Konservatismus, Faschismus, reaktionäres geistiges „Erbe“: Tagung des Wissenschaftlicher Rat für Grundfragen der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus [Reprint 2021 ed.] 9783112542361, 9783112542354

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Konservatismus, Faschismus, reaktionäres geistiges „Erbe“: Tagung des Wissenschaftlicher Rat für Grundfragen der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus [Reprint 2021 ed.]
 9783112542361, 9783112542354

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ABHANDLUNGEN DER

AKADEMIE

DER

WISSENSCHAFTEN

Abteilung Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Räte Jahrgang 1979 • Nr. W 3

Tagung des Wissenschaftlichen Rates für Grundfragen der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus

Konservatismus— Faschismus— reaktionäres geistiges „Erbe"

AKADEMIE-VERLAG

• BERLIN

1979

DER

DDR

Herausgegeben im A u f t r a g e des Präsidenten der A k a d e m i e der Wissenschaften der D D R von V i z e p r ä s i d e n t A k a d e m i e m i t g l i e d Heinrich Scheel

Verantwortlich für dieses H e f t : A k a d e m i e m i t g l i e d M a n f r e d Buhr Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rates f ü r G r u n d f r a g e n d e r ideologischen Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus

Redaktionsschluß: 28. 11. 1978 Erschienen im Akademie-Verlag, D D R - 1 0 8 Berlin, Leipziger Str. 3 - 4 © Akademie-Verlag Berlin 1979 Lizenznummer: 202 • 100/207/79 Gesamtherstellung: V E B Druckhaus Kothen Bestellnummer: 753 7358 ( 2 0 0 1 / 7 9 / 3 / W ) LSV 0135 Printed in G D R D D R 4,50 M

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung Ludwig

Elm

Zu Situation, Problemen und Aufgaben unserer Auseinandersetzung mit dem Konservatismus der Gegenwart Manfred

5

Weißbecker

Zu einigen Ergebnissen, Problemen und Aufgaben der marxistisch-leninistischen Faschismusanalyse Eberhard

4

16

fromm

Zu einigen Problemen der Auseinandersetzung mit dem reaktionären geistigen „Erbe"

31

Vorbemerkung

Nachstehende Beiträge waren die Diskussionsgrundlage einer Arbeitstagung des W i s senschaftlichen Rates für Grundfragen der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus im M ä r z 1978 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Ziel der Arbeitstagung w a r die Gründung einer Arbeitsgruppe „Konservatismus" im Rahmen des Wissenschaftlichen Rates für Grundfragen der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus unter Leitung von L u d w i g Elm. Für die Veröffentlichung wurden die Beiträge unter Berücksichtigung der stattgefundenen Diskussion überarbeitet. D i e Veröffentlichung der Beiträge erfolgt, um die Forschungen zu Problemen des Konservatismus, des Faschismus und des reaktionären geistigen „Erbes", die in der ideologischen Auseinandersetzung immer größere Bedeutung gewinnen, zu aktivieren und auf einheitlicher konzeptioneller Grundlage zu gestalten. M a n f r e d Buhr

Ludwig Elm

Zu Situation, Problemen und Aufgaben unserer Auseinandersetzung mit dem Konservatismus der Gegenwart

Seit einiger Zeit gibt es in den imperialistischen Hauptländern eine nachhaltige Aktivierung von militant antikommunistischen, entschieden fortschrittsfeindlichen Richtungen, Schulen und Gruppierungen der bürgerlichen Ideologie und Politik. Das gilt in der Regel in hohem Maße für konservatives Ideengut, das in bestimmten Bevölkerungsschichten unmittelbar an solche skeptizistischen weltanschaulich-ideologischen Tendenzen sowie pessimistischen Stimmungen und Emotionen anknüpft, die die verstärkte Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Ordnung widerspiegeln. Ein westdeutscher Journalist bezeichnete Anfang 1978 in einer Reportage über die USA den rückläufigen Einfluß liberaler und die Zunahme konservativer Auffassungen und Haltungen als den charakteristischen Zug in weiten Kreisen. D i e „Mehrheit der Amerikaner" glaube „nicht mehr an die Allheilmacht staatlicher Lenkungen, und Regulierungen". Manches tendiere zu Lösungen „wie in vorliberalen Zeiten": „Die Revolution der steigenden Erwartungen, wie sie John F. Kennedy ausgerufen hatte, wird abgelöst von der Gegenreformation steigender Skepsis gegenüber der liberalen Politik, die, obwohl sie sich auf bedeutende Fortschritte in manchen Bereichen berufen kann, einen Gutteil der von ihr erweckten Hoffnungen enttäuscht." 1 A. A. Galkin konstatierte unlängst die „konservative Welle" in Westeuropa - insbesondere in der B R D - und wies auf wesensgleiche Prozesse und Erscheinungsformen in den USA hin. D i e sich vertiefende allgemeine Krise des Kapitalismus rufe auch im ideologischen Bereich heftige Erschütterungen hervor und verstärke den D r a n g zu extrem reaktionären Varianten der bürgerlichen Ideologie. 2 Der konservativen Strömung in der Bundesrepublik wandte sich R. Steigerwald in einer aktuellen Analyse zu und betonte ebenfalls die sozialökonomischen Widersprüche als Quelle und Grundlage reaktionärer Umgruppierungen in der bürgerlichen Ideologie: „Die Neubelebung des Konservatismus ergibt sich also aus dem Zusammenfallen eines Phasenwechsels in der allgemeinen Krise des Kapitalismus mit einer zyklischen Krise des Kapitalismus." 3 Diese und weitere neueste Einschätzungen stimmen weitgehend mit den bisher von Autoren der D D R vor allem zur konservativen Strömung in der B R D vorgelegten Analysen und Urteilen überein. 4 Inzwischen finden auch die philosophischen Grundlagen und Quellen der konservativen politischen Ideologie die notwendige erhöhte Aufmerksamkeit.^ Es handelt sich um geistige und politische Prozesse und Erscheinungen, die wesentlichen Einfluß sowohl auf die Klassenkämpfe im Innern der entwickelten kapitalistischen Länder als auch auf deren äußere Politik und die Gestaltung der internationalen Beziehungen erlangen, vor allem hinsichtlich der Auseinandersetzungen um den Stopp des Wettrüstens und um Schritte zur Abrüstung sowie überhaupt um die weitere Durchsetzung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz. Das gilt in hohem M a ß e für die B R D , die im folgenden exemplarisch besondere Berücksichtigung erfahren soll.

5

E i n charakteristisches M o m e n t der gesellschaftspolitischen und ideologischen Entwicklung in der Bundesrepublik besteht darin, d a ß sich im Verlauf und als vorläufiges E r gebnis widerspruchsvoller Anpassungsprozesse im letzten Jahrzehnt eine einflußreiche konservative Strömung in der Ideologie und Politik der Monopolbourgeoisie

heraus-

gebildet hat, so, wie sich generell spezifisch konservative Tendenzen und Züge in der bürgerlichen Ideologie verstärkt haben. Zwischen 1 9 6 7 und 1971 vollzogen exponierte Politiker und Ideologen des staatsmonopolistischen Herrschaftssystems eine W e n d e zur direkten, mehr oder weniger offenen und durchaus programmatischen Anknüpfung an die verhängnisvollen Traditionen des konservativen Denkens und politischen Handelns. Auffällige Zeichen dieser W e n d e waren K . Adenauers demonstratives

Einvernehmen

mit der Gründung der konservativen Deutschland-Stiftung einschließlich ihrer K o n r a d Adenauer-Preise ( 1 9 6 7 ) , die erstmalige Selbstcharakteristik der C S U in ihrem dritten Grundsatzprogramm als konservativ ( 1 9 6 8 ) sowie die in rascher Folge ab 1 9 6 8 entstandenen weiteren exponiert konservativen Zusammenschlüsse, Institutionen und Periodika. D i e s e W e n d e erfolgte vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des E n d e s der N a c h kriegsperiode sowie des Scheiterns des K a l t e n Krieges und der mit ihm wesensgemäß verbundenen - wesentlich durch den langjährigen Bundeskanzler und C D U - V o r s i t z e n den K . Adenauer repräsentierten - außen- und gesellschaftspolitischen Doktrinen und Leitbilder. Spätestens die Wirtschaftskrise von 1 9 6 6 / 6 7 signalisierte weitblickenden I d e o logen der imperialistischen

Bourgeoisie die Notwendigkeit,

sich langfristig auf

ver-

änderte innere und äußere Bedingungen und Erfordernisse des Klassenkampfes einzustellen. D a s rasche Scheitern- des vor allem von L . E r h a r d verfochtenen Modells der „Formierten Gesellschaft" stimulierte die Suche nach massenwirksamen Varianten einer ideologischen und strategischen Umorientierung. Inzwischen waren objektive und subjektive Voraussetzungen dafür herangereift, sich in einer veränderten W e i s e der ideellen wie politisch-moralischen

Hinterlassenschaft

des Konservatismus vor 1 9 4 5 zuzuwenden. D e r Imperialismus der B R D hatte in W e s t europa ökonomisch, politisch und militärisch eine Schlüsselposition erlangt. Getragen von der antikommunistischen Staatsdoktrin kam es in den sechziger Jahren zur Neubelebung nationalistischer Ideologien und Stimmungen sowie zu ideologisch-politischen Attacken für die Verjährung der Nazi- und Kriegsverbrechen, gegen die „Bewältigung der V e r gangenheit" und für eine extrem reaktionäre Umdeutung der jüngsten Geschichte. Initiiert von ultrakonservativen und neofaschistischen Gruppen entwickelte sich daraus bis in die Gegenwart in F o r m des konservativ-nationalistischen, militaristischen und pronazistischen Geschichtsbewußtseins eine wesentliche Komponente der gesamten Rechtsentwicklung. 6 D a s Vorprellen der N P D um 1 9 6 8 / 6 9 signalisierte den führenden Rechtskräften und ihrem Anhang

neue Möglichkeiten

der weiteren

politisch-ideologischen

Rechtsverschiebung. Gleichzeitig sahen sich diese Kreise neuen ideologischen Herausforderungen

seitens

des Sozialismus und aller antiimperialistisch-demokratischen Bewegungen gegenüber. In der Konstituierung der D K P im J a h r e 1 9 6 8 äußerte sich markant das veränderte K r ä f t e verhältnis, und es verschärfte sich angesichts neuer Voraussetzungen des ideologischen Klassenkampfes das D i l e m m a der in hohem M a ß e von der Intelligenz isolierten und in einem herkömmlichen Theorie-Defizit agierenden konservativ-nationalistischen, antidemokratischen K r ä f t e , nicht zuletzt der C D U / C S U . D i e Herausbildung der konservativen Strömung zu einer Hauptrichtung im Antikommunismus der herrschenden K l a s s e

6

w u r d e sowohl zur wesentlichen Komponente eines widerspruchsvollen - und bis heute keineswegs abgeschlossenen - Anpassungsprozesses reaktionärster K r ä f t e an die veränderten Existenzbedingungen des Imperialismus als auch zum Faktor, der die verschärfte Krisenhaftigkeit in allen gesellschaftlichen Bereichen reflektiert und ihrer volksund fortschrittsfeindlichen Bewältigung nutzbar gemacht werden soll. M i t dem Bezug auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund wollen wir uns vergegenwärtigen, d a ß unsere Auseinandersetzung mit dem Konservatismus nicht unbeeinflußt blieb von der Diskontinuität seiner Erscheinungsformen. Bis weit in die sechziger J a h r e überwogen verdeckte Varianten und Erscheinungsformen konservativer Ideen und Bestrebungen, insbesondere in Gestalt des politischen Klerikalismus, der A b e n d l a n d - und Europa-Ideologien sowie der Legenden von der „Sozialen Marktwirtschaft". Ein programmatischer Konservatismus w u r d e zunächst nur von peripheren Gruppen verfochten, beispielsweise der Deutschen Partei (DP) und der Abendländischen A k a d e m i e . Er wurde in unseren Analysen nur vereinzelt oder indirekt berührt. Eine größere Aufmerksamkeit fanden Ende der sechziger J a h r e die Gründung und die ersten Preis-Verleihungen der Deutschland-Stiftung. Danach gab es eine rückläufige Tendenz in der Analyse und Wertung der sich um ein „zeitgemäßes" Selbstverständnis bemühenden konservativen Ideologen und Politiker, die analog für andere reaktionäre Richtungen w i e Faschismus und Neofaschismus, Revanchismus und Militarismus festzustellen ist. Die erneute verstärkte Zuwendung zu den extrem reaktionären Richtungen imperialistischer Ideologie und Politik ab 1974 erhält durch deren wachsenden Einfluß Auftrieb. E t w a seit 1976 bestätigen Untersuchungen verschiedener gesellschaftswissenschaftlicher Disziplinen - Philosophie, Geschichte, Staats- und Rechtswissenschaft, Erziehungswissenschaft, Kultur- und Kunstwissenschaft u. a. - , d a ß die konservative politische Ideologie in der Bundesrepublik zu einem wesentlichen, in manchen Bereichen bestimmenden Faktor politisch-ideologischer Prozesse geworden ist. In unseren Auseinandersetzungen begegnen wir der Kontinuität und Diskontinuität von Richtungen der politischen Ideologie und Gesellschaftstheorie als Moment der Krise der bürgerlichen Ideologie und ihrer geschichtlichen Ziellosigkeit. D a m i t werden konzeptionelle und methodologische Probleme unserer Arbeit bemüht, die kritisch zu reflektieren sind. Es gab A n f a n g der siebziger J a h r e die Tendenz, angesichts des veränderten Kräfteverhältnisses in der Welt, der neuen Existenzbedingungen des Imperialismus und des ihm objektiv auferlegten Anpassungszwanges, d a ß sich die flexibleren Ideologien und Konzepte, insbesondere die sozialreformistischen, in den Vordergrund schoben. Das äußere Erscheinungsbild der B R D zwischen 1969 und 1974 begünstigte diese Tendenz, z. B. durch die Bildung der SPD/FDP-Koalitian in Bonn, die rückläufige Entwicklung des organisierten Neofaschismus, die weltpolitisch bedeutsamen, seit 1970 völkerrechtlich verankerten Niederlagen des Revanchismus sowie die Rückschläge und tiefgehenden Orientierungsprobleme der CDU/CSU. Allerdings wurden aus solchen, zum Teil auch nur zeitweisen oder nicht definitiven, Vorgängen und Ereignissen zu weitreichende Schlüsse hinsichtlich der abnehmenden Bedeutung der offen reaktionären Spielarten imperialistischer Ideologie und Politik abgeleitet. So erschien die unbewältigte faschistische Vergangenheit in der B R D nahezu als ein anachronistisches Thema, das sich mit dem Generationswechsel mehr oder weniger von selbst erledigen würde. Aber es w a r zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigt, Grundprobleme unseres Jahrhunderts wie Faschismus und Neofaschismus - und auch in diesem Zusammenhang Wesen und Rolle des Konservatismus der Vergangenheit und Ge7

genwart - vorrangig aus dem Aspekt der Generationen statt im Zusammenhang mit dem Imperialismus zu betrachten. Methodologische Schlußfolgerungen, die keineswegs völlig neue Einsichten darstellen, aber im Hinblick auf ihre Beherrschung und Anwendung zu aktualisieren sind, beziehen sich auf solche Gesichtspunkte wie: — Die Dialektik der von W . I. Lenin charakterisierten beiden grundlegenden Herrschaftsmethoden der Bourgeoisie schließt ein, daß zeitweilig die eine oder andere Methode in den Vordergrund tritt, jedoch ihr Pendant damit weder völlig unwirksam noch in eine definitiv untergeordnete Rolle verwiesen wird. — Das zugunsten der Kräfte des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus veränderte Kräfteverhältnis in der Welt und seine komplexe Einwirkung auf die Gesamtheit der Existenzbedingungen des gegenwärtigen Imperialismus heben dessen extrem reaktionäre Wesenszüge und Tendenzen keineswegs auf Sie erzwingen vielmehr auch bei ihnen Modifikationen und Anpassungen (die der Natur dieser Kräfte gemäß allerdings schwerfälliger verlaufen als bei den flexibleren Richtungen). -- D i e Erkenntnisse über die allgemeine Krise des Kapitalismus sowie deren aktuellste Stufe und Erscheinungsformen sind konsequenter hinsichtlich der möglichen oder wahrscheinlichen politischen und weltanschaulich-ideologischen Wirkungen und Folgeerscheinungen anzuwenden, darunter vor allem bezüglich der in der erhöhten politischen Labilität begründeten möglichen Umgruppierung politischer Hauptkräfte sowie entsprechender Veränderungen der vorherrschenden Ideologien und Strategien. Aus solchen Erfahrungen und im Hinblick auf künftige Erfordernisse der ideologischen Klassenauseinandersetzung ist es wichtig, von welchen Ansatzpunkten und E r kenntnismöglichkeiten her frühzeitig und zugleich relativ zuverlässig neue, veränderte Richtungen, Varianten und Tendenzen der bürgerlichen Ideologie zu erkennen sind. Diese Problematik ist vielschichtig und verdient stets erneut Berücksichtigung und E r örterung. In diesem Zusammenhang sind methodologische Bemerkungen von W . I. Lenin bei seiner Verallgemeinerung von Erfahrungen der Bolschewiki äußerst lehrreich. Bezogen auf die vorrevolutionäre Situation von 1903 bis 1905 schrieb er: „Die Emigrantenpresse im Ausland wirft theoretisch alle Grundfragen der Revolution auf. D i e Vertreter der drei Hauptklassen, . . ., nehmen im äußerst erbitterten Kampf der programmatischen und taktischen Auffassungen den kommenden offenen Kampf der Klassen vorweg und bereiten ihn vor." Und Lenin fuhr fort: „Alle Fragen, um derentwillen der bewaffnete Kampf der Massen in den Jahren 1 9 0 5 - 1 9 0 7 und 1 9 1 7 - 1 9 2 0 geführt wurde, kann (und soll) man, in ihrer Keimform, an Hand der damaligen Presse verfolgen . . . Richtiger: im Kampf der Presseorgane, Parteien, Funktionen und Gruppen kristallisieren sich jene ideologischen und politischen Richtungen heraus, die wirklich klassenmäßig bestimmt sind; die Klassen schmieden sich die nötigen ideologischen und politischen Waffen für die kommenden Schlachten." 7 Natürlich zeichnen sich revolutionäre und vorrevolutionäre Situationen durch eine besondere Intensität und Dynamik der ideologisch-politischen, klassenmäßigen Klärungsprozesse aus. Jedoch sind die Bemerkungen Lenins darüber hinaus lehrreich und bezeichnen etwas Allgemeingültiges. Es geht darum, neue Tendenzen der Ideologie und Politik, „die wirklich klassenmäßig bestimmt sind", bereits „in ihrer Keimform" aufzudecken und zu verfolgen. Es genügt nicht, sie erst zu registrieren, wenn sie als allgemeiner oder gar vorherrschender Bestandteil der Klassenkämpfe in Erscheinung treten. Diese Be-

8

trachtung soll an Beispielen bei der Herausbildung und Profilierung der konservativen Strömung der B R D veranschaulicht werden. Der

Publizist R . Altmann hat bereits A n f a n g der sechziger J a h r e K r i t i k an

der

C D U geübt und dies nicht auf ihre Organisation beschränkt: „Auch im Ideologischen ist sie im unreinen mit sich selbst." E s gäbe Bestrebungen zu einer klerikalen „Sozialideologie" wie zu einem Neokonservatismus und sei „nicht zufällig, d a ß die konservativen Kreise der C D U bisher keinen verbindlichen Staatsbegriff entwickelt haben. Selbst in der Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus spielen konservative Argumente keine führende R o l l e . " Nach Adenauer, folgerte Altmann, „wird man den Standort der C D U präziser formulieren müssen. D e r konservative Jugendstil wird dann nicht einmal ausreichen, um nur der Fassade der Partei ein einheitliches, in die Zukunft weisendes Gesicht zu geben." E s ginge entscheidend um „eine bessere ideologische Ausstattung unserer Politik". 8 E i n e ausgiebige Erörterung führender Ideologen und Politiker über Wesen und Chance eines wiederbelebten und angepaßten Konservatismus in der in Westberlin erscheinenden Zeitschrift „ D e r M o n a t " im J a h r e 1 9 6 2 -

darunter B e i t r ä g e von E .

Gerstenmaier,

G . M a n n , H . - J . v. Merkatz, A . Möhler, C. v. Schrenck-Notzing und H. Zehrer -

ließ

ebenfalls relativ frühzeitig erkennen, d a ß veränderte historisch-politische Bedingungen und Bedürfnisse die Wiederaufnahme der konservativen Linie einflußreichen Rechtskräften als gangbar und erstrebenswert erschien. - D i e damit angedeutete Initiativfunktion reaktionärer Intellektueller

enthält einen weiteren

methodologisch

bedeutsamen

Aspekt. E r ist darin zu sehen, d a ß die Verfechter extremster volks- und fortschrittsfeindlicher Positionen über mehr oder weniger längere Perioden ohne auffällige Resonanz und Einflußnahme, teilweise geradezu in der R o l l e von Außenseitern, solche A n schauungen und Leitbilder wahren und vorwegnehmen, die unter veränderten Voraussetzungen auch für Hauptrichtungen der bürgerlichen Ideologie und Politik bedeutend werden. D a s l ä ß t sich beispielsweise an den militaristischen, nationalistischen und pronazistischen Auffassungen und Zielen der Deutschen Partei ( D P ) der Nachkriegsperiode nachweisen. D a s ist anschaulich sichtbar im F a l l e des eifrigen Propagandisten des Preußentums, H . - J . Schoeps. Ü b e r viele J a h r e erschienen seine zahlreichen Veröffentlichungen als anachronistische Produkte eines konservativen Sektierers für einen politisch relativ bedeutungslosen Interessentenkreis. In der Gegenwart wird er mit der autoritär-militaristischen, nationalistischen und unsozial-antigewerkschaftlichen Substanz seines politischwissenschaftlichen Lebenswerkes für konservativ-antidemokratische Bestrebungen äußerst aktuell und nützlich. In einem ganzseitigen Beitrag in der von F. J . Strauß herausgegebenen Wochenzeitung bejahte er die Frage nach einer preußischen Sendung in unseren Tagen. D a s gelte für das Überindividuelle und die preußische Staatsidee, darunter „die rauhe L u f t der Pflichterfüllung", „der dauernde Zwang zur Leistung als harte sittliche Bewährungsprobe" und den Staatsdienst, der „immer auch ein Stück Selbstverleugnung" sei. 9 Schoeps hat die M o t i v e für das aktuelle Interesse der herrschenden K l a s s e am Preußentum wohl verstanden. Schließlich ergeben sich aus den, in unseren Arbeiten zum Konservatismus allerdings völlig ungenügend entwickelten, Analogien der wesensverwandten K r ä f t e und Richtungen in verschiedenen imperialistischen Ländern wertvolle Anhaltspunkte für langfristige Tendenzen. Beispielsweise hat B . A. Schabad in den sechziger Jahren eine Einschätzung des Neokonservatismus der fünfziger und frühen sechziger J a h r e in den U S A vorgelegt. D i e Einzelaussagen, wie die Gesamtbeurteilung, stimmen im historisch-klassenmäßigen

9

W e s e n völlig mit den neueren Darstellungen zum Konservatismus der B R D

überein. 1 0

Angesichts der Phasenverschiebung im Hervortreten der exponierten konservativen Strömung in der B R D im Vergleich zu den U S A wären letztere heute ein interessantes U n tersuchungsfeld für mögliche langfristige Tendenzen und Erscheinungsformen

konser-

vativer Ideologie und Politik. E i n i g e Bemerkungen zum Platz der konservativen politischen Ideologie und G e s e l l schaftstheorie im Gesamtprozeß der Rechtsentwicklung in der Bundesrepublik

sowie

anschließend zu ihrer spezifischen substantiellen Widersprüchlichkeit. D a s K e r n p r o b l e m der Frage nach der Einordnung des gegenwärtigen Konservatismus in das

gesamte,

heterogene extrem reaktionäre Potential des Imperialismus der B R D ist sein Verhältnis zu Faschismus und Neofaschismus - sowohl in der historischen Dimension der F a k t e n und Erfahrungen seit den zwanziger Jahren als auch in bezug auf das aktuelle W e c h s e l verhältnis. D a b e i ist immer wieder die D i a l e k t i k von historisch-klassenmäßiger

We-

sensverwandtschaft und den daraus entspringenden grundlegenden Gemeinsamkeiten von Konservatismus und Faschismus einerseits und definierbaren Unterschieden, Widersprüchen und selbst partiellen Gegensätzen beider Richtungen andererseits zugrundezulegen. D a die folgenden Bemerkungen die integrierenden M o m e n t e hervorheben, ist zu b e tonen, daß eine Verwischung der Unterschiede politisch wie wissenschaftlich unzulässig und unhaltbar ist. 1 1 E i n wesentliches neues M o m e n t im rechten Lager der B R D ist die fortgeschrittene Stufe der objektiven Annäherung, Verflechtung und Verschmelzung der konservativen Ideologie mit anderen extrem reaktionären, insbesondere auch mit pronazistischen und neofaschistischen Positionen und Konzeptionen. Aus durchsichtigen taktischen E r w ä g u n gen der konservativen Führungskräfte nimmt das bisher und in absehbarer Zeit allerdings kaum die Gestalt direkter politisch-organisatorischer Kooperation und Bündnisse an. Mehr als zwei Jahrzehnte hatten die Repräsentanten der herrschenden K l a s s e der Bundesrepublik selbst das offene und direkte Bekenntnis zur konservativen T r a d i t i o n vermieden. Seither sind sie weiterhin zumindest auf eine bestimmte Distanzierung vom Faschismus aus außen- wie innenpolitischem, weltanschaulich-ideologischem wie taktischem K a l k ü l angewiesen. W e n n ihre Situation im Klassenkampf, das Kräfteverhältnis und der verbliebene Handlungsspielraum den Übergang zu faschistischen

Herrschafts-

methoden nicht zwingend notwendig machen, dann schließt das Interesse an einer m a ximalen Manövrierfähigkeit auch die funktionelle und taktische, nicht grundsätzliche, aber verbale Distanzierung von Faschismus und Neofaschismus, von dem -

allerdings

immer enger gefaßten - „Rechtsradikalismus" ein. D i e fortschreitende objektive Annäherung der konservativen anderen

Fraktionen im extrem reaktionären

Lager

Hauptkräfte an

einschließlich

des

alle

Neofaschismus

und ihre Verflechtung mit diesen umfaßt vor allem — die Identität oder Verwandtschaft und N ä h e ihrer weltanschaulich-ideologischen T r a ditionen, Quellen und G r u n d l a g e n ; — die grundsätzlich, nämlich im historisch-klassenmäßigen

Inhalt,

übereinstimmende

Programmatik und Strategie sowie — den extrem

reaktionären

Charakter

des politischen

Konzepts,

die Identität

der

Gegner und die effektive R o l l e im Klassenkampf. D i e Beweisführung für diese Feststellungen wurde in vorliegenden Arbeiten begonnen; angesichts des Ranges dieser Problemstellung bildet sie jedoch auch künftig eine vorrangige Aufgabe im Sinne weiterführender, vertiefender und umfassenderer U n t e r -

10

suchungen, Darstellungen und Wertungen. Einige Ansatzpunkte dafür sollen knapp umrissen werden. F. J . Strauß, die Mehrheit der Führung und Funktionäre der CSU sowie der von A . Dregger und H. Filbinger angeführte rechte Flügel der C D U bilden den Kristallisationspunkt im gesamten extrem reaktionären L a g e r der Bundesrepublik. Führende konservative Ideologen wie H. Lübbe, G.-K. Kaltenbrunner, A . Möhler, H.-D. Ortlieb, G. Rohrmoser, H. Schelsky und C. v. Schrenck-Notzing orientieren sich in ihren politischen Konsequenzen auf jene Führungsgruppe und Linie in den Unionsparteien. Sie bekunden dies gleichermaßen durch ihr Votum für deren Generallinie w i e durch eine permanente, mehr oder weniger grundsätzliche und scharfe Polemik gegen den flexibleren Kurs der Mehrheit der CDU-Führung und ihre Anhängerschaft. Die innere Logik des zeitgenössischen konservativen Ideenguts und seiner historisch-klassenmäßigen Funktionen drängt im politischen R a u m folgerichtig zu extrem reaktionären Konsequenzen. Darüber hinaus betrachten maßgebende Vertreter und Gruppierungen aller militant antikommunistischen, antidemokratischen und erklärt fortschrittsfeindlichen Bewegungen der Bundesrepublik - und teilweise in anderen Ländern w i e Österreich, Italien, Spanien, Portugal u. a. - Strauß und Dregger als Verfechter eigener Bestrebungen, sympathisieren mit ihnen und entwickeln W e g e und Formen zu ihrer Unterstützung sowie zur Förderung gemeinsamer rechter Sammlungsbestrebungen. Ein wichtiges Feld künftiger Untersuchungen sind die fließenden Übergänge in der Ideologie und politischen Programmatik zwischen Konservatismus und Faschismus. D a bei sind auch die intensiven Wechselwirkungen solcher integrierender ideologisch-politischer Komponenten wie Nationalismus, Militarismus, Rassismus, Revanchismus und Kolonialismus einzubeziehen. Zugleich verdienen solche Bereiche des gesellschaftlichen Bewußtseins besondere Aufmerksamkeit, die bevorzugte Ansatzpunkte der extrem reaktionären Ideologie sind, darunter insbesondere das Geschichtsbild. - Schließlich sind die sozialökonomischen Hintergründe und Triebkräfte sowie die soziologischen und sozialpsychologischen Bedingungen und Faktoren des Ausbreitens konservativer Ideologie zu erforschen. D i e konkreten strukturellen, institutionellen und personellen Zusammenhänge und Verflechtungen der konservativen Strömung im staatsmonopolistischen Herrschaftssystem der B R D im allgemeinen und speziell innerhalb des reaktionären Lagers sind differenziert aufzudecken und darzustellen. Inwieweit ist mit dem Konservatismus als einer Grundrichtung, einer langfristig wichtigen und wirksamen Richtung der bürgerlichen Ideologie, zu rechnen? Ist es möglich, d a ß wir bestimmte zeitweilige Erscheinungen überschätzen oder uns zu sehr von Plänkeleien innerhalb der bürgerlichen Ideologie beeindrucken lassen? W i e w i r d sich unter den heute absehbaren Bedingungen wahrscheinlich die D i a l e k t i k von Kontinuität und Diskontinuität dieser Strömung, w i e ihre Rolle unter den verschiedenen Spielarten des Antikommunismus gestalten? Eine Reihe historischer und internationaler Erfahrungen sowie objektiver Faktoren sprechen offensichtlich dafür, d a ß es sich beim Konservatismus um eine wesentliche und charakteristische Ausdrucksform des fortschrittsfeindlichen Charakters und der Aggressivität des Imperialismus sowie der Krise der bürgerlichen Ideologie handelt. Die relativ lange Verdrängung aus dem Spektrum der vorherrschenden ideologischen Richtungen in der B R D erklärt sich wesentlich aus der spezifischen Rolle des Konservatismus in Deutschland zwischen 1918 und 1933. Bestimmte, in Gesetzmäßigkeiten unserer Epoche wurzelnde Faktoren, Triebkräfte und M o t i v e geben den entschieden antikommunistischen, gegenrevolutionären Strömungen - darunter dem

11

K o n s e r v a t i s m u s - A u f t r i e b . Zu den wichtigsten g e h ö r e n : — D a s W a c h s t u m und d i e zunehmende internationale R o l l e des Sozialismus, das w e i t e r e Voranschreiten des gesamten revolutionären Weltprozesses und d i e progressive V e r ä n d e r u n g des K r ä f t e v e r h ä l t n i s s e s verstärken im R a h m e n der widersprüchlichen R e aktionen und Schlußfolgerungen der Monopolbourgeoisie auch jene K r ä f t e und B e strebungen, d i e auf eine Befestigung und V e r h ä r t u n g der gegenrevolutionären Politik und Ideologie drängen. D e r Besuch von S t r a u ß bei Pinochet w a r in diesem Sinn ein sehr folgerichtiger Schritt, der durchaus programmatischen C h a r a k t e r hat. — D i e krisenhafte innere E n t w i c k l u n g in der W e l t des K a p i t a l s , ihre gesellschaftspolitischen A u s w i r k u n g e n und die erhöhte politische L a b i l i t ä t stimulieren d i e Suche nach autoritären und antidemokratischen L ö s u n g e n ; d a r ü b e r hinaus erzwingen d i e w i r t schafts- und sozialpolitischen Schlußfolgerungen der herrschenden K l a s s e aus d e r krisenhaften E n t w i c k l u n g eine Zurücknahme sozialreformistischer und d i e Z u n a h m e autoritär-repressiver Herrschaftsmethoden. -- D i e . Verschärfung des ideologischen K l a s s e n k a m p f e s schließt ein, d a ß er hinsichtlich der sozialen Systeme, der Wirtschaftsordnung, der politischen V e r f a s s u n g s o w i e der Stellung und R o l l e des Menschen w i e der Q u a l i t ä t der sozialen Beziehungen immer grundsätzlicher g e f ü h r t w i r d . D a r i n liegen auch A n t r i e b e und Chancen für d i e militanten V a r i a n t e n des A n t i k o m m u n i s m u s . D i e M o b i l i s i e r u n g des r e a k t i o n ä r e n geistigen Erbes verstärkt diese Tendenzen. — Schließlich sind innerhalb des Spektrums der reaktionären I d e o l o g i e und Politik d i e „Vorzüge" der konservativen gegenüber der faschistischen Herrschafts Variante zu berücksichtigen. D i e historischen und d i e zeitgenössischen E r f a h r u n g e n mit d e m Faschismus sind für d i e imperialistische Bourgeoisie durchaus z w i e s p ä l t i g . Sie w i r d ihren H a n d l u n g s s p i e l r a u m im R a h m e n formal fortbestehender b ü r g e r l i c h - p a r l a m e n tarischer Strukturen und V e r h ä l t n i s s e m a x i m a l auszuschöpfen versuchen und d i e a n t i demokratischen Entwicklungen möglichst auf dem W e g e der autoritären A u s h ö h l u n g demokratischer Rechte und Freiheiten sowie des A u s b a u e s des U n t e r d r ü c k u n g s a p p a rates vollziehen. Abschließend zu einigen A s p e k t e n der spezifischen Widersprüchlichkeit des A u f t r e t e n s und der ideologisch-politischen Substanz des g e g e n w ä r t i g e n Konservatismus, d i e ebenfalls Ansatzpunkt und G e g e n s t a n d w e i t e r f ü h r e n d e r A r b e i t sein können. D a b e i ist z u nächst von d e m g r u n d l e g e n d e n , seiner N a t u r nach antagonistischen W i d e r s p r u c h a u s z u gehen, der zwischen d e m W e s e n , d e m H a u p t i n h a l t und der Hauptrichtung unserer m i t der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution eingeleiteten Epoche des Ü b e r g a n g s v o m K a p i t a l i s m u s zum Sozialismus einerseits, und dem gegenrevolutionären A u f t r a g u n d Anspruch des zeitgenössischen konservativen D e n k e n s und politischen H a n d e l n s a n d e r e r seits besteht. Es ist der W i d e r s p r u c h zwischen einem in der geschichtlichen D i m e n s i o n , in der gesellschaftlichen B r e i t e und T i e f e zuvor nicht erlebten revolutionären W e l t p r o zeß und den ihm frontal entgegengestellten Ideen und L e i t b i l d e r n einer Strömung d e r politischen I d e o l o g i e und Gesellschaftstheorie, die schlechthin V e r k ö r p e r u n g der F o r t schrittsfeindlichkeit und des G e g e n r e v o l u t i o n ä r e n darstellt, d i e in der i d e e l l e n und m o r a lischen T r a d i t i o n jener Klassen, Schichten und G r u p p e n seit d e m 18. J a h r h u n d e r t a u f tritt, d i e geschichtlich und gesellschaftlich perspektivlos w a r e n , schließlich stets gesetzm ä ß i g unterlagen und von der historisch-politischen Szene abtraten. H e u t e w e n d e t sich der Konservatismus p r i m ä r gegen d i e in objektiven G e s e t z m ä ß i g k e i t e n b e g r ü n d e t e u n d von K. M a r x und F. Engels a u f g e d e c k t e historische Mission der A r b e i t e r k l a s s e und i h r 12

Ziel der Schaffung der kommunistischen Gesellschaftsformation. Seine Alternative ist der Verzicht auf diesen einzigen W e g zur Lösung der sozialen Grundfragen und das A n gebot der unbegrenzten Verlängerung - bzw. der Wiederherstellung - der durch schärfste soziale Widersprüche und das prinzipielle Unvermögen zur Lösung der echten Menschheitsfragen

charakterisierten

monopolkapitalistischen

Eigentums-,

Ausbeutungs-

und

Herrschaftsverhältnisse. Aus diesem entscheidenden, objektiv begründeten und unter konservativen Prämissen unaufhebbaren Widerspruch leiten sich direkt und vermittelt Widersprüche innerhalb der konservativen politischen Ideologie ab, die vielfach durch unterschiedliche oder gar konträre Auffassungen verschiedener Ideologen und Schulen des Konservatismus

ver-

schärft werden und bis in die jeweiligen programmatischen und strategischen Schlußfolgerungen wirken. D a s betrifft u. a. folgende Problemkreise und F r a g e n : — Seinen Traditionen, hauptsächlichen philosophischen Grundlagen, und seinem A u f trag nach wendet sich konservatives D e n k e n gegen Aufklärung, Rationalismus, E r kennbarkeit und Beherrschbarkeit der W e l t sowie gegen optimistische Grundauffassungen von den Möglichkeiten und Perspektiven des wissenschaftlichen, technischen und sozialen Fortschritts. Andererseits erzwingen die heutigen Existenzbedingungen des Imperialismus bestimmte Schlußfolgerungen, die sich - wenn auch durch reaktionäre Klasseninteressen deformiert und mißbraucht - auf Erkenntnisse, Rationalität und technischen Fortschritt gründen, beispielsweise Naturwissenschaft und Technik als wesentliche Bedingungen des Profitstrebens, des Militarismus, der Aggressivität u. a. O d e r die R o l l e der Sozialwissenschaften im ideologischen K a m p f und zur Manipulierung der Werktätigen. Nicht zufällig stützen sich die Versuche zur theoretischen Fundierung des konservativen Denkens heute immer mehr auf die pseudowissenschaftliche Inanspruchnahme von Disziplinen wie Anthropologie, Verhaltensforschung, Genetik, Ökologie, Psychologie u. a. — D i e im philosophischen Anthropologismus wurzelnde konservative Konstruktion eines unaufhebbaren

Grundkonflikts

zwischen Individuum

und

Gesellschaft

dient

der

Aktualisierung der elitären, gegen die Anerkennung sozialer Gesetzmäßigkeiten und der R o l l e der Volksmassen gerichteten Züge der konservativen Ideologie. D a s wird prononciert verfochten unter geschichtlichen Bedingungen, bei denen die Entwicklungsstufe der Produktivkräfte, insbesondere der G r a d der Arbeitsteilung und der Vergesellschaftung immer zwingender zu solchen sozialen Lösungen drängen, die reale Möglichkeiten eröffnen zur grundsätzlichen Übereinstimmung

(Vereinbarkeit)

persönlicher und gesellschaftlicher Interessen. --

Als V a r i a n t e einer relativ offenen Apologetik des heutigen Monopolkapitalismus befindet sich der Konservatismus im D i l e m m a . Einerseits versucht er möglichst offensiv und unverwechselbar die eigenen Positionen darzustellen und andererseits zugleich bestimmten Anforderungen der herrschenden K l a s s e an die Massenwirksamkeit zu genügen. Dies umsomehr, als dem Konservatismus solche Waffen nicht in gleichem M a ß e zur Verfügung stehen, mit denen faschistische Bewegungen und Diktaturen dies zu kompensieren suchen: antikapitalistische D e m a g o g i e und Terror. D i e Antinomie von Freiheit und Gleichheit im konservativen D e n k e n ist ein markanter Ausdruck jenes D i l e m m a s , das durch die neuen M o m e n t e in der allgemeinen Krise des Kapitalismus weiter verschärft wird.

— D e r pessimistische und skeptizistische Grundzug des Konservatismus, insbesondere auch in seinem Menschenbild und seiner Gesellschaftstheorie, kollidiert permanent

13

und zunehmend mit dem Zukunftsoptimismus des Sozialismus und aller antiimperialistisch-demokratischen Bewegungen. Deren Ausstrahlung muß unter den Bedingungen des neuen Kräfteverhältnisses zwischen Fortschritt und Reaktion in unserer Zeit seitens der bürgerlichen Ideologie auch durch scheinoptimistische Züge begegnet werden. Deshalb drängen, im Widerspruch zum eigenen gesellschaftspolitischen Grundanliegen, einzelne konservative Ideologen und Politiker immer w i e d e r zur liberalen, sozialen reformerischen Etikettierung der antiliberalen, unsozialen und reformfeindlichen Bestrebungen. Die Massenwirksamkeit der reaktionären K r ä f t e kann damit partiell erhöht, andererseits die Militanz und Stoßkraft gegen den Fortschritt beeinträchtigt werden. Soweit zu einigen solcher Widersprüche, die in dieser oder jener W e i s e für die Gesamtheit gegenwärtiger konservativer Auffassungen und Leitbilder charakteristisch sind. Sie setzen sich in Einzelthemen und spezielleren Gegenständen fort und sind auch dort in unseren weiteren Untersuchungen aufzudecken. D i e exemplarische Erörterung unseres allgemeineren Themas anhand der Prozesse und Tendenzen in der B R D soll am Ende unter zwei Gesichtspunkten in d i e umfassendere A u f g a b e im theoretisch-ideologischen Kampf eingeordnet werden. Zunächst kann festgestellt werden, d a ß die reaktionäre Entwicklung in der Bundesrepublik durchaus allgemeine Züge entsprechender Vorgänge in allen kapitalistischen Ländern einschließt, teilweise in einer besonders ausgeprägten Erscheinungsform. Zum anderen handelt es sich um ein imperialistisches L a n d , das spezifische reaktionäre, aggressive Traditionen hat, heute zu den kapitalistischen Hauptmächten zählt und unverändert expansionistische Wesenszüge aufweist - vor allem in Gestalt des Revanchismus und der hegemonialen Pläne in Westeuropa. Allerdings stoßen die aggressivsten K r ä f t e des Imperialismus der B R D im Innern w i e international auch auf Grenzen und wachsende Gegenkräfte. Das M i t g l i e d des Präsidiums der D K P , W . Gerns, stellte auf der Parteivorstandstagung im A p r i l 1978 fest: „Kurzum, die Situation, mit der wir es in der Bundesrepublik heute zu tun haben, ist durch eine gefährliche Tendenz der Rechtsentwicklung gekennzeichnet. Allerdings darf man nicht übersehen, d a ß es sich dabei eben um eine Tendenz handelt, der andere Tendenzen entgegenwirken, und keinesfalls um einen unaufhaltsamen Prozeß." 1 2 Die kontinuierliche, grundsätzliche und umfassende A n a l y s e und Kritik der weltanschaulichideologischen und politischen Grundlagen und Bestandteile solcher reaktionärer Prozesse ist auch heute und künftig eine wesentliche Voraussetzung, um ihre Aufhaltsamkeit in Theorie und Praxis zu beweisen.

Anmerkungen 1 2 3 4

14

Mühlen, Norbert, Vereinigte Staaten - keine Heimat mehr für Liberale. In der Innenpolitik verschieben sich die Fronten, in: Deutsche Zeitung Christ und Welt, Nr. 6, 3. Februar 1 9 7 8 , S. 6. Galkin, A. A., Die neue „konservative Welle" als Ausdruck der ideologischen Krise des Kapitalismus, in: Fragen der Philosophie, Moskau ( 1 9 7 7 ) 12, S. 8 0 - 9 2 (russ.). Steigerwald, Robert, Konservatismus heute, in: Marxistische Blätter, Frankfurt a. M. ( 1 9 7 8 ) 1, S. 25. Vgl. dazu: Elm, Ludwig, Der „neue" Konservatismus, Berlin 1 9 7 4 ; Fromm, Eberhard, Zum Konservatismus in der bürgerlichen Ideologie der Gegenwart, in: Aktuelle theoretische Probleme des ideologischen Kampfes. Thematische Information und Dokumentation des Instituts für Gesellschaftswissenschaften beim Z K der SED, Nr. 9, 1 9 7 5 , S. 5 2 - 6 4 ; Bergner, Dieter / Mocek,

5

6 7 8 9 10 11 12

Reinhard, Bürgerliche Gesellschaftstheorien, Berlin 1 9 7 6 ; Konservative Ideologie und Politik in der B R D , Jena 1976 (Wissenschaftliche Beiträge der Friedrich-Schiller-Universität J e n a ) ; Elm, Ludwig, Zu Traditionen und Tendenzen des Konservatismus in der B R D , in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Berlin (1976) 8, S. 8 6 1 - 8 7 8 . Vgl. als neueste Arbeiten d a z u : O d u e v , S. F., Auf den Spuren Zarathustras. D e r Einfluß Nietzsches auf die bürgerliche deutsche Philosophie, Berlin 1 9 7 7 ; Buhr, M a n f r e d , 60 Jahre Roter O k t o b e r - 60 Jahre Kampf um die Herstellung der Rechte der Menschheit, i n : IPW-Forschungshefte, Berlin (1977) 3, S. 7 3 - 1 0 9 ; Fromm, E b e r h a r d / W r o n a , Vera, Irrationalismus - Element der geistigen Krise des Imperialismus, in: Einheit, Berlin (1978) 2, S. 1 8 8 - 1 9 6 . Vgl. d a z u : Unbewältigte Vergangenheit. Kritik der bürgerlichen Geschichtsschreibung in der B R D , 3., neu bearb. u. erw. Auflage, Berlin 1977. Lenin, W . I., D e r „linke Radikalismus", die Kinderkrankheit im Kommunismus, in: W e r k e , Bd. 31, Berlin 1959, S. 11. Altmann, Rüdiger, D a s E r b e Adenauers. Eine Bilanz, München 1963, S. 93 f., 170. Schoeps, Hans-Joachim, D a s Janusgesicht Preußens, in: Bayernkurier, München, N r . 31, 6. August 1977, S. 14. Schabad, B. A., D i e politische Philosophie des gegenwärtigen Imperialismus. Zur Kritik der antikommunistischen Grundkonzeptionen, Berlin 1970, bsd. S. 94 ff. Vgl. d a z u : Elm, Ludwig, D e r „neue" Konservatismus, a. a. O., S. 58 ff. Gerns, Willi, Zu einigen Fragen der Diskussion des Programmentwurfs der D K P , 8. Tagung des Parteivorstandes der D K P , in: Unsere Zeit, Düsseldorf, 6. April 1978, Eigenbeilage, S. 14.

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M a n f r e d Weißbecker

Zu einigen Ergebnissen, Problemen und Aufgaben der marxistisch-leninistischen Faschismusanalyse 1

Der Kampf gegen die Reaktion, gegen Konservatismus und Faschismus ist ein dringliches Gebot unserer Zeit. Dieses ergibt sich vor allem aus der Realität der Gefahr extrem reaktionärer Bedrohung des Weltfriedens und des Entspannungsprozesses. Heute ist die Tatsache zu verzeichnen, daß sich - wie Erich Honecker wiederholt betont hat die Gegner der internationalen Entspannung „immer offener mit faschistischen und extremen Kräften verschiedener Couleur" verbünden und versuchen, „durch die Ausschaltung der Kommunisten und schließlich aller progressiven K r ä f t e diktatorische Regimes zu schaffen, die ihnen ermöglichen sollen, ihre gegen Frieden und Fortschritt gerichtete Politik zu verwirklichen". 2 D a s Gebot des antifaschistischen Kampfes ergibt sich darüber hinaus auch aus den geschichtlichen Erfahrungen, die viele Völker insbesondere mit der faschistischen Barbarei des deutschen Imperialismus während des zweiten W e l t krieges machen mußten. Daher gilt es, „alles zu tun, um den Geist des Antifaschismus in den Völkern Europas wachzuhalten und die Entlarvung von autoritären, neofaschistischen und neonazistischen Herrschaftsmethoden in den Ländern des Kapitals zu verstärken". 3 Im Sinne dieser Forderung haben sich marxistisch-leninistische Gesellschaftswissenschaftler unserer sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik in den letzten J a h ren verstärkt mit der A n a l y s e von Geschichte und Wesen des Faschismus sowie mit dessen Erscheinungsform, Aktivitäten und politischer Organisiertheit befaßt. D i e positiven Ergebnisse sind unübersehbar und bereits in vielfältiger W e i s e bilanziert worden/ 1 Ohne hier auch nur im mindesten auf Vollständigkeit achten zu können, sei lediglich an die ersten beiden B ä n d e von „Deutschland im zweiten W e l t k r i e g " 5 und an die Vielzahl hervorragender Dokumentenbände verwiesen." Zahlreiche Lehrbücher 7 , Monographien 8 und Beiträge zur Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Geschichtsschreibung 9 finden große Verbreitung und Anerkennung. Angesichts der deutlichen Entwicklung nach rechts, die gegenwärtig in einer Reihe imperialistischer L ä n d e r festzustellen ist, nahmen Historiker und andere Gesellschaftswissenschaftler auch zu den Möglichkeiten und Gefahren des Neofaschismus Stellung. 1 0 Als grundsätzlich geklärt können solche Fragen wie die nach dem Klassencharakter und dem Wesen, aber auch nach den Erscheinungsformen und M e r k m a l e n des Faschismus betrachtet werden. Dazu gehört auch der Zusammenhang zwischen der 1917 mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution eingeleiteten Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus einerseits und der allgemeinen Krise des Kapitalismus, der Entwicklung des staatsmonopolistischen Kapitalismus und dem Faschismus andererseits. Die zentrale und entscheidende Frage aller Faschismusforschung - die nach dem Klassencharakter des Faschismus, nach dem cui bono - ist in der Regel am Beispiel des Faschismus an der Macht beantwortet worden. Sie ist jedoch notwendigerweise ebenso 16

für die Zeit der Entstehung des Faschismus zu stellen. Auch am Beispiel der Herausbildung und Formierung faschistischer Gruppen, Bewegungen und Parteien läßt sich erkennen, daß der Faschismus eine Ausgeburt des imperialistischen Dranges „nach Gewalt und Reaktion" ist. 11 Er stellt seit dem Beginn unserer Epoche eine aggressive Antwort des Monopolkapitals auf den mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution einsetzenden Prozeß der demokratischen Erneuerung und der sozialistischen Umgestaltung der Welt dar, er ist der gefährlichste Feind aller revolutionären und progressiven Kräfte. Es konnte nachgewiesen werden, daß die Monopolbourgeoisie jene Kraft ist, die unter bestimmten Bedingungen den Faschismus ins Leben ruft, ihn heranzüchtet und aufpäppelt, kurz: sich seiner bedient, um die revolutionäre Arbeiterbewegung zu vernichten und das System von imperialistischer Macht und Profit zu sichern. Der Imperialismus bedarf des Faschismus zur Verwirklichung seiner arbeiter- und volksfeindlichen Strategie und Taktik. Er bringt ihn gesetzmäßig hervor. 12 Insbesondere konnte durch die Faschismusforschung auch geklärt werden - und dies ist für den gegenwärtigen antifaschistischen und antiimperialistischen Kampf von großer Bedeutung - , daß die den Faschismus hervorbringenden, fördernden und ihn auch hemmenden Faktoren insgesamt ein komplexes, kompliziertes und vielschichtiges Geflecht von gesellschaftlichen Bedingungen, Widersprüchen und Bedürfnissen der herrschenden Klasse bilden. Obwohl dieses Geflecht eine in sich geschlossene dialektische Einheit bildet, ist zunächst die Frage nach den primär wirkenden Faktoren - also den gesellschaftlichen Verhältnissen, die Voraussetzung und Bedingung für die Entstehung und Entwicklung des Faschismus boten - gestellt und beantwortet worden, ohne die sekundär, tertiär usw. wirkenden Aspekte zu vernachlässigen. Niemand bestreitet mehr ernsthaft die Zugehörigkeit, des Phänomens Faschismus zu unserer Epoche und seine Entstehung nach dem Ende des ersten Weltkrieges. Jedoch versuchen bürgerliche Historiker immer wieder, gerade die Genesis des Faschismus zu verfälschen, sie von den gesellschaftlichen Verhältnissen loszulösen und die marxistischleninistische Faschismustheorie insbesondere mit Hilfe der plumpen Aussage, bei der Gründung der faschistischen Parteien habe kein Angehöriger der Monopolbourgeoisie mitgewirkt 13 , aber auch mit Hilfe vieler anderer und oft nicht auf den ersten Blick durchschaubarer Interpretationen einzelner geschichtlicher Ereignisse zu widerlegen. Während die Kommunisten in ihrer Analyse des Faschismus immer eindeutig zwischen den wirklichen Zielen dieser Bewegung und deren demagogischen Losungen unterschieden haben, bemühten und bemühen sich die bürgerlichen Historiker ständig, aus diesen Losungen und Parolen - deren Zweck es war, Teile der werktätigen Massen zu blenden und als Massenbasis extrem reaktionärer Herrschaft des Imperialismus zu gewinnen - den „Klassencharakter" des Faschismus zu bestimmen. In vielfältigen Variationen wird der Faschismus daher als eine originäre, autonome und eigengesetzlich wirkende Bewegung der Mittelschichten bzw. des Kleinbürgertums betrachtet. Sein Erscheinen sei keinesfalls, so erklärte beispielsweise Wolfgang Schieder, die „Kampfansage einer Klasse gegen eine andere", sondern der Faschismus sei „vielmehr der Ausdruck der Auseinandersetzung, welche die mittleren Schichten vorübergehend gleichzeitig gegen den Kapitalismus und gegen den Sozialismus zu führen sucht".1'' Der Italiener Renzo D e Feiice sieht ebenfalls im Faschismus lediglich „die ideale Zielstellung und das Wollen eines bestimmten Teils der aufsteigenden Mittelschichten . . . , die versuchen, Politik in eigener Person zu machen".1"' In der Regel dienen alle diese Thesen zur „Erhärtung" der bürgerlichen Kritik an 17

der marxistisch-leninistischen Faschismustheorie und des Vorwurfs, diese sei rein „ökonomistisch" und eine dogmatische „Agententheorie". Sie unterstellen der

marxistisch-

leninistischen Geschichtswissenschaft eine angebliche Vernachlässigung bzw. sogar eine völlige Unterschätzung der Einheit und Wechselwirkung von Ö k o n o m i e , Politik und Ideologie im Geschichtsprozeß. E s liegt auf der Hand, daß mit solchen Thesen die historische Verantwortung des Imperialismus, die skrupellose D e m o k r a t i e - und Menschenfeindlichkeit der Monopolbourgeoisie geleugnet oder zumindest bagatellisiert

werden

sollen. Mit solchen Thesen soll die logische Schlußfolgerung der marxistisch-leninistischen Faschismustheorie entkräftet werden, die da lautet: Selbst die G e f a h r der E n t stehung des Faschismus geht von der Herrschaft des Finanzkapitals aus und die beste antifaschistische Politik ist eine Politik zur Sammlung aller revolutionären und progressiven K r ä f t e zur Zurückdrängung der Macht der Monopole, zum konsequenten K a m p f gegen jede Form der Rechtsentwicklung. W i e stand es konkret, als der Geschützdonner der „ A u r o r a " verhallt und der erste Weltkrieg zu E n d e gegangen war, um die gesellschaftlichen Verhältnisse, um die V o r aussetzungen und Bedingungen für die Entstehung des Faschismus? D i e s e r Frage soll im folgenden mit einigen wenigen, ausgewählten Überlegungen nachgegangen werden, um an ihrem Beispiel Probleme unserer Auseinandersetzung mit dem Faschismus und zugleich auch einige Fragen der Vervollständigung, Erweiterung und Weiterentwicklung der marxistisch-leninistischen Faschismus-Theorie behandeln zu können. W i r wissen, daß sich in den Jahren 1 9 1 7 , 1 9 1 8 und 1 9 1 9 nichts am W e s e n des K a p i talismus als sozialökonomischer Gesellschaftsformation veränderte. D e r Übergang zum Imperialismus hatte sich schon Jahrzehnte zuvor vollzogen. Nach wie vor existierte der Antagonismus zwischen den Hauptklassen der kapitalistischen

Gesellschaftsformation,

der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse. D a h e r läßt sich die Entstehung des Faschismus nicht allein mit der verabsolutierenden Formel „Kapitalismus führt zum Faschismus" erklären. Auszugehen ist vielmehr von der konkreten historischen Situation des I m perialismus am Beginn unserer Epoche bzw. nach dem E n d e des ersten Weltkrieges. Auszugehen ist von den unmittelbaren Veränderungen, die sich in den gesellschaftlichen Verhältnissen und in den Bedürfnissen der herrschenden K l a s s e vollzogen hatten: D e r imperialistische erste Weltkrieg und die W e l l e der Revolution, die mit der und nach der siegreichen G r o ß e n Sozialistischen Oktoberrevolution die Macht des Imperialismus erschütterte, markierten den Beginn und die volle Entfaltung der allgemeinen Krise des Kapitalismus. Insbesondere der K r i e g hatte den tiefen Antagonismus zwischen den Interessen der Herrschenden und der Beherrschten, zwischen den Ausbeutern und den Ausgebeuteten deutlich zutagetreten lassen; die sozialistische Revolution der russischen Arbeiter und Bauern zerschlug diesen Antagonismus gleich einem gordischen K n o ten und wies damit den W e g , wie die revolutionäre Arbeiterbewegung auch in anderen Ländern erfolgreich die Machtfrage im Interesse der Arbeiterklasse und der gesamten werktätigen Bevölkerung lösen konnte. D i e Hauptklassen der kapitalistischen

Gesell-

schaftsformation standen sich außerdem nicht mehr wie bisher allein in nationalstaatlichem Rahmen gegenüber, sondern auch in Gestalt von Weltsystemen. V o r allem durch diese - hier nur thesenartig angedeuteten - Veränderungen nahmen die Widersprüche der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eine neue Q u a l i t ä t an. Zum Flauptwiderspruch entwickelte sich der zwischen Sozialismus und Imperialismus, während andere Widersprüche - z. B . die zwischen den einzelnen imperialistischen L ä n d e r n , zwischen den Siegern und den Besiegten im ersten W e l t k r i e g -

18

den Charakter von

Nebenwidersprüchen annahmen. Seit 1917/18 bildete sich eine im Laufe der Jahre immer enger werdende Verknüpfung des unmittelbaren, nach innen oder/und außen gerichteten Profitstrebens mit der Einschätzung der Perspektiven des Klassenkampfes und der Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus heraus. Hauptund Nebenwidersprüche existierten jedoch in einem dialektischen Spannungsverhältnis nebeneinander und sie überlappten sich fast ständig. Mitunter dominierten die letzteren sogar, wie sich vor allem in der Tatsache zeigt, daß der zweite Weltkrieg als imperialistischer Krieg und nicht als ein Krieg zwischen den imperialistischen Ländern und der Sowjetunion entfesselt wurde. Die Gleichzeitigkeit von Hauptwiderspruch und Nebenwidersprüchen bedeutete im subjektiven Verständnis der Monopolbourgeoisie durchaus keine Gleichrangigkeit. Man wußte sehr wohl einzuschätzen, wie der Kampf um die Aufrechterhaltung der imperialistischen Macht und der Kampf um den Maximalprofit zusammenhängen und welche Ziele den jeweiligen Bedingungen entsprechend lang- und kurzfristig erreichbar sind. Einzelne Angehörige der herrschenden Klasse haben sich im Jahre 1918 sehr freimütig dazu geäußert. So schrieb z. B. Eduard von Eichborn, Mitinhaber des der Dresdener Bank nahestehenden Bankhauses Eichborn & Co sowie Vorsitzender der Freikonservativen Partei in Schlesien, am 2. Januar 1918 in einem Brief: „In der äußeren Krise, in der wir uns infolge des Weltkrieges befinden, können wir es auf innere Konflikte nicht ankommen lassen; denn kommt es zu inneren Konflikten, so ist die glückliche Beendigung des Weltkrieges aufs Äußerste in Frage gestellt. Von den zwei Übeln (!, M. W.), völlige Radikalisierung unserer inneren Politik 16 oder völlige Ausschaltung des deutschen Volkes (!, M. W.) von der Beteiligung am Weltmarkt und an der Weltpolitik im Falle eines unglücklichen Kriegsausganges, scheint das erstere Übel das kleinere zu sein, zumal auch hier seinerzeit wieder eine Reaktion einsetzen wird." 1 7 Innenpolitische Zugeständnisse sollten also faktisch - allerdings nur zeitweilig - gewährt werden, um in dieser Situation das nach außen gerichtete Profitstreben nicht zu gefährden. Etwas drastischer formulierte der Industrielle Robert Bosch die Notwendigkeit sozialer und politischer Zugeständnisse, und zwar in einem Brief vom 24. Oktober 1918, den er an den Vorsitzenden der Fortschrittlichen Volkspartei, Conrad Haußmann, richtete: Nur das „Öffnen großer weiter Sicherheitsventile (kann) uns vor einer Katastrophe bewahren . . . je weiter wir nach links gehen, desto eher werden wir Eindruck machen, und eine Katastrophe ablenken können . . . Wenn das Haus brennt, löscht man auch schließlich mit Jauche, auf die Gefahr hin, daß es nachher in dem Hause eine Weile nachstinkt". 18 Die gnannten Anhänger der abenteuerlich-militaristischen und der wendig-parlamentarischen Strömung in der deutschen Monopolbourgeoisie 19 waren sich also darin einig, daß angesichts der revolutionären Situation und der Kriegslage alles - selbst Übles und Stinkendes - getan werden müßte, um die Herrschaft des Imperialismus zu retten, wobei alle sozialen und politischen Zugeständnisse an die Arbeiterklasse lediglich als zeitweilig angesehen wurden. Wolfgang Rüge gab einem seiner Bücher mit vollem Recht den Titel „Weimar - Republik auf Zeit"! 2 0 Neu für die gesellschaftlichen Verhältnisse waren außerdem die enorme Politisierung der werktätigen Massen, deren wachsende Rolle im Klassenkampf und die neue Qualität ihrer politischen Führung durch die in vielen Ländern entstehenden Kommunistischen Parteien. Die Politisierung der Massen - ein Ausdruck der wachsenden Rolle der Volksmassen in der Geschichte und damit einer objektiven Gesetzmäßigkeit des weltgeschichtlichen Prozesses 21 - trat vielgestaltig in Erscheinung. In Deutschland bildete beispiels19

weise die Novemberrevolution die größte Massenaktion, die die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und des deutschen Volkes bis dahin kannte. Sie erreichte viel, vor allem eine Veränderung in der Staatsform, aber keinen grundlegenden Wandel der Machtverhältnisse. Ein nicht unwesentliches Ergebnis der Novemberrevolution bestand darin, daß alle Klassenkräfte in diesen Auseinandersetzungen, im Ringen zwischen Revolution und Konterrevolution die Erfahrung machen konnten, wie es unter bestimmten Bedingungen möglich ist, zu siegen oder zu verlieren, den historischen Fortschritt durchzusetzen oder ihn - zumindest zeitweilig - aufzuhalten. Auch die herrschende Klasse hatte sich am Beginn unserer Epoche neue Kenntnisse und Erkenntnisse über ihren möglichen sozialen und politischen „Manöverspielraum" angeeignet, ebenso über die Möglichkeiten und Erfordernisse des Ausbaus ihrer politischen Organisiertheit und nicht zuletzt über die Notwendigkeit einer flexiblen Kombination ihrer unterschiedlichsten Herrschaftsformen. D i e Monopolbourgeoisie brauchte, suchte und fand neue Formen ihrer politischen Organisiertheit und - darin eingeschlossen - ihrer politischen Machtinstrumente. Sie suchte nicht zuletzt nach neuen Formen ihres Verhältnisses zu den werktätigen Massen, insbesondere zur Arbeiterklasse. Sie begann, den Staatsapparat auszubauen und ihre exekutiven Machtorgane zu verstärken; sie sorgte für eine wachsende Militarisierung - dazu gehörte auch die Übertragung militaristischer Prinzipien auf einige Formen der politischen Organisiertheit im gesellschaftlich-zivilen Leben 2 - - , und sie bemühte sich um den systematischen Einsatz aller modernen technischen Mittel für die ideologische Manipulierung der werktätigen Massen. Letzteres läßt sich gut an einem mehr oder weniger bekannten Beispiel belegen: Alfred Hugenberg, ein alldeutscher Anhänger der Expansions- und Annexionspolitik des deutschen Imperialismus im ersten Weltkrieg, sprach schon 1914 als Befürchtung aus: „Die Arbeiter, die aus dem Krieg zurückkommen, werden mit großen Ansprüchen an die Arbeitgeber herantreten, weil der Wandel gewisser Arbeiterkreise 2 -' in bezug auf ihre nationalen Anschauungen (Unterstützung der Kriegsanstrengungen) noch keineswegs die sozialen Gegensätze beseitigt hat." 2 ' 1 Als Lösung dachte er zunächst in den ersten Kriegsjahren an eine weitherzige Lohnpolitik im Ergebnis - wie er es vornehm formulierte eines großen Zuwachses an „Gebiet und wirtschaftlicher Kraft". 2 "' Es ist sicher kein Zufall, daß Hugenberg - als dafür durch die Niederlage des deutschen Imperialismus und Militarismus im ersten Weltkrieg keine Voraussetzungen mehr vorhanden waren ein großes Medienmonopol aufbaute, das in großem Maße an der chauvinistischen, antikommunistischen und profaschistischen Beeinflussung breiter Kreise der Bevölkerung mitwirkte und so die Errichtung der faschistischen Diktatur vorbereiten half. Eine weitere wesentliche Veränderung in den gesellschaftlichen Verhältnissen vollzog sich durch die nicht zufällig im ersten Weltkrieg beginnende bzw. sich verstärkende Entwicklung des staatsmonopolistischen Kapitalismus. Diese war Ausdruck und Folge der Entwicklung des Imperialismus und der allgemeinen Krise des Kapitalismus. Sie gab der herrschenden Klasse aber zugleich neue und potenzierte Möglichkeiten zur Verschleierung der tatsächlichen Macht- und Ausbeutungsverhältnisse, aber auch zur Anwendung von Mitteln der staatlichen und der gesellschaftlichen Gewalt, des ökonomischen und des außerökonomischen Zwanges gegen die werktätigen Massen in die H a n d . Aus den staatsmonopolistischen Maßnahmen, die von den deutschen Monopolherren nach 1918 zur Restauration ihrer durch die Kriegsniederlage und die Revolution erschütterten ökonomischen und politischen Macht sowie zur Überwindung der allgemeinen Krise des Kapitalismus und Beseitigung des Sozialismus getroffen wurden, resultierten direkt wie

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auch indirekt die Tendenzen zur Rechtsentwicklung, zu deren extremer Form, der Faschisierung, und zur Formierung einer Vielzahl extrem reaktionärer, revanchistischchauvinistischer und antikommunistisch-militaristischer Organisationen. Diese sollten der herrschenden Klasse, deren soziale Basis seit dem Ubergang vom Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Monopolkapitalismus immer enger wurde, eine Massenbasis schaffen, denn: Im Prozeß der Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus waren die Gewinnung, Erhaltung und Festigung eines stabilen Einflusses auf größere Teile der Arbeiterklasse und andere Schichten des werktätigen Volkes zu wichtigen Existenzfragen aller Teile der Monopolbourgeoisie geworden. Ohne die Lösung dieser Frage konnte der deutsche Imperialismus und Militarismus nicht an eine Verwirklichung seiner strategischen und taktischen Ziele denken. Die neuen Existenzbedingungen ließen die imperialistische Bourgeoisie ein immer umfassenderes, weitreichendes und dem jeweiligen Stand der staatsmonopolistischen Entwicklung adäquates System der reaktionären bürgerlichen Klassenherrschaft und politischer Organisationen entwickeln, mit dessen Hilfe die Arbeiterklasse gespalten, desorientiert und von ihren potentiellen Verbündeten isoliert werden konnte.'2*5 Aus den bisher kurz angedeuteten Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse, d. h. aus der neuen Situation im Klassenkampf und aus den neuen Existenzbedingungen des Imperialismus erwuchs der Monopolbourgeoisie für ihre Politik gegenüber der Arbeiterklasse ein qualitativ neues und umfassendes, im Grunde doppeltes Bedürfnis. 27 Zum einen wollte sie die Arbeiterbewegung als Hauptträger der zu erwartenden künftigen Revolution präventiv ausschalten und - wenn nicht anders möglich - auch vernichten. Zum anderen aber entsprach es ihrem Interesse, auch ohne größere Zugeständnisse möglichst große Teile der Arbeiterklasse für die eigene Massenbasis zu erobern und in den imperialistischen Machtmechanismus zu integrieren. Dieses doppelte und in sich sehr widersprüchliche Bedürfnis existierte objektiv und wirkte spontan, wobei die Spontaneität nicht mit der angeblichen Autonomie eines Individuums oder einer politischen Organisation verwechselt werden darf, wenn diese dem objektiven Bedürfnis entsprechend handeln. In dem genannten Bedürfnis der herrschenden Klasse und seiner Umsetzung im Geschichtsprozeß verkörpern sich die Einheit und die Wechselwirkung solcher Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie der Ökonomie, der Politik und der Ideologie. Die keinesfalls deterministisch bzw. ökonomistisch zu deutende Einheit von Ökonomie, Politik und Ideologie beinhaltet mehr als den unmittelbaren, konkreten und empirisch belegbaren Mechanismus der Beziehungen zwischen einzelnen „Ökonomen" (sprich Industriellen) und einzelnen faschistischen Politikern. Sie kann und darf nicht allein auf die notwendige und keinesfalls überflüssige Frage „Wer wann mit wem?" 2 8 reduziert werden, wie das beispielsweise bei dem amerikanischen Historiker Henry Ashby Turner jr. der Fall ist, der dies zugleich ganz offen und prononciert mit der Aufgabe verknüpft, die moralische und politische Existenzberechtigung des Kapitalismus nachzuweisen.29 Das Verhältnis von Ökonomie, Politik und Ideologie - die die widersprüchliche Einheit verschiedener kausaler Seiten des konkreten historischen Prozesses darstellen - umfaßt die Zusammengehörigkeit von Imperialismus und Faschismus in ihrem ganzen, breiten Umfang, in all ihrer Vielfalt und auch in ihren inneren Gegensätzen. Von diesem methodologischen Grundprinzip des marxistisch-leninistischen Historismus ließ sich die Faschismusforschung ständig leiten, wodurch eine komplexe und den Tatsachen grundsätzlich entsprechende Analyse der Ursachen für die Entstehung und die Entwicklung faschistischer Bewegungen und Parteien möglich wurde. 30 21

Das objektive Bedürfnis der herrschenden Klasse in ihrem Verhältnis zur Arbeiterklasse und den werktätigen Massen, von dem hier die R e d e ist, w a r und ist also ein typisches, unvermeidliches Produkt der gesamten neuen Existenzbedingungen der Monopolbourgeoisie in der Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus und in der allgemeinen Krise des Kapitalismus. Unmittelbar nach 1917 und nach dem ersten W e l t k r i e g entsprang ihm das Bestreben, neuartige politische Organisationen der herrschenden Klasse zu schaffen. Im Spektrum der vorhandenen bürgerlichen Parteien und Verbände fehlte damals ein Organisationstyp, der fähig gewesen wäre, diesem doppelten Bedürfnis Rechnung zu tragen und es als Einheit zu realisieren. In der Novemberrevolution hatten sich die bürgerlichen Parteien, die bis dahin in der Regel „Offiziere ohne Mannschaften" darstellten, neu als „demokratische" und „Volks"-Parteien formiert und den Bedingungen anzupassen versucht; mit der Auflösung der annexionistischen und bewußt im Gegensatz zum bürgerlich-demokratischen Parlamentarismus stehenden Deutschen Vaterlandspartei 3 1 w a r gewissermaßen ganz rechts ein Freiraum im bürgerlichen Parteiwesen entstanden. Es ist Kurt Goßweiler völlig zuzustimmen, wenn er über die N S D A P und ihre Entstehung schreibt: „Die neuartige Organisation entstand mit Notwendigkeit, nachdem die Nachfrage nach ihr sich stark und deutlich auf dem M a r k t e der Politik bemerkbar gemacht hatte. Sie entstand jedoch nicht als fertiges Gebilde, sondern entwickelte sich aus verschiedenen Organisationskeimen, die - oft genug gepflanzt, immer wieder aber gehegt und gepflegt von interessierten Vertretern der herrschenden Klasse - als Antwort auf die nachhaltig spürbar gewordene Nachfrage ins Leben getreten waren." 3 2 D e m gleichermaßen ökonomisch und politisch determinierten Bedürfnis entsprachen auch die Programmatik und weitgehend sogar die Spezifika im Erscheinungsbild der Faschisten. Bereits in ihren Anfängen ließ die N S D A P den geschichtlichen Hintergrund erkennen, den „Schoß" - um mit Bertolt Brecht zu sprechen - , „aus dem das kroch". D i e Führer der Nazipartei machten sich für ihr Konzept grundlegende strategische und taktische Interessen der herrschenden Klasse des imperialistischen Deutschlands zu eigen. Sie bildeten mit ihrer Partei von Anfang an einen, wenn auch zunächst sehr kleinen, bescheidenen Teil des großen Geflechts bürgerlicher Interessenorganisationen und des Systems bourgeoiser politischer Organisiertheit. D i e konkrete Situation des Klassenkampfes, die L a g e des im ersten W e l t k r i e g gescheiterten deutschen Imperialismus und Militarismus, die unterschiedlichen taktischen Varianten der einzelnen T e i l e der herrschenden Klasse sowie die unermüdlichen Versuche, die Ergebnisse des Krieges und der Novemberrevolution des Jahres 1918 rückgängig zu machen (selbst um den Preis eines neuen Krieges!) - all das bildete den Boden, auf dem sich der Faschismus insgesamt und Organisationen w i e die N S D A P formieren konnten. Objektive Bedingungen und eindeutig zu erkennende gesellschaftliche Kräfte forderten und förderten die Entstehung faschistischer Gruppen. In gleicher W e i s e ist auch grundsätzlich zu erklären, w i e sich das faschistische „Führertum" aus den objektiven Bedürfnissen und Interessen der reaktionärsten Teile der Bourgeoisie ableitet. D i e von den Faschisten gewählte spezifische Form politischer Führung und der a u f w e n d i g e Kult um die „Führer" (die bürgerliche Historiker gern als allein dem Faschismus immanente Strukturelemente betrachten möchten 33 , sind durch mehr als tausend Fäden organisch mit der bürgerlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, mit dem Imperialismus und mit der allgemeinen Krise des Kapitalismus verknüpft. 22

Hitler begann seine „Karriere" in der Reichswehr, nachdem er sich bis dahin recht und schlecht durch die ersten 30 J a h r e seines unsteten Lebens geschlagen hatte und in keiner W e i s e politisch tätig geworden w a r . Seine Entwicklung als kleinbürgerlich-lumpenproletarischer Bohemien, als ein von beständiger Unrast getriebener Nichtstuer und kriegsfreiwilliger Soldat kannte bis dahin nichts außer Belanglosem und Durchschnittlichkeit, obwohl ihm häufig Intelligenz und Beredsamkeit bescheinigt worden waren. Erst als das neue, objektive Bedürfnis der herrschenden Klasse nach nationalistischer und konterrevolutionärer „ A u f k l ä r u n g " zu dominieren begann und nach ausstrahlungsfähigen, die Massen ansprechenden „Trommlern" des Chauvinismus, Antikommunismus und Rassismus gesucht wurde, fiel Hitler auf. Erst dann entdeckten einige Angehörige der Bourgeoisie die in ihm schlummernden Fähigkeiten, die ihm eigenen politischen Potenzen, seinen erwachenden brennenden Ehrgeiz. Hitler nutzte seinerseits mit großem Geschick und noch größerer Skruppellosigkeit die Chance, die sich ihm bot und die nicht nur das Ende der sozialen Unsicherheit in seinen Lebensumständen, sondern auch einen festen H a l t für seine eigenen und doch recht wirren politisch-ideologischen und weltanschaulichen Gedanken bedeutete. W i e einleitend bereits erwähnt, ist die Frage nach dem Klassencharakter des Faschismus von den Kommunisten in den zwanziger und dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts im Zusammenhang hauptsächlich mit d e m Machtantritt des Faschismus in Deutschland sowie mit dessen Herrschaftssystem analysiert und beantwortet worden. Die Untersuchungen zur Entstehung des Faschismus als politischer Bewegung, als Partei und als Bestandteil der politischen Organisiertheit der herrschenden Klasse ergaben - dies sollte bisher gezeigt bzw. angedeutet werden - prinzipiell das gleiche Resultat wie die über den Faschismus an der Macht. Ebenso führen aber auch a l l e Untersuchungen über die Entwicklung des Faschismus seit dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale 1935 und über den Neofaschismus zu gleichen Ergebnissen, obwohl dazu im einzelnen von den marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaftlern noch viel Arbeit zu leisten ist. Die folgenden Überlegungen können vielleicht dazu beitragen. D i e Einschätzung des Faschismus durch die Kommunistische Internationale ist durch die Geschichte voll und ganz bestätigt worden. D i e berühmte Definition („Der Faschismus an der Macht . . . ist . . . die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals" 3 '* und die anderen wichtigen Aussagen Georgi Dimitroffs 1 5 haben in der Praxis ihre Bewährungsprobe bestanden. Auf ihrer G r u n d l a g e konnten die Kommunisten die einzelnen Erscheinungsformen der gesetzmäßig ungleichmäßigen Entwicklung des Monopolkapitals richtig einschätzen und erfolgreich an die Nutzung der Widersprüche des Imperialismus für den Fortschritt der revolutionären und aller antifaschistischen K r ä f t e herangehen. Es gelang dem Sozialismus, die für den Sieg über den faschistischen Mächteblock im zweiten Weltkrieg notwendigen K r ä f t e zu formieren und eine neue Etappe des revolutionären Weltprozesses einzuleiten. Dadurch konnten nach dem zweiten Weltkrieg in einer Reihe von Ländern solche Veränderungen in den gesellschaftlichen Verhältnissen durchgesetzt werden, die dem Faschismus ein für allemal den Boden entzogen. D i e geschichtliche Bestätigung der marxistisch-leninistischen Faschismustheorie schließt jedoch deren Weiterentwicklung auf keinen Fall aus. D i e Theorie und das Geschichtsbild des Marxismus-Leninismus zeichnen sich ja gerade durch ihre D y n a m i k aus. So steht es überhaupt nicht im Widerspruch zur Anerkennung der wissenschaftlich-theoretischen und politischen Leistung des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, wenn

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es heute als e i n e wichtige und unumgängliche A u f g a b e erscheint, a l l e jene Kenntnisse und Erkenntnisse über das W e s e n , d i e Erscheinungsformen und d i e M e r k m a l e des F a schismus und des Neofaschismus zusammenzufassen und theoretisch zu v e r a l l g e m e i n e r n , d i e seit 1935 unser W i s s e n bereicherten. D i e s e Forderung w u r d e auch niemals v e r schwiegen, im G e g e n t e i l : Dietrich Eichholtz bezeichnete es beispielsweise schon vor v i e l e n J a h r e n als eine A u f g a b e der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft, d i e E r kenntnisse der Kommunistischen Internationale „anhand gründlicher historischer F o r schungen zu bereichern und zu präzisieren" 3 6 . In den letzten vier Jahrzehnten geschah bekanntlich außerordentlich viel und v o l l zogen sich v i e l f ä l t i g e Prozesse im Imperialismus, deren A n a l y s e das B i l d v o m Faschismus erweitern und präzisieren hilft. V o n ihnen sind offensichtlich f o l g e n d e in b e s o n d e rem M a ß e für d i e W e i t e r e n t w i c k l u n g der marxistisch-leninistischen Faschismustheorie bzw. für die n o t w e n d i g e Diskussion d a r ü b e r zu berücksichtigen: 1. D i e deutschen Kommunisten behielten mit ihrer W a r n u n g recht, d i e sie 1932 a u s sprachen: „ W e r H i n d e n b u r g w ä h l t , w ä h l t H i t l e r - w e r H i t l e r w ä h l t , w ä h l t den K r i e g ! " Es ist ein V e r d i e n s t der Kommunistischen Internationale, die V ö l k e r der W e l t f r ü h zeitig darauf hingewiesen zu haben, das Faschismus K r i e g b e d e u t e t und d a ß der K a m p f gegen den Faschismus zugleich K a m p f um den Frieden ist. 3 7 P a l m i r o T o g l i a t t i , der auf d e m VII. W e l t k o n g r e ß über „ D i e Vorbereitung des imperialistischen Krieges und d i e A u f g a b e n der Kommunistischen I n t e r n a t i o n a l e " sprach, charakterisierte insbesondere d e n deutschen Faschismus als den H a u p t k r i e g s t r e i b e r und als den gefährlichsten Feind d e r V ö l k e r . 3 8 So grundsätzlich richtig d a m a l s bereits der Z u s a m m e n h a n g von Faschismus u n d K r i e g erkannt w u r d e , so erweiterten d i e Entfesselung und der V e r l a u f des z w e i t e n W e l t k r i e g e s , vor a l l e m aber d i e in ihrem A u s m a ß nicht für möglich g e h a l t e n e barbarische K r i e g s f ü h r u n g der Faschisten und die Ausrottung ganzer V ö l k e r dennoch das W i s s e n und d i e E r f a h r u n g e n der Menschheit. D e r Faschismus stellte sich selbst, den zur g r a u samsten B a r b a r e i potenzierten imperialistischen K r i e g und das Genozid als die u l t i m a ratio im K a m p f der reaktionärsten T e i l e des Imperialismus gegen den Sozialismus und a l l e f r i e d l i e b e n d e n V ö l k e r d a r . Deutlich offenbarte der I m p e r i a l i s m u s in der G e s t a l t faschistischer Politik und I d e o l o g i e seine Bereitschaft zur A n w e n d u n g aller zur V e r f ü g u n g stehenden W a f f e n und M i t t e l . Es ist k a u m vorstellbar, welche Konsequenzen es heute haben könnte, wenn es Faschisten beispielsweise gelänge, V e r f ü g u n g s g e w a l t ü b e r a t o m a r e und a n d e r e moderne W a f f e n s y s t e m e zu e r h a l t e n ! H e u t e gehört zu den reaktionärsten und offensivsten K r ä f t e n des Imperialismus, w e r mit forciertem m i l i t a n t e m A n t i k o m m u n i s m u s und offener Entspannungsfeindlichkeit, m i t ausgedehntem Rüstungsbestreben und menschenfeindlicher Bereitschaft zur militärischen Zuspitzung internationaler K o n f l i k t e die G e f a h r einer w e l t w e i t e n n u k l e a r e n A u s e i n a n d e r setzung heraufbeschwört, w e r alles unternimmt, um d i e Durchsetzung der Prinzipien d e r friedlichen Koexistenz zwischen Staaten und S t a a t e n g r u p p e n unterschiedlicher G e s e l l schaftsordnung zu verhindern. D i e alte Losung der deutschen Kommunisten könnte heute mit einer gewissen Berechtigung u m g e k e h r t w e r d e n , denn w e r einen neuen W e l t k r i e g vorbereitet, der w i l l und fördert auch den Faschismus; w e r imperialistischen oder neokolonialistischen K r i e g führt, der ist auch zur A n w e n d u n g faschistischer M e t h o d e n bereit. Bei der T r a g w e i t e einer solchen A u s s a g e versteht es sich von selbst, d a ß es d a z u noch w e i t e r e r und konkreter Untersuchungen b e d a r f , bevor d i e faschismustheoretische K o n s e quenz dieser A u s s a g e s o w i e der Tatsache, d a ß eine nach außen gerichtete P o l i t i k faschistischen T y p s durchaus nicht eine faschistische Herrschaftsform im Inneren eines

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imperialistischen Landes zur Voraussetzung haben muß, gezogen werden kann. Auf jeden Fall bildet aber die Stellung zum größten Menschheitsproblem der Gegenwart, zur Frage von Krieg und Frieden, zur A u f g a b e der Verhinderung eines neuen Weltkrieges, ein wesentliches Kriterium für die Ausarbeitung eines umfassenden Faschismusbegriffs. 2. Das Wesen des Faschismus konnte bis 1933 bereits richtig erfaßt werden, weil sich die Kommunisten bemühten, den engen Zusammenhang zwischen der Entwicklung des staatsmonopolistischen Kapitalismus und dem Faschismus entsprechend zu beachten. Die faschistische Diktatur, die mitunter bereits in den dreißiger Jahren als eine spezifische Herrschaftsform des staatsmonopolistischen Kapitalismus bezeichnet worden ist, hat aber vor allem im Prozeß der forcierten Aufrüstung und während des zweiten W e l t krieges die Entwicklung des staatsmonopolistischen Kapitalismus vorangetrieben und fördernd beeinflußt. Zu berücksichtigen ist beispielsweise die Tatsache, d a ß es dem deutschen Faschismus 1943/44 gelang, die Rüstungsproduktion um ein Vielfaches zu erhöhen und a l l e ökonomischen, politischen und ideologischen Potenzen für den Krieg zu mobilisieren. Nach 1945 hat sich der staatsmonopolistische Kapitalismus voll entfaltet, wodurch sich nicht nur die nach außen gerichtete Aggressivität des Imperialismus erhöhte, sondern auch die dem Wesen des Monopols entspringende Tendenz zur absoluten, totalen Beherrschung der Gesellschaft vergrößerte. Weniger als jemals zuvor ist heute die bürgerlich-parlamentarische Demokratie die „normale" imperialistische Herrschaftsform; vielmehr dominieren die Versuche, diese „Demokratie" auszuhöhlen und bis zur äußersten Grenze - sozusagen unterhalb der Schwelle des Übergangs zum Faschismus - autoritär zu gestalten. Die gegenwärtige politische Ordnung der meisten imperialistischen L ä n d e r kann nur als eine „eingeschränkte bürgerliche Demokratie" charakterisiert werden. 3 9 Horst Stuckmann, der die Rechtsentwicklung als das brennendste Problem in der B R D betrachtet, hinter dem der Neofaschismus als reale Gefahr heraufziehe, spricht in diesem Zusammenhang von einer „fortgesetzte(n) Reduzierung der Demokratie", die jedoch selbst noch nicht neofaschistisch sei/' 0 Im Rahmen des voll entfalteten staatsmonopolistischen Kapitalismus sind einige Elemente früherer extrem reaktionärer und auch der faschistischen Herrschaftsmodelle aufgenommen worden, so z. B. das breite Zusammenwachsen staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen, das Wachstum und die Perfektionierung des Repressivapparates, die Handhabung der M a s senmedien als Instrument politischer Machtausübung u. a. m. Dies ist natürlich nicht als eine historische Vorwegnahme gegenwärtiger Erscheinungen durch den „traditionellen" Faschismus zu werten. In der Rezeption einiger faschistischer Methoden und Formen durch den gegenwärtigen Imperialismus bei gleichzeitiger Ablehnung des Faschismus als Herrschaftsform kommt eine qualitativ neue Stufe in der Entwicklung des Zusammenhangs von Imperialismus und Faschismus zum Ausdruck, die die Gefährlichkeit des F a schismus keineswegs schmälert. D i e volle Entfaltung des staatsmonopolistischen Kapitalismus brachte ferner mit sich, d a ß Rechtsentwicklung und Faschisierungsprozesse in noch höherem M a ß e als frühere Mittel des politischen Klassenkampfes der gesamten Monopolbourgeoisie bzw. staatsmonopolistischen Oligarchie bilden. Daraus erwächst m. E. für die marxistischleninistische Faschismustheorie auch die diskussionswürdige Frage, ob sich die soziale Basis des Faschismus (bzw. des Kreises der sozialen Träger des Faschismus) nicht erweitert hat. Dies impliziert die Frage, ob nicht unter bestimmten Bedingungen die Bereitschaft größerer Teile der Monopolbourgeoisie als früher zu profaschistischen und faschistischen Lösungen existiert. Offensichtlich versuchen doch nicht nur die reaktio25

närsten, die aggressivsten und am meisten antikommunistischen Kräfte, dem Faschismus günstige Entwicklungsbedingungen für den Fall zu schaffen, daß auf ihn zurückgegriffen und er aus der Reservestellung in die vorderste Front geholt werden muß. Diese Frage betrifft jedoch hauptsächlich den Faschismus vor seiner Installierung als Form politischer Macht, den Faschismus als Bewegung oder Partei. Im Unterschied zur ersten Periode der allgemeinen Krise des Kapitalismus, wo der Faschismus nach der Machtübertragung an ihm zum Instrument der gesamten Monopolbourgeoisie geworden war, deuten heute einige Erscheinungen in den faschistisch regierten Ländern darauf hin, daß es in der herrschenden Klasse große Auseinandersetzungen um die Notwendigkeit einer „Demokratisierung" des Regimes gibt? 3. In besonders hohem Maße muß für die Vervollständigung und Weiterentwicklung der marxistisch-leninistischen Faschismustheorie der stetige Prozeß der Veränderung des internationalen Kräfteverhältnisses zugunsten der Kräfte des Sozialismus, des Friedens und des Antifaschismus berücksichtigt werden. Das führte, um nur ein Beispiel zu nennen, zu einer wesentlichen Verringerung des faschistischen Masseneinflusses, ohne jedoch Rückfälle und jähe Wendungen bei Wahlen und nach Putschen ausschließen zu können/'1 Das bedeutet auch die verstärkte Anwendung terroristischer Methoden durch eine Vielzahl kleiner faschistischer Gruppen, die Tarnung mit allen nur erdenklichen Losungen und Ideologien sowie das Hervortreten spezieller Merkmale des Neofaschismus, die ihn vom Faschismus der ersten Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus unterscheiden. Dazu gehört auch das Bestreben, internationale Organisationen des Faschismus zu schaffen, sowie faschistische Varianten der Integrationsprozesse zwischen den entwickelten imperialistischen Ländern auszuarbeiten. Als ausgesprochen reaktionär und aggressiv orientierte Politik der Monopolbourgeoisie bzw. Strömung innerhalb der herrschenden Klasse ist der gegenwärtige Faschismus in den letzten Jahrzehnten immer stärker in Widerspruch zu den objektiven und historisch unumkehrbaren Defensivpositionen des Imperialismus geraten. Sein Dilemma besteht darin, durch seine Aktivitäten - trotz zeitweiliger Wirkungen - letztlich die Untergrabung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu fördern, zu deren Aufrechterhaltung er auf den Plan gerufen worden war und wird/'2 Diese Tatsache widerspiegelt sich auch in der Definition, die von K. Sarodow über den gegenwärtigen Faschismus vorgelegt wurde: Dieser sei „der Faschismus, der sich den Bedingungen der gegenwärtigen Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus, der neuen Kräftegruppierung innerhalb der kapitalistischen Welt und in der internationalen Arena anpaßt". Bei ihm handele es sich darum, den „Ausdruck des Strebens der reaktionärsten Elemente des Monopolkapitals, den nicht umkehrbaren Prozeß des Zerfalls der alten Ordnung nicht einfach durch Verletzung der demokratischen Rechte und Freiheiten, durch brutale Polizeirepressalien und Verfolgung, durch arbeiterfeindliche Gesetzgebung, sondern auch durch Errichtung einer offen terroristischen, konterrevolutionären Diktatur aufzuhalten." /l3 In die Definition des Faschismus, die heute umfassender und präziser sein kann als vor 1945, muß auch die mit dem veränderten internationalen Kräfteverhältnis zusammenhängende Tatsache Eingang finden, daß in allen faschistischen Regimen ein unabwendbarer Prozeß der Zersetzung stattfand und die meisten von ihnen in Kriegen gescheitert sind oder von den antifaschistischen Kräften in die Knie gezwungen wurden. Es gilt daher auch, die Dialektik von antifaschistischem Kampf und gesetzmäßigem Prozeß der Zersetzung faschistischer Machtsysteme stärker als bisher zu erforschen und in der marxistisch-leninistischen Faschismustheorie zu berücksichtigen.

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4. In der breiten Palette neuer Fragen spielt auch die last not least zu erwähnende Tatsache eine Rolle, daß wir nicht schlechthin und auf einer notwendigerweise sehr hohen Abstraktionsstufe von dem Faschismus sprechen können, sondern seine Entwicklungsetappen (z. B. früher, voll entfalteter, geschlagener und angepaßter Faschismus) und seine Varianten bzw. Formen (entsprechend den nationalen Besonderheiten und seinen politisch-ideologischen und organisatorischen Spezifika wie z. B.: konservativer, klerikaler, nationalsozialistischer, rassistischer, kolonialistischer Faschismus bzw. Faschismus mit Massenbasis, Militärfaschismus usw.) berücksichtigen müssen. Die marxistisch-leninistische Faschismusforschung steht daher vor der Aufgabe, eine Typologie des Faschismus auszuarbeiten, in die die Ergebnisse sehr breit und international angelegter, vergleichender Untersuchungen einfließen. Diese Aufgabe ist um so dringlicher, da bestimmte Versuche bürgerlicher Historiker Verwirrung gestiftet haben. So ist z. B. die Typologie von Ernst Nolte (Früh-, Normal- und Radikalfaschismus) strikt abzulehnen, da sie temporäre und qualitative Faktoren unzulässig vermengt. Im Zusammenhang mit der Ausarbeitung einer Typologie der Faschismen sind auch die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede konservativ-autoritärer und faschistisch-totalitärer Herrschaftsformen des Imperialismus zu klären und sind die konkreten Inhalte profaschistischer bzw. faschistischer Politik zu fixieren. Schließlich kommt es auch auf die Klärung der Frage an, in welchem Maße angesichts der Internationalisierungstendenzen im Imperialismus und der wachsenden Rolle multinationaler Monopole von einem „exportierten Faschismus" gesprochen werden muß, der in der Regel dem USA-Imperialismus dienstbar ist. Auf viele andere Fragen der Entstehung und Entwicklung von Faschismus und Neofaschismus kann hier nicht eingegangen oder auch nur hingewiesen werden/' 4 Sie alle zu diskutieren und dadurch in der weiteren Forschung und Diskussion der notwendigen Klärung ein Stück näher zu bringen, wird ein verdienstvolles Anliegen auch des heute konstituierten Arbeitskreises sein.

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Überarbeitete Fassung einer Diskussionsgrundlage für die Beratung zum Thema „Ergebnisse und Erfordernisse der Auseinandersetzung mit extrem reaktionären Richtungen der gegenwärtigen imperialistischen Politik und Ideologie", die am 10. März 1978 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena durchgeführt wurde. Telegramm Erich Honeckers an IKP-Generalsekretär Enrico Berlinguer, in: Neues Deutschland, Berlin, 13. 4. 1978. Hannes Hörnig, D i e Stärke der Gemeinsamkeit in der ideologischen Arbeit. Zu den Ergebnissen der Budapester Beratung, in: Einheit, Berlin 1978, H. 5, S. 463. Vgl. Kurt Goßweiler, Stand und Probleme der Faschismusforschung in der D D R , in: Bulletin des Arbeitskreises „Zweiter Weltkrieg" 1976, H. 1, S. 4 ff. Hrsg. von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Wolfgang Schumann und Gerhart Hass. Bd. 1: Vorbereitung, Entfesselung und Verlauf des Krieges bis zum 22. Juni 1941, Berlin 1974. Bd. 2: Vom Überfall auf die Sowjetunion bis zur sowjetischen Gegenoffensive bei Stalingrad (Juni 1941 bis November 1942), Berlin 1975, Bd. 3 und 4 erscheinen demnächst. Vgl. z. B. Anatomie des Krieges. Neue Dokumente über die Rolle des deutschen Monopolkapitals bei der Vorbereitung und Durchführung des zweiten Weltkrieges. Hrsg. und eingel. von Dietrich Eichholtz und Wolfgang Schumann, Berlin 1 9 6 9 ; Anatomie der Aggression. Neue Dokumente zu den Kriegszielen des faschistischen deutschen Imperialismus im zweiten Weltkrieg. Hrsg. und eingel. von Gerhart Hass und Wolfgang Schumann, Berlin 1972; Griff nach Südosteuropa. N e u e Dokumente über die Politik des deutschen Imperialismus und Militarismus gegenüber Südosteuropa im zweiten Weltkrieg. Hrsg. und eingel. von Wolfgang Schumann,

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Berlin 1 9 7 3 ; Weltherrschaft im Visier. D o k u m e n t e zu den E u r o p a - und Weltherrschaftspläncn des deutschen Imperialismus von der J a h r h u n d e r t w e n d e bis M a i 1945. Hrsg. und eingel. von W o l f g a n g Schumann und L u d w i g Nestler unter M i t a r b e i t von W i l l i b a l d Gutsche und W o l f g a n g R ü g e , Berlin 1 9 7 5 ; D o k u m e n t e zur deutschen Geschichte. Hrsg. von W o l f g a n g R ü g e und W o l f gang Schumann (8 H e f t e für die Perioden 1 9 1 7 - 1 9 1 9 , 1 9 1 9 - 1 9 2 3 , 1 9 2 4 - 1 9 2 9 , 1 9 2 9 - 1 9 3 3 , 1 9 3 3 - 1 9 3 5 , 1 9 3 6 - 1 9 3 9 , 1 9 3 9 - 1 9 4 2 und 1 9 4 2 - 1 9 4 5 , Berlin 1 9 7 5 , 1 9 7 6 und 1 9 7 7 ) . V g l . W o l f g a n g R ü g e , Deutschland von 1 9 1 7 bis 1 9 3 3 (Von der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution bis zum E n d e der W e i m a r e r R e p u b l i k ) , Berlin 1 9 6 7 ; Erich P a t e r n a u . a . , Deutschl a n d von 1 9 3 3 bis 1 9 3 9 (Von der Machtübertragung an den Faschismus bis zur Entfesselung d e s zweiten W e l t k r i e g e s ) , Berlin 1 9 6 9 ; W o l f g a n g B l e y e r u . a . , Deutschland von 1 9 3 9 bis 1 9 4 5 (Deutschland w ä h r e n d des zweiten W e l t k r i e g e s ) , Berlin 1 9 6 9 . V g l . z . B . G e r h a r d Förster u . a . , Forschungen zur deutschen Geschichte 1 9 3 3 - 1 9 4 5 , i n : Historische Forschungen in der D D R 1 9 6 0 - 1 9 7 0 . A n a l y s e n und Berichte. Zum XIII. Internationalen H i s t o r i k e r k o n g r e ß in M o s k a u 1 9 7 0 , Berlin 1 9 7 0 , S. 5 5 2 - 5 8 9 . V g l . G e r h a r d Lozek, Faschismus, i n : U n b e w ä l t i g t e V e r g a n g e n h e i t . K r i t i k der bürgerlichen Geschichtsschreibung in der B R D . Hrsg. von G e r h a r d L o z e k u. a., Berlin, 3. A u f l . 1 9 7 7 , S. 3 3 4 bis 347. V g l . Kurt G o ß w e i l e r , Faschismus und antifaschistischer K a m p f . M i t einem A u f s a t z von Horst Stuckmann: Rechtsentwicklung und Neofaschismus in der B R D , F r a n k f u r t a. M . 1 9 7 8 . Antifaschistische Arbeitshefte/Texte zur Demokratisierung, H . 1 9 ; M a n f r e d W e i ß b e c k e r , W e s e n und Erscheinungsformen des g e g e n w ä r t i g e n Faschismus, i n : IPW-Berichte, Berlin, 1 9 7 5 , H . 8, S. 3 6 ff.; Dietrich G a y k o , D a s Anwachsen des Neonazismus - Ausdruck gefährlicher Rechtstendenzen in der B R D , i n : E b e n d a , 1 9 7 8 , H . 1, S. 48 f f . ; H a n s Pirsch u . a . , Monopolherrschaft und Neonazismus in Westdeutschland, Berlin 1 9 6 9 . W . L. Lenin, D e r Imperialismus als höchstes S t a d i u m des Kapitalismus, i n : W e r k e , B d . 2 2 , Berlin 1 9 6 0 , S. 2 7 3 . Im Unterschied dazu ist die Errichtung einer faschistischen D i k t a t u r nicht gesetzmäßig, sondern von den unterschiedlichsten Bedingungen und Faktoren a b h ä n g i g und insofern v e r m e i d b a r . So behauptet z. B. Albrecht T y r e l l , es habe „lediglich Bemühungen um E i n f l u ß n a h m e " der herrschenden K l a s s e auf die D A P bzw. N S D A P in den J a h r e n 1919/20 gegeben. V g l . Albrecht Tyrell, V o m „ T r o m m l e r " zum „Führer". D e r W a n d e l von Hitlers Selbstverständnis zwischen 1919 und 1924 und die Entwicklung d e r N S D A P , München 1 9 7 5 , S. 2 9 6 . W o l f g a n g Schieder, Faschismus, i n : Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. E i n e vergleichende E n z y k l o p ä d i e , Bd. II, Freiburg/Basel/Wien 1 9 6 8 , Sp. 4 4 1 . Renzo D e Fclice, D e r Faschismus. Ein I n t e r v i e w von M i c h a e l A . L e d e e n . M i t einem Nachwort von Jens Petersen, Stuttgart 1 9 7 7 , S. 35. D a m i t w a r der Ü b e r g a n g zu bürgerlich-demokratischen und parlamentarischen Herrschaftsmcthoden im kaiserlich-imperialistischen Deutschland gemeint. Archiwum Paristwowe W r o c t a w , D o m B a n k o w y Eichborn i Co, Nr. 3 2 7 7 , unpag. (Brief an W i l l y Baron von K o p p y . Hervorhebung durch den V f . , M . W . ; Eine ähnliche Formulierung findet sich bei G u s t a v M a y e r : Erinnerungen, Zürich 1 9 4 9 , S. 3 0 4 . Zit. i n : Joachim Petzold, D i e Absetzung W i l h e l m s II., i n : Zeitschrift für Militärgeschichtc, Berlin 1 9 6 7 , H. 3, S. 3 0 1 . H e r v o r h e b u n g durch den V f . , M . W . V g l . dazu W o l f g a n g R ü g e , Zur T a k t i k der deutschen Monopolbourgeoisie im Frühjahr und Sommer 1 9 1 9 , i n : Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Berlin, 1 9 6 3 , H. 6, S. 1 0 9 0 . W o l f g a n g R ü g e , W e i m a r - R e p u b l i k auf Zeit, Berlin 1969. V g l . Georgi B o j a d z i e v , D i e wachsende R o l l e der Volksmassen - eine o b j e k t i v e gesellschaftliche G e s e t z m ä ß i g k e i t des weltgeschichtlichen Prozesses, i n : Probleme der geschichtswissenschaftlichen Erkenntnis. Hrsg. von Ernst E n g e l b e r g und W o l f g a n g Küttler, Berlin 1 9 7 7 , S. 1 2 1 ff. D a s zeigte sich sowohl im A u f - und A u s b a u paramilitärischer V e r b ä n d e , a l s auch in der A n wendung des sogenannten Führer-Gefolgschafts-Prinzips durch einige P a r t e i f ü h r u n g e n g e g e n ü b e r den M i t g l i e d e r n ihrer Parteien. Gemeint w a r e n die rechten sozialdemokratischen F ü h r e r und ihre A n h ä n g e r in der deutschen A r b e i t e r b e w e g u n g , die die K r i e g s k r e d i t e bewilligten und B u r g f r i e d e n s p o l i t i k betrieben. Zit. i n : Georg Honigmann, Kapitalverbrechen oder der F a l l des Geheimrats H u g e n b e r g , Berlin 1976, S. 103. Ebenda.

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V g l . dazu M a n f r e d W e i ß b e c k e r , Entteufelung der braunen B a r b a r e i . Zu einigen Tendenzen in der Geschichtsschreibung der B R D über Faschismus und faschistische Führer, Berlin 1 9 7 5 , S. 28 ff. D i e folgenden Ü b e r l e g u n g e n stützen sich auch auf einen A r t i k e l „Faschismus, K l e i n b ü r g e r t u m , A r b e i t e r k l a s s e " von Kurt G o ß w e i l e r , der 1 9 7 9 in einem S a m m e l b a n d „Faschismusforschung. Positionen — Probleme — P o l e m i k " erscheinen w i r d . V g l . dazu auch das demnächst erscheinende Buch des gleichen Autors über die herrschende K l a s s e Deutschlands und die N S D A P in B a y e r n 1919-1923.

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D a r a u f läuft auch die in Anlehnung an T h e o d o r W . A d o r n o und Fritz Sternberg formulierte These von der „Autonomie" der N S D A P hinaus, die E i k e H e n n i g vertritt: Autonomie bringe nach seiner A u f f a s s u n g zum Ausdruck, „ d a ß M a s s e n h a f t i g k e i t und E n g a g e m e n t des deutschen Faschismus auf sozialstrukturelle und sozialpsychologische Ursachenkomplexe, nicht auf ökonomische, Bestechung mittels industrieller Spenden an die Parteikassc der N S D A P zurückgeführt w e r d e n müssen." Bürgerliche Gesellschaft und Faschismus in Deutschland. Ein Forschungsbericht, F r a n k f u r t a. M . 1 9 7 7 , S. 2 8 9 .

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H e n r y A s h b y T u r n e r , jr., Faschismus und K a p i t a l i s m u s in Deutschland. Studien zum V e r h ä l t n i s zwischen Nationalsozialismus und Wirtschaft, Göttingen 1 9 7 2 , Auf S. 7 heißt e s : „Entspricht d i e w e i t verbreitete Ansicht, d a ß der Faschismus ein Produkt des modernen K a p i t a l i s m u s ist, den Tatsachen, dann ist dieses System k a u m zu verteidigen. Ist diese M e i n u n g jedoch falsch, dann ist es auch d i e Voraussetzung, auf der die Einstellung v i e l e r Menschen im Osten w i e im W e s t e n zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung beruht." V g l . auch Heinrich August W i n k l e r , Revolution, Staat, Faschismus. Zur Revision des Historischen M a t e r i a l i s m u s . Göttingen und Zürich 1978.

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D a s schließt natürlich nicht aus, d a ß es in der Q u a l i t ä t der marxistisch-leninistischen Arbeiten zur Geschichte des Faschismus erhebliche Unterschiede geben kann. Es charakterisiert Absicht und M e t h o d e v i e l e r bürgerlicher Historiker, w e n n sie dies nicht berücksichtigen, einzelne Formulierungen herausgreifen, verabsolutieren und ihrem B i l d von der „sowjetmarxistischen Faschismustheorie" zugrundelegen. So schreibt z . B . W o l f g a n g S c h i e d e r : „ D e m relativierenden G r u n d schema, nach d e m der Faschismus lediglich als ein E p i p h ä n o m e n des K a p i t a l i s m u s e r k l ä r t w u r d e , fügte die kommunistische Theorie nach der Stabilisierung der Herrschaft Hitlers lediglich ein E l e m e n t neu hinzu, das des T e r r o r s . " I n : Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft, a . a . O . ,

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V g l . Robert Ullrich, Deutsche V a t e r l a n d s p a r t e i , i n : D i e bürgerlichen Parteien in Deutschland. Handbuch der Geschichte der bürgerlichen Parteien und a n d e r e bürgerliche Interessenorganisationen vom V o r m ä r z bis zum J a h r e 1 9 4 5 , Bd. I, L e i p z i g 1 9 6 8 , S. 6 2 0 ff. Vgl. Anmerkung 27. V g l . z. B. Rudolf V i e r h a u s , Faschistisches Führertum. Ein B e i t r a g zur Phänomenologie des europäischen Faschismus, i n : Historische Zeitschrift, Bd. 1 9 8 ( 1 9 6 4 ) , S. 614 ff. Georgi Dimitroff, D i e Offensive des Faschismus und die A u f g a b e n der Kommunistischen Internationale im K a m p f für die Einheit der A r b e i t e r k l a s s e gegen den Faschismus, i n : A u s g e w ä h l t e Schriften, Bd. 2, Berlin 1 9 5 8 , S. 5 2 5 . Bürgerliche Historiker sprechen immer w i e d e r nur von der sogenannten Dimitroff-Formel (so z. B. W o l f g a n g Schieder in seiner Einleitung zu d e m von ihm herausgegebenen B a n d ; Faschismus a l s soziale B e w e g u n g . Deutschland und Italien im Vergleich, H a m b u r g 1 9 7 6 , S. 13) und negieren den gesamten Inhalt und Reichtum der G e d a n k e n Dimitroffs und des V I I . Weltkongresses.

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Dietrich Eichholtz, Probleme einer Wirtschaftsgeschichte des Faschismus in Deutschland, i n : Jahrbuch f ü r Wirtschaftsgeschichte 1963, T e i l III, S. 107. V i e l e B e i s p i e l e w i d e r l e g e n die B e hauptung, die Historiker der D D R betrieben g e g e n ü b e r der Definition Dimitroffs einen „heimlichen Revisionismus". V g l . R i c h a r d S a a g e , Faschismustheorien. Eine Einführung, München 1976. V g l . E r w i n Lewin/Horst Schumacher, Einheit im Kampf gegen Faschismus und K r i e g ! D e r V I I . K o n g r e ß der Kommunistischen Internationale 1 9 3 5 , Berlin 1 9 7 5 , S. 5 9 . VII. K o n g r e ß der Kommunistischen Internationale, R e f e r a t e und Resolutionen, Berlin 1 9 7 5 , S. 175 f. D e r politische Mechanismus der M o n o p o l d i k t a t u r , Berlin 1 9 7 7 , S. 26 f. I n : Kurt G o ß w e i l e r , Faschismus und antifaschistischer K a m p f , a . a . O . , S. 6 3 und 4 8 . D a s Problem der faschistischen M a s s e n b a s i s soll hier a u s g e k l a m m e r t bleiben. V g l . Kurt G o ß weiler, Faschismus und antifaschistischer K a m p f , a. a. O., S. 28 ff.; M a n f r e d W e i ß b e c k e r , Extrem reaktionäre Organisationen d e s Imperialismus und w e r k t ä t i g e M a s s e n , i n : Zeitschrift für G e schichtswissenschaft, Berlin 1 9 7 7 , H . 3, S. 2 8 0 ff.

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Vgl. A. Galkin, Der Faschismus erleidet Niederlagen, die Gefahr des Rechtsradikalismus bleibt, in: Probleme des Friedens und des Sozialismus, Prag 1974, H. 12, S. 1609. Der gegenwärtige Faschismus und die Realität seiner Gefahr, in: Probleme des Friedens und des Sozialismus, Prag 1973, H. 5, S. 644. So z. B. auf die Frage nach den Ursachen und der Rolle des Faschismus in einigen Ländern der sogenannten „Dritten Welt". Zu den „Lücken" und Aufgaben der marxistisch-leninistischen Faschismusformulierung, Vgl.: Kurt Goßweiler, Stand und Probleme der Faschismusforschung in der D D R , a. a. O., Manfred Weißbecker, Entteufelung . . ., a. a. O., S. 100.

Eberhard Fromm

Zu einigen Problemen der Auseinandersetzung mit dem reaktionären geistigen „Erbe"

I n der Klassenauseinandersetzung zwischen Sozialismus u n d Imperialismus nehmen ideologische F r a g e n einen wichtigen Platz ein. D i e w a c h s e n d e B e d e u t u n g der ideologischen Auseinandersetzung ist untrennbar mit der i m m e r engeren Verflechtung von ökonomischem, politischem und ideologischem K l a s s e n k a m p f zwischen den b e i d e n Gesellschaftssystemen v e r b u n d e n . „Unter den g e g e n w ä r t i g e n B e d i n g u n g e n w i r d der ideologische K a m p f zwischen Sozialismus und I m p e r i a l i s m u s komplizierter und nimmt an U m f a n g u n d Intensität zu", betont Genosse Kurt H a g e r . 1 E i n Ausdruck dieser wachsenden Breite und erhöhten Intensität im ideologischen K a m p f ist auch d i e Auseinandersetzung um d a s geistige Erbe, um d i e A n e i g n u n g und N u t z u n g , u m d i e Fälschung u n d den M i ß b r a u c h der Ideen, Konzeptionen und Theorien der V e r g a n g e n h e i t . Für den M a r x i s m u s - L e n i n i s m u s zählt das progressive geistige E r b e zu einer der wichtigen Q u e l l e n seiner eigenen E n t w i c k l u n g , seiner L e b e n d i g k e i t , seiner V o l k s - und Fortschrittsverbundenheit und seines berechtigten Anspruchs, d i e progressiven I d e e n der V e r g a n g e n h e i t in dialektischem Sinne a u f g e h o b e n zu haben. A b e r auch in der bürgerlichen Ideologie spielt d i e intensive Beschäftigung, Erschließung und A k t u a l i sierung des geistigen Erbes von jeher eine g r o ß e R o l l e . G e r a d e in Zeiten der verschärften geistigen K r i s e der kapitalistischen Gesellschaft wächst d i e A k t i v i t ä t auf diesem Gebiet besonders an. D e r Rückgriff auf Ideen, Theorien und T r a d i t i o n s l i n i e n der V e r gangenheit soll d i e Kontinuität des bürgerlichen theoretischen D e n k e n s belegen, soll d i e Schwächen der g e g e n w ä r t i g e n theoretischen Positionen verdecken helfen und soll nicht zuletzt das aktivistische E l e m e n t der bürgerlichen Ideologie durch d i e A u f n a h m e solcher Anschauungen unterstützen, d i e in der V e r g a n g e n h e i t von der Bourgeoisie erfolgreich genutzt w e r d e n konnten. Ein hervorstehendes M e r k m a l der B e l e b u n g des geistigen Erbes in der G e g e n w a r t besteht darin, d a ß vor a l l e m solche Konzeptionen a k t u a l i s i e r t w e r den, d i e v o r d e r g r ü n d i g für d i e Auseinandersetzung mit der W e l t a n s c h a u u n g der A r beiterklasse eingesetzt w e r d e n können. D e r für d i e g e s a m t e bürgerliche I d e o l o g i e der G e g e n w a r t charakteristische Rückgriff auf das geistige E r b e in seiner ganzen B r e i t e - von der B e r u f u n g auf d i e griechischrömische Geschichte und d i e mittelalterliche Scholastik über d i e progressiven Ideen der bürgerlichen A u f k l ä r u n g und der klassischen deutschen Philosophie, über d i e stark i m V o r d e r g r u n d stehenden Konzeptionen des 19. J a h r h u n d e r t s bis hin zu den bürgerlichen ideologischen Konzeptionen aus der ersten H ä l f t e des 20. J a h r h u n d e r t s - zeigt sich in einer spezifischen Gestalt und besonders a u s g e p r ä g t in der konservativen Ideologie der heutigen bürgerlichen W e l t . Für den Konservatismus ist kennzeichnend, d a ß er mit g r o ß e m A u f w a n d eine A k tualisierung des ausgesprochen reaktionären Ideengutes der V e r g a n g e n h e i t betreibt. D a bei stützt er sich nicht nur auf die ausdrücklich k o n s e r v a t i v e n Ideologen der verschiede31

nen historischen Etappen des Konservatismus, w i e z. B. Burke, de Maistre, A d a m M ü l ler, Baader, Cortes, Stahl und Burckhardt. Er initiiert das Wiederbeleben der scholastischen Philosophie ebenso w i e eine regelrechte Renaissance solcher Denker w i e Arthur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche und Sören Kierkegaard. G e r a d e die intensive B e a r beitung der Konzeptionen eines Friedrich Nietzsche, w i e sie sich seit Mitte der sechziger J a h r e in immer größerem U m f a n g vollzieht, ist ein typisches Beispiel für Inhalt und Methode der Aktualisierung reaktionärer geistiger Traditionen. So ist die umfassende philosophiegeschichtliche Aufarbeitung der Ansichten Nietzsches eng verbunden mit den Versuchen, diese Aussagen zu übergreifenden, tragenden Erkenntnissen für die Gegenw a r t zu erheben. Damit w i r d der grundsätzlich konservative Ansatz dieser Philosophie in verschiedenartigste Konzeptionen der gegenwärtigen bürgerlichen Ideologie eingefügt. Nietzsche selbst w i r d als „das größte Ausstrahlungsphänomen der neueren Geistesgeschichte" gefeiert, dem seine Zukunft noch bevorsteht. Worin sehen die konservativen bürgerlichen Ideologen von heute die A t t r a k t i v i t ä t Nietzsches, d a ß man nach über 100 Jahren einen solchen A u f w a n d treibt? Aus bürgerlicher Sicht erscheint die Konzeption dieses Philosophen in dreierlei Hinsicht a k t u e l l : „Erstens bietet sie eine echte Alternative zu utopischen, durch keine Realität einlösbaren, und deshalb Frustration induzierenden Revolutionshoffnungen . . . Zweitens entspricht seine Philosophie des sich selbst verdächtigenden Verdachts dem verbreiteten und sehr berechtigten Bedürfnis enttäuschter und mißtrauisch gewordener Zeitgenossen nach A u f deckung der Hintergrund-Motivationen kollektiven und individuellen Verhaltens. Drittens entwirft Nietzsche eine ,kritische Theorie', die nicht nur negativ aufdeckt . . . sondern, und das hebt sie im N i v e a u turmhoch über die soziologisch orientierten, kritischen Theorien der Gegenwart, sie benennt den Maßstab ihrer entlarvenden Tätigkeit, entfaltet ihn explizit und konzipiert darin zielintuitiv das B i l d des Menschen, wie er jenseits seiner durch traditionelle Repressalien bedingten Deformiertheit sein kann." 2 D i e hier angeführten Gründe für die A k t u a l i t ä t solch einer Konzeption zeigen eines ganz deutlich: Es sind die gegenrevolutionären, antimarxistischen, subjektiv-idealistischen und irrationalen Momente, die vor allem von Interesse sind und dementsprechend hervorgehoben werden. D i e intensive Beschäftigung mit den reaktionären geistigen Traditionen durch konserv a t i v e Ideologen der Gegenwart - und Nietzsche ist ja nur ein Beispiel dafür - erfordert unter dem Gesichtspunkt einer offensiven Auseinandersetzung mit dem Konservatismus, d a ß wir die marxistisch-leninistischen Positionen zu einem solchen reaktionären geistigen „Erbe" gründlicher und umfassender entwickeln. Dabei ist die wachsende Bedeutung eines solchen „Erbes" in der gegenwärtigen ideologischen Auseinandersetzung nur ein Grund. Gleichzeitig gestattet die genauere Kenntnis der geistigen Quellen der verschiedenartigen bürgerlichen Konzeptionen eine - heute immer notwendigere - bessere Differenzierung innerhalb der bürgerlichen Ideologie. Nicht zuletzt führt uns das auch zu tieferen Einsichten in jene Anschauungen und Konzepte, die im Prozeß der Herausbildung, Durchsetzung und Verbreitung des Marxismus-Leninismus als reaktionäre Alternativen eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben und aus eben diesem G r u n d e heute wieder aktualisiert werden sollen. D i e marxistisch-leninistische Grundposition zu den reaktionären geistigen Traditionen ist eindeutig: Es ist jenes „Erbe", auf das w i r - im Leninschen Sinne - verzichten, das für die Kräfte des gesellschaftlichen Fortschritts kein „Erbe" darstellen kann, weil es ideologischer Ausdruck der reaktionären Interessen der überlebten Ausbeuterordnung i

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ist, weil in ihm theoretisch reflektiert sind die konservativen und reaktionären Ideen der Volksfeindlichkeit und der geschichtsphilosophischen Absage an den historischen Fortschritt. Aber daß wir auf dieses „Erbe" verzichten, bedeutet keineswegs, daß wir es nicht zur Kenntnis nehmen müssen und uns gründlich damit auseinanderzusetzen haben. Friedrich Engels wies darauf hin, daß man mit einer Philosophie nicht dadurch fertig wird, daß man sie für falsch erklärt. Der gegenwärtige Stellenwert der reaktionären geistigen Traditionen weist darauf hin, daß eine bloße Absage nicht ausreicht, um mit den heutigen Wirkungen dieses „Erbes" abrechnen zu können. Unkenntnis auf diesem Gebiet oder Oberflächlichkeit beeinträchtigen so nicht nur unsere Offensive auf dem Gebiet der Ideologie, sie können auch zu vordergründigen Wertungen führen, zur bloßen Polemik gegen zeitweilige Modeerscheinungen in der bürgerlichen Ideologie ohne Aufdeckung der theoretischen Grundkonzeptionen und zu Unsicherheit bei der historischen und aktuellen Einschätzung von Strömungen und Entwicklungstendenzen innerhalb der bürgerlichen Ideologie. Daher gehört die gründliche konzeptionelle wie auch detaillierte Bearbeitung der Probleme eines geistigen Erbes mit ausgesprochen reaktionären Tendenzen zu den Aufgaben der gegenwärtigen ideologischen Auseinandersetzung. Es geht darum, diese reaktionären Traditionslinien in ihrer konkret-historischen Situation wie in ihrer Entwicklung zu analysieren, eben sowohl als eine Aufgabe der ideologie- bzw. philosophiegeschichtlichen Forschung wie auch der Auseinandersetzung mit der heutigen bürgerlichen Ideologie. Wertvolle Anregungen und Ansätze sind in der marxistischen Literatur bereits vorhanden. Vor allem in den sowjetischen Publikationen wird deutlich, daß man diesen Fragen stets große Bedeutung beigemessen hat. Davon ausgehend, möchte ich einige Überlegungen zum konzeptionellen Herangehen an ein solches reaktionäres geistiges Erbe anstellen: Erstens ist es notwendig, die ökonomischen, sozialen, politischen und geistig-kulturellen Bedingungen zu analysieren, unter denen bestimmte reaktionäre Konzeptionen entstanden, wirkten und Verbreitung fanden. Die genaue Kenntnis dieser Bedingungen in ihrer Gesamtheit ermöglicht es, zu einer richtigen Einsicht darüber zu gelangen, warum solche reaktionären Anschauungen in ihrer Zeit Wirksamkeit erlangten, wie, in welcher Gestalt und warum sie in der konservativen Ideologie aufbewahrt bleiben und unter welchen Bedingungen sie in der Gegenwart - und auch in Zukunft - wieder auftreten, aktuell erscheinen, in welcher Art und Weise sie sich dabei modifizieren. Den konservativen Ideologen der Gegenwart erscheint es z. B. sehr wichtig, die Ähnlichkeit bestimmter Bedingungen für bestimmte Konzeptionen in Vergangenheit und Gegenwart zu betonen. Vor allem im Zusammenhang mit der geistigen Krise der bürgerlichen Gesellschaft und der ideologischen Reflexion dieser Krise als „geistiges Chaos", als „Wert- und Sinnkrise" u. ä. nimmt interessanter Weise der bewußte Rückgriff auf die geistigen Traditionen früherer gesellschaftlicher Gebilde - vor allem in ihrem Untergangsstadium - zu. Schon in den sechziger Jahren stellten so z. B. amerikanische Futurologen einen Bezug zum späten römischen Reich her. Heute spielt diese Überlegung bei vielen konservativen Theoretikern eine wichtige konzeptionelle Rolle. So meint J. Freund unter der Fragestellung, ob Europa heute dekadent sei, daß man gegenwärtig in die Geschichte fliehe und nach der Dekadenz Roms frage, „um sich zu trösten und vielleicht aus dem Studium einer fernen Vergangenheit Hoffnungen für ein Wiedererstehen zu schöpfen". ;i Und er hält dieses Herangehen für legitim, wenn er 33

behauptet: „In mancher Beziehung kann uns die Kenntnis des Prozesses des Niedergangs der antiken Welt bei dem Verständnis der Ereignisse, deren direkte Zeugen wir sind, helfen . . Zweitens kommt es darauf an, möglichst genau und differenziert die jeweiligen Klasseninteressen nachzuweisen, die in den konservativen Konzeptionen reflektiert werden. Von hier aus wird es möglich, die Kontinuitätslinien reaktionären Gedankengutes zu bestimmen, zugleich aber auch zu zeigen, in welcher Breite und auch Unterschiedlichkeit heute die reaktionären politischen K r ä f t e ideologische Konzeptionen verschiedenartigster Natur nutzen. Marx, Engels und Lenin haben bekanntlich mehrfach nachgewiesen, wie sich z. B. kleinbürgerliche Interessen in bestimmten historischen Etappen in reaktionären Konzeptionen manifestierten; heute können solche Auffassungen durchaus im ideologischen Arsenal der imperialistischen Bourgeoisie ihren Platz finden. Das bedeutet, daß es nicht um eine einfache Beziehung von Klasseninteressen und ideologischen Konzeptionen gehen kann, sondern um die Vielzahl der Vermittlungen, Beziehungen, historischen Veränderungen usw. All das sind ja wesentliche Faktoren für die noch vorhandene „Lebensfähigkeit" konservativer Ideen und ihre durchaus vorhandene Wirksamkeit. Drittens gilt es, unter Beachtung auch der relativen Selbständigkeit des Ideologischen, die Stellung und Bedeutung der jeweiligen konservativen Konzeptionen in ihren Beziehungen zu anderen Richtungen der bürgerlichen Ideologie zu analysieren und zu bestimmen. Von dorther muß erreicht werden, d a ß nicht schlechthin reaktionäres Gedankengut aus marxistisch-leninistischer Sicht einer prinzipiellen Kritik unterzogen wird, sondern daß der Schwerpunkt auf den konzeptionsbildenden, langfristig wirkenden Konzeptionen und Theorien liegt. So betont z. B. O d u j e w in bezug auf den „Nietzscheanismus" der bürgerlichen Ideologie und Philosophie: „Nietzsches Mystik liefert eine Sammelideologie für die reaktionärsten Bestrebungen und verleiht ihnen eine nicht nachlassende Wirkung bei beliebigen Änderungen der konkreten Situation, dabei erhält die freie Interpretation durch die Besonderheiten des Stils das Übergewicht gegenüber dem stabilen Inhalt der Doktrin; sie wird dadurch adaptierbar und elastisch, was bei philosophischen Konzeptionen, in denen der Gedankenzusammenhang in logisch-systematischer Form dargelegt ist, prinzipiell ausgeschlossen ist.""' Neben diesem Aspekt, den O d u j e w hier am Beispiel Nietzsches hervorhebt, gibt es aber auch noch andere Gesichtspunkte, die Beachtung verdienen. Für die spezifische Art und Wirkung der Rezipierung reaktionären Ideengutes erscheint es aus der Sicht der gegenwärtigen konservativen Ideologen auch wichtig, inwieweit in solchen Theorien der kontemplative oder ein mehr aktivistischer Zug vorherrscht. So gibt es natürlich auch heute eine nachweisbare Rezeption und Wirkung der kulturkritischen Auffassungen und des erkenntnistheoretischen Pessimismus eines Schopenhauer. Aber sie unterscheiden sich von der Art der Rezeption und der Wirkung her von der Wiederbelebung Nietzsches, eben weil bei Nietzsche das aktivistische Programm zur „Lösung" der kritisierten Krisenprozesse viel intensiver und umfassender entworfen ist. Gerade auf diese aktivistischen Positionen der Vergangenheit stützen sich die konservativen Ideologen heute besonders; sie gehören daher auch ins Zentrum einer offensiven marxistisch-leninistischen Kritik und Widerlegung. Neben den bisher genannten Aspekten eines konzeptionellen Herangehens an das reaktionäre Ideengut der Vergangenheit müssen natürlich zentrale weltanschauliche Probleme einbezogen werden. Dazu gehört ganz sicher - und das wäre ein vierter Gesichtspunkt - die Stellung zum gesellschaftlichen Fortschritt und den ihn tragenden sozialen Kräften. Für das reaktionäre Ideengut der Vergangenheit ist geradezu charakteristisch

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die grundsätzliche A u f g a b e - bis hin zu deren theoretischer Begründung - der Idee des gesellschaftlichen Fortschritts auf der Grundlage der Leugnung objektiver Gesetzmäßigkeiten im Geschichtsprozeß. Die damit eingeleitete reaktionäre Traditionslinie konservativen Denkens gilt es aufzudecken, ihre Fortschritts- und Volksfeindlichkeit zu enthüllen und sie als eine Quelle der heutigen konservativen Positionen zum gesellschaftlichen Fortschritt deutlich zu machen. Besonders der dabei sichtbar w e r d e n d e Grundzug konservativer Theorie, die Arbeiterklasse als Träger des gesellschaftlichen Fortschritts in unserer Epoche zu negieren und scheinbar „neue" elitäre Auffassungen zu entwerfen, gehört in die konzeptionellen Überlegungen einer umfassenden Kritik am reaktionären geistigen Erbe. Eng verbunden damit ist fünftens die Haltung des Konservatismus gegenüber der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse, der Angriff auf die Wissenschaftlichkeit und Gültigkeit des Marxismus-Leninismus unter Hervorhebung einer weltanschaulichen „Alternative", vor allem in Gestalt lebensphilosophischer Positionen. Sicher ist die gesamte bürgerliche Ideologie seit Mitte des 19. Jahrhunderts mit der wissenschaftlichen Theorie der Arbeiterklasse konfrontiert und bezieht - entsprechend ihrer Klassenposition - feindliche Haltungen. Im reaktionären Ideengut der Vergangenheit tritt diese Anti-Haltung jedoch besonders militant hervor, und gerade darauf konzentriert sich die gegenwärtige Aktualisierung dieses „Erbes". Die Auseinandersetzung von marxistisch-leninistischen Positionen aus mit dem reaktionären Ideengut der Vergangenheit ist so keine Angelegenheit nur der Philosophiebzw. Ideologiehistoriker, sondern zugleich ein Erfordernis der gegenwärtigen ideologischen Klassenauseinandersetzung. Bei unserer Arbeit auf diesem Gebiet geht es darum, auf der Grundlage einer weiter auszuarbeitenden Konzeption das reiche Erbe der K l a s siker des Marxismus-Leninismus gründlicher zu nutzen, Inhalt und Methoden ihrer Polemik mit reaktionären Auffassungen der Vergangenheit und ihrer Zeit für uns zu analysieren. Die Aufdeckung der geistigen Quellen des heutigen Konservatismus gehört zu den Erfordernissen unserer ideologischen Offensive, denn sie ermöglicht den Nachweis der sich vollziehenden tiefen geistigen Krise der bürgerlichen Gesellschaft in ihrer historischen Kontinuität, das Aufdecken innerer Zusammenhänge zwischen der Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus, der geistigen Krise und den Entwicklungstrends des Konservatismus, das frühzeitige Erkennen bestimmter Umorientierungen und Modifizierungen unter dem Zwang der Anpassung an das veränderte Kräfteverhältnis. Die konservativen Ideologen von heute versuchen, sich mit der umfassenden Erschließung „ihres" Erbes und seiner Aktualisierung mehr Möglichkeiten und Reserven für die ideologische Klassenauseinandersetzung mit dem Sozialismus und zur Stabilisierung des imperialistischen Systems zu schaffen. Nur unsere gründliche Kenntnis darüber, w i e und warum dieses „Erbe" bereits in der Vergangenheit bürgerliche Ideologen führen und die werktätigen Massen verführen konnte, macht es uns möglich, in der Klassenauseinandersetzung der Gegenwart überzeugend und wirksam diese „Reserven" des Konservatismus frühzeitig zu widerlegen und untauglich zu machen.

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Anmerkungen 1 2 3 4 5

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Kurt H a g e r , D e r IX. Parteitag und die Gesellschaftswissenschaften, Berlin 1 9 7 6 , S. 24. J e n d r i s A l w a s t , Logik der dionysischen Revolte, Meiscnheim/Glan 1975, S. 6. J u l i e n Freund, Ü b e r die D e k a d e n z . D a s späte R o m und die europäische G e g e n w a r t , i n : Criticon, W e i d e n 1975, H. 31, S. 2 0 7 . E b e n d a , S. 2 1 1 . S. F. O d u j e w , Auf den Spuren Zarathustras. D e r Einfluß Nietzsches auf die bürgerliche deutsche Philosophie, Berlin 1977, S. 22.