Konservatismus als politische Strömung und politische Ideologie: Beratung des Wissenschaftlichen Rates für Grundfragen des ideologischen Kampfes zwischen Sozialismus und Imperialismus [Reprint 2021 ed.] 9783112541906, 9783112541890

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Konservatismus als politische Strömung und politische Ideologie: Beratung des Wissenschaftlichen Rates für Grundfragen des ideologischen Kampfes zwischen Sozialismus und Imperialismus [Reprint 2021 ed.]
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ABHANDLUNGEN DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER DDR Abteilung Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Räte Jahrgang 1978 • Nr. W 4

Beratung des Wissenschaftlichen Rates für Grundfragen des ideologischen Kampfes zwischen Sozialismus und Imperialismus

Konservatismus als politische Strömung und politische Ideologie

A K A D E M I E - V E R L A G • B E R L I N • 1978

Herausgegeben im Auftrage des Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der DDR von Vizepräsident Prof. Dr. Heinrich Scheel Verantwortlich für dieses Heft: Akademiemitglied Manfred Buhr Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rates für Grundfragen des ideologischen Kampfes zwischen Sozialismus und Imperialismus

Redaktionsschluß: 20. 2. 1978 Erschienen im Akademie-Verlag, 1 0 8 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1 9 7 8 Lizenznummer: 202 • 100/244/78 Gesamtherstellung: IV/2/14 V E B Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen • 5257 Bestellnummer: 7 5 3 595 0 (2001/78/4/W) L S V 0 1 6 5 Printed in G D R D D R 8,50 M

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung Ludwig

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Elm

Traditionen, Wesen und Erscheinungsformen des Konservatismus - am Beispiel der BRD -

. .

Gerhard, LozekjKonrad lrmschler Konservative Entwicklungen in der bürgerlichen Historiographie der BRD Erhard

Hans-Georg

34

Hofmann

Der Einfluß des politischen Konservatismus auf die imperialistische Bildungspolitik in der Gegenwart

38

Meißner

Konservatismus und bürgerliche politische Ökonomie Robert

25

Albrecht

Konservatismus, Biologismus und anthropologische Sprachkonzeption

Herbert

7

52

Steigerwald

Konservatismus heute

55

Aus der Dikussion (Mitschriften)

69

Dieter Bergner Georg Domin Eberhard

Fromm

Herbert Häber Harry Klug Bernd P. Löwe Karl-Heinz

Röder

Max Schmidt Hans Schulze Schlußbemerkung Ludwig

Elm

Manfred Bubr

3

Vorbemerkung

Unter dem Thema Konservatismus als politische Strömung und politische Ideologie diskutierte der Wissenschaftliche Rat für Grundfragen des ideologischen Kampfes zwischen Sozialismus und Imperialismus die verschiedenen Erscheinungsformen des Konservatismus in der gegenwärtigen bürgerlichen Gesellschaft und Ideologie. Im folgenden werden die in diesem Zusammenhang gehaltenen Vorträge und Diskussionsbeiträge (in Form von Mitschriften) abgedruckt. Das geschieht in der Absicht, die Forschung zu Problemen des Konservatismus als eines Bestandteils gegenwärtiger bürgerlicher Ideologie (und Politik) anzuregen und zu unterstützen. Dezember 1977 Manfred Buhr

Ludwig Elm

Traditionen, Wesen und Erscheinungsformen des Konservatismus — am Beispiel der BRD —

Die Erörterung dieses Themas erfolgt vor dem aktuellen Hintergrund einer auffälligen Aktivierung der reaktionärsten Kräfte der imperialistischen Bourgeoisie. Die konservativ-nationalistischen Gruppierungen und Organisationen in der BRD spielen auch in dieser Phase eine besonders aktive antisowjetische und friedensgefährdende Rolle. Es bedurfte nicht dieser jüngsten Erfahrungen, um sich in unserem Kreis diesem Gegenstand zuzuwenden, wohl aber bestätigten sie die politische und wissenschaftliche Dringlichkeit und Tragweite der gewählten Problemstellung. Es ist davon auszugehen, daß inzwischen einige Beiträge zur marxistisch-leninistischen Analyse und Einschätzung des Konservatismus in der gegenwärtigen Ideologie und Politik der imperialistischen Bourgeoisie vorliegen. Sie verdeutlichen jedoch zugleich, daß wir uns erst am Beginn einer umfassenderen und interdisziplinären Untersuchung des komplexen Gegenstandes befinden. Einige Fragen sind offen oder umstritten, und manche Verallgemeinerung ist noch nicht hinreichend fundiert oder theoretisch ausgereift. Beispielsweise in der kritischen Aufarbeitung der historischen Vorläufer und Traditionen oder hinsichtlich der international vergleichenden Analysen und Studien. In diesem Zusammenhang ist die Initiative vom Vorsitzenden des Rates, M. Buhr, für die heutige Themenwahl zu begrüßen. Mit den folgenden Ausführungen wird versucht, aus den bisherigen Bemühungen auf diesem Gebiet und mit dem Blick auf Stand und Aufgaben einige Gedanken, Thesen und Fragestellungen zur gemeinsamen Erörterung beizutragen. Ein charakteristisches Moment der gegenwärtigen politischen und weltanschaulichideologischen Prozesse und Tendenzen in der Welt des Kapitals besteht in der Aktivierung offen reaktionärer Strömungen. Neben Neofaschismus, Rassismus und Militarismus und in Wechselwirkung mit ihnen sind es vor allem exponiert konservative Richtungen, Schulen und Organisationen, die in Ländern wie den USA, Großbritannien, Frankreich und der BRD verstärkt hervortreten, zunehmend das politische Klima beeinflussen und auf Grundfragen des Klassenkampfes sowie auf die gesamtgesellschaftliche Perspektive bezogene Ansprüche und Leitbilder entwickeln. Die „Offensive konservativen Denkens, die gegenwärtig in der BRD auf Hochtouren läuft" (Bergner/Mocek), bildet den zeitgeschichtlichen Ausgangspunkt und die wesentliche Veranlassung unserer Beratung. Einige Erscheinungsformen, Wesenszüge und Tendenzen dieses Aufbruchs unter konservativer Flagge - des eigentlichen Kerns der vielberufenen „Tendenzwende" - wurden in vorliegenden Arbeiten vorgestellt. Der Hauptinhalt jener politisch-ideologischen Prozesse besteht darin, daß sich einflußreiche politische Repräsentanten, Ideologen, Organisationen und Institutionen der imperialistischen Bourgeoisie einem prononcierten Konservatismus zuwenden und sich zielstrebig bemühen, konservative Ideen und Leitbilder, Traditionen und Potentiale zu erschließen, zu sammeln und zu mobilisieren. Das Ziel besteht darin, die weltanschaulich-ideologi7

sehen Grundlagen sowie die politische Programmatik und Taktik des Konservatismus den heutigen Existenzbedingungen und Bedürfnissen des monopolkapitalistischen Herrschaftssystems anzupassen und zugunsten seiner politischen Stabilisierung wirksam werden zu lassen. Dabei gibt es auffällige Parallelen zum New Conservatism der fünfziger Jahre in den U S A und zu heutigen extrem reaktionären Sammlungsbewegungen in anderen imperialistischen Hauptländern. D i e Modewelle biete den Konservativen Chancen, äußerte C. v. Schrenck-Notzing als einer ihrer führenden K ö p f e ; es „ist nicht die Aufgabe der Konservativen, in der Modewelle gemütlich zu plätschern, sondern die Gunst der Stunde zu nützen, um ihr ein Maximum an Institutionalisierung abzuzwingen". 1 D e r Vorstoß des Konservatismus bildet eine wesentliche Komponente der allgemeinen Entwicklung nach rechts in der Bundesrepublik, deren treibende Kräfte versuchen, wie der Vorsitzende der D K P , Herbert Mies, feststellte, „der Infragestellung des kapitalistischen Gesellschaftssystems durch die Verstärkung der antikommunistischen Hetze und die Verschärfung des politischen Drucks auf alle fortschrittlichen Kräfte, die mit gesellschaftsverändernden Alternativen hervortreten, entgegenzuwirken". 2 Diese Rechtsentwicklung umfaßt die verschiedensten politisch-ideologischen Richtungen. Auch der Neofaschismus ist weiterhin existent, wirksam und gefährlich, stellt aber offensichtlich nicht die Hauptkraft der akuten fortschrittsfeindlichen und antidemokratischen Grundtendenzen dar. Unser besonderes Interesse gilt der ausgesprochen konservativen Strömung, die ihrem Wesen gemäß mit Nationalismus und Revanchismus, Militarismus und Neofaschismus vielgestaltig verquickt ist und maßgeblich die derzeitige gesellschaftspolitische und staatliche Entwicklungsrichtung der B R D prägt. D i e gegenwärtigen Existenzbedingungen des Imperialismus, wie sie vor allem in den Merkmalen der jetzigen Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus umrissen sind, stimulieren die Aufwertung und Mobilisierung des Konservatismus. Die Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus erhöht die politische Labilität und fördert mit wachsender sozialer Unsicherheit bestimmte sozial-psychologische Faktoren, die der Rechten Auftrieb geben. D i e Ideologen der aggressivsten Gruppen der imperialistischen Bourgeoisie drängen darauf, der krisenhaften sozialen und ideologischen Prozesse durch extrem reaktionäre Mittel Herr zu werden. Im Vergleich zur faschistischen Diktatur erweist sich die konservativ-autoritäre Variante der Massenbeeinflussung und der Machtausübung gerade auch für die herrschende Klasse der entwickelten kapitalistischen Länder als mit relativ geringeren innenpolitischen Erschütterungen, mit einer größeren Flexibilität im Innern wie nach außen und damit insgesamt mit dem kleineren gesellschaftsund machtpolitischen Risiko verbunden. Im Programm der S E D wird festgestellt: „ D i e wachsende politische Instabilität der Monopolherrschaft und ihrer Regierungen geht einher mit dem zunehmenden Niedergang der bürgerlichen Demokratie. Auch Ideologie und Kultur des Imperialismus befinden sich in einer tiefen Krise." 3 D i e Leninsche Imperialismustheorie bildet den Schlüssel zur Analyse und Wertung des Klassenwesens dieser politisch-ideologischen Prozesse. Konservative Ideologie und Politik sind stets Ausdruck niedergehender, geschichtlich perspektivloser Klassen und Schichten. In der jetzigen, vor sechs Jahrzehnten mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution eingeleiteten Epoche widerspiegelt der Konservatismus vor allem die historisch-politische Natur der Monopolbourgeoisie und wird entscheidend in ihrem Klasseninteresse wirksam. D i e Beurteilung der tatsächlichen Chance eines exponierten Konservatismus im letzten Viertel unseres Jahrhunderts hat

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davon auszugehen, daß er in hohem Maße den ideologischen und politischen Eigenschaften und Bedürfnissen der Monopolbourgeoisie entspricht. D e r Konservatismus unserer Epoche ist gemäß diesem historisch-klassenmäßigen W e sen von Anbeginn und grundlegend gegen den realen Sozialismus und den gesamten revolutionären Weltprozeß, gegen den Marxismus-Leninismus und alle antiimperialistisch-demokratischen Ideen und Bestrebungen gerichtet. Zugleich kann er sich der tatsächlichen weltpolitischen Rolle der UdSSR, der sozialistischen Staatengemeinschaft, der revolutionären Arbeiterbewegung und der nationalen Befreiungsbewegung gegenüber nicht völlig ignorant verhalten und unterliegt einem durch das veränderte Kräfteverhältnis erzwungenen Anpassungsprozeß. D i e Mobilisierung des Konservatismus erfolgt deshalb in modifizierten Erscheinungsformen, Ansprüchen und Leitbildern, deren Funktion jedoch in der Bewahrung und Wirksamkeit seines reaktionären Wesens besteht. J e d e „Renaissance" oder „Rekonstruktion" des konservativen Denkens und politischen Handelns bedeutet somit in der Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus, den Antikommunismus in seinen offen volks- und fortschrittsfeindlichen Spielarten zu beleben und zu verstärken. D e r Konservatismus ist direkter Ausdruck der reaktionären Wesenszüge der Monopolbourgeoisie. Unter der bestimmenden Wirkung des Grundwiderspruchs im Kapitalismus und in der internationalen Klassenauseinandersetzung mündet jede Variante des Konservatismus in den Antikommunismus als der ideologischen Hauptwaffe der imperialistischen Bourgeoisie. Mit anderen Worten: D i e Wiederbelebung des Konservatismus erklärt sich letztlich aus seiner antikommunistischen Potenz und Funktion. Diese resultieren aus der konterrevolutionären, aufklärungs- und fortschrittsfeindlichen sowie elitären Natur der konservativen Ideologie und Politik, die sich gegen die revolutionären Hauptströme, gegen den Hauptinhalt und die Grundrichtung der gegenwärtigen Epoche richten. D e r reale Sozialismus und vor allem dessen Hauptkraft, die UdSSR, sind der eigentliche geschichtliche Gegner des Konservatismus unseres Jahrhunderts. In der Stellung zur Arbeiterklasse und ihrer historischen Mission als der im Mittelpunkt unserer Epoche stehenden Klasse ist das entscheidende objektive Kriterium zur Beurteilung des Klassencharakters und der historisch-politischen Funktionen dieses Konservatismus zu sehen. D i e rechtsextremistische Parole der C D U / C S U „Freiheit oder Sozialismus" reflektiert diesen Antagonismus und die Hauptstoßrichtung ebenso wie die Aussage der Vorsitzenden der Konservativen Partei Großbritanniens, M. Thatcher, in ihrer militanten Ansprache auf dem CDU-Parteitag im Mai 1976, wonach in Großbritannien wie in der B R D im wesentlichen zwei politische Philosophien existieren: D e r Marxismus und Sozialismus einerseits und der Konservatismus mit seinen „Werten" andererseits. Im Frühjahr 1977 konstatiert ein konservativer Publizist: „Auf dem Hintergrund der verschärften europäischen Krise zeichnen sich die ersten Umrisse eines europäischen Mitte-RechtsBlockes ab, etwa auf der Wellenlänge Thatcher-Chirac-Strauß." 4 Natürlich erscheint das Eingeständnis der eigentlichen Stoßrichtung dieser militanten konservativen Kräfte in einer verfälschenden Terminologie und Interpretation, beispielsweise, wenn die C D U / C S U die Monopolherrschaft meint, aber von der „Freiheit" spricht. Ungeachtet solcher Manipulationen ist unübersehbar, daß in der konservativen Publizistik und Literatur der Sozialismus, die kommunistische Weltbewegung und der Marxismus-Leninismus aufwendig und unmißverständlich als Hauptgegner definiert und angegriffen werden. D i e generelle Aussage über den Wesenszusammenhang von Imperialismus und Kon-

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servatismus verrät allerdings noch nichts über die Diskontinuität seiner geschichtlichen Erscheinungsformen. Woraus erklärt sich die unverhohlene Wiederaufnahme der konservativen geistigen und politisch-moralischen Traditionslinie, die in Deutschland durch die Schrittmacher- und Handlangerdienste der Konservativen für den Hitlerfaschismus nachhaltig belastet und diskreditiert ist? Ist das nicht taktisch unzweckmäßig und sollte vermieden werden - was tatsächlich bis heute von gemäßigten Gruppen der bundesdeutschen Rechten geäußert und gefordert wird. Zunächst: E s steht nicht uneingeschränkt im subjektiven Ermessen der Ideologen und Politiker der Monopolbourgeoisie, weltanschaulich-ideologische und historisch-politische Richtungen, Traditionen und Argumente zu bevorzugen, bloß hinzunehmen oder zu verwerfen, denn: „ D i e Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden." 5 Jede gegenwärtige politisch-ideologische Strömung und die sie tragende Bewegung mit ihren gesamtgesellschaftlichen Bestrebungen und Zielen bedarf auch der Einordnung und Selbstdarstellung in historischen Dimensionen. Sie kann im Grundsätzlichen und langfristig ihre eigenen historisch-logischen Voraussetzungen nicht ungestraft leugnen oder ignorieren oder willkürlich be- oder verurteilen. Darin bestand beispielsweise eine Schwäche von L. Erhards Konstruktion einer „Formierten Gesellschaft" um 1965/66 und ein Moment ihres Scheiterns. Andererseits war die konservativ-neofaschistische Attacke der sechziger Jahre gegen die antifaschistische Bewältigung der Vergangenheit und für die Verjährung der Nazi- und Kriegsverbrechen folgerichtiger Ausdruck der Tatsache, daß die Expansionspläne und die autoritäre Formierung des Herrschaftssystems nicht nur mit Antifaschismus unvereinbar sind, sondern dessen Diskriminierung und Unterdrückung bei gleichzeitiger Rehabilitierung der eigenen konservativ-nationalistischen Ursprünge und Traditionen zwingend voraussetzen. D i e Krise der bürgerlichen Ideologie schließt neben der unablässigen Erzeugung und dem raschen Verschleiß von Modetheorien und diversen Anpassungsbemühungen auch den Zwang zur Wiederaufnahme und weltanschaulich-politischen Verwertung der reaktionären philosophischen und gesellschafts-theoretischen Traditionen ein. Insbesondere die konservativen Kräfte bedürfen der eigenen Ableitung und Legitimierung aus der Vergangenheit, deren überkommene „Grundwerte" sie zu bewahren und weiterzuführen vorgeben. In der antikommunistisch motivierten weitgehenden Rehabilitierung der konservativen Traditionen läßt sich gerade dieses ideologisch-politische Bedürfnis nachweisen. Diese Problematik läßt sich auch von einem anderen Aspekt her angehen: Besteht beim heutigen, keineswegs zufälligen Streben der Repräsentanten der Monopolbourgeoisie nach der Neuformulierung von weltanschaulich und ethisch fundierten, massenwirksamen „Werten" („Grundwerten", Leitbildern, Haltungen usw.) nicht eine Schwäche und Grenze von Modetheorien und konjunkturell wirksamen Propagandathesen darin, daß ihnen die Überlieferung und geschichtliche Weite, somit auch darauf gegründete psychische und moralische, emotionale, Geschichtsbewußtsein und Weltanschauung prägende Tiefenwirkungen weithin abgehen? Die militaristische und pronazistische Traditionspflege der Bundeswehr belegt symptomatisch, daß Industriegesellschafts- und Konvergenztheorien nicht ausreichen, um Soldaten für aggressive N A T O - P l ä n e bis zur Aufopferung ihres Lebens geistig und moralisch reifzumachen. 10

Die Verschärfung des ideologischen Kampfes zwingt auch die reaktionärsten Ideologen des Imperialismus, in höherem Maße als bisher geistige Traditionen und Reserven zu erschließen und zu nutzen, die weltanschaulichen Grundlagen des eigenen politischen Standorts zu vertiefen und die für heutige Klassenkämpfe relevanten Fragestellungen und Aspekte theoretisch auszubauen. Die Selbstverständigung über diesen Sachverhalt und die daraus abzuleitenden Schlußfolgerungen im Kreis führender Rechtskräfte verläuft widerspruchsvoll und keineswegs einheitlich. Das geht aus den andauernden Auseinandersetzungen in den Führungsgruppen der CDU/CSU über weltanschaulich-ideologische, programmatische und strategische Fragen deutlich hervor. Gegenwärtig treten dabei hauptsächlich zwei Konzeptionen auf, die natürlich auf grundlegenden klassenmäßigen Gemeinsamkeiten basieren. Das ist erstens die von H. Kohl, K. H. Biedenkopf, H. Geißler u. a. CDU-Politikern repräsentierte Richtung einer konservativ-antidemokratischen Gesellschaftspolitik mit sozialreformistischem Anstrich und einer relativen Flexibilität bei der Massenbeeinflussung und Machtausübung. Besonders nachdrücklich wird dieses Konzept seitens der „Sozialausschüsse" der CDU, der Jungen Union und dem Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) unterstützt. Ihr entschiedenstes Forum ist die Vierteljahresschrift „Sonde. Neue Christlich-Demokratische Politik", in der eine rechtsextremistische Orientierung der CDU nach dem Beispiel der CSU nachdrücklich abgelehnt wird. 6 Zweitens handelt es sich um die durch F. J. Strauß, A. Dregger, K. Carstens, H. Filbinger, A. Springer u. a. personifizierte rechtsextremistische, prononciert konservative, chauvinistische und militaristische Linie, die direkt auf die Vorbereitung und Durchsetzung autoritärer und repressiver Herrschaftsformen gerichtet ist und in ihren ultrarechten Gruppierungen unmittelbar in den Neofaschismus übergeht. In dieser Richtung sind die Wesenszüge des Konservatismus am entschiedensten ausgeprägt; sie ist in der BRD die treibende und einflußreichste, aber auch die repräsentativste und angepaßteste Kraft des Konservatismus. In der Tat münden die politischen Schlußfolgerungen der führenden konservativen Ideologen in die Sympathie und Unterstützung des militant antikommunistischen, auf die Sammlung und Mobilisierung des gesamten Rechtsextremismus gerichteten Kurses von Strauß und Springer. Über die Unionsparteien und die traditionellen rechten Organisationen und Publikationsorgane hinaus wirken die vor allem im letzten Jahrzehnt entstandenen konservativen Institutionen und Periodika als Foren und Instrumente einer neuen Stufe reaktionärer Ideologisierung. Das läßt sich an der seit 1970 erscheinenden Zweimonatsschrift „criticón" besonders anschaulich nachweisen, die als repräsentatives Forum konservativer Intellektueller der geistigen Verflachung der CDU/CSU und der gesamten Rechten entgegenzuwirken sowie Geist und Macht auf konterrevolutionärer, elitärer und geschichtspessimistischer Grundlage zu vereinen sucht. Die Autoren des neueren konservativen Schrifttums, die Adenauer-Preis-Träger der Deutschland-Stiftung seit 1967, die akademischen Redner der CSU-Parteitage, Publizisten der CDU/CSU, der Unternehmerverbände und des Springerkonzerns sowie reaktionäre Hochschullehrer sind die tonangebende Gruppierung in dem sich formierenden militant antikommunistischen, konservativ-nationalistischen Flügel der Intelligenz der BRD, ausgewiesen durch Namen wie Rüdiger Altmann, Lothar Bossle, Ernst Forsthoff, Arnold Gehlen, Pascual Jordan, Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Herbert Kremp, Hermann Lübbe, Winfried Martini, Armin Möhler, Karl Oettle, Günter Rohrmoser, William S. 11

Schlamm, Helmut Schelsky, Hans-J. Schoeps, Caspar v. Schrenck-Notzing, Karl Steinbuch, Hans-Georg v. Studnitz, Ernst Topitsch, Matthias Waiden u. a. Wir stellen fest: Unter den skizzierten Voraussetzungen ist nicht nur die Aufwertung flexibler, sozialreformistischer Richtungen, sondern auch die Wiederbelebung reaktionärster geistiger Traditionen ein Moment imperialistischer Anpassung. Selbstverständlich schließen die Art und Weise sowie Inhalt und Richtung der konservativen „Erneuerung" weitere spezifische Merkmale der Anpassung ein. Kcnservatismus kann heute mehr denn je nur durch inhaltliche Modifikationen, verändeite Erscheinungsformen und selbst sprachliche Anpassung für aktuelle reaktionäre Bestrebungen wirksam werden - bis zur partiellen Assimilation sozialwissenschaftlicher Elemente. Das alles beeinträchtigt jedoch die intensivere Erschließung der Ahnenreihe und Traditionen konservativen Denkens keineswegs, bereitet diese vielmehr vor und setzt die Maßstäbe für die Auswahl und Nutzung dieses Erbes. Hier erwachsen uns neue Aufgaben bei der kritischen Sichtung und Aufarbeitung des Werkes von führenden Köpfen des konservativen Denkens, von denen eine Reihe in einet sicher noch unvollständigen Übersicht genannt werden sollen : Edmund Burke (1729-1797), Justus Moser (1720-1794), J. M. de Maistre (1753-1821), L. G. A. de Bonald (1754-1840), Friedrich Gentz (1764-1832), Xaver Franz von Baader (1765-1841), François René de Chateaubriand (1768-1848), Karl Ludwig von Haller (1768-1854), Joseph Görres (1776-1848), Adam Müller (1779-1829), Arthur Schopenhauer (1788-1860), Friedrich Julius Stahl (1802-1861), Alexis de Tocqueville (1805 bis 1859), Jacob Burckhardt (1818-1897), Paul de Lagarde (1827-1891), Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), Max Weber (1864-1920), Hugo von Hofmannsthal (1874-1929), Ludwig Klages (1872-1956), Oswald Spengler (1880-1936), Carl Schmitt (geb. 1888), Martin Heidegger (1889-1976), Artur Moeller van den Bruck (1876-1925), Othmar Spann (1878-1950), Arthur Mahraun (1890-1950), Edgar Julius Jung (1894 bis 1934). Die personell-geistige Kontinuität bis in die BRD wurde neben M. Heidegger und C. Schmitt insbesondere auch verkörpert durch. Hans Freyer (1887-1969), Ernst Jünger (geb. 1895), Hans Zehrer (1899-1966), Ernst Forsthoff (1902-1974) und Arnold Gehlen (1904-1976). Armin Möhler war von 1949 bis 1953 Sekretär von E. Jünger; Helmut Schelsky ist ein Schüler von H. Freyer und A. Gehlen. Sowohl die aktuellen Prozesse selbst, als auch die darin eingeschlossene Nutzung konservativer Traditionen veranlassen uns, die marxistisch-leninistische KonservatismusAuffassung zu bilanzieren und aus solcher Bestandsaufnahme Anregungen und Schlüsse abzuleiten. Ein Ansatzpunkt ist die Kritik konservativer Selbstdarstellung, zu deren Problematik Hans Zehrer 1962 äußerte: „Vielleicht rühren wir damit bereits an eine Eigenart des Konservativen, daß er selber nicht weiß, daß er konservativ ist, sondern daß es ihm von anderen gesagt und daß er dadurch veranlaßt wird, über sich nachzudenken, sich zu analysieren und sich zu begründen. Dabei kommt dann meist sehr viel weniger Klarheit und sehr viel mehr Qualm heraus als bei den anderen." 7 Inzwischen liegen im Ergebnis der Bemühungen um die theoretische Fundierung und programmatische Artikulation eine Reihe neuerer konservativer Versuche zur Definition des Konservatismus vor. Hermann Lübbe bestimmte die historisch-politische Substanz, das Wesen des Konservatismus, mit folgenden Kernsätzen : „1. Konservativ ist die Kultur der Trauer über die Verluste an unwiederbringlich Gutem, die der Fortschritt kostet." 12

„2. Konservativ ist die Praxis der Bewahrung des Unverzichtbaren gegen seine gegenwärtigen oder vorhersehbar zukünftigen Gefährdungen." „3. Konservativ ist der Geltungsanspruch einer Beweislastverteilungsregel, nach der, sei es in der Wissenschaft, sei es in der Politik, der Fortschritt begründungsbedürftig ist und nicht die Tradition." „4. Konservativ ist, der Katastrophenvorbeugung Priorität gegenüber einer Praxis der Verwirklichung von Utopien einzuräumen," 8 Solche Aussagen reflektieren bestimmte Eigenschaften konservativer Ideologie und Politik, aber nicht das geschichtliche und klassenmäßige Wesen des Konservatismus. D i e marxistisch-leninistische Charakteristik muß den objektiven Gehalt und die soziale wie geistige Funktion des zeitgenössischen Konservatismus in den Mittelpunkt stellen. Unter „Konservatismus" verstehen wir eine historisch gewachsene, in sich äußerst heterogene Strömung der politischen Ideologie, die die historisch-klassenmäßigen Existenzbedingungen überlebter, volks- und fortschrittsfeindlicher Klassen, Schichten und Gruppen reflektiert und die Interessen und Bestrebungen solcher Kräfte in weltanschaulichideologischer, programmatischer und politischer Hinsicht prononciert zum Ausdruck bringt. D e r Konservatismus hat keine einmalige und unverwechselbare historisch-klassenmäßige Bindung wie Sozialismus oder Liberalismus; beispielsweise war und ist er Ideologie feudal-aristokratischer, großbürgerlich-nationalliberaler und imperialistischer Kräfte. Seine Kontinuität als virulente politische Ideologie basiert auf der Diskontinuität seiner sozialen Basis. Damit wird Konservatismus bestimmt als eine Kategorie zur Klassifizierung eines bestimmten Typs der politischen Ideologie seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Dieser Typ ist bei allem Wandel der Voraussetzungen, Träger, Funktionen und konkreten Leitbilder gekennzeichnet durch die (unterschiedlich proportionierte) Synthese folgender Grundpositionen: D i e bedingungslose Rechtfertigung und Verteidigung der historisch entstandenen Eigentums-, Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse der antagonistischen Klassengesellschaft; die grundsätzliche Gegnerschaft zu Revolutionen, ihren Triebkräften, Trägern und Repräsentanten sowie generell zu wissenschaftlich begründeten, auf sozialen Fortschritt gerichteten Bewegungen, Programmen und Ideologien; die hohe Bewertung hierarchischer Schichtungen und Strukturen sowie ein darauf gegründetes markant antidemokratisches Autoritäts- und Ordnungsstreben; die Leugnung der Gesetzmäßigkeit in der Geschichte, insbesondere die Geringschätzung der Rolle der Volksmassen und erklärt elitäre Führungs- und Ordnungsvorstellungen; ein auf den anderen konservativen Prämissen beruhendes Traditions- und Geschichtsbewußtsein, das die Funktion einer historischen Rechtfertigung der jeweils aktuellen Positionen des Konservatismus erfüllt; das Streben nach reaktionären Veränderungen, darunter durch Aushöhlung oder Erosion progressiver Errungenschaften sowie die Verbreitung und Durchsetzung spezifisch konservativer Auffassungen und Ziele; die Wechselwirkung und Verflechtung mit den reaktionärsten Richtungen und Schulen der Philosophie, insbesondere deren irrationalen, pessimistischen und skeptizistischen Komponenten. Aus der unterschiedlichen Ausformung und Verquickung dieser und weiterer Elemente konservativer Ideologie ergibt sich eine große Heterogenität des konservativen Denkens

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bereits innerhalb eines Landes und eines bestimmten Zeitabschnitts, noch mehr in verschiedenen Ländern und in verschiedenen historischen Epochen und Etappen. D i e Differenziertheit des Konservatismus begründet auch die Übergänge und Überlagerungen mit anderen Richtungen bürgerlicher Ideologie und die weitgehende Unmöglichkeit seiner scharfen und definitiven Abgrenzung. Diese Einschätzung ergibt sich aus der Anwendung der dialektisch-materialistischen Methodologie, die die Anschauungen, Leitbilder und Ziele konservativer Ideologen und Bewegungen im Zusammenhang und in der Wechselwirkung mit der sozialökonomischen Gesellschaftsformation, aber auch mit der jeweiligen Epoche und deren Wesenszügen konkret-historisch, komplex und als Moment der sozialen Widersprüche untersucht und wertet. Gerade diese historisch-klassenmäßige Bedingtheit erfaßte W. I. Lenin, als er 1910 „das Wesen der konservativen Politik" charakterisierte, „die in Westeuropa immer mehr aufhört, die Politik der Grundbesitzerklassen zu sein, die immer mehr zu einer der Spielarten der allgemeinen bürgerlichen Politik wird". 9 Im Grunde ist dies eine Aussage zum politischen Wesen des Imperialismus, die die spätere gültige Verallgemeinerung in der Leninschen Imperialisinus-Theorie vorwegnimmt. D i e Kennzeichnung des „Konservatismus" als Kategorie zur Klassifizierung eines bestimmten Typs der politischen Ideologie stimmt mit den von D . Bergner und R. Mocek genannten „vier wesentliche(n) Typen von Gesellschaftskonzeptionen der politischen Ideologie des Imperialismus", speziell mit dem dort als „konservative Variante der ,Neuen Gesellschaft'" charakterisierten Typ, überein. 10 W o liegen einige offene oder strittige Probleme, die in der weiteren Arbeit zu berücksichtigen und weiter zu klären sind? Es wird versucht, auf einige solch^ Fragen hinzuweisen. Zunächst ist es die Problematik der Weite oder Enge, der Grenzen und der Definierbarkeit des „Konservatismus". Es geht einerseits um den konservativen Charakter der gesamten bürgerlichen Ideologie und Politik, dem eine relativ weite Auffassung und Anwendung von „konservativ" entspricht. Andererseits handelt es sich um den „Konservatismus" als spezifische Strömung oder Richtung innerhalb der bürgerlichen politischen Ideologie und Gesellschaftstheorie, die vom Liberalismus/Neoliberalismus, Sozialreformismus und Faschismus unterschieden ist. D i e Aufgabe besteht somit darin, die Spezifik des Konservatismus in diesem engeren, im eigentlichen wissenschaftlichen Sinn, möglichst genau zu bestimmen. Exakter und unmißverständlicher wäre die Verwendung des Begriffs des „Konservativismus", da es nicht bloß um „konservativ sein" geht, sondern um eine ideologisch-politische Strömung, die die konservativen Wesenszüge und Postulate als ihre bestimmenden Vorstellungen und Ziele reflektiert. Allerdings hat sich in der wissenschaftlichen Literatur wie im politischen Alltag der Begriff „Konservatismus" inzwischen durchgesetzt, und es ist diesem faktischen Sprachgebrauch Rechnung zu tragen. 1 1 Eine andere Seite des genannten Problems besteht in der unbestreitbaren inneren Heterogenität und Differenzierung im Konservatismus, sowohl in seinen geschichtlichen Entwicklungsstufen, in seinen regionalen und nationalen Ausprägungen, als auch in gleichzeitig auftretenden Gruppierungen und Unterscheidungen. Selbst wenn man sich von der extensiven Auslegung des „Konservatismus" abgrenzt und ihn als eine bestimmte, durch spezifische Merkmale charakterisierte Strömung betrachtet, sind Differenzierungen wie graduelle Abstufungen im reaktionären Charakter, in der Militanz, die gelegentlich als „rechtskonservativ" oder „ultrakonservativ" bezeichnet werden, nicht zu übersehen. Darüber hinaus können Unterschiede hinsichtlich der Traditionen, der weltanschaulichen

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Prämissen, der Argumentationsstruktur, des hauptsächlichen Gegenstandes und der Programmatik einzelner konservativer Ideologen, Schulen und Bewegungen festgestellt werden, die durchaus unsere Aufmerksamkeit verdienen, beispielsweise als „technokratischer" oder „Sozialkonservatismus" u. a. Damit ist auch zu bestimmen, ob und inwieweit Konservatismus insgesamt oder einzelne seiner Richtungen als rechts, als reaktionär oder gar als rechtsextremistisch zu qualifizieren sind. Das grundlegende Kriterium für „reaktionär" ist die Stellung zu den vorwärtstreibenden Kräften, Bestrebungen und Zielen der Epoche und der jeweiligen konkret-historischen Situation des Klassenkampfes. Allerdings nicht in dem Sinn, daß nicht-revolutionär = reaktionär ist. Vielmehr bezeichnet „reaktionär" die erklärten Gegenpositionen zum sozialen Fortschritt, schließt den gegenrevolutionären und fortschrittsfeindlichen Standort unbedingt ein. D i e konservativen Ideologen sind selbst bemüht, sich vom Odium des Reaktionären zu befreien und mit diesem Etikett ihre Gegner zu diffamieren, insbesondere den Sozialismus und die kommunistische Weltbewegung. 12 Bezüglich der exponierten konservativen Strömung in der B R D muß darüber hinaus davon gesprochen werden, daß sie rechtsextremistische Züge trägt. Das bezieht sich darauf, daß in der Ideologie, im politischen Programm und in den politisch-moralischen Normen die bürgerlich-demokratischen Rechte und Freiheiten tendenziell zugunsten antidemokratischer Wege und „Lösungen" ausgehöhlt und aufgegeben werden. D e r rechtsextremistische Typ des Antikommunismus ist Ausdruck dieser Orientierung. Hier wurzeln die Gemeinsamkeiten, Wechselwirkungen und Übergänge des Konservatismus zu Faschismus und Neofaschismus. Weiterhin ist eine eingehendere Untersuchung des heutigen Verhältnisses zwischen Konservatismus und Sozialreformismus, auch zwischen Konservatismus und Neoliberalismus, einschließlich der präziseren Darstellung ihrer Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Gegensätze notwendig. Besondere Aufmerksamkeit verdienen ihre gegenseitige ideologische und politische Beeinflussung und Wechselwirkung. Tatsächlich besteht ein entscheidender Auftrag und Antrieb der konservativen Mobilisierung darin, den Druck demokratischer Kräfte auf den Sozialreformismus zu paralysieren und den eigenen Druck und Einfluß zu dessen weiterer Rechtsverschiebung geltend zu machen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann das die gesellschafts- und innenpolitische Hauptfunktion der konservativen Ideologen und Politiker sein. In diesen Problemkreis gehört auch die Kritik der sozialreformistischen Konservatismus-Kritik; von der Aufdeckung zutreffender Erkenntnisse und Ansatzpunkte für eine demokratische Bündnispolitik bis zur grundsätzlichen Auseinandersetzung mit theoretischen Fehlern und politischen Beschwichtigungsversuchen, die das weitgehende verhängnisvolle Paktieren rechtssozialdemokratischer Führungskreise mit konservativen Kräften auf antikommunistischer Grundlage rechtfertigen sollen. Das berührt auch die Versuche von konservativen Ideologen und Politikern, sich zugleich als „liberal", als eigentliche Verfechter des „Liberalismus" in der Gegenwart darzustellen. Die CSU behauptet in ihrem neuen Parteiprogramm von 1976, sowohl eine konservative als auch eine liberale und soziale Partei zu sein. D e r liberale Anspruch soll die demagogische Freiheitspropaganda begründen, die bei der CSU, im gesamten extrem reaktionären Lager gegenwärtig als Hauptfeld antikommunistischer Massenbeeinflussung betrachtet und entfaltet wird. 1 3 Eine Kernfrage der Beurteilung konservativer Ideologie und Politik in unserer Zeit

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ist schließlich die nach dem Verhältnis von Konservatismus und Faschismus. Auf der Grundlage der marxistisch-leninistischen Imperialismus- und Faschismustheorie sind die grundlegenden Gemeinsamkeiten beider Richtungen herauszuarbeiten. Sie umfassen vor allem das imperialistische Klassenwesen, den extrem reaktionären Antikommunismus, die antidemokratische und fortschrittsfeindliche politische Programmatik und Wirksamkeit sowie die Verwurzelung in reaktionären philosophischen Strömungen. Diese Gemeinsamkeiten sind das Grundlegende im Verhältnis von Konservatismus und Faschismus; sie sind Basis und Inhalt ihres verhängnisvollen Zusammenwirkens, wie es exemplarisch in Deutschland zwischen 1918 und 1945 nachzuweisen ist. 14 D i e Erforschung und Darstellung der Wesensverwandtschaft des Konservatismus unserer Epoche mit dem Faschismus ist unabdingbar für eine offensive Auseinandersetzung mit den extrem reaktionären Strömungen im gegenwärtigen Imperialismus. Wesentliche Aussagen liegen dazu in den Arbeiten von A. A. Galkin, aber auch in Dokumenten der D K P und in Analysen fortschrittlicher Autoren der B R D u. a. Untersuchungen und Veröffentlichungen vor. Im Gegensatz zu linksradikalen und sektiererischen Versionen ist jedoch auch die relative Unterscheidung von Konservatismus und Faschismus als politisch und wissenschaftlich bedeutsam zu berücksichtigen. Als ihr zentrales Moment wurde herausgearbeitet, daß der Terror unabdingbares, konstitutives Merkmal des Faschismus, nicht aber des Konservatismus, ist. 15 D e r Terror des Faschismus betrifft nicht nur den Bereich der unmittelbaren Machtausübung, er prägt das politische Wesen und die antihumanistische Ideologie des Faschismus, das Gesamtsystem seiner Organisationsformen und Machtausübung. In diesem Sinn handelt es sich beim Faschismus selbst im Vergleich zum Konservatismus um eine qualitativ verschiedene, barbarische Stufe und Äußerung des imperialistischen Antihumanismus. Aus dieser qualitativen Unterscheidung können sich trotz des geschichtlich und gesellschaftlich reaktionären Wesens des Konservatismus Motive und politisch-moralische Grundlagen für ein antifaschistisches Zusammengehen mit Konservativen ergeben, wie es exemplarisch sowohl Erfahrungen des deutschen antifaschistischen Widerstandskampfes 1933 bis 1945 als auch die aktuellen Prozesse der Formierung des antifaschistischen Bündnisses in Chile belegen. Als ein Scheinproblem ist offenkundig die vereinzelt auch bei uns anzutreffende Argumentation anzusehen, die imperialistische Bourgeoisie könne heute nicht mehr direkt am „klassischen Konservatismus" anknüpfen. Abgesehen von der Verständigung, was unter „klassischem Konservatismus" zu verstehen ist, muß davon ausgegangen werden, daß mit dessen direkten Wirkungen und Anknüpfungspunkten spätestens gegen Ende des 19. Jahrhunderts gebrochen wurde, da mit dem Übergang zum Imperialismus radikale Veränderungen der Voraussetzungen und Funktionen konservativen Denkens und Handelns eintraten. Das ist bereits an der konservativen politischen Ideologie während der Weimarer Republik nachweisbar. Andererseits wird mit jener Formulierung auch die Frage nach der tatsächlichen Bewahrung und Wirkung des reaktionären Erbes nicht angemessen erfaßt, in die natürlich auch die Substanz des „klassischen Konservatismus" einbezogen werden muß. Einige Bemerkungen zu den philosophischen Grundlagen und der gesellschaftspolitischen Programmatik des Konservatismus, also zur Einheit von Philosophie, Ideologie und Politik auf einer volks- und fortschrittsfeindlichen Grundlage, wie wir sie in dieser Strömung vorfinden, sind hier erforderlich. D e r Konservatismus ist eine charakteristische Strömung der politischen Ideologie; er

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kann jedoch nicht als eine fest umrissene Richtung der bürgerlichen Philosophie betrachtet werden. Er steht allerdings in einer intensiven Wechselwirkung einschließlich gegenseitiger Durchdringung und Überlagerung zu philosophischen Richtungen und Schulen, die weltanschaulich seiner politischen Natur entsprechen, darunter befinden sich insbesondere der Irrationalismus, der philosophische Anthropologismus sowie geschichts- und kulturpessimistische, skeptizistische und Elitetheorien. Im Prozeß seiner Anpassung an veränderte Bedingungen bzw. infolge der Wandlung seiner Klassengrundlage kann der Konservatismus auch Elemente von Modetheorien und anderen zeitgenössischen Ideologien aufnehmen. In besonderem Maße assimiliert er speziellere reaktionäre Richtungen und Elemente wie den Nationalismus, Militarismus, Rassismus und Kolonialismus. Die Wechselwirkung und Verquickung von reaktionären philosophischen Strömungen und konservativer politischer Ideologie bestehen u. a. darin, daß konservative politische Bestrebungen entsprechende philosophische Richtungen stimulieren und aktivieren, konservative Kräfte als Mittler der Verbreitung und politischen Nutzung volks- und fortschrittsfeindlicher Philosophie wirken sowie reaktionäre Philosophen konservative politische Varianten und Schlußfolgerungen weltanschaulich vorbereiten, begründen und vielfach selbst an ihrer Ausarbeitung und Propagierung mitwirken. Die unter Konservativen vieldiskutierte Frage, ob es eine „konservative Theorie" gibt, ist im Lichte der bisherigen Feststellungen zu beantworten. Es gibt keine konservative Theorie im Sinne einer im Prinzip unveränderlichen, relativ einheitlichen und von der Masse der Konservativen aller Länder und Zeiten als gemeinsame weltanschaulichideologische Plattform anerkannten Theorie. Wohl aber gibt es durchgängige Wesenszüge und charakteristische theoretisch-ideologische und politische Elemente des Konservatismus der Vergangenheit und Gegenwart. Einschließlich ihrer konkret-historischen Erscheinungsformen bilden sie den eigentlichen Gegenstand politisch-wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Konservatismus. Unter diesen Voraussetzungen erscheint der Ansatz von Hans-Martin Gerlach als recht fruchtbar, mit dem er sich die Aufgabe der „Analyse des Beziehungszusammenhangs einer spezifischen Richtung aktueller spätbürgerlicher Philosophie, der Existenzphilosophie, mit dem geistigen Konservatismus der bürgerlichen Gesellschaft in ihrer Niedergangsphase" stellt. Am Beispiel von M. Heidegger, K. Jaspers oder J.-P. Sartre stellt er zutreffend fest, daß entscheidend nicht der Nachweis des persönlichen Bekenntnisses zum politischen Konservatismus ist, sondern jene „allgemeinen theoretischen Positionen, die ihnen gemeinsam sind und die man als konservativ im philosophischen Sinne bezeichnen muß". 16 Zur weltanschaulichen Grundhaltung des Konservatismus gehört die unbedingte Bejahung der Transzendenz, die weithin, jedoch nicht durchgängig und nicht bedingungslos, an die religiöse Form, an die Konfessionen, gebunden wird. Bemerkenswerterweise sprach der Vorsitzende der CSU-Kommission für Grundsatzfragen, Theo Waigel, vom „Prozeß der Entkonfessionalisierung" der CSU gerade im letzten Jahrzehnt, in dem sich diese Partei zur exponierten konservativen Führungskraft mauserte. Und der militante konservative Publizist Armin Möhler äußerte, den Konservatismus nur auf der Grundlage des Christentums zu pflegen, bedeute, sein Todesurteil zu sprechen. Auch die jüngeren und die flexibelsten Vertreter des heutigen konservativen Denkens - wie z. B. G.-K. Kaltenbrunner - bekennen sich zur Transzendenz, zur Existenz des Irrationalen. Verallgemeinernd läßt sich feststellen, daß der Konservatismus von seinem Wesen her im philosophischen Idealismus wurzelt und auf ihn zur Begründung 2

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und Formulierung seiner „Werte" und Ziele angewiesen ist. D i e dem Konservatismus wesenseigene Fortschritts- und Aufklärungsfeindlichkeit, sein Anti-Rationalismus, bedürfen des Rückhalts im Idealismus. D a s schließt Versuche, wie sie u. a. Ernst Topitsch unternimmt, nicht aus, einen „aufgeklärten Konservatismus" zu begründen und die Vertreter des gesellschaftlichen Fortschritts als Anhänger irrationaler Mythen und Utopien darzustellen. 17 Die Vermittlung von den idealistischen Grundanschauungen bis zur politischen Programmatik erfolgt vor allem über den philosophischen Anthropologismus und den Irrationalismus, über geschichts- und kulturpessimistische Richtungen und Schulen. Ihre Gegenposition zur dialektisch-materialistischen Auffassung vom Menschen und von der Gesellschaft gründen die konservativen Ideologen heute wesentlich auf den philosophischen Anthropologismus. Deshalb ist die Analyse der Arbeiten Arnold Gehlens u. a. maßgeblicher Vertreter dieser Richtung eine vorrangige weitere Aufgabe. Aus der Sicht dieses Anthropologismus sind in der Kreatürlichkeit des Menschen, in den „Konstanten der menschlichen N a t u r " die eigentlichen Faktoren, Bedürfnisse, Probleme menschlicher Existenz begründet. Kaltenbrunner spricht von einem „quasi naturwüchsigen Konservatismus", der in elementaren menschlichen Gewohnheiten wurzele, darunter in Freundschaft und Ehe, in Anhänglichkeit an gewohnte Einstellungen, Arbeitsabläufe, Bräuche, Dinge usw. und schreibt: „Denn die Konstanten, die den Menschen als Menschen konstituieren, sind eben dauernder als jene Krisen, an die andere politische Programme anknüpfen, . . . ." 18 Golo Mann schrieb, der Konservatismus mißtraue dem Menschen und seiner Allmacht, denn: „Der Mensch ist nicht so zuverlässig gut und vernünftig, wie die Revolutionäre glauben. Folglich bedarf er der Autorität." U n d : „Konservatismus glaubt nicht an die Perfektibilität des Menschen. E r mag besser werden (bisher ist er's kaum geworden); er wird nie gesichert gut und gesichert frei sein." 19 Wiederholt findet sich in Variationen der Grundgedanke: Konservativ sein heißt, aus dem zu leben, was immer gilt. Zur heutigen konservativen Ideologie gehört die Polemik gegen die „Utopien vom guten Menschen" und gegen die „heile Welt". Gegen das „unnatürliche Prinzip des Planens" stellt der Konservative das Prinzip des „organischen Wachstums". Es wird deutlich, d a ß sich aus diesem Anthropologismus auch die elitären und geschichtspessimistischen Züge und das gegenrevolutionäre Wesen konservativer Ideologie und Politik ableiten. Danach verkennen die Revolutionäre die Konstanten der menschlichen Natur, sie verstoßen gegen das Naturgemäße, das in evolutionärer Wandlung, organischer Entwicklung und in hierarchischen Strukturen bestünde. D i e Revolution verstoße damit gegen den Menschen, sei für ihn schädlich und daher zu vermeiden bzw. zu bekämpfen. Eine pessimistische Auffassung des Menschen, der Gesellschaft und der Geschichte soll das Streben nach sozialem Fortschritt lähmen und seines Sinnes berauben. Im Nachruf für Arnold Gehlen schrieb Armin Möhler über dessen Anthropologie, sie fasse „den Menschen bekanntlich als ein Instinkt-entsichertes ,Mängelwesen' auf, das ohne die Stütze der Institutionen nicht lebensfähig ist." Weiter: „Es ist eine tief skeptische Anthropologie, die damit den Erfahrungen entspricht, welche hinter uns liegen." 20 Im philosophischen Anthropologismus der Konservativen ist zugleich ihre Apologetik der sozialen Ungleichheit, der „Elite" und der nach ihrer Auffassung unvermeidlichen geistig-gesellschaftlichen Unterordnung der Masse der Menschen begründet. D i e anthropologische Grundtendenz wird inzwischen bis in den programmatischen und unmittelbar 18

tagespolitischen Bereich hinein umgesetzt, wie es sich beispielsweise im Grundsatzprogramm der CDU von 1976 nachweisen läßt. Es sind die anthropologischen Quellen, die Ursache solcher Tendenzen der reaktionären politischen Ideologie, die die Abwendung von der Gesellschaftspolitik, das Zurücktreten des „Demokratie'-Begriffs hinter den „Freiheits"-Begriff oder die zentrale Rolle des Subsidiaritätsgrundsatzes in der konservativen Sozialpolitik sind. Das gilt auch für spezielle gesellschaftspolitische Bereiche, wie es die reaktionäre Umdeutung des Begriffs der „Chancengleichheit" durch Ideologen und Politiker der CDU/CSU zeigt. Die unübersehbaren Krisenerscheinungen und Mißstände der kapitalistischen Welt, aber auch generell die Umwelt-, Rohstoff- und Energieprobleme nutzt der heutige konservative Ideologe, um seine Position zu begründen und zu erläutern: In solchen Erscheinungen äußere sich der Irrweg der Wissenschafts- und Fortschrittsgläubigkeit, der Verstoß gegen das Organische, Evolutionäre und Angemessene sowie insgesamt das Scheitern der Selbstüberschätzung des Menschen. Nicht ohne demagogische Züge tritt der Konservative als derjenige auf, der das Natürliche, das Schöne und das wahre Menschliche verteidige und retten wolle. Nach Kaltenbrunner gelte heute „die progressive Verwandlung von Bäumen in Zellulose nicht mehr unbedingt als Fortschritt". Und: „Wir können den Mars erobern, doch wir sind unfähig, auch nur eine Gestalt des Lebens - Blume, Nachtfalter oder Delphin - , wenn sie einmal ausgerottet ist, neu zu schaffen." Mit der Zerstörung der Umwelt zerstöre man auch die Innenwelt des Menschen. „Konservativsein hat auch mit dem zu tun, was einmal Seele hieß." 21 Mit Bezug auf reale Erscheinungen des Kapitalismus, deren sozialökonomische Wurzeln ignoriert werden, behaupten die Konservativen, daß heute der technologisch-zivilisatorische Fortschritt eine Stufe erreicht habe, wo alle bisherigen progressiven Zielsetzungen unglaubwürdig werden und demzufolge die Auffassungen von Fortschritt und Konservativität neu geprüft und berichtigt werden müssen. Mit der These von der „transzendental-soziologischen Struktur" des Konservatismus meint Kaltenbrunner die angeblich jenseits von Klassen und Gruppen sowie deren Interessen und Zielen angesiedelten, zeitlosen Werte des Konservatismus, die Ausdruck der unveränderlichen Natur des Menschen und dem Wechsel sozialer und politischer Ordnungen übergeordnet seien. Günter Rohrmoser bezeichnete in diesem Sinn die konservativen „Grundwerte" heute als „die Bedingungen schierer Selbsterhaltung". Der konservative Weg sei mit der Überlebenschance der Menschheit schlechthin identisch. Auf solche Argumente stützt sich der Anspruch, daß Konservatismus unideologisch, ideologiefrei, Nicht-Ideologie und damit von Strömungen wie Sozialismus oder Liberalismus qualitativ unterschieden sei. In diesem Anspruch liegt auch der Ausgangspunkt für die irrationale und stark emotional geprägte konservative Begriffswelt, in der Treue, Pflicht, Ehre, Ordnung, Tradition, Autorität, Vaterland, Familie, Adel zentrale Kategorien bilden. Mit A. A. Galkin läßt sich feststellen, daß die „ultrarechten weltanschaulichen Konstruktionen . . . nie eine ganzheitliche Ideologie im üblichen Sinne des Wortes" bilden; wobei die „konservativ-elitären Konstruktionen" zugleich auch eine Komponente der faschistischen Ideologie darstellen. 22 Die von den konservativen Ideologen hervorgehobenen Anlässe und Motive einer bevorstehenden „Rekonstruktion" oder „Renaissance" des Konservatismus verweisen auf ideologische Bedürfnisse der herrschenden Klasse und die der konservativen Ideologie und Politik zugewiesenen Funktionen. Sie sind zugleich Symptome der politischen Labilität und der Krise der bürgerlichen Ideologie. Vor allem unter folgenden Aspekten 2»

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wird die Notwendigkeit und Chance eines regenerierten und angepaßten Konservatismus seitens seiner Wortführer hervorgehoben: Konservative Ideologie und Politik bilde die eigentliche Antithese und Alternative zum Sozialismus, zum Marxismus-Leninismus, da der „Liberalismus" in künftigen Auseinandersetzungen die westliche Welt nicht hinreichend verteidigen könne und alle Schattierungen des Sozialreformismus und des Linksradikalismus selbst als quasi-sozialistisch und als Vorstufe des „Kommunismus" betrachtet werden müßten. D i e hauptsächlichen Probleme der Menschheit in der Gegenwart seien das Ergebnis einer blinden Fortschritts- und Wissenschaftsgläubigkeit, darunter befinde sich der Dämon Technik, der ungesteuerte Verbrauch der natürlichen Ressourcen, die fortschreitende Umweltzerstörung sowie das progressive Bevölkerungswachstum u. a. Unbeschränktes Demokratisierungs- und Gleichheitsstreben, revolutionäre Prozesse und selbst bestimmte Reformen würden diese Probleme zusätzlich verschärfen und langfristig die Unsicherheit und katastrophische Entwicklungen begünstigen. Das konservative Menschenbild stelle den Schlüssel dar für eine Neubesinnung und ein unumgängliches Umdenken, wobei vor allem die Grenzen und Folgen menschlichen Tuns aufzudecken und das Bewußtsein der grundsätzlichen Unzulänglichkeit und notwendigen Selbstbescheidung des Menschen durchzusetzen sind. D i e Anmaßung, daß der Mensch alles erkennen und bewußt verändern könne, habe wesentlich die Mißstände in der Welt mit verursacht. D i e Zukunft könne daher nicht mit Ideologien bewältigt werden, die sich auf Fortschritt, auf menschliche und soziale Höherentwicklung orientieren. Gemäß diesen gesamtgesellschaftlichen Ansprüchen und Verheißungen sind die E r scheinungsformen und Wirkungen konservativer Ideologie und Politik heute in der Bundesrepublik vielgestaltig. Sie umfassen ideologisch-politische Prozesse in Parteien und Organisationen, im Staat, in den Massenmedien, im Bildungswesen, in der Literatur und Publizistik und anderen Bereichen. D i e offene Absage an den Fortschritt ist legitim und hoffähig geworden - rechtzeitig mit dem Ausbruch verschärfter, tiefgreifender Krisenerscheinungen in der kapitalistischen Welt. G . - K . Kaltenbrunner forderte vom Konservativen: „Weigere Dich zu glauben, daß es darauf ankomme, mit dem Fortschritt zu marschieren. Frage nach den Kosten des Fortschritts; bis zu welchem E n d e er gehen soll; wer davon profitiert; nach welchen Maßstäben er gemessen wird. Sei mißtrauisch gegenüber jenen, die alles und jedes verändern wollen, . . ," 2 3 K . H. Biedenkopf postulierte, auch der Fortschritt müsse „gezielt in den Dienst der Gesellschaft genommen und an ihren ethischen Maßstäben gemessen werden". 2 4 Übereinstimmend mit H. Lübbe und G . - K . Kaltenbrunner stellt er die Bedingung, daß die Frage, „Fortschritt wofür", geklärt werden müsse und zwar am Maßstab des staatsmonopolistischen Herrschaftssystems. Das Problem der Erscheinungsformen und Wirkungen der konservativen Strömung in der B R D schließt die Frage ein, ob diese extrem reaktionäre Richtung heute oder künftig unter den verschiedenen Richtungen bürgerlicher Gesellschaftstheorie und politischer Ideologie dominierend werden kann. Grundsätzlich kann zumindest die Möglichkeit eines wachsenden und unter Umständen entscheidenden Einflusses unter imperialistischen Bedingungen nicht ausgeschlossen werden, ebenso wie im Falle des Faschismus. Andererseits ist eine solche Dominanz für absehbare Zeit unwahrscheinlich, da es wesentliche innere und vor allem auch entscheidende internationale Faktoren gibt, die der Ausbreitung und einem stabilen Masseneinfluß rechtsextremistischer Ideologien und Bewegungen entgegenwirken. Um so bedeutender sind alle Wege und Formen einer mittelbaren Einwirkung des Konservatismus auf ideologische und politische Prozesse. D i e Wirksamkeit konservativer Ideologie läßt sich sehr anschaulich an der Staatsfrage

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nachweisen. D i e Auffassungen von Ernst Forsthoff und . anderer Konservativer zum Staat haben einen bestimmenden Einfluß in der C D U / C S U sowie in weiteren rechten Organisationen und Publikationen. Sie sind theoretischer Ausdruck des Drangs zum Abbau bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheiten, zur Durchsetzung autoritärer Herrschaftsprinzipien sowie zum steten Ausbau des gesamten Repressivapparates. D a s wird in der verfassungwidrigen Berufsverbotspolitik besonders auffällig sichtbar, insbesondere in der Aufwertung der konservativ-autoritären und antidemokratischen Institution des Berufsbeamtentums mit seinem „hergebrachten" Grundsatz der besonderen Staatstreue des Beamten, der faktisch seinen Ursprung in der absoluten Monarchie hat und, wie es Martin Greiffenhagen vorsichtig formulierte, „demokratietheoretisch eben schwer unterzubringen ist". Andere wesentliche Ebenen und Felder der wehanschaulich-ideologischen und politisch-moralischen Wirkung konservativer Ideologie - auch in andere Richtungen der bürgerlichen Ideologie hinein - sind Geschichtsbild, Geschichtspropaganda und Geschichtswissenschaft. Aber auch der Nationalismus, Revanchismus und Militarismus einschließlich der NATO-Politik und neokolonialistischer Interventionen werden unterstützt und mit spezifisch konservativen Argumenten und Vorwänden angereichert. Schließlich besteht eine generelle verhängnisvolle Wirkung des Ausbreitens konservativer Ideen und Bestrebungen darin, daß die Existenz- und Wirkungsbedingungen des Neofaschismus begünstigt und seine Verwendbarkeit als strategische Reserve der Monopolbourgeoisie gefördert wird. Der Druck und tendenzielle Einfluß der exponiert konservativen K r ä f t e auf die gemäßigte Rechte, aber auch auf die rechtssozialdemokratische Parteiführung und die Bundesregierung, sind unverkennbar. Das gilt für die Innen- wie Außenpolitik. Heute und künftig ist dies als ein Hauptfeld in der politischen Wirksamkeit der konservativen Reaktion zu betrachten. In diesem Sinne sind konservative Ideologie und Politik immer nur mit dem Blick auf die gesamte innenpolitische Szene und auf alle Wechselwirkungen im Klassenkampf hinreichend zu erfassen und einzuschätzen. In diesem Zusammenhang haben wir uns auch der Problematik zu stellen, ob es auch über die skizzierte Anpassung hinaus spezifische Komponenten und Züge des Konservatismus der Gegenwart gibt, die ihn von früheren Erscheinungsformen unterscheiden und letztlich selbst Elemente eines historisch-politischen Anpassungsprozesses sind. Sicher ist diese Frage erst im Ergebnis weiterführender internationaler Untersuchungen und Vergleiche zufriedenstellend zu beantworten. Auf der Grundlage des vorliegenden Materials ist jedoch bereits grundsätzlich eine solche Eigenart des heutigen konservativen Denkens und der entsprechenden programmatischen Verlautbarungen zu bejahen. Als Ansatz zur Beantwortung und weiteren Aufarbeitung sei auf solche Momente hingewiesen wie die rechtsextremistische Grundtendenz, d. h. die Vertiefung des reaktionären Wesens, des volks- und fortschrittsfeindlichen Gehalts des Konservatismus im Ergebnis des weiteren Niedergangs der imperialistischen Bourgeoisie in der heutigen Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus; die zunehmende prophylaktische Funktion konservativer Ideologie und Politik, die durch die historische Initiative des Sozialismus und den erfolgreichen Verlauf des gesamten revolutionären Weltprozesses stimuliert wird: D i e Aufgabe, die Bewahrung und Verteidigung der monopolkapitalistischen Ordnung auch in künftigen Krisen, Erschütterungen und Klassenkämpfen vorzubereiten, nicht zuletzt durch militanten Antikommunismus, Aufrüstung sowie Ausbau und Anwendung des Unterdrückungsapparates; 21

die Internationalisierung des. Klassenkampfes, aller Seiten des gesellschaftlichen Lebens, die auch den Konservatismus erfaßt und zu einem Moment seiner Anpassung wird, wobei die Internationalisierung konservativer Ideologie und Programmatik in Inhalt und Formen von den aggressiven und expansionistischen Zielen der Monopolbourgeoisie geprägt wird, wie es exemplarisch Motive und Aktivitäten der Rechten der B R D für die politisch-administrative Union und den militärischen Zusammenschluß der westeuropäischen kapitalistischen Länder zeigen; der Drang zur Theoriebildung, zur „Ideologisierung" und zur Formulierung von Modellen und Leitbildern einer auf konservativen Voraussetzungen existierenden Gesellschaft - als ein Produkt des verschärften ideologischen Klassenkampfes in der Gegenwart sowie schließlich die erheblichen Modifikationen in den Vorwänden und Argumenten zur Mobilisierung des Konservatismus, wie sie sich aus den veränderten Existenzbedingungen des Imperialismus, der Offensive des Sozialismus und Antiimperialismus sowie den komplexen Krisenerscheinungen innerhalb der Welt des Kapitals ergeben. Solche und weitere Faktoren verdienen als wesentliche und spezifische Züge und Bestandteile des heutigen Konservatismus unsere Aufmerksamkeit und sind weiter zu präzisieren und zu ergänzen. Abschließend ist festzustellen, daß die Untersuchung und Charakteristik konservativer Ideologie und Politik einen Beitrag zur Analyse und Einschätzung der bürgerlichen Ideologie und des Herrschaftsmechanismus des gegenwärtigen Imperialismus darstellen. t ) i e marxistisch-leninistische Faschismus-Theorie ist eine wesentliche Grundlage für die Lösung dieser Aufgabe. Der imperialistische Rechtsextremismus der Gegenwart ist jedoch umfassender als das Lager der faschistischen und neofaschistischen Kräfte und Bestrebungen. Er schließt vor allem auch die exponiert konservative Ideologie und Politik ein. Die neuen Erscheinungen und Aktivitäten zur Mobilisierung des Konservatismus, sein wachsender Anteil an fortschritts- und entspannungsfeindlichen Bestrebungen, die Macht und der Einfluß der hinter dieser Strömung und ihren Zielen stehenden Kräfte sowie die Erfordernisse einer erfolgreichen antiimperialistischen Strategie und Taktik begründen Dringlichkeit und Bedeutung der hier vor uns stehenden weiteren politischwissenschaftlichen Aufgaben. In seiner Rede auf der Beratung der Vertreter der kommunistischen und Arbeiterparteien über die Arbeit der Zeitschrift „Probleme des Friedens und des Sozialismus" im April 1977 in Prag hob Kurt Hager, Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK der SED, auch die politischen und ideologischen Aufgaben der offensiven Auseinandersetzung mit den reaktionärsten imperialistischen Kräften hervor. Ausgehend von der unverändert aggressiven Natur des Imperialismus wies er auf die Aktivierung der „militärischen und revanchistischen Kräfte", das „Wiederaufleben des Chauvinismus und Revanchismus in der B R D " und die unübersehbaren „neofaschistischen, rechtsextremistischen und autoritären Gefahren" hin. Die hysterischen Verleumdungskampagnen gegen den Sozialismus, bemerkte Kurt Hager, sollen die Aufrüstung und die Sabotage der Schlußakte von Helsinki rechtfertigen. 25 Die ideologische Auseinandersetzung gerade auch mit den reaktionärsten Richtungen imperialistischer Politik gewinnt als eine Bedingung der weiteren Durchsetzung der Politik der friedlichen Koexistenz an Bedeutung. Seit Januar 1977 erscheint eine weitere konservative Zeitschrift in der B R D unter dem Titel „Epoche". Die Namensgebung verrät, daß sich die Ansprüche des Konservatismus auf geschichtliche Probleme, Prozesse und Perspektiven richten. D. Bahner, Industrieller, Strauß-Anhänger und Vorsitzender der 1975 gegründeten Aktionsgemein22

schaft „Vierte Partei" (AVP) beklagt darin „im sechzigsten Jahr nach der russischen Oktoberrevolution" die Positionen des realen Sozialismus in der Welt von heute und die internationale Ausstrahlung sozialistischer Ideen und Leitbilder. „Der Einfluß linksgerichteter Ideen beruht dabei wesentlich auf der Tatsache, daß in einer Krise der überlieferten Wertvorstellungen lehr- und lernbare politische Konzeptionen fast nur von Revolutionären angeboten werden." Entscheidend sei, „den linken Ideologien unsere freiheitlich-konservative Position gegenüberzustellen", einen „geistigen Klimawechsel" zu erreichen und die „gegenrevolutionäre Konzeption" wirksam zu verbreiten. 26 Der konservative Politiker und Ideologe erfaßt Symptome der politischen und geistigen Prozesse unserer Zeit, aber er vermag die Gesetzmäßigkeiten, die gesellschaftliche und geschichtliche Richtung und Perspektive des mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution eingeleiteten revolutionären Weltprozesses auch nicht annähernd zu erfassen. Der konservative Publizist H.-G. von Studnitz drückte dieses Dilemma einmal folgendermaßen aus: „Ein konservativer Publizist - William S. Schlamm - hat das 20. Jahrhundert das Jahrhundert L e n i n s genannt. Er gab damit einer Erkenntnis Ausdruck, der sich der konservative Mensch nur widerwillig zu öffnen vermag, an der aber kaum Zweifel erlaubt sind: das 20. Jahrhundert ist eine Epoche, die durch den U m s t u r z i n P e r m a n e n z geprägt wird." Und weiter: „Das 20. Jahrhundert ist die konservativen Vorbilder schuldig geblieben, die das 19. Jahrhundert so verschwenderisch zur Verfügung stellte." 27 Die skeptizistischen und pessimistischen Züge auch des heutigen Konservatismus signalisieren die Volksfeindlichkeit und Perspektivlosigkeit der ihn tragenden sozialen Kräfte, Bewegungen und Institutionen. Angesichts des 60. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution wird der Anachronismus dieser konterrevolutionären, elitären und autoritären Strömung nur um so offenkundiger. Die Dialektik des Klassenkampfes schließt ein, daß alles Alte gegen das Neue mobilisiert, aber daß es im Verlauf der Kämpfe um einen dauerhaften Frieden, um sozialen Fortschritt und eine sozialistische Zukunft unvermeidlich überwunden wird. Anmerkungen 1 Critilo, in: criticón, München, 21, Januar/Februar 1974, S. 3. 2 H. Mies, Zu einigen Grundfragen der gesellschaftspolitischen Alternative der DKP, in: Einheit, Berlin, 3/1977, S. 300. 3 Protokoll der Verhandlungen des IX. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1976, Bd. 2, S. 215. 4 C. v. Schrenck-Notzing, Parteipolitischer Neuanfang in Italien, in: criticón, 40, März/April 1977, S. 60. 5 K. Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, in: Marx/Engels, Werke, Bd. 8, Berlin 1960, S. 115. 6 Beispielsweise veröffentlichten drei Herausgeber der Zeitschrift Anfang 1977 „12 Thesen zur Strategie der Opposition", Sonde, 1/77, S. 4 ff., darunter W. Schönbohm, Mitglied des CDUBundesausschusses und der CDU-Grundsatzprogrammkommission, und H. Reckers, seit 1975 Bundesvorsitzender des RCDS. Darin heißt es u. a„ die politische Integration der CDU dürfe „nicht einseitig zugunsten der konservativen Strömung vorgenommen werden" und der „Erfolg der wiederhergestellten Fraktionsgemeinschaft darf nicht dadurch aufgehoben werden, daß sich die CDU dem politischen Kurs der CSU anpaßt". 7 H. Zehrer, Heute wieder zukunftsträchtig, in: Der Monat, Berlin (West), H. 166, Juli 1962, S. 30. 8 H. Lübbe, Lebensqualität oder Fortschrittskritik von links, in: criticón, 21, Januar/Februar 1974, S. 7.

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9 W. I. Lenin, Die Differenzen in der europäischen Arbeiterbewegung, in: Werke, Bd. 16, Berlin 1962, S. 356. 10 D. Bergner/R. Mocek, Bürgerliche Gesellschaftstheorien, Berlin 1976, S. 263. 11 Der aus bürgerlicher Publizistik und Sozialwissenschaft entlehnte Begriff „Neokonservatismus" bezieht sich ausdrücklich auf die zeitgenössischen Konservativen und ihre Anschauungen. Er erscheint jedoch als problematisch, da et die Tendenz einer unzulässigen Abgrenzung von der konservativen Traditionslinie enthält. Außerdem widerspiegelt er eine undialektische Auffassung von Kontinuität und Diskontinuität in der Geschichte und Gegenwart des Konservatismus, da die Fortführung konservativer Ideologie und Politik in neuen geschichtlichen Epochen und Perioden immer nur in der Form eines Neo-Konservatismus wirksam sein konnte. 12 Vgl. beispielsweise den diesem Problem gewidmeten Sammelband: Was ist reaktionär? Zur Dialektik von Fortschritt und Rückschritt, München 1976 ( = Herderbücherei Initiative, hrsg. v. GerdKlaus Kaltenbrunner, Bd. 14). 13 Vgl. dazu auch: L. Elm, Zur Ideologie und Programmatik der Christlich-Sozialen Union (CSU) 1945-1976, in: Konservative Ideologie und Politik in der BRD, Jena 1976 ( = Wiss. Beiträge der Friedrich-Schiller-Universität), besonders S. 13 ff. 14 Vgl. als jüngste Veröffentlichungen dazu: J. Petzold, Monopolkapital und faschistische Ideologie. Zur Rolle der Jungkonservativen in der Weimarer Republik, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Berlin, 3/1977, S. 295 ff.; G. Honigmann, Kapitalverbrechen oder Der Fall des Geheimrats Hugenberg, Berlin 1976. 15 L. Elm, Der „neue" Konservatismus, Berlin 1974 ( = Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie, hrsg. v. M. Buhr), S. 58 ff. Vgl. zur Problematik der rechtsextremistischen Tendenzen in der CDU/ CSU: F. J. Hinkelammert, Die Radikalisierung der Christdemokraten. Vom parlamentarischen Konservatismus zum Rechtsradikalismus, Berlin (West) 1976. 16 H.-M. Gerlach, Spätbürgerliche Philosophie und Konservatismus, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Berlin, 5/1976, S. 603. 17 E. Topitsch, Aufgeklärter und unaufgeklärter Konservatismus, in: criticon, 39, Januar/Februar 1977, S. 9 ff. 18 G.-K. Kaltenbrunner, Der schwierige Konservatismus, in: Ders., Der schwierige Konservatismus Definitionen - Theorien - Porträts, Herford und Berlin (West) 1975, S. 37. 19 G. Mann, Konservative Politik und konservative Charaktere, in: Der Monat, Berlin (West), H. 165, Juni 1962, S. 49 f. 20 A. Möhler, Zeitgemäß über der Zeit. Ein Denkmeister der Konservativen, in: Die Welt, 2. Februar 1976. 21 G.-K. Kaltenbrunner, (Hrsg.), Konservatismus international, Stuttgart 1974, Vorwort, S. 9 f. 22 A. A. Galkin, Die Ideologie des Faschismus und der Neofaschismus, in: Sowjetwissenschaft. Gesellschaftswiss. Beiträge, Berlin, 12/1975, S. 1269 f. 23 G.-K. Kaltenbrunner, Zehn Gebote für Konservative und solche, die es werden wollen, in: Ders., Der schwierige Konservatismus, a. a. O., S. 157. 24 K. H. Biedenkopf, Fortschritt in Freiheit, 2. Aufl., München 1974, S. 38. 25 K. Hager, Zu aktuellen Fragen der internationalen Entwicklung, in: Neues Deutschland, Berlin, 29. April 1977, S. 6. 26 D. Bahner, Zeitgeist und Tendenzwende, in: Epoche. Freiheitlich-konservative Monatsschrift, München, H. 4, April 1977, S. 23 f. 27 H.-G. von Studnitz, Der Konservative im Jahrhundert Lenins, in: Konservativ heute, 2/1970, S. 3 ff.

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Gerhard Lozek/Konrad Irmschler

Konservative Entwicklungen in der bürgerlichen Historiographie der B R D

Die in den letzten Jahren stark angewachsenen politischen und ideologischen Aktivitäten konservativer Kräfte in der B R D , die eine Reaktion von rechts auf die verschärften Krisenerscheinungen des kapitalistischen Systems sowie auf die sich gegen den Willen dieser Kräfte durchsetzende internationale Entspannung in Europa darstellen, erfassen zunehmend auch das bürgerliche Geschichtsdenken und die bürgerliche Geschichtsschreibung. Dabei geht es den tonangebenden Leuten dieser Bestrebungen, die sich vor allem um die C D U und CSU gruppieren, aber auch in anderen bourgeoisen Parteien zu finden sind, nicht schlechthin nur darum, die konservative Geschichtsideologie im Rahmen des vielbeschworenen weltanschaulichen „Pluralismus" zu verstärken, ihr Hauptanliegen ist es vielmehr, die gegenwärtige bürgerliche Geschichtsschreibung in der Bundesrepublik generell weiter nach rechts zu drängen und den konservativen Konzepten und Auffassungen vorherrschenden Einfluß zu verschaffen. Die konservativen Aktivitäten im Bereich der bürgerlichen BRD-Historiographie sind vielfältig und bedürfen im einzelnen einer differenzierten Wertung. Auch in der G e schichtsschreibung wird deutlich, daß der Konservatismus als ideologische und politische Strömung besonders reaktionärer Kreise der Monopolbourgeoisie und ihrer Interessenvertreter ungeachtet seiner militanten Abwehrposition gegen jeden gesellschaftlichen Fortschritt infolge der ihm eigenen Sammlungs- und Integrationsfunktion eine sehr heterogene Erscheinung darstellt. Zwar bestehen zum Beispiel enge Berührungspunkte zu profaschistischen Auffassungen, es wäre aber verfehlt, die konservative Geschichtsideologie bzw. dahin tendierende Entwicklungen darauf zu beschränken oder gar damit gleichzusetzen. D i e dem Konservatismus eigene Starrheit der Anschauungen schließt eine begrenzte Anpassung an neue Gegebenheiten nicht aus, wie das namentlich in der Übernahme von bürgerlichen Modetheorien (Lehre von der „Industriegesellschaft") oder Teilelementen anderer bürgerlicher ideologischer Strömungen (Liberalismus) zum Ausdruck kommt. In diesem Zusammenhang sind die Bestrebungen konservativer Historiker und anderer Ideologen der B R D aufschlußreich, einen sogenannten Liberalkonservatismus 1 zu offerieren, um auf diese Weise den konservativen Einfluß auszuweiten. Im Bereich der bürgerlichen Geschichtsschreibung der Bundesrepublik dominiert diese Tendenz. Vor allem mit Hilfe der seit jeher betont konservativ orientierten Fachorgane (wie dem „Historikerverband" und der „Historischen Zeitschrift") werden wachsende Anstrengungen unternommen, um die gesamte bürgerliche Historiographie auf diese konservative Linie festzulegen. In diese Richtung versuchten Werner Conze und andere Mitglieder der Leitung des BRD-Historikerverbandes, massiven Druck auf dem letzten zentralen Kongreß dieser Organisation, der im Herbst 1976 in Mannheim stattgefunden hat, auszuüben. 2 Mit zunehmender Ungeduld und Schärfe wird gegen abweichende

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Meinungen und deren Verfechter vorgegangen. Wobei es auch hier üblich ist, den Andersdenkenden aus bürgerlichem oder reformistischem Lager als „marxistisch" zu verdächtigen und damit für den bürgerlichen Wissenschaftsbetrieb suspekt zu machen.3 Im Grunde sollen bürgerliche Historiker und ihre Arbeitsergebnisse weitgehend gleichgeschaltet werden, um die bürgerliche Historiographie noch wirksamer in den Dienst der proimperialistischen Politik, und zwar konservativer Prägung, zu stellen. Namhafte Kreise des Monopolkapitals versuchen unmittelbar in diese Richtung einzuwirken, wie das bei der sogenannten Ranke-Gesellschaft der Fall ist, deren derzeitige Führungskräfte aus dem Vorstand des Klöckner-Konzerns, eines der umsatzstärksten Monopole, kommen. Die „Ranke-Gesellschaft" übt mit repräsentativen Jahrestagungen, Diskussionen zwischen führenden Historikern und „leitenden Männern und Frauen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr", 4 historischen Publikationsreihen und nicht zuletzt mit der populären Rezensionsschrift „Das Historisch-Politische Buch" einen zielgerichteten und außerordentlich breiten geschichts-ideologischen Einfluß aus. In enger Anlehnung an die politischen Anschauungen und Forderungen konservativer Politiker, beispielsweise deren Ruf nach dem „starken Staat", nach „ungebrochener Kontinuität", deren Polemik gegen eine vermeintlich zu weitgehende „Vergangenheitsbewältigung" sowie deren Verteufelung revolutionärer Entwicklungen in Vergangenheit und Gegenwart, ist für das konzeptionelle und inhaltliche Vorgehen der Konservativen und ihnen nahestehenden Geschichtsideologen die starke Betonung und erneute Aufwertung der politischen Geschichte charakteristisch.5 Die Zielsetzungen der Konservativen in Politik und Ideologie, einschließlich Geschichtsideologie, und die Möglichkeit ihrer Verwirklichung sind natürlich zwei ganz unterschiedliche Größen. Noch sind auch in der Bundesrepublik jene Kräfte stark, die sich einen realistischen Sinn für die Beurteilung des gesellschaftspolitischen Geschehens innerhalb und außerhalb des Landes bewahrt haben. So existieren auch in der bürgerlichen Historiographie Tendenzen und Kräfte, die sich dem Vordringen konservativer Geschichtsideologie widersetzen. Davon zeugen sowohl verschiedene Kontroversen vor allem in der Bewertung der Geschichte des deutschen Volkes zur Zeit des Bauernkrieges, vor und nach 1848/49, in der Beurteilung der Geschichte des Imperialismus und Faschismus sowie struktureller Entwicklungen des staatsmonopolistischen Kapitalismus und nicht zuletzt in der Beantwortung geschichtstheoretischer Grundfragen.6 Diese Situation sowie das Bestreben, ein bestimmtes Maß an Glaubwürdigkeit und methodischem Spielraum zu bewahren, zwingt die konservativen Historiker häufig zum Taktieren, auch zu partiellen Abstrichen von ihren Ansichten oder verbalen Zugeständnissen an eine etwas ausgewogenere historische Wertung und Darstellung, nicht zuletzt mittels einer begrenzten „isozialgeschichtlichen" Betrachtungsweise. Die konservativen Entwicklungen und dementsprechende Aktivitäten in der BRDHistoriographie konzentrieren sich vor allem auf drei Komplexe der historisch-politischen und geschichtstheoretischen Problematik: die historische Stellung und Rolle des Staates der Ausbeuterklassen, die Leugnung des gesetzmäßigen historischen Fortschritts insbesondere durch die Abwertung und Diffamierung revolutionärer Entwicklungen sowie die Aufwertung und begrenzte Modifiz;erung der traditionellen, als „bürgerlicher Historismus" bekannten reaktionären Geschichtstheorie. 1. Der Staat der Ausbeuterklassen als entscheidendes Herrschafts- und Unterdrükkungsinstrument dieser Klassen bildet seit jeher die zentrale historische Kategorie konser26

vativer Weltanschauung und Geschichtsbetrachtung. Ungeachtet der unter bürgerlichen, insbesondere konservativen Ideologen üblichen Aussagen vom Staat als einem über den Klassen stehenden „natürlichen" und „ewigen" (auch „göttlichen") Gebilde geht es stets um diesen Klassenstaat. Sicherlich änderte sich im Laufe der geschichtlichen Entwicklung auch das konservative Gedankengut, doch die besondere Wertschätzung des reaktionären Klassenstaates, dessen Hauptfunktion in der „Bewahrung des Bestehenden", also in der Erhaltung der Besitz- und Machtverhältnisse der Ausbeutergesellschaft gesehen wird, blieb. Dieser Staat wird als der entscheidende Träger geschichtlicher Kontinuität und Tradition und damit als fundamentale Voraussetzung für historische Legitimität und Identität angesehen. 7 Nach der katastrophalen Niederlage der faschistischen Diktatur 1945 sowie in Anbetracht der seither hauptsächlich durch die Existenz des Sozialismus bewirkten weltpolitischen Veränderungen erscheint auch den konservativen Kräften der BRD die Praktizierung und der Ausbau der parlamentarisch verhüllten Herrschaft des Monopolkapitals als die unter den gegebenen Umständen günstigste Form imperialistischer Machtausübung. Angesichts der Krisenhaftigkeit und Labilität des kapitalistischen Systems drängen diese Kräfte allerdings wesentlich massiver als andere auf den noch rigoroseren Abbau der sozialen und politischen Rechte der Werktätigen, auf die noch brutalere Anwendung staatlicher Repressivmaßnahmen zur Niederhaltung und „Disziplinierung" der Volksmassen, vornehmlich der Arbeiterklasse. Die historische Aufwertung der CDU/CSURegierungszeit unter Adenauer und andere geschichtliche Reminiszenzen lassen darauf schließen, daß eine parlamentarisch verbrämte „Kanzlerdemokratie" - in Wirklichkeit Kanzlerdiktatur - die eigentliche Idealvorstellung gegenwärtiger konservativer Staatsauffassung darstellt. 8 Die gegenwärtigen Bestrebungen konservativer Historiker, der politischen Geschichte erneut eine vorrangige Rolle zuzuweisen, laufen in ihrem Kern darauf hinaus, die in der deutschen Geschichte besonders verhängnisvolle Rolle des Ausbeuterstaates und der ihn tragenden Klassenkräfte zu relativieren, die reaktionäre Staats- und Klassenpolitik in Vergangenheit und Gegenwart nachdrücklich aufzuwerten. Dieses Vorgehen wird hauptsächlich von zwei aktuellen Zielsetzungen bestimmt. Erstens soll offenbar die im Gefolge der katastrophalen Niederlage der abenteuerlichen Politik der deutschen Monopolbourgeoisie nach 1945 zwangsläufig auch innerhalb der bürgerlichen Geschichtsschreibung der BRD aufgekommene partielle Kritik am Staat und der Politik der herrschenden Klassen des untergegangenen Deutschen Reiches und seiner Vorläufer radikal abgebaut und überwunden werden. Obgleich die erwähnte, im einzelnen differenziert zu wertende Kritik - als „Bewältigung der Vergangenheit" ausgegeben - infolge ihrer bürgerlichen und kleinbürgerlichen Klassenposition nicht in der Lage war und ist, die historische Wahrheit gründlich und umfassend aufzudecken und sie letztlich auch vom Standpunkt der Rettung und Bewahrung des kapitalistischen Systems geübt wird, 9 erbrachte sie zuweilen aufschlußreiche Teilwahrheiten, nicht zuletzt hinsichtlich des häufigen Versagens der herrschenden Ausbeuterklassen und der sich daraus ergebenden unheilvollen Konsequenzen für das deutsche Volk und andere Völker. Wenn dieses Versagen (vor allem für die neuere Zeit) auch meist subjektiviert und personifiziert vorrangig einigen besonders reaktionären Figuren angelastet wird (Wilhelm II., Ludendorff, Hindenburg, Hugenberg, Hitler), dabei aber auch einstige Idole bürgerlicher Geschichtsbetrachtung mit erfaßt werden (Bismarck, Brüning, Adenauer), so geht das den konservativen Kräften doch entschieden zu weit und sie möchten 27

deshalb das vorherrschende Geschichtsbild und Geschichtsdenken in der bereits skizzierten Weise korrigieren. Ein solches Geschichtsbild und Geschichtsdenken wird schließlich zweitens als grundlegendes Mittel der ideologischen Beeinflussung der Bundesbürger angesehen, vor allem hinsichtlich der Erzeugung eines den konservativen Vorstellungen entsprechenden Staatsbewußtseins. In diesem Sinne soll zugleich die angestrebte „Identität" zwischen Vergangenheits- und Gegenwartsbewußtsein hergestellt werden. Man spekuliert dabei darauf, daß ein Bundesbürger, der die Geschichte in der Sicht konservativer Staatsauffassung aufnimmt, auch in der Gegenwart und Zukunft bereit ist, den angestrebten „starken Staat" der CDU/CSU zu akzeptieren, ja für geschichtlich notwendig anzusehen. Diese Bestrebungen erhalten eine nicht zu unterschätzende Unterstützung durch den besonders im Kleinbürgertum verbreiteten und bewußt geförderten Drang zur Nostalgie, als einer vor allem aus der krisenhaften Verunsicherung der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft erwachsenden geistigen Flucht in vermeintlich „bessere alte Zeiten". Die skizzierte konservative Staatsauffassurg wird sowohl von der Geschichte als auch von der Gegenwart her zugleich mit dem bürgerlichen Nationalismus zur „Nationalstaatsidee" verknüpft. Die bürgerliche Geschichtsideologie soll dabei sowohl als „nationale Klammer" als auch als Mittel der ideologischen Diversion gegen die D D R eingesetzt werden. Die „Nationalstaatsidee", die auf der Grundlage des bürgerlichen Verständnisses des Begriffs Nation historisch vom reaktionären Erbe und angeblichen Fortbestand des 1945 untergegangenen Deutschen Reiches ausgeht und gesellschaftspolitisch auf der daraus abgeleiteten These „eine Nation - ein Staat" beruht, 10 bildet faktisch die konzeptionelle Grundlage des ebenso antiquierten wie entspannungsfeindlichen staatlichen und staatsbürgerlichen Alleinvertretungsanspruchs der B R D gegenüber der D D R , der auf dem jüngsten CDU-Parteitag in Düsseldorf erneut seine Befürworter und Verfechter gefunden hat. 11 Bezeichnenderweise hatte schon einige Monate vorher die erzkonservative Springer-Zeitung „Die Welt" die bürgerlichen Historiker im Zusammenhang mit dem erwähnten Mannheimer Kongreß kategorisch aufgefordert, jede „Angst vor der Macht" zu überwinden und die „Idee des nationalen Machtstaats" zum A und O der Geschichtsbetrachtung zu machen.12 Diese und andere Postulate derzeitiger konservativer Geschichtsideologie beeinflussen in zunehmendem Maße die bürgerliche Historiographie der B R D , ihre Umsetzung in neueren größeren Geschichtsdarstellungen ist indes noch nicht in dem von konservativer Seite gewünschten Maße gelungen. Nach den vorliegenden Aussagen und Darstellungen zeichnen sich jedoch folgende historische Schwerpunktthemen ab: Die erneute Betonung der europäisch-abendländischen Tradition, der absolutistischen Herrschaftsformen des 17. und 18. Jahrhunderts, des Regimes Metternichs (vornehmlich sein Konzept vom „Gleichgewicht der Kräfte"), Preußens und Preußentums, des „nationalen Vermächtnis'" des imperialistischen Deutschen Reiches, des Faschismus (einerseits wird mit Vehemenz die Behauptung der Alleinschuld Hitlers aufgewärmt und andererseits eine angeblich antihitlersche Grundhaltung der konservativen Führungskräfte herausgestellt) und schließlich der Geschichte der B R D (vorrangig die Verherrlichung der CDU-Regierungsperiode unter Adenauer). 13 Das Vordringen konservativer Historiographie führte nicht zuletzt zu einem merklichen Anwachsen geschichtsideologischer Aktivitäten der Revanchistenverbände und ihrer Repräsentanten. Dazu zählen vor allem die von Politikern der CDU und CSU initiierten und von konservativen Historikern inhaltlich vorgearbeiteten Aktionen gegen eventuelle realistische Zugeständnisse in BRD-Schulgeschichts28

büchern hinsichtlich der Rolle der Sowjetunion in der Antihitlerkoalition, der Ergebnisse des zweiten Weltkrieges (insbesondere des Untergangs des imperialistischen Deutschen Reiches) sowie hinsichtlich der Geschichte der Volksrepublik Polen und anderer sozialistischer Länder.l'* 2. Die Leugnung des historischen Fortschritts insbesondere durch die Abwertung und Diffamierung revolutionärer Entwicklungen bildet in der konservativen Geschichtsschreibung und Geschichtsideologie das unmittelbare Pendant zur charakterisierten Beurteilung des reaktionären Machtstaates in Geschichte und Gegenwart. Sowohl diese Staatsauffassung als auch die ihr gemäße Gesellschaftsaujfassung wurzeln weltanschaulich und historisch in der zutiefst elitären und absolut demokratiefeindlichen Grundhaltung des traditionellen wie des gegenwärtigen Konservatismus. Dem Begriff der Gesellschaft und des Gesellschaftlichen, obgleich heute notgedrungen starker benutzt, begegnet das konservative Geschichtsdenken schon deshalb mit Unbehagen, weil damit zwangsläufig, gleich wie gewertet, das Problem der Volksmassen sowie der Klassen und Klassenstrukturen zusammenhängt. Ihren Hauptangriff richteten die konservativen Geschichtsideologen gegen die Gesetzmäßigkeit des historischen Fortschritts im allgemeinen und die soziale Revolution im besonderen. Allerdings geschieht das gegenüber früher praktizierten Argumenten und Methoden etwas modifiziert. Die weltpolitisch gravierenden Veränderungen, die mit und seit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution eingetreten sind, sowie die zunehmende Dynamik der historischen Entwicklung in der gegenwärtigen Epoche zwangen auch die konservativen Ideologen zu einigen Abstrichen von allzu starren Anschauungen. Das betrifft vornehmlich die Versuche, sich im Unterschied zu früheren Positionen, die den historischen Fortschritt im Interesse der „Bewahrung des Bestehenden" offen verneinten und rundweg ablehnten, heute - zumindest verbal - fortschritts- und zukunftsoffen zu geben. 15 In diesem Zusammenhang wird auch von konservativer Seite, wie beispielsweise der „Ranke-Gesellschaft" in der BRD, weltgeschichtlichen Konzepten und Darstellungen eine bedeutend größere Aufmerksamkeit gewidmet als ehedem. 16 Die erwähnten Modifikationen beziehen sich auch auf die historische Behandlung sozialer Revolutionen, zumindest in der Richtung, daß man sich ernsthaft damit auseinandersetzen muß und nicht mehr wie früher einfach ignorieren oder nur primitiv verketzern kann. Die historischen Gegebenheiten zwingen heute die konservativen Historiker, sich sowohl mit der Geschichte des realen Sozialismus als auch sozialistischer Revolutionen zu beschäftigen. Selbst CDU-Vorsitzender Kohl forderte die imperialistische „Ostforschung" und „Kommunismus-Forschung" der BRD auf, ihre Tätigkeit in dieser Richtung zu intensivieren. 17 Ein beträchtlicher Teil der bürgerlichen Historiographie in der BRD, konservativer und auch anderer Provenienz, fabriziert gegenwärtig verstärkt antikommunistische Machwerke. Hierin offenbart sich ebenso eine negative Reaktion auf den 60. Jahrestag der Oktoberrevolution wie eine über den bürgerlichen Wissenschaftsbetrieb vermittelte Schützenhilfe für die derzeit angeheizte antikommunistische Hetzkampagne der Entspannungsgegner. Eines der übelsten historiographischen Machwerke dieser Art bildet die in einer umfangreichen weltgeschichtlichen Reihe erschienene Schrift „Die Krise Europas. 1917-1975", deren Grundtenor die ebenso militante wie primitiv antikommunistische Totalitarismus-Doktrin abgibt, Wesensgleicheit der Oktoberrevolution und der faschistischen Konterrevolution 1933 unterstellt, die KPD und ihre Politik verunglimpft sowie eine gehässige Verleumdung der DDR enthält. 18 Die im absoluten Gegensatz zu solchen Phantastereien sowie zur Gesamtanlage und

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Gesamtaussage des Buches vom Autor verbal beteuerte Bejahung der internationalen Entspannung erscheint selbst bürgerlichen Historikern wie Hans Mommsen angesichts der „provozierenden Schärfe" fragwürdig. 19 In der Tat kommt es auch bei der Beurtei-' lung geschichtlicher Darstellungen in erster Linie stets darauf an, welche Funktion und Wirkung ihre Publikationen im ideologischen und politischen Geschehen der Gegenwart objektiv erfüllen. Es ist gerade in der gegenwärtigen bürgerlichen Historiographie der BRD eine nicht zu übersehende, sich offenbar weiterhin verstärkende Tendenz, daß nicht wenige Historiker, die sich gern als „liberal" ausgeben, mit ihren Elaboraten im Grunde das Geschäft der entspannungsfeindlichen Kräfte innerhalb und außerhalb der CDU und CSU besorgen. 3. Auch im Bereich von Geschichtstheorie und -Methodologie der bürgerlichen BRDHistoriographie ist in den letzten Jahren eine deutliche Verstärkung konservativer Tendenzen feststellbar. Das wichtigste Kennzeichen in dieser Hinsicht sind die vielfältigen Versuche zur erneuten Aufwertung und Befestigung der Positionen des traditionellen bürgerlichen Historismus. Der theoretische und betont weltanschauliche Kern dieses „Historismus" besteht darin, allgemeine Gesetzmäßigkeiten der geschichtlichen Entwicklung zu leugnen und das Unwiederholbare und Einmalige in der Geschichte - mit dem Begriff des „Individuellen" subjektiviert - als das Vorrangige und letztlich Bestimmende hinzustellen. Die durch diese extrem idealistische Sicht der Geschichte zwangsläufig entstehende Verengung der historischen Betrachtung, die eine ständige Fehlinterpretation der Geschichte bewirkt, damit die bürgerliche Geschichtsideologie noch unglaubwürdiger macht und so wesentlichen Anteil an dem permanenten Krisenzustand bürgerlicher Historiographie hat, führte dazu, diesen „Historismus" vor allem durch Anleihen bei der bürgerlichen Soziologie und anderen „Sozialwissenschaften" zu ergänzen und zu modifizieren. Im Ergebnis dieser theoretischen Manipulationen, mit deren Hilfe vor allem einige soziale und ökonomische Faktoren und Strukturen der Geschichte vom bürgerlichen Klassenstandpunkt faßbar gemacht werden sollen, entstand die sogenannte „moderne Sozialgeschichte", die auch als „Strukturgeschichte" bezeichnet wird. Allerdings handelt es sich bei der vorherrschenden Variante dieser „Sozialgeschichte" um eine begrenzte Erweiterung des herkömmlichen geschichtlichen Instrumentariums. Diese Erweiterung geht über ausgewählte Teilbereiche der historischen Wirklichkeit in der neueren Geschichte beispielsweise die kapitalistische Industrialisierung, demographische Entwicklungen und Lebensbedingungen, von ihren klassenmäßigen Zusammenhängen isolierte Fragen der Arbeiterbewegung - nicht hinaus und grenzt sich eindeutig von den Versuchen anderer bürgerlicher bzw. sozialreformistischer Historiker ab, die eine Ausweitung der „Sozialgeschichte" in Richtung der Erfassung gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen anstreben.20 Der unlösliche Zusammenhang zwischen herkömmlichem „Historismus" und der dominierenden Form der „Sozialgeschichte" wurde von konservativer Seite auf dem erwähnten Kongreß der BRD-Historiker in Mannheim erneut mit Nachdruck herausgestellt. In seiner Schlußansprache betonte Werner Conze ausdrücklich, daß die „Sozial- und Strukturgeschichte" nie als ein „ausschließender Gegensatz" zur bisherigen Historie aufgefaßt worden und der „Historismus" in der „heutigen Theorie und Praxis" der bürgerlichen Geschichtswissenschaft „unverlierbar aufgehoben" sei. 21 Ein wesentliches weltanschauliches Element der verfolgten „Modernisierung" des bürgerlichen „Historismus" ist der für das gegenwärtige konservative Denken charakteristische Anthropologismus. Diese bürgerliche, in der BRD namentlich von Arnold Geh30

len beeinflußte bürgerliche Modephilosophie 22 , welche die historische Entwicklung vorrangig von einem gesellschaftlich abstrakt aufgefaßten, hauptsächlich von biologischen und psychologischen Faktoren geprägten menschlichen Individuum her begreift, soll die angestrebten geschichtstheoretischen Modifikationen weltanschaulich fundieren. In diesem Sinne treten Werner Conze für eine „kulturanthropologisch begründete Geschichte", Thomas Nipperdey und Klaus Hildebrand für den Ausbau einer „anthropologischen Dimension" der bürgerlichen Geschichtswissenschaft ein. 23 D i e dabei strapazierte Berufung auf Marx und seine Feststellung, daß „die erste Voraussetzung aller Menschengeschichte . . . die Existenz menschlicher Individuen" darstellt 24 , ist Demagogie und Fälschung zugleich. Sie ignoriert bewußt den eigentlichen Inhalt und das Hauptergebnis der Marxschen Erkenntnisleistung, die im historischen Materialismus ihren konzentrierten Ausdruck gefunden hat und nachweist, daß Wesen und Handlungen der Menschen letztlich gesellschaftlich-materiell, d. h. in erster Linie durch die gegebene Produktionsweise in ihrer Wechselwirkung von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen determiniert sind. D i e dialektisch-materialistische Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis von Sein und Bewußtsein trägt in vollem Umfang der aktiven, schöpferischen Rolle des Menschen, vor allem der Volksmassen in der Geschichte Rechnung. 25 Weitere Kennzeichen der Verstärkung konservativer Tendenzen im theoretisch-methodologischen Bereich sind die Versuche, die weitgehend an traditionellen Positionen des bürgerlichen „Historismus" orientierte Variante der „Sozialgeschichte" zur allgemein verbindlichen Form zu erklären und alle andersgearteten Bestrebungen abzublocken. Besonders heftigen Angriffen sehen sich vor allem jene Historiker ausgesetzt, die unter „Sozialgeschichte" eine „historisch-kritische Sozialwissenschaft" verstehen und sie bei relativ starker Einbeziehung ökonomischer Faktoren als „Gesellschaftsgeschichte" betreiben wollen. 26 Unmut und Polemik der tonangebenden K r ä f t e im BRD-Historikerverband richten sich weniger gegen einzelne theoretische Aussagen der Verfechter der „historisch-kritischen Sozialwissenschaft" als vielmehr gegen gesellschaftspolitische Konsequenzen, die damit verknüpft werden und die gefährliche Grenzbereiche, ja Tabus der vorherrschenden Geschichts- und Gesellschaftsauffassung berühren. D a s betrifft beispielsweise die aus historischen Untersuchungen abgeleitete Frage, ob es angesichts der Gebrechen der „sozialen Marktwirtschaft" noch gerechtfertigt sei, die „private Verfügungsgewalt über Produktionsmittel und private Gewinnaneignung" weiterhin beizubehalten. 27 Obgleich mit solchen Überlegungen bürgerliche Klassenpositionen keineswegs verlassen und auch keine Konsequenzen für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen verbunden werden, sind sie den konservativen Kräften gefährlich genug, um diejenigen theoretischen Positionen entschieden zu bekämpfen, die mit solchen Meinungen korrespondieren. D a hilft auch nicht die Anbiederung seitens der Anhänger der „historischkritischen Sozialwissenschait", für die Bekämpfung der marxistischen Geschichtsauffassung besonders geeignet zu sein. 28 Die verstärkte Theoriediskussion unter bürgerlichen Historikern und der dabei von konservativer Seite zunehmend ausgeübte Druck sind weder aus der Eigenentwicklung bürgerlicher Historiographie noch aus deren Theorie selbst zu erklären, sie werden letztlich von handfesten politischen Interessen bestimmt. Bürgerliche Geschichtsschreibung und Geschichtsideologie sollen noch umfassender im Sinne der verschiedenen proimperialistischen politischen Konzeptionen genutzt werden. Die namentlich von konservativer Seite erhobene Forderung nach „Wertfreiheit" und

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„Objektivität" widersprechen dem keineswegs, sondern stellen im Gegenteil eine Methode dar, die eigenen weltanschaulichen und gesellschaftspolitischen Zielsetzungen in verhüllter Form um so nachhaltiger zu vertreten. 29 Dabei spielt zweifellos die Überlegung eine wichtige Rolle, daß die in der B R D von den existierenden materiellen und politischen Bedingungen der kapitalistischen Gesellschaft geprägten vorherrschenden Denkgewohnheiten und Denkinhalte konservative Bestrebungen begünstigen. Gleich wie die theoretischen und methodologischen Konzepte der konservativen Kräfte firmiert werden, in jedem Falle geht es darum, der bürgerlichen Geschichtsschreibung und ihren Historikern die Fessel reaktionärer Klassenparteilichkeit noch fester anzulegen.

Anmerkungen 1 Vgl. K. von Klemperer, Konservatismus, in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie, hrsg. von C. D. Kernig in Zusammenarbeit mit Z. K. Brzezinski u. a., Bd. III, Freiburg-Basel-Wien 1969, S. 855. 2 Vgl. W. Conze, Die deutsche Geschichtswissenschaft seit 1945, Bedingungen und Ergebnisse, in: Historische Zeitschrift, Bd. 225, 1/1977. 3 Vgl. Th. Nipperdey, Konflikt - Einzige Wahrheit der Gesellschaft?, Osnabrück 1974, S. 60; K. Hildebrand, Geschichte oder „Gesellschaftsgeschichte"?, in: Historische Zeitschrift, Bd. 223, 2/1976, S. 337, 356. 4 Vom Sinn der Geschichte. Beiträge von W. Conze u. a., hrsg. von O. Franz, Stuttgart 1976, S. 7; vgl. ferner: Was weiter wirkt. Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts von H. Gollwitzer u. a., hrsg. von O. Franz, Stuttgart 1971. 5 Vgl. A. Hillgruber, Politische Geschichte in moderner Sicht. In: Die Zukunft der Vergangenheit, hrsg. von Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Freiburg-Basel-Wien 1975. Dieser Band enthält neben dem genannten Artikel mehrere für das konservative Geschichtsdenken charakteristische Beiträge u. a. von P. Berglar, H. Diwald, H. Lübbe, A. Möhler, T. Nipperdey und B. Scheurig; K. Hildebrand, Geschichte oder „Gesellschaftsgeschichte"?, a. a. O.; G. Schmidt, Wozu noch „politische Geschichte"? In: Das Parlament. Beilage: Aus Politik und Zeitgeschichte, 26. 4. 1975. 6 Im Verlaufe dieser Kontroversen kam es unter anderem zur Begründung neuer Geschichtszeitschriften - wie zum Beispiel „Geschichte und Gesellschaft" und „Geschichtsdialektik" - deren Grundorientierung sich im Rahmen bürgerlicher, teilweise vom Sozialreformismus beeinflußter Positionen betont gegen die genannten traditionellen Organe richtet. 7 Vgl. M. Hättich, Individuum und Gesellschaft im Konservatismus, Hannover 1971; P. Berglar, Ohne Vergangenheit keine Zukunft, in: Die politische Meinung, 159/1975; H. Diwald, Geschichtsbewußtsein und Selbstbehauptung, in: Die Zukunft der Vergangenheit, a. a. O.; Th. Nipperdey, Wozu noch Geschichte? In: Ebenda. 8 Vgl. A. Baring, Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie, München-Wien 1969; Die zweite Republik. 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von R. Löwenthal und H.-P. Schwarz Stuttgart 1974. 9 Vgl. Unbewältigte Vergangenheit. Kritik der bürgerlichen Geschichtsschreibung in der BRD, hrsg. von Gerhard Lozek, Werner Berthold u. a„ 3. neubearbeitete und erweiterte Auflage Berlin 6 1977. 10 Vgl. W. Schmidt, Nationalismus im Klassenkampf unserer Zeit, in: Einheit, 2/1975. 11 Die CDU-Führung wies selbst vorsichtige Versuche entschieden zurück, die - wie von dem Historiker K. D. Erdmann ausgesprochen - ein Abgehen von der „Nationalstaatsidee" zugunsten des Konzepts von der „Kulturnation" (eine „Kulturnation" in mehreren Staaten existierend) befürworteten. Vgl. Materialien des 25. Bundesparteitages der CDU 7.3.-9.3.1977, Düsseldorf 1977; G. Deschner, Die pluralistische Spannweite der CDU, in: Die Welt, 10.3.1977; CDU beharrt auf ihrer Haltung zur DDR, in: Süddeutsche Zeitung, 9. 3. 1977, S. 1 f. 12 G. Deschner, Nach dem Kahlschlag, in: Die Welt, 29. 9. 1976. 13 Als Beispiele seien angeführt: H.-J. Schoeps, Deutsche Geistesgeschichte der Neuzeit. Bd. I: Das Zeitalter der Reformation, Mainz 1976; Zur Problematik der deutschen Führungsgeschichten in 32

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der Neuzeit (Schriftenreihe der Ranke-Gesellschaft), Göttingen 1964-1975; G. A. Rein, Die Deutschen und die Politik. Betrachtungen zur Geschichte der Deutschen Bewegung bis 1948, Göttingen-Zürich-Frankfurt/M. 1970; P. Berglar, Metternich, Göttingen-Zürich-Frankfurt/M. 1973; H.-J. Schoeps, Preußen. Geschichte eines Staates, Berlin (West) 1967; C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus, Göttingen 1971; O. Hauser, Das geistige Preußen, in: Vom Sinn der Geschichte, a. a. O.; Reichsgründung 1870/71, hrsg. von Theodor Schieder und Ernst Deuerlein, Stuttgart 1970; W. Hubatsch, Kaiserliche Marine, München 1975; R. Buchner, Deutsche Geschichte im europäischen Rahmen, Göttingen 1975; A. Hillgruber, Großmachtpolitik und Militarismus im 20. Jahrhundert, Düsseldorf 1974; B. Scheurig, Deutscher Konservatismus zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, in: Die Herausforderung der Konservativen, hrsg. von Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Basel-Wien 1974; P. Berglar, Konrad Adenauer: Konkursverwalter oder Erneuerer der Nation? Göttingen 1975; A. Hillgruber, Deutsche Geschichte 1945-1972, Frankfurt/M.-Berlin (West) 1974. Vgl. A. Schickel, Zeitgeschichte - schief und entstellt, in: Die politische Meinung, 159/1975; Bundesversammlung des Bundes der Vertriebenen 1976, in: Neue Kommentare, Nr. 15/1976; Deutsch-polnische Schulbuchempfehlungen, in: Ebenda, Nr. 20/1976. Vgl. M. Abelein, Hat der Konservatismus noch Chancen? In: Die Zeit, 22.2.1974; H. Lübbe, Fortschritt als Orientierungsproblem im Spiegel politischer Gegenwartssprache, in: Tendenzwende? Zur geistigen Situation in der Bundesrepublik, Stuttgart 1975. Vgl. Die Folgen von Versailles 1919-1924, hrsg. von Hellmuth Rößler, Göttingen 1969; Locamo und die Weltpolitik 1924-1932, hrsg. von Hellmuth Rößler und Erwin Hölzle, Göttingen 1969; Weltpolitik 1933-1939, hrsg. von Oswald Hauser, Göttingen 1973; Weltpolitik 1939-1945, hrsg. von Oswald Hauser, Göttingen 1976. Vgl. H. Kohl, Rede anläßlich der Jahrestagung 1975 der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, in: Osteuropa, 12/1975, S. 969 3. K.-D. Bracher, Die Krise Europas, 1917-1975, Berlin (West) 1976. Vgl. H. Mommsen, Im Strom von Diktatur und Demokratie, in: Die Zeit, 17. 12.1976. Vgl. G. Lozek, Aktuelle Fragen der Entwicklung von Theorie und Methodologie in der bürgerlichen Historiographie, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 9/1977. W. Conze, Die deutsche Geschichtswissenschaft seit 1945, a. a. O., S. 17, 21. Vgl. A. Gehlen, Anthropologische Forschung, Hamburg 1961; derselbe, Studien zur Anthropologie und Soziologie. Neuwied-Berlin (West) 1963. Vgl. Th. Nipperdey, Die anthropologische Dimension der Geschichtswissenschaft, in: Geschichte heute, hrsg. von G. Schulz, Göttingen 1973; W. Conze, Zur Lage der Geschichtswissenschaft und des Geschichtsunterrichts, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 2/1975, S. 73; K. Hildebrandi Geschichte oder „Gesellschaftsgeschichte"?, a. a. O., S. 356; Th. Schieder, Die Kraft des Mitleidens, in: Rheinischer Merkur, Nr. 52/1976.

24 K. Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie, Marx/Engels, Werke, Bd. 3, Berlin 1959, S. 20. 25 Vgl. F. Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, Marx/Engels Werke, Bd. 19, Berlin 1962; W. I. Lenin, Karl Marx, Werke, Bd. 21, Berlin 1960. 26 Vgl. W. Conze, Die deutsche Geschichtswissenschaft seit 1945, a. a. O., S. 21 f.; derselbe, Zu den ersten drei Heften von „Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für historische' Sozialwissenschaft", in: Archiv für Sozialgeschichte, hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Verbindung mit dem Institut für Sozialgeschichte Braunschweig-Bonn, Bd. XVI, Bonn-Bad Godesberg 1976; K. Hildebrand, Geschichte oder „Gesellschaftsgeschichte"?, a. a. O. 27 Vgl. H.-U. Wehler, Der Aufstieg des organisierten Kapitalismus und Interventionsstaates in Deutschland. In: Organisierter Kapitalismus, hrsg. von H. A. Winkler, Göttingen 1974, S. 52. 28 Vgl. H. A. Winkler, Wieviel Wirklichkeit gehört zur Geschichte? Ortsbestimmung einer Wissenschaft, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. 9. 1976. 29 Vgl. H. Lübbe, Wer kann sich historische Aufklärung leisten? In: Wozu noch Geschichte?, hrsg. von Willi Oelmüller, München 1977.

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Konservatismus

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Erhard Albrecht

Konservatismus, Biologismus und anthropologische Sprachkonzeption

D i e in einigen Diskussionsbeiträgen vertretene Auffassung, daß bei der Wiederbelebung des konservativen Denkens philosophische Quellen wie Anthropologie, Irrationalismus, Kulturpessimismus eine bedeutende Rolle spielen und daß sich konservatives Denken auch auf die weltanschauliche Interpretation naturwissenschaftlicher Forschungsergebnisse stützt, kann auch an dem Zusammenhang von Biologismus und einer rein anthropologischen Erklärung des Wesens der Sprache nachgewiesen werden. Die Reduzierung sozialer Phänomene auf biologische Prozesse, die wir auch wieder jüngst in verstärktem Maße in der Literatur antreffen - wir verweisen hier auf Arbeiten von C. F. Frh. von Weizsäcker „ D i e Einheit der Natur" oder von H. Mohr „Über die Bedeutung der Naturwissenschaften für die Kultur unserer Zeit" (1973) - , muß als ausgesprochen reaktionär charakterisiert werden. Zu welchen gefährlichen Konsequenzen derartige Auffassungen heute führen, beweist uns die These Weizsäckers, der zufolge der Mensch einen Aggressionstrieb besitze, aus dem folge, daß es niemals einen gesicherten Frieden geben könne. „ D i e Geschichte der Hochkulturen kennt kein Beispiel für einen stabilisierten Friedeil", schreibt Weizsäcker, „also wird von uns das Beispiellose verlangt. Warum aber kennen wir dieses Beispiel nicht, warum eigentlich ist der Friede bisher niemals als feste Ordnung möglich gewesen? Wenn man das zurückfragt, dann werden wir je nach dem politischen Glaubensbekenntnis dessen, den wir fragen, verschiedene Antworten bekommen. Und doch weiß ich persönlich keine Antwort, die mich befriedigt hätte. Jede Antwort, die ich gehört habe, macht Halt vor der Feststellung, daß in jedem einzelnen Menschen unüberwindlich jenes Element vorhanden ist, das in der Sprache der Psychologen wohl die Aggression heißt, und aus dem sich all diese kriegerischen Explosionen gespeist haben. Wir werden also unsere Institutionen verändern können; wir werden es müssen; wir werden eine institutionell gesicherte Weltorganisation mit Waffenmonopol anstreben müssen, werden vielerlei Dinge anstreben müssen, die heute fast undenkbar scheinen. Und selbst wenn wir sie erreichen, selbst wenn wir die Gesellschaft so umordnen, daß alle die Leute befriedigt sind, die sagen, daß unsere gesellschaftlichen Lebensbedingungen Grund sind für die Kriege, so werden wir damit doch das, was im Menschen zentral drinsitzt, nicht ausgerottet haben. Wir werden damit die Aggression nicht los sein." 1 Hier zeigt sich nun heute äußerst fatal und gefährlich, wohin die Biologisierung des Weltbildes führen muß. Der Mensch wird auf eine Stufe mit dem Tier gestellt und seiner Würde beraubt. Mit dieser Pseudoargumentation sollen die Friedenskräfte in ihrem Kampf gegen die wirklichen Urheber von Kriegen in der Gegenwart, die Monopolbourgeoisie, paralysiert werden. Ein rein biologisches „Menschenbild" muß in letzter Konsequenz zum Rassismus mit all seinen unmenschlichen politischen Praktiken führen. Wenn wir davon ausgehen, daß 34

elitäres Denken ein Ausdruck des Konservatismus ist 2 , dann wird deutlich, daß der Biologismus diese Position „theoretisch" stützen soll. Dieser Biologismus kann dann, wenn es in einer konkret-historischen Situation der Monopolbourgeoisie zur Aufrechterhaltung ihrer Macht notwendig erscheint, in die faschistische Ideologie direkt transformiert werden. Ist eine solche Notwendigkeit für eine faschistische Diktatur nicht gegeben, bleibt der Biologismus eine Komponente eines elitär-konservativen Denkens in reaktionären philosophischen und soziologischen Strömungen. Wir möchten als Beispiel auf Arnold Gehlen verweisen, der in seiner philosophischen Anthropologie menschliches Handeln auf eine menschliche Antriebsstruktur reduziert. In seinem Grundwerk „Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt", das 1940 erschien und 1971 seine neunte Auflage erlebte, geht er auch den Wurzeln der Sprache nach. Speziell setzt für Gehlen das Aufbaugesetz das menschliche sensorisch-motorische Verhalten in der Sprache fort. Aus der morphologischen Beschaffenheit des Menschen sollen danach die Aufgaben der eigentätigen Umarbeitung der elementaren Belastungen in die Mittel zur Daseinserhaltung und Lebensfristung folgen. Dazu gehört eine eigentätig aufgebaute und überschaubar gemachte Wahrnehmungswelt, eine Orientierung in dieser, bei welcher die Dinge zugleich verfügbar werden, und die Organisation eines in unbestimmt hohem Grade anpassungsfähigen Handlungskönnens. Die Richtungen dieser sensomotorischen Prozesse werden von der Sprache eindeutig übernommen und bis zur Vollendung ausgebaut. „Dieser anthropologische Entwurf unterscheidet sich also von allen bisherigen dadurch, daß es ihm gelingt, unter der Idee des Leistungsaufbaus, einem echt anthropologisch-biologischen Gedanken, eine Ebene zu finden, auf der der Übergang vom .physischen' zum .geistigen' immerfort vollzogen wird, also nachvollzogen und verstanden werden kann. Unter dem Gewicht einer lebensdringlichen Aufgabe wird eine Hierarchie von Leistungen entwickelt, in denen dasselbe Gesetz nachweisbar ist." 3 Der Begriff der sozialökonomischen Gesellschaftsformation und der von ihm bezeichnete Prozeß der Entwicklung der Gesellschaft durch die Produktionsweise, Klassenkämpfe usw. taucht bei Gehlen an keiner Stelle auf. Zwar wird richtig auf die bedeutende Rolle der Produktionsmittel eingegangen und in diesem Zusammenhang der Kulturbegriff erläutert, aber immer auf der Basis einer biologischen Anthropologie. Der Mensch könne überall leben, sehr im Gegensatz zu den geographisch streng umschriebenen Heimatgebieten aller spezialisierten Tiere. Er kann das, weil er durch planende und voraussehende Veränderung sich aus ganz beliebigen vorgefundenen Umständen seine Kultursphäre schaffe, die bei ihm an Stelle der Umwelt stehe und die nun allerdings zu den natürlichen Lebensbedingungen dieses unspezialisierten und organisch mittellosen Wesens gehöre, heißt es. „Kultur" aber sei daher ein anthropologisch-biologischer Begriff, der Mensch sei von Natur ein Kulturwesen. In der Darstellung der Sprachwurzeln wendet sich Gehlen gegen jede gnoseologisch-logische Funktion der Sprache, bei der die Sprache vom Erkennen, Ausdeuten, Symbolisieren her erklärt wird, indem er behauptet, die motorische Seite der Sprache werde dabei übersehen. Kritisch muß hierzu vermerkt werden, daß Gehlen - bei aller Anerkennung der Bedeutung des Motorischen - die sozialen Aspekte der Sprache und damit die Hauptfunktion, nämlich die Erkenntnisfunktion, völlig unterschätzt. Indem Gehlen den Menschen als biologisches Sonderproblem sieht und von tatsächlichen Triebkräften der Menschwerdung (Arbeit, Denken und Sprache) absieht, den Marxismus mit seinen wissenschaftlichen Grundlagen für die Ermittlung der Wesenskräfte des Menschen ignoriert, bezieht er eine subjektividealistische Position, die klassenmäßig reaktionärsten Kreisen der Bourgeoisie gedient hat und weiter dient. 3*

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Wie Brüning in seiner Darstellung der „Philosophischen Anthropologie" (Stuttgart 1959) bereits betonte, hängt Gehlens Auffassung, daß der Mensch nicht „das denkende Wesen, sondern das handelnd erkennende, für seine Zukunft arbeitende, sich selbst und seine Umwelt nach einem Prinzip gestaltende, zurechtmachende, also das kulturschaffende Wesen sei, mit dem Pragmatismus eng zusammen". 4 Diese subjektiv-idealistische Lehre vom Menschen als einem bloß handelnden Wesen geht im wesentlichen auf Dewey zurück. Es zeigen sich bei Gehlen aber auch direkte Einflüsse Nietzsches. Als irreführend muß die Gleichsetzung von Marx, Nietzsche und Freud angesehen werden. Durch diese wurde nach Gehlen das Relativismusproblem konsequent herausgearbeitet, von dem die Philosophie zersetzt werde. 5 Wer die Philosophie tatsächlich zersetzt hat, das sollte Gehlen sich fragen und selber überlegen. Für Nietzsche trifft die Aussage von Gehlen zu. Freud hat auch nicht unwesentlich zur Verbreitung idealistischer Auffassungen vom Menschen beigetragen und Gehlen hat seit seiner Antrittsvorlesung im Jahre 1934 in Leipzig über das Thema „Staat und die Philosophie" seine Grundauffassungen nicht revidiert. Seine Grundauffassung ist ein auf biologischer Anthropologie basierender Irrationalismus. D a ß selbst führende Biologen, die die biologistisch-anthropologische Denkweise ablehnen und sich um ein dialektisches Verständnis biologischer Prozesse in ihren Verallgemeinerungen bemühen, in einer Reihe von Fragen die biologistisch-anthropologische Denkweise nicht zu überwinden vermögen, zeigt uns die Arbeit des bekannten Genetikers Theodosius Dobzhansky „Dynamik der menschlichen Evolution. Gene und Umwelt" (1962). Die von Dobzhansky aufgestellte Hypothese, daß sich in den jeweiligen Sprachen genetisch bedingte Unterschiede zwischen den Denkweisen verschiedener Menschengruppen widerspiegeln, hält einer Kritik nicht stand. So wie eine rein biologische Begründung linguistischer Universalien sich als unhaltbar erwiesen hat, so können auch die Unterschiede in den Denkweisen der Menschen nicht biologisch begründet werden. Die allgemeinen Gesetze des menschlichen Denkens sowie die allgemeinen Eigenschaften natürlicher Sprachen sind durch ihre kommunikativ-kognitive Funktion und durch die Struktur und Funktion des menschlichen Organismus im Hinblick auf die Sprachproduktion und -rezeption gesellschaftlich determiniert. Der elitäre Charakter als Kriterium des Konservatismus widerspiegelt sich deutlich in dem Versuch von Historikern in der BRD, Konservatismus oder, wie sie es nennen, Konservativismus, als eine Strömung von großer geistiger Regsamkeit in antikapitalistischem, antiliberalem und antidemokratischem Sinne zu charakterisieren, als eine von tiefem sittlichen und religiösen Ernst getragene Unterströmung, die zu einem bedeutenden Teil die Widerstandsbewegung gegen Hitler trug. 6 Wenn auch nicht unbedeutende konservative Kreise aus zum Teil sehr unterschiedlicher Motivierung dem Faschismus Widerstand geleistet haben, so wird doch von konservativen Historikern in der BRD die Rolle dieser Gruppierungen bewußt überschätzt. Die historische Forschung hat überzeugend den Nachweis erbracht, daß die K P D die führende Kraft im antifaschistischen Widerstandskampf war. Diese Tatsache hängt objektiv mit der historischen Mission der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei zusammen. 7 D a ß selbst bürgerlich-liberale Forscher infolge ihrer Klassenschranken nicht imstande sind, diesen objektiven Prozeß richtig einzuschätzen, beweisen u. a. die Arbeiten von Eugen Kogon. 8 „Je breiter und tiefer sich der unbezwingbare Prozeß der Befreiung der Menschheit von allen Formen imperialistischer Ausbeutung entfaltet, desto offensichtlicher wird die 36

Bedeutung des Großen Oktober, der den Völkern den weiteren Weg des sozialen Fortschritts erhellt." 9 Die Veränderung des Kräfteverhältnisses in der Welt zugunsten des Sozialismus und der kommunistischen Weltbewegung, die die organisierteste und einflußreichste Kraft der Gegenwart ist10, führt auch zu einer Differenzierung in den christlich-demokratischen Parteien, die hauptsächlich konservative soziale Schichten der westeuropäischen Länder repräsentieren. Diesen Differenzierungsprozeß gilt es exakt einzuschätzen und zu erforschen. Dabei ist auch die Frage zu stellen, welche Kräfte in diesen Parteien sich direkt oder indirekt den unverhüllt reaktionären Strömungen, d. h. den aggressivsten und reaktionärsten Kreisen des Imperialismus entgegenstellen. 11 " „In der Politik ist es unmöglich, erst alles bis zu Ende zu berechnen und dann zu handeln. Das praktische Handeln ist eine unerläßliche Komponente des Suchens und der Realisierung neuer Möglichkeiten. Solcherart ist die Forderung der Methodologie des politischen Denkens, die Lenin den Doktrinären entgegenhielt." 12 Nach Lenin wäre ein Versuch, die Chancen im voraus mit absoluter Präzision zu berechnen, entweder Scharlatanerie oder hoffnungslose Pedanterie. 13 Die objektive historische Entwicklung schließt, wie Krassin treffend hervorhob, die Initiative, die Bewußtheit und die Aktivität des Subjekts im Kampf für die herangereiften Erfordernisse des sozialen Fortschritts ein.14

Anmerkungen 1 C. F. Frh. von Weizsäcker, Die Einheit der Natur, München 1971, S. 295. 2 Vgl. L. Elm, Zur Ideologie und Programmatik der Christlich-Sozialen Union (CSU) 1945-1976, in: Wissenschaftliche Beiträge der Friedrich-Schiller-Universität Jena, 1976; Vgl. L. Elm, Traditionen, Wesen und Erscheinungsformen des Konservatismus (am Beispiel der BRD). Thesen. Jena 1976 (Manuskript). 3 A. Gehlen, Der Mensch und seine Natur. Seine Stellung in der Welt, 9. Aufl. Frankfurt/M. 1971, S. 47. 4 Vgl. Philosophisches Wörterbuch, 17. Aufl., hrsg. von G. Schischkoff, Stuttgart 1965, S. 208. 5 A. Gehlen, ebenda, S. 387. 6 E. Bayer, Wörterbuch zur Geschichte. Begriffe und Fachausdrücke, Stuttgart 1965. S. 288-289. 7 Vgl. E. Albrecht, Beiträge zur Erkenntnistheorie und das Verhältnis von Sprache und Denken, Halle 1959, S. 451 ff. 8 Vgl. E. Kogon, Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, Berlin 1946. 9 I. Minz, Die Große Oktoberrevolution und der gesellschaftliche Fortschritt, in: Gesellschaftswissenschaften, (Moskau) 1/1977, S. 19. 10 Vgl. G. Schachnasarow, Neue Faktoren in der Politik von heute, ebenda, S. 48. 11 Ebenda, S. 50. 12 J. Krassin, Das politische Denken: methodologische Aspekte, ebenda, S. 62. 13 W. I. Lenin, Werke, Berlin 1959, Bd. 12, S. 103. 14 J. Krassin, Das politische Denken: methodologische Aspekte, in: Gesellschaftswissenschaften, Moskau 1/1977, S. 62.

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Hans-Georg Hofmann

Der Einfluß des politischen Konservatismus auf die imperialistische Bildungspolitik in der Gegenwart

Mit der weiteren Gestaltung des entwickelten Sozialismus in den sozialistischen Staaten treten immer deutlicher die gegensätzlichen Merkmale von Sozialismus und Imperialismus hervor. „Erweist sich der Sozialismus für die Völker als Gesellschaftsordnung, die Frieden schafft, wirtschaftlichen Aufschwung, soziale Sicherheit, Freiheit und Gerechtigkeit garantiert, so bringt der Kapitalismus immer wieder Spannungen und Kriegsgefahr hervor, ist er von Krise, Stagnation, sozialer Unsicherheit und Unterdrückung der elementaren Menschenrechte gekennzeichnet. Bei all der Vielfalt der internationalen Beziehungen von Staaten, die es in der Welt von heute gibt, ist die Auseinandersetzung zwischen den beiden Gesellschaftssystemen die zentrale Achse der internationalen Entwicklung." 1 Mit der Veränderung des Kräfteverhältnisses in der Welt zugunsten des Sozialismus und des Friedens wächst, wie L. I. Breshnew vor den Delegierten des XXV. Parteitages der Kommunistischen Partei der Sowjetunion feststellte, aber auch die Rolle des ideologischen Kampfes zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Die dynamische Entwicklung des Sozialismus wie zum Beispiel die Lösung der Bildungsfrage in Gestalt der Oberschulbildung für alle und die wachsende Labilität des imperialistischen Systems und seiner immer stärker in den Vordergrund tretenden Verweigerung des Rechts auf Bildung für die Jugend beeinflussen immer stärker Denken und Handeln der lernenden Jugend der Arbeiterklasse und der Pädagogen kapitalistischer Länder. Es wachsen antimonopolistische Stimmungen und Einstellungen. Auf dem bildungspolitischen und pädagogisch-theoretischen Gebiet ist der Imperialismus ebenso wie auf anderen Gebieten gezwungen, seine bildungspolitische Strategie dem objektiven Prozeß des Übergangs der Welt zum Sozialismus aus einer historischen Defensivposition heraus anzupassen. Während in den 60er Jahren bei Diskussionen über die reformistische Struktur der Schule mit Hilfe der Losung „Aufstieg durch Bildung" der Eindruck von „Chancengleichheit für alle" durch den Aufbau erster Gesamtschulen geweckt wurde, verlagert sich heute das Schwergewicht bildungsstrategischer Arbeiten stärker auf die reale Bestimmung der Ziele und Inhalte der Bildung und Erziehung. Allein im BRD-Bundesland Bayern werden in den kommenden Jahren durch das Staatsinstitut für Schulpädagogik für alle Schularten nicht weniger als 972 Lehrpläne neu herausgegeben. 2 Sie werden maßgeblich von konservativen, offen reaktionären Auffassungen bestimmt sein, wie aus Stellungnahmen des bayerischen CSU-Ministers Maier in jüngster Zeit zu entnehmen ist. Er fordert Kehrtwendung, nicht Kurskorrektur in der Bildungspolitik. Mit Hilfe der Losung von der Wiedergewinnung des Erzieherischen soll politisches systemkonformes Verhalten in noch umfassenderer Weise gelehrt und geübt werden. Zugleich konzentrieren sich unter dem Druck des Konservatismus die bildungspoliti38

sehen Gremien der B R D darauf, Bildungswege zurückzunehmen, die stärker die Methoden der Förderung statt Auslese, Begabung als Befähigung, statt Begabung als Entfaltung, Einheitlichkeit statt Differenzierung bevorzugten. Demokratische Tendenzen des Inhalts der Bildung werden in Neuauflagen von Lehrplänen und Lehrbüchern entfernt. Ins Zentrum tritt in der zum Teil an der Oberfläche kontrovers geführten Diskussion die Ausarbeitung eines veränderten Leitbildes. Seine Hauptmerkmale sind nicht mehr in erster Linie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit (die lediglich in den Schul-Verfassungen standen), sondern Anerkennung von Autorität, Ordnung und Disziplin, um einen offen antifortschrittlichen, antikommunistischen, politisch-reaktionär handelnden Staatsbürger zu erziehen. Der konservative Ideologe Kaltenbrunner erklärt: „Während der Dreiklang von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit eine essentiell linke Parole ist, kann man als konservativ (im Sinne von .rechts') das Primat von Ordnung, Autorität, Disziplin begreifen. Von diesem Primat leitet sich alles weitere a b : die Bewertung von Familie, Eigentum und Staat, die Interpretation von Fortschritt und Dekadenz, die Rolle von Kultur und Erziehung usw." 3 Der wachsende Einfluß des Weltsozialismus verbunden mit der Verschärfung des Widerspruchs zwischen Arbeit und Kapital in wichtigen kapitalistischen Staaten trägt in der Gegenwart entscheidend dazu bei, daß auf bildungspolitischem Gebiet die Gegensätze über die besten Formen der Machtausübung im Lager der herrschenden Klassen zunehmen, neben Einheitlichkeit bedeutende Differenzierungsprozesse die weitere Bildungsstrategie des Monopolkapitals bestimmen und die relative Geschlossenheit monopolistischer Bildungsstrategie aufbricht. Führende Monopolinstitutionen des militärisch-industriellen Komplexes verstärken ihren Druck auf die Schule und auf die Auswahl der Themen der pädagogischen Forschung. Mittels eigener Leitorgane bestimmen sie immer stärker die massenwirksame Auswertung der Forschungsergebnisse, um das Bewußtsein und das Verhalten der Jugend noch umfassender zu steuern. J e mehr der Kapitalismus zu einem Hemmnis der gesellschaftlichen Entwicklung geworden ist, die Daseinsprobleme der Menschheit nicht zu lösen vermag, er bei allen seinen Maßnahmen ständig mit der Theorie und Praxis des Sozialismus konfrontiert wird, sich damit auseinandersetzen muß, ist er gezwungen, wieder zu alten Formen der offenen ideologischen Indoktrination der Jugend überzugehen. Er stellt weltanschaulich und moralisch bedeutsame Fragen in den Mittelpunkt seiner Bildungspolitik, um mit ihrer Hilfe zugleich das duale Schulsystem wieder zu festigen. Führende Monopolinstitute des militärisch-industriellen Komplexes versuchen, massenwirksame, besonders reaktionäre pädagogische Strömungen in ihre Bildungsstrategie noch stärker einzubeziehen. Während bisher wissenschaftliche Erkenntnisse pädagogischer Schulen für bildungsstrategiiche Arbeiten nur bedingt herangezogen wurden, ist für die Gegenwart charakteristisch, daß bildungspolitische Maßnahmen immer mehr durch reaktionäre pädagogische Lehren vorbereitet und abgesichert werden. Diese Aufgaben erfüllen heute verstärkt konservative pädagogische Lehren, die für veränderte Bedingungen neu aufbereitet werden. Die offensive Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Bildungspolitik und Pädagogik erfordert die Auseinandersetzung mit allen Erscheinungsformen der bürgerlichen Ideologie. Im Bericht des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an die Delegierten des IX. Parteitages heißt es: „Die theoretische Arbeit der 39

Partei vollzieht sich in ständiger Konfrontation mit den Feinden des Sozialismus, im offenen Kampf gegen Antikommunismus, Antisowjetismus und Nationalismus, gegen alle imperialistischen, rechtsopportunistischen und linksradikalen Theorien und Gesellschaftskonzeptionen".4 Gegenwärtig versuchen konservative Kräfte der Monopolbourgeoisie, ihren Einfluß auf die Pädagogik und Schulpolitik zu erweitern. Sie gehen dazu über, „die staatsmonopolistische Ordnung mehr oder weniger offen zu verteidigen, zu preisen und - damit eng verbunden - einen militanten Antikommunismus, vor allem gegen die sozialistische Staatengemeinschaft zu propagieren. Ihre Politik und Ideologie dienen der Verschärfung der Konflikte zwischen Sozialismus und Imperialismus".5

Merkmale und Erscheinungsformen des pädagogischen Konservatismus der Gegenwart Erste Untersuchungen lassen folgendes erkennen: Seit Beginn der 70er Jahre verstärken sich im Gefolge der allgemeinen Krise des Kapitalismus konservative Denkweisen. Der Konservatismus erhält eine „zeitgemäße" Gestalt. Er ist bestrebt, konservativ-nationalistische, -militaristische, -autoritäre und zum Teil -rassistische Traditionslinien neu zu beleben und sie mit neuen Erfordernissen in Einklang zu bringen. Das heißt, er wertet in erster Linie Vorhandenes entsprechend den politischen Bedürfnissen restaurativer Kreise und ordnet es neu ein.6 In wachsendem Maße gerät die bürgerliche Pädagogik aller Schattierungen in diesen Sog. Das Primat der Politik des imperialistischen Staates gegenüber der Wissenschaft tritt gerade im pädagogischen Konservatismus besonders deutlich als eine entscheidende Größe pädagogischen Denkens hervor. Es verstärkt sich der apologetische Auftrag der bürgerlichen Pädagogik, das Bestehende zu verteidigen, je weniger sie auf Grund der historisch gegebenen Bedingungen in der Lage ist, neue Erkenntnisse im Interesse der Jugend hervorzubringen. Die Ideen des pädagogischen Konservatismus wirken vor allem im Sinne der Konzeption der politischen Bestrebungen der reaktionärsten und aggressivsten Kreise des Monopolkapitals und zeichnen sich durch besondere Fortschrittsfeindlichkeit und Volksfeindlichkeit aus. Die entscheidenden Träger konservativen pädagogischen Gedankengutes sind zugleich verantwortliche Bildungspolitiker des Staates und bedeutender Organisationen. Somit wird das Bewußtsein der Lehrer maßgeblich beeinflußt. Konservative Kräfte wenden sich bildungspolitischen und pädagogischen Fragen in erster Linie unter dem Aspekt ihres systemstabilisierenden Nutzens zu und bestimmen den Wert der Bildung und Erziehung vor allem unter dem Gesichtspunkt des zu erwartenden antikommunistischen Denkens der Jugend. Für den pädagogischen Konservatismus gilt ebenso wie für den Kapitalismus die Feststellung, daß er prinzipiell nichts „Neues" zu schaffen vermag, er nur alte oder erneuerte Wesenszüge offenbaren kann. E r muß sich den neuen Bedingungen so anpassen, daß damit im Unterschied zu früher - entgegen seinem Willen - zu den Möglichkeiten der herkömmlichen bürgerlichen Pädagogik sein Klassencharakter noch offener zutage tritt. Soweit es im Konservatismus überhaupt neue Züge gibt, sind sie das Ergebnis der Veränderungen des gesellschaftlichen, politischen Lebens durch den revolutionären Weltprozeß und keinesfalls das Ergebnis neuer theoretischer Erkenntnisse. 7

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Der pädagogische Konservatismus erweist sich als eine historisch gewachsene, in sich durchaus heterogene Strömung des pädagogischen Denkens. Seine Ideen dienen in besonderer Weise den historisch überlebten Klassen, wobei sie vor allem die Ideologie der reaktionärsten Kräfte widerspiegeln. 8 Zur Darstellung seiner Hauptideen bedient sich der pädagogische Konservatismus vor allem programmatischer Aussagen, die er in Form von anschaulichen, auf Massenwirkung ausgerichteten Leitbildern vorstellt. Im Zentrum steht für den pädagogischen Konservatismus die auf politisch-reaktionäres Handeln gerichtete weltanschaulich-ethisch motivierte Erziehung der Schuljugend. Dafür bevorzugt er aktivistisch-voluntaristische Erziehungsauffassungen, die das geforderte Handeln auf die Notwendigkeit eines aktiven Gestaltens des Lebens in einer „chaotischen, von keinerlei Gesetzmäßigkeiten beeinflußten Welt" letztlich zurückführen. 9 Der pädagogische Konservatismus ist eine Ideologie, der sich die herrschenden Klassen in ihrer absteigenden gesellschaftlichen Phase, jedoch besonders in Zeiten der wachsenden sozialen Unruhe unter der Jugend, bedient. Pädagogischer Konservatismus dient zum Ausprägen eines konformistischen Verhaltens, zum Mobilisieren der Jugend gegen den historischen Fortschritt und damit gegen ihre eigene Zukunft. Das „Bewahren" und „Verteidigen" des „Status quo" stehen im Mittelpunkt. Der pädagogische Konservatismus gewinnt seine wesentlichen Leitbilder aus der Ideologie des politischen Konservatismus und offenbart sich sowohl als eigene pädagogische Lehre, aber in der Gegenwart noch viel stärker als Denkweise, die sich mit vielen pädagogischen Strömungen, nicht zuletzt auch dem pädagogischen Reformismus, aber vor allem mit der Pädagogik des politischen Klerikalismus eng verbindet. Seine Träger sind vorrangig pädagogische und gesellschaftliche Organisationen der offen reaktionärsten Kräfte, die sich unter den Bedingungen der zunehmenden Polarisation der Klassengegensätze in den letzten Jahren neu herausgebildet haben. So zählen zu den aktiven Trägern des pädagogischen Konservatismus in der BRD neben dem neu gegründeten Verband „Bildung und Erziehung", dem etwa 50 Prozent der organisierten Lehrerschaft der BRD angehören, auch die im Jahre 1974 neu gegründete „SchülerUnion". Verbände rechter Kräfte wie zum Beispiel „Bund Freiheit der Wissenschaft" und „Amerikanische Liga" gewinnen für die Verbreitung konservativer Ideen heute immer größere Bedeutung. Der amerikanische Soziologe Wrong hebt mit Recht hervor, daß konservative Ideen besonders geeignet seien, den Standard des Massenbewußtseins eng mit den offiziellen ideologischen Stereotypen zu verbinden und damit das individuelle Verhalten und Denken dem in der Gesellschaft herrschenden Denk- und Verhaltenstypus anzupassen.10 Im Prozeß der Anpassung an veränderte Bedingungen der Gegenwart verstärkt der pädagogische Konservatismus seine offen antikommunistische Doktrin und unterstützt die Thesen des politischen Konservatismus von der Notwendigkeit, „Wachsamkeit und Härte gegenüber dem Osten" zu zeigen. 11 Die Vertreter des Konservatismus in der Bildungspolitik bilden heute zwei Lager. Die flexibleren Anhänger des Konservatismus versuchen, durch Anerkennung der Notwendigkeit, auch Erreichtes noch zu „verbessern", neue nationalistische Denk- und Verhaltensweisen in einer „demokratischen Variante" auszuprägen. Die reaktionärsten Vertreter des Konservatismus kämpfen offen darum, alle demokratischen „Ansätze" rückgängig zu machen und die Schule vorrangig als antikommunistische Erziehungsstätte auszubauen. Gemeinsam ist beiden Richtungen, daß sie bereits in der Anerkennung der Veränderungsbedürftigkeit der Gesellschaft und ihres Bildungswesens das Ende der kapitalistischen Ordnung sehen.

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Für die gegenwärtige Entwicklung ist bedeutsam, daß die flexiblere Richtung in der BRD, vertreten durch die Politiker Kohl und Biedenkopf, unterstützt durch die Bildungspolitiker Vogel, Braun und Scherer, gemeinsam mit den extremen rechten Vertretern wie Strauß, Filbinger, Dregger sowie der Kulturminister Maier und Hahn, den Ausbau der Schule durch Neubestimmung der Erziehungsziele und -inhalte auf reaktionärer Basis in das Zentrum stellen. 12 Gemeinsam ist beiden Richtungen, daß sie nationalistische Ideen propagieren, verstärkten Druck auf Lehrer und Schüler ausüben und so dazu beitragen, die Aktionsfreiheit demokratischer Kräfte einzuschränken. 13 Gegenwärtig konzentrieren sich die Vertreter des pädagogischen Konservatismus darauf, besonders reaktionäre Vorschläge für den Zugang der Jugend zur Bildung auszuarbeiten und eine Neuordnung des in der Schule zu lehrenden Unterrichtsstoffes einzuleiten. Sie widmen der Ausprägung von Normen und Werten des Verhaltens und eines diese Werte stützenden Geschichtsbildes besondere Aufmerksamkeit. 1 ' 1 Der Zwang zum Abbau der heute schon ungenügenden gesetzlichen Maßnahmen für eine breite Bildung der Jugend und die Forcierung reaktionärer Erziehungsziele entspringen dem Umstand, daß die verstärkte Aufrüstung - dem aggressiven Wesen des Imperialismus entsprechend - immer höhere Summen verschlingt, die vor allem durch Kürzung der Ausgaben im nichtmateriellen Bereich gewonnen werden sollen. Die Vertreter des pädagogischen Konservatismus unterstützen die dafür erforderliche volksfeindliche Politik vor allem dadurch, daß sie unter Berufung auf die Geschichte das Bild „von einem pflichtbetonten, bescheidenen Leben des Einzelnen" im Dienst der Allgemeinheit, getreu der Losung „Der König ist der erste Diener des Staates", neu reaktivieren. Zugleich propagieren sie Bildungswege, die es ermöglichen, die Jugend nicht nur nach sozialer Herkunft, bei gewollter Benachteiligung der Arbeiterkinder, in Schulen mit unterschiedlichem Niveau zu unterrichten, sondern sie vor allem in der Massenschule zur Bescheidenheit im Sinne von „Schuster, bleib bei deinem Leisten" zu erziehen. Wenn auch von einer geschlossenen Theorie des pädagogischen Konservatismus heute noch nicht gesprochen werden kann, hat er durchgängige Wesenszüge. Sein bestimmendes Element ist forschritts- und revolutionsfeindlich. Deshalb tritt er besonders aggressiv gegen den realen Sozialismus und sein Bildungswesen auf und verunglimpft auch auf pädagogischem Gebiet die sozialistische Bewegung unserer Epoche. In Auseinandersetzung mit der marxistisch-leninistischen Bildungspolitik verteidigen konservative Pädagogen nicht nur die These von den „Grenzen des menschlichen Tuns", „Grenzen der Bildung", sondern fordern zugleich, die Jugend früh zu lehren, daß der Mensch viel zu unzulänglich sei, um zu erkennen, was die Welt zusammenhalte. Er müsse mit dem sozial Erreichten zufrieden sein. Die in den 60er Jahren erzeugten Illusionen vom Aufstieg durch Bildung, Bildung als Bürgerrecht, sind angesichts der Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus zusammengebrochen. Es offenbart sich wiederum der historische Platz des Imperialismus als „sterbender Kapitalismus". Das Scheitern der auf diesen Losungen beruhenden Bildungspolitik bedeutet zugleich aber auch eine ernste Niederlage des Reformismus. Die neuen verschlechterten Existenzbedingungen des Kapitalismus führen dazu, daß selbst Ideologen wie zum Beispiel Steinbuch und Dahrendorf in der BRD Losungen wie „Bildung als Bürgerrecht" zurücknehmen und gemeinsam mit anderen Reaktionären das gesamte Arsenal der bürgerlichen „Ideenregulierung" nach „neuen" Ideen durchmustern. Sie kommen zu dem Schluß, daß sich die „neue" Pädagogik zur offenen Verteidigung des kapitalistischen Systems, zur unbedingten Bq'ahung der Notwendigkeit des starken 42

Staates, der Anerkennung der „natürlichen Ungleichheit" der Menschen, des Privateigentums an Produktionsmitteln, einer alle umfassenden Gemeinschaftsidee bekennen müsse, um ein Individuum zu erziehen, dessen Verhalten von den Werten der Pflicht, der Ordnung, der Autorität, der Leistung und der Disziplin bestimmt ist. Sie fordern von der Jugend, sich von den Ideen der Emanzipation zu befreien, konfliktorientiertes Denken aufzugeben und dafür das Harmonische, das Gemeinsame „aller Deutschen" mehr zu pflegen. Nur so sei der Herausforderung des Sozialismus standzuhalten und der eigene Machtbereich zu festigen und wieder auszudehnen. Diese Aussagen bringen die Erwartungen der reaktionären Kräfte des Monopolkapitals zum Ausdruck. Für die Monopolbourgeoisie wird es zu einer Frage auf Leben und T o d , daß die Bildungspolitik in erster Linie dazu beitragen muß, den jungen Menschen geistig niederzuhalten. Diesem Auftrag versucht der pädagogische Konservatismus dadurch gerecht zu werden, daß er seine Ziele und Inhalte an konservativen Ordnungsbildern ausrichtet. 15 Ähnlich wie die sozial-kritische Pädagogik soll es die konservative Pädagogik ermöglichen, pädagogische Fragen enger mit den politischen Absichten der bestimmenden gesellschaftlich-politischen Kräfte zu verbinden, den Manipulierungsprozeß auf allen Ebenen und in allen Bereichen zu perfektionieren. E s soll der Eindruck erweckt werden, als ob die bürgerliche Gesellschaft und ihre Ideologie heute als Gegengewicht gegen die marxistisch-leninistische Gesellschaft und ihre Ideologie in der Lage sei, eine höhere und humanere Lebensweise auszuprägen. Dieser Zwang zur Anpassung trägt dazu bei, daß der Konservatismus nicht einfach Vergangenes wiederholen kann, obwohl er seine eigenen volksfeindlichen Traditionen im Interesse seines gewünschten Masseneinflusses gerne verschweigen möchte. E r ist so zum Beispiel gezwungen, zu einer besonders schändlichen Freiheitsdemagogie Zuflucht zu nehmen, je größer durch das Beispiel des Sozialismus der moralische Verschleiß der bürgerlichen Ideale geworden ist. D e r konservative Philosoph Rauscher sieht Freiheit nur gesichert, wenn sie in „Rückbesinnung auf das Privateigentum" als „Freiheit der Person" gegen die Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit, wie sie heute selbst von den reformistisch geführten Gewerkschaften der B R D erhoben werden, verteidigt wird. 1 6 Schritte der Arbeiterklasse zur Verbesserung ihrer sozialen Lage durch die Forderung nach mehr Mitbestimmung werden dann auch durch Pädagogen wie Schelsky und Steinbuch als „Abbau der Freiheit" diffamiert. Ziel dieser Reaktion ist es, den antidemokratischen Druck zu verstärken und die Jugend antikommunistisch auszurichten. D i e engeren pädagogischen Auffassungen, wie sie vor allem von Hahn, Maier, Vogel und Laurien vertreten werden, sind in besonderer Weise mit der konservativen politischen Ideologie verbunden. D i e von der politischen Ideologie des Konservatismus bevorzugte Methode zur Steuerung des sozialen Verhaltens der Menschen, anschauliche und einprägsame, lediglich die Erscheinungen der Welt widerspiegelnde Leitbilder für ihre theoretischen Aussagen zu verwenden, nutzt diese Pädagogik in besonderer Weise. Leitbilder der konservativen politischen Ideologie und pädagogisch aufbereitete Ziele der Erziehung sind weitgehend deckungsgleich. Im Unterschied zur sozial-kritischen Pädagogik, die vielfach die Funktion der Illusionierung der Jugend hatte, ist das Bestreben des neuen pädagogischen Konservatismus auch dadurch gekennzeichnet, daß er versucht, sich als Ideologie der „ T a t " rasch zu materialisieren. W i e keine Lehre vor ihm drang er in kürzester Zeit in Lehrpläne, Richtlinien und Lehrmaterialien ein. D e r konservative Philosoph und „Pädagoge" K a r l Steinbuch forderte deshalb 1976, Reform und Emanzipation zu beenden und dafür „Recht

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und Ordnung" auf der Basis der Losung - Freiheit ist eben nicht dort, wo alle gleich sind, sondern dort, wo Ungleichheit möglich ist - , zur Hauptfrage der Bildung der Jugend zu machen. Ausgehend von dem Zwang nach umfassender Manipulierung, stehen also die praxiswirksame, unmittelbare Veränderung des Verhaltens der Jugend, ihre völlige Wiedergewinnung und ihre aktive Einordnung in die kapitalistische Lebensweise, ihre Vorbereitung zu „Sendboten" dieser Gesellschaftsordnung im Zentrum.

E r s t e s Z i e l : R e s t a u r a t i o n der alten S c h u l e Während progressive Kräfte der Gesellschaft, an ihrer Spitze die Kommunisten, versuchen, die in den letzten Jahren erfolgten organisatorischen Veränderungen im Bildungswesen kapitalistischer Länder im Interesse einer demokratischen Erziehung der Jugend weiterzuentwickeln, um den Prozeß der Reformen zu vertiefen, ihn auf den Inhalt der Bildung und Erziehung auszudehnen, verstärkt sich das Bestreben der mit dem militärisch-industriellen Komplex verbundenen Wortführer des pädagogischen Konservatismus, die eingeleiteten Reformen abzubrechen. Mit ihrer Gegen-Offensive zielen sie auf die Torpedierung demokratischer Ansätze. Sie nutzen unter Zuhilfenahme der Schlagworte „Fort mit dem Leistungsdruck", „Die Gleichheit ist kein Dogma mehr", „Dem Neuen Testament ist der Gleichniswahn fremd" mehr und mehr die neugeschaffene Atmosphäre, um die Idee von der „Grenze des Menschen" und seines „Bildungswachstums" zu praktizieren. Zu diesem Zweck fordern sie von der Pädagogik, den einzelnen zur Ruhe und Ordnung zu befähigen, ihn zu lehren, daß sich naturbedingte Unterschiede der Menschen stets in unterschiedlichen Begabungen äußern, daß kein Kind entgegen seinen Begabungen gebildet werden dürfe, die Schule als Anwalt des Kindes sich dessen Bedürfnissen und Begabungen anzupassen habe. Nicht die „gleichmacherische" Gesamtschule, sondern das unterschiedliche Begabung berücksichtigende dual gegliederte Schulsystem sei im Interesse der „wahren Humanität" der Stein der Weisen. Rückschrittliche Ideen dieser Art dienen eindeutig dazu, den Wunsch der Jugend nach höherer Bildung zu untergraben. Demzufolge wird zum Beispiel behauptet, daß es für eine zeitgemäße Bildungspolitik ebenso erforderlich sei, ein „Recht auf Dummheit" anzuerkennen wie dem „Recht auf Ausprägung elitärer Begabungen" zu entsprechen. In Konfrontation mit der Marxschen Lehre von dem humanistischen Erfordernis, einen jeden Menschen allseitig und harmonisch zu bilden, vertritt im Jahre 1976 die kulturpolitische Wochenschrift der Konservativen der B R D , der „Rheinische Merkur" 1 7 , diese Auffassung. Ziel konservativer Angriffe ist es, eingeleitete strukturelle Reformen, die den Rahmen staatsmonopolistischer Bildungsplanung durch den Druck der Jugend nach höherer Bildung überschreiten könnten, aufzuhalten und die von der Arbeiterklasse in den 60er Jahren erfochtenen Fortschritte wieder rückgängig zu machen. D i e konservativen Kräfte gehen, entsprechend der Zugehörigkeit zu den einzelnen Gruppierungen, unterschiedlich vor. Während die extremen konservativen Vertreter, angeführt vom CSU-Kultusminister Hans Maier, zum Beispiel die Gesamtschule letztlich ablehnen, sich für ein dual gegliedertes Schulwesen einsetzen, verfolgen elastischere, flexiblere Richtungen des politischen Konservatismus eher eine Konzeption der allmählichen Aushöhlung progressiver

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Tendenzen in der Gesamtschule, ein Festschreiben auf das Stadium des Experimentierens. Dazu verwenden sie auch die demagogische Losung von mehr „Chancengerechtigkeit" mit ihrer biologistischen Begründung der Begabungsunterschiede und der daraus abgeleiteten Schlüsse für die Trennung der Schüler in unterschiedliche Schularten. Während die Schule der sozialistischen Staaten davon gekennzeichnet ist, daß sie in Übereinstimmung mit der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft systematisch das Niveau der allgemeinen Bildung weiter vervollkommnet, allen die Möglichkeit sichert, eine hohe umfassende lebensverbundene und wissenschaftliche Bildung zu erwerben, und auf dieser Grundlage garantiert, daß sich alle Talente und Begabungen entwickeln können, ist die Schule der imperialistischen Gesellschaft unter den veränderten Bedingungen mehr und mehr gezwungen, die vom Reformismus geprägten Bildungsgesetze und Verordnungen der 60er Jahre zu korrigieren und zu den altbewährten" Formen der Trennung der Bildung nach höherer und niederer Bildung zurückzukehren. Es verschärfen sich erneut die Bildungsungleichheit, die Chancenungleichheit und die Tendenz zu einer unzureichenden Ausbildung der heranwachsenden Generation.

Zweites Ziel: D e r „neue" Inhalt der Bildung Die bestimmenden inhaltlichen Leitlinien des pädagogischen Konservatismus müssen in der bedingungslosen Rechtfertigung und Verteidigung der sogenannten historisch entstandenen Eigentums-, Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse des Kapitalismus gesehen werden. Der Zwang, in offener Weise die kapitalistischen Herrschafts- und Besitzverhältnisse rechtfertigen zu müssen, muß sowohl in der immer stärker werdenden Ungerechtigkeit und Menschenfeindlichkeit, die sich auch im Bewußtsein der Jugend niedergeschlagen haben, als auch in der wachsenden Ausstrahlung des Sozialismus gesehen werden. In die Defensive gedrängt wird versucht, wie es zum Beispiel im neuen Lehrplanwerk für die Hamburger Schulen geschieht, auf die offene Apologie des Kapitalismus zurückzugreifen. Man behauptet, daß die Schwierigkeiten des Kapitalismus in der Gegenwart zeitweiliger Natur seien, daß der Kapitalismus nicht nur überleben, sondern sogar prosperieren könne, wenn alle für die Erhaltung des Privateigentums einträten. In den „Gesellschaftspolitischen Kommentaren", einem Organ zur Meinungsbildung der an der theoretischen Front tätigen Ideologen der Monopole, wird diese Ansicht für die Jugenderziehung kommentiert. Es heißt dort, daß es darauf ankomme, keinen Zweifel daran zu lassen, daß entgegen aller marxistisch-leninistischen Polemik jede freiheitliche Gesellschaft und Wirtschaft auf Eigentum angewiesen sei, ohne Eigentum, Unternehmerfunktion und Gewinn gibt es auch keine freien Gewerkschaften und auch nicht den freien Arbeitnehmer". 18 Mit dieser Rechtfertigung, Freiheit sei nur auf der Grundlage von Privateigentum möglich, wird die altbekannte antikommunistische Vorstellung aktiviert, wonach gesellschaftliches Eigentum und „Totalitarismus" zusammengehören. Diese Assoziation wird dazu genutzt, um die Jugend im antikommunistischen Geist aufzurüsten. Ergänzt wird diese bestimmende Leitlinie von der prinzipiellen Gegnerschaft zur sozialen und politischen Revolution, ihren Triebkräften, Trägern und Repräsentanten sowie generell zu wissenschaftlich begründeten auf sozialen Fortschritt gerichteten Bewegungen, Programmen und Ideologien nicht nur der Gegenwart, sondern auch der Vergangenheit. In neuen

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Lehrplänen erfährt deshalb die hierarchische Gliederung der Gesellschaft eine hohe Wertschätzung. D i e ihr entsprechenden Strukturen und ein darauf begründetes antidemokratisches Autoritäts- und Ordnungsstreben erfahren besondere Würdigung. Bestimmend wird wieder, wie der bürgerliche Soziologe Christian Graf von Krockow in einer Studie 1976 feststellt, eine Erziehung der Jugend zur „positiven Staatsgesinnung" auf der Grundlage von Gehorsamsbereitschaft und nicht der Freiheit. Nach Auffassung führender C D U Kulturpolitiker isoliere Freiheit den Menschen. Sie distanziere ihn vom Staat und der Gesellschaft und vermöge auch nicht, positive ethische Werte auszuprägen. 19 Freiheitsbewußtsein bringe keine Staatsgesinnung hervor. An anderer Stelle vermerkte Krockow, daß Bindungen zur bestehenden Gesellschaft für konservative Denker nur dann gegeben seien, wenn der Jugendliche eine kontrollierende Macht gegenüber seinem Willen und seiner Begierde verspüre. Nur sie vermöge zu diszipliniertem und zu selbstverantwortlichem Handeln zu führen. D i e hier geforderten Verhaltensweisen entspringen einer Konzeption, die sich am perfekten, autoritären Staat orientiert und den Bedürfnissen der reaktionären Vertreter des Monopolkapitals entspricht. 20 Diese Auffassung dringt heute in bundesdeutsche Gemeinschaftskundebücher ein, wie Neuauflagen bestätigen. Um dieses Staatsgebilde im Bewußtsein der Jugend aufzurichten, fordern die Bildungsminister Maier, Hahn, Scherer im Interesse des sogenannten Gemeinwohls ein verstärktes Hinwenden der moralistischen Erziehung zur normativen, politischen Ethik mit ihren Werten der Pflicht, der Ordnung, der Stabilität und der Autorität. Für Hahn bedeutet dies, daß die Erziehung zum Pflichtbewußtsein, Pflicht als individuelle Freiheit, als persönlich empfundene Verantwortung für die Ziele der imperialistischen Gesellschaft zu verstehen sei. Der konservative Philosoph Rohrmoser verbindet solche Feststellungen mit der Forderung gegenüber dem Marxismus, „neue ideenpolitische Perspektiven" als Alternative aufzustellen, um auf diese Weise die konservativen Grundwerte im Bewußtsein des einzelnen fest zu verankern. 21 Auf der Grundlage dieser Kategorien nehmen die Vertreter des pädagogischen Konservatismus die aktuell notwendig gewordenen inhaltlichen Bestimmungen vor. So ist es nicht zufällig, daß in einer Korrektur des Lehrplans Ethik in der bayerischen Schule bereits im Jahre 1973 die Stoffeinheit „ D e r Mensch in Grenzsituationen" mit der Einheit „Norm und Entscheidung" ausgetauscht wurde. E s treten die Kategorien Pflicht, Gehorsam, aber auch „Unterordnung unter den Herrn" heute stärker hervor. Pflicht erhält in gängigen Lehrbüchern den Anstrich, eine allgemeine Kategorie von unveränderlichem Charakter zu sein. Sie wird scheinbar ihres Klasseninhalts entleert und auf die Formel gebracht: „Tu deine Pflicht!", ohne zu sagen, was heute Pflicht ist. Der bürgerlichen Ethik in der Schule, die nicht das Wesen der Pflicht als Klassenerscheinung darlegen kann, bleibt nur der Spielraum, als allgemeinmenischliche Kategorie oder als göttliches Prinzip interpretiert zu werden. Typisch ist, daß der klassengebundene Charakter der Pflicht geleugnet wird, um ein widerspruchsloses Erfüllen aller Forderungen der Ausbeuterklassen durchzusetzen. D i e Herausbildung des bourgeoisen Pflichtgefühls durch den pädagogischen Konservatismus dient dazu, das Gewissen und das Verantwortungsgefühl für die Einhaltung der moralischen Normen der imperialistischen Gesellschaft heranzubilden. Deshalb werden das Gefühl der Furcht von einer möglichen Bestrafung im Fall ihrer Verletzung geweckt, aber auch Scham- und Schuldgefühle gegenüber einer „öffentlichen Meinung" aufgebaut, um auf diese Weise das „ G u t e " und 46

das „Böse" im Kind zu verfestigen, noch ehe es wahr und unwahr zu erkennen vermag. 22 Die Forderung, Ordnung und Autorität anzuerkennen, dient nicht nur dazu, die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu festigen, sondern auch die Verunsicherung unter der Jugend, wie sie im Ergebnis der allgemeinen Krise des Kapitalismus in Erscheinung tritt, zu nutzen, um die aufkommenden Konflikte und neuen Widersprüche durch eine Moral zu verschleiern, die am „Altbewährten" haftet und Mißtrauen gegen das Neue weckt. Auf der Basis der „Ordnung und Disziplin" gewinnen für die Schulerziehung solche Verhaltensweisen wie Ehrlichkeit, Treue, Anhänglichkeit, Kühnheit, die eine entsprechende proimperialistische Auslegung in den Leitbildern des Konservatismus erfahren, an Bedeutung. Extremste Vertreter des pädagogischen Konservatismus sprechen sich heute in Auseinandersetzung mit Schülern und Lehrern für eine Erziehung zur „wahrhaften Demokratie" aus, weil sie die Werte Treue, Ehrlichkeit, Kühnheit und Tapferkeit am besten auszuprägen vermöge, wie es zum Beispiel Brezinska in einem vielbeachteten, die progressive Bewegung der Jugend diffamierenden Buch fordert. 23 Antihumanistische Verhaltensweisen, das „Recht der Fäuste", der „Kampf ums Dasein" werden für Konservative mehr und mehr zu einem anstrebungswürdigen Ideal und bereiten geistig die Einstellung des schärferen Durchgreifens gegenüber den sogenannten Unruhestiftern vor. Vorreiterdienste leisten die Mitglieder der „Schüler-Union" bereits heute. Ausprägen ahumaner Lebenseinstellungen geht mit Irrationalisierung des Denkens, der bewußten Verdunkelung des Bewußtseins einher. Die vorgegebenen Verhaltensmuster drängen die Jugend wegen ungenügender Kenntnisse der sozialen und historischen Gesetzmäßigkeiten zum emotional bestimmten politisch-reaktionären Handeln. Drittes Ziel: Das „ n e u e " Bild v o n der Geschichte Geschichtliche Bildung wird mehr und mehr als Mittel der Sozialisierung der neuen Generation, als Mittel der Legitimierung der bestehenden Institutionen, für die Vereinigung der bestehenden Moralnormen und Mythen genutzt. 24 Die Leitung des Historiker-Verbandes der BRD bemüht sich seit 1973, neue, vom konservativen Geist durchdrungene Ziele des Geschichtsunterrichts zu erarbeiten. Dabei erfolgt die Festlegung der Ziele nicht nach wissenschaftlichen, sondern nach politischen Bedürfnissen. Es heißt bei Conze, dem Vorsitzenden des Verbandes: „Indem er (der Geschichtsunterricht) die Pluralität von Positionen verdeutlicht und zugleich überdauernde Normen und Werte verstehen lehrt, trägt er zum Verständnis und zur Anerkennung freiheitlich-demokratischer Verfassung bei." 25 Die Re-Ideologisierung des Geschichtsbildes erfolgt heute auf zwei Wegen. Erstens treten die Taten der „Namenlosen" (als Anerkennung der Rolle des Volkes in der Geschichte) stärker hervor, wird zum Beispiel durch kompensatorische Betrachtungen das Bild von Bismarck ergänzt durch das reformistisch entstellte Bild seines Zeitgenossen August Bebel, um der Jugend „Identifikationsmuster" für ihr Handeln in der Gegenwart zu geben. Zweitens gewinnt unmittelbar konservativ-reaktionäre Geschichtsbetrachtung in den Schulen an Bedeutung. CDU und CSU fordern die „Wiederbelebung eines deutschen Geschichtsbewußtseins". Steinbuch verlangt das unbedingte Ja zu unserer „deutschen Geschichte" in allen ihren Etappen. Carstens fordert die Erziehung zur Liebe zum ganzen Vaterland. Seine nationalistisch-revanchistischen Ziele umschreibt er mit den Worten: „Es ist ein Band, welches alle Deutschen in Ost und West zusammenschließt." 26 47

Die „neuen" Traditionen und die ihnen entsprechenden Geschichtsbilder dienen jedoch vor allem dazu, die geforderten sittlichen Normen auszuprägen. Deshalb leugnen sie die durchgehende Gesetzmäßigkeit in der Geschichte. Sie schätzen die Rolle der Volksmassen gering und verbreiten elitäre Führungs- und Ordnungsvorstellungen. Traditions- und Geschichtsbewußtsein erhalten mehr und mehr die pragmatische Funktion, die Entwicklung der imperialistischen Gesellschaft in der Gegenwart zu rechtfertigen, „neue" Verhaltensweisen des einzelnen historisch zu legitimieren. So werden reaktionäre Veränderungen im Geschichtsbild vorgenommen, progressive Entwicklungen, insbesondere der revolutionäre Kampf der deutschen Arbeiterklasse im 19. Jahrhundert, ausgehöhlt, wenn erforderlich umgewertet und in die eigene Ahnenreihe eingeordnet. Unter der Losung, die „bedrückende Geschichtslosigkeit" und „ungenügende Verwurzelung der Jugend in der eigenen Geschichte" 27 überwinden zu wollen, kämpft der pädagogische Konservatismus darum, ein aggressives antikommunistisches Geschichtsbild zu formen und militante Gegenpositionen zu einem demokratischen und marxistischleninistischen Geschichtsbild aufzurichten. Reaktionäre Vorurteile und Klischees, durch mystische gesellschaftliche emotionale Kategorien wie „Vaterland", „Heimat", „Geborgenheit" unterstützt, bestimmen die Aufwertung einer reaktionären geschichtlichen Unterweisung. D a s Geschichtsbild der Jugend wird vorrangig aus der „nationalen" Geschichte gewonnen. Ihre Leitbilder sind bestimmt vom „Deutschen als dem Kulturbringer", dem „Deutschen als Missionar", dem „Deutschen als wagemutigen und kühnen Verteidiger" europäischer Kultur. E s tritt aber auch die Verherrlichung der „preußischen Tugenden" und der „preußischen Staatsräson" als Vorbild für verantwortungsvolles politisches Verhalten der Jugend in der Gegenwart stärker hervor. Die Verfälschung des Faschismus in Vergangenheit und Gegenwart bei prinzipieller Leugnung des Zusammenhangs zwischen Imperialismus und Faschismus, die Verhüllung und demagogische Entstellung von Freiheit, Demokratie und Gleichheit, die Hypertrophierung des Eigenen, des Gewohnten, des Nationalen als dem Guten, dem Maß der Dinge, bei gleichzeitiger Abwertung des Fremden, des Ungewohnten dringen verstärkt Mitte der 70er Jahre in veränderte Lehrplanrichtlinien ein. D a s dient sowohl der revanchistischen These vom „Offenhalten der deutschen Frage", der sogenannten Einheit der Nation, hilft aber auch, die Tendenz zu verstärken, die Prozesse der Welt aus der Sicht der eigenen „nationalen" Geschichte zu beurteilen und den eigenen „gesunden Nationalismus" im Gegensatz zu dem „Nationalismus der anderen" oder der „früheren" besonders hervorzukehren. Ordnungsliebe, Disziplin, Autorität, Pflicht und Treue werden zu den großen Kategorien der eigenen Geschichte, die es nunmehr in neuer Weise zu wahren gelte. 28 Historische Betrachtungen dieser Art sind zugleich zusehends mit der Umwertung des humanistischen Erbes, einschließlich großer revolutionärer Ereignisse der nationalen Geschichte wie zum Beispiel des Großen Deutschen Bauernkrieges oder der Revolution von 1848/49 verbunden. Änderungen dieser Art, die im Gegensatz zu verbreiteten Auffassungen des Konservatismus der Vergangenheit standen, lassen den bedeutenden Einfluß der marxistisch-leninistischen Traditionspflege durch die sozialistische Schule auf die bürgerliche Lehrplankonzeption, den Zwang zur Anpassung erkennen. D a s Hervorheben der Vergangenheit dient dazu, sich mit allen Seiten „unserer" Geschichte, wie es Steinbuch in dem genannten Werk feststellt, zu verbinden. In Wirklichkeit bedeutet diese Losung, wie Lehrbuchanalysen ausweisen, den revolutionären Charakter großer gesellschaftlicher Veränderungen zu diskriminieren, die Revolutionäre der Geschichte in den Augen der Jugend abzuwerten und gleichzeitig in neuer Weise ein „personalistisches 48

Geschichtsbild" - Geschichte, das Ergebnis des Handelns weniger - durch die Restauration der „Großen" der Vergangenheit zu entwickeln. Diese Art von Traditionspflege hat zum Ziel, die soziale Revolution zu negieren, demokratische und revolutionäre Ereignisse zu verfälschen und auf diese Weise ein statisches Bild von der Vergangenheit und Gegenwart zu zeichnen. Angriffe auf die Gesetzmäßigkeit des gesellschaftlichen Prozesses, des Kampfes der Volksmassen um soziale Sicherheit, Gerechtigkeit und historischen Fortschritt dienen letztlich der tieferen Begründung eines neuen, plumpen aggressiv und differenziert vorgetragenen Antikommunismus, der mehr und mehr durch Lüge, affektaufputschende Hetze und diffamierende Äußerungen das Bewußtsein der Jugend vernebelt. Es soll, wie der CSU-Vorsitzende Strauß feststellt, nicht nur der reale Sozialismus damit eingegrenzt werden, sondern auch im Inneren dazu dienen, aufzuräumen, „daß bis zum Rest dieses Jahrhunderts von diesen Banditen (gemeint sind die progressiven Jugendlichen selbst) keiner mehr wagt, in Deutschland das Maul aufzumachen". 29 Damit tritt der Kern dieses Geschichtsbildes hervor. Leugnung der Gesetze der Geschichte dient in erster Linie dem eingangs genannten Wesenszug des pädagogischen Konservatismus, in der Gegenwart besonders fortschrittsfeindlich wirken zu müssen. Sein Auftrag ist es, in erster Linie den Hauptinhalt unserer Epoche zu leugnen. Deshalb wird die Große Sozialistische Oktoberrevolution, ihre welthistorische Bedeutung, aber auch die Allgemeingültigkeit des sozialistischen und kommunistischen Aufbaus in der UdSSR für alle progressiven Lösungen diffamiert. Die Rolle der Sowjetunion zur Rettung der Menschheit im zweiten Weltkrieg wird verfälscht und entstellt. Ihr Kampf um den Frieden wird als angeblich verschleierte Aggression gebrandmarkt, und es wird versucht, Kenntnisse über den revolutionären Weltprozeß aus dem Bewußtsein der Jugend herauszubrechen. Wachsende Labilität, Rückgang des Bruttosozialprodukts, zunehmende soziale Unsicherheit und rapider Abbau der Sozial- und Bildungsausgaben bei enormer Steigerung der Rüstungsausgaben und wachsender Verschuldung des Staates sind letztlich Ursachen dafür, daß die Monopolbourgeoisie zu „Sparmaßnahmen" nicht nur bei der Befriedigung der materiellen, sondern auch der geistigen Bedürfnisse der Jugend gezwungen ist. Weggeblasen sind die „großen Ideen" von der „Gleichheit der Bildungschancen", geblieben ist die nackte Angst, zu überleben. Die Losung des politischen Konservatismus lautet nunmehr: Dirigismus statt Freiheit, Schluß mit der Chancengleichheit, höhere Bildung nur für wenige, für alle dagegen gerade soviel Bildung, wie sie unbedingt benötigen und so viel Auslese wie irgend möglich! So soll wieder „frühzeitig der Bildungsstrom" gelenkt und verteilt werden, wie Maier es fordert, „um die Überflutung der höheren Schule zurückzustauen", wie der Kultusminister Vogel ergänzt. Anstelle des „Traummottos von der anzustrebenden Chancengleichheit in der Bildung" müsse die einzig richtige Maxime: „Jedem das ihm Gemäße" treten, wie Kultusminister Scherer betont; denn gebildet sei, „wer seine Persönlichkeit sinnvoll entfaltet, in dem Raum und in dem Rahmen, in den er hineingestellt ist", wie Kultusminister Maier in einer Polemik vermerkt. 30 Der Zwang, den pädagogischen Konservatismus neu beleben zu müssen, ist letztlich Ausdruck der Schwäche, der Defensive des Imperialismus. Erich Honecker charakterisiert diesen Prozeß des Niedergangs unter Bezugnahme auf die Berliner Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas mit den Worten, „daß die ökonomische und soziale Struktur der kapitalistischen Gesellschaft immer mehr in Widerspruch gerät 4

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zu den Bedürfnissen der Werktätigen und Volksmassen sowie zu den Erfordernissen des sozialen Fortschritts und einer demokratischen politischen Entwicklung." 31 Auseinandersetzung mit dem pädagogischen Konservatismus muß heute dazu dienen zu verhindern, daß besonders aktive Scharfmacher und Ultras Einfluß auf die wachsende politische Entspannung in der Welt und damit auf den Kampf um den Frieden erreichen.

Anmerkungen 1 Bericht des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an den IX. Parteitag der SED. Berichterstatter: Genosse Erich Honecker, Berlin 1976. S. 21. 2 Vgl. Rudolf Reiser, Lehrpläne aus wissenschaftlicher Sicht, in: „Süddeutsche Zeitung", München, 14.10.1976. 3 G.-K. Kaltenbrunner, Gibt es eine konservative Theorie?, i n : Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zum Parlament B 42/74 vom 1 9 . 1 0 . 1 9 7 4 , S. 11; G.-K. Kaltenbrunner, Der schwierige Konservatismus, in: Kaltenbrunner (Hrsg.), Konservatismus in Europa, Freiburg 1972, S. 19 bis 54. 4 Bericht des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, a. a. O., S. 127. 5 E . Fromm, Theoretische Probleme und aktuelle Aufgaben im ideologischen Klassenkampf, in: „Deutsche Lehrerzeitung", Nr. 49/76, Beilage Politische Grundfragen, S. 5. 6 Vgl. L. Elm, D e r neue Konservatismus, Berlin 1974, S. 45-53. 7 Vgl. L. Elm, Zu Traditionen und Tendenz des Konservatismus in der BRD, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 8/1976, S. 861-862. 8 Vgl. ebenda. 9 B. T. Grigorjan, Philosophie und der Mensch, Moskau 1973. 10 D.-H. Wrong, The Rhythm of Democratic politics, zitiert nach W. Alexandrowa, Der „neue" Konservatismus und das Bewußtsein der Jugend, in: Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge, Sowjetwissenschaft, 12/1975, S. 1282. 1 1 M . Charlier, Freiheit oder/statt Sozialismus? in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 7/76, S. 752. 12 Vgl.: B. Vogel (Hrsg.), Neue Bildungspolitik - Plädoyer für ein realistisches Konzept, Herford und Berlin (West) 1975. In diesem bedeutsamen Sammelband einer Gruppe führender CDU/CSUFunktionäre werden die gemeinsamen strategischen Vorstellungen des pädagogischen Konservatismus aller Gruppierungen umfassend herausgearbeitet. Sie dienten sowohl der Wahlkampagne von CDU und CSU für die Bundestagswahl 1976, sind jedoch auch zugleich die strategischen Vorstellungen für die weitere antikommunistische Ausrichtung der Schule in den kommenden Jahren. 13 Vgl. M. Charlier, a. a. O., S. 757/759. 14 Vgl. B. Vogel, Kurskorrektur für die Schulpolitik, in: B. Vogel (Hrsg.), a. a. O., S. 9 1 - 1 1 8 ; H.-R. Laurien, Der Kampf um die K ö p f e : Bildungsziele und Bildungsinhalte, in: B. Vogel (Hrsg) a. a. O., S. 49-67. 15 Vgl. K. Steinbuch, Ja zur Wirklichkeit, Stuttgart 1975. 16 Vgl.' A. Rauscher, Wie privat ist das Eigentum? Personale und soziale Gebundenheit, in: „Rheinischer Merkur" vom 18. 4. 1975. 17 Vgl. W. Schmithals, Die Freiheit im christlichen Menschenbild, in „Rheinischer Merkur" N r 1976, S. 10.

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18 In: Gesellschaftspolitische Kommentare. 19 Ch. Graf von Krockow, Die Bedingungen der Reform, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament" vom 28. 2. 1976, S. 37. 20 Vgl. ebenda, S. 38. 21 Vgl. G. Rohrmoser, Die Herausforderung der Radikalen Deutschen, Köln 1973. 22 Vgl. A. I. Titarenko, Die Struktur des sittlichen Bewußtseins als realer Gegenstand der ethischen Analyse, in: S. F. Anissimow/R. Miller (Hrsg.), Ethik und Persönlichkeit, Berlin 1975. 23 Vgl. W. Brezinska, Erziehung und Konterrevolution, München/Basel 1974, S. 224. 24 M. Heer zitiert nach: S. Wolf, Zu Haupttendenzen in der Entwicklung von Zielen und Inhalten

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des Geschichtsunterrichts in der BRD. Maschinenschriftliches Manuskript 1976 - folgende Abschnitte des Aufsatzes beruhen auf dieser Ausarbeitung. W. Conze, Zur Lage der Geschichtswissenschaft und des Geschichtsunterrichts, in: Geschichte, Wissenschaft und Unterricht, 2/1975, S. 74. K. Carstens, Rede in der Bundesdebatte zur Lage der Nation, in: „Das Parlament", Nr. 6/1975, S. 2. Vgl. K. Steinbuch, Ja zur Wirklichkeit, Stuttgart 1975. Vgl. R. Hub, Konzeptionen zur Rolle der N A T O bei der Ausprägung des Nationalismus. Maschinenschriftliches Manuskript (Thesen). Vgl. G. Baumann, Die Jungen kommen - Schüler-Union tagte - Absage an den Sozialismus, in: „Rheinischer Merkur", 1975, S. 4. L. von Friedeburg, Die Schule darf kein Schlachtfeld werden, in: „Vorwärts" vom 2. 9. 1976, Nr. 36, S. 13. E . Honecker, Aus dem Schlußwort des Genossen Erich Honecker, Generalsekretär des Z K der SED, auf der 2. Tagung des ZK der SED, Berlin 1976. S. 23.

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Herbert Meißner

Konservatismus und bürgerliche politische Ökonomie

Die bisherigen Beiträge marxistisch-leninistischer Gesellschaftswissenschaftler zur Auseinandersetzung mit dem Konservatismus haben bezüglich der methodologischen Grundlagen der entsprechenden Forschungen eine Reihe von Problemen aufgeworfen, die noch länger Aufmerksamkeit erfordern. Denn für die Bearbeitung einer Reihe von Problemen erweist sich das methodologische Instrumentarium als ergänzungsbedürftig, in anderen Zusammenhängen bedarf es der Vertiefung der methodologischen Basis und ihrer Bereicherung entsprechend den mit der interdisziplinären Forschung gewachsenen Anforderungen. Wesentliche Bedeutung gewinnt dabei - und dies gilt für die Untersuchungen zum Konservatismus im gleichen Umfang wie für die Untersuchung der bürgerlichen Ideologie überhaupt - neben der Aufdeckung der Klassenwurzeln und der sozialen Trägerschaft bürgerlicher politischer Ideologie die Wechselbeziehung zwischen den ihr eigenen Entwicklungen und der allgemeinen Krise des Kapitalismus. Das besondere Augenmerk wird dabei auf die Etappen der allgemeinen Krise, ihre Übergänge und ihre in der Gegenwart zu verzeichnende Verschärfung und Vertiefung zu lenken sein. Alle Prozesse in der bürgerlichen Ideologieentwicklung lassen sich gegenwärtig nur richtig erfassen, wenn sie als ideologische Widerspiegelung der allgemeinen Krise des Kapitalismus verstanden werden. Selbstverständlich ist diese Widerspiegelung ein sehr komplizierter Vorgang, dessen Analyse ernsthafte wissenschaftliche Arbeit erfordert. Das zeigt sich schon, wenn man die Probleme der Ideologiekrise in der kapitalistischen Welt ernsthaft behandeln will. Diese Ideologiekrise erscheint aber in ihrer Komplexität in allen ideologischen Ausdrucksformen des heutigen Kapitalismus und die Aufgaben und Funktionen einzelner imperialistischer Konzeptionen - also auch des Konservatismus lassen sich nur daraus richtig ableiten. Dabei zeigt sich, daß der Konservatismus in den einzelnen sozial- und politikwissenschaftlichen Disziplinen in durchaus unterschiedlicher Weise auftritt. Für die Geschichtswissenschaft haben Lozek und Irmschler darauf mit Recht aufmerksam gemacht. Es erscheint angebracht, diese Momente vom Standpunkt der politischen Ökonomie des Marxismus-Leninismus um einige weitere Aspekte zu ergänzen. Mir scheint, daß der Begriff des Konservatismus bei der Analyse der heutigen bürgerlichen politischen Ökonomie sehr schwer verwendbar ist. Wenn wir die heutige bürgerliche politische Ökonomie in ihre beiden Grundtendenzen zerlegen, so zeigt sich auf der einen Seite die staatsmonopolistische Regulierungskonzeption, die von Keynes herkommt und im einzelnen heute unterschiedliche Formen angenommen hat. Andererseits haben wir die vom Liberalismus herkommende Konzeption der freien Marktwirtschaft, die den selbsttätigen Regulierungsmechanismus des Marktes und der Preise in den Vordergrund stellt. Das Paradoxon besteht nun darin, daß die staatsmonopolistischen Regulie52

rungstheorien den heutigen Existenzbedingungen des Kapitalismus am besten angemessen sind, damit am zweckmäßigsten die Interessen der Monopole verkörpern (besonders auch der Rüstungsmonopole) und insofern eigentlich in den Begriff des Konservatismus hineinpassen. Aber die vom Liberalismus entwickelte und mit vielen liberalistischen Phrasen verbundene Marktwirtschaftskonzeption, bei der sich also „liberal" eigentlich als Gegensatz von „konservativ" versteht, ist ja in der Entwicklung der politischen Ökonomie das antiquierteste, historisch längst überlebte und insofern also gerade ausgesprochen konservative Element. Nehmen wir als Beispiel die politische Ökonomie in den USA. Dort hat sich in den letzten Jahren Milton Friedman dadurch einen Namen gemacht, daß er der liberalistischen Marktwirtschaftskonzeption mit Hilfe monetaristischer Überlegungen zu einem neuen Aufschwung verhalf. Auf der Grundlage von Finanz- und Geldregulierung will er auf der Basis freier Preise und Märkte den nichr mehr funktionstüchtigen Preis- und Marktmechanismus wieder in Gang bringen. Unter diesen Aspekten ordnet er sich also in die Traditionslinie des Liberalismus ein. Aber angesichts seiner politischen Zielstellungen und Positionen gehört er zu den reaktionärsten Kräften in den USA. Diese Dialektik ließe sich mit dem Begriff „Konservatismus" allein nicht erfassen. Hierin zeigt sich, wie wenig wir auf bestimmten Gebieten mit den üblichen Begriffen ausrichten können und wie leicht wir sogar der Gefahr ausgesetzt sind, dabei Verwirrung zu stiften. Übrigens ist gegenwärtig ein Prozeß im Gange, bei dem führende bürgerliche Theoretiker (z. B. Paul Samuelson) den Versuch unternehmen, die für die Wirtschaftspolitik zweckmäßigsten Aspekte beider Grundtendenzen der heutigen bürgerlichen politischen Ökonomie in einer sogenannten „neoklassischen Synthese" zu vereinen. Der dabei entstehende Eklektizismus ist ebenfalls in zunehmendem Maße ein Merkmal heutiger bürgerlicher politischer Ökonomie. Aber bekanntlich lassen sich eklektizistische Konzeptionen kaum einer einzigen Richtung zuordnen - also auch nicht dem Konservatismus. Es gibt lediglich ein Gebiet in der bürgerlichen politischen Ökonomie, welches ich mit einer gewissen Sicherheit dem Konservatismus zuordnen würde. Das ist die sogenannte Ostforschung, Sowjetologie, und als letzter Sproß an diesem bereits faulenden Strauch bürgerlicher Ideologieentwicklung die in der Bundesrepublik zu einer Wissenschaftsdisziplin verselbständigte DDR-ologie. Alles, was auf diesem Gebiet gesprochen und geschrieben wird, ist in der Tat stockkonservativ. Und selbst das Bemühen jüngerer Kräfte, die in der BRD im Rahmen eines gewissen Generationswechsels zunehmend in die Ostforschung einbezogen werden, „sachlicher" und „moderner" an die Fragen heranzugehen, bleibt weit hinter den Möglichkeiten und Notwendigkeiten eines wirklich realistischen Verhältnisses zum Sozialismus zurück und ist - ungeachtet mancher täuschenden Äußerlichkeiten - nach wie vor konservativ. Aber auch hier gibt es eine interessante Dialektik. Die gesamte theoretische Konzeption dieser konservativen Ostforschung stammt aus der Küche jenes Neoliberalismus, der in den ersten 15 Nachkriegs jähren in der westdeutschen bürgerlichen politischen Ökonomie vorherrschend war und sich als Erbe des Liberalismus verstand. Theoretisch begründet von Walter Eucken und gekleidet in ein antifaschistisches Mäntelchen gab sich der Neoliberalismus betont unkonventionell und damit anti-konservativ. Gleich2eitig war dies aber die theoretische und wirtschaftspolitische Konzeption der konservativsten und reaktionärsten Gruppierung der Bundesrepublik: nämlich der CDU/CSU. Auch hier also läßt sich nicht einfach die Schablone eines Begriffs anlegen und damit messen.

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Ich verweise auf diese theoretischen Quellen der heutigen Ostforschung auch deshalb, weil wir ja im allgemeinen wissen, daß etwa seit Mitte der 60er Jahre (vorwiegend im Zusammenhang mit der zyklischen Krise 1966/67) der Neoliberalismus seine vorherrschende Position eingebüßt hat und die keynesianischen Regulierungskonzeptionen verstärkt in den Vordergrund traten. Das hing neben der zyklischen Krise vor allem auch mit der endgültigen Ausprägung des staatsmonopolistischen Kapitalismus zusammen. Seitdem ist der Einfluß neoliberalen Gedankengutes immer stärker zurückgegangen. D i e in den letzten Jahren in der B R D geführten Diskussionen um Marktwirtschaftsprobleme leiten sich aus deren Ursachen ab und haben nichts mit einer Wiederbelebung des Neoliberalismus zu tun, wie das mitunter mißverständlich interpretiert wird. Aber die von Walter Eucken und seinen Schülern - vor allem Karl Paul Hensel - entwickelte Theorie der sogenannten Zentralverwaltungswirtschaft, die daraus abgeleitete Totalitarismus-Doktrin und alle diesbezüglichen Argumentationsketten sind von der ganzen heutigen bürgerlichen Ideologie angeeignet worden und werden in den vielfältigsten Formen ständig aufs neue gegen uns verwendet. Daraus erklärt sich also, daß es Bestandteile des Neoliberalismus gibt, die trotz seiner Einbuße an Bedeutung auf einem bestimmten Gebiet nach wie vor das Feld beherrschen und dabei dem Konservatismus zugeordnet werden können. Dies sollte nur deutlich machen, wie unterschiedlich die Lage in den einzelnen gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen offensichtlich ist - denn in der Philosophie ist die Zuordnung anscheinend einfacher - und wie gewissenhaft wir zugleich bei solchen Begriffsverwendungen sein müssen, um den komplizierten und sehr widersprüchlichen Erscheinungen in der bürgerlichen Ideologiestruktur wirklich Rechnung zu tragen und mit unseren Analyse erfolgreich zur ideologischen Auseinandersetzung zwischen den Systemen beizutragen.

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Robert Steigerwald

Konservatismus heute

Die gründlichsten Untersuchungen zum Komplex des heutigen Konservatismus in der Bundesrepublik hat Ludwig Elm vorgelegt. Ich setze die Kenntnis seiner Arbeiten hier voraus.1 Außerdem stütze ich mich auf ein Manuskript Andras Gedös, das noch nicht veröffentlicht wurde, worin bestimmte internationale Aspekte des Problems behandelt werden. Es geht mir also in meinem Beitrag nur darum, vom Standpunkt der gegenwärtigen Diskussion in der Bundesrepublik einige ergänzende Bemerkungen zu diesem Thema vorzutragen. Am 22. November dieses Jahres erschien in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ein großer Aufsatz zum Thema „Vom Feind und von der Feindschaft. Wiedergelesen: Carl Schmitt ,Der Begriff des Politischen' ". Der Autor des Aufsatzes ist mir gleichgültig. Um etwas anderes geht es: Das repräsentative Blatt des bundesdeutschen Finanzkapitals hält es für an der Zeit mitzuteilen, wie falsch es sei, daß „die amtierenden Generationen im Nachkriegsdeutschland" nicht in Carl Schmitts Kategorien gedacht hätten, wonach das Spezifische an der Politik „die Unterscheidung von Freund und Feind" sei. Statt dessen hätten diese „amtierenden Generationen" eine „öffentliche Sprache" entwickelt, „die das Wort .Partner' für die Vertreter gegenläufiger Interessen verwendet und eine Vokabel wie .Solidarität' gerade in jenen Siuationen bemüht, in denen fundamentale Konflikte kaum noch kaschiert werden können." Also: Kritik von rechts an der „Sozialpartnerschafts"-Demagogie, an Helmut Schmidts und Willy Brandts Gerede von der „Solidarität der Demokraten". Und solche Kritik von rechts an der gegenwärtigen, d. h. staatsmonopolistischen Form der bürgerlichen Demokratie, wird noch zugespitzt, wenn es - in Anlehnung an Carl Schmitt - heißt: der Staat hat das Monopol des Politischen. In seinem Inneren darf es nur Polizei und Justiz geben, aber nicht die Unterscheidung von Freund und Feind. Nach außen macht es gerade seine Souveränität aus, daß er allein bestimmt, wer der Feind ist. Hier ist der Staat offen in ein selbständiges Subjekt verwandelt. Es gibt keine nicht einmal eine bürgerliche, spätbürgerliche - demokratische Legitimation. Es gibt nicht einmal dem Worte nach - Volkssouveränität. Der Staat ist das Totale. E r dekretiert, daß es Klassen nicht zu geben, daß alles einfach zu parieren habe. Selbst die Demagogie der Partnerschaft ist unstatthaft. Nicht manipulierter Interessenausgleich ist die Devise, sondern kommandierter, polizeilich und juridisch abgesicherter Gehorsam. Es ist die konservativ-totalitäre Staatsideologie, die sich da zu Worte meldet. Im Ton geschieht es hier gesittet. Aber Franz Josef Strauß macht bei seinem gleichzeitigen Chile-Besuch fast hemdsärmelig klar, was politisch herauskommen soll. Die faschistische Diktatur kennzeichnete er als Freiheit, als er dem Mörderregime empfahl: „Sorgen Sie dafür, daß die Freiheit in Chile erhalten bleibt." Den brutalen Terror, dem bisher mindestens 30 000 Menschen zum Opfer fielen, bestritt er einfach mit der Lüge: Es bestehe Freiheit der Meinung, und der innere Frieden sei garantiert.

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Dies zeigt zugleich, daß der Übergang von konservativ-autoritären Vorstellungen zu offen faschistischen - also der Übergang im Bereich des Ideologischen - ohne qualitative Änderung erfolgen kann. Anders gesagt: daß Grundzüge der konservativ-autoritären und faschistischen Ideologie übereinstimmen.

Konservatismus „an sich" gibt es nicht Der Konservatismus entstand als feudale Reaktion auf die bürgerliche Revolution. Freyer, Rohrmoser, Gehlen, Steinbuch stimmen darin überein, daß die Aufklärung die Quelle des „Sinnverlustes", der Ursprung des Verfalls, der Auflösung der Institutionen sei und wir nun an den Grenzen der Aufklärung stünden. 2 Indem der Konservatismus diese bürgerliche Revolution richtig mit dem Wirken der Aufklärung, der bürgerlichen Forderung nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, nach - bürgerlicher - Demokratie in einen ursächlichen Zusammenhang brachte, entwickelte er als ideologisch-politisches System entgegengesetzter Werte erstens die Ablehnung der Volkssouveränität zugunsten der Allmacht eines starken - damals monarchischen - Staates, zweitens die Fundierung dieses Staates in weiter nicht analysierbaren Ideologieformen, drittens die Ablehnung von Freiheit und Gleichheit mittels der angeblichen Antinomie Freiheit oder Gleichheit, viertens die Ablehnung der Revolution, letztlich des geschichtlichen Fortschritts, indem allein organisches Wachstum eines vorgegebenen und unzerstörbaren Ganzen eingeräumt wurde. Diese in Analogie zum Biologisch-Organismischen gebildete Ideologie annullierte damit zugleich die in Gestalt der klassischen Politischen Ökonomie, der Ansichten der französischen bürgerlichen Theoretiker und Historiker der Revolution sowie der klassischen deutschen Philosophie sich herausbildenden Tendenzen einer Wissenschaft von der Gesellschaft. Damit waren ohne Zweifel bestimmte ideologische Stereotypen geschaffen, die durch alle Wandlungen hindurch - konservative Ideologie und Politik prägen sollten: Die romantisch-lebensphilosophische weltanschauliche Grundlage, die Fortschritts-, Demokratie- und Volksfeindschaft, die Idealisierung des Staates als einer nicht weiter ableitbaren Größe. Dennoch ist der heutige Konservatismus nicht einfach jenem aus der Zeit der Burje, Gentzen und Tocqueville gleich. Der damalige Konservatismus hatte einen feudalen Klassencharakter, der heutige wurzelt im staatsmonopolistischen Kapitalismus. Der damalige war gegen die progressive bürgerliche Demokratie gerichtet, der heutige ist primär antisozialistisch. Er ordnet seinen Angriff auf die heutige Form der bürgerlichen Demokratie, auf die staatsmonopolistische Demokratie, dem Kampf gegen den Sozialismus unter. Einerseits fürchtet der heutige Konservatismus, die bürgerliche Demokratie ermögliche das Wirken von Kräften und Tendenzen, die wirklich oder auch nur vermeintlich den staatsmonopolistischen Kapitalismus gefährden. Andererseits führt der Antisozialismus heute Konservatismus und „Liberalismus" in gewisser Weise zusammen. Das werde ich später kurz skizzieren. Wird so einerseits auf die historisch konkrete Form des jeweils wirkenden Konservatismus verwiesen, so möchte ich dennoch mit Ludwig Elm auch darauf aufmerksam machen, daß der Ausdruck „neuer Konservatismus" nicht begründet ist. „Im scheinbar Neuen, d. h. in tatsächlichen Modifikationen, Anpassungen und im Abwerfen hemmenden historischen Ballasts, vollzieht sich unter veränderten geschichtlichen Bedingungen

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stets nur erneut die Aufbereitung konservativer Positionen und Funktionen für die jeweils aktuellen Erfordernisse reaktionärer Kräfte im Klassenkampf. Beispielsweise wäre der sogenannte Jungkonservatismus' oder ein Artur Moeller van den Bruck für did zwanziger Jahre ebenso als neokonservativ zu charakterisieren wie die Auslassungen Kaltenbrunners in der heutigen bundesdeutschen Gesellschaft. Selbst im Herangehen lassen sich analoge Auffassungen nachweisen, wenn Moeller van den Bruck 1922 die Frage stellte: Was heißt heute: konservativ sein? Und in seiner Antwort nahm er vorweg, was in der BRD die Merkatz, Möhler und Kaltenbrunner erneut verkünden: ,Auch Konservatismus muß immer wieder neu errungen werden. Konservatives Denken sieht in allen menschlichen Verhältnissen ein ewiges Wiederkehren, nicht im Sinne einer Wiederkehr des Gleichen, sondern im Sinne dessen, was ständig und dauernd da ist, bald vortritt, bald zurücktritt, aber immer wieder durchbricht, weil es ewig ist und im Menschen liegt. Doch auch dieses Ewige muß aus dem Zeitlichen immer wieder geistig geschöpft werden.' " 3 Wir haben es also nicht mit einem neuen Konservatismus zu tun, sondern mit einer Anpassung des heutigen Konservatismus an die tiefgreifenden Veränderungen der internationalen Existenzbedingungen des Kapitalismus.

Gründe für eine Neubelebung des Konservatismus Die sechziger Jahre brachten eine erhebliche Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus. Dies drückte sich deutlich in einigen Ereignissen aus, die bewiesen, daß der Imperialismus die historische Initiative verloren hat, Ereignisse, die das Scheitern der „Politik der Stärke", des „roll-back" bewiesen. Darauf reagierten starke Kräfte des Imperialismus, indem sie versuchten, sich dem neuen Kräfteverhältnis außen- und innenpolitisch anzupassen. Ausdruck dessen war in der Bundesrepublik die Bildung der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung, die neue Ostpolitik, der Versuch, gewisse innere Reformen zu wagen. Dies stieß von Anfang an auf die Sorge der reaktionärsten Kreise des Monopolkapitals, daß „Liberale" und „Sozialisten" ungeeignet zur Sicherung des Systems seien. Folglich war dies verknüpft mit einer Art Katastrophenstrategie der Gegner dieses Anpassungskurses. Etwa ähnlich, wie später in Chile, wurde auf eine Verunsicherungsstrategie gesetzt. Ich erinnere an die zügellose Hetze gegen die Ostpolitik, an den Versuch, die Regierung Brandt zu stürzen, an die Gründung einer faschistischen sogenannten Aktion Widerstand, an die späteren Auftritte von Strauß in Sonthofen, in Wildbad-Kreuth. Beides waren bzw. sind bürgerliche Antworten auf die neu herangereifte Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus. Zu gleicher Zeit haben wir es damals noch mit dem Fortwirken der Illusionen sozialtechnologischer Art (in der Traditionslinie Wilson-Roosevelt-Keynes, der Futurologie Poppers) zu tun, daß alles machbar, die Krise vermeidbar, der Wohlfahrtsstaat möglich geworden sei, daß man Reformen durchführen könne und müsse, daß man mehr Demokratie wagen solle. Grundannahmen waren: kontinuierliches Wirtschaftswachstum ohne Krise ist möglich. Die ökonomischen Prozesse sind mit den Methoden von Keynes steuerbar. Die kapitalistischen Widersprüche lassen sich manipulieren. Der Kapitalismus wirkt auf den Sozialismus stärker ein als umgekehrt. Dies war übrigens ein im „Westen" stimulierendes Moment für die neue Ostpolitik, von der man sich vermehrte Möglichkeiten versprach, den Sozialismus „in der Umarmung erdrücken" zu können. Es war 57

dies auch die Zeit der Ideologie von der Ideologiefreiheit. Was die Vorstellungen anging, die gesellschaftlichen Grundprozesse steuern zu können, so war dies eine Zeit, in der die Stimmung vorherrschte, die Gegenwart unterscheide sich grundlegend von den schreckenerfüllten Jahrzehnten zuvor.4 In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre platzt diese Illusion, als sich die allgemeine Krise erstmals seit Jahrzehnten mit einer weltweiten zyklischen Krise des Kapitalismus verband. Zweifel an der Möglichkeit sozialtechnologischer Lösungen kamen auf. Julius Kardinal Döpfner drückt diese Stimmung sehr deutlich in den Worten aus: „Die Bilanz aus den Erlebnissen mit der Ideologie der unbegrenzten Machbarkeit menschlicher Zufriedenheit, menschlichen Glücks und Sinnerfüllung wird von vielen als erschreckend gewertet."5 Gab es im ersten Entwurf für das SPD-Langzeitprogramm noch klare, abrechenbare Prognosen, so sagt der zweite Entwurf eigentlich: Genossen, laßt uns die Prognose damit anfangen, daß wir nichts prognostizieren können! Der Keynesianismus gerät in eine tiefe Krise. Der Wohlfahrtsstaat erwies sich als Illusion. Arbeitslosigkeit breitete sich aus. Die Krisen wurden wieder stärker und weltweit. Reformen mußten abgeblasen, statt dessen - wegen schrumpfender Akkumulationsquellen bei fehlender Bereitschaft, Profite und Rüstungshaushalt zu belasten - die Massen stärker belastet werden. Das sich damit verstärkende Konfliktpotential macht es unmöglich, „mehr Demokratie zu wagen". Die Ideologie des „Endes des Wachstums" soll aus der Not eine Tugend machen. Dieser Bankrott der Sozialtechnologie soll noch sozialtechnologisch kaschiert werden : Ideologie des sozialtechnologisch machbaren „Nullwachstums". Zugleich wird dies bittere Elend bürgerlicher Ideologie mittels des Sacharins der neuen Lebensqualität bei Nullwachstum zu versüßen versucht. Wobei das alles sinn- und nutzlose Metaphern sind angesichts der Tatsache, daß Nullwachstum und Profitmaximierung, Nullwachstum und Krisenbekämpfung einfach nicht kombinierbar sind. Wir haben es also mit einer tiefreichenden Krise auch der bürgerlichen Ideologie und Politik des „Zuckerbrotes", des staatsmonopolistischen Reformismus und des Sozialreformismus zu tun. Im Ergebnis dessen melden sich wieder verstärkt pessimistische bürgerliche Ideologieformen zu Wort. (Die Nullwachstums-Ideologie war gleichsam schon die liberale Variante dessen.) Die reaktionäre, konservative meldet sich zu Wort und fordert, die im „Sog des Liberalismus" vergessenen „Werte" wieder zu erneuern. Sie stellt die Verbindung zum lebensphilosophischen Krisenmythos wieder her: Der „Untergang des Abendlandes", die Verwüstung unserer Welt wurzelt, wie Rohrmoser meint, im Menschen6, in seinen Institutionen, in seiner Technik. Es gäbe einen unaufhebbaren Gegensatz von Gesellschaft und Natur, der aus dem Wirken der Technik folge, die ihrerseits, unserer gattungsbedingten Mängel wegen (Gehlen), von uns unabtrennbar sei. Einerseits entspringe dieser Technik die Vermassung, die Demokratie, andererseits überfordere sie den Menschen, der darum, um an solcher Überforderung nicht zu zerbrechen, der Stütze durch Institutionen, durch Staat, Gesetz, Recht usw. bedürfe. Nach Forsthoff habe die Industrie eine Umwelt geschaffen, die von Großstrukturen besetzt und beherrscht sei, wodurch der Staat unter neuen, durch die Technik hervorgebrachten Anforderungen stehe. Technisch bedingte Wandlungen der Demokratie seien unabweisbar.7 Die Bekämpfung der krisenhaften Prozesse erfordere also nicht die Ausweitung der Demokratie. Der Mensch sei für die Demokratie viel zu schwach. Nötig sei, bei Abbau der Demokratie, eine Stärkung der Institutionen, insbesondere des Staates. Zugleich entfaltet sich die konservative Variante der „Nullwachstums"-Konzeption in Gestalt der lebensphilosophischen Ideologie vom „Ende der Geschichte". 58

Innerhalb der krisenhaften Entwicklung des Kapitalismus verstärken sich - auch angesichts der Krise des staatsmonopolistischen Liberalismus und Reformismus - die konservativen Tendenzen und Kräfte, die nach Ersetzung des „Zuckerbrots" durch die „Peitsche" streben. Die Neubelebung des Konservatismus ergibt sich also aus dem Zusammenfallen eines Phasenwechsels in der allgemeinen Krise des Kapitalismus mit einer zyklischen Krise des Kapitalismus. Dadurch treten die Differenzen innerhalb der Bourgeoisie schärfer hervor, vor allem die Differenzen zwischen „Sozialisten", „Liberalen" und Konservativen. Der Konservatismus kritisiert die bürgerliche Demokratie von rechts, weil er fürchtet, daß „Sozialisten" und „Liberale" zur Verteidigung des Systems letztlich ungeeignet seien. Dabei ist es durchaus aufschlußreich, daß sich diese Kritik am staatsmonopolistischen Liberalismus und Reformismus derzeit stärker in konservativer als in faschistischer Version entfaltet (die es dabei auch gibt, wobei der Übergang von konservativen zu präfaschistischen Positionen - verkörpert etwa in Franz Joseph Strauß - fließend ist). Der Faschismus ist nicht nur international zu sehr desavouiert, sondern er ist in der Bundesrepublik für die reaktionären Kräfte, angesichts des recht gut das System sichernden Wirkens des Parlamentarismus, auch gar nicht nötig. Wir haben es also zu tun mit konservativer Demckratiekritik, weil die Sozialdemokraten und Liberalen für unsichere Kantonisten in Sachen Verteidigung des Kapitalismus gehalten werden. Dem entspricht im Bereich der ökonomischen Theorie und der Wirtschaftspolitik der Versuch, von Keynes zu Hayek, zu Milton Friedman, zur Chikagoer Schule überzugehen. Es verbinden sich ein aggressiver Wirtschaftsliberalismus und die Demokratiekritik in dem „Bestreben", die „Freiheit vor der Gleichheit" zu retten. Diese Demokratiekritik wird immer stärker mit der lebensphilosophischen Soziologie Max Webers, seiner technologischen Sachzwang-Argumentation verknüpft. Hier rückt in der jüngsten Zeit immer mehr der Versuch in den Vordergrund, unter Scheinalternativen wie „Atomstaat oder Rechtsstaat" 8 sogenannte Sachzwangargumente für den Abbau der Demokratie zu liefern. Eine Konferenz amerikanischer Juristen in Stanford forderte in diesem Zusammenhang dauernde Überwachung, Überprüfung und Bespitzelung großer Teile der Bevölkerung, Präventivmaßnahmen gegen kritische Intellektuelle, universelle Geheimhaltungsvorschriften, Beseitigung der Öffentlichkeit im politischen Leben, ebenso in der Industrie. Solche Unterdrückung soll mittels verstärkter ideologischer Manipulierung gerechtfertigt werden. Angeblich erfordere die „innere Sicherheit" angesichts der atomaren Gefahren und des möglichen Griffs von Terroristen ans Atom einen entsprechenden „Schutz" durch Abbau der Demokratie. Ein mir bekannter Atomwissenschaftler legte in einem Exposé dar, wie weit diese Dinge im einzelnen in der BRD bereits getrieben wurden. Rüdiger Altmann 9 und Kurt Biedenkopf 10 meinen, die unvermeidlich zunehmende Menge an Informationen überfordere die Menschen. Arnold Gehlen argumentiert 11 , von seiner Anthropologie ausgehend, gleichlautend. Die Teilnahme der Massen an der Demokratie senke die politische Rationalität. Es gebe also einen Konflikt zwischen Sachzwang und Demokratie, womit die „Notwendigkeit" der herrschenden „Elite" technisch und damit scheinbar unausweichlich begründet ist. Auf gleicher Position argumentiert Schelsky12.

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Politische G r u n d i d e e n Oberster politischer Grundgedanke des Konservatismus ist das Machtproblem. Es wird ein angeblicher Zerfall der Staatlichkeit beklagt. Sie sei, trotz aller noch nie dagewesenen Machtentfaltung, ein Riese auf tönernen Füßen, ein Muskelprotz der vor Kraft nicht mehr gehen könne. 13 Alle möglichen Anlässe, z. B. der Terrorismus, werden benutzt, um das Problem der sogenannten inneren Sicherheit hochzuspielen, darüber spektakuläre Bundestagsdebatten zu organisieren, die raffiniert am Wunsch des sogenannten kleinen Mannes anknüpfen, nachts wieder unbehelligt auf der Straße gehen zu können, vor Kriminellen und Terroristen sicher zu sein, was von den demagogischen Konservativen wie Strauß mit der Einbeziehung von Linken in das Terroristenpotential verknüpft wird. Dies wird verbunden mit einer Taktik wild ausufernder Hetze gegen alle und alles, was die reaktionären Überzeugungen der Konservativen nicht teilt. Gerade auf diesem Gebiet boten die letzten Monate bundesdeutscher Geschichte ein reichhaltiges Anschauungsmaterial. Dabei geraten in die Schußlinie die Marxisten, alle systemkritischen Kräfte, die Gewerkschaften, die Universitäten, die bekanntesten unserer Schriftsteller und Intellektuellen. Kaltenbrunner meint, die Macht werde nicht von den verfassungsmäßig berufenen Organen ausgeübt, sondern von äußeren Kräften. „Die Regierungen haben immer weniger Macht, die Gewerkschaften zur Räson zu bringen, aber sie müssen nach wie vor die Folgen unkontrollierter gewerkschaftlicher Überheblichkeit verantworten." 14 Das ist der Ruf nach Gesetzen zur Gängelung der Gewerkschaften. Die Forderungen spitzen sich also zu in Richtung auf einen nach innen und außen starken Staat, ganz im Sinne des eingangs kurz untersuchten Aufsatzes aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Der Staat müsse so stark sein, daß er keine Kompromisse mit den einzelnen Gruppierungen im Staat einzugehen brauche. 15 Er müsse, meint Kaltenbrunner, die stärksten Mittel zur Durchsetzung seiner Ziele nach innen und außen, „das Monopol legitimer physischer Gewalt für sich (mit Erfolg)" beanspruchen. 16 Law and order, Zucht und Ordnung sind die Parole. Das Verhältniswahlrecht wird abgelehnt. Ständestaatliche Auffassungen werden verbreitet. 17 Der Staat soll von oben nach unten hierarchisch gegliedert sein. Während der Liberalismus und Reformismus verbal die Staatsmacht aus der Volkssouveränität begründen, ist im Konservatismus die Obrigkeit letztlich nicht durch Wahlen legitimiert, sondern aus einer höheren, nicht zu hinterfragenden Autorität. 18 In der Regel wird diese Konzeption direkt mit der von der notwendigen politischen Elite, dem „Führertum", verbunden, womit ein nahtloser Übergang zu fa^ schistisch ideologischen Positionen möglich wird. An der Verwirklichung solcher Forderungen wird in der Bundesrepublik fleißig gearbeitet. Wie geschieht das gegenwärtig und wie ist das einzuschätzen? Der staatliche Repressionsapparat wird ständig ausgebaut. Das betrifft die Armee, den Bundesgrenzschutz. Per Gesetz ist er eine Bürgerkriegstruppe im Landesinnern. In der Spezialeinheit BGS 9 (Stichwort: Mogadischiu) verfügt er über eine hochspezialisierte Einsatztruppe perfektester Art. Darüber hinaus wird die normale Polizei verstärkt, mit Maschinengewehren und Handgranaten ausgerüstet. Es ist in der Diskussion, der Polizei den gezielten Todesschuß zu erlauben. Der Verfassungsschutz wird verstärkt und ausgebaut. Die Verteidigerrechte werden fortwährend abgebaut. Das Demonstrationsrecht ist bedroht. Sicherungsverwahrung soll schon nach der ersten Straftat möglich und erheblich ausgedehnt werden usw. usf. Die Klage der „Arbeitgeber" in Sachen Mitbestimmung gegen die Gewerkschaften soll die Mitbestimmungsforderung als grundgesetzwidrig 60

feststellen. Forsthoff bereitete dies ideologisch vor: „Die Mitbestimmung ändert . . . ihren Sinn, wenn sie zum Instrument der Umgestaltung der bestehenden Wirtschafts- und Sozialordnung wird . . . Hier ist nun endlich der Punkt erreicht, an dem zu fragen ist, ob eine solche Art von Mitbestimmung den Unternehmern rechtlich noch zugemutet werden kann." 19 Berufsverbotsurteile erklären bereits das Bekenntnis zum Sozialismus für verfassungswidrig. Und im Hintergrund wird bereits an einer umfassenden Verfassungsrevision gearbeitet. Es handelt sich um den breit angelegten Versuch, die autoritären Instrumente des staatsmonopolistischen Regimes auszubauen, wobei die parlamentarischen Instrumente bestehen bleiben und auf offen-brutalen Terrorismus gegen die Massen verzichtet wird. D. h., wir haben es nicht, wie manche Ultralinke meinen, mit Faschismus oder Faschisierung zu tun, was festgestellt werden muß. Die ideologische Substanz des Konservatismus läßt sich also so bestimmen: Notwendig ist die Herrschaft privilegierter Eliten. Soziale Gleichheit ist ein Unding. An die Stelle der die „schwachen" Menschen überfordernden Demokratie ist der starke Staat zu setzen, der nach außen aggressiv, nach innen autoritär, aber - im Unterschied zum Faschismus - nicht offen terroristisch ist. Der Staat selbst, das „Führertum" der sogenannten Eliten, wird durch verschiedene Varianten der imperialistischen Philosophie „begründet": Von den scheinrationalen Sachzwang-Argumenten Max Webers und Schelskys über den Gehlenschen Typus der Anthropologie (Organmängel-Theorie), der irrationalistischen Wertphilosophie bis hin zur direkten Mythologie.

E i n i g e innere W i d e r s p r ü c h e des heutigen K o n s e r v a t i s m u s Im weltweiten Wettstreit der beiden entgegengesetzten Gesellschaftsordnungen wird es für die bürgerliche Seite schwieriger, die Frage der Produktionsverhältnisse auszuklammern, die Probleme allein „dem" Menschen, „der" Technik, dem Fehlen „der" Werte anzulasten. Zu deutlich springt der Gegensatz von Krise im Kapitalismus und erfolgreich geplantem, stetigem Wirtschaftswachstum im Sozialismus ins Auge. Das bedeutet, daß die Probleme der sozialökonomischen Basis der Gesellschaftsordnungen stärker ins Zentrum der Klassenauseinandersetzung treten. Um diese Gefahr abzuwenden, verbreitet die Bourgeoisie verstärkt, „konvergenztheoretische Argumente". Die Krise erfaßt - so z. B. Rohrmoser - angeblich Ost und West, ist also weltweit. 20 Der konservative Aspekt dieses Problems tritt, meines Erachtens, gegenwärtig in Gestalt lebensphilosophischen Protests gegen moderne Technik, gegen Atomkraftwerke, gegen die Umweltkatastrophe hervor. Freilich ist dies ein Weg in die Sackgasse, und hier zeigt sich - auf ideologischem Gebiet - die Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus; die lebensphilosophische, moderne Version der Maschinenstürmerei desorientiert zwar oppositionelles Potential, indem sie zur Gleichsetzung von Kapitalismus und Sozialismus auf ökologischem Gebiet, also zur Ablehnung der sozialistischen Alternative, zur Bildung lebensphilosophischer Ökologie-Parteien, „grüner Parteien" führt, die auf „dritten" Wegen ins Nichts gelockt werden sollen. Doch kann der Kapitalismus im Systemwettkampf auf die neue Technik nicht verzichten. Hier entwickelt sich also offensichtlich und auf längere Frist gesehen ein kompliziertes Konfliktfeld. Der heutige Konservatismus muß in seiner antisozialistischen Demagogie - Freiheit oder Sozialismus - sich bisweilen den Anschein geben, die bürgerliche Demokratie gegen

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sozialistische Gefährdung zu verteidigen. Hier geht es nicht nur um den demagogischen Aspekt dieser Losung, sondern auch darum, daß gegen den realen Sozialismus die Freiheits-Demagogie immer mehr zentrale Bedeutung erlangen wird. Auch dies führt zu inneren Widersprüchen des heutigen Konservatismus, die freilich auch in einer gewissen Konvergenz von Konservatismus, „Liberalismus" und staatsmonopolistischem Reformismus zum Ausdruck kommen. Liberale, wie Dahrendorf, machen Zugeständnisse an die falsche Alternative von Freiheit oder Demokratie21, während andererseits Konservative, wie Kaltenbrunner, ihres Antisozialismus wegen, der angedeuteten falschen Alternative Freiheit oder Sozialismus wegen, vordergründig demokratisch argumentieren.22 Die Konservativen sehen sich auch auf einem anderen Feld ernsthaften Widersprüchen ausgesetzt: einerseits fordern sie einen starken Staat. Andererseits wenden sie sich gegen den staatsmonopolistischen Reformismus - den sie als Staatssozialismus bezeichnen - mit dem Wort: Freiheit oder Sozialismus. Nicht mehr, weniger Staat sei die Devise. Darin drückt sich nun keinesfalls aus, daß die Konservativen den bürgerlichen Staat schwächen wollten, es geht um etwas ganz anderes. Kurt Biedenkopf erklärte in einer sogenannten Grundwerte-Diskussion: „Die Grundwerte sind keineswegs harmonisch. Der Grundwert Freiheit, der Grundwert Gerechtigkeit, der Grundwert Solidarität, diese Grundwerte können sich auch widersprechen. Jeder für sich alleine genommen verfälscht eine freiheitlich verantwortliche Gesellschaft. Deshalb ist es unsere Aufgabe, so haben wir schon in der Mannheimer Erklärung formuliert, die Grundwerte immer wieder am praktischen Fall gegeneinander abzuwägen und so eine richtige freiheitliche Antwort zu finden."23 Worum geht es? Freiheit ist für diese Leute, für die Interessenvertreter des Kapitals, jener Grad an sozialer Selbständigkeit, dessen man, abhängig von der eigenen Leistung, fähig ist. Indem diese mit dem privaten Produktionsmittel-Eigentum unmittelbar verknüpft und dann gefordert wird, daß diese Art von Freiheit durch einen starken Staat geschützt werden soll, wird der großkapitalistische Klassencharakter des Konservatismus auch an diesem Beispiel deutlich.

Philosophische Begründungsversuche

Letzten Endes lauten die großen weltanschaulichen Streitfragen unserer Epoche, die der Große Oktober eingeleitet hat: Gibt es gesellschaftliche Entwicklung über den Kapitalismus hinaus oder nicht? Ist die Arbeiterklasse die Triebkraft dieser Entwicklung oder nicht? Das Entwicklungsproblem steht im Zentrum des ideologischen Kampfes und die verschiedenartigen bürgerlichen Strömungen beantworten es negativ. Der theoretischen Substanz nach lehnen sie alle, auf die eine oder andere Weise, die materialistische Dialektik, die wissenschaftliche Klärung des Entwicklungsproblems ab. Ob sie die Dialektik subjektivieren - wie die „Frankfurter Schule" und die „Praxis-Gruppe" - , ob sie sie lebensphilosophisch idealisieren - wie die verschiedenen Neuhegelianer von Lukacs bis Colletti - , ob sie sie biologistisch entmaterialisieren - wie die sogenannten FreudoMarxisten - , ob sie das negative und qualitative Moment im Stil Kierkegaards verabsolutieren, wie Adorno, oder das quantitativ-reformerische verabsolutieren, wie Bernstein oder Santiago Carillo24, oder ob sie das Moment des Kontinuierlichen im Geschichtsprozeß verabsolutieren und im organismischen Sinne die Gesellschaft und die Wissenschaft von ihr direkt leugnen - wie das der Konservatismus versucht; stets geht es um 62

die Bekämpfung der dialektisch-historisch-materialistischen Klärung des Entwicklungsproblems aus der Illusion heraus, die verschiedenartigsten Fraktionen der Bourgeoisie könnten durch solche Windmühlengefechte das Ende der Geschichte dekretieren und erwirken. Wenden wir uns kurz den Versuchen zu, den Konservatismus philosophisch zu begründen. Es handelt sich dabei um verschiedene weltanschauliche Ansätze, da ja nicht nur klerikal-reaktionäre Kräfte auf konservativem Boden operieren. Am ausgeprägtesten ist die Begründung des Konservatismus durch eine Neubelebung der sogenannten Wertphilosophie. In jüngster Zeit konvergiert das mit der antisozialistischen Menschenrechts-Demagogie. Hans Heinz Holz hat sich mit dem Aspekt der sogenannten Wertphilosophie ausführlicher in den „Blättern für deutsche und internationale Politik"25 auseinandergesetzt. Auch Ludwig Elm kommt in seinen Arbeiten des öfteren auf dieses Problem zu sprechen.26 Die Neubelebung der Wertphilosophie religiöser oder sonstiger ideologischer Art erfolgt eindeutig mit dem Ziel, einen dem Staat vorgeordneten, primären weltanschaulichen Bereich zu postulieren, der zwar wissenschaftlich nicht weiter eruierbar, aber unabweisbare Legitimation des starken Staates sein soll.27 Diesem Wertebereich gegenüber gebe es keine Mündigkeit des Bürgers.28 Es unterliegt nicht seiner Selbstbestimmung, auch nicht der Volkssouveränität, hier Entscheidungen zu treffen. Holz weist richtig darauf hin, daß damit die verfassungsmäßigen Grundlagen der Bundesrepublik geradezu auf den Kopf gestellt würden. Die Grundrechte des Grundgesetzes seien mit Absicht formaler Art, damit dem Bürger die Freiheit der inhaltlichen Ausfüllung verbleibe, er also einen Schutzwall gegen staatlich verordnete Grundwerte besitze. Indem die konservativen Wertphilosophen erstens einen nicht weiter aufklärbaren - substanziell eben konservativen - Grundwerte-Bestand postulieren, dann zweitens erklären, daß sich der Staat daran zu orientieren habe, daß dies „die Blaupausen" seien, „nach denen wir die Gesamtgesellschaft ordnen und gestalten wollen", so Kurt Biedenkopf29, wobei - drittens - dem Bürger das Recht nicht zustehe, hier selbständig zu wählen und zu entscheiden, sind dem konservativen Totalitarismus hier Tür und Tor geöffnet. Wie sagte doch Helmut Kohl in der Grundwerte-Diskussion, die in Hamburg 1976 von der Katholischen Akademie zwischen den führenden Kräften der Bundestagsparteien stattfand: „Die Grundwerte gründen in der Natur des Menschen und nicht in der Volksmeinung."30 Und was die „Natur des Menschen" ist, bestimmt die konservative „Elite"! Die sogenannte Grundwerte-Diskussion in allen Bundestagsparteien ist ein Ergebnis dieser Tendenz. Ich habe mich damit knapp in Heft 4/1977 der „Marxistischen Blätter" auseinandergesetzt.31 Kennzeichnend ist, daß die Führer der Bundestagsparteien darin übereinstimmten, es müsse einen Minimalkonsensus über Grundwerte als unerläßliche Bedingung staatlichen Lebens geben. Nicht darin besteht das Problem, daß sich in diesem Punkt, von Strauß bis Helmut Schmidt, das Anliegen der gemeinsamen Verteidigung des Kapitalismus ausdrückt, sondern darin, daß sogar die rechtssozialdemokratischen Führer das bürgerliche Klasseninteresse in der mythologisch-konservativen Ausdrucksweise von Grundwerten verteidigt. Es ist dies längst nicht mehr die alte, neukantianischethische Begründung des „Sozialismus". Eng damit verbunden ist der Versuch, den Konservatismus durch Wiederbelebung der philosophischen Anthropologie weltanschaulich zu untermauern. Das ist deutlich wahrnehmbar in dem bereits skizzierten Versuch, die Grundwerte in der „Natur des Menschen" zu verankern. Für die nicht religiös Gebundenen oder Orientierten unter 63

den Konservativen ist solche anthropologische Begründung ihrer Position besonders nötig. Kaltenbrunner besorgt dieses Geschäft: „Alles politische Denken wurzelt in einem bestimmten Menschenbild. Ohne eine Vision vom Menschen . . . kann es keine politische Theorie geben . . . Jede konservative Theorie geht davon aus, daß der Mensch ein begrenztes, endliches, auf Bindung, Disziplin und Tradition angewiesenes Wesen ist. Sie hält dafür, daß er ein bestimmtes Ausmaß an Entfremdung nicht entbehren kann, wenn er überhaupt lebensfähig sein soll. Der Mensch ist nicht gut genug, um völlig frei zu sein . . . " . Das ist Gehlens Konzept, in einfachere Worte gekleidet. Und heraus kommt „der Dreiklang . . . von .rechts'", der „Primat von Ordnung, Autorität, Disziplin . . . Von diesem Primat leitet sich alles weitere ab: die Bewertung von Familie, Eigentum und Staat, die Interpretation von Fortschritt und Dekadenz, der Rolle von Kultur und Erziehung usw." 32 Die unbestreitbare Tatsache der Endlichkeit des Menschen, seine Angewiesenheit auf gesellschaftliche Beziehungen in der Auseinandersetzung mit der Natur wird in demagogischer Weise genutzt, um daraus die Notwendigkeit autoritärer Führung und Herrschaft zu „begründen". Es ist dies genau dasselbe Verfahren, wie wenn man wegen der unbestreitbaren Notwendigkeit, gesellschaftliche Produktion geleitet durchzuführen, die Unvermeidlichkeit gesellschaftlich herrschender Klassen formulierte, ein altes Verfahren der Apologetik. Selbstverständlich - das wurde ja bereits oben angedeutet - spielt die imperialistische Lebensphilosophie in der Begründung des Konservatismus eine große Rolle. Deutlich wird das an der zunehmenden Verwendung von lebensphilosophisch-irrationalistischen Termini. Elm weist auf die Begriffe Volk, Vaterland, Ehre, Treue, Pflicht, Heimat, Boden hin. In der „Herder-Korrespondenz" erschien im August 1976 der leitende Aufsatz zum Thema „Was sind Grundwerte?", wobei in schöner Einfachheit ihr „Sitz im Leben" postuliert wurde.33 Hier wäre auch etwa auf Theorien zu verweisen, die den Ursprung des Staates mystifizieren. E r soll einer allgemeinen Idee entspringen, einem göttlichen Weltenplan, dem Gemeinwohl dienen und den berühmt-berüchtigten Sachzwängen entsprechen. Jedenfalls ist der Staat hier eine außergesellschaftliche, unhistorische Erscheinung. Die Obrigkeit stammt eben von Gott, ganz wie zu alten Zeiten, da der Pharao eben Gottes Sohn war. basta! Die Abtrennung der gesellschaftlichen Probleme von ihrer ökonomischen Basis, die Verselbständigung des Politischen (wie wir sie oben bei Carl Schmitt deutlich wahrnahmen), führt mit Notwendigkeit dazu, Politik auf den Ausdruck des Machtwillens, des Herrschaftstriebes zu beschränken. Der Übergang zu lebensphilosophisch-biologistischen Stereotypen eröffnet dem Denken in organismischen Kategorien, etwa dem Mythos vom Volksganzen, der Volksgemeinschaft, Tür und Tor. Sie werden durch äußere Einflüsse gestört. Das Volksganze ist biologisch begründet, eine gesunde Einheit, die durch den Einfluß äußerer Bazillen Gefahr an Leib und Leben erleiden kann. Berührungsangst gegenüber dem Fremden, Fremdvölkischen, Ausländischen, der auf solche Weise begründete Nationalismus, die Bejahung der angeblich natürlichen Kategorien oder Wesenheiten von Volk und Nation, die Ablehnung der lebensfremden, lebensfeindlichen Kategorien der Klasse und des Klassenkampfes sind ebenso die Folge, wie die lebensphilosophisch untermauerte Politik der inneren Disziplinierung. Carl Schmitt, den wir eingangs erwähnten, ist ein treffendes Beispiel solcher Denkprozesse. Sein Wort, daß der Ausnahmezustand immer noch eine Ordnung, wenn auch keine Rechtsordnung sei,

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aber als Ordnung dem Bürgerkrieg vorzuziehen, dies Wort, das gleichsam als Motto über Franz Josef Strauß' Chile-Reise stehen konnte, ist Ausdruck des lebensphilosophischen Antihumanismus, der konservativen Menschenverachtung.

Konservative Kräfte und Organisationen Die bekanntesten ideologischen Repräsentanten des Konservatismus in der Bundesrepublik sind G.-K. Kaltenbrunner, R. Altmänn, der vor kurzem verstorbene A. Gehlen, E . Forsthoff, H. Schelsky, A. Möhler, G. Rohrmoser, E . Tpoitsch, M. Waiden, P. Jordan, E . Albrecht, A. C. Springer. Innerhalb des Konservatismus lassen sich zwei unterschiedliche Tendenzen feststellen. D a ist die reaktionärste Tendenz, die in einigen ihrer Repräsentanten bereits auf Tuchfühlung zum Faschismus gegangen ist. Sie wird von Axel Cäsar Springer, Franz Josef Strauß, Alfred Dregger, dem ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Schleyer repräsentiert. Sie wirkt im Geiste des alten konservativ-nationalistischen, völkischen militaristischen Denkens. Sie orientiert auf die Sammlung und Mobilisierung aller Kräfte der äußersten Rechten und zwar auch international. Das zeigen die Kontakte von Strauß zu Pinochet und Dregger zu Vorster und Jan Smith. Sie beziehen also sogar rassistisch-faschistische Kräfte anderer Kontinente ein. Es gibt aber auch weniger reaktionäre, flexiblere Vertreter des Konservatismus, die versuchen, ihrer Konzeption einige „pluralistische", reformerische, insbesondere christlichsoziale Elemente einzuverleiben. Hier wären wohl Kohl, Biedenkopf, Barzel und Kiep zu nennen. Was die tragenden organisatorischen Institutionen des Konservatismus in der Bundesrepublik angeht, so sind hier vor allem die CSU und die CDU als Parteien zu nennen, die zur wahren Heimstatt des Konservatismus geworden sind. Darüber hinaus ist die von Konrad Adenauer angeregte konservative „Deutschland Stiftung" zu nennen. In ihr wirken führende Vertreter der Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände mit, wie z. B. der ermordete Schleyer, des Flick Konzerns, wie Burneleit, des Siemens Konzerns, der Dresdner Bank und des Springer Konzerns. Weitere Zentren des Konservatismus in unserem Lande sind die „Abendländische Akademie", die „Gesellschaft für konservative Publizistik e. V.", der „Bund Freiheit der Wissenschaften e. V.", die „Deutsche Studentenunion". Der Konservatismus besitzt in unserem Lande einige einflußreiche Zeitungen, insbesondere den „Rheinischen Merkur", den „Bayern Kurier", das „Deutschland Magazin", das „Deutschlandarchiv". Darüber hinaus kann ohne Umschweife gesagt werden, daß die Springer-Presse und weite Teile der Fernsehsendungen, vor allem des Zweiten Deutschen Fernsehprogramms, von konservativen ideologisch-politischen Positionen beherrscht sind. Es gibt auch theoretische Organe, in denen der Konservatismus offen vertreten wird, so die Monatszeitschrift „Criticon", die „Gesellschaftspolitischen Kommentare" und, in einem ausgeprägten Maße, die „Herder Korrespondenz". Im Bereich des Verlagswesens steht dem Konservatismus insbesondere der Seewald Verlag zur Verfügung. Schließlich sei noch erwähnt, daß die konservativen Kräfte eine Institution namens Adenauer Preis ins Leben gerufen haben, deren Geschäftsführer der bekannte alte Nazi Kurt Ziesel ist. Alljährlich wird dieser Preis an einen der bekannteren konservati5

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ven Ideologen in unserem Lande verliehen. Unter den Preisträgern befinden sich die sattsam bekannten antikommunistischen Hetzer William Schramm und Matthias Waiden, selbstverständlich die bekannten Konservativen Pasqual Jordan, Arnold Gehlen, Ernst Forsthoff, Armin Möhler, um nur einige zu nennen.

Ein vergebliches Aufbäumen Wenn im vorhergehenden ausführlicher über den Konservatismus, über seine Neubelebung in der Bundesrepublik gesprochen wurde, so sollte nicht übersehen werden, d a ß es sich insgesamt um einen Ausdruck der allseitigen Krise des imperialistischen Systems handelt. Das wird auch bisweilen in den Arbeiten der Konservativen selbst offen zugegeben. Zitieren wir eine solche Stelle zum Abschluß: „Schon Lenin erblickte die Überlegenheit des Marxismus über die Kräfte einer bürgerlichen Gesellschaft darin, d a ß diese grundsätzlich unfähig seien, in den Begriffen eines langfristigen geschichtlichen Prozesses zu denken, eine langfristige Strategie zu entwickeln und diese in einer ebenso flexiblen wie konsequenten Taktik auch durchzusetzen. Die verantwortlichen Kräfte einer liberal-bürgerlichen Gesellschaft seien dazu nicht imstande, weil sie nur die Oberfläche des Prozesses, nur die einzelnen Wellen sähen, nicht aber die aus der Tiefe der Gesellschaft treibende Strömung. Daher seien sie auch unfähig, im Sinne einer langfristigen gesellschaftspolitischen Strategie geschlossen und solidarisch zu handeln. Es ist keine Frage, daß die Erfahrung der letzten Jahre diese Prognose Lenins bestätigt hat." So Rohrmoser. Und er schreibt diesen liberal-bürgerlichen Kräften ins Stammbuch: „Für diese Gruppen ist kennzeichnend, was man einen konstitutionell gewordenen Opportunismus nennen könnte, der in allen Parteien und Institutionen anzutreffen ist. Diese opportunistische Einstellung und Haltung wird häufig als Zeichen für die Stärke einer pluralistischen Gesellschaft ausgegeben, die jede Form von Verweigerung, Opposition und Negation durch Permissivität mühelos verkraften könne. Das mag zutreffen, so lange das ökonomische Potential für materielle Gratifikationen unerschöpflich scheint. Ist dieses aber erschöpft, dann wird die Lösung aller Konflikte durch materielle Zuteilungen nicht mehr möglich sein. Dann wird sich der Opportunismus der Führung als die eigentliche und gefährlichste Bedrohung der Freiheit erweisen." 34 Rohrmoser, einer der Sprecher des konservativen Lagers, gibt also offen zu verstehen, daß die Wiederbelebung des Konservatismus ein Produkt der Krise ist, ein Produkt des Zusammenbruchs der bürgerlichen Illusion, die aufbegehrenden Massen durch materielle Gratifikationen in Schranken halten zu können. Was empfiehlt er als A u s w e g ? : „Die Bürger müssen heute politisch entscheiden, ob die Kinder aus der Geschichte nur noch lernen sollen, das alles änderbar ist; . . . wenn etwas im Blick auf die Entwicklung dieses Landes beunruhigen sollte, dann ist es die Tatsache, daß keine politische Kraft erkennbar ist, die fähig und gewillt wäre, die Herausforderung der Kulturrevolution anzunehmen." 35 Rohrmoser glaubt also, es sei eine Frage der Erziehung, den Prozeß zum Einhält zu bringen, der auf Veränderung, auf Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung hinziele. Und gleichzeitig lamentiert er darüber, daß keine Kraft erkennbar sei, die fähig und gewillt wäre, sich diesem Prozeß entgegenzustemmen. W i r hätten es mit einem Elend des Bewußtsein zu tun, darum habe der Marxismus eine Chance erhalten. Und er fordert, alles einzusetzen, um die bürgerliche Gestalt der Sub-

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jektivität als totale Grenze der geschichtlichen Entwicklung zu verteidigen. 3 6 E s gehe um die Sicherung der Naturbasis menschlicher Existenz 3 7 und er ruft auf, daß sich dazu die Kräfte sammeln, und kann doch weiter nichts am E n d e stammeln, als daß dies auf der Grundlage einer nicht weiter von ihm identifizierten Religion geschehen müsse. In der Tat, hier liegt ein „Elend des Bewußtseins" vor. D e r Konservatismus ist, was seine intellektuelle Artikulationsfähigkeit angeht, ganz offensichtlich eine noch primitivere Form der bürgerlichen Ideologie als der heutige staatsmonopolistische Liberalismus und Reformismus, und er ist, w i e dieser, nicht imstande, den weltgeschichtlichen Prozeß des Übergangs v o m Kapitalismus zum Sozialismus zum Stillstand zu bringen.

Anmerkungen 1 L. Elm, Der ,neue Konservatismus', Reihe „Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie", Heft 49. 2 H. Schelsky, Systemüberwindung, Demokratisierung und Gewaltenteilung, S. 53 ff.; G. Rohrmoser, Die Herausforderung der Radikalen, 12 Kolumnen zum Zeitgeschehen. Köln 1973, S. 39 ff.; A. Gehlen, Moral und Hypermoral, 1969, S. 152 ff.; K. Steinbuch, in: Die neue Gesellschaft, 1/1976, S. 30. 3 L. Elm, a. a. O., S. 55-56. 4 K. Boulding, The Impact of the Social Sciences, New York 1966, S. 39. 5 Julius Kardinal Döpfner, in: Herder-Korrespondenz, 8/1976, S. 381. 6 G. Rohrmoser, Die Krise der Institutionen, München 1972, S. 9. 7 E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft - Dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, München 1971, S. 159/161. 8 R. Augstein, in: Der Spiegel, 10/1977, S. 33. H. H. Holz verweist auf die „Vorschläge" der sog. Standford-Konferenz, vgl. H. H. Holz, „Werte" contra Demokratie, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Köln, 10/1977, S. 1218. 9 R. Altmann, Diskussionsbeitrag Nr. 220 auf der 37. Tagung des Bergedorfer Gesprächskreises, Hamburg 1970, S. 61. 10 K. Biedenkopf, Fortschritt in Freiheit - Umrisse einer politischen Strategie, München 1974, S. 181. 11 A. Gehlen, Moral im Wandel - Volk, Staat und Individuum, in: Die politische Bildung, Bonn, 19/1974, S. 9. 12 H. Schelsky, Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation, in: H. Schelsky, Auf der Suche nach der Wirklichkeit, Düsseldorf/Köln 1965, S. 439. 13 B. Guggenberger, in: Sind wir noch regierbar? - Zur Dialektik von Stärke und Schwäche des modernen Staates, in: Der überforderte schwache Staat, - Sind wir noch regierbar? München 1975, S. 36. 14 G.-K. Kaltenbrunner, Vorwort zu: Der überforderte schwache Staat . . ., a. a. O., S. 9. 15 Chr. Graf von Krockow, Staatsideologie oder demokratisches Bewußtsein? — Die Deutsche Alternative, in: Politische Vierteljahreszeitschrift, Köln/Opladen, Nr. 2/1965, S. 120. 16 G.-K. Kaltenbrunner, Vorwort zu: Der überforderte schwache Staat. . ., a. a. O., S. 10. 17 J. Knoll, Der autoritäre Staat - Konservative Ideologie und Staatstheorie am Ende der Weimarer Republik, in: Konservatismus, Köln 1974, S. 224. 18 Dieser „Gedanke" kommt in religiösen und nicht-religiösen, auch technokratischen Varianten vor. Ein Beispiel für die religiöse Variante: W. Weber, Der Staat ist eine von Gott stammende Obrigkeit, in: M. Weber, Der Staat und die Verbände, Heidelberg 1957, S. 22 f. 19. E. Forsthoff, Sind die Gewerkschaften jetzt verfassungsfeindlich? - Syndikalistische Mitbestimmungsmodelle untergraben die Demokratie, in: Die Welt, 30. 12. 1972. 20 G. Rohrmoser, Die Krise der Institutionen, a. a. O., S. 9. 21 R. Dahrendorf, Die Denunziation der Aufklärung, in: Die Zeit, Nr. 14/1975. Dahrendorf wendet sich gegen die bloße Wiederholung der liberalen Glaubenssätze. Der „neue Sozialvertrag" widerspiegele nämlich die Krise des Liberalismus. Iring Fetscher beispielsweise ertüftelt einen Unterschied zwischen „Wertkonservatismus" und „strukturalem Konservatismus", in: Die neue Gesellschaft, Heft 1/1976, S. 28 ff. 5*

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22 G.-K. Kaltenbrunner, Der Konservative im nachliberalen Zeitalter, in: Neue Rundschau, Heft 1/ 1974, S. 8, wo er meint, die liberalen Prinzipien hätten die gesamte westliche Kultur geprägt. Sie müßten gesichert werden, indem die zur puren Wut gewordene Emanzipation abgewehrt werde. 23 K. Biedenkopf, D i e CDU - ihre Arbeit, ihre Erfolge, ihre Aufgaben, Rede auf dem 25. Bundesparteitag der CDU, Düsseldorf, 7.-9. 3. 1977, S. 4. 24 S. Carillo, Eurokommunismus und Staat, Hamburg/Westberlin 1977, S. 91, ähnlich S. 145. 25 H. H. Holz, a. a. O., S. 1204 ff. 26 L. Elm, a. a. O., S. 17, 76, 101. 27 H. Kuhn, D e r Streit um die Grundwerte, in: Zeitschrift für Politik, Heft 1/1977, S. 18. 28 H. Maier (bayr. Kultusminister) im Vortrag vor der Katholischen Akademie Hamburg, Januar 1977, zitiert bei Holz, a. a. O., S. 1210. 29 K. Biedenkopf, a. a. O., S. 9. 30 H. Kohl, nach Herder-Korrespondenz, Heft 8/1976, S. 384 (in dem leitenden Aufsatz: Was sind Grundwerte?). 31 R. Steigerwald, Staat und Ideologie. Oder: Gibt es einen ideologiefreien Staat?, in: Marxistische Blätter, Heft 4/1977, S. 77 ff. 32 G.-K. Kaltenbrunner, Gibt es eine konservative Theorie?, in: Beilage zur Wochenzeitschrift „Das Parlament", 19. 10. 1974, S. 42. 33 Herder-Korrespondenz, a. a. O., S. 381. 34 G. Rohrmoser, Ideenpolitische Perspektiven, in: Essentials, Nr. 1, Stuttgart 1975, S. 5 f. 35 Ebenda, S. 8. 36 Ebenda, S. 17. 37 Ebenda, S. 24.

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Aus der Diskussion Dieter Bergner

Konservatives Denken und konservative Politik haben eine wechselvolle Geschichte. Zweifellos ist es für die Bestimmung des Konservatismus in der Gegenwart besonders wichtig, den historischen Stellenwert zu bestimmen, den er in den verschiedenen Gesellschaftsordnungen zuvor einnahm. Denn die vom gegenwärtigen Konservatismus geübte Praxis, mit seiner Berufung auf „bewährte Traditionen" eine eingängige ideologische Legitimation aufzubauen, kann bereits in ihrem reaktionären Charakter nachgewiesen werden, wenn man den Platz des Konservatismus in der Geschichte genau bestimmt. Es zeigt sich sodann, daß konservatives Denken immer wesentlich auch „reaktives" Denken ist und entsprechende antiprogressive Eigenschaften der doktrinären Verabsolutierung fortschrittsfeindlicher Ideen ausbildet und pflegt. Dabei kommt der starken emotionellen Aufgeladenheit der ideologischen Leitbilder des Konservatismus eine besondere Aufgabe zu. Die vielfach aus dem umgangssprachlichen Bereich entlehnten Worthüllen für die entsprechenden „Werte" und Leitbilder vermitteln eine scheinbare Volksnähe. Beide Momente führen dazu, daß der sogenannte Mann von der Straße oder der sogenannte einfache Landmann glaubt, in dieser Sprache sein Empfinden und seine Vorstellungen „lebensnah" ausgedrückt zu bekommen. Es liegt hier eine sicher nicht zu unterschätzende Eigenschaft der immer wieder populär aufgemachten und entsprechend verbreiteten Ideologie und Politik des Konservatismus vor. Wenn man konservative Ideologie und Politik bezüglich ihres Platzes in der Geschichte charakterisiert, so muß man die objektive Stellung der Bourgeoisie in der geschichtlichen Entwicklung fixieren. Marx hat bereits im „Manifest" nachgewiesen, daß die Bourgeoisie gezwungen ist, die Produktivkräfte beständig in bestimmten Eigenschaften zu revolutionieren. Die Stellung der Bourgeoisie zur wissenschaftlich-technischen Revolution zeigt auch in der Gegenwart, daß das Profitgesetz dazu zwingt, Wissenschaft und Technik voll der kapitalistischen Vermarktung zu unterwerfen. Die charakteristische Deformierung der wissenschaftlich-technischen Revolution entsprechend den Interessen des Kapitals bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Produktivkräfte, auf die Menschen, ohne die auch die profitorientierte Entwicklung von Wissenschaft und Technik nicht existieren kann. Es entstehen objektive Widersprüche, von denen der zwischen Macht und Geist gerade innerhalb der wissenschaftlichen und technischen Intelligenz reflektiert wird und in seinen politischen und ideologischen Folgen die Monopolbourgeoisie und den imperialistischen Staat nicht ohne Sorge läßt. Wie Marx nachgewiesen hat, muß die Bourgeoisie die ihr vom Profitgesetz aufgegebene partielle Revolutionierung der Produktivkräfte durch geeignete Maßnahmen „absichern", um nicht eine systemsprengende Potenz erwachsen zu lassen. Es ist also nicht erst in der Zeit der wissenschaftlich-technischen Revolution unserer Epoche vor die Bourgeoisie die Aufgabe gestellt, Produktivkraftentwicklung auf der einen Seite und Macht-

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und Herrschaftssicherung des „Systems" auf der anderen Seite zu bewältigen. Diese Aufgabe gehört zum Wesen bourgeoiser Existenz überhaupt. Folglich bestimmt sich von daher die Stellung der Bourgeoisie zum gesellschaftlichen Fortschritt. Mit anderen Worten : Man kann von einer Art immanentem Konservatismus bourgeoiser Politik und Ideologie sprechen. Nicht nur, daß die bestehende „Ordnung" als „ewig" deklariert und unter diesem reaktiven Vorzeichen abzusichern versucht wird, sondern auch die Revolutionierung der Produktivkräfte unterliegt in der Weite und Tiefe ihrer Entwicklung diesem alles beherrschenden systemstabilisierenden Interesse des Kapitals. Es kann so nicht verwundern, daß gerade die exponiert konservativen Kräfte einen besonderen Aktivismus an den Tag legen, wenn es um die Rücknahme der verschiedensten Folgeerscheinungen aus dem Prozeß der Revolutionierung der Produktivkräfte geht. Diese Rücknahme auf politischem und ideologischem Feld läßt sich vor allem als ein Angriff auf die in schweren Klassenschlachten errungenen Rechte und Errungenschaften der werktätigen Massen beobachten. Wo dies nicht ohne eine gefährliche Verschärfung der Klassengegensätze zu bewerkstelligen ist oder wo dies aus taktischen Gründen für den entsprechenden Zeitpunkt nicht opportun erscheint, wird zumindest versucht, wirklichen Reformbestrebungen antimonopolistisch-demokratischer Kräfte einen Riegel vorzuschieben, um das Kapital gegenüber nichtumkehrbaren Veränderungen seiner Existenzbedingungen abzusichern. Auf dem Feld der Ideologieentwicklung zeigte sich dies beispielsweise im Zusammenhang mit einer konservativen „Anreicherung" des industriegesellschaftlichen Pathos. Durch die sich verschärfende und vertiefende allgemeine Krise des Kapitalismus erschienen die ideologischen Leitbilder, wie sie vor allem auf dem Boden der Industriegesellschaftstheorie wuchsen, als eine ungerechtfertigte Euphorie bezüglich der ökonomischen, politischen und ideologischen Erwartungen. Die Tatsache, daß wesentliche Glorifizierungen des „neuen Kapitalismus" durch die Krise zwangsläufig zu massenhaften Desilhisionierungen führten, wo der Kapitalismus wieder hinter dem ideologischen Schleier als das hervortrat, was er immer war, ließ ein erhebliches Ideologiedefizit seitens der Bourgeoisie entstehen. In diese Lücke stieß zunächst eine deutlich skeptische und in vielen Positionen sogar pessimistische bürgerliche Ideologieproduktion. Die ersten Studien des Club of Rome setzten dafür ein deutliches Zeichen. Allein dessen Theorien und Prognosen konnten die erwartete ideologische Schutzfunktion noch nicht bieten. Zusammen mit dieser Entwicklung läßt sich beobachten, daß von konservativer Seite die allgemeine Krisenlage wie die auf dem Feld der bürgerlichen Ideologie im besonderen ausgenutzt wird, um mit einem offenen Weltanschauungsaktivismus ideologische Leerstellen zu besetzen. Pessimismus und Skepsis werden in ihren Konturen dabei vielfach erst noch einmal nachgezeichnet, um dann um so farbenprächtiger mit Scheinalternativen locken zu können. Es handelt sich dabei nicht nur um Entwicklungen in der sogenannten Alltagsideologie, sondern um Bewegungen, die bis in den weltanschaulichphilosophischen und sozial- wie politikwissenschaftlichen Begründungsrahmen hineinreichen. Dabei ist zu erkennen, daß traditionelle philosophische Grundlagen konservativen Denkens und sozial- wie politikwissenschaftliche Grundlagen konservativer Politik den neuen Bedingungen anzupassen versucht werden. Philosophische Anthropologie, philosophischer Irrationalismus oder ein traditioneller Kulturpessimismus erleben zwar eine Renaissance, aber in den programmatischen Ableitungen für die politische Ideologie werden die Ideengehalte an die modernen Erfordernisse herangeführt. Das ist besonders dort der Fall und an auffälligen Erscheinungen nachweisbar, wo sich konservative 70

Ideologie und Politik auf naturwissenschaftliche Quellen, Traditionen, Erfahrungen und von ihnen ausgehende soziale Warnungen berufen kann. Biologismus, Physikalismus, Psychologismus und Ökologie sind nur einige Stichworte, die auf die ausgedehnten Felder aufmerksam machen sollen, auf denen der Konservatismus seine unheilvolle Saat ausstreut und zu ernten gedenkt. Zweifellos ist es eine Aufgabe marxistisch-leninistischer Untersuchungen, in einem langfristigen Forschungsprogramm diese Entwicklungen der ständigen Analyse und Kritik zu unterwerfen. Die bisherigen Potentiale der Forschung sind in dieser Hinsicht erweiterungsbedürftig, um der ganzen Komplexität dieser Problematik im Zusammenhang mit dem sich verschärfenden Klassenkampf zwischen Sozialismus und Imperialismus besonders auch auf ideologischem Gebiet entsprechen zu können.

Georg Domin Die marxistisch-leninistischen Forschungen zum Konservatismus - besonders die durch Elm, Lozek und Albrecht eingebrachten Untersuchungen - verdeutlichen zugleich, daß es neben einer Reihe grundsätzlich gelöster Probleme auch einige Fragen gibt, die erst im Zusammenhang mit weiterer systematischer Forschung zu lösen sein werden. Auch bei der Untersuchung wissenschaftstheoretischer und wissenschaftspolitischer Standpunkte der Bourgeoisie zeigt sich, daß Entwicklungen des Konservatismus höchste Aufmerksamkeit verdienen. Hier soll nur auf ein Problem hingewiesen werden. Man kann bei Einschätzungen des Charakters bürgerlicher Theorien - und nicht nur solcher zur Wissenschaft - eine Tendenz finden, „konservativ" als Attribut ihrer Charakterisierung zu verwenden. Sofern es sich aber um theoretische Grundaussagen handelt, kann auf ihre Eigenschaften zunächst einmal weder das Attribut „konservativ" noch das von „liberal" noch das von „reformistisch" angewendet werden. Unter dem Gesichtspunkt ihrer Eigenschaften als Theorie sind auch bürgerliche sozial- und politikwissenschaftliche Aussagen danach zu bewerten, ob sie wahr oder falsch sind. Frühestens im Kontext der Gesamtaussage lassen sich Verpflichtungen auf politischideologische Richtungen deutlich ausmachen. So ist es durchaus möglich, daß aus einer Summe von wahren Aussagen über gesellschaftliche Sachverhalte eine politisch oder ideologisch konservative Schlußfolgerung gezogen werden kann. Mehr noch ist es eine Tatsache, daß die Kopplung von wahren Aussagen über gesellschaftliche Sachverhalte mit der Ausklammerung des Wesens dieser Dinge i'nd Erscheinungen eine Wertung des Gesamtzusammenhanges nahelegt, die einer bestimmten politisch-ideologischen Zielverpflichtung Rechnung trägt. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt man, wenn die politischideologische Wertung bereits vorangestellt wird und um diese herum Aussagen gruppiert werden, die allein durch ihre Auswahl und Zusammenstellung einen auf Evidenz pochenden Wahrheitsgehalt beanspruchen. D a ß dies gerade dann überzeugend wirken kann, wenn es sich um Aussagen handelt, die für das Alltagsbewußtsein aufgrund der erfahrungsmäßigen Kontrolle als wahr gelten, ist eine immer wieder zu beobachtende Erscheinung bourgeoiser Ideologiebildung. Es geht also darum, diesen „Produktionsmechanismus" aufzudecken. Dabei wird zwischen der Beurteilung des Wahrheitsgehaltes von theoretischen Grundaussagen über gesellschaftliche Sachverhalte und ihrer im Kontext erfolgenden Anwendung auf politischideologische und politisch-praktische Aspekte zu differenzieren sein. Das Enthaltensein 71

Ideologie und Politik auf naturwissenschaftliche Quellen, Traditionen, Erfahrungen und von ihnen ausgehende soziale Warnungen berufen kann. Biologismus, Physikalismus, Psychologismus und Ökologie sind nur einige Stichworte, die auf die ausgedehnten Felder aufmerksam machen sollen, auf denen der Konservatismus seine unheilvolle Saat ausstreut und zu ernten gedenkt. Zweifellos ist es eine Aufgabe marxistisch-leninistischer Untersuchungen, in einem langfristigen Forschungsprogramm diese Entwicklungen der ständigen Analyse und Kritik zu unterwerfen. Die bisherigen Potentiale der Forschung sind in dieser Hinsicht erweiterungsbedürftig, um der ganzen Komplexität dieser Problematik im Zusammenhang mit dem sich verschärfenden Klassenkampf zwischen Sozialismus und Imperialismus besonders auch auf ideologischem Gebiet entsprechen zu können.

Georg Domin Die marxistisch-leninistischen Forschungen zum Konservatismus - besonders die durch Elm, Lozek und Albrecht eingebrachten Untersuchungen - verdeutlichen zugleich, daß es neben einer Reihe grundsätzlich gelöster Probleme auch einige Fragen gibt, die erst im Zusammenhang mit weiterer systematischer Forschung zu lösen sein werden. Auch bei der Untersuchung wissenschaftstheoretischer und wissenschaftspolitischer Standpunkte der Bourgeoisie zeigt sich, daß Entwicklungen des Konservatismus höchste Aufmerksamkeit verdienen. Hier soll nur auf ein Problem hingewiesen werden. Man kann bei Einschätzungen des Charakters bürgerlicher Theorien - und nicht nur solcher zur Wissenschaft - eine Tendenz finden, „konservativ" als Attribut ihrer Charakterisierung zu verwenden. Sofern es sich aber um theoretische Grundaussagen handelt, kann auf ihre Eigenschaften zunächst einmal weder das Attribut „konservativ" noch das von „liberal" noch das von „reformistisch" angewendet werden. Unter dem Gesichtspunkt ihrer Eigenschaften als Theorie sind auch bürgerliche sozial- und politikwissenschaftliche Aussagen danach zu bewerten, ob sie wahr oder falsch sind. Frühestens im Kontext der Gesamtaussage lassen sich Verpflichtungen auf politischideologische Richtungen deutlich ausmachen. So ist es durchaus möglich, daß aus einer Summe von wahren Aussagen über gesellschaftliche Sachverhalte eine politisch oder ideologisch konservative Schlußfolgerung gezogen werden kann. Mehr noch ist es eine Tatsache, daß die Kopplung von wahren Aussagen über gesellschaftliche Sachverhalte mit der Ausklammerung des Wesens dieser Dinge i'nd Erscheinungen eine Wertung des Gesamtzusammenhanges nahelegt, die einer bestimmten politisch-ideologischen Zielverpflichtung Rechnung trägt. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt man, wenn die politischideologische Wertung bereits vorangestellt wird und um diese herum Aussagen gruppiert werden, die allein durch ihre Auswahl und Zusammenstellung einen auf Evidenz pochenden Wahrheitsgehalt beanspruchen. D a ß dies gerade dann überzeugend wirken kann, wenn es sich um Aussagen handelt, die für das Alltagsbewußtsein aufgrund der erfahrungsmäßigen Kontrolle als wahr gelten, ist eine immer wieder zu beobachtende Erscheinung bourgeoiser Ideologiebildung. Es geht also darum, diesen „Produktionsmechanismus" aufzudecken. Dabei wird zwischen der Beurteilung des Wahrheitsgehaltes von theoretischen Grundaussagen über gesellschaftliche Sachverhalte und ihrer im Kontext erfolgenden Anwendung auf politischideologische und politisch-praktische Aspekte zu differenzieren sein. Das Enthaltensein 71

wahrer theoretischer Aussagen in einem bestimmten Bedingungs- und Begründungszusammenhang wird erst eine Charakterisierung erlauben, die zurecht eine nähere Bestimmung als „konservativ", „liberal" oder „reformistisch" ermöglicht. Für die Analyse und Kritik entsprechender Auffassungen bedeutet dies auch, daß die Korrespondenzen zwischen möglichen Funktionen einer Theorie und ihrer politischideologischen Praktikabilität näher untersucht werden müssen. Es ist sicher der Fall, daß gerade der Konservatismus auf ein relativ eingeengtes Spektrum wahrer theoretischer Grundaussagen angewiesen ist und daß sich dieses möglicherweise mit der weiteren Verschärfung und Vertiefung der allgemeinen Krise des Kapitalismus und der sich daraus ableitenden Krise der bürgerlichen Ideologie noch weiter einschränkt. Die Begründungsinstrumentarien für eine politisch-ideologische Programmatik und politischpraktische Vorhaben und Maßnahmen sind - gerade wenn es sich um sozial- und politikwissenschaftliche Theorienbildungen handelt - einer tieferen und differenzierteren Analyse und Kritik sowie einer komplexeren Wertung, zu unterziehen. Sicher wird in der weiteren Erforschung dieser Entwicklungen die marxistisch-leninistische Untersuchung in zweierlei Hinsicht Schwerpunkte zu setzen haben: Es ist erstens der konservative Gehalt in bürgerlichen sozial- und politikwissenschaftlichen Auffassungen genauer zu bestimmen. Dabei muß zugleich das Arsenal fixiert werden, das von den entsprechenden Theorien gebildet wird, auf die der Konservatismus vorzugsweise zurückgreift bzw. das er vorzugsweise meidet. Zweitens sind die Beziehungen zwischen der allgemeinen Wissenschaftsentwicklung unter den Bedingungen des ; taatsmonopolistischen Kapitalismus, des Platzes dieser Entwicklungen innerhalb des Fortschritts von Wissenschaft und Technik, der Stellung entsprechender Theorien zum Fortschritt der Menschheit und ihres Verhältnisses zum Konservatismus ebenso einer gründlichen Analyse und Kritik zu unterwerfen wie die Stellung und das Verhältnis des Konservatismus zu diesen Beziehungen selbst. Die marxistisch-leninistische Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte sieht in dieser Aufgabe eine ihrer wesentlichen Forschungsverpflichtungen, denen sie nur durch interdisziplinäre Arbeit entsprechen kann.

Eberhard Fromm Die bisherigen Ergebnisse der marxistisch-leninistischen Forschung zum Konservatismus in der bürgerlichen Ideologie und Politik haben bereits zu bemerkenswerten Fortschritten geführt. Sicher ist dies ein Ergebnis, daß die Untersuchungen stets von der Einheit des Marxismus-Leninismus in seinen drei Bestandteilen getragen waren. Auch die interdisziplinär vorgetragene Problemstellung des im Rat gepflegten Gedankenaustausches und der so ausgeweiteten Grundlage für die notwendigen Problemlösungen haben diese Entwicklung unterstützt und gefördert. Dennoch stehen vor der marxistisch-leninistischen Erforschung dieses Problemkreises noch eine Reihe wichtiger Aufgaben. Dazu zählt sicher auch das Problem einer genauen Bestimmung der Kriterien für Konservatismus. So sehr diese Kriterien das Allgemeine zu erfassen haben und so sehr die wesentlichen Merkmale herauszuheben sind, bleibt es doch zugleich auch eine Aufgabe, die Differenzierungen innerhalb des Spektrums „konservativ" genauer zu bestimmen. Diese Aufgabe ist nicht nur einem notwendigen weiteren theoretischen Klärungsprozeß verpflichtet, sondern steht auch in einer engen Be72

wahrer theoretischer Aussagen in einem bestimmten Bedingungs- und Begründungszusammenhang wird erst eine Charakterisierung erlauben, die zurecht eine nähere Bestimmung als „konservativ", „liberal" oder „reformistisch" ermöglicht. Für die Analyse und Kritik entsprechender Auffassungen bedeutet dies auch, daß die Korrespondenzen zwischen möglichen Funktionen einer Theorie und ihrer politischideologischen Praktikabilität näher untersucht werden müssen. Es ist sicher der Fall, daß gerade der Konservatismus auf ein relativ eingeengtes Spektrum wahrer theoretischer Grundaussagen angewiesen ist und daß sich dieses möglicherweise mit der weiteren Verschärfung und Vertiefung der allgemeinen Krise des Kapitalismus und der sich daraus ableitenden Krise der bürgerlichen Ideologie noch weiter einschränkt. Die Begründungsinstrumentarien für eine politisch-ideologische Programmatik und politischpraktische Vorhaben und Maßnahmen sind - gerade wenn es sich um sozial- und politikwissenschaftliche Theorienbildungen handelt - einer tieferen und differenzierteren Analyse und Kritik sowie einer komplexeren Wertung, zu unterziehen. Sicher wird in der weiteren Erforschung dieser Entwicklungen die marxistisch-leninistische Untersuchung in zweierlei Hinsicht Schwerpunkte zu setzen haben: Es ist erstens der konservative Gehalt in bürgerlichen sozial- und politikwissenschaftlichen Auffassungen genauer zu bestimmen. Dabei muß zugleich das Arsenal fixiert werden, das von den entsprechenden Theorien gebildet wird, auf die der Konservatismus vorzugsweise zurückgreift bzw. das er vorzugsweise meidet. Zweitens sind die Beziehungen zwischen der allgemeinen Wissenschaftsentwicklung unter den Bedingungen des ; taatsmonopolistischen Kapitalismus, des Platzes dieser Entwicklungen innerhalb des Fortschritts von Wissenschaft und Technik, der Stellung entsprechender Theorien zum Fortschritt der Menschheit und ihres Verhältnisses zum Konservatismus ebenso einer gründlichen Analyse und Kritik zu unterwerfen wie die Stellung und das Verhältnis des Konservatismus zu diesen Beziehungen selbst. Die marxistisch-leninistische Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte sieht in dieser Aufgabe eine ihrer wesentlichen Forschungsverpflichtungen, denen sie nur durch interdisziplinäre Arbeit entsprechen kann.

Eberhard Fromm Die bisherigen Ergebnisse der marxistisch-leninistischen Forschung zum Konservatismus in der bürgerlichen Ideologie und Politik haben bereits zu bemerkenswerten Fortschritten geführt. Sicher ist dies ein Ergebnis, daß die Untersuchungen stets von der Einheit des Marxismus-Leninismus in seinen drei Bestandteilen getragen waren. Auch die interdisziplinär vorgetragene Problemstellung des im Rat gepflegten Gedankenaustausches und der so ausgeweiteten Grundlage für die notwendigen Problemlösungen haben diese Entwicklung unterstützt und gefördert. Dennoch stehen vor der marxistisch-leninistischen Erforschung dieses Problemkreises noch eine Reihe wichtiger Aufgaben. Dazu zählt sicher auch das Problem einer genauen Bestimmung der Kriterien für Konservatismus. So sehr diese Kriterien das Allgemeine zu erfassen haben und so sehr die wesentlichen Merkmale herauszuheben sind, bleibt es doch zugleich auch eine Aufgabe, die Differenzierungen innerhalb des Spektrums „konservativ" genauer zu bestimmen. Diese Aufgabe ist nicht nur einem notwendigen weiteren theoretischen Klärungsprozeß verpflichtet, sondern steht auch in einer engen Be72

Ziehung zu den politisch-ideologischen Erfordernissen der Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus. Aus dem Zusammenhang beider Momente läßt sich eine Reihe Erfordernisse für die weitere langfristige Forschung ableiten, von denen hier besonders folgende genannt seien: Erstens. Die Forschungen müssen beschleunigt internationalisiert werden. Vom Gegenstand „Konservatismus" betrifft dies vor allem Untersuchungen über die Entwicklungen des Konservatismus in den Ländern der E W G und in den USA. Besonders in den USA lassen sich Tendenzen beobachten, die eine bewußte Abkehr bedeutender Teile der Mittel- und Großbourgeoisie von den Prinzipien des Liberalismus bedeuten. Die Wendung, die nur sehr unzulänglich mit dem Begriff der „Tendenzwende" erfaßt wird, geht eindeutig in Richtung Konservatismus. Besonders dessen äußerste rechte Flanke zeigt schon heute nicht unwesentliche Auswirkungen auf die Innen- und Außenpolitik der USA. Von den Erscheinungen her wird dies verdeutlicht durch eine enge Verbindung zwischen Politik und Moral sowie den Versuch, die internationale Rolle der USA in ihrem Erscheinungsbild von einem „We'tgendarm in einen Weltmoralisten" umzuwandeln. Der offene Rückgriff auf den moralischen Aktivismus konservativer Kräfte innerhalb der sogenannten Realistischen Schule von der Politik (Niebuhr) und der damit gekoppelte Rückgriff auf politisch-strategische Konzeptionen des antikommunistischen Globalismus sprechen in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache. Zweitens. Konservatismus wird in einem zunehmenden Maße von den bürgerlichen Ideologen und Politikern als notwendiger „Zeitgeist" empfunden, als die Geisteshaltung, die der gegenwärtigen Zeit und den herrschenden Umständen für die Existenz der Monopolbourgeoisie einzig angemessen sei. Zugleich geht dieses konservative Welt- und Selbstverständnis der internationalen Monopolbourgeoisie einher mit Versuchen, den Marxismus-Leninismus in den Konservatismus „hineinzuziehen". Es handelt sich dabei um den Versuch, den Marxismus-Leninismus gleichfalls als konservativ zu charakterisieren. Sein Gebrauch in den Ländern des Sozialismus sei einer konservativen Zielstellung unterworfen, wird behauptet. Demgegenüber wären Versuche der Revision des Marxismus-Leninismus, Erscheinungen des „Neo-" und des „wahren Marxismus" zu unterscheiden. Diese Tendenz bei der Bewertung ideologischer Prozesse durch die bürgerlichen Ideologen verfolgt zum einen den Zweck, über eine Charakterisierung der sozialistischen Ideologie als „konservativ" eine indirekte ideologische Legitimierung für die eigenen, massiv vorgetragenen konservativen Bestrebungen zu erlangen. Zugleich zielt dieser ideologische Angriff auf die Einheit und Geschlossenheit der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung und ihre revolutionäre Weltanschauung. Drittens. Der gewachsenen Offensive des Marxismus-Leninismus will der Konservatismus auch dadurch begegnen, daß er versucht, wenigstens äußerlich den Eindruck zu erwecken, daß er ein geschlossenes Weltbild anzubieten habe, mit dem er die Grundfragen der Menschheit in der Gegenwart und Zukunft beantworten könne. Unübersehbar ist die Tendenz, auf Grundprobleme der gegenwärtigen Epoche offen einzugehen und - natürlich konservative - Antworten anzubieten. In dieser Hinsicht können gewisse Möglichkeiten der Massenwirksamkeit nicht außerhalb genauer Untersuchung gelassen werden. Dabei sind wenigstens zwei miteinander zusammenhängende Faktoren zu beachten: Einmal wird ein konservatives Weltbild in Konfrontation und als Alternative zur Ideologie und Politik des in einer tiefen Krise befindlichen Sozialreformismus vermittelt. Die internationalen Bestrebungen des Konservatismus, zu einer größeren Vereinheitlichung und Geschlossenheit zu gelangen, sind deutliche Zeichen für diese Stra73

tegie. Zugleich gelten diese Bestrebungen einem Ausnutzen der Tatsache, daß große Teile der werktätigen Massen von der Politik und Ideologie des Reformismus (in der besonderen Verkörperung durch rechte sozialdemokratische Parteiführungen) enttäuscht sind und nach Alternativen verlangen. Daraus resultiert zweitens, daß der Konservatismus mit seinem vielfach militanten Weltanschauungsaktivismus vorbeugen will, daß bei der Suche nach politischen und ideologischen Alternativen zum Sozialreformismus die Politik und Ideologie der revolutionären Arbeiterparteien weitere Positionen erkämpfen kann. Der Konservatismus zeigt sich mithin bestrebt, dort, wo es zu einer Art ideologischem Vakuum gekommen ist, mit seinen politisch-ideologischen Konzeptionen hineinzustoßen. Deshalb ist er in der Verfolgung dieser Zielstellung zwangsläufig darauf angewiesen, einen militanten Antikommunismus und Antisowjetismus permanent in die politisch-ideologische Auseinandersetzung hineinzutragen. Das betrifft die innen- und außenpolitische Strategie des Konservatismus gleichermaßen. Viertens. Schließlich werden die Forschungen zum Konservatismus genauere Analysen anzustellen haben, die das reaktionäre „Erbe" des Konservatismus in ideologisch-theoretischer und in ideologisch-politischer Hinsicht betreffen. Die konservative Erberezeption ist ein Versuch, sich der Geschichte zu bemächtigen als eines Instrumentariums seiner politischen und ideologischen Aggressivität.

Herbert Häber Die marxistisch-leninistischen Forschungen zum Konservatismus haben Ergebnisse erbracht, die für die politisch-ideologische Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus besonders auch deshalb wichtig sind, weil sie bei der Verschärfung des ideologischen Klassenkampfes zur Stärkung der Offensive des Marxismus-Leninismus beitragen. Unter diesem Gesichtspunkt sind auch künftige Vorhaben zu planen und durchzuführen. Es ist deshalb erforderlich, sich der Ausgangspositionen einer erfolgreichen Forschung stets neu zu versichern, die methodologische Basis der Untersuchungen zu überprüfen und die Grundlagen für die Analyse und Kritik so auszubauen, daß die Forschungsergebnisse noch effektiver in die Praxis übergeführt werden können. Besondere Beachtung für die weiteren Arbeiten verdient die Entwicklung des methodologischen Ansatzes für die Analyse des Konservatismus. Dabei kommt es vor allem darauf an, die sozialökonomische Determiniertheit der verschiedenen Erscheinungen und Prozesse, die dem Konservatismus zugeordnet werden, bereits in den Ausgangsfragen stärker zu berücksichtigen. Es handelt sich insofern nicht nur um eine Verbesserung der methodologischen Grundlagen für die Problemstellung, sondern auch um präzisere Grundlagen für die Analyse. Denn zusammengenommen wirken sich diese beiden Faktoren in einem erheblichen Maße auf die politisch-ideologischen Schlußfolgerungen aus, die aus den jeweiligen Forschungsarbeiten gezogen werden. Der entscheidende Grundsatz kann deshalb nur lauten: Bereits in der Problemstellung ist von der dialektischen Einheit von Ökonomie, Politik und Ideologie auszugehen. Die Fragestellungen für die jeweilige Analyse und ihre Teilschritte sind gleichfalls auf der Grundlage dieser Einheit und Wechselwirkung zu entwickeln. Da der Gegenstand „Konservatismus" wegen seiner Heterogenität besondere Anforderungen an die Analyse stellt und weil die Auseinandersetzung mit dem Konservatismus ideologisch nur dann effektiv und überzeugend geführt werden kann, wenn diese Einheit im Gesamtfeld der For74

tegie. Zugleich gelten diese Bestrebungen einem Ausnutzen der Tatsache, daß große Teile der werktätigen Massen von der Politik und Ideologie des Reformismus (in der besonderen Verkörperung durch rechte sozialdemokratische Parteiführungen) enttäuscht sind und nach Alternativen verlangen. Daraus resultiert zweitens, daß der Konservatismus mit seinem vielfach militanten Weltanschauungsaktivismus vorbeugen will, daß bei der Suche nach politischen und ideologischen Alternativen zum Sozialreformismus die Politik und Ideologie der revolutionären Arbeiterparteien weitere Positionen erkämpfen kann. Der Konservatismus zeigt sich mithin bestrebt, dort, wo es zu einer Art ideologischem Vakuum gekommen ist, mit seinen politisch-ideologischen Konzeptionen hineinzustoßen. Deshalb ist er in der Verfolgung dieser Zielstellung zwangsläufig darauf angewiesen, einen militanten Antikommunismus und Antisowjetismus permanent in die politisch-ideologische Auseinandersetzung hineinzutragen. Das betrifft die innen- und außenpolitische Strategie des Konservatismus gleichermaßen. Viertens. Schließlich werden die Forschungen zum Konservatismus genauere Analysen anzustellen haben, die das reaktionäre „Erbe" des Konservatismus in ideologisch-theoretischer und in ideologisch-politischer Hinsicht betreffen. Die konservative Erberezeption ist ein Versuch, sich der Geschichte zu bemächtigen als eines Instrumentariums seiner politischen und ideologischen Aggressivität.

Herbert Häber Die marxistisch-leninistischen Forschungen zum Konservatismus haben Ergebnisse erbracht, die für die politisch-ideologische Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus besonders auch deshalb wichtig sind, weil sie bei der Verschärfung des ideologischen Klassenkampfes zur Stärkung der Offensive des Marxismus-Leninismus beitragen. Unter diesem Gesichtspunkt sind auch künftige Vorhaben zu planen und durchzuführen. Es ist deshalb erforderlich, sich der Ausgangspositionen einer erfolgreichen Forschung stets neu zu versichern, die methodologische Basis der Untersuchungen zu überprüfen und die Grundlagen für die Analyse und Kritik so auszubauen, daß die Forschungsergebnisse noch effektiver in die Praxis übergeführt werden können. Besondere Beachtung für die weiteren Arbeiten verdient die Entwicklung des methodologischen Ansatzes für die Analyse des Konservatismus. Dabei kommt es vor allem darauf an, die sozialökonomische Determiniertheit der verschiedenen Erscheinungen und Prozesse, die dem Konservatismus zugeordnet werden, bereits in den Ausgangsfragen stärker zu berücksichtigen. Es handelt sich insofern nicht nur um eine Verbesserung der methodologischen Grundlagen für die Problemstellung, sondern auch um präzisere Grundlagen für die Analyse. Denn zusammengenommen wirken sich diese beiden Faktoren in einem erheblichen Maße auf die politisch-ideologischen Schlußfolgerungen aus, die aus den jeweiligen Forschungsarbeiten gezogen werden. Der entscheidende Grundsatz kann deshalb nur lauten: Bereits in der Problemstellung ist von der dialektischen Einheit von Ökonomie, Politik und Ideologie auszugehen. Die Fragestellungen für die jeweilige Analyse und ihre Teilschritte sind gleichfalls auf der Grundlage dieser Einheit und Wechselwirkung zu entwickeln. Da der Gegenstand „Konservatismus" wegen seiner Heterogenität besondere Anforderungen an die Analyse stellt und weil die Auseinandersetzung mit dem Konservatismus ideologisch nur dann effektiv und überzeugend geführt werden kann, wenn diese Einheit im Gesamtfeld der For74

schungen eine bestimmende Rolle spielt, ist immer auch von der Einheit und Geschlossenheit des Marxismus-Leninismus in seinen drei Bestandteilen auszugehen. Daraus ergibt sich unverzichtbar die Notwendigkeit, interdisziplinär zu arbeiten. Die Verwirklichung dieser Forschungsprinzipien und die konsequente Handhabung der interdisziplinären Forschung wird es dann auch ausschließen, daß Untersuchungen den Eindruck vermitteln, als seien die Erscheinungen der allgemeinen Krise des Kapitalismus in der Gegenwart „zusätzliche Attribute" zum Wesen des Kapitalismus. Es ist jedoch eine unverrückbare Tatsache: Die Krise des Kapitalismus drückt das Wesen des Kapitalismus aus. Die gegenwärtigen Existenzbedingungen des Kapitals, die Lage der Bourgeoisie in der Gegenwart ist objektiv bestimmt durch den Charakter unserer Epoche. Die Faktoren und Erscheinungen der Vertiefung und Verschärfung der allgemeinen Krise unter den gegenwärtigen Bedingungen sind keine „Attribute" oder Eigenschaften neben vielen anderen, sondern der Ausdruck des Wesens des Kapitalismus in seinem letzten historischen Stadium: dem Imperialismus. Deshalb ist es vor allem erforderlich, die Leninsche Imperialismustheorie als methodologische Grundlage der Forschungen zum Konservatismus stärker als bisher für die Problemstellung, die Analyse und die Bewertung anzuwenden und auszuschöpfen. Der ganze Erkenntnisschatz des Marxismus-Leninismus in der Auseinandersetzung mit der reaktionären Ideologie und Politik des Imperialismus muß in die Untersuchungen einfließen. D i e marxistisch-leninistische Forschung hat sich stets der fortgeschrittensten Ergebnisse der gesellschaftswissenschaftlichen Forschung und der Erfahrungen des ideologischen Kampfes zu versichern. Das gilt generell und sicher mit besonderer Bedeutung bei der Auseinandersetzung mit dem Konservatismus als einer Politik und Ideologie der internationalen Monopolbourgeoisie. Ein solches Herangehen läßt wesentliche Entwicklungsprozesse in der Ideologie und Politik des Konservatismus genauer bestimmen und in ihren Beziehungen zum Allgemeinen bürgerlicher Ideologie und Politik differenzierter erklären. Dies gilt beispielsweise auch für das Problem, daß die Wiederbelebungen traditioneller ideologischer Richtungen durch den Konservatismus, die von ihrem äußeren Erscheinungsbild und ihrer ungewöhnlichen Stellung zu den bereits bekannten ideologischen Prozessen zunächst als etwas Neues erscheinen, in Wirklichkeit nichts anderes ist als eine zweck- und funktionsbestimmte Restauration einer Ideologie, die sich in Wahrheit in einer tiefen Krise befindet. Unverzichtbar für jedwede Untersuchung der Entwicklungen in der bürgerlichen Ideologie und Politik - und eben auch der des Konservatismus - ist deshalb die Bestimmung ihrer Rolle und Stellung innerhalb der Gesetzmäßigkeiten der Epoche des weltweiten Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. Angesichts von 60 Jahren realer Existenz des Sozialismus, eingeleitet durch die Große Sozialistische Oktoberrevolution, ist die Krise der imperialistischen Ideologie und Politik immer zugleich auch ein bestimmter Reflex auf diese weltgeschichtliche Entwicklung. Der Konservatismus ist in besonderer Weise von der Monopolbourgeoisie dazu auserkoren, um zu einem neuerlichen Versuch anzusetzen, im internationalen Maßstab aus der historischen Defensive herauszukommen, die Offensive des Sozialismus in Theorie und Praxis zu bremsen und zurückzuwerfen. Gegenüber dieser grundsätzlichen Betrachtungsweise und ihrer methodologischen Bedeutung für die entsprechenden Untersuchungen erweist sich jede einschränkende, nur ideologiekritische Untersuchung als unzureichend. Die genannten Grundsätze erweisen sich auch bei einem weiteren Problemkreis als von ausschlaggebender Bedeutung. So muß man die Geschäftigkeit konservativer Politik und den Aktivismus konservativer Ideologie auch als eine Reaktion bewerten, die die 75

Bourgeoisie gegenüber der Krise des Reformismus für zweckmäßig und notwendig ansieht. Befürchtungen bourgeoiser Kreise, daß der Reformismus beim Versuch seiner Krisenbewältigung nach „links" abdriften könne, spielen dabei sicher eine gewisse Rolle. Doch ist dieser Faktor auf keinen Fall überzubewerten. Die vielberufene Beeinträchtigung der Macht- und Herrschaftspositionen des Kapitals durch sozialreformistische Politik ist häufig nicht mehr als eine zweckpessimistische Lagebeurteilung, mit der der Weg frei gemacht werden soll, um die rechtesten Kräfte der Bourgeoisie an die Regierungsgewalt heranzuführen. Denn echte Alternativen sind von ihnen ohnehin weder auf innen- noch auf außenpolitischem Feld zu erwarten. Gleichwohl gilt es zu sehen, daß es zwischen einer wirklichen Verunsicherung führender Politiker und Ideologen auf der konservativen Flanke und den offiziell geäußerten Befürchtungen unter dem Mantel einer Zweckpropaganda über „Sozialisierungstendenzen", enge Beziehungen gibt. Das immer offensichtlicher werdende Scheitern der sozialliberalen Reformpolitik auf den verschiedensten Gebieten und der damit verbundene raschere Verschleiß entsprechender ideologischer Leitbilder wirkt natürlich direkt begünstigend für die Bestrebungen des Konservatismus. Die Forschung hat bezüglich der genauen Untersuchung dieser Entwicklungen eine verantwortungsvolle Aufgabe zu erfüllen. Ein Teil dieser Forschungen wird sich sicher auch der weiteren differenzierten Analyse der sogenannten Schlüsselvorstellungen des Konservatismus, der hauptsächlichen theoretischen Arsenale, der entscheidenden Institutionen und Organisationen sowie der Repräsentanten des Konservatismus zuwenden müssen. Es geht auch hier nicht um eine bloße Beschreibung dessen, was ist, sondern vor allem um die Bestimmung der Wechselbeziehungen zwischen den exponierten Vertretern des Konservatismus und den Hauptgruppierungen der Monopolbourgeoisie. Der erste Schritt dieser Forschung wird sicher darin bestehen müssen, das, was in diesen Beziehungen gegenwärtig als vordringlich zu beachten ist, herauszuarbeiten. Der nächste und wichtigere Schritt wird darin bestehen müssen, die Entwicklungstendenzen - die wahrscheinlichen ebenso wie die weniger wahrscheinlichen - langfristig und für die Praxis hinreichend genau einzuschätzen. Schließlich gehört es zur marxistisch-leninistischen Analyse und Kritik des Konservatismus, seine Beziehungen zum Faschismus genauer zu bestimmen, als dies bisher erfolgt ist. Sicher hat die bisherige Forschung schon nachweisen können, daß durch die konservative Politik und Ideologie neofaschistische Kreise angezogen und assimiliert wurden. Fest steht auch, daß für faschistische Bestrebungen an der äußersten rechten Flanke des Konservatismus eine politische und ideologische Anknüpfungsmöglichkeit besteht, daß verschiedentlich an dieser Stelle manche faschistische Bestrebung eine „neue Heimat" gefunden hat. Zweifellos gilt aber auch, daß von dieser äußersten rechten Flanke die Grenzen zum Faschismus fließend sind und daß manche politisch-ideologische Gruppierung bereit ist, diese Grenze unter gewissen Umständen bewußt zu überschreiten. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß damit sehr aktuelle politische Entwicklungen angesprochen sind. Die Wechselhaftigkeit und Widersprüchlichkeit des Konservatismus gründlicher zu untersuchen, wird auch in diesen Fragen weitere Klarheit verschaffen. Die Forschung zur Genesis der konservativen Ideologie und ihren weltanschaulich-theoretischen Quellen, zur gegenwärtigen Erscheinung und zum Wesen konservativen Denkens wird notwendigerweise in enger Wechselwirkung mit den Forschungen zur Genesis der konservativen Politik und ihren traditionellen Arsenalen, zu den möglichen Grenzen und möglichen Spielräumen konservativer Politik in der Gegenwart erfolgen müssen. Auch wird dabei festzuhalten sein, warum der Konservatismus in der ihm eigenen Art 76

und Weise so und nicht anders auf die revolutionären Prozesse unserer Epoche reagiert und warum er trotz möglicher Erringung von Macht und Einfluß schließlich objektiv zur weiteren Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus beitragen wird. Der hohe politisch-ideologische Stellenwert aller dieser Forschungen verpflichtet die marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften zu kontinuierlicher Forschungsarbeit, in deren Ergebnis ein effektiver Beitrag für die Stärkung unserer revolutionären Strategie und Taktik und ein wirksamer Beitrag zum weiteren Fortschritt der Offensive des Marxismus-Leninismus stehen wird. Die marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaftler wissen sich mit dieser Arbeit dem revolutionären Charakter unserer Epoche, dem Kampf für Frieden und sozialen Fortschritt verbunden.

Harry Klug Im Zusammenhang mit den Untersuchungen zum Konservatismus und seinen Beziehungen zu anderen Richtungen ist berechtigterweise auch die Frage aufgeworfen worden, welcher Art der Einfluß auf die sozialreformistische Politik ist. Auffassungen, wonach sogenannte linke Sozialdemokraten im Verhältnis zu den Ereignissen beispielsweise in Chile eine Konzeption entwickelt hätten, die autoritärer sei als die konservativer Kräfte, entsprechen nicht dem Sachverhalt. Eine solche Einschätzung berücksichtigt unzureichend die notwendige Differenzierung zwischen konservativen und sozialreformistischen Kräften. Eine solche Bewertung geht am Wesen der Sache vorbei. Die Errichtung der faschistischen Diktatur in Chile - so werden manche sozialdemokratischen Stellungnahmen zu diesen Ereignissen gedeutet - sei eine Bestätigung der reformistischen Konzeption von der Klassenzusammenarbeit. Die „kalkulierte Klassenzusammenarbeit" besage, daß die „Veränderungsgeschwindigkeit" der Gesellschaft in Richtung eines „demokratischen Sozialismus" von der „Loyalität der herrschenden Oberschichten" abhängig zu machen sei. Wenngleich diese Linie im Grunde auf eine Verteidigung der Monopolherrschaft hinausläuft, so kann sie doch nicht als eine Rechtfertigung der faschistischen Machtergreifung angesehen werden. Ohne Zweifel gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Konservatismus und Sozialreformismus, allein schon deshalb, weil zum Wesen beider Richtungen der politischen Ideologie und Praxis der Monopolbourgeoisie der vom Antikommunismus durchdrungene Kurs der Sicherung des staatsmonopolistischen Macht- und Herrschaftssystems gehört. Dennoch ist die Berücksichtigung der Unterschiede zwischen konservativen und sozialreformistischen Kräften bezüglich ihrer Haltung zur bürgerlichen Demokratie und zum bürgerlichen Parlamentarismus von nicht geringer Bedeutung. Dies gilt vor allem in der Hinsicht, daß der erfolgreiche Kampf der Arbeiterklasse gegen autoritäre, auf den weiteren Abbau der bürgerlichen Demokratie gerichteten Tendenzen des Monopolkapitals und für die Verteidigung und Erweiterung demokratischer Rechte durch die genannte Fehleinschätzung in eine falsche Richtung orientiert würde. Daß in diesem Zusammenhang auch eine Reihe außenpolitischer Fragen - nicht zuletzt hinsichtlich deren ideologischtheoretischer Grundlagen - der Differenzierung bedürfen, das haben bereits vorliegende Forschungsergebnisse bezüglich der Zusammenhänge der verschiedenen Richtungen in der bürgerlichen politischen Ideologie und Praxis zweifelsfrei ausgewiesen. Auch an diesem Problemkreis läßt sich die Notwendigkeit verdeutlichen, bei weiterführenden Forschungen konsequent von der Einheit von Ökonomie, Politik und Ideo-

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und Weise so und nicht anders auf die revolutionären Prozesse unserer Epoche reagiert und warum er trotz möglicher Erringung von Macht und Einfluß schließlich objektiv zur weiteren Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus beitragen wird. Der hohe politisch-ideologische Stellenwert aller dieser Forschungen verpflichtet die marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften zu kontinuierlicher Forschungsarbeit, in deren Ergebnis ein effektiver Beitrag für die Stärkung unserer revolutionären Strategie und Taktik und ein wirksamer Beitrag zum weiteren Fortschritt der Offensive des Marxismus-Leninismus stehen wird. Die marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaftler wissen sich mit dieser Arbeit dem revolutionären Charakter unserer Epoche, dem Kampf für Frieden und sozialen Fortschritt verbunden.

Harry Klug Im Zusammenhang mit den Untersuchungen zum Konservatismus und seinen Beziehungen zu anderen Richtungen ist berechtigterweise auch die Frage aufgeworfen worden, welcher Art der Einfluß auf die sozialreformistische Politik ist. Auffassungen, wonach sogenannte linke Sozialdemokraten im Verhältnis zu den Ereignissen beispielsweise in Chile eine Konzeption entwickelt hätten, die autoritärer sei als die konservativer Kräfte, entsprechen nicht dem Sachverhalt. Eine solche Einschätzung berücksichtigt unzureichend die notwendige Differenzierung zwischen konservativen und sozialreformistischen Kräften. Eine solche Bewertung geht am Wesen der Sache vorbei. Die Errichtung der faschistischen Diktatur in Chile - so werden manche sozialdemokratischen Stellungnahmen zu diesen Ereignissen gedeutet - sei eine Bestätigung der reformistischen Konzeption von der Klassenzusammenarbeit. Die „kalkulierte Klassenzusammenarbeit" besage, daß die „Veränderungsgeschwindigkeit" der Gesellschaft in Richtung eines „demokratischen Sozialismus" von der „Loyalität der herrschenden Oberschichten" abhängig zu machen sei. Wenngleich diese Linie im Grunde auf eine Verteidigung der Monopolherrschaft hinausläuft, so kann sie doch nicht als eine Rechtfertigung der faschistischen Machtergreifung angesehen werden. Ohne Zweifel gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Konservatismus und Sozialreformismus, allein schon deshalb, weil zum Wesen beider Richtungen der politischen Ideologie und Praxis der Monopolbourgeoisie der vom Antikommunismus durchdrungene Kurs der Sicherung des staatsmonopolistischen Macht- und Herrschaftssystems gehört. Dennoch ist die Berücksichtigung der Unterschiede zwischen konservativen und sozialreformistischen Kräften bezüglich ihrer Haltung zur bürgerlichen Demokratie und zum bürgerlichen Parlamentarismus von nicht geringer Bedeutung. Dies gilt vor allem in der Hinsicht, daß der erfolgreiche Kampf der Arbeiterklasse gegen autoritäre, auf den weiteren Abbau der bürgerlichen Demokratie gerichteten Tendenzen des Monopolkapitals und für die Verteidigung und Erweiterung demokratischer Rechte durch die genannte Fehleinschätzung in eine falsche Richtung orientiert würde. Daß in diesem Zusammenhang auch eine Reihe außenpolitischer Fragen - nicht zuletzt hinsichtlich deren ideologischtheoretischer Grundlagen - der Differenzierung bedürfen, das haben bereits vorliegende Forschungsergebnisse bezüglich der Zusammenhänge der verschiedenen Richtungen in der bürgerlichen politischen Ideologie und Praxis zweifelsfrei ausgewiesen. Auch an diesem Problemkreis läßt sich die Notwendigkeit verdeutlichen, bei weiterführenden Forschungen konsequent von der Einheit von Ökonomie, Politik und Ideo-

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logie auszugehen und mit gründlichen Analysen und interdisziplinären Forschungen die Differenzierungsprozesse aufzuzeigen. Je genauer in dieser Hinsicht die Ergebnisse sind, um so besser tragen sie dazu bei, die Offensive des Marxismus-Leninismus und seiner Politik zu stärken. Bernd P. Löwe Bei der in jüngster Zeit zu beobachtenden Verstärkung marxistisch-leninistischer Untersuchungen zum Konservatismus ist es typisch, daß sich Vertreter unterschiedlichster Disziplinen zu Wort gemeldet haben. Bei den vielfältigen interdisziplinären Ansätzen zur Problemstellung und -lösung ist es nicht ohne Grund zu einer Reihe von Schwerpunktsetzungen gekommen. Das hat natürlich auch dazu geführt, daß eine Reihe gleichfalls wichtiger Fragen ausgeklammert wurden bzw. noch nicht in dem erforderlichen Umfang und in der notwendigen Tiefe behandelt wurden. Verallgemeinerungen, die dies nicht berücksichtigen, müssen zwangsläufig zu gewissen Vereinseitigungen führen. Mit der Präzisierung des Untersuchungsfeldes wird also auch verbunden sein, daß solche Einschätzungen überprüft werden und der Umfang ihrer Gültigkeit relativiert wird. Einige Probleme seien in dieser Hinsicht hier skizziert. Erstens. In den bisher vorliegenden Untersuchungen wird besonderer Wert auf den Nachweis des politischen Charakters und der ideologischen Merkmale, auf die Genese des Konservatismus, auf seine strukturellen Gliederungen im Sinne bestimmter institutioneller und organisatorischer Erscheinungen und auf gewisse funktionale Bezüge zu anderen Richtungen der politischen Ideologie und Praxis der Monopolbourgeoisie gelegt. Dabei erweckt die sogenannte soziale Trägerschaft des Konservatismus ein besonderes Interesse. In der Mehrzahl werden Fragen in dieser Richtung dadurch beantwortet, daß man einen parteigeschichtlichen oder vereinspolitischen Abriß vorführt. Zugleich werden programmatische Dokumente und ihr Verhältnis zu entsprechenden politisch-ideologischen Prozessen untersucht, um den Stellenwert dieser innerhalb der politischen Kultur des jeweiligen Landes zu bestimmen sowie ihren Einfluß auf eine mögliche konservative „Tendenzwende" auszuloten. Umfang sowie Art und Weise der sozialökonomischen Determination der Wiederbelebung des Konservatismus bedürfen in den weiteren Forschungen sicher einer besonderen Aufmerksamkeit. Dabei handelt es sich nicht nur um die Kennzeichnung der allgemeinen Krise des Kapitalismus und der Spezifika der einzelnen Etappen. Das ist natürlich die unverzichtbare Grundlage. Zugleich wird es notwendig sein, aus den sozialökonomischen, Gesetzmäßigkeiten des staatsmonopolistischen Kapitalismus auf abgrenz-.' bare Interessenfelder der Bourgeoisie zu schließen. Wenn dabei die langfristigen ökonomischen Interessen von besonderer Bedeutung sind, dann schließt dies ein, daß die mit ihnen in Verbindung stehenden politisch-strategischen und ideologisch-strategischen gleichermaßen der eindeutigen Fixierung bedürfen. Von daher sollten sich hinreichend begründete Differenzierungen erstellen lassen, die für Teile der Monopolbourgeoisie eine Rolle als sozialer Träger des Konservatismus bestimmen lassen. Die zwar schwierige aber nicht zu umgehende Erkundung bourgeoiser Interessenfelder, für deren Realisierung der Konservatismus als unumgängliche Notwendigkeit erscheint und für die sich der Konservatismus bewußt anbietet, beugt einem Verfahren vor, das durch seine mehr oder weniger folgenschwere Beschränktheit auf ideologieanalytische oder ideologiekritische Methoden leicht zu falschen Schlußfolgerungen führen kann. 78

logie auszugehen und mit gründlichen Analysen und interdisziplinären Forschungen die Differenzierungsprozesse aufzuzeigen. Je genauer in dieser Hinsicht die Ergebnisse sind, um so besser tragen sie dazu bei, die Offensive des Marxismus-Leninismus und seiner Politik zu stärken. Bernd P. Löwe Bei der in jüngster Zeit zu beobachtenden Verstärkung marxistisch-leninistischer Untersuchungen zum Konservatismus ist es typisch, daß sich Vertreter unterschiedlichster Disziplinen zu Wort gemeldet haben. Bei den vielfältigen interdisziplinären Ansätzen zur Problemstellung und -lösung ist es nicht ohne Grund zu einer Reihe von Schwerpunktsetzungen gekommen. Das hat natürlich auch dazu geführt, daß eine Reihe gleichfalls wichtiger Fragen ausgeklammert wurden bzw. noch nicht in dem erforderlichen Umfang und in der notwendigen Tiefe behandelt wurden. Verallgemeinerungen, die dies nicht berücksichtigen, müssen zwangsläufig zu gewissen Vereinseitigungen führen. Mit der Präzisierung des Untersuchungsfeldes wird also auch verbunden sein, daß solche Einschätzungen überprüft werden und der Umfang ihrer Gültigkeit relativiert wird. Einige Probleme seien in dieser Hinsicht hier skizziert. Erstens. In den bisher vorliegenden Untersuchungen wird besonderer Wert auf den Nachweis des politischen Charakters und der ideologischen Merkmale, auf die Genese des Konservatismus, auf seine strukturellen Gliederungen im Sinne bestimmter institutioneller und organisatorischer Erscheinungen und auf gewisse funktionale Bezüge zu anderen Richtungen der politischen Ideologie und Praxis der Monopolbourgeoisie gelegt. Dabei erweckt die sogenannte soziale Trägerschaft des Konservatismus ein besonderes Interesse. In der Mehrzahl werden Fragen in dieser Richtung dadurch beantwortet, daß man einen parteigeschichtlichen oder vereinspolitischen Abriß vorführt. Zugleich werden programmatische Dokumente und ihr Verhältnis zu entsprechenden politisch-ideologischen Prozessen untersucht, um den Stellenwert dieser innerhalb der politischen Kultur des jeweiligen Landes zu bestimmen sowie ihren Einfluß auf eine mögliche konservative „Tendenzwende" auszuloten. Umfang sowie Art und Weise der sozialökonomischen Determination der Wiederbelebung des Konservatismus bedürfen in den weiteren Forschungen sicher einer besonderen Aufmerksamkeit. Dabei handelt es sich nicht nur um die Kennzeichnung der allgemeinen Krise des Kapitalismus und der Spezifika der einzelnen Etappen. Das ist natürlich die unverzichtbare Grundlage. Zugleich wird es notwendig sein, aus den sozialökonomischen, Gesetzmäßigkeiten des staatsmonopolistischen Kapitalismus auf abgrenz-.' bare Interessenfelder der Bourgeoisie zu schließen. Wenn dabei die langfristigen ökonomischen Interessen von besonderer Bedeutung sind, dann schließt dies ein, daß die mit ihnen in Verbindung stehenden politisch-strategischen und ideologisch-strategischen gleichermaßen der eindeutigen Fixierung bedürfen. Von daher sollten sich hinreichend begründete Differenzierungen erstellen lassen, die für Teile der Monopolbourgeoisie eine Rolle als sozialer Träger des Konservatismus bestimmen lassen. Die zwar schwierige aber nicht zu umgehende Erkundung bourgeoiser Interessenfelder, für deren Realisierung der Konservatismus als unumgängliche Notwendigkeit erscheint und für die sich der Konservatismus bewußt anbietet, beugt einem Verfahren vor, das durch seine mehr oder weniger folgenschwere Beschränktheit auf ideologieanalytische oder ideologiekritische Methoden leicht zu falschen Schlußfolgerungen führen kann. 78

Gegenüber einer Sammlung konservativer Attribute in einer katalogartigen Übersicht, mit der sicher manche evident erscheinende Beweiskette konstruierbar ist, geht es darum, die relative Selbständigkeit von Bereichen des politisch-ideologischen Überbaus mittels der historisch konkreten Analyse der Dialektik von Basis und Überbau - was auch heißt der Einheit und Wechselwirkung von Ökonomie, Politik und Ideologie - zu erschließen. Das erfordert die enge Verbindung der verschiedenen gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen von der Problemstellung angefangen bis hin zum Stadium der Überführung der Forschungsergebnisse in die Praxis. Zweitens. Damit im Zusammenhang steht ein weiteres Problem. Die Untersuchungen konzentrierten sich bisher weitestgehend auf Entwicklungen im imperialistischen Deutschland und in der BRD. In Randbemerkungen wird erwähnt, daß - neben verschiedenen westeuropäischen Ländern - analoge Prozesse der Wiederbelebung und Ausweitung des Konservatismus auch in den USA zu beobachten seien. Sicher ist, daß entsprechende internationale Entwicklungstendenzen schon deshalb ein Interesse abfordern, weil es um die Herausarbeitung ideologischer und politischer Gesetzmäßigkeiten der internationalen Monopolbourgeoisie geht und damit um die genaueste Einschätzung der herrschenden Klasse des Imperialismus bei seinem Kampf gegen den Sozialismus. Dabei ist es gleichermaßen unumgänglich, zwischen bestimmten nationalen Gruppierungen der Monopolbourgeoisie Differenzierungen vorzunehmen aber auch übereinstimmende Momente herauszuarbeiten. Auch hier wird das wichtigste Kriterium die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung langfristiger ökonomischer Interessen und von ihnen ausgelöster politischer und ideologischer Betätigungsweisen sein. Ob dabei die bisher als typisch angeführten Merkmale, die ja wesentlich aus der Entwicklung des imperialistischen Deutschland und seines nach dem zweiten Weltkrieg entstandenen bundesrepublikanischen Ablegers herausgezogen werden, im gleichen Umfang und in der gleichen Wertigkeit für eine Beurteilung der Entwicklungen in den USA herangezogen werden können, gilt - nach dem Urteil der überwiegenden Zahl der sowjetischen Arbeiten - als äußerst fraglich. Über Konsens und Dissenz in dieser Hinsicht wird erst die weitere Forschung Auskunft geben können. Gerade deshalb sei davor gewarnt, die Tatsache, daß ein Jaspers oder ein Heidegger oder ein Nietzsche in den USA eine gewisse Konjunktur erleben, schon als „Beweis" für kurzschlüssige Thesen ins Spiel zu bringen. Drittens. Im grundsätzlichen Zusammenhang damit wird eine zuweilen geübte Charakterisierung des weltanschaulich-philosophischen bzw. ideologisch-theoretischen Hintergrundes des Konservatismus weiter zu durchdenken sein. Für diesen Hintergrund oder diese Basis wird meist der Irrationalismus angeführt. Natürlich kommt diesem eine ganz erhebliche Gewichtigkeit zu. Wenn aber an keiner Stelle die Möglichkeit eingeräumt wird, daß konservatives Denken seine weltanschauliche Fundierung auch aus einer bürgerlichen philosophischen Denkweise beziehen kann, die wir gewöhnlich als rationalistisch kennzeichnen, dann ruft dies zunächst einige Verwunderung hervor. Noch weniger schlüssig erscheinen diese Versuche, einen kausalen Zusammenhang zwischen weltanschaulich-philosophischen Grundpositionen und politisch-ideologischen Standorten herzustellen, wenn - wie im Falle „Irrationalismus impliziert Konservatismus" - nun auch noch die weltanschaulich-philosophische Ausgangsposition einseitig auf Lebens- und Existenzphilosophie eingeschränkt wird und als Prämisse die Auffassungen von Jaspers, Heidegger, Burke, Schelling, Kierkegaard und Nietzsche mehr oder weniger in einen Topf geworfen werden. Der Verzicht auf - nicht erst durch die For79

schung zu erschließende, sondern bereits durch gründliche Untersuchungen nachgewiesene - Differenzierungen kann einzig die Funktion haben, die einmal angestrebte „Beweiskette" nicht noch brüchiger werden zu lassen. Denn der erste und folgenschwere Trugschluß liegt bereits in der Verwendung der Kategorie „Irrationalismus" in einem sehr engen Bedeutungsumfang. Bereits hier die Vielschichtigkeit bürgerlicher Denkweise, die vielfältigen Überlappungen und gerade gegenwärtig zu beobachtenden Verzahnungsprozesse zu vernachlässigen, die zwischen Rationalismus und Irrationalismus stattfinden, grenzt schon an theoretische Ignoranz. Ganz abgesehen davon, daß die direkte „Kausalkette" in der Art bzw. Reihenfolge ihrer Glieder - weltanschaulicher Standort (Irrationalismus) führt zur politisch-ideologischen Programmatik (Konservatismus) - wahrlich nicht stringent ist. Diese Vorgehensweise führt mit ihrer allgemein üblichen Vernachlässigung der wichtigsten sozial- und politikwissenschaftlichen Auffassungen der Bourgeoisie den Konservatismus jeweilig direkt ins irrationalistische Abseits. D a s versperrt den Blick für eine Reihe bedeutsamer Entwicklungen im Bereich der politischen Ideologie der internationalen Monopolbourgeoisie. D a s betrifft vor allem auch die theoretischen Entwicklungen, die in den letzten 50 bis 80 Jahren und in den letzten 10 bis 15 Jahren stattgefunden haben, wenn die Bourgeoisie die theoretischen Grundlagen ihrer Politik und Ideologie zu verbessern suchte. Für die Untersuchungen zu diesen Entwicklungen erweist sich fraglos ein Forschungsansatz schlechthin ungeeignet, der ausschließlich ideologieanalytisch Zuordnungen in den Richtungen „rational" und „irrational" zuläßt. D i e erforderliche Breite und Tiefe der Untersuchung kann nur erreicht werden, wenn beispielsweise die gegenseitige Verklammerung rationaler und irrationaler (in diesem Falle: positivistischer und pragmatischer) Denkansätze nachgezeichnet wird als spezifischer Ausdruck einer bourgeoisen Interessenlage, in der sich ökonomische, politische und ideologische Interessen in äußerst komplexer Weise miteinander verflochten haben. Betrachtet man dies nun an der Wiege der amerikanischen Politikwissenschaft - d. h. in ihrer neuzeitlichen Gestalt der political science - und geht davon aus, daß diese um die Jahrhundertwende ihre Ausprägung erfährt, noch vor ihrem eigentlichen „Reife'-Prozeß die Erschütterung der Oktoberrevolution „verarbeiten" muß usw. usf., dann und nur dann, wenn der Beginn der neuen Epoche die entsprechende Einbeziehung findet, kann man größere Linien, über Jahrzehnte zu verfolgende ideologische Kontinuitäten richtig bestimmen. Um es noch schärfer zu formulieren: An der Genauigkeit der historischen Analyse und ihres Umfangs, an der methodologischen Realisierung der dialektischen Einheit und Wechselwirkung von Ökonomie, Politik und Ideologie, am Umfang der vergleichenden Analyse internationaler Entwicklungen und nicht zuletzt an der Aufarbeitung der grundlegenden sozialökonomischen Entwicklungen wird man messen müssen, wieweit der Gültigkeitsbereich entsprechender Aussagen zu veranschlagen ist; sprich: inwieweit ein Untersuchungsergebnis den Anspruch erheben kann, effektive Aussagen für die revolutionäre Praxis des Kampfes gegen die Moncpolbourgeoisie zu liefern. Auf dieser Grundlage vorangetriebene Forschungen haben nachgewiesen, daß neben der bürgerlichen politischen Philosophie und ihren traditionellen Ausdrucksformen die bürgerlichen Sozial- und politischen Wissenschaften für den Konservatismus von erheblicher Bedeutung sind. Systemtheoretische Ansätze, soziologische Handlungs-, Gruppenund Schichtungstheorien, konflikt- und gleichgewichtstheoretische Betrachtungen, strukturell-funktionale Theorien, ökologische Theorien und Modelle mit ihren komplexen 80

und eben interdisziplinären Forschungen natur- und sozial- sowie politikwissenschaftlicher Disziplinen haben mehr und mehr Einfluß auf das politische Denken (und das ist immer zugleich auch Denken in den Kategorien des bourgeoisen Klassenkampfes) der internationalen Monopolbourgeoisie genommen. Aus der politischen Entscheidungsfindung sind diese theoretischen Grundlagen gar nicht mehr wegzudenken. Und wenn man annahm, daß die zu Ende der 60er Jahre massiv begonnene Kritik an solchen Disziplinen wie Futurologie und Politologie etwa den oben skizzierten Kurzschluß „Irrationalismus impliziert Konservatismus" nun glaubte umdrehen zu können, indem man die von meist konservativer Seite vorgetragene Kritik an diesen und anderen Disziplinen (so besonders auch den Planungs- und Managementtheorien und der Friedens- und Konfliktforschung) als eine Front gegen die „neue Sachlichkeit" und eine neuerliche allgemeine Hinwendung zum weltanschaulichen Irrationalismus betrachtete, dann hatte man die entscheidenden politisch-ideologischen Implikationen völlig aus dem Auge verloren. Es ist ganz einfach Ignoranz, wenn die Tatsache, daß die Monopolbourgeoisie Probleme der Langfristplanung, der Strukturpolitik, des Krisenmanagements, der internationalen Planungen, der Kalkulationen über die Systemauseinandersetzung unter bevorzugter Heranziehung der bürgerlichen Sozial- und politischen Wissenschaften betreibt, heruntergespielt wird und möglicherweise eine Annahme befördert wird, nach der die Monopolbourgeoisie und ibre politischen Stäbe sowie ideologischen Planungszentren in die „Beratungen" gehen über Fragen des Klassenkampfes und dabei Heidegger oder Schelling oder Kierkegaard unter dem Arm tragen. Selbstverständlich läßt sich bürgerliche Sozial- und politische Theorie letztendlich bezüglich ihrer Beantwortung der Grundfrage der Philosophie auf subjektiv-idealistische oder objektiv-idealistische weltanschauliche Ausgangs- oder Hintergründe zurückverfolgen. Doch sind die Proportionen zu beachten, die Auskunft darüber geben, ob bei der Dienstleistung - beispielsweise der vorwiegend empirisch orientierten Soziologie oder Politikwissenschaft - entsprechender Forschungen für die bourgeoise Verwertung die Beantwortung dieser oder jener weltanschaulicher Fragen oder die Auskunft über reale Prozesse für die weitere Strategiebildung von Relevanz ist. Die Antwort ist klar. Die umfangreiche Palette weltanschaulicher Vorstellungen, philosophischer Erklärungen, sozial- und politikwissenschaftlicher Erkenntnisse, auf der die politischen Ideologien der internationalen Monopolbourgeoisie beruhen und auf die sie selbst wieder zurückwirken, sind durch Heterogenität und Eklektizismus in einer solchen Weise gekennzeichnet, daß nichts verfehlter wäre, ihnen eine „Eindimensionalität" andichten zu wollen. Heterogenität und Eklektizismus sind gerade auch für die politische Ideologie und Praxis des Konservatismus charakteristisch. Die verstärkt ausgebildete Eigenschaft bürgerlicher sozial- und politikwissenschaftlicher Theorien und allgemeiner methodologischer Ausgangspunkte, in ihrer funktionalen Einsetzbarkeit innerhalb politischer und ideologischer Zielvorstellungen, multivariabel einsetzbar zu sein, also gleichermaßen der politischen Ideologie und Praxis des Sozialreformismus wie des Konservatismus oder Liberalismus dienen zu können, wird lineare Zuordnungen von weltanschaulichen, philosophischen und anderen Prämissen zu einer bestimmten bürgerlichen Ideologie und Politik ohnehin wertlos werden lassen. Das Verständnis über diese Prozesse für die Forschung führt zu der Schlußfolgerung, solche Untersuchungsgegenstände wie den Konservatismus interdisziplinär zu bearbeiten. Die Methodologie für die ideologische Auseinandersetzung wird zu bestimmen und weiterzuentwickeln sein auf dem Fundament des Marxismus-Leninismus. 6

Konservatismus

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Karl-Heinz Röder Die marxistisch-leninistische Staats- und Rechtstheorie hat bei der Untersuchung der Entwicklungen des bürgerlichen Staates, der bürgerlichen Demokratie, des bürgerlichen Parlamentarismus, der politischen Kultur des staatsmonopolistischen Kapitalismus und bei der Erforschung der Entwicklung entsprechender bürgerlicher politikwissenschaftlicher Theorien, politischer Ideologien und politisch-strategischer Doktrinen stets die Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Wechselwirkungen zwischen Konservatismus, Liberalismus und Sozialreformismus beachtet und der Analyse, Kritik und Wertung unterworfen. Die Ergebnisse dieser Forschungen sprechen für sich. Dennoch stellen die staats- und rechtswissenschaftlichen Entwicklungen und nicht zuletzt die politischen Praktiken der Monopolbourgeoisie neue Aufgaben an die Forschung. Dies betrifft auch und gerade den unerhört komplexen und nur durch interdisziplinäre Arbeit zu erschließenden Gegenstand „Konservatismus". Es läßt sich dieser Gegenstand durchaus zunächst auf die Entwicklungen in der BRD eingrenzen. Auf dem Feld der staatsideologischen Auffassungen der Bourgeoisie lassen sich seit geraumer Zeit auffällige Tendenzen in Richtung eines „starken Staates" beobachten. Dies artikuliert sich zuerst in den politischen Forderungen und Programmen selbst; sodann widerspiegelt sich diese Tendenz in den ideologisch-theoretischen Begründungen und Legitimationen seitens bürgerlicher Theoretiker und Ideologen. Hier gilt - wie auch schon an anderer Stelle ausgeführt - einem Moment besondere Beachtung. Die Forderung nach dem „starken Staat" ist weder eine spezifische Angelegenheit einer der bürgerlichen Parteien, weder eine Angelegenheit nur der Regierungsparteien oder der Oppositionsparteien; ja es ist nicht einmal eine Sache der Parteien allein. Es kommt auch in dieser Frage darauf an, die Herausbildung einer solchen Forderung (mit all ihren Begleitumständen) auf die entsprechenden politischen Vorstellungen bestimmter Kreise der Monopolbourgeoisie zurückzuführen. Natürlich muß die Forschung diese „Kreise" erst einmal stichhaltig nachweisen, wenn im weiteren der Weg verfolgt werden soll, den eine entsprechende politische Vorstellung zurücklegt bis hin zu ihrer programmatischen Fixierung in einem Parteiprogramm oder bis hin zu einer entsprechenden Gesetzesinitiative oder bis hin zu einer entsprechenden Konzentration der Ideologie und Theorie auf eine relevante Begründung und Legitimation. Es offenbart sich in dieser Aufgabenstellung die unbedingte Notwendigkeit des Zusammengehens der verschiedenen marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften schon bei der Erforschung allgemeiner Rahmenbedingungen für die Ausbildung oder Prioritätengewinnung einer politischen Ideologie der Monopolbourgeoisie. Schon bei einer Konzentration auf das parteienpolitische Spektrum von Regierungsund Oppositionsparteien in der BRD zeigt sich, daß die allgemein mit dem Selbstverständnis des Konservatismus verbundene Forderung nach dem „starken Staat" bei aller Übereinstimmung mit anderen politisch-ideologischen Positionen erhebliche Differenzierungen erkennen läßt. Der offensichtlichste Unterschied ist auf die einfache Tatsache rückführbar, daß die Koalitionsparteien SPD/FDP, die in der Regierungsverantwortung stehen und vermittels dieses „Vorsprungs" gegenüber den Koalitionsparteien, die wie CDU/CSU in der Opposition stehen, eine „sozial-liberale" Variante des „starken Staates" eher verwirklichen können als ihre politischen Gegenspieler eine Variante „rechtskonservativer" Prägung. Insofern bedeutet „Regierungsverantwortung" auch - Gesetzgebung und Rechtssprechung belegen das in eindeutiger Weise - eine gewisse Regie bei 82

der Führung des von der Bourgeoisie betriebenen Klassenkampfes. Die Unterschiede und Differenzierungen betreffen aber darüber hinaus eine weitaus breitere Palette politisch-ideologischer Grundsatzfragen auf der Generallinie wie denn die staatsmonopolistische Ordnung am effektivsten zu steuern sei. Solche Grundsatzfragen, von denen wesentlich auch taktische Schritte abhängig sind, betreffen vor allem auch das Verhältnis Staat-Wirtschaft, Investitionskontrolle und -lenkung, Wege zur Vollbeschäftigung und Preisstabilität, Konjunkturmanagement, Bildungs- und Wissenschaftspolitik, Außenpolitik, Entwicklungspolitik. Charakteristisch für die Situation in der BRD scheint in diesem Zusammenhang außerdem zu sein, daß die Auseinandersetzung um diese Fragen nicht mehr nur oder doch fast ausschließlich zu Zeiten des sogenannten Wahlkampfes geführt wird, daß sie nicht mehr nur die demagogischen Redeschlachten im Bundestag oder in den Landtagen kennzeichnet oder wenigstens mitprägt, sondern daß diese Auseinandersetzung - auch durch die Parteien hindurch - permanent und im grundsätzlichen geführt wird, daß sich die bürgerlichen Ideologen insofern einer wachsenden Auftragslage „erfreuen" und - für den Fall, daß sie dieser nicht hinreichend zu entsprechen vermögen - die Politiker selbst zunehmend mit politisch-ideologischen und ideologisch-theoretischen Traktaten und Traktätchen an die Öffentlichkeit treten. In diesem Zusammenhang ist den Massenmedien insgesamt eine erhöhte Bedeutung erwachsen; und es wäre mit Sicherheit eine nicht unwesentliche Aufgabe, auf diesem Feld systematische Untersuchungen anzustellen, die den Produktions- und Verteilungsmechanismus bürgerlicher Ideologie - nicht zuletzt bezüglich der Bereiche Staat und Demokratie aufhellen. Diese und ähnliche Forschungen korrespondieren ihrer Natur nach mit der weiteren Vertiefung der Einsichten in die Grundprozesse. In dieser Hinsicht und auch aus dem Grund, daß abgeleitete Forschungen zu wichtigen Detailproblemen auf gesicherten Ergebnissen zu Grundfragen aufbauen müssen, sind beispielsweise einige in der bisherigen Einschätzung des Konservatismus enthaltene Verabsolutierungen und Vereinseitigungen auszuschließen und eine Reihe von Aussagen noch einmal zu durchdenken. Das betrifft mit Sicherheit auch die weitere Differenzierung bei den Bezeichnungen „rechts" und „konservativ". Sowohl die Gemeinsamkeiten wie auch die Unterschiede sind hier genau herauszuarbeiten und mit klareren Kriterien zu bestimmen. Vorzugsweise wird dazu auch die Überprüfung des Wechseiverhältnisses zwischen bestimmten - vorhandenen oder erst zu entwickelnden - politischen Theorien zur politischen Ideologie und politischen Praxis der Monopolbourgeoisie gehören. Die Notwendigkeit langfristiger, gründlicher, kontinuierlicher, konzentrierter und systematischer Forschung bei gleichzeitiger Weiterentwicklung der methodologischen Grundlagen ausgehend von der Einheit des Marxismus-Leninismus und des entschiedenen Ausbaus der interdisziplinären Forschung steht außer Zweifel. Diese Forschungen werden einen nachhaltigen Beitrag für die politisch-ideologische Auseinandersetzung mit dem Imperialismus liefern und in ihrer politischen und ideologischen Effektivität die Offensive des Marxismus-Leninismus stärken. Max Schmidt Wie alle gesellschaftswissenschaftliche Forschung, die sich mit Erscheinungen und Prozessen im Imperialismus beschäftigt, müssen auch die Forschungen zum Konservatismus in der Gegenwart in ihren methodologischen Grundlagen zuvörderst die Merkmale 83

der Führung des von der Bourgeoisie betriebenen Klassenkampfes. Die Unterschiede und Differenzierungen betreffen aber darüber hinaus eine weitaus breitere Palette politisch-ideologischer Grundsatzfragen auf der Generallinie wie denn die staatsmonopolistische Ordnung am effektivsten zu steuern sei. Solche Grundsatzfragen, von denen wesentlich auch taktische Schritte abhängig sind, betreffen vor allem auch das Verhältnis Staat-Wirtschaft, Investitionskontrolle und -lenkung, Wege zur Vollbeschäftigung und Preisstabilität, Konjunkturmanagement, Bildungs- und Wissenschaftspolitik, Außenpolitik, Entwicklungspolitik. Charakteristisch für die Situation in der BRD scheint in diesem Zusammenhang außerdem zu sein, daß die Auseinandersetzung um diese Fragen nicht mehr nur oder doch fast ausschließlich zu Zeiten des sogenannten Wahlkampfes geführt wird, daß sie nicht mehr nur die demagogischen Redeschlachten im Bundestag oder in den Landtagen kennzeichnet oder wenigstens mitprägt, sondern daß diese Auseinandersetzung - auch durch die Parteien hindurch - permanent und im grundsätzlichen geführt wird, daß sich die bürgerlichen Ideologen insofern einer wachsenden Auftragslage „erfreuen" und - für den Fall, daß sie dieser nicht hinreichend zu entsprechen vermögen - die Politiker selbst zunehmend mit politisch-ideologischen und ideologisch-theoretischen Traktaten und Traktätchen an die Öffentlichkeit treten. In diesem Zusammenhang ist den Massenmedien insgesamt eine erhöhte Bedeutung erwachsen; und es wäre mit Sicherheit eine nicht unwesentliche Aufgabe, auf diesem Feld systematische Untersuchungen anzustellen, die den Produktions- und Verteilungsmechanismus bürgerlicher Ideologie - nicht zuletzt bezüglich der Bereiche Staat und Demokratie aufhellen. Diese und ähnliche Forschungen korrespondieren ihrer Natur nach mit der weiteren Vertiefung der Einsichten in die Grundprozesse. In dieser Hinsicht und auch aus dem Grund, daß abgeleitete Forschungen zu wichtigen Detailproblemen auf gesicherten Ergebnissen zu Grundfragen aufbauen müssen, sind beispielsweise einige in der bisherigen Einschätzung des Konservatismus enthaltene Verabsolutierungen und Vereinseitigungen auszuschließen und eine Reihe von Aussagen noch einmal zu durchdenken. Das betrifft mit Sicherheit auch die weitere Differenzierung bei den Bezeichnungen „rechts" und „konservativ". Sowohl die Gemeinsamkeiten wie auch die Unterschiede sind hier genau herauszuarbeiten und mit klareren Kriterien zu bestimmen. Vorzugsweise wird dazu auch die Überprüfung des Wechseiverhältnisses zwischen bestimmten - vorhandenen oder erst zu entwickelnden - politischen Theorien zur politischen Ideologie und politischen Praxis der Monopolbourgeoisie gehören. Die Notwendigkeit langfristiger, gründlicher, kontinuierlicher, konzentrierter und systematischer Forschung bei gleichzeitiger Weiterentwicklung der methodologischen Grundlagen ausgehend von der Einheit des Marxismus-Leninismus und des entschiedenen Ausbaus der interdisziplinären Forschung steht außer Zweifel. Diese Forschungen werden einen nachhaltigen Beitrag für die politisch-ideologische Auseinandersetzung mit dem Imperialismus liefern und in ihrer politischen und ideologischen Effektivität die Offensive des Marxismus-Leninismus stärken. Max Schmidt Wie alle gesellschaftswissenschaftliche Forschung, die sich mit Erscheinungen und Prozessen im Imperialismus beschäftigt, müssen auch die Forschungen zum Konservatismus in der Gegenwart in ihren methodologischen Grundlagen zuvörderst die Merkmale 83

der allgemeinen Krise des Kapitalismus zu einer zentralen Orientierung für Problemstellungen, die Entwicklung von Lösungswegen und für die politisch-ideologische Beund Auswertung erheben. Ein Verzicht auf diesen Grundsatz - wie sich an verschiedenen Beispielen nachweisen läßt - untergräbt die Effektivität und Nutzbarkeit entsprechender Forschungen. Besonders die charakteristischen Entwicklungen in der gegenwärtigen Ausprägung der Merkmale der allgemeinen Krise lassen bei genauer Charakterisierung und zutreffender historischer Einordnung auch neue Einsichten in die Beurteilung von Entwicklungen auf dem Feld der politischen Ideologien der internationalen Monopolbourgeoisie gewinnen. D a ß dies von erheblichem Wert für die offensive Führung des ideologischen Klassenkampfes gegen alie Spielarten der bürgerlichen Ideologie, gegen den Antikommunismus und Antisowjetismus ist, bedarf keiner weiteren Begründung; es ist dies evident. Für die politischen Ideologien der internationalen Monopolbourgeoisie in der gegenwärtigen Phase der Vertiefung und Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus und der von dieser objektiven Entwicklung ausgehenden Triebkraft bei der Dynamisierung der Krise der bürgerlichen Ideologie läßt bezüglich des Verhältnisses der bürgerlichen politischen Ideologien zueinander eine Reihe neuer Momente erkennen. Sicher zählt dazu die Entwicklung des Konservatismus, den man auch - wenngleich nicht nur als eine Reaktion einschätzen muß, die seitens bourgeoiser Politiker und Ideologen erfolgte, als es offensichtlich ein politisch-ideologisches „Abwirtschaften" des Sozialreformismus nicht mehr länger zu verbergen gab. Konservatismus ist also im doppelten Sinne „reaktiv": einmal als Reaktion auf die allgemeine Krise und ihre gegenwärtigen Folgeerscheinungen; zum anderen als Reaktion speziell auf eine dieser Folgeerscheinungen die Krise des Sozialreformismus in Politik und Ideologie. Stellt man den Eklektizismus und die Heterogenität des Konservatismus in einen allgemeineren historischen Zusammenhang - nämlich den des Charakters unserer Epoche - und entwickelt für seine Merkmale allgemeinere, davon abgeleitete und zugleich grundsätzlichere Kriterien, dann gewinnen die notwendigen politischen und ideologischen Beurteilungen mit Sicherheit auch mehr Praxisnähe und erweitern das Differenzierungsvermögen. Aus diesen Zusammenhängen kann man schlußfolgern: Konservatismus bedeutet eine harte und kompromißlose Verteidigung der Grund-,,Werte" und unveräußerlichen Macht- und Herrschaftspositionen der Monopolbourgeoisie unter Einbeziehung notwendig gewordener Anpassungsbewegungen im Sinne einer sozialreformistischen Machtund Herrschaftssicherung. Schließlich geht es darum, den Konservatismus als eine politisch-ideologische Richtung zu bestimmen, die objektiv wie subjektiv aus einer Verteidigungsposition heraus reagieren muß - und die auf Entwicklungen reagiert, die sich im grundsätzlichen der Beherrschbarkeit der Bourgeoisie entziehen. Natürlich ist die Hoffnung des Konservatismus auf Restauration auch mit der Erwartung verknüpft, über eine Festigung oder Erneuerung seiner politisch-ideologischen Positionen schließlich doch wieder in die Offensive zu gelangen. Hätte der Konservatismus dieses Ziel nicht und würde er nicht zugleich auch eine entsprechende reaktionäre politische Praxis realisieren, so würde er sich j a von vornherein aufgeben. D a ß der Konservatismus das Gesetz der Epoche nicht durchbrechen kann und daß er die Gesetzmäßigkeiten des sozialen Fortschritts niemals dauerhaft abbremsen und rückgängig machen kann - mag ihm dies zeitweilig und partiell an der einen oder anderen Front der weltweiten Auseinandersetzung zwischen Reaktion und Fortschritt auch gelingen - , kennzeichnet seinen Platz in der Geschichte.

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Wenn sich im Konservatismus Verteidigung und Versuch des Übergangs zu neuen Angriffen auf den Fortschritt ergänzen, dann betrifft dies wiederum die ganze Komplexität ökonomischer, politischer und ideologischer Faktoren. Auf der Ebene der Ökonomie sind dies wesentlich Entwicklungen im Rahmen der staatsmonopolistischen Planung, Lenkung und Leitung (national wie international und im Zusammenhang mit der Gestaltung der Wirtschaftsbeziehungen mit den sozialistischen Ländern und den Ländern der dritten Welt). Auf der politischen Ebene sind es vor allem die Auseinandersetzungen um den innenpolitischen Kurs der Macht- und Herrschaftssicherung der Monopolbourgeoisie, das zu gebrauchende oder zu entwickelnde Instrumentarium für die Krisenbewältigung bzw. -eindämmung; die außenpolitische Front ist besonders durch die Auseinandersetzung um die Fragen der Entspannung, die imperialistischen Vorstellungen über Inhalt und Form der Koexistenz und von der Suche nach einer „einheitlichen" antikommunistischen Strategie für die unmittelbare Gegenwart und für die nächsten Jahrzehnte gekennzeichnet. Die Ebene des ideologischen Klassenkampfes wird durch Angriffe auf den Sozialismus in Theorie und Praxis geprägt. Die politisch-ideologische Klassennorm ist hier der Antikommunismus. In dieser Frage gibt es, was die Verfälschungen des Marxismus-Leninismus betrifft, was die Lügen über den realen Sozialismus betrifft, was die psychologische Kriegführung und ideologische Diversion angeht, die breitesten Übereinstimmungen in den Positionen von „Konservativen" und „Sozialreformisten". Was an Nuancen auf diesem Feld auszumachen ist - und natürlich gibt es solche - reduziert sich schließlich auf die bourgeoise Fragestellung, wie diese Auseinandersetzung offen und verdeckt, militant und verfeinert, als ideologische Kriegführung oder als sachbezogene ideologische Auseinandersetzung zu führen ist - daß sie zu führen ist, und daß der Antikommunismus und Antisowjetismus die Resultante der verschiedensten beteiligten Richtungen und Gruppierungen der bürgerlichen Ideologie bilden muß und soll, darin besteht seitens der Bourgeoisie und ihrer Interessenvertreter völlige Übereinstimmung. Nicht zuletzt erweist sich damit in einem engen Zusammenhang stehend das Verhältnis der politischen Ideologie und der politischen Betätigungsweise der Monopolbourgeoisie zu den drei revolutionären Hauptabteilungen der gegenwärtigen Epoche als ein wichtiges Moment der Forschungen. Das gilt in einem ganz erheblichen Maße auch für den Konservatismus. Sein politisch-ideologisches Verhältnis zu den drei revolutionären Hauptströmungen ist weder in der Sache selbst noch in den Gruppenbildungen unter den Konservativen unumstritten; gleichwohl der Generalnenner klassenimmanente Gegnerschaft heißt. Und schon gar nicht ist etwa das Verhältnis des internationalen Konservatismus homogen; die verschiedenen Einstellungen beispielsweise in der Entwicklung der Beziehungen zu den sozialistischen Ländern; das Verhältnis zu den kommunistischen und Arbeiterparteien im eigenen Land, das sich in der Regel wieder vom Verhältnis zu den sozialistischen Ländern auch im substantiellen unterscheidet; oder die Behandlung der antiimperialistischen Befreiungs- und Unabhängigkeitsbewegungen auf der Ebene der Wirtschaftsbeziehungen, der politischen Aktionen im bi- und multilateralen Rahmen und die Versuche ideologischer Einflußnahme - all dies zeigt ein vielgestaltiges und komplexes Bild. Die gesellschaftswissenschaftliche Forschung muß hier das zentrale Kettenglied aufgreifen und eine konzentrierte Forschung anlaufen lassen. Jedenfalls stehen diese Forschungen stets unter dem Einfluß sehr praktischer Problemstellungen des internationalen Klassenkampfes und bedürfen deshalb in allen ihren Phasen einer klaren politisch-ideologischen Forschungsstrategie. Ihr Fundament sind die Beschlüsse unserer Partei, ihre methodologische Basis die Einheit des Marxismus-Leninismus, ihre 85

Methode die der interdisziplinären Arbeit und ihr Kraftquell die Zusammenarbeit mit den Gesellschaftswissenschaftlern der anderen sozialistischen Länder, besonders das enge Bündnis mit der Sowjetwissenschaft. Das ist die sichere Grundlage für die weitere Stärkung der weltweiten Offensive des Marxismus-Leninismus.

Hans Schulze In den Beziehungen zwischen der politischen Ideologie des Konservatismus und der des Sozialreformismus läßt sich eine Reihe von Übereinstimmungen feststellen. Dies betrifft vor allem Einflüsse, die vom Konservatismus auf den Sozialreformismus ausstrahlen und bei letzterem zu bestimmten rechtsgerichteten Anpassungen geführt haben. Als charakteristisch dafür kann man Tendenzen in der sozialen Demagogie ansehen. Schriften von sozialreformistischen Ideologen zur Rolle des Reformismus in der Arbeiterbewegung und zum historischen Platz der bürgerlichen Reformstrategie in der Gegenwart weisen aus, daß in der Frage des Schutzes der Macht- und Herrschaftspositionen der Bourgeoisie weitestgehende Annäherungen der Standpunkte feststellbar sind. Besonders die Auffassung, daß eine Politik, die diese Positionen der Bourgeoisie grundsätzlich in Frage stellt, indirekt die Bourgeoisie dazu drängt, die Flucht in den Faschismus zu suchen, und dem damit vorzubeugen sei, daß man eine solche politische Strategie der revolutionären Ablösung des Kapitalismus erst gar nicht anstrebt, ergo den Kurs des Sozialreformismus als einzig brauchbare Alternative ansehen müsse, läßt politische Schlußfolgerungen und ideologische Legitimationsweisen zu, die - von den jeweiligen Verfassern gewollt oder nicht - Überkreuzungen von sozialreformistischen und konservativen Standpunkten bedeuten. Um bezüglich dieser Entwicklungen keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, wird die weitere Forschung sicher solche Momente zu berücksichtigen haben und durch brauchbare Ergebnisse zu klareren politischen Unterscheidungen führen.

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Methode die der interdisziplinären Arbeit und ihr Kraftquell die Zusammenarbeit mit den Gesellschaftswissenschaftlern der anderen sozialistischen Länder, besonders das enge Bündnis mit der Sowjetwissenschaft. Das ist die sichere Grundlage für die weitere Stärkung der weltweiten Offensive des Marxismus-Leninismus.

Hans Schulze In den Beziehungen zwischen der politischen Ideologie des Konservatismus und der des Sozialreformismus läßt sich eine Reihe von Übereinstimmungen feststellen. Dies betrifft vor allem Einflüsse, die vom Konservatismus auf den Sozialreformismus ausstrahlen und bei letzterem zu bestimmten rechtsgerichteten Anpassungen geführt haben. Als charakteristisch dafür kann man Tendenzen in der sozialen Demagogie ansehen. Schriften von sozialreformistischen Ideologen zur Rolle des Reformismus in der Arbeiterbewegung und zum historischen Platz der bürgerlichen Reformstrategie in der Gegenwart weisen aus, daß in der Frage des Schutzes der Macht- und Herrschaftspositionen der Bourgeoisie weitestgehende Annäherungen der Standpunkte feststellbar sind. Besonders die Auffassung, daß eine Politik, die diese Positionen der Bourgeoisie grundsätzlich in Frage stellt, indirekt die Bourgeoisie dazu drängt, die Flucht in den Faschismus zu suchen, und dem damit vorzubeugen sei, daß man eine solche politische Strategie der revolutionären Ablösung des Kapitalismus erst gar nicht anstrebt, ergo den Kurs des Sozialreformismus als einzig brauchbare Alternative ansehen müsse, läßt politische Schlußfolgerungen und ideologische Legitimationsweisen zu, die - von den jeweiligen Verfassern gewollt oder nicht - Überkreuzungen von sozialreformistischen und konservativen Standpunkten bedeuten. Um bezüglich dieser Entwicklungen keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, wird die weitere Forschung sicher solche Momente zu berücksichtigen haben und durch brauchbare Ergebnisse zu klareren politischen Unterscheidungen führen.

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Schlußbemerkung Ludwig Elm

Am Schluß der Aussprache zur vorliegenden Forschungsproblematik und zu einigen zur Kritik gestellten Untersuchungsergebnissen kann natürlich keine Zusammenfassung erwartet oder gar eine Weiterführung bisheriger Wertungen erhofft werden. Wohl aber gibt es eine Reihe von Problemen, die stets wiedergekehrt sind und die in der Zukunft zweifellos der weiteren konzentrierten Bearbeitung bedürfen. Dazu zählen: Erstens. Konservatismus - dafür sprechen alle Ausführungen - ist reaktionäre Politik und Ideologie an der „rechten" Flanke der Monopolbourgeoisie. Zweitens. Im Sinne der Stellung des Konservatismus zur Epoche und innerhalb der Epoche kann es keine andere Charakterisierung geben als - reaktionär auf der ganzen Linie. Drittens. Am reaktionären Charakter des Konservatismus ändern auch Erscheinungen nichts, die bekannt sind als „partielle Faschismusgegnerschaft"; wenngleich hier tiefer gehende Untersuchungen bevorstehen. Viertens. Der Standpunkt muß unterstützt werden, daß Konservatismus in der Gegenwart nicht etwas Parteispezifisches bedeutet, sondern eine politisch-ideologische Grundströmung, die sich sowohl durch die verschiedensten Parteien zieht, als sich auch außerhalb derselben konstituiert. Fünftens. Die Wandlungen des Konservatismus in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bedürfen der Aufarbeitung bzw. der weiteren Verfolgung. Dabei spielt die Frage „Welche Gruppierung der Bourgeoisie ist als die reaktionärste zu bestimmen?" eine nicht unerhebliche Bedeutung; der politische Stellenwert der Antwort kann dabei nicht überschätzt werden. Sechstens. Der konservative Anspruch auf die „Mitte" und auf „Liberalität" (besonders deutlich in der Freiheitsund Demokratieproblematik) muß als eine versuchte Anpassung gewertet werden, die nicht aus der Natur des Konservatismus selbst, sondern aus den zu seinen Ungunsten veränderten politischen und ideologischen Kräfteverhältnissen resultiert. Siebentens. Die weitere Forschung wird der Internationalisierung in allen ihren Aspekten größere Aufmerksamkeit schenken müssen. Achtens. Die methodologischen Grundlagen der Forschungen sollten - weil sich ähnliche Anforderungen auch im Zusammenhang mit anderen Forschungsgegenständen gestellt haben - vielleicht selbst zu einem systematischen Untersuchungsprogramm hinführen, das ausgerichtet ist an den wachsenden Bedürfnissen im Zusammenhang mit der weiteren Verschärfung des ideologischen Klassenkampfes zwischen Sozialismus und Imperialismus. Der Dank gilt allen Kollegen, die mit viel Sachkenntnis und konstruktiver Kritik dazu beitrugen, daß die gemeinsamen Ziele unserer Forschung davon profitieren und die gemeinsame Verantwortung um die Stärkung der Offensive des Marxismus-Leninismus effektiv wahrgenommen werden kann.

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Manfred Buhr Die Beratungen unseres Rates zum Problemkomplex „Konservatismus" haben für die künftige Forschung einige wichtige Hinweise gegeben - und das sicher auch in konzeptioneller Hinsicht. Hingewiesen sei nochmals auf folgende Momente: Erstens. Erhebliche Aufmerksamkeit muß in Zukunft der Verbesserung des methodologischen Arsenals der Forschungen zum Konservatismus im besonderen und der Forschungen zur bürgerlichen Ideologie im allgemeinen gelten. Das betrifft die stärkere Berücksichtigung aller mit der Problematik der allgemeinen Krise des Kapitalismus zusammenhängenden Fragen und alle Aspekte im Zusammenhang mit der Dialektik von Ökonomie, Politik und Ideologie. Die Verbesserung der methodologischen Grundlagen wird sich nicht zuletzt für disziplinäre Spezialuntersuchungen im Bereich der Philosophie, der politischen Ökonomie, der Wissenschaftstheorie und anderer Disziplinen und Forschungsrichtungen als fruchtbar erweisen. Zweitens. Die internationalen Entwicklungen des Konservatismus - beispielsweise in Frankreich und den USA - verdeutlichen, daß die enge Verbindung von Politik und Moral nicht ein ausschließliches Betätigungsfeld konservativen Denkens ist, sondern daß sich in dieser Hinsicht bemerkenswerte Überlappungen mit anderen Richtungen der bürgerlichen politischen Ideologie abzeichnen. Die bestimmende Triebkraft ist bei diesen Entwicklungen nicht in den inneren Eigenschaften dieser oder jener Richtung zu suchen, sondern liegt in der für alle Richtungen der bürgerlichen Ideologie verbindlichen Klassennorm des Antikommunismus begründet. Seine Evolutionen sind es schließlich, die zu bestimmten Angleichungen innerhalb und zwischen den Richtungen der bürgerlichen Ideologie führen. Drittens. Der weltanschauliche Aktivismus, den man besonders beim gegenwärtigen Konservatismus zu verzeichnen hat, ist ein deutliches Zeichen der umfassenderen Krise der bürgerlichen Ideologie. Der Konservatismus verspricht „Recht" und „Ordnung", knüpft damit an scheinbar bewährte Traditionen imperialistischer Machtausübung an und transformiert die dieser politischen Programmatik entsprechenden ideologischen Leitbilder in die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche (d. h. die Leitbilder werden in der Form dem Adressaten angepaßt und bezüglich des Inhalts dem vermuteten Kräfteverhältnis). Das macht den Konservatismus stark situationsgebunden (eben in Abhängigkeit von der Krisenentwicklung) und erklärt - neben anderen Bedingungen - seinen Eklektizismus. Viertens. Bei aller Kontinuität des Konservatismus in Ideologie und Politik (die weitere Forschung wird auch darüber zu befinden haben, ob dies in dem Maße zutrifft, wie vielerorts behauptet) muß unter gegenwärtigen Bedingungen einem spezifischen Moment seiner Entwicklung die Beachtung gelten. Es geht um die Unterschiede zwischen einer Art „Alt-Konservatismus" (im Sinne des Bezuges auf die konservativen „Klassiker") und einer Art „Neu-Konservatismus", der sein Wesen aus den Existenz- und Entwicklungsbedingungen der Bourgeoisie unter den Gesetzmäßigkeiten unserer Epoche und besonders unter denen der gegenwärtigen Phase der Verschärfung und Vertiefung der allgemeinen Krise des Kapitalismus erfährt und der schließlich die Frage der Assimilation sozialreformistischer Positionen im Zuge seiner widerspruchsvollen Anpassungsversuche nicht mehr umgehen kann. Fünftens. Ohne Zweifel wird sich die weitere Forschung auch mit jenen bürgerlichen Arbeiten vertieft beschäftigen müssen, die selbst eine Auseinandersetzung mit dem

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Manfred Buhr Die Beratungen unseres Rates zum Problemkomplex „Konservatismus" haben für die künftige Forschung einige wichtige Hinweise gegeben - und das sicher auch in konzeptioneller Hinsicht. Hingewiesen sei nochmals auf folgende Momente: Erstens. Erhebliche Aufmerksamkeit muß in Zukunft der Verbesserung des methodologischen Arsenals der Forschungen zum Konservatismus im besonderen und der Forschungen zur bürgerlichen Ideologie im allgemeinen gelten. Das betrifft die stärkere Berücksichtigung aller mit der Problematik der allgemeinen Krise des Kapitalismus zusammenhängenden Fragen und alle Aspekte im Zusammenhang mit der Dialektik von Ökonomie, Politik und Ideologie. Die Verbesserung der methodologischen Grundlagen wird sich nicht zuletzt für disziplinäre Spezialuntersuchungen im Bereich der Philosophie, der politischen Ökonomie, der Wissenschaftstheorie und anderer Disziplinen und Forschungsrichtungen als fruchtbar erweisen. Zweitens. Die internationalen Entwicklungen des Konservatismus - beispielsweise in Frankreich und den USA - verdeutlichen, daß die enge Verbindung von Politik und Moral nicht ein ausschließliches Betätigungsfeld konservativen Denkens ist, sondern daß sich in dieser Hinsicht bemerkenswerte Überlappungen mit anderen Richtungen der bürgerlichen politischen Ideologie abzeichnen. Die bestimmende Triebkraft ist bei diesen Entwicklungen nicht in den inneren Eigenschaften dieser oder jener Richtung zu suchen, sondern liegt in der für alle Richtungen der bürgerlichen Ideologie verbindlichen Klassennorm des Antikommunismus begründet. Seine Evolutionen sind es schließlich, die zu bestimmten Angleichungen innerhalb und zwischen den Richtungen der bürgerlichen Ideologie führen. Drittens. Der weltanschauliche Aktivismus, den man besonders beim gegenwärtigen Konservatismus zu verzeichnen hat, ist ein deutliches Zeichen der umfassenderen Krise der bürgerlichen Ideologie. Der Konservatismus verspricht „Recht" und „Ordnung", knüpft damit an scheinbar bewährte Traditionen imperialistischer Machtausübung an und transformiert die dieser politischen Programmatik entsprechenden ideologischen Leitbilder in die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche (d. h. die Leitbilder werden in der Form dem Adressaten angepaßt und bezüglich des Inhalts dem vermuteten Kräfteverhältnis). Das macht den Konservatismus stark situationsgebunden (eben in Abhängigkeit von der Krisenentwicklung) und erklärt - neben anderen Bedingungen - seinen Eklektizismus. Viertens. Bei aller Kontinuität des Konservatismus in Ideologie und Politik (die weitere Forschung wird auch darüber zu befinden haben, ob dies in dem Maße zutrifft, wie vielerorts behauptet) muß unter gegenwärtigen Bedingungen einem spezifischen Moment seiner Entwicklung die Beachtung gelten. Es geht um die Unterschiede zwischen einer Art „Alt-Konservatismus" (im Sinne des Bezuges auf die konservativen „Klassiker") und einer Art „Neu-Konservatismus", der sein Wesen aus den Existenz- und Entwicklungsbedingungen der Bourgeoisie unter den Gesetzmäßigkeiten unserer Epoche und besonders unter denen der gegenwärtigen Phase der Verschärfung und Vertiefung der allgemeinen Krise des Kapitalismus erfährt und der schließlich die Frage der Assimilation sozialreformistischer Positionen im Zuge seiner widerspruchsvollen Anpassungsversuche nicht mehr umgehen kann. Fünftens. Ohne Zweifel wird sich die weitere Forschung auch mit jenen bürgerlichen Arbeiten vertieft beschäftigen müssen, die selbst eine Auseinandersetzung mit dem

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Konservatismus betreiben. Diese Arbeiten haben eine Geschichte, die auch unter dem Aspekt der Wissenschaftsgeschichte zu berücksichtigen ist. Zugleich zeigt die Ausarbeitung der bürgerlichen ideologieanalytischen und ideologiekritischen Methoden, daß bürgerliches Denken in der Auseinandersetzung mit konservativen Denkweisen nicht unbeeinflußt von der Wissenschaftlichkeit des Marxismus-Leninismus geblieben ist, wenngleich dies nur höchst selten von bürgerlichen Ideologen eingestanden wird. Die Vielschichtigkeit dieser Verflechtungen und ihr wissenschaftlicher Nachweis sowie ihre Einbeziehung in eine offene, effektive Auseinandersetzung wird in der weiteren Forschung stärker zu verfolgen sein. Sechstens. Abgrenzungsfragen - wie zum Beispiel zwischen Konservatismus und Revanchismus - sowie Differenzierungsprobleme - wie beispielsweise zwischen einem mehr liberalen und einem mehr ultrarechts gerichteten Flügel des Konservatismus - sind grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt der praktischen Politik in die Forschung einzuführen und mit Blick auf ihren Nutzen für die gesellschaftliche Praxis zu betreiben. Was für die methodologische Basis der Untersuchungen zum Konservatismus hinsichtlich der Dialektik von Ökonomie und Politik und Ideologie gilt, das gilt auch für den Entwurf der Forschungsstrategie zu Fragen des ideologischen Klassenkampfes zwischen Sozialismus und Imperialismus. Die Kriterien für den Nutzeffekt dieser an Bedeutung gewinnenden Forschungen folgen nicht irgendeinem innertheoretischen Prinzip, sondern werden letztlich daran gemessen, ob und wie sie zur Stärkung der Offensive des MarxismusLeninismus beizutragen vermögen.

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