenommen hat. Das gleiche Problem des hegemonialen Imperialismus traf | Schmitt bei der Untersuchung des Völkerbundes an. Da dieser seiner Ideologie nach darauf angelegt war, den Pluralismus der unabhängigen, souveränen Staaten durch den Universalismus einer weltumspannenden bündischen Organisation zu überwinden, lag hier ein systematischer Versuch vor, das klassische Völkerrecht durch ein universales Völkerbundsrecht zu ersetzen. Diesem Versuch ist Schmitt zuerst in der Abhandlung „Die Kernfrage des Völkerbundes“ (1926) entgegengetreten; in die Sammlung ist davon nur der kurze Schlußabschnitt „Das Doppelgesicht des Genfer Völkerbundes“ aufgenommen (S. 43 ff.). Die Kernfrage des Völkerbundes wird hier dahin gestellt, ob er wirklicher Bund oder nur ein „Büro“, eine Konferenz- und Vermittlungsangelegenheit ist; die Frage wird dahin beantwortet, daß er beides sein kann: ein „dienstbereites, bescheidenes Zweckgebilde“ gegenüber den westlichen Großmächten – ein echter Bund mit strengem justizförmigem Verfahren und Sanktionen gegenüber einem schwachen und entwaffneten Staat. Diese Aussage enthält eigentlich schon – wenn sie auch nicht ausdrücklich getroffen wird – die Feststellung, daß der Völkerbund ein Instrument im Dienst der westlichen Großmächte gegenüber den kleineren und insbesondere den schwachen und entwaffneten Staaten war, d.h. daß sich hinter der Maske der universalen Völkergemeinschaft die Wirklichkeit des westlichdemokratischen Imperialismus verbarg. Der Aufsatz „Der Völkerbund und Europa“ (S. 88 ff.) verwirft daher die Möglichkeit, den Genfer Völkerbund zur Grundlage einer europäischen Ordnung zu machen, da er weder der Ausdruck einer gesamteuropäischen Selbstbestimmung noch der Schieds-

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richter in den eigentlich entscheidenden europäischen Fragen sein kann. Der Aufsatz von 1936 „Die siebente Wandlung des Genfer Völkerbundes“ (S. 210 ff.) schließt diese Gruppe ab, indem er zeigt, wie der Völkerbund durch den Eintritt oder Austritt von Großmächten seine Substanz, seinen Geist und seinen inneren Sinn jeweils gewandelt hat (S. 211). Auch das hängt damit zusammen, daß der Völkerbund ein Instrument im Dienste von Großmächten war; sein Sinn ändert sich daher, wenn der Kreis der Großmächte, die sich des Instrumentes bedienen, ein anderer wird. Doch wird dabei zu bedenken sein, daß die beiden Großmächte, die sich das Instrument geschaffen und die sich die entscheidende Position in der Apparatur zu sichern gewußt hatten, bei allen Änderungen die gleichen geblieben sind. Deshalb hat | sich auch bei allen Wandlungen des Völkerbundes der strukturbestimmende Zweck nicht geändert: den status quo des Versailler Diktats zu garantieren, d.h. den Wiederaufstieg Deutschlands zu verhindern und die Hegemonie der westeuropäischen Imperien England und Frankreich zu erhalten. Carl Bilfinger hat im einzelnen gezeigt35, wie der Völkerbund hinter der Maske eines universalen Systems in Wahrheit eine „hegemonische Organisation“ der westeuropäischen Großmächte aufgerichtet hat und wie diese in den Sanktionen, deren Anwendung gegen die Hauptmächte ausgeschlossen war, sich ein Instrument zur Sicherung ihrer Hegemonie geschaffen haben. Die Schriften von Bilfinger protestieren gegen dieses hegemonische, imperialistische System vom Standpunkte des klassischen Völkerrechts und der in ihm verwurzelten Unabhängigkeit, Gleichberechtigung und Souveränität der Staaten aus. Der Völkerbundspakt erscheint daher hier als ein Angriff gegen die Struktur des Völkerrechts. Schmitt hat eine solche These nicht aufgestellt, aber seine Untersuchungen des Völkerbundes treffen sich mit den Arbeiten Bilfingers in der Polemik gegen eine angeblich universalistische Ordnung, die in Wahrheit den Imperialismus der westeuropäischen Großmächte nur notdürftig verbirgt und den Aufbau eines wahren Völkerrechts verhindert. Das zentrale Thema ist von Schmitt dann in der 1932 gehaltenen Rede über „völkerrechtliche Formen des modernen Imperialismus“ (S. 162 ff.) unmittelbar angeschnitten worden. Die Rede beschäftigt sich mit dem nordamerikanischen Imperialismus und zeigt insbesondere, wie aus der MonroeDoktrin, dem „defensiven Pronunziamento eines kleinen Kolonialstaates im Jahre 1823 . . . ein völkerrechtliches Instrument der Hegemonie dieses Staates über den großen amerikanischen Kontinent“ geworden ist (S. 165). Die 35 Carl Bilfinger, Völkerbundsrecht gegen Völkerrecht, München 1938 (= Schriften der Akademie für Deutsches Recht. Gruppe Völkerrecht, 6). – Ders., Der Völkerbund als Instrument britischer Machtpolitik, Berlin 1940 (= Schriften des Deutschen Instituts für außenpolitische Forschung und des Hamburger Instituts für auswärtige Politik, 9).

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Rede zeigt insbesondere an einem deutlichen Beispiel den in der Geschichte des Imperialismus immer wieder hervortretenden Umschlag aus der NichtIntervention in die Intervention: „Man ging von der prinzipiellen Unzulässigkeit einer Intervention, von dem feierlich betonten ‚Grundsatz der NichtIntervention‘ aus und endete damit, daß man in ebenderselben | Doktrin die Rechtfertigung für Interventionen der Vereinigten Staaten in die Angelegenheiten anderer amerikanischer Staaten fand“ (S. 165). Die Rede untersucht dann die bekannte Streitfrage, ob die Monroe-Doktrin politische Maxime oder wirkliches Völkerrecht ist, und hebt hervor, daß die hier hervortretende „Offenhaltung der Alternative Recht oder Politik“ wie überhaupt die „merkwürdige Elastizität und Dehnbarkeit“, die „Offenhaltung aller Möglichkeiten“ typisch für jeden „echten und großen Imperialismus“ ist (S. 169). Es gehört zu diesen Merkmalen des Imperialismus auch die „Fähigkeit, von sich aus den Inhalt politischer und rechtlicher Begriffe zu bestimmen“, etwa der Begriffe Intervention, Unabhängigkeit, Gleichberechtigung usw., und Schmitt weist darauf hin, wie gefährlich diese Seite des Imperialismus „für ein in der Defensive stehendes Volk“ ist – „vielleicht noch gefährlicher als militärische Unterdrückung und ökonomische Ausbeutung“ (S. 179). Die Rede enthält also noch durchaus die polemische Wendung gegen den Imperialismus, ist aber doch zugleich auch von Anerkennung, wenn nicht Bewunderung, gegenüber dem „echten und großen Imperialismus“ erfüllt. Das Jahr 1932, in dem diese Rede gehalten wurde, ist in vielem für Deutschland das Jahr der großen Wende, und sie kündet sich bei dieser Untersuchung des Imperialismus in einem sehr wichtigen Punkte an: neben dem bloßen Protest wird hier zum ersten Male die Anerkennung gegenüber dem staatenübergreifenden, hegemonialen Imperialismus laut. Die Zerstörung des Kriegsbegriffs Das unmittelbare Ergebnis des Imperialismus war, wie schon die Rheinlandrede hervorhob, die Zerstörung des klassischen Kriegsbegriffs. Die klare und eindeutige Unterscheidung von Krieg und Frieden, auf der die überlieferte Völkerordnung beruhte, ging insbesondere im Rahmen des Genfer Völkerbundsrechtes verloren. Schmitt hat diese Zerstörung des Kriegsbegriffs wiederholt dargelegt, am schärfsten in der Schrift über den „diskriminierenden Kriegsbegriff“ (1938), die in die „Positionen und Begriffe“ nicht aufgenommen ist36. Schmitt zeigt zunächst an dem neuen völkerrechtlichen System von Georges Scelle, daß der „Krieg“ hier keinen | Platz mehr hat; „denn er ist entweder Recht, und dann kein Krieg, oder Un36 Carl Schmitt, Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff, München 1938 (= Schriften der Akademie für Deutsches Recht. Gruppe Völkerrecht, 5).

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recht, und dann nur noch ein Verbrechen“37. Auch das englische Schrifttum, in diesem Punkte insbesondere vertreten durch Arnold Mc Nair, sucht die Unterscheidung von gerechten und ungerechten Kriegen auf der Grundlage der Art. 10 und 16 der Völkerbundsatzung wieder zu beleben38. So ergibt sich der Versuch, an der Stelle des klassischen „nicht-diskriminierenden“ Kriegsbegriffs einen „diskriminierenden“ Kriegsbegriff durchzusetzen, der es einer Gruppe von Staaten ermöglicht, mit Wirkung für die unmittelbar Beteiligten und für Dritte die völkerrechtliche Entscheidung über Recht oder Unrecht des Krieges zu fällen39. Damit ist „der Anspruch erhoben, nicht nur im eigenen Namen, sondern auch im Namen einer höheren, das heißt überstaatlichen Ordnung und Gemeinschaft aufzutreten“; das bedeutet aber, es „ist ein universaler oder regionaler Herrschaftsanspruch erhoben“40. Daß damit der Begriff des Krieges überhaupt preisgegeben wäre, ist evident; „die bewaffnete Aktion (ist dann) auf der gerechten Seite nur Rechtsverwirklichung, Sanktion, internationale Justiz oder Polizei; auf der ungerechten Seite ist sie nur Widerstand gegen rechtmäßiges Vorgehen, Rebellion oder Verbrechen und jedenfalls etwas anderes als die überkommene Rechtsinstitution ‚Krieg‘41. Diesen Konsequenzen des diskriminierenden Kriegsbegriffs gegenüber stellt Schmitt fest, „daß auch heute noch ein Krieg zwischen zwei Staaten etwas anderes ist als Mord, Raub und Piraterie. Bevor der Kriegsbegriff beseitigt und aus einem Staatenkrieg zu einem internationalen Bürgerkrieg wird, müssen erst die staatlich organisierten Völker beseitigt werden. Der Krieg hat seine Ehre und Würde darin, daß der Feind kein Pirat und kein Gangster, sondern ein ‚Staat‘ und ein ‚Völkerrechtssubjekt‘ ist. Das wird gelten, solange es mit einem jus belli (im Sinne des jus ad bellum) ausgestattete politische Organisationen gibt“42. In den Zusammenhang, der durch diese Grundanschauung hergestellt wird, gehören die Aufsätze der „Positionen und Begriffe“, die sich mit dem völkerrechtlichen Problem des Krieges befassen. An ihrer Spitze steht der Aufsatz „Über die innere Logik der Allgemeinpakte auf gegenseitigen Beistand“ (S. 204 ff.), der, schon 1935 geschrieben, die Dialektik der Beistandspakte, wie sie | im Jahre 1939 allgemein sichtbar hervorgetreten ist, vorweg enthüllt hat. Hier ist bereits festgestellt, daß ein Beistandspakt „bei allzugroßer Verschiedenheit des politischen Gewichts der Vertragsstaaten ein Protektoratsvertrag auf Schutz und Gehorsam“ wird (S. 205). Es ist gesagt, 37 38 39 40 41 42

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. S. S. S. S. S.

21. 36. 40. 41. 42 f. 48 f.

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daß die „automatische Bestimmung“ des Angreifers notwendig versagt und daß im letzten Ende der zum Beistand Verpflichtete „für sich selbst entscheidet, wann, wie und was er zu leisten hat“, daß also die Pflicht zum Beistand eigentlich nur ein Recht zum Beistand ist (S. 207). Der Aufsatz „Totaler Feind, totaler Krieg, totaler Staat“ (S. 235 ff.) hat vor allem das Verdienst, die besondere Eigenart der Totalität des englischen Seekrieges hervorgehoben zu haben; hier, im englischen Seekrieg, entwickelt sich der Begriff des totalen Feindes, der die Unterscheidung von Kombattant und Nichtkombattant nicht kennt, und der Begriff des totalen Krieges, der insbesondere den Wirtschaftskrieg mit einbezieht (S. 238). Der Aufsatz über den „Begriff der Piraterie“ (S. 240 ff.) zeigt, wie von diesem englischen Völkerrechtsdenken aus der Versuch gemacht wird, bestimmte Verstöße gegen Regeln des Seekriegsrechts zur Piraterie zu stempeln, „mit der Folge, daß ein Staat verpflichtet ist, die Staatsangehörigen oder Staatsorgane, für die er verantwortlich ist, gegenüber anderen Staaten preiszugeben und auszuliefern“ (S. 242). Besondere Bedeutung besitzt schließlich die erstmalig veröffentlichte Übersicht „Über das Verhältnis der Begriffe Krieg und Feind“ (S. 244 ff.). Es wird hier insbesondere, ausgehend von dem Satz „Inter pacem et bellum nihil est medium“, dargetan, wie diese klare Unterscheidung durch die Entwicklung des Völkerbundsrechtes verloren gegangen ist und sich so „der juristisch ausgebaute, durch Kellogpakt und Völkerbund institutionalisierte Zwischenzustand zwischen Krieg und Frieden“ ergeben hat (S. 249), der die bisherigen begrifflichen Grundlagen des Völkerrechtes hinfällig macht43. Alle diese Feststellungen treten in der Form einer Polemik gegen das Völkerbundssystem und die durch es hervorgerufenen Zerstörungen der Struktur und Begrifflichkeit des bisherigen Völkerrechts hervor. Aber diese polemische Haltung hat Schmitt doch nicht dazu verleitet, einfach an dem Kriegsbegriff des klassischen | Völkerrechts festzuhalten44. Allerdings bestimmen diese Aufsätze den eigenen Standort des Verfassers noch nicht positiv. Wenn man gewisse Andeutungen in späteren Arbeiten Schmitts hinzunimmt, so ergibt sich zu dieser Frage jedoch vor allem, daß der klassische Kriegsbegriff in seinem Kerne getroffen ist durch das Aufkommen des Großraumgedankens, also des imperialistischen Prinzips. Wenn es richtig ist, daß durch das Prinzip der Großraumordnung das jus belli der Staaten vernichtet ist und nur noch die Imperien ein selbständiges jus belli besitzen, so erscheinen alle Feststellungen, die zunächst einmal polemisch gegen das Völkerbundssystem getroffen sind, in einem neuen Lichte. Da nämlich der Völkerbund nichts anderes bedeutete als eine universalistische Tarnung des englisch-französischen Impe43 Dieses Wort vom „Zwischenzustand zwischen Krieg und Frieden“ findet sich, wie oben bereits erwähnt, schon in einem Aufsatz von 1925 (S. 42). 44 Schmitt, Wendung, S. 52 f.

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rialismus, ist das Kriegsrecht des Völkerbundes nur der Versuch, im Sinne dieser imperialen Doktrin das ausschließliche und gemeinsam auszuübende jus belli der beiden Westmächte festzulegen. Wer sonst in dieses imperiale System einbezogen ist, besitzt ein selbständiges jus belli nicht. Er kann entweder, indem er bei Sanktionen mitwirkt, an dem jus belli der beiden Hauptmächte teilnehmen. Oder er kann, wenn er sich gegen die imperiale Ordnung wendet, zum Gegenstand des jus belli werden, besitzt aber selbst ein wirkliches jus belli nicht mehr, und er führt nicht Krieg, sondern begeht eine Aggression, die dann durch die imperiale Exekution niedergeschlagen wird. Das einseitige jus belli der demokratischen Imperien ist also der reale Hintergrund der Völkerbundsideologie. Was Schmitt ihr im letzten Grunde entgegensetzt, ist nicht die Rückkehr zum alten Völkerrechtssystem mit dem jus belli aller Staaten, sondern eine neue imperiale Konzeption, die vom Großraumgedanken ausgeht und so zu einer dem Völkerbundssystem entgegenstehenden neuen europäischen Ordnung gelangt („Der Reichsbegriff im Völkerrecht“, S. 303 ff.). Den klassischen Begriff des Staatenkrieges kann es in dieser neuen „Großraumordnung“ nicht mehr geben; aber auch die einseitige Anmaßung des demokratischen Imperialismus, sich durch den Völkerbund ein Monopol auf das jus belli zu schaffen, ist zerbrochen. Es entsteht, wenn ich Schmitt richtig verstehe, nach seiner Ansicht ein System, in dem die „Reiche“ allein das jus belli besitzen – oder, was auf dasselbe hinauskommt, eine Ordnung, in der das Volk, das sich als Träger eines selbständigen jus belli er- | weist, ein Völkerrechtssubjekt ersten Ranges, d.h. ein „Reich“ ist. Die Zerstörung des Neutralitätsbegriffes Mit dem klassischen Begriff des Krieges tritt notwendig der überlieferte Begriff der Neutralität in eine innere Krise, ein Sachverhalt, der sich in der völkerrechtlichen Theorie seit langem abgezeichnet hat. Auch hier hat die deutsche Wissenschaft bisher grundsätzlich an dem Versuch festgehalten, den klassischen Begriff der Neutralität im Sinne einer völligen Enthaltung von jeder Stellungnahme und Hilfeleistung in dem Konflikt der kriegführenden Mächte zu bewahren. Der Kampf der deutschen Völkerrechtslehre ging hier um eine echte und wirkliche Neutralität, die nicht nur die Unterlassung jeder militärischen Hilfeleistung, sondern auch den Verzicht auf jede wirtschaftliche oder moralische Diskriminierung einer der kriegführenden Parteien zum Inhalte hatte. G.[ustav] A.[dolf] Walz hat in der Schrift „Nationalboykott und Völkerrecht“ die Konsequenzen dieser wirtschaftlichen Neutralität entwickelt45; C.[arl] Bilfinger hat in dem Aufsatz 45 Gustav Adolf Walz, Nationalboykott und Völkerrecht, Berlin 1939 (= Schriften der Akademie für Deutsches Recht. Gruppe Völkerrecht, 7).

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„Neutralität und Presse“ das Prinzip der moralischen Neutralität näher dargelegt46. Auch die Arbeiten von Schmitt gehen zunächst von diesem überlieferten Begriff der Neutralität in der Bedeutung der strengen Unparteilichkeit aus und dehnen dieses Erfordernis der Unparteilichkeit auf das wirtschaftliche und moralische Gebiet aus („Das neue Vae Neutris!“, S. 251 ff.). Aber der genannte Aufsatz, der sich mit einem berühmten Beitrag von Sir John Fischer Williams47 auseinandersetzt, weist dann doch eben auch darauf hin, daß mit dem Gedanken eines „gerechten Krieges“ die Möglichkeit einer Neutralität entschwindet. Diese Feststellung ist zunächst noch polemisch gefaßt, indem sie sich gegen den Anspruch des Genfer Völkerbundes und der in ihm maßgebenden Westmächte wendet, über die Gerechtigkeit eines Krieges und damit über die Grenzen der Neutralität zu entscheiden. Aber in dieser Polemik ist doch schon das Bewußtsein lebendig, daß in der Dialektik des „werdenden Völkerrechts“ der überlieferte Be- | griff der Neutralität in eine gefährliche und fast hoffnungslose Lage gerät. Es ist zweifelhaft, ob der zweite Beitrag zu diesem Problem („Völkerrechtliche Neutralität und völkische Totalität“, S. 255 ff.) dieser Einsicht ganz gerecht wird. Hier wird betont, daß „die Totalität eines Volkes oder eines völkischen Staates vor allem eine auf ihn selbst bezogene Angelegenheit ist“, und es wird dann ausgerufen: „Je mehr sich ein Volk ganz auf sich selbst besinnt, erkennt es mit seiner Eigenart auch seine Grenzen, erwacht sein Respekt vor der Eigenart und den Grenzen anderer Völker und entsteht erst die sichere Grundlage für das Verständnis der völkerrechtlichen Neutralität eines Volkes in den Konflikten dritter Völker“ (S. 256 f.). Auch der Aufsatz „Neutralität und Neutralisierungen“ (S. 271 ff.) hält an dieser Position fest, indem er betont: „Völkische Totalität und völkerrechtliche Neutralität heben sich nicht auf. Sie bedingen und stützen sich gegenseitig“ (S. 286). In diesen Sätzen ist noch nichts davon ausgesagt, daß das Prinzip der Totalität ein Volk auch über sich selbst hinausweisen kann und daß die Totalität eines Volkes, das sich als „starke Mitte“ eines werdenden Großraumes empfindet, etwas wesentlich anderes bedeutet als eine nach innen gewandte Totalität der wirtschaftlichen, geistigen und politischen Autarkie. Daß das Prinzip einer solchen imperialen Totalität den überlieferten Begriff der Neutralität nicht unberührt lassen kann, ist eine Selbstverständlichkeit, deren sich Schmitt natürlich in besonderem Maße bewußt gewesen ist, wenn auch die erwähnten Aufsätze darüber noch nichts enthalten. Daß jedoch 46

Carl Bilfinger, Neutralität und Presse, in: Monatshefte für Auswärtige Politik 6 (1939), S. 783 ff. 47 John Fischer Williams, Sanctions under the Convenant, in: The British Yearbook of international law 17 (1936), S. 130 ff., hier S. 148 f.

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Schmitt die Krise des völkerrechtlichen Neutralitätsbegriffs voll erkannt hat, zeigt sich daran, daß er in dem Aufsatz „Neutralität und Neutralisierungen“ den „Strukturzusammenhang der innerstaatlichen, liberal-konstitutionellen Neutralität mit der Auffassung von Inhalt und Umfang der völkerrechtlichen Neutralität“ besonders eindringlich betont. Wenn ein solcher Strukturzusammenhang besteht, dann kann doch wohl die Überwindung der innerstaatlichen Neutralität durch das Prinzip der Totalität nicht ohne Einfluß auf die strukturell mit ihr verbundene völkerrechtliche Neutralität bleiben. Das braucht noch nicht zu bedeuten, daß die völkische Totalität jede Art von völkerrechtlicher Neutralität aufhebt, aber es folgt daraus zumindest, daß der Begriff der völkerrechtlichen Neutralität einem völligen Strukturwandel unterworfen sein muß, wenn die inner- | politische Neutralität aufhört. Die seither eingetretenen Ereignisse haben denn auch gezeigt, daß der Versuch, den überlieferten Begriff der Neutralität zu erhalten, aussichtslos war. Die völkerrechtliche Großraumordnung So tritt in den völkerrechtlichen Arbeiten Schmitts von 1925 bis 1938 die polemische Auseinandersetzung mit einem unter der Maske von Universalismus und Föderalismus verborgenen imperialen Völkerrecht immer wieder hervor. Doch erst im Jahre 1939 erfährt diese Polemik ihre positiv-schöpferische Wendung, indem der Gedanke des Großraumes als das Prinzip des werdenden Völkerrechts erscheint, von dem aus sowohl das klassische Völkerrechtssystem wie das universalistische oder föderalistische Völkerbundssystem überwunden werden soll. Schmitt hat diese Konzeption zuerst auf der Kieler Tagung des Instituts für Politik und Internationales Recht 1933 vorgetragen48; er hat sie dann durch den im Sammelband enthaltenen Aufsatz „Großraum gegen Universalismus“ (S. 295 ff.) ergänzt, während der Beitrag „Der Reichsbegriff im Völkerrecht“ (S. 303 ff.) den Schlußteil der größeren Arbeit darstellt49. In diesen Arbeiten tritt an die Stelle eines Völkerrechts, das auf der Gleichberechtigung und Unabhängigkeit der nationalen, souveränen „Staaten“ beruhte, die Konzeption eines neuen Völkerrechts, dessen Träger und „Kreatoren“ die „Reiche“, d.h. die wirtschaftlich und militärisch zu wirklicher Selbständigkeit befähigten Großräume sind50. Der „Großraum“ ist dabei nicht als eine Art von Großstaat oder Überstaat 48

Carl Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht, Berlin 1939 (= Schriften des Instituts für Politik und internationales Recht an der Universität Kiel, NF 7). 49 Dazu sind inzwischen die Aufsätze: ders., Reich und Raum, sowie: ders., Raum und Großraum, getreten.

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gedacht, der einfach auf der Erstreckung der staatlichen Herrschaft und Hoheit und der Ausdehnung der staatlichen Gren- | zen auf weitere Gebiete beruht, sondern es ist an ein lockeres und weithin unsichtbares System wirtschaftlicher und doch wohl auch militärischer Zusammenhänge gedacht, in dessen Kern ein „Reich“ steht, das ein „Interventionsverbot für raumfremde Mächte“ durchzusetzen vermag. Die Monroedoktrin gilt daher als der echte Präzedenzfall des völkerrechtlichen Großraumprinzips, während das britische Weltreich nicht als ein echter, in sich geschlossener Großraum, sondern nur als ein „System von Verkehrswegen“ dargestellt wird. Deutschland im Verhältnis zu Südosteuropa erscheint in der Rede von 1939 als ein neuer Großraum dieser Art, dessen besondere Eigenart durch die Verbindung gekennzeichnet wird, die sich aus dem Zusammenhang der deutschen Volksgruppen in diesem Raum ergibt. Die besondere völkerrechtliche Konsequenz dieses Großraumprinzips besteht darin, daß nur noch die Träger von Großräumen ein wirkliches jus belli haben, während die bloßen „Staaten“ das selbständige jus belli verlieren. Die von Schmitt nicht ausgesprochene, aber doch wohl unabweisbare Folgerung ist dann die, daß die bloßen „Staaten“ auch das Recht zur Neutralität verlieren, da dieses nur die Kehrseite des jus belli ist; es bleibt allenfalls eine Pflicht zur Neutralität, deren Garanten die „Reiche“ sind, übrig. Es ist kein Zweifel, daß mit diesem Begriff des Großraums die politische Wirklichkeit des gegenwärtigen Völker- und Staatenlebens ihren adäquaten Ausdruck gefunden hat. Schon lange vor dem Ausbruch des Krieges hat sich immer deutlicher ein politisches System abgezeichnet, dessen entscheidende Träger nicht die Vielzahl großer und kleiner Staaten waren, sondern das durch die großen und führenden Mächte gestaltet wurde, deren bestimmender Einfluß sich über ihr eigentliches Staatsgebiet auf einen weitgedehnten Großraum erstreckte. So sagt denn auch Schmitt, daß schon die bisherige Geschichte des Völkerrechts in Wahrheit eine Geschichte von „Reichen“ ist51. Nicht die Gleichberechtigung und Unabhängigkeit aller Staaten, sondern die Hegemonie der führenden Mächte war das Strukturprinzip der politischen Wirklichkeit. Heinrich Triepel hat in seinem umfassenden Werk über „Die Hegemonie“ dieses Prinzip durch die Geschichte der Völker- und Staa50

Ob es glücklich ist, hier den Plural „Die Reiche“ zu verwenden, und ob es nicht besser wäre, den Begriff des „Reiches“ auf die konkrete Gestalt des Großdeutschen Reiches zu beschränken (was ich für richtig halte), ist eine in diesem Zusammenhang untergeordnete terminologische Frage, die deshalb nur nebenbei erwähnt sei. Sicher ist, daß der Begriff des Reiches nicht einfach an die Stelle des „Deutschen Staates“ gesetzt werden kann, sondern daß er die Ordnungsaufgabe mit umschließt, die das Großdeutsche Reich über seine staatlichen Grenzen hinausweist (vgl. Ernst Rudolf Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, Hamburg 1939, S. 157; auch schon ders., Verfassung, 1937, S. 60). 51 Schmitt, Reich und Raum, S. 202.

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tenordnung verfolgt52 und damit wesentlich zur Er- | hellung der Situation beigetragen, was Schmitt in einer ausführlichen Besprechung des Buches besonders hervorgehoben hat53. Es ist offenbar, daß Metternich wie Bismarck den Versuch gemacht haben, die europäische Ordnung auf den Vorrang der Großmächte zu gründen und durch eine „Pentarchie“ und ein „Konzert der Mächte“ den europäischen Frieden zu gewährleisten. Die Völkerrechtslehre des 19. Jahrhunderts, der dieser Sachverhalt natürlich nicht entgangen ist, bekannte sich jedoch zu der Auffassung, daß dieser Vorrang der Großmächte nur politische, keine rechtliche Bedeutung habe. So hat noch vor wenigen Jahren ein besonderer Kenner des Problems der Hegemonie, Carl Bilfinger, betont, die Hegemonie könne „wegen ihrer Unvereinbarkeit mit der völkerrechtlichen Grundanschauung nicht im eigentlichen Sinne eine völkerrechtliche Institution sein“; die tatsächliche Ungleichheit der Staaten hebe die rechtliche Gleichheit – das Prinzip eines verhältnismäßigen Ausgleichs unter den Staaten – nicht auf. „Der Grundsatz der Staatengleichheit . . . bedeutet mehr als lediglich ein Rechtsprinzip der völkerrechtlichen Ordnung: Er ist der vollkommenste Ausdruck des Sinnes und Inhaltes dieser Ordnung, er ist maßgebend für das Verhältnis von Recht und Macht der Staaten untereinander. Wer den Gleichheitssatz in der Lehre und Wissenschaft des Völkerrechts angreift, gleichviel mit welcher Begründung, muß sich darüber klar sein, daß er damit wider das Völkerrecht streitet“54. Diese Sätze werden hier angeführt, um zu verdeutlichen, an welchem zentralen Punkte der politischen und rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung Schmitts Lehre vom völkerrechtlichen Großraum steht. An sich ist die Erscheinung solcher Großräume nichts Neues in der Völkerentwicklung. Der wesentliche Präzedenzfall, der durch die Monroedoktrin konstituierte panamerikanische Raum, ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts, und die großen kolonialen Imperien, insbesondere das englische Empire, sind vorher oder auch im 19. Jahrhundert entstanden. Die Entwicklung des Deutschen Reiches zum Großraum ist gleichfalls im 19. Jahrhundert angebahnt und nur durch das unglückliche Ende des Weltkrieges vorübergehend unterbrochen worden. Das gleiche gilt für den | russischen Großraum – und allein Japan ist erst im beginnenden 20. Jahrhundert in den Kreis der Großraummächte eingetreten. Dieser Sachverhalt ist als politisches Phänomen immer anerkannt worden; der politische Begriff der „Großmacht“ ist immer ver52 Heinrich Triepel, Die Hegemonie. Ein Buch von führenden Staaten, Stuttgart 1938. 53 Carl Schmitt, Führung und Hegemonie, in: Schmollers Jahrbuch 63 (1939), S. 513 ff. 54 Carl Bilfinger, Gleichheit und Gleichberechtigung der Staaten, in: Hans Frank (Hg.), Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung, München 1934, S. 117 ff.

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wandt worden55, und man hat die Epoche, die mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beginnt, betont als das „Zeitalter des Imperialismus“ bezeichnet. Für das bisherige Völkerrecht aber war entscheidend, daß es diesen politischen Sachverhalt des Imperialismus ignorierte und sich auf der rechtlichen Gleichheit der Staaten aufbaute. Schmitts Lehre vom völkerrechtlichen Großraum hat den Sinn, die politische Wirklichkeit des Imperialismus als einen rechtlichen Tatbestand anzuerkennen und sie zur Grundlage eines neuen völkerrechtlichen Systems zu machen. Es zeigt sich hier an einem besonders eindrucksvollen Beispiel, was die Methode „situationsgemäßer“ und in diesem Sinne konkreter Begriffsbildung bedeutet; an der Stelle eines abstrakten Prinzips wird die konkrete politische Wirklichkeit selber zur rechtlichen Position und zum rechtlichen Begriff erhoben. Dieses Verfahren hat den unleugbaren großen Vorzug, daß es die Verfälschungen unmöglich macht, die aus Ideologien und Abstraktionen notwendig folgen. Die Großraumtheorie reißt den Schleier von einer Rechtstheorie, die mit ihrem Prinzip der Gleichheit und Unabhängigkeit der Staaten die politische Wirklichkeit verhüllte. Eine ganz andere Frage ist, ob die so entschleierte politische Wirklichkeit die tragfähige Grundlage eines neuen Rechts ist – ob also der Großraumgedanke nicht nur ein politischer Sachverhalt, sondern auch ein rechtliches Gestaltprinzip ist. Schmitt selber ist gewiß weit davon entfernt, die politische Wirklichkeit des modernen Imperialismus einfach kraft ihrer Faktizität schon als ein rechtliches System zu begreifen. Er hat selber mit großer Entschiedenheit im Namen des Rechtes gegen den Gewaltzustand von Versailles und den Imperialismus der Demokratien gekämpft, und es ist selbstverständlich, daß es ihm fernliegt, in einem neuen Machtzustand nur wegen seines Daseins einen Rechtszustand zu erblicken. Das Völkerrecht ist auch für Schmitt nicht einfach eine | „Soziologie der Macht“, sondern wirkliches Recht. Die entscheidende Frage ist daher die, was dem heutigen Großraumgedanken die rechtfertigende und rechtbegründende innere Kraft verleiht[,] – m. a. W.[,] wie hier aus einem politischen Machtsystem neues Völkerrecht sich entfalten kann. Nur wenn diese Frage positiv beantwortet werden kann, wäre auch die weitere naheliegende Frage nach dem Unterschied zwischen dem Imperialismus des 19. Jahrhunderts und dem Großraumgedanken der Gegenwart geklärt. Die Antwort würde dann darauf hinauslaufen, daß der alte Imperialismus ein nur faktisches Machtsystem, die heutige Großraumordnung aber ein echtes Rechtssystem bedeutet. 55 Schmitt behandelt die Begriffe „Großmacht“ und „Großraum“ offenbar nicht als gleichbedeutend, ohne jedoch den Unterschied näher zu erläutern. Jedenfalls ist auch für die „Großmächte“ des 19. Jahrhunderts bereits die raumübergreifende imperiale Zielsetzung bestimmend, wenn natürlich auch die „Effektivität der Raumbeherrschung“ heute um ein Vielfaches gesteigert ist (so Schmitt, Reich und Raum, S. 201).

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Daß die damit aufgeworfene Frage nicht auf eine Wiederholung der platten Antithese von Macht und Recht zielt, braucht nicht besonders betont zu werden. Aber ebensowenig wie das Recht der Gegensatz der Macht ist, kann es einfach mit der Macht identifiziert werden. Es kommt vielmehr darauf an zu wissen, wie Macht und Recht beschaffen sein müssen, damit sie zur dialektischen Einheit werden. Wie also muß die Macht geartet sein, damit sie sich zum Rechte entfaltet? Wenn man den von Schmitt entwikkelten Großraumgedanken in diesem Sinne prüft, so scheint sich einmal zu ergeben, daß das Moment der Ordnung es ist, dem diese dialektische Verwandlung der Machtlage in den Rechtszustand zugeschrieben wird. Dafür spricht, daß für den Rechtsbegriff Schmitts überhaupt das Moment der Ordnung wesensbestimmend zu sein scheint („konkretes Ordnungsdenken“) und daß der Großraumgedanke von vornherein unter dem Stichwort der Großraumordnung entwickelt worden ist. Zum anderen scheint in der Ablehnung des „Universalismus“ englischer Prägung und in der Anerkennung eines Nebeneinander mehrerer Großräume, die unter sich einen gerechten Ausgleich erstreben, ein bestimmter Rechtsgedanke wirksam zu sein. Der häufige Hinweis auf die Monroedoktrin, die als ein echtes Rechtsprinzip anerkannt wird, während der Grundsatz der „Sicherheit der Verkehrswege des britischen Weltreichs“ dagegen als ein unverhüllter Ausdruck des bloßen status-quo-Interesses einer universalistischen Weltmacht verworfen wird, hat seinen Grund darin, daß die Monroedoktrin ein gleichberechtigtes Nebeneinander und einen friedlichen Ausgleich der führenden Völker zuläßt56. Auch die innere Ordnung des | Großraums ist von einem bestimmten Rechtsprinzip getragen, indem sie sich „auf der Grundlage der Achtung jedes Volkstums“ (S. 303) entwickelt. Der rechtliche Gehalt der Großraumordnung beruht nach innen offenbar darin, daß hier nicht bloß äußere Zwangsgewalt gegenüber Unterworfenen wirksam ist, sondern daß ein führendes Volk anderen ihm zugeordneten Völkern Entwicklungsmöglichkeit, Förderung, Beistand und Schutz gewährt57. Obwohl Schmitt sich darüber nicht im einzelnen verbreitet, glaube ich ihn richtig zu verstehen, wenn ich meine, daß nach seiner Auffassung das Moment der Ordnung das Machtsystem des Imperialismus in das Rechtssystem des Großraumgedankens verwandelt und erhöht. Wenn man sich bemüht, nüchtern und sachlich zu denken und von Ideologien abzusehen, so wird man auch in den anderen Bereichen des Rechtes 56

Wenn man den „Universalismus“ verwirft, wird es allerdings nicht möglich sein, den Großraumgedanken auf die Idee des mittelalterlichen Reiches und auf Hegels Vorstellung vom „führenden Weltvolk“ zu gründen, da in beiden die universalistische Tendenz unverkennbar ist. 57 Dies ist der berechtigte Kern der an sich bedenklichen Antithese von „Herrschaft“ und „Führung“, von der Triepels Buch über die „Hegemonie“ bestimmt ist.

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eine ähnliche Auffassung antreffen: Verfassungsrecht, Güterrecht und Verkehrsrecht, Personenrecht und Verbandsrecht erscheinen als „konkrete Ordnung“ oder – was das gleiche ist – geordnete Wirklichkeit. Recht wäre dann soviel wie geordnete Macht. Die Bedenklichkeit einer solchen Aussage rührt daher, daß der Begriff der „Ordnung“ in sich selber vieldeutig ist: er umfaßt die reiche Skala von Möglichkeiten, die sich zwischen dem Begriff einer äußeren Ordnung (im Sinne des technisch-reibungslosen Funktionierens und des legalisierten Besitzstandes) auf der einen Seite und einer gerechten Ordnung (im Sinne eines sittlich begründeten Ausgleichs) erstreckt. Vielleicht wird es möglich sein, Einverständnis darüber zu erzielen, daß der Begriff der „Ordnung“, wenn von ihm eine wirklich rechtfertigende und rechtschaffende Kraft ausgehen soll, in diesem Sinne einer sittlich begründeten, gerechten und ausgleichenden Ordnung verstanden werden muß. Es ist auch ohne weiteres einleuchtend, daß diese gerechte Ordnung im Völkerleben nicht notwendig als eine formale und schematische Gleichberechtigung in der Art des nationalstaatlichen Souveränitätsprinzips aufgefaßt werden muß, da es nicht darauf ankommt, jedem das Gleiche, sondern darauf, jedem das Seine zu gewähren. Hier eben nähert sich die Betrach- | tung der entscheidenden Frage, wie denn im Völkerleben bestimmt werden soll, was jedem im Sinne dieser distributiven Gerechtigkeit zukommt. Es liegt nahe zu antworten: das, was er nach seinen Anlagen und Kräften zu erstreiten und zu behaupten vermag. Aber bewegt man sich damit nicht in einem Zirkelschluß, indem nunmehr doch das Recht allein aus der Macht abgeleitet wird? Nur dann wird dieser Zirkel, der mit seinem magischen Bann den Begriff des Rechtes immer erneut bedroht, gebrochen werden können, wenn man erkennt, daß es nicht auf den Erwerb und die Behauptung der Macht, sondern auf den gerechten Gebrauch der Macht ankommt. Nicht der Besitz der Macht, sondern das Walten der Macht entscheidet darüber, ob die Ordnung, die sie geschaffen hat, eine sittlich begründete und gerechte Ordnung ist. Ob die werdende Großraumordnung, die Schmitt in ihren wirtschaftlichen, strategischen und geopolitischen Voraussetzungen geschildert hat, zu einem neuen Völkerrecht führen wird, das wird eben davon abhängen, ob sie ein Imperialismus im Sinne der bloßen Machtausweitung sein wird, oder ob die führenden Völker, die in der Mitte solcher Großräume stehen, der Verantwortung genügen, die ihnen der Besitz der Macht auch gegenüber den zugeordneten Völkern auferlegt. Das gerechte Walten der Macht wird das Kriterium für den Gegensatz zwischen dem alten Imperialismus und einer echten völkerrechtlichen Großraumordnung sein. Noch von einer anderen der „Positionen“ Schmitts aus ergibt sich ein entscheidender Einwand gegen die Rechtsqualität des bisherigen Imperialismus und zugleich ein weiteres Kriterium für den Gegensatz von Imperialis-

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mus und künftiger Großraumordnung. Der moderne Imperialismus – und hierin unterscheidet sich das von Schmitt verworfene britische System nicht von dem von ihm anerkannten amerikanischen System der Monroedoktrin – beruht weithin auf einer Erstreckung unsichtbarer Herrschaft über scheinbar unabhängige Gebiete. Schutzverträge und Beistandspakte, wirtschaftliche und finanzielle Bindungen, verschleierte Kontroll- und Interventionsrechte sind die Methoden, die für die Gestaltung der modernen Imperien kennzeichnend sind. Mit gutem Grunde ist für diese Methoden des modernen Imperialismus der Begriff der „indirekten Herrschaft“ verwandt worden58. Nun be- | steht eine der wesentlichen Positionen der Rechtstheorie Schmitts in dem Widerspruch gegen die „indirekten Gewalten“. Der Kampf gegen die Machtanmaßungen der Sieger von Versailles wie der Kampf gegen den innerstaatlichen Pluralismus ist unter diesem leitenden Begriff der indirekten Gewalten geführt worden; die großartige Deutung des „Leviathan“ gipfelt in der Entschleierung der indirekten Gewalten, gegen die dieses große politische Symbol sich wendet; auch in der Auseinandersetzung mit Triepels „Hegemonie“ greift Schmitt die indirekten Methoden an, auf denen das britische Weltreich beruht und die auch der Genfer Völkerbund sich zu eigen gemacht hat. Da es unmöglich ist, daß Schmitt diese für seine Denkweise entscheidende Position preisgegeben hat, muß die von ihm verfochtene werdende Großraumordnung des neuen Völkerrechts als ein System ohne „indirekte Gewalten“ verstanden werden. Die werdende Großraumordnung würde dann – entgegen dem bisherigen Imperialismus – ein System direkter, offener Herrschaft sein. Aber heißt das dann im Grunde nicht doch Erweiterung der staatlichen Hoheit, Ausdehnung der staatlichen Grenzen, Errichtung eines „Überstaates“ – und eben damit nicht mehr „Großraumordnung“ in dem elastischen Sinne, in dem dieser Begriff ursprünglich verwandt worden ist? Gibt es eine Großraumordnung ohne indirekte Gewalt und ohne unsichtbare Herrschaft? Die Antwort auf diese Frage steht in engem Zusammenhang mit dem Problem der Rechtsqualität der Großraumordnung. Denn wirkliches Recht ist nur als eine öffentliche, sichtbare Ordnung möglich; indirekte Herrschaft kann eine sehr wirksame Erscheinung der Faktizität sein, aber sie begründet kein Recht, da dieses nicht ohne Öffentlichkeit und offene Verantwortlichkeit zu existieren vermag. Deshalb ergibt der Imperialismus der „indirekten Herrschaft“ niemals eine ihm entsprechende völkerrechtliche Ordnung; er setzt vielmehr ein völkerrechtliches System voraus, das auf dem ihm gegenläufigen Prinzip der staatlichen Souveränität gegründet ist, und er entwikkelt sich sozusagen parasitär auf diesem Rechtsboden des klassischen Völ58 So in der Sache Triepel, Hegemonie, der dabei allerdings den schiefen Begriff der „indirekten Führung“ gebraucht.

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kerrechts. Die gegenwärtige Krise des Völkerrechts ist dadurch gekennzeichnet, daß die „indirekten Gewalten“ des Imperialismus diesen Rechtsboden, den sie voraussetzten, zerstört haben. Wenn sich jetzt auf dem Boden der Großraumordnung neues Völkerrecht entwickeln soll, so stehen die führenden Mächte vor der Notwendigkeit, zu einem System der | offenen, verantwortlichen Herrschaft überzugehen. Der alte Imperialismus gründete sich, wie Schmitt ausgeführt hat, auf „Interventionsverbote für raumfremde Mächte“, womit er natürlich ein, wenn auch verschleiertes, eigenes Interventionsrecht in Anspruch nahm. Eine direkte, offene und verantwortliche Großraumordnung müßte über Interventionsverbote und Interventionsrechte hinaus eine „Raumhoheit“ in Anspruch nehmen, und Schmitt hat in dem zuletzt veröffentlichten Aufsatz „Reich und Raum“ diese Konsequenz gezogen. Die Frage bleibt, ob es einen wirklichen Unterschied zwischen Gebietshoheit und Raumhoheit gibt und ob der mit Raumhoheit ausgestattete Großraum sich noch von einem Großstaat oder Überstaat unterscheidet. Diese Fragen werden hier nicht in der Absicht einer Polemik gegen eine neue und fruchtbare politische und rechtstheoretische Konzeption aufgeworfen, sondern sie haben den positiven Sinn, auf ein Problem hinzuweisen, vor das die deutsche Völkerrechtstheorie durch eine umstürzende politische Entwicklung gestellt ist. Carl Schmitt hat dieses Problem zuerst gesehen und zuerst die große Aufgabe, die der Wissenschaft hier geboten ist, erkannt. Erst die Zukunft kann entscheiden, ob er den Grundbegriff einer neuen Epoche des Völkerrechts in kühner Vorwegnahme konstituiert hat.

III. Briefe Dritter 1. Tula Simons an Carl Schmitt, Berlin, 1931 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 28275 Zettel, handschriftlich, eingeklebt in den hinteren Einband von: Carl Schmitt/Paul Gieseke / Karl August Eckhardt / Hermann Krause / Friedrich Kessler / Werner Weber, Rechtswissenschaftliche Beiträge zum 25jährigen Bestehen der Handels-Hochschule Berlin, Berlin 1931.

Als Ergänzung zu dem Beitrag über Grundrechte im Handbuch des deutschen Staatsrechts1, in dem doch manches von diesen Dingen aus Platzmangel, und weil so vieles andre hineinmußte, unter den Tisch gefallen ist. Es wäre doch sehr schön, wenn Sie eine größere Monographie über die Grundrechte schreiben könnten2; denn nur auf dem von Ihnen gezeigten Weg ist eine fruchtbare Diskussion des Problems doch überhaupt möglich. Mit der Bitte, mich Ihrer Frau Gemahlin zu empfehlen, bin ich Ihre sehr ergebene Tula Simons.

2. Bernhard von Mutius an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 10.5.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198. Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Steglitz, / Schillerstr. 2“, Adresse: „Herrn / Professor Dr. Huber / Kiel / Hansastr. 79.“, unten Stempel „Bund Nationalsozialistischer / Deutscher Juristen e. V. / Reichsfachgruppenleiter Hochschullehrer / i. Auftr. / Adjutant“

den 10. Mai 35. Sehr geehrter Herr Professor! Im Auftrage von Herrn Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt erlaube ich mir mitzuteilen, daß der Termin für die Besprechung über die Fragen der künftigen 1 Gerhard Anschütz/Richard Thoma (Hg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts. 2 Bde., Tübingen 1930/32. 2 Schmitt schrieb keine Monographie über die Weimarer Grundrechte.

III. Briefe Dritter

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Verwaltungsgerichtsbarkeit, der für den 15. Mai d. J. in Aussicht genommen war, hat verlegt werden müssen. Heil Hitler! B.[ernhard] v. Mutius3.

3. Eberhard Freiherr von Medem an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 4.12.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Bund National-Sozialistischer Deutscher Juristen e. V. / Reichsgeschäftsstelle / Berlin W 35, Tiergartenstr. 20 / Der Reichsfachgruppenleiter / Hochschullehrer“, „v. M.[edem]/Mei.“, Adresse: „Herrn / Professor Dr. Huber / Kiel / Hansastr. 79“, unten Stempel „Bund Nationalsozialistischer / Deutscher Juristen e. V. / Reichsfachgruppenleiter Hochschullehrer / i. Auftr. / Adjutant“

4.12.1935 Sehr geehrter Herr Professor! Im Auftrage von Herrn Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt erlaube ich mir, Ihnen folgendes mitzuteilen: Herr Staatsrat Schmitt hält es für ausserordentlich wichtig, dass entsprechend der von Professor Weber verfassten Übersicht über den Stand der Gesetzgebung in der Frage „Eigentum und Enteignung“4 eine Übersicht über die Frage von Rechtsschutz und ständischem Recht geschaffen wird. Ihr käme im Hinblick auf die Tagung am 21. und 22. Dezember5 eine ganz besondere Bedeutung zu. Staatsrat Schmitt lässt Sie daher fragen, ob es Ihnen möglich wäre, eine derartige Übersicht – vielleicht im Rahmen Ihres Vortrags auf der Tagung – fertigzustellen, und wäre Ihnen gegebenenfalls dafür ausserordentlich dankbar. Heil Hitler! Ihr sehr ergebener v. Medem

3 Bernhard Ludwig von Mutius (1913–1979) war 1934/35 Assistent von Schmitt. Mehring, S. 364. 4 Weber/Wieacker, Eigentum. 5 Über die Tagung am 21. und 22. Dezember 1935 konnte nichts Näheres in Erfahrung gebracht werden.

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4. Eberhard Freiherr von Medem an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 11.12.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Bund National-Sozialistischer Deutscher Juristen e. V. / Reichsgeschäftsstelle / Berlin W 35, Tiergartenstr. 20 / Der Reichsfachgruppenleiter / Hochschullehrer“, „v. M.[edem]/Mei.“, Adresse: „Herrn / Professor Dr. Huber / Kiel / Hansastr. 79“, unten Stempel „Bund Nationalsozialistischer / Deutscher Juristen e. V. / Reichsfachgruppenleiter Hochschullehrer / i. Auftr. / Adjutant“

11.12.1935 Sehr verehrter Herr Professor! Im Auftrage von Herrn Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt sage ich für Ihren Brief vom 6. Dezember6 d. J. verbindlichsten Dank. Als zweiter Referent ist inzwischen Herr Dr. Hettlage7 gewonnen worden, der als Stadtkämmerer von Berlin ja auch besonders über praktische Erfahrungen verfügt. Bezüglich der Übersicht über die Frage „Rechtsschutz und ständisches Recht“ ist wohl ein Mißverständnis dadurch entstanden, dass ich von mir aus diese Übersicht in Verbindung mit Ihrem Referat gebracht habe. Herr Staatsrat Schmitt hatte mich damals lediglich beauftragt, Ihnen die Bitte zu unterbreiten, eine Übersicht über die erwähnte Frage zusammenzustellen, ohne dabei auf das Referat in irgendeiner Weise Bezug zu nehmen. Die Frage „Rechtsschutz und ständisches Recht“ war so gedacht, dass darunter alle Einrichtungen zu fassen wären, durch die der Rechtsschutz für den einzelnen Volksgenossen in u. durch seinen Stand verwirklicht wird. | Ausserdem darf ich Ihnen im Auftrage von Herrn Staatsrat Schmitt noch mitteilen, dass ihm vor allem an einem grossen Überblick über das gesamte Gebiet und weniger an einer erschöpfenden Übersicht aller in Betracht kommender Vorschriften gelegen ist. Der Rechtsschutz durch ständisches Recht ist wohl nicht nur vom Standpunkt der Ehrengerichtsbarkeit, sondern auch besonders im Hinblick auf die Bedeutung der Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht interessant. In einem Aufsatz, der im „Recht des Reichsnährstandes“ vom 10.11.1935, Seite 784, erschien8, wurde z. B. von dem Unterschied der Marktschiedsgerichte, die einen öffentlich-rechtlichen Charakter trügen, und 6

Siehe oben Brief Nr. 143. Karl M. Hettlage (1902–1995) habilitierte sich 1930 in Köln und lehrte seit 1936 als Honorarprofessor in Berlin kommunales Finanzrecht und Steuerrecht. Er war bis 1938 als Berliner Stadtkämmerer tätig. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 260. 7

III. Briefe Dritter

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der Lieferungsschiedsgerichte, die einen privat-rechtlichen Charakter besässen, gesprochen. Ich bitte Sie, freundlicherweise entschuldigen zu wollen, dass ich mich in meinem Brief an Sie falsch ausgedrückt hatte. Heil Hitler! Ihr sehr ergebener v. Medem 5. Eberhard Freiherr von Medem an Ernst Rudolf Huber, Berlin, 16.12.1935 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, gedruckter Briefkopf: „Bund National-Sozialistischer Deutscher Juristen e. V. / Reichsgeschäftsstelle / Berlin W 35, Tiergartenstr. 20 / Der Reichsfachgruppenleiter / Hochschullehrer“, „v. M.[edem]/Mei.“, Adresse: „Herrn / Professor Dr. Huber / Kiel / Hansastr. 79“, unten Stempel „Bund Nationalsozialistischer / Deutscher Juristen e. V. / Reichsfachgruppenleiter Hochschullehrer / i. Auftr. / Adjutant“

16.12.1935 Sehr verehrter Herr Professor! Im Auftrage von Herrn Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt erlaube ich mir, Ihnen folgende Bitte vorzutragen: Herrn Staatsrat Schmitt würde es sehr angenehm sein, wenn er bereits vor der Tagung am 21. und 22. Dezember d. J. über die wesentlichsten Punkte Ihres Referats unterrichtet wäre, damit er sich schon vorher einen gewissen Plan für die Diskussion machen kann. Er bittet Sie daher, ihm freundlicherweise – wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe machen sollte, und Sie es zeitlich noch ermöglichen können – einige kurze Angaben darüber machen zu wollen. Falls Sie in der Lage wären, noch einen solchen kurzen Überblick über Ihr Referat für Herrn Staatsrat Schmitt fertigzustellen, so möchte ich Sie bitten, diesen an Herrn Staatsrat Schmitt persönlich – Berlin-Steglitz, Arno Holzstr. 6 – senden zu wollen. Heil Hitler! Ihr sehr ergebener v. Medem 8 Dr. Frese, Privatrechtliche Schiedsgerichtsbarkeit beim Reichsnährstand, in: Recht des Reichsnährstandes 3 (1935), S. 784–786.

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6. Tula Huber-Simons an Carl Schmitt, Kiel, 21.8.1936 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Brief, maschinenschriftlich, Durchschlag, Adresse: „Herrn / Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt / Reichs[fach]gruppenleiter Hochschullehrer im Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund / Berlin W 35 / Tiergartenstr. 20“

21. August 1936 Hochverehrter Herr Staatsrat! Im Auftrag meines Mannes, der zur Zeit aktiven Militärdienst leistet9, habe ich Ihr Schreiben vom 12[.] d. Ms.10, betreffend die Teilnahme an der Hochschullehrertagung im Oktober11, zur Erledigung an den Kieler Dekan, Herrn Larenz, weitergegeben; (der stellvertretende Gaugruppenwalter, Herr Dahm, ist gleichfalls zur Wehrmacht einberufen). Mein Mann bedauert sehr, durch seine militärische Dienstleistung verhindert zu sein, an der Tagung am 3./4. Oktober teilzunehmen12. Mit den besten Grüßen Heil Hitler! Ihre sehr ergebene

7. Tula Huber-Simons an Carl Schmitt, Freiburg, 19.12.1965 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6297 Karte, handschriftlich, gedruckter Kopf: „Dr. Tula Huber-Simons / Freiburg i. Br. / In der Röte 2“

19.12.65 Lieber Herr Schmitt, vor einigen Wochen brachte Herr Schrade13 mir in Ihrem Auftrag einen Brief, den ich nach Konrads Geburt14 an Ihre Frau15 geschrieben hatte und 9 Huber leistete vom 6.8. bis 30.9.1936 Militärdienst. Universitätsarchiv Göttingen, Kuratorium, Personalakte Huber, Melde- und Personalbogen aus dem badischen Kultusministerium, 4.10.1950. 10 Der erwähnte Brief ist nicht erhalten. 11 Die Tagung der Reichsfachgruppe Hochschullehrer fand am 3. und 4.10.1936 statt und stand unter dem Thema „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“. Hofmann, Rechtswissenschaft. 12 Hubers Militärdienst endete allerdings wenige Tage vorher am 30.9. 13 Der Kunsthistoriker Hubert Schrade (1900–1967) bekleidete seit 1938 eine ordentliche Professur in Heidelberg und seit 1941 in Straßburg, von wo er im Novem-

III. Briefe Dritter

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die Bildchen, die ich dem Brief beigelegt hatte. Ich danke Ihnen sehr dafür; da wir durch die Umstände16 ja das Meiste von unserem früheren Besitz verloren haben, habe ich kaum noch Kinderbildchen, und freue mich deshalb über jedes, das sich wieder anfindet. | Der Brief rief mir so manches Zusammensein in Ihrem Hause in Berlin in dankbare Erinnerung. Mein Mann lässt sie sehr grüßen. Soeben ist das erste Exemplar des dritten Bandes der „Dokumente“17 eingetroffen, und er freut sich, daß er es Ihnen in den nächsten Tagen übermitteln kann18. Ich bin froh, daß diese große und mühsame Arbeit, die ihn sehr in Anspruch genommen hat, nun abgeschlossen ist. Wir beide wünschen Ihnen gute Feiertage und alles Gute und Erfreuliche für das Neue Jahr! Ihre Tula Huber-Simons

ber 1944 zusammen mit Huber flüchtete. Huber widmete ihm 1960 den zweiten Band seiner „Deutschen Verfassungsgeschichte“. 14 Konrad Huber wurde am 29.4.1934 geboren. 15 Duschka Schmitt. 16 Durch die Flucht aus Straßburg vor den alliierten Truppen im November 1944. 17 Huber, Dokumente, Bd. 3. 18 Huber, Dokumente, Bd. 3 findet sich nicht im Nachlass Schmitt.

IV. Stellungnahmen von Ernst Rudolf Huber 1. Ernst Rudolf Huber an Rudolf Smend, Falkau, 10.3.1947 Universitätsbibliothek Göttingen, Handschriftenabteilung, Cod. Ms. R. Smend A 389 Brief, handschriftlich

Falkau, 10. März 1947 Hochverehrter Herr Smend, Ihr freundlicher Brief vom 13. Dezember1, den Sie mir aus Anlaß des Besuchs meines ehemaligen Schülers Reinhard Hartung2 schrieben, hat mir sehr wohl getan. Er war mir als Zeichen des Verständnisses und der Verbundenheit, die im menschlichen Bereich die Schranken, die die Zeit aufgeworfen hat, überwindet, eine der Freuden der Weihnachtszeit. Es ist mir vollkommen einleuchtend, daß die „Karenzzeit“, wie Sie sich ausdrücken, für mich unvermeidlich ist. Wahrscheinlich wird sie zu einer immerwährenden Quarantäne führen. Auch das hoffe ich, auf irgendeine Weise zu ertragen, als notwendige Folge einer Verantwortlichkeit, die ich in den zwölf Jahren immer empfunden habe und die ich auch jetzt nicht leugne. Von einigen Freunden dazu angeregt, habe ich in diesem Winter eine Art Bekenntnis und Rechtfertigung zu Papier gebracht3, nicht um mich vor anderen damit zu verteidigen, sondern um mich vor mir selbst zu erklären. Ich hoffe, dabei wahrhaftig geblieben zu sein, soweit unsere menschliche Unzulänglichkeit das zuläßt. Es liegt mir nichts ferner, als dieses Schriftstück zu verbreiten oder damit bei irgendeiner Stelle um gut Wetter für mich zu bitten. Es ist ein rein persönliches Dokument. Wenn ich es Ihnen heute zusende, so allein wegen der menschlichen und sachlichen Autorität, die Sie für mich bedeuten. Sie werden begreifen, wie schwierig es ist, etwas Derartiges zu Papier zu bringen. Man fixiert Handlungen, Strömungen, Tendenzen, die naiv | und spontan gewesen sind, und gibt Ihnen dadurch den Anschein des Bewußten 1 2 3

Das Schreiben ist im Nachlass Hubers nicht überliefert. Der besagte Schüler konnte nicht identifiziert werden. Siehe unten Anhang V.1.

IV. Stellungnahmen von Ernst Rudolf Huber

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und Berechneten. So erhält alles leicht ein falsches Gewicht und Gesicht. Das gilt insbesondere von den Aktionen, die nun als „gute Werke“ erscheinen könnten und damit die Selbstverständlichkeit verlieren, die ihr eigentliches Wesen ist. Insbesondere das Intime menschlicher Beziehungen erscheint so als eine peinliche Indiskretion. Ich bitte Sie deswegen um Nachsicht, vor allem wegen der Stellen, die sich mit meinen Beziehungen zu Ihnen befassen. Es wäre mir ein großer Dienst, wenn Sie mir sagen wollten, ob Sie eine solche Aufzeichnung für unmöglich halten – im menschlichen Sinn – oder ob Sie sie nach Kenntnis meiner Person und meiner Funktion für ein ehrliches und sauberes Dokument halten. Daß ich sie dafür halte, ist selbstverständlich; aber da ich Partei bin, fehlt mir die Unbefangenheit des Urteils. Es ist mir von meinem Freund Heimpel4 gesagt worden, ich dürfe in einer solchen Aufzeichnung meine Beziehung zu Carl Schmitt nicht übergehen, da sie mir in besonderem Maße zum Vorwurf gemacht werde. Daß ich mich bisher nicht entschlossen habe, darüber etwas aufzuzeichnen, hat naheliegende Gründe. Mein ursprünglich sehr enges Verhältnis zu Schmitt, das im Herbst 1932 seine stärkste Intensität erreichte, geriet seit Anfang 1933 von einer schweren Krise in die andere; 1938 kam es zu einer äußerlichen Versöhnung auf der Grundlage einer starken Distanzierung. Meine Kritik an Schmitts wissenschaftlichen Arbeiten habe ich immer zum Ausdruck gebracht5, meine Kritik an seiner menschlichen Haltung habe ich nicht public werden lassen. Aber Sie werden verstehen, wie sehr es mir widerstrebt, mich jetzt auf solche Gegensätze, Zerwürfnisse, Erfahrungen | und Enttäuschungen zu berufen. Es käme mir als ein Verrat vor, ihn noch mehr bloßzustellen, als er ohnedies bloßgestellt ist. Und es liegt mir nichts ferner, als das in Abrede zu stellen, was ich ihm als meinem Lehrer verdanke, im guten und vielleicht auch im fragwürdigen Sinne. Da ich damit rechnen muß, über kurz oder lang vor eine Spruchkammer zitiert zu werden6, bin ich, so widerwärtig und peinlich mir dies ist, gezwungen, mich auch in diesem prozessualen Sinne um die Vorbereitung 4 Hermann Heimpel (1901–1988) lehrte als Historiker mit dem Schwerpunkt mittelalterliche Geschichte an den Universitäten Freiburg, Leipzig, Straßburg und seit 1947 in Göttingen. Heimpel war seit 1956 Direktor des dortigen Max-Planck-Instituts für Geschichte und einer der einflussreichsten deutschen Historiker. 1953–1955 war er Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz und galt 1958 als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten. Nagel, Schatten, passim. Heimpel war seit der Leipziger Zeit eng befreundet mit Huber, dessen Sohn Ulrich eine Tochter Heimpels heiratete. Von 1944 bis 1949 wohnte die Familie Huber in Heimpels Ferienhaus in Falkau im Schwarzwald. 5 Siehe oben vor allem die Anlagen II.6. und II.9. 6 Huber stand zunächst 1948 vor einer Spruchkammer, bevor 1950 das Verfahren erneut aufgerollt wurde. Im Dezember 1948 wurde er in die Kategorie IV als „Mitläufer“ eingestuft. Grothe, Umgang, S. 228 f.

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meiner Rechtfertigung zu bemühen. Die Linie dafür habe ich in dem anliegenden Schriftstück ungefähr aufgezeichnet. Ich weiß nicht, ob Sie sich in der Lage fühlen, mir diejenigen Tatsachen des Exposes, die Ihre Person betreffen oder die sonst zu Ihrer Kenntnis gelangt sind, in einer Form zu bestätigen, die ich in einem solchen Verfahren verwenden könnte. Daß ich mich nur schwer zu einer solchen Frage entschließe, werden Sie mir nachfühlen. Ich fühle mich dazu ermutigt, durch den Brief eines jungen Elsässers7, der auf eine ähnliche Frage schreibt: „je vous prie de dire à Huber que ce que vous me demendez là est bien naturel à notre siècle . . .“8 Wenn Sie sich durch meine Frage in irgendeiner Weise peinlich berührt fühlen, so bitte ich Sie dringend und aufrichtig um eine negative Entscheidung. Nichts würde mich mehr schmerzen, als eine Hilfe, die Sie mir nur mit halbem Herzen gewähren könnten. Und Sie werden verstehen, daß es in der Lage, in der ich mich befinde, keine bessere Hilfe für mich geben kann, als die volle Offenheit, mit der man mir begegnet. | Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich Ihre Zeit mit diesem langen Brief und einem ellenlangen Opus weit über Gebühr in Anspruch nehme. Doch sind Sie für mich eine echte Instanz – und ich will daher alle weiteren Worte der Entschuldigung sparen. Mit herzlichen Grüßen und dem Ausdruck steter Verehrung Ihr sehr ergebener Ernst Rudolf Huber 2. Ernst Rudolf Huber an Hellmut Becker, Falkau, 31.7.1948 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6245. Briefabschrift, maschinenschriftlich

Falkau, Schwarzwald Haus Sonnenschein den 31. Juli 1948 Lieber Herr Becker, ich schulde Ihnen noch eine Antwort auf Ihren Brief vom 15. Juli9. Da ich heute für etwa 14 Tage verreise, bin ich etwas in zeitlicher Bedrängnis. Ich kann Ihnen daher nur eine flüchtige Skizze meiner Erwägungen geben. 7 Die Identität konnte nicht geklärt werden. Vielleicht handelt es sich um Guy Sautter. Siehe unten Anm. 133. 8 Franz.: „Ich bitte Sie, Huber zu sagen, daß das, was Sie da von mir verlangen, in unserem Jahrhundert sehr natürlich ist.“ 9 Das Schreiben findet sich im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, Nachlass Hellmut Becker, Akten betr. Weizsäcker-Prozess B-Sch, Bd. 19. Becker schickte

IV. Stellungnahmen von Ernst Rudolf Huber

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I. Sie haben mich nach historischen Beispielen für den Widerstand in der Mitwirkung gefragt. Die Zahl dieser Beispiele kann naturgemäß nur gering sein, weil die innere Situation, die unter dem Hitler-Regime bestand, im Grunde einmalig ist. Es gibt selbstverständlich in jedem Staatssystem häufige Fälle einer verdeckten Opposition der Untergebenen gegenüber der Staatsführung, darunter auch Fälle von großer politischer Tragweite, für die als klassisches Beispiel etwa der Widerstand zu erwähnen wäre, den Holstein10 im Auswärtigen Amt der Bismarckschen Politik entgegensetzte. Doch handelt es sich hier niemals um die résistance im eigentlichen Sinne, sondern um Fälle der Opposition, die allerdings bis zur Obstruktion, zur Sabotage und selbst bis zum Verrat gesteigert werden kann. Auch wenn die Opposition sich bis zu Umsturzplänen verdichtet, läßt sich der Vergleich mit der in Deutschland 1933–3511 gegebenen Lage nicht durchführen. Selbst absolute Monarchien haben nichts mit den Wesenszügen der plebiszitären und totalitären Diktatur gemein. Ich sehe in der Kombination des plebiszitären und des totalitären Elements das eigentlich Charakteristische unserer damaligen Situation und meine auch, daß sie für die innere Problematik der deutschen résistance überaus wichtig war. Jeder Widerstand gegen den Diktator war paradoxer Weise auch ein Widerstand gegen die überwältigende Majorität des Volkes, vor allem natürlich in den Zeiten, in denen die Diktatur erfolgreich war. Kein Zweifel, daß die Aktionskraft der deutschen résistance durch diese plebiszitäre Grundlage der Diktatur verhängnisvoll gelähmt worden ist. Wenn man nach klassischen Beispielen für den Widerstand in der Mitwirkung fragt, so ist die Ermordung Cäsars12 ein Fall, der viele verwandte Züge trägt, vor allem weil hier die Diktatur gleichfalls von der plebiszitären Akklamation getragen war. Ich verzichte darauf, diese Parallele weiter auszumalen, einmal weil sie jedermann geläufig ist, sodann weil es wahrscheinlich auf das Gericht wenig Eindruck machen würde, wenn man versuchte, die politische Phantasie in so ferne Bereiche zurückzulenken. – Auf der anderen Seite wäre es wahrscheinlich untunlich, sich an den naheliegensein „opening statement“ zu und bat Huber um Nennung historischer Parallelen zum Gedanken des „Widerstandes in der Mitwirkung“. 10 Friedrich von Holstein (1837–1909) war ein deutscher Diplomat und seit 1890 die sogenannte Graue Eminenz im Auswärtigen Amt. Hans Fenske, Friedrich von Holstein. Außenpolitiker mit Augenmaß, Friedrichsruh 2009 (= Friedrichsruher Beiträge, 39). 11 Gemeint ist vermutlich „1933–45“. 12 Der römische Diktator Gaius Julius Caesar (100–44 v. Chr.) wurde von Verschwörern unter Führung des Marcus Brutus ermordet.

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den Vergleich mit anderen totalitären Diktaturen der Gegenwart zu klammern. Von dem Stalin-Regime wissen wir im Grunde zu wenig, um beurteilen zu können, ob es sich etwa bei Tuchatschewsky13 um diesen Fall eines Widerstandes durch scheinbare Mitarbeit gehandelt hat. Die Parallele mit der Opposition Grandis14 oder des Grafen Ciano15 würde ich aus naheliegenden Gründen vermeiden. Es wären auch im Rahmen einer plebiszitär-totalitären Diktatur eben doch sehr verschiedene Tatbestände zu unterscheiden: der Kampf um die Macht zwischen politischen Rivalen (Trotzki-Stalin), das Abweichen von Parteigängern von der „Generallinie“, die Meuterei der ursprünglichen Kampfgenossen gegen den Chef, der „gemeine Verrat“ aus verletztem Ehrgeiz, aus Opportunismus, aus dem Trieb der Ratten zum Verlassen des untergehenden Staatsschiffs. Bei der Suche nach Parallelen für den Fall W.[eizsäcker] besteht die Gefahr, daß man sich mit Vergleichen an solche Beispiele anlehnt, womit dann gerade das verloren ginge, was die Eigenart dieses Falles und des von Ihnen als „resistance through collaboration“ definierten Tatbestandes ausmacht. Ich würde deshalb auch vor einem Vergleich mit der „Legende Yorck“16 warnen. Nicht nur weil hier so viel Historienmalerei im Spiele ist, sondern vor allem weil hier eigentlich der umgekehrte Tatbestand vorliegt: Treue gegenüber dem Staatsoberhaupt trotz (scheinbarer) | Auflehnung. Ueberhaupt bieten die Fälle einer feudalen oder militärischen Fronde gegen den absoluten König keine echte Parallele. Auch hier wird zwar nicht immer mit offenem Visier gekämpft. Aber es besteht doch eine tiefe wesensmäßige Verwandtschaft zwischen den Gegnern, infolgedessen ein gemeinsames Ehrbewußtsein, ein hohes Maß an gegenseitiger Achtung, alles Dinge, die erst durch den revolutionären Despotismus ausgeschlossen werden. Um direkt zu sagen, was ich meine: erst seit den Jacobinern17 ist das, was wir 13 Michail Nikolajewitsch Tuchatschewsky (1893–1937) wurde 1935 Marschall der Sowjetunion und fiel zwei Jahre später den Stalinschen Säuberungen zum Opfer. 14 Dino Grandi di Mordena (1895–1988) war ein faschistischer Politiker, der 1943 die Entmachtung Mussolinis forderte, daraufhin zum Tode verurteilt wurde, aber fliehen konnte. 15 Galeazzo Ciano (1903–1944) war seit 1936 italienischer Außenminister unter Mussolini. Als er 1943 einen Separatfrieden Italiens mit den Alliierten anstrebte, kam es zum Bruch mit dem Duce, der ihn nach seiner Rückkehr zum Tod verurteilen und hinrichten ließ. 16 Ludwig Yorck von Wartenberg (1759–1830) war ein preußischer Generalfeldmarschall, der 1812 den Waffenstillstand Preußens mit Russland durch eigenmächtiges Handeln mit vorbereitete. 17 Jakobiner waren Mitglieder eines politischen Klubs während der Französischen Revolution, später die Anhänger Robespierres. Nach 1800 meinte die Bezeichnung vor allem außerhalb Frankreichs Anhänger der Französischen Revolution und der republikanischen Staatsform allgemein.

IV. Stellungnahmen von Ernst Rudolf Huber

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erlebt haben, politisch möglich, gibt es daher auch den Widerstand in der Mitwirkung in einem terroristischen Despotismus. Alle Grundsätze, die Ihr Opening Statement entwickelt hat, insbesondere der, daß die (scheinbare) Mitwirkung die einzig mögliche Form des Widerstandes ist, treffen zu, seit es Diktaturen mit extrem terroristischem Charakter gibt. Die eigentlich jacobinische Diktatur war zu turbulent, als daß sich hier schon reine Fälle des Widerstands durch Mitarbeit entwickelt hätte[n]. Aber die bonapartistische Gewaltherrschaft über Frankreich und Europa ist ein echtes Pendant des Hitler-Regimes. Ich verkenne die Bedenken nicht, die auch diesem Vergleich entgegenstehen, entschließe mich überhaupt schwer, dies festzustellen, weil ich trotz aller nationaldeutschen Affekte eine eingewurzelte Vorliebe für den großen Korsen habe. Aber die verwandten Züge sind unverkennbar, bis hin zu der abgöttischen Verehrung durch die eigene Nation und zu der wachsenden Bewunderung des Auslandes, schließlich auch der Unterwürfigkeit der besiegten Völker. Wir finden auch hier die französischen Staatsmänner, Politiker, Beamten und Bürger, die sich nach dem 18. Brumaire18 „gleichschalten“, unter ihnen gewiß viele, die es aus Opportunismus, gewiß aber auch viele, die es aus Patriotismus taten. Das Verhalten Talleyrands19 ist wohl das Musterbeispiel dafür, wie weit man in der Mitarbeit gehen kann und wo es notwendig wird, zum Widerstand überzugehen. Nun ist einem bei dem Vergleich Herrn v. W.[eizsäkker]s mit Talleyrand nicht recht wohl. Schon das Attolico-Burckhardt-Gespräch20 hat seine Schwäche darin, daß es sich um Persönlichkeiten von so grundverschiedener Wesensart handelt. Doch geht es hier ja nicht um Parallelen der Persönlichkeit, sondern um Parallelen der Situation und der Aktion. In dieser Hinsicht aber findet sich viel Verwandtes mit der Haltung Talleyrands, der lange Jahre im Dienste des Kaisers stand, an seiner Politik der Eroberung und Unterwerfung teilnahm, nach aussen hin und in seinen diplomatischen Dokumenten die Sprache des Korsen führte – und der bei alledem nicht aufhörte, für den Frieden und die Wiederherstellung der europäischen Ordnung zu wirken, der auch nach seinem Ausscheiden aus dem 18 Am 18. Brumaire des französischen Revolutionskalenders, dem 9. November 1799, ereignete sich der Staatsstreich Napoleon Bonapartes, der an diesem Tag zum Ersten Konsul und damit faktisch zum Alleinherrscher ernannt wurde. 19 Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord (1755–1838) war von 1797 bis 1815 Außenminister Frankreichs, erst unter dem Direktorium, dann unter Napoleon und schließlich auch unter König Ludwig XVIII. 20 Nach 1937 fanden Gespräche zwischen dem italienischen Botschafter in Deutschland Bernardo Attolico (1880–1942), dem Hohen Kommissar des Völkerbunds für die Freie Stadt Danzig, dem Schweizer Diplomaten Carl Jacob Burckhardt (1891–1974), und dem deutschen Staatssekretär von Weizsäcker statt, in denen es darum ging, einen kriegerischen Konflikt zwischen dem Deutschen Reich und Polen zu verhindern.

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Amt die offene Gegnerschaft vermied, um seine Arbeit an Napoleons Sturz fortsetzen zu können. Der eigentliche Unterschied ist der, daß Frankreichs Gegner damals nicht auf „unconditional surrender“21 bestanden, sodaß die Erfolgsaussichten der résistance nicht frühzeitig in der Wurzel zerstört waren, wie in dem parallelen deutschen Fall. Ich würde, um es nicht bei diesem so naheliegenden Beispiel zu lassen, als einen Fall von Widerstand durch Mitarbeit auch das Verhalten der preußischen Staatsmänner Scharnhorst22 und Hardenberg, nicht zuletzt aber auch das Verhalten Metternichs gegenüber Napoleon ansehen. Auch Stein war übrigens anfänglich Kollaborationist, und es war im Grunde seine Ungeschicklichkeit, die ihn vorzeitig in die offene résistance zwang. Er ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, daß man sich gegenüber der totalen Diktatur durch die Emigration ausschaltet. Von 1808 bis 1812 saß der von Napoleon geächtete „nommé Stein“ politisch ziemlich auf dem Trockenen. Erst bei Ausbruch des russischen Krieges kam er wieder in Aktion, aber nun in fremdem Dienst, und er war in der fatalen Lage, im Gefolge fremder Heere in seine Heimat zurückzukehren. In der Zwischenzeit hatte er so sehr den Kontakt mit den deutschen Dingen verloren, war auch durch das Zusammenspiel mit dem russischen Alliierten so kompromittiert, daß er in Deutschland nicht mehr zum Zuge kam. Das Ausspielen der russischen | Karte auf dem Wiener Kongreß z. B. diskreditierte ihn sehr, etwa wie wenn Brüning 1944 im Gefolge Eisenhowers23 über den Kanal gekommen wäre und nun auf den Konferenzen mit Hilfe der Amerikaner deutsche Politik zu machen suchte. Ganz anders Scharnhorst und Hardenberg, beides Musterbeispiele kluger politischer Anpassung, wobei Scharnhorst es naturgemäß schwerer hatte; umso größer war seine Leistung. Es war wohl die niederdeutsch-bäuerliche Verschlagenheit24, die diesen ehrenhaften Mann befähigte, Komplize in dem großen Spiel der preußischen Résistance gegen Napoleon zu sein. Von dem Unterschied, daß es sich hier um den Widerstand gegen die Fremdherrschaft handelte, darf man vielleicht absehen. Es fällt dadurch allerdings die beson21

Engl.: „bedingungslose Aufgabe“. Gerhard von Scharnhorst (1755–1813) war preußischer General und neben August Neidhardt von Gneisenau (1760–1831) der Verantwortliche der preußischen Militärreformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Heinz Stübig, Gerhard von Scharnhorst – preußischer General und Heeresreformer. Studien zu seiner Biographie und Rezeption, Berlin 2009. 23 Dwight D. Eisenhower (1890–1969) landete als Oberbefehlshaber der alliierten Truppen 1944 in der Normandie. Von 1953 bis 1961 war er amerikanischer Präsident. 24 Scharnhorst stammte aus einer kleinbäuerlichen Familie im Königreich Hannover. 22

IV. Stellungnahmen von Ernst Rudolf Huber

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dere Komplikation weg, die sich beim Widerstand gegen den konnationalen25 Diktator daraus ergibt, daß man bei noch so heftiger Feindseligkeit, gewisse gemeinsame Anliegen mit ihm hat. So lag Talleyrand gewiß die französische gloire26 nicht weniger am Herzen als dem korsischen Emporkömmling, und den deutschen Gegnern Hitlers galt die Einheit und Freiheit ihres Vaterlandes gewiß nicht weniger als dem Manne aus Braunau27. Trotzdem sehe ich in der Art, wie Scharnhorst und Hardenberg durch ihre „Erfüllungspolitik“ ihre Gefügigkeit, ihre fast demütige Einordnung in das napoleonische System den europäischen Widerstand vorbereiteten, den Tatbestand der resistance through collaboration in klassischer Ausprägung. Hätten sie keinen Erfolg damit gehabt, wäre die Befreiung Europas ohne die preußische Hilfe durch Russen und Engländer allein bewirkt worden, hätten Stein und Gneisenau28 dann mit Hilfe der Sieger eine national-deutsche Diktatur aufgebaut, so wäre29 leicht ein Prozeß gegen die „Verräter“ Scharnhorst und Hardenberg zustande gekommen, gegen die Männer, die im Amt blieben, als die „Patrioten“ das Land verließen, – die sich zu Handlangern des Weltungeheuers hergaben usw. Heute käme es im analogen Fall unfehlbar zu einem Verfahren gegen solche „Quislinge“30. In Wahrheit handelt es sich um deutliche Beispiele von Schein-Kollaboration, die natürlich nur erfolgreich sein konnte, wenn sie einen hohen Grad von echter Mitarbeit in sich schloß; denn wie sollte sonst der Schein hergestellt werden. Was schließlich Metternichs Politik 1808–1813 angeht, so wissen Sie darüber ja aus den Quellen am besten Bescheid31. Er schloß nicht nur den Frieden von Schönbrunn32, sondern schwenkte scheinbar ganz in das napo25

Gemeint ist ein Diktator aus dem eigenen Volk. Franz.: „Ehre, Ruhm“. 27 Adolf Hitler wurde in Braunau am Inn, an der deutsch-österreichischen Grenze geboren. 28 August Neidhardt von Gneisenau (1760–1831) war preußischer General und Heeresreformer. Hermann Teske, Gneisenau, August Wilhelm Anton Graf Neidhardt v., in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 484–487. 29 Im Original steht hier: „hätte“, was aber bei diesem Satzbau keinen Sinn ergibt. 30 Im Englischen, Norwegischen und Schwedischen Bezeichnung für einen Kollaborateur, die sich von dem faschistischen norwegischen Ministerpräsidenten Vidkun Quisling (1887–1945) herleitet, der mit den Nationalsozialisten zusammenarbeitete und deswegen nach dem Zweiten Weltkrieg hingerichtet wurde. Hans-Dietrich Loock, Quisling, Rosenberg und Terboven. Zur Vorgeschichte und Geschichte der nationalsozialistischen Revolution in Norwegen, Stuttgart 1970 (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 18). 31 Offenbar Anspielung auf die geplante, allerdings nie abgeschlossene Dissertation von Hellmut Becker. 32 Der Frieden von Schönbrunn am 14. Oktober 1809 zwischen Frankreich und Österreich beendete den von Österreich verlorenen Fünften Koalitionskrieg. 26

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leonische System ein, verband die Tochter seines Kaisers33 mit dem Usurpator, blieb der sich bildenden europäischen résistance lange fern, um den offenen Kampf gegen den Diktator erst aufzunehmen, als der Erfolg fast sicherstand. Die Selbstdisziplin, die zu dem großen Spiel des Widerstandes durch Mitarbeit gehört, wird an diesem Beispiel ungewöhnlich deutlich. Man hält sozusagen die Trumpf-Zehn in der Hand und darf sie nicht ausspielen, solange das Ass des Gegners nicht gefallen ist, immer in der Gefahr, von den eigenen Verbündeten als Verräter angesehen zu werden, weil man nicht früher Farbe bekannt hat. Die jetzigen Prozesse basieren im Grunde auf der Forderung, daß die deutsche résistance vom Beginn des Spieles an die Karten offen auf den Tisch hätte legen sollen, in einem Spiel, in dem es um mehr noch als um Kopf und Kragen ging. II. Soweit sich Ihre Frage auf den übergesetzlichen Notstand bezieht, so ist sie allzu lakonisch, als daß ich ausführlicher darauf antworten könnte. Zu Ihrer vorläufigen Information nur Folgendes: Es handelt sich hier keineswegs nur um ein Postulat des deutschen oder des kontinentalen Rechts. Gerade die englische Völkerrechtslehre vertritt diese Theorie mit großer Entschiedenheit. Der Fall „Kopenhagen“34 (1807) ist der Hauptpräzendenzfall, auf den die englische Literatur sich stützt. Die englischen Standardwerke (Hall/Higgins, A Treatise on International Law, 8. Aufl., Oxford 1924, S. 322 ff. Oppenheim/Lauterpacht, International Law, 5. Aufl., London 1937, S. 243)35 er- | kennen das überpositive Recht des Staatsnotstandes („self-preservation in cases of necessity“36) mit Betonung an: in einer existentiellen Notlage sind Durchbrechungen des allgemeinen Völkerrechts und der Rechte anderer Staaten gestattet. (Ebenso das deutsche Hauptwerk Lizst/Fleischmann, Völkerrecht, 12. Aufl., 1925, S. 455 ff.; das Werk des Oesterreichers Verdroß, Völkerrecht, 1937, S. 189 f.; das Werk des Italieners Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, 3. Aufl., 1929, S. 395 ff.)37. 33

Marie-Louise von Habsburg (1791–1847), Tochter des Kaisers Franz I. (1768– 1835), war seit 1810 mit Napoleon Bonaparte verheiratet. 34 Nachdem Dänemark-Norwegen sich 1807 mit dem napoleonischen Frankreich verbündet hatte, wurde Kopenhagen im gleichen Jahr durch die britische Marine bombardiert und die dänisch-norwegische Flotte beschlagnahmt. 35 William Edward Hall/Alexander Pearce Higgins, A Treatise on International Law, 8. Aufl., Oxford 1924; Lassa Oppenheim/Hersch Lauterpacht, International Law, 5. Aufl., London 1937. 36 Engl.: „Selbsterhaltung in dringenden Notfällen“.

IV. Stellungnahmen von Ernst Rudolf Huber

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Nun ist mir nicht deutlich, in welchem Sinne das Notstandsproblem für den Fall W.[eizsäcker] wichtig ist. Jedenfalls nicht unmittelbar im Sinne dieser traditionellen Lehre vom „Staatsnotstand“. Wenn ich die Situation richtig sehe, so handelt es sich vielmehr um die Frage, wieweit dem Einzelnen, dem „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ oder „Kriegsverbrechen“ zur Last gelegt werden, zu seiner Verteidigung die Berufung auf einen übergesetzlichen Notstand zu Gebot steht. Nun ist im Flick-Urteil ausgeführt, daß den Angeklagten durch das K[ontroll-]R[ats]-Gesetz Nr. 10 die „Schutzbehauptung des Notstandes“ nicht entzogen wird. Diese Bemerkung kann sich nur auf einen „übergesetzlichen“ Notstand beziehen. Denn man bewegt sich in diesen Prozessen, soweit nicht das I[nternationale] M[ilitär-] T[ribunal]-Statut oder das K[ontroll-]R[ats]-Gesetz Nr. 10 reicht, überhaupt nicht auf dem Boden des positiven, sondern dem des überpositiven Rechts. Das Flick-Urteil38 setzt also dieses Recht des „übergesetzlichen Notstandes“ voraus. Es sollte nicht schwierig sein, auch im Wilhelmstraße[n]-Prozeß die Anerkennung der Schutzbehauptung des Notstandes durchzusetzen, soweit dies dem Interesse der Angeklagten dienlich ist. Es ließe sich allenfalls denken, daß man eigentlich „atrocities“39 nicht als Notstandshandlungen anerkennt, wobei ich allerdings nicht übersehe, wieweit die Anklage Herrn v. W.[eizsäcker] die Teilnahme an solchen Gewalt- und Greueltaten zur Last zu legen sucht. Wenn ich recht sehe, worauf Sie hinauswollen, so ist die Frage die, ob Herr v. W.[eizsäcker] um seines Hauptzieles, der Wahrung bzw. Herstellung des Friedens willen, berechtigt war, Straftaten sozusagen zweiten Ranges hinzunehmen. Er konnte seine Hauptaufgabe nicht gefährden, indem er es über eine Frage sekundären Ranges zum Konflikt mit den Machthabern kommen ließ. Wenn Sie es so meinen, so ist das offenbar eine neuartige Konstellation der Güterabwägung, für die es schwer sein wird, Belegstellen zu finden. Immerhin sollte es möglich sein, einen Rechtsgrundsatz zu formulieren, der von unmittelbarer Evidenz ist. Hüten muß man sich dabei nur, in die Nähe des gefährlichen Satzes zu kommen, der Zweck heilige die Mittel. Nun beruht allerdings die ganze überlieferte Lehre vom Tyrannenmord und mit ihr die Lehre vom Widerstandsrecht auf diesem Satz, in dem sich mittelalterliche Theologen und Jesuiten, Macchiavellisten und Jacobiner, Nationalisten und Imperialisten einig sind. Er ist insbesondere die sozialethische Basis des modernen Terrorismus, und die verzweifelte Dialek37 Franz von Lizst/Max Fleischmann, Völkerrecht, 12. Aufl., Berlin 1925; Alfred Verdroß, Völkerrecht, Berlin 1937; Dionisio Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, 3. Aufl., Berlin 1929. 38 Der Unternehmer Friedrich Flick (1883–1972) wurde im Dezember 1947 u. a. wegen Verschleppung zur Zwangsarbeit zu sieben Jahren Haft verurteilt. 39 Engl.: „Gräueltaten“.

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tik der Machtkämpfe bringt es mit sich, daß auch der Widerstand gegen den Terrorismus schließlich auf dieses Axiom vom Zweck, der die Mittel heilige, zurückgreifen muß. Ich nehme jedoch an, daß Sie nicht gewillt sind, sich in diese terroristische und gegen-terroristische Moral zu verstrikken. Wenn Herr v. W.[eizsäcker] innenpolitisch kein „Attentäter“ war, wie Ihr Opening Statement sagt, so war er gewiß auch aussenpolitisch allen Auffassungen fern, die das Verbrechen um eines höheren Zieles, sei es auch das des Friedens, hinzunehmen bereit waren. Wenn man also im Falle W.[eizsäcker] nach der Zulässigkeit von Notstandshandlungen und nach den Maßstäben der Güterabwägung fragt, so müßte deutlicher gesagt sein, um welche Handlungen und um welche Güter es in der vorausgesetzten Kollision der Pflichten geht. Wenn Sie unsern Meinungsaustausch fortzusetzen wünschen, so informieren Sie mich bitte etwas über die Art Ihrer Fragestellung40. Kennen Sie übrigens die (ungedruckte) Arbeit von Carl Schmitt „Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz Nullum crimen, nulla poena sine lege“ (August 1945), die eindringlichste, fundierteste und abgewogenste Darstellung und Analyse dieses Problems? Wenn sie von Bedeutung für Sie wäre, so könnte ich sie Ihnen zugänglich machen. Stets der Ihre ERH 3. Ernst Rudolf Huber, Idee und Realität eines Freideutschen Bundes, 1949 Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 219, Nr. 10. Durchschlag, maschinenschriftlich

Das Thema, das mit der Frage nach „Idee und Realität eines Freideutschen Bundes“ umrissen ist, könnte leicht dazu verführen, das mißliche Geschäft der Selbstbespiegelung, der eigenen Wesensanalyse, der unfruchtbaren Selbstdeutung zu betreiben. Ich will mich bemühen, dieser Gefahr zu begegnen. Was mir am Herzen liegt und was mir zugleich objektiv notwendig zu sein scheint, ist etwas anderes – ist Besinnung auf die Aufgabe, vor die wir als Glieder der ehemaligen Jugendbewegung gestellt sind, auf die Chance, die uns geöffnet ist, auf die Verantwortung, die uns auferlegt ist in dieser Zeit der großen Wandlung der Werte und der letzten Sammlung der Kräfte. Unsere Aufgabe, unsere Möglichkeit, unsere Verantwortung werden durch den Namen des Bundes bezeichnet, einen Namen, der uns durch die 40 Becker dankte am 6.8.1948 für insgesamt drei Briefe Hubers vom 18., 24. und 31.7.1948. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Nachlass Hellmut Becker, Akten betr. Weizsäcker-Prozess B-Sch, Bd. 19.

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Tradition der Jugendbewegung mitgegeben ist und den wir in der Zeit männlicher Reife, in die wir eingetreten sind, mit neuem verpflichtendem Sinn zu erfüllen haben, wenn wir nicht vor der Gegenwart und der Zukunft versagen sollen. Wenn wir uns der entscheidenden Frage stellen, ob wir ein Bund sein wollen und können, so werden wir der Einsicht nicht ausweichen können, daß es sich dabei um eine eminent politische Frage handelt. Wir werden insbesondere nicht unterlassen können zu erörtern, in welchem Verhältnis der Bund zu anderen Formen sozialer Einung, nämlich zu dem, was wir „Bewegung“, und zu dem, was wir „Partei“ nennen, steht. In einem gewissen Maße wird diese Frage „Bewegung, Partei und Bund“ im Mittelpunkt dessen stehen, was ich zu sagen mich anschicke. Ich glaube, diesen gedanklichen Weg gehen zu müssen, wenn Klarheit darüber gewonnen werden soll, in welcher Weise ein Freideutscher Zusammenschluß in der Wirklichkeit unserer Zeit stehen und handeln kann. Ich halte es für meine Pflicht, dabei mit voller Offenheit vorzugehen, auch auf die Gefahr hin, Widerspruch hervorzurufen. Wir wären kein Bund, wenn wir nicht vermöchten, solche Gegensätze in Offenheit und Fairness auszutragen. I. Worin sehen wir das Wesen des Bundes? Untrennbar ist dieses Wesen des Bundes von den Formen sozialer Einung, die wir in unserer jugendlichen Zeit neu entdeckt, gelebt und entfaltet haben – den Formen der Gemeinschaft und der Bewegung. Kein Mißbrauch, keine Entartung, Uebersteigerung und Verfälschung haben den echten Sinngehalt dieser Formen zerstören können. Aber die drei Jahrzehnte von 1914 bis 1944 haben uns der Gefahr der sozialen Dekomposition inne werden lassen, die dem reinen Dynamismus eigentümlich ist, der in den Erscheinungen der Gemeinschaft und der auf sie gegründeten Bewegung beschlossen ist. Obwohl die alte Jugendbewegung frühzeitig den Namen des Bundes für sich in Anspruch nahm und sich in einer bestimmten Phase ihrer Entwicklung geradezu als „bündische Jugend“ definierte, war sie allezeit mehr Bewegung als Bund. Es gibt denn auch keine soziale Erscheinung, die sich mit soviel Nachdruck und soviel Recht als „Bewegung“ bezeichnet hat, wie wir es in den Jahrzehnten unseres Aufbruchs taten. Man darf aussprechen, daß das Wort „Bewegung“, obwohl es vor uns mannigfache geistige, soziale, politische, religiöse und sogar „weltanschauliche“ Bewegungen gab, erst durch uns zu einer prägnanten, dh. inhaltserfüllten Vorstellung geworden ist. Allerdings wird es schwer sein, das Bewegungsmäßige in einem präzisen Begriff zu umschreiben. Das Fortschreitend-Fliessende, das Grenzenlos-

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Schweifende, das nach Unendlichkeit und Innerlichkeit drängende, das Ungeformte und Unorganisierbare, das Mannigfaltige und doch Einfältige sind nur Hinweise auf den seltsam undefinierbaren Charakter dessen, was mit Bewegung ausgedrückt ist. In allen diesen Hinweisen liegt das umschlossen, was wir das „Romantische“ nennen, nicht in dem vulgären Allerweltssinn dieses Wortes, sondern durchaus in unmittelbarer Beziehung auf die eigentliche historische Erscheinung der deutschen Romantik, die ja am ehesten auch „Bewegung“ genannt zu werden verdient und die in ihrem Schicksal so viel Gemeinsames mit unserer Bewegung zeigt. Die Jugendbewegung war eine Form der Neo-Romantik; das war unser Weg und unser Schicksal. | Aus dem romantischen Grundcharakter der Jugendbewegung erklärt sich, wie mir scheint, ihr problematisches Verhältnis zur Wirklichkeit. Von der Romantik aus gibt es keinen Zugang zur Realität, zur Ratio, zur Form, zur Aktion. Der romantische Mangel an Realitätssinn erklärt, weshalb unsere Bewegung in so vielen Fällen eine Flucht in utopische Projekte war, ein Rückzug auf Inseln des Daseins, ein Absinken in unhistorische Existenz. Der romantische Verzicht auf die Ratio erklärt, weshalb es von der Jugendbewegung aus keine Philosophie, keine Metaphysik, keine Religion, keine Dogmatik, keine Ideenlehre, nicht einmal eine Ideologie geben konnte. Was sich uns als Ersatz anbot, war die „Weltanschauung“, gewiß noch im vollen, plastischen Sinn, in der „vor-totalitären“ Bedeutung dieses dann durch soviel Mißbrauch unerträglich gewordenen Worts – damals aber auch für uns schon ein Komplex irrationaler Stimmungen, Sehnsüchte, Träume, Erinnerungen, Bilder und Gleichnisse – ein gefährliches Zauberwort, aber keine Idee. Das Romantische der Jugendbewegung erklärt, wieso es hier Stil, aber keine Form gab – unter der Formlosigkeit allerdings eine unnachahmliche Sicherheit in Gebärde, Blick und Gehaben, die es später so leicht gemacht hat, aus einer Menge von Bürgern oder Soldaten die alten Bündischen herauszuspüren. Das Romantische erklärt vor allem die Unfähigkeit zur Aktion – unter viel äusserer Betriebsamkeit und Unruhe ein seltsames Versagen, wo es galt, die Dinge in den Griff zu bekommen. Und dieser Mangel wiederum läßt die Bereitschaft verständlich erscheinen, sich hinzugeben, als jemand kam, der eben dies verstand – der wußte, wie man die Welt mit Taten und Untaten erfüllt. Ich erwarte Widerspruch, wenn ich noch einen Schritt weitergehe. Das Romantische der Jugendbewegung erklärt auch, wieso hier der Umschlag aus der Innerlichkeit in die Aeusserlichkeit möglich war, wieso bei so entschiedener Organisationsfeindschaft ein so unendliches Ringen um Organisation stattfinden konnte, wieso trotz des organisatorischen Chaos, in dem die Jugendbewegung sich immer befand, doch ein so gefährliches Organisationsmodell wie das Prinzip von Führung und Gefolgschaft entwickelt wer-

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den konnte. Das Romantische erklärt, wie aus dem Drang ins Grenzenlose und Ungemessene, der bei uns ins Innere gekehrt war, ein so gefährlicher Dynamismus im Aeusseren sich bilden konnte. Es lag in uns etwas von der Mischung von Sentimentalität und Intoleranz, die dem Romantiker eigentümlich ist, gleichviel ob er ins Lager der Revolution oder das der Orthodoxie übergeht. Mit dieser Mischung von Gemüt und Unduldsamkeit lieferten wir, was nicht verschwiegen sei, einen Beitrag zu dem explosiven Stoff, aus dem der moderne Jacobinismus sich formte. Das Zeitalter des totalitären Jacobinismus ist noch nicht abgelaufen, und so beansprucht diese Feststellung mehr als nur ein historisches Urteil zu sein. Es soll mit alledem gesagt sein, daß eine Bewegung, auch wenn sie selbst ohne ein echtes und unmittelbares Verhältnis zur Wirklichkeit ist, doch mit den von ihr entbundenen Energien in die Wirklichkeit einzugehen vermag. Auch wer nicht klarsichtig, bewußt und planvoll zu handeln imstande ist, kann doch Wirkungen von großer Tragweite auslösen, wenn er seine Kräfte einem im Ablauf begriffenen historischen Prozeß überantwortet. Die Unfähigkeit zur Aktion schließt die Verstrickung in große Wirkungszusammenhänge nicht aus. Und ich setze hinzu, daß die objektive Verantwortlichkeit einer Bewegung für den Beitrag, den sie zur Umformung der Wirklichkeit geleistet hat, umso schwerer wiegt, wenn sie sich der Wirkungen nicht bewußt zu werden verstand, die von ihr ausgegangen sind. II. Vieles von dem, was in uns als Erlebnis bereit lag, ist von dem ausufernden Strom des totalitären Dynamismus ergriffen worden – an uns ist es zu zeigen, daß wir in der großen Flut des diktatorischen Nihilismus nicht untergegangen, sondern zur Tat gereift sind. Unter dem Namen des Bundes begreife ich die soziale Einung, in der wir die Stufe der Bewegung überwinden und uns zur Wirklichkeit, zum Bewußtsein, zur Form und zur Aktion bereit machen. Der Bund ist mehr als Gemeinschaft, ist auch mehr als Bewegung. Er ist zwar gegründet in erlebter Gemeinschaft und getragen von der dynamischen Kraft der Bewegung. Aber über die romantische Phase unserer Entwicklung | hinaus bildet sich im Bund eine auf die bewußte Gestaltung der Wirklichkeit gerichtete Form sozialer Aktion. Diese Wandlung wird sich für uns nicht von selbst ergeben; sie wird nicht leicht errungen sein. Wir sollten uns eingestehen, daß in unsern Reihen, vielleicht in den meisten von uns, noch viel von jener jugendbewegten Haltung lebendig ist, die sich bald in die tatenlose Innerlichkeit zurückzieht, bald in die effektlose Betriebsamkeit verliert. Der Bund aber, um den wir ringen, ist eine Gemeinschaft der Tat.

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Echte Taten erwachsen nicht aus der mystischen Versenkung; aber auch die bloße Unruhe ist keine Aktion. Echte Taten gehen nicht aus dem dunkeln Drang irrationaler Kräfte hervor; sondern setzen Helligkeit des Bewußtseins voraus. Sie entspringen nicht der Hemmungslosigkeit eines entfesselten Dynamismus, sondern sind gebunden an die Fähigkeit zu Maß und Form. Sie zielen nicht auf die romantische Utopie, die sich den Schranken der Wirklichkeit zu entziehen sucht, indem sie sich in Nebel und Dämmerung verliert. Aber sie geben sich auch dem Wahn jenes Willens zur Macht nicht preis, der der Realität zu entkommen strebt, indem er das Wort „unmöglich“ aus seinem Wörterbuch verbannt. Doch wollen echte Taten die Wirklichkeit bewältigen; sie sind daher nicht weniger weit als von der Utopie und vom Machtwahn von dem Opportunismus entfernt, der sich den Fakten mit der billigen Rechtfertigung unterwirft, daß Politik eine „Kunst des Möglichen“ und daß Strategie ein „System von Aushilfen“ sei. Zur Tat gehört der Mut, sich um künftiger Möglichkeiten willen gegen die sich hier und jetzt umgebende Wirklichkeit zu stellen. Wer die Vergangenheit mit Bewußtsein erlebt hat und die Gegenwart mit Bewußtsein zu erleben weiß, ist sich darüber nicht im Zweifel, was von dem wahrhaft Tätigen gefordert wird. Die beflissene Anpassung an die Verhältnisse und die vorbehaltlose Unterwerfung unter die jeweilige Macht geben gewisse Chancen des Ueberlebens, schließen jedoch den Verzicht auf sittliche Freiheit und verantwortliches Handeln ein. Echte Taten sind nicht darauf gerichtet, die Welt mit Unruhe zu erfüllen – doch auch nicht darauf, die Welt so zu lassen, wie sie ist. Sie wollen der Welt eine dauernde, sich lebendig fortbildende Ordnung schaffen. Wer aber eine geordnete Welt gestalten will, muß an sich selbst erwiesen haben, daß er den Sinn und die Kraft zur Ordnung besitzt. Das gilt für den Einzelnen, ebenso aber für die Gemeinschaften, die sich zu ordnenden Taten bereit machen. Wenn wir den Bund zur gestaltenden Aktion fähig machen wollen, bedürfen wir der geformten Konstitution. Ein Bund ist nur möglich, wenn er eine Führung, eine Hierarchie, ein Willenszentrum, ein Aktionsprogramm – wenn er Organschaft, Disziplin und geordnete Verantwortlichkeit besitzt. III. Mit der Feststellung, daß der Bund auf Aktion gerichtet ist, ist nicht gemeint, daß er es mit der „direkten Aktion“ zu tun habe, von der Georges Sorel in seinem Buch „Ueber die Gewalt“ handelt. Taten sind nicht notwendig revolutionäre oder kriegerische Gewalttaten. Zwar leben wir in einer Welt, die nicht aufgehört hat, sich in der revolutionären oder kriegerischen Gewaltsamkeit zu äussern. Doch wird jeder, dem es um die Wiederherstel-

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lung und den Fortbestand geordneten menschlichen Daseins geht, seinen Sinn auf andere Taten als die der direkten Aktion richten. Doch ist die Tat auch etwas anderes als die bloße Reflektion und Diskussion. Es ist begreiflich, daß in Deutschland die Freude über die wiederhergestellte Freiheit der Meinungsäusserung sich zunächst im unendlichen Gespräch ergeht. Die Fähigkeit zur spontanen und doch disziplinierten Diskussion trifft man in Deutschland so selten wie früher an. Doch ist einem Bunde mehr noch als die Pflege der echten Diskussion aufgegeben, so wichtig diese für die Integration der öffentlichen Meinung und zur Vorbereitung des Entschlusses ist. Ein Bund soll dazu beitragen, die Ordnung der sozialen Einheit durch gemeinsames planvolles und bewußtes Handeln gestaltend zu erneuern, zu befestigen, zu durchdringen, zu beleben und gegen Angriffe von aussen wie gegen Zersetzung von innen zu sichern. Es bedarf dazu eines konstruktiven Prinzips, es bedarf einer Gesamtanschauung vom Aufbau der Welt und ihrer Ordnungen, es bedarf der denkerischen Bewältigung der sozialen Probleme unserer chaotischen und anarchischen Zeit, und es bedarf der | Kühnheit und Kraft, die Wirklichkeit schaffend nach einem neuen Bild zu formen. In Zeiten eines gesicherten Daseins mochte man sich mit dem Glauben an die Selbstentfaltung einer „prästabilierten Harmonie“, an den selbsttätigen dialektischen Prozeß der Geschichte oder an das Gesetz des unendlichen Fortschritts beruhigen. In der Trümmerwelt, in die wir geworfen sind, ist evident, daß nur die Tat über Ruinen, Schrott und Gräbern eine neue Ordnung der geistigen Werte und der materiellen Güter wird errichten können. Trotz dieser Wendung zur Aktion ist der Bund kein Verein, kein Interessenverband, insbesondere aber keine Partei. Von allen bloßen Zweckorganisationen unterscheidet sich der Bund dadurch, daß er in dem Grunderlebnis sozialer Gemeinschaft wurzelt. Er ist eine vor allen rationalen Zwecken gegebene Einheit, die nicht um bestimmter Handlungen willen geschaffen ist, sondern die, weil sie als Einheit besteht, zu Taten fortschreitet. Von allen Parteien aber unterscheidet sich der Bund dadurch, daß er nicht wie diese auf der beunruhigenden Kombination von Interesse, Ideologie und Willen zur Macht beruht. Es ist hier nicht der Ort, über die Problematik der deutschen Parteiengeschichte und des heutigen deutschen Parteiwesens zu sprechen. Es ist offenbar, daß eine moderne Massendemokratie ohne politische Parteien nicht möglich ist, gleichviel ob sie als liberale Demokratie auf dem Mehrparteiensystem oder ob sie als totalitäre Demokratie auf dem Einparteisystem beruht. Die totalitäre Diktatur im modernen Massenstaat ist nicht der Gegensatz, sondern der Endzustand der auf der Mobilisation der Massenkräfte beruhenden Parteiendemokratie. In dem historischen Gesetz der fortschreitenden Akkumulation der sozialen Energien und des schließlichen dialekti-

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schen Umschlags aus der Quantität in die Qualität liegt die das Erbe Europas bedrohende Chance des totalitären Kollektivismus, die, wie jedermann deutlich ist, mit Hitlers Sturz nicht zerstört worden ist, sondern der, unter einem anderen ideologischen Vorzeichen, das Feld nun nur noch weiter geöffnet zu sein scheint. Wir sollten nicht vergessen, daß der Osten und die Mitte Deutschlands diesem Gesetz ausgeliefert sind und daß auch wir im Westen bei einer geringen Drehung der Weltpolitik unversehens wieder in diesen Bannkreis der totalitären Akkumulation geraten können. Wenn ich sage, daß das Wesen der politischen Parteien auf der Symbiose von Interesse, Ideologie und Willen zur Macht beruhe, so bedarf dieser Satz vielleicht einer gewissen Erläuterung. Seit dem Aufstieg der modernen Demokratie, also seit dem Sieg der großen Französischen Revolution, haben die politischen Parteien sich konstituiert als Verbände, die ihr Ziel in der Verteidigung oder Durchsetzung von gesellschaftlichen, meist von ständischen oder klassenmäßigen Interessen, und zugleich in der Verwirklichung von weltanschaulichen Prinzipien haben; sie bedürfen zu diesem Zweck der Erringung politischer Macht. In der realen Erscheinungsweise der politischen Parteien überwiegt bald das eine, bald das andere dieser Momente. In den angelsächsischen Ländern sind die Parteien in stärkerem Maße durch das Interesse als durch die Ideologie konstituiert. Da gegensätzliche Interessen leichter durch Kompromisse auszugleichen sind als gegensätzliche Ideologien, hat der Parteienkampf in diesen Ländern niemals die Schärfe angenommen, die für das kontinentale Parteiwesen kennzeichnend ist. Die Gefahr dieses Systems besteht darin, daß der politische Kampf leicht zu einem bloßen Wettbewerb materieller Interessen wird, und daß der Staat am Ende als eine bloße Fassade vor einem ausschließlich ökonomisch-sozialen Interessensystem erscheint. Auf dem Kontinent und vor allem in Deutschland sind die Parteien im 19. Jahrhundert als Weltanschauungsverbände entstanden; sie haben diesen Charakter bis heute bewahrt. Selbst dort, wo sie sehr reale Interessen verfolgen, sind sie geneigt, ein weltanschauliches Prinzip daraus zu machen, für das sie mit ideologischer Inbrunst eintreten. Selbst in den Zeiten seines Verfalls trug dieses System weniger den Charakter der materiellen als den der intellektuellen Korruption. Wir haben uns auf dieses ideologische Gepräge unserer Demokratie lange etwas zugute gehalten. Aber Ideologien haben weit mehr als Interessen die Tendenz, sich absolut zu setzen, und so erschwert der Gegensatz von Weltanschauungsparteien den Kompromiß, ohne den in einem Mehrparteienstaat die Demokratie nicht möglich ist. | Weltanschauungsparteien tragen stets die Gefahr der Intoleranz, ja die Möglichkeit, wenn nicht gar die verborgene oder offene Tendenz des Totalitarismus in sich. Denn eine Weltanschauung, wenn es nicht gerade die des

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Relativismus ist, muß sich, wenn sie sich ernst nimmt, absolut setzen. Wird Weltanschauung zum Prinzip der Politik gemacht, so entbrennt fast unausweichlich ein Kampf à outrance. Steigern sich die ideologischen Parteien in diesem Kampf in den Anspruch auf die „absolute Totalität“ hinein (wenn ich diesen sprachlichen Pleonasmus hier wagen darf), so ergibt sich zugleich eine Situation, in der die Macht aus einem Mittel zum eigentlichen Zweck des politischen Kampfes wird. Auf den Punkt äusserster Steigerung getrieben, wird die Idee mit der Macht identisch. Der Geist nimmt den Charakter seines Gegenteils, der ungeistigen Macht, an. Die realen gesellschaftlichen Interessen, ja selbst die weltanschaulichen Prinzipien treten zurück gegenüber dem Willen zur Macht an sich. Es entsteht das, was man den Nihilismus des totalitären Machtwillens genannt hat. Wir brauchen nicht in die Vergangenheit zu blicken, um dieses dialektischen Prozesses ansichtig zu werden, in dem Interesse und Idee aus bewegenden Kräften zu bloßen Instrumenten, die Macht aber aus einem Werkzeug zum allesbeherrschenden Antrieb der Politik geworden sind. Ein gesundes Parteiwesen beruht auf dem inneren Gleichgewicht realer Interessen, idealer Prinzipien und politischer Machttriebe. Wird eine dieser Komponenten übersteigert und allein ausschlaggebend, so entartet das Parteiwesen im klassenmäßigen Materialismus, im ideologischen Zerfall der nationalen Einheit und im totalitären Nihilismus des absoluten Willens zur Macht. Das Gleichgewicht der Elemente des Parteiwesens aber hängt davon ab, ob die Parteien sich bewußt bleiben, daß sie auch in der modernen Massendemokratie einem höheren Ganzen verpflichtet sind, gleichviel ob man dieses Ganze als die Gesellschaft, die Nation, den Staat, die allgemeine Wohlfahrt oder die Gerechtigkeit definiert. Solange die Parteien sich als bloße Werkzeuge im Dienste eines höheren Ganzen begreifen, bewahren sie die Möglichkeit des politischen Zusammenspiels, sei es im Rahmen einer Koalition, sei es im Verhältnis von Regierungspartei und Opposition. Bei noch so scharfen Gegensätzen stehen sie auf einem gemeinsamen Boden und stimmen sie in einigen fundamentalen Sätzen überein, deren bindende Kraft umso stärker ist, je weniger man sie im Munde führt. Sobald die Parteien sich aus diesem Dienst am Ganzen lösen, treten sie untereinander in ein Kartell gemeinsamer Ausbeutung der Staatsmacht oder in einen absoluten Gegensatz. Die Nation wird zum Objekt des Kuhhandels – oder zum Heerlager organisierter Parteikader. Es entsteht in diesem zweiten Fall, der uns näher berührt, ein latenter Bürgerkrieg, der notwendig in der offenen oder getarnten Diktatur und im Uebergang der unterdrückten Minoritäten in die Résistance endet. Ich habe diese Abschweifung gewagt, um die Bedingungen der Welt zu charakterisieren, in der wir uns als Bund zu wirken anschicken. Es wird für unsere künftige Position entscheidend sein, ob das noch in den Anfängen

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seines Wiederaufbaus steckende deutsche Parteiwesen wenigstens im Westen das innere Gleichgewicht seiner Elemente Interesse, Ideologie und Machtwille gewinnt und ob es in sich das Bewußtsein zu entwickeln vermag, daß Parteien nicht Selbstzweck, sondern nur Teile im Dienste eines höheren Ganzen sind. Auch wenn man sich von der verbreiteten Glorifizierung englischer Verfassungsverhältnisse fernhält, darf es doch als ein Vorzug des englischen Parteiwesens anerkannt werden, daß dort das innere Gleichgewicht von Interesse, Ideologie und Machttrieb und die selbstverständliche Einordnung in ein höheres Ganzes die Grundlage der Verfassung ist. IV. Gleichviel nun, ob wir mit Hoffnung oder Besorgnis auf das Parteisystem der Massendemokratie blicken, die Parteien sind notwendige Träger der politischen Willensbildung, der Verwaltungs- und Regierungskontrolle, der politischen Integration überhaupt, solange die Menschheit im Zustande der Massenzivilisation lebt, also auf unabsehbare Zeit. Die Demokratie ist in unserem Zeitalter notwendig Parteien- oder Einparteistaat. Wenn wir uns anschicken, uns innerhalb dieses gegebenen Systems als „Bund“ zu konstituieren, so kann unsere Absicht dabei weder sein, einen | Schlag gegen das System der Parteiendemokratie zu führen, noch selbst zur Partei zu werden. Beides liefe übrigens auf das Gleiche hinaus. Denn der Versuch, das heutige Parteiwesen durch die Bildung echter Bünde zu ersetzen, würde nur dazu führen, daß die Bünde ihrerseits zu Parteien würden. Wir waren nach dem Gesetz, das in uns mächtig ist, zu einem solchen Vorstoß weder imstande, noch könnte er in unserer Absicht liegen. Wir können und wollen nicht Partei sein, weder innerhalb des heutigen Parteiengefüges noch an seiner Stelle. Denn uns fehlt das, was einer Partei in einer Massendemokratie erst die Möglichkeit des Wirkens gibt: die politische Vitalität, Potenz und Energie, die aus der Symbiose von Interesse, Ideologie und Machtwillen hervorgeht. An diesem für die Parteien konstitutiven Prinzip haben wir nicht teil. Das ist in der Welt, in der wir leben, eine spezifische Schwäche des Bundes. Unser Problem besteht darin, ob es uns gelingen wird, aus dieser Freiheit von der im Prinzip der Partei gegebenen Dämonie des Interessen-, Ideen- und Machtverbandes unsere spezifische Stärke zu entwickeln. Die Wirkungsmöglichkeit unseres Bundes besteht in der Chance, das parteimäßige Gefüge der heutigen Massenwelt durch ein von ihr verschiedenes Konstitutions- und Aktionsprinzip zu überlagern und zu durchdringen. Es ist nach dem, was ich in knappen Andeutungen gesagt habe, vielleicht verständlich, wenn ich das Wesen des Bundes so umschreibe:

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Er ist parteiunabhängiger, von bestimmten Klasseninteressen gelöster, dem Gegensatz der politischen Ideologien entrückter, vom Willen zur Macht freier Verband von Menschen, der auf das Gemeinschaftserlebnis einer bestimmten Generation, auf das Bewußtsein der Verantwortung für ein höheres Ganzes und auf das Ethos der Sachlichkeit gegründet ist, woraus ihm die Legitimation und die Verpflichtung zur Aktion erwächst. Es bedarf gewiß der Erläuterung, was in diesem Versuch einer Definition unter dem Ethos der Sachlichkeit verstanden wird. Ich sehe darin den Gegenbegriff gegen Interesse, Weltanschauung und Willen zur Macht. Anderthalb Jahrhunderte politischer Erfahrung mit dem Prinzip der modernen Parteiendemokratie haben gezeigt, daß Interesse, Ideologie und Machttrieb in ihrer Vereinigung unentrinnbar zu einer Dämonisierung des politischen Kampfes führen, die den Zugang zur Lösung der sozialen, politischen und geistigen Probleme nach dem Prinzip der unvoreingenommenen Sachlogik verstellt. Alle überkommenen Institutionen, die ihrem Ursprung nach auf die unvoreingenommene Sachlogik gegründet waren, insbesondere die Bürokratie, sind durch diese Dämonisierung des politischen Kampfes im Laufe des vergangenen Jahrhunderts denaturiert worden, sie zeigten sich schließlich als in besonderem Maße anfällig für den Mißbrauch institutioneller Mittel für ideologische Zwecke. Es gilt, neue Institutionen zu schaffen, in denen die Probleme der sozialen und politischen Ordnung ausschließlich unter dem Blickpunkt der sachlichen Notwendigkeit behandelt und der Lösung zugeführt werden. Ich verkenne nicht, daß es gerade über die Frage, was sachlich notwendig ist, zu erheblichen Meinungskämpfen kommen kann. Die Logik der Sache ist in der Regel nicht so eindeutig, daß nicht verschiedenartige, einander entgegengesetzte Lösungen eines Problems in Frage zu ziehen wären. Aber eben darauf kommt es an, daß die verschiedenartigen denkbaren Lösungen gedanklich nebeneinander entwickelt und in unvoreingenommener Objektivität geprüft werden, bevor eine Entscheidung fällt. Es wäre töricht zu leugnen, daß die Entscheidung nicht more geometrico berechnet werden kann, sondern in einem gewissen Maße von unwägbaren Voraussetzungen, von ethischen Wertungen, auch vom subjektiven Ermessen abhängig ist. Es wäre unmenschlich, das Menschliche und Allzumenschliche aus dem Bereich politischer Entscheidungen schlechthin ausmerzen zu wollen. Was aber gelingen muß, ist, daß alle Entscheidungen unter die Kontrolle des Gebots zur Sachlichkeit treten. Der Bund jedenfalls müßte sich zum Herold der Sachlichkeit machen, nicht dadurch, daß er neben anderen Weltanschauungen eine „Ideologie der Sachlichkeit“ entwickelt, sondern dadurch, daß er vorbildliche qualifizierte sachliche Arbeit leistet. Nur durch das Beispiel kann gezeigt werden, was eine von Interessen und Ideologien freie sachliche Politik bedeutet.

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Ich verkenne weiter nicht, daß sich Interesse, Ideologie und Machttrieb vielfach gerade der sachlichen Argumente bemächtigen, um sie in ihren Dienst | zu zwingen. Die Weltanschauung ist ohne Propaganda nicht möglich; die Propaganda aber ist ein System, das die Wahrheit als Vorspann für die Lüge benutzt. Gerade diese Gefahr des Mißbrauchs der Sachlichkeit für unsachliche Zwecke macht es umso notwendiger, zu Einrichtungen zu gelangen, die sich um unverfälschte Sachlichkeit bemühen. Es erschiene mir als ein ausserordentlicher Fortschritt, in gewissem Sinne geradezu als eine Erlösung vom Alb der propagandistischen Halbwahrheiten, wenn wir ein Forum und wenn wir einzelne Gremien schaffen könnten, wo die drängenden Fragen der Zeit mit dem äussersten Maß an unvoreingenommener Sachlichkeit, mit der echten Bereitschaft zum Verständnis für das gegnerische Wort, mit dem Willen zur uneigennützigen Tat besprochen werden. Es wäre falsch, diese Haltung, der wir uns verpflichtet fühlen, mit dem Ausdruck „Neutralität“ zu bezeichnen, da er leicht als bloße Negation der Stellungnahme, als Verzicht auf eine Entscheidung, als Flucht in die Passivität mißverstanden werden könnte. Neutralität in dem bedeutenderen Sinne dieses Wortes allerdings ist notwendig, daß man einen Standort jenseits der Fronten klassengebundener Interessen oder parteigebundener Ideologien aufsuche, um so die Freiheit der sachgemäßen Entscheidung zu gewinnen. Die Position des Bundes müßte eben dieser Standort der Freiheit sein, einer Freiheit, die sich bemüht, die wirklichen Fakten, die wirklichen Mängel und die wirklichen Heilmittel mit ganzer Unbefangenheit zu erkennen, um dann das Notwendige zu tun. Solche Freiheit ist allerdings nur zu erringen, wenn sie nicht auf die rationale Technizität des bürokratischen Denkens, sondern wenn sie auf eine neue Metaphysik der Sitten gegründet ist. Mit kurzen Stichworten sei die Verschiedenheit, die sich in der inneren und äußeren Verfassung des Bundes im Vergleich zum Wesen der demokratischen Massenparteien ausdrückt, hervorgehoben: 1. Der Bund beruht auf dem Prinzip der Auslese – im Zeitalter der sozialen Massenorganisation. 2. Er beruht auf dem Prinzip der Hierarchie – im Zeitalter der sozialen Nivellierung. 3. Er beruht auf dem Prinzip der Toleranz – im Zeitalter der Unduldsamkeit, des Terrors und der ideologischen Aechtung. 4. Er beruht auf dem Prinzip der Solidarität – im Zeitalter der Klassenkämpfe, des Monopolkapitalismus und der proletarischen Diktatur. 5. Er beruht auf dem Prinzip der differenzierten Einheit – im Zeitalter des latenten oder offenen Bürgerkriegs zwischen ideologischen Fronten und des Zwangs zu Egalität und Uniformität, zu Gleichschaltung und Generallinie.

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6. Er beruht auf dem Prinzip der Freiheit – im Zeitalter der modernen Sklaverei und des neuen Despotismus. 7. Er beruht auf dem Prinzip der Autorität – im Zeitalter der zerstörten Legalität, der Anarchie und ihres Spiegelbildes: der totalitären Diktatur. V. Können und wollen wir ein Bund in diesem Sinne sein? Sind wir auf dem Wege dazu, ein Bund dieser Art zu werden? Es ist notwendig, daß wir uns mit ganzem Ernste Rechenschaft darüber ablegen, an welcher Wende freideutscher Entwicklung wir mit dieser Entscheidung stehen. Ein Bund zu sein, bedeutet für uns, daß wir hinauswachsen über die Stufe der Jugendbewegung, auch über die der bündischen Jugend. Es mutet uns zu, daß wir etwas anderes werden als ein Traditionsverband des alten freideutschen oder bündischen Gedankens. Gewiß könnten wir uns damit begnügen, uns der Pflege unserer Ueberlieferung und unserer Erinnerung hinzugeben. Warum sollte es nicht schön und sogar sinnvoll sein, sich an das Vergangene zu halten, da die Gegenwart trübe und die Zukunft dunkel und bedroht ist? Als wir uns in Altenberg vor einem Jahre trafen, fanden wir uns auf der Basis dieses Vergangenen, und es lag nahe, wenn damals gesagt wurde, daß wir mit dieser Wiederbegegnung ein Ende und keinen Anfang gesetzt hätten. Aber es ergab sich dann, daß in uns allen der Wille hervortrat, das in uns lebendige unzerstörbare Erbe als eine Verpflichtung zum | Handeln in Zeit und Zukunft zu begreifen. So bildete sich im Altenberger Konvent, wenn ich es recht sehe, die Zelle eines Bundes, d h. einer auf Tradition und Erlebnis gegründeten, in der Gegenwart und für die Zukunft wirkenden Gemeinschaft der planvollen Tat. So gewiß in uns das Bewußtsein der historischen Kontinuität lebendig ist, so gewiß ist unser Ziel nicht Restauration. Vieles ist zerstört, viel ist verloren – und wir werden es nicht wiederherstellen und nicht wiedergewinnen können. In der Lage eines unterjochten Volkes bietet sich der Geltungssucht die Chance der Kollaboration, dem Ressentiment die Chance der chauvinistischen Résistance. Unterwürfigkeit verbietet sich für uns von selbst. Was schwerer zu vermeiden ist, ist die Widerstandsgesinnung, die sich an die Wiederherstellung des Alten klammert, statt ihre Hoffnung auf den Aufbruch zu neuen Ufern zu setzen. So gering unsere Chancen sind, wir gäben sie ganz aus der Hand bei einem Rückfall in den bürgerlichen Nationalismus, der in den Kategorien des 19. Jahrhunderts verhaftet bleibt, statt sich in die Zusammenhänge des 20. Jahrhunderts einzuordnen. Was uns im Innern am meisten bedroht, ist der Durchbruch des proletarischen Nationalismus, der sich als psychische Ueberkompensation gegenüber der

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totalen Vernichtung des individuellen Besitzes und der totalen Entrechtung der Nation fast zwangsläufig ergibt. Hier das ausgeglichene Maß zu halten, das gute Recht der Nation auf Existenz und Ehre mit der Notwendigkeit internationaler Verständigung und Zusammenarbeit zu verbinden, wird eine der schwersten Aufgaben konstruktiver Politik sein. Der Bund würde hier Entscheidendes zu leisten vermögen, da er dem Agitationsbedürfnis der Parteien nicht unterworfen ist. So sicher uns der reaktionäre Drang nach Wiederherstellung nicht beseelt, so sicher ist unser Ziel nicht Revolution. Europa befindet sich seit 1789 in der „Revolution der Permanenz“; jede der Revolutionen, die sich als die endgültige und letzte ankündigte, ist nur ein Glied in der Kette fortschreitender Umwälzungen gewesen. Vor anderthalb Jahrhunderten schon hat de Maistre ausgesprochen, daß es, um die Revolution zu überwinden, nicht der Gegen-Revolution, sondern des Gegenteils von Revolution bedürfe. Was uns Deutschen nottut, ist eine Wandlung des Volkskörpers, der sich aus der Epoche der bürgerlichen, der proletarischen und der faschistischen Dekomposition zu neuer Einheit und in neuer Form erheben soll. Die Heilung wird nicht ohne neue schmerzliche und gefährliche Eingriffe, aber sie wird nur beim Verzicht auf neue Gewaltsamkeiten und Umwälzungen möglich sein. Was uns aufgegeben ist, ist die Sammlung der vitalen, geistigen, sittlichen Kräfte der Nation zum Werke der Erneuerung. Wir müssen es wagen, uns das Ziel der renovatio zu setzen, der Wiedergeburt des Volkes nach einem halben Jahrhundert des fortschreitenden Verfalls, der beschämenden Barbarisierung, des Wettlaufs zum Untergang. Was als Umwertung der Werte begonnen hat, droht in der Entwertung des Daseins zu enden. Wiederherstellung der echten Werte ist das Grundthema der Zeit. Notwendig wird es dabei sein, Recht und Macht, Freiheit und Autorität, Humanität und Nationalität in das rechte Verhältnis zu setzen. Die platte Negation von Macht, Autorität und Nationalität, wie sie heute der öffentlichen Meinung von ihren lizenzierten Wortführern aufgenötigt wird, ist nicht minder verhängnisvoll wie die Nichtachtung von Recht, Freiheit und Humanität in den Systemen des neuen Despotismus. Ein neues Bild des Menschen – ein vielbesprochenes Thema – ist unserer Zeit gewiß nötig, und zweifelhaft ist nur, ob der Versuch, das Menschenbild des christlichen Humanismus wiederzubeleben, der Realität, in der wir leben, adäquat ist. Nicht weniger nötig aber ist ein neues Bild vom Staat, der heute geringer denn je an Ansehen, aber in mancher Hinsicht, so im Verhältnis zum „fünften Stand“, der Klasse der „Normalverbraucher“, stärker als je an [der] Macht ist. Die eigentümliche Dialektik, die zwischen Ideologie und Realität besteht, hat dazu geführt, daß im vergangenen Jahrhundert, in dem die Autorität des Staates ständig sank, die Macht des Staates zu-

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gleich ständig wuchs, bis hin zu dem System totaler administrativer Planung, in dem wir immer noch zu leben genötigt sind. Daß der Staat weder Herr noch Instrument der Menschen, sondern Ordnung ihrer Gemeinsamkeit sein soll, ist oft gesagt, weniger oft begriffen und nur selten realisiert worden. Auch hier öffnen | sich große Aufgaben für einen Kreis, der sich um parteiunabhängige politische Wirksamkeit bemüht, dem der Staat daher weder Selbstzweck noch Mittel zum Zweck ist, sondern als permanente Identität des nationalen Ordnungsgefüges erscheint. Wir sind die Generation, die in dem Zeitalter des Niedergangs geboren wurde und die in ihm aufgewachsen ist. Die Bewegung, die wir verkörpern, ist von Anfang an eine Gegenbewegung gegen den Verfall unseres Jahrhunderts gewesen. Wir haben, wie wir uns eingestehen müssen, nicht selten in der Auflehnung gegen die Mächte des Verfalls gerade dazu beigetragen, den Verfall zu beschleunigen und zu verschärfen. Das ist ein Schicksal, das in der Geschichte den Gegenbewegungen häufig widerfährt, in schuldloser tragischer Verstrickung oder in schuldhafter Selbsttäuschung. Gleichviel was wir im Einzelnen gedacht, gewollt, bewirkt haben, wir können und wollen uns nicht ausschließen von der Verantwortung einer von Wagnissen, Hoffnungen, Erfahrungen und Fehlschlägen bis an den Rand erfüllten Epoche. Doch wir sind nicht verbraucht und nicht zerbrochen. Wir sind im Begriff uns neu zu konstituieren im Willen zum Widerstand gegen den Prozeß der Auflösung und im Willen zur Mitarbeit am Werke der Selbstbesinnung, der Erneuerung und der Wiederaufrichtung. Wir sind frei von den Krankheiten der Zeit – von Ressentiment sowohl wie von Verfolgungssucht. Zu der Sachlichkeit, zu der wir uns bekennen, gehört das Vermögen, Widerstand und Mitarbeit verbinden zu können. In dieser Freiheit konstituieren wir uns neu unter der alten und doch gewandelten Idee des Bundes. VI. Täuschen wir uns nicht darüber, daß es ein politisches Unternehmen ist, an das wir uns wagen. Politisch nenne ich es nicht wegen der Gegenstände, mit denen wir uns beschäftigen. Auch wenn wir uns auf sog. unpolitische Gegenstände beschränken wollten – auf Musikerziehung, auf Sozialpädagogik, auf Erwachsenenbildung, auf Flüchtlingsfürsorge oder Heimkehrerbetreuung etwa oder auch auf Fragen der religiösen Erneuerung, der sittlichen Fundierung, der philosophischen Besinnung – gingen wir an ein politisches Werk. In der Welt, in der wir leben, ist nun einmal, um eine der vielumstrittenen Formeln Carl Schmitts aufzugreifen, jeder Gegenstand ein mindestens potentiell politischer Gegenstand. Das heißt, es gibt keinerlei Bemühen um

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Dinge des öffentlichen Lebens, das sich der politischen Auseinandersetzung gegenüber zu neutralisieren vermöchte. Und selbst der Anspruch auf einen staatsfreien Bereich des intim-persönlichen Lebens kann nur im politischen Kampf durchgesetzt und behauptet werden. Diese dynamische Totalität des Politischen ist ein Faktum unseres Jahrhunderts, das nicht erst mit dem Aufkommen der sog. totalitären Parteien entstanden ist. Vielmehr sind die totalitären Parteien die Frucht der vorausgegangenen Totalität des Politischen, die ihrerseits eine unentrinnbare Konsequenz der modernen Massendemokratie, des Massenzeitalters, der „Perfektion der Technik“ ist. Damit daß man die Totalität des Politischen leugnet, schafft man sie nicht aus der Welt. Mit dem Zusammenbruch des deutschen totalitären Systems hat die Totalität des Politischen nicht geendet. Sie ist in einem gewissen Sinne für uns noch fühlbarer geworden, seit die Totalität der Niederlage, die Totalität der Kollektivverantwortung, die Totalität der Besatzungsdiktatur über uns gekommen sind. Nur daß wir nicht mehr Subjekt, sondern Objekt dieser Totalität des Politischen sind. Wo auch immer wir ans Werk der Erneuerung unserer Lebensordnung gehen, setzen wir politische Fakten und greifen wir in das bestehende System politischer Fakten ein. Wie in der Wirtschaft so gilt auch in der Politik das Gesetz der Interdependenz, d. h. eine Regung in irgendeinem Teilbereich wirkt auf das Gesamtsystem zurück und ruft oft an einem Ort, der ganz ausserhalb des ursprünglichen Gesichtsfeldes lag, Reaktionen, die nicht vorausgesehen waren, hervor. Wo auch immer wir uns bewegen, überall sehen wir uns dem großen Leviathan des Politischen gegenüber. Daß er nicht mehr die konkrete, bestimmbare, begrenzte Gestalt des Staates trägt, sondern uns als Partei, als Gewerkschaft oder Unternehmerverband, als Kulturorganisation oder Konfession oder in irgend einer anderen der zahl- | losen Formen direkter oder indirekter Gewalt begegnet, macht den Leviathan erst zu dem gestaltlosen, allgegenwärtigen, allesverschlingenden Ungeheuer, das in der Hobbes’schen Vision vorausgeahnt ist. Wenn wir uns als Bund konstituieren, so bedeutet das, gleichviel welchen konkreten Aufgaben wir uns zuwenden, den Versuch, aus der Position des bloßen Objekts fremder politischer Maßnahmen zum Subjekt eigenen politischen Wollens und Handelns zu werden. Politisch wird dieses unser Wollen und Handeln sein, weil es sich bemüht, auf die Erneuerung unserer Volksordnung zu wirken. Denn das Wesen des Politischen besteht, recht verstanden, in nichts anderem als der ständig zu bewältigenden Erneuerung, Reinigung, Festigung, Lockerung und Belebung der Volksordnung (und gewiß auch der völkerübergreifenden Zusammenhänge, worauf hier nicht näher einzugehen ist). Daß das Politische durch den Gegensatz von „Freund und Feind“ gekennzeichnet sei, ist ein Satz, der gewiß nicht widerlegt ist in ei-

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ner Welt, in der sich nicht nur die Völker in zwei großen Fronten gegenübertreten, sondern auch jedes Volk in zwei Heerlager auseinanderbricht, mag auch das eine nur als underground formiert sein. Was uns not tut, ist eine Politik, die die Bürgerkriegslage der Welt überwindet, damit nicht mehr nach Freund und Feind gefragt zu werden braucht, sondern das Ganze seine Ordnung findet. Politisch handeln wir auch dann, wenn wir uns bemühen, bestimmte Bereiche des öffentlichen Lebens zu entpolitisieren, d. h. sie dem Zugriff, der Kontrolle, der Steuerung der politischen Gewalthaber, seien sie staatlich oder anders organisiert, zu entziehen. Die Freiheit ist stets ein hochpolitischer Begriff. Allein dadurch, daß wir die Freiheit unseres Bundes postulieren, stellen wir eine eminent politische Forderung auf und gehen wir, was hinzugesetzt sei, ein eminent politisches Risiko ein. Das Bekenntnis zum Ethos der Sachlichkeit ist ein Bekenntnis zu einem politischen Prinzip. Ein Bund ist, wenngleich keine politische Partei, so doch seinem Wesen nach eine politische Institution, belastet mit der vollen Verantwortung und dem vollen Risiko, die in jeder politischen Wirksamkeit enthalten sind. Aber die politische Gefahr, die in der Passivität liegt, ist nicht geringer. Vielleicht mindert sich das Wagnis sogar, wenn man sich zur politischen Aktion entschließt und sich nicht scheut, den Leviathan ins Auge zu fassen. Am Ende erweist das gefürchtete verderbenschwangere Ungeheuer sich dann, um im Rahmen der Hobbes’schen Gleichnisse zu bleiben, nur als ein potenzierter Mensch und nicht als ein zum Dämon gewordener sterblicher Gott.

V. Autobiographisches von Ernst Rudolf Huber 1. Exposé, 1946/47 Universitätsbibliothek Göttingen, Handschriftenabteilung, Cod. Ms. R. Smend A 389/Beil., Kopie: Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 716 Durchschlag, maschinenschriftlich

1. Entwicklung bis zum Jahre 1933 Ich entstamme, geboren in Idar-Oberstein am 8. Juni 1903, einer alteingesessenen, westdeutschen Kaufmannsfamilie, in der bürgerlicher Lebensstil, nationalliberale Gesinnung und protestantische Erziehung Tradition waren. Seit 1913 gehörte ich der Jugendbewegung an, in der ich zuletzt als Mitbegründer und Führer des „Nerother Wandervogel“ wirkte1. Der Bund wurde nach 1933 mit besonderem Haß verfolgt und in einer Liste verfemter Organisationen ausdrücklich aufgeführt. Der mir nahe befreundete Leiter des Bundes[,] Robert Oelbermann2[,] fand im Konzentrationslager den Tod. Unter dem Einfluß der Jugendbewegung formte sich in dem Zusammenbruch von 1918 mein frühes politisches Denken. In einem Schulaufsatz vom 15. Februar 1919, den ein Zufall mir jetzt in die Hand führte, findet sich der für einen fünfzehnjährigen Obersekundaner vielleicht bemerkenswerte, wenn auch gewiß nicht unbedenkliche Satz: „I shall never support reaction, I will be one of our extremest Nationalists, but I will think and act in a really social sense“3. Man wird nicht verkennen, daß Friedrich Naumanns4 national-soziale Idee5 in einem solchen Satz mitbestimmend war. In meiner Heimatstadt besassen Naumann und seine Mitarbeiter, dar1 Der Nerother Wandervogel war ein 1921 gegründeter bündischer Zusammenschluss innerhalb der deutschen Jugendbewegung. Der Name leitet sich vom Dorf Neroth in der Vulkaneifel (westlich von Daun) her, wo 1919 eine erste Zusammenkunft stattfand. 1933 wurde der Bund zur Selbstauflösung gezwungen. Stefan Krolle, Bündische Umtriebe. Die Geschichte des Nerother Wandervogels vor und unter dem NS-Staat. Ein Jugendbund zwischen Konformität und Widerstand, Münster 1985 (= Geschichte der Jugend, 10). 2 Robert Oelbermann (1896–1941) war Gründer und erster Bundesführer des Nerother Wandervogels. Er verstarb im Konzentrationslager Dachau. 3 Engl.: „Ich werde niemals die Reaktion unterstützen, ich werde einer unser entschiedensten Nationalisten sein, aber ich werde in einem wirklich sozialen Sinn denken und handeln.“

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unter Ernst Jäckh6, eine entschiedene Anhängerschaft, zu der insbesondere der demokratische Rechtsanwalt und spätere Regierungspräsident Walther Dörr7 gehörte, dessen politischer Einwirkung ich mich trotz jugendlich-enthusiastischer Neigung zur Kritik damals nicht entziehen konnte. Ich habe zwischen 1919 und 1933 denn auch nie einem der nationalistischen Bünde oder Wehrverbände8 angehört. Auch einer Partei oder sonstigen politischen Organisation trat ich nicht bei. Nach einem Studium, das zunächst der Geschichte und der Germanistik, dann der Nationalökonomie und Rechtswissenschaft gewidmet war, wurde ich Gerichtsreferendar und Doctor iuris, später oldenburgischer Regierungsassessor9. Assistentenjahre an der Universität Bonn schlossen 1931 mit der Habilitation ab. Meine wissenschaftliche Arbeit, zunächst von Carl Schmitt angeregt und gefördert, setzte sich dann bei Johannes Heckel und insbesondere Heinrich Göppert fort10. Meine ersten Veröffentlichungen11 betrafen kirchenrechtliche Fragen und gipfelten in der Theorie der Gleichordnung von Staat und Kirche, woraus ich insbesondere die völlige Unabhängigkeit beider Konfessionen vom Staat in allen geistlichen Angelegenheiten folgerte. Wirtschafts- und arbeitsrechtliche Studien schlossen sich an12, in denen 4 Friedrich Naumann (1860–1919) war ein evangelischer Pfarrer und liberaler Politiker, der 1896 den „Nationalsozialen Verein“ gründete und die Zeitschrift „Die Hilfe“ ins Leben rief. Peter Theiner, Sozialer Liberalismus und deutsche Weltpolitik. Friedrich Naumann im wilhelminischen Deutschland, Baden-Baden 1983 (= Schriften der Friedrich-Naumann-Stiftung. Wissenschaftliche Reihe). 5 Ziel des „Nationalsozialen Vereins“ war eine Verbindung von demokratischen, liberalen, nationalen und sozialreformerischen Ideen. 6 Ernst Jäckh (1875–1959) war Publizist und Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin. 1933 emigrierte er zunächst nach London und von dort 1940 in die Vereinigten Staaten. Walter Mogk, Jäckh, Ernst, in: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 264–267. 7 Walther Dörr (1879–1964) war ein Rechtsanwalt aus Idar, der als linksliberaler Abgeordneter zwischen 1908 und 1925 im Oldenburger Landtag saß. 1919–1932 war er Regierungspräsident in Birkenfeld. 8 Als Wehrverbände galten die SA (Sturmabteilung), die SS (Schutzstaffel), das NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps) sowie das NSFK (Nationalsozialistisches Fliegerkorps). 9 Huber reichte seine Dissertation am 15. November 1926 ein und wurde nach Abschluss des Verfahrens am 20. Mai 1927 zum Doktor der Rechte ernannt. Siehe oben Anhang I.1 bis I.3. Er leistete seinen Vorbereitungsdenst am Amtsgericht Oberstein und war Referendar beim Regierungspräsidium Birkenfeld (Großherzogtum Oldenburg), bei den Landgerichten Koblenz und Bonn sowie beim Oberlandesgericht Köln. Universitätsarchiv Göttingen, Kuratorium, Personalakte Huber, Kultusministerium Baden, Personalakten. 10 Zur Bonner Zeit siehe Maetschke, Huber. 11 Huber, Garantie; ders., Verträge. 12 Besonders die Habilitationsschrift: ders., Wirtschaftsverwaltungsrecht.

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unter anderem eine scharfe Handhabung der staatlichen Kartell- und Monopolaufsicht, sowie eine intensive sozialpolitische Wirksamkeit des Staates gefordert ward. Meine ersten staatsrechtlichen Arbeiten galten dem Grundrechtsteil der Weimarer Verfassung13, dessen staatspolitische Bedeutung ich durch eine umwertende Interpretation zu erhöhen suchte, wobei es mir vor allem darauf ankam, Individualismus und Gemeinsinn, Persönlichkeit und Staatsganzes, Freiheit und sittliche Bindung in inneren Einklang zu setzen, etwa durch eine soziale Auslegung der Eigentumsgarantie. Meine politische Haltung in diesen Jahren vor 1933 schloß sich eng an diese wissenschaftliche Arbeit an. Ich war, seit ich 1923 Hitlers Massenversammlungen in München erlebt hatte, vom Bild der nationalsozialistischen Bewegung abgestossen und nahm nie die geringste Verbindung mit ihr auf. Ich war aber, wie ich offen bekenne, nicht minder enttäuscht von der parlamentarischen Demokratie des Weimarer Stils. So verfolgte ich, ohne jede organisatorische Bindung, mit einem kleinen Kreis von Freunden eine politische Linie, die mich in nahen Kontakt sowohl mit jungkonservativen wie mit jungsozialistischen Elementen brachte. Meinem Bekenntnis nach der inneren Erneuerung des Protestantismus zugewandt, pflegte ich zugleich nahe Beziehungen zu Angehörigen der katholischen Bewegung. Zu meinen damaligen Freunden zählte | ich den Theologiestudenten Hellmut Traub14, einen Schüler von Karl Barth15, der später als Bekenntnispfarrer mehrfach im Konzentrationslager saß, und den Rechtsstudenten Wilhelm Freiherr von Ketteler16, einen Großneffen des berühmten Mainzer Bischofs17, der 1938 als Sekretär Papens in Wien von nationalsozialistischen Terroristen ermordet wurde. Meine 13

Ders., Bedeutungswandel. Helmut Traub (1904–1994) war ein evangelischer Pfarrer und seit 1958 Dozent für Kirchengeschichte an einer Missionsschule. Er saß 1935/36 im Konzentrationslager Dachau ein. Hans-Georg Ulrichs, Traub, Helmut, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 12 (1997), Sp. 424–432. 15 Der Schweizer Theologe Karl Barth (1886–1968) war Professor für Systematische Theologie in Basel und Gründungsmitglied der Bekennenden Kirche in Deutschland. Karl Kupisch, Karl Barth in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1971. 16 Wilhelm Freiherr von Ketteler (1906–1938) war einer der engsten Mitarbeiter Franz von Papens und begleitete ihn 1934 als Botschaftsangehöriger nach Wien, wo er 1938 unmittelbar nach dem „Anschluss“ Österreichs vom Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS ermordet wurde. 17 Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1811–1877) war seit 1850 Bischof von Mainz und wurde 1873 im Kulturkampf zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt. Er gilt als Mitbegründer der Katholischen Soziallehre und der katholischen Arbeitnehmerbewegung. Karsten Petersen, „Ich höre den Ruf nach Freiheit“ – Wilhelm Emmanuel von Ketteler und die Freiheitsforderungen seiner Zeit. Eine Studie zum Verhältnis von konservativem Katholizismus und Moderne, Paderborn u. a. 2005 (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, B, 105). 14

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noch im Winter 1932/33 gegenüber der wachsenden Gefahr der nationalsozialistischen Machtergreifung betriebene Arbeit zielte darauf, eine Verbindung jungkonservativer und jungsozialistischer Gruppen zustande zu bringen, wobei ich unter anderem in Beziehungen zu dem Sozialdemokraten Adolf Reichwein18 trat19. Auch mit dem christlichen Gewerkschaftsführer Max Habermann20 u[nd] seinen [polit]ischen [Freu]nden trat [ich in] Verhand[lung]en ein21 (Reichwein und Habermann sollten später zu den Opfern des 20. Juli 194422 gehören). Naturgemäß hatte bei diesen Bemühungen des Winters 1932/33 die Reichswehr als Machtfaktor ins Spiel gebracht werden müssen, weshalb ich in Verbindung zum Stab des Oberstleutnant Ott im Reichswehrministerium trat. Ich nahm dort in nächtlichen Sitzungen an der Ausarbeitung eines gegen den Nationalsozialismus gerichteten politischen Aktionsprogramms teil23. Der 30. Januar 1933 setzte diesen Versuchen ein jähes Ende. Meine politische Haltung war bis dahin zugleich christlich, sozialistisch und konservativ. Für meine christliche Einstellung zeugen meine Bücher „Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte in der Weimarer Verfassung“ (1927) und „Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich“ (1930), sowie zahlreiche Aufsätze. Meine sozialistische Einstellung wird durch eine Reihe von Aufsätzen in der Zeitschrift „Deutsches Volkstum“ belegt24; ich trat darin für Plan- und Gemeinwirtschaft, für die Erhebung der Gewerkschaften zu Körperschaften des öffentlichen Rechts, für 18 Adolf Reichwein (1898–1944) war Reformpädagoge und 1929/30 als Referent im preußischen Kultusministerium tätig. Danach Professor an der Pädagogischen Akademie Halle, wurde er 1933 entlassen. Als Mitglied des Kreisauer Kreises wurde er 1944 hingerichtet. Ullrich Amlung, Adolf Reichwein: 1898–1944. Ein Lebensbild des Reformpädagogen, Volkskundlers und Widerstandskämpfers, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1991 (= Sozialhistorische Untersuchungen zur Reformpädagogik und Erwachsenenbildung, 12). 19 Besuche Reichweins bei Huber erwähnt dieser in Briefen an seine Frau vom 7. und 18.5.1944. Gabriele C. Pallat/Roland Reichwein/Lothar Kunz (Hg.), Adolf Reichwein: Pädagoge und Widerstandskämpfer. Ein Lebensbild in Briefen und Dokumenten (1914–1944). Mit einer Einführung von Peter Steinbach, Paderborn u. a. 1999, Nr. 180, S. 179 ff., Nr. 226, S. 235. 20 Max Habermann (1885–1944) war Buchhändler und Gewerkschaftsführer. Er wurde wegen der Verbindungen zum Widerstandskreis des 20. Juli 1944 verhaftet und beging daraufhin Selbstmord. Albert Krebs, Habermann, Max, in: Neue Deutsche Biographie 7 (1966), S. 397 f. 21 Am linken Rand handschriftlich nachgetragen. 22 Am 20. Juli 1944 scheiterte ein Attentatsversuch gegen Hitler, den der Offizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg ausführte. Der Widerstandsgruppe gehörten führende Kreise aus Wehrmacht, Adel und Verwaltung an. Peter Hoffmann, Widerstand – Staatsstreich – Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler, München 1985. 23 Siehe oben die Briefe, Nr. 45, 50, 51. 24 Siehe die Titel in Huber/Huber-Simons, Bibliographie.

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Sozialisierung im Bereich des Bergbaus, des Bankwesens, des Verkehrswesens ein. (Sie trugen mir nach 1933 in einem Buch des nationalsozialistischen Ständetheoretikers Heinrich die Kennzeichnung eines „Marxisten“ ein.)25 Was ich unter Konservativismus verstand, erhellt am besten aus dem Schluß meiner Bonner Antrittsrede „Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat“ (1931); sie spricht sich gegen den „totalen Staat“ und für den „neutralen Staat“ aus, der als „überlegener Dritter . . . einen Ausgleich zwischen den gegensätzlichen Gruppen und Interessen zu schaffen vermag und in diesem Ausgleich die Grundlagen der politischen Einheit des Volkes erhält“26. Im gleichen konservativen Sinne schlägt die Abhandlung „Bedeutungswandel der Grundrechte“ (1933) vor, daß neben das „volksgewählte Parlament“ eine auf der sozialen Gliederung des Volkes, also Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden, Selbstverwaltungskörpern, Universitäten, Religionsgesellschaften aufgebaute „Erste Kammer“ gesetzt werde, damit so neben die Repräsentation des „gleichgearteten und ungeteilten Volkes“ eine Repräsentation der gegliederten Volksordnung trete27. Etwa gleichzeitig forderte ich in einem Gutachten zur Reichsreform28 zwar eine gewisse Stärkung der Reichsgewalt, zugleich aber doch die Erhaltung der den deutschen Ländern wie den preußischen Provinzen zukommenden politischen Eigenart und Selbständigkeit. Die vom „Bund zur Erneuerung des Reiches“29 vorgeschlagene „differenzierende Lösung“ erschien mir deshalb empfehlenswert. Bei entschiedenem Bekenntnis zur deutschen Einheit stand ich doch dem unitarischen Zentralismus fern, so daß ich in Beziehungen zu den Anhängern der welfischen Bewegung in Hannover30 treten konnte. Ja, ich besaß Lokalpatriotismus genug, um mich öffentlich gegen den Anschluß meiner birkenfeldischen Heimat an Preussen und für das Verbleiben bei Oldenburg einzusetzen31, so anachronistisch dieses Produkt des Wiener Kongresses in einer auf rationale Staatsgestaltung gerichteten Zeit erscheinen mochte. 25

Siehe oben die Briefe, Nr. 111–113. Huber, Wirtschaftsstaat, S. 29. 27 Ders., Bedeutungswandel, S. 98. 28 Hubers Gutachten zur Reichsreform ist nicht überliefert. 29 Der 1927 ins Leben gerufene Bund zur Erneuerung des Reiches wurde nach einem seiner Mitbegründer, dem zeitweiligen Reichskanzler Hans Luther, auch Luther-Bund genannt. Zentrale Forderungen waren eine Reichsreform, Steuersenkungen und der Ausbau der Stellung des Reichspräsidenten gegenüber dem Reichstag. Kurt Gossweiler, Bund zur Erneuerung des Reiches (BER) 1928–1933 (Erneuerungsbund, Lutherbund), in: Dieter Fricke u. a. (Hg.), Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland (1789–1945). In vier Bänden. Bd. 1, Leipzig 1983, S. 374–382. 30 Die welfische Bewegung protestierte 1866 gegen den Anschluss des Königreichs Hannover, das von der Dynastie der Welfen regiert wurde, an das Königreich Preußen. 26

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2. Haltung nach der Machtergreifung Hitlers Ich habe den Vorgang des 30. Januar 1933 schmerzlich empfunden und mich am 5. März 1933 der Abstimmung32 enthalten, eine immerhin auffallende Demonstration, da von dem Vorarlberger Wintersporthotel33 aus, in dem [ich] | mich aufhielt, von eifrigen Nationalsozialisten eine gemeinsame Fahrt der Reichsdeutschen zu dem erreichbar gelegenen deutschen Wahlort34 organisiert ward, der ich mich sichtbar entzog. Mit Bestürzung, Schrecken, Abscheu erfüllten mich dann bei meiner Rückkehr nach Bonn und bei einer Reise nach Berlin die Nachrichten von den revolutionären Exzessen der „Machtübernahme“. Trotzdem trat ich am 1. Mai 1933 der Partei bei. Mir schien, daß nach der Entscheidung des Reichspräsidenten35 für Hitler, nach dem Uebergang der Reichswehr ins Lager des Nationalsozialismus, nach dem Wahlsieg der hinter der neuen Regierung stehenden Gruppen36, nach der Unterwerfung sämtlicher bürgerlicher Parteien bei der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz37, nach der widerstandslosen „Gleichschaltung“ des gesamten Beamtentums38, der gesamten Wirtschaft und auch der Wissenschaft eine weitere aufbauende politische Arbeit nur im Rahmen der Partei möglich 31

Das Fürstentum Birkenfeld wurde erst 1937 als Landkreis Birkenfeld der preußischen Rheinprovinz einverleibt. 32 Bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 erreichte die NSDAP als stärkste Partei einen Anteil von 43,9%. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 89%. 33 Das Vorarlberger Hotel, das Huber im März 1933 bewohnte, konnte nicht ermittelt werden. 34 Der nächstgelegene Wahlort von Österreich aus könnte Lindau am Bodensee gewesen sein. 35 Paul von Hindenburg (1847–1934) war Generalfeldmarschall im Ersten Weltkrieg und wurde 1925 zum zweiten Reichspräsidenten gewählt. Am 30. Januar 1933 ernannte er Hitler zum Reichskanzler. Wolfram Pyta, Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, München 2007. 36 Die Regierung Hitler wurde neben der NSDAP von der „Kampffront SchwarzWeiß-Rot“ gestützt. Unter dieser Bezeichnung waren die Deutschnationale Volkspartei, der Stahlhelm und der Landbund zur Reichstagswahl im März 1933 angetreten und hatten 8% der Stimmen erzielt. 37 Dem sogenannten Ermächtigungsgesetz vom 24.3.1933 hatten tags zuvor sämtliche bürgerliche Parteien, also u. a. die Deutsche Zentrumspartei, die Deutsche Volkspartei (DVP), der Christlich-soziale Volksdienst, die Deutsche Staatspartei und die Bayerische Volkspartei (BVP), zugestimmt. Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) war aus dem Reichstag ausgeschlossen worden. Gegen das Gesetz erklärte sich allein die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD). 38 Das Beamtentum wurde durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4.1933 gleichgeschaltet. Dieses Gesetz führte an den Universitäten zu einer Entlassungswelle aus politischen und rassischen Motiven.

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sei. Ich hatte dabei die Hoffnung, daß die Zahl, das Ansehen, die innere Selbständigkeit und die seelische Kraft der neu zur Partei stossenden Mitglieder stark genug sein würden, um sich wirkungsvoll zur Geltung zu bringen. Insbesondere schien es mir möglich und notwendig, den nach meiner Ansicht in einem Teil der Partei lebendigen echten Erneuerungs- und Ordnungswillen gegenüber den unverkennbaren subversiven, nihilistischen und terroristischen Tendenzen eines anderen Teiles zum Sieg zu verhelfen. Ich setzte meine Existenz und meine Zukunft bewußt an die Aufgabe, die revolutionär-terroristische Komponente des Nationalsozialismus abzufangen und die Bewegung auf den Boden des Rechts zurückzuführen. Ich habe dabei, wie ich gestehe, das Gewicht der Kräfte falsch eingeschätzt, mich insbesondere aber wie damals viele Deutsche darüber getäuscht, auf welcher Seite Hitler selbst in diesem inneren Zwiespalt seiner eigenen Bewegung stand. So glaubte ich, meine eigene christliche, sozialistische und konservative Linie innerhalb der Partei zur Geltung bringen zu können. Ich vertraute auf Hitlers Anerkennung der beiden christlichen Konfessionen „als der wichtigsten Faktoren zur Erhaltung unseres Volkstums“ (Regierungs-Erklärung vom 23. März 193339). Ich vertraute auf das Versprechen einer sozialistischen Neuordnung unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur und sah mit Hoffnung auf das der Ueberwindung der Arbeitslosigkeit dienende Programm. Ich glaubte Anzeichen für eine Reichsreform zu sehen, die die unleugbaren Schäden des parteienstaatlichen Parlamentarismus beseitigte, ohne die Freiheit und Würde des Menschen, zu denen ich mich eben noch in meinen wissenschaftlichen Arbeiten und meinen politischen Plänen so nachdrücklich bekannt hatte, zu unterdrücken. Ich vertraute auf Hitlers Friedenspolitik, die er in den ersten aussenpolitischen Reden so feierlich ankündigte und hoffte, daß es ihm gelingen werde, die Härten des Versailler Vertrags ohne Krieg auf evolutionärem, diplomatischem Weg zu mildern. Ich habe Hitlers dämonische Natur, die unausweichliche Entwicklung des hitler’schen Regimes zur totalen Diktatur, zum Terrorismus und zum imperialistischen Krieg verkannt. Ich teilte diesen Irrtum mit dem größten Teil der Nation. Wenn in diesem kollektiven Irrtum ein Verschulden liegt, so habe ich an ihm teil. An zwei politischen Fragen nahm ich damals unmittelbaren Anteil: dem Versuch der Gewerkschaften und der Kirchen, sich zu dem neuen Regime in ein positives Verhältnis zu setzen. Zu beiden Kräftegruppen unterhielt ich von meiner vorausgegangenen Arbeit her Beziehungen. 39 Regierungserklärung Adolf Hitlers vom 23.3.1933. Gedruckt in: Dokumente der Deutschen Politik und Geschichte von 1848 bis zur Gegenwart. Ein Quellenwerk für die politische Bildung und staatsbürgerliche Erziehung. Bd. 4: Die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur 1933–1945. Aufbau und Entwicklung 1933–1938, hg. v. Johannes Hohlfeld, Berlin/München [o. J.], S. 29–36.

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Auf die Bitte der sozialistischen Freien Gewerkschaften, die durch ihre Führer Leipart40 und Leuschner41 damals durch die Vermittlung [von] Friedrich Vorwerk, Berlin, an mich herantraten, erstattete ich im April 1933 dem Zentralverband der Freien Gewerkschaften ein Gutachten42, das darauf gerichtet war, einen Einheitsverband der Gewerkschaften aller Richtungen zu gründen, ihn mit der Stellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts auszustatten und ihn in den bisherigen gewerkschaftlichen | Funktionen, insbesondere dem Recht zum Abschluß von Tarifverträgen zu bestätigen. Ich darf für mich in Anspruch nehmen, der einzige deutsche Jurist und Universitätslehrer gewesen zu sein, der damals einen solchen Versuch wagte, die Gewerkschaften dem drohenden Zugriff der nationalsozialistischen Partei zu entziehen. Daß mein Vorschlag eine Unterordnung des geplanten Gewerkschaftsbundes unter den Staat voraussetzen mußte, war in der damaligen Lage selbstverständlich. Worauf es ankam, war, trotz dieser Unterordnung die innere Unabhängigkeit und die in langem Kampf errungenen Rechte der gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung zu retten. In einer Unterredung, die ich im April 1933 (in Gegenwart von Friedrich Vorwerk) mit Leuschner hatte, billigte dieser meine Pläne43. Am 2. Mai 1933 wurden durch den Gewaltakt von Dr. Ley alle Möglichkeiten dieser Art vernichtet44. Ich zog mich darauf sofort von jeder Tätigkeit auf diesem Arbeitsfeld zurück, da ich die Ziele und Methoden von Dr. Ley entschieden verwarf, ohne daß es in meinen Kräften stand, etwas zur Abwehr zu unternehmen. Ich habe niemals in der späteren Zeit irgendeine Tätigkeit für die Deutsche Arbeitsfront ausgeübt. 40 Theodor Leipart (1867–1947) war seit 1921 Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes. Er wurde am 2.5.1933 zusammen mit Wilhelm Leuschner verhaftet und misshandelt. Heinrich Potthoff, Leipart, Theodor, in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 150 f. 41 Wilhelm Leuschner (1890–1944) war von 1928 bis 1933 Innenminister des Volksstaates Hessen und 1933 stellvertretender Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes. Er wurde wegen der Beteiligung am Widerstand des 20. Juli 1944 hingerichtet. Peter Steinbach, „Der Staat schlägt den Menschen“ – Wilhelm Leuschner, in: ders., Der 20. Juli 1944. Gesichter des Widerstands, München 2004, S. 111–127. 42 Das Gutachten Hubers über die Gewerkschaften ist nicht überliefert. Vorwerk erwähnt es in seiner eidesstattlichen Erklärung für Huber. Staatsarchiv Freiburg, D 180/4 Spruchkammer Südbaden, Nr. 59. 43 Über Gespräche zwischen den Freien Gewerkschaften und der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO): Michael Schneider, Kleine Geschichte der Gewerkschaften. Ihre Entwicklung in Deutschland von den Anfängen bis heute, Bonn 1989, S. 218 f. 44 Am 2.5.1933 wurde der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund von den Nationalsozialisten zur Auflösung gezwungen. Führende Gewerkschaftsfunktionäre wurden verhaftet, einige ermordet. Am 10.5.1933 wurde unter Führung von Robert Ley (1890–1945) die Deutsche Arbeitsfront als Dachverband der Arbeiter und Angestellten gegründet.

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Ebenso scheiterten meine Bemühungen, die Evangelischen Kirchen in ein erträgliches Verhältnis zum neuen Staat zu bringen. Für eine Gruppe von Theologen vermittelnder Richtung (Prof. Fezer-Tübingen45 und Prof. Schumann-Halle46) nahm ich als kirchenrechtlicher Berater an Verhandlungen mit dem Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß47 in Eisenach teil (Juni 1933)48. Unsere Bemühungen um einen Ausgleich scheiterten, als der preußische Kultusminister Rust49 durch einen Gewaltakt die legalen kirchlichen Organe vernichtete, staatliche Kirchenkommissare deutsch-christlicher Richtung einsetzte und dem späteren Reichsbischof, dem damaligen Wehrkreispfarrer Müller50 seine verhängnisvolle Wirksamkeit eröffnete51. Ich zog mich darauf Anfang Juli 1933 auch in diesem Sektor von jeder weiteren Wirksamkeit zurück, nahm insbesondere schon an der Vorbereitung der „Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche“52 nicht mehr teil. – Nur vorübergehend war ich 1936 während einer Zeit scheinbarer Konsolidierung kirchlicher Verhältnisse Mitglied des Rechtsausschusses der Deutschen Evangelischen Kirche, wobei ich mit juristischen Vertretern der Bekennenden Kirche53, wie dem Reichsgerichtsrat Flor54, vertrauensvoll zusammen45 Karl Fezer (1891–1960) lehrte zwischen 1926 und 1959 Praktische Theologie an der Universität Tübingen; von 1933 bis 1935 wirkte er auch als Rektor der Universität. Hans-Martin Müller, Karl Fezer, in: Rainer Lächele/Jörg Thierfelder (Hg.), Wir konnten uns nicht entziehen. Dreißig Porträts zu Kirche und Nationalsozialismus in Württemberg, Stuttgart 1998, S. 251–284. 46 Friedrich Karl Schumann (1886–1960) lehrte Theologie zunächst in Gießen und seit 1932 in Halle. http://www.catalogus-professorum-halensis.de/schumannfk.html (30.5.2014). 47 Der 36köpfige Kirchenausschuss agierte als Exekutivorgan des von 1922 bis 1933 bestehenden Deutschen Evangelischen Kirchenbundes. 48 Der Kirchenausschuss tagte am 23. und 24. Juni 1933. Verantwortung für die Kirche. Stenographische Aufzeichnungen und Mitschriften von Landesbischof Hans Meiser 1933–1955. Bd. 1: Sommer 1933 bis Sommer 1935, bearb. von Hannelore Braun/Carsten Nicolaisen, Göttingen 1985 (= Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte, Quellen, 1), S. 62 f. 49 Nagel, Bildungsreformer, passim. 50 Ludwig Müller (1883–1945) wurde als Führer der Deutschen Christen 1933 zum Reichsbischof der Deutschen Evangelischen Kirche Deutschlands berufen. Zuvor war er seit 1926 Wehrkreispfarrer in Königsberg gewesen. Thomas Martin Schneider, Reichsbischof Ludwig Müller. Eine Untersuchung zu Leben, Werk und Persönlichkeit, Göttingen 1993. 51 Nachdem Ende Mai 1933 zunächst Friedrich von Bodelschwingh (1877–1946) zum Reichsbischof der neuen evangelischen Reichskirche gewählt worden war, musste dieser unter politischem Druck Müller weichen, der im Oktober 1933 sein Amt als Reichsbischof antrat. 52 Gesetz über die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 14. Juli 1933. Reichsgesetzblatt 1933 I, S. 471 f., 476. 53 Die 1934 ins Leben gerufene Bekennende Kirche vertrat eine oppositionelle Haltung gegenüber dem NS-Regime.

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arbeitete, um das rechtliche Chaos, das durch die Wirksamkeit des Reichsbischofs und seiner juristischen Experten, des Ministerialdirektors Jäger55, angerichtet worden war, zu überwinden. Doch fand auch diese Arbeit durch gewaltsame Eingriffe des dann eingesetzten Reichskirchenministers Kerrl56 ein schnelles Ende. – Nur um jedes Mißverständnis auszuschließen, erwähne ich, daß ich der Gruppe der Deutschen Christen immer völlig fern stand, was wohl am deutlichsten dadurch dokumentiert wird, daß am 1. Juli 1933, also schon im beginnenden Kirchenstreit[,] meine Ehe mit der Tochter des Reichsgerichtspräsidenten i. R. Simons57 in Berlin-Dahlem von Pastor Martin Niemöller58 eingesegnet ward. Ich bin während der zwölf Jahre stets Glied der Kirche geblieben; meine fünf Kinder sind christlich getauft und erzogen, obwohl mir dies in meiner Stellung Nachteile und Mißtrauen zuziehen konnte. Nach diesen beiden Fehlschlägen auf dem Gebiet der gewerkschaftlichen und der kirchlichen Politik, die ich bei der ehrlichen, wenn auch vielleicht jugendlich-naiven Bemühung erlitt, meine sozialistischen und religiösen Ideen unter dem neuen Regime zur Geltung zu bringen, zog ich mich von jeder weiteren politischen Aktivität nicht nur in diesen Fragen, sondern überhaupt vollkommen zurück. Ich hielt daran bis zum Zusammenbruch ohne jedes Zugeständnis fest. Obwohl es mir seit 1933 von einflußreichen hochschulpolitischen Stellen dringend und wiederholt nahegelegt, ja als Pflicht auferlegt worden ist, lehnte ich es ab, der SA oder irgendeinem anderen nationalsozialistischen Wehrverband beizutreten. Ich habe in allen folgenden Jahren nie ein Amt in der Partei ausgeübt. Ich habe nie einer 54 Wilhelm Flor (1883–1938) war seit 1926 Oberlandesgerichtsrat in Oldenburg, 1931 Hilfsrichter und ab September 1933 Reichsgerichtsrat in Leipzig. Friedrich Wilhelm Bautz, Flor, Wilhelm, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 2, Hamm 1990, Sp. 62. 55 August Jäger (1887–1949) wirkte zunächst als Leiter der Kirchenabteilung im preußischen Kultusministerium und zwischen 1934 und 1936 als „Rechtswalter“ der Deutschen Evangelischen Kirche. 1936 wurde Jäger Senatspräsident am Kammergericht Berlin und 1939 stellvertretender Chef der Zivilverwaltung im Warthegau. 1949 wurde er verurteilt und hingerichtet. Klee, S. 280. 56 Hanns Kerrl (1887–1941) war 1933/34 zunächst Justizminister und seit 1935 Reichskirchenminister. Carsten Nicolaisen, Kerrl, Hanns, in: Neue Deutsche Biographie 11 (1977), S. 534. 57 Tula Huber-Simons. 58 Martin Niemöller (1892–1984) war einer der führenden Vertreter der Bekennenden Kirche und deshalb zwischen 1937 und 1945 in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau interniert. 1947 bis 1965 amtierte er als Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau sowie 1961 bis 1968 als einer der Präsidenten des Ökumenischen Rates der Kirchen. Carsten Nicolaisen, Niemöller, Emil Gustav Martin, in: Neue Deutsche Biographie 19 (1998), S. 239– 241.

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Gliederung angehört, | ausser dem NS-Dozentenbund59, in den ich als Parteimitglied automatisch inkorporiert wurde; doch habe ich mich auch hier jeder Tätigkeit enthalten, z. B. nie einen Vortrag im Rahmen der häufigen Veranstaltungen des Bundes gehalten, obwohl dies von jedem einigermaßen redebegabten Mitglied als selbstverständlich gefordert wurde. Der Mitgliedschaft im Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (später NSRB)60, einem der „angeschlossenen Verbände“, konnte ich mich als Parteimitglied nicht entziehen. Ich habe in dieser Fachorganisation der Juristen von 1933 bis 1945 niemals einen Vortrag gehalten, was wahrscheinlich nur wenige Hochschuljuristen von sich sagen können. Die Aufforderung, 1935 auf dem Leipziger „Tag des Deutschen Rechts“61, einer Veranstaltung dieser Organisation, zu sprechen, lehnte ich ab, was mir einen schweren Konflikt eintrug62. 1936 lehnte ich es ab, einer von dem Bund veranstalteten Tagung über „Judentum und Recht“ beizuwohnen63; meine ironische Bemerkung, es sei bei der Tagung wohl nicht mehr herausgekommen, als daß Friedrich Julius Stahl ein Jude sei, wurde kolportiert und zog mir Unwillen und Verdächtigung zu. Partei-Versammlungen habe ich in zwölf Jahren dreimal besucht, die erste 1940 in Leipzig, nachdem mein biederer Blockwart mich inständig gebeten hatte, ihm (!) nicht durch meine dauernde Abwesenheit Schwierigkeiten zu bereiten. Eine damals an mich ergangene drohende Aufforderung, mich an aktiver Mitarbeit im Rahmen meiner Ortsgruppe zu beteiligen, wies ich zurück. Das Parteiabzeichen habe ich nur bei offiziellen Universitäts-Veranstaltungen, also ein- bis zweimal im Jahr getragen. Ich habe mich vielmehr in aller Zeit seit 1933 auf die wissenschaftliche Arbeit beschränkt, die mich allerdings durch meine Fachrichtung als Staatsrechtslehrer auf anderem Wege in eine unausweichbare Verbindung zur Realität des nationalsozialistischen Staates brachte.

59 Der 1935 ins Leben gerufene Nationalsozialistische Deutsche Dozentenbund war eine Parteigliederung der NSDAP an den Hochschulen zur politischen Kontrolle und Einflussnahme. Anne Chr. Nagel, „Er ist der Schrecken überhaupt der Hochschule“ – Der Nationalsozialistische Deutsche Dozentenbund in der Wissenschaftspolitik des Dritten Reichs, in: Joachim Scholtyseck/Christoph Studt (Hg.), Universitäten und Studenten im Dritten Reich. Bejahung, Anpassung, Widerstand, Münster 2008 (= Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft 20. Juli), S. 115–132. 60 Abkürzung für „Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund“. 61 Nach Auskunft des Stadtarchivs Leipzig fand 1935 kein „Tag des Deutschen Rechts“ statt. Ein solcher ist erst für den Mai 1939 nachweisbar. 62 Nicht zuletzt kam es zu einer Auseinandersetzung mit Carl Schmitt. Siehe oben Brief, Nr. 150. 63 Gemeint war die am 3. und 4.10.1936 stattfindende Tagung unter dem Thema „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“.

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3. Linie meiner staatsrechtlichen Arbeit Am 1. Mai 1933 erhielt ich als Privatdozent einen Lehrauftrag in Kiel; am 1. August 1933 wurde ich zum ordentlichen Professor des öffentlichen Rechts an der Universität Kiel ernannt64. Es könnte scheinen, daß ich damit meine Laufbahn dem nationalsozialistischen Umsturz verdanke. Doch darf ich erwähnen, daß meine Berufung auf einen Lehrstuhl schon im Winter 1932/33 unmittelbar bevorstand. Ich war für ein Ordinariat entweder an der damaligen Handelshochschule Berlin oder an der Universität Königsberg in feste Aussicht genommen, und der Umsturz verzögerte zunächst meine Berufung, weil die sie betreibenden Persönlichkeiten (Präsident Demuth von der Handelskammer Berlin als Protektor der Handelshochschule65; Professor Hensel66 von der Universität Königsberg) als Nicht-Arier entlassen wurden. Trotz meines entschiedenen und unbeirrten Verzichts auf jede politische Aktivität habe ich seit 1933 geglaubt, innerhalb des Staatssystems, wie es durch den vollständigen innerpolitischen Sieg des Nationalsozialismus geformt war, meine ganze Kraft einsetzen zu sollen, um dieses System aus dem Chaos der Revolution, der Gewaltsamkeit, des Terrors herauszuführen und es auf den Weg der Ordnung, des Rechts und des inneren Friedens zu lenken. Ich war der Ueberzeugung, daß ein erneuter Umsturz, selbst wenn er im Namen des Rechtes gegen die Gewalt unternommen werde, nach der unentrinnbaren Gesetzlichkeit des revolutionären Prinzips unser Volk nur noch tiefer in den Abgrund terroristischer Selbstzerfleischung stürzen werde. Deshalb schien mir alles darauf anzukommen, den Nationalsozialismus selbst auf den Boden des Rechtes zu führen und seine terroristischen und nihilistischen Kräfte von innen her zu überwinden. Ein solches Vorhaben mag heute als eine leichtfertige Illusion erscheinen. Doch wird man sich daran erinnern müssen, daß auch die ausländischen Mächte zum großen Teil eine solche | rechtliche Konsolidierung des Nationalsozialismus für möglich hielten und Hitler bis zum Jahre 1938 eine Chance von heute fast unbegreiflichem Ausmaß gaben. Mein wissenschaftliches Ziel als „Staatsrechtslehrer des Dritten Reiches“ war in erster Linie, nach der faktischen Vernichtung der Weimarer Verfassung den neuen Staat in ein festes verfassungsrechtliches System zu bringen und dadurch ein berechenbares und zuverlässiges Rechtsgefüge wiederher64 Zur Laufbahn Hubers die knappe Skizze: Ewald Grothe, Ernst Rudolf Huber (1903–1990). Rechtswissenschaftler, in: Landschaftsverband Rheinland (Hg.), Portal Rheinische Geschichte. Rheinische Köpfe [30.9.2010]. Online unter: http://www. rheinische-geschichte.lvr.de/persoenlichkeiten/H/Seiten/ErnstRudolfHuber.aspx (30.5. 2014). 65 Demuth war Kuratoriumsvorsitzender, emigrierte aber 1933 nach England. 66 Hensel wanderte nach Italien aus.

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zustellen. Da trotz aller Versprechungen Hitlers mit dem Erlaß einer neuen Verfassung nicht zu rechnen war, erblickte ich meine Aufgabe darin, ein festes wissenschaftliches System des neuen Verfassungsrechts zu entwikkeln, die neue staatspolitische Wirklichkeit in exakte Normen, klare Begriffe, saubere Institutionen umzuformen, an Stelle von Gewaltlösungen, Ermessensmißbrauch und Willkür eine neue rechtliche Bindung zu schaffen, kurz: aus dem revolutionären Chaos ein staatsrechtliches System zu bilden. Vornehmlich mein Buch „Verfassung“, geschrieben 1935, diente diesem Ziel. Welche Schwierigkeiten sich einem solchen Unterfangen entgegenstellten, erwies sich daran, daß das Manuskript dieses Buches fast ein Jahr (bis Ende 1936) bei der Obersten Zensurbehörde (der sog. Parteiamtlichen Prüfungskommission67) lag, daß dort nicht weniger als sechs Gutachten nationalsozialistischer Experten angefertigt wurden, die überwiegend scharf ablehnend waren, und daß die Veröffentlichung schließlich nur gestattet wurde, nachdem ein Abschnitt, der die Begrenzung der Kompetenzen des Führers im Ausnahmezustand behandelte, ganz gestrichen worden war68. Der sog. „Unbedenklichkeitsvermerk“ wurde dem Buch verweigert, und die Druckerlaubnis wurde damit begründet, daß man auch von der offiziellen Doktrin der Partei abweichende Stimmen nicht gänzlich unterdrükken wolle. An folgenden Punkten läßt sich das Ziel meiner Arbeit und ihre Abweichung von der integralen nationalsozialistischen Parteidoktrin beispielhaft verdeutlichen: 1. Ich verfocht die Ueberordnung des Staates über die Partei, bezeichnete deshalb den Staat als das Umfassende und Ganze der politischen Existenz, die Partei nur als einen Sektor innerhalb dieses Ganzen; ich wandte mich gegen den Satz „Die Partei befiehlt dem Staat“69 und bekämpfte insbesondere die „Apparat-Theorie“ Reinhard Höhns, die den Staat zum Apparat in der Hand der Partei zu degradieren suchte70. – 2. Ich trat insbesondre für die Unabhängigkeit der Wehrmacht gegenüber der Partei ein, eine These, die ich später in meinem Buch „Heer und Staat in der deut67

Die Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutz des nationalsozialistischen Schrifttums kontrollierte als Parteistelle unter Leitung von Philipp Bouhler (1899– 1945) seit April 1934 politische Veröffentlichungen auf Unbedenklichkeit. Über die angeblichen Probleme bei der Publikation von Hubers Buch war nichts Näheres zu ermitteln. 68 Dies bestätigte der Lektor der Hanseatischen Verlagsanstalt Paul Weinreich (1906–1974) in seiner eidesstattlichen Versicherung zugunsten von Huber am 7.7.1950. Archives diplomatiques, Ministère des affaires étrangères, Délégation provinciale pour le pays de Bade, 1Bade, carton 608. 69 Ein von Hitler auf dem Reichsparteitag von 1934 geprägtes Wort, das als Grundlage einer prinzipiellen Überordnung der Partei über den Staat interpretiert wurde. 70 Zum Gegensatz Huber-Höhn u. a. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 327–329.

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schen Geschichte“ (1938) historisch zu unterbauen suchte, vor allem mit der Formel von der „staatsbildenden Kraft des Heeres“. – 3. Ich setzte mich für eine Beschränkung der Führermacht auf berechenbare Kompetenzen ein, indem ich an einer gewissen Gewaltenunterscheidung festhielt und eine Führer-Diktatur auf den Fall des klaren Ausnahmezustandes einzugrenzen suchte. – 4. Ich trat für die Selbständigkeit und Verantwortlichkeit der Reichsminister gegenüber dem Führer ein, um zu verhindern, daß sie bloße Marionetten in der Hand Hitlers und der Parteileitung würden; ich kritisierte deshalb auch in einem während des Krieges wiederholt gehaltenen Vortrage die Auflösung der Reichsregierung durch das von Hitler eingeführte System der zahlreichen der Verantwortlichkeiten der Reichsministerien entrückten Immediatstellen (Reichskommissare, Reichsbevollmächtigte, Reichsbeauftragte usw.). – 5. Ich suchte die Individualrechte gegenüber der Staatsgewalt zu wahren, indem ich vom Staat die Gewährleistung der Rechtsstellung der Volksgenossen forderte, eine Theorie, mit der ich meine frühere Lehre von den Grundrechten zu retten suchte. In diesen Zusammenhang gehören auch meine Bemühungen, die überlieferte Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht entgegen der doktrinären nationalsozialistischen Theorie zu erhalten, indem ich „hoheitliches“ und „volksgenössisches“ Recht scharf voneinander sonderte71. – 6. Ich forderte unbeirrt durch die herrschende Ideolo- | gie einen Rechtsschutz zugunsten des Einzelnen durch Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit; zu der Unabhängigkeit der Gerichte habe ich mich immer wieder bekannt, ein Richterliches Prüfungsrecht gegenüber rechtswidriger Verordnung der Reichsminister und anderer höchster Reichsstellen gelehrt, den Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit verlangt. – 7. Ich habe die Praxis der Geheimen Führergesetze72 bekämpft (siehe auch unten 6.), womit ich z. B. die für die Rechtswillkür der letzten Jahre des Systems bezeichnende Vernichtung der Geisteskranken73 wie die sog. „postmortale Eheschließung“74 in ihren pseudogesetzlichen 71 Ernst Rudolf Huber, Einheit und Gliederung des völkischen Rechts. Ein Beitrag zur Überwindung des Gegensatzes von öffentlichem und privatem Recht, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 98 (1938), S. 310–358. 72 Die sogenannten Führererlasse erlangten im totalitären NS-System Gesetzeskraft. Sie standen in der staatsrechtlichen Tradition der Ausnahmebefugnisse des Weimarer Reichspräsidenten nach Art. 48 der Reichsverfassung. 73 Im Rahmen der sogenannten „Aktion T 4“ wurden in den Jahren 1940/41 über 70.000 Psychiatriepatienten ermordet. Michael Burleigh, Tod und Erlösung. Euthanasie in Deutschland 1900–1945, Zürich/München 2002. 74 Durch die 1941 zunächst geheim und 1942 offiziell eingeführte Eheschließung nach dem Tod wurde die Frau eines zuvor getöteten Soldaten sozial abgesichert und das gemeinsame Kind galt nicht als unehelich. Insgesamt kam es zu etwa 25.000 derartigen Ferntrauungen, die vom Volksmund auch „Leichentrauungen“ genannt wurden. Cornelia Essner/Edouard Conte, Fernehe, Leichentrauung und Totenschei-

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Grundlagen verwarf. – 8. Von der nationalsozialistischen Rassenideologie hielt ich mich fern, so nahe sie mir auch durch mein Forschungsgebiet gelegt war. Ich beschränkte mich darauf, die gegen das Judentum erlassenen Gesetze, Verordnungen und sonstigen Maßnahmen aufzuzählen (S. 181 ff. der 2. Aufl. meines Buches), wobei ich mich mit Sorgfalt jeder rassenideologischen Wertung enthielt. Ich stieß mit diesen und zahlreichen anderen Tendenzen meiner staatsrechtlichen Arbeit alsbald auf die heftige Kritik der von Reinhard Höhn und Paul Ritterbusch geführten doktrinär-nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft. Eine Kritik meines Buches „Verfassung“ von Höhn in der Zeitschrift „Deutsche Rechtswissenschaft“75 stellte in scharfer Polemik fest, daß meine Verfassungslehre noch durchaus in dem Banne des alten Staatsdenkens stecken geblieben sei. Schon vorher war eben die Zeitschrift „Deutsche Rechtswissenschaft“ von Höhn und seinen Anhängern als eine ausgesprochene Gegengründung gegen die von mir seit 1934 herausgegebene „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“ neu geschaffen worden. In einer dramatischen Auseinandersetzung wurde mir in Kiel die Ablehnung meiner Zeitschrift von den Mitgliedern der doktrinären Richtung mitgeteilt76. Insbesondere die von mir verfochtene Ueberordnung des Staates über die Partei, wie sie auch durch den Titel meiner Zeitschrift („gesamte Staatswissenschaft“) zum Ausdruck komme, wurde mir vorgehalten. Der Konflikt isolierte mich längere Zeit von der jüngeren Generation der Rechtswissenschaft; er hatte meine Entlassung aus dem Kieler Dekanat und schließlich meinen Weggang von Kiel zur indirekten Folge. Ich nahm die mir von Höhn und seinen Anhängern angesagte Fehde gerne auf und war in den folgenden Jahren bis zum Zusammenbruch der einzige, der es wagte, immer wieder in offener und entschiedener Polemik gegen die Höhn’sche Staatsrechtslehre hervorzutreten77. Als unmittelbarer Vertrauensmann von Himmler78 war Höhn, zuletzt SS-Brigadeführer, eine mächtige und gefürchtete Persönlichkeit. Während meine Kollegen, soweit sie nicht in das Höhn’sche Lager übertraten, sich in vornehmes und vorsichtiges Schweigen hüllten, habe ich mich im offenen Kampf gegen die verderbliche politische Doktrin dieses dung. Metamorphosen des Eherechts im Dritten Reich, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 44 (1996), S. 201–227. 75 Reinhard Höhn, Volk und Verfassung, in: Deutsche Rechtswissenschaft 2 (1937), S. 193–218. 76 Zu diesem Vorfall ist nichts Näheres bekannt. 77 So z. B. in Ernst Rudolf Huber, „Verfassungskampf und Heereseid“. Eine Auseinandersetzung mit Reinhard Höhn, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 103 (1943), S. 546–558. 78 Heinrich Himmler (1900–1945) war Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei sowie von 1943 bis 1945 Reichsinnenminister. Peter Longerich, Heinrich Himmler. Biographie, München 2008.

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Kreises dauernd exponiert. Wie gefährlich die Feindschaft eines Mannes wie Höhn werden konnte, zeigte sich etwa daran, daß er nach dem 20. Juli 1944 in Berlin erklärte, ich hätte es in meinem Buche „Heer und Staat“ unternommen, der nationalsozialistischen Ideologie eine „Wehrmacht-Ideologie“ entgegenzusetzen. Was diese Feststellung im Munde eines hohen SS-Führers nach dem mißlungenen Umsturz-Versuch der Wehrmacht damals bedeutete, liegt auf der Hand, zumal meine im Jahre 1932/33 hergestellte Verbindung mit dem im Anschluß an den 20. Juli getöteten Gewerkschaftsführern Habermann und Leuschner wie auch meine Beziehungen zur alten Reichswehr im Kreise Höhns bekannt waren. Unterlagen darüber, wie z. B. mein Gutachten für die Freien Gewerkschaften, befanden sich im Archiv des Höhn’schen Instituts für Staatsforschung. Ich hatte selbst diese Unterlagen im Jahre 1933 an Prof. Poetzsch-Heffter für das damals von ihm geleitete Institut gegeben, nichtahnend daß das Institut und sein Material durch eine Art Handstreich in den Besitz eines mir so gefährlichen Gegners gelangen könnten79. | 4. Haltung als Universitätslehrer Als akademischer Lehrer habe ich mich stets bemüht, die Studenten zu kritischem Denken zu erziehen, – sie anzuhalten, keinerlei politische oder wissenschaftliche Postulate ungeprüft zu übernehmen, – den Sinn für Wahrheit und Gerechtigkeit in ihnen zu wecken. Ich habe Studenten jeder Gesinnung und jeder Herkunft gefördert. Ich habe niemals die geringste Hemmung empfunden, Studenten, deren Gegnerschaft gegen das herrschende System mir bekannt war, in den engeren Kreis meiner Schüler und Doktoranden aufzunehmen. So habe ich den Sohn des früheren demokratischen preußischen Kultusministers Becker, Herrn Hellmut Becker, jetzt Rechtsanwalt und Verteidiger am Militärgericht80, Kressbronn81, als Doktoranden angenommen und viele Jahre als Assistenten beschäftigt, obwohl er in den Augen nationalsozialistischer Doktrinäre durch seinen Vater „belastet“ schien und obwohl er seine Kritik am Nationalsozialismus immer offen aussprach. Den Sohn des vom schleswigholsteinischen Gauleiter82 ins Konzentrationslager gebrachten und bis in 79 Das ursprünglich in Kiel beheimatete und seit 1932 von Fritz Poetzsch-Heffter geführte Institut für Staatsforschung wurde nach Berlin transferiert und seine Leitung an Reinhard Höhn übertragen. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 280. 80 Der Nürnberger Gerichtshof der Alliierten. 81 Kressbronn ist eine Gemeinde am Nordufer des Bodensees. 82 Hinrich Lohse (1896–1964) war Gauleiter von 1925 bis 1945. http://www.bun desarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919–1933/0000/adr/adrhl/kap1_5/para2_180.html (30.5.2014).

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den Tod verfolgten ehemaligen Kieler Landesbank-Präsidenten Wachs83, Herrn Assessor Otto Wachs84, jetzt Vorstand der Schiffsbeleihungsbank, Hamburg, nahm ich während des schweren politischen Konfliktes, in den sein Vater verwickelt war85, [als] Doktoranden; ich habe ihn promoviert86, obwohl mir seine oppositionelle Einstellung gegen das System bekannt war. Ebenso nahm ich als Doktoranden an den Studenten Christensen87, der während der Terrorakte vom 30. Juni 193488 überfallen und schwer verletzt worden war. (Er ist dann während des Krieges gefallen). Ich habe auch Studierende und Doktoranden, die durch die Nürnberger Gesetze diskriminiert waren89, bereitwillig unterstützt. Mein Kieler Doktorand Martin Cremer90, jetzt Regierungsrat im großhessischen91 Kultusministerium, war durch zwei nicht-arische Urgroßmütter belastet, was mich nicht hinderte, ihn in Kiel als Assistenten einzustellen92. Als nach meiner 83 Otto Wachs sen. (1874–1941) war Landrat und Landesbankpräsident in Kiel. Ich danke Dr. Carsten Müller-Boysen vom Landesarchiv Schleswig-Holstein für die Auskunft. 84 Der gleichnamige Sohn Otto Wachs war 1954 bei der Bremer Landesbank beschäftigt, außerdem Vorstand der Schiffsbeleihungsbank und 1953–1959 der Hamburg-Amerikanischen Paketfahrt-AG (HAPAG) in Hamburg. 85 Gegen Otto Wachs sen. war zwischen 1938 und 1941 ein Prozess beim Sondergericht Kiel anhängig. 86 Otto Wachs, Die Staatsaufsicht über die öffentlichrechtlichen Kreditinstitute, jur. Diss., Straßburg 1944. 87 Den Kieler Doktoranden Dietrich Christensen (1909–1940) erwähnt Otto Wachs in seinem Entlastungszeugnis für Huber, 18.3.1947. Archives diplomatiques, Ministère des affaires étrangères, Délégation provinciale pour le pays de Bade, 1Bade, carton 608. Christensen studierte bei Huber, legte seine Doktorarbeit allerdings erst nach dessen Weggang aus Kiel 1938 vor. Dietrich Christensen, Der Grundsatz der Verkehrsfreiheit im überseeischen Luftverkehr, rechts- und staatswiss. Diss., Kiel 1939. 88 Gemeint ist die Ermordung des SA-Führers Ernst Röhm (1887–1934), zahlreicher seiner Anhänger sowie sonstiger Gegner Hitlers. Immo von Fallois, Kalkül und Illusion. Der Machtkampf zwischen Reichswehr und SA während der Röhm-Krise 1934, Berlin 1994 (= Beiträge zur politischen Wissenschaft, 75). 89 Die drei sogenannten Rassengesetze (Blutschutzgesetz, Reichsbürgergesetz, Reichsflaggengesetz) wurden auf dem Nürnberger Parteitag der NSDAP am 15. September 1936 vom Reichstag beschlossen. 90 Martin Cremer (1913–1988) wurde nach 1945 Direktor der Westdeutschen Bibliothek und rief für die Max-Planck-Gesellschaft 1961 ein Institut für Dokumentation ins Leben. Von 1980 bis 1988 war er Präsident der Deutschen Schillergesellschaft. Ulrich Raulff, Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben, München 2009, S. 472, Anm. 117. 91 Provisorische Bezeichnung für das im September 1945 von der amerikanischen Militärregierung gegründete und im Dezember 1946 so genannte Bundesland Hessen. 92 Martin Cremer, Staatstheoretische Grundlagen der Verfassungsreformen im 14. und 15. Jahrhundert, jur. Diss. Kiel, Borna-Leipzig 1939.

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Berufung nach Leipzig die von mir versuchte Einstellung Cremers am Widerspruch der dortigen Fakultät scheiterte, verschaffte ich Cremer eine Stellung bei dem mir bekannten Verlag f. A. Brockhaus93. Später empfahl ich Cremer an einen großen Hamburger Verlag94. In Strassburg nahm ich als Doktoranden den Bürgermeister a.D. Günther Ries95, jetzt Landgerichtsdirektor in Oldenburg, an, der mit einer Halbjüdin verheiratet ist und deshalb seine Stellung als Bürgermeister von Landeshut/Schlesien96 verloren hatte. Ich erwirkte bei dem Straßburger Dekan, daß Ries trotz dieser Belastung als Doktorand zugelassen wurde. Zur Promotion kam es in diesem Fall auf Grund der Kriegsereignisse nicht mehr. Mit meinem alten Lehrer, Prof. Dr. Heinrich Göppert, Bonn, der als Halbjude unter die Nürnberger Gesetze fiel, war ich bis zu seinem Tode verbunden. Ich habe ihn auch nach 1933 in meinen Schriften als Kronzeugen meiner eigenen Auffassungen zitiert (z. B. in „Die Gestalt des Deutschen Sozialismus“, 1934, S. 11). In Kiel und in Leipzig war ich Dekan der Juristischen Fakultät. Ich habe in dieser Eigenschaft niemals einen Kollegen verfolgt, sondern jedem, der angegriffen wurde, meine Hilfe gewährt. In Kiel habe ich z. B. unausgesetzt für die Berufung von Prof. Wohlhaupter97 gewirkt, der wegen seiner katholischen Haltung von der Partei abgelehnt wurde. Bei meinem Weggang von Kiel schlug ich als meinen Nachfolger Herrn Prof. Rudolf Smend, Göttingen, den bekannten Staats- und Kirchenrechtslehrer, jetzt Mitglied des Rats der Evangelischen Kirche Deutschlands, vor, obwohl ich mir seiner entschiedenen Gegnerschaft gegen das Regime wie seiner Belastung durch die Abstammung seiner Frau98 bewußt war. Die Berufung scheiterte am Widerstand der | Partei. Als ich 1939 eingezogen wurde99, bewirkte ich, daß Prof. 93 Der 1805 gegründete Verlag Friedrich Arnold Brockhaus hatte seinen Sitz in Leipzig und erlangte durch das in vielen Auflagen erschienene Konversationslexikon Berühmtheit. 94 Es dürfte sich bei den Verlagshäusern entweder um Gruner und Jahr oder um Hoffmann und Campe handeln. 95 Günther Ries (1900–1981) war 1931–1943 Bürgermeister in Landeshut, 1946/ 47 Landgerichtsdirektor in Oldenburg und 1953–1965 Landgerichtspräsident in Hannover. Freundliche Auskunft von Dr. Wolfgang Henninger (Niedersächsisches Landesarchiv Oldenburg). 96 Landeshut ist eine Kleinstadt in Niederschlesien, heute: Kamienna Góra. 97 Eugen Wohlhaupter (1900–1946) war seit 1935 außerordentlicher Professor für Deutsche Rechtsgeschichte an der Universität Kiel. Hattenhauer, Rechtswissenschaft. 98 Gisela Smend (1899–1992) war Tochter des Rechtshistorikers Rudolf Hübner und Enkelin des liberalen Historikers Johann Gustav Droysen (1808–1884). Seit 1924 war sie mit Rudolf Smend verheiratet. 99 Huber leistete vom 8.9.1939 bis zum 31.12.1939 Wehrdienst. Jürgens, Staat, S. 27, Anm. 129.

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Smend als mein Vertreter nach Leipzig berufen wurde. Als ich 1941 meinen Leipziger Lehrstuhl aufgab, schlug ich erneut Prof. Smend als meinen Nachfolger vor. Der Vorschlag rief nicht nur einen Konflikt mit dem NSDozentenbund, sondern auch den schärfsten Protest des Gauleiters Mutschmann100 hervor, der in dem aus diesem Anlaß entstandenen Kampfe die Leipziger Fakultät zu schließen drohte. Selbst schon nicht mehr in Leipzig, habe ich in dieser Zeit alles daran gesetzt, um die Leipziger Fakultät im Kampf gegen ihren Gauleiter zu unterstützen. Der Widerstand der Partei gegen die Berufung Smends konnte allerdings auch in diesem Falle nicht überwunden werden; der Lehrstuhl blieb unbesetzt. Mit der Reichsführung des NS-Dozentenbundes befand ich mich in wachsendem Maße im Zwiespalt. Ich lehnte die hochschulpolitischen Pläne des NSD.[ozentenbundes] ab und bekämpfte insbesondere die von ihm betriebene „Reform“ des juristischen Studiums101, die eine Verdrängung der juristischen durch eine „staatswissenschaftliche“ Ausbildung mit fachschulmäßiger und partei-ideologischer Schulung zum Ziele hatte. Im November 1940 veranstaltete ich in Leipzig eine Tagung deutscher Staatsrechtslehrer102, auf der ich die mir vertraulich bekanntgewordenen Pläne des NSD.[ozentenbundes] zur Diskussion stellte. Obwohl ein Telegramm des Reichsdozentenführers103 mir die Behandlung dieses Themas verbot, führte ich die Tagung in der geplanten Weise durch. Ich erwirkte die einmütige Ablehnung des Münchener Entwurfs und die Einsetzung einer Kommission, die unter meiner Leitung eine kritisch-polemische Gegendenkschrift aufstellte. Meine Bemühungen, weitere Tagungen dieser Art zu veranstalten und die 1933 aufgelöste „Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer“ neu zu begründen, scheiterten an dem Widerstand, den ich in München wie bei den einflußreichen Kollegen Höhn und Ritterbusch fand104. An der Leipziger Tagung, die ich einberufen hatte und leitete, nahmen Staatsrechtslehrer aller Richtungen, u. a. auch Prof. Smend, teil. Den Versuch des NS-Dozentenbundes, die Straßburger Fakultät nach seinen Plänen zu einer „staatswissenschaftlichen“ zu entwickeln und entspre100 Martin Mutschmann (1879–1947) war von 1925 bis 1945 Gauleiter in Sachsen, Reichsstatthalter und Ministerpräsident. Agatha Kobuch, Mutschmann, Martin, in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 659 f. 101 Die juristische Studienordnung trat im Januar 1935 in Kraft. 102 Die besagte Staatsrechtslehrertagung in Leipzig fand am 4. und 5. Oktober (!) 1940 statt. Aus ihr ging folgender Band hervor: Huber, Idee und Ordnung. Hausmann, Geisteswissenschaft, S. 249. 103 Der Mediziner Walther Schultze (1894–1979) leitete von 1935 bis 1944 den Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbund. Er hielt 1941 eine Rede zur Eröffnung der Reichsuniversität Straßburg. Grüttner, Lexikon, S. 156. 104 So auch Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 286.

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chend mit parteipolitisch gebundenen Persönlichkeiten zu besetzen, habe ich zusammen mit meinen Straßburger Kollegen in heftigen internen Kämpfen abgewehrt105 (siehe unten 6). Meine „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“ entwickelte ich zu einem unabhängigen Fachblatt, das auch die Anerkennung wissenschaftlicher und politischer Gegner fand. Den Versuch der Akademie für Deutsches Recht, die Zeitschrift in ihre Regie zu übernehmen, vereitelte ich zusammen mit meinen Mitherausgebern106, obwohl mir wie dem Verleger107 verlockende Angebote gemacht wurden. Es ging mir darum, die Unabhängigkeit der Zeitschrift von allen Organisationen zu wahren, was mir bis zum Ende des Krieges gelungen ist. 5. Haltung während des Krieges 1937 verließ ich die Universität Kiel, da mir selbst das bloße Nebeneinander mit dem nationalsozialistischen Doktrinär Ritterbusch, meinem unmittelbaren Fachkollegen, unerträglich geworden war. Ich folgte einem Ruf nach Leipzig, wobei ich mich bewußt einer Fakultät anschloß, die durch ihre Zurückhaltung gegenüber dem Nationalsozialismus bekannt war108. Mit meiner wissenschaftlichen Arbeit löste ich mich mehr und mehr von der Behandlung des gegenwärtigen Staatsrechts [ab]. Ich wandte mich der Verfassungsgeschichte und Staatstheorie zu109, zunächst mit Arbeiten über die Revolution von 1848, deren hohe nationale und verfassungspolitische Bedeutung ich damals würdigte („Dahl- | mann und die Deutsche Verfassungsbewegung“ – 1937; „Der Volksgedanke in der Revolution von 1848“ – 1938). Vielleicht darf ich für mich in Anspruch nehmen, der einzige unter den deutschen Staatsrechtslehrern gewesen zu sein, der es wagte, unter dem nationalsozialistischen Regime für die bürgerliche Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts einzutreten. Wie die moderne Massenrevolution als Erscheinung so habe ich den Krieg verworfen. Es war selbstverständlich, daß ich trotzdem vor dem 105

Schäfer, Lehre, S. 108–110. Mitherausgeber waren die Kieler Nationalökonomen Hermann Bente und Andreas Predöhl. 107 Die Zeitschrift erschien im Verlag Mohr-Siebeck. Verleger war bis 1936 Oskar Siebeck. 108 In Leipzig lehrten im Öffentlichen Recht Heinrich Lange und Hans Gerber, die allerdings beide für den Nationalsozialismus eintraten. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 285–287. 109 Huber verstärkte seine verfassungsgeschichtlichen Studien und arbeitete an einer Geschichte des „deutschen Staatsdenkens von Leibniz bis Hegel“. Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, S. 258 f. 106

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Kriege meiner militärischen Dienstpflicht oblag. Mit welchen Empfindungen ich während einer militärischen Uebung in Wittenberg 1938110 die Sudetenkrise111 erlebte, ist in Briefen an meine Frau festgehalten. In ihnen ist die notwendige Entwicklung einer kriegerischen Verwicklung zum „Zweiten Weltkrieg“ vorausgesagt, als Ergebnis die unvermeidliche Niederlage Deutschlands festgestellt und nur die Zuversicht ausgedrückt, ich könne mir nicht denken, „daß ein verantwortlicher Staatsmann nicht das Aeusserste tun wird, um einen Krieg zu vermeiden“ (16. Sept. 1938)112. „Ich will und kann die Hoffnung nicht aufgeben, daß wir einen zweiten Weltkrieg nicht ausbrechen lassen werden. Denn gerade wenn man sich bemüht, den Gedanken an das persönliche und einzelne Schicksal zurückzustellen, wird umso deutlicher bewußt, daß unser Volk einem solchen zweiten Weltkrieg nicht gewachsen sein würde“ (28. Sept. 1938). Und ich hob im gleichen Briefe den mir durch meine Dienstzeit bekannten Friedenswillen der Soldaten hervor: „Jedenfalls waren die Massen, die am Montag im Sportpalast jubelten, entgegen den Vermutungen einer ausländischen Zeitung keine Soldaten“113. Als dann 1939 der Krieg ausbrach, war ich nicht im Zweifel, daß es meine Pflicht wie die jedes Deutschen sei, auch in einem gegen den Willen des Einzelnen begonnenen Kriege der Staatsführung den beschworenen Gehorsam zu leisten. Ich folgte der Einberufung zum Wehrdienst, wurde aber nach 4 Monaten für die Universitätsarbeit uk. gestellt114, und zwar gegen meinen Wunsch, wie mir das Sächsische Staatsministerium damals ausdrücklich bescheinigte115. Wenn ich mich auch, wie ich bekenne, der militärischen Erfolge der deutschen Waffen im ersten Kriegsjahr freute, so war ich doch von unausgesetzter Sorge erfüllt, daß die politische Führung den Sieg mißbrauchen werde. Insbesondere die Nachrichten über die Behandlung der besetzten polnischen Gebiete erregten meinen Unwillen und vermehrten meine Bedenken. Unter dieser Sorge nahm ich in eine Rede, die ich am 22. Nov. 1940 auf der Münchener Jahrestagung der Akademie für Deutsches Recht hielt116, folgende Sätze auf: 110 Huber leistete vom 1.8. bis zum 15.10.1938 Wehrdienst. Jürgens, S. 27, Anm. 129. Über seine Erlebnisse dort berichtete er in drei Briefen an seine Frau Tula. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 1073. 111 Gemeint ist die Auseinandersetzung zwischen der Tschechoslowakei und dem Deutschen Reich um das Sudetenland 1937/38, die mit der Besetzung durch das Deutsche Reich Ende 1938 endete. Helmuth K. G. Rönnefarth, Die Sudetenkrise in der internationalen Politik. Entstehung – Verlauf – Auswirkung. 2 Bde., Wiesbaden 1961 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte, 21). 112 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 1073. 113 Ebd. 114 „Unabkömmlich“ gestellt, d.h. vom Militärdienst (vorläufig) befreit. 115 Ein entsprechendes Dokument ist nicht überliefert.

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„Macht wird nur dadurch zum Recht, daß sie als eine verantwortlich gebundene Funktion gegenüber einem anvertrauten Lebensganzen begriffen wird. So ist die europäische Aufgabe des Reiches, mit deren Erfüllung wir an die Ueberlieferung des Ersten Reiches der Deutschen anknüpfen, zwar ein Ausdruck der deutschen Machtüberlegenheit, zugleich aber ein Ausdruck der deutschen Verantwortung vor Europa und der Welt . . .117 Die Verantwortung, die das Reich dabei übernimmt, wird einmal darin bestehen, daß das Reich den Schutz für die wirtschaftliche, kulturelle und politische Existenz der europäischen Völker gewährt. Sie wird sich aber vor allem darin ausprägen müssen, daß das Reich die ihm zugeordneten Völker Europas zur Entwicklung ihrer eigenen Anlagen und Kräfte bringt und darin eine wirkliche Aufgabe der Führung vollzieht, nicht nur im deutschen Interesse, sondern zugleich im Interesse des europäischen Ganzen. Der Reichsgedanke fordert, daß wir die Achtung vor fremder Nationalität bewahren und daß wir eine eigenvölkische Selbstentfaltung möglich machen, in der das Reich sich wirklich als Hüter des Friedens und der Sicherheit in Europa bewährt . . . | Ein Volk, das ein Weltvolk sein will und ein Reich errichtet, muß sein Verfassungsrecht so gestalten, daß es dieser ausgreifenden Ordnungsaufgabe genügt. In Bestimmungen über die Stellung fremder Volksangehöriger oder fremder Volksgruppen, in Bestimmungen über das Verhältnis zu Staaten, die sich deutschem Schutz anvertraut haben, in Vorschriften über die Stellung aussereuropäischer Einflußzonen – darüber hinaus aber in dem Gesamtgefüge des Verfassungsrechts, ja in der Gesamthaltung des Rechtes überhaupt wird diese innere Reife und Bereitschaft für eine ausgreifende, verantwortliche Führung sich ausprägen müssen. Ein Volk muß in einer bestimmten inneren Verfassung gefestigt sein, um der Verantwortung für eine weitere Ordnung genügen zu können . . .“ (S. 52 f.)118.

Diese Formulierung ließ keinen Zweifel darüber, daß nach meiner Ansicht die nationalsozialistische „Verfassung“ diesen Anforderungen nicht genügte. Die Rede, im Zeitpunkt des unangefochtenen deutschen Sieges gehalten, in der Münchener Aula vor einem Parkett, in dessen erster Reihe der Generalgouverneur von Polen Reichsminister Dr. Frank, der SS-Staatssekretär im Reichsinnenministerium Dr. Stuckart und weitere Reichsminister, Reichs-Staatssekretäre und hohe Parteifunktionäre sassen, war ein Appell an das deutsche Gewissen und wurde von den Hörern in diesem Sinne begriffen und weitergetragen. Ich nehme für mich in Anspruch, zu den Fehlgriffen und Verbrechen, die mit dem deutschen Namen verbunden sind, nicht geschwiegen, sondern laut und vernehmlich gesprochen zu haben, und 116 Ernst Rudolf Huber, Bau und Gefüge des Reiches, Hamburg 1941. Gegenüber dem Herausgeber der Zeitschrift „Merkur“ Joachim Moras (1902–1961) berichtete Huber am 5.7.1950, dass er den Vortrag damals der von diesem herausgegebenen „Europäischen Revue“ angeboten habe. In der Vorzensur habe das Reichspropagandaministerium zahlreiche Beanstandungen geltend gemacht. Deutsches Literaturarchiv Marbach, Bestand D Merkur, NZ 80.3. 117 Huber, Bau und Gefüge, S. 52. Zitat leicht abweichend vom Original. 118 Ebd., S. 52 f. Zitat leicht abweichend vom Original.

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zwar in einem Zeitpunkt, in dem noch nicht die beginnende Niederlage die Gemüter verdüsterte und auch die Verhärteten langsam zu Nachdenken kamen, sondern in einer Phase des Krieges, in der der strahlende Sieg alle Frevel zu verdecken schien. Ich habe nicht in geheimen Konventikeln Gleichgesinnter gesprochen, wo die Kritik leicht und ungefährlich, aber auch wirkungslos war, sondern ich habe öffentlich und im Angesicht von Männern, die eine Verantwortung ersten Ranges trugen, meine mahnende Stimme erhoben. Wer sich der deutschen Verhältnisse jener Zeit erinnert, weiß, daß öffentliche Kritik und Mahnung dieser Art selten und gefährlich war und daß Viele um geringerer Dinge willen Schlimmes erleiden mußten. Daß solche Kritik und Mahnung überhaupt nur dann öffentlich geäussert werden konnte, wenn sie in den Rahmen einer Verlautbarung eingebettet war, die sich im Ganzen zu dem herrschenden Regime bekannte, muß jedermann geläufig sein, der die Lebensbedingungen jener Zeit aus eigener Anschauung kennt. Doch wird dem Unvoreingenommenen auch nicht entgehen, daß die ganze erwähnte Rede „Bau und Gefüge des Reiches“ nur um der zitierten Schlußsätze willen gehalten wurde und daß alles Vorausgegangene nur eine Vorbereitung auf diesen Aufruf zur Gerechtigkeit, zum Maßhalten im Siege, zur Achtung vor dem Besiegten, zur Verantwortung für Europa war. Der Versuch, die Rede in der „Europäischen Revue“, einem auch im Ausland gelesenen Blatt, zu veröffentlichen, scheiterte am Widerspruch des Propaganda-Ministeriums, das eine Vorzensur über diese Zeitschrift ausübte. Ich publizierte die Rede darauf in der „Deutschen Rechtswissenschaft“119 (nachdem diese mir einst feindliche Zeitschrift aus der Hörigkeit des HöhnKreises gelöst und in den Besitz der neutralen Akademie für Deutsches Recht übergegangen war)120. 1941 erschien die Rede in Form einer Broschüre, die eine verhältnismäßig hohe Auflage erreichte121. Auch dieser Fall dürfte selten sein, daß ein Autor es wagte, einen vom Ministerium Göbbels verworfenen Artikel an anderer Stelle unverändert herauszubringen. | 6. Wirksamkeit in Strassburg Im Jahre 1941 leistete ich einem Ruf an die im Entstehen begriffene Reichsuniversität Straßburg Folge122. Ich bekenne, daß ich im Elsaß deut119 Ernst Rudolf Huber, Bau und Gefüge des Reiches, in: Deutsche Rechtswissenschaft 6 (1941), S. 22–32. 120 Die „Deutsche Rechtswissenschaft“ erschien zwischen 1935 und 1942 und wurde dann der Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht angegliedert. 121 Ebd. 122 Über Hubers Straßburger Aktivitäten: Schäfer, Lehre, bes. S. 77–80, 168–184.

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sches Land, in seiner Bevölkerung deutsche Menschen sah, und ich hatte die Hoffnung, daß es gelingen werde, diesen unserm Volk entfremdeten Stamm wiederzugewinnen123. Ich war mir jedoch keinen Augenblick darüber im Zweifel, daß dies eine Aufgabe von Generationen sein würde und daß Macht, Gewalt, Zwang oder auch Propaganda, Schulung und organisatorische Gleichschaltung nicht imstande sein würden, sie zu bewältigen. Es kam nach meiner Ansicht darauf an, durch ruhiges und besonnenes Verständnis für die elsässische Situation das Vertrauen, durch sachliche Leistung die Achtung, durch Gerechtigkeit die Anerkennung der Elsässer zu erwecken. Ich habe im Elsaß jede Art von Terror verworfen und viele der von den deutschen Verwaltungsstellen getroffenen Maßnahmen mißbilligt, ohne daß mir je Gelegenheit geboten worden wäre, als Staatsrechtslehrer zu ihnen gegenüber den verantwortlichen Behörden Stellung zu nehmen. Ich mußte mich darauf beschränken, in meinem Amt als Universitätslehrer gegenüber den elsässischen Studenten und in meinem Amt als Direktor des Rechtswissenschaftlichen Seminars gegenüber den zahlreichen elsässischen Angestellten ein seelisches Klima zu schaffen, das frei von Feindseligkeit, Bedrückung oder Furcht war. Auch meine reichsdeutschen Angestellten, von denen eine, dies ohne mein Wissen, der Partei angehörte, besassen völlige Freiheit der Meinungsäusserung und der Haltung. So war der HitlerGruß unter ihnen und zwischen ihnen und mir nicht üblich, obwohl dies wiederholt zu Interventionen von Parteiseite führte. Im deutsch-französischen Verhältnis hoffte ich auf eine nach dem Krieg möglich werdende Versöhnung. Ich sah in Straßburg die Plattform für ein fruchtbares Gespräch zwischen den Nationen. Es gab an der Universität zwei Richtungen, die eine, die Straßburg zu einem „Bollwerk“ gegen den westlichen Geist, die andere, die es zu einer „Plattform“ für den geistigen Austausch mit dem Westen entwickeln wollte. Ich war einer der Wortführer dieser zweiten Richtung und rechne es mir zum Verdienst an, daß sie sich innerhalb der Universität immer stärker durchsetzen konnte. Dieser Richtung gelang es auch, die im Anfang drohende Entwicklung Straßburgs zu einer „Partei-Universität“ abzuwehren. Es gab in Straßburg, nachdem die schweren Anfangskämpfe durchgefochten waren, keine Partei-Eingriffe und kein Dozentenbunds-Regime; ich wage vielmehr zu sagen, daß die geistige Freiheit und die Unabhängigkeit der Universität in Straßburg damals größer war als an den meisten reichsdeutschen Universitäten. Ich setzte mich mit meinen Freunden insbesondere dafür ein, daß der Lehrkörper der Straßburger Universität ausschließlich nach fachlicher Lei123 Huber fühlte sich wegen seiner linksrheinischen Herkunft und trotz der oldenburgischen Zugehörigkeit von Birkenfeld als Rheinländer. Morgenstern, Die riskante „Rückkehr in das gesegnete rheinische Land“.

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stung ohne Rücksicht auf politische Qualifikation besetzt wurde. So bot ich unter anderem meinen Einfluß auf, um die Berufung des Historikers Hermann Heimpel durchzusetzen, der als Nicht-Parteigenosse und überzeugter aktiver Protestant von der Reichsdozentenführung und von der Parteikanzlei beanstandet wurde. Es gelang dann, die Ernennung Heimpels gegen das Veto der Parteidienststellen zu erwirken. Auch für die Berufung des Physikers C.[arl] F.[riedrich] von Weizsäcker, der als Nicht-Parteigenosse und Gegner der „Deutschen Physik“124 von Parteiseite abgelehnt wurde, trat ich ein. Beide gehörten zu einem von mir mitbegründeten kleinen Kreis von Professoren, in dem regelmäßig über wissenschaftliche Fragen diskutiert und auch schonungslos über politische Mißstände gesprochen wurde. Noch schärfer waren die Kämpfe um die Besetzung meiner eigenen Fakultät125. Zusammen mit den wenigen zunächst berufenen Kollegen setzte ich durch, daß eine von Reichsdozentenführung und Parteikanzlei vorge- | legte Besetzungsliste für unsere Fakultät ohne Ausnahme abgelehnt wurde und daß unser eigener Vorschlag Annahme fand. Insbesondere verhinderten wir die Verwandlung der Straßburger Fakultät in eine sog. „staatswissenschaftliche“ mit starker parteiideologischer Bindung. Wir lehnten sämtliche parteimäßig gebundenen Kandidaten126, die auch später noch an uns herangetragen wurden, ab, darunter vier Nationalökonomen127, deren Namen ich übergehe. Vor allem verweigerten wir die Berufung des von der Parteikanzlei vorgeschlagenen Ministerialdirektors Sommer128, einer damals bekannten, in der Parteikanzlei tätigen Parteigröße; als sein Name erwähnt wurde, erklärte ich, die von mir ausgesprochene Annahme des Rufes nach Straßburg sofort rückgängig zu machen, wenn diese Kandidatur nicht mit allen Mitteln abgewehrt werde. Ohne Rücksicht auf Parteizugehörigkeit, allein nach wissenschaftlichem Rang wurden die Berufungen durchgeführt. Wir setzten dabei u. a. die Rückberufung von Dr. Raiser129 ins Lehramt durch, 124 Die sogenannte Deutsche Physik setzte sich für eine ganzheitliche Weltsicht auf nationalsozialistischer Grundlage ein. Ihr Hauptgegner war die ‚jüdische‘ Relativitätstheorie. 125 Schäfer, Lehre, S. 61–115. 126 Bei den Öffentlichrechtlern waren dies Erich Becker, Norbert Gürke und Walther Sommer. Stolleis, Geschichte, Bd. 3, S. 298. 127 Schäfer, Lehre, S. 108–110. Die Berufungen von Fritz Nonnenbruch, Andreas Pfenning, Klaus-Wilhelm Rath und Artur Schürmann scheiterten. 128 Walther Sommer (1893–1946) war seit 1934 im Stab des Stellvertreters des Führers tätig. 1941/42 wurde er Präsident des neu errichteten Reichsverwaltungsgerichts. Dieter Marek, Walther Sommer (1893–1946) – Die Karriere eines Thüringer Juristen im Dritten Reich, in: „Ältestes bewahrt mit Treue, freundlich aufgefasstes Neue.“ Festschrift für Volker Wahl zum 65. Geburtstag, Rudolstadt 2008, S. 505– 522.

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der 1933 wegen seiner politischen Gesinnung von der Gestapo verhaftet worden war und dann aus dem Universitätsdienst hatte ausscheiden müssen. Unter zwölf Ordinarien meiner Fakultät waren vier nicht Mitglieder der Partei, also ein Drittel. Aber auch unter den acht Parteimitgliedern waren solche, die von der Partei scharf abgelehnt wurden und die ihrerseits die Partei bekämpften; kritisch standen der Partei sämtliche Straßburger Ordinarien gegenüber. Keiner war „alter Kämpfer“, keiner bekleidete ein Parteiamt oder war für die Partei tätig. Ich erwähne dies, weil ich für den Aufbau der Fakultät mitverantwortlich bin und schon 1940 dem Reichserziehungsministerium einen Besetzungsplan einreichte, der dann im wesentlichen durchgeführt werden konnte. Ich glaube meine Wirksamkeit in Straßburg an einigen weiteren Beispielen erläutern zu sollen: Als dem geschäftsführenden Direktor des Rechtswissenschaftlichen Seminars wurde mir im Sommer 1941 die beschlagnahmte Bibliothek von Professor René Capitant130, der bis zum Kriegsausbruch in Strassburg als französischer Staatsrechtslehrer gewirkt hatte, zugewiesen. Ich hatte keinerlei Initiative in dieser Richtung entfaltet, wurde von der Ueberweisung vielmehr peinlich überrascht, da ich ein erklärter Gegner von Beschlagnahmungen privaten Eigentums durch eine Besatzungsmacht bin. Um die schon im Gang befindliche Verschleuderung und Vernichtung der Bibliothek zu verhindern, habe ich die mir zugewiesenen juristischen Bestände der Bibliothek Capitant entgegengenommen, sie aber dem Seminar nicht einverleibt, sondern sie abgesondert für Professor Capitant aufbewahrt. Während meiner ganzen Straßburger Zeit stand die wertvolle und für mich als unmittelbaren Fachkollegen des Eigentümers ausserordentlich interessante, wenn man so will: verlockende Bücherei unangetastet in einem be129 Ludwig Raiser (1904–1980) wurde 1942 trotz seiner bekannten Regimegegnerschaft 1942 als Professor nach Straßburg berufen. Er lehrte aber nicht, sondern geriet als Soldat in englische Kriegsgefangenschaft. Nach dem Krieg wirkte er in Göttingen und Tübingen und war an der Gründung der Westdeutschen Rektorenkonferenz und der Deutschen Forschungsgemeinschaft beteiligt. Juristische Fakultät der Universität Tübingen (Hg.), Ludwig Raiser zum Gedächtnis. Ansprachen, gehalten anläßlich der Akademischen Gedenkfeier am 20. November 1980 für Prof. Dr. iur. Dr. phil. h. c. D. theol. Ludwig Raiser (gest. 13. Juni 1980), Tübingen 1982 (= Tübinger Universitätsreden, 30). 130 René Capitant (1901–1970) war ein französischer Öffentlichrechtler, der seit 1929 an der Universität Straßburg lehrte. Nach der deutschen Besetzung Straßburgs wechselte er über Clermont-Ferrand nach Algier. Seit 1951 lehrte er in Paris. Er war Anhänger des Präsidenten de Gaulle und wurde 1968 französischer Justizminister. Gwénaël Le Brazidec, René Capitant, Carl Schmitt. Crise et réforme du parlementarisme. De Weimar à la Cinquième République, Paris 1998 (= Logiques juridiques).

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sonderen Raum, durch große Schilder: „Bibliothek Capitant“ gekennzeichnet. Ich veranlaßte darin auch keine Aenderung, als Anfang 1943 bekannt wurde, daß Professor Capitant einer der engsten Mitarbeiter des Generals de Gaulle131 und Unterrichtsminister in der in Nordafrika gebildeten Provisorischen Nationalregierung war132. Es gehörte in diesem Kriege leider nicht mehr zu den Selbstverständlichkeiten, daß das private Eigentum eines Feindes in dieser Weise geschützt wurde. Wäre es in Straßburg bekannt geworden, daß ich das Eigentum eines gaullistischen Ministers in dieser Weise aufbewahrte, wäre es mir übel ergangen. Ich danke es der absoluten Ehrenhaftigkeit meiner Angestellten und Hilfskräfte, daß ich einer Denunziation nicht ausgesetzt war. Ich nahm als Direktor des Seminars ferner keinen Anstand, als Angestellte und Hilfskräfte Elsässer zu beschäftigen, an deren profranzösischer Gesinnung kein Zweifel bestand. So beschäftigte ich bis | zum Fall Straßburgs als wissenschaftlichen Hilfsarbeiter den Studenten Gustav Sautter133, der einer bekannten pro-französischen Familie angehörte. Sein Vater war der engste Mitarbeiter des ehemaligen und auch jetzt wieder im gleichen Amt tätigen Bürgermeisters von Straßburg Charles Frey134 und leitete bis 1939 und leitet auch jetzt wieder die in Straßburg erscheinende Freyische Zeitung, ein Blatt entschieden pro-französischer Richtung. Obwohl die entsprechende Gesinnung des jungen Sautter unverkennbar war, bewahrte ich ihn durch die Beschäftigung im Seminar vor dem Einsatz in einem Rüstungsbetrieb, für den er vom Arbeitsamt und von der Studentenschaft vorgesehen war. Ich erwähne in diesem Zusammenhang weiter einen Zwischenfall mit den beiden von mir gleichfalls als wissenschaftlichen Hilfskräften im Seminar beschäftigten elsässischen Studentinnen Suzanne Schulz und Margot Hornegger135. Während des im Sommer 1943 vor dem Volksgerichtshof unter dem Vorsitz des Präsidenten Freisler durchgeführten Prozesses gegen 131 General Charles de Gaulle (1890–1970) war der Anführer der französischen Widerstandsbewegung im Zweiten Weltkrieg und von 1959 bis 1969 Staatspräsident Frankreichs. 132 De Gaulle ernannte Capitant zum Kommissar für das Erziehungswesen im Nationalen Befreiungskomitee. 133 Guy (Gustav) Sautter (1924–2009) war nach 1945 im französischen Außenministerium und bei der UNESCO tätig. In den Jahren 1962–1973 arbeitete er als Rechtsberater der Europäischen Gemeinschaften. Schäfer, Lehre, S. 223, Anm. 33. 134 Charles Frey (1888–1955) war ein französischer Journalist und Zeitungsverleger. Er gründete und leitete das „Nouveau Journal de Strasbourg“ und war von 1935 bis 1940 sowie von 1944 bis 1955 Bürgermeister von Straßburg. 135 Über die Studentinnen Suzanne Schulz und Margot Hornegger war nichts Näheres in Erfahrung zu bringen.

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den elsässischen Studenten Adam136 und eine Reihe von studentischen Mittätern wegen Hoch- und Landesverrats, Wehrkraftzersetzung usw., der mit einer Reihe von Todesurteilen endete, beteiligten sich die beiden Studentinnen an Demonstrationen im Gerichtssaal. Sie stiegen, wie auch andere Zuhörer, bei der öffentlichen Verhandlung vor der Urteilsverkündung auf die Bänke und winkten den Angeklagten demonstrativ zu. Die Studentinnen wurden bei der Gestapo und der Universitätsverwaltung angezeigt und schwebten in großer Gefahr. Ich habe die Studentinnen aus menschlicher Teilnahme in dieser Zeit beraten und sie in dem gegen sie eingeleiteten universitätsgerichtlichen Verfahren unterstützt. Ich habe den Rektor137, den Vorsitzenden des Universitätsgerichts, vor der Verhandlung aufgesucht und zugunsten der beiden Angeklagten beeinflußt. Ich habe einen Kollegen138 bestimmt, die Verteidigung der Angeklagten zu übernehmen und selbst in der Verhandlung als Zeuge eine so bestechende Aussage über die persönliche und politische Haltung der beiden Studentinnen gemacht, daß sie mit der mildesten Strafe, einem mündlichen Verweis, davon kamen. Dabei war mir selbstverständlich nicht verborgen, daß das Verhalten der beiden Studentinnen keineswegs so harmlos war, wie sie es in dem Prozeß auf meinen Rat darstellten. Die Gauleitung, die alsbald von dem milden Urteil erfuhr, das praktisch auf einen Freispruch hinauslief, hat dies sehr übel vermerkt und wiederholt gegen die beiden Studentinnen interveniert. Für die Art und Weise, in der ich meine sachliche Arbeit beim Aufbau des Rechtswissenschaftlichen Seminars auffaßte, mag Folgendes bezeichnend sein: Es kam mir darauf an, in möglichst weitem Umfang auch verbotene Literatur für das Seminar zu erwerben. So gelang es mir, beim Ankauf eines Teiles der Bibliothek von Professor Smend, Göttingen, erhebliche Bestände an bolschewistischer Literatur zu erhalten, darunter Werke von Lenin139 und Stalin140. Selbstverständlich mußten diese Bücher sekretiert werden; doch standen sie interessierten Studenten zur Verfügung. Auch hier hätte die geringste Denunziation genügt, um mich in eine schlimme Lage 136 Der damals 24 Jahre alte Alphonse Adam war Anführer einer sechsköpfigen Studentengruppe. Der Prozess unter Vorsitz von Roland Freisler fand am 6. und 7. Juli 1943 statt, die Urteile wurden eine Woche später vollstreckt. [o. V.], Port du Rhin: Fusillés il y a 65 ans, in: Lien 67 (2008), S. 32. 137 Als Rektor der Universität Straßburg amtierte der Mediziner Karl Schmidt (1899–1980), der 1941 aus Bonn berufen worden war. Schäfer, Lehre, S. 34 f. 138 Der Arbeitsrechtler Arthur Nikisch (1888–1968). Ebd., S. 224. 139 Wladimir Iljitsch Uljanow, gen. Lenin (1870–1924) war Anführer der russischen Oktoberrevolution von 1917. 140 Josef Stalin (1878–1953) war seit 1922 Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und Staatschef.

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zu bringen. Das „Kapital“ von Marx141, sowie Schriften von Engels142, Lassalle143, Kautsky144, Bernstein145 und weiteren Sozialisten wurden von mir in diesen Jahren 1941–44 angeschafft; diese Werke waren zumeist offen aufgestellt. Durch Zufall gelang es mir, das Buch von Hermann Rauschning146 „Die Revolution des Nihilismus“ für die Seminarbibliothek zu erwerben. Ich habe dieses bekannte anti-nationalsozialistische Werk nicht nur selbst gelesen, sondern auch ausgeliehen, z. B. an meinen damaligen Assistenten Hellmut Becker. Bei alledem leitete mich das Bestreben, das Material für eine allseitige politische Unterrichtung in einem Universitäts-Institut zu vereinigen. | 7. Wissenschaftliche Arbeit während des Krieges Schon vor dem Kriege hatte ich mich in wachsendem Maße von der staatsrechtlichen Arbeit gelöst, da mir zweifelhaft geworden war, ob mein Ziel, zu einer verfassungsrechtlichen Konsolidierung des Regimes beitragen zu können, erreichbar sei. Die 2. Auflage meiner „Verfassung“ bearbeitete ich im Sommer 1938; nur die aus technischen Gründen verlangsamte Herstellung zwang mich, während des Druckes die Eingliederung des Sudetenlandes und die Errichtung des Protektorats147 noch in die Darstellung einzuarbeiten. Es liegt im übrigen in der Natur eines staatsrechtlichen Lehrbuchs, 141 Karl Marx (1818–1883) war Philosoph und Begründer der kommunistischen Gesellschaftstheorie. 142 Friedrich Engels (1820–1895) arbeitete mit Karl Marx zusammen am „Kommunistischen Manifest“ (1848). 143 Ferdinand Lassalle (1825–1864) gründete 1863 den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, aus dem später die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hervorging. 144 Karl Kautsky (1854–1938) war ein sozialdemokratischer Politiker, der u. a. das Erfurter Programm von 1891 mit entwarf. Der gebürtige Tscheche musste 1938 aus Österreich emigrieren und starb im niederländischen Exil. 145 Eduard Bernstein (1850–1932) vertrat eine gemäßigte, sogenannte revisionistische Richtung in der Sozialdemokratischen Partei. Er saß zwischen 1902 und 1928 mehrfach im Reichstag und war 1891 Mitautor des Erfurter Programms der Sozialdemokraten. 146 Hermann Rauschning (1887–1982) war zunächst Anhänger des Nationalsozialismus, aber ab 1934 ein scharfer Kritiker des Regimes. Er emigrierte und siedelte 1941 in die Vereinigten Staaten über. Jürgen Hensel/Pia Nordblom (Hg.), Hermann Rauschning. Materialien und Beiträge zu einer politischen Biographie, Osnabrück 2003. 147 Das Protektorat Böhmen-Mähren wurde am 15. März 1939 nach der Annexion des Sudetenlandes und der Abtrennung der Slowakei aus der sogenannten RestTschechei gebildet. Detlef Brandes, Die Tschechen unter deutschem Protektorat, 2 Bde., München 1969/75.

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wie ich es verfaßt habe, daß die staatsrechtlichen Tatsachen verzeichnet werden müssen, gleichviel ob sie dem Autor billigens- oder mißbilligenswert erscheinen. So wird niemand aus dem Umstand, daß in meinem Buch die Einrichtung der Konzentrationslager oder die Maßnahmen gegen die Juden erwähnt sind148, schließen dürfen, daß ich diese Vorgänge gebilligt hätte. Das gleiche gilt von den aussenpolitischen Aktionen Hitlers, die bis zum Frühjahr 1939 verzeichnet sind. Um hier jedoch jedes Mißverständnis auszuschließen, bekenne ich, daß ich den Anschluß Oesterreichs149, wie er schon in der Weimarer Verfassung geplant150 und später von allen politischen Parteien Deutschlands, vor allem auch der Sozialdemokratie erstrebt wurde, mit Freude begrüßt, daß ich die Eingliederung des Sudetenlandes mit Sorge beobachtet, daß ich die Einverleibung des Protektorats Böhmen und Mähren innerlich abgelehnt habe. Meine Empfindungen mögen sich hierin mit denen des größten Teiles der Nation, gleichviel ob Parteimitglied oder nicht, dekken. Während des Krieges habe ich die Neubearbeitung der bald vergriffenen 2. Auflage abgelehnt, um nicht gezwungen zu sein, zu Vorgängen Stellung zu nehmen, die mir schlechthin unvertretbar erschienen. Ich konnte jedoch nicht umhin, den Nachdruck des unveränderten Werks nach dem Stand von 1938/39 zu genehmigen, da es als Lernmittel für den juristischen Unterricht als unentbehrlich galt und sein Fehlen vor allem die studierenden Kriegsversehrten in der Examensvorbereitung gehemmt haben würde. Während des Krieges habe ich mich fast ausschließlich mit geistesgeschichtlichen und verfassungsgeschichtlichen Studien beschäftigt, eine Wandlung, in der meine fortschreitende innere Abkehr von dem Regime sich widerspiegelt. Ein umfangreiches Werk über die deutsche Staatstheorie von Leibniz bis Hegel konnte nicht erscheinen151, da mir das Papier verweigert wurde. Wie ich damals wissenschaftlich gedacht und gewirkt habe, geht am deutlichsten aus meinen Straßburger Reden und Vorträgen hervor, die nur zum Teil gedruckt sind, zum anderen Teil aber wenigstens im Original erhalten blieben. Meine bei der feierlichen Eröffnung der Reichsuniversität Straßburg am 24. November 1941 gehaltene Rede „Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins“ wurde von allen Hörern als Absage an die weltanschau148

Huber, Verfassung, S. 38, 43, 72 f. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen erfolgte der sogenannte Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich am 13. März 1938. 150 Art. 61, Abs. 2, Satz 1 der Weimarer Reichsverfassung lautete: „Deutschösterreich erhält nach seinem Anschluß an das Deutsche Reich das Recht der Teilnahme am Reichsrat mit der seiner Bevölkerung entsprechenden Stimmenzahl.“ Huber, Dokumente, Bd. 3, Nr. 154, S. 138. 151 Das Manuskript befindet sich im Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 205, 206. 149

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lich-propagandistische Verfälschung des deutschen Selbstverständnisses empfunden. Im Mittelpunkt der Rede stand der Nachweis der menschheitlichen Bezogenheit und Bindung der Volks-Idee, wie sie in Herders „humanitärem Volksbegriff“ (S. 6 ff.) und in Fichtes Lehre vom Staat als „Mittel für den höheren, menschheitlichen Zweck der Nation“ (S. 18) lebendig war. Fichtes „Reden an die deutsche Nation“152 wurden damit der verbreiteten chauvinistischen Mißdeutung entrissen. Damit verband sich der Hinweis auf die innere Problematik der in Hegels System entwickelten „Totalität des Politischen“: „Wie ein neuer Leviathan droht der Hegelsche Staat die ursprünglich volkhaften Kräfte, aus denen er sich entfaltet hat, zu überdecken und zu erdrücken“ (S. 21). Von zahlreichen Hörern ist mir versichert worden, sie hätten wohl verstanden, daß mit dem Hegelschen zugleich auch der Hitlersche Staat gemeint sei. Sie hatten auch begriffen, was mit den Sätzen | gesagt war, die sich am Schluß der Rede fanden: „Wir stehen nicht nur in einer deutschen, sondern in einer europäischen Revolution, deren Tiefe und Maß erst die, die nach uns kommen, voll begreifen werden. Aber Revolution bedeutet uns nicht Umsturz und Zerstörung, sondern Wiederherstellung und Erneuerung, Reinigung und Festigung deutschen Wesens . . .“ (S. 24). Beispiele dieser Art aus meiner Straßburger Vortrags- und Vorlesungstätigkeit liessen sich beliebig vermehren. Was ich in Straßburg wie früher in Leipzig und Kiel in Vorlesung, Uebung und Seminar getan habe, um die Studenten zu kritischem Denken, zum Sinn für Gerechtigkeit und zur Wahrheit zu erziehen, läßt sich nicht belegen, da das mündliche Wort nicht reproduzierbar ist. (Doch lege ich dafür einige Berichte einstiger Hörer vor.) Für meine Arbeit in Straßburg mögen folgende kurze Hinweise genügen: In meinem Seminar behandelte ich während des ganzen Sommers 1944 die Weimarer Verfassung, um die Studenten in die Prinzipien und die Probleme der ihnen völlig fremden parlamentarischen Demokratie einzuführen. Ich hielt selbst einen abschliessenden großen Vortrag zum Gedächtnis des 25 Jahre zuvor geschaffenen Weimarer Verfassungswerks153, wohl die einzige „Jubiläums-Rede“, die der Weimarer Verfassung damals zu Teil geworden ist. Jedenfalls habe ich nicht gehört, daß irgendeiner der deutschen Staatsrechtslehrer es in den zwölf Jahren gewagt hätte, die Arbeit eines ganzen Semesters der sachlichen Einführung der Studenten in das Weimarer Staatsrecht zu widmen. – In einer im kleineren Kreis gehaltenen, im Winter 1944/45 in Heidelberg in meinem dortigen Seminar wiederholten Rede wandte ich mich gegen die vom Hitler-Regime in den letzten Jahren entwickelte Praxis der „Geheimen Gesetze“154, die ich als schlechthin rechtswidrig und unwirksam 152

Die vermutlich bekannteste Schrift Fichtes erschien in Berlin 1808. Die Rede müsste demnach Mitte August 1944 gehalten worden sein. Im Nachlass findet sich ein Manuskript der letzten Straßburger Vorlesung mit dem Titel „Grundfragen der Weimarer Verfassung“. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 202. 153

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verwarf. Auch an der sonstigen Diktatur-Praxis Hitlers übte ich in diesem vor Professoren und Studenten gehaltenen Vortrag unverhohlene Kritik. – In einer Rede über „Autorität und Freiheit“, die ich in meinem Straßburger Seminar und anderwärts hielt155, setzte ich mich für die Entfaltung individueller Freiheit und sittlicher Autonomie des Einzelnen in der autoritären Verfassung ein. Ich führe aus dem Vortrag folgende Sätze an: „Individualität und Gemeinschaft, Freiheit und Autorität bilden in ständiger Wechselwirkung ein Ganzes: das ist das dialektische Prinzip, das der wahren Verfassung zugrunde liegt. So ist es nur scheinbar paradox, in Wahrheit aber denknotwendig, wenn wir von der autoritären Verfassung der Zukunft fordern, daß sie mit der Autorität der herrscherlichen Führung auch die Individualität des Menschen und damit seine Freiheit sichere. Autorität ohne Freiheit entartet zur äusseren Zwangsgewalt, so wie die Freiheit ohne Autorität sich in der Zuchtlosigkeit verliert. In der doppelten Bedrohung durch Despotismus und Zuchtlosigkeit in der unser Kontinent steht, ist es die Existenzfrage der europäischen Kultur, ob uns das Werk einer Verfassung gelingt, die Autorität und Freiheit neu verbindet . . . Wir geben uns keinen Illusionen über die Schwierigkeiten hin, vor die wir mit dieser Aufgabe der autoritären Verfassungsgestaltung gestellt sind. Aber nur an großen Aufgaben erprobt der Mensch das Maß seiner Kraft. Und nur durch die rechte Erkenntnis der Aufgaben, die ihm das Schicksal stellt, bereitet der Mensch sich den Weg zur wirkenden Tat. In diesem Sinne bekennen wir uns zu der kommenden Verfassung der europäischen Nationen, die Autorität und Freiheit in das rechte Verhältnis setzt“.

Es wird mir unvergeßlich sein, mit welchem Sturm der Zustimmung meine studentischen Hörer diesen Aufruf zur Freiheit beantworteten. Als ich diesen Vortrag wenige Tage nach dem 20. Juli 1944 in meinem Seminar hielt, war niemandem zweifelhaft, welches System hier als eine Verbindung von „Despotismus und Zuchtlosigkeit“ gemeint war, und der Aufruf zu einer „Verfassung der Zukunft“ stellte ausser Frage, daß ich | das bestehende nationalsozialistische Regime damit als ein zu überwindendes verfassungspolitisches System erklärte. Ich sprach dies eben in den Tagen aus, in denen der Terror des Regimes seine radikalste Form annahm, und zwar vor einem Kreis von Studenten, zu dem sehr entschiedene Nationalsozialisten gehörten. Auch zur Frage der deutschen Machtexpansion nahm ich noch einmal Stellung, und zwar in einem an mehreren Orten, zuerst in Metz im Oktober 1943 gehaltenen Vortrag „Reichsidee und Völkerrecht“156. Ich griff darin 154 Ebd. Im Nachlass Hubers findet sich der Vortrag „Gesetz und Maßnahme“, den er 1944/45 im Heidelberger Seminar von Ernst Forsthoff gehalten hat. 155 Ebd. 156 Ebd. Siehe dazu: Wolfgang Freund, Volk, Reich und Westgrenze. Deutschtumswissenschaften und Politik in der Pfalz, im Saarland und im annektierten Lothringen 1925–1945, Saarbrücken 2006 (= Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung, 39), S. 359.

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vor allem die damals die deutsche Propaganda beherrschende GroßraumIdeologie an, unter anderem mit folgenden Sätzen: „Gerade das vielverwandte und wohl auch vielmißbrauchte Wort vom ‚Großraum‘157 legt mancherlei Mißverständnisse nahe, so als ob es nur darauf ankäme, den Raum mit seinen strategischen Möglichkeiten, Stützpunkten, Ausgangsstellungen und Verteidigungslinien, mit seinen Verkehrsbeziehungen, seinen Bodenschätzen, seiner Industriekapazität, seinem Volumen an Arbeitskraft und seiner landwirtschaftlichen Nutzbarkeit in die Hand zu bekommen. Aber mit einem solchen Materialismus des Raumdenkens kann man die Welt vielleicht erobern – aber man kann sie so nicht regieren, und man kann keine dauerhafte, in sich selbst stabilisierte Ordnung schaffen. Ein solcher Großraummaterialismus wäre nur ein anderes Wort für den alten Imperialismus – und er wäre alles andere, nur kein Recht. Das Prinzip eines neuen Völkerrechts ist nicht imperiale Raumherrschaft, sondern gerechte Völkerordnung. Eine dauernde, sicher in sich ruhende Ordnung der Völker aber gewinnt man nur, wenn man bereit und fähig ist, die Achtung vor der Individualität, der Geschichte, den Gewohnheiten, den Anlagen und der Wesensart der verbundenen Völker zu bewahren“.

In Metz, in Saarbrücken und in Zweibrücken hielt ich diesen Vortrag öffentlich, vor zahlreichen Hörern, in den beiden ersten Städten in Anwesenheit der Kreisleiter und anderer Parteifunktionäre. (Veranstalter war die saar-pfälzische Gesellschaft der Wissenschaften158). Auch in diesem Falle habe ich meine Kritik nicht verborgen, sondern sie vor verantwortlichen Parteistellen laut und deutlich ausgesprochen. In Straßburg hielt ich den gleichen Vortrag in einem akademischen Kreis in Anwesenheit zahlreicher Elsässer, die sich durch den Vortrag ermutigt fühlten, in der anschließenden Diskussion ihre Kritik am nationalsozialistischen Imperialismus in scharfer Form zu äussern. Ich selbst nahm in der Diskussion u. a. auf Fragen der Hörer kritisch zur staatsrechtlichen Behandlung des Elsaß, insbesondere der de facto-Annexion159 Stellung. Ich erfuhr später, daß ein Bericht über diesen Vortrag und die Aussprache von einem Teilnehmer an die französische Widerstandsbewegung weitergegeben worden war und von dort propagandistisch verwertet wurde. Dies wiederum wurde der Straßburger Gestapo be157 Rüdiger Voigt (Hg.), Großraum-Denken. Carl Schmitts Kategorie der Großraumordnung, Stuttgart 2008 (= Staatsdiskurse, 3). 158 Es könnten entweder die Pfälzische Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, das ihr zugehörige Saarpfälzische (ab 1941 Westmark-)Institut für Landesund Volksforschung in Kaiserslautern oder das 1940 in Metz eingerichtete Lothringische Institut für Landes- und Volksforschung gemeint sein. Freund, Volk, passim. In Metz war jedenfalls das letztgenannte Lothringische Institut der Veranstalter. 159 Das bis 1871 und seit 1918 zu Frankreich gehörende Elsass war nach der deutschen Besetzung Frankreichs 1940 mit dem Gau Baden als neuer Gau BadenElsass vereinigt und damit unter einem Chef der Zivilverwaltung de facto annektiert worden. Eine vertragsmäßige Abtretung des Elsass erfolgte nicht.

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kannt, die mich seitdem mit Mißtrauen beobachtete. Doch verhinderte dann der Fall Straßburgs, daß es zu Weiterungen kam. Daß auch in diesem Falle das Papier für den Druck verweigert wurde, versteht sich von selbst. Mein grundsätzliches politisches Bekenntnis aber findet sich in dem Vortrag „Goethe und der Staat“, den ich am 23. Januar 1944 in Straßburg hielt160. Ich trat hier für Goethes Gedanken der „organischen Totalität“ ein: „Totalität heißt nicht Zwang zur uniformen Einheit, sondern meint die freie Wechselbezogenheit aller Teile in einem vielgestaltigen Ganzen“ (S. 4). Ich bekannte mich zu der in Goethes Schaffen hervorgetretenen Einheit von Humanität und Nationalität: „die Nation erhält vom Allgemein-Menschlichen her ihre Rechtfertigung und Würde“ (S. 6). Ich hob Goethes „Abscheu gegen die Dämonie der Masse und der Macht“ hervor (S. 9) und zugleich sein Bekenntnis zum „Recht, das als heilige und unantastbare Norm über den Interessen der Herrschenden“ steht (S. 12). Ich wies nach, wie Goethe mit erschütternder Klarheit des politischen Blicks „die innere Verknüpfung, in der der absolute | Despotismus, die Oligarchie, das Parteienwesen und die Diktatur der Masse mit einander verbunden sind“, erkannte (S. 15). Ich wies auf den Kerngedanken des Goethe’schen Staatsromans, des „Wilhelm Meister“161[,] hin: „Die alten Bande der Welt sind zerstört, eine neue Gemeinschaft muß durch Auslese, Bildung und Zucht Form gewinnen“ (S. 17). „Nicht das Schweifen ins Grenzenlose, sondern die Läuterung zur Ehrfurcht und zum sachbezogenen Dienst ist der innere Kern der Bildungsidee, die daher schließlich auch die Reife zur Tat bewirkt“ (S. 25). Und so schloß die Rede mit dem erneuten Bekenntnis zu einem kommenden Staat: „Der Staat, den (Goethe) verkündete, blieb als ein hohes Bild über die Wirrnis der Zeit hinweg aufgerichtet. Solange deutsche Menschen um ihr Menschentum und seine Erfüllung in der Gestalt des wahren Staates ringen, setzt das Geheiß des Dichters ihnen Maß, Ziel und Richte ihres Denkens und Tuns“ (S. 26). Man wird mir nicht verdenken, daß ich stolz darauf bin, dieses Bekenntnis zum Menschentum, zur Menschenwürde, zur Ehrfurcht und zum Recht als den unantastbaren Grundlagen der Staatlichkeit öffentlich vor vielen Hunderten von Hörern in einer Zeit abgelegt zu haben, in der das Regime Hitlers noch fest gegründet schien und seine despotische Macht im Innern stärker als je zuvor entwickelt war. Es wäre töricht, wenn ich leugnen wollte, daß ich in den zwölf Jahren von 1933–45 Vieles zugunsten des Systems gesagt habe, auf dessen Fähigkeit zur Selbstbesinnung, zur Läuterung und zur rechtlichen Konsolidierung ich länger hoffte, als heute begreiflich scheinen mag. Aber ich nehme für mich in Anspruch, zugleich mehr als andere gegen das System gesagt zu 160 161

Huber, Goethe. Goethes Bildungsroman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ erschien 1795/96.

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haben, von dem ich sah, daß verderbliche Kräfte in ihm am Werke waren. Ich habe öffentlich und unverhohlen gegen diese Tendenzen gesprochen; der Ruf gegen den „Despotismus“ kehrt in allen meinen Reden aus dieser Zeit wieder. Es war leichter und ungefährlicher, zwölf Jahre zu schweigen, als zu der vielgestaltigen Erscheinung des Nationalsozialismus öffentlich Stellung zu nehmen, wie ich es getan habe. Wenn es die Schuld der Deutschen ist, den Despotismus schweigend ertragen zu haben, so habe ich an dieser Schuld geringeren Anteil als andere, die zwar im Geheimen kritisierten, ein öffentliches Wort jedoch peinlich vermieden. Ich habe während des Krieges offen und öffentlich gegen Despotismus, Terror, Vergewaltigung und Rechtsbruch und für Freiheit, Sittlichkeit, Humanität und Gerechtigkeit gesprochen, und zwar in eben dem Maße, in dem meine Verantwortung als Hochschullehrer mir dies zu fordern und zuzulassen schien. 8. Stellung zur Widerstandsbewegung Es ist selbstverständlich, daß meine innere Abkehr vom Regime mir frühzeitig den Gedanken an einen gewaltsamen Umsturz nahelegte. Im Januar 1940 bereits erfuhr ich von Herrn Benno Ziegler, Hamburg, der seinerseits mit dem Führer der illegalen Gewerkschaftsbewegung Max Habermann nahe verbunden war, von dem Plan einer gegen Hitler gerichteten Erhebung, der damals schon von Generaloberst Beck162, Generaloberst v. Hammerstein-Equort163, Oberbürgermeister a.D. Goerdeler u. a. verfolgt wurde. Ich war somit seit Kriegsbeginn über die Arbeit der geheimen Widerstandsbewegung unterrichtet, wahrte das Geheimnis aber selbstverständlich auch gegenüber meinen engsten Freunden. Warum schloß ich mich der Widerstandsbewegung nicht aktiv an? Nicht weil ich den Terrorismus, das Unrecht, die Korruption, die Anmaßung und die Dummheit weniger verabscheut hätte, als meine Freunde, die in der Widerstandsbewegung tätig waren. Auch nicht, weil es mir an Mut gefehlt hätte, die Gefahr auf mich zu nehmen. Sondern weil ich mich nicht bereit finden konnte, an einer Aktion teilzunehmen, die Deutschland notwendig in den Bürgerkrieg und in den militärischen Zusammen- | bruch treiben mußte. Der Eid, den ich als Beamter und Soldat geleistet hatte, galt mir auch gegenüber einer Obrigkeit, von der ich mich innerlich mehr und mehr gelöst hatte, als bindend. Ich verwarf die Mittel des Terrorismus unbedingt, und ich war daher auch nicht bereit, zu ihnen zu greifen, um den Terrorismus 162

Ludwig Beck (1880–1944) war Generaloberst und einer der Anführer der Widerstandsgruppe des 20. Juli 1944. Klaus-Jürgen Müller, Generaloberst Ludwig Beck. Eine Biographie, Paderborn 2008. 163 Kurt von Hammerstein-Equord (1878–1943). Weiß, S. 176 f.

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zu bekämpfen. Ein Umsturz im Kriege erschien mir als Verrat, gleichviel welches seine Motive seien. Die schon 1942 von Churchill ausgesprochene Weigerung der Alliierten, mit irgend einer deutschen Regierung, auch einer durch den Sturz Hitlers neugebildeten, zu verhandeln, nahm, wie mir schien, der geplanten Unternehmung jede aussenpolitische Chance. Es ist, nach dem Zusammenbruch, leicht, eine solche Haltung dahin zu kritisieren, daß sie nur die Fortdauer eines sinnlos gewordenen militärischen Widerstandes verursacht hätte. Damals sah manches anders aus. In dem Zwiespalt der Pflichten, in den ich mich gestellt fühlte, sah ich kein Entrinnen. Doch schien es mir, wie ich bekenne, eher möglich, den inneren Despotismus als die Fremdherrschaft zu ertragen. Trotz dieser Zurückhaltung gegenüber dem Umsturzplan verdichteten sich meine Beziehungen zum Kreis der Widerstandsbewegung. Im November 1942, nach El Alamein164, doch vor Stalingrad165, hatte ich [in] Paris mit dem dortigen Militärbefehlshaber General v. Stülpnagel166, der später als Teilnehmer an dem Staatsstreich vom 20. Juli hingerichtet wurde, ein langes nächtliches Gespräch in kleinstem Kreis, in dem unsere Uebereinstimmung in der militärischen und politischen Kritik an Hitler hervortrat. Zeuge dafür ist Prof. Dr. Erich Weniger167, Göttingen, der das Gespräch vermittelte und an ihm teilnahm. Anfang Juni 1944 besuchten mich kurz nacheinander Prof. Dr. Adolf Reichwein und Prof. Dr. Albrecht Haushofer168, die beide als Teilnehmer an der Verschwörung des 20. Juli den Tod fanden. Mit beiden hatte ich ausführliche und vertrauliche Gespräche unter vier Augen, die sich auf den Fall einer innerstaatlichen Neuordnung bei einem Umsturz oder einem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes bezogen. Ueber die Gespräche ist Rechtsanwalt Hellmut Becker, mein 164 El Alamein ist eine ägyptische Kleinstadt am Mittelmeer, westlich des Nildeltas. 1942 fanden hier zwei bedeutende Schlachten zwischen deutsch-italienischen Truppen und den Alliierten statt. 165 Stalingrad, heute Wolgograd, ist eine russische Stadt an der unteren Wolga, rund 1.000 Kilometer südöstlich von Moskau. Im Februar 1943 endete hier eine der verlustreichsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs mit einer deutschen Niederlage. Über 700.000 Soldaten verloren in der über Monate dauernden Kesselschlacht ihr Leben. 166 Otto von Stülpnagel (1878–1948) war von 1940 bis 1942 „Militärbefehlshaber Frankreich“. 167 Erich Weniger (1894–1961) war als Professor für Pädagogik an verschiedenen Pädagogischen Hochschulen und seit 1949 an der Universität Göttingen beschäftigt. 168 Albrecht Haushofer (1903–1945) war seit 1933 an der Deutschen Hochschule für Politik tätig. 1940 wurde er als Professor für Geographie an die Auslandswissenschaftliche Fakultät der Universität Berlin berufen. Er gehörte zur Widerstandsgruppe des 20. Juli 1944 und wurde nach seiner Verhaftung von der SS ermordet. Ursula Laack-Michel, Albrecht Haushofer und der Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur Zeitgeschichte, Stuttgart 1974 (= Kieler historische Studien, 15).

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damaliger Assistent, unterrichtet. Wenn ich auch selbstverständlich in den Plan des Umsturzes im Einzelnen nicht eingeweiht wurde, so war doch deutlich, daß man in der Widerstandsbewegung mit meiner Mitarbeit für den Fall eines Gelingens rechnete. Es war den Eingeweihten bekannt, daß ich im Winter 1932/33 eben an jener Verbindung von Gewerkschaften und Wehrmacht gearbeitet hatte, die sich jetzt zu dem entscheidenden Schlag gegen Hitler rüstete. 2. Lebensbericht, 1961/62169 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 712 Maschinenschriftlich

Ich bin 1903 geboren in Oberstein an der Nahe im damaligen Fürstentum Birkenfeld. Vielleicht stammt mein staatsrechtlich-historisches Interesse daher, daß das Fürstentum Birkenfeld eine staatsrechtlich-historische Kuriosität war. 1815 auf dem Wiener Kongreß170 erhielt der Herzog von Oldenburg171 die Zusage einer Entschädigung für die Leiden der napoleonischen Fremdherrschaft172. Er hoffte auf Landerwerb im räumlichen Anschluß an sein Territorium. Aber die Nachbarn – Preußen und Hannover – waren nicht bereit, das erforderliche Gebiet bereitzustellen. So erhielt der Oldenburger auf dem linken Rheinufer am Südrand des Hunsrück ein kleines Territorium, das für diesen Zweck erst zusammengestückelt werden mußte aus ehemals kurtrierischen, pfalz-zweibrückischen und sponheimischen Gebietsteilen173. Auf diese Weise kam meine Heimat zu Oldenburg. Wir feierten den Großherzog als unseren Landesherrn, sangen „Heil Dir o Oldenburg“, was sich immer etwas sonderbar ausnahm, wenn der Vers „Gott schütz Dein edles Roß, er segne Deine Garben“ kam174, denn mit Roß und Garben war es bei uns nicht sehr weit her; wir wurden regiert von oldenburgischen 169

Huber hielt diese Ansprache im Rotary-Club Wilhelmshaven. Auf dem Wiener Kongress wurden 1814/15 nach den Befreiungskriegen die europäischen Staaten neu geordnet. Auf dem Gebiet des 1806 untergegangenen Alten Reiches entstand der „Deutsche Bund“. 171 Peter I. von Oldenburg (1755–1829) regierte seit 1785, nahm den Herzogstitel aber erst 1823 an. 172 Oldenburg war seit 1810 von Frankreich besetzt gewesen. Beim Wiener Kongress erhielt der regierende Fürst den Titel Großherzog und das Fürstentum Birkenfeld an der Nahe kam zum Territorium dazu. 173 Das Kurfürstentum Trier, das Herzogtum Pfalz-Zweibrücken und die Grafschaft Sponheim waren infolge des französischen Drucks 1801 aufgelöst und an Frankreich angegliedert worden. 174 Der Text der inoffiziellen Landeshymne des Großherzogtums Oldenburg stammte von dem Schriftsteller Theodor von Kobbe aus dem Jahr 1844. 170

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Beamten, die bei uns in hohem Ansehen standen, wie, um nur einen herauszuheben, den Oberregierungsrat Oltmanns175, der von mir sehr verehrte Vater unseres Freundes, der mich, als ich Referendar war176, in Birkenfeld in die Anfänge der Verwaltungskunst eingeführt hat. Das Birkenfelder Ländchen war naturgemäß auch im oldenburgischen Landtag vertreten177. So ist z. B. mein Großvater von der mütterlichen Seite178 Landtagsabgeordneter in Oldenburg gewesen, und die Familien-Fama | berichtet, er habe bei Empfängen am Hof durch den Solo-Vortrag rheinischer Lieder eine bis dahin unbekannte Note in die Oldenburger Gesellschaft gebracht. Mein Großvater war, wie auch sonst alle in unserer Familie, gut nationalliberal – bis auf einen Onkel, der als schwarzes Schaf galt, weil er sich zu den Freisinnigen verirrt hatte179. Man war in meiner Heimat zu allen Zeiten politisch sehr engagiert. Es gab, da die Stadt Oberstein eine starke Industriebevölkerung180 hatte, bei uns schon vor 1914 eine lebhafte sozialdemokratische Bewegung181. Rüstringen182, Delmenhorst183 und Oberstein waren damals die drei industriellen und infolgedessen sozialdemokratischen Zentren, die es in Oldenburg gab. Und als sozialdemokratischer Kandidat für den Reichstag und für den Landtag trat bei uns damals stets der Rüstringer Paul Hug184 hervor – ich sehe noch die Wahlplakate aus der Zeit vor 1914 vor mir, auf denen sein Name prangte. Wer hätte damals gedacht, daß ich einmal in der Stadt Paul Hugs eine Heimstatt finden würde. 175 Wilhelm Oltmanns (1874–1964) war von 1908 bis 1920 und nochmals zwischen 1928 und 1933 Bürgermeister in Varel (Friesland) und 1946/47 Oberstadtdirektor, später Ratsherr für die FDP in Oldenburg. 176 Huber absolvierte sein Referendariat beim Regierungspräsidenten in Birkenfeld zwischen Januar und August 1927. Jürgens, S. 9, Anm. 34. 177 Im Oldenburgischen Landtag waren nach dem Revidierten Staatsgrundgesetz von 1852 die drei Landesteile, das Herzogtum selbst, das Fürstentum Birkenfeld sowie das Fürstentum Lübeck (Hauptort Eutin) vertreten. 178 Ernst Wild (1841–1908). 179 Vermutlich ist Ernst Wild (1877–1958) gemeint, ein Bruder seiner Mutter. 180 In Oberstein waren Metallverarbeitung, Goldschmieden sowie insbesondere Uhrkettenfabriken ansässig. 181 Die Sozialdemokratie hatte bei den Reichstagswahlen 1912 einen Stimmenanteil von 33,1% erzielt, blieb aber bei dem direkten Wahlrecht in Oldenburg ohne Reichstagsmandat. In der Stichwahl setzte sich der Kandidat der Fortschrittlichen Volkspartei durch. Albrecht Eckhardt, Der konstitutionelle Staat (1848–1918), in: ders./Heinrich Schmidt (Hg.), Geschichte des Landes Oldenburg. Ein Handbuch, Oldenburg 1987, S. 333–402, hier S. 387 f., 396. 182 Die Stadt Rüstringen wurde 1937 mit Wilhelmshaven zusammengeschlossen. 183 Delmenhorst grenzt westlich an Bremen an und liegt etwa 35 Kilometer südöstlich von Oldenburg. 184 Der Sozialdemokrat Paul Hug (1857–1934) saß seit 1899 für Oldenburg im Landtag und war 1926–1929 SPD-Oberbürgermeister in Rüstringen.

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Meine väterliche Familie stammt, wie der Name sagt, nicht aus dem Hunsrück. Wir sind vor ein paar hundert Jahren aus dem Badischen zugewandert. Es gibt in dieser väterlichen Linie Lehrer, Pfarrer, Juristen; aber mein Großvater185 und Vater186 waren Kaufleute – und zwar in der Branche der unechten Schmuckwaren, durch die Oberstein ein Industrieort geworden ist. Die mütterliche Linie dagegen ist alteingesessen in der Nachbarstadt Idar, der Edelsteinstadt, die früher über großen Reichtum verfügte. Idar war vor 1914 nach Potsdam die Stadt mit den meisten Millionären, auf die Bevölkerung umgerechnet. Mein | Großvater Wild gehörte nicht zu den Millionären – aber er genoß als Schöffe (ehrenamtlicher Bürgermeister), Landwirt und Edelsteinhändler großes Ansehen in der Gemeinde und darüber hinaus. Landwirt und Edelsteinhändler – das war eine damals für Idar typische Berufsverbindung. Mein Großvater war auf seinen Äckern ebenso zu Hause wie in Paris, Brüssel oder Leipzig, wo der Edelsteinhandel ihn hinführte. Andere Idarer verbanden den Ackerbau mit der Diamantschleiferei, oder waren Landwirte und verkauften ihre Perlen an den russischen Hof187. Diese Berufsverbindung, die in Idar uralt war, hörte etwa um die Jahrhundertwende auf. Aber es ist der Bevölkerung auch heute noch etwas eingeprägt von diesem Doppelcharakter – der Verbindung ackerbürgerlicher Lebenshaltung mit einem weltläufigen Geschäftssinn, auch von Heimatgebundenheit und unruhigem Drang in die weite Welt. In meinen Vorfahren allerdings herrschte die Heimatgebundenheit vor; sie stammen durch viele Generationen hindurch fast ohne Ausnahme aus dem engsten Umkreis der Schwestergemeinden Idar und Oberstein und haben auch dort auf den Friedhöfen ihre Ruhe gefunden. Es war mir nicht leicht, mich aus dieser Verwurzelung zu lösen. Als ich 1921 das Abitur bestand188, wollte ich eigentlich Kaufmann, wie mein Vater, werden. Es bedurfte des energischen Eingreifens eines mir seit dieser Zeit befreundeten Lehrers, daß ich mich zum Studium entschloß. Ich begann mit dem Studium der Geschichte und der Literaturwissenschaft189, sattelte schon nach einem Semester um, um mich doch der kaufmännischen Ausbildung zuzuwenden, begann nach einem weiteren Jahr wieder mit dem Studium, jetzt 185

Ernst Huber (1837–1909). Rudolf Huber (1868–1943). 187 Seit dem 18. Jahrhundert gab es eine Verwandtschaft zwischen den oldenburgischen Herzögen und dem russischen Zarenhaus. Karl Peter Ulrich von SchleswigHolstein-Gottorf erlangte als Zar Peter III. Fjodorowitsch (1728–1762) 1762 für wenige Monate den russischen Thron. Harm Klueting, Peter III., in: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 226 f. 188 Huber legte an Ostern 1921 an der städtischen Oberrealschule in Oberstein sein Abitur ab. 189 Huber immatrikulierte sich zum Sommersemester 1921 in Tübingen. 186

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der | Nationalökonomie, und wechselte von dort zur Jurisprudenz über190. Kurz, ich wußte ein paar Jahre nicht, was ich eigentlich wollte und sollte, und die Rechtswissenschaft war für mich, wie für so viele, eigentlich ein Verlegenheitsstudium, zu dem ich mich nach einer Reihe fehlgeschlagener anderer Versuche entschloß. Dabei blieb mir in den ersten juristischen Semestern die Rechtswissenschaft immer noch ein Buch mit sieben Siegeln. Ich hörte in München Vorlesungen bei dem Kunsthistoriker Wölfflin191, bei dem Literarhistoriker Strich192, bei dem Historiker Oncken193, war[,] so oft mein bescheidener Wechsel es erlaubte[,] in den Münchener Theatern, Konzertsälen und, wie ich zugeben muß, den Kabaretts, nahm in den wilden Jahren 1922/23 an den politischen Vorgängen mit Leidenschaft Anteil – auch den Putsch vom November 1923194 habe ich aus nächster Nähe miterlebt. Nur die Jurisprudenz blieb mir völlig fremd, wenn ich auch, wie alle Münchener Juristen dieser Zeit, bei dem verehrungswürdigen Wilhelm Kisch195 im Kolleg saß. Doch muß ich rückschauend sagen, daß mich an ihm mehr die Eleganz seiner Diktion als der Inhalt fesselte. Zum Juristen bin ich erst geworden, als ich 1924 das Studium in Bonn aufnahm. Die Jurisprudenz hat, wie alle Wissenschaften, eine Doppelnatur: sie ist ein Handwerk und sie ist eine Kunst. Das Handwerkliche muß gelernt werden mit Fleiß und Beharrlichkeit; man braucht als Lehrmeister einen guten Rechtstechniker, der die Materie im Griff hat und sie zu vermitteln versteht, inbegriffen die zahlreichen kleinen Kniffe, mit denen allein man einer tech190 Zum Wintersemester 1922/23 wechselte er nicht nur die Fächer, sondern setzte sein Studium in München fort. 191 Der Schweizer Heinrich Wölfflin (1864–1945) gehörte zu den bedeutendsten Kunsthistorikern seiner Zeit. Er lehrte von 1912 bis 1924 Kunstgeschichte in München und ging dann nach Zürich. Meinhold Lurz, Heinrich Wölfflin. Biographie einer Kunsttheorie, Worms 1981. 192 Fritz Strich (1882–1963) lehrte von 1915 bis 1929 als außerordentlicher Professor Literaturgeschichte in München und danach bis 1953 auf einer ordentlichen Professur in Bern. Carmen Furger, Fritz Strich, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Online unter: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11692.php (31.5.2014). 193 Hermann Oncken (1869–1945) war ein bedeutender Historiker, der seit 1923 in München eine Professur innehatte, bevor er 1928 nach Berlin wechselte. Nach einem Angriff des NS-Historikers Walter Frank (1905–1945) im „Völkischen Beobachter“ wurde er 1935 zwangsemeritiert. Christoph Studt, Oncken, Karl Hermann Gerhard, in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 538 f. 194 Gemeint war der versuchte Putsch von Adolf Hitler mit dem Marsch auf die Feldherrnhalle am 9.11.1923. 195 Wilhelm Kisch (1874–1952) wurde 1902 zum Professor für bürgerliches und Prozessrecht in Straßburg ernannt und ging 1916 nach München. Susanne Adlberger, Wilhelm Kisch – Leben und Wirken (1874–1952). Von der Kaiser-WilhelmsUniversität Straßburg bis zur Nationalsozialistischen Akademie für deutsches Recht, Frankfurt a. M. 2007 (= Rechtshistorische Reihe, 354).

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nischen Aufgabe Herr werden kann. Ich bin der bei meinen Kollegen streng verpönten Ansicht, daß man dieses | Handwerkliche der Jurisprudenz am Besten bei einem guten Repetitor erlernt. Ich jedenfalls habe es dort gelernt, und ich schulde dafür dem tüchtigen Bonner Repetitor Mömesheim196 immerwährenden Dank. Die Jurisprudenz als Kunst aber ist mir in Bonn aufgegangen bei Carl Schmitt, der damals, als ich ihm in Bonn begegnete, erst in den Anfängen seines Ruhmes stand. Er war damals ein junger Mann, etwa Mitte Dreißig, ein katholischer Rheinländer197 von brillantem Geist, universaler Bildung, faszinierender Argumentationskraft, vollendetem Sprachstil. Vergegenwärtigen Sie sich einen Augenblick, was es für mich als einen jungen, ziemlich unwissenden, auch unbeholfenen Studenten, der zudem mit seinem Studium noch ganz im Unklaren war, bedeutete, Zugang in den engeren Kreis eines Gelehrten von solchem Rang zu finden. Man fragt sich angesichts des heutigen Betriebs an unseren überfüllten Universitäten besorgt, ob solche Begegnungen noch möglich sind. Gewiß, wenn man es heute ein paar Schritte weiter gebracht hat, nach der Promotion, als Assistent, als Habilitand, kann man Aufnahme in einen solchen Schülerkreis bei einem großen Lehrer finden. Aber wir, die wir uns damals um Schmitt sammelten, im Seminar, und nachher im Weinhaus Streng, bald auch als Gäste in seiner Wohnung, haben zum großen Teil schon in den mittleren Semestern die entscheidenden Anregungen von ihm empfangen. Was in solchen Begegnungen nicht weniger wichtig ist, ist naturgemäß die enge Beziehung, die unter den Schülern selbst entsteht. Aus dieser Zeit stammt meine Freundschaft zu den anderen Schmitt-Schülern, dem Heidelberger Staatsrechtler Ernst Forsthoff, dem Göttinger Staatsrechtler Werner Weber, dem | Karlsruher Bundesverfassungsrichter Ernst Friesenhahn, um nur die bekanntesten zu nennen. Für mich hatte diese Begegnung mit Carl Schmitt eine besondere Bedeutung auch dadurch, daß sie mich zum ersten Mal bewußt [mit] dem Katholizismus konfrontierte. Ich stamme aus einer ganz protestantischen Familie; ich wußte vom Katholizismus bis dahin eigentlich nur, daß er etwas uns Fremdes, Unzugängliches, Bedenkliches sei. In und durch Schmitt lernte ich den Katholizismus kennen und, soweit das einem Nicht-Katholiken möglich ist, begreifen. Ich erhielt durch Schmitt zugleich Zugang zum römisch-mediterranen Wesen und zur römischen Form198. Ich war bis dahin 196

Eine nähere Identifizierung war nicht möglich. Schmitt war Westfale, da Plettenberg dort und nicht im Rheinland lag. Er sprach von sich selbst allerdings teilweise als Rheinländer. 198 Carl Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, München 1923. Siehe dazu: Manfred Dahlheimer, Carl Schmitt und der deutsche Katholizismus 1888–1936, Paderborn u. a. 1998 (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, 83). 197

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in meinem geistigen Habitus sehr romantisch-deutsch, jugendbewegt199, emotional und sentimental. Jetzt ging mir die Klarheit, die Helle, die Präzision des romanisch-mittelmeerischen Denkens auf; ohne diese Klärung, Härtung und Formung des Denkens wäre ich nicht geworden, was ich bin. Anfang 1926 machte ich das Referendar-Examen; noch im gleichen Jahr promovierte ich bei Schmitt mit einer staatskirchenrechtlichen Arbeit, die bald darauf im Druck erschien200. Während meiner Referendarzeit setzte ich meine begonnenen wissenschaftlichen Bemühungen fort; es erschien eine zweite staatskirchenrechtliche Arbeit von mir über Konkordate201, die sich heute noch eines gewissen Ansehens erfreut. Den Assessor legte ich mehr nebenher in Oldenburg ab, wohin ich zu diesem Zweck 1930 für ein paar Monate übersiedelte; sonst war ich meist an preußischen Gerichten tätig – in Koblenz, in Bonn, in Köln202. 1931 wurde ich Privatdozent in Bonn. Ich habilitierte mich mit einer Arbeit über „Wirtschaftsverwaltungsrecht“ und ging damit von meinen staatskirchenrechtlichen Anfängen zu | einem ganz anderen Themenkreis über. Schmitt war inzwischen nach Berlin gegangen, und ich war seit 1928 Hilfsassistent bei dem Bonner Handelsund Wirtschaftsrechtler Göppert, der mir eine neue Welt, nämlich das Preußische, erschloß. Preußen und das Preußentum waren mir bis dahin ganz fremd. Ich hatte in Süddeutschland studiert und sonst immer links des Rheins gelebt. Göppert aber war ein echter Preuße, in seiner Erscheinung, in seiner Lebensführung, auch in seinem Sarkasmus. Er kam aus den Berliner hohen Behörden; er war zunächst im Reichsjustizamt, dann im preußischen Handelsministerium tätig; während des Ersten Weltkriegs war er Unterstaatssekretär im Reichswirtschaftsamt – dem späteren Reichswirtschaftsministerium – geworden. Seitdem war er Wirklicher Geheimer Rat mit dem Prädikat Exzellenz. Es dauerte lange, bis ich die Anrede Exzellenz im täglichen Umgang ohne Stocken über die Lippen brachte. Es kostete mich Mühe, war mir aber höchst nützlich, mich an preußische Korrektheit im Auftreten und im Arbeiten zu gewöhnen. Es wurde mir in Göppert bewußt, was der alte preußische Beamtenstaat bedeutet hatte. Zugleich aber lernte ich durch Göppert, was Wirtschaft, was Unternehmertum, was moderner Industriestaat bedeutet. Ich arbeite heute noch viel in diesem Wissenschaftsbereich der Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung203. Ohne die199

Huber war von 1919 bis 1922 Mitglied des Nerother Wandervogels. Huber, Garantie. 201 Ders., Verträge. 202 Huber war am Landgericht Koblenz, am Landgericht Bonn und schließlich am Oberlandesgericht Köln tätig. 203 Huber fertigte nach 1945 zahlreiche Gutachten für Unternehmen an, er überarbeitete sein „Wirtschaftsverwaltungsrecht“, das 1953/54 in zweiter Auflage herauskam. Außerdem erschienen: Ernst Rudolf Huber, Wegekosten und Kraftverkehr. 200

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sen meinen zweiten akademischen Lehrer hätte ich diesen Zugang nicht gefunden. Bevor ich vom Fortgang meines akademischen Wirkens berichte, möchte ich ein staatspolitisches Intermezzo aus dem Jahr 1932 einschalten, das vielleicht von Interesse ist204. Meine Anteilnahme am politischen Geschehen war in all dieser Zeit so lebendig wie eh und je. Es waren die erregenden Jahre der | Wirtschaftskrise, der Verfassungskrise, der Staatskrise. Wie viele aus meiner Generation stand ich der Weimarer Verfassung und den politischen Parteien – und zwar allen – ablehnend gegenüber. Mit einigen Freunden gehörte ich in Bonn einem kleinen jungkonservativen Klub an; der Name sagt wenig über das, was uns bewegte. Wir hatten einige Hoffnungen auf Brüning, dann auf Papen gesetzt – waren aber voller Skepsis. Hitler und dem Nationalsozialismus standen wir kritisch gegenüber, ohne uns doch ganz der Faszinationskraft dieser Massenbewegung entziehen zu können. Im Sommer 1932 trafen wir uns mit gleichgesinnten Freunden aus dem ganzen Reich zu einer Tagung auf einer thüringischen Burg205; die Ablehnung gegenüber Hitler hatte sich bei uns damals verschärft. Während der Ferien – im September 1932 – erhielt ich in Bonn ein Telegramm von Schmitt206, der im Westfälischen seinen Urlaub verbrachte, mit der Aufforderung[,] sofort nach Berlin zu reisen und mir unterwegs von ihm noch nähere Informationen zu holen. Wir trafen uns in Plettenberg; er drückte mir den Schlüssel seiner leerstehenden Berliner Wohnung in die Hand und ließ mich allein nach Berlin weiterfahren, um noch in derselben Nacht einigen Offizieren aus der Bendlerstraße207 zu einer verfassungsrechtlichen Beratung zur Verfügung zu stehen. Bedenken Sie bitte meine Lage: Berlin war mir als Stadt und als Milieu gänzlich unvertraut. Offiziere hatte ich, da meist im entmilitarisierten Rheinland208 lebend, im Grund seit 1918 nicht Rechtsgutachten, Gießen [1956]; ders., Selbstverwaltung der Wirtschaft, Stuttgart 1958; ders., Das Empfehlungsverbot. Eine kartellrechtliche Studie, Stuttgart 1959; ders., Die Einheit des Ruhrkohlenverkaufs und der Montanvertrag, Düsseldorf 1960 (= Schriftenreihe Wirtschaft und Wettbewerb, 7). 204 Hierüber sprach Huber 1988 ausführlich: Huber, Reichskrise. Vgl. dazu Berthold, Schmitt, S. 32–35. 205 In Lobeda bei Jena trafen sich jungkonservative und christlich-soziale Gruppen. 206 Ein solches Dokument ist in der hier edierten Korrespondenz nicht überliefert. Es könnte sich um das in dem Schreiben Hubers an Schmitt vom 23.8.1932 (Brief, Nr. 45, Anm. 299) erwähnte Telegramm handeln, das Schmitts Assistent Horst Michael in dessen Auftrag an Huber gesendet hatte. 207 In der Berliner Bendlerstraße befand sich das Reichswehrministerium. 208 Nach der Kriegsniederlage 1918 und dem Versailler Friedensvertrag 1919 wurden die linksrheinischen Gebiete Deutschlands sowie vier Brückenköpfe von den Siegermächten Großbritannien, Frankreich und Belgien (anfangs auch von den

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mehr gesehen. Ich traf die mir durchaus unbekannten Herren verabredetermaßen spät in der Nacht am Bahnhof Zoo unter der Normaluhr – es waren Generalstäbler, mit roten Streifen an den Hosen, was mir mächtig imponierte. An | der Spitze der Gruppe stand Oberstleutnant Ott, ein enger Mitarbeiter von Schleicher; er ist später als deutscher Botschafter in Tokio eine bekannte Figur geworden. Ich fuhr mit den Herren in die Schmittsche Wohnung, die mir gleichfalls unbekannt war; mit einiger Mühe fand ich den Weinkeller, dessen Schlüssel Schmitt mir ausgehändigt hatte, damit ich seine nächtlichen Gäste bewirten könne. Dann begann die denkwürdigste staatsrechtliche Beratung, an der ich teilgenommen habe. Papen und Schleicher hatten damals den Plan, die NSDAP mit Hilfe des Art. 48 zu verbieten, alle Führer der Partei festzunehmen und dem ganzen Spuk mit Gewalt ein Ende zu machen. In der Nacht arbeiteten wir die erforderlichen Verordnungen aus209, dazu einen Aufruf des Reichspräsidenten an das deutsche Volk, der die Maßnahme rechtfertigen sollte. Ich habe diese Entwürfe bis 1944 sorgfältig aufbewahrt; dann sind sie mir in Straßburg verloren gegangen210. Ich war noch einige Zeit in Berlin, immer in der Erwartung, daß der vorbereitete Schlag geführt werde211. Es kam zu ständigen Aufschüben; dann kam die Auflösung des Reichstags212 und die Neuwahl vom November213 dazwischen. Schließlich wurde der Plan aufgegeben, weil die Regierung im Verbotsfall ein Zusammengehen der Nationalsozialisten und Kommunisten fürchtete. Ein Planspiel im Reichswehrministerium hatte das Ergebnis gehabt, daß die Reichswehr einem solchen Doppelangriff von rechts und links nicht gewachsen sei. Mit dem Botschafter Ott habe ich vor einigen Jahren über dieses Planspiel noch einmal gesprochen. Er erzählte mir, daß der für das Spiel hauptsächlich verantwortliche Offizier der Hauptmann Vincent Müller214 war, schon damals der „rote Müller“ genannt; er ist, | USA) besetzt. Die Räumung der besetzten Zone erfolgte 1930; danach war dieses Gebiet entmilitarisiert, bis Adolf Hitler 1936 die Wehrmacht dort einmarschieren ließ. 209 Siehe oben Brief Nr. 47. 210 Bei der Flucht im November 1944 hatte Huber nur relativ wenige Papiere mit sich geführt. So sind nur einige Briefwechsel aus der Zeit vor 1944/45 im Nachlass enthalten. Dabei handelt es sich insbesondere um Korrespondenz mit der Familie sowie mit Carl Schmitt. 211 Huber hielt sich vom 27.8. bis 30.9.1932 in Berlin auf. 212 Die Auflösung des Reichstags erfolgte am 12.9.1932. 213 Die Reichstagswahlen fanden am 6.11.1932 statt. 214 Vincenz Müller (1894–1961) war Reichswehroffizier und 1932/33 Mitarbeiter des Reichskanzlers Kurt von Schleicher. 1932 wirkte er maßgeblich beim sogenannten Preußenschlag mit. 1944 geriet er in Gefangenschaft und wurde Mitglied des Nationalkomitees Freies Deutschland. Er war ein hoher Befehlshaber der Volkspolizei und der Nationalen Volksarmee in der DDR, wurde aber 1958 zwangsweise in

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wie Sie wissen, während des Zweiten Weltkriegs als General in russischer Gefangenschaft in das „Nationalkomitee“ eingetreten und war dann in der Ostzone der erste Befehlshaber der „Volksarmee“. Nachträglich läßt sich leicht sagen, es wäre viel Unglück verhütet worden, wenn die Reichswehr sich damals unter Schleicher zu der vorbereiteten Aktion entschlossen hätte, auf die Gefahr eines blutigen Bürgerkriegs hin. Im Januar 1933 hat Schleicher offenbar noch einmal die Absicht gehabt, den Schlag zu führen. Aber nun war der Reichspräsident nicht mehr bereit, ihm den Artikel 48 zur Verfügung zu stellen. So nahm das Verhängnis ungehindert seinen Lauf215. Ich selbst habe, nach diesem Fehlschlag, zu den Vielen gehört, die ihre letzte Hoffnung nun doch auf Hitler und seine Bewegung setzten. Ich war wie Viele der Meinung, daß es nur noch die Alternative Nationalsozialismus oder Kommunismus gebe, und es ist bisher nicht bewiesen, daß in der Situation von Anfang 1933 noch eine dritte Möglichkeit realiter bestand. Damit soll nichts beschönigt oder entschuldigt werden; es soll nur erklärt sein, wieso man sich nach dem Fehlschlag von 1932 zu dem Versuch entschließen konnte, aus dem Nationalsozialismus das Beste zu machen, um das Schlimmste zu verhüten. So kam es, daß ich nicht nur 1933 in die Partei eintrat, sondern daß ich versuchte, als Staatsrechtslehrer ein politisches System, dessen Unrechtselemente ich nicht verkannte, in ein rechtlich geordnetes Verfassungssystem zu verwandeln. Ich habe in einer Reihe von Veröffentlichungen in diesem Sinn gearbeitet, vor allem in einem Buch, das unter dem Titel „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reichs“216 eine gewisse Verbreitung fand. Es ist | kaum nötig zu sagen, daß mein Versuch nicht nur völlig mißlungen ist, sondern daß er nach der Natur der Dinge mißlingen mußte. Eine Sache, die von Unrecht durchseucht war, wie der Nationalsozialismus, ließ sich nicht in Recht verwandeln. Die Frage, ob es in der Lage von 1933 nicht doch notwendig war, auf die Gefahr des vollen Fehlschlags hin diesen Versuch zu wagen, will ich nicht selbst beantworten. Ich war damals jung, ich war aktiv, ich war zum Wagnis bereit – ich habe mich in diesen ersten Jahren aus guten Gründen für eine heillose Sache eingesetzt, und zwar mit dem, was ich einzusetzen hatte: mit meiner Wissenschaft, mit meinem wissenschaftlichen Ruf, mit meiner wissenschaftlichen Existenz. 1933 ging ich als ordentlicher Professor nach Kiel, 1937 nach Leipzig, 1941 nach Straßburg im Elsaß. Kurz bevor ich 1933 meinen ersten Ruf erhielt, habe ich geheiratet; meine Frau ist die Tochter des früheren Reichsgeden Ruhestand versetzt. Peter Joachim Lapp, General bei Hitler und Ulbricht. Vincenz Müller – Eine deutsche Karriere, Berlin 2003. 215 Über die Planungen berichtete Huber in seinem Beitrag Huber, Reichskrise. 216 Huber, Verfassungsrecht.

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richtspräsidenten Simons, der 1920/21 Reichsaußenminister und 1925 (zwischen Ebert und Hindenburg) Stellvertretender Reichspräsident gewesen war. Getraut hat uns Pfarrer Niemöller in der Dahlemer Dorfkirche217. Unsere fünf Söhne sind in Kiel, in Leipzig, der jüngste in Straßburg geboren218. An den drei Universitäten, an denen ich Ordinarius war, fand ich hervorragende Gelehrte der verschiedensten Fakultäten, mit denen ich in Freundschaft verbunden bin. In Kiel waren wir eine sehr junge Fakultät, die an der Spitze der damaligen Bemühungen um „Rechtserneuerung“ stand219. Ich war in Kiel auch mehrere Jahre Lehrer an der Marine-Akademie220 und gewann dabei freundschaftliche Beziehungen zum Marineoffizierskorps. Als ich 1937 erkannte, daß die Kieler Versuche zur | „Rechtserneuerung“ in die Irre führten, nahm ich einen Ruf nach Leipzig, an eine der angesehensten deutschen Rechtsfakultäten, an. Ich zog mich nun mehr und mehr aus der Arbeit am geltenden Staatsrecht zurück und begann mit staatstheoretischen und verfassungsgeschichtlichen Untersuchungen. Diesem Wirkungsfeld bin ich dann über alle Wechselfälle hinweg treu geblieben. Zu Beginn des Kriegs war ich ein paar Monate Soldat – als Ausbilder im Sudetenland221. Seit Januar 1940 aber war ich ganz für die Universität freigestellt. Als sich mir die Möglichkeit bot, am Neuaufbau der Universität Straßburg mitzuwirken, habe ich sofort zugegriffen, in der Überzeugung, daß die Wiedergewinnung dieses verlorenen deutschen Landes222 nur durch eine große kulturelle Leistung möglich sei. Wir haben damals – 1941 – in einem knappen halben Jahr aus dem Nichts eine funktionsfähige Universität aufgebaut – mit hervorragenden Gelehrten in allen Fakultäten, so mit dem Physiker K.[arl] F.[riedrich] v. Weizsäcker, dem Historiker Hermann Heimpel, dem Literarhistoriker Gerhard Fricke223, dem Kunsthistoriker Hubert Schrade, 217 Die evangelische St.-Annen-Kirche im Berliner Stadtteil Dahlem mit Pfarrer Martin Niemöller galt als eine der Zentralen der Bekennenden Kirche in Deutschland. 218 Konrad, Ulrich, Albrecht, Gerhard und Wolfgang Huber. 219 Zur sogenannten Kieler Schule siehe oben Brief, Nr. 75, Anm. 582. 220 Die 1866 gegründete Marine-Schule in Kiel, die seit 1872 Marine-Akademie hieß, wurde 1910 nach Flensburg verlegt. Vielleicht ist hier Hubers Tätigkeit als Studienleiter der Verwaltungsakademie der Nordmark in Kiel gemeint. 221 Huber leistete vom September bis Dezember 1939 Kriegsdienst. Universitätsarchiv Göttingen, Kuratorium, Personalakte Huber. 222 Das Elsass gehörte von 1871 bis 1918 als Reichsland zum Deutschen Reich, wurde aber im Friedensvertrag von Versailles 1919 Frankreich zugesprochen. 223 Der Germanist Gerhard Fricke (1901–1980) lehrte als Professor in Kiel und seit 1941 in Straßburg. 1957 erhielt er eine Professur an der Wirtschaftshochschule Mannheim, schließlich von 1960 bis 1966 in Köln. Gudrun Schnabel, Gerhard Fricke. Karriereverlauf eines Literaturwissenschaftlers nach 1945, in: Petra Boden/ Rainer Rosenberg (Hg.), Deutsche Literaturwissenschaft 1945–1965, Berlin 1997, S. 61–84.

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dem Völkerrechtler Scheuner, dem Strafrechtler Dahm, dem Handelsrechtler Raiser224, dem jetzigen Präsidenten des Deutschen Wissenschaftsrats225. Wenn man die Entschlußlosigkeit, die mangelnde Tatkraft, auch den Egoismus sieht, alle die hemmenden Umstände, die heute die allgemein als dringend gebotene Neugründung von Universitäten226 verhindern oder jedenfalls hoffnungslos verzögern, dann ist es kaum mehr begreiflich, wie es möglich war, mitten im Krieg in einem halben Jahr diese völlige Neugründung227 ins Leben zu rufen, einschließlich der erforderlichen Umbauten. Bei der Eröffnung der Reichsuniversität Straßburg am 23. November 1941 | hielt ich die Festvorlesung über ein geistesgeschichtliches Thema228. Auf den Tag drei Jahre später verließ ich nach der Wiedereinnahme der Stadt durch die Franzosen das linke Rheinufer. Mit knapper Not gelang mir damals die abenteuerliche Flucht aus der bereits besetzten Stadt über den Rhein, in einem lecken Kahn, den ich mit einigen Fluchtgenossen229 am Rheinufer vorfand. Die Brücken waren zu dieser Zeit schon in französischer Hand. Der Rest ist schnell erzählt. Ich las nach der Flucht aus Straßburg noch ein Semester vertretungsweise in Heidelberg230. Dann schlug ich mich im beginnenden Zusammenbruch zu meiner Familie durch, die seit dem September 1944 im Schwarzwald lebte231. Wir hatten in Straßburg das Meiste zurückgelassen. Ich war ohne Amt und ohne Einkommen. Ein paar Jahre lebten wir mit unseren Kindern im Schwarzwald (rd. 1 000 m hoch), bemüht, der Erde abzuringen. was man für des Leibes Notdurft brauchte. 1947 begann meine Frau, die Juristin ist, ihre Arbeit als Rechtsanwältin in Freiburg. Das half uns über die Währungsreform hinweg, da meine Frau in diesem entscheidenden Augenblick im Verdienst stand. Ich selbst teilte meine Zeit zwischen der Arbeit am Schreibtisch und der Arbeit auf dem Acker, im Wald und in der Küche. Da wir ohne Hilfe waren, habe ich da224

Ludwig Raiser (1904–1980). Raiser leitete den Wissenschaftsrat von 1961 bis 1965. 226 Anfang der 1960er Jahre sprach man von der sogenannten „Bildungskatastrophe“ (Georg Picht). Als Folge davon wurden im Jahrzehnt zwischen 1965 und 1975 zahlreiche Universitäten und Gesamthochschulen neu gegründet. 227 Abhängig von der jeweiligen Staatszugehörigkeit des Elsass hatte es in Straßburg von 1871 bis 1918 eine deutsche Kaiser-Wilhelms-Universität und von 1919 bis 1941 eine französische Universität gegeben. 228 Huber, Aufstieg. 229 Der Bericht über seine Flucht findet sich zitiert bei Heiber, Tl. 2,1, S. 252– 254. Fluchtgenossen Hubers waren Wilhelm Kirsch, Elisabeth Heimpel (1902–1972) und die Bibliothekarin des Rechtswissenschaftlichen Seminars Hella Niemeyer, eine Schwester von Tula Huber-Simons. 230 Es handelte sich um einen von Forsthoff vermittelten Lehrauftrag. 231 Im Ferienhaus der Familie Heimpel im Hochschwarzwalddorf Falkau. 225

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mals für unsere Söhne gekocht und die sonstige Hausarbeit verrichtet, so gut es ging. 1949 fanden wir mit viel Glück eine Wohnung in Freiburg232. Seitdem begann das Leben, sich zu normalisieren. Die Jahre dort oben im Schwarzwald waren manchmal hart; doch möchte ich sie nicht missen. Sie gaben mir Distanz von dem, was gewesen war; sie gaben mir Muße, mich mit | dem auseinanderzusetzen, was ich falsch gesehen und wo ich falsch gehandelt hatte; ich war auf den Nullpunkt zurückgeworfen und konnte überlegen, ob ich mir zutraute, wieder von vorn zu beginnen. Die Erfahrung, daß man auch aus dem Nichts wieder anfangen kann, war lehrreich und tröstlich. Es ist damals Vielen so gegangen, und ich erwähne es nur, weil wir in unserem Wirtschaftswunderland so schnell vergessen, wie gut es sich in vieler Hinsicht eine Zeitlang mit leichtem Gepäck marschiert. In Freiburg fand ich wieder mehr Zeit zur wissenschaftlichen Arbeit. Es war herrlich, von früh bis spät ohne jede Störung am Schreibtisch zu sitzen, an einer einzigen Sache, deren Wachstum man täglich vor sich sieht. Ich begann wieder zu publizieren und hatte damit Erfolg233. 1952 erhielt ich einen Lehrauftrag an der Freiburger Universität; 1956 wurde ich dort Honorarprofessor. Daß diese Jahre nicht ohne Anfeindungen und Enttäuschungen vergingen, brauche ich nicht weiter zu erwähnen234. 1957 übernahm ich dann wieder einen Lehrstuhl in meinem alten Fach, und zwar hier an der jüngsten und kleinsten deutschen Hochschule, in Wilhelmshaven235. Ich bin dem Ruf gern und mit vielen Hoffnungen gefolgt. Ich habe hier nur Gutes erfahren, gerade auch von der Stadt, mit deren Oberhaupt, unserem Freund Schumann236, mich von der ersten Begegnung ab – jedenfalls darf ich das von mir sagen – eine spontane Sympathie verband. Ich habe hier wissenschaftlich viel arbeiten können – zwei Bände meiner „Deutschen Verfassungsgeschichte“ sind während meiner Wilhelmshavener Zeit erschienen237. Ich möchte nicht unterlassen, dankbar zu erwähnen, daß mich bei dem zweiten dieser Bände die Kuhlmann-Stiftung238 durch zeitweilige | Bezah232 In der Schwimmbadstraße, südlich des Hauptbahnhofs. Später zogen Hubers in den nördlichen Stadtteil Zähringen um (In der Röte). 233 Gemeint ist hier vor allem die zweite Auflage des „Wirtschaftsverwaltungsrechts“. 234 Huber hoffte über Jahre vergeblich auf eine Berufung als Professor. 235 Zu den Einzelheiten dieser Berufung an die Hochschule für Sozialwissenschaften: Grothe, Angelegenheit. 236 Walther Schumann (1903–1986) amtierte für die CDU von 1956 bis 1968 als Oberstadtdirektor, d.h. Verwaltungschef, der Stadt Wilhelmshaven. 237 Die ersten beiden Bände, in denen die Zeit von 1789 bis 1850 behandelt wird, erschienen 1957 und 1960. 238 Die 1957 von einem Maschinenbauunternehmen gegründete Franz-Kuhlmann-Stiftung unterstützt Wilhelmshavener Bildungseinrichtungen im Hochschulbereich.

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lung einer wissenschaftlichen Hilfskraft239 unterstützt hat. Wilhelmshaven und die hier gewonnenen freundschaftlichen Beziehungen, vor allem auch die innerhalb unseres Klubs, werden mir stets eine wesentliche Etappe auf dem sich neigenden Lebensweg sein. 3. Rede zum 80. Geburtstag, 1983 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 712 Maschinenschriftlich

Spektabilis240, verehrte Damen, liebe Kollegen! Von Herzen sage ich Ihnen, auch im Namen meiner Frau, Dank für die Freude, die Sie uns durch dieses festliche Zusammensein241 bereitet habe[n]. Ihnen allen danke im Besonderen ich für Ihre guten Wünsche und zugleich für die Anerkennung, die Sie mir haben zuteil werden lassen. Es sind nun über 20 Jahre her, daß ich Aufnahme in den Kreis der Göttinger Juristenfakultät gefunden habe242; vor 15 Jahren bin ich mit meiner Emeritierung aus dem aktiven Lehrkörper ausgeschieden und habe ich Göttingen verlassen. Es war, auf ein langes Leben gerechnet, eine verhältnismäßig kurze Zeit, die ich hier verbracht habe. Aber das Bewußtsein der Zugehörigkeit zu diesem uns gemeinsamen Kreis ist deshalb nicht verblaßt. In Göttingen war ich länger tätig als an einer der sechs Universitäten243, an denen ich vorher als Dozent, als Ordinarius oder Lehrbeauftragter gewirkt hatte. Nur an meiner vorletzten Station, der Hochschule für Sozialwissenschaften in Wilhelmshaven-Rüstersiel habe ich etwas länger als in Göttingen gelehrt. Gewiß war auf meinem wechselvollen Lebensweg die Rückkehr in ein akademisches Amt an der kleinen und umstrittenen Rüstersieler Hochschule244 das einschneidendere Ereignis. Auch lag die dort gestellte Aufgabe mir damals besonders nahe [und] | gemäß zu sein. „Sozialwissenschaften“ das schien mir damals im Grund nichts anderes als „Gesamte Staatswissen239 Huber dankte im Vorwort vom Ende Juli 1960 den Mitarbeitern Dr. Lothar Schmidt, Referendar Günter Dux sowie Diplomsozialwirt Ingrid Dunger. 240 Lat.: „ehrwürdig“. Anrede für den Dekan von Seiten der Kollegen aus der Professorenschaft. 241 Huber wurde am 8.6.1983 achtzig Jahre alt. Ob die Feier genau an diesem Mittwoch stattfand und ob Huber daher an diesem Tag redete, ließ sich nicht klären. 242 1962 wurde die Hochschule für Sozialwissenschaften in Wilhelmshaven in die Georg-August-Universität Göttingen integriert. 243 Gemeint sind Bonn, Kiel, Leipzig, Straßburg, Freiburg und Wilhelmshaven. 244 Umstritten war die frühere Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft wegen ihrer geringen Größe, aber auch zunächst wegen ihrer angeblichen Gewerkschaftsnähe.

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schaften“ zu bedeuten245; in diesem Sinn habe ich mich damals für die Erhaltung und den Ausbau von Rüstersiel eingesetzt; vermutlich gehörte auch das zu den Selbsttäuschungen meines Lebens, für die ich Verantwortung zu tragen habe. Jedenfalls möchte ich der Redlichkeit halber und zugleich als hochschulgeschichtliche Reminiszenz einflechten, daß [sich] mein Eintritt in unsere Fakultät vor rund zwanzig Jahren nicht ohne Probleme vollzog. Ich habe die Aufnahme in die Fakultät nicht, wie es sich eigentlich gehört, einer Berufung, sondern der Inkorporation der Rüstersieler Hochschule in die Georgia Augusta zu danken. Die älteren Kollegen werden sich erinnern, daß dieser Fusion ein langer heftiger Kampf der Göttinger Juristen gegen den Bestand, erst recht gegen den Ausbau der Rüstersieler Hochschule vorausgegangen war246. Vor allem meinen alten Freunden Weber und Köttgen247 galt Rüstersiel als ein rechtes Ärgernis. Nur durch einen gewissen Druck konnte der damalige Minister Voigt248, als der Ausbau von Rüstersiel an den Kosten gescheitert war, die Zustimmung der Göttinger zu der von ihm erstrebten Vereinigung unter der ministeriellen Garantie der Fortdauer des sozialwissenschaftlichen Studiums nach dem Rüstersieler | Modell erreichen. Es war insbesondere dem damaligen Göttinger Rektor Herrn Plessner249 und dem damaligen Dekan, Herrn Oberbürgermeister Rinck250, zu danken, daß es zu einer Verständigung kam. Ich erinnere mich gern und dankbar daran, daß die Fakultät im Ganzen, nachdem die Entscheidung gefallen war, mich freundschaftlich aufnahm. Nach einem redlichen Streit den 245 Huber strebte bereits in den 1930er Jahren eine integrative Staatswissenschaft an, welche die Fächer Recht, Wirtschaft, Politik und Geschichte miteinander verband. 246 Jens Graul, „Wilhelmshaven muß mehr werden als es war“. Der kulturelle Neuanfang 1945, Wilhelmshaven 2009, S. 166–174. 247 Arnold Köttgen (1902–1967) lehrte von 1931 bis 1939 Verwaltungsrecht in Greifswald, war nach 1945 drei Jahre von den Sowjets inhaftiert und setzte seine Lehrtätigkeit von 1952 bis zu seinem Tod in Göttingen fort. Michael Stolleis, Köttgen, Arnold, in: Neue Deutsche Biographie 12 (1979), S. 412 f. 248 Richard Voigt (1895–1970) amtierte zwischen 1948 und 1955 sowie von 1959 bis 1963 für die SPD als Kultusminister des Landes Niedersachsen. Horst-Rüdiger Jarck/Günter Scheel (Hg.), Braunschweigisches Biographisches Lexikon. 19. und 20. Jahrhundert, Hannover 1996, S. 632 f. 249 Helmuth Plessner (1892–1985) lehrte Philosophie in Köln, wurde 1933 zwangsweise entlassen und emigrierte zunächst in die Türkei und von dort 1934 in die Niederlande. Von 1952 bis 1962 hatte er einen Lehrstuhl für Soziologie in Göttingen inne. Carola Dietze, Nachgeholtes Leben. Helmuth Plessner 1892–1985, Göttingen 2006. 250 Gerd Rinck (1910–2007) lehrte von 1958 bis 1975 in Göttingen Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht. Von 1982 bis 1986 war er Oberbürgermeister der Stadt Göttingen.

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Weg zur redlichen und dauernden Versöhnung zu beschreiten – diese Fähigkeit und Bereitschaft gehörte zu den Vorzügen der alten und gehört sicher auch, sollte es je zu einem Konflikt kommen, zu den Vorzügen der gegenwärtigen Fakultät. Ich jedenfalls darf sagen, daß gerade dieses Vorspiel dazu beigetragen hat, mich der Fakultät von Anfang an zugehörig fühlen zu können und die Georgia Augusta auch nach der räumlichen Trennung als meine akademische Heimstatt zu empfinden. Mit Göttingen verbinden mich, über die alte und enge Freundschaft zu einigen älteren Kolle[ge]n251 hinaus, viele Erinnerungen und viele fortdauernde persönliche und sachliche Beziehungen. Zu danken hatte und habe ich der Fakultät vor allem für die Großzügigkeit, mit der sie vom Anfang bis zum Ende meiner Lehrtätigkeit mir freien Raum und vielfältige Unterstützung für die Pflege meines Sonderarbeitsgebiets – der Verfassungsgeschichte – gewährt hat. Als ich Rüster- | siel verließ, lagen zwei Bände der Verfassungsgeschichte vor; die beiden nächsten Bände sind in Göttingen entstanden252. Die Fakultät hat meine Hinwendung zu einem Fach, daß außerhalb des klassischen Kanons der Rechtswissenschaft liegt253, nicht nur hingenommen, sondern gefördert. Die freundliche Anerkennung dieser Bemühungen, die mir aus Ihrem Kreis zuteil geworden ist, war mir eine dankbar empfundene Hilfe bei dem langwierigen Ringen um den Abschluß dieses schließlich so monströs ausgearteten Vorhabens254. Vielleicht darf ich, da ich mich nun dem Ende dieser jahrzehntelangen Fron nähere[,] die rückschauende Frage einstreuen: Wie wir[d] man eigentlich Verfassungshistoriker[?] Die Frage ist nicht ganz so banal, wie sie wohl erscheinen könnte – jedenfalls nicht für die Angehörigen meiner Generation. Eine Vorlesung „Verfassungsgeschichte“ war während meiner Studien- und anschließenden Ausbildungszeit an den preußischen Universitäten unbekannt. Zum akademischen Kanon gehörte eine Vorlesung „Rechtsentwicklung in Preußen“255, eine ungern vorgetragene und ungern gehörte Darstellung der Geschichte der Landesgesetzgebung, darunter auch der eben als Gesetzgebungstexte verstandenen Verfassungen von 1848/50 und von 1919/ 20256. An den süddeutschen Universitäten hieß das Kolleg zwar „Verfas251

Gemeint war u. a. Rudolf Smend. Der dritte und der vierte Band erschienen 1963 und 1969. 253 Dazu: Ewald Grothe, Neue Wege der Verfassungsgeschichte in Deutschland. Probleme und Perspektiven aus der Sicht des Historikers, in: Helmut Neuhaus (Hg.), Verfassungsgeschichte in Europa. Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 27. bis 29. März 2006, Berlin 2010 (= Der Staat, Beiheft 18), S. 123–144. 254 Aus ursprünglich geplanten vier Bänden wurden am Ende sieben sowie ein Registerband. 255 Grothe, Zwischen Geschichte und Recht, S. 191 f. 252

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sungsgeschichte“. | Aber auch hier handelte es sich um eine vom Stil des juristischen Normativismus geprägte Darstellung der jeweiligen Landesverfassungsgesetze. Die Entwicklung des Reichsverfassungsrechts wurde in den Anfangsstunden der Vorlesung „Deutsches Staatsrecht“ im Stil der üblichen Einleitungshistorie kursorisch abgehandelt. Es bedurfte damals eines spezifischen Eigenantriebs, um als Jurist den großen Ideenkreisen und [der] konkreten Wirklichkeit des vergangenen Verfassungsgeschehens nachzugehen. Meine eigenen frühentwickelten historischen Interessen hatten ihre Grundlage natürlich nicht in derart hochgespannten Vorstellungen, sondern in bestimmten familien- und lokalgeschichtlichen Fakten. Erlauben Sie mir dazu einige episodische Nebenerinnerungen. Wie einige von Ihnen wissen, entstamme ich dem linksrheinisch gelegenen, aber dem Großherzogtum Oldenburg als Exklave zugehörigen Fürstentum Birkenfeld. Noch bevor ich zur Schule ging, hatte ich auf die Frage landesfremder Besucher „Wieso seid Ihr eigentlich Oldenburger?“ vom Hörensagen die Antwort gelernt: „Aber doch wegen dem Wiener Kongreß!“ In der Tat war in Wien dem Haus Oldenburg als Entschädigung für die Leiden der napoleonischen Zeit das eigens zu diesem Zweck ge- | schaffene Fürstentum Birkenfeld zugeteilt worden257[,] 540 qkm groß, d.h. genau 1/1000tel des Deutschen Reichs, eine Relation, wie eigens geschaffen, um lebenslang behalten zu werden. Natürlich legte die in meiner Jugend noch nicht ein Jahrhundert alte Verbindung mit Oldenburg es nahe, zu fragen, was wir Birkenfelder denn vor unserer oldenburgischen Zeit gewesen seien. Zu meiner Bestürzung mußte ich von dem Vater erfahren, daß wir vor 1815 rund zwanzig Jahre lang zum Departement de la Sarre258 und damit zu Frankreich gehört hatten; wir waren dem Erzfeind, dem Kaiser Napoleon, untertan gewesen. Mein Ururgroßvater war in der Franzosenzeit greffier259 am französischen Ortsgericht. Blüchers260 Rheinübergang bei Kaub261, der englisch-preußische 256 Die oktroyierte Verfassung vom 5.12.1848 und die revidierte Verfassung vom 31.1.1850 wurden 1918 in der Novemberrevolution außer Kraft gesetzt und am 30.11.1920 durch die demokratische Verfassung des Freistaats Preußen ersetzt. 257 Das linksrheinisch, an der Nahe gelegene Fürstentum Birkenfeld (zwischen Trier und Kaiserslautern) mit den Ortschaften Idar und Oberstein kam gemäß Art. 49 der Wiener Kongressakte sowie eines Vertrages zwischen Preußen und Oldenburg vom September 1816 zum Großherzogtum Oldenburg. Birkenfeld wurde 1937 durch Reichsgesetz zu Preußen geschlagen. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 582. 258 Das Saardepartement wurde 1798 eingerichtet und 1801 offiziell an Frankreich abgetreten. 1813 kam das Departement an Preußen, das auf dem Wiener Kongress den Großteil des Territoriums zuerkannt bekam. Das Departement reichte von der Eifel bis zum Saarland. 259 Franz.: „Justizbeamter“. 260 Gebhard Leberecht von Blücher (1742–1819) war ein preußischer Generalfeldmarschall, der Napoleon in der Schlacht bei Waterloo 1814 besiegte.

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Sieg bei Belle-Alliance262 und eben der Wiener Kongreß gewannen in meiner kindlichen Phantasie einen gleichsam per[s]onhaften Bezug. Ohne diese Fakten der großen Geschichte wären die Zugehörigkeit meiner Familie und meiner Heimat zu Frankreich keine Episode geblieben. Neben der Kaiserproklamation von Versailles263 und für mein kindliches Empfinden fast vorrangig vor ihr war der Wiener Kongreß das historische Grundereignis schlechthin. Auch in anderer Hinsicht führten diese lokalgeschichtlichen Bewandtnisse für [mich] | zu frühzeitiger Belehrung. Es mag vor 70 Jahren gewesen sein, als mir bei einem Spaziergang mit dem Vater zur nahen preußischen Grenzbrücke264 die so viel besseren Straßenverhältnisse auf der anderen, der preußischen Seite der Nahe auffielen. Auf die vorwitzige Frage: „Warum sind wir nicht auch preußisch; dann hätten wir auch eine so schöne Chaussee?“ erhielt ich die Antwort: „Aber dann hätten wir kein gleiches Wahlrecht!“ Die anschließende Unterrichtung über das preußische Dreiklassenwahlrecht265 und die in Oldenburg geltende Wahlrechtsgleichheit war die erste unvergeßliche Einführung in deutsches Staatsrecht, die ich empfing. So war ich denn auch etwas vorbereitet, um mir Gedanken über die Reichstagswahlen von 1912 zu machen, das erste große, die Wende der Zeit einleitende Ereignis266, an das ich eine lebhafte Erinnerung habe. Es lag nach solchen frühen Eindrücken und Interessen nahe, daß ich nach dem Schulabschluß 1921 mein Studium mit dem Hauptfach Geschichte begann. Aber obwohl ich – in Tübingen – in Johannes Haller267 und anderen 261 Kaub ist eine Kleinstadt am Mittelrhein. In der Rheinmitte liegt die Burg Pfalzgrafenstein. Der Übergang von Blüchers Truppen fand in der Neujahrsnacht statt. 262 Belle-Alliance ist der Name eines Gasthauses, in dem sich Blücher und der britische General Arthur Wellesley, Duke of Wellington (1769–1852) nach der Schlacht von Waterloo (15 Kilometer südlich von Brüssel) am 18.6.1815 begegneten. 263 Die Erhebung des preußischen Königs Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser und die gleichzeitige Gründung des Deutschen Reichs am 18.1.1871. 264 Die Grenze zur preußischen Rheinprovinz lag in der Nähe von Oberstein, bis dieses wie das ganze frühere Fürstentum Birkenfeld 1937 zu Preußen kam. 265 In Preußen 1849 eingeführtes und bis 1918 gültiges Zensusstimmrecht, bei dem die Wählerschaft in drei Steuerklassen mit gleichem Stimmgewicht eingeteilt wird. 266 Es handelte sich um die letzte Reichstagswahl im deutschen Kaiserreich, bei der zudem die SPD mit einem Anteil von fast 35% der Stimmen einen historisch hohen Wahlsieg errang und mit 110 Mandaten (27,7%) stärkste Fraktion im Reichstag wurde. Jürgen Bertram, Die Wahlen zum Deutschen Reichstag vom Jahre 1912. Parteien und Verbände in der Innenpolitik des Wilhelminischen Reiches, Düsseldorf 1964 (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, 28). 267 Johannes Haller (1865–1947) lehrte von 1904 bis 1913 in Gießen und bis zu seiner Emeritierung 1932 in Tübingen. Sein Hauptarbeitsgebiet war die mittelalterliche Kaiser- und Papstgeschichte. Heribert Müller, Eine gewisse angewiderte Bewunderung: Johannes Haller und der Nationalsozialismus, in: Wolfram Pyta/Ludwig

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hervorragende Lehrer fand, war ich in meinem jugendlichen Enthusiasmus durch den Lehrbetrieb so enttäuscht, daß ich das Studium abbrach. Man kann eine solche Kurzschlußhandlung, die mich [zum] Aussteiger machte, nach so langer Zeit | nicht zutreffend erklären. Entscheidend war vielleicht, daß das damals alles Fühlen und Denken beherrschende gegenwärtige Geschehen das Interesse an der vergangenen Geschichte zurückdrängte. Die sich jagenden Eindrücke der Kriegs- und Nachkriegsjahre – der Mord von Sarajewo268, der Kriegsausbruch und die Mobilmachung269, die vermeintlichen Siege, die bedrückenden militärischen und inneren Krise[n], der Umsturz in Rußland270 und der anschließende deutsch-russische Frieden271, die Westoffensive und ihr Scheitern272, die Novemberrevolution273 und der Kampf gegen den rheinischen Separatismus274, das Ringen um die neue Verfassung275, der Kapp-Putsch276, der Ruhraufstand277 und der Kampf um Oberschlesien278 beherrschten alles Interesse; die gegenwärtige Wirklichkeit Richter (Hg.), Gestaltungskraft des Politischen. Festschrift für Eberhard Kolb, Berlin 1998 (= Historische Forschungen, 63), S. 443–482. 268 Am 28.6.1914 wurden der österreichische Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand (1863–1914), und seine Frau von einem bosnisch-serbischen Nationalisten bei einem Attentat getötet. Dieser Mord löste mit der anschließenden Julikrise den Ersten Weltkrieg aus. 269 In den ersten Augusttagen 1914 erklärte das Deutsche Reich Frankreich und Russland den Krieg, woraufhin England seinerseits mit einer Kriegserklärung reagierte. 270 Nach der Februarrevolution 1917 musste Zar Nikolaus II. (1868–1918) im März 1917 abdanken. In der Oktoberrevolution von 1917 übernahmen die Bolschewiki die Macht. 271 Am 3.3.1918 schloss die Sowjetunion mit den Mittelmächten den Friedensvertrag von Brest-Litowsk. 272 Die Frühjahrsoffensive des deutschen Heeres begann im März 1918, scheiterte aber nach mehreren Wochen. 273 Im Zuge der Revolution, die am 9.11.1918 ausbrach, erklärte Kaiser Wilhelm II. seinen Thronverzicht. 274 Im französisch besetzten Rheinland gab es durch Frankreich unterstützte Bestrebungen zur Loslösung dieser Region vom Reich und Gründung einer eigenständigen rheinischen Republik. 275 Nach mehrmonatigen Verhandlungen in der Weimarer Nationalversammlung trat die Verfassung am 11.8.1919 in Kraft. 276 Im sogenannten Kapp-Putsch vom 13.3.1920 versuchten Kreise von Reichswehr und nationalistischen Gruppierungen unter Führung u. a. des Generallandschaftsdirektors Wolfgang Kapp (1858–1922) die Reichsregierung zu stürzen. Der Putschversuch scheiterte bereits nach fünf Tagen. 277 Als Folge des Kapp-Putsches bildeten sich im Ruhrgebiet linksgerichtete Gruppierungen zum Sturz der Reichsregierung. Nach dem Ende des Kapp-Putsches ließ die Reichsregierung den Aufstand von Reichwehreinheiten niederschlagen. 278 Nach dem Versailler Friedensvertrag sollte die deutsch-polnische Grenzziehung in Oberschlesien durch Volksabstimmungen geregelt werden. Am 20.3.1921

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war, als ich mit dem Studium begann, wichtiger als jede wissenschaftliche Bemühung. Vielleicht war dies der Grund dafür, daß ich bei der Fortsetzung meines Studiums – 1922 in München – zu den „Wirklichkeitswissenschaften“279, zunächst zur Nationalökonomie, dann zur Jurisprudenz überging. Jedenfalls suchte ich im Recht, ohne daß ich dies hätte artikulieren können, von Anfang an nicht das Normative, sondern die hinter dem Normensystem verborgene Realität. | So war mein stärkster Eindruck in München das Kolleg von Karl Rothenbücher280, der sein Deutsches Staatsrecht in jeder Stunde damit begann, daß er die ihm von den Hörern schriftlich aufs Katheder gelegten Fragen zum Zeitgeschehen aus dem Stegreif beantwortete: über die Hintergründe des Ruhreinfalls281, des Regimes Kahr282, des Konflikts Bayern-Reich283, des Hitlerputschs284 und anderer bewegender Zeitereignisse – jeweils mit ihren staatsrechtlichen Bezügen – haben Rothenbüchers temperamentgeladene Antworten eine Art von wirklichkeitsbezogenem Rechtsdenken vermittelt, das mit seinen Vorzügen und Gefahren für mich bestimmend geblieben sein mag. Als für [m]ich dann, nach der Überwindung der großen Reichskrise des Winters 1923/24, nach der Stabili[si]erung der Währung und der Normalisierung der Währung in Bonn[,] die Zeit ordentlichen Studierens begann, war das ursprünglich stärkste Erlebnis das Staatsrechtskolleg von Erich Kaufmann, das statt mit flüchtiger Einleitungshistorie mit einem hinentschieden sich knapp 60% der Bevölkerung für den Verbleib beim Deutschen Reich. Die Gebiete mit propolnischen Mehrheiten wurden Polen zugeschlagen. 279 Der von Max Weber geprägte Begriff wurde von Philosophen, Theologen und Soziologen auf die Kulturwissenschaften im weitesten Sinn angewandt und in den 1920er Jahren vor allem von Hans Freyer verwendet. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft. Logische Grundlegung des Systems der Soziologie, Leipzig 1930. 280 Karl Rothenbücher (1880–1932) lehrte seit 1912 auf einem Lehrstuhl für Öffentliches Recht in München. Martin Otto, Rothenbücher, Karl Josef Franz, in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 120 f. 281 Im Januar 1923 besetzten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet, um die dort geförderte Kohle als Pfand zur Erfüllung der deutschen Reparationsverpflichtungen zu sichern. 282 Gustav Ritter von Kahr (1862–1934) wirkte von März 1920 bis September 1921 als bayerischer Ministerpräsident. 1923 war er mitverantwortlich für die Niederschlagung des Hitler-Putsches, weswegen er im Zusammenhang mit den RöhmMorden erschossen wurde. Bernhard Zittel, Kahr, Gustav Ritter von, in: Neue Deutsche Biographie 11 (1977), S. 29 f. 283 Gemeint ist der Gegensatz zwischen den konservativen und teils separatistischen bayerischen Kabinetten und den Reichsregierungen der Weimarer Koalition aus Zentrum, Liberalen und Sozialdemokraten. 284 Am 8. und 9.11.1923 versuchten Adolf Hitler und Erich Ludendorff in München die Macht an sich zu reißen und anschließend die Reichsregierung zu stürzen.

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reißenden verfassungshistorischen Abschnitt über das Verfassungssystem des Bismarckschen Reichs begann. Er belebt[e] mein durch die Zeitereignisse überdecktes historisches Interesse neu; vor allem schärfte er den Blick für die fortwirkende Bedeut[ung des vergang]enen Rechts für die gegenwärtige P[olitik]. Durch Kaufmanns Kolleg [wurde ich] | aufmerksam auf Rudolf Smend, dessen berühmte Abhandlung über die „politische Gewalt im Verfassungsstaat“ gerade erschienen war285. Auch hier fand ich verfassungsgeschichtliches und verfassungsrechtliches Denken in einer bezwingenden Weise vereint. Und schließlich trat ich in Bonn in die enge Beziehung zu dem dritten in der Führungs-Trias der Weimarer Staatsrechtslehre286, zu Carl Schmitt, dessen staatstheoretisches Ingenium gleichfalls mit ideen- und verfassungsgeschichtlicher Bildung untrennbar verbunden war. Gewiß waren die bald einsetzenden Weimarer Krisenjahre dazu angetan, das Interesse wieder voll dem gegenwärtigen Geschehen – um mit C[arl] S[chmitt] zu reden287, der „konkreten Verfassungssituation“ zuzuwenden. Doch darf ich vielleicht einstreuen, daß auf dem Höhepunkt der neuen Reichskrise, nämlich bei der Vorbereitung des Prozesses über den „Preußenschlag“288[,] die Frage auftauchte, wie denn im Recht des Deutschen Bundes vergleichbare Vorgänge beurteilt worden seien. Die spärliche verfassungsgeschichtliche Literatur gab darauf keine Auskunft; erst der Rückgang auf die Rechtsquellen führte zu einem Ergebnis, das die prozessuale Taktik der Reichsvertreter im Leipziger Prozeß289 wesentlich bestimmt hat. Seitdem war mir bewußt, daß geltendes Verfassungsrecht ohne verfassungsgeschichtliche Vorkenntnisse nicht zulänglich ausgelegt werden kann. | Vielleicht darf ich nach diesem Rückblick auf meine Anfänge die vorhin aufgeworfene Frage dahin beantworten, daß ich Verfassungshistoriker jedenfalls nicht aus Resignation oder gar (nach 1945) auf der Flucht aus gegenwärtiger Wirklichkeit geworden bin. Als mit der Studienreform von 1934290 die Vorlesung „Verfassungsgeschichte“ in den juristischen Lehrplan 285

Rudolf Smend, Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform, in: Heinrich Triepel (Hg.), Festgabe der Berliner Juristischen Fakultät für Wilhelm Kahl zum Doktorjubiläum am 19. April 1923, Tl. 3, Tübingen 1923, S. 3–25. 286 Es dürften neben Schmitt hier am ehesten Heinrich Triepel und Erich Kaufmann gemeint sein. In Frage kommen allerdings auch Gerhard Anschütz und Rudolf Smend. 287 Verbessert aus: „deren“. 288 Die Absetzung der preußischen Staatsregierung unter Otto Braun durch die Reichsregierung unter Franz von Papen am 20. Juli 1932. 289 Der Prozess Preußens gegen das Reich vor dem Staatsgerichtshof Mitte Oktober 1932, bei dem Schmitt und Huber als Prozessvertreter des Reichs beteiligt waren. Siehe oben u. a. Brief, Nr. 48. 290 Eckhardt, Studium.

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eingefügt wurde, stand mein Entschluß fest, mich diesem Gegenstand um der verpflichtenden Wirkung der Geschichte auf die Gegenwart willen zuzuwenden. Bei meinen ersten Einzelstudien lag es, damals in Kiel, nahe, mit Dahlmann zu beginnen291. Am 18. Juni 1937 – am Tag von Belle Alliance292 – hielt ich in Kiel meine Abschiedsrede über „Dahlmann und die deutsche Verfassungsbewegung“293. Die Rede galt, nach ihrem Hauptgegenstand, dem hundert Jahre zuvor von Dahlmann an der Spitze der Göttinger Sieben294 geführten Kampf gegen den Verfassungsbruch des Königs Ernst August295. Ich will mich dieser Rede von 1937 nicht rühmen. Sie enthält in ihrer Sprache gewiß manches heute schwer erträgliche Zugeständnis an den Geist der Zeit. In meiner damaligen Empfindung aber war sie ein dem Wechsel der Zeiten enthobenes Bekenntnis zur Unvergänglichkeit des Verfassungsstaats. Vielleicht ist es deshalb doch nicht unangebracht, | wenn ich heute dieses erste Zeugnis meiner verfassungsgeschichtlichen Bemühungen erwähne, das[,] wenn auch in zeitgebundener Form[,] dem unvergänglichen Genius der mir später zur Alma Mater gewordenen Georgia Augusta gewidmet war. 4. Carl Schmitt in seiner Bonner Zeit, 1988 Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 289 Maschinenschriftlich

Mein Bericht in Speyer war im Wesentlichen der Rolle Schmitts im letzten Abschnitt der Weimarer Republik zugewandt296. Ich benutze das heutige Zusammensein297, um etwas über Schmitts vorausgegangene Bonner Jahre zu sagen, also über die Jahre 1922 bis 1928, die seinen wissenschaftlichen und literarischen Ruhm begründeten, die Jahre, in denen er seinen engeren Schülerkreis gewann, die Jahre auch, die einen tiefen Einschnitt in seinem 291 Friedrich Christoph Dahlmann lehrte als außerordentlicher Professor der Geschichte zwischen 1813 und 1829 an der Universität Kiel. 292 Die Schlacht der Allierten bei Waterloo und Belle Alliance (südöstlich von Brüssel) gegen Napoleon am 18. Juni 1815. 293 Huber, Dahlmann. 294 Sieben Göttinger Professoren protestierten 1837 gegen den Verfassungsbruch des hannoverschen Königs und wurden daraufhin von ihren Ämtern enthoben. 295 Ernst August I. (1771–1851) regierte seit 1837 als König von Hannover und Herzog von Braunschweig-Lüneburg. Bernhard Mühlhan, Ernst August, in: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), S. 609–611. 296 Huber, Reichskrise. Das „Sonderseminar“ in Speyer fand vom 1. bis 3. Oktober 1986 statt. 297 Der Vortrag wurde anlässlich des Gedenkens zum 100. Geburtstag Schmitts am 11.7.1988 in Plettenberg gehalten.

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persönlichen Dasein bedeuteten. Als ich 1924 von München nach Bonn kam, waren Schmitts Name, erst recht seine Bedeutung mir unbekannt. Aber es ist mir unvergeßlich, wie hingerissen ich war, als ich ihn zum ersten Mal in der Vorlesung sah und hörte298. Im Wintersemester 1924/25 fand ich Aufnahme in sein Seminar299. Dieser Schritt gehörte zu denen, die entscheidend waren für meinen weiteren Lebensweg. Ich muß bekennen, daß ich Schmitts frühe Hauptwerke – die „Politische Romantik“300 und die „Diktatur“301 – erst später gründlich gelesen habe. Aber die berühmten kleinen Schriften der Jahre 1922 und 1923302 waren mir vertraut, als ich in sein Seminar kam. Wie diese literarischen Kabinettstücke waren seine Vorlesungen303 fesselnd, gerade | auch durch die verhaltene Form, in der Schmitt vorzutragen und zu diskutieren pflegte. Die von eifrigen Hörern gefertigten und in Umlauf gebrachten Nachschriften seiner Kollegs blieben lange Zeit ein gesuchtes und verbreitetes Studiermittel für Anfänger und für Fortgeschrittene. Aber das eigentlich Entscheidende an seiner Lehrtätigkeit waren seine Bonner Seminare. In ihnen habe ich zweimal referiert. Das erste der beiden Seminare, an denen ich teilnahm, war Problemen des aktuellen Staatsrechts gewidmet. Das von mir aus Schmitts Programm gewählte Thema galt einer gerade erschienenen Schrift von Heinrich Göppert über das Problem „Staat und Wirtschaft“304. Exzellenz Göppert war ein der preußischen Führungsschicht angehörender altgedienter Beamter. Bevor er als Ordinarius für Handelsrecht nach Bonn kam, war er während des Weltkriegs Unterstaatssekretär im Reichswirtschaftsamt gewesen. Als solcher hatte er sich hochverdient um die staatliche Führung der Kriegswirtschaft gemacht. Die herausfordernde These seiner kleinen, aber erregenden Schrift „Staat und Wirtschaft“ war, daß nur ein auf lange Sicht planvoll 298 Schmitt hielt im Sommersemester 1924 zwei Vorlesungen: „Die deutsche Verfassung von 1919“ und „Völkerrecht“. Vorlesungsverzeichnis für das Sommer-Halbjahr 1924 der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn und der landwirtschaftlichen Hochschule zu Bonn-Poppelsdorf, Bonn 1924, S. 57. 299 Im Wintersemester bot Schmitt ein „Staatsrechtlich-politisches Seminar“ an. Ebd., Winter-Halbjahr 1924/25, S. 59. 300 Schmitt, Romantik. 301 Carl Schmitt-Dorotic ´ , Die Diktatur. Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf, München/Leipzig 1921. 302 Gemeint waren ders., Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, München/Leipzig 1922; ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, München/Leipzig 1923 (= Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, 1), sowie ders., Katholizismus. 303 Gestrichen: „und Seminare“. 304 Göppert, Staat und Wirtschaft.

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und stetig geleiteter Staat eine aktiv gestaltende Wirtschaftspolitik zu treiben vermöge. Denn | nur die Beständigkeit des wirtschaftspolitischen Staatshandelns verbürge dem ökonomisch-politischen Ganzen ein auf Dauer leistungsfähiges Wirtschafts- und Sozialsystem. Ein parlamentarischer Parteienstaat dagegen sei wegen des ihm wesenseigentümlichen Wechsels der Mehrheitsverhältnisse unfähig zu einer auf Dauer konsequenten Wirtschaftslenkung. Ich bekenne gern, daß ich damals zu einem sachlich wohlbegründeten Urteil über diese These bei weitem nicht qualifiziert war. Aber ich war von Göpperts provozierender Schrift höchst eingenommen. Und Schmitt stimmte, wie mir schien, meinem Urteil zu. Auf die für mich weittragenden Folgen dieses meines ersten Gehversuchs auf dem Feld der Wissenschaft komme ich noch einmal zurück. Das zweite Seminar Schmitts, an dem ich im Sommer 1925 teilnahm, war insgesamt nach meiner Erinnerung der Geschichte der Staatstheorie zugewandt305. Da sich kein anderer Bewerber fand, übernahm ich das Eingangsreferat mit einer nur einwöchigen Vorbereitungszeit. Das Referat hatte Rousseaus306 berühmte Preisschrift von 1754, den „Discours über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“307 zum Gegenstand. Ich zitiere mit Absicht den deutschen Titel der Schrift. Denn zu meinem Glück fand sich in der Bonner Bibliothek die selten beachtete, auch Schmitt, wie sich ergab, unbekannte | Ausgabe der schon im 18. Jahrhundert erschienenen ersten Übersetzung der Rousseauschen Abhandlung ins Deutsche. Ohne dieses unverhoffte Hilfsmittel hätte ich in der knappen verfügbaren Zeit der Vorbereitung gewiß nichts Brauchbares zustande gebracht. Und für Schmitt war mein literargeschichtlich interessanter Fund gewiß das eigentlich Bemerkenswerte an meinem schnell gefertigten Bericht. Zu Schmitts Stil des Seminarhaltens ist vielleicht erwähnenswert, daß er nach jedem Seminarabend die Teilnehmer anschließend in ein Bonner Gasthaus308 einlud, um dort beim Wein improvisiert in Gemeinschaft über wissenschaftlich-politische Grundsatz- und Tagesfragen zu diskutieren. Ich habe Vergleichbares in anderen Seminaren nie erlebt. Besonders häufig lenkte Schmitt das Gespräch auf innerfranzösische Themen, so etwa auf die Bestrebungen der jungen französischen Rechten und ihres Organs, der von 305 Im Sommerhalbjahr 1925 bot Schmitt lediglich „Staatsrechtliche Übungen“ und kein Seminar an. Vorlesungsverzeichnis Sommerhalbjahr 1925, S. 49. 306 Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) war einer der wichtigsten Philosophen und Pädagogen der Aufklärung. 307 Jean-Jacques Rousseau, Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes, Amsterdam 1755. Huber datiert hier um ein Jahr falsch. 308 Es handelt sich um das Weinhaus Streng.

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Schmitt regelmäßig gelesenen Action franc¸aise309. Schmitts Interesse an solchen fremdländischen Auseinandersetzungen war damals weit stärker als sein Interesse an etwa vergleichbaren innerdeutschen Bestrebungen. | Was Schmitts damaliges Urteil über Italien und den Faschismus angeht, so ist mir aus späterer Zeit das Folgende im Gedächtnis geblieben. Bei einem Besuch im Sommer 1926, zu dem ich von auswärts310 nach Bonn gekommen war, berichtete ich Schmitt vom Fehlschlag eines Attentats auf Mussolini311, von dem ich auf dem Weg vom Bahnhof durch einen Zeitungsaushang Kenntnis erlangt hatte. Schmitt war tief betroffen. Der Tod Mussolinis, so sagte er, würde einen unersetzlichen Verlust für ganz Europa bedeutet haben. Vielleicht ist es kein allzuweiter zeitlicher Sprung, wenn ich das Folgende hinzufüge: Einige Jahre später – bald nach 1933 – berichtete Schmitt mir bei einem Zusammentreffen in Leipzig312 von seinem gerade vorausgegangenen Besuch bei Mussolini in Rom313. Im Gedankenaustausch habe dieser die Sprache auf Hegel gebracht. Dem sich voller Begeisterung über den deutschen Philosophen äußernden Duce habe er (Schmitt) lakonisch erwidert: „Hegel ist tot!“ Mussolini habe voller Erregung protestiert und seinem Erstaunen über dieses von Grund auf verfehlte Urteil eines führenden deutschen Staatstheoretikers zum Ausdruck gebracht. Bei der Frage, ob Schmitt, wie häufig behauptet wird, ein Hegelianer war, wird man sein herausforderndes Dictum „Hegel ist tot!“ ernstlich mit bedenken müssen. | Über das Motiv für Schmitts Weggang von Bonn habe ich in Speyer aus meiner Sicht gesprochen314. Ich habe dem nichts hinzuzusetzen. Ich merke nur an, daß Schmitts Wechsel des Standorts für mich zunächst nachteilig zu sein schien, weil ich damit die Aussicht verlor, nach der zweiten Staatsprüfung in irgend einer Form zu Schmitt nach Bonn zurückzukehren, um dann weiterzusehen. Aber einige Wochen vor Schmitts Abschied von Bonn richtete Heinrich Göppert an ihn die Frage, ob er nicht jemanden wisse, der als Assistent für einen freiwerdenden Posten in dem (vorhin erwähnten) Industrierechtlichen Seminar geeignet sei. Unter Hinweis auf mein rund vier Jahre zuvor gehaltenes Referat über Göpperts Schrift „Staat und Wirtschaft“ empfahl Schmitt mich für die bei Göppert verfügbare Stelle. Entgegen einer 309 Die „Action franc ¸ aise“ erschien seit 1899 zuerst als Zeitschrift und seit 1908 als Tageszeitung. Sie stand der gleichnamigen Bewegung nahe, die monarchistisch, nationalistisch, katholisch und antisemitisch ausgerichtet war. 310 Möglicherweise aus seiner Heimat Oberstein. 311 Am 11. September 1926 überlebte Mussolini einen Anschlag unverletzt. 312 Schmitt und Huber trafen sich im Frühjahr 1936. 313 Schmitt traf Mussolini zu einem Gespräch am 15.4.1936. Mehring, S. 370. 314 Er sei nach Berlin gegangen, um dort den notwendigen Zugang zur Politik zu haben. Huber, Reichskrise, S. 36.

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gelegentlich auch in diesem Kreis315 geäußerten Ansicht bin ich niemals Assistent von Schmitt gewesen. Aber ich bin Assistent durch Schmitt geworden, der mir mit seiner Empfehlung den Weg in die Hochschullaufbahn öffnete. | Über Schmitts Verbindung zu Göppert in der Bonner Zeit ist noch zu sagen, daß sie auch ein Zeichen für Schmitts damals geweckten Sinn für das Preußische war. Denn Göppert war nach Erscheinung und Gesinnung ein Preuße schlechthin. Gleichzeitig gewann Schmitt während der Bonner Jahre auch innerhalb des eigenen Fachs – des Staatsrechts und der Staatstheorie – in der Bonner Zeit den Zugang zu preußischer Art und Form. Dafür spricht im Sachlichen z. B. das Eintreten für das Staatsnotrecht, im Persönlichen die enge Beziehung zu den beiden Staatstheoretikern Kaufmann und Smend, die Schmitt gewann. Bei Erich Kaufmann, der zunächst noch unmittelbarer Fachkollege Schmitts in Bonn war, war der Preußische Stil für jeden, der ihm begegnete[,] evident. Bei Rudolf Smend, den Schmitt von Bonn aus häufiger in Berlin zu besuchen pflegte, kam das Preußische differenzierter, aber doch auch unverwechselbar zum Ausdruck. Wenn man um die Mitte oder gegen das Ende der zwanziger Jahre die Frage nach der Elite der deutschen Staatsrechtslehrer stellte, dann wurde nicht mehr die alte Garde der großen Positivisten316 genannt, sondern die Antwort war, gerade unter den aufgeweckteren Studenten – die Spitze bildete eben die antipositivistische Trias: Kaufmann (geboren 1880), Smend (geboren 1882) und Schmitt. Die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts waren für die deutsche Staatstheorie offenbar von einer besonderen Ursprungskraft! | Man hat damals die jüngere, sich vom Positivismus abkehrende staatstheoretische Schule unter dem Namen der geisteswissenschaftlichen Richtung zusammengefaßt. Der sprachlich nicht besonders geglückte Name ging nach 1933 vergessen; jetzt ist er wieder in Umlauf gekommen317. Aber es ist üblich geworden, Schmitt nicht mehr als dieser Richtung zugehörig zu nennen, sei es aus allgemeiner Aversion gegen ihn, sei es weil es schon zu Ende der zwanziger Jahre zu Zerwürfnissen zwischen Schmitt und den beiden anderen Hauptvertretern der antipositivistischen Schule – eben Kaufmann und Smend – gekommen war. Aber ein Gelehrtenstreit ist ja nicht notwendig der Ausdruck einer fundamentalen Auffassungsdifferenz. Er kann auch gerade aus der wissenschaftlichen Nähe und der dadurch geweckten Rivalität entstehen. Ich selber habe noch die diesen Konflikten 315

Dem Kreis der Bonner Mitdoktoranden und der Plettenberger Zuhörer. So z. B. Gerhard Anschütz und Richard Thoma. 317 Klaus Rennert, Die „geisteswissenschaftliche Richtung“ in der Staatsrechtslehre der Weimarer Republik. Untersuchungen zu Erich Kaufmann, Günther Holstein und Rudolf Smend, Berlin 1987 (= Schriften zum öffentlichen Recht, 518). 316

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vorausgegangene Zeit erlebt, in der Kaufmann und Schmitt, wenn sie sich in Bonn im Kolleg gegenseitig zitierten, nicht anders als „mein Freund Schmitt“ oder „mein Freund Kaufmann“ von einander sprachen. Aber in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre wurden die drei – nun nebeneinander in Berlin – offenkundige Rivalen in der anti-positivistischen Front. Für Schmitt und Smend war die Gleichzeitigkeit der beiden 1928 erschienenen Werke „Verfassungslehre“ und „Verfassung und Verfassungsrecht“318 ein offenkundiges Indiz der entstandenen Spannung. Smends Zentral- | begriff der Integration wiederum stieß bei Kaufmann auf bösen Spott319 und bei Schmitt auf kühle Distanz. Aber vielleicht kommt einmal eine Zeit, die wieder begreift, daß die drei großen rivalisierenden Staatstheoretiker der Weimarer Jahre gemeinsam die führenden Repräsentanten der damals als „geisteswissenschaftlich“ bezeichneten Richtung waren. Oft treten gerade bei solchen zeit- und situationsbedingten Kontroversen nach einiger Dauer, wenn erst Distanz zu den Ursprüngen der Konflikte gewonnen ist, die tiefer liegenden Gemeinsamkeiten wieder voll ins Licht.

318

Schmitt, Verfassungslehre; Smend, Verfassung. Erich Kaufmann, Vorwort, in: ders., Gesammelte Schriften, hg. von Albert Hilger van Scherpenberg/Walter Strauß, Bd. 3: Rechtsidee und Recht. Rechtsphilosophische und ideengeschichtliche Bemühungen aus fünf Jahrzehnten, Göttingen 1960, S. XIX–XLVII, hier S. XXXIV. 319

VI. Gegenseitige Widmungen1 Ernst Rudolf Huber, Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, Tübingen 1931 (= Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 85). „Herrn Prof. Dr. Carl Schmitt als Zeichen des Dankes 10.11.31 E.R.H.“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 271172. Ernst Rudolf Huber, Rechtsformen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung, in: Verwaltungsarchiv 37 (1932), S. 301–367. „Herrn Prof. Dr. Carl Schmitt als kleiner Beitrag zu dem Thema: Starker Staat und freie Wirtschaft. Berlin, 19.11.32 E.R.H.“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 27117. Ernst Rudolf Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht. Institutionen des öffentlichen Arbeits- und Unternehmensrechts, Tübingen 1932. Unbekannte Widmung3. Ernst Rudolf Huber, Bedeutungswandel der Grundrechte, in: Archiv des öffentlichen Rechts 23 (1932/33), S. 1–98. „Herrn Prof. Schmitt [. . .]4 in treuer Verbundenheit 22/12.32 E.R.H.“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 27117. Carl Schmitt, Staat, Bewegung, Volk. Die Dreigliederung der politischen Einheit, Hamburg 1933 (= Der deutsche Staat der Gegenwart, 1). Unbekannte Widmung5. Carl Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, Hamburg 1934 (= Schriften der Akademie für Deutsches Recht). Unbekannte Widmung6. Ernst Rudolf Huber, Die Gestalt des deutschen Sozialismus, Hamburg 1934 (= Der deutsche Staat der Gegenwart, 2). Unbekannte Widmung7. 1

Auflistung in chronologischer Folge. Siehe auch oben Brief Nr. 32. 3 Siehe oben Brief Nr. 37. 4 Der Text der Widmung ist durch die Beschneidung des Bandes bei der Bindung etwas beschädigt. 5 Siehe oben Brief Nr. 83. 6 Siehe oben Brief Nr. 91. 2

VI. Gegenseitige Widmungen

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Ernst Rudolf Huber, Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, Hamburg 1935 (= Der deutsche Staat der Gegenwart, 16). Unbekannte Widmung8. Ernst Rudolf Huber, Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 95 (1935), S. 202–229. „[. . .] mit herzlichen Grüßen E.R.H.“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 27117. Ernst Rudolf Huber, Heer und Staat in der deutschen Geschichte, Hamburg 1938. „Herrn Staatsrat Carl Schmitt dem Meister und Lehrer der Geschichte, der Theorie und des Rechts der Verfassung zum 11. Juli 19389 in dankbarer Verehrung überreicht.“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 2318410. Carl Schmitt, Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles. 1923–1939, Hamburg 1940. Unbekannte Widmung11. Ernst Rudolf Huber, „Positionen und Begriffe“. Eine Auseinandersetzung mit Carl Schmitt, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 101 (1941), S. 1–44. Unbekannte Widmung12. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 28374. Ernst Rudolf Huber, Machtstaat und Utopie, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 102 (1942), S. 168–176. „Mit herzlichem Gruß ERH.“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 27132. Ernst Rudolf Huber, Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, Straßburg 1942 (= Straßburger Universitätsreden, 2). „Mit herzlichen Grüßen in Erinnerung an unsere Straßburger Begegnung 7.II.4213 Ernst Rudolf Huber“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 27117. 7

Siehe oben Brief Nr. 87. Siehe oben Brief Nr. 136. 9 Zum 50. Geburtstag Schmitts. 10 Siehe oben Brief Nr. 153. 11 Siehe oben Brief Nr. 163. 12 Siehe oben Brief Nr. 174. 13 Über ein Straßburger Treffen Schmitts mit Huber am 7.2.1942 berichten weder Huber in seinen Straßburger Erinnerungen noch Mehring, S. 411. 8

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Anhang

Ernst Rudolf Huber, Reich, Volk und Staat in der Reichsrechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 102 (1942), S. 593–627. „In Erinnerung an den 20. Juli 3214 mit herzlichen Grüssen E.R.H.“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 2711715. Ernst Rudolf Huber, Der preußische Staatspatriotismus im Zeitalter Friedrichs des Großen, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 103 (1943), S. 430–468. „Mit herzlichen Grüssen E.R.H.“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 27117. Ernst Rudolf Huber, Heer und Staat in der deutschen Geschichte, 2. Aufl., Hamburg 1943. Unbekannte Widmung16. Carl Schmitt, Gesang des Sechzigjährigen, 1948 „Für Ernst Rudolf Huber zur Erinnerung. C.S.“ Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198. Carl Schmitt, Ex Captivitate Salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47, Köln 1950. „Für Ernst Rudolf Huber zur Erinnerung an C.S. Weihnachten 1948.“ Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198. [Ernst Rudolf Huber (Hg.)], Quellen zum Staatsrecht der Neuzeit. Bd. 1: Deutsches Verfassungsrecht im Zeitalter des Konstitutionalismus (1806– 1918), Tübingen 1949. Unbekannte Widmung17. Carl Schmitt, [Gedruckte Todesanzeige für Duschka Schmitt] „Mit herzlichem Gruß! C.S.“ Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 Carl Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, Tübingen 1950. Unbekannte Widmung18.

14 15 16 17 18

Der Tag der Reichsexekution gegen den Freistaat Preußen. Siehe oben Brief Nr. 181. Siehe oben Brief Nr. 187. Siehe oben Brief Nr. 204. Siehe oben Brief Nr. 205.

VI. Gegenseitige Widmungen

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Ernst Rudolf Huber, Bundesexekution und Bundesintervention. Ein Beitrag zur Frage des Verfassungsschutzes im Deutschen Bund, in: Archiv des öffentlichen Rechts 40 (1953/54), S. 1–57. „Mit herzlichen Grüssen und Wünschen in alter Verehrung ERH“. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 26350. Ernst Rudolf Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2 Bde., 2. Aufl., Tübingen 1953/54. Unbekannte Widmung19. Carl Schmitt, Verfassungslehre, Berlin 1954. Unbekannte Widmung20. Ernst Rudolf Huber, Wegekosten und Kraftverkehr. Rechtsgutachten, Gießen o. J. [1956]. „Mit herzlichen Neujahrswünschen 31.12.54 E.R.H.“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 24054. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 1: Reform und Restauration 1789–1830, Stuttgart 1957. „Für Carl Schmitt. In Dankbarkeit für Zuspruch und Widerspruch auf gemeinsamen und auf sich kreuzenden Wegen und mit herzlichen Wünschen zum 11. Juli 1957“21. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 23543. Ernst Rudolf Huber, Zur Problematik des Kulturstaates, Tübingen 1958. „Für Carl Schmitt in Erinnerung an meine Promotion in Bonn im WS 1926/27 und in beständiger Verehrung[,] 3.3.58 ERH“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 2567422. Carl Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954. Materialien zu einer Verfassungslehre, Berlin 1958. Unbekannte Widmung23. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 2: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830–1850, Stuttgart 1960. 19 Die beiden Bände haben nach Angaben eines Antiquariatskatalogs eine Widmung enthalten. Martin Tielke, Die Bibliothek Carl Schmitt. http://www.carlschmitt.de/biblio-cs.php (31.5.2014). 20 Siehe oben Brief Nr. 211. 21 Schmitts 69. Geburtstag. 22 Siehe oben Brief Nr. 212. 23 Siehe ebd.

586

Anhang

„Carl Schmitt[,] dem Meister der Verfassungslehre und Verfassungsgeschichte[,] in alter Verehrung überreicht[.] Freiburg, 30. September 1960 E.R.H.“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 23544. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 3: Bismarck und das Reich, Stuttgart 1963. Unbekannte Widmung24. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 23545. Ernst Rudolf Huber/Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Bd. 2: Staat und Kirche im Zeitalter des Hochkonstitutionalismus und des Kulturkampfs 1848–1890, Berlin 1976. „Für Carl Schmitt in dankbarer Erinnerung an den Beistand bei meinen ersten staatskirchenrechtlichen Versuchen vor fünfzig Jahren in Bonn, Oktober 1976, E.R.H.“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 25904. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung 1914–1919, Stuttgart 1978. „Meinem Lehrer Carl Schmitt in treulicher Erinnerung an das Bonner staatsrechtliche Seminar der Jahre 1924–1926 und an seine Mitglieder dankbar überreicht im Februar 1978 Ernst Rudolf Huber“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 2751425. Ernst Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, 3. Aufl., Stuttgart 1978. „Carl Schmitt in dankbarer Erinnerung an Bonn und Berlin mit guten Wünschen zum 11. Juli 197826 überreicht. Ernst Rudolf Huber“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 2751027. Ernst Rudolf Huber, Verfassungswirklichkeit und Verfassungswert im Staatsdenken der Weimarer Zeit, in: Hans-Wolf Thümmel (Hg.), Arbeiten 24 Dirk van Laak/Ingeborg Villinger (Bearb.), Nachlass Carl Schmitt. Verzeichnis des Bestandes im Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv, Siegburg 1993 (= Veröffentlichungen der staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen: Reihe C, Quellen und Forschungen, 32), S. 435. Das Exemplar im Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 23545, enthält allerdings keine Widmung. 25 Siehe oben Brief Nr. 219. 26 Zum 90. Geburtstag. 27 Siehe oben Brief Nr. 220.

VI. Gegenseitige Widmungen

587

zur Rechtsgeschichte. Festschrift für Gustav Klemens Schmelzeisen. Bd. 2, Stuttgart 1980 (= Karlsruher kulturwissenschaftliche Arbeiten, 2), S. 126– 141. „Meinem verehrten Lehrer in dankbarer Erinnerung an das alte Bonn nach einem halben Jahrhundert überreicht E.R.H.“ Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 27597.

VII. Verzeichnis fehlender Briefe 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25.

zwischen 8.11.1926 und 9.2.1927 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt zwischen 8.11.1926 und 9.2.1927 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt vor 1.6.1929 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt zwischen 1.6.1929 und 1.7.1929 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt vor 2.5.1930 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt zwischen 2.5.1930 und 11.5.1930 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt um 8.6.1930 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber vor 23.1.1931 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt zwischen 28.3. und 12.4.1931 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 25.6.1931 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt vor 3.9.1931 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt um 5.10.1931 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt vor 18.2.1932 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt vor 20.7.1932 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt vor 25.7.1932 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt vor 9.8.1932 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 6.12.1932 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber vor 7.12.1932 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt vor 18.12.1932 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt vor 27.3.1933 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt vor 14.4.1933 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber vor 22.5.1933 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt vor 25.10.1933 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 19.11.1933 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber zwischen 17.12.1933 und 10.1.1934 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 26. vor 10.1.1934 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 27. 17.3.1934 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 28. 29.5.1934 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber

VII. Verzeichnis fehlender Briefe

29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43.

25.8.1934 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt zwischen 6. und 22.8.1935 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt zwischen 10. und 24.1.1936 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 12.6.1936 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 12.8.1936 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber vor 11.3.1938 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 21.5.1938 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt vor 4.12.1938 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt vor 4.1.1940 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt vor 21.2.1940 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber vor 23.3.1940 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt 24.10.1940 Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt um 13.4.1941 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 21.1.1944 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber 24.2.1944 Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber

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VIII. Ernst Rudolf Huber: Bibliographie der Veröffentlichungen seit 19731 Fortsetzung von: Huber-Simons, Tula/Albrecht Huber: Bibliographie der Veröffentlichungen von Ernst Rudolf Huber, in: Ernst Forsthoff/Werner Weber/Franz Wieacker (Hg.), Festschrift für Ernst Rudolf Huber zum 70. Geburtstag am 8. Juni 1973, Göttingen 1973 (= Göttinger rechtswissenschaftliche Studien, 88), S. 385–416.

Monographien, Editionen und Sammelbände (Hg. zus. mit Wolfgang Huber): Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Bd. 1: Staat und Kirche vom Ausgang des alten Reichs bis zum Vorabend der bürgerlichen Revolution, Berlin 1973; 2. Aufl. 1990; Bd. 2: Staat und Kirche im Zeitalter des Hochkonstitutionalismus und des Kulturkampfs: 1848–1890, Berlin 1976; Bd. 3: Staat und Kirche von der Beilegung des Kulturkampfs bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Berlin 1983; Bd. 4: Staat und Kirche in der Zeit der Weimarer Republik, Berlin 1988; Bd. 5: Register, Berlin 1995. Bewahrung und Wandlung. Studien zur deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Berlin 1975 [enthält 14 teils überarbeitete und ergänzte Aufsätze aus den Jahren 1931–1974]. Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. [Bd. 1: Reform und Restauration 1789 bis 1830, 2. Aufl., Stuttgart 1967;] Bd. 2: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850, 3. Aufl., Stuttgart 1988; Bd. 3: Bismarck und das Reich, 3. Aufl., Stuttgart 1988; Bd. 4: Struktur und Krisen des Kaiserreichs, 2. Aufl., Stuttgart 1982; Bd. 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung 1914–1919, Stuttgart 1978; Bd. 6: Die Weimarer Reichsverfassung, Stuttgart 1981; Bd. 7: Ausbau, Schutz und Untergang der Weimarer Republik, Stuttgart 1984; Bd. 8: Registerband, Stuttgart 1991.

1 Nicht aufgenommen wurden unveränderte, durchgesehene oder revidierte Nachdrucke, von denen es zahlreiche zur „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789“ gibt.

VIII. Ernst Rudolf Huber: Bibliographie

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(Hg.) Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. Bd. 1. Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, 3. Aufl., Stuttgart 1978; Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851–1900, 3. Aufl., Stuttgart 1986; Bd. 3: Deutsche Verfassungsdokumente 1900–1918, 3. Aufl., Stuttgart 1990; Bd. 4: Deutsche Verfassungsdokumente 1919–1933, 3. Aufl., Stuttgart 1992; Bd. 5: Registerband, Stuttgart 1997.

Aufsätze Grundrechte im Bismarckschen Reichssystem, in: Horst Ehmke u. a. (Hg.), Festschrift für Ulrich Scheuner zum 70. Geburtstag, Berlin 1973, S. 163–181. Zur Lehre vom Verfassungsnotstand in der Staatstheorie der Weimarer Zeit, in: Hans Schneider/Volkmar Götz (Hg.), Im Dienst an Recht und Staat. Festschrift für Werner Weber zum 70. Geburtstag dargebracht von Freunden, Schülern und Kollegen, Berlin 1974, S. 31–52. Kulturverfassung, Kulturkrise, Kulturkonflikt, in: Ernst Rudolf Huber, Bewahrung und Wandlung. Studien zur deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Berlin 1975, S. 343–374. Rechtsfragen der Novemberrevolution. Die Anerkennung der revolutionären Staatsgewalt und Staatsordnung in der deutschen Rechtsprechung nach 1918, in: Gerald Grünwald u. a. (Hg.), Festschrift für Friedrich Schaffstein zum 70. Geburtstag am 28. Juli 1975, Göttingen 1975, S. 53–76. Rudolf Smend 15. Januar 1882 – 5. Juli 1975, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen für das Jahr 1976, Göttingen 1977, S. 105–121. Preußen – Umgeblätterte Seite der deutschen Geschichte?, in: Ingo von Münch u. a. (Hg.), Finis Germaniae? Zur Lage Deutschlands nach den Ostverträgen und Helsinki. Symposion aus Anlaß des 70. Geburtstages von Herbert Krüger vom 11.– 13. Dezember 1975 in Kassel, Frankfurt a. M. 1977, S. 118–122. Die zustimmungslose Ratifikation mit Indemnitätsvorbehalt. Zur staatsrechtlichen Problematik der deutsch-russischen Ergänzungsabkommen zum Frieden von BrestLitowsk, in: Rolf Stödter u. a. (Hg.), Hamburg, Deutschland, Europa. Beiträge zum deutschen und europäischen Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsrecht. Festschrift für Hans-Peter Ipsen zum 70. Geburtstag, Tübingen 1977, S. 47–67. Friedrich Naumanns Weimarer Grundrechts-Entwurf. Der Versuch eines Modells der Grundwerte gegenwärtigen Daseins, in: Okko Behrends u. a. (Hg.), Festschrift für Franz Wieacker zum 70. Geburtstag, Göttingen 1978, S. 384–398. Verfassungswirklichkeit und Verfassungswert im Staatsdenken der Weimarer Zeit, in: Hans-Wolf Thümmel (Hg.), Arbeiten zur Rechtsgeschichte. Festschrift für Gustav Klemens Schmelzeisen. Bd. 2, Stuttgart 1980 (= Karlsruher kulturwissenschaftliche Arbeiten, 2), S. 126–141. Kanzlerregime, Militärgewalt und Parteienmacht in Weltkrieg und Revolution, in: Friedrich J. Kroneck u. a. (Hg.), Im Dienste Deutschlands und des Rechts. Festschrift für Wilhelm G. Grewe zum 70. Geburtstag am 16. Oktober 1981, BadenBaden 1981, S. 473–491.

592

Anhang

Das Kaiserreich als Epoche verfassungsstaatlicher Entwicklung, in: Josef Isensee/ Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 1: Grundlagen von Staat und Verfassung, Heidelberg 1987, S. 35–83. Carl Schmitt in der Reichskrise der Weimarer Endzeit, in: Helmut Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 28. Sonderseminars 1986 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1988 (= Schriftenreihe der Hochschule Speyer, 102), S. 33–50.

Quellen- und Literaturverzeichnis1 1. Ungedruckte Quellen2 Archiv der Bayerischen Akademie der Wissenschaften München, Nachlass Hans Raupach. Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin Abt. III, Repositor 4, Carl Bilfinger. Bundesarchiv Berlin, R 21 Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung; R 4901 Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung; Berlin Document Center. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin, Nachlass Hellmut Becker. Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz Nachlass 488, Verlagsarchiv Mohr-Siebeck. Archiv der Juristischen Fakultät Bonn, Promotionsakte Huber; Personalakte Huber. Deutsche Fotothek Dresden. Landesarchiv NRW Rheinland, Duisburg, RW 265 Nachlass Carl Schmitt; RW 579 Sammlung Tommissen; RWN 260 Sammlung Carl Schmitt. Staatsarchiv Freiburg, D 180/4 Spruchkammer Südbaden, Nr. 59. Universitätsarchiv Göttingen, Kuratorium, Personalakte Huber. Bundesarchiv Koblenz, N 1220 Nachlass Hans Peters; N 1505 Nachlass Ernst Rudolf Huber. Deutsches Literaturarchiv Marbach, Bestand D Merkur. Archives diplomatiques, Ministère des affaires étrangères, Délégation provinciale pour le pays de Bade, La Courneuve. Familienarchiv Albrecht Eckhardt, Oldenburg. 1 2

Aufgenommen wurden grundsätzlich nur mehrfach erwähnte Titel. Geordnet nach der alphabetischen Reihenfolge der Aufbewahrungsorte.

594

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Abbildungsnachweis Abb. 1:

Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, 1.11.1926. Brief, handschriftlich. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6247 (= Brief Nr. 7, S. 58 f.).

Abb. 2:

Carl Schmitt an Hans-Georg Siebeck, 6.3.1927. Brief, handschriftlich. Staatsbibliothek zu Berlin, Nachlass 488, Verlagsarchiv Mohr-Siebeck, Kasten 429 (= Anhang Nr. I.3, S. 395 f.).

Abb. 3:

Einladung zur Öffentlichen Antrittsvorlesung von Ernst Rudolf Huber an der Universität Bonn, 22.7.1931. Gedrucktes Plakat. Fakultätsarchiv Bonn, Personalakte Huber.

Abb. 4:

Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, 22.3.1932. Ansichtskarte aus Bologna. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 (= Brief Nr. 38, S. 98 f.).

Abb. 5:

Ernst Rudolf Huber, Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, 72 S., Verlag Gerhard Stalling, Oldenburg in O., Taschenbuch, Einband vorne. Dezember 1932. Privat.

Abb. 6:

Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, Werbeanzeige. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 282, 3.12.1932.

Abb. 7:

Nationalsozialistischer Juristentag in Leipzig, 2.10.1933. Foto. Privatarchiv Gerd Giesler, Berlin.

Abb. 8:

Widmung von Ernst Rudolf Huber für Carl Schmitt in „Heer und Staat“ zum 11.7.1938. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 23184.

Abb. 9:

Ernst Rudolf Huber, Leipzig, 1937–1941. Porträtfoto. Privatarchiv Gerhard Huber, Freiburg.

Abb. 10: Carl Schmitt, 1936. Porträtfoto: Atelier Bieber/Nather. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Nr. 10017795. Abb. 11: Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, 1.5.1934. Brief, handschriftlich. Bundesarchiv Koblenz, N 1505, Nr. 198 (= Brief Nr. 90, S. 172 f.). Abb. 12: Ernst Rudolf Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, 527 S., Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg 1939. Buch, Einband vorne, Privat. Abb. 13: Paul Ritterbusch. Porträtfoto. Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel. Abb. 14: Karl Larenz. Porträtfoto. Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel. Abb. 15: Ernst Rudolf Huber mit dem etwa neun Monate alten Wolfgang Huber, Straßburg, 1943. Foto. Privatarchiv Kara und Wolfgang Huber, Berlin.

Abbildungsnachweis

603

Abb. 16: Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, 6.4.1944. Brief, handschriftlich, Rückseite mit Randnotizen in Kurzschrift von Carl Schmitt. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 159 (= Brief Nr. 186, S. 313–316). Abb. 17: Rudolf Smend. Porträtfoto. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Sammlung Voit. Abb. 18: Hellmut Becker im Nürnberger Prozess, 1948/49. Foto. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Nr. 30003499. Abb. 19: Haus Sonnenschein, Falkau i. Schwarzwald, 1954. Foto auf Ansichtskarte: Rolf Kellner, Velten-Verlag, Karlsruhe. Privat. Abb. 20: Übergabe des Rektorats der Hochschule für Sozialwissenschaften an Prof. Bruno Seidel, Wilhelmshaven, 1.4.1957. Foto. Privatarchiv Horst Müller, Erftstadt. Abb. 21: Ernst Rudolf Huber am Vortragspult in Wilhelmshaven, ca. 1960, Foto. Privatarchiv Horst Müller, Erftstadt. Abb. 22: Ernst Forsthoff, ca. 1960. Porträtfoto: Vavlitis. Universitätsarchiv Heidelberg, Pos I 00851. Abb. 23: Werner Weber als Rektor der Universität, 1956–1958. Porträtfoto. Staatsund Universitätsbibliothek Göttingen, Sammlung Voit. Abb. 24: Friedrich Schaffstein, 1962. Porträtfoto. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Sammlung Voit. Abb. 25: Franz Wieacker, 1962. Porträtfoto. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Sammlung Voit. Abb. 26: Familie Huber in Freiburg, 1963. Foto. Privatarchiv Kara und Wolfgang Huber, Berlin. Abb. 27: Ernst Rudolf Huber, 1972. Porträtfoto. Privatarchiv Gerhard Huber, Freiburg. Abb. 28: Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, 25.10.1976. Briefentwurf in Kurzschrift. Landesarchiv NRW Rheinland, RW 265, Nr. 6288 (= Brief Nr. 214, S. 382 f.). Abb. 29: Ernst Rudolf Huber, 1985. Porträtfoto. Privatarchiv Gerhard Huber, Freiburg.

Personenregister1 Achelis, Johann Daniel 146, 194 Adam, Alphonse 547 Ahlmann, Wilhelm 142, 144, 146–148 Albrecht, Gerhard 177 Alibert, Raphael 73 Altenstein, Karl vom Stein zum 276 Amann, Max 148 Anschütz, Gerhard 52, 87, 117, 119, 345, 575, 580 Arendt, Hannah 334 Arndt, Ernst Moritz 458 Arnold (Müller) 305 Attolico, Bernardo 499 Badt, Hermann 117 Bakunin, Michail 299, 460 Ball, Kurt 239 Barion, Hans 77, 84, 372 Barth, Heinrich 284 Barth, Karl 66, 522 Bauer, Bruno 276, 299, 312 Bauer, Edgar 299 Baumgart, Winfried 382 Beck, Ludwig 554 Becker, Carl Heinrich 130, 328, 335, 535 Becker, Erich 544 Becker, Hellmut 39, 325, 328, 335, 338, 339, 341, 346, 496, 501, 504, 535, 548, 555 Becker, Walter 335 Becker, Werner 55 Beckerath, Erwin von 331 Beethoven, Ludwig van 101 Bente, Hermann 176, 177, 180, 208, 539 1

Bernstein, Eduard 548 Bernward von Hildesheim 109 Best, Werner 284 Biederlack, Josef 70 Biegeleben, Ludwig von 344 Bilfinger, Carl 20, 111, 117, 125, 128, 130, 132, 146–148, 197, 225, 318, 387, 474, 478, 482 Biscaretti di Ruffia, Paolo 266 Bismarck, Otto von 69, 101, 103, 248, 257, 258, 265, 266, 279, 288, 308, 312, 315, 335, 364, 365, 381, 415, 418, 434, 449, 465–467, 470, 482, 497, 575 Blücher, Gebhard Leberecht von 572 Blumenberg, Hans 15 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 377 Bodelschwingh, Friedrich von 528 Bodin, Jean 254, 302 Böhme, Hermann 107 Bottai, Guiseppe 170, 171 Bouhler, Philipp 532 Boveri, Margret 370 Boyen, Hermann von 458 Bracht, Franz 110, 114 Braun, Otto 69, 103, 575 Brecht, Arnold 117 Brierly, James L. 341 Brockhaus, Friedrich Arnold 537 Brüning, Heinrich 101, 500, 562 Brunner, Otto 299 Bruns, Viktor 159, 192 Brutus, Marcus 497 Bumke, Erwin 82, 83, 119, 122, 123, 126, 129

Ernst Rudolf Huber und Carl Schmitt wurden als Personen nicht aufgenommen.

Personenregister Bung, Hubertus 209 Burckhardt, Carl Jacob 339, 499 Burckhardt, Jacob 298 Burmeister, Wilhelm 286 Caesar, Gaius Julius 497 Capitant, René 545, 546 Carlowitz, von (Hauptmann) 107 Christensen, Dietrich 536 Churchill, Winston 340, 341, 555 Ciano, Galeazzo 498 Clausewitz, Carl von 458 Clemens II., Papst 235 Closener, Fritsche 283 Commons, John Rogers 73 Conrad, Johannes 177 Constant, Benjamin 268, 369, 457, 464 Corinth, Lovis 68 Cortés, Donoso 262, 457, 460 Cramer von Laue, Constantin 322, 326 Cremer, Martin 536, 537 Croce, Benedetto 401 Dahlmann, Friedrich Christoph 539, 576 Dahm, Georg 142, 143, 147, 150–152, 154, 157, 159–161, 164, 175, 184, 187, 191, 197, 198, 203, 205, 208, 210, 212, 334, 342, 492, 566 Darré, Walter 162 Daskalakis, Georgios D. 368 Däubler, Theodor 368 Demuth, Fritz 102, 135, 398, 531 Dernedde, Carl 204, 213 Diels, Rudolf 358, 361 Dietl, Wolfgang 97 Dix, Rudolf 329 Dohna, Alexander Graf zu 118, 119 Dölle, Hans 315 Dönitz, Karl 325 Dorn, Herbert 239 Dörr, Walther 521

605

Driver, Franz 63 Droege, Heinrich 242 Droysen, Johann Gustav 537 Duguit, Léon 416 Dulckeit, Gerhard 458 Dunger, Ingrid 568 Dünnhaupt, Rudolf 212 Dux, Günter 568 Ebering, Emil 356 Ebert, Friedrich 123, 565 Eckhardt, Albrecht 203 Eckhardt, Karl August 147, 160, 201, 203, 208, 212, 215, 217, 218, 221, 229, 232, 234, 242 Editha, Königin 108 Eisenhower, Dwight D. 500 Eisner, Kurt 385 Elster, Ludwig 177 Emge, Carl August 159 Engels, Friedrich 298, 329, 548 Erdmann, Eduard 458 Ernst August von Hannover 576 Eschweiler, Karl 400 Eulenburg und Hertefeld, Philipp Fürst zu 265, 266, 464 Eyck, Erich 335, 344 Fecht, Hermann 117 Felgentraeger, Wilhelm 147 Fettweis, Karola 324 Feuchtwanger, Ludwig 54 Fezer, Karl 528 Fichte, Johann Gottlieb 292, 293, 550 Fickel, Georg 151, 205 Figgis, John Neville 69 Finckh, Eugen von 63 Finelli, Angelo 98 Fischer, Ernst Hugo 145 Fischer, Gustav 177, 204, 210, 215 Fischer Williams, John 479 Flick, Friedrich 329, 503

606

Personenregister

Flor, Wilhelm 528, 529 Flume, Werner 384 Forsthoff, Ernst 15, 19, 27, 33, 34, 36, 106, 133, 137, 142–144, 147, 149, 182, 188, 197, 198, 211, 218, 260, 277, 295, 305, 318–320, 324, 326, 336, 347, 372, 380, 551, 560, 566 Forsthoff, Heinrich 137 Forsthoff, Ursula 197 François-Poncet, André 351 Frank, Hans 155, 157, 158, 184, 185, 199, 209, 228, 242, 250, 284, 299, 335, 541 Frank, Walter 559 Franz Ferdinand von Habsburg 573 Freisler, Roland 168, 546, 547 Frey, Charles 546 Freyer, Hans 250, 251, 281, 574 Fricke, Gerhard 565 Friedrich I. Barbarossa 109, 235, 303, 304 Friedrich II. von Hessen-Homburg 122 Friedrich II. von Preußen 109, 276 Friedrich III. von Preußen, Kaiser 308 Friedrich Wilhelm III. von Preußen 276 Friedrich Wilhelm IV. von Preußen 276 Friesenhahn, Ernst 19, 73, 77, 92, 97, 116, 119, 239, 260, 331, 377, 384, 560 Fürstenberg, Ferdinand von 87 Gallas, Wilhelm 158 Gaulle, Charles de 545, 546 Gayl, Wilhelm Frhr. von 110 Gerber, Hans 172, 192, 250, 251, 331, 539 Gierke, Otto (von) 24, 72, 73, 189, 415, 416 Giese, Friedrich 52, 117, 119, 120, 131, 345 Gieseke, Paul 210 Giesler, Gerd 38

Globke, Hans 357 Gneisenau, August Neidhardt von 458, 500, 501 Gneist, Rudolf von 233, 315, 415, 416 Goebbels, Joseph 542 Goerdeler, Carl Friedrich 341, 554 Goethe, Johann Wolfgang von 30, 271, 303, 314, 332, 386, 553 Goltz, Johann Frhr. von der 63 Göppert, Heinrich 19, 53, 70, 100, 102, 388, 396, 398, 521, 537, 561, 577–580 Göring, Hermann 23, 219 Gottheiner, Georg 117 Grabower, Rolf 239 Grandi di Mordena, Dino 498 Grauert, Ludwig 361 Grewe, Wilhelm 324, 325, 346, 351 Grillparzer, Franz 299, 302–304, 306 Grimme, Adolf 130 Groos, Otto 271 Grupello, Gabriel de 115 Günther, Albrecht Erich 75, 95, 96, 136, 232 Günther, Gerhard 97 Gurian, Waldemar 331, 334 Gürke, Norbert 544 Gürtner, Franz 152 Häberlin, Karl Friedrich 117, 120, 124 Habermann, Max 523, 535, 554 Haller, Johannes 572 Hammerstein-Equord, Kurt von 125, 554 Hanebeck, Ernst 106 Happ, August 54 Hardenberg, Karl August Frhr. von 288, 500, 501 Harms, Bernhard 85, 178 Harnack, Adolf von 54, 55 Hartung, Fritz 222, 225, 249 Hartung, Reinhard 494 Haubold, Wilhelm 85

Personenregister Haushofer, Albrecht 555 Haußleiter, August 345 Haustein, Werner 353 Heckel, Johannes 100, 118, 132, 138, 164, 167, 192, 225, 237, 238, 278, 396, 521 Hedemann, Justus Wilhelm 159 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 71, 119, 121, 122, 124, 174, 252, 274, 276, 292, 298, 301, 309, 314, 415, 456–458, 460, 484, 539, 549, 550, 579 Heidegger, Martin 360, 388 Heimpel, Elisabeth 566 Heimpel, Hermann 27, 251, 313, 317, 318, 495, 544, 565, 566 Heinrich der Löwe 109, 303 Heinrich II., Kaiser 109, 221, 235 Heinrich III., Kaiser 221, 235 Heinrich, Walter 202–204, 210, 213, 215, 524 Helfferich, Karl 250 Helfrich, Carl 131 Helfritz, Hans 173 Heller, Hermann 87, 117, 149 Henkel, Heinrich 138, 142, 147, 152, 184, 190, 196, 199, 201, 228, 238 Hennis, Wilhelm 388 Hensel, Albert 91, 98, 131, 239, 531 Herder, Johann Gottfried von 292, 309, 550 Heß, Rudolf 335 Hettlage, Karl M. 490 Heydte, Friedrich August von der 354, 356 Heymann, Carl 294 Himmler, Heinrich 534 Hindenburg, Paul von 103, 116, 123, 464, 525, 565 Hintze, Otto 222 Hitler, Adolf 123, 137, 198, 219, 255, 308, 323, 328, 333, 340, 351, 497, 501, 510, 522, 523, 525, 526, 531–

607

533, 536, 549–551, 553, 555, 556, 559, 562, 563, 574 Hobbes, Thomas 247, 276, 454–456, 460, 519 Hobbing, Reimar 85 Hobsbawm, Eric 13 Hoche, Werner 117 Hoeniger, Heinrich 196, 197 Hofacker, Wilhelm 65, 66 Höhme, Arthur 319 Höhn, Reinhard 24, 218, 219, 229, 232, 279, 282, 532, 534, 535, 538, 542 Hölderlin, Friedrich 83, 86, 174 Holstein, Friedrich von 266, 497 Holstein, Günther 61, 62 Holz, Arno 230 Hornegger, Margot 546 Huber, Albrecht 39, 244, 245, 290, 324, 343, 351, 565 Huber, Ernst 558 Huber, Gerhard 258, 290, 303, 324, 351, 383, 565 Huber, Heinz 286, 319 Huber, Helene 62, 313, 319, 338, 394 Huber, Konrad 22, 25, 39, 172, 175, 176, 190, 191, 231, 290, 303, 318, 322, 324, 336, 343, 351, 353, 377, 378, 383, 492, 493, 565 Huber, Max 313, 319 Huber, Otto 166, 319 Huber, Rudolf 62, 308, 394, 558, 571, 572 Huber, Ulrich 290, 318, 324, 343, 351, 383, 495, 565 Huber, Wolfgang 300–303, 324, 351, 381–383, 565 Huber-Simons, Tula 21, 27, 32, 34, 39, 77–79, 96, 120, 140, 141, 146, 148, 155, 156, 158, 159, 164, 167, 170, 172, 175, 176, 180, 188, 190– 193, 195, 199–201, 203–205, 207, 216, 218, 220, 221, 223, 227, 231, 234, 236, 245, 247, 249, 258, 266,

608

Personenregister

269, 278, 283, 286, 290, 291, 301– 303, 307, 318, 321–324, 327, 332, 338, 343, 347, 348, 350–353, 355, 359, 367, 368, 371, 372, 377, 378, 380, 383, 384, 488, 492, 493, 529, 540, 564, 566, 568 Hübner, Rudolf 537 Hug, Paul 557 Humboldt, Wilhelm von 288 Imervard 109 Imrédy, Béla 281 Ipsen, Gunther 145 Ipsen, Hans Peter 336, 348, 384 Jäckh, Ernst 521 Jacobi, Erwin 111, 117, 135 Jäger, August 529 Jahn, Gustav 87 Jahrreiß, Hermann 271, 279, 282, 325, 357 Jan, Heinrich von 117 Jaspers, Karl 116 Jellinek, Georg 70, 348, 435 Jellinek, Walter 70, 71, 127, 132 Jessen, Jens 160, 177, 341 Jhering, Rudolf von 365 Jodl, Alfred 325 Joerges, Rudolf 133 Johann Wilhelm von der Pfalz 115 Johannes der Täufer 349 Jünger, Ernst 15, 122, 276, 291–293, 311, 330, 352, 354 Jünger, Gretha 15, 354 Junker, Paul W. 212 Kahr, Gustav Ritter von 574 Kaiser, Joseph H. 321, 332 Kant, Immanuel 400 Kapp, Wolfgang 573 Kasper, Gerhard 196, 201

Kaufmann, Erich 73, 74, 127, 138, 338, 351, 354, 357, 360, 370, 574, 575, 580, 581 Kautsky, Karl 548 Kelsen, Hans 337, 354 Kempner, Robert W. 27, 328, 333, 370 Kerrl, Hanns 529 Ketteler, Wilhelm Emmanuel von 522 Ketteler, Wilhelm Frhr. von 522 Kierkegaard, Sören 299 Kinkel, Gottfried 298 Kirchheimer, Otto 97, 354, 358 Kirchmann, Julius von 353 Kirsch, Wilhelm 566 Kisch, Wilhelm 159, 160, 559 Klausing, Friedrich 159 Kleist, Heinrich von 122, 124 Klepper, Otto 130 Klesl, Melchior 302, 304 Klingemann, Karl Viktor 63 Klopstock, Friedrich Gottlieb 341 Knapp (Student) 134 Kobbe, Theodor von 556 Koellreutter, Otto 24, 53, 55, 73, 129, 136, 138, 157, 160, 164, 165, 167, 168, 183, 185–187, 192, 209, 331 Kohlrausch, Eduard 152 Konrad III., König 235 Körner, Paul 219 Köttgen, Arnold 569 Kranzbühler, Otto 325 Krauß, Günther 96, 97, 101, 122, 231, 233 Krieger, Rudolf 80, 83, 86 Kühlmann, Richard von 340, 341 Kunigunde von Luxemburg 235 Laband, Paul 415, 416 Lammers, Hans Heinrich 234 Landsberg, Ernst 58 Lange, Heinrich 142, 147, 159, 160, 205, 206, 208, 210, 228, 539

Personenregister Larenz, Karl 142, 143, 147, 150, 151, 208, 210, 212, 229, 238, 279, 301, 458, 492 Lasker, Eduard 344 Laski, Harold 69, 70, 416 Lassalle, Ferdinand 548 Lehmann, Rudolf 345 Leibholz, Gerhard 127 Leibniz, Gottfried Wilhelm 301, 309, 314, 539, 549 Leipart, Theodor 527 Lenin, eig. Uljanow, Wladimir Iljitsch 547 Lessing, Gotthold Ephraim 341 Leuschner, Wilhelm 527, 535 Ley, Robert 166, 527 Liebmann, Otto 160 Lingg, Anton 284 Lintzel, Martin 218 Lion, Max 239 Liszt, Franz von 365 Locke, John 268, 269 Loening, Karl Friedrich 189 Loening, Marie Cäcilie Elise 189 Loewenstein, Karl 89 Lohmann, Karl 58, 59, 67, 71, 72, 119, 121, 136, 182, 183, 187, 197, 204, 205, 208, 211, 225, 227, 235, 272, 347, 348 Lohse, Hinrich 535 Ludendorff, Erich 574 Ludwig XIII. von Frankreich 302 Ludwig XVIII. von Frankreich 499 Luther, Hans 524 Maaßen, Karl Georg 276, 458 MacArthur, Douglas 346, 347 Macchiavelli, Niccolò 289 Mackenroth, Gerhard 196 Mannheim, Karl 368 Marcks, Erich 105, 376 Marie-Louise von Österreich 502

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Marschall von Bieberstein, Fritz Frhr. 131 Marx, Karl 298, 329, 548 Maschke, Günter 14 Matthias, Erzherzog 299 Matthiesen, Marius 356 Maunz, Theodor 117, 188, 189, 192, 199, 200, 204, 205, 218 Maus, Ingeborg 390 Maximilian Philipp von Bayern 385 McNair, Arnold 476 Medem, Eberhard Frhr. von 25, 39, 223, 236, 239, 240, 242, 489–491 Mehner, Kurt 272, 279 Mehring, Reinhard 14 Meier, Christian 380, 381 Meier-Beneckenstein, Paul 157 Meinecke, Friedrich 261, 452 Melville, Herman 370 Mendelssohn Bartholdy, Albrecht 81 Merian der Jüngere, Matthäus 235 Merkl, Adolf 149, 356 Metternich-Winneburg, Clemens Fürst von 339, 482, 500, 501 Meydenbauer, Hans 70 Mezger, Edmund 152 Michael, Horst 105, 115, 121, 562 Michaelis, Karl 142, 147, 151, 196, 208, 210, 212, 214 Moeller van den Bruck, Arthur 109, 116 Mohl, Robert von 144, 179 Mohler, Armin 15, 387 Mömesheim (Repetitor) 560 Monroe, James 255, 386 Montesquieu, Charles Louis de Secondat Baron de 268 Moras, Joachim 541 Morgenthau, Henry 369 Moritz, Bertha 327, 336 Morus, Thomas 289 Möser, Justus 231, 309, 341 Motz, Friedrich von 276, 458

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Personenregister

Müller, Georg 119 Müller, Gustav 126 Müller, Ludwig 528 Müller, Vincenz 563 Müssener, Hermann 55 Mussolini, Benito 73, 171, 265, 498, 579 Muth, Carl 55 Mutius, Bernhard von 24, 25, 39, 229, 488, 489 Mutschmann, Martin 538 Nagler, Josef 152 Napoleon I. Bonaparte 499, 500, 571, 572 Napoleon III., Kaiser 303 Naumann, Friedrich 87, 294, 329, 520, 521 Nawiasky, Hans 117, 126 Neeße, Gottfried 284 Nelson, Leonard 379 Neumann, Balthasar 234 Neumann, Franz 84 Nicolai, Helmut 179, 183 Niekisch, Ernst 128, 385 Niemeyer, Hella 246, 566 Niemeyer, Hellmut 303 Niemeyer, Johannes 246 Niemöller, Martin 529, 565 Nietzsche, Friedrich 276 Nikisch, Arthur 547 Nikolaus II., Zar 573 Nonnenbruch, Fritz 544 Oberheid, Heinrich 126, 127 Oelbermann, Robert 520 Oltmanns, Wilhelm 557 Oncken, Hermann 389, 559 Otero, Alfonso 108, 377, 379 Ott, Eugen 107, 114, 341, 361, 376, 523, 563 Otto I., der Große, Kaiser 108, 109 Otto II., Kaiser 109

Otto III., Kaiser 109 Paeschke, Hans 320 Panunzio, Sergio 146, 148 Papen, Franz von 20, 103, 110, 116, 298, 522, 562, 563, 575 Paulus 300 Peter I., Zar 556 Peter III. Fjodorowitsch, Zar 558 Peters, Hans 117, 131, 325, 335, 338, 341, 357 Peterson, Erik 53, 54, 66, 99, 249 Petrus 408 Pfeffer, Karl Heinz 251, 258 Pfenning, Andreas 544 Phidias 135 Picht, Georg 318, 566 Pinzger, Werner 210 Plessner, Helmuth 569 Plum, Maria 32, 324, 343 Poetzsch-Heffter, Fritz 213, 215, 218, 535 Popitz, Johannes 85, 91, 159, 228, 230, 239, 306, 341 Poppitz, Johannes 305 Predöhl, Andreas 176, 177, 178, 180, 181, 201, 208, 539 Prel, Maximilian du 185 Preuß, Hugo 20, 73, 414–417 Proudhon, Pierre-Joseph 460 Pütter, Johann Stephan 306 Quisling, Vidkun 501 Radbruch, Gustav 330, 334 Raiser, Ludwig 544, 545, 566 Rath, Klaus-Wilhelm 544 Raupach, Hans 33 Rauschning, Hermann 548 Reichwein, Adolf 523, 555 Reichwein, Rosemarie 523 Reinach, Heinrich 239

Personenregister Richelieu, Armand-Jean I. du Plessis, duc de 302 Riemer, Friedrich Wilhelm 271 Ries, Günther 537 Rinck, Gerd 569 Ritter, Gerhard 289 Ritterbusch, Paul 142, 144, 145, 147, 150, 154, 157, 159, 160, 184, 187, 190, 253, 282, 285, 534, 538, 539 Rohden, Peter Richard 285 Röhm, Ernst 192, 219, 536, 574 Roosevelt, Franklin D. 255 Rosenberg, Alfred 189 Roßkopf, Veit 83 Roth, Christian 385 Rothenbücher, Karl 574 Rothfels, Hans 335 Rousseau, Jean-Jacques 387, 578 Rudolf II., Kaiser 300, 302, 303, 306 Rust, Bernhard 137, 138, 286, 528 Saint-Simon, Henri de 329 Salz, Arthur 96 Sander, Hans-Dietrich 15 Sarwey, Otto von 104 Sautter, Guy/Gustav 496, 546 Savigny, Friedrich Carl von 363, 364 Scelle, Georges 475 Schacht, Hjalmar 116, 119, 329 Schäffle, Albert 179 Schaffstein, Friedrich 24, 142, 143, 147, 151, 152, 154, 160, 164, 184, 210 Schanz, Georg von 147 Scharnhorst, Gerhard von 458, 500, 501 Schelcher, Herbert 223 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 298 Scheuner, Ulrich 192, 294, 296, 336, 346, 356, 357, 384, 566 Schilling, Karl 180

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Schinkel, Karl Friedrich 276 Schlegelberger, Franz 328 Schleicher, Kurt von 20, 105, 116, 123, 125, 563, 564 Schlosser, Josef 54 Schmid, Carlo 390 Schmidt, Eberhard 334, 342 Schmidt, Karl 547 Schmidt, Lothar 568 Schmitt, Anima 108, 111, 122, 126, 129, 130, 139, 300, 319, 321, 322, 327, 336, 343, 348, 353, 355, 371, 377, 379 Schmitt, Anna 319 Schmitt, Auguste 319 Schmitt, Duschka 64, 66, 79, 83, 90, 106–108, 120, 122, 126, 129–131, 139, 141, 142, 145, 146, 148, 153, 158, 167, 172, 175, 176, 180, 183, 188, 190, 192, 193, 198, 201, 203, 205, 213, 216, 218, 221, 225, 227, 230, 244, 245, 249, 258, 318, 319, 321, 322, 327, 332, 338, 343, 347, 352, 355, 359, 367, 369, 371, 372, 488, 492, 493 Schmitt, Johann 300 Schmitt, Joseph 79, 106 Schmitt, Louise 300 Schmoller, Gustav von 337, 339, 346 Schneider, Hans 321, 348, 356, 384 Schneider, Peter 374, 375, 377, 390 Schnitzler, Georg von 340 Schnur, Roman 277 Schoeps, Hans-Joachim 326 Schrade, Hubert 492, 565 Schücking, Walther 22, 141 Schultes, Karl 330, 334 Schultze, Walther 538 Schulz, Fritz 205–208 Schulz, Suzanne 546 Schumann, Friedrich Karl 528 Schumann, Walther 567 Schürmann, Artur 544 Schütte, Ehrenfried 387

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Personenregister

Schwalb, Maximilian 119 Schweinichen, Otto von 231, 233 Seidl, Alfred 335 Shakespeare, William 299 Siebeck, Hans-Georg 31 Siebeck, Oskar 18, 39, 60, 62, 64, 82– 84, 86, 177, 178, 183, 192, 205, 208, 396–398, 539 Siebeck, Pauline 27 Siebeck, Richard 327, 355 Siebeck, Werner 62 Siebert, Wolfgang 142, 151, 197, 210, 231, 336, 342 Siegert, Rudolf 147 Simons, Gerhard 313 Simons, Hans 313 Simons, Tula s. unter Huber-Simons, Tula Simons, Walter 21, 185, 529, 565 Smend, Gisela 537 Smend, Rudolf 15, 28, 32, 39, 76, 87, 132, 138, 192, 275, 337, 360, 423, 429, 494, 537, 538, 547, 570, 575, 580, 581 Sohm, Rudolph 78, 329 Sombart, Werner 400 Sommer, Walther 544 Sophie von Hohenberg 573 Spann, Othmar 202, 213 Spann-Rheinsch, Erika 213 Spengler, Oswald 116 Stahl, Friedrich Julius 189, 233, 530 Stalin, Josef 498, 547 Stalling, Gerhard 118 Stalling, Heinrich 118, 119, 121, 123, 126, 133 Stalling, Paul 118 Stand, Anni 380 Stapel, Wilhelm 95, 136 Stauffenberg, Claus Schenk Graf von 142, 523 Steding, Christoph 268, 464

Stein, Karl Frhr. vom 283, 284, 288, 458, 500 Stein, Lorenz von 233, 266, 269, 274, 275, 280, 285, 289, 301, 309, 415, 450, 468–470 Steinlein, André 291 Steltzer, Theodor 326 Stier-Somlo, Fritz 101 Stödter, Rolf 271, 317, 319, 336, 348 Stoll, Heinrich 160, 208 Stolper, Gustav 96 Stratenwerth, Fritz H. 139 Strauss, Leo 334 Strauß, Walter 345 Streicher, Julius 198 Streng, Josef 388, 578 Streng, Peter 388, 578 Strich, Fritz 559 Strousberg, Bethel Henry 344 Stuckart, Wilhelm 222, 224, 282, 338, 541 Stülpnagel, Otto von 555 Stutz, Ulrich 132 Suidger, s. Clemens II. Suthoff-Groß, Rudolf 294–296, 315 Talleyrand-Périgord, Charles-Maurice de 499, 501 Tatarin-Tarnheyden, Edgar 189, 192, 200 Tertullian, Quintus Septimius Florens 92 Thibaut, Anton Friedrich Justus 363 Thieme, Hans 217 Thieme, Karl 356, 366 Thierfelder, Franz 201, 202 Thoma, Richard 20, 39, 87, 96, 100, 102, 103, 112, 131, 209, 330, 331, 334, 398, 399, 405, 461, 580 Thyssen, Fritz 203 Tirpitz, Alfred von 308 Tocqueville, Alexis de 293, 358, 368 Tommissen, Piet 14, 38

Personenregister Traub, Hellmut 522 Treitschke, Heinrich von 225 Triepel, Heinrich 86, 121, 123, 132, 138, 156, 157, 275, 481, 484, 486, 575 Trotzki, Leo 498 Tuchatschewsky, Michail Nikolajewitsch 498 Vahlen, Theodor 194 Victoria von Großbritannien 308 Vitoria, Francisco de 350, 353 Voegelin, Eric 81, 83, 334 Voigt, Richard 569 Vollert, Alma 166 Vorwerk, Friedrich 118, 125, 136, 319, 320, 527 Wach, Adolf 104 Wachs, Otto jun. 536 Wachs, Otto sen. 536 Waldecker, Ludwig 239 Walz, Ernst 117 Walz, Gustav Adolf 142, 144, 147, 160, 184, 238, 282, 349, 478 Warnach, Walter 377 Weber, Max 294, 340, 400, 574 Weber, Werner 77, 147, 197, 215, 218, 222, 240, 260, 270, 272, 279, 282, 288, 297, 336, 384, 489, 560, 569 Wedemeyer, Werner 181 Weichold, Eberhard 153 Weinreich, Paul 532

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Weizsäcker, Carl Friedrich von 314, 315, 325, 544, 565 Weizsäcker, Ernst von 325, 328, 335, 344, 346, 499, 503, 504 Wellington, Arthur Wellesley, Duke of 572 Welty, Eberhard 354 Weniger, Erich 555 Wieacker, Franz 209, 210, 212, 215, 222, 228, 229, 231, 324, 331 Wild, Eckart 303 Wild, Ernst (Großvater) 557, 558 Wild, Ernst (Onkel) 557 Wilhelm I., Kaiser 266, 464, 572 Wilhelm II., Kaiser 265, 266, 308, 344, 573 Wilhelm V. von Bayern 385 Willers, Bernhard 63 Wohlhaupter, Eugen 217, 537 Wolff, Friedrich Walter Paul 63 Wolff, Hans J. 149 Wölfflin, Heinrich 559 Yorck von Wartenberg, Ludwig 498 Zachariae, Heinrich Albert 117 Zachariae, Karl Salomo 117 Zelter, Carl Friedrich 271 Ziegler, Benno 157, 160, 169, 205, 229, 347, 349, 554 Ziegler, Wilhelm 157 Zwiedineck-Südenhorst, Otto von 177 Zycha, Adolf 62

Ortsregister Aachen 126 Agram, s. Zagreb Algier 545 Altenberg 29, 319, 326 Altenhundem 321 Amherst 89 Andernach 59 Anger 349, 352 Annaberg-Buchholz 166 Athen 135, 337, 368 Augsburg 306 Bad Godesberg 57, 59, 60, 64, 66, 395, 396, 398 Bad Harzburg 218 Bad Reichenhall 349, 350, 352 Bad Tölz 235 Baden-Baden 320 Bamberg 234, 235 Banz 234 Barcelona 315, 362, 400, 405 Barmen 78 Basel 66, 298, 522 Baton Rouge 81 Berchtesgaden 351, 352 Berlin 19, 20, 21, 23, 25, 54, 60, 67, 68, 71, 73–78, 83–86, 88, 90, 92, 95, 97–103, 105–110, 112–116, 118, 123–125, 128, 129, 131, 132, 134– 136, 138, 140, 143, 145, 152–158, 160, 163–165, 167–172, 176, 180, 181, 184, 186, 188, 190–199, 201, 203–206, 208, 209, 211, 213–216, 218, 220–226, 228, 230–232, 234, 236–247, 249–251, 253, 254, 256, 258, 261, 264, 269, 270, 272, 274, 275, 283, 285, 290–295, 298–302,

306, 307, 310–313, 317–321, 324– 326, 329, 349, 352, 353, 356, 358, 363, 365, 368, 382, 398–400, 405, 488–491, 493, 527, 529, 531, 535, 555, 559, 561–563, 565, 579, 580 Bern 559 Beuthen 125 Bielefeld 377 Birkenfeld 52, 521, 557 Bologna 99 Bonn 13, 17–19, 20, 33, 35, 52–54, 56–59, 62, 64, 66–69, 72–74, 76–78, 80, 86, 88, 91, 93, 94, 97, 100–105, 107, 112, 113, 115, 121, 126, 127, 130, 133, 136, 137, 139, 160, 206, 223, 239, 249, 260, 299, 315, 330– 332, 345, 346, 348, 353, 354, 356, 371, 376, 379, 383, 384, 386, 387, 389, 394–396, 398, 399, 521, 524, 537, 547, 559–562, 568, 575–581 Bozen 99 Braunsberg 77, 400 Braunschweig 108, 109, 111, 112, 162 Bremen 52, 162, 264, 536 Breslau 138, 141, 144, 147, 152, 173, 196, 217, 228, 321, 334 Brest-Litowsk 382, 384 Brilon 92, 129 Brüssel 558 Budapest 280, 281, 362 Bukarest 362 Burgbrohl 347 Bursfelde 263 Catania 266 Clermont-Ferrand 545 Cloppenburg 319, 321 Coimbra 315, 362

Ortsregister Dachau 520, 522, 529 Danzig 214, 286 Darmstadt 187 Delmenhorst 557 Dessau 162 Detmold 162 Dortmund 251 Dresden 234, 297 Duisburg 38, 166 Dürnbachschwand 199 Düsseldorf 115, 132, 173, 202, 203, 369, 373 Ebrach 377 Eisenach 528 El Alamein 555 Elberfeld 154 Eutin 557 Fahr 58, 59 Falkau 27, 28, 317, 332, 338, 342, 357, 494–496, 566 Fehrbellin 122 Fischhausen 199 Flensburg 153, 565 Florenz 99 Frankfurt a. M. 99, 133, 149, 196, 197, 206, 344, 345, 352, 356, 368, 390 Freiburg 77, 86, 172, 188, 196, 209, 289, 294, 321, 324, 327, 329, 331, 332, 346, 350, 355, 361, 367, 371– 373, 377, 378, 381, 383, 387, 388, 390, 492, 495, 567, 568 Fünfkirchen/Pécs 281 Gdingen 286 Genf 180, 259, 260, 473, 475, 479 Gießen 158, 528, 572 Görlitz 310 Goslar 166, 176, 221 Göttingen 28, 34, 76, 77, 117, 127, 143, 147, 160, 192, 209, 271, 315,

615

321, 324, 334, 348, 365, 366, 376, 379, 384, 495, 545, 547, 555, 568– 570, 576 Greifswald 61, 194, 271, 569 Großrückerswalde 166 Hagen 92, 106 Halberstadt 176 Halle 68, 69, 88, 93, 99, 111, 133, 182, 185, 218, 263, 523, 528 Hamburg 81, 90, 92, 95, 138, 153, 177, 181, 197, 230, 242, 264, 271, 300, 315, 317–319, 334, 348, 536, 554 Hannover 358, 524, 537 Hannoversch Münden 263 Heidelberg 27, 35, 70, 111, 117, 133, 158, 194, 201, 218, 225, 277, 294, 301, 305, 315, 318, 321, 327, 330, 334, 355, 363, 367–369, 377, 383, 492, 550, 551, 560, 566 Heikendorf 172, 195 Heiligenhafen 88 Hildesheim 109, 112 Hinterzarten 318, 327, 336 Husum 356 Idar 521, 558, 571 Idar-Oberstein 16, 51, 520 Indianapolis 331 Innsbruck 252, 271 Istanbul 337 Itzehoe 153 Jena 53, 99, 129, 177, 192, 202, 204, 319, 562 Kaiserslautern 51, 552 Karlsruhe 104, 127 Kassel 142–144, 146, 147, 149 Kaub 572 Kellenhusen 87, 88

616

Ortsregister

Kiel 22–24, 35, 85, 91, 100, 140–144, 146, 147, 149–151, 153, 154, 156, 158–161, 165, 166, 168–183, 186, 188, 190, 191, 193–196, 199, 201, 203–208, 210–215, 217, 218, 220, 221, 223–228, 230–240, 242, 243, 250, 253–256, 264, 266, 267, 272, 311, 331, 334, 471, 480, 488–492, 531, 534–537, 539, 550, 564, 565, 568, 576 Kiew 313 Kitzeberg 142, 171, 172, 174, 195 Koblenz 38, 52, 59, 133, 347, 521, 561 Köln 23, 52, 54, 57, 78, 79, 101, 104, 112, 116, 126, 131, 139–141, 145, 148–150, 153–156, 163, 260, 271, 331, 353, 358, 394, 399, 405, 419, 440, 490, 521, 561, 565, 569 Königsberg 91, 98, 141, 158, 177, 224, 305, 324, 335, 528, 531 Kowno/Kaunas 286 Kreisau 131 Kressbronn 535 Landeshut 537 Leiden 220 Leipzig 22, 23, 25, 26, 55, 77, 94, 104, 111, 123, 126, 127, 131, 137, 142, 143, 147, 150, 151, 153, 154, 156, 157, 172, 185, 197, 209, 215, 217, 233, 246, 250–253, 255, 256, 258, 259, 264, 267, 269, 270, 272, 273, 277, 278, 280–282, 284, 285, 287, 289, 297, 301, 305, 311, 325, 329, 334, 341, 354, 362, 452, 495, 529, 530, 536–539, 550, 558, 564, 565, 568, 575, 579 Lindau 525 Lissabon 314, 350 Lobeda 99, 319, 562 London 346, 368, 521 Lübeck 88, 91, 153, 162, 356 Ludwigslust 264, 266, 267 Madrid 312, 314, 315, 350, 362

Magdeburg 108, 109, 166 Mailand 99 Mainz 354, 356, 375, 382 Mannheim 81, 565 Marburg a. d. Lahn 138, 152, 160, 177, 196, 301 Marienburg 98 Meschede 90, 92 Metz 551, 552 Moskau 361, 555 Mülheim a. d. Ruhr 137 München 74, 77, 81, 89, 94, 99, 100, 128, 147, 148, 152, 157, 160, 188, 199, 201, 202, 213, 235, 319, 320, 335, 354, 380, 383, 385, 387, 389, 394, 409, 522, 538, 540, 541, 559, 574, 577 Münster 66, 147, 177, 251, 267, 376 Naumburg 234 Neapel 354 Neroth 520 Neuhaus (Schliersee) 199 Neustadt in Holstein 88 New York 97, 313 Nürnberg 30, 198–200, 219, 285, 289, 323–325, 328, 329, 333, 335, 338, 344–348, 369, 535, 536 Oberstdorf 198 Oberstein 16, 51–53, 55, 57, 58, 60, 61, 64, 65, 111, 136, 260, 286, 318, 338, 394, 521, 556–558, 571, 572, 579 Oldenburg 52, 116, 162, 529, 537, 557, 561 Osnabrück 231, 267 Paderborn 87 Paris 70, 97, 286, 289, 290, 301, 308, 311, 545, 555, 558 Pavia 266 Peking 361

Ortsregister Plettenberg 20, 69, 72, 78, 79, 90, 93, 99, 104, 106, 129, 130, 195, 207, 248, 253, 258, 312, 319–323, 327, 328, 336, 339, 347, 352, 354, 359, 368, 373, 375, 380, 382, 384, 387, 389, 390, 560, 562, 576, 580 Potempa 125 Potsdam 109, 558 Prag 337 Ragusa 68 Ravenna 226 Remscheid 133 Ried in Tirol 252 Riga 149, 286, 296 Rom 53, 99, 226, 579 Rostock 104, 189, 264, 331 Rotterdam 220 Rüstringen 557 Saarbrücken 287, 552 Sachsenhausen 529 Salem 318 Saloniki 296 Santiago de Compostela 39, 108, 377, 378 Sarajewo 573 Schliersee 199, 200 Schwerin 162 Serfaus 252 Smolensk 286 Soest 74 Speyer 277, 576, 579 Stalingrad 555 Stanford 81 Stockholm 337 Straßburg 22, 23, 25, 27, 35, 142, 143, 192, 196, 281–283, 285, 286, 289– 296, 300, 302, 303, 307–309, 311, 313–315, 317, 325, 329, 492, 493, 495, 537–539, 542–547, 549–553, 559, 563–566, 568

617

Streckewalde 166, 168, 319 Stuttgart 325, 346 Tokio 107, 346, 563 Trier 133 Tscherkassy 313 Tübingen 60, 90, 104, 158, 160, 172, 179, 201, 217, 277, 315, 318, 321, 324, 327, 329, 332, 333, 335, 337, 346, 356, 375, 383, 387, 389, 394, 528, 545, 558, 572 Utrecht 220 Varel 557 Versailles 259, 260, 267, 572 Vierzehnheiligen 234 Vilnius 286 Walberberg 353, 354 Washington 346, 354 Waterloo 572, 576 Weimar 87, 135, 259, 330, 389, 522 Werdohl 354 Wesseling 78 Wetzlar 29, 319, 326 Wien 81, 133, 179, 194, 202, 203, 233, 302, 305, 522, 571 Wilhelmshaven 34, 375, 376, 379, 556, 557, 567–570 Wismar 264 Wittenberg 540 Wolfenbüttel 189 Worms 339, 340 Wuppertal 154 Würzburg 327, 354 Zagreb/Agram 227, 229 Zürich 298, 329, 374, 559 Zweibrücken 552

Abb. 1: Ich „hoffe, daß ich gefunden habe, was Sie sich vorstellten“. Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, 1.11.1926.

Abb. 2: „Außergewöhnlich gute, juristische Leistungen“. Carl Schmitt an Hans-Georg Siebeck, 6.3.1927.

Abb. 3: „Geziemend eingeladen“. Öffentliche Antrittsvorlesung von Ernst Rudolf Huber an der Universität Bonn, 22.7.1931.

Abb. 4: „Illustration der Begriffe ‚Pluralismus‘ und ‚Polykratie‘“. Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Bologna 22.3.1932.

Abb. 5: „Fiat justitia, pereat Germania“. Huber: Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, 1932.

Abb. 6: Für „kommende Verfassungsdebatten […] von besonderer Wichtigkeit“. Werbeanzeige für Hubers „Reichsgewalt und Staatsgerichtshof“ im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 3.12.1932.

Abb. 7: „Die Leipziger Besprechung war ein so verheißungsvoller Anfang“. Nationalsozialistischer Juristentag in Leipzig, 2.10.1933.

Abb. 8: „Dem Meister und Lehrer der Geschichte, der Theorie und des Rechts der Verfassung“. Widmung von Ernst Rudolf Huber für Carl Schmitt in „Heer und Staat“ zum 11.7.1938.

Abb. 9: Das „weitaus beste Pferd in Ihrem Stall“ (C. Bilfinger). Ernst Rudolf Huber, 1937–1941.

Abb. 10: „Sie bestimmen die innere Situation der Zeit“. Carl Schmitt, 1936.

Abb. 11: „Nicht meine Schriften nur in Abwehrstellung […] lesen“. Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, 1.5.1934.

Abb. 12: Ein „aufschlußreicher Kommentar zur Zeitgeschichte“. Besprechung von Hubers „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches“, 1939.

Abb. 13: „Doktrinär-nationalsozia­ listische Staatsrechtswissenschaft“. Paul Ritterbusch (1900–1945), Staatsrechtler in Kiel.

Abb. 14: „Hegelianismus und ­preußische Staatsidee“. Karl Larenz (1903–1993), Rechtsphilosoph in Kiel.

Abb. 15: „Ob der kleine Wolfgang Dietrich überhaupt etwas mit juristischen Dingen zu tun bekommt“. Ernst Rudolf Huber mit dem etwa neun Monate alten Wolfgang Huber in Straßburg, 1943.

Abb. 16: „Hie und da sollte die Potenz der Wissenschaft doch sichtbar demonstriert werden“. Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, 6.4.1944, mit Notizen von Carl Schmitt.

Abb. 17: „Das Preußische differenzierter“. Rudolf Smend (1882–1975), Staatsrechtler in Göttingen.

Abb. 18: „Mein intelligentester und faulster Schüler“. Hellmut Becker (1913–1993), Verteidiger im Nürnberger Prozess, 1948 / 49.

Abb. 19: „In der Einsiedelei des Schwarzwalds“. Haus Sonnenschein, Falkau i. Schwarzwald, 1954.

Abb. 20: „Ich bin dem Ruf gern und mit vielen Hoffnungen gefolgt“. Übergabe des Rektorats der Hochschule für Sozialwissenschaften an Prof. Bruno Seidel, Wilhelmshaven, 1.4.1957. Huber 4. v. r.

Abb. 21: „Eine wesentliche Etappe auf dem sich neigenden Lebensweg“. Ernst Rudolf Huber am Vortragspult in Wilhelmshaven, ca. 1960.

Abb. 22: „Eine gute und zuverlässige Verbindung“. Ernst Forsthoff (1902–1974), Staatsrechtler in Heidelberg, ca. 1960.

Abb. 23: „Ein großer Vorteil für die Universität“. Werner Weber (1904–1976), Staatsrechtler, Rektor der Universität Göttingen, 1956–1958.

Abb. 24: „Lasse sich von Liberalen und Juden ‚verblüffen‘ “. Friedrich Schaffstein (1905–2001), Staatsrechtler in Göttingen, 1962.

Abb. 25: „Ungewöhnlich, hinreissend und ein bewundernswertes Zeichen einer vollen Begabung“. Franz Wieacker (1908–1994), Staatsrechtler in Göttingen, 1962.

Abb. 26: „Dem Zeitalter und seinen Gefahren in der geschlossenen Phalanx von 5 Jungen entgegentreten“. Familie Huber in Freiburg, 1963. V. l.n. r.: Ulrich Huber und Frau Erika, Tula Huber-Simons, Albrecht, Ernst Rudolf, Wolfgang und Konrad Huber. Gerhard Huber fehlt.

Abb. 27: „Dankbarkeit für Zuspruch und Widerspruch auf gemeinsamen und auf sich kreuzenden Wegen“. Ernst Rudolf Huber, 1972.

Abb. 28: „Ihre freundliche Erinnerung an die Zeit Ihrer Bonner Promotion“. Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, 25.10.1976.

Abb. 29: Ernst Rudolf Huber, 1985.