Ökonomische Ästhetik und Markenkult: Reflexionen über das Phänomen Marke in der Gegenwartskunst [1. Aufl.] 9783839416594

Marken sind ein populäres, ökonomisch verwertbares Phänomen, das in den marktfernen Gefilden der Kunst scheinbar nichts

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German Pages 468 [457] Year 2014

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Ökonomische Ästhetik und Markenkult: Reflexionen über das Phänomen Marke in der Gegenwartskunst [1. Aufl.]
 9783839416594

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Jeannette Neustadt Ökonomische Ästhetik und Markenkult

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I Band r6

Jeannette Neustadt (Dr. phil.) studierte Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft sowie Volkswirtschaftslehre in Konstanz und München. Sie arbeitet als freie Redakteurin und Künstlerin in München.

JEANNETTE NEUSTADT

Ökonomische Ästhetik und Markenkult Reflexionen über das Phänomen Marke in der Gegenwartskunst

[ transcript]

Diese Publikation beruht auf der Dissertation» Markenkult und Gegenwartskunst - Das (selbst)reflexive Potential der ökonomischen Ästhetik«, die im Rahmen des fächerübergreifenden Promotionsstudiengangs Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München entstanden ist.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:/ fdnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: oi.org: Nike-Monument (Computeranimation). Projekt Nike Ground, 2003Franco Mattes aka orooiOIIIOIOnor.ORG Lektorat & Satz: Jeannette Neustadt Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-r659-o Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http:jjwww.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

PROLOG: KUNST, KULT UND WERTENTWICKLUNG

1)

I9

EINFÜHRUNG: BEOBACHTUNG VON MARKE UND KUNST 113

1.1) Basistheorien 118 1.2) Aufbau und Zielsetzung 119 1.3) Zwanzig Thesen 122

2) WIRTSCHAFT- MARKE- KUNST: KOMMUNIKATION UND DIFFERENZIERUNG 127

2.1) Wirtschaft- Marke 132 2.1.1) "Power in the Market": Die Marke im Wirtschaftssystem 2.1.2) ,,Power in the Mind": Die Semiotik der Marke 147 2.1.2.1) Markenbotschaften I 52 2.1.2.2) Die Marke als finaler Interpretant I 56

I 37

2.2) Marke - Kunst 165 2.2.1) Mitteilung- Information: Systemtheoretische Abgrenzung I 73 2.2.2) lkon- Symbol: Semiotische Bestimmungen I 80 2.2.3) Avantgarde- Kitsch: Beobachtungen der Kunst(-theorie) 187

3) WIRTSCHAFT, MARKE ODER KUNST: EIN FALLBEISPIEL ÖKONOMISCHER ÄSTHETIK 3.1) Monogram Canvas: Die Marke Louis Vuitton

I 95

197

3.2) Eye Love Monogram: Die Marke Takashi Murakami 1103 3.3) Kunst von Takashi Murakami und Louis Vuitton 1109

4)

MARKENKUNST: DIE REPRÄSENTATION DER REPRÄSENTATION 1117 4.1) Der Text im Text 1120

4.1.1) lntertextualitätsbegriffe 1121 4.1.2) Transtextuelle Bezüge bei Gerard Genette

I 123

4.2) Die Praktiken des Re*: Aneignungen der Markenkommunikation

I 126 4.2.1) Recycling: Das ,realistische' Markenzitat 1127 4.2.2) Reproduktion: Transposition in traditionelle Genres 1149 4.2.3) Repetition: Die Travestie der Markenkommunikation 1167 4.2.4) Reformulierung: Parodie, Persiflage und Nachbildung 11 82 4.2.5) Zusammenfassung: Typologie der Aneignungsverfahren I 205

4.3) Prozess der Aneignung : Chronologie 1211

5)

REFLEXIONEN DER MARKENKUNST: BEOBACHTUNGEN IM GRENZLAND I 219 5.1) Selbstreflexion der Markenkunst I 223 5.1.1) Das Kunstwerk als Zeichen 1224 5 .1.1.1) Recycling und Realismus I 226 5.1.1.2) Reproduktion und Nachahmung 1230 5.1.1.3) Repetition und Ornament 1240 5.1.1.4) Reformulierung und Konstruktion I 25 1 5.1.1.5) Resümee: Die Markenktmst als Konstrukteur 1256 5.1.2) Das Kunstwerk im Kunstsystem I 258 5.1.2.1) Avantgarde: Die skandalösen Formen des Neuseins 1260 5.1.2.2) Alltägliches: Der Reiz des Trivialen 1266 5.1.2.3) Ausstellungskunst Die Rahmung des Ästhetischen 1273 5.1.2.4) Autorschaft: Der Künstlername als Logo I 276 5.1.2.5) Resümee: Markenkunst als postmoderne Ästhetik 1285 5.2) Bezug zu anderen Subsystemen 1290 5.2.1) Wirtschaftssystem 1291 5 .2.1.1) Das Kunstwerk als Markenprodukt I 298 5.2.1.2) Das Museum als Wirtschaftsunternehmen 5.2.2) System der Massenmedien 1311 5.2.2.1) Technische Reproduktion 1317 5.2.2.2) Konstruktion von Realität 1322 5.2.2.3) Der Kampf um Aufmerksamkeit I 327 5.2.2.4) Individualisierung I 334

I 305

5.3) Reflexion populärer Markenkommunikation 1338 5.3.1) Die Verwendung von Bildwerken I 339 5.3.1.1) Recycling und Kunstsponsoring 1341 5.3.1.2) (Technische) Reproduktion und Co-Branding 1345 5.3.1.3) Repetition und Corporate Design 1351 5.3.1.4) Reforrnulierung und Übernahme von Stilen und Themen I 354 5.3.2) Die Abwendung von Bildwerken: Ästhetische Ökonomie 1365 5.4) Wieder schreiben oder Widerschreiben 1371 5.4.1) Einfluss auf die Markenserniose I 378

6)

FAZIT UND AUSBLICK

I 383

6.1) Zwanzig Thesen (reloaded) 1384 6.2) Anschlussmöglichkeiten 1394

EPILOG: COME TO WHERE THE FLAVOUR IS- MARLBORO, KUNST UND DER GESCHMACK DES (V)ERDACHTEN I 397

Literatur 1427 Abbildungsverzeichnis 1451 Danksagung

I 465

Prolog: Kunst, Kult und Wertentwicklung Am Beginn steht nicht die Kunst, sondern ihr Ausverkauf. Oder sollte man besser sagen: am Ende? Keine Zeitung oder Zeitschrift, kein Radio- oder Fernsehsender, keine Nachrichtenagentur, die im September 2008 nicht über den spektakulären Coup des Briten Damien Hirst berichtet hätte. Unter der Überschrift "Goldenes Händchen"\ "Geld schwimmt in Formaldehyd"2 , "Geldgeil oder gewieft" 3 , "Das teuerste Kalb der Welt"4 oder "Wenn Damien Hirst Millionen fließen lässt"5 kursierten Verwunderung über, Bewunderung für und Kritik an einer Inszenierung, die den Kult um die Gegenwartskunst vorläufig ein letztes Mal befeuerte, benutzte und als medial verdoppeltes Kunstwerk ganz eigenen Zuschnitts gleichsam schamlos für die Beobachtung vom Verschwinden der Kunst preisgab. Denn die 223 Kunstwerke, die Damien Hirst am 15. und 16. September über das Auktionshaus Sotheby 's in London versteigern ließ, spielten in der Berichterstattung eine äußerst untergeordnete Rolle. Das mit teuren Abendroben und edlem Anzugtuch bestückte Auktionsspektakel selbst machte Schlagzeilen, weil es sich allen bisher gültigen Regeln des Kunstmarkts entzog und auf den reinen Warenwert der Kunst genauso wie auf ihr populäres Potential verwies. Bewies Hirst doch, dass er auf die Vermittlung von Kunstinstitutionen wie Museen und Galerien und damit auf die Etablierung seiner Kunst als ,reine' Ausstellungskunst nicht mehr angewiesen ist. Seine brandneuen, von 160 Mitarbeitern im Zeitraum von zwei Jahren gefertigten Werke wurden über das Auktionshaus direkt und ohne jede museale Reputation verkauft, und das zu Höchstpreisen. Am Ende kam

2 3 4 5

l. Henkel: Goldenes Händchen. Alle Zitate werden in diesem Buch nach den Regeln der neuen deutschen Rechtschreibung wiedergegeben. Ergänzungen in eckigen Klammem stammen, soweit nicht anders angegeben, von der Autorin. J. Grosse: Geld schwimmt in Formaldehyd. A. Reuther: Geldgeil oder gewieft? http://www.manager-magazin.de/life/frei zeit/0,2828,578539,00.html vom 16.09.2008 R.-M. Gropp: Wenn Hirst Millionen fließen lässt.

I 0 I ÖKONOMISCHE ÄSTHETIK

UND MARKENKULT

Sotheby 's auf Einnahmen von insgesamt 111,57 Millionen Pfund und damit zu mehr Geld als jemals zuvor bei einer Einzelauktion. Allein die Versteigerung von The Golden Calj; einem teilweise vergoldeten, in Formaldehyd eingelegten Bullen, brachte 10,3 Millionen Pfund und damit den Umsatzrekord der beiden Tage. Diese Quantitäten basierten zwar zum Großteil auf der Tatsache, dass Hirsts Händler selbst für die Werke boten, um die Rekordpreise als taktisch wichtiges Marketingargument zu nutzen und damit einen Preisanstieg für bereits in ihrem Besitz befindliche Werke des Künstlers zu rechtfertigen. Sie erregten aber auch und gerade bei jenen Aufmerksamkeit, die sich ansonsten wenig oder gar nicht mit dem Thema Gegenwartskunst beschäftigen. Schon mit der Versteigerung eines diamantenen Totenkopfschädels mit dem Titel For the Love of God hatte Hirst dieses neue Publikum für sich interessieren können, auch wenn oder gerade weil den meisten unbekannt blieb, dass Hirst selbst zur Käufergruppe des damals teuersten Werkes zeitgenössischer Kunst gehörte. Der Verkauf für 75 Millionen Euro sicherte Hirst schon im Jahr 2007 großformatige Artikel in Publikumsmagazinen wie Focus, Max und Stern und führte dazu, dass die Marke Hirst inzwischen jedem ein Begriff ist. Seine Kunst ist Kult. Das von ihr ausgehende Image sichert, was der Titel der Herbstauktion verprach: Beautiful Inside My Head Forever- und das unabhängig von der konkreten Bedeutung in Formaldehyd gegossener Tiere oder bunter Schmetterlingsflügel auf Leinwänden. Denn eine finanzielle Wertzuschreibung solchen Ausmaßes ergibt sich nicht mehr nur durch die und aus den Werken selbst, die mehr als die Arbeiten anderer Künstler dem physischen Verfall ausgesetzt sind. So musste der Tigerhai, den Hirst 1991 in eine Vitrine voll Formaldehyd sperrte, 2006 durch einen neuen ersetzt werden. Der alte war verfault. Dabei hatte er erst ein Jahr zuvor für 12,5 Millionen US-Dollar den Besitzer gewechselt. Doch Logo und Idee überlebten. Und wieder war der Name des Werkes Programm: Die physische Unmöglichkeit des Todes in der Vorstellung eines Lebenden hatte Hirst jene Skulptur genannt, die ihm spätestens 1997 mit der Wanderausstellung Sensations und als führendes Mitglied der Young British Artists zum ersten Mal ein großes mediales Interesse sichern sollte. Wie kaum ein anderes Werk der Gegenwart (re-)präsentierte diese Skulptur die Kunst als Luxusmarke schlechthin. Sie zeigte sie als ein Produkt, das den Gebrauchsnutzen zugunsten des Zusatznutzens völlig negiert, ja nicht einmal mehr abhängig scheint von seiner einmaligen, physischen Materialität, welche unter Wahrung des Markennamens austauschbar ist und damit die funktionale Unabhängigkeit der Marke von der Ware sichtbar werden lässt. Die Aufwertung der eigenen Persönlichkeit sich selbst und anderen gegenüber steht beim Kauf der Marke Hirst jenseits der Auseinandersetzung mit dem Einzelwerk im Vordergrund. "Bezahlt wird für Namen, nicht für Werke"6, fasst Piroschka Dossi diesen Konsumtrend auf dem Kunstmarkt

6

P. Dossi: HYPE! Kunst und Geld, S. 220.

KuNST, KuLT UND WERTENTW ICKLUNG

I 11

und darüber hinaus zusammen. Denn der Name reduziert für die Auktionäre Qualitätsunsicherheit und erspart Suchkosten. Doch das Markenprodukt Kunst sichert auch Prestige und signifiziert Distinktion, weil die vorausgesetzten ökonomischen und kulturellen Aneignungsinstrumente, die mit seinem Erwerb verbunden sind, mehr als beim Konsum und der Konsumtion anderer Waren soziale Unterschiede markieren. Deshalb fungierte Hirsts Kunst selbst auf einem übersättigten und von finan ziellen Krisen gebeutelten Markt als Produktivkraft im Wirtschaftsprozess. Sein Tigerhai erbrachte dem Sammler Charles Saatchi beim Verkauf im Jahre 2005 einen Gewinn von knapp 16.570 Prozent. 1991 hatte der FördererundBegründer des Labels Young British Artists das Werk für gerade mal 75.000 US-Dollar erworben. Auch wenn die Gewinnspannen 2008 aufgrund der hohen Preise sanken: Hirst gehörte auch im Krisenjahr noch immer zu den Künstlern mit hoher Wertentwicklung. Das zumindest versicherte das Magazin Artfnvestor, welches seit März 2001 quartalsweise eine Auswahl an wichtigen Bluechip-, Shootingstar- und Nebenwerte-Künstlernund deren Wert- und Umsatzentwicklung vorstellt. In der vierten und letzten Ausgabe des Jahres 2008 wurde Hirst als einer der erfolgreichsten Shootingstars mit einer Preisentwicklung von 29 Prozent innerhalb der letzten zwölf Monate gelistet. Von keinem anderen Künstler wurden in diesem Jahr so viele Arbeiten für mehr als eine Million US-Dollar versteigert. 7 Seine Werke partizipieren aber nicht nur an der Dm·chsetzung eines wertindifferenten Tauschwertes, "der alle besonderen kulturellen Werte negiert, den aber alle als Produzenten oder Konsumenten spontan anerkennen oder anerkennen müssen"x und an dessen Stimulierung innerhalb der Wirtschaftswelt Sie thematisieren diesen Durchsetzungsprozess mitunter über ihre formale Doppelung hinaus auch inhaltlich. Im Sommer 2008 zeigte die Ausstellung Radical Advertising im NRWForum Kultur und Wirtschaft Düsseldorf 13 Blätter der Siebdruck-Serie Last Supper (Abbildung 1), die 1999 in einer Auflage von 150 Stück gefertigt wurden. Verpackungen von Tabletten und damit Konsumartikel bieten die Vorlage für ein Werk, das die Oberflächen im Umlaufbefindlicher Massenprodukte benutzt und neu beschreibt; in das sich Hirst selbst als Marke einschreibt. Mit diesem Werk verweist Hirst nicht nur auf eines der berühmtesten Bildwerke der Renaissance, Das Abendmahl von Leonardo da Vinci, sondern auch auf dessen Aneignung in Markenbotschaften aus Kunst- und Wirtschaftswelt (Abbildung 80)- man denke nur an die 1993 veröffentlichte und kontrovers diskutierte Werbeanzeige des Modelabels Otto Kern oder die Bearbeitung, die das Motiv durch den ,Businesskünstler' Andy Warhol erfuhr. Hirst nutzt den bekannten Kunst-Text und kombiniert ihn mit den

7

8

Im Jahr 2008 wurden insgesamt 1.090 Kunstwerke flir mehr als eine Million US-Dollar versteigert, davon 65 Kunstwerke von Damien Hirst, 45 von Andy Warhol und 22 von Gerhard Richter. (Quelle: S. Hafer: Kunst in Zahlen, S. 91) P.V. Zima: Moderne/Postmoderne, S. 104.

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I ÖKONOMISCHE ÄSTHETIK UND MARKENKULT

Namen englischer Gerichte. Diese ersetzen die Namen von Medikamenten, welche normalerweise Krebs- und Aidspatienten vorbehalten sind. Das letzte Abendmahl erhält also eine ,weltliche', eine immanente Bedeutung und parodiert das Heilsversprechen der Medizin genauso wie jenes der Religion, aus deren Kontext das Kunstwerk ursprünglich stammt und an deren Zwecke es gebunden war. Damit entmystifiziert Hirst di e Markenbotschaften verschiedener sozialer Systeme, die für sich zu werben suchen. Zugleich gibt er das Kunstwerk als Markenbotschaft von Hirst zu erkennen, welche auch ein wirtschaftliches Publikum sucht. Nicht umsonst ersetzt der Künstler alle Markennamen mit seinem eigenen Vor- und/oder Nachnamen. Der doppelte Status eines jeden Kunstwerkes und einer jeden Markenbotschaft, ihr Changieren zwischen Marke und Kunst, Ware und Kunstwerk wird somit ausgestellt.

Abbildung 1: Damien Hirst: Last Supper. 1999 (3 von 13 Siebdrucken)

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Im Rückgriff auf eines der berühmtesten und ,berauschendsten' Bildwerke der abendländischen Kunstgeschichtsschreibung, auf fabrikgefertigte Betäubungsmittel, auf das Prinzip der Massenproduktion im Verfahren des Siebdrucks sowie im Verkauf dieser Arbeiten als Serie reflektiert Last Supper mehr als nur eine ökonomisch messbare Wertentwicklung. Der bewusst mehrdeutig verstandene Begriff der , Wertentwicklung' verweist im Hinblick auf dieses Werk nämlich auch auf neue ästhetische Wertsetzungen von Seiten der Wirtschaft und auf eine Umwertung traditioneller moderner Kunstvorstellungen. Diese werden durch den Brückenschl ag zwischen Kunst und Kitsch und die Absage an ein schöpferisch tätiges Subjekt einerseits in Frage gestellt. Andererseits kann die Kontingenz und Konstruktion aller W ertsetzung anband ihrer Dekonstruktion vorgeftihrt werden. Mit dieser Beobachtung aber wird die Kunst von Damien Hirst wieder zum Beginn umgewertet - zum Beginn einer Auseinandersetzung mit ihren verschiedenen Werten und Wertentwicklungen in der Gegenwart.

18

I ÖKONOMISCHE ÄSTHETIK UND MARKENKULT

Marke und Kunst austarieren. Diese Markenkunstwerke werden in diesem Buch erstmals typologisiert und chronologisiert. Darüber hinaus verfolgt das Buch das Ziel, die allgemeinen auto- und metareferentiellen Aussagen der Markenkunstwerke zu analysieren. Es soll also gezeigt werden, wie und warum markenaneignende Kunstwerke Beziehungen zu Marken her- und damit ihren eigenen Doppelstatus ausstellen. Ausgangspunkt ist dabei das ästhetische Potential der Marke, das als Instrument kritischer Infragestellungen traditioneller Kategorien der Kunstgeschichte von Seiten der Kunst und über die Hermetik der l 'art pour l'art hinaus ebenso als Instrument der reflektierenden Analyse von Kommunikationsangeboten des Wirtschaftssystems begriffen werden kann. Dies deutet bereits an, dass es sich bei der Untersuchung von markenaneignenden Kunstwerken um ein theoretisch äußerst relevantes Problem verschiedener Wissenschaftsdisziplinen handelt.

1.1

BASISTHEORIEN

Das Forschungsfeld, welches mit der Untersuchung von Marken, Kunst sowie markenaneignender Kunst betreten wird, liegt im Schnittpunkt von Ökonomie, Kunstwissenschaft und Kulturtheorie der Gegenwart. Um trotz der Vielfalt der durch den Untersuchungsgegenstand aufgerufenen Themenfelder eine konsistente Argumentation und Begrifflichkeit zu gewährleisten, zieht die Untersuchung zwei Basistheorien heran, deren Verwandtschaft in der Forschung 12 schon mehrfach herausgestellt wurde: die soziologisch orientierte Systemtheorie von Niklas Luhmann und die kulturtheoretisch orientierte Zeichentheorie von Charles S. Peirce. Beide Konzepte begreifen die beobachtbare, das heißt unterscheidbare , Welt' als Text und ermöglichen mittels ihrer dreiwertigen Modelle der Beschreibung von Kommunikation und Zeichen eine komplementäre Zuordnung einzelner Untersuchungsergebnisse. Denn erst in der beobachtungsabhängigen Unterscheidung von Information und Mitteilung, von Zeichen und Bezeichnetem konstituiert sich für beide Theorien Sinn und Bedeutung. Die Etablierung der Systemtheorie gewährleistet in einem ersten Schritt eine trennende Gegenüberstellung jener unterschiedlich operierenden gesellschaftlichen Teilsysteme, denen Marke und Kunst zugeordnet werden müssen: dem System der Wirtschaft auf der einen und dem System der Kunst auf der anderen Seite. Damit werden differente kommunikative Anschlussmöglichkeiten und das Kommunikationspotential von Marke wie Kunst gleichermaßen analysierbar. Zudem wird offenbar, dass die Marke zwar als Inklusionsangebot von Seiten des Wirtschaftssystems begriffen werden kann, sich einer eindeutigen Zuordnung zu einem der beiden Subsysteme

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U.a. in: 0. Jahraus/N. Ort: Bewusstsein - Kommunikation- Zeichen.

BEOBACHTUNG VO N MARKE UND KUNST

I 19

jedoch verschließt und in der Lage ist, weitere kommunikative Anschlussmöglichkeiten, so zum Beispiel im System der Massenmedien, zu generieren. Sie liegt demnach auf der Grenze zwischen kapitalisierbarem Mehrwert, künstlerischer Form und medialer Information. Gegenüber der im Aufweisen von Unterschieden begriffenen strukturellen Analyse, die mit der Marke im wahrsten Sinne des Wortes an ihre Grenzen (und darüber hinaus) gelangt, erreicht die Semiotik eine vereinheitlichende Betrachtung der Prozesse von Bedeutungsstiftung und Zeichensetzung, vor allem durch die Analyse der immanenten Strukturen der Formierung von Marken. In ihrer gemeinsamen Anwendung ermöglichen beide Theorien demnach sowohl funktional differente als auch semiotisch vereinheitlichende Beschreibungen. Da diese Beschreibungen im Vordergrund des Untersuchungsinteresses stehen, kann das Buch keinen hinreichenden und kritischen Vergleich der beiden augewandten Basistheorien gewährleisten. Die Theorien dienen vielmehr als ,Baukastensysteme', denen verschiedene, anschlussfähige Elemente zur Analyse von Marke und Kunst entnommen werden.

1.2 AUFBAU UND ZIELSETZUNG Das Ziel der folgenden Untersuchung lässt sich einfach beschreiben: Sie soll den Begriff ,Markenkunst' definieren, demonstrieren, was Markenkunst ist, in welchen Spielarten sie auftritt und welche Aussagen sie damit über Kunst, Wirtschaft und Massenmedien zu treffen vermag. Um dies zu zeigen, geht die Untersuchung von einer differenzierenden Bestimmung von Marke und Kunst aus und führt die beiden Begriffe in einem zweiten Schritt in den Begriff der ,Markenkunst ' über. Nach einer Bestimmung verschiedener Aneignungsmodi der Marke durch die Kunst folgt in einem vierten Schritt die Analyse unterschiedlicher auto- und metareferentieller Bezüge dieser Kunstrichtung. Weiter ausgef"Lihrt bedeutet dies, dass die vorliegende Untersuchung auf der Grundlage der vorgestellten Basistheorien zunächst einmal eine Funktionsanalyse der Marke liefern und deren ästhetische Entwicklung am Leitfaden des Kunstparadigmas nachvollziehen wird. Im zweiten Kapitel werden dafür beide Phänomene als moderne, auf zirkuläre Wechselbestimmung angewiesene Verhältnisbegriffe beschrieben und die Systeme, denen sie zugeordnet werden müssen, mittels des triadischen Kommunikationsmodells von Niklas Luhmann vergleichend gegenübergestellt. Während die Marken als Entscheidungsprogramme der Wirtschaft ,preis-werte' Leistungen garantieren und sich mittels der Aneignung semiologischer Systeme durch eine Prämierung der Informationsseite auszeichnen, wird die Kunst seit der Ausdifferenzierung des Kunstsystems durch ihre selbstreflexiven Strategien charakterisiert, die schließlich dazu führen,

BEOBACHTUNG VO N MARKE UND KUNST

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jedoch verschließt und in der Lage ist, weitere kommunikative Anschlussmöglichkeiten, so zum Beispiel im System der Massenmedien, zu generieren. Sie liegt demnach auf der Grenze zwischen kapitalisierbarem Mehrwert, künstlerischer Form und medialer Information. Gegenüber der im Aufweisen von Unterschieden begriffenen strukturellen Analyse, die mit der Marke im wahrsten Sinne des Wortes an ihre Grenzen (und darüber hinaus) gelangt, erreicht die Semiotik eine vereinheitlichende Betrachtung der Prozesse von Bedeutungsstiftung und Zeichensetzung, vor allem durch die Analyse der immanenten Strukturen der Formierung von Marken. In ihrer gemeinsamen Anwendung ermöglichen beide Theorien demnach sowohl funktional differente als auch semiotisch vereinheitlichende Beschreibungen. Da diese Beschreibungen im Vordergrund des Untersuchungsinteresses stehen, kann das Buch keinen hinreichenden und kritischen Vergleich der beiden augewandten Basistheorien gewährleisten. Die Theorien dienen vielmehr als ,Baukastensysteme', denen verschiedene, anschlussfähige Elemente zur Analyse von Marke und Kunst entnommen werden.

1.2 AUFBAU UND ZIELSETZUNG Das Ziel der folgenden Untersuchung lässt sich einfach beschreiben: Sie soll den Begriff ,Markenkunst' definieren, demonstrieren, was Markenkunst ist, in welchen Spielarten sie auftritt und welche Aussagen sie damit über Kunst, Wirtschaft und Massenmedien zu treffen vermag. Um dies zu zeigen, geht die Untersuchung von einer differenzierenden Bestimmung von Marke und Kunst aus und führt die beiden Begriffe in einem zweiten Schritt in den Begriff der ,Markenkunst ' über. Nach einer Bestimmung verschiedener Aneignungsmodi der Marke durch die Kunst folgt in einem vierten Schritt die Analyse unterschiedlicher auto- und metareferentieller Bezüge dieser Kunstrichtung. Weiter ausgef"Lihrt bedeutet dies, dass die vorliegende Untersuchung auf der Grundlage der vorgestellten Basistheorien zunächst einmal eine Funktionsanalyse der Marke liefern und deren ästhetische Entwicklung am Leitfaden des Kunstparadigmas nachvollziehen wird. Im zweiten Kapitel werden dafür beide Phänomene als moderne, auf zirkuläre Wechselbestimmung angewiesene Verhältnisbegriffe beschrieben und die Systeme, denen sie zugeordnet werden müssen, mittels des triadischen Kommunikationsmodells von Niklas Luhmann vergleichend gegenübergestellt. Während die Marken als Entscheidungsprogramme der Wirtschaft ,preis-werte' Leistungen garantieren und sich mittels der Aneignung semiologischer Systeme durch eine Prämierung der Informationsseite auszeichnen, wird die Kunst seit der Ausdifferenzierung des Kunstsystems durch ihre selbstreflexiven Strategien charakterisiert, die schließlich dazu führen,

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I ÖKONOMISCHE ÄSTHETIK UND MARKENKULT

dass Kunst nur noch darüber informieren will, dass sie eine Mitteilung ist. Diese Wendung zur Selbstanalyse führt in der Malerei nicht nur zum Monochrombild, das Johannes Meinhardt als "Nullniveau: das letzte Bild" 13 beschreibt, sondern auch zu einer vehementen Abgrenzung von jeder Form der populären Ästhetik. Doch die aufgeworfenen Abgrenzungstendenzen können die Doppelcodiertheit eines j eden Kunstwerks ntu· zeitweilig kaschieren. Sie verhindern nicht, dass Kunstkommunikation als Markenkommunikation wahrgenommen wird und umgekehrt. Sobald nämlich Marken selbstreflexives Potential entfalten und die Kunst sich über die Aufnahme von Marken sowohl als Markenprodukt kenntlich macht als auch einen ,neuen' Willen zur Bedeutung suggeriert, werden die Systemgrenzen instabil. Jene Reprivilegierung von Äquivalenz, die an die Stelle von Differenz tritt, zeigt sich vor allem im Werk des Japaners Takashi Murakami, welches nicht nur ökonomische Strategien adaptiert, sondern diese mittels parasitärer Strategien ausstellt. Die von ihm entworfene Kunst-Waren-Welt soll im dritten Kapitel Brüche in der Zuordenbarkeit von Marken und Kunst aufzeigen. Die im zweiten Kapitel erarbeiteten, dichotomischen Beschreibungsfiguren werden hier in die mit dem Begriff der ökonomischen Ästhetik beschriebene Einheit der Differenz von Ökonomie und Ästhetik überfUhrt, der Blick des Beobachters auf Tnterpenetrationen statt Abgrenzungen gelenkt. Das vierte Kapitel untersucht eingehend die ikonographischen Strategien, welche sich hinter der Aufnahme von Marken als ästhetischem Spielmaterial in die Kunst - verstanden als Wiederschreiben der Markenbotschaften - verbergen. Einer Typologisierung verschiedener Aneignungsmodi, basierend auf den von Charles S. Peirce aufgestellten Objektrelationen und der Transtextualitätstheorie von Gerard Genette, sowie einer Chronologisierung verschiedener Verfahren anband der Übersetzungstheorie des Kultursemiotikers Juri M. Lotman folgt im daran anschließenden Kapitel eine ausführliche Analyse der ikonologischen Strategien der Adaption. Während also im vierten Kapitel erstmals eine wissenschaftliche Beschreibung und Klassifizierung von markenaneignender Kunst erfolgt, beschäftigt sich das fünfte Kapitel im Sinne des Ikonologiebegriffs Erwin Panofskys mit dem "Kunstwerk als einem Symptom von etwas anderem, das sich in einer unabsehbaren Vielfalt anderer Symptome artikuliert" und interpretiert schließlich dessen "ikonographischen Züge als spezifischere Zeugnisse für dieses ,andere' .'d 4 Als das ,andere' werden im fünften Kapitel ausschließlich Systeme, keine Einzeltexte begriffen. Damit zeigt dieses Kapitel, welche Aussagen die Gesamtheit aller Markenkunst sowie einzelne Markenkunstwerke über das System der Kunst, der Wirtschaft sowie der Massenmedien treffen.

13 14

J. Meinhardt: Ende der Malerei und Malerei nach dem Ende der Malerei, S. 31. E. Panofsky: Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, S. 42.

BEOBACHTUNG VO N MARKE UND KUNST

I 21

Diese auto- und metareferentiellen Bezüge werden in den Unterkapiteln 5.1 bis 5.3 anband der unterschiedlichen Beziehungsmöglichkeiten des Kunstsystems zu anderen Subsystemen, dem eigenen System und der systemübergreifenden populären Kommunikation aufgefächert und können mit den Luhmann' schen Termini ,Selbstreferenz' und ,Fremdreferenz' überschrieben werden. lm Mittelpunkt stehen dabei Fragen nach der Autorschaft, der Repräsentation, der Reproduktion und der Originalität, der Hyperrealität und dem Warencharakter von Kunst, wobei die drei genannten Unterkapitel eine möglichst klare Trennung der Reflexionen und ihrer Zuordnungen zu den Systemen erlauben sollen. In ihrer Gesamtheit werden diese (selbst-)reflexiven Aussagen demonstrieren, dass die Markenkunst mehr als ein bloßes Andienen an die Marktwirtschaft und Bedienen ökonomischer Marktinteressen ist. Sie ist vielmehr Spiegel der Gesellschaft stiftenden Kommunikationen verschiedener sozialer Systeme, die sie beim Beobachten beobachtet. Abschließend wird im Unterkapitel 5.4 zur Diskussion stehen, ob und warum Markenkunst nicht nur als Wiederschreiben von Markenzeichen und mithin als ästhetisches Spiel begriffen werden kann, sondern zudem den Kriterien emes Widerschreibens emer Störung der Markenkommunikation- Genüge trägt. Die Grundlage hierfür bilden der von Umberto Eco entworfene Begriff der ,Kommunikationsguerilla' sowie der in den letzten Jahren prominent gewordene Begriff ,Culture Jamming' , der durch Kalle Lasn und Naomi Klein als Beschreibung der Störung kultureller, vor allem wirtschaftlicher Botschaften publik gemacht wurde. Überprüft werden soll, ob eine Verwendung der Marke ihre Ver-Wendung einschließt und Auswirkungen auf die Inklusion in das Wirtschaftssystem, kurz: den Kauf von Markenprodukten, zeitigt. Während sich das fün fte Kapitel auf Aussagen über Teilsysteme, deren Grenzen und lnterpenetrationen fokussiert, unternimmt der dem Fazit und Ausblick folgende Epilog den Versuch, die Relation konkreter Einzeltexte anhand der Marke Maribora und deren Botschaften aneignender Kunstwerke zu untersuchen. Das Hauptaugenmerk wird somit am Ende des Buches weg von der Systemreferenz und hin zur lntertextualität gelenkt. Für die Unterscheidung zwischen Systemreferenz und Intertextualität greift di e Untersuchung auf ein Konzept von Klaus W. Hempfer zurück. 15 Zu den Werken, deren intertextuelle, ikonologische und ikonographische Strategien im Epilog nachvollzogen werden sollen, zählen unter anderem Great American Nude #28 von Tom Wesselmann, Malevieh von Alexander Kosolapov, Helmsbora Country von Hans Haacke, lt sucks von Sarah Lucas und Untitled (Cowboy) von Richard Prince. Diese Werke referieren nochmals exemplarisch auf eine Gegenwartskunst, die als eine vom weltumspannenden Proj ekt der Modeme entkoppelte, zeitgenössische Kunst aufgefasst werden muss; eine Kunst also, welche

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K.W. Hempfer: 1ntertextua1ität, Systemreferenz und StrukturwandeL

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sich ex negativo über die Abgrenzung zu traditionellen Kunstkategorien definiert und laut Benjamin die "Liquidierung des Traditionswertes am Kulturerbe"16 vorantreibt. Zudem vollzieht diese Gegenwartskunst mittels ihrer Aneignungsgeste den "Zwang zur Gegenwartsbezogenheit" 17 als systemimmanentes Merkmal jeder Markenbotschaft mit und partizipiert dadurch am Markenkult Mit dem Begriff ,Markenkult' soll in diesem Buch die mythische Inszenierung innerhalb des populären Diskurses sowie die Anschlussmöglichkeit der Marke im System der Religion beschrieben werden. Seine theoretische Fundierung findet er vor allem in den kulturtheoretischen Untersuchungen Roland Barthes' zum Mythosbegriff, der auf die Marke ebenso anwendbar ist wie auf das Kunstwerk, auf den neuen Citroen ebenso wie auf die Theaterliteratur. 1 ~

1.3

ZWANZIG THESEN

Aus der Zielsetzung der Untersuchung lassen sich insgesamt zwanzig Thesen ableiten, die sowohl Kunst und Marken als kommunikative Phänomene in den Blick nehmen als auch die Markenkunst und deren Aussagen. Diese geben dem vorliegenden Buch zugleich eine Argumentationslinie vor. Tm Fazit (Kapitel 6) sollen sie erneut aufgegriffen und mit Verweis auf die Untersuchungen in den Unterkapiteln umfassender kommentiert werden.

I)

Die Marke ist ein Parasit und kann als Kunst verstanden werden. Als Medium der populären Kommunikation wohnt der Marke die Möglichkeit inne, verschiedene kommunikative Anschlussmöglichkeiten zu evozieren und als Gast des Kunstsystems zu agieren.

11)

Markenbotschafien und Kunstwerke sind Aquivalenzmedien. Marke und Kunst müssen als zwei Seiten einer Entität begriffen werden, die unablässig zwischen verschiedenen Beobachtungsordnungen und kommunikativen Anschlüssen oszilliert.

III)

Die Markenkunst stellt ihren Doppelstatus als Kunstwerk und Markenbotschafi aus. Die Markenkunst ist sich der in der zweiten These aufgestellten Prämisse nicht nur unterschwellig bewusst, sondern stellt sie mit

16 17 18

W. Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter, S. 153. M. Panagiotidou: Mythos und Werbung, S. 154. "Der neue Citroen", "Zwei Mythen des Jungen Theaters" und "Adamov und die Sprache" sind Überschriften dreier Essays, welche Roland Barthes im ersten Teil seiner Mythen des Alltags zusammenfasst.

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sich ex negativo über die Abgrenzung zu traditionellen Kunstkategorien definiert und laut Benjamin die "Liquidierung des Traditionswertes am Kulturerbe"16 vorantreibt. Zudem vollzieht diese Gegenwartskunst mittels ihrer Aneignungsgeste den "Zwang zur Gegenwartsbezogenheit" 17 als systemimmanentes Merkmal jeder Markenbotschaft mit und partizipiert dadurch am Markenkult Mit dem Begriff ,Markenkult' soll in diesem Buch die mythische Inszenierung innerhalb des populären Diskurses sowie die Anschlussmöglichkeit der Marke im System der Religion beschrieben werden. Seine theoretische Fundierung findet er vor allem in den kulturtheoretischen Untersuchungen Roland Barthes' zum Mythosbegriff, der auf die Marke ebenso anwendbar ist wie auf das Kunstwerk, auf den neuen Citroen ebenso wie auf die Theaterliteratur. 1 ~

1.3

ZWANZIG THESEN

Aus der Zielsetzung der Untersuchung lassen sich insgesamt zwanzig Thesen ableiten, die sowohl Kunst und Marken als kommunikative Phänomene in den Blick nehmen als auch die Markenkunst und deren Aussagen. Diese geben dem vorliegenden Buch zugleich eine Argumentationslinie vor. Tm Fazit (Kapitel 6) sollen sie erneut aufgegriffen und mit Verweis auf die Untersuchungen in den Unterkapiteln umfassender kommentiert werden.

I)

Die Marke ist ein Parasit und kann als Kunst verstanden werden. Als Medium der populären Kommunikation wohnt der Marke die Möglichkeit inne, verschiedene kommunikative Anschlussmöglichkeiten zu evozieren und als Gast des Kunstsystems zu agieren.

11)

Markenbotschafien und Kunstwerke sind Aquivalenzmedien. Marke und Kunst müssen als zwei Seiten einer Entität begriffen werden, die unablässig zwischen verschiedenen Beobachtungsordnungen und kommunikativen Anschlüssen oszilliert.

III)

Die Markenkunst stellt ihren Doppelstatus als Kunstwerk und Markenbotschafi aus. Die Markenkunst ist sich der in der zweiten These aufgestellten Prämisse nicht nur unterschwellig bewusst, sondern stellt sie mit

16 17 18

W. Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter, S. 153. M. Panagiotidou: Mythos und Werbung, S. 154. "Der neue Citroen", "Zwei Mythen des Jungen Theaters" und "Adamov und die Sprache" sind Überschriften dreier Essays, welche Roland Barthes im ersten Teil seiner Mythen des Alltags zusammenfasst.

BEOBACHTUNG VO N MARKE UND KUNST

I 23

dem Verweis auf ihren eigenen Doppelstatus aus und sich selbst dadurch kontinuierlich in Frage. IV)

Die Markenkunst markiert den Umschlagpunkt von moderner zu postmoderner Kunst. Die Markenkunst greift auf bereits geschriebene Texte zurück und avanciert als Brückenschlag zwischen hoher und populärer Kunst in Abgrenzung zum Projekt der Moderne selbst zum Grenzbegriff, zum Umschlagpunkt von der modernen zur postmodernen Kunst.

V)

Marken- und Künstlername, so zeigt die Markenkunst, fungieren als Träger der Funktion ,Autor '. Die Markenkunst ersetzt das (moderne) Künstlersubjekt durch einen Namen mit klassifikatorischer Funktion.

VI)

Die Markenkunst stellt die Frage nach dem ,Neuen' zur Selbsterhaltung der Kunst neu. Die Markenkunst priorisiert die Formwiederfindung vor der Formerfindung, gibt die modernistische Distanz zur Tradition auf und stellt sich damit gegen die historischen Avantgarden und ihren linearen F ortschrittsglauben.

VII)

Die Markenkunst negiert die Wert-Hierarchie von ,High Art' und ,LowArt '. Die Markenkunst spielt mit dem Reiz des Trivialen, um das Ästhetische zu reizen, und führt mit der Aneignung des Trivialen die WertHierarchisierung von ,High Art' und ,Low Art' in eine WertDifferenz über.

VIII)

Die Markenkunst thematisiert die Abhängigkeit ästhetischer Wertsetzung vom Rezeptionskontext. Die Markenkunst macht auf die Kunstinstitution als Vorbedingung des Beobachtens von Beobachten aufmerksam und zeigt damit die unsichtbare Funktion des Zeigens, die dem Museum als Rahmung von Kunst inhärent ist.

IX)

Die Markenkunst referiert auf verschiedene Konstruktionsprinzipien der Kunst. Mit ihren unterschiedlichen Aneignungsmodi nimmt die Markenkunst unterschiedliche Darstellungsmodi der bildenden Kunst und deren "semantische Entwicklung" 19 kritisch-reflexiv in den Blick.

19

N. Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 272.

24

I ÖKONOMISCHE ÄSTHETIK UND MARKENKULT

X)

Die Markenkunst stellt das Kunstwerk als Prototypen eines Luxusmarkenproduktes dar. Die Markenkunst beobachtet die Beobachtung der Kunst als idealen Repräsentanten aller Markenprodukte und als Spekulationsware, die ihren Markenwert gerade ihrem geld-fernen Sonderstatus unter den Waren verdankt.

XI)

Markenkunstführt das Museum als Werbe- und Verkauj~raum vor. Die Markenkunst offenbart das unternehmerische Eigeninteresse des Museums, welches seiner Marktpositionierung als marktferne Institution entgegensteht.

XII)

Markenkunstführt zur Reauratisierung technischer Reproduktionen. Markenkunst, die technisch reproduzierte Markenbotschaften ohne Original aneignet, stellt zum einen Fragen nach dem Status von Original und Kopie und erwirkt zum anderen eine Reauratisierung der übernommenen Markenbotschaften.

XIII)

Markenkunst verweist auf massenmediale Realitätskonstruktionen. Die Markenkunst reflektiert mit ihrem Rückgriff auf massenmedial verbreitete Markenbotschaften die Verdoppelung von Realität, wie sie die Massenmedien vornehmen.

XIV)

Markenkunst arbeitet mit massenmedialen Aufinerksamkeitsfängern. Aufmerksamkeitsfanger werden von der Markenkunst zur Sicherung der Teilnahmebereitschaft an der Kunst eingebunden und in der Kunstkommunikation zugleich kritisch-reflexiv in den Blick genommen.

XV)

Die Marke übernimmt Sinnstifiungsaufgaben, denen sich die Kunst verweigert. Die Markenkommunikation bildet Semantiken aus, die exemplarisch vorführen, wie Identität konstruiert, gelebt und dargestellt werden kann. Damit übernimmt die Marke Sinnstiftungsaufgaben, die vor der Ausdifferenzierung noch der Kunst oblagen.

XVI)

Die Markenkunst beobachtet die Aneignung der Kunst von Seiten der Marke. Die Markenkunst kehrt die Strategien der Markenkommunikation um, welche immer wieder auf Bildwerke aus dem Vorrat der Kunst zu1ückgreift, und macht damit die ihrer Aneignung vorangegangene Aneignung beobachtbar.

BEOBACHTUNG VON MARKE UND KUNST

I 25

XVII) Die ästhetische Ökonomie wendet sich von Bildwerken ab und der Kunst zu. Wo Markenkommunikation selbstreferentiell auf die eigenen Formen der Mitteilung verweist, bildet sie Kunstkommunikation nach und erschafft selbst Kunstwerke, die ihren Doppelstatus ausstellen: ästhetische Ökonomie. XVIII) Dem Wiederschreiben von Markenbotschafien ist ein Widerschreiben inhärent. Das Wiederschreiben von Markenbotschaften mittels der Markenkunst legt die Verfahrensweisen der angeeigneten Texte offen und entfaltet insofern widerständiges Potential. XIX)

Die Markenkunst steigert den eigenen Marktwert mit etablierten Markenzeichen. Markenktmst greift immer auf bereits etablierte Markenzeichen zurück und klinkt sich in bereits existierende Publizitätszyklen ein.

XX)

Marke und Kunst treffen sich im Kult. Der Markenkunst gelingt es, Analogien zwischen Marke und Kunst herzustellen, di e auf dem Begriff ,Kult' beruhen, welcher die Inszenierung von Mythen innerhalb des populären Diskurses beschreibt und das System der Religion in den Blick nimmt.

Diese zwanzig Thesen gilt es im Folgenden zu belegen. Als Grundgerüst für die Argumentationsstruktur soll dabei die Theoriearchitektur der bereits erwähnten, neueren Systemtheorie dienen, welche nicht nur eine Differenzierung verschiedener Kommunikationsformen erlaubt, sondern -und gerade darin verdichtet sich der Vorteil ihrer Anwendung für diese und in dieser Untersuchung - auch deren Vergleich.

32

I ÖKONOMISCHE ÄSTHETIK UND MARKENKULT

liehe Reproduktion mitvollziehen. Sie unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der Art der durch sie ,verwalteten' Kommunikationen, die sie als jeweils eigenen Modus der eigenen Operationen verwenden. An dieser Stelle setzt der Vergleich zwischen Marken und Kunst an. Mit ihrer Zuordnung zum System der Wirtschaft und zum System der Kunst können die heterogenen Phänomene hinsichtlich ihrer Eigenschaften homogenisiert, das heißt vergleichbar gemacht und als soziale Tatsachen gegenübergestellt werden.

2.1

WIRTSCHAFT- MARKE

Dass die Marke in vielfacher Hinsicht ein Grenzbegriff ist, verrät schon die Etymologie des Wortes. Denn das Nomen ,Marke' leitet sich vom mittelhochdeutschen Wort ,marc' ab, welches mit ,Grenzzeichen' oder ,Grenzland' oder ,durch ein Zeichen markierte Grenze' übersetzt werden kann. Zudem verweist es auf das französische Wort ,marque', welches um 1700 mit der Bedeutung ,Kennzeichen' oder ,auf einer Ware angebrachtes Zeichen' in die deutsche Sprache rückentlehnt wurde. Die Marke markiert demnach. Indem sie eine unterschiedene Seite bezeichnet, generiert sie einen ,marked space'. Aber sie beobachtet nicht nur, sondern wird ihrerseits beobachtet, dient sie doch der Unterscheidung von Waren, die sich zum Konsum anbieten. Schon auf den Mauern von Troja, den Gebäuden von Ägypten und Rom sowie den Tempeln von Jerusalem hinterließen Steinmetze ihre Kennzeichen. Mehr als 4.000 Jahre lässt sich somit die Markierung zurückverfolgen. Notwendig wurde diese Form der Unterscheidung aber vor allem seit dem Mittelalter. Denn mit der Ausbildung und Verbreitung der Städte wuchs auch die Ausbildung der Zünfte und Gilden, die mittels der Markierung ihrer Waren durch ein öffentliches Schauzeichen einer Verwechslung vorbeugen und die Qualität ihrer Erzeugnisse garantieren konnten. Der Materialwert und die Materialbearbeitung definierten damals vornehmlich den Unterschied zwischen begehrten und alltäglichen Gegenständen, manchmal auch die Person, die etwas herstellte oder verkaufte. In diesem Fall nahm der Ruf- oder das Image - schon den gleichen Stellenwert wie die materielle Verfasstheil des Produktes ein. Das galt insbesondere für so genannte ,Meisterrnarken ' oder ,Meisterzeichen', die als Personalzeichen individuell zurechenbar waren und vererbt oder verkauft werden konnten. Sie stellen den Prototyp für jene Form der Markierung dar, die "die Renaissance, wenn nicht Neugeburt des Markenwesens in der Marktwirtschaft einläutete, nämlich die Herstellerrnarke". 17 Im Zeitalter der Industrialisierung und der Fertigung von Produkten für eine anonyme Masse half das Qualitätsversprechen der Herstellermarken,

17

K.-U. Hellmann: Soziologie der Marke, S. 46.

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I 33

Vertrauen zwischen einander fremden Produzenten und Konsumenten aufzubauen und somit die größer werdende Kluft zwischen der Sphäre der Produktion und der Konsumtion zu überwinden. Mit dem Kauf eines Markenproduktes konnte der Verlust an Warenkenntnis und das Nichtkennen des Marktpartners ausgeglichen werden. Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass in diese Zeit der Erlass eines ersten reichsweit geltenden Gesetzes zum Schutz der Warenbezeichnungen fallt, welches besonders den differenzierenden Charakter der Markierung hervorhebt: "Wer sich in seinem Geschäftsbetriebe zur Unterscheidung seiner Waren von den Waren anderer eines Warenzeichens bedienen will", heißt es im ersten Paragraphen des 1894 erlassenen Gesetzes, "kann dieses Zeichen zur Eintragung in die Zeichenrolle anmelden." 18 Erstmals waren durch dieses Gesetz neben den figürlichen Zeichen auch Wortzeichen zur Eintragung als Warenzeichen zugelassen. Bis 1910 wurden knapp eine viertel Million Anmeldungen bei 134.540 Eintragungen vermerkt, vorrangig in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie sowie in der chemischen Industrie. 19 Diesen Bereichen sind auch die ersten klassischen Marken wie Maggi (1887), Odal (1893), Jacabs (1895) oder Aspirin (1899) zuzuordnen. 2007 und damit knapp einhundert Jahre später verzeichnete das Deutsche Patent- und Markenamt einen nationalen Bestand von 764.472 Marken und 76.165 Neuanmeldungen. Längst zählen darunter ni cht mehr allein Herstellermarken, sondern auch Handelsmarken wie Edeka oder Dienstleistungsmarken wie TUI. Sie sollen einerseits darüber informieren, "wer der Hersteller bzw. Anbieter eines Produktes oder einer Dienstleistung ist"20 , andererseits, welcher symbolische ,Zusatznutzen' mit ihrem Konsum verbunden ist. Im Unterschied zu den rein physischen Merkmalen einer Ware umfasst der Zusatznutzen sämtliche Produktnutzenaspekte, die nicht materiell sind und sich vornehmlich aus der Perspektive des Verbrauchers erschließen. Begründet wird er vor allem durch das so genannte Markenimage, das bei zunehmender qualitativer Gleichheit und Austauschbarkeil einzelner Produkte neue Argumente für den Kauf und Verkauf der Markenware ins Feld führt. Odal gehörte zu einer der ersten Marken, die in ihrer Kommunikation den eigentlichen Produktnutzen z ugunsten produktferner Inhalte vernachlässigte und damit den Zusatznutzen gegenüber dem so genannten Grundnutzen präferierte. Denn das von Kar! August Lingner 1892 auf den Markt gebrachte Mundwasser zeichnete sich nicht nur durch einen äußert prägnanten, aus ,odous' (aus dem Griechischen: Zahn) und ,oleum ' (aus dem Lateinischen: Öl) künstlich zusammengesetzten Namen und die unverkennbare Gestaltungsform seiner Verpackung aus, sondern auch durch Reklamebotschaften, die das Produkt mit bestimmten Geflihlen und Befindli chkeiten der

18 19 20

R. Busse/J. Starck: Warenzeichengesetz, S. I. Vgl. K. Haensel: Die Eintragbarkeil als Warenzeichen. F.-R. Esch: Strategie und Technik der Markenführung, S. 18.

34

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Käufer verband. Während die Werbung21 kurz nach der Einführung des Produktes lediglich dazu diente, den Markennamen, die außergewöhnliche Verpackung und den Grundnutzen des antiseptischen Mundwassers bekannt zu machen, richtete sie sich kurz nach der Jahrhundertwende "verstärkt auf die Unterstützung gewisser Befindlichkeiten des aufstrebenden Bildungsbürgertums ein, das seine Gesellschaftsfahi gkeit besonders an den Werten Gesundheit und Schönheit bemaß'm, so Kai-Uwe Hellmann. ln seiner Untersuchung zur Soziologie der Marke stellt er dar, wie es der Odal-Reklame gelang, mit der Verknüpfung von Hygiene und Kultur das Bürgertum gezielt anzusprechen und ein Problem bürgerlichen Standesbewusstseins zunächst aufzurufen, um schließlich eine Lösung in Form des Produktes anzubieten: "[D]ie Odal-Reklame [verstärkte] gewissermaßen ein Problem des bürgerlichen Standesbewusstseins, nicht qua Geburt ausgezeichnet zu sein, sondern erst qua Leistung in den Genuss der gesellschaftlichen Adelung gelangen zu können. Gleichzeitig war mit Odal-Mundwasser aber auch e ine Lösung zur Hand, um diesem Makel niederer Herkunft abzuhelfen. " 23

1903 führte Lingner eine Anzeigenkampagne ein, die besonders unter den deutschen Bildungsbürgern bekannte Kun stzitate aufgriff, so zum Beispiel Amold Böcklins Toteninsel. Nicht mehr der Hinweis auf das Markenprodukt und seinen Grundnutzen, sondern die Verknüpfung von Kulturbeflissenheit und Markenname standen in den Anzeigen dieser Kampagne im Vordergrund. Die Aufwertung durch und die Bezugnahme auf gesellschaftliche Werte sollte eine Gleichsetzung dieser Werte mit der Marke Odol bewirken. Durch eine möglichst originalgetreue Rekonstruktion der für die Zielgruppe alltäglichen oder angestrebten Lebensverhältnisse wurde Odol mit "Konzeptionen des Wünschenswerten" 24 verbunden. Der kurze Verweis auf die Marke Odol soll an dieser Stelle genügen, um darzulegen, dass es bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer Verschiebung von der Waren- zur Imageproduktion kam. Wirtschaftsunternehmen sind seitdem weit mehr als Lieferanten schnöder Produkte. 25 Im Fokus der Aufmerksamkeit und der Anstrengungen weltweit operierender Konzerne steht vielmehr die kommunikative Funktion der Marke. Die junge

21

Werbung wird hier und im Folgenden verstanden als Werben um ein Publikum, mithin als Gesamtheit aller Markenbotschaften. Ist von der klassischen, das heißt von gekennzeichneter Werbung in Form von Plakaten, Anzeigen- und Fernsehwerbung die Rede, so w ird dies explizit erwähnt.

22

K.-U. Hellmann: Soziologie der Marke, S. 58.

23 24

Ebd., S. 59. H. Karmasin: Kunst und Werbung, S. 182.

25

Vgl. F.-R. Esch: Strategien der Markenführung, S. 10: "Die Ditierenzierung zwischen schnöden Produkten und Marken ist heutzutage ein Muss."

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I 35

Wissenschaft vom Markenwesen2" hat diesen Schritt- mit einiger Verspätung- nachvollzogen und orientiert sich heute nicht mehr am Hersteller, der ein Markenprodukt anbietet, sondern am Verbraucher, der die Marke nachfragt. Noch 1963 formulierte Konrad Mellerowicz in seiner überarbeiteten Fassung des 1955 erstmals erschienenen Klassikers Markenartikel. Die ökonomischen Gesetze ihrer Preisbildung und Preisbindung folgende, merkmalsorientierte Markendefiniti on: " Markenartikel sind flir den privaten Bedarf geschaffene Fertigwaren, die in einem größeren Absatzraum unter einem besonderen, die Herkunft kennzeichnenden Merkmal (Marke) in einheitlicher Aufmachung, gleicher Menge sowie in gleichbleibender oder verbesserter Güte erhältlich sind und sich dadurch sowie durch die für sie betriebene Werbung die Anerkennung der beteiligten Wirtschaftskreise (Verbraucher, Händler und Hersteller) erworben haben (Verkehrsgeltung)." 27

Die Marke signifizierte demnach einen Artikel, der Einheitlichkeit und Güte, kurz: Qualität versprach. Ihr Erfolg und ihre Durchsetzung wurden in Abhängigkeit vom Hersteller des Markenartikels begriffen. Auch die von Hans Domizlaff begründete Markentechnik ging davon aus, dass Käufer aufgrund ihres mangelnden Fachwissens nach Angeboten suchen, die Qualität suggerieren, selbst dann, wenn sie mit diesen keine persönl ichen Erfahrungen verbinden. Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens überschrieb er sein 1939 erstmals veröffentlichtes Lehrbuch der Markentechnik, das eine Anleitung zur erfolgreichen Etablierung von Marken lieferte. Indem Domizlaff die Marke jedoch begriff als ein "Produkt der Masse, in deren Gehirn sie sich als Bestandteil der Vorstellungswelt bilden muss"28, ging er über den reinen Herstellungsaspekt von Marken hinaus und einen Schritt auf den Konsumenten zu, dem er die Definitionsmacht übertrug. Auch für die Wissenschaft des Markenwesens war die Kompl exität der Marke nun per dejinitionem nicht mehr von der Produzentenseite her organisier- und kontrollierbar, sondern wurde dem Markt überantwortet. "Man sagt zwar, dass der Markentechniker eine Marke schafft", führt Domizlaff weiter aus, "aber das ist nur eine sprachl iche Vereinfachung. Der Marken-

26

27 28

Vgl. K.-U. Hellmann: Soziologie der Marke. ln den 1920er und 1930er Jahren wurden erstmals Studiengänge aufgebaut, die sich des Markenthemas annahmen. Zudem stieg die Anzahl der Veröffentlichungen zur Marke sprunghaft. Zu einer der ersten, ernstzunehmenden Auseinandersetzungen mit dem Thema gehört Franz Findeisens Buch Die Markenartikel im Rahmen der Absatzökonomik der Betriebe, welches 1924 erschien. Heute wird die Wissenschaft vom Markenwesen dem Fachbereich ,Marketing' zugeordnet, der eine Disziplin der Wirtschaftswissenschaften darstellt. Markenuntersuchungen anderer Disziplinen haben noch immer Seltenheitswert. K. Mellerowicz: Markenartikel, S. 39. H. Domizlaff: Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens, S. 134.

36

I ÖKONOMISCHE ÄSTHETIK UND MARKENKULT

techniker liefert gewissermaßen nur eine Materialkomposition, die besonders geeignet und verführerisch ist, um von der Masse aufgenommen und zu einer lebendigen Marke auferweckt zur werden."29 Die Herstellung eines Produktes und die Etablierung einer Marke wurden somit als voneinander getrennte Prozesse aufgefasst. Der zweite war maßgeblich an die Kommunikation zwischen Wirtschaftsunternehmen und Verbrauchern gebunden, eine Kommunikation, die von nun an häufig von den ununterscheidbaren Qualitätsmerkmalen einzelner Produkte absah und stattdessen emotionale Aspekte und die subjektive Befindlichkeit des Konsumenten in den Blick nahm. 30 Immer öfter wurden Marken auf Eigenschaften abgestellt, "welche der Welt der zu erwartenden Produktvorteile enthoben, ja völlig fremd" 31 waren. Christopher Bangte, ehemaliger Design-Chef von BMW, erklärt das folgendermaßen: "Wie man die Leute dazu bekommt, einer Reihe fahrbarer Kathedralen eine weitere hinzuzuftlgen, jede noch wertvoller als ihr Vorgängermodell? [... ] Durch Emotion. Die mächtigste Motivationsquelle auf unserer Erde [... ] flir Liebe und Hass, Freude und Angst, Stolz und Reue. Wenn Sie das richtige Trio von Wörtern mit zwei Tonnen Stahl, Aluminium, Glas, Leder und Gummi kombinieren, dann erhalten Sie den emotionalen Gegenwert[ ... ] von drei Millionen Dollar."12

Für Unternehmen wie BMW zählt nicht mehr die so genannte , Unique Selling Proposition' (USP), sondern die ,Unique Content Proposition' - die ,Freude am Fahren' eben oder gleich das ,Prinzip Freude' , mit dem 2004 die Werbekampagne für den I er BMWüberschrieben wurde. Inhalte und populäre Selbstbeschreibungsangebote von Seiten des Wirtschaftssystems sind heute mehr gefragt denn je. Der Grundnutzen, und damit die ehemals substantiellen Produktwerte, fungieren innerhalb dieser Markenkommunikation nur noch als Additive. Dadurch löst sich die Marke schließlich ganz von der materiellen Ware und fungiert als eigenständiges, hochkomplexes Kommunikationssignal im und jenseits des wirtschaftlichen Marktes, als virtuelles Metaprodukt Dieses Metaprodukt muss als soziales Phänomen aufgefasst werden. 33 Es existiert rein kommunikativ.

29 30

31 32 33

Ebd., S. 135. Vgl. R. Bergler: Psychologie des Marken- und Firmenbildes, S. 155: "Der Primat im Rahmen von Produkt- und Werbekonzeptionen kommt der psychischen und nicht der objektiven, logischen Realität zu." H.-G. Böcher: Die Marke als "Devise", S. 161. C. Bangle. Zitiert nach M. Mosebach: Mythos der Marke, o.S. Vgl. C.E. Linn: Das Metaprodukt, S. 87: "Das Metaprodukt ist ja ein soziales Phänomen, das als eine Reaktion auf das Angebot des Produzenten entsteht. [... ] Der Markt ist der Eigentümer des Metaproduktes, nicht der Produzent." Der Markt wird von Linn gleichgesetzt mit dem Käuferkollektiv, gemeint ist

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I 37

Diese Entwicklung fand auch im Gesetzestext ihren Niederschlag, der unter einer Marke mittlerweile "alle Zeichen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen, Hörzeichen, dreidimensionale Gestaltungen einschließlich der Form einer Ware oder ihrer Verpackung sowie sonstige Aufmachungen einschließlich Farben und Farbzusammenstellungen [versteht], die geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. '"4 Aus dem auf der Ware angebrachten Zeichen, das em Objekt an semen Grenzen repräsentierte, ist somit ein eigenständiges Zeichen geworden, das zwar noch auf Produkt oder Produzent zu verweisen vermag, aber zudem auch jene Bedeutungsakzente aufruft, die in der Kommunikation zwischen Verbraucher und Unternehmen sowie der Verbraucher untereinander etabliert werden. Diese Kommunikation kann und soll im Folgenden mittels der soziologisch orientierten Systemtheorie Niklas Luhmanns und der kulturtheoretisch orientierten Zeichentheorie von Charles S. Peirce untersucht und zusammengeführt werden. Denn vermittels dieser Theorien lässt sich aufzeigen, wie Marken innerhalb des Wirtschaftssystems kommunizieren und sich eine starke Präsenz im Markt und damit wiederum eine Leistungsfähigkeit des Marktes sichern. Außerdem demonstrieren sie, wie jenseits des Wirtschaftssystems ein Markenimage gebildet wird, welches eine wesentliche Voraussetzung für den ökonomischen Erfolg von Marken darstellt. "Große Marken haben beides: Power in the Mind und Power in the Market"35 , schreiben Henning Rossa und Udo Sladek im Branchenblatt Markenartikel. Diese beiden Eigenschaften sollen in den nächsten beiden Unterkapiteln als Überschriften und Untersuchungsschwerpunkte dienen.

2.1.1 "Power in the Market": Die Marke im Wirtschaftssystem Das kommunikative Letztelement des Wirtschaftssystems ist die Zahlung. Sie stellt für Niklas Luhmann den "unit act" 36 der Wirtschaft dar, welche demzufolge am Konsum, nicht an der Produktion orientiert ist. Das System ist darauf angewiesen, unaufhörlich Zahlung an Zahlung zu reihen, um

34 35 36

also die Gesellschaft an sich, auch wenn - wie später zu zeigen sein wird immer nur ein bestimmtes Zielpublikum angesprochen wird. Markengesetz: Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen, §3. H. Rossa!U. Sladek: Herausforderung flir das Marketing, S. 106. N. Luhmann: Die Wirtschaft der Gesellschaft, S. 52.

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seinen Fortbestand zu sichern. Seine Ausdifferenzierung verdankt sich dem symbolischen Kommunikationsmedium Geld, das keinen verwendungsunabhängigen Eigenwert vorweist, die binäre Codierung Zahlung/Nichtzahlung vorgibt und somit eine bestimmte Art der kommunikativen Handlung systematisiert. Etwas kann also nur dann der Wirtschaft zugerechnet werden, wenn Kosten oder Gegenzahlungen anfallen. In diesem Theoriezusammenhang werden Preise als Informationen für Kommunikationsprozesse und Strukturen der Selbsterhaltung aufgefasst. Denn an ihnen bilden sich für Luhmann Strukturen für erwartbare Geldzahlungen aus. Die Gründe für die Zahlungen und Nichtzahlungen- auch sie haben für das Wirtschaftssystem Bedeutung, wenn eine Geldausgabe zumindest erwogen wurde und solange sie nicht zur Regel werden - müssen in der Umwelt des Wirtschaftssystems gesucht und können mit dem Begriff ,Bedürfnis' beschrieben werden. Das Bedürfnis, verstanden als natürliches Verhältnis des Menschen zu seiner Zukunft, ist eine wirtschaftssysteminterne Form der Informationsverarbeitung und somit keine jenseits dessen vorgegebene anthropologische oder psychologische Motivierung. Es sichert die Inklusion der Gesamtbevölkerung in die Wirtschaft und stellt damit die Leistung, den Bezug des Wirtschaftssystems zu seiner innergesellschaftlichen Umwelt, dar. Die Funktion des Wirtschaftssystems hingegen liegt in der "Erzeugung und Regulierung von Knappheiten zur Entproblematisierung künftiger Bedürfnisbefriedigung"37 oder kürzer: in der "Vorsorge für die Befriedigung zukünftiger Bedürfnisse"38 . Mit der Industrialisierung wurde der letzte Schritt zur Abhängigkeit der Umweltabhängigkeit des Wirtschaftssystems vom Wirtschaftssystem selbst vollzogen. Denn seitdem sind alle Produktionsbedürfnisse, auch die Arbeit und die Ressourcen zur Fertigung von Gütern und Dienstleistungen, selbst nur noch gegen Zahlungen erhältlich. Die Reproduktion von Zahlungsfähigkeit ist dadurch abhängig von der Reproduktion von Zahlungsfähigkeit, "die Wirtschaft ein monetär integriertes System und als solches in allem, was seine eigene Reproduktion betrifft, ausdifferenziert. Die Gesellschaft gibt jede Verantwortung für ihre eigene Wirtschaft auf."39 Wie jedes andere Funktionssystem kann sich das Wirtschaftssystem von nun an nicht mehr auf gesamtgesellschaftliche Vorgaben ftir seinen Erfolg verlassen, sondern muss selbst für seinen Erhalt und ftir die Aufrechterhaltung seiner Differenz zur Umwelt sorgen, indem es immer wieder und trotz künstlich knapp gehaltener Geldmengen zu neuen Zahlungen motiviert. Daher benötigt es eine systemeigene Konditionierung der Zahlungsvorgänge. Diese sind für Luhmann mit variablen Preisen gegeben, welche zur Steuerung eigener lnstabilitäten benötigt werden. Denn die Zahlung schafft zwar hohe Sicherheit einer beliebigen Verwendung des Geldes seitens des

37

Ebd., S. 65.

38 39

Ebd., S. 132. Ebd., S. 62.

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I 39

Eigentümers, aber hohe Unsicherheit bei der bestimmten Verwendung für den Anbieter von Produkten. Außerdem fUhrt die Zahlung zum Verlust des Optionswertes in Form mehrerer Verwendungsweisen des Ge ldes und zur Zahlungsunfahigkeit, weshalb auch das Behalten von Geld, das Nichtzahlen, eine Entscheidungsmöglichkeit darstellt. Auf dem Markt, verstanden als "wirtschaftsinterne Umwelt der partizipierenden Systeme des Wirtschaftssystems"40 und mithin als soziales Konstrukt, erlauben Preise ein Beobachten von Beobachten. Jede Zahlung und Nichtzahlung stellt schließlich das Resultat einer über Preise orientierten Beobachtung des Verhaltens anderer dar. Gleichsam setzt sie sich selbst der Beobachtung durch andere aus. Somit dienen Preise den Anbietem, welche die Motive etwaiger Käufer nicht beobachten können, als Mittel der Information über den Zusammenhang von Konkurrenz, Tausch und Kooperation. "Man muss", so Luhmann, "einen Preis identifizieren, dann kann man daran ablesen, ob man selbst diesen Preis bezahlen will oder nicht; ob man selbst zu diesem Preis produzieren kann oder nicht; ob andere diesen Preis zahlen werden oder nicht; ob andere zu diesem Preis produzieren können oder nicht."41 Informationen über den Markt sind demnach nur anband von Preisen zu gewinnen. Sie ermöglichen die Beobachtung der systeminternen Umwelt ,Markt' und erlauben Annahmen darüber, ob flir das Gut eines Anbieters profitable Preise gezahlt werden oder nicht, was wiederum zu einer Über- oder Unterproduktion fUhrt. "Eine auf Gewinn abzielende Strategie kann [deshalb] nur dann richtig sein, wenn die des Konkurrenten falsch ist.'A2 Das eigene Verhalten bleibt mit Blick auf die Zukunft ftir jeden Marktteilnehmer riskant. Entschieden werden muss deshalb, ob ein Risiko akzeptabel oder nichtakzeptabel erscheint. Marken können dieses Risiko wenn schon nicht auflösen, so zumindest verringern, da sie eine beinahe konkurrenzlose Strategie flir den Anbieter von Produkten ermöglichen und Entscheidungsprogramme für den Kauf von Produkten liefern. Diese Programme legen im Rahmen der Systemtheorie richtiges Verhalten in repetierbarer Form fest. Dazu gehören bezogen auf das Wirtschaftssystem einerseits unabweisbare Bedürfnisse, die als natürliche Programme zur Geldausgabe zwingen, andererseits "artifizielle Programme des Konsums oder der Produktion, die regulieren, unter welchen Bedingungen Teilnehmer am Wirtschaftssystem Zahlungen bzw. Nichtzahlungen in Abstimmung mit sonstigen Operationen für richtig halten." 43 Obwohl Luhmann in seiner Theorie über Die Wirtschaft der Gesellschaft feststellt, dass Preise "noch keine vollständigen Entscheidungsprogramme"44 fl.ir Zahlungen darstellen und sich nicht alle Markten!-

40 41 42 43 44

Ebd., S. 94. Ebd., S. 111. Ebd., S. 120. Ebd., S. 226. Ebd., S. 227.

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scheidungen primär am Preis orientieren, rechnet er mit einer Eigenregulierung des Marktes, welche ausschließlich über variable Preise erfolgt. "Die Orientierung an anderen Werten" scheint ihm zwar "selbstverständlich möglich, denn die ausgeschlossenen Drittwerte können auf der Ebene der Programme des Wirtschaftssystems durchaus berücksichtigt werden. Sie fungi eren dann aber ökonomisch mediatisiert, sind dann eingeschlossene ausgeschlossene Drittwerte [... ] ,Parasiten' im Sinne von Michel Serres."45 Die Sachprogramme für Investition und Konsum repräsentieren für die Systemtheorie nur die Komplexität der Umwelt, die Budgets dagegen "die Härte der Autopoiesis des Systems"46 . Dabei ist gerade mit dem von Serres übernommenen Begriff des Parasiten47 oder des Parasitären eine Beschreibungshilfe für Phänomene gegeben, welche die Orientierung am Preis in den Hintergrund drängen oder sogar vollkommen negieren - ftlr Marken beispielsweise. Denn Preise können bei der gegenwärtigen Unübersichtlichkeit des Leistungsangebotes auf nahezu vollkommen gesättigten Märkten eben nicht mehr jenen Maßstab liefern, der zweifelsfreies Vergleichen erlaubt.48 Um dies zu veranschaulichen, sei auf eine Studie der amerikanischen Wissenschaftler Sheena S. Iyengar und Mark Lepper verwiesen. Diese Studie zeigt, dass Kunden eines Supermarktes bei einem (zu) großen Angebot jenseits unabweisbarer Bedürfnisse gar nichts mehr konsumieren, und dies völlig unabhängig von den Produktpreisen. 49 Selbst die ökonomische Theorie lehnt die Auffassung ab, Preise könnten tatsächlich als einzige und zuverlässige Indikatoren für das Qualitätsniveau einer Leistung dienen. 50 Zeitmangel und Bequemlichkeit auf Seiten der Konsumenten werden dafür als Gründe genauso angeführt wie die Tatsache, dass auf einem intransparenten Markt der Preis allein nicht in der Lage ist, das Qualitätsniveau eines Angebots widerzuspiegeln, weshalb Kai-Uwe Hellmann zusammenfassend konstatiert: "Preise und Zahlungen sind zwar eine unverzichtbare Bezugsgröße ftir die Selbststeuerung moderner Märkte, aber die rigide Reduktion der Komplexität, wie sie als Informationen auf Märkten vorhanden ist, in Form von Preisen riskiert am Endedem Begriff des Marktversagens vergleichbar - ein ,Preisversagen ' , soweit es den Anspruch an Preise aufvollständige Informationsvermittlung betritll" 51

45 46 47 48 49 50 51

Ebd., S. 246. Ebd., S. 251. Vgl. M. Serres: Der Parasit. Vgl. D. Baecker: Information und Risiko in der Marktwirtschaft, S. 78: "Die Preise liefern den Maßstab, der den zweifelsfreien Vergleich erlaubt." Vgl. S.S. lyengar/M. Lepper: When Choice is Demotivating, S. 995-1006. Vgl. K.-U. Hellmann: Soziologie der Marke, S. 215. Ebd., S. 216.

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Der "erhebliche Programmierungs- und Motivbedarf' 52 , der daraus in Bezug auf die Selbsterhaltung des Wirtschaftssystems resultiert, stellt für Hellmann die Basis einer funktionalen Analyse des soziologischen Phänomens ,Marke' dar. Indem sie die Überschaubarkeil von Märkten wieder herstellt, wird die Marke für ihn zur Lösung eines wirtschaftsspezifischen Problems, das auf der unzureichenden Informationsvermittlung von Preisen beruht. Denn Marken sind ,preis-wert' : Sie garantieren, dass der Wert einer Leistung auch ihrem Preis entspricht und versprechen in Form von Markenvertrauen Risikobegrenzung auf täuschungsanfalligen, unübersichtlichen Märkten. Sicher erschöpft sich die Funktion der Marken nicht in der Komplexitätsminderung und Risikobegrenzung, doch lässt sich mit diesen Begriffen das Verhältnis von Marke und Markt beleuchten und mithin die Rolle der Marke im Wirtschaftssystem. Hier nämlich fungi ert die Marke als Entscheidungsprogramm und motiviert - in einigen Fällen stärker als der Preis - zur Inklusion ins System. "While price is of considerable importance to the marketing practitioner and to most people who purchase the products", schreibt Raymond C. Stokes 1986, "it probably is not as important as brand name, which communicates a great deal of information from the marketer to the consumer through the ,bundle' of information with which it has become associated through advertising, word ofmouth communication, and previous usage of the brand. " 53 Damit und dadurch fungiert die Marke aber gleichsam als ein Nebenmedium des symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums Geld, dem es nach Hellmanns Ansicht nicht gelingt, den Erfolg wirtschaftlicher Kommunikation einzig über die Preisfunktion sicherzustellen. Denn die Marke mindert das jedem Subsystem inhärente "Risiko des Abreißens von Selektionszusammenhängen"54, indem sie die Wahrscheinlichkeit einer Annahme auch für j ene Situationen verstärkt, in denen eher eine Ablehnung zu erwarten wäre, und innerhalb des Wirtschaftssystems zu Zahlungen genauso wie zu Nichtzahlungen motiviert. Somit verstärkt sie, wie jedes symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium, die "Chancen kommunikativen Erfolges im Prozess der Selbstselektion des Systems"55 . In diesem Zusammenhang verweist Hellmann darauf, dass Luhmann in seiner Theorie sozialer Systeme von so genannten Nebencodes spricht, auf di e im Falle funktionaler Mängel des Hauptcodes umgeschwenkt wird, wobei Marken seiner Ansicht nach nicht an die Stelle, sondern an die Seite des Geldes treten. Sie fungieren für Hellmann insofern als "symbolisch generalisiertes Komplementärmedium, das zwar nicht über alle, aber doch einige Eigen-

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Ebd., S. 2 16. R.C. Stokes: Effects ofPrice, Package Design and Brand Familiarity, S. 233 . N. Luhmann: Einfuhrende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien, S. 36f. Ebd., S. 44.

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schaften des Geldmediums verfügt, wie Code und Programmierung, Reproduktion durch Zirkulation und Diskreditierungsrisiken durch Inflation oder Deflation."56 Doch die Anschlussselektion in Form der Zahlung wird durch die Marke erst und nur dann gesichert, wenn die Markenkommunikation nicht nur den einmaligen Kauf eines Produktes oder einer Dienstleistung nach sich zieht, sondern den Konsumenten an eine Marke bindet und somit ,Markentreue' generiert. Für Hellmann bedeutet dies, angesichts von Kontingenz eine Entscheidung für Nichtkontingenz zu treffen und die Marke zur Entscheidungsgrundlage für Zahlungen und als Motivlage für richtiges Verhalten heranzuziehen. So gesehen fungiert die Marke im Wirtschaftssystem jedoch eher als ökonomisch mediatisiertes Programm denn als Komplementärmedium zum Geld. Sie ist j enes eingeschlossene ausgeschlossene Dritte, das Luhmann selbst als ,Parasiten' bezeichnet. Der Parasit fungiert als Kommunikator und erzeugt Informationen, die für die Selbsterhaltung des Wirtschaftssystems notwendig sind. Er ist ein kommunikativ Drittes, eine Relation, eine "Figur des Übergangs" 57 , wie Sabine Fabo in ihrem Essay über Parasitäre Strategien feststellt. Weil sich das Wirtschaftssystem nicht ausschließlich auf seine funktionsspezifischen Mittel verlassen kann, benötigt es jenen an Bedeutungsgrenzen angesiedelten Parasiten, der problemlos die Systemseiten wechseln kann. Es benötigt die Marke und mit ihr ,fremde' Kommunikationsweisen, um eine Inklusion in das System interessant zu machen und jenseits der zum ,Überleben' notwendigen Tauschgeschäfte im Medium Geld Zahlungen sicherzustellen. Diese absichtsvoll allgemein gehaltene Beschreibung führt denn auch zu einer funktionalen Bestimmung der Marke, die im Folgenden mit Bezug auf die systemtheoretischen Arbeiten Urs Stähelis unter dem Begriff "populäre Kommunikation" 5x subsumiert werden kann und soll. Stäheli setzt sich zwar nicht dezidiert mit dem Problem der Markenkommunikation auseinander, verweist jedoch bei seinen Untersuchungen des Populären auf dessen inklusionssteigernde Kommunikation und gebraucht für deren Beschreibung den Begriff des Parasiten. "Das Populäre", schreibt er, "nistet sich [... ] als Parasit in das Operieren von Funktionsystemen ein - und erzeugt dadurch eine notwendige paradoxale Spannung innerhalb von Funktionssystemen."59 Stähelis Betrachtungen gehen von der Annahme aus, die funktional differenzierte Gesellschaft bedürfe des Populären, um überhaupt funktionieren zu können. Das Populäre wird nicht von außen an Funktionssysteme herangetragen, sondern von ihnen selbst produziert, ja es muss sogar produ-

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K.-U. Hellmann : Soziologie der Marke, S. 228. S. Fabo: Die Kunst der (un)freundlichen Übernahme, S. 50. U. Staheli: Das Populäre in der Systemtheorie, S. 171. Ders.: Bestimmungen des Populären, S. 312.

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ziert werden, "um Inklusionsprozesse erfolgreich organisieren zu können." 60 Strukturell etabliert das Populäre Publikumsrollen, welche durch persuasive und affektive Kommunikation attraktiv gemacht werden. Es muss demnach als ein "Prozessieren der Unterscheidung zwischen Publikum und Außen"61 verstanden werden, wobei die Außenseite als Inklusionspotenti al bestimmt wird - auch das Nichtpublikum des politischen Systems kann schließlich eines Tages als Wähler agieren, insofern geeignete Wege gefunden werden, es zu adressieren und an einer Wahl zu interessieren. Wendet man die Beschreibung des Populären auf Marken an, dann sind diese als populäre Kommunikation der Ökonomie zu begreifen, produziert sowohl von den Organisationen des Wirtschaftssystems als auch von den Konsumenten mit dem Ziel, dem Preisversagen vorzubeugen und Entscheidungsprogramme bereitzustellen. Denn das, "was Camel von Marlboro unterscheidet, ist nicht das objektive Kriterium Preis oder der Nikotingehalt, sondern die emotionalen Konsumerlebni sse ,Dschungelabenteuer' versus ,Wild-West-Freiheit' , die diesen Marken durch emotionale Werbung aufgeprägt werden." 62 Durch den Konsum von Marken - gemeint ist hier nicht ausschließlich der Kauf - werden somit Publikumsidentitäten hergestellt und von einem Nichtpublikum abgegrenzt. Hierin gründet sowohl die Entlastungs-, Orientierungs- und Vertrauensfunkti on der Marke als auch ihre Identitäts- und Differenzierungsfunktion. Hierin gründet aber auch eine Infragestellung von Systemgrenzen. Denn populäre Kommunikationen können auch von anderen Funktionssystemen genutzt werden. Dabei setzen sie die Grenzen des jeweiligen Funktionssystems aufs Spiel 63 und destabilisieren sie als eine aus dem System selbst resultierende Subversion von innen heraus. Doch dieses Spiel muss in zwei Richtungen gedacht werden: Indem das Wirtschaftssystem mit der Marke ,spielt' , sichert es nämlich seine systemerhaltenden Kommunikationen, seine Abgrenzung zur Umwelt, und führt zudem Botschaften ein, die das System zu überschreiten vermögen. Die Marke ist somit nicht nur ein Grenzbegriff, sondern fungiert innerhalb der ausdifferenzierten Gesellschaft auch als Grenzgänger. Sie erzeugt einerseits durch die ,Markierung' einen Raum der Unterscheidung, die Differenz von ,marked space' und , unmarked space', liegt ab er andererseits genau auf der Grenze zwischen einer kapitalisierbaren u nd einer auch außerhalb des Wirtschaftssystems sinnstiftenden Kommunikation. Denn die Inklusion ins Wirtschaftssystem bedarf "hyperkonnektiver Kommunikatio-

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U. Stäheli: Das Populäre in der Systemtheorie, S. 171. Ders.: Bestimmungen des Populären , S. 3 13. W.G. Müller: Die Standardisierung internationaler Werbung, S. 221. Vgl. U. Stäheli: Bestimmungen des Populären, S. 313: "Beim Populären handelt es sich[ ...] nicht einfach um eine Marketingoption, mit deren Hilfe die Attraktivität eines Systems gesteigert werden kann, sondern auf dem Spiel stehen die Grenzen des jeweiligen Funktionssystems."

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nen, welche eine affektive Identifizierung mit dem Inklusionsprozess [der Zahlung für ein Produkt oder eine Dienstleistung also] erlauben und nicht an ein bestimmtes System gebunden sind."64 Indem das Populäre die Unterscheidung zwischen Publikumssemantiken und deren Außenseite kommunikativ prozessiert, im Wirtschaftssystem also zwischen Zahlung, Nichtzahlung und nicht erwogener Geldausgabe , vermittelt', agiert es als Parasit des Systems und eröffnet auch andere Anschlussmöglichkeiten als die der wirtschaftlichen Kommunikation. Das zeigen vor allem jene kommunikativen Offerten, die nicht in Form von Zahlungen ,verstanden' werden. Mehr als 22,5 Millionen Euro investierte beispielsweise der E.ON-Konzern im Jahr 2002 in Fernsehspots, die Arnold SchwarzeneggeT beim Schütteln verschiedener Küchengeräte, begleitet von den Worten "Mix it, baby", zeigten. Beworben wurde ein ,Mix-Power-Strom'-Paket, das den Kunden die eigene Zusammenstellung von Strom unterschiedlicher Herkunftsarten offerierte. Ganz nebenbei wurde damit auch demonstriert, dass die Wirtschaft jenseits politischer Steuerungen in der Lage ist, ein ökologisches Problembewusstsein zu entwickeln, auch wenn dieses lediglich als Verkaufsargument dient. Das Image des Stromherstellers wurde durch das Angebot jedenfalls "gehörig aufgewertet" 65 . Dennoch gewann er gerade einmal 1.100 Neukunden, die 1.291 Jahre lang mit Strom beliefert werden müssten, um allein die Werbekosten zu refinanzieren. Dass es auch anders gehen kann, fUhrt seit einigen Jahren der Sportartikelhersteller Nike vor. Durch die Einbindung prominenter Starathleten in die Markenkommunikation steigerte das Unternehmen seinen Jahresumsatz allein im Zeitraum von 1988 bis 1993 von 750 Millionen auf 4 Milliarden US-Dollar."6 2004 betrug der Umsatz mehr als 8 Milliarden US-Dollar. Der Marketingetat des Unternehmens lag damals bei 1,86 Milliarden US-Dollar und damit beim Doppelten des unversteuerten Gewinns."7 Letztlich wird die Marke im Wirtschaftssystem immer nach wirtschaftlichen Kriterien beobachtet und beurteilt, soll heißen: in Form von geleisteten Zahlungen und von Profit im Vergleich zur Konkurrenz. Der Code des Systems bleibt flir die Marke zwingend. Nur wenn sich Zahlungen an diese Form der Kommunikation anschließen, wird die Markenbotschaft als Mitteilungsangebat erneuert und kann sich die Marke erhalten. Schließlich offenbaren sich flir die Wirtschaftsorganisationen nur in den beobachtbaren Mitteilungshandlungen, den Kaufentscheidungen der Konsumenten, die Erfolge ihrer Bedürfnisse weckenden Kommunikationseinheiten. Obwohl Ludwig Berekoven 1978 noch davon ausging, dass es "unmöglich ist, eine vorwiegend soziopsychologische Erscheinung [wie die Marke]

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U. Stäheli: Das Populäre in der Systemtheorie, S. 184. So ein E.ON-Manager, der am 17.02.2002 in einem Artikel des Spiegels mit der Überschrift Vergiss es Baby zitiert wird. Vgl. N. Klein: NO LOGO!, S. 37. Vgl. T. Jacobs: Nur Bares ist Wahres.

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durch ökonomische Instrumente und/oder Methoden zu erklären""g, haben sich mittlerweile mehr als 30 in der Praxis angewandte Verfahren zur monetären Bewertung von Marken etabliert. Eines dieser Modelle stellt die preispremiumorientierte Markenbewertung dar, die vor allem deshalb hervorgehoben werden soll, weil sie noch einmal beispielhaft demonstriert, wie selten sich Konsumenten am Preis orientieren. Denn dieses Modell stützt sich auf die Annahme, dass Verbraucher bereit sind, für ein marki ertes Produkt einen bestimmten, quantifizierbaren Aufpreis zu zahlen, obwohl ein qualitativ gleichwertiges, unrnarkiertes und damit günstigeres Produkt verfügbar wäre. Wird die Preisdifferenz mit der Absatzmenge einer Periode multipliziert, ergibt sich daraus der monetäre Markenwert. Unabhängig vorn zugrundeliegenden Modell seiner Berechnung wird der Markenwert definiert als "der Barwert aller zukünftigen Einzahlungsüberschüsse, die der Eigentümer der Marke erwirtschaften kann" 69 . Doch die so genannte Markenwertberechnung steht vor dem Problem, häufig zu divergierenden Wertangaben zu kommen. Während die US-Beratungsfirrna Jnterbrand den Markenwert von Coca Cola im Jahr 2008 mit 66,7 Milliarden Euro angab, bewertete das Markenforschungsinstitut MilZward Brown die Marke zu Beginn des Jahres 2008 mit rund 58,2 Milliarden Euro. Diese Berechnungsunterschiede ändern aber nichts an der Bedeutung, di e dem Markenwert heute zukommt. Schließlich basieren mittlerweile weltweit über die Hälfte aller Unternehmenskapitalwerte auf Namens- und Markenrechten. Der Anteil des Markenwertes am gesamten Unternehmenswert stieg allein zwischen den Jahren 1999 und 2005 von durchschnittlich 56 auf 67 Prozent. 70 Deshalb gilt der Markenwert als zentrale Ziel- und Steuerungsgröße der Markenführung, auch im Hinblick auf den Verkauf von Marken an andere Organisationen. So betrug der Kaufpreis, den Philip Morris 1988 ftir die Übernahme der Marke Krafi zahlte, 12,9 Milliarden US-Dollar, von denen schätzungsweise 11 ,6 Milliarden US-Dollar, also 90 Prozent, allein flir den Wert der Marke entrichtet wurden. Der Preis resultierte aus dem hohen Bekanntheits- und Orientierungswert der Marke Kraft, welcher für Philip Morris wiederum Zahlungen in gewissen Größenordnungen erwartbar machte. Der solcherart in Preisen ausgedrückte Markenwert gibt als evaluatives Maß Auskunft über den Erfolg der Markenführung und bewertet im Nachhinein auch die Ausgaben zur Stärkung der Marke, die so genannten Marketingkosten, als lohnend. Er lässt jedoch keinerlei Rückschlüsse auf die Gründe des Erfolgs von Marken zu. Diese Gründe sind schließlich nicht allein innerhalb der Grenzen des Wirtschaftssystems zu suchen. Die Marke ,erschöpft' sich nicht in ihrer Funktion als wirtschaftliches Artefakt, das sich an Subsistenzbedürfnissen orientiert, also zum Konsum

68 69 70

L. Berekhoven: Verständnis und Selbstverständnis des Markenwesens, S. 45. F.-R. Esch: Strategien der Markenfuhrung, S. 59. Vgl. H. Sattler: Markenbewertung und Markenmanagement

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motiviert, um fiir die Befriedigung zukünftiger essentieller Bedürfnisse vorzusorgen. Gelangt doch jede Ökonomie letztendlich "in eine Sackgasse, wenn sie sich ausschließlich an den profanen Bedürfnissen der Menschen orientiert. Die sogenannten ,natürlichen' menschlichen Bedürfnisse sind nämlich äußerst begrenzt - und sehr leicht zu befriedigen. Eine entwickelte Ökonomie kann sich nur dann weiter steigern, wenn sie die natürlichen Bedürfnisse des Menschen übersteigt, wenn der Konsument seine natürlichen Bedürfnisse konsequent durch künstliche, frei erfundene Wünsche ersetzt - wenn er beginnt, nach dem Unnötigen, Überflüssigen, Luxuriösen zu streben." 71

Gerade aufgrund der Übersättigung des Marktes und der daraus resultierenden, "natürliche[n] Unwahrscheinlichkeit der Nachfrage" 72 müssen die Organisationen des Wirtschaftssystems Bedürfnisstrukturen erzeugen, die mitunter völlig produktfremd sind und sich über eine populäre, das bedeutet eine gesamtgesellschaftlich anschlussfahige Kommunikationsform von der Konkurrenz differenzieren, um das Risiko ihrer auf Gewinn abzielenden Strategie zu mindern und auch das Nichtpublikum in das System zu inkludieren, also zur Zahlung zu mobilisieren. Diese Strategie kann sich in den seltensten Fällen allein auf die Produktion von Gütem und preispolitische Maßnahmen stützen, auch wenn dieses Marketinginstrwnent noch immer gezielt eingesetzt wird. Sie beruht vielmehr auf der Erzeugung einer Unterscheidung auf semiotischer Ebene, vorderhand durch Bilder und Wörter, die ein Lesen erfordern, das heißt durch ein parasitäres Anknüpfen an vorhandene Strukturen ästhetischer Repräsentation. "Die grundlegende Macht der Herrschenden im Kapitalismus mag ökonomisch sein", stellt der Kulturwissenschaftler John Fiske hierzu fest, "aber diese ökonomische Macht wird von der semiotischen Macht, das heißt der Macht, Bedeutungen zu produzieren, zugleich untermauert wie auch überschritten."73 Jenes Moment der Überschreitung ist der Marke als grenzübergreifender, populärer Kommunikationsform inhärent, weshalb der ,eigentliche' Markenwert denn auch die gesellschaftliche Relevanz der Marke repräsentiert, während der monetäre Markenwert die systeminterne Autopoiesis stützt, das heißt die Selbstreproduktion des Wirtschaftssystems mittels jener Elemente, aus denen es besteht. Nur durch diese strikte Trennung kann sich das Wirtschaftssystem von einer Einigung über den ,eigentlichen' Wert einer Leistung emanzipieren/4 obwohl es kommunikativ durchaus auf ihn angewiesen ist, wie die Marke vorfUhrt. Da die Marke innerhalb des Wirtschaftssystems nicht ihrer gesamtgesellschaftlichen Leistung gemäß

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B. Groys: Topologie der Kunst, S. 53f. N. Luhmann: Die Wirtschaft der Gesellschaft, S. 69. J. Fiske: Lesarten des Populären, S. 22. So zum Beispiel von den Begriffen , Tauschwert' und ,Gebrauchswert', die Kar] Marx im ersten Kapitel seines Werkes Das Kapital einfiihrt.

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beobachtet wird, versucht das folgende Unterkapitel, eine Semiotik der Marke zu entwickeln, die systemübergreifend angelegt ist, also auch zwischen den von der Systemtheorie streng geschiedenen sozialen und psychischen Systemen vermittelt.

2.1.2 "Power in the Mind": Die Semiotik der Marke Der ,eigentliche' Wert einer Marke ist monetär nicht messbar, wird er doch "in den Köpfen der Anspruchsgruppen" 75 geschaffen. Jener Definitionsansatz von Franz-Rudolf Esch kann bis zu Hans Domizlaff zurückverfolgt werden, der die Marke bereits 1939 beschreibt als ein "Produkt der Masse, in deren Gehirn sie sich als Bestandteil der Vorstellungswelt bilden muss" 76 . Diese Auffassung ist heute Motor der meisten von den Wirtschaftsorganisationen umgesetzten Marketingmaßnahmen. Der daraus resultierende Markenwert beschreibt die in den Köpfen der Kunden vorhandenen Vorstellungen und Kenntnisse zu einer Marke: das Markenimage. Mittels Befragungen, dem Einholen von Einzel- oder Gesamturteilen, mitunter in Abgrenzung von Konkurrenzmarken, kann das Markenimage zwar ermittelt und somit kommunikativ aufgerufen werden. Es bildet sich aber vorderhand in den für soziale Systeme uneirrsichtigen und deshalb streng von ihnen geschiedenen psychischen Systemen- in der ,black box' des Bewusstseins. Für Luhmann ist "die Evolution der gesellschaftlichen Kommunikation nur möglich in ständiger operativer Kopplung mit Bewusstseinszuständen"77, das bedeutet, dass sowohl die sozialen Systeme als auch die psychischen Systeme die Prozessualisierungen des jeweils anderen Systems für ihre eigene Prozessualisierung voraussetzen; die Kommunikationen bedürfen also der Gedanken und umgekehrt. Doch die Systemtheorie präferiert die Kommunikation als Systemreferenz und ihre Anwendung erlaubt somit nur, die Marke als populäre Kommunikation innerhalb sozialer Systeme zu bestimmen. Gleichzeitig geht Luhmann davon aus, dass sowohl Kommunikation als auch Gedanken als Letztelemente der sozialen und psychischen Systeme im Medium Sinn operieren, dass also nicht nur die Kommunikation, sondern auch das Bewusstsein Sinn bestimmt und damit "bestimmte Anschlussmöglichkeiten nahelegt und andere unwahrscheinlich oder schwierig oder weitläufig macht oder (vorläufig) ausschließt."78 Die vorkommunikativen, "zeichenlosen Bewusstseinszustände"79 unterscheiden sich f"Lir Luhmann je-

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F.-R. Esch: Strategien der Markenflihrung, S. 62. H. Domizlaff: Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens, S. 134. N. Luhmann: Wie ist Bewusstsein an Kommunikation beteiligt, S. 117. Ders.: Soziale Systeme, S. 94. D.J. Krieger: Einführung in die Systemtheorie, S. 75.

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doch elementar von zeichenhaften Kommunikationen. Die Frage, wie sich ein zeichenloses Bewusstsein selbstreferentiell von der Kommunikation unterscheiden, sich seiner selbst also bewusst werden soll, ohne für diese Unterscheidung auf eine Bezeichnung zurückzugreifen, soll und muss an dieser Stelle unbeantwortet bleiben. Soweit das Bewusstsein nach Luhmann an Kommunikation teilhaben kann, indem es Mitteilung und Information unterscheidet80, muss es die solcherart wahrgenommene Kommunikation unter andere Fortsetzungsbedingungen stellen. Über deren Vollzug bzw. Selbstprozessualisierung werden von der Systemtheorie selbst keine näheren Aussagen getroffen, wenngleich Oliver Jahraus, ausgehend von der Symmetrie beider Systeme, die "Dreizügigkeit als ein Korrelat zur Differentialität des Prozesses"81 auch innerhalb des Bewusstseins begreift. Ohne auf das systemtheoretische, äußerst schwierige Verhältnis von Bewusstsein und Kommunikation 82 vertiefend einzugehen, wird an dieser Stelle ein weiteres theoretisches Konzept herangezogen, welches einen beobachtenden Zusammenschluss 83 der von Luhmann unterschiedenen Sinnsysteme im Medium Marke erlaubt, ohne die dreiwertige und prozessuale Konstitution der in der Systemtheorie konstruierten, subjektlosen Kommunikation aufzugeben. Gemeint ist die kulturtheoretisch orientierte Zeichentheorie von Charles S. Peirce. Da sie Gedanken und mithin die Letztelemente psychischer Systeme als Zeichen begreift, bietet diese Theorie die Möglichkeit, die Operationsweise psychischer Systeme näher zu bestimmen und Sinnsysteme übergreifend als semiotische Systeme zu betrachten. 84 Dafür sollen zunächst der Peirce' sehe Zeichenbegriff und Luhmanns Kommunikationsbegriff ineinander überführt werden. Peirce entwickelte seinen triadischen und dynamisch-prozesshaften Zeichenbegriff in einer Reihe von Schriften und verstreuten Ausführungen am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Für ihn lässt sich der Zeichenbegriff auf sämtliche Erfahrungsbereiche anwenden. Ein Zeichen repräsentiert für Peirce etwas, "das für jemand in irgendeiner Hinsicht ftir etwas anderes steht. Es wendet sich an jemanden, erzeugt also im Geist dieses Menschen ein gleichwertiges oder vielleicht ein komplexeres Zeichen. Dieses Zeichen, das es erzeugt, werde ich den Interpretanten des ersten Zeichens nennen. Das Zeichen steht flir etwas, nämlich flir sein Objekt.

80 81 82 83

84

Vgl. N. Luhmann: Wie ist Bewusstsein an Kommunikation beteiligt, S. 128. 0. Jahraus: Bewusstsein und Kommunikation, S. 38. Vgl. hierzu u.a. 0. Jahraus: Bewusstsein und Kommunikation, 0. Jahraus: Theorieschleife, D.J. Krieger: Einführung in die Systemtheorie. Womit angedeutet ist, das auch diese Beobachtung nur sehen lässt, was man ausgehend von ihr sehen kann, und sich einer kontingenten Zuschreibung zweier Theorien verdankt, die an dieser Stelle nur selektiv erörtert werden können. Der Ansatz basiert auf W. Scheibmayr: Zeichen, Bewusstsein, Kommunikation, S. 101-1 28, sowie D.J. Krieger: Einführung in die Systemtheorie, S. 62-97.

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Es steht für dieses Objekt nicht in jeder Hinsicht, sondern in Bezug auf eine Art von Idee, die ich zuweilen als Grundlage des Repräsentamen bezeichnet habe."85

Die Differenz von Objekt und Repräsentamen spiegelt die Luhmann'sche Differenz von Information und Mitteilung wider. Dabei dürfen sowohl die Information als auch das Objekt nicht verstanden werden als "konkretmaterielles noch durch sonstige Eigenschaften, sondern allein durch seine Funktion bestimmt, Bezugsgrund flir eine Serie von Zeichen zu sein" 86 . "Das unmittelbare Objekt, auf dessen Darstellung ein Zeichen abzielt", schreibt Peirce, "ist selbst ein Zeichen. [ ... ] Also ist ein Zeichen etwas, das ein anderes Zeichen in eine objektive Relation zu jenem Zeichen bringt, das es selbst darstellt. " 87 Eine Referenz jenseits des Zeichensystems und nichtsemiotische Gegenstände existieren somit nicht. Die kommunikative bzw. vermittelnde Leistung liegt fli.r Luhmann und Peirce nicht in der Erzeugung der Zeichen, sondern in der Erfassung eines Sinns, in der Systemtheorie durch das Verstehen, bei Peirce in Form des Interpretanten. Ebenso wie für Luhmann ist für Peirce die Drittheit charakteristischer Bestandteil jeder Kommunikation, daneben aber auch elementar für jede andere Form der Vermittlung, also ebenso für das Denken: "Kurzum, wo immer es Denken gibt, gibt es Drittheiten. Es ist die genuine Drittheit, die dem Denken sein Wesen verleiht, obwohl Drittheit in nichts anderem besteht, als dass eine Entität zwei andere Entitäten in eine Zweitheit zueinander bringt."KK Wie Luhmann geht auch Peirce von einer subjektlosen Kommunikation bzw. Vermittlung aus, deren Seinsweise mit dem Begriff des Vollzugs oder des Prozesses beschrieben werden kann. Denn während sich in den sozialen Systemen Kommunikation an Kommunikation, Ereignis an Ereignis reihen muss, um die Systeme überhaupt sicherzustellen, ersetzt in der Zeichentheorie von Peirce der Jnterpretant in einem unablässigen Semioseprozess das ihm vorausgegangene Repräsentamen und wird somit selbst zum Repräsentamen -jeder Gedanke zieht einen neuen nach sich, und alles Denken verläuft für Peirce "notwendigerweise in Zeichen" 89 . Jedes Zeichen trägt somit die Möglichkeiten des Anschlusses bereits in sich, so wie ja auch jede Kommunikation Anschlusskommunikation ist, da jedes Verstehen im Rahmen sozialer Systeme nur kommunikativ geäußert werden kann. Erst das Verstehen lässt genauso wie der lnterpretant Aufschlüsse darüber zu, was Information und was Mitteilung bzw. was Repräsentamen und was Objekt ist. Die Idee einer abweichenden Decodierung der beabsichtigten Mitteilung ist damit beiden Theorien inhärent.

85 86 87 88 89

C.S. Peirce. Zitiert nach U. Eco: Zeichen, S. I 62. M. Backes: Experimentelle Semiotik in Literaturavantgarden, S. 32. C.S. Peirce: Semiotische Schriften. Band I , S. 427. Ders.: Phänomen und Logik der Zeichen, S. 58. Ders.: Semiotische Schriften. Band I , S. 170.

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Eine Differenz in der Gegenüberstellung der beiden triadischen Relationen (Schaubild 1) ergibt sich jedoch daraus, dass Luhmann bei seinem Kommunikationsbegriff mindestens zwei psychische Systeme voraussetzt, Peirce jedoch nur eines. Denn für ihn existiert ein Interpretant überall dort, wo Vermittlung stattfindet, "gleichgültig, ob diese Vermittlung durch ein anderes Zeichen, durch eine Idee im Platonischen Sinn, durch ein mentales Bild, durch eine Definition oder durch die Notwendigkeitsbeziehung erfolgt, die den logischen Schluss mit der Prämisse, die ihn erlaubte, verknüpft."9