Konkurrenz um Menschenrechte: Der Kalte Krieg und die Entstehung des UN-Menschenrechtsschutzes von 1965-1993 [1 ed.] 9783666352232, 9783525352236

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Konkurrenz um Menschenrechte: Der Kalte Krieg und die Entstehung des UN-Menschenrechtsschutzes von 1965-1993 [1 ed.]
 9783666352232, 9783525352236

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Peter Ridder

Konkurrenz um Menschenrechte Der Kalte Krieg und die Entstehung des UN-Menschenrechtsschutzes von 1965–1993

Peter Ridder

Konkurrenz um Menschenrechte Der Kalte Krieg und die Entstehung des UN -Menschenrechtsschutzes von 1965–1993

Vandenhoeck & Ruprecht

Für Jana und Otto. In Liebe und Dankbarkeit

Dieses Buch ist die gekürzte Fassung einer angenommenen Dissertationsschrift der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Europäischer Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf, Schweiz: Plenarsaal des Palais des Nations. © akg-images Korrektorat: Ulrike von Düring-Ulmenstein, Köln Satz: textformart, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-35223-2

Danksagung

Dieses Buch ist das Ergebnis einer langen, intellektuellen und persönlichen Reise, die 2012 in Köln begann und mich über New York, Washington D. C. und Genf schließlich nach Berlin geführt hat. Eine Reise, auf der mich viele Menschen begleitet haben und auf der ich neue Menschen kennenlernen durfte, ohne die ich dieses Abenteuer nicht hätte meistern können. Das sind meine Kolleginnen und Kollegen an der Universität zu Köln ebenso wie die Mitglieder des Arbeitskreises »Menschenrechte im 20. Jahrhundert« der Fritz Thyssen Stiftung, aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Archive und Bibliotheken und natürlich meine Freunde und Familie. All diesen Menschen möchte ich an dieser Stelle danken und einige namentlich erwähnen. Mein erster Dank gilt meinem Doktorvater und Mentor Jost Dülffer, von dem die Idee zu diesem Forschungsvorhaben stammte und der mich ermutigt hat, daraus meine Doktorarbeit zu entwickeln. In unzähligen und oft ausführlichen Gesprächen hat Jost Dülffer mich in all den Jahren betreut und begleitet. Die intensive Zusammenarbeit war für mich eine bereichernde und erkenntnisreiche Lehrzeit, die meinen kritischen Blick auf die Geschichte und mein wissenschaftliches Arbeiten bis heute prägt. Als zweites danke ich meinen Eltern, die mich immer unterstützt und an mich geglaubt haben. Ich war der erste in unserer Familie, der meinte, das Abitur machen zu müssen, an die Universität zu gehen und dann auch noch eine Doktorarbeit zu schreiben. Hätten meine Eltern mich nicht immer darin bestärkt, meinen Träumen nachzugehen und meine Ziele zu verwirklichen, könnte ich heute diese Zeilen nicht schreiben. Das Projekt hatte zwei wissenschaftliche Ankerpunkte, die ich an dieser Stelle gerne hervorheben möchte. Der Erste war das Verbundprojekt »Konkurrenzkulturen. Soziale Praxis, Wahrnehmung und Institutionalisierung von Wettbewerb in historischer Perspektive«, das 2012 an der Universität zu Köln und der LMUMünchen unter der Leitung von Ralph Jessen, Hans-Peter Ullmann, Margit Szöllösi-Janze, Jost Dülffer und Nina Verheyen startete. Zusammen mit meinen Kollegen Marcus Wulff, Thomas Handschuhmacher und Fabian Waßer bildete der Forschungsverbund einen Ort des wissenschaftlichen Austauschs, an dem ich meine Ergebnisse diskutieren und methodisch reflektieren konnte. Ich habe die anregenden Gespräche und die kollegiale Atmosphäre immer sehr geschätzt. Der zweite Ankerpunkt war der Arbeitskreis »Menschenrechte im 20. Jahrhundert« der Fritz Thyssen Stiftung, der durch seine großzügige finanzielle Unterstützung die Durchführung dieses Forschungsvorhabens erst ermöglicht hat. Ab 2013 förderte die Stiftung mein Promotionsvorhaben. Dank der angenehmen und unkomplizierten Zusammenarbeit mit Thomas Suermann und

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Danksagung

Daniel Stahl konnte ich bis 2016 alle Archive in den USA , der Schweiz und in Deutschland aufsuchen. Darüber hinaus bot mir der Arbeitskreis mit seinen Workshops und Konferenzen ein interdisziplinäres Forum, in dem ich mich mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vernetzen und die rechtsgeschichtlichen Dimensionen meines Themas vertiefen konnte. Ich danke den Mitgliedern Norbert Frei, Annette Weinke, Michael Stolleis, José Brunner, Susanne Buckley-Zistel, Dan Diner, Miriam Rürup, Raphael Gross, Jan Eckel, Andrea Liese, Jost Dülffer, Daniel Stahl und Claus Kreß, dass sie mich so freundlich aufgenommen haben. Ebenso erwähnen möchte ich meine Mitstipendiatin Christie Miedema, mit der ich so manche Sitzung in Köln bestritten habe. Neben diesen beiden wichtigen Institutionen half mir auch der Austausch mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die ich auf Konferenzen, in Kolloquien oder in Archiven traf. Hier danke ich vor allem Jan Eckel, Samuel Moyn, Tim Geiger, Steven Jensen, Sandrine Kott, Davide Rodogno, Fabian Klose, Johannes Paulmann und Andrew Thompson, die mir mit gutem Rat und wichtigen Anregungen geholfen haben. Wirklich schöne Erfahrungen machte ich während meiner Recherchen in den UN -Archiven in New York und Genf sowie in den National Archives in College Park und im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin. Insgesamt habe ich acht Monate in Archiven verbracht. Auf diesen Reisen konnte ich viele neue und interessante Menschen kennenlernen, bei denen ich wohnen durfte oder die mir bei meinen Recherchen vor Ort geholfen haben. Aus vielen dieser Kontakte entstanden Freundschaften, die bis heute bestehen. Ich danke Tiba Vieira, Jelon Vieira und Piao Silveira die mich in New York wie ein Familienmitglied aufgenommen und mir geholfen haben, mich in dieser quirligen Metropole zurecht zu finden. Amy Blaszyk und Adam Hammond gaben mir und meiner Frau in Washington ein Zuhause, in dem wir uns sehr wohl fühlten, und an das wir bis heute gerne zurückdenken. Mit Rebecca Johnson habe ich unzählige schöne Gespräche beim gemeinsamen Mittagessen in den National Archives geführt und an den Wochenenden das Washingtoner Nachtleben erkundet. Ohne Carla Bellota hätte ich in Genf niemals so gutes Quellenmaterial finden können und zugleich jemanden an meiner Seite gehabt, der mir Genf, die Schweiz und die dort lebenden Menschen nähergebracht hat. Mit viel Freude denke ich auch an die geselligen Kochabende mit Kerstin Haag in der Berliner WG , in denen ich die Finessen veganer Küche kennenlernen durfte. All diesen Menschen bin ich unendlich dankbar. Abschließend möchte ich meiner Frau Jana Kristin Hoffmann danken, die mich durch alle Höhen und Tiefen dieses Projektes begleitet hat und mir dabei den nötigen menschlichen Halt gab sowie als intellektueller Partner half, meine Ideen und Argumente zu präzisieren. Ihr und unserem Sohn Otto Justus widme ich dieses Buch.

Inhalt

1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Die Entstehung des UN -Menschenrechtsschutzes in den 1960er-Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

2.1 Die Sowjetunion und das Charter Based Monitoring . . . . . . . 32 2.2 Die USA und der Hochkommissar für Menschenrechte . . . . . 60 2.3 Die guten Dienste des UN-Generalsekretärs . . . . . . . . . . . . 87 3. Die Institutionalisierung des Menschenrechtsschutzes in den 1970er-Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

3.1 Chile als Präzedenzfall des Charter Based Monitoring . . . . . . 103 3.2 Eklat auf der 30. Generalversammlung 1975 . . . . . . . . . . . . 123 3.3 Die westliche ›Menschenrechtsinitiative‹ . . . . . . . . . . . . . . 139 3.3.1 Genschers Menschenrechtsgerichtshof . . . . . . . . . . . 140 3.3.2 Der UN-Menschenrechtsausschuss . . . . . . . . . . . . . . 149 3.3.3 Menschenrechtsexperten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 3.3.4 Carters UN-Menschenrechtspolitik . . . . . . . . . . . . . 167 3.3.5 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3.4 Die Bündnisfreien Staaten – Konkurrenten, Kontrahenten und Partner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 3.5 Das ›Recht auf Frieden‹ – Eine neue sozialistische Menschenrechtspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 3.6 Die guten Dienste Kurt Waldheims . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 4. Menschenrechtsschutz im ›Zweiten Kalten Krieg‹ – Konfrontation und Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

4.1 Die Wende in der Konkurrenz um Menschenrechte . . . . . . . . 219 4.2 Ronald Reagans Menschenrechtspolitik . . . . . . . . . . . . . . 240 4.3 Die Etablierung des Menschenrechtsschutzes im Schatten des ›Zweiten Kalten Krieges‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

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Inhalt

5. Das Ende des Kalten Krieges – Frieden, Demokratie und Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

5.1 Das Ende der Konkurrenz zwischen Ost und West . . . . . . . . 290 5.2 Neue Konflikte am Ende des Kalten Krieges? . . . . . . . . . . . 301 5.3 Der Beginn einer ›New World Order‹? . . . . . . . . . . . . . . . . 320 5.4 Die Wiener Weltmenschenrechtskonferenz . . . . . . . . . . . . . 332 6. Zusammenfassung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 7. Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 8. Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350

Archivquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 Online Archive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 Quelleneditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Zeitungsartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Onlinequellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 9. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362

Online Artikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 10. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376

10.1 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 10.2 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 10.3 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380

1. Einleitung

Der Kalte Krieg war eine politische, militärische und ideologische Auseinandersetzung zwischen den sozialistischen Staaten und den Ländern des ›Westens‹,1 die sich selbst als demokratisch und kapitalistisch definierten. Beide Seiten befanden sich in einem über vier Jahrzehnte dauernden Wettstreit der Ideen, Normen und Werte, bei dem sie ihr jeweils eigenes politisches, soziales und kulturelles System weltweit durchsetzen wollten.2 Diese Konkurrenz prägte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und hinterließ auch in der Geschichte der Menschenrechte3 ihre Spuren. Die Vereinten Nationen (UN) bildeten dabei einen zentralen Raum, in dem Diplomaten,4 Aktivisten und Experten aufeinandertrafen und über die Kodifizierung der Menschenrechte und die Einrichtung eines internationalen Systems zum Schutz dieser Rechte stritten.5 Dieses Buch untersucht die Aus1 Der Begriff ›Westen‹ bezeichnet hier vor allem die Staaten, die innerhalb der Vereinten Nationen zur Gruppe der »Western European and Others Group« (WEOG) gezählt wurden, siehe dazu online: https://www.un.org/en/model-united-nations/groups-member-states (07.04.2021); zur historischen Genese des Begriffs siehe Christian Geulen: Test the West. Bemerkungen über ein Raumkonzept – und seinen Geltungsraum, in: Riccardo Bavaj / Martina Steber (Hg.): Zivilisatorische Verortungen. Der ›Westen‹ an der Jahrhundertwende (1880–1930), Berlin / Boston 2018, S. 150–161. 2 Vgl. Allgemein dazu siehe Odd Arne Westad: Der Kalte Krieg. Eine Weltgeschichte, Stuttgart 2019, S. 9–28; Lorenz M. Lüthi (Hg.): Regional Cold Wars in Europe, East Asia, and the Middle East. Crucial Periods and Turning Points, Stanford 2015; Bernd Stöver: Der Kalte Krieg. Geschichte eines radikalen Zeitalters, 1947–1991, München 2007, S. 11–28. 3 Unter dem Begriff Menschenrechte werden im Folgenden universelle Grundrechte verstanden, die das Verhältnis zwischen Staaten und Individuen regeln sollen, siehe dazu Christoph Menke / A rnd Pollmann: Philosophie der Menschenrechte. Zur Einführung, Hamburg 2007, S. 25–41. 4 Aus stilistischen Gründen wird im Folgenden das generische Maskulinum verwendet, wobei diese sowohl männliche als auch weibliche Akteure mit einschließt. Leider geben die Quellen nicht immer Auskunft darüber, wann weibliche Diplomatinnen, Aktivistinnen und Politikerinnen an den Debatten beteiligt waren. Dort wo es eindeutig nachzuweisen ist, werden diese Frauen namentlich im Text erwähnt. 5 Vgl. Ned Richardson-Little: Between Dictatorship and Dissent. Ideology, Legitimacy and Human Rights in East Germany, 1945–1990, in: Bulletin of the German Historical Institute 56 (2015), S. 69–82; Troebst, Stefan: ›Sozialistisches Völkerrecht‹ und die sowjetische Menschenrechtsdoktrin, in: Norbert Frei / A nnette Weinke (Hg.): Toward a New Moral World Order? Menschenrechtspolitik und Völkerrecht seit 1945, Göttingen 2013, S. 94–104. Il’ja V. Gaiduk: Divided Together. The United States and the Soviet Union in the United Nations, 1945–1965, Washington D. C. 2012, Jennifer Amos: Unterstützen und Unterlaufen. Die Sowjetunion und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, 1948–1958, in:

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wirkungen der Konkurrenz zwischen Ost und West auf die Entstehung des UN -Menschenrechtsschutzes. Der Schutz der Menschenrechte zählt heute neben den Bereichen Entwicklung, Abrüstung und humanitäre Hilfe zu den wichtigsten Aufgaben der Vereinten Nationen.6 Doch das war nicht immer so. Die UN wurden nach dem Zweiten Weltkrieg primär als ein Forum der internationalen Kooperation gegründet, in dem die damaligen Großmächte Frankreich, Großbritannien, Sowjetunion, USA und China über die Einhaltung des Friedens wachen und zukünftige Weltkriege verhindern sollten. Dass die Menschenrechte 1945 zu einem wesentlichen Bestandteil der UN-Charta wurden, war hingegen vor allem auf den Einfluss und das Engagement ziviler Akteure zurückzuführen. Diese hatten bereits in der Vorgängerorganisation, dem Völkerbund, mitgewirkt mit dem Ziel, eine Organisation aufzubauen, die Wohlstand, Fortschritt und Sicherheit in der Welt verbreitet und damit vor allem den Menschen und weniger den Staaten dient.7 Diese unterschiedliche Zielsetzung führte zu einem Kompromiss, der gleichzeitig einen Widerspruch produzierte, der sich in der Charta widerspiegelt. Diese fordert auf der einen Seite, dass sich die Organisation und ihre Mitglieder für den Schutz und die Verbreitung der Menschenrechte einsetzen sollen. Auf der anderen Seite verbietet sie in Artikel 2.7 den Mitgliedstaaten, sich in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen.8 Mit Beginn des Kalten Krieges ab 1947 und der sich beschleunigenden Dekolonisierung wurde dem Artikel 2.7 aufseiten der Großmächte mehr Bedeutung beigemessen als dem Schutz der Menschenrechte. Die Stimmung kippte und fortan definierten die meisten UN-Mitgliedstaaten den Schutz der Menschenrechte als innere Angelegenheit.9 Zwar einigte sich die internationale Staatengemeinschaft 1948 noch auf eine unverbindliche Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR), die Ausarbeitung einer rechtlich bindenden ›International Bill of Rights‹ wurde jedoch absichtlich verzögert. Die Großmächte USA , Frankreich, Großbritannien und die Sowjetunion verhinderten in den 1950er-Jahren die Einrichtung eines Systems zum Schutz der Menschenrechte, weil sie darin eine Bedrohung ihrer jeweiligen politischen Systeme ausmachten. Nur die wenigen dekolonisierten Staaten sowie einige südamerikanische Länder forderten in dieser Zeit die Stefan-Ludwig Hoffmann (Hg.): Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert, Göttingen 2010, S. 142–168. 6 Vgl. Paul Kennedy: The Parliament of Man. The Past, Present, and Future of the United Nations, New York 2006, S. 117–119. 7 Vgl. Glenn Mitoma: Human Rights and the Negotiation of American Power, Philadelphia 2013, S. 17–44; Mark Mazower: No Enchanted Palace. The End of Empires and the Ideological Origins of the United Nations, Princeton / Oxford 2009, S. 1–28. 8 Sven Bernhard Gareis / Johannes Varwick: Die Vereinten Nationen, Aufgaben, Instrumente und Reformen, 3. Aufl., Opladen 2003, S. 181–189. 9 Jan Eckel: Die Ambivalenz des Guten. Menschenrechte in der internationalen Politik seit 1945 Göttingen 2014, S. 47–83; Roland Burke: Decolonization and the Evolution of International Human Rights, Philadelphia 2010, S. 13–35.

Einleitung

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Einrichtung von Verfahren, um die Einhaltung der Menschenrechte in den Mitgliedstaaten zu überwachen. Die Mehrheit der UN-Mitglieder sah in solch einem System hingegen eine Gefahr.10 Das änderte sich mit dem Beginn der Konkurrenz um Menschenrechte zwischen Ost und West in den 1960er-Jahren. Zwischen 1965 und 1993 entwickelten sich drei Ebenen des Menschenrechtsschutzes, die das Fundament für alle weiteren Verfahren legten. Die erste Ebene umfasst das Treaty Based Monitoring (TBM) und bezeichnet Verfahren, die sich auf internationale Verträge wie die International Convention on the Elimination of Racial Discrimination (ICERD) von 1965 oder die Menschenrechtspakte von 1966 stützen. Die Einhaltung dieser Verträge wird von Expertenausschüssen überwacht.11 Die zweite Ebene fußt auf der in der UN-Charta festgeschriebenen allgemeinen Verpflichtung zur Einhaltung der Menschenrechte und wird deshalb als Charter Based Monitoring (CBM) bezeichnet. Dieses ermöglicht es der Menschenrechtskommission, Untersuchungen einzuleiten und Sonderberichterstatter einzusetzen.12 Die dritte Ebene bilden die guten Dienste der UN-Generalsekretäre, bei der diese sich persönlich für Menschen einsetzen, die Opfer staatlicher Willkür wurden.13 Auf der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz von 1993 wurde Artikel 2.7 neu ausgelegt und damit der Widerspruch in der UN-Charta formell ausgeräumt. In der Abschlusserklärung von Wien erklärten alle UN-Mitglieder den Schutz der Menschenrechte einstimmig zur wichtigsten Aufgabe der Vereinten Nationen und die Entwicklung des Menschenrechtsschutzes erlebte einen enormen Schub.14 Zwischen 1993 bis 2005 wurde ein Hochkommissar für Menschenrechte eingesetzt, Sondertribunale zu Jugoslawien sowie Kambodscha eingerichtet. 1998 entstand zudem mit dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag eine dauerhafte Institution zur strafrechtlichen Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen. Anfang der 2000er-Jahre formulierten die UN-Mitgliedstaaten mit der ›Responsibility to Protect‹ eine Interventionspflicht in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen.15 Diese rasante Entwicklung führte rückblickend dazu, dass einige Historiker, Juristen und Politikwissenschaftler den Kalten 10 Roger Normand / Sarah Zaid: Human Rights at the UN . The Political History of Universal Justice, Bloomington 2008, S. 139–243. 11 Torkel Opsahl: Human Rights Committee, in: Philip Alston (Hg.): The United Nations and Human Rights. A Critical Appraisal, Oxford 1992, S. 369–443. 12 Gareis / Varwick: Vereinten Nationen, S. 206–218. 13 Bertrand G. Ramcharan: Humanitarian Good Offices in International Law. The Good Offices of the United Nations Secretary General in the Field of Human Rights, The Hague / Boston / London 1983. 14 Deklaration der Wiener Menschenrechtskonferenz vom 25.06.1993, online: http://www. ohchr.org/EN/ProfessionalInterest/Pages/Vienna.aspx (07.04.2021). 15 Matthias Pape: Humanitäre Interventionen. Zur Bedeutung der Menschenrechte in den Vereinten Nationen, Baden-Baden 1997, S. 13–26; Peter J.  Opitz: Menschenrechte und internationaler Menschenrechtsschutz im 20. Jahrhundert. Geschichte und Dokumente, München 2002, S. 145–174.

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Krieg als größtes Hemmnis für die Durchsetzung der Menschenrechte identifizierten.16 Dabei übersahen sie, dass die Grundlagen dieses Systems zwischen 1965 und 1993 entstanden. Das Ziel dieses Buches ist es deshalb, dieses Narrativ zu hinterfragen und zu zeigen, dass sich der UN-Menschenrechtsschutz nicht trotz des Kalten Krieges durchsetzen konnte, sondern, so die These dieses Buches, das Produkt dieses globalen Konflikts und der Konkurrenz um Menschenrechte ist. Im Folgenden wird gezeigt, wie beide Seiten die Menschenrechte instrumentalisierten und damit die Entwicklung des Menschenrechtsschutzes prägten.17 Ost und West nutzten die Debatten über universelle Grundrechte zur Legitimation des eigenen Standpunktes und um den politischen Gegner anzugreifen. Dabei veränderte sich in den verschiedenen Phasen des Kalten Krieges sowohl die Art der Instrumentalisierung als auch deren Intensität. Zudem vertraten beide Seiten unterschiedliche und sich im Laufe der Zeit wandelnde Standpunkte. Während in den 1950er-Jahren die sozialistischen Staaten wirtschaftliche, kulturelle und soziale Kollektivrechte als Grundvoraussetzung für alle weiteren Rechte betrachteten, räumten die westlichen Staaten bürgerlichen und politischen Individualrechten einen Vorzug ein.18 Diese Schwerpunktsetzung veränderte sich in den 1970er- und 1980er-Jahren und beeinflusste damit auch die Menschenrechtsdiskurse in den UN. Darüber hinaus bewerteten beide Seiten das Verhältnis zwischen Staat und Individuum verschieden. Während nach westlicher Auslegung Menschenrechte Personen vor staatlichen Übergriffen schützen sollte, oblag es nach sozialistischer Auslegung dem Staat, zum Wohle aller zu handeln und universelle Rechte auch gegen den Willen des einzelnen durchzusetzen. Diese Abgrenzung manifestierte sich auch in der wissenschaftlichen Betrachtung der Menschenrechte. Bis heute unterscheiden Juristen und Politikwissenschaftler zwischen einer ersten, zweiten und dritten Generation der Menschenrechte. Die erste umfasst die ›Freiheitsrechte‹, also politische und bürgerliche Rechte. Die zweite bezieht sich auf ›Gleichheitsrechte‹ wie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Die dritte verweist auf ›Solidaritäts- oder Kollektivrechte‹ wie zum Beispiel das Recht auf Selbstbestimmung, das ›Recht auf Frieden‹19 oder das Recht auf Entwicklung.

16 Vgl. »Human Rights Deadlock in the Cold War«. So lautet eine Kapitelüberschrift in Normand / Zaidi: Human Rights, S. 197; exemplarisch auch bei Rosemary Foot: The Cold War and Human Rights, in: Melvyn P. Leffler / Odd Arne Westad (Hg.): The Cambridge History of the Cold War. Endings, Bd. 3, Cambridge 2010, S. 445–465; Gareis / Varwick: Vereinten Nationen. S. 177–203; Manfred Nowak: UNO -Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte und Fakultativprotokoll, Kehl am Rhein 1989. 17 Vgl. Foot: Human Rights; Amos: Unterstützen; Troebst: ›Sozialistisches Völkerrecht‹. 18 Amos: Unterstützen. 19 Zur Entwicklung und Kontroverse dieses Rechts siehe Kap. 3.5.

Einleitung

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Diese Kategorisierung ähnelt nicht zufällig der Unterscheidung zwischen Erster, Zweiter und ›Dritter Welt‹,20 sondern wird oftmals direkt mit den einzelnen Lagern im Kalten Krieg in Verbindung gebracht. Das verdeutlicht, wie dieser Konflikt die Genese und die Sicht auf die Menschenrechte im 20. Jahrhundert geprägt hat.21 Gleiches gilt für die Verfahren und Praktiken zum Schutz der Menschenrechte. Beide Seiten nutzten die Debatten darüber, um sich selbst öffentlich zu profilieren und ihren Kontrahenten direkt oder indirekt zu diffamieren und beeinflussten damit die Entwicklung, Einrichtung und Anwendung dieser Verfahren. Die Menschenrechte wurden zu einem Gegenstand der Konkurrenz zwischen Ost und West und umgekehrt wurde die Konkurrenz damit zu einem prägenden Element bei der Entstehung des UN-Menschenrechtsschutzes. Diese Arbeit untersucht deshalb die Auswirkungen dieser Konkurrenz auf die Entwicklung, Einrichtung und Anwendung des UN-Menschenrechtsschutzes von 1965 bis 1993. Drei Ebenen des Institutionalisierungsprozesses werden dabei in den Blick genommen. Die erste umfasst die Planung sowie Entwicklung der verschiedenen Verfahren zum Schutz der Menschenrechte. Dabei wird untersucht, wie die Konkurrenz auf diese Debatten wirkte, wie sie diese veränderte, hemmte oder vielleicht sogar förderte. Die zweite Ebene beschäftigt sich mit der Einrichtung und dem Aufbau der verschiedenen Institutionen und Verfahren und fragt nach den Spuren, welche die Konkurrenz im TBM , CBM und den guten Diensten der Generalsekretäre hinterlassen hat. Wie formte sie die Regeln, den Aufbau und die Struktur dieser Verfahren und welche Folgen hatte das für diese Institutionen? Wurden sie durch die Konkurrenz in ihren Möglichkeiten eingeschränkt oder weitete sie ihren Handlungsspielraum womöglich sogar aus? Auf der dritten Ebene wird die praktische Anwendung untersucht und gefragt, wie die Konkurrenz Untersuchungen und Anhörungen beeinflusste und wie das langfristig die Praxis des Menschenrechtsschutzes in den UN formte. Führte die Konkurrenz dazu, dass sich thematische Schwerpunkte herausbildeten, und dass manchen Menschenrechtsverletzungen eher 20 Die Bezeichnung ›Dritte Welt‹ entstand in den 1950er-Jahren und ist somit ein Quellenbegriff der sowohl als Fremdbeschreibung als auch als Selbstbezeichnung von Akteuren aus Afrika, Asien und Südamerika verwendet wurde, um die politische Abgrenzung von den westlichen Staaten (›Erste Welt‹) und den sozialistischen Staaten (›Zweite Welt‹) auszudrücken. Tatsächlich kooperierten die Bündnisfreien Staaten aber regelmäßig eng mit beiden Seiten, sodass diese Trennung eher ein politisches Ideal als die Realität abbildete. Deshalb wird dieser Begriff im Folgenden nur in Anführungszeichen verwendet. Zum Begriff siehe Agnes Bresselau von Bressensdorf / Elke Seefried / Christian F. Ostermann (Hg.): West Germany the Global South and the Cold War, Berlin / Boston 2017, S. 8 f.; Zur Geschichte der Bewegung der Bündnisfreien Staaten siehe Jürgen Dinkel: Die Bewegung Bündnisfreier Staaten. Genese, Organisation und Politik, 1927–1992, Berlin / München u. a. 2015 21 Siehe zum Beispiel Hans-Michael Empell: Die Diskussion der Menschenrechte in den UN , in: Johannes Schwerdtfeger / Egon Bahr / Gert Krell: Friedensgutachten 1991, Münster / Hamburg 1991, S. 38–52, hier, S. 40 f.

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nachgegangen wurde, als anderen? Haben sich Methoden und Handlungsweisen zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen entwickelt, die direkt oder indirekt aus der Systemkonkurrenz hervorgegangen sind? Auf dieser letzten Frageebene spielt das Völkergewohnheitsrecht eine besondere Rolle, denn kodifizierte Regeln und Gesetze sind eines, deren Auslegung und Anwendung jedoch etwas ganz anderes.22 Die Diskrepanz zwischen dem, was von politischen Entscheidungsgremien vorgegeben wurde und dem, was die Experten der UN am Ende umsetzten, wird hier genauer in den Blick genommen. Dadurch lassen sich Handlungsspielräume einzelner Akteure ausleuchten und gleichzeitig die ›Agency‹ der UN offenlegen. Zugleich zeigt sich darin, mit welchen Praktiken UN-Beamte, Experten und Diplomaten den Widerspruch mit Artikel 2.7 der UN-Charta aushebelten, noch bevor dieser 1993 in Wien formell ausgeräumt wurde. Darüber hinaus zeigt sich im Völkergewohnheitsrecht, wie sich Handlungspraktiken verstetigten, die durch die Systemkonkurrenz hervorgerufen wurden. Der Menschenrechtsschutz bildet den zentralen Untersuchungsgegenstand dieser Studie. Im Zentrum steht nicht nur die Frage nach der Entwicklung neuer Rechte, sondern vor allem nach der Entstehung der Verfahren zur Überwachung bereits kodifizierter Menschenrechte. Es geht somit um den Wandel von Staatlichkeit im 20. Jahrhundert, genauer gesagt, um die Erosion staatlicher Souveränität, ausgelöst durch den Bedeutungsgewinn der Menschenrechte innerhalb westlicher Gesellschaften.23 Damit bewegt sich diese Arbeit an der Schnittstelle zwischen Innen- und Außenpolitik und verortet sich in der Diplomatie- und Kulturgeschichte.24 In kaum einem Themenbereich wird die komplexe Verflechtung dieser Bereiche deutlicher als in der Geschichte der Menschenrechte. Menschenrechte sind keine essenzialistischen Entitäten, sondern Kulturprodukte, die durch gesellschaftliche und politische Diskurse mit jeweils unterschiedlichen Bedeutungen aufgeladen wurden.25 Dies macht es umso schwieriger, Menschenrechte zu definieren. Die AEMR von 1948, die die Grundlage für das System zum Schutz der Menschenrechte in den UN bildete, war das Produkt einer europäischen, christ­lichen 22 Zum Völkergewohnheitsrecht siehe: Otto Kimminich: Einführung in das Völkerrecht, 5. Aufl., Tübingen / Basel 1993 (1983), S. 238–242. 23 Vgl. Eckel: Ambivalenz; Iris Schröder: Die Wiederkehr des Internationalen. Eine einführende Skizze, in: Zeithistorische Forschung 8/3 (2011), S. 340–349, hier S. 344 f. 24 Siehe dazu Ursula Lehmkuhl: Diplomatiegeschichte als internationale Kulturgeschichte. Theoretische Ansätze und empirische Forschung zwischen Historischer Kulturwissenschaft und Soziologischem Internationalismus, in: Geschichte und Gesellschaft 27/3 (2001), S. 394–423; Barbara Stollberg-Rillinger (Hg.), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Berlin 2005; Ute Frevert / Heinz-Gerhard Haupt: Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung, Frankfurt u. a. 2005. 25 Menke / Pollmann: Philosophie, S.  68–71.

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und säkularen Denkschule, die, inspiriert durch die Erfahrungen des New Deal und dem Aufstieg des Faschismus in Europa in den 1930er-Jahren mithilfe der Menschenrechte das internationale System langfristig befrieden wollte.26 Im Laufe der Zeit änderten sich die Akteure und dementsprechend auch die kulturellen, sozialen und politischen Diskurse, welche die Menschenrechte mit Bedeutung versahen. Die Dekolonisierung und der Kalte Krieg führten dazu, dass neue Menschenrechte formuliert und in entsprechenden Konventionen kodifiziert wurden, wodurch sich im Laufe der Zeit der Umfang und die Vorstellung(en) über Menschenrechte wandelten. Seit den 2000er-Jahren konzentrieren sich die Debatten unter anderem auf die Fragen nach einem ›Recht auf Wahrheit‹,27 einem ›Recht auf freie sexuelle Orientierung‹28 oder einem ›Recht auf sauberes Wasser‹.29 Diese verschiedenen Ausrichtungen unterstreichen den konstruktivistischen Charakter der Menschenrechte und verdeutlichen, warum diese immer in ihrem historischen Kontext betrachtet werden müssen. Sowohl der Inhalt als auch die Bedeutung der Menschenrechte sind einem konstanten historischen Wandel unterworfen. Menschenrechte sind Kulturprodukte und als solche das Ergebnis langwieriger sozialer, kultureller und politischer Aushandlungsprozesse. Zugleich sind sie Normen und als solche das Produkt von Machtbeziehungen zwischen verschiedenen Akteuren. Die politischen Konflikte zwischen diesen spielten dabei eine zentrale Rolle, worauf im Folgenden der Schwerpunkt der Analyse liegen wird. Recht benötigt Macht zur Umsetzung, gleichzeitig stützt sich Macht zur Legitimation auf das Recht. Beides steht in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander.30 Diese Wechselwirkung wurde besonders im Bereich des UN-Menschenrechtsschutzes deutlich, indem zivilgesellschaftliche Forderungen nach der Durchsetzung universeller Normen auf die machtpolitischen Interessen von Staaten stießen und sich die Auswirkungen globaler Konflikte manifestierten. Die Eingrenzung der Analyse auf den Aspekt des Menschenrechtsschutzes muss zudem an dieser Stelle hervorgehoben werden, denn seit 1948 haben sich die Debatten über Menschenrechte konstant ausgeweitet und mittlerweile einen schwer überschaubaren Umfang angenommen. Dabei war die Frage des Menschenrechtsschutzes nur eine von vielen Fragen, die während des Untersuchungszeitraums aufkamen. Parallel verlaufende Debatten, wie zum Beispiel 26 Eckel: Ambivalenz, S. 47–83; Samuel Moyn: The Last Utopia, Human Rights in History, Cambridge 2010, S. 44–84; Mitoma: Human Rights, S. 17–44. 27 José Brunner / Daniel Stahl (Hg.): Recht auf Wahrheit. Zur Genese eines neuen Menschenrechts, Göttingen 2016. 28 Seit Anfang der 2000er-Jahre versuchen mehrere Staaten die freie sexuelle Orientierung als Menschenrecht in den UN zu etablieren, siehe dazu online: http://www.ohchr.org/EN/ Issues/Discrimination/Pages/LGBTUNResolutions.aspx (07.04.2021). 29 Vgl. Offical Record of the United Nations (im Folgenden ORUN): A / R ES /64/292, Resolution der Generalversammlung vom 30.7.2010. 30 Jost Dülffer: Recht, Normen und Macht, in: Ders. / Wilfried Loth (Hg.): Dimensionen Internationaler Geschichte, München 2012, S. 169–188.

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über das Selbstbestimmungsrecht der Völker oder dem ›Recht auf Entwicklung‹ werden nicht eigenständig berücksichtigt, sondern nur dann in der Analyse mit einbezogen, wenn es zu Überschneidungen und Korrelationen mit dem Thema Menschenrechtsschutz kam.31 Eine Ausnahme bildete dabei der Themenschwerpunkt Rassismus (Racial Discriminiation). Im Rahmen dieser Debatte wurden schon frühzeitig erste Verfahren zum Schutz der Menschenrechte im politischen Kampf gegen die Apartheid in den 1960er-Jahren entwickelt und umgesetzt, welche dem (allgemeinen) Menschenrechtsschutz später als Vorlagen dienten und eine wichtige Rolle bei der weiteren Entwicklung des Menschenrechtsschutzes spielten.32 Für das Verständnis der Genese des Menschenrechtsschutzes sind solche Synergieeffekte wichtig, weswegen dieser Themenbereich in der Analyse der 1960erJahre mit einbezogen werden muss, auch wenn er aufgrund des Umfangs nicht eigenständig aufgearbeitet werden kann. Komplexer sind hingegen die Verbindungen mit den Debatten über den ›Status of Women‹, der im Deutschen etwas unpräzise mit dem Begriff ›Frauenrechte‹ übersetzt wird.33 Carola Sachse hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Kategorie Geschlecht in der Erforschung der Geschichte der Menschenrechte bisher weitestgehend eine »Leerstelle« geblieben ist.34 Mit der Einrichtung einer ›Commission on the Status of Women‹ 1947 entwickelte sich dieser Bereich parallel und lange Zeit getrennt zu den Debatten über Menschenrechte in den Vereinten Nationen. Um diese Trennung besser zu verstehen, bedarf es einer genaueren Untersuchung dieser Phase und der nationalen und transnationalen Debatten innerhalb der verschiedenen feministischen Bewegungen jener Zeit, welche die Einrichtung dieser Kommission begleiteten.35 Eine tiefere Analyse dieser Entwicklung kann diese Arbeit nicht leisten und wird im Folgen31 Vgl. Jörg Fisch: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Domestizierung einer Illusion, München 2010; Ramon Leemann: Entwicklung als Selbstbestimmung. Die menschenrechtliche Formulierung von Selbstbestimmung und Entwicklung in der UNO, 1945–1986, Göttingen 2013. 32 Burke: Decolonization; Steven L. B. Jensen: The Making of International Human Rights. The 1960s, Decolonization, and the Reconstruction of Global Values, Cambridge 2016. 33 Im Englischen bezeichnet man diesen Themenkomplex mit »Status of Women«, im Französischen mit »Condition de la Femme« und im Spanischen »Condición Jurídica y Social de la Mujer«. In Deutschland hat sich hingegen die Bezeichnung ›Frauenrechte‹ durchgesetzt. Dabei suggeriert diese einen Unterschied zwischen Menschen- und Frauenrechten, was umstritten ist, siehe dazu Karin Stepanek: Frauenrechte – Menschenrechte, München 2007. 34 Carola Sachse: Leerstelle. Geschlecht. Zur Kritik der Neueren Zeithistorischen Menschenrechtsforschung, in: L’Homme 25/1 (2014), S. 103–122. 35 Erste Forschungen dazu in: Roman Birke / Carola Sachse (Hg.): Menschenrechte und Geschlecht im 20. Jahrhundert, Göttingen 2018; Francisca De Haan / Margaret Allen / June Purvis / K rassimira Daskalova, (Hg.): Women’s Activism. Global Perspectives from the 1890s to the Present, New York / London 2012; Carola Sachse / A nita Grossman: Human Rights, Utopias, and Gender in Twentieth-Century Europe, in: Central European History, 44/1 (2011), S. 1–12.

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den lediglich angedeutet. Zugleich gab es ab den 1970er-Jahren immer wieder Überschneidungen und gegenseitige Beeinflussungen der Themenfelder, die im Folgenden berücksichtigt werden. Die Relationen zwischen beiden Bereichen werden anhand einzelner Schnittstellen wie der ersten Weltfrauenkonferenz in Mexico-Stadt 1975, der Convention for the Elimination of Discrimination Against Women (CEDAW) von 1980 oder der Weltkonferenz über Menschenrechte in Wien 1993 in die Untersuchung mit einbezogen. Dieses Buch bietet nicht nur eine Geschichte der internationalen Beziehungen, sondern liefert zudem eine transnationale Institutionengeschichte, die den Wandel von Normen im internationalen System untersucht. Dazu wählt es einen multiperspektivischen Zugriff und konzentriert sich erstens auf die Debatten in den einschlägigen Kommissionen sowie Ausschüssen bei den Vereinten Nationen in Genf und New York. Der Fokus richtet sich dabei auf die öffentlichen und vertraulichen Verhandlungen in der Menschenrechtskommission, welche dem Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) unterstellt war sowie dem Dritten Komitee der Generalversammlung, in dem Menschenrechtsfragen vorverhandelt wurden, bevor die Generalversammlung über deren Annahme entschied. Ebenso von Bedeutung war die der Menschenrechtskommission unterstellte Unterkommission zum Schutz von Minderheiten, welche als Expertengremium und Think Tank eine wichtige Rolle bei der Einrichtung des UN-Menschenrechtsschutzes spielte. Ab 1976 kam zudem der UN-Menschenrechtsausschuss hinzu, in dem Juristen über die Einhaltung des UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte wachten. Diese UN-Perspektive wird zweitens durch die Auswertung der internen Debatten in den jeweiligen Außenministerien der Bundesrepublik, der DDR und den USA zur multilateralen Menschenrechtspolitik ergänzt. Dieser Zugriff ermöglicht Einsichten in die jeweilige nationale Entscheidungsfindung und bietet zugleich eine Außenperspektive auf die Entwicklungen innerhalb der UN. Daneben werden drittens Autobiografien, Monografien und wissenschaftliche Artikel aus dem Untersuchungszeitraum berücksichtigt, wodurch parallel verlaufende zivilgesellschaftliche Entwicklungen mit einbezogen werden können und das Wirken einzelner Akteure innerhalb der UN sichtbar gemacht wird. Dieses Buch nimmt somit verschiedene transnationale Perspektiven ein, bei der jedoch die UN als Institution immer im Zentrum stehen. Es ist nicht das primäre Ziel dieses Buches, die Menschenrechtspolitiken der einzelnen Staaten in den UN historisch aufzuarbeiten, sondern deren Auswirkungen auf die UN und die Entwicklung des Menschenrechtsschutzes sichtbar zu machen. Die Vereinten Nationen hatten Mitte der 1960er-Jahre bereits 122 Mitglieder.36 Die jeweiligen nationalen Interessen jedes einzelnen Mitglieds archivalisch aufzuarbeiten, ist weder möglich noch erkenntnisfördernd. Stattdessen beschränkt sich diese Untersuchung auf einzelne Staaten, die in ihrem je36 Wachstum der UN -Mitglieder seit 1945, online: https://www.un.org/en/about-us/growthin-un-membership (07.04.2021).

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weiligen Lager eine besondere Stellung einnahmen und sich im Untersuchungszeitraum besonders intensiv im UN-Menschenrechtsbereich engagiert haben wie die Bundesrepublik, die USA , die Deutsche Demokratische Republik und die Sowjetunion. Die anderen jeweiligen nationalen Politiken der einzelnen UNMitgliedstaaten bleiben hingegen weitestgehend in der ›Black Box‹ verborgen. Die Analyse beschränkt sich dabei nicht auf die Auswirkungen des Kalten Krieges, sondern bezieht auch die Dekolonisierung und den steigenden Einfluss ziviler Akteure mit ein.37 Das Ziel ist es, das Zusammenspiel dieser drei Prozesse herauszuarbeiten. Dabei eignet sich der hier gewählte Zugriff besonders dafür, um die Wechselwirkungen zwischen diesen komplexen Prozessen und deren Folgen für die Entwicklung des UN-Menschenrechtsschutzes aufzuzeigen. Zwei methodische Ansätze leiten dabei die Analyse: Erstens Konzepte des historischen (Neo-) Institutionalismus und der Rolle internationaler Organisationen im internationalen System.38 Zweitens Georg Simmels »Soziologie der Konkurrenz«, die von einer vergesellschaftenden Wirkung der Konkurrenz ausgeht.39 Warum Institutionalismus? Drei Gründe sprechen dafür. Erstens verdeutlicht dieser die besondere Rolle der Vereinten Nationen im internationalen System. Die UN waren mehr als nur eine Bühne für die Politik von Staaten. Sie bildeten eine »institutionalisierte Kontaktzone«40 für Diplomaten, Aktivisten, Wissenschaftler und internationale Beamte, in der die machtpolitischen Interessen von Staaten auf zivilgesellschaftliches Engagement trafen und im Zusammenspiel eine ganz eigene Dynamik entfalteten. Die UN entwickelten sich dadurch zu einer Institution innerhalb der internationalen Beziehungen, die als Verkörperung der Idee einer internationalen Gemeinschaft angesehen wurde und sich deshalb anbietet, um die Institutionalisierung des Menschenrechtsschutzes und damit die Durchsetzung der Menschenrechte im internationalen System zu untersuchen, denn: 37 Vgl. Eckel: Ambivalenz, S. 9–29; Jensen: International, S. 1–16. 38 Zum historischen (Neo-) Institutionalismus siehe Andrea K. Riemer: Theorien internationaler Beziehungen und neue methodische Ansätze. Frankfurt am Main 2006, S. 58 f.; Robert O. Keohane (Hg.): International Institutions and State Power. Essays in International Relations Theory. San Francisco / London 1989, S. 1–20; zur Historisierung internationaler Organisationen siehe Matthias Schulz: Internationale Institutionen, in: Jost Dülffer / Wilfried Loth (Hg.): Dimensionen internationaler Geschichte, München 2012, S. 211–232; Madeleine Herren: Internationale Organisationen und globale Ordnung, Darmstadt 2009; Zum Begriff und zur Bedeutung des internationalen Systems siehe Eckart Conze / U lrich Lappenküper / Guido Müller (Hg.): Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin, Köln 2004, S. 15–43. 39 Vgl. Georg Simmel: Soziologie der Konkurrenz, in: Neue Deutsche Rundschau 14/10 (1903), S. 1009–1023; mit Tobias Werron: Worum Konkurrieren Nationalstaaten? Zur Geschichte und Begriff der Konkurrenz um »weiche« globale Güter, in: Zeitschrift für Soziologie 41/5 (2005), S. 338–355. 40 Schröder: Wiederkehr, S. 342.

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In Institutionen spiegeln sich bestimmte Ideen und Elemente von Kultur wider, und durch die Institutionalisierung von Ideen und kulturellen Handlungsrepertoires läßt sich gesellschaftlicher Wandel rekonstruieren. Damit eröffnet die institutionelle Perspektive eine für die Analyse gesellschaftlicher Wandlungsprozesse zentrale Schnittstelle zwischen einer sozial- und kulturgeschichtlichen Betrachtungsweise, zwischen Mikro- und Makrogeschichte […].41

Die Institutionengeschichte ermöglicht es, anhand der UN den Wandel im Umgang mit den Menschenrechten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu untersuchen und zu zeigen, welche Auswirkungen der Kalte Krieg auf die Erosion des Prinzips der staatlichen Souveränität hatte. Zweitens macht der institutionelle Zugriff die Rolle der Vereinten Nationen als Akteur im internationalen System sichtbar. Die UN waren mehr als nur ein Spiegel, in dem sich gesellschaftlicher und kultureller Wandel abzeichnete, sondern ein Regelsystem, welches das soziale Verhalten seiner Mitglieder formte, lenkte und stabilisierte. Das bedeutet, dass die UN als Institution die Entwicklung der Menschenrechte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beeinflusste. Dabei wirkten sie regulativ, normativ und kulturell-kognitiv.42 Die regulative und normative Wirkung zeigte sie in der fortschreitenden Kodifizierung des Völkerrechts in Form der UN-Charta, Resolutionen, Konventionen und Deklarationen. Dazu wurden entweder Normen festgeschrieben, die bereits seit Jahrhunderten angewandt wurden, oder wie im Fall der AEMR neue Normen entwickelt, die durch stetige Anwendung zum Völkergewohnheitsrecht wurden. All diese Normen sollten das Verhalten von Staaten untereinander sowie das Verhältnis zwischen Staaten und Individuen regeln.43 Ihre kulturell-kognitive Wirkung entfalteten die UN durch ihre besondere Struktur, Organisation und Bedeutung. Sie bot ihren Mitgliedern ein Forum, um politische Konflikte mit friedlichen Mitteln, vor dem Auge der Weltöffentlichkeit, in Form öffentlicher Vergleichsdiskurse und Abstimmungen auszutragen. Entscheidungen kamen durch Resolutionen zum Ausdruck, die von einer Mehrheit der Mitgliedstaaten in einer Wahl angenommen werden mussten. Damit bildeten die Vereinten Nationen eine Institution, die einen diskursiven Rahmen schuf, indem allen Entscheidungen eine besondere Bedeutung beigemessen wurde, weil sie als Ausdruck der internationalen Staatengemeinschaft galten.44 Die Resolutionen erhielten dadurch ein besonders normatives Potenzial, auch wenn sie rechtlich nicht bindend waren. Eine Ausnahme bildeten lediglich die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, der hier aber nur eine Nebenrolle spielte. 41 Lehmkuhl: Diplomatiegeschichte, S. 415. 42 Richard W. Scott: Institutions and Organizations. Ideas, Interests, and Identities, 4. Aufl. London 2013, S. 55–86. 43 Gareis / Varwick: Die Vereinten Nationen, S. 181–203. 44 Zur Bedeutung von Diskursen und der historischen Diskursanalyse siehe Achim Landwehr: Historische Diskursanalyse, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 2018 (2008), S. 89–96.

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Daraus erklärte sich auch das Interesse von Staaten, sich in den UN zu engagieren. Alle Entscheidungen, die die Mitglieder innerhalb dieser Institution, also innerhalb des diskursiven Rahmens der internationalen Gemeinschaft trafen, bekamen eine besondere moralische Legitimität. Die UN bot den Großmächten somit die Möglichkeit, sich öffentlich als Wortführer der internationalen Staatengemeinschaft zu präsentieren und ihren Kontrahenten international zu isolieren. Zugleich liefen sie nicht Gefahr, sich zu sehr zu exponieren, da alle Entscheidungen nicht rechtlich bindend waren. Allerdings mussten die Großmächte dafür um die Stimmen der anderen Staaten werben. Das förderte das kompetitive Verhalten, was wiederum Rückwirkung auf deren Politik hatte. Drittens dient dieser Zugriff dazu, die Pfadabhängigkeit bestimmter Entwicklungen herauszuarbeiten und aufzuzeigen, wie Entscheidungen, die im Kalten Krieg getroffen wurden, langfristig die Entwicklung des Menschenrechtsschutzes prägten und damit noch bis in die Gegenwart wirken.45 Warum Konkurrenz? Konkurrenz ist nach Simmel ein indirekter Kampf zweier Parteien um die Gunst eines Dritten. Ihre vergesellschaftende Wirkung entfaltet sie dadurch, dass die Konkurrenten ihr Verhalten verändern, um in der Gunst des Dritten zu steigen.46 Diese Konkurrenz zeigt sich nicht nur in Wettkämpfen oder der Wirtschaft, sondern auch im Alltag der Menschen. Zugleich unterscheidet sich die Konkurrenz damit vom Konflikt: Für das soziologische Wesen der Konkurrenz ist es zunächst bestimmend, daß der Kampf ein indirekter ist. […] Die Form des Konkurrenzkampfes ist nicht offensiv oder defensiv – deshalb nicht, weil der Kampfpreis sich nicht in Händen des Gegners befindet. Wer mit einem anderen kämpft, um ihm sein Geld oder sein Weib oder seinen Ruhm abzugewinnen, verfährt in ganz anderen Formen, mit einer ganz anderen Technik, als wer mit einem anderen konkurriert, wer das Geld des Publikums in seine Tasche leiten, wer die Gunst einer Frau gewinnen, wer durch Taten oder Worte sich den größeren Namen machen solle.47

Diese Konkurrenz prägt das Verhalten der Menschen und ihre Beziehungen zueinander. Aufbauend auf diesen Überlegungen entwickelte Tobias Werron 2010 ein Modell, um die Auswirkungen der Konkurrenz auf unterschiedlichen Ebenen in der internationalen Politik zu untersuchen, denn: »Die Annahme, dass Nationalstaaten konkurrieren, hat sich als unentbehrliche Prämisse historisch-soziologischer und globalhistorischer Studien zur Entstehung und zum 45 Zur Bedeutung der Pfadabhängigkeit im historischen Institutionalismus vgl. Melanie Morisse-Schilbach: Historischer Institutionalismus, in: Hans-Jürgen Bieling / Marika Lerch (Hg.): Theorien der europäischen Integration, 2.  Aufl., Wiesbaden 2006, S. ­271–292; Paul Pierson: Politics in Time. History, Institutions, and Social Analysis, Princeton 2004, S. 17–53. 46 André Kieserking: Simmels Sozialformenlehre. Probleme eines Theorieprogramms, in: Hartmann Tyrell / Otthein Rammstedt / Ingo Meyer (Hg): Georg Simmels große »Soziologie«. Eine kritische Sichtung nach hundert Jahren, Bielefeld 2011, S. 181–206. 47 Simmel: Soziologie der Konkurrenz.

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Wandel des modernen Nationalstaatensystems erwiesen.«48 Demnach konkurrieren Staaten untereinander und das nicht nur auf wirtschaftlichem und militärischem Gebiet, sondern auch um ›weiche Güter‹49 wie Aufmerksamkeit, Legitimität und Prestige. Neben dem Wohlstand der Bevölkerung messen sich Staaten auch in ihrer Umweltpolitik, in Bildungssystemen, in der Wissenschaft oder eben in den Menschenrechten. Die Position des Dritten wird in diesem Fall nicht von einer konkreten Person besetzt, sondern durch andere Staaten oder die Öffentlichkeit. Die Konkurrenz wird dabei vor allem in Form öffentlicher Vergleichsdiskurse zwischen den Staaten ausgetragen. Dabei beeinflusst die Konkurrenz das Verhalten von Staaten ebenso wie das von Individuen. Die Staaten passen ihre Politik an die Erwartungen des bewertenden Dritten an, um in dessen Gunst zu steigen. Das dient zum einen dazu, die Zustimmung der Wähler im eigenen Land zu erhalten. Es kann aber auch genutzt werden, um die Gunst der Menschen in anderen Ländern zu gewinnen, und die ›Soft Power‹50 des eigenen Landes zu steigern. Die Vereinten Nationen boten den Staaten seit 1945 ein Forum für öffentliche Vergleichsdiskurse und wurden damit zum wichtigsten Austragungsort der Konkurrenz zwischen Ost und West. Die Figur des bewertenden Dritten nimmt eine Schlüsselposition in der Konkurrenz um Menschenrechte ein. Sie entscheidet nicht nur, welcher Konkurrent sich am Ende durchsetzt, sie beeinflusst vor allem auch deren Handeln. Dabei hat sich gezeigt, dass diese Position in den verschiedenen Phasen des Kalten Krieges unterschiedlich besetzt war. Während in den 1960er-Jahren vor allem die dekolonisierten Staaten aufgrund ihrer Überzahl eine entscheidende Rolle spielten und Ost und West ihre Menschenrechtspolitiken an deren Erwartungen anpassten, übernahm in den 1970er-Jahren die Öffentlichkeit51 die Funktion des bewertenden Dritten, wodurch sich auch die Menschenrechtsdiskurse in den UN veränderten. Die Konkurrenzperspektive bietet sich damit dafür an, die Wechselwirkung zwischen der Dekolonisierung, dem Kalten Krieg sowie dem zivilgesellschaftlichen Engagement auszuloten und deren Auswirkungen auf die Entwicklung des UN-Menschenrechtsschutzes aufzuzeigen. 48 Werron: Konkurrieren, S. 338. 49 Ebd. 50 ›Soft Power‹ meint politische Macht, die von den Werten und der Kultur eines Landes ausgeht. Sie überzeugt den Gegenüber durch Attraktivität und Anziehungskraft und nicht durch wirtschaftlichen Druck oder eine militärische Bedrohung wie die ›Hard Power‹. Das Konzept wurde 1990 von dem Politikwissenschaftler Joseph S. Nye eingeführt und sollte als Erklärungsansatz für das Ende des Kalten Krieges dienen. Demnach hätten die westlichen Staaten durch ihre Werte und ihre Kultur ein hohes Maß an Attraktivität und Anziehungskraft auf die Menschen in Osteuropa ausgeübt, was zur friedlichen Revolution von 1989/90 geführt hätte. Siehe Ders.: Soft Power in: Foreign Policy 80/3 (1990), S. 153–171. 51 Vgl. Friedrich Kießling: (Welt-) Öffentlichkeit, in: Jost Dülffer / Wilfried Loth (Hg.): Dimensionen internationaler Geschichte, München 2012, S. 85–106; Frank Bösch / Peter Hoeres: Im Bann der Öffentlichkeit? Der Wandel der Außenpolitik im Medienzeitalter, in: Dies. (Hg.), Außenpolitik im Medienzeitalter. Vom späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Göttingen 2013, S. 7–38.

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Die Erforschung der Menschenrechte ist eng mit ihrer politischen, institutio­ nellen und gesellschaftlichen Entwicklung im 20. Jahrhundert verbunden. Viele Wissenschaftler, die in diesem Bereich forschten, waren zugleich selbst Aktivisten, Diplomaten oder Mitarbeiter internationaler Organisationen. Als in den 1940er-Jahren die Menschenrechte Gegenstand der internationalen Politik wurden, waren es überwiegend Geisteswissenschaftler, die als Lobbyisten für die Einführung universeller Grundrechte warben.52 Mit der UN-Charta und der AEMR wurden Menschenrechte jedoch Teil des Völkerrechts und fortan übernahmen zunehmend Juristen diese Rolle. Menschen wie René Cassin, John P.  Humphrey oder Egon Schwelb arbeiteten für die Vereinten Nationen oder für Regierungen und prägten zugleich die akademischen Debatten über Menschenrechte.53 Als die Menschenrechte in den 1970er-Jahren einen Bedeutungsgewinn erlebten und sich die Debatte in den UN ausweiteten, breitete sich auch deren Spektrum in den Wissenschaften aus. Während in den 1960er-Jahren die Themen Rassendiskriminierung, religiöse Intoleranz und Menschenrechtsschutz im Zentrum standen, verstärkten sich in den 1970er-Jahren die Forderungen nach wirtschaftlichen und sozialen Rechten und einer neuen Weltwirtschaftsordnung.54 Fortan beschäftigten sich auch Soziologen, Ökonomen und Politikwissenschaftler zunehmend mit den Menschenrechten und engagierten sich zugleich als UN-Beamte, Aktivisten oder Diplomaten.55 Mit dem Beginn umfassender ›Transitional Justice-Prozesse‹ Ende der 1980er-Jahren in Südamerika und später auch in Asien, Afrika und Südosteuropa wurden Kriminologen und Psychologen zu Menschenrechtsexperten, die sowohl wissenschaftliche Debatten als auch die praktische Umsetzung dieser Prozesse begleiteten.56 Im 52 Vgl. Mitoma: Human Rights, S. 1–17; Glenda Sluga: René Cassin. Les Droits de l’homme und die Geschichte der Menschenrechte, 1945–1966, in: Stefan-Ludwig Hoffmann (Hg.): Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert, Göttingen 2010, S. 92– 114; Mary Ann Glendon: A World Made New. Eleanor Roosevelt and the Universal Declaration of Human Rights, New York 2001. 53 Vgl. exemplarisch Hersch Lauterpacht: Human Rights and International Law, London 1950; Manouchehr Ganji: International Protection of Human Rights, Genf 1962; Egon Schwelb: Human Rights and the International Community. The Roots and Growth of the Universal Declaration of Human Rights, 1948–1963, Chicago 1964; John P. Humphrey: The United Nations Sub-Commission on the Prevention of Discriminiation and the Protection of Minorites, in: The American Journal of International Law 62/4 (1968), S. 869–888; Bernhard Graefrath: Die Vereinten Nationen und die Menschenrechte, Berlin 1956. 54 Vgl. Moyn: Utopia, S. 176–212; Eckel: Ambivalenz, S. 790–797. 55 Vgl. exemplarisch Christian Tomuschat: Menschenrechte. Ausländerpolitik, Frankfurt a. M. 1976; Bernhard Graefrath / Erhard Oeser / Peter Alfons Steiniger (Hg.): Völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Staaten, Berlin 1977; Daniel Patrick Moynihan / Suzanne Weaver: A Dangerous Place, Boston / Toronto 1978; Jeane Kirkpatrick: Dictatorships and Double Standards. Rationalism and Reason in Politics, New York 1982. 56 Anne K. Krüger: Transitional Justice. Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 25.1.2013: http://docupedia.de/zg/krueger_transitional_justice_v1_de_2013 (07.04.2021).

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Folgenden wird die Rolle dieser Experten und der Einfluss dieser ›Verwissenschaftlichung‹57 der Menschenrechte auf den Menschenrechtsschutz ebenfalls herausgearbeitet, da es sowohl die besondere Rolle der UN als institutiona­ lisierte Kontaktzone hervorhebt, als auch den transnationalen zivilgesellschaftlichen Einfluss auf die Geschichte der Menschenrechte unterstreicht.58 Im Vergleich dazu begannen Historiker erst spät, sich mit der Geschichte der Menschenrechte zu befassen. Dennoch ist auch die Historisierung der Menschenrechte Teil ihrer Institutionalisierungsgeschichte. Erste Arbeiten entstanden um die Jahrtausendwende.59 Umfassende Monografien, die nach den Ursprüngen der Menschenrechte suchten, erschienen 2003 und 2007. Diese zeichneten zumeist eine bis in die Frühe Neuzeit zurückreichende und linear verlaufende Entwicklung, von der französischen Revolution hin zur AEMR von 1948.60 Dieses Narrativ wurde 2010 von Samuel Moyn mit seinem Buch »The Last Utopia« aufgebrochen. Moyn argumentierte, dass die Menschenrechte ein Produkt der jüngeren Vergangenheit seien und erst in den 1970er-Jahren ihren internationalen Durchbruch erfuhren.61 Seine Thesen gaben der historischen Auseinandersetzung mit den Menschenrechten neuen Vorschub. 2014 legte Jan Eckel mit seinem Buch »Die Ambivalenz des Guten« eine umfassende und zugleich detaillierte Studie über die Genese der Menschenrechte in der internationalen Politik von 1945–1990 vor. Darin zeigte er, wie die Menschenrechte durch den Einfluss von NGOs ab den 1970er-Jahren zu einem zentralen Element der internationalen Beziehungen wurden.62 Neueste Arbeiten richten den Blick auf die jüngste Vergangenheit und untersuchen den ›Boom‹, die vielfältige Ausgestaltung und die neue Reichweite der Menschenrechte in den 1990er-Jahren.63 57 Dieser Begriff beschreibt die zunehmende Institutionalisierung der Menschenrechte als Studien- und Forschungsobjekt in der Wissenschaft siehe dazu Kap. 3.3.3. 58 Peter Ridder: Menschenrechtsexperten in der UNO  – Berater, Diplomaten, Aktivisten? Die ambivalente Rolle von Völkerrechtlern bei der Entstehung des UNO -Menschenrechtsschutzes, in: Felix Selgert (Hg.): Externe Experten in Politik und Wirtschaft, HZ Beiheft 78, München 2020, S. 245–266. 59 Vgl. Michael Hochgeschwender: Zur Geschichte der Menschenrechte, in: Benita von Behr / Lara Huber / A ndrea Kimmi / Manfred Wolff (Hg.): Perspektiven der Menschenrechte. Beiträge zum fünfzigsten Jubiläum der UN -Erklärung, Frankfurt 1999, S. 27–50; Kenneth Cmiel: The Recent History of Human Rights, in: The American Historical Review 109/1 (2004), S. 117–135. 60 Paul Gordon Lauren: The Evolution of International Human Rights, 3. Aufl., Philadelphia 2011 (2003); Lynn Hunt: Inventing Human Rights. A History, London 2007. 61 Moyn: Utopia, S. 212. 62 Eckel: Ambivalenz, S. 803–825. 63 Mark Philip Bradley: The World Reimagined. Americans and Human Rights in the Twentieth Century. New York 2016; Samuel Moyn: Not Enough. Human Rights in an Unequal World, Cambridge 2018; Ders.: Human Rights and the Use of History, London 2014; Stefan-Ludwig Hoffmann: Human Rights and History, in: Past & Present 232/1 (2016), S. 279–310; James E.  Cronin: Global Rules. America, Britain and  a Disordered World, New Haven / London 2014.

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Darüber hinaus bildeten sich verschiedene Schwerpunkte in der Forschung heraus. Roland Burke, Steven L. B. Jensen und Fabian Klose haben den Einfluss der afroasiatischen Staaten und der Dekolonisierung auf die Menschenrechte untersucht und deren entscheidende Rolle bei der Kodifizierung der Menschenrechte in den UN in den 1960er-Jahren aufgezeigt.64 Einen Schwerpunkt der bisherigen Forschung bildete zudem die Auseinandersetzung mit dem politischen und zivilgesellschaftlichen Bedeutungsgewinn der 1970er-Jahre und dem Einfluss von NGOs sowie der Menschenrechtspolitik des US -Präsidenten James Earl ›Jimmy‹ Carter.65 Ein weiterer wichtiger Zweig, der sich dabei herausgebildet hat, befasst sich mit den Konferenzen für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) und dem ›Helsinki-Effekt‹. Der Politikwissenschaftler Daniel Thomas stellte 2001 die These auf, dass die Schlussakte von Helsinki von 1975, in der sich Ost und West unter anderem zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichteten, einen Prozess in Gang setzte, der die sozialistischen Staaten innenpolitisch destabilisierte und zum Zerfall des ›Ostblocks‹ führte.66 Sarah Snyder und Christian Philip Peterson untersuchten den Einfluss des KSZE -Prozesses auf Politik und Zivilgesellschaften in Ost und West und zeigten, wie die Schlussakte von Helsinki zu einem zentralen Bezugspunkt für Dissidenten in Osteuropa wurde. Ein direkten Zusammenhang zwischen Helsinki und dem Ende der Sowjet­union konnten sie aber nicht feststellen.67 Dennoch hat die KSZE seitdem viel Aufmerksamkeit in der Geschichtswissenschaft erfahren und zahlreiche internationale und sektorale Studien hervorgebracht.68 Der KSZE -Prozess war ein wichtiger Faktor in der Geschichte der Menschenrechte sowie des Kalten Krieges und hatte auch Auswirkungen auf die Vereinten Nationen, die in dieser Arbeit herausgearbeitet werden. Dieses Buch baut auf den Erkenntnissen dieser Forschungen auf und ergänzt sie um die Perspektive des Ost-West-Konflikts. 64 Burke: Decolonization; Jensen: International; Fabian Klose: Menschenrechte im Schatten kolonialer Gewalt. Die Dekolonisierungskriege in Kenia und Algerien 1945–1962, München 2009. 65 Akira Iriye / Petra Goedde / William I. Hitchcock (Hg): The Human Rights Revolution. An International History, Oxford 2012; Jan Eckel / Samuel Moyn (Hg.): Moral für die Welt. Menschenrechtspolitik in den 1970er Jahren, Göttingen 2012; Barbara J. Keys: Re­claiming American Virtue, The Human Rights Revolution of the 1970s, Cambridge / London 2014. 66 Daniel C. Thomas: The Helsinki Effect. International Norms, Human Rights, and the Demise of Communism, Princeton / Oxford 2001. 67 Sarah B. Snyder: Human Rights Activism and the End of the Cold War. A Transnational History of the Helsinki Network, Cambridge 2011; Christian Philip Peterson: Globalizing Human Rights. Private Citizens, the Soviet Union, and the West, London / New York 2012. 68 Vgl. Oliver Bange / Poul Villaume (Hg.): The Long Détente. Changing Concepts of Security and Cooperation in Europe, 1950s–1980s, Budapest 2017; Matthias Peter / Hermann Wentker (Hg.): Die KSZE im Ost-West-Konflikt. Internationale Politik und gesellschaftliche Transformation 1975–1990, München 2012; Leopoldo Nuti (Hg.): The Crisis of Détente in Europe. From Helsinki to Gorbachev, 1975–1985, London 2009; Andreas Wenger / Vojtech Mastny / Christian Nuenlist (Hg.): Origins of the European Security System. The Helsinki Process Revisited, 1965–75, London 2009.

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Diese bildet nach wie vor ein Desiderat der Forschung. Zwar werden die aus dem Systemkonflikt entstehenden Spannungen zwischen Ost und West in den meisten Arbeiten berücksichtigt, aber nur wenige fragten gezielt nach deren Auswirkungen. Dabei neigten viele Autoren zu dem pauschalen Urteil eines »Human Rights Deadlock in the Cold War«,69 wonach der Kalte Krieg die Entwicklung der Menschenrechte gehemmt hätte. Diese Sichtweise findet sich in historischen Arbeiten, aber noch stärker in rechts- und politikwissenschaftlichen Studien und soll hier kritisch hinterfragt werden.70 Auch die Bedeutung der Menschenrechte in den Vereinten Nationen ist nach wie vor unterbelichtet. In älteren Überblicksdarstellungen wurde die Organisation oft auf die Aktivitäten des UN-Sicherheitsrates und der Friedenssicherung begrenzt. Menschenrechte bildeten darin einen der untergeordneten Aspekte des ECOSOC .71 Diese normative Differenzierung, bei der zwischen der wichtigen »man’s world« des Sicherheitsrates und der unwichtigeren »feminin agenda« des ECOSOC unterschieden wurde, findet sich in jüngeren Arbeiten über die UN weniger stark ausgeprägt.72 Kulturgeschichtliche Perspektiven rücken seit einiger Zeit zunehmend die »soft Agenda« in den Mittelpunkt, in der Paul Kennedy sogar eine »truly revolutionary nature […] in the sweep of world history«73 ausmacht.74 Besonders einflussreich und auch für diese Arbeit wegbereitend waren die Arbeiten von Mark Mazower zum ideengeschichtlichen Ursprung und der Genese des Internationalismus. Mazower zeigt, wie die Großmächtepolitik und der Kolonialismus des 19. Jahrhunderts im Internationalismus des 20. Jahrhunderts weiterlebten und damit die Gründung der Vereinten Nationen prägten. Darüber hinaus verdeutlichen seine Arbeiten, wie nah Macht und Normen zusammenliegen und welch ambivalente Geschichte sich hinter Institutionen wie den UN oder den Menschenrechten verbirgt.75 69 Siehe Anmerkung 14. 70 Gareis / Varwick: Die Vereinten Nationen. S. 177–203; Nowak: UNO -Pakt. 71 Vgl. Evan Luard: A History of the United Nations. Volume 2. The Age of Decolonization, 1955–1965, London 1989; sowie Kritik dazu in Kennedy: Parliament, S. 143. 72 Kennedy beschreibt mit dieser geschlechtsspezifischen Hierarchisierung die Ansätze älterer Forschungsarbeiten zu der UN , von denen er sich selbst deutlich abgrenzen möchte. Vgl. Kennedy: Parliament, S. 143. 73 Ebd. 74 Vgl. Amy L. Sayward: The United Nations in International History, London / New York 2017; Ken Conca: An Unfinished Foundation. The United Nations and Global Environmental Governance, New York 2015; Anna-Katharina Wöbse: Weltnaturschutz. Umweltdiplomatie in Völkerbund und Vereinten Nationen 1920–1950, Frankfurt a. M. 2012; Mathias Stein: Der Konflikt um Alleinvertretung und Anerkennung in der UNO. Die deutsch-deutschen Beziehungen zu den Vereinten Nationen von 1949 bis 1973, Göttingen 2011; Richard Jolly / Louis Emmerij / Thomas G. Weiss (Hg.): UN Ideas That Changed the World, Bloomington 2009; Thomas G. Weiss / Tatiana Carayannis / Louis Emmerij / ​ Richard Jolly (Hg.): UN Voices. The Struggle for Development and Social Justice, Bloomington 2005. 75 Mazower: No Enchanted; Ders.: Global Governance. The History of an Idea, New York 2012.

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In den meisten Arbeiten über die Geschichte der Menschenrechte werden die UN erwähnt und einzelne Debatten innerhalb der Organisation umfassend analysiert, es gibt aber nur wenige Studien, die sich dezidiert mit den Menschenrechten in den Vereinten Nationen auseinandersetzen. Eine davon ist die im Jahr 2008 von dem Juristen Roger Normand und der Soziologin Sarah Zaidi veröffentlichte Arbeit »Human Rights at the United Nations«.76 Beide Autoren sind selbst Menschenrechtsaktivisten und beschreiben die Entstehung der AEMR und der Menschenrechtspakte auf Grundlage von Sekundärliteratur und öffentlicher UN-Dokumente. Andere Arbeiten zur UN widmen sich entweder einzelnen Aspekten innerhalb der Menschenrechtsdebatten wie dem Selbstbestimmungsrecht der Völker oder dem Recht auf Entwicklung77 oder untersuchen Teilbereiche der UN, in denen die Menschenrechte nur einen unter mehreren Aspekten darstellen oder fokussieren sich auf einzelne Personen.78 Hinzu kommen Sammelbände, in denen einzelne Beiträge ein komplexes Bild der Geschichte der Menschenrechte zeichnen. Der 2010 von Stefan LudwigHoffmann herausgegebene Sammelband »Moralpolitik« sowie der 2013 von Norbert Frei und Annette Weinke veröffentlichte Tagungsband »Toward a New Moral World Order« bieten einen breit gefächerten Überblick über die Entwicklung der Menschenrechte nach 1945.79 Die von Eckel und Moyn sowie Akira Iriye, Petra Goedde und William I. Hitchcock herausgegebenen Sammelbände konzentrieren sich auf die 1970er-Jahre.80 Wieder andere fokussieren sich auf spezielle Themenbereiche.81 In allen Bänden finden sich Artikel, in denen zentrale Aspekte der Geschichte der Menschenrechte in den Vereinten Nationen untersucht werden, ohne dass die Rolle der UN selbst für die Entwicklung der Menschenrechte hervorgehoben wird.82 Lediglich Eckel beschäftigt sich ex76 77 78 79 80 81

Normand / Zaidi: Human Rights. Fisch: Selbstbestimmungsrecht; Leemann: Entwicklung. Leemann: Selbstbestimmung; Mitoma: Human Rights; Jensen: International. Hoffmann: Moralpolitik; Frei / Weinke: New Moral World Order? Iriye, Goedde: Hitchcock, Human Rights; Eckel / Moyn: Moral. Gottfried Niedhart: Entspannung in Europa, Die Bundesrepublik Deutschland und der Warschauer Pakt 1966 bis 1975, Berlin / Boston 2014; Mariager Rasmus / Karl Molin / ​ Kjersti Brathagen (Hg.): Human Rights in Europe During the Cold War, New York 2014. 82 Steven L. B. Jensen: »Universality Should Govern the Small World of Today«. The Cold War and UN Human Rights Diplomacy, 1960–1968, in: Rasmus Mariager / Karl Molin / Kjersti Brathagen (Hg,), Human Rights in Europe During the Cold War, London 2014, S. 56–72; Jan Eckel: Symbolische Macht, Antikolonialismus und Menschenrechte in den Vereinten Nationen, in: Norbert Frei / A nnette Weinke (Hg.): Toward a New Moral World Order? Menschenrechtspolitik und Völkerrecht seit 1945, Göttingen 2013, S. 134–147; Dirk A. Moses: Die Vereinten Nationen, humanitäres Engagement und die Menschenrechte. Kriegsverbrechen- und Völkermordprozesse gegen pakistanische Soldaten in Bangladesch, 1971–1974, in: Stefan-Ludwig Hoffmann (Hg.): Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert, Göttingen 2010, S. 337–367; Allida Black: Are Women »Human«? The UN and the Struggle to Recognize Women’s Rights as Human Rights, in: Akira Iriye, Goedde Petra, William I. Hitchcock (Hg.): The Human Rights Revolution. An International History, Oxford 2012, S. 133–155.

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plizit damit und kommt zu einem negativen Ergebnis, wonach die UN in den 1950er-Jahren keine signifikante Wirkung entfaltete.83 Das Ziel dieser Arbeit ist es, dieses Desiderat zu schließen und die Bedeutung der Vereinten Nationen als Raum der Konkurrenz in den Mittelpunkt zu rücken. Der Quellenkorpus dieser Arbeit setzt sich erstens aus Dokumenten aus den UN -Archiven in New York und Genf sowie den ›Official Records‹ der Vereinten Nationen zusammen. Diese ermöglichen es, die politischen Debatten innerhalb der verschiedenen Menschenrechtsgremien für den gesamten Untersuchungszeitraum zu untersuchen und bieten zugleich Einblicke in die Arbeit des Sekretariats und der Generalsekretäre, womit die Bedeutung der UN als Akteur untersucht werden kann.84 Zweitens stützt sich die Arbeit auf die umfangreichen Quellenbestände des US -State Departments in den National Archives sowie deren Onlinearchiv.85 Die USA waren während des gesamten Untersuchungszeitraums ein wichtiger Akteur im westlichen Lager, der alle Vorgänge innerhalb und außerhalb der UN beobachtete und dokumentierte. Die Bestände bieten Einblicke in die US Außenpolitik bis Ende der 1970er-Jahre. Für die 1980er- und frühen 1990erJahre konnten hingegen Quellen von Freedom of Information Acts ausgewertet werden.86 Ergänzend wurden zudem die Quelleneditionen der Foreign Relations of the United States herangezogen.87 Um eine multiperspektivische Sicht auf die Menschenrechtspolitik der westlichen Staaten zu ermöglichen, wurden drittens die Bestände des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes herangezogen.88 Die Menschenrechtspolitik der westlichen Staaten war sehr unterschiedlich. Diese Differenz wurde seit den 1970er-Jahren zu einem wichtigen Merkmal dieser Staatengruppe und bildete zugleich einen wichtigen Faktor, der die Entwicklung des Menschenrechtsschutzes beeinflusste. Die Akten des Auswärtigen Amtes bieten Einblicke in die transatlantischen Beziehungen und die Politik der westeuropäischen Staaten ab 1973 und verdeutlichen, wie sich diese im Laufe der Zeit immer weiter ausdifferenzierte, sie ermöglichen, ein facettenreiches Bild der Menschenrechtspolitik ›des Westens‹ in den Vereinten Nationen zu skizzieren. Dem gegenüber stehen viertens die Akten des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR . Das Land war ein wichtiges Mitglied der Warschauer Vertragsorganisation (WVO) und stimmte sich in seiner Außenpolitik 83 Eckel: Ambivalenz, S. 144–154. 84 Im Folgenden gekennzeichnet als UNARM (United Nations Archives and Records Management) und ORUN (Official Record of the United Nations). 85 Im Folgenden als NARA (National Archives and Records Administration) sowie NARAAAD (Onlinedatenbank der NARA) gekennzeichnet. 86 Im Folgenden mit DS -FOIA (Department of State – Freedom of Information Act) gekennzeichnet. 87 Im Folgenden als FRUS (Foreign Relations of the United States) gekennzeichnet. 88 Im Folgenden als PA AA (Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes) gekennzeichnet.

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mit ihren sozialistischen Bruderstaaten ab.89 Sie geben Einblick in die sozialistische Menschenrechtspolitik in den Vereinten Nationen.90 Ergänzt wird dieses Material durch Dokumente des ›Parallel History Project‹ zur Außenpolitik der UdSSR , welche Einblicke in die politische Führungsebene in Moskau zulassen.91 Auch hier bietet der gewählte Zugriff die Möglichkeit, ein differenziertes Bild der sozialistischen Menschenrechtspolitik in den UN zu zeichnen. Obwohl sich die sozialistischen Staaten gut koordinierten und in enger Absprache in den UN agierten, zeigen sich vor allem in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre immer größere Unterschiede zwischen den einzelnen sozialistischen Bruderstaaten, die durch die gewählte Perspektive sichtbar gemacht werden können. Dieses Buch gliedert sich chronologisch in vier Teile, die thematisch untergliedert sind. Der erste Teil (Kapitel 2) beschäftigt sich mit der Entstehung des UN -Menschenrechtsschutzes in den 1960er-Jahren und zeigt, wie die Konkurrenz um Menschenrechte die Sowjetunion dazu verleitete, eine Debatte in Gang zu setzen, die zur Einrichtung des CBM führte (Kapitel 2.1.). Im Gegensatz dazu versuchten die USA vergeblich mit der Idee eines Hochkommissars für Menschenrechte, die Kontrolle über den Menschenrechtsschutz zu gewinnen (Kapitel 2.2). Unabhängig davon setzte der UN-Generalsekretär U Thant seine guten Dienste zum Schutz der Menschenrechte ein und schuf damit eine neue Ebene des Menschenrechtsschutzes, mit der er die Konkurrenz um Menschenrechte umging (Kapitel 2.3). Der zweite Teil (Kapitel 3) konzentriert sich auf die Phase der Institutionalisierung des Menschenrechtsschutzes in den 1970er-Jahren. Der zivilgesellschaftliche Bedeutungsanstieg der Menschenrechte veränderte die Konkurrenz in dieser Dekade, was dazu führte, dass Ost und West 1975 gemeinsam das erste Untersuchungsverfahren des CBM einleiteten (Kapitel 3.1). Im selben Jahrzehnt veränderte aber auch der Nord-Süd-Konflikt die Menschenrechtsdebatten in den UN. Der Eklat auf der 30. Generalversammlung Ende 1975 stürzte die Vereinten Nationen in eine Krise und verleitete die westlichen Staaten dazu, ihre Menschenrechtspolitiken zu verändern (Kapitel 3.2). Die Westeuropäer starteten eine ›Menschenrechtsinitiative‹92 (Kapitel 3.3) bei der sie versuchten, mithilfe neuer Ideen wie die eines Menschenrechtsgerichtshofes (Kapitel 3.3.1), neuer Institutionen wie dem Menschenrechtsausschuss (Kapitel 3.3.2) und Menschenrechtsexperten (Kapitel 3.3.3) wieder mehr Einfluss zu gewinnen und sich 89 Hermann Wentker: Außenpolitik in engen Grenzen. Die DDR im internationalen System 1949–1989, München 2007, S. 555–564; Joachim Scholtyseck: Die Außenpolitik der DDR , Berlin / Boston 2003, S.  108–113. 90 Im Folgenden als PA AA-MfAA (Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten) gekennzeichnet. 91 Im Folgenden als PHP (Parallel History Project) gekennzeichnet. 92 So die Originalbeschriftung auf den Aktendeckeln im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes siehe PA AA : ZA B30, 115818.

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in den UN und vor der Öffentlichkeit zu profilieren. Ab 1977 unterstützten auch die USA diese Initiative (Kapitel 3.3.4). Die sich in den 1970er-Jahren verändernde Konkurrenz führte somit dazu, dass sich die westlichen Staaten plötzlich darum bemühten, international als Verteidiger der Menschenrechte wahrgenommen zu werden. Gleichzeitig spaltete sich das Lager der Bündnisfreien Staaten in Menschenrechtsfragen auf und während einige die Ausweitung des Menschenrechtsschutzes bekämpften, setzten sich andere aktiv für dessen Ausweitung und eine effektive Anwendung ein, was sich positiv auf die Institutionalisierung des CBM auswirkte (Kapitel 3.4). Auch die sozialistischen Staaten veränderten ihre Menschenrechtspolitik in den 1970er-Jahren und versuchten mit der Idee eines ›Rechts auf Frieden‹ die Deutungshoheit zu erringen und die Debatten über den UN-Menschenrechtsschutz zu verdrängen (3.5). Unterdessen institutionalisierte der neue Generalsekretär Kurt Waldheim die guten Dienste als eigenständiges Verfahren innerhalb der UN, wobei er anders als sein Vorgänger die Öffentlichkeit gezielt als Druckmittel in den Verhandlungen einsetzte und damit auf den Bedeutungsgewinn der Menschenrechte in diesem Jahrzehnt reagierte (Kapitel 3.6). Der dritte Teil fragt, wie sich die Konkurrenz im Zuge des ›Zweiten Kalten Krieges‹93 zwischen 1980 und 1985 veränderte (Kapitel 4) und welche Folgen das für den UN-Menschenrechtsschutz hatte. Während die sozialistischen Staaten wegen des Einmarschs in Afghanistan isoliert wurden, und sich ihr Engagement im UN-Menschenrechtsbereich zunehmend gegen sie wandte, radikalisierten sich die USA (Kapitel 4.1). Unter ihrem neuen Präsidenten Ronald Reagan entwickelte sich eine ›neokonservative‹94 Menschenrechtsauslegung, mit der die US Regierung ihre umstrittene Außenpolitik legitimierte sowie Konflikte mit den westlichen Verbündeten und den Vereinten Nationen provozierte. Darüber hinaus veränderten sie den globalen Menschenrechtsdiskurs und bereiteten damit den Weg für die ›Take-Off-Phase‹ des UN-Menschenrechtsschutzes Anfang der 1990er-Jahre (Kapitel 4.2.). Die Eskalation des Kalten Krieges ließ die Konkurrenz in den Hintergrund rücken. Dennoch etablierte sich der Menschenrechtsschutz in dieser Zeit im internationalen System. Menschenrechtsverletzungen entwickelten sich zum wichtigsten Thema in der Menschenrechtskommission und Genf wurde zum globalen Zentrum einer transnational agierenden Menschenrechtsszene aus Aktivisten, Wissenschaftlern, Diplomaten und UN-Beam-

93 Bei dem Begriff ›Zweiter Kalter Krieg‹ handelt es sich um eine zeitgenössische Bezeichnung, die allerdings auch in der Geschichtswissenschaft verwendet wird, um den politischen Wandel zwischen 1979 und 1980 in den Ost-West-Beziehungen zu beschreiben. Siehe dazu Gottfried Niedhart: Der Ost-West-Konflikt. Konfrontation im Kalten Krieg und Stufen der Deeskalation, in: Archiv für Sozialgeschichte 50 (2010), S. 557–594, hier S. 588. 94 Zum Begriff und seiner politischen Bedeutung siehe Patrick Keller: Neokonservatismus und amerikanische Außenpolitik. Ideen, Krieg und Strategie von Ronald Reagan bis George W. Bush, Paderborn 2008, S. 38–46.

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ten. Diese Akteure hatten einen entscheidenden Einfluss darauf, dass der Menschenrechtsschutz gestärkt aus der Zeit des ›Zweiten Kalten Krieges‹ hervorging (Kapitel 4.3). Der vierte und letzte Teil untersucht, wie sich die Konkurrenz um Menschenrechte am Ende des Kalten Krieges veränderte und welchen Einfluss das auf die rasante Entwicklung des Menschenrechtsschutzes in den 1990er-Jahren hatte (Kapitel 5). Nachdem die Konkurrenz zwischen Ost und West 1988 endete (Kapitel 5.1), entstanden neue Konflikte, die die Anwendung des Menschenrechtsschutzes belasteten (Kapitel 5.2). Erst zwischen 1990 und 1993 setzte sich kurzfristig ein allgemeiner Konsens in den UN durch, der die historische Einigung auf der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz ermöglichte und die rasante Expansion des Menschenrechtsschutzes einleitete (Kapitel 5.3–5.4).

2. Die Entstehung des UN -Menschenrechtsschutzes in den 1960er-Jahren

Die Dekolonisierung und die Détente veränderten die Dynamik des Kalten Krieges und leiteten damit die Konkurrenz um Menschenrechte zwischen Ost und West ein. Frankreich, Belgien und Großbritannien entließen 1960 große Teile ihres Kolonialreiches in die Unabhängigkeit. Die afroasiatischen Staaten stellten plötzlich die meisten UN-Mitglieder und dominierten die Debatten in den Vereinten Nationen. Bis dato hatten die westlichen Staaten gemeinsam mit den südamerikanischen Staaten eine Mehrheit gebildet, die es ihnen erlaubte, ihre Interessen durchzusetzen. Die neuen Länder nahmen jedoch eine neutrale Stellung im Kalten Krieg ein und die Sowjetunion und die USA waren ab 1960 auf ihre Stimmen angewiesen, wenn sie Einfluss nehmen wollten.1 Die dekolonisierten Staaten übernahmen damit die Rolle des bewertenden Dritten und beide Seiten begannen Anfang der 1960er-Jahre aktiv, um deren Unterstützung zu werben. Verstärkt wurde dieser Wettbewerb durch die einsetzende Détente. Die USA und die Sowjetunion begannen nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 und der Kubakrise 1962 über Rüstungsbegrenzungen zu verhandeln und politische Spannungen abzubauen. Die direkte militärische Eskalation in Europa verlagerte sich daraufhin zunehmend in die ›Dritte Welt‹. Beide Seiten verwickelten sich in Vietnam und im Kongo in Stellvertreterkriegen und versuchten, die Ausweitung des Einflusses des jeweils anderen einzudämmen. Zudem verstärkten sie die ideologische Konkurrenz. Ost und West wetteiferten im Sport, der Wissenschaft und der internationalen Politik, um die Menschen in der Welt von der Überlegenheit ihres Systems zu überzeugen.2 Auch die Vereinten Nationen wurden dadurch zu einer wichtigen Arena »im Kampf um das Herz und den Geist unterdrückter Völker«3. Sowohl die Sowjetunion als auch die USA bemüh1 Jensen: International, S. 18–47; Dinkel: Bewegung, S. 99–102; Andreas Hilger (Hg.): Die Sowjetunion und die Dritte Welt. UdSSR , Staatsozialismus und Antikolonialismus im Kalten Krieg 1945–1991, München 2009, S. 7–17; Burke: Decolonization, S. 13–35. 2 Richard D. Williamson: First Steps Toward Détente. American Diplomacy in the Berlin Crisis, 1958–1963, Lanham 2012, S. 73–182; Odd Arne Westad: The Global Cold War. The Third World Interventions and the Making of Our Times, Cambridge 2005, S. 39–72; Melvyn P. Leffler: For the Soul of Mankind. The United States, the Soviet Union, and the Cold War, New York 2007, S. 224–233. 3 Il’ja V.  Gajduk: New York, 1960. Die Sowjetunion und die dekolonisierte Welt auf der Fünfzehnten Sitzung der UN -Vollversammlung, in: Andreas Hilger (Hg.): Die Sowjetunion und die Dritte Welt. UdSSR , Staatsozialismus und Antikolonialismus im Kalten Krieg 1945–1991, München 2009, S. 107–119, hier S. 111.

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Die Entstehung des UN-Menschenrechtsschutzes

ten sich aktiv darum, die Deutungshoheit über den UN-Menschenrechtsschutz zu gewinnen, um sich damit ihre jeweilige Führungsrolle in der Welt bestätigen zu lassen. Sie entwickelten dabei unterschiedliche Strategien, die unerwartete Konsequenzen hatten und zur Entstehung des UN -Menschenrechtsschutzes führten.

2.1 Die Sowjetunion und das Charter Based Monitoring Auf der 15. Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 1960 wagte der Generalsekretär der KPdSU Nikita Chruschtschow einen Vorstoß, mit dem er eine Wende in der Außenpolitik der Sowjetunion gegenüber den Staaten der ›Dritten Welt‹ einleitete. Zum einen versprach er, sich in Zukunft finanziell an den Entwicklungshilfeprogrammen der Vereinten Nationen zu beteiligen. Zum anderen präsentierte er den Entwurf einer Deklaration zur Dekolonisierung, indem er das Ende der europäischen Kolonialherrschaft verkündete und die politische Unabhängigkeit der letzten Kolonien forderte. Die Sowjetunion stellte sich damit demonstrativ an die Seite der afroasiatischen Staaten, die bis dato keine wichtige Rolle in Moskaus Außenbeziehungen gespielt hatten. Die Sowjetunion startete eine umfassende Initiative, um die Gunst der neuen UNMitglieder zu gewinnen und die eigene Stellung als Führungsmacht in der Welt zu untermauern.4 Die afroasiatischen Staaten begrüßten und unterstützten Chruschtschows Deklaration. Diese enthielt allerdings keinerlei Bezug zu den Menschenrechten, stattdessen wurden in ihr ›Imperialismus‹ und ›Kapitalismus‹ in scharfen Worten verurteilt. Die dekolonisierten Länder strichen diese Verweise aus dem Entwurf und ersetzten sie durch eine positive Bezugnahme auf »Human Rights and Fundamental Freedoms«.5 Chruschtschow war gegen diese Änderungen, beugte sich aber dem Willen der Mehrheit, damit seine Deklaration nicht scheiterte. Die »Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and People« wurde so zu einem Schlüsseldokument der Dekolonisierung und die Sowjetunion zugleich ungewollt zu einem Fürsprecher der Menschenrechte.6 Das Streben Chruschtschows nach internationaler Anerkennung durch die dekolonisierten Staaten, verleitete ihn dazu, einen Prozess in Gang zu setzten, der ungeahnte Konsequenzen hatte. Mit Chruschtschows Deklaration wurde nämlich auch die Einrichtung eines Dekolonisierungskomitees beschlossen, dessen Aufgabe es war, den Übergang der noch bestehenden Kolonialgebiete in die Unabhängigkeit zu überwachen. Aufgrund der von den afroasiatischen Staaten eingefügten Klausel legte das 4 Gajduk: New York, S. 107–119. 5 ORUN: A / R ES /15/1514, Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples 14.12.1960. 6 Jensen: Universality, S. 57 f.; Luard: History, S. 175–197.

Die Sowjetunion und das Charter Based Monitoring 

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Komitee dabei auch ein Augenmerk auf die Einhaltung der Menschenrechte in den Kolonien.7 Im Jahr 1965 wurden dem Komitee mehrere Briefe von Privatpersonen aus Südafrika, den portugiesischen Kolonien sowie Rhodesien informell zugespielt, in denen über schwere Menschenrechtsverletzungen berichtet wurde. Vertreter verschiedener afroasiatischer Staaten und Jugoslawiens reichten daraufhin einen Resolutionsentwurf ein, indem sie die Menschenrechtskommission aufforderten, sich mit den Beweisen »submitted by the petitioners respecting the violations of human rights« zu befassen. Dieser Entwurf wurde am 18. Juni 1965 vom Komitee angenommen. Während die sozialistischen Staaten geschlossen für diese Resolution stimmten, enthielten sich Australien, Dänemark und Italien der Stimme, während die USA und Großbritannien dagegen votierten.8 Die Sowjetunion nutzte anschließend diese Debatte als Vorwand, um die USA und Großbritannien für ihre politischen Beziehungen zu Südafrika und Portugal öffentlich vorzuführen.9 Am 3. März 1966 reichte die sowjetische Delegation einen Resolutionsentwurf im Wirtschafts- und Sozialrat ein, der die Resolution des Dekolonisierungskomitees aufgriff und die Menschenrechtskommission aufforderte, sich mit: »[…] the question of violation of human rights and fundamental freedoms in colonial and other dependent countries and territories […]«10 zu beschäftigen und Maßnahmen gegen diese Länder vorzuschlagen.11 Die Delegierten aus Großbritannien und Frankreich waren die Ersten, die im Wirtschafts- und Sozialrat formale Einwände gegen den sowjetischen Entwurf vorbrachten. Weitere Kritik kam von Sierra Leone und den Philippinen. Beide Staaten bemängelten den zu engen Fokus und reichten ein Amendement ein, mit dem die sowjetische Resolution erweitert werden sollte.12 Demnach sollte die Menschenrechtskommission: »pay particular attention […] to the whole question of violation of human rights through racial discrimination in all countries with particular reference to colonial and dependent territories […].«13 Durch den kleinen aber entscheidenden Zusatz »in all countries« weitete sich der Fokus der Resolution von Südafrika und den Kolonien auf alle Länder in der Welt aus. Der britische Vertreter zeigte sich daraufhin begeistert von dem Vorschlag und erklärte, dass im Gegensatz zur sowjetischen Fassung damit nun auch zum Beispiel Antisemitismus vor der Menschenrechtskommission behandelt werden konnte. Der sowjetische Delegierte war hingegen weniger erfreut. Algerien, das 7 Luard: History, S. 187–195. 8 ORUN: AC /109/128/Rev.1, Resolutionsentwurf vom 16.06.1965. 9 Ebd., A/6000/Rev.1, Jahresbericht des Dekolonisierungskomitees für 1965, S. 49 f., § 358 sowie S. 56–59, § 438–463. 10 Ebd., E / L .1111/Corr1, Sowjetischer Resolutionsentwurf vom 03.03.1966, § 1. 11 Ebd., E / S R .1413, Summary Records des 1413. Meetings der 40. Sitzung des Wirtschaftsund Sozialrates, S. 75, § 39–44. 12 Ebd., E / S R .1414, Summary Records des 1414. Meetings der 40. Sitzung des Wirtschaftsund Sozialrates am 03.03.1966. 13 Ebd., E / L/1114, Amendement von Sierra Leone und den Philippinen, § 1.

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Die Entstehung des UN-Menschenrechtsschutzes

als Co-Sponsor der sowjetischen Resolution auftrat, schlug daraufhin einen Kompromiss vor, indem es Teile des Amendements in den sowjetischen Entwurf einfügte. Der Abschnitt lautete nun: […] to consider as a matter of importance and urgency the question of violation of human rights and fundamental freedoms, including policies of racial discrimination and segregation and of apartheid in all countries, with particular reference to colonial and other dependent countries and territories […].14

Sierra Leone, die Philippinen und die Sowjetunion erklärten sich mit dem Vorschlag einverstanden und die sowjetische Resolution wurde einstimmig angenommen. Wie schon 1960 akzeptierten die sowjetischen Diplomaten die Änderung, damit ihre Resolution nicht scheiterte und sich die Sowjetunion als Anführer der unterdrückten Völker präsentieren konnte. Zugleich eröffnete sie damit eine Debatte darüber, wie die Menschenrechtskommission zukünftig mit Menschenrechtsverletzungen umgehen sollte. Anders als geplant lag der Fokus dieser Debatte aber nun nicht mehr ausschließlich auf Südafrika und den verbleibenden europäischen Kolonien, sondern auf allen Ländern. Auf der folgenden Sitzung der Menschenrechtskommission unternahm die sowjetische Delegation einen zweiten Versuch, um die Anwendung der Resolution wieder auf die Kolonien und Südafrika zu begrenzen. Der Entwurf, den sie der Menschenrechtskommission präsentierten, konzentrierte sie sich ausschließlich auf Rassendiskriminierung und Kolonialismus. Die »in all countries«-Klausel hatten die Autoren stillschweigend wieder entfernt. Stattdessen forderten sie nun, den internationalen Tag der Menschenrechte des Jahres 1966 unter das Motto »violations of human rights committed by colonialists and racists« zu stellen. Zudem sollte die Unterkommission zum Schutz von Minderheiten die Beweise auswerten, die 1965 an das Dekolonisierungskomitee weitergeleitet worden waren und die Ergebnisse 1967 der Menschenrechtskommission präsentieren.15 Diese letzte Forderung barg eine entscheidende Neuerung und enorme politische Sprengkraft. Bis dato durften die UN die seit ihrer Gründung eingehenden Individualbeschwerden, in denen Menschen in Briefen über Menschenrechtsverletzungen berichteten, nicht berücksichtigen. Im Jahr 1947 hatte die Menschenrechtskommission unter der Leitung von Eleanor Roosevelt und unter dem Druck der Mitgliedstaaten entschieden, dass die Kommission nicht befugt sei, diese Briefe auszuwerten, sondern diese archivieren und unter Verschluss halten musste.16 Seitdem wurden die UN-Mitglieder zwar jährlich über die Anzahl der eingegangen Beschwerden informiert. Der Inhalt dieser Schreiben 14 Ebd., E / S R .1415, Summary Records des 1415. Meetings der 40. Sitzung des Wirtschaftsund Sozialrates am 04.03.1966. 15 Ebd., E / C N .4/916, Jahresbericht der 22. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1966, S. 36. 16 Ebd., ECOSOC -Resolution 75 (V), Communications Concerning Human Rights 05.08.1947.

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blieb aber geheim und durfte nicht verhandelt werden. Der damalige Direktor der UN-Menschenrechtsdivision17 Humphrey bezeichnete diese Praxis später als »the most elaborated wastepaper basket ever invented.«18 Dass die Unterkommission zum Schutz von Minderheiten zukünftig Individualbeschwerden auswerten und deren Inhalt öffentlich machen sollte, war somit ein revolutionärer Vorschlag. Allerdings wollten die sowjetischen Diplomaten durchsetzen, dass die Unterkommission nur Beschwerden aus Südafrika, den Kolonien sowie zum Thema Rassendiskriminierung untersuchen durfte. Damit wollten sie die Themen Rassismus und Kolonialismus dauerhaft auf der Agenda der Menschenrechtskommission verankern und ein Instrument schaffen, mit dem sie immer wieder öffentlich auf Menschenrechtsverletzungen in ›kapitalistischen Staaten‹ aufmerksam machen konnten. Das State Department schenkte der sowjetischen Initiative trotz ihrer Brisanz anfangs nur wenig Beachtung. Das Hauptinteresse der USA galt 1966 erstens der Einführung einer Konvention gegen religiöse Intoleranz, mit der man auf die Unterdrückung von Juden, Christen und Muslimen in der Sowjetunion aufmerksam machen wollte. Zweitens richtete sich die Aufmerksamkeit auf die Einsetzung eines Hochkommissars für Menschenrechte, was im folgenden Kapitel genauer untersucht wird.19 Der US -Delegationsleiter Morris B. Abram20 bekam deshalb aus dem State Department nur die Weisung, den sowjetischen Vorschlag zu nutzen, um für die US -Initiativen zu werben.21 Polen, die Ukraine und Indien stellten sich hingegen hinter den sowjetischen Resolutionsentwurf. Der indische Delegierte machte dabei deutlich, dass der Fokus ausschließlich auf den Problemen des Rassismus, der Segregation und der Apartheid liegen dürfe und es ausdrücklich nicht die Aufgabe der Menschenrechtskommission sei: »[…] to deal with human rights in general.«22 In Reaktion darauf reichte Abram ein Amendement ein, mit dem er die »in all countries«Klausel wieder einfügen und die Reichweite der Resolution wieder erweitern wollte. Zudem nutzte er seine Rede, um auf die Fortschritte der USA beim Ab17 Die Menschenrechtsdivison war die Abteilung, die von 1945–1982 den UN -Menschenrechtsbereich verwaltete und die Individualbeschwerden archivierte. 1982 wurde sie im Zuge von Reformmaßnahmen in ein »Centre for Human Rights« umgewandelt (siehe Kap. 4.3). 18 John P. Humphrey: Human Rights and the United Nations. A Great Adventure, Dobbs Ferry 1984, S. 28. 19 Siehe Kap. 2.2. 20 Zur Person siehe William Honan: Morris Abram is Dead 81. Rights Advocate Led Brandeis, in: New York Times, 17.03.2000. 21 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3203, SOC 14 1/1/66, Telegramm des US -Botschafters Arthur Goldberg an das Department of State (Subject: Human Rights Commission) vom 21.03.1966. 22 ORUN: E / C N .4/SR .870, Summary Records des 870. Meetings der 22. Sitzung der Menschenrechtskommission am 21.03.1966, S. 3.

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bau der Segregation hinzuweisen, und die Einführung eines Hoch­kommissars für Menschenrechte vorzuschlagen. Schließlich sei der Menschenrechtsschutz in der UN bis dato »quite embryonic or non-existent« und es sei an der Zeit, ein allgemeines System zum Schutz der Menschenrechte einzuführen.23 Auch die Philippinen, Jamaika, Senegal, Dahomey, Indien und Polen reichten daraufhin Amendements ein, mit denen der sowjetische Resolutionsentwurf verändert wurde. Um die ganzen Änderungsvorschläge einzuarbeiten, empfahl der indische Delegierte schließlich, die Einrichtung einer Arbeitsgruppe, die in zwei Tagen aus den unterschiedlichen Amendements und dem sowjetischen Entwurf eine neue Resolution erarbeiten sollte.24 Die Gruppe setzte sich aus den Staaten zusammen, die die Amendements eingereicht hatten. Nach zwei Tagen präsentierten sie eine neue Resolution. Dieses Dokument war aber nicht von Einigkeit geprägt. Im Gegenteil, jeder Paragraf des neuen Entwurfs war mit dem Vermerk versehen: »There was no agreement on this«.25 Deswegen entschied der Vorsitzende der Menschenrechtskommission, dass die Mitglieder am 25. März 1966 Absatz für Absatz über den neuen Resolutionsentwurf abstimmen sollten. Die Abstimmungen waren knapp und wurden jeweils mit nur einer Stimme entschieden. Dabei stimmten die westeuropäischen Staaten und die USA bei fast allen Paragrafen dagegen, während die sozialistischen, afroasiatischen sowie die südamerikanischen Staaten für die Annahme votierten. Nur beim ersten operativen Paragrafen, in den die USA die »in all countries«-Klausel wieder eingefügt hatten, stimmten alle westlichen Staaten für die Annahme. Die einzigen Gegenstimmen kamen von der Sowjetunion, der Ukraine und Polen, wodurch der entscheidende Paragraf mit 16 gegen 3 Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen wurde. Bei der anschließenden Abstimmung über den Gesamttext wurde die Resolution mit 12 gegen 1 Stimme bei 8 Enthaltungen angenommen. Die Gegenstimme kam von Großbritannien, während sich die USA , Israel und die westeuropäischen Staaten der Stimme enthielten. Obwohl die westlichen Staaten ihre Forderung durchsetzen konnten, wollten sie keine Resolution unterstützen, die von der Sowjetunion stammte und in der Südafrika namentlich hervorgehoben wurde. Die sozialistischen Staaten stimmten hingegen gemeinsam mit den afroasiatischen Staaten für die veränderte Resolution.26 Im Sommer 1966 bestätigte der Wirtschafts- und Sozialrat als nächsthöhere Instanz die Entscheidung der Menschenrechtskommission und im Oktober des gleichen Jahres ermächtigte die Generalversammlung die Menschenrechtskommission schließlich: »[…] to give urgent consideration to ways and means of improving the capacity of United Nations to put a stop to violations of human

23 Ebd., S. 4. 24 Ebd., S. 6 f. 25 Ebd., E / C N .4/916, Bericht über die 22. Sitzung der Menschenrechtskommission 1966, S. 44–46. 26 Ebd.

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rights wherever they might occur.«27 Die Kommission wurde damit für 1967 beauftragt, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem in Zukunft Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten öffentlich behandelt werden konnten. Anders als es die sowjetischen Diplomaten intendiert hatten, beschränkte sich dieses aber nicht ausschließlich auf Südafrika und die Kolonien, sondern konnte theoretisch Menschenrechtsverletzungen weltweit untersuchen. Zur Vorbereitung der Verhandlungen in der Menschenrechtskommission wurde die Unterkommission zum Schutz von Minderheiten (ein aus Experten bestehender Think Tank) angewiesen, Vorschläge für ein zukünftiges Verfahren zu entwickeln. Dabei befand sich die Unterkommission zu dieser Zeit aus Sicht des State Department in einer Sinnkrise.28 Es standen nur noch wenige Tagesordnungspunkte auf ihrer Agenda, die zudem recht unbedeutend waren. Zumal sie ihrer wichtigsten Aufgabe, nämlich der Besprechung der periodisch eingehenden Staatenberichte, die seit 1965 an die Unterkommission übermittelt werden sollten, nicht ausführen konnte, da bis dato kein Staat dieser Verpflichtung nachgekommen war.29 Aus diesem Grund beschäftigte sich die Unterkommission Mitte der 1960er Jahre hauptsächlich mit sich selbst und ihrer eigenen Zukunft innerhalb der UN.30 Auch im State Department machte man sich darüber Gedanken. Dort wollte man an der Unterkommission festhalten, da sie nicht so stark politisiert wurde wie die Menschenrechtskommission und deswegen eventuell noch nützlich sein konnte.31 In dieser Situation kam der Auftrag, Maßnahmen zum Aufbau eines Systems zum Schutz der Menschenrechte vorzuschlagen, den USA und den Experten der Kommission sehr gelegen. Obwohl man im State Department davon ausging, dass die Sowjetunion das Thema für ihre Propaganda instrumentalisieren würde, wollte es die Gelegenheit ergreifen, um die Aufgaben sowie Befugnisse der Unterkommission zu erweitern und damit den Einfluss der USA in den Vereinten Nationen auszuweiten.32 Dabei bestärkte die US -Diplomaten, dass 1967 27 Vgl. ebd., E / R ES /1164 (XLI), Resolution vom Wirtschafts- und Sozialrat vom 05.08.1966; Zitat siehe ebd., A / R ES /21/2144, Resolution der Generalversammlung vom 26.10.1966. 28 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3203, SOC 14 1/1/66, Airgram der US -Botschaft in New York an das Department of State Washington vom 14.02.1966. 29 ORUN : E / R ES /1074 (C) (XXXIX), Resolution des Wirtschafts- und Sozialrats vom 28.06.1965. 30 Auch der Direktor der Menschenrechtsdivision Humphrey, der zudem ab 1967 Mitglied der Unterkommission war, berichtet in einem Fachartikel von 1968 darüber, dass die Unterkommission Mitte der 1960er-Jahre immer mehr an Bedeutung verlor. Humphrey: Sub-Commission, S. 883; auf der Agenda der Unterkommission für 1966 finden sich zudem mehrere Punkte, bei denen es um die Zukunft der Unterkommission ging. ORUN: E / C N .4/Sub.2/263, Jahresbericht der 18. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten 1966, S. 2–4. 31 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3203, SOC 14 1/1/66, Airgram der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 14.02.1966. 32 Ebd., RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3066, SOC 14 1/1/67, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 10.01.1967.

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ein ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet als neues Mitglied in die Kommission aufgenommen wurde. Der ehemalige Direktor der UN-Menschenrechtsdivision Humphrey wurde 1967 von Kanada als unabhängiger Menschenrechtsexperte in die Unterkommission entsandt.33 Die USA hatten bereits im Rahmen ihrer eigenen Initiativen eng mit Humphrey zusammengearbeitet und hofften nun, durch diesen direkten Einfluss auf die Arbeit der Unterkommission und das geplante Verfahren zum Schutz der Menschenrechte nehmen zu können.34 Auf der Sitzung der Unterkommission im Januar 1967 reichten sowohl der US -amerikanische Jurist Clyde Ferguson35 als auch der sowjetische Rechtswissenschaftler Evgeny N. Nasinovsky einen Resolutionsentwurf ein, in dem unterschiedliche Maßnahmen zum Umgang mit Menschenrechtsverletzungen vorgeschlagen wurden. In dem Entwurf des sowjetischen Experten lag der Fokus der Resolution erneut auf Südafrika und den kolonialen Gebieten, trotz der »in all countries«-Klausel. Die einzigen konkreten Maßnahmen, die im sowjetischen Entwurf gefordert wurden, waren, dass der Generalsekretär einen Bericht auf Grundlage der Briefe erstellen sollte, die 1965 beim Dekolonisierungskomitee eingegangen waren. Zudem sollte die Menschenrechtskommission in einem öffentlichen Appell für die Ratifizierung der Konvention gegen Rassendiskriminierung werben, die 1965 von der Generalversammlung angenommen worden war.36 Die von Nasinovsky vorgeschlagenen Maßnahmen, hätten für die Sowjetunion somit eine rein propagandistische Wirkung, führten aber nicht zu einer Veränderung im Umgang mit Menschenrechtsverletzungen in den UN. Der US -Experte Ferguson präsentierte in seinem Entwurf hingegen ein Bündel konkreter Maßnahmen, mit denen die Unterkommission ermächtigt werden sollte, Informationen über Menschenrechtsverletzungen zusammenzutragen. Darunter waren die periodischen Staatenberichte (sofern sie eingingen), Berichte von NGOs, Briefe sowie Empfehlungen von Experten. Zudem sollte die Unterkommission die Befugnis erhalten, die seit der Gründung der Menschenrechtskommission stetig eingehenden Individualbeschwerden als Informationsquelle über Menschenrechtsverletzungen zu nutzen. Damit stellte Ferguson die 1947 von der Menschenrechtskommission selbst auferlegte Unmündigkeit infrage und lieferte konkrete Vorschläge für ein zukünftiges Verfahren, mit dem Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten behandelt werden konnten.37

33 ORUN : E / C N .4/Sub.2/274, Jahresbericht der 19. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten 1967, S. 5. 34 Vgl. Kap 2.2. 35 Ferguson war Dekan der Howard University Law School, ein bekannter Völkerrechtler und wurde 1968 Sonderbotschafter der USA in Nigeria, wo er während des Biafra-Krieges humanitäre Hilfe organisierte. Siehe dazu Glenn Fowler: C. Clyde Ferguson is Dead, Professor and Ex-Diplomat, in: New York Times, 22.12.1983. 36 ORUN : E / C N .4/Sub.2/274, Jahresbericht der 19. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten 1967, S. 90 f. 37 Ebd., S. 96 f.

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In der anschließenden Debatte schlossen sich auch andere Mitglieder aus westlichen Staaten Ferguson an.38 Die Experten aus afrikanischen und asiatischen Staaten unterstützten beide Resolutionen. Sie waren sowohl für die öffentliche Verurteilung der Apartheid und die Anfertigung einer analytischen Studie durch den Generalsekretär als auch für die Einrichtung eines regulären Verfahrens, mit dem zukünftig Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten untersucht werden konnten. Da die Unterkommission aber nicht genügend Zeit gehabt hätte, um beide Entwürfe ausführlich zu besprechen, schlugen die Juristen aus Indien, Sudan und der Vereinigten Arabischen Republik39 vor, beide Resolutionsentwürfe zu einem Dokument zusammenzufassen, über das die Mitglieder der Unterkommission abstimmen sollten.40 Da sich Ferguson und Nasinovsky jedoch nicht auf einen gemeinsamen Resolutionstext einigen konnten, wurde Fergusons Maßnahmenkatalog der sowjetischen Resolution angehängt. Mit 13 Stimmen und 4 Enthaltungen wurde der Katalog der Resolution angefügt, welche daraufhin mit 15 Stimmen und 2 Enthaltungen (Frankreich und Österreich) angenommen wurde.41 Mit diesem Schachzug gelang es den afroasiatischen Juristen, den sowjetischen sowie den US -amerikanischen Experten gegeneinander auszuspielen und die eigenen Interessen durchzusetzen. Am Ende waren sowohl Ferguson als auch Nasinovsky gezwungen, für die Resolution zu stimmen, da keine Seite bereit war, ihren Text zurückzuziehen. Der sowjetische Rechtswissenschaftler protestierte zwar lautstark, stimmte aber dennoch zu. Ferguson votierte ebenfalls für die Resolution und handelte damit gegen die Interessen des State Department. Dort bestand zwar durchaus Interesse an einem Verfahren zum Schutz der Menschenrechte. Allerdings wollten die USA nicht, dass der Menschenrechtsschutz in den Händen eines politischen Gremiums wie der Menschenrechtskommission lag, wo sie selbst keine Kontrolle über dessen Anwendung hatten. In der abschließenden Resolution wurden Südafrika und die europäischen Kolonialmächte verurteilt und zugleich zur Einrichtung eines allgemeinen Verfahrens zum Schutz der Menschenrechte beigetragen.42

38 Ebd., E / C N .4/Sub.2/SR .500 und E / C N .4/Sub.2/SR .501, Summary Records des 500. und 501. Meetings der 19. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten am 17. und 18.01.1967. 39 Zwischen 1958 und 1961 schlossen sich Ägypten und Syrien zur Vereinigten Arabischen Republik zusammen. Ägypten führte diese Bezeichnung noch bis 1972. Allgemein dazu Douglas Little: The Cold War in the Middle East. Suez Crisis to Camp David Accords, in: Melvyn P. Leffler / Odd Arne Westad (Hg.): The Cambridge History of the Cold War. Crises and Détente, Bd. 2, Cambridge 2010, S. 305–326. 40 ORUN: E / C N .4/Sub.2/SR .501, Summary Records des 501. Meetings der 19. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten vom 18.01.1967, S. 9 f. 41 Ebd., E / C N .4/Sub.2/SR .502, Summary Records des 502. Meetings der 19. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten vom 19.01.1967, S. 14. 42 Ebd., S. 15.

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Die Debatte wurde wenige Tage später in der Menschenrechtskommission fortgesetzt. Die Sitzung war für die USA von besonderer Bedeutung, da auf ihr auch über ihre eigenen Initiativen abgestimmt werden sollte. Die schwedische Delegation lud die Vertreter der westlichen Staaten daraufhin vorab ein, um das gemeinsame Vorgehen abzusprechen. Vor allem Schweden und Großbritannien forderten, dass der ›Westen‹ bei dem Thema Menschenrechtsverletzungen in Südafrika und den Kolonien die Führung übernehmen müsse und bekundeten großes Interesse an dem Resolutionsentwurf Nasinovskys und Fergusons. Großbritannien betonte zudem, dass sie Fergusons Katalog nutzen wollten, um die Debatte auf die Frage des allgemeinen Menschenrechtsschutzes zu lenken.43 Schweden und Großbritannien wollten der Sowjetunion das Thema entreißen und sich zu eigen machen. Die USA hatten hingegen andere Ziele: »We appreciate fully anti-apartheid motives underlying Apartheid Committee request and would not wish in any way to appear to be condoning South African practices. However, request gives us considerable difficulty in several respects […].«44 Aus Sicht des State Department war der Zugriff auf Informationen über Menschenrechtsverletzungen äußerst heikel und durfte nicht in die falschen Hände geraten. Nur ein Hochkommissar für Menschenrechte sei in der Lage, damit angemessen umzugehen. Deswegen sollte Abram die Debatte vor allem dafür nutzen, um die Kommission von der Notwendigkeit eines Hochkommissars zu überzeugen.45 Zudem lehnten es die Diplomaten im State Department ab, dass die Menschenrechtskommission selbst Ermittlungen zu Südafrika durchführen sollte: »[…] it should not include recommendation to authorize Commission to conduct a specific examination or investigation of treatment of prisoners in South Africa pursuant request from Apartheid Committee.«46 Die USA standen dem Thema also kritisch gegenüber. Sie wollten nicht, dass die Menschenrechtskommission autorisiert wurde, Menschenrechtsverletzungen in Südafrika oder woanders zu untersuchen. Die Stimmung auf der Sitzung in Genf wurde anschließend durch die Stellungnahme des ehemaligen südafrikanischen Botschafters in den USA angeheizt, der von Abram eingeladen wurde. Der Südafrikaner versuchte die Rassentrennung als ›getrennte Entwicklung‹ (abgeleitet von dem afrikaansen Wort ›Apartheid‹ – auf dt. Abgesondertheit) zu rechtfertigen, bei der es demnach nicht um Rassismus, sondern im Gegenteil um die Gleichberechtigung von Schwar-

43 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3066, SOC 14 1/1/67, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 20.01.1967. 44 Ebd., SOC 14-3 3/14/67, Telegramm des Department of State an die US -Botschaft in Genf vom 23.02.1967. 45 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3066, SOC 14-3 3/14/67, Telegramm des Department of State in Washington D. C. an US -Botschaft in Genf vom 23.02.1967. 46 Ebd.

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zen und Weißen ginge.47 Nach diesen provokanten Aussagen radikalisierte sich die Debatte und die Angriffe auf westliche Staaten, wegen ihrer Unterstützung Südafrikas nahmen deutlich zu.48 Gleichzeitig zeigte sich aber bei der Frage, wie die Menschenrechtskommission zukünftig gegen Menschenrechtsverletzungen in Südafrika und darüber hinaus vorgehen könnte, eine erstaunliche Offenheit unter den Beteiligten. Verschiedene Staaten präsentierten sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie der Menschenrechtsschutz umgesetzt werden könnte. Die Vorschläge reichten von einfachen Informationsveranstaltungen bis hin zu Forderungen nach konkreten Wirtschaftssanktionen.49 Der britische Vertreter griff bei dieser Gelegenheit sogar die Frage nach Individualbeschwerden auf: Books and articles might be of interest, provided that they were written by authors whose impartiality was beyond question. However, the most useful source of information was probably the communications, whether confidential or not, which brought to the knowledge of the Commission. The Commission’s terms of reference did not authorize it to consider individual cases, but it could and should draw attention to violations of human rights when they kept on recurring and became a policy, as in the case of apartheid.50

Viele verschiedene Staaten beteiligten sich konstruktiv an der Debatte. Jamaika forderte die Einrichtung einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe für die Errichtung regionaler Menschenrechtskommissionen und Italien, Österreich und Marokko schlugen sogar vor, die Arbeitsgruppe solle gleich auch der Frage nachgehen, wie die Kommission dauerhaft mit den Individualbeschwerden und Menschenrechtsverletzungen umgehen sollte. Lediglich die sozialistischen Staaten nahmen eine ablehnende Haltung ein.51 Auch Abram brachte keine konstruktiven Beiträge ein, sondern versteifte sich in seinen Ausführungen auf die Einführung eines Hochkommissars für Menschenrechte, wie es ihm das State Department aufgetragen hatte.52 Allerdings bemerkte er nach der Sitzung gegenüber seinen Vorgesetzten in Washington selbstkritisch: »[We] do not believe US can raise question violation USSR and 47 Ebd., SOC 14-3 3/14/67, Telegramm der US -Botschaft in Genf an das Department of State vom 24.02.1967. 48 Vgl. ebd. mit ORUN: E / C N .4/SR .916, Summary Records des 916. Meetings der 23. Sitzung der Menschenrechtskommission am 07.03.1967. 49 Für eine Zusammenfassung der Debatte siehe: ORUN: E / C N .4/940, Jahresbericht der 23. Sitzung der Menschenrechtskommission 1967, S. 116–120. 50 ORUN: E / C N .4/SR .898, Summary Records des 898. Meetings der 23. Sitzung der Menschenrechtskommission 22.02.1967, S. 7 f. 51 Für die gesamte Debatte siehe: ORUN: E / C N .4/SR . 898, 916, 920, 922, 923, 925, 926, 927, 928: Summary Records des 898., 916., 920., 922., 923., 925., 926., 927., 928. Meetings der 23. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 22.02.–15.03.1967. 52 Ebd., E / C N .4/SR .898, Summary Records des 898. Meetings der 23. Sitzung der Menschen­ rechtskommission vom 22.02.1967, S. 9 f.

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elsewhere and not support reasonable proposals RE South Africa which UNGA itself has recognized as number one human rights problem.«53 Abram erkannte, dass er den anderen Staaten in ihren Forderungen entgegenkommen musste, wenn die USA ihre Glaubwürdigkeit erhalten und einen Hochkommissar für Menschenrechte durchsetzen wollten. Die westeuropäischen, afrikanischen, asiatischen und südamerikanischen Staaten stimmten hingegen grundsätzlich überein.54 Sie waren für ein allgemeines Verfahren zum Schutz der Menschenrechte, die Frage war nur, wer dieses kontrollieren sollte, die Mitgliedstaaten oder das UN-Sekretariat. Im Gegensatz dazu isolierten sich die sozialistischen Staaten im Laufe der Debatte zunehmend durch ihre kategorische Ablehnung. Die Sowjetunion wollte einen öffentlichen Apell zur Ratifizierung der ICERD, nicht mehr und nicht weniger. Ein allgemeines Verfahren zur Überwachung der Menschenrechte war nicht ihr Ziel. Dabei hielten sie sich mit direkter Kritik an den Forderungen der afroasiatischen Staaten zurück und kritisierten nur die von westlichen Staaten vorgeschlagenen Maßnahmen. Am Ende der Sitzung wurden fünf Resolutionen zu dem Thema angenommen. In der ersten appellierte die Kommission an die Mitgliedstaaten, ICERD zu ratifizieren, wie es die sowjetischen Diplomaten gefordert hatte. Sie wurde von Dahomey, Nigeria, Pakistan, Senegal und der Vereinigten Republik Tansania unterstützt und mit 22 Stimmen gegen 8 Enthaltungen angenommen. Letztere stammten von den westlichen Staaten und Argentinien.55 Die Zweite wurde von der Demokratischen Republik Kongo, Dahomey, Nigeria, Senegal und der Vereinigten Republik Tansania eingereicht und forderte eine Studie über die Einrichtung regionaler Menschenrechtskommissionen. Die westlichen Staaten stimmten geschlossen für die Resolution und lediglich Indien, die Ukraine und die Sowjetunion enthielten sich ihrer Stimme.56 Die dritte Resolution forderte die Einsetzung eines Sonderberichterstatters zur Apartheid in Südafrika und wurde von Dahomey, Nigeria, Pakistan, Senegal und Tansania eingereicht. Eine große Mehrheit bestätigte diese anschließend, womit der erste Sonderberichterstatter für Menschenrechte der Vereinten Nationen eingesetzt wurde. Nur 2 Staaten enthielten sich (anonyme Wahl).57 Die vierte Resolution wurde von Österreich, Italien, Jamaika und Marokko eingebracht und forderte: »to study in all its aspects the question of the ways and means by which the Commission might be enabled or assisted to discharge functions in relation to violations of human rights and fundamental freedoms.«58 Im Vergleich zu den anderen 53 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3066, SOC 14-3 3/14/67, Telegramm der US -Botschaft New York an das Department of State vom 24.02.1967. 54 ORUN: E / C N .4/940, Jahresbericht der 23. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1967, S. 116–120. 55 Vgl. ebd. mit ebd., Human Rights Commission, Resolution 5 (XXIII) vom 16.03.1967. 56 Ebd., Resolution 6 (XXIII) vom 16.03.1967. 57 Ebd., Resolution 7 (XXIII) vom 16.03.1967. 58 Ebd., Resolution 9 (XXIII) vom 16.03.1967.

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war diese Resolution sehr umstritten. 9 Staaten enthielten sich der Abstimmung. Die restlichen 21 stimmten dafür (anonyme Abstimmung). Die fünfte Resolution mit dem Titel: »Study and investigation of situations which reveal a consistent pattern of violation of human rights«59 wurde von Costa Rica, Dahomey, Sene­gal und Schweden eingereicht und war die folgenreichste dieser Sitzung. Mit ihr wurde die Menschenrechtskommission beauftragt, jährlich unter dem Titel: »Question of violation of human rights and fundamental freedoms, including policies of racial discrimination and segregation and of apartheid, in all countries, with particular reference to colonial and other dependent countries and territories«60 Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten zu behandeln. Damit wurde das erste reguläre und allgemeine Verfahren zum Schutz der Menschenrechte auf den Weg gebracht. Dabei sollte die Unterkommission für Minderheiten zukünftig Informationen über Menschenrechtsverletzungen »from all available sources« zusammentragen und auswerten.61 Damit erhielt sie endlich die Befugnis, die Briefe auszuwerten, die Menschen seit 20 Jahren an die UN sandten. Die Unterkommission wurde damit in eine investigative Institution umgewandelt und bekam dauerhaft eine neue Aufgabe. Nur drei Staaten enthielten sich bei der Abstimmung über die Resolution, der Rest stimmte dafür.62 Auch die USA hatten schließlich dem Verfahren zugestimmt, weil sie sich dadurch mehr Zustimmung für ihre Initiativen erhofften. Obwohl die westlichen Staaten damit alle ihre zentralen Anliegen durchsetzen konnten, zog Abram abschließend ein kritisches Resümee, indem er erneut seine Skepsis gegenüber der Menschenrechtskommission zum Ausdruck brachte: While 1967 session Commission approved proposal for human rights commissioner and disposed of religious and war crimes conventions. Balance of unconsidered items on agenda hardly less than last year. Carry – over due to pre-occupation with apartheid under violation items, with new African members (especially Tanzania and Nigeria) dominating debate with support from LA’s Asians and Soviets. This majority appears certain continue.63

Abram bewertete die Dominanz der dekolonisierten Staaten in der Menschenrechtskommission kritisch. Dass diesen nun auch noch mehr Macht zugesprochen wurde, war aus seiner Sicht nicht im Interesse der USA . Allerdings gab er dem State Department zu bedenken: Commission now on record that apartheid violates full range of human rights and is question which commission cannot escape. Competence of commission to deal with 59 Ebd., Resolution 8 (XXIII) vom 16.03.1967. 60 Ebd. 61 Ebd. 62 Ebd., E / C N .4/940, Jahresbericht der 23. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1967, S. 130 f. 63 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3066, SOC 14-3 1/1/67, Telegramm der US -Botschaft in Genf an das Department of State vom 23.03.1967.

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recognized violations and establish machinery to evaluate allegations now major ­issue. I believe this basic question Dept. should consider in depth before ECOSOC acts on commission report. As Dept. has recognized in helpful instructions during session mere opposition not effective and anti-proliferation arguments not enough.64

Die USA mussten die Vorwürfe gegen Südafrika zukünftig ernst nehmen und die Forderungen nach Maßnahmen zur Überwachung der Menschenrechte in den anderen Staaten unterstützen, wenn sie sich nicht komplett isolieren wollten. Zukünftig würde eine rein oppositionelle Haltung nicht förderlich sein und Lippenbekenntnisse gegen die Apartheid nicht mehr ausreichen, um Einfluss auf die Debatten nehmen zu können. Deswegen unterstützten die USA 1967 die Initiativen der ›kleinen Staaten‹ wie Costa Rica, Dahomey, Senegal, die Philippinen oder Schweden, um ein allgemeines Verfahren durchzusetzen, zugleich aber auch die kostspielige Forderung von Staaten wie Nigeria, Tansania und der Demokratischen Republik Kongo nach regionalen Menschenrechtskommissionen.65 Die Sitzung der Menschenrechtskommission des Jahres 1967 zeigte damit, wie die Konkurrenz zwischen Ost und West ihre Wirkung entfaltete. Die afroasiatischen Staaten waren der bewertende Dritte und die US -Diplomaten wollte deren Zustimmung für einen Hochkommissar für Menschenrechte gewinnen. Dies verleitete sie dazu, den Maßnahmen zur Ausweitung der Kompetenzen der Menschenrechtskommission zuzustimmen und für ein allgemeines Verfahren zum Schutz der Menschenrechte einzutreten, obwohl sie dem eigentlich skeptisch gegenüberstanden. Auch für die Sowjetunion war die Sitzung der Menschenrechtskommission 1967 ein Wendepunkt. Hatten sie bis zu Beginn noch an ihrer Initiative zur Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen in Südafrika festgehalten, um im Ansehen der dekolonisierten Staaten zu steigen, stimmten sie am Ende erstmals gegen mehrere Resolutionen, die aus ihrer eigenen Initiative hervorgegangen waren. Anscheinend erschöpfte sich an diesem Punkt die transformative Kraft der Konkurrenz. Weiter wollten die Sowjetunion nicht mehr gehen, um in der Gunst der afroasiatischen Staaten zu steigen, denn die Initiative hatte mittlerweile den Punkt überschritten, an dem sie von den sowjetischen Diplomaten noch hätte kontrolliert werden können. Es drohte ein allgemeines Verfahren zu entstehen, mit dem Menschenrechtsverletzungen öffentlich thematisiert werden konnten – auch in sozialistischen Staaten. Bevor das neue Verfahren in Kraft treten konnte, bedurfte es der Zustimmung des ECOSOC als nächsthöherer Instanz. Am 6. Juni 1967 trafen sich die Mitglieder des Rates in New York, um über die Resolutionen der Menschen64 Ebd. 65 Ebd.; in dem Bericht über die Unterhaltung beschreibt der US -Diplomat, dass er den nigerianischen Diplomaten angeboten hatte, für regionale Menschenrechtskommissionen zu stimmen, wenn diese im Gegenzug für einen Hochkommissar stimmen würden.

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rechtskommission zu entscheiden.66 Die sozialistischen Staaten, Indien und Libyen unternahmen nun einen letzten Versuch, die Einrichtung des Verfahrens aufzuhalten.67 Der libysche Delegierte bezeichnete es als »double edged weapon«, welche es einzelnen Personen aus dem Schutz der Anonymität heraus erlauben würde, Staaten zu diffamieren. Deswegen forderte er, die Identität der Autoren von Individualbeschwerden offenzulegen.68 Dies sei notwendig, damit sich die Staaten gegen die Anschuldigungen zur Wehr setzen konnten. Auch der sowjetische Gesandte folgte dieser Argumentation: »The allegations in question were complaints – or rather slanders – emanating from individuals who were, not victims of discrimination, but outside parties acting for propaganda purposes.«69 Eine Offenlegung der Identitäten der Autoren hätte allerdings das gesamte Verfahren infrage gestellt.70 Der indischen Gesandte argumentierte ähnlich. Im Gewand kulturrelativistischer Kritik zweifelte er an der Kompetenz der Menschenrechtskommission, sich mit Menschenrechtsverletzungen auseinanderzusetzen: In his view, the main concern of sponsors of draft resolution F had been to ensure that the Commission on Human Rights acted with absolute impartiality. In order to do so, it must have access to all sources of information, but the list of communications, was, by its very nature, tendentious. In many cases, moreover, the members of the Commission who would have to consider the complaints would have no knowledge of the question and would therefore be unable to take an informed decision. For instance, member of the Commission of Indian nationality having to deal with a violation of human rights in a Latin American country would certainly not be competent to do so.71

Zudem bezweifelte der indische Diplomat die praktische Umsetzung des Verfahrens. Demnach gäbe es erstens zu viele Individualbeschwerden und nicht die Kapazitäten, um alle zu berücksichtigen. Zweitens sei man bei den anschließenden Untersuchungen auf die Kooperation der betroffenen Staaten angewiesen, die diese einfach verweigern könnten. Obwohl der indische Delegierte mit den letzten beiden Argumenten zwei wichtige Punkte ansprach, wurde sein Amendement mit 11 gegen 9 Stimmen und 6 Enthaltungen abgelehnt. Mit nur einer knappen Mehrheit von 3 Stimmen gelang es damit den Befürwortern, den indischen Einwand abzuwehren. Bei der

66 Ebd., SOC 14 1/1/67, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 29.05.1967; ORUN: E / R ES /1235(XLII), Resolution des Wirtschafts- und Sozialrates vom 06.06.1967. 67 ORUN: E / S R .1479, Summary Records des 1479. Meetings der 42. Sitzung des Wirtschaftsund Sozialrates vom 06.06.1967, S. 109 § 33. 68 Ebd., S. 110, § 40. 69 Ebd. 70 Ebd., S. 110 f. 71 Ebd., § 48.

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anschließenden Abstimmung über den Gesamttext wurde die Resolution 1235 (XLII) mit einer deutlichen Mehrheit von 20 gegen 4 Stimmen mit 2 Enthaltungen angenommen. Damit entstand am 6. Juni 1967 das erste öffentliche und allgemeine Verfahren zum Schutz der Menschenrechte. Zwar wurden 1965 und 1966 mit der ICERD und den beiden Menschenrechtspakten auch die Grundlagen für das TBM gelegt, allerdings konnten diese erst in Kraft treten, wenn sie von ausreichend Mitgliedstaaten ratifiziert worden waren, worauf, zumindest mit Blick auf die Menschenrechtspakte, in naher Zukunft keine realistische Aussicht bestand. Die Konkurrenz zwischen Ost und West lieferte somit 1967 den entscheidenden Impuls und war zugleich eine wichtige Triebfeder bei der Entstehung des UN-Menschenrechtsschutzes. Wie sich die Konkurrenz allerdings auf die Ausgestaltung und Anwendung des Verfahrens auswirken würde, wird im Folgenden untersucht. Die Resolution 1235 des Jahres 1967 enthielt große politische Sprengkraft, was bereits im Jahr darauf deutlich wurde. Zunächst traf sich die Unterkommission im September und Oktober 1967, um ein Verfahren zur Prüfung der Individualbeschwerden zu entwickeln und zugleich erstmals Individualbeschwerden auszuwerten.72 Zur Eröffnung der Sitzung richtete sich der stellvertretende Direktor der Menschenrechtsdivision Edward Lawson an die Mitglieder. In einer aus Sicht eines Beobachters der USA ungewöhnlich emotionalen Eröffnungsrede betonte Lawson, die »strong feelings« der Division in Bezug auf das Thema Individualbeschwerden. Die Unterkommission erhalte damit ein »new lease on life« und setze wichtige Maßstäbe für die Arbeit der UN.73 Die Mitglieder der Unterkommission waren keine Diplomaten, sondern Juristen, die als unabhängige Sachverständige auftreten sollten. Wie unabhängig diese allerdings wirklich waren, sollte sich nun zeigen.74 Bereits bei der Abstimmung über die Agenda der Sitzung machten der sowjetische und der polnische Experte ihre Standpunkte deutlich, indem sie die Anwendung des Verfahrens auf »all countries« und die Prüfung der Individualbeschwerden aus fadenscheinigen Gründen für unzulässig erklärten.75 Individualbeschwerden seien a priori geheim und könnten deswegen auch nicht Gegenstand eines öffent­ lichen Verfahrens sein. Zudem gehe es in Resolution 1235 ausschließlich um die Apartheid und Rassendiskriminierung, was nur in Südafrika, Kolonialgebieten

72 ORUN : E / C N .4/Sub.2/286, Jahresbericht der 20. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten 1967, S. 30–38 u. S. 84–87. 73 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3066, SOC 14-3 1/1/67, Telegramm der US -Botschaft in Genf an das Department of State vom 25.09.1967. 74 Vgl. Humphrey: Sub-Commission S. 869; Humphrey problematisiert auch die Frage der Neutralität der Experten und räumt ein, dass diese bei einigen Mitgliedern nicht gegeben war. 75 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3066, SOC 14-3 1/1/67, Telegramm der US -Botschaft in Genf an das Department of State vom 25.09.1967.

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und anderen ›imperialistischen Staaten‹ vorkomme und nicht in »all countries«.76 Anschließend nutzten beide den Themenpunkt Genozid auf der Agenda, um auf einen angeblichen Genozid der USA am vietnamesischen Volk hinzuweisen, wobei besonders der polnische Vertreter immer wieder Vergleiche zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Krieg in Indochina zog.77 Diese Verbalattacken lassen die Unabhängigkeit der sozialistischen Juristen in einem fragwürdigen Licht erscheinen. Zugleich waren sie Ausdruck der Verunsicherung der sozialistischen Staaten, die sich nun mit ihrer Haltung zum Menschenrechtsschutz immer mehr in den UN isolierten. Die Experten aus Indien und der Vereinigten Arabischen Republik machten hingegen anschließend den ersten Schritt und schlugen eine Arbeitsgruppe vor, welche die Individualbeschwerden vor jeder Sitzung prüfen und vorsortieren sollte.78 Der sowjetische Experte bemühte sich daraufhin um Schadensbegren­ zung, indem er forderte, dass diese Arbeitsgruppe nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit zusammentreten dürfe. Der Vorschlag fand allgemeine Zustimmung.79 Schließlich fasste der italienische Jurist Francesco Capotorti die Vorschläge zu einer Resolution zusammen. Diese sah vor, dass die Unterkommission drei ihrer Mitglieder wählen sollte, um vor der nächsten Sitzung in einem vertraulichen Treffen eine Vorauswahl der Individualbeschwerden vorzunehmen. Mit kleineren Änderungsvorschlägen wurde die Resolution am 10. Oktober mit 12 gegen 1 Stimme bei 4 Enthaltungen angenommen.80 Die drei Mitglieder für das Jahr 1968 waren Humphrey, der Sudanese Mohammed Abu Rannat81 sowie der polnische Experte Wojciech Ketrzynski. Damit wurde ein Prozedere festgelegt und die Institutionalisierung des Verfahrens vorangetrieben. Anschließend musste die Unterkommission nun zu den ersten Individualbeschwerden Stellung beziehen. Den Experten lagen 1967 Individualbeschwerden über Menschenrechtsverletzungen in Griechenland, Haiti, in den Kongo-Gebieten Moise Tshombes, dem Südsudan sowie an Juden in Ägypten, Arabern in Israel und Chinesen in Indonesien vor.82 Humphrey versuchte als erster, die vorliegenden Fälle zu klassifizieren und präsentierte einen Resolutionsentwurf. Neben Süd76 Vgl. ebd. mit ORUN: E / C N .4/Sub.2/286, Jahresbericht der 19. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten von 1967, S. 33. 77 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3066, SOC 14-3 1/1/67, Telegramm der US -Botschaft in Genf an das Department of State vom 30.09.1967. 78 ORUN: E / C N .4/Sub.2/SR .523, Summary Records des 523. Meetings der 19. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten vom 05.10.1967. 79 Ebd. 80 ORUN : E / C N .4/Sub.2/286, Jahresbericht der 19. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten von 1967, S. 86 f. 81 Mohammed Abu Rannat war oberster Richter des sudanesischen Supreme Court und arbeitete über mehrere Jahre als UN -Menschenrechtsexperte und Sonderberichterstatter. Vgl. Burke: Decolonization, S. 87. 82 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3066, SOC 14-3 1/1/67, Telegramm der US -Botschaft in Genf an das Department of State vom 11.10.1967.

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afrika, Südwestafrika (Namibia), Rhodesien und den portugiesischen Kolonien wählte er Griechenland und Haiti aus.83 Nur in diesen Fällen lag nach seiner Ansicht ein »consistent pattern of violations of human rights« vor.84 Zugleich forderte er in der Resolution die Einrichtung einer Arbeitsgruppe, welche die Vorfälle untersuchen sollte. Er wollte die Gelegenheit nutzen, um so schnell wie möglich einen Präzedenzfall zu schaffen, indem Menschenrechtsverletzungen außerhalb des kolonialen oder südafrikanischen Kontextes thematisiert wurden.85 Unterstützung erhielt Humphrey durch den britischen Experten Peter Calvocoressi, der engen Kontakt zu Amnesty International (AI) unterhielt.86 Dieser berichtete in einem langen und emotionalen Statement über die Ereignisse in Griechenland. Im April 1967 war es in dem Land zu einem Militärputsch gekommen, infolgedessen zahlreiche Menschen verhaftet, gefoltert und ermordet wurden.87 Calvocoressi verwies zudem auf die Maßnahmen des Europarates und der NATO gegen die Militärjunta und »expressed his distress of seeing the cradle of democracy thus delivered into the hands of barbarians«.88 Die Debatte entwickelte daraufhin eine ganz eigene Dynamik. Die Aus­ führungen Calvocoressis wurden ausnahmslos unterstützt. Auch die sozialistischen Experten stimmten dem Engländer zu. Zugleich weigerten sie sich immer noch, Individualbeschwerden als Beweismaterial anzuerkennen und hinterfragten weiterhin die Kompetenz der Unterkommission, sich mit Menschenrechtsverletzungen außerhalb Südafrikas, den von Israel besetzten Gebieten oder den Kolonien zu beschäftigen. Als der sowjetische Experte schließlich wieder versuchte, die »in all countries«-Klausel anzugreifen, sah sich sogar der indische Vorsitzende zum Eingreifen gezwungen: The Chairman said that he, too, had been concerned about the expression ›in all countries‹, but since the wording was taken directly from General Assembly resolution 2144 (XXI) governing the Sub-Commission’s work, it could not be changed.89

83 Haiti wurde seit 1957 von dem Diktator François Duvalier (Papa Doc) regiert, siehe dazu. Elizabeth Abbott: Haiti a Shattered Nation, New York / London 2011. 84 ORUN: E / C N .4/Sub.2/SR .525, Summary Record des 525. Meetings der 19. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten vom 06.10.1967, S. 5. 85 Humphrey: Sub-Commission, S. 866. 86 Peter Calvocoressi arbeitete im Zweiten Weltkrieg für den britischen Geheimdienst. Nach dem Krieg war er Mitarbeiter des US -Chefanklägers während der Nürnberger Prozesse. Später wurde er als Publizist, Hochschullehrer (Historiker), UN -Experte und Menschenrechtsaktivist bekannt, vgl. Ian Irvine: Peter Calvocoressi obituary. Author, academic and wartime intelligence officer at Bletchley Park, in: The Guardian, 08.02.2010. 87 James Edward Miller: The United States and the Making of Modern Greece. History and Power, 1950–1974, Chapel Hill 2009, S. 111–175. 88 ORUN: E / C N .4/Sub.2/SR .525, Summary Records des 525. Meetings der 19. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten vom 06.10.1967, S. 6. 89 Ebd.

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Aus Sicht des US -Beobachters isolierten sich die sozialistischen Juristen damit immer mehr.90 Bei der abschließenden Abstimmung über Humphreys Resolution wurde diese ohne Gegenstimmen angenommen. Lediglich drei Mitglieder enthielten sich, darunter der polnische und der sowjetische Völkerrechtler.91 Humphrey war es gelungen, einen wichtigen Präzedenzfall zu schaffen. Erstmals musste sich die Menschenrechtskommission jetzt mit Menschenrechtsverletzungen außerhalb Südafrikas beschäftigen. Der anwesende US -Beobachter äußerte sich dennoch skeptisch: Little actual consideration was given to discussion [sic!] violation and allegations against Greece and Haiti reflect popular attitude rather than informed and judicious opinion. Although Sub commission moving in what is arguably good direction, there is danger of it acting like Kangaroo court.92

Der US -Amerikaner bezweifelte, dass die Unterkommission der richtige Ort sei, um über Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten zu verhandeln. Dabei hatten es die USA selbst in der Hand, das Verfahren zum Erfolg zu führen. Eineinhalb Wochen vor Beginn der Debatte in der Menschenrechtskommission 1968 wandte sich ein Vertreter der griechischen Botschaft an seinen US -Kollegen William B.  Buffum.93 Der griechische Diplomat berichtete, dass die Sowjetunion eine Resolution vorbereiten würde, in der die griechische Regierung verurteilt und eine Arbeitsgruppe gefordert werden sollte, um die Haftbedingungen in griechischen Gefängnissen zu untersuchen. Seine Regierung werde sich zur Verteidigung darauf berufen, dass nur ein Gericht über sie urteilen dürfe, nicht aber eine politische Institution wie die Menschenrechtskommission. Angeblich würden die westeuropäischen Staaten seiner Argumentation zustimmen. Buffum versicherte dem griechischen Diplomaten daraufhin: »US would not support condemnatory action in absence findings of fact made accordance with due process.«94 Die USA wollten Griechenland beistehen und nicht auf Grundlage einiger Individualbeschwerden verurteilen lassen. Dazu wollten sie die Resolution zur Überarbeitung an die Unterkommission zurück90 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3066, SOC 14-3 1/1/67, Telegramm der US -Botschaft in Genf an das Department of State vom 11.10.1967. 91 Dass der sowjetische und der polnische Vertreter sich enthalten haben, geht aus ihren abschließenden Statements hervor, in denen sie ihre Wahlentscheidung begründeten, siehe: ORUN: E / C N .4/Sub.2/SR . 526, Summary Records der 526. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten am 06.10.1967. 92 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3066, SOC 14-3 1/1/67, Telegramm der US -Botschaft in Genf an das Department of State vom 11.10.1967. 93 William B. Buffum war stellvertretender US -Repräsentant bei den Vereinten Nationen. Mitte der 1970er-Jahre wechselte er ins UN -Sekretariat und wurde ein enger Mitarbeiter Kurt Waldheims; vgl. FRUS : 1964–1968, Vol. XXXIII , United Nations, Persons, William B. Buffum. 94 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3104, SOC 14 11/1/67, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 10.02.1968.

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schicken lassen und das Verfahren verzögern, ohne es formal abzulehnen. Die westeuropäischen Partner hatten allerdings andere Pläne: Most western and friendly AA’s95 feel important Commission take some action beyond postponing consideration because of importance demonstrating commission’s competence and interest in considering all violations where they occur rather than just Southern Africa problems.96

Großbritannien forderte sogar einen Sonderberichterstatter, der die Menschenrechtsverletzungen in Griechenland und Haiti untersuchen sollte. Dies sei im Einklang mit dem laufenden Ultimatum des Europarates und Jamaika sowie Neuseeland hätten bereits ihre Unterstützung zugesagt. Der Europarat hatte im September 1967 auf Empfehlung der europäischen Menschenrechtskommission ein Ultimatum gegen die Militärregierung verhängt, indem es mit einem Ausschluss Griechenlands drohte.97 Die US -Delegation zweifelte daraufhin an ihrer Strategie: There are some doubts within Del that our position […] proposing send matters back to Sub commission for review and further study from all available sources would win and further would appear to be stalling action. Possible advantage UK proposal (A) Will isolate and embarrass Soviet Bloc who want Commission deal only violations Southern Africa, (B) Encourage Afro Asians concern beyond Apartheid, (C) less cost than if Sub Commission Res. adopted.98

Als Schweden die USA informierte, dass sie eine Resolution vorbereitet hätten, in der ein Sonderberichterstatter gefordert wurde, änderten US -Botschafter Arthur Goldberg und Delegationsleiter Abram ihren Plan. Sie wollten nun die schwedische Resolution unterstützen, dafür Griechenland aus dem Text streichen und durch einen allgemeinen Platzhalter ersetzen.99 Damit sollten Doppelstandards vermieden werden, indem nicht einzelne Staaten hervorgehoben und beschuldigt wurden. Schließlich gäbe es auch in anderen Ländern Menschenrechtsverletzungen. Schweden und Großbritannien reagierten jedoch empört auf diesen Vorschlag: »Sweden and UK feel this amendment may kill whole resolution since it opens Pandora’s Box in one fell swoop.«100 Goldberg bemerkte, dass die USA sich mit ihrer Haltung nun selbst zunehmend im westlichen Lager isolierten. 95 AA steht für afrikanische und asiatische Staaten. 96 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3104, SOC 14 11/1/67, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 17.02.1968. 97 Heinz A. Richter: Griechenland 1950–1974. Zwischen Demokratie und Diktatur, Mainz / ​ Ruhpolding 2013, S. 323–327; Eckel: Ambivalenz, S. 169–177. 98 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3104, SOC 14 11/1/67, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 17.02.1968. 99 Ebd., Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 21.02.1968. 100 Ebd.

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Er und Abram spielten 1968 ein doppeltes Spiel. Sie wollten das Verfahren an sich erhalten, um damit den Fokus der UN formell zu erweitern. Zugleich wollten sie aber nicht, dass deren Verbündeter Griechenland als Präzedenzfall diente. Das Land war für die USA ein wichtiger militärischer Partner im Kalten Krieg und im Konflikt in Nahen Osten. Während des Sechstagekrieges im Juni 1967 dienten griechische Häfen als Umschlagplätze für US -Waffenlieferungen an Israel. Für die US -Regierung war ein stabiles Griechenland von strategischem Interesse und aus Präsident Lyndon B.  Johnsons Sicht wurde das durch die Militärdiktatur gewährleistet.101 Die Westeuropäer wollten an Griechenland hingegen ein Exempel statuieren und setzten die Politik des Europarates in den UN fort. Die anschließende Sitzung des Jahres 1968 wurde schließlich von den aktuellen politischen Ereignissen überschattet. Am 30. Januar, wenige Tage vor Beginn der Sitzung in New York, startete die nordvietnamesische Volksarmee zusammen mit dem Vietcong eine Offensive gegen die US -Streitkräfte und die Truppen der südvietnamesischen Armee in Vietnam. Die ›Tet-Offensive‹ führte zu heftigen Gefechten und zu hohen Verlusten auf beiden Seiten. Zudem hatte das weltweite Medienecho weitreichende Folgen für die Wahrnehmung des Vietnamkrieges in den westlichen Gesellschaften und führte zu einer Eskalation der Proteste gegen den Krieg, die auch die Debatten in der Menschenrechtskommission anheizten.102 Der sowjetische Delegierte eröffnete die Sitzung mit massiven Angriffen gegen die USA wegen angeblicher »Gross Violations of Human Rights«103 in Vietnam.104 Die USA kritisierten daraufhin die Unterdrückung der Meinungsund Religionsfreiheit in der Sowjetunion und die arabischen Staaten kritisierten Israel. Die Debatte wurde zu einem offenen Schlagabtausch, bei dem sich alle gegenseitig beschuldigten.105 Die Frage, ob es in Griechenland und Haiti zu systematischen Menschenrechtsverletzungen gekommen war, ging dabei völlig unter und die Stellungnahmen des griechischen und des haitianischen Reprä-

101 Vgl. Joe Renuard: Human Rights in American Foreign Policy. From the 1960s to the Soviet Collapse, Philadelphia 2016, S. 33–40; Sarah B. Snyder: The Rise of Human Rights During Johnson Years, in: Francis J. Gavin / Mark Atwood Lawrence (Hg.): Beyond the Cold War. Lyndon Johnson and the New Global Challenges of the 1960s, Oxford 2014, S. 237–260, hier S. 251; Miller, United States, S. 111–175. 102 Bernd Greiner: Krieg ohne Fronten. Die USA in Vietnam, Bonn 2007, S. 256–305. 103 Die Bezeichnung »Gross Violations of Human Rights« setzte sich in den 1960er- und 1970er-Jahren im Völkergewohnheitsrecht als wichtiges Unterscheidungsmerkmal für Menschenrechtsverletzungen in den UN durch und diente zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die staatliche Souveränität eines Mitgliedstaates. Dabei gab es zu dieser Zeit unterschiedliche Auslegungen dieser Bezeichnung. Siehe dazu auch Kap. 3.5. 104 ORUN: E / C N .4/SR .965, Summary Record des 965. Meetings der 24. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 20.02.1968 (Statement UdSSR). 105 Ebd. (Statement USA).

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sentanten, in denen sie alle Anschuldigungen von sich wiesen, fanden kaum Beachtung.106 Lediglich die Staaten südlich der Sahara äußerten sich zu Griechenland und Haiti, wobei sie dabei vor allem das Verfahren an sich infrage stellten. Der nigerianische Vertreter Adam Mohammed, der eigentlich ein prominenter Verfechter des Menschenrechtsschutzes war, sprach sich prinzipiell für das Verfahren aus, zweifelte aber an der Beweiskraft von Individualbeschwerden. In Nigeria herrschte zu diesem Zeitpunkt ein Bürgerkrieg in der Region Biafra und der Kommission lagen auch Beschwerden gegen die nigerianische Regierung vor. Ob Mohammed sich deshalb plötzlich gegen das Verfahren aussprach, bleibt unklar.107 Der tansanische Vertreter Waldron Ramsey, der vor allem für seine konsequente und oftmals polemische Kritik an der Idee der Menschenrechte bekannt war, ging noch weiter.108 Er stellte die Kompetenz der Unterkommission grundsätzlich infrage und forderte eine Reform, wodurch mehr Plätze mit Experten aus Entwicklungsländern besetzt werden sollten (die Forderung wurde ein Jahr später umgesetzt).109 Anschließend legte er eine Resolution vor, in der die Befunde über Menschenrechtsverletzungen in Griechenland und Haiti als unzureichend zurückgewiesen wurden und die Menschenrechtskommission das Versagen der Unterkommission beklagte.110 Ramsey stellte den Menschenrechtsschutz grundsätzlich infrage und wollte diesen wieder abschaffen.111 Da­ mit drohte das 1235-Verfahren bereits bei der ersten Anwendung zu scheitern. In dieser Situation griffen die USA auf ihre alte Strategie zurück und forderten, die Resolution zur Überarbeitung an die Unterkommission zurückzuschicken.112 Gegenüber dem griechischen Vertreter versicherten sie dabei: Buffum attempted assure them our basic policy had nothing to do with Greece and Haiti. US concerned rather with allowing Comm. and Sub-Comm. focus beyond southern Africa, wishing to avoid double standard. We would consider, however, amending US Res to meet as nearly as possible Greek objections.113

106 Ebd., E / C N .4/SR .966–974, Summary Record des 966–974. Meetings der 24. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 21.–28.02.1968. 107 Vgl. ebd., E / C N .4/SR .965, Summary Records des 965. Meetings der 24. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 20.02.1968; mit Lasse Heerten / Dirk A.  Moses: The Nigeria-Biafra War. Postcolonial Conflict and the Question of Genocide, in: Journal of Genocide Research 16/2–3 (2014), S. 169–203. 108 Ebd., E / C N .4/SR .968, Summary Records des 968. Meetings der 24. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 23.02.1968. 109 Ebd., E / C N .4/972, Jahresbericht der Menschenrechtskommission von 1968, S. 71, § 174. 110 Ebd., E / C N .4/L.991, Tansanischer Resolutionsentwurf vom 23.02.1968. 111 Vgl. Burke: Decolonization, S. 86. 112 ORUN: E / C N .4/L.1004, US -Resolutionsentwurf vom 23.02.1968. 113 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3104, SOC 14 11/1/67, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State, 28.02.1968.

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Die US -Vertreter legitimierten ihr Vorgehen also damit, dass es dazu beitrage, den Fokus der Debatten langfristig zu erweitern und Doppelstandards zu vermeiden. Nachdem die USA und Tansania ihre Resolutionen vorgelegt hatten, kreiste die Debatte um die Frage, ob die von der Unterkommission vorgelegten Beweise ausreichten, um Griechenland und Haiti öffentlich wegen »Gross Violations of Human Rights« zu verurteilen. Zugleich wurde die Frage aufgeworfen, ob die Menschenrechtskommission überhaupt Urteile aussprechen dürfe, da sie ein politisches und kein juristisches Gremium sei. Schließlich zeichnete sich ab, dass eine Mehrheit der Staaten die Beweise für unzureichend hielt.114 Indien beendete schließlich das Fiasko. Vertraulich teilte der indische Delegierte den US -Vertretern vorab mit, dass sein Land zusammen mit der Vereinigten Arabischen Republik eine Resolution gegen Israel einreichen werde: Jha115 further commented that India would like to attack US RE Vietnam but did not wish to incur our disfavor, India would like to defend Greece but did not wish to offend Soviets. Therefore, India would only attack Israel.116

Die indische Resolution nannte keine Namen und forderte in einem »humanitären Appell«, dass alle Vertriebenen im Nahen Osten in ihre Heimat zurückkehren durften.117 Damit kam die indische Resolution zur richtigen Zeit und präsentierte der Kommission einen ›Sündenbock‹, der die Möglichkeit bot, die kritischen Fragen über das Verfahren 1235 auszuklammern und zu verschieben. Die Menschenrechtskommission konnte damit ihre Handlungsfähigkeit nach außen hin unter Beweis stellen, schließlich hatte sie ihren Auftrag: »the Study of situations which reveal a consistent pattern of violation of human rights […],«118 formell erfüllt, ohne einen Staat namentlich hervorzuheben. Mit dem Verweis auf die Lage von Flüchtlingen im Nahen Osten wurde ein neutraler Platzhalter geschaffen, dem fast alle bedenkenlos zustimmen konnten, zumal es vorgeblich um ein ›humanitäres Anliegen‹ ging. Obwohl die USA und Israel im Vorfeld von der indischen Resolution wussten, verurteilte sie diese und lehnte eine Abstimmung darüber ab.119 Die westeuropäischen Staaten äußerten den USA gegenüber ihr Missfallen, machten 114 ORUN : E / C N .4/972, Jahresbericht der Menschenrechtskommission von 1968, S. 75, § 192. 115 Name des indischen Diplomaten. 116 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3104, SOC 14 11/1/67, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State, 21.02.1968. 117 Vgl. ORUN: Human Rights Commission, Resolution 6 (XXIV) vom 27.02.1968, Question of human rights in the territories occupied as a result of hostilities in the Middle East, § 2; mit ebd., E / C N .4/SR .970, Summary Record des 970. Meetings der 24. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 26.02.1968. 118 Vgl. Titel des Themas auf der Agenda der 24. Sitzung der Menschenrechtskommission; mit ebd., E / C N .4/972: Jahresbericht der Menschenrechtskommission von 1968, S. 58. 119 Zur US -israelischen Zusammenarbeit an dem Resolutionstext siehe: NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3104, SOC 14 11/1/67, Telegramm der US Botschaft in New York an das Department of State vom 28.02.1968.

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darüber hinaus aber keine Anzeichen, gegen die indische Resolution zu stimmen.120 Von der schwedischen Resolution, in der ein Sonderberichterstatter für Griechenland gefordert wurde, war unterdessen keine Rede mehr. Weder in den UN-Dokumenten noch in den Akten des State Department taucht der schwedische Entwurf wieder auf. Nachdem sowohl die US -Resolution als auch die tansanische Resolution von ihren Gegnern durch zahlreiche Amendements verändert wurden, einigten sich beide Staaten in vertraulichen Verhandlungen darauf, ihre Entwürfe zurückzuziehen. Am Ende stand somit nur die indische Resolution zur Wahl.121 Diese wurde am 27. Februar 1968 angenommen. Israel boykottierte die Abstimmung und bemerkte dazu: […] no aspect of question of the Middle East appeared on the Commission’s agenda or the documentation before it. It was curious that, after a lengthy debate on the present agenda item, the various relevant draft resolutions had been withdrawn and the only remaining draft dealt with a matter which did not appear in the agenda.122

Das abschließende Urteil der USA fiel zunächst positiv aus, schließlich sei es gelungen, eine »legislative history« zu schaffen, indem in den Summary Records sowie dem Jahresbericht der Menschenrechtskommission festgehalten wurde, dass sich die Kommission mit Menschenrechtsverletzungen außerhalb Südafrikas auseinandergesetzt hätte: »Thus leaving last year’s Res still on books allowing Commission and Sub-Commission to continue study violations everywhere.«123 Aus Sicht des State Department war damit bereits der notwendige Präzedenzfall geschaffen worden, um zukünftig auch Menschenrechtsverletzungen in anderen Staaten zu behandeln. Allerdings wollte es die Angriffe der Sowjetunion wegen angeblicher »Gross Violations of Human Rights« in Vietnam nicht auf sich sitzen lassen und wies Goldberg deshalb an zurückzuschlagen: In view of political and propaganda overtones of bulk of discussion which has taken place at current session of Human Rights Commission, we believe it would be desirable to utilize opportunity before Commission adjourns to raise in a U. S. statement question of the treatment of intellectuals and Jews in the Soviet Union. Impact of such a presentation would be enhanced, and direct abrasive effect in US -Soviet relations moderate, if other delegates could be stimulated to initiate or at least participate in discussion.124

120 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–196, Box 3104, SOC 14 11/1/67, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 28.02.1968. 121 Ebd. 122 ORUN: E / C N .4/SR .973, Summary Record des 973. Meetings auf der 24. Sitzung der Menschenrechtskommission 27.02.1968, S. 64. 123 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3104, SOC 14 11/1/67, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 28.02.1968 (Greece and Haiti). 124 Ebd., Telegramm des Department of State an die US -Botschaft in New York vom 04.03.1968.

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Die Anspielungen auf die Diskriminierung jüdischer Menschen in der Sowjetunion erfüllte eine Doppelfunktion. Erstens provozierte sie Moskau. Zweitens besänftige Goldberg damit Israel und jüdische NGOs in den USA , die sich seit Anfang des Jahrzehnts für die Rechte jüdischer Menschen in Osteuropa engagierten. Deren innenpolitischer Protest nahm gegen Ende der 1960er-Jahre massiv zu.125 Die sowjetische Reaktion kam unerwartet und heftig. Als die Menschenrechtskommission am letzten Sitzungstag über die Annahme des Jahresberichts und der Summary Records abstimmte, beantragten die sowjetischen Diplomaten, Goldbergs Anschuldigungen aus den UN-Akten streichen zu lassen. Jegliche Kritik an der Sowjetunion sollte aus den Sitzungsprotokollen und dem Abschlussbericht der Menschenrechtskommission entfernt werden. Damit versuchte die Sowjetunion, die Dokumentation der UN zu zensieren und einen anderen gefährlichen Präzedenzfall zu schaffen. Danach forderten noch weitere Staaten, »politische Bemerkungen« aus der Dokumentation zu entfernen. Da zahlreiche Delegationen zu dem Zeitpunkt bereits abgereist waren, gelang es den sowjetischen Diplomaten, ihren Willen durchzusetzen und die UN-Berichte verändern zu lassen. Goldberg verlor daraufhin jegliches Vertrauen in die UN, was er in einem Telegramm an das State Department zum Ausdruck brachte: CHR Session this year has been particularly disappointing and raises fundamental question about whole future of Commission. Pattern of action revealed Commission increasingly finds it possible to act only on colonial – African question together with occasional Anti-Israel sniping. Efforts to obtain serious consideration of violation of human rights in other areas of the world have aborted, although it is true we were able to make several presentations before commission expressing our concern about human rights violations elsewhere. However, this small consolation seriously diminished by fact that CHR has now gone so far as to expunge from the record a factual summation by its Rapporteur of one of the segments of its own deliberations. These developments raise serious question as to future utility of Commission and the manner in which US should participate, at minimum, we must conclude Commission developing into additional political tool of Afro-Asian majority at UN with limited utility on Non-African questions.126

Die USA und ihre westlichen Verbündeten gerieten 1968 in der Menschenrechtskommission zunehmend in die Opposition. Die erste Anwendung des CBM war gescheitert und offenbarte einen Stimmungswandel in den UN . Während 1967 noch eine Mehrheit der UN-Mitglieder für den allgemeinen Menschenrechtsschutz stimmte, stellte sich nun eine Mehrheit dagegen. Stattdessen nutzten sie die öffentliche Debatte für nationale Interessen, und um 125 Pauline Peretz: Let My People Go. The Transnational Politics of the Soviet Jewish Emigration During the Cold War. New York 2015, S. 99–191. 126 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3104, SOC 14 11/1/67, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 13.03.1968.

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politische Gegner zu attackieren. Besonders deutlich trat dieser Meinungsumschwung auf der Internationalen Menschenrechtskonferenz in Teheran zu Tage.127 Die US -Diplomaten hatten mit ihren Befürchtungen somit recht behalten, die Menschenrechtskommission und das Verfahren zum Schutz der Menschenrechte wurde zu einem »Kangaroo Court«. Frustriert und enttäuscht quittierte der US -Botschafter Arthur J. Goldberg daraufhin schließlich seinen Dienst bei den Vereinten Nationen.128 In der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten war die Enttäuschung 1968 groß. Der von Humphrey geschaffene Präzedenzfall stand zwar in den Akten der Vereinten Nationen, änderte aber nichts am Umgang mit Menschenrechtsverletzungen. In dieser Situation machte es wenig Sinn, das Verfahren fortzusetzen. Stattdessen setzten sich Humphrey und seine Kollegen daran, dieses zu verändern. Die sozialistischen Experten beharrten hingegen nun darauf, dass das bestehende Verfahren vollkommen zufriedenstellend sei.129 Humphrey, der sudanesische Experte Abu Rannat, die Kenianerin Phoebe Asiyo sowie der Inder Nath Pai legten am Ende der Sitzung einen Entwurf für ein neues Verfahren vor. Bei diesem sollten die Experten der Unterkommission bei der Prüfung der Individualbeschwerden entscheiden, ob die Menschenrechtsverletzungen in einer öffentlichen Sitzung von der Menschenrechtskommission verhandelt werden sollten oder unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Auch die Sitzungsprotokolle (Summary Records) der Arbeitsgruppe sollten geheim bleiben. Zudem mussten die betroffenen Staaten dem Verfahren im Vorfeld zustimmen. Im Gegenzug war die Arbeitsgruppe befugt, Individualbeschwerden zu prüfen und Zeugen vorzuladen.130 Der Entwurf für das neue Verfahren wurde von der Unterkommission angenommen und obwohl es restriktiver war als das vorherige, bot es der Menschenrechtskommission eine neue Möglichkeit, um Menschenrechtsverletzungen zu behandeln. Auf der nächsten Sitzung der Menschenrechtskommission im Februar und März 1969 wurde zunächst die Debatte des Vorjahres fortgesetzt. Das Thema »Gross Violations of Human Rights« wurde ausschließlich mit Blick auf Israel besprochen.131 Als die Kommission begann, über die Resolution der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten zu verhandeln, spitzte sich die Stimmung zudem erneut zu. Die sozialistischen Staaten gingen auf Konfrontationskurs und erklärten sowohl das bereits bestehende Verfahren unter Resolution 1235 127 Mehr dazu in Kap. 2.2. 128 Eric Pace: Arthur J. Goldberg Dies at 81. Ex-Justice and Envoy to U. N., in: New York Times, 20.01.1990. 129 ORUN: E / C N .4/Sub.2/SR .536–541, Summary Records des 536–541. Meetings der 20. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten vom 09.–14.10.1968. 130 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3066, SOC 14-3 3/14/67, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 10.10.1968. 131 ORUN: E / C N .4/1007, Jahresbericht der 25. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1969, S. 42, § 205.

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als auch das neue Verfahren für illegal. Die USA hielten dagegen mit Unterstützung Großbritanniens, des Irans, der Philippinen und vieler anderer Staaten. Im Gegensatz dazu fanden die Argumente der sozialistischen Staaten diesmal wenig Unterstützung.132 Außer der Vereinigten Arabischen Republik und Jugoslawien stellte sich niemand auf die Seite der Sowjetunion. Auch Indien und Tansania, sonst die schärfsten Kritiker des allgemeinen Menschenrechtsschutzes, stimmten der Resolution zu. Der indische Vertreter bemerkte dazu sogar: The time had come for the Sub-Commission to adopt a new approach along the lines established by Economic and Social Council resolution 1235 (XLII). That resolution constituted the basis for any procedure for the investigation of violation of human rights and its provisions had not abolished but had amplified and made more explicit those of resolution 728 F (XXVIII).133

Beide Staaten reichten zwar Amendements ein, mit denen die Resolution der Unterkommission etwas abgeschwächt werden sollte, die Grundzüge blieben jedoch erhalten.134 Die Isolation der sozialistischen Staaten verleitete diese zu einem immer aggressiveren Auftreten.135 Die US -Delegation war hingegen begeistert von dieser unerwarteten Entwicklung. Am 17. März schrieb die neue US -Delegationsleiterin Rita Eleanor Hauser136 an den ehemaligen US -Experten in der Unterkommission Ferguson: Frantic politicking and strong fight resulted in saving the entirety of the Sub-Commission’s resolution on investigation of complaints. Great victory for US . Soviet Delegation quite upset and made strong statement of opposition. We are elated. Your camping is swinging.137

Bei der noch am gleichen Tag stattfindenden Abstimmung wurde die Resolution mit 15 gegen 4 Stimmen bei 12 Enthaltungen angenommen. In ihrer Abschlussbewertung zeigten sich die US -Diplomatin erfreut und überrascht: »USDEL very satisfied with result which went beyond expectations […].«138 Allerdings bemerkten sie, wie dadurch die Spannungen zwischen Ost und West zunah132 Ebd., E / C N .4/SR .1032, Summary Records des 1032. Meetings der 25. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 14.03.1969. 133 Ebd. (Statement des indischen Diplomaten). 134 Ebd. oder für einen Überblick über die Debatte siehe ebd., E / C N .4/1007, Jahresbericht der Menschenrechtskommission von 1969, S. 135–137, § 407–410. 135 Vgl. ebd., E / C N .4/SR .1026,1028,1032–1035, Summary Records des 1026., 1028., 1032.– 1035. Meetings der 25. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 11.–17.03.1969; ebd., E / C N .4./SR .1032, Summary Records des 1032. Meetings der 25. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 14.03.1969 (Statement des ukrainischen Diplomaten). 136 Zur Person siehe Ruth Gursky, Rita Eleanor Hauser, in: Jewish Women’s Archive, online: http://jwa.org/encyclopedia/article/hauser-rita-eleanor (05.04.2021). 137 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3066, SOC 14-3 3/14/67, Telegramm der US -Botschaft in Genf an das Department of State vom 17.03.1969. 138 Ebd., Box 3067, SOC 14-3 3/1/69, Telegramm der US -Botschaft in Genf an das Department of State vom 18.03.1969.

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men: »Soviet opposition especially strong. Soviet Delegation alleged adoption resolution would lead to revival of Cold War and stated USSR intends to fight res. in ECOSOC .«139 Im Wirtschafts- und Sozialrat gelang es den sozialistischen Staaten anschließend, die Entscheidung über das neue Verfahren hinauszuzögern und auf das Jahr 1970 verschieben zu lassen.140 Anschließend versuchten sie immer wieder die Einrichtung des neuen Verfahrens zu verhindern, scheiterten aber sowohl in der Menschenrechtskommission als auch im ECOSOC . Eine Mehrheit der Staaten aus Westeuropa, Afrika, Asien und Süd- und Nordamerika war 1970 für die Einführung des neuen vertraulichen Verfahrens.141 Die US -Vertreter waren euphorisch und hofften, dies würde sich auch positiv auf ein anderes Thema auswirken: Favorable action on this resolution is particularly welcome during the 25th anniversary of the UN since it does point up the rightful concern of the UN, as specified in the Charter, for the protection of human rights and fundamental freedoms. This action may also be a useful precursor to more significant action contemplated in the 25th General Assembly where final action, hopefully, will be taken to establish the post of High Commissioner for Human Rights. If this post is created, in addition to the complaint procedure just adopted, the 25th Anniversary of the UN may well be viewed as a landmark for positive action to protect human rights.142

Am 27. Mai 1970 wurde das neue vertrauliche Verfahren mit der Resolution 1503 vom Wirtschafts- und Sozialrat bestätigt.143 Die Menschenrechtskommission verfügte damit nun über zwei Verfahren, um Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten zu untersuchen. Das erste war ein öffentliches im Rahmen der ECOSOC -Resolution 1235 von 1967, das zweite ein vertrauliches im Rahmen der ECOSOC -Resolution 1503 von 1970, 139 Ebd. 140 Vgl. ORUN: A/7603, Jahresbericht des Wirtschafts- und Sozialrates für 1969, S. 43, § 254–255; sowie ebd., E / S R .1602, Summary Record des 1602. Meetings des Wirtschaftsund Sozialrates vom 06.06.1969, S. 7. 141 Vgl. ebd., E / C N .4/1039, Jahresbericht der 26. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1970, S. 36 § 141; ebd., E / C N .4/SR .1071, Summary Records des 1071. Meetings der 26. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 13.03.1970; ebd., E / C N .4/SR .1067, Summary Records des 1067. Meetings der 26. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 11.03.1970; siehe das Statement des tansanischen Diplomaten ebd., E / C N .4/SR .1069, Summary Records des 1069. Meetings der 26. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 12.03.1970 (siehe Statements des indischen und madagassischen Diplomaten); ebd., E / C N .4/SR .1066, Summary Records des 1066. Meetings der 26. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 10.03.1970 (vgl. Statements der Diplomaten aus Neuseeland, Finnland und den USA). 142 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1970–1973, Box 3039, SOC 14 6/1/70, Airgram der US -UN Botschaft in New York an das Department of State vom 05.06.1970. 143 ORUN: E / S R .1693, Summary Records des 1693. Meetings der 48. Sitzung des ECOSOC vom 27.05.1970, S. 221.

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welches nur mit Zustimmung des betroffenen Staates durchgeführt werden durfte. Zwar könnte man die Resolution 1503 somit formell als einen Rückschritt betrachten, durch den die staatliche Souveränität wieder gestärkt wurde. Man sollte aber berücksichtigen, dass damit ein Modus Operandi geschaffen wurde, der es erstmals ermöglichte, Menschenrechtsverletzungen zu thematisieren, ohne dass die Debatte zu einem politischen Schlagabtausch verkam, bei der jede Seite versuchte, sich selbst zu profilieren und den politischen Gegner zu diskreditieren. Besonders die Tatsache, dass die USA und viele andere Staaten dem neuen Verfahren positiv gegenüber eingestellt waren, kann darauf zurückgeführt werden, dass das neue Verfahren den Staaten mehr Rechte einräumte. Dadurch, dass das Verfahren nur nach Zustimmung des betroffenen Staates eingerichtet werden konnte, behielten diese die Kontrolle. Das sorgte dafür, dass das neue Verfahren mehr Akzeptanz fand. Im State Department bemerkte man dazu: The US Representative (Stillman) noted that resolution V144 was a logical corollary to resolution 1235 (XLII). Resolution V had been carefully framed with scrupulous regard for constructive views expressed by many governments. While the procedure envisaged would substantially strengthen the effectiveness of the Commission on Human Rights, care had also been taken to ensure respect for national sovereignty. He could not agree that the new procedure would be likely to result in action based on superficial complaints made solely for political purposes.145

Das neue Verfahren bot den Staaten die Möglichkeit, Vertrauen zum Menschenrechtsschutz aufzubauen. Auch das regionale europäische Menschenrechtssystem zeichnete sich in den 1960er- und 70er-Jahren überwiegend dadurch aus, dass die meisten Klagen zurückgewiesen wurden. Griechenland war 1967 ein Präzedenzfall, bei dem die europäische Menschenrechtskommission erstmals eine Klage gegen einen Mitgliedstaat zuließ. Eine gängige Praxis entwickelte sich daraus aber erst in den 1990er-Jahren. Historiker leiteten daraus die These ab, dass gerade das Ablehnen und die damit einhergehende Stärkung der staatlichen Souveränität half, das Vertrauen der Staaten in die Institutionen des Europarates und der europäischen Menschenrechtskommission zu stärken und so langfristig die Durchsetzung des Menschenrechtsschutzes in Westeuropa förderte.146 Die ECOSOC -Resolution 1503 sollte deshalb nicht als Rückschritt bewertet werden, sondern als Kompromiss, der es den Staaten möglich machte, Menschenrechtsverletzungen in einem sicheren Umfeld anzusprechen. Hum144 Die spätere Resolution 1503 wurde in der Menschenrechtskommission als Resolution V verhandelt. 145 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1970–1973, Box 3039, SOC 14 6/1/70, Airgram der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 05.06.1970. 146 Zu dieser These siehe Mikael Rask Madsen: Legal Diplomacy. Die europäische Menschenrechtskonvention und der Kalte Krieg, in: Stefan-Ludwig Hoffmann (Hg.): Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert, Göttingen 2010, S. 169–198, hier S. 186 f.

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phrey war es gelungen, die richtige Balance zwischen der Achtung der staatlichen Souveränität und dem Umgang mit Menschenrechtsverletzungen zu finden. Die Geheimhaltung innerhalb des 1503-Verfahrens war dabei wichtig, um die Konkurrenz zwischen den Mitgliedern auszuhebeln. Während diese 1960 die Entwicklung des CBMs in Gang setzte, behinderte sie später die praktische Anwendung des Verfahrens. Die Mitglieder nutzten die Debatte über Menschenrechtsverletzungen, um ihre politischen Gegner öffentlich zu attackieren. Das verdeutlicht, wie sich die Konkurrenz am Ende der 1960er-Jahre verändert hatte. Die Öffentlichkeit übernahm zunehmend die Funktion des bewertenden Dritten, um dessen Gunst die Staaten in der Kommission stritten. Durch die Geheimhaltung wurde der kompetitive Charakter des Verfahrens jedoch entschärft. Ohne öffentliche Debatte hatten die Staaten keinen Anreiz, sich zu profilieren. So ermöglichte es die Resolution 1503, dass Menschenrechtsverletzungen außerhalb Südafrikas und Israel fortan hinter verschlossenen Türen besprochen werden konnten. Mit den Resolutionen 1235 und 1503 wurde in den 1960er-Jahren das Fundament des CBMs der Menschenrechtskommission gelegt und die ersten allgemeinen Verfahren eingeführt, mit denen Menschenrechtsverletzungen von Mitgliedstaaten aufgearbeitet und untersucht werden konnten. Die Konkurrenz zwischen Ost und West lieferte dabei den entscheidenden Impuls, der die Sowjetunion dazu verleitete, diese Entwicklung anzustoßen. Zugleich begrenzte sie am Ende des Jahrzehnts die Reichweite des Verfahrens und prägte langfristig dessen Praxis.

2.2 Die USA und der Hochkommissar für Menschenrechte Auch die US -Regierung änderten zu Beginn der 1960er-Jahre ihre Haltung zum Thema Menschenrechtsschutz. Am 20. September 1963 sprach sich US -Präsident John F.  Kennedy vor der Generalversammlung mit deutlichen Worten dafür aus: »Our concern is the right of all men to equal protection under the law and since human rights are indivisible, this body cannot stand aside when those rights are abused and neglected by any member state.«147 Kennedy reagierte damit auf die wachsende ideologische Konkurrenz zwischen Ost und West. Schließlich war der Menschenrechtsschutz ein Kernanliegen der dekolonisierten Staaten, um deren Unterstützung US -Diplomaten ebenso wie sowjetische Vertreter warben. Möglich wurde dieser Wandel in der US -Außenpolitik allerdings erst durch den von Kennedy zu Beginn des Jahrzehnts eingeleiteten Abbau der Segregation 147 Rede von John F. Kennedy vom 20.09.1963 vor der 18. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York, online: https://www.presidency.ucsb.edu/documents/ address-before-the-18th-general-assembly-the-united-nations (05.04.2021).

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und dem wachsenden Ansehen der Bürgerrechtsbewegung. Die USA lösten sich von ihren Vorbehalten gegenüber einem System zum Schutz der Menschenrechte, indem sie bis dahin vor allem eine Bedrohung ihrer föderalen Selbstbestimmung und der Rassentrennung ausmachten.148 Aus Sicht der neuen US -Regierung hatte sich das Blatt nun aber zu ihren Gunsten gewendet. Fortan sahen die Diplomaten in Washington und New York in einem System der UN zum Schutz der Menschenrechte keine Gefahr mehr, sondern die Möglichkeit: »to spotlight human rights problems in closed societies and help broaden attention beyond racial issues.«149 Die USA erkannten im Menschenrechtsschutz ein Thema, mit dem sie sich interanational mit der Sowjetunion messen konnten. Zudem bot es ihnen die Möglichkeit, den innenpolitischen Wandlungsprozess international legitimieren zu lassen und innen- und außenpolitisches Kapital daraus zu schlagen. Im State Department arbeitete man im selben Jahr intensiv an einem Konzept für ein System zum Schutz der Menschenrechte in den UN. Dabei griffen die Diplomaten auch auf ältere Ideen zurück. Bereits 1947 hatte der französische Jurist und Diplomat René Cassin150 in der Menschenrechtskommission einen »Attorney-General for Human Rights« vorgeschlagen. Dieser sollte Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten untersuchen und anklagen.151 Damals war dieser Vorschlag für die Mehrheit der UN-Mitglieder inakzeptabel und wurde nicht weiterverfolgt.152 Auch 1963 war das Konzept immer noch umstritten. Der Leiter der Abteilung des State Department für politische Angelegenheiten in den UN Joseph J. Sisco sprach sich 1963 gegen die Schaffung eines »Human Rights Commissioners« aus, welcher der Generalversammlung unterstellt sein würde und auf Grundlage von Individualbeschwerden Ermittlungsverfahren einleiten könnte.153 Die Gefahr, dass es zu massiven Anschuldigungen gegen die USA oder Verbündete Washingtons kommen könnte, sei zu groß. Sisco 148 Vgl. Snyder: Rise. 149 FRUS : 1961–1963, Vol. XXV, Organization of Foreign Policy, Information Policy, United Nations, Doc. 263, Position Paper Prepared in the Bureau of International Organization Affairs, undated. 150 Zur Person siehe Sluga: Droits. 151 ORUN: E / C N .4/AC .4/1, Brief des französischen Gesandten René Cassin an die Vorsitzende der Menschenrechtskommission Eleanor Roosevelt vom 05.12.1947. 152 Vgl. Alan J. Hobbins: Humphrey and the High Commissioner. The Genesis of the Office of the UN High Commissioner for Human Rights, in: Journal of History of International Law, 3 (2001), S. 38–74, hier S. 40; Roger S. Clark: A United Nations High Commissioner for Human Rights, The Hague 1972, S. 39–43. 153 FRUS : 1961–1963, Vol. XXV, Organization of Foreign Policy, Information Policy, United Nations Document Doc. 301, Memorandum from the Director of the Office of United Nations Political Affairs to the Deputy Assistant Secretary of State for International Organization Affairs 04.09.1963. Eine handschriftliche Notiz auf dem Dokument deutet darauf hin, dass der Brief wohl nie abgeschickt wurde (siehe FN 1). Dennoch zeigt diese Quelle, welche politische Strategie Sisco verfolgte und die er umsetzte, als er 1965 zum Assistant Secretary of State für internationale Organisationen befördert wurde.

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folgte damit der Argumentation, die schon in den 1950er-Jahren die US -Menschenrechtspolitik bestimmte. Demnach waren ›freie Gesellschaften‹ gegenüber ›geschlossenen Gesellschaften‹ benachteiligt, weil in letzteren die Bürger nicht die Möglichkeit hätten, sich schriftlich an die UN zu wenden. Zudem wurde die Generalversammlung seit 1960 von den afroasiatischen Staaten dominiert, sodass die USA keine Kontrolle über die Entscheidungsfindung in dem Gremium hatten. Ein Menschenrechtskommissar, der als »›watchdog‹ of the General Assembly« fungierte, würde zu einem Instrument dieser Staaten und wäre damit eine Gefahr für die USA und ihre Verbündeten. Deswegen schlug Sisco vor, stattdessen das Amt des Generalsekretärs zu stärken und mit mehr Personal sowie Befugnissen auszustatten, damit dieser Menschenrechtsverletzungen untersuchen könnte:154 »Such a system has proved politically and administratively sound in the past, and would put us in a much better position to exercise some influence on the Secretary-General’s choice of representatives and procedures.«155 Die Idee dahinter war, durch die Stärkung des Sekretariats wieder mehr Einfluss auf die UN nehmen zu können. Ein Konzept, welches in den folgenden drei Jahrzehnten die US -Menschenrechtspolitik in den UN prägen sollte. Siscos Memo steht für eine Umbruchphase in der US -Menschenrechtspolitik zu Beginn der 1960er-Jahre und verdeutlicht das Dilemma, dem sich die USA weiterhin ausgesetzt sahen. Zum einen fürchteten sie, dass der Menschenrechtsschutz gegen ihre Interessen eingesetzt werden könnte. Zum anderen erkannten sie dessen Potenzial, diesen für die eigenen politischen Ziele zu nutzen. Siscos Konzept war der Versuch, beides miteinander zu verbinden und leitete einen Wandel von einer passiven hin zu einer aktiven UN-Menschenrechtspolitik ein. Während sich die USA in den 1950er-Jahren aus den Debatten über den Menschenrechtsschutz zurückgezogen und sogar versucht hatten, die Fertigstellung der Menschenrechtspakte zu verzögern, wollten sie diesen Themenbereich nun wieder aktiv mitgestalten und ihren Einfluss ausweiten.156 Auch die US -Repräsentantin in der Menschenrechtskommission Marietta Tree sowie Richard N.  Gardner und Rachel C.  Nason von der Abteilung für internationale Organisationen wollte, dass sich die USA aktiv an der Gestaltung des Menschenrechtsschutzes beteiligten. Anders als Sisco, sprachen sie sich jedoch für die Idee eines »Menschenrechtskommissars« aus. Ihre Überlegungen sahen vor, das Amt des Vorsitzenden der Menschenrechtskommission in eine dauerhafte Stelle umzuwandeln, damit dieser die Kommission jährlich über die Einhaltung der Menschenrechte informiere.157 Im November 1963 legte Nason Präsident Kennedy schließlich einen Entwurf für einen »Rapporteur on Human Rights« vor:

154 Ebd. 155 Ebd. 156 Snyder: Rise, S. 237–260. 157 Hobbins: Humphrey, S. 43 f.; Clark: United Nations, S. 39–48.

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The Rapporteur would be an elder statesman who would merit recognition as an independent expert. For his report he would draw on outside sources as well as government reports, but he would hold no hearings and make no on-the-spot investigations. He would work under the general direction of the Human Rights Commission. His statement would provide a basis for regular discussion, and should broaden awareness and concern throughout the UN beyond the present preoccupation with race problems in South Africa and the United States.158

Kennedy starb am 22. November 1963 und konnte das Memo von Nason nicht mehr lesen. Im State Department legte man die Pläne daraufhin erstmal auf Eis. Kurz zuvor hatten sich Gardner und Tree jedoch mit dem Direktor der UN -Menschenrechtsdivision Humphrey getroffen. Dieser zeigte sich wenig begeistert von ihrer Idee und präsentierte stattdessen sein Konzept eines »High Commissioners for Human Rights«.159 Humphrey verfolgte das Thema nach Kennedys Tod eigenständig weiter. Dabei kooperierte er mit Vertretern verschiedener NGOs, wie unter anderem Jacob Blaustein160 vom Consultative Council of Jewish Organizations, dem Mitbegründer des World Jewish Congress Maurice L. Perlzweig,161 Peter Benenson,162 der 1961 AI gegründet hatte sowie Seán MacBride,163 dem Generalsekretär der International Commission of Jurists (ICJ). Gemeinsam entwickelten sie zwischen 1963 und 1964 einen Resolutionsentwurf für die Einrichtung des Postens eines Hochkommissars für Menschenrechte. Alle Beteiligten wussten um die politische Brisanz dieses Vorhabens und bemühten sich deshalb um eine schwache Formulierung, damit die Resolution für möglichst viele Staaten akzeptabel sein würde Es galt, das Primat der staatlichen Souveränität geschickt zu umfahren, sodass die Staaten weiterhin die Sicherheit hatten, die Kontrolle zu behalten, während der Hochkommissar genügend Handlungsspielraum be158 FRUS : 1961–1963, Vol. XXV, Doc. 303, Draft Memorandum from the Bureau of International Organization Affairs to President Kennedy, undated. 159 Humphrey: Human Rights, S. 296–301; Hobbins: Humphrey, S. 44. 160 Jacob Blaustein (1892–1970), war ein erfolgreicher US -Unternehmer und Philanthrop. Er war Mitglied des Consultative Council of Jewish Organizations sowie des American Jewish Committees, siehe Hobbins: Humphrey, FN 12.  161 Maurice L. Perlzweig (1895–1985), wurde in Polen geboren und war ein amerikanischer Rabbiner. Er lebte von 1926–1941 in London, wo er 1936 den World Jewish Congress mitbegründete. Im Jahr 1941 emigrierte er in die USA , siehe Hobbins: Humphrey, FN 75. 162 Peter Benenson (1921–2005) war ein britischer Anwalt und Politiker. Im Jahr 1961 gründete er die unabhängige Menschenrechtsorganisation Amnesty International, siehe Tom Buchanan: »The Truth will set you Free«. The Making of Amnesty International, in: Journal of Contemporary History 37/4 (2002), S. 575–597. 163 Seán MacBride (1904–1988) war ein irischer Politiker, Mitbegründer von Amnesty International sowie von 1963–1970 Generalsekretär der International Commission of Jurists. Er bekam 1974 den Friedensnobelpreis verliehen, siehe Elizabeth Keane: An Irish Statesman and Revolutionary. The Nationalist and Internationalist Politics of Seán MacBride, London 2006.

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sitzen sollte, um effektiv agieren zu können.164 Zudem mussten sie einen Staat als Sponsor165 finden, der bereit war, die Resolution in eines der relevanten UNGremien einzubringen. Dieser musste eine neutrale Stellung im internationalen System einnehmen und ein hohes Ansehen genießen. Die tatsächliche Urheberschaft des Entwurfs musste dabei geheim bleiben. Wäre bekannt geworden, dass der Entwurf das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen dem Direktor der UN-Menschenrechtsdivision sowie den Mitgliedern westlicher, jüdischer NGOs war, hätten sowohl Ostblockstaaten als auch die arabischen Staaten ihre Zustimmung verweigert. Als mögliche Sponsoren wurden Nigeria, Afghanistan, die Philippinen und Costa Rica vorgeschlagen  – neutrale Staaten, die in dieser Zeit als Advokaten für einen effektiven Menschenrechtsschutz in den UN auftraten. Humphrey unterbreitete das Dokument schließlich dem costaricanischen Diplomaten Fernando Volio Jiminez, den er bereits aus früherer Zusammenarbeit kannte und schätzte.166 Vier Tage vor Beginn der 21. Sitzung der Menschenrechtskommission im März des Jahres 1965 reichte Costa Rica den Entwurf schließlich offiziell ein.167 In der neuen US -Administration wuchs unterdessen wieder das Interesse an einem internationalen System zum Schutz der Menschenrechte. Kennedys Nachfolger Lyndon B.  Johnson setzte die Politik seines Vorgängers fort und entwickelte daraus seine eigene politische Agenda, mit der er 1964 bei den Präsidentschaftswahlen kandidierte. Dabei räumte er den Menschenrechten einen besonderen Platz ein. Johnsons wollte mit seiner Idee einer »Great Society« die US -Gesellschaft grundlegend verändern. Der Staat sollte die Armut aktiv bekämpfen und die Diskriminierung von Schwarzen und anderen Minderheiten abbauen. Zugleich wollte er das Bildungs- und Gesundheitswesen reformieren, sodass breitere Bevölkerungsschichten davon profitierten.168 Bis zum Ende seiner Amtszeit 1969 kämpfte Johnson innenpolitisch für seine Vision einer besseren US -Gesellschaft. Zudem zeichnete er sich durch einen unkonventionellen Umgang mit der Sowjetunion aus. Sein primäres Ziel war es, die seit dem Ende der Kubakrise eingeleitete Détente und die damit verbundenen Abrüstungsverhandlungen voranzutreiben.169 Er warnte in seinen Reden immer wieder vor der Gefahr der nuklearen Bedrohung und versuchte mit seiner Politik des »Bridge-Building« die Ost-West-Beziehungen zu stabilisieren. Dabei sah er in den Menschenrechten ein Bindeglied, um seine Vision einer »Great Society« auf eine internationale Ebene zu heben und eine gemeinsame Gesprächsgrundlage 164 Hobbins: Humphrey, S. 45 f. 165 So werden in den UN Staaten bezeichnet, die eine Resolution mit einbringen. 166 Hobbins: Humphrey, S. 45 f. 167 Vgl. ORUN: E / C N .4/879/Add.2, Resolutionsentwurf Costa Ricas vom 18.03.1965; sowie ebd., E / C N .4/887, Memorandum mit genauerer Erklärung; sowie ebd. E / C N .4/891, Jahresbericht der 21. Sitzung der Menschenrechtskommission im Jahr 1965, S. 7, § 9. 168 Leffler: Soul, S. 201–208. 169 Arvid Schors: Doppelter Boden, Die SALT-Verhandlungen 1963–1979, Göttingen 2016, S. 42–75.

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mit der Sowjetunion zu schaffen. »A Great World Society«170 war demnach ein Ziel, dem sowohl die USA als auch die Sowjetunion entgegenstreben müssten und es beiden Seiten erlauben sollte, »To Move Beyond the Cold War«.171 Auch die Bürgerrechtsbewegung wurde dafür im weiteren Verlauf der 1960er-Jahre vereinnahmt. Die US -Regierung versuchte aus dem innenpolitischen Wandel außenpolitisches Kapital zu schlagen und den Abbau der Segregation als Beleg für die US -amerikanische Vorreiterrolle im Bereich der Menschenrechte zu präsentieren.172 Die Bezugnahme auf die zivilgesellschaftliche Bürgerrechtsbewegung innerhalb der US -amerikanischen Außenpolitik war umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass die Bürgerrechtsbewegung selbst jeden Bezug auf internationale Menschenrechtsdebatten in den 1960er-Jahren ablehnte. Grund dafür war das Scheitern der National Association for the Advancement of Coloured People (NAACP) in den 1950er-Jahren bei ihrem Versuch, die UN -Menschenrechtskommission als Plattform zu nutzen, um auf internationaler Ebene auf die Rassendiskriminierung in den USA aufmerksam zu machen. Das internationale Engagement der NAACP führte in den von einem radikalen Antikommunismus geprägten 1950er-Jahren dazu, dass die Bürgerrechtsbewegung als ›Fünfte Kolonne Moskaus‹ diffamiert und die Menschenrechte in den USA als kommunistischer Kampfbegriff stigmatisiert wurden.173 Trotz der Skepsis der Bürgerrechtsbewegung gegenüber den UN gelang es der US -Regierung, einige prominente Personen für ihre neue Außenpolitik zu gewinnen. So ernannte Johnson 1965 den ehemaligen Bundesrichter Arthur Goldberg zum neuen UN-Botschafter der USA . Goldberg, der sich von den 1930er- bis 1950er-Jahren als Gewerkschaftsanwalt verdient gemacht hatte, galt den Menschenrechten gegenüber als aufgeschlossen. Während seiner Zeit als Richter am Obersten Bundesgericht sprach er sich mehrfach öffentlich gegen die Todesstrafe aus und forderte die Einrichtung eines »International Human Rights Courts«.174 Darüber hinaus engagierte er sich in verschiedenen jüdischen Verbänden gegen die Diskriminierung jüdischer Menschen in Osteuropa.175 170 Thomas A.  Schwartz: Moving Beyond the Cold War. The Johnson Administration Bridge-Building, and Détente, in: Francis J. Gavin / Mark Atwood Lawrence (Hg.): Beyond the Cold War. Lyndon Johnson and the New Global Challenges of the 1960s, Oxford 2014, S. 76–94, hier S. 81. 171 Ebd. Titel des Artikels. 172 Vgl. NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3201, File SOC 14 1/1/66, Gesprächsmemorandum über ein Treffen zwischen Präsident Johnson und Präsident Senghor vom 28.09.1966; FRUS : 1964-1968, Vol. XXXIII , International Organizations, United Nations, Doc. 383, Memorandum from Harold Saunders of the National Security Council Staff to the President’s Special Assistant 03.06.1966 oder Snyder: Rise, S. 247–250. 173 Carol Anderson: Eyes off the Prize. The United Nations and the African American Struggle for Human Rights. 1944–1955, Cambridge 2009, S. 6, S. 160 und S. 271–276. 174 Erik Pace: Arthur J. Goldberg, Dies. at 81. Ex Justice and Envoy to UN , in: New York Times, 20.01.1990. 175 Peretz: People, S. 109.

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Morris B. Abram wurde 1965 zum Leiter der US -Delegation in der UN-Menschenrechtskommission berufen und war ein bekannter Bürgerrechtsanwalt sowie persönlicher Freund von Dr. Martin Luther King Junior. Auch er engagierte sich sowohl für die Rechte jüdischer Menschen in der Sowjetunion als auch für die Bürgerrechte schwarzer US -Amerikaner. Er war Präsident des American Jewish Committee und zugleich Vorsitzender des United Negro College Fund.176 Goldberg und Abram spielten eine Schlüsselrolle in der UN-Menschenrechtspolitik der USA in den 1960er-Jahren. Besonders die Referenzen zur Bürgerrechtsbewegung und die Idee, diese außenpolitisch zu instrumentalisieren, lassen sich auf beide zurückführen.177 In einem Memorandum des State Department vom April 1965 empfahl auch der Sicherheitsberater des Präsidenten McGeorge Bundy schließlich, sich zukünftig in diesem Bereich stärker zu engagieren und griff dabei auch auf die Ideen von Sisco zurück: We consider it inevitable that the United Nations will become more deeply involved in human rights problems. The question becomes therefore, not whether the United Nations should concern itself with human rights questions but how it will do so. The United Nations’ involvement with human rights in recent years has been characterized by a heavy preoccupation with race issues. Too little attention has been given to the fundamentals of human justice everywhere and the record of our own progress has not had the consideration it deserves. […] We believe participation in the development of the proposal [for a High Commissioner for Human Rights] will give us a good chance to steer the institution into a pattern acceptable to us. On the other hand opposition or aloofness would entail unfavorable consequences for us in the United Nations, quite apart from the adverse.178

Die USA überwanden in den 1960er-Jahren formell die Segregation und damit zugleich die Angst, sich internationaler Kritik auszusetzen. Fortan engagierten sie sich aktiv in diesem Bereich und ab Mitte der 1960er-Jahre wollten sie nicht mehr allein der Sowjetunion und den dekolonisierten Staaten das Thema Menschenrechte überlassen, sondern selber mitgestalten, um auch zukünftig Einfluss und Kontrolle ausüben zu können. Im State Department reagierte man 1965 dementsprechend positiv auf den Antrag Costa Ricas zur Einrichtung eines Hochkommissars für Menschenrechte.179 Humphreys Entwurf sah vor, dass ein angesehener ›älterer Staatsmann‹ in dieses Amt gewählt werden sollte, der die Menschenrechtskommission und andere UN -Organe beraten und auf Anforderung der Mitgliedstaaten oder 176 William Honan: Morris Abram is Dead 81. Rights Advocate Led Brandeis, in: New York Times, 17.03.2000. 177 Vgl. FRUS : 1964–1968, Vol. XXXIII , International Organizations, United Nations, Doc. 381, Brief von Arthur Goldberg an Präsident Lyndon B. Johnson vom 04.05.1966; mit Snyder: Rise, S. 247–250. 178 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3203, File SOC 14 4/1/65, Memorandum von Read an Bundy vom 20.04.1965. 179 Ebd.

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des Generalsekretärs seine guten Dienste zur Verfügung stellen sowie Jahresberichte als Diskussionsgrundlage für die Generalversammlung anfertigen sollte.180 Der Entwurf ähnelte damit dem von Tree, Gardner und Nason von 1963, blieb aber bei kritischen Fragen vage, wie der, ob der Hochkommissar ermittelnd tätig werden und Individualbeschwerden würde einsehen dürfen. Auch die Frage, wem der Hochkommissar unterstellt sein würde, blieb offen. Humphreys Entwurf griff damit die Bedenken Siscos auf, indem er die heiklen Punkte vorerst ausklammerte und den USA genügend Spielraum bot, um das neue Amt später nach eigenen Vorstellungen auszuformen. Welche Autorität und welche Befugnisse ein Hochkommissar haben würde, sollte sich aus der Praxis heraus ergeben, bei der die USA durch die Wahl der Person ihren Einfluss geltend machen konnten.181 Durch dieses geschickte Vorgehen sicherte sich Humphrey die Unterstützung der USA . Bereits am ersten Sitzungstag wies das State Department ihre Delegation in der Menschenrechtskommission an, für die Resolution Costa Ricas zu stimmen und bei den anderen Staaten für deren Annahme zu werben. Washington kontaktierte unterdessen alle Auslandsvertretungen, um sich ein Meinungsbild einzuholen.182 Das Ergebnis war zweideutig und spiegelte die zu der Zeit vorherrschende Stimmungslage in den UN wider. Während für das kommunistische China ein Hochkommissar ein »sign of ›degeneration‹ of the UN into a tool for the US «183 darstellte, begrüßte das britische Foreign Office den Vorschlag.184 Die Sowjetunion lehnte die Idee hingegen mit der Begründung ab, dass eine einzelne Person keine juristischen Entscheidungen treffen dürfe, welche die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedstaates betreffen.185 Auch andere Staaten wie Indien und der Irak folgten dieser Argumentation. Zugleich gab es aber auch viele Staaten in Lateinamerika, Asien und Afrika, die dem Thema grundsätzlich positiv gegenüberstanden.186 Schließlich konnte der Resolutionsentwurf aus Zeitgründen 1965 nicht mehr besprochen werden. Costa Rica brachte das Thema daraufhin auf der Sommersitzung des ECOSOC zur Sprache, wo es zu ersten heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Gegnern und Befürwortern eines Hochkommissars kam.187 Die USA standen indes in engem Kontakt mit der costa-ricanischen Delegation und suchten gemeinsam nach möglichen Co-Sponsoren für eine zukünftige 180 ORUN: E / C N .4/887 and Corr.1., Antrag von Costa Rica vom 18.03.1965. 181 Ebd. 182 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3203, File SOC 14 4/1/65, Memorandum von Read an Bundy vom 20.04.1965. 183 Ebd., Telegramm des US -Konsulats in Hong Kong an das Department of State vom 05.04.1965. 184 Ebd., Airgram US -UN -Botschaft New York an das Department of State vom 14.04.1965. 185 Clark: United Nations, S. 48. 186 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3203, File SOC 14 4/1/65, Telegramm der US -Botschaft New York an das Department of State vom 15.06.1965. 187 ORUN: A/6303, ECOSOC Bericht für den Zeitraum 1965-1966, S. 70.

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Resolution. Volio schlug Großbritannien und Chile vor und der US -Delegierte brachte sogar die USA selbst ins Spiel,188 was das State Department in Washington allerdings ablehnte: »No objection in principle US co-sponsorship proposal in ECOSOC but Department not convinced that our co-sponsorship with only UK and Chile would be as helpful as that of number of LDCs189.«190 Genau wie Humphrey und seine Mitstreiter erkannten die Diplomaten im State Department, dass es besser wäre, wenn ›Entwicklungsländer‹191 den Antrag einbrachten, denen offiziell eine neutrale Stellung zugeschrieben wurde. Das Thema sollte nicht Opfer einer Ost-West Konfrontation werden. Die US -Vertreter wollte deshalb zunächst lieber im Hintergrund bleiben. Schließlich stimmten sie dem Vorschlag Costa Ricas zu, die Resolution auf der nächsten Sitzung der Generalversammlung Ende 1965 anzusprechen.192 Diese sollte die Menschenrechtskommission dann beauftragen, das Thema auf ihrer nächsten Sitzung im Jahr 1966 zu verhandeln sowie eine Arbeitsgruppe einzurichten, die einen Bericht über die Umsetzung dieses Vorhabens erstellen sollte. Die Zeit bis dahin sollte genutzt werden, um nach möglichen Co-Sponsoren unter den afroasiatischen Staaten zu suchen. Nachdem die ECOSOC -Sitzung 1965 keine Entscheidung hervorbrachte, folgten Volio und sein US -Kollege dem Rat aus Washington und suchten nach weiteren Co-Sponsoren für die bevorstehende Generalversammlung.193 Zugleich begann das britische Foreign Office und das State Department den Resolutionsentwurf Costa Ricas zu überarbeiten und nach eigenen Vorstellungen umzugestalten.194 Damit übernahmen die USA und Großbritannien bis Ende 1965 de facto die Führung bei der Initiative zur Einrichtung eines Hochkommissars für Menschenrechte. Kurz darauf wandten sich die USA wieder an Humphrey. Als Direktor der UN -Menschenrechtsdivision saß er in einer Schlüsselposition im UN -Menschenrechtsbereich und verfügte über strategisch wichtige Informationen. Der Kanadier zeigte sich enttäuscht über den Verlauf der Debatte und mahnte gegenüber Vertretern des State Department, dass das Thema zunehmend politisiert 188 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3203, File SOC 14 4/1/65, Telegramm der US -Botschaft New York an das Department of State vom 15.06.1965. 189 LDCs ist eine Abkürzung für ›Less Developed Countries‹. 190 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3203, File 14 4/1/65, Telegramm des Außenministers Dean Rusk an die US -Botschaft in New York vom 16.06.1965. 191 Zur Bedeutung und historischen Herleitung des Begriffs siehe Bressensdorf / Seefried / ​ Ostermann: West Germany, S. 8–9. 192 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3203, File 14 4/1/65, Telegramm des Außenministers Dean Rusk an die US -Botschaft in New York vom 16.06.1965. 193 Vgl. ebd., Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 15.06.1965; mit ORUN: A/6303, ECOSOC Bericht für den Zeitraum 1965-1966, S. 70. 194 Siehe dazu NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3203, File 14 4/1/65, Airgram US -Botschaft in New York an das Department of State vom 08.10.1965; sowie ebd., Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 26.10.1965.

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würde. Seiner Meinung nach wäre es besser, inhaltliche Debatten zu vermeiden und stattdessen auf den »Korridoren« darüber zu verhandeln, wer der erste Hochkommissar für Menschenrechte werden könnte, denn erst wenn ein passender Kandidat feststünde, könne man alles Weitere klären.195 Knapp zwei Wochen nach dieser Unterredung teilte Humphrey dem US Delegierten mit, dass er im folgenden Jahr in den Ruhestand gehen werde. Als Grund dafür nannte er einen Streit mit dem Generalsekretär.196 Zugleich erweckte diese Ankündigung den Anschein, als wollte Humphrey sich selbst als möglichen Kandidaten für den Posten eines Hochkommissars in Stellung bringen. Zwar schrieb er später dazu: »This is a great honor but a) they need a bigger man and b) I doubt whether I have the physical strength to take it on.«197 Allerdings arbeitete Humphrey nach seinem Ausscheiden aus der Menschenrechtsdivision noch bis Mitte der 1970er-Jahre als unabhängiger Experte in der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten und als Professor für Internationales Recht an der McGill University in Montreal. Zudem engagierte er sich bei AI und warb in seiner Funktion als Wissenschaftler und Menschenrechtsexperte für einen Hochkommissar für Menschenrechte.198 Humphrey war ein Aktivist, Menschrechtsexperte und UN-Beamter, der sein Leben lang für die Durchsetzung seiner Ideen vom Menschenrechtsschutz kämpfte.199 Dazu überschritt er regelmäßig die engen Grenzen der Neutralität eines ›International Civil Servants‹. So versuchte er aktiv Einfluss auf die Debatte über einen Hochkommissar zu nehmen. Er sagte den US -Diplomaten, dass die meisten Staaten Angst davor hätten, dass sich ein Hochkommissar in die nationalen Angelegenheiten einmischen könnte. Deswegen sei es wichtig, die diplomatischen Funktionen des Hochkommissars im Rahmen seiner guten Dienste zu betonen. Außerdem sollte man überdenken, ob der Hochkommissar wirklich Jahresberichte über die Menschenrechtslage in den Mitgliedstaaten anfertigen sollte. Für viele Staaten stellte das eine Kompetenzüberschreitung dar und wurde als Eingriff in die inneren Angelegenheiten bewertet. Doch Humphrey beließ es nicht bei diesen Hinweisen. Im Folgenden informierte er die US Diplomaten über Gerüchte und gab interne Informationen aus den laufenden Verhandlungen über die Menschenrechtspakte weiter, wonach die Sowjetunion die darin vorgesehenen Implementierungsmechanismen beschneiden wollte.200 Auch bei der Wahl seines Nachfolgers gab er vertrauliche Informationen an das

195 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3203, File 14 4/1/65, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 24.09.1965. 196 Ebd., Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 02.10.1965. 197 Zitiert nach Hobbins: Humphrey, S. 62. 198 Humphrey: Sub-Commission. 199 Ders.: Human Rights, S. 296–301. 200 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3203, File 14 4/1/65, Telegramm der US -Botschaft an das Department of State vom 04.10.1965.

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State Department weiter. Der Belgier Marc Schreiber galt intern als Favorit für den Posten.201 Zugleich warnte Humphrey aber vor diesem: As for reported favored candidate Marc Schreiber, Humphrey had feeling Narasimban202 had personal commitment to him. Humphrey made it abundantly clear that in his view Schreiber inadequate for task. He said he would not be surprised if Legal Division wanted ›get rid‹ of Schreiber; Pointed out that, when Schwelb203 retired as Deputy Director of Human Rights Div. Schreiber was considered possible successor. However, at that time Stavropoulos204 (UN Legal Counsel) gave such picture of Schreiber that he did not get post. Thus Humphrey ironically stated Schreiber not good enough to be Deputy Director but good enough to be Director HR Division. Humphrey was sure that if appointment of Director UN HR Division were made through UN appointments and promotions board, Schreiber would not get post. Humphrey said reservations had been expressed about Schreiber candidacy by certain delegates, by some in strong terms.205

Wenige Tage nach diesem Gespräch bestätigte eine Informantin im Sekretariat, dass Schreiber der neue Direktor der UN-Menschenrechtsdivision werden würde.206 Viel wichtiger als die inhaltlichen Informationen, die Humphrey an die USA übermittelte, ist die Frage, warum er dies tat. In seiner Position als UN-Beamter war er zur Neutralität und Verschwiegenheit verpflichtet. Dass er diese Informationen an die USA weiterleitete, war erstens ein weiterer Beleg für sein

201 Zur Wahl der Nachfolge Humphreys vgl. ebd., SOC 14 1/1/66, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 12.01.1966; ebd., Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 08.03.1966; ebd., Telegramm der US -UN -Botschaft in New York an das Department of State vom 10.03.1966. 202 Chakravarthi Vijayaraghava Narasimhan (1915–2003) war indischer Staatsbürger und diente von 1956–1978 in den Vereinten Nationen, seit 1961 in leitender Funktion als Under Secretary General, siehe Art.: C. V. Narasimhan passes away, in: The Hindu vom 03.11.2003. 203 Egon Schwelb (1899–1979) wurde in Prag geboren und war Jurist, Publizist, Politiker und Experte für internationale Beziehungen. Er war von 1947–1962 stellvertretender Direktor der UN -Menschenrechtsdivision und danach weiterhin als Menschenrechtsexperte in verschiedenen Bereichen tätig. Zudem arbeitete er als Professor für Internationales Recht und Menschenrechtsschutz an der Yale University. Siehe Nürnberger Menschenrechtszentrum, online: http://www.menschenrechte.org/lang/de/verstehen/ menre-geschichte/egon-schwelb (06.04.2021). 204 Constantin A. Stavropoulos (1905–1984) aus Griechenland arbeitete über 30 Jahre als Rechtsberater und leitete die Abteilung für Rechtsfragen der Vereinten Nationen, siehe Art.: Constantin A. Stavropoulos. On the U. N. Staff for 30 Years, in: New York Times, 06.11.1984. 205 NARA , RG 59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3203, SOC 14 1/1/66, Telegramm der US -Botschaft in NY an das Department of State vom 28.01.1966. 206 Ebd., Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 02.02.1966.

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persönliches Engagement und sein Bestreben, seine eigenen politischen Ziele durchzusetzen. Humphrey wollte ein unabhängiges und effektives System zum Schutz der Menschenrechte errichten. Die USA waren dabei für ihn ein strategischer Verbündeter, der von ihm genauso instrumentalisiert wurde, wie sie ihn instrumentalisierten. Mit der Weitergabe dieser Informationen versuchte Humphrey, das Handeln der USA zu beeinflussen, damit diese ihre Bemü­ hungen für die Einführung der Menschenrechtspakte und deren Implementierungsmechanismen verstärkten. Zweitens verdeutlichte Humphreys Verhalten, wie das Sekretariat als Akteur fungieren konnte. Durch die gezielte Weitergabe von Informationen versuchte er politische Entscheidungen zu beeinflussen und seine eigenen Ziele durchzusetzen. Drittens zeugte diese Episode von der engen Kooperation zwischen führenden UN-Mitarbeitern und dem State Department und bestätigte damit Siscos Aussage von 1963, wonach die USA gute Beziehungen ins UN-Sekretariat pflegten und dadurch Einfluss auf die Organisation nehmen konnten. Für Humphrey und das State Department war diese Kooperation eine ›Win-win-Situation‹. Der Einfluss der USA zeigte sich besonders deutlich bei der Betrachtung der allgemeinen Struktur des Sekretariats. Dieses hatte zu dieser Zeit seinen Hauptsitz in New York. Große Teile des Personals und vor allem die leitenden Positionen waren überwiegend mit männlichen Personen aus Westeuropa, Nord- und Südamerika sowie Asien besetzt.207 Mitarbeiter aus Afrika und Osteuropa waren hingegen unterrepräsentiert.208 Die Direktoren der Menschenrechtsdivision pflegten enge Kontakte ins State Department.209 Zugleich sorgten sie dafür, dass Mitarbeiter aus Osteuropa keinen Zugang zu sensiblen Bereichen innerhalb der Division bekamen wie der Abteilung für Individualbeschwerden.210 Auf der Ebene des UN-Generalsekretärs sah es damals ähnlich aus. Der US Bürgerrechtler, Nobelpreisträger und ehemalige US -Diplomat Ralph Bunche arbeitete seit 1946 für die Vereinten Nationen. Ab 1954 war er Untersekretär für politische Angelegenheiten. 1961 machte UN-Generalsekretär U Thant ihn zusammen mit dem Russen Georgi Petrovitch Arkadev zu seinen persönlichen Beratern, über beide schrieb er später in seinen Memoiren: As I learned from the nearly ten years we worked together after I became SecretaryGeneral, Bunche was an international civil servant in the true sense of the word, and I cannot think of anyone in the upper echelon of the Secretariat dealing with political 207 Vgl. ORUN: A/6487, Report of the Secretary-General – Personal Question – Composition of the Secretariat 26.10.1966. 208 Vgl. ebd., A/8831 (1972); ebd., A/35/528 (1980); ebd., A/48/559 (1993), Reports of the Secretary-General – Personal Question – Composition of the Secretariat. 209 Belege für Schreiber siehe NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1970–1973, Box 3039, SOC 14 1971 ECOSOC , US -Botschaft in New York an das Department of State vom 27.01.1971; ebd., SOC 14 1972 ECOSOC , US -Botschaft in New York an das Department of State vom 27.04.1972. 210 Hobbins: Humphrey, S. 70.

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matters who was less nationalistic in his concept and his approach to problems. This was not true, however, of his Soviet opposite number, Undersecretary Georgi Arkadev, who, perhaps inevitably, represented his government’s point of view.211

Bunche wurde in den 1960er-Jahren zum engsten Vertrauten U Thants und 1967 sogar zum stellvertretenden UN-Generalsekretär ernannt. Bunches Neutralität soll an dieser Stelle nicht infrage gestellt werden, es ist aber davon auszugehen, dass er als ehemaliger US -Diplomat, aktiver Bürgerrechtler und Mitglied der NAACP eine andere Haltung bezüglich internationalen Menschenrechtsfragen einnahm als sein sowjetischer Kollege. Die USA unterhielten in dieser Zeit exzellente Kontakte ins Sekretariat, was ihnen einen Vorteil gegenüber der Sowjetunion verschaffte. Diesen Vorteil wollten sie mit einem Hochkommissar für Menschenrechte ausnutzen und ausbauen. Die Generalversammlung 1965 endete aus westlicher Sicht und aus Sicht Humphreys erfolgreich. Die von den USA und Großbritannien veränderte Resolution Costa Ricas wurde am 16. Dezember 1965 verabschiedet und das Thema stand nun wie geplant 1966 auf der Agenda der Menschenrechtskommission.212 Auch bei der Konvention gegen religiöse Intoleranz, dem zweiten Schwerpunktthema der USA , gab es Fortschritte. Lediglich die Fertigstellung der Menschenrechtspakte verzögerte sich aufgrund des Streits um dessen Implementierungsmöglichkeiten, so wie Humphrey es den USA vorhergesagt hatte. Dafür wurde 1965 die ICERD angenommen und damit das erste TBM-Verfahren eingerichtet. Rassendiskriminierung war zugleich eines der wichtigsten Themen der dekolonisierten Staaten und spielte damit auch in der Konkurrenz zwischen Ost und West eine besondere Rolle.213 Für die 22. Sitzung der Menschenrechtskommission im März und April 1966 war es den USA und Großbritannien gelungen, Argentinien, Österreich, Costa Rica, Dahomey,214 die Philippinen, Senegal und Schweden als Sponsoren für ihre Resolution zu gewinnen.215 Zugleich wurde der costa-ricanische Delegierte Volio zum Vorsitzenden der Kommission gewählt, was den Befürwortern einen strategischen Vorteil verschaffte.216 211 U Thant: View from the UN , London 1977, S. 113. 212 Vgl. FRUS : 1964–1968, Vol. XXXIII , International Organizations, United Nations, Doc. 375, Memorandum von Botschafter Arthur Goldberg an Präsident Lyndon B. Johnson vom 22.12.1965; mit ORUN: E  / C N .4/916, Jahresbericht der 2. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1966. 213 Zu den Beschlüssen der Sitzung siehe ORUN: A / R ES /20/2062, Resolution der Generalversammlung vom 16.12.1965; ebd., A / R ES /20/2020, Resolution der Generalversammlung vom 01.11.1965; ebd., A / R ES /20/2080, Resolution der Generalversammlung vom 20.12.1965. 214 Seit 1990 Republik Benin. 215 ORUN: E / C N .4/916, Jahresbericht der 22. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1966, S. 70–83. 216 ORUN: E / C N .4/SR .852, Summary Records des 852. Meetings auf der 22. Sitzung der Menschenrechtskommission am 08.03.1966; mit ORUN: E / C N .4/916: Bericht über die

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In der folgenden Debatte war die Mehrheit der Redner für die Einrichtung eines Hochkommissars für Menschenrechte.217 Allerdings zeigte sich, dass die Vorstellungen darüber, welche Funktion und welche Befugnisse ein Hochkommissar haben sollte, weit auseinandergingen. Manche forderten, den Hochkommissar mit weitreichenden Kompetenzen auszustatten, damit dieser in Fällen von Menschenrechtsverletzungen eigenständig ermitteln konnte. Andere sahen ihn eher in beratender Funktion. Die USA und Großbritannien folgten hingegen Humphreys Rat und klammerten solche Fragen vorerst aus.218 Demgegenüber standen die Sowjetunion, die Ukraine, Polen, Indien und der Irak. Sie lehnten das Konzept geschlossen ab. Dabei griff der sowjetische Vertreter Morozov die USA direkt an und brüstete sich damit, dass sein Land im Gegensatz zu den USA die ICERD bereits unterzeichnet hätte. Sein einziger inhaltliche Kritikpunkt war, dass ein Hochkommissar für Menschenrechte ein Verstoß gegen Artikel 2.7 der UN-Charta darstelle. Abschließend betonte er, dass die Sowjetunion prinzipiell für den Menschenrechtsschutz sei, allerdings nur im Rahmen des TBM wie der ICERD oder der Menschenrechtspakte. Die Ukraine, Polen, Indien und der Irak konzentrierten ihre Kritik hingegen auf konkrete inhaltliche Fragen und betonten, dass mit der ICERD bereits ausreichende Schutzmaßnahmen eingerichtet worden seien. Ein weiterer Kritikpunkt war, dass solch eine wichtige Funktion nicht von einer einzelnen Person ausgeübt werden sollte, sondern nur von einem Ausschuss mit Repräsentanten der verschiedenen Weltregionen.219 Die USA hatten die Situation unterschätzt und nicht mit solch heftigen Gegenreaktionen gerechnet. Dabei zeigt diese Konfrontation, wie die Konkurrenz ihre Wirkung entfaltete. Der sowjetische Delegierte Morozov brüstete sich damit, dass die UdSSR als einer der ersten Staaten die ICERD unterzeichnet hätten. Damit präsentierte sich die Sowjetunion als Unterstützer des ersten TBMVerfahrens der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte. Diese Politik besaß zwei Stoßrichtungen. Sie richtete sich zum einen an die internationale Staatengemeinschaft, in der sich die Sowjetunion im Wettstreit mit den USA als Führungsmacht präsentieren wollte. Zum anderen wirkte sie auf die Menschen innerhalb der sozialistischen Staaten, vor denen sich die UdSSR als Vorkämpfer gegen Rassismus und Unterdrückung stilisierte und die USA und den Westen als Bedrohung darstellte.220 Die Sowjetunion konnte sich durch 22. Sitzung der Menschenrechtskommission des Jahres 1966, S. 5; sowie NARA : RG  59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3203, SOC 14 1/1/66: Telegramm der ­ S -Botschaft in New York an das Department of State vom 11.03.1966. U 217 Vgl. ORUN: E / C N .4/916, Jahresbericht der 22. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1966, S. 70–83. 218 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3202, SOC 14 5/5/66, Airgram der US -Botschaft in Genf an das Department of State vom 01.07.1966. 219 ORUN: E / C N .4/SR .879, Summary Records des 879. Meetings auf der 22. Sitzung der Menschenrechtskommission am 28.03.1966. 220 Beispielhaft zu den 1950er-Jahren siehe Amos: Unterstützen, S. 142–169.

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die Unterzeichnung der ICERD als Wortführer und Schutzmacht der durch Rassismus und Kolonialismus unterdrückten Mehrheit der Weltbevölkerung präsentieren und dadurch das eigene Regime sowohl nach innen als auch nach außen legitimieren. So schrieb ein Mitglied der sowjetischen Delegation in der Menschenrechtskommission im Februar 1966 in der Prawda: […] basic human rights and freedoms are still not guaranteed today in many areas of the world. Rampant racism still deprives many millions of people of the most elementary rights. Present-day [sic!] America’s negro population of 20,000,000 are still victims of insolent outrages and arbitrary actions on the part of racists. […] imperialists and colonialists have embarked on a path of aggression and armed intervention in the international affairs of Vietnam, the Dominican Republic, the Congo (Leopoldville) and many other Countries. […] The Soviet Union and the other socialist countries are consistently striving to see to it that the U. N. becomes an effective agency in the struggle against these flagrant violations of basic human rights and freedoms.221

Die sozialistischen Staaten hängten sich an das Thema Rassendiskriminierung an, welches ein Hauptanliegen der dekolonisierten Staaten war, um in deren Gunst zu steigen. Die USA wählten hingegen einen anderen Weg, um ihre Stellung als Führungsmacht in den UN Mitte der 1960er-Jahre zurückzugewinnen. Anders als die Sowjetunion, die kaum noch eigene Ideen einbrachte, wollten sie mit dem Hochkommissar für Menschenrechte und der Konvention gegen religiöse Intoleranz den Bereich der Menschenrechte grundsätzlich zu ihrem Vorteil neu ausrichten. Dazu benötigten sie allerdings die Stimmen der dekolonisierten Staaten. Botschafter Goldberg schrieb deshalb an Präsident Johnson: […] ratification of human rights conventions would represent a new liberal departure in our international relations. It would also enable us to answer Soviet criticism in a psychologically important area of international cooperation. […] Ratification of human rights conventions is the logical complement to the domestic effort in the racial field begun by President Kennedy […] in the present circumstances we are losing much of the international advantage that could be gained from a truly exceptional domestic record.222

Im September 1966 entschied Präsident Johnson mit der Sowjetunion gleichzuziehen und wies Botschafter Goldberg an, die ICERD zu unterzeichnen.223 Wie für die UdSSR hatte die Unterzeichnung der ICERD auch für die USA zwei 221 Zitiert nach NARA : RG  59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3201, SOC 14 1/1/66, Airgram der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 08.02.1966 (Übersetzung des Artikels). 222 FRUS : 1964–1968, Vol. XXXIII , International Organizations, United Nations, Doc. 381, Letter from Arthur Goldberg to President Lyndon B. Johnson, 04.05.1966. 223 NARA : RG  59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3203, SOC 14 1/1/66, Telegramm des Department of State in Washington an die US -Botschaft in New York vom 26.09.1966 (ratifiziert wurde sie von den USA erst 1994).

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Stoßrichtungen. Sie wirkte zum einen nach innen, indem sie symbolisch Johnsons Politik der ›Great Society‹ und die Ziele der Bürgerrechtsbewegung internationalisierte. Zum anderen wirkte die Unterzeichnung nach außen. Die USA schlossen im Wettbewerb um Menschenrechte zur Sowjetunion auf und unterstützten symbolisch ein Kernanliegen der dekolonisierten Staaten. Damit trug die Konkurrenz dazu bei, dass beide Großmächte ein Verfahren zum Schutz der Menschenrechte im Rahmen des TBM unterstützten. Nach den heftigen Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern in der Menschenrechtskommission 1966 realisierte der costa-ricanische Vertreter Volio, welches Konfliktpotenzial ein Hochkommissar bereithielt. Deswegen entschied er, die Wahl über den Antrag vorerst auszusetzen. Stattdessen sollten die Mitglieder zunächst über die Einrichtung einer Arbeitsgruppe abstimmen, die bis zur nächsten Sitzung einen Bericht anfertigen sollte, auf dessen Grundlage eine Entscheidung getroffen werden konnte. Damit sollten die heiklen Fragen über die Befugnisse eines Hochkommissars außerhalb der Menschenrechtskommission geklärt werden. Zudem sollte der Generalsekretär eine technisch-analytische Studie anfertigen lassen.224 Durch diesen Schachzug vermied Volio eine weitere Eskalation.225 Der Vorschlag Costa Ricas wurde mit 16 Ja- und nur 5 Neinstimmen angenommen. Im Anschluss bestimmte Volio die Mitglieder der Arbeitsgruppe. Diese sollte sich aus Repräsentanten Österreichs, Costa Ricas, Dahomeys, Frankreichs, Jamaikas, der Philippinen, Senegals, Großbritanniens und der USA zusammensetzen und bestand ausschließlich aus Befürwortern eines Hochkommissars. Die Sowjetunion und andere kritische Staaten wurden von der Debatte ausgeschlossen. Damit endete die 22. Sitzung der Menschenrechtskommission aus US -Perspektive erfolgreich: »US position received support from many members. In most cases, Soviet position received relatively little support.«226 1966 wurden die Auswirkungen der Konkurrenz um Menschenrechte zwischen Ost und West deutlich sichtbar. Beide Seiten wollten sich als Führungsmacht bei der Förderung der Menschenrechte präsentieren. Die USA stritten dazu für die Idee eines Hochkommissars für Menschenrechte und einer Konvention gegen religiöse Intoleranz, während sich die Sowjetunion in den Debatten über die spätere Resolution 1235 als Gegner von Rassismus, Kolonialismus und der Apartheid inszenierte. Die Konkurrenz führte auf beiden Seiten dazu, dass die konkurrierenden Parteien ihr Handeln an die vermuteten Erwartungen des bewertenden Dritten anpassten. Im Fall der Menschenrechtskommission wurde diese Position zu dieser Zeit von den afroasiatischen Staaten besetzt, deren Stimmen für die Annahme von Resolutionen entscheidend waren. Neben den Auswirkungen der Konkurrenz zeigte die Sitzung des Jahres 1966 aber 224 ORUN : E / C N .4/L.838, Resolutionsentwurf eingereicht von Argentinien, Österreich, Costa Rica, Dahomey, Philippinen, Senegal und Schweden am 29.03.1966. 225 NARA : RG  59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3202, SOC 14 5/5/66, Airgram der US -Botschaft in Genf an das Department of State vom 01.07.1966. 226 Ebd.

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auch, dass die Vorstellungen darüber, welche Befugnisse ein Hochkommissar für Menschenrechte haben und welche Stellung er innerhalb der UN einnehmen sollte, selbst unter den Befürwortern sehr umstritten waren. Die Idee, statt einer Einzelperson einen Ausschuss aus unabhängigen Experten einzurichten, stand ebenfalls zur Debatte und hatte sowohl unter den afroasiatischen und südamerikanischen Staaten als auch den westeuropäischen Verbündeten viele Anhänger. Im Mai 1966 trafen sich US -Diplomaten mit dem neuen Direktor der UNMenschenrechtsdivision Marc Schreiber. Dieser informierte die US -Amerikaner informell, dass der ehemalige stellvertretende Direktor der Menschenrechtsdivision Schwelb die Studie über den Hochkommissar für den Generalsekretär anfertigen würde.227 Egon Schwelb, der 1962 aus der Division ausschied und seitdem als Professor an der Universität Yale lehrte, war ein enger Vertrauter Humphreys und 1965 an den Planungen der Idee eines Hochkommissars für Menschenrechte beteiligt gewesen.228 Zur Arbeitsgruppe bemerkte Schreiber, dass diese noch im Juni des gleichen Jahres mit der Arbeit beginnen würde. Diese Unterhaltung zwischen Abram und Schreiber verdeutlichte, dass auch der neue Direktor mit den US -Diplomaten zusammenarbeitete, was vor allem im letzten Satz des Telegramms ans State Department deutlich wird: »He [Schreiber] clearly receptive to any ideas we might have on organization of work of working group, as well as secretariat study.«229 Die USA konnten ihre guten Kontakte zur UN-Menschenrechtsdivision auch nach Humphreys Ausscheiden aufrechterhalten. Die Arbeitsgruppe traf sich von Juni 1966 bis Anfang Februar 1967: »to study all relevant questions concerning such Institution.«230 Allerdings begannen die inhaltlichen Debatten erst Anfang 1967, als alle Dokumente vorlagen. Diese umfassten die Resolution Costa Ricas von 1965,231 ein Statement des Generalsekretärs,232 Statements zweier NGOs, des Council of Jewish Organizations und der International League for the Rights of Man233 sowie der Studie von Schwelb.234 Letztere bildete die Grundlage für die Verhandlungen der Gruppe und damit für das spätere Konzept des Hochkommissars für Menschenrechte. Aus Sicht 227 Ebd., SOC 14 1/1/66 Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 12.05.1966. 228 Hobbins: Humphrey, S. 73, FN . 150. 229 NARA : RG  59, Central Foreign Policy Files 1964–1966, Box 3203, SOC 14 1/1/66, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 12.05.1966. 230 ORUN: Resolution 4 (XXII), Resolution von der 22. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 30.03.1966. 231 Ebd., E / C N .4/887 and Corr.1., Antrag auf Wahl eines Hochkommissars für Menschenrechte von Costa Rica vom 18.03.1965. 232 Ebd., E / C N .4/AC .21/L.2, Anmerkung des Generalsekretärs vom 09.01.1967. 233 Ebd., E / C N .4/AC .21/NGO/1, Statement der International League for the Rights of Man vom 19.01.1967; ebd., E / C N .4/AC .21/NGO/2, Statement des Consultative Council of Jewish Organizations vom 24.01.1967. 234 Ebd., E / C N .4/AC .21/L.1., analytische und technische Studie des Generalsekretärs vom 14.03.1967.

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des State Department lieferte Schwelbs Studie eine exzellente Grundlage, auch wenn: »It does give greater impression of US initiative and support for proposal than might be desirable.«235 Der einzige Aspekt, bei dem sich während der anschließenden Verhandlungen ein unterschiedliches Meinungsbild abzeichnete und der zugleich zum entscheidenden Streitpunkt werden sollte, war die Frage, ob das Amt des Hochkommissars für Menschenrechte von einer Person repräsentiert werden sollte oder von einem regional besetzten Gremium aus Experten. Die Idee, eine so wichtige Funktion wie die eines Hochkommissars für Menschenrechte auf eine Person zu konzentrieren, war umstritten. Unter den Kritikern unterstützte vor allem Frankreich die Idee eines »Collegiate Body«,236 indem der Hochkommissar durch ein Gremium aus fünf bis sieben Experten ersetzt werden sollte. Den meisten Staaten ging diese Forderung aber zu weit, allerdings unterstützte die Mehrheit die Idee regionaler Berater.237 Beide Vorschläge waren nicht neu und wurden auch schon 1966 heftig diskutiert.238 Der einzige, der sich konsequent gegen ein Gremium aussprach, war der US -Diplomat. Aus seiner Sicht gefährdete dieses die Unabhängigkeit eines Hochkommissars: [The US representative] expressed his distinct preference for the establishment of an exceptional post such as that of High Commissioner for Human Rights, to be filled by an exceptional and unique personality enjoying a degree of prestige and confidence not generally accorded to faceless committees which were presumed to represent national or ideological interests.239

In die Ecke gedrängt, setzte der US -Diplomat den philippinischen Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Lopez unter Druck, einen Kompromiss auszuarbeiten.240 Lopez löste den Konflikt geschickt, indem er den Mitgliedern die Kosten vorrechnete, die durch einen Expertenrat entstehen würden. Fünf Personen auf der Gehaltsstufe eines Direktors, die ganzjährig bezahlt werden mussten und von denen jeder Anspruch auf eigenes Personal hatte, sprengten den engen Finanzrahmen der Vereinten Nationen.241 Stattdessen schlug Lopez vor, dem Hochkommissar bei Bedarf eine Gruppe von maximal sieben Beratern zur Seite zu stellen. Diese würden vom Generalsekretär und dem Hochkommissar 235 NARA : RG  59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3103, SOC 14 1/1/67, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State, 06.01.1967. 236 Ebd., Telegramm der US -Botschaft in New York and das Department of State vom 02.02.1967. 237 Ebd. 238 ORUN: E / C N .4/AC .21/1, Analytische und technische Studie des Generalsekretärs vom 14.03.1967, § 62–72; oder ebd., E / C N .4/SR .876–883, Summary Record der Menschenrechtskommission des 876.–883. Meetings der 22. Sitzung des Jahres 1966. 239 Ebd., E / C N .4/AC .21/1, Analytische und technische Studie des Generalsekretärs vom 14.03.1967, § 69. 240 NARA : RG  59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3103, SOC 14 1/1/67, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 02.02.1967. 241 ORUN: E / C N .4/AC .21/SR .12, Summary Record des 12. Meetings der Working Group zum HCHR 16.03.1967.

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unter Berücksichtigung einer regionalen Verteilung ausgewählt und für eine begrenzte Zeit berufen werden.242 Zur Erleichterung der Diplomaten in Washington fand der philippinische Vorschlag schnell große Zustimmung unter den Mitgliedern. Aus Sicht der USA war dies ein akzeptabler Kompromiss, da die Berater von dem Hochkommissar und dem Generalsekretär berufen wurden und nicht von den Mitgliedstaaten. Zudem war ihr Einfluss sehr begrenzt. Die von den USA geforderte Unabhängigkeit des Hochkommissars blieb damit gewährleistet und die Verhandlungen der Arbeitsgruppe endeten im Februar 1967 zur vollsten Zufriedenheit des State Department. Am 2. Februar 1967 schrieb der US -Repräsentant seinem (inzwischen) Vorgesetzten Sisco: I believe US can be entirely satisfied with outcome this first concrete phase in development High Commissioner Proposal. WG drafted functions in such way as to leave ample room for meaningful organic development while at the same time providing essential safeguards against intrusion into sensitive areas of sovereignty and institutional prerogatives.243

Die USA sahen sich durch diesen Teilerfolg siegessicher und hofften, ihre politischen Interessen durchzusetzen. Zur Vorbereitung auf die entscheidende Sitzung der Menschenrechtskommission des Jahres 1967 berieten sich die USA mit ihren westeuropäischen Verbündeten. Verschiedene Themen standen neben der Einführung eines Hochkommissars dabei zur Debatte, wie die Deklaration gegen religiöse Intoleranz sowie der Umgang mit Menschenrechtsverletzungen in Südafrika, wobei es um die Einführung eines allgemeinen Verfahrens zur Behandlung von Menschenrechtsverletzungen ging, der späteren Resolution 1235.244 Die USA waren mit Blick auf letzteres skeptisch. Sie wollten einen Hochkommissar als unabhängige Instanz und kein allgemeines Verfahren unter der Schirmherrschaft der Menschenrechtskommission. Die Frage nach der Art und Weise des zukünftigen Umgangs mit Menschenrechtsverletzungen in den UN war damit zum wichtigsten Thema des Jahres 1967 geworden und die USA ergriffen die Chance, die Sitzung für die Durchsetzung ihres Hochkommissars zu nutzen. Die Voraussetzungen schienen gut, weil eine Mehrheit der Staaten aus Afrika, Asien sowie die Staaten Südamerikas und Westeuropas dem Thema grundsätzlich positiv gegenüberstand.245 242 NARA : RG  59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3103, SOC 14 1/1/67, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 02.02.1967. 243 Ebd. 244 Vgl. Kap. 2.1. 245 Ebd., Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 16.01.1967; ebd., Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 18.01.1967 und vom 26.01.1967; ebd., Box 3066, SOC 14-3 3/14/67, Telegramm des Department of State an die US -Botschaft in Genf vom 23.02.1967; ebd., Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 30.01.1967.

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Direkt zu Beginn der Sitzung beantragten die US -Diplomaten, das Thema vorzuziehen, was trotz eines vom tansanischen Delegierten Remsey eingeleiteten Filibusters von einer Mehrheit durchgesetzt werden konnte. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt zeichnete sich für die US -Delegation ein positives Meinungsbild ab, sodass sie selbstsicher nach Washington meldeten: »Clear majority in Commission for commissioner proposal.«246 Trotz heftiger Kritik und polemischer Angriffe seitens der Gegner des Hochkommissars, gelang es, den von der Arbeitsgruppe vorgelegten Entwurf annehmen zu lassen. Die Resolution Österreichs, Costa Ricas, Dahomeys, der Philippinen und des Senegals zur Einrichtung eines Hochkommissars für Menschenrechte wurde am 22. März 1967 mit 20 zu 7 Stimmen, bei 2 Enthaltungen (Frankreich und Nigeria) angenommen. Der darin vorgesehene Hoch­ kommissar sollte mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet werden und genoss ein hohes Maß an Autonomie. So durfte er Individualbeschwerden einsehen und die betroffenen Regierungen damit konfrontieren. Auf Basis der dadurch gewonnenen Informationen sollte er zudem Berichte über die Lage in den Mitgliedstaaten verfassen, welche der Generalversammlung vorgelegt werden sollten.247 Neben dem Hochkommissar wurde auch die Deklaration über religiöse Intoleranz fertiggestellt und an den ECOSOC übermittelt. Zudem einigten sich die Mitglieder auch auf die Einrichtung eines allgemeinen Verfahrens zur Behandlung von Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Menschenrechtskommission (CBM).248 Die USA hatten letztlich für das neue Verfahren gestimmt, um sich dadurch die Unterstützung der dekolonisierten Staaten für ihren Hochkommissar zu sichern. Zugleich fürchteten sie: »that the effect of the African maneuvers in the Commission may be convert it essentially into an instrument of propaganda, largely destroying the value it has had […].«249 Noch war eine Mehrheit dieser Staaten für eine Anwendung des 1235-Verfahrens auf alle Staaten. Das konnte sich jedoch auch ändern. Die starke Fokussierung auf Südafrika 1967 lieferte den USA dabei einen Vorgeschmack, wie das CBM in Zukunft für politische Zwecke missbraucht werden konnte. Nachdem die Menschenrechtskommission den Antrag für einen Hochkommissar für Menschenrechte verabschiedet hatte, musste der ECOSOC als nächsthöhere Instanz diesen bestätigen, bevor die Generalversammlung Ende 1967 die endgültige Entscheidung treffen würde. Der ECOSOC traf sich im Mai und Juni des Jahres 1967. Die Debatte glich der in der Menschenrechtskommission, 246 Ebd., Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 22.02.1967. 247 ORUN: E / C N .4/940, Jahresbericht der 23. Sitzung der Menschenrechtskommission für 1967, S. 161–172. 248 Siehe Kap. 2.1. 249 NARA : RG  59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3104, SOC 14-4 1/1/67, Memorandum von David Popper an den Secretary of State Dean Rusk vom 31.03.1967.

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und trotz des heftigen Widerstandes der Gegner konnten sich die Befürworter durchsetzen. Am 6. Juni 1967 nahm der Rat die Resolution 1268 (XLII) an, womit der Antrag für einen Hochkommissar an die Generalversammlung weitergeleitet wurde. In der Generalversammlung überschattete allerdings der Sechstagekrieg alle Debatten und veränderte die Auseinandersetzung mit Menschenrechten und ihrem Schutz in den UN nachhaltig. Die Menschenrechtslage in den von Israel besetzten Gebieten wurde neben der Apartheid zum dominierenden Thema.250 Die Sowjetunion beantragte für den 17. Juni eine Notfallsondersitzung der Generalversammlung, welche bis zum 19. September 1967 tagte.251 Auch die reguläre Sitzung der 22. Generalversammlung des Jahres 1967 wurde von den Ereignissen im Nahen Osten beeinflusst und vor allem osteuropäische und arabische Staaten nutzten die UN als Bühne, um Israel und dessen Verbündeten die USA öffentlich anzugreifen. Dadurch wurden viele Debatten politisch aufgeladen und in die Länge gezogen. Die Verhandlungen über die Deklaration gegen religiöse Intoleranz waren davon am stärksten betroffen. Den sozialistischen Staaten, die von Anfang an gegen die Deklaration waren, gelang es zusammen mit arabischen Staaten diese so zu verändern, dass sie jegliche Substanz verlor und schließlich zurückgezogen wurde.252 Der Hochkommissar für Menschenrechte konnte jedoch im Dritten Komitee, der letzten Hürde vor der Generalversammlung, durchgesetzt werden. Am 14. Dezember 1967 empfahl dieses, mit 61 zu 25 Stimmen und 11 Enthaltungen der Generalversammlung einem Hochkommissar für Menschenrechte zuzustimmen.253 Zu dieser Abstimmung sollte es allerdings nicht kommen. Aufgrund der vielen Themen auf der Agenda und der langen und politisch aufgeheizten Debatten wurde die Abstimmung auf das nächste Jahr verschoben. Doch auch im Jahr 1968 kam es zu keiner Abstimmung. Grund hierfür waren die turbulenten politischen Entwicklungen in der Welt. Anfang des Jahres eskalierte der Vietnamkrieg, wodurch sich auch der internationale Protest gegen den Krieg zuspitzte. Diese Proteste verbanden sich mit den Forderungen nach einem Wandel des politischen Systems in Ost und West. Während in Prag die Truppen der WVO die Reformversuche der tschechischen Regierung im Sommer 1968 blutig niederschlugen, lieferten sich im Westen Polizei und Studierende Straßenkämpfe. Die ›68er-Revolte‹ veränderte schließlich die westlichen Gesell-

250 Zu den Auswirkungen des Sechstagekrieges auf die Beziehungen zwischen den arabischen Staaten und Israel in den UN siehe Zach, Levey: Israel’s Exit from Africa, 1973. Road to Diplomatic Isolation, in: British Journal of Middle Eastern Studies 35/2 (2008), S. 205–226. 251 ORUN: A / P V.1525–A / P V.1559, Records der 5. Notfallsondersitzung der Generalversammlung vom 17.–18.06.1967; ebd., A/6798, Liste der Resolutionen der 5. Notfallsitzung der Generalversammlung. 252 Jensen: International, S. 138–174. 253 Yearbook of the United Nations (im Folgenden abgekürzt YUN): 1967, S. 534.

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schaften.254 Zur gleichen Zeit vollzog sich aber auch ein Wandel innerhalb der ›Dritten Welt‹, was vor allem auf der ersten Internationalen Menschenrechtskonferenz in Teheran im April und Mai 1968 deutlich wurde. Jamaika hatte anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der AEMR bereits 1962 ein internationales Jahr der Menschenrechte für 1968 beantragt und die Konferenz im Iran sollte den Höhepunkt bilden. Allerdings wurde sie zu einem negativen Symbol des Wandels der Menschenrechtsdebatten Ende der 1960er-Jahre.255 Die drei Wochen dauernde Tagung wurde unter der Schirmherrschaft des autoritär herrschenden Shah Mohammed Reza Pahlavi ausgerichtet. Dieser nutzte die Konferenz, um sich selbst zu inszenieren und sein brutales politisches System zu rechtfertigen. Das Thema Menschenrechtsschutz stand nicht auf der Agenda der Konferenz. Stattdessen konzentrierten sich die Debatten ausschließlich auf die Verurteilung von Kolonialismus, Apartheid und der Besatzungspolitik Israels sowie der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Staaten der ›Dritten Welt‹. Vor allem bei letzterer zeigte sich in Teheran damit eine neue Strömung innerhalb des internationalen Menschenrechtsdiskurses, die einen stärkeren Fokus auf die jeweilige nationale wirtschaftliche und soziale Entwicklung forderte und individuelle Freiheitsrechte bewusst abwertete. Dabei bedienten sich einige afroasiatische Staaten zunehmend kulturrelativistischer Argumente, um die Missachtung politischer und bürgerlicher Rechte in ihren eigenen Hoheitsgebieten zu rechtfertigen. In Teheran profilierten sich die Staaten als Wortführer der internationalen Menschenrechtsdebatte, die selbst die Menschenrechte massiv missachteten. Vor allem für die Vertreter von NGOs wurde die Konferenz damit zu einem Symbol für das Versagen der Vereinten Nationen bei der Durchsetzung der Menschenrechte und in ihrer eigenen Darstellung zum Startschuss für das starke zivilgesellschaftliche Engagement für Menschenrechte in den 1970er-Jahren. Darüber hinaus war Teheran vor allem ein Indikator für die sich wandelnde Beziehung der dekolonisierten Staaten in ihrem Verhältnis zum ›Westen‹.256 Die Spannungen zwischen den armen ›Entwicklungsländern‹ und reichen ›Industrienationen‹ nahmen zu und veränderten die Debatten über Wirtschafts- und Entwicklungspolitik sowie über die Menschenrechte in den UN.257 Vor allem aber beeinflussten sie die Verhandlungen über den Hochkommissar für Menschenrechte. Im selben Jahr wechselte die politische und diplomatische Führungsspitze in Washington. US -Botschafter Goldberg trat 1968 aus Frustration über seine 254 Für einen Überblick zur transnationalen Wirkung der 68er-Proteste siehe Philipp Gassert / Martin Klimke (Hg.): 1968. On the Edge of World Revolution, Montreal / New York 2018; Jian Chen / Martin Klimke / Masha Kirasirova / Mary Nolan / Marilyn Young / Joanna Waley-Cohen (Hg.): The Routledge Handbook of the Global Sixties. Between Protest and Nation-Building, London / New York 2018. 255 Vgl. Jensen: International, S. 174–208. 256 Jensen: International, S. 174–209; Burke, Decolonization, S. 92–102. 257 Dinkel: Bewegung, S. 99–148.

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gescheiterte Menschenrechtspolitik in den UN zurück.258 1969 wurde Richard M. Nixon als neuer US -Präsident vereidigt. Neuer UN-Botschafter wurde der Karrierediplomat Charles W. Yost und in der UN-Menschenrechtskommission wurden die USA fortan von Rita E. Hauser vertreten.259 Hauser engagierte sich in den folgenden Jahren verstärkt für jüdische Menschen in der Sowjetunion, die in die USA emigrieren wollten (›Refuseniks‹), was sich negativ auf die Beziehungen zur Sowjetunion und den arabischen Staaten in den UN auswirkte.260 Trotz des Personalwechsels blieb das US -Interesse an der Einführung des Hochkommissars groß, allerdings hatte sich das politische Klima gewandelt. Staaten wie Senegal hatten ihre Unterstützung bereits zurückgezogen und weitere Staaten folgten. Andere ehemalige Fürsprecher aus Afrika, Asien und auch Europa brachten ihr Desinteresse 1969 durch Enthaltung zum Ausdruck, was im State Department aber als Unentschlossenheit gedeutet wurde.261 Es kamen auch neue Staaten unterstützend hinzu, wie Afghanistan, Nicaragua, Uruguay und Sierra Leone. Auch Frankreich kehrte 1969 ins Lager der Befürworter zurück.262 Die Debatte 1969 war von der Auseinandersetzung mit Detailfragen geprägt, aber auch von grundsätzlicher Kritik an der Idee eines Hochkommissars sowie direkten politischen Angriffen auf die USA und andere westliche Staaten. Den Gegnern aus sozialistischen, arabischen und einigen afroasiatischen Staaten gelang es dadurch, die Abstimmung über den Antrag immer weiter hinauszuzögern, sodass diese erneut verschoben werden musste. Allerdings erreichten die USA und Großbritannien, die nun offen als Co-Sponsoren auftraten, mit 73 zu 23 Stimmen und 22 Enthaltungen, dass der Hochkommissar 1970 als Priorität behandelt werden musste.263 Dadurch hofften die USA , 1970 endlich einen erfolgreichen Abschluss zu erzielen. Die Zahl der Unterstützer war 1969 leicht gestiegen und zugleich hatte das Lager der Gegner etwas an Rückhalt verloren. Die neue US -Delegation in New York war deswegen zuversichtlich, dass ein

258 Eric Pace: Arthur J. Goldberg Dies at 81. Ex-Justice and Envoy to U.N, in: New York Times, 20.01.1990. 259 Richard D. Lyons: Charles Woodruff Yost, 73, Dies. Was Chief U. S. Delegate to U. N., in: New York Times, 23.05.1981. 260 Vgl. Ruth Gursky: Rita Eleanor Hauser, in: Jewish Women’s Archive, online: http://jwa. org/encyclopedia/article/hauser-rita-eleanor (30.04.2021); sowie Nancy Waring: Gus and Rita Hauser’s Lifetime Legal Merger, in: Harvard Law Bulletin (Summer 1995), S. 3–7. 261 NARA : RG  59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3103, SOC 14-9 1/67, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 10.10.1967; und ebd., Box 3104, SOC 14-4 1/1/69, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 16.12.1969. 262 Vgl. YUN: 1969, S. 545; mit ORUN: A / C .3/SR .1727 und 1730, Summary Records des 1727. und 1730. Meetings des Dritten Komitees der 24. Generalversammlung des Jahres 1969. 263 Ebd.

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Hochkommissar für Menschenrechte zum 25. Jubiläum der Vereinten Nationen angenommen werden würde.264 Dazu entwickelte die US -Botschaft in New York bereits im August 1970 eine Strategie. Auf Grundlage der vorangegangenen Abstimmungen in den UN sondierten die Diplomaten die Gegner und Befürworter und konzentrierten sich vor allem auf die Staaten, die sich bisher enthalten hatten. Mögliche »SwingStates« in Afrika und Asien wurden aufgelistet, welche die Botschaft in den folgenden Wochen gezielt umwarb. Zudem begann man intensiv nach möglichen Kandidaten für das Amt des Hochkommissars zu suchen. Im Fokus standen vor allem Personen aus Südamerika, aber auch einige Westeuropäer und ein Schweizer.265 Die Befürworter des Hochkommissars waren entschlossen und machten sich zugleich auf heftigen Widerstand gefasst: »All felt a majority now supports creation of the post but that opposition will be vigorous to delay or drastically amend current proposal.«266 Trotz des großen Engagements seitens der USA , Costa Ricas und anderer Staaten gewannen die Gegner eines Hochkommissars schnell die Oberhand im Dritten Komitee. Als während der ersten Sitzungswoche über die Agenda abgestimmt werden sollte, kam es zu heftigen Wortgefechten zwischen beiden Seiten. Während die Befürworter auf die volle Agenda der Menschenrechtsgremien verwiesen und eine Reform dieser durch einen Hochkommissar forderten, drehten die Gegner das gleiche Argument einfach um. Ein Hochkommissar sei überflüssig, da es mittlerweile genügend Verfahren zum Schutz der Menschenrechte gebe.267 Tatsächlich gab es mittlerweile mit den ECOSOC -Resolutionen 1235 von 1967 und 1503 von 1970 sowie der ICERD (TBM) drei Verfahren, mit denen Menschenrechtsverletzungen untersucht werden konnten. Allerdings unterlagen diese entweder der Kontrolle der Menschenrechtskommission oder der jeweiligen Vertragsmitglieder, die dafür sorgte, dass sich die Verfahren ausschließlich gegen Südafrika, Portugal und Israel richteten. Hinzu kam, dass das Lager der Gegner, entgegen der US -Prognosen, deutlich stärker geworden war, und die rumänische Vorsitzende des Dritten Komitees Maria Groza sorgte dafür, dass diese eng zusammenarbeiteten.268 Der saudische Delegierte Jamil Baroody eröffnete und beschloss die erste Sitzung mit einer zweieinhalbstündigen Tirade, in der er den Hochkommissar für Menschenrechte als Instrument einer jüdischen Weltverschwörung darstellte. Die Atmosphäre war angespannt und wurde von lauten Zwischenrufen der Befürworter 264 NARA : RG  59, Central Foreign Policy Files 1967–1969, Box 3104, SOC 14-4 1/1/69, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 16.12.1969. 265 NARA : RG  59, Central Foreign Policy Files 1970–1973, Box 3040, SOC 14 5/1/70, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 20.08.1970. 266 Ebd., Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 02.09.1970. 267 Vgl. YUN: 1970, S. 566. 268 NARA : RG  59, Central Foreign Policy Files 1970–1973, Box 3014, SOC 3 1/1/70, Airgram der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 22.12.1970.

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eines Hochkommissars weiter aufgeheizt. Dabei kam es fast zu Handgreiflichkeiten zwischen dem französischen Botschaftsrat Jean-Dominique Paolini und Baroody, sodass die Debatte unter Aufsicht des UN-Sicherheitsdienstes weitergeführt werden musste.269 Für die verbleibenden vier Sitzungen meldete Groza 40 Delegationen an, überwiegend Gegner des Hochkommissars.270 Am letzten Sitzungstag versuchten die Kanadier schließlich das Schauspiel zu beenden, indem sie einen Eilantrag stellten, die Abstimmung vorzuziehen. Dies wurde jedoch von dem Delegierten aus Ceylon verhindert, der stattdessen eine Verschiebung der Debatte mit 54 zu 38 Stimmen und 11 Enthaltungen durchsetzte.271 Das war für das State Department ein herber Rückschlag. Die Ursache für diese Niederlage sah man in der Verzögerungstaktik der sozialistischen Staaten sowie darin, dass mittlerweile immer mehr bündnisfreie Staaten gegen die Idee eines Hochkommissars waren.272 Enttäuscht über diese Niederlage hielten sich die USA im folgenden Jahr zurück. Die westeuropäischen Staaten übernahmen nun die Initiative.273 Im Juli 1971 berief die niederländische UN-Botschaft mehrere informelle Treffen ein, um die bisherige Entwicklung zu besprechen und das weitere Vorgehen zu planen. An dem Treffen nahmen Delegierte aus Afghanistan, Australien, Belgien, Costa Rica, Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, dem Iran, Irland, Italien, Japan, Kanada, Norwegen, Österreich, den Philippinen, Schweden, den USA und Uruguay teil. Allein die Zusammensetzung dieser Gruppe verdeutlicht, dass der Kreis der Unterstützer kleiner und ›westlicher‹ geworden war. Aus Südamerika waren nur noch Costa Rica und Uruguay vertreten. Die Philippinen und Japan waren die einzigen asiatischen Staaten und Afghanistan und der Iran die einzigen muslimischen Länder. Aus Afrika war kein Staat vertreten. Das Gros der Gruppe bildeten nun die westeuropäischen Staaten, die auch bei den Verhandlungen innerhalb der Gruppe immer stärker in den Vordergrund drängten und zugleich sehr unterschiedliche Vorstellungen präsentierten. Diese wichen deutlich von den ursprünglichen Ideen der USA ab und gestatteten es, die Autonomie und Befugnisse des Hochkommissars weiter einzuschränken. Dadurch wurde es für das State Department immer schwieriger, auf dem eigenen Standpunkt zu beharren und die eigenen Interessen innerhalb der Gruppe durchzusetzen.274

269 PA AA : B30, Band 675, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 03.12.1970. 270 Ebd. 271 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 08.12.1970. 272 NARA : RG  59, Central Foreign Policy Files 1970–1973, Box 3014, SOC 3 1/1/70, Airgram der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 21.12.1970. 273 Ebd. 274 Ebd., SOC 14 6/1/71, Airgram der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 09.07.1971.

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Auch Vertreter Indiens und einiger arabischer Staaten wurden zum Treffen eingeladen und sollten darlegen, warum sie gegen einen Hochkommissar waren. Während die Argumente des indischen Vertreters stark vom Konflikt in OstPakistan geprägt waren und somit eher innenpolitische Gründe als Ursache hatte, lieferten die Aussagen des arabischen Vertreters deutliche Hinweise auf die grundlegenden Probleme, warum immer mehr Länder gegen einen Hochkommissar für Menschenrechte waren: Moussa was quite extreme in his views in opposition to the HC maintaining that it was proposed only to provide a remedy for ›certain minority groups in certain countries‹. He said that gross violations, such as apartheid and the situation in Israel-occupied territories, were dealt with by various UN bodies […]. He personally saw no need for a UNHCHR since this would be merely a political tool to serve the interests of a few governments.275

Diese Aussage des ägyptischen Diplomaten Moussa brachte nicht nur seine antisemitische Anschauung zum Ausdruck, sondern zeigte, dass der Hochkommissar zunehmend als ›westliches‹ Projekt wahrgenommen wurde, als ein Instrument, um die Deutungshoheit auf dem Gebiet der Menschenrechte zurückzugewinnen, was im Fall der USA auch nicht ganz unbegründet war. Im Zuge des sich zu dieser Zeit zuspitzenden Nord-Süd-Konflikts wurde der Hochkommissar somit nun als Bedrohung gesehen. Zum einen fürchteten die Bündnisfreien Staaten, ihren Einfluss auf die Deutung von Menschenrechtsverletzungen zu verlieren. Zum anderen waren sie besorgt, selbst in den Fokus eines Hochkommissars zu geraten, denn in den meisten Ländern in Afrika, Asien und Südamerika herrschten mittlerweile Diktatoren, die selbst zahlreicher Menschenrechtsverletzungen beschuldigt wurden. Ein System zum Schutz der Menschenrechte, das sich nicht ausschließlich auf die Apartheid in Südafrika, Rhodesien, Portugal oder die von Israel besetzten Gebiete konzentrierte, lehnten sie deshalb mittlerweile ab.276 Auf der Sitzung des Dritten Komitees der Generalversammlung des Jahres 1971 wurde das Thema erneut für zwei Jahre verschoben.277 Erst 1973 sollte sich das Dritte Komitee wieder mit dem Hochkommissar für Menschenrechte befassen. Die Fronten zwischen Ost und West sowie Nord und Süd waren inzwischen verhärtet. Die Debatte war höchst spannungsgeladen und den wenigen west­lichen Befürwortern stand eine starke und geschlossene Front aus afrikanischen, asiatischen, arabischen und sozialistischen Staaten gegenüber. Diese lehnten die Idee eines Hochkommissars entweder grundlegend ab oder wollten dessen Befugnisse nach eigenen Vorstellungen umgestalten. Die Argumente hatten sich dabei kaum verändert. Während die sozialistischen Staaten darauf

275 Ebd. 276 Burke: Decolonization, S. 134–141. 277 YUN: 1971, S. 436.

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beharrten, dass ein Hochkommissar überflüssig sei und seine Tätigkeit gegen Artikel 2.7 der UN-Charta verstoße, argumentierten viele bündnisfreie Staaten wie Saudi-Arabien kulturrelativistisch: As for the states of western Europe, including the Netherlands, which favored the creation of  a post of United Nations High Commissioner for Human Rights, they already had a regional body, namely the Council of Europe, and instead of concerning themselves with [sic!] might be happening in Asia, Africa or Latin America, they would do better to devote themselves to problems of their own region […]. The Arab countries, for example, which could avail themselves of the good offices of the Council of Arab League, could never allow themselves to be lectured to by anyone who was not familiar with Islamic law; those countries had their own traditions, customs and ideology and their own economic and social system.278

Neben ihrer Argumentation hatten die Gegner auch ihre Strategie angepasst und versuchten nun, durch das Einbringen von Amendements Zeit zu gewinnen und zugleich das Konzept des Hochkommissars immer mehr zu verwässern. Zur Abstimmung über den Antrag kam es auch 1973 nicht, stattdessen wurde die Entscheidung auf das Jahr 1975 verschoben. Unter dem Titel: »Alternative approaches and ways and means within the United Nations system for improving the effective enjoyment of human rights and fundamental freedoms« sollte das Thema weiterverhandelt werden.279 Von einem Hochkommissar für Menschenrechte war dabei nicht mehr die Rede. Die USA hatten inzwischen die Hoffnung aufgegeben und wollten den stark veränderten Antrag nicht mehr unterstützen und enthielten sich deshalb erstmals der Abstimmung. Aus ihrer Sicht war die Einführung des Hochkommissars 1973 gescheitert.280 Die Debatte über den Hochkommissar für Menschenrechte legte nicht nur die machtpolitischen Dimensionen des UN -Menschenrechtsschutzes offen, sondern verdeutlichte auch die Wirkung der Konkurrenz in den UN. Die USA wollten mit einem Hochkommissar die Deutungshoheit über den Menschenrechtsschutz zurückgewinnen und diesen gegen die Sowjetunion ausspielen. Dazu benötigten sie jedoch die Unterstützung der dekolonisierten Staaten. Um deren Gunst zu gewinnen unterzeichneten sie Mitte der 1960er-Jahre die ICERD und unterstützten damit die Einrichtung des CBM , dem sie eigentlich kritisch gegenüberstanden. Die Konkurrenz zwischen Ost und West war somit ein wichtiger Impulsgeber für die USA , sich für einen Hochkommissar einzusetzen und prägte zugleich die Debatten darüber. Erst als Ende der 1960er-Jahre die politi-

278 ORUN: A / C .3/SR .2047, Summary Records des 2047. Meetings des Dritten Komitees der 28. Generalversammlung vom 03.12.1973, S. 416, § 74 (Jamil M. Baroody). 279 Vgl. Ebd., Resolution 3136 (XXVIIl), Resolution der Generalversammlung vom 14.12.1973, Absatz 2. 280 NARA-AAD : 1973USUNN05424, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 06.12.1973.

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sche Stimmung kippte, und eine Mehrheit der Bündnisfreien Staaten nun gegen den universellen Schutz der Menschenrechte war, zogen sich die USA zurück. Zugleich machten die Westeuropäer nun den Menschenrechtsschutz zu einem zentralen Element ihrer neuen ›europäischen Außenpolitik‹. Obwohl die Einführung des Hochkommissars 1973 vorerst scheiterte, sollte diese Idee die Entwicklung des UN-Menschenrechtsschutzes bis weit über das Ende des Kalten Krieges hinaus prägen.

2.3 Die guten Dienste des UN-Generalsekretärs Bis Ende der 1960er-Jahre wurden mit der ECOSOC -Resolution 1235, der ICERD und den Menschenrechtspakten die Grundlagen des UN -Menschenrechtsschutzes gelegt. Die Konkurrenz zwischen Ost und West lieferte dabei den entscheidenden Impuls. Allerdings verhinderte sie auch die effektive Anwendung der neuen Verfahren. Dabei gab es Ende des Jahrzehnts eine große Nachfrage nach Möglichkeiten, Menschen zu helfen, die Opfer staatlicher Willkür wurden. Um diese Nachfrage zu bedienen, setzte der UN-Generalsekretär seine guten Dienste ein. Als gute Dienste (›good offices‹) bezeichnet man die Mediation in einem Konflikt durch eine dritte Partei. Im Fall der UN-Generalsekretäre bedeutete das: »the informal contacts and friendly suggestions made as far as circumstances allow by the Secretary-General, which are designed to facilitate the settlement of a dispute between two or several of the Organization’s Member States.«281 Das Prinzip der ›good offices‹ hat eine lange Tradition in der internationalen Diplomatie.282 Kodifiziert wurden sie aber erstmals in der Haager Konventionen von 1899 und 1907. Diese besagt, dass die Mediation einer dritten Instanz in einem Konflikt nicht als Einmischung in die inneren Angelegenheiten gewertet wird. Die guten Dienste wurden damit zu einem legitimen Instrument zur Beilegung eines internationalen Disputs.283 Internationale Organisationen bedienten sich dieses Prinzips seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Das 1863 gegründete Internationale Komitee des Roten Kreuzes, der 1919 gegründete Völkerbund sowie die im gleichen Jahr entstandene International Labor Organisation (ILO) setzten ihre guten Dienste ein, um bei Konflikten zwischen Mitgliedern oder außenstehenden Parteien zu vermitteln. Auch die Vereinten Nationen und die UNESCO wandten dieses Prinzip an.284

281 Vratislav Pechota: The Quiet Approach. A Study of the Good Offices Exercised by the Secretary-General in the Cause of Peace, New York 1972, supra note 8.  282 Michael Ernst Dreher: Die Institution der Guten Dienste im Völkerrecht. Ein Beitrag zur friedlichen Konfliktbeilegung, Dissertation Universität Zürich 1980. 283 Ebd. 284 Ramcharan: Humanitarian, S. 35–51.

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Obwohl die rechtliche Legitimation dieser Form der ›stillen Diplomatie‹285 in der UN-Charta recht vage ist, etablierten die Generalsekretäre diese seit 1945 sukzessive im Völkergewohnheitsrecht.286 Der erste UN-Generalsekretär Trygve Lie (1946–1952) setzte seine guten Dienste auf unterschiedlichen Ebenen ein. Lie vermittelte bei militärischen und nichtmilitärischen Auseinandersetzungen zwischen UN-Mitgliedstaaten, aber auch in individuellen Fällen von Menschen, die in Not gerieten und Opfer politischer Konflikte wurden. In seinen Memoiren beschrieb er zum Beispiel, wie er sich bei Gesprächen mit dem jugoslawischen Ministerpräsidenten Josip Broz Tito und dem sowjetischen Machthaber Josef Stalin für das Schicksal von griechischen Kindern einsetzte, die im Zuge des griechischen Bürgerkrieges zwischen 1946–1949 nach Jugoslawien verschleppt worden waren. Die Kinder wurden als Druckmittel und Verhandlungsmasse im aufkommenden Kalten Krieg eingesetzt und Lie bemühte sich in geheimen Verhandlungen um deren Freilassung.287 Unter dem zweiten UN -Generalsekretär Dag Hammarskjöld (1952–1961) nahm diese Praxis jedoch ab.288 Für den Schweden bestand die Hauptaufgabe der Organisation darin, den Frieden zu bewahren, in militärischen Konflikten zu vermitteln und nicht den Schutz individueller Grundrechte zu sichern: »The greatest need today is to blunt the edges of conflict among nations, not to sharpen them.«289 Hammarskjöld war sich des Spannungsverhältnisses zwischen dem Ziel, den internationalen Frieden zu sichern und individuelle Grundrechte durchzusetzen, bewusst und zog daraus seine eigenen Schlüsse: We know that the question of peace and the question of human rights are closely related. Without recognition of human rights as we shall never have peace, and it is only within the framework of peace that human rights can be fully developed. In fact, the work for peace is basically a work for the most elementary of human rights: the right of everyone to security and to freedom from fear. We therefore, recognize it as one of the first duties of a government to take measures in order to safeguard for its citizens this very right. But we also recognize it as an obligation for the emerging world community to assist governments in safeguarding this elementary human right without having to lock themselves in behind the wall of arms.290 285 Als ›stille Diplomatie‹ bezeichnet man Verhandlungen, die absichtlich nicht in der Öffentlichkeit geführt werden und in der Regel geheim bleiben. Zur Bedeutung des Begriffs siehe Pechota: Quite. 286 Theo van Boven: The Role of the United Nations Secretariat, in: Philip Alston (Hg.): The United Nations and Human Rights. A Critical Appraisal, Oxford 1992, S. 549–580. 287 Trygve Lie: In the Cause of Peace. Seven Years with the United Nations, New York 1954, S. 243. 288 Vgl. Bertrand G. Ramcharan, The Good Offices of the United Nations Secretary-General in the Field of Human Rights, in: The American Journal of International Law 76/1 (1982), S. 130–141, S. 137; Ders. Humanitarian, S. 22–27; Manuel Fröhlich: Dag Hammarskjöld und die Vereinten Nationen. Die politische Ethik des UN -Generalsekretärs, Paderborn 2002, S. 50–52. 289 Zitiert nach Ramcharan: Humanitarian, S. 25. 290 Zitiert nach ebd., S. 27.

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Damit folgte er der Argumentation der Großmächte zu dieser Zeit, wonach der Schutz der Menschenrechte den Frieden und die Stabilität der internationalen Beziehungen gefährdete. Dennoch verzichtete auch Hammarskjöld nicht vollständig auf den Einsatz seiner guten Dienste, um einzelnen Menschen zu helfen. Allerdings tat er dies nicht auf eigene Initiative, sondern nur, wenn er offiziell von den Mitgliedern dazu aufgefordert wurde. So baute er im Jahr 1955 auf Bitten der Generalversammlung diplomatische Kontakte zur Volksrepublik China auf, die zu diesem Zeitpunkt noch kein UN-Mitglied war, um sich für die Freilassung von 15 US -Piloten einzusetzen, die im Koreakrieg abgeschossen worden waren.291 Nach dem unerwarteten Tod Hammarskjölds 1961 musste kurzfristig ein neuer Generalsekretär gewählt werden. Da sich Ost und West nicht auf einen Kandidaten einigen konnten, akzeptierten beide Seiten schließlich den Kandidaten der Bündnisfreien Staaten, den burmesischen Politiker Sithu U Thant (1961–1971). Damit wurde erstmals ein Vertreter eines postkolonialen Staates zum obersten Beamten der Weltorganisation ernannt.292 U Thant setzte zunächst die Praxis seines Vorgängers fort und wandte seine guten Dienste nur auf Bitten der Mitglieder an. So forderten Ende April des Jahres 1967 Polen und die Tschechoslowakei den Generalsekretär in einer Presseerklärung auf, seine guten Dienste für die Freilassung inhaftierter Gewerkschaftler und Politiker in Griechenland einzusetzen, die nach dem Militärputsch 1967 verhaftet worden waren.293 U Thant traf sich daraufhin mit dem griechischen UN-Botschafter, übermittelte diesem die Bedenken der anderen Mitgliedstaaten und äußerte seine Sorge über das Schicksal der inhaftierten Personen. Dabei betonte U Thant, dass es sich um ein rein humanitäres Anliegen handelte.294 Kurzdarauf verkündete der griechische UN-Botschafter, dass alle Häftlinge in guter physischer Verfassung seien und schon bald auf ein Gerichtsverfahren hoffen könnten.295 Für die inhaftierten Menschen brachte diese Aktion des Generalsekretärs keine Verbesserung, für die Auftraggeber hatte sie dennoch ihren Zweck erfüllt. Diese hatten ihre Anfrage in erster Linie öffentlich formuliert, um auf die Menschenrechtsverletzungen in Griechenland aufmerksam zu machen. Diese Art öffentlicher Anfragen war selten von Erfolg gekrönt und diente mehr der Selbstdarstellung des Bittstellers als dem Wohl der Opfer. In diesen Fällen wurden politische Konflikte auf dem Rücken der Opfer von Menschenrechtsverletzungen ausgetragen und es wurde versucht, aus deren Leid politisches Kapital zu schlagen. Wollten die Staaten wirklich etwas erreichen und Menschen helfen, wandten sie sich in der Regel vertraulich an den Generalsekretär. Entweder trafen sie 291 ORUN: A/2911, Jahresbericht über die Arbeit des Sekretariats 1955, S. XIIf. 292 Manuel Fröhlich: Die UNO Generalsekretäre, in: APuZ 22 (2005), S. 18–24. 293 ORUN: SG  / S M /699, UN Press Release vom 29.04.1967. 294 Ebd., SG  / S M /700, UN Press Release vom 01.05.1967. 295 Ebd., SG  / S M /705, UN Press Release vom 03.05.1967.

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sich persönlich mit Mitarbeitern des UN-Sekretariats oder sie schrieben an die Zentrale in New York. Für Privatpersonen war dies hingegen nicht möglich. Von den Zehntausenden Individualbeschwerden, die jedes Jahr bei den UN eingingen, landeten nur wenige auf dem Schreibtisch U Thants. Nur Briefe von NGOs, Politikern oder prominenten Persönlichkeiten wurden dem Generalsekretär vorgelegt.296 Die meisten Individualbeschwerden landeten hingegen bei der UN-Menschenrechtsdivision, wo sie bis 1967 lediglich zur Kenntnis genommen und ad acta gelegt wurden. Zwar gab es nun mit der Resolution 1235 ein Verfahren, das den Umgang mit diesen Dokumenten regelte, doch half dies, wie gezeigt wurde, den Betroffenen bisher wenig. Wie schwierig es für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen war, sich an die UN zu wenden und welche Probleme das für diese Menschen und das Sekretariat mit sich brachte, zeigt folgendes Beispiel: Anfang 1969 gerieten die UN in die Kritik, weil das UN -Informationszentrum in Moskau angeblich die Annahme einer Petition von sowjetischen Dissidenten verweigert hatte. Zugleich seien mehrere Personen anschließend verhaftet worden. Den UN wurde daraufhin in US -Medien vorgeworfen, die Annahme von Individualbeschwerden absichtlich zu behindern.297 Ein UNSprecher wies diese Anschuldigung zurück und erklärte, dass alle UN-Informationszentren befugt seien, Individualbeschwerden anzunehmen und nach New York weiterzuleiten. Zugleich wurde berichtet, dass in dem Zentrum in Moskau ausschließlich sowjetische Staatsbürger arbeiteten und damit wurde suggeriert, dass diese insgeheim für die sowjetische Regierung tätig waren.298 Kurz darauf telegrafierte der Leiter des UN-Informationszentrums in Moskau dem Generalsekretär, dass bei ihnen keine Petition eingegangen sei. Zudem hätten ihm Regierungsquellen gesagt, dass es sich bei der Petition, die inzwischen von westlichen Zeitungen veröffentlicht wurde, um: »nothing but anti-Soviet slanderous onslaught« handeln würde, welche »in fact […] aimed at interference into internal affairs […].«299 Darüber hinaus drohte er: »No United Nations bodies including its information centres are entitled to interfere into internal affairs of United Nations members states and more so they must keep aloof from any provocative onslaughts undertaken against this or that United Nations member states.«300 296 Im UN -Archiv in New York finden sich ausschließlich Briefe von Politikern, Vertretern von NGOs oder prominenten Persönlichkeiten, vgl. UNARM : SG U Thant, S-0881-0702; sowie ebd., S-0861-02-01. 297 Bernard Gwertzman: Soviet Dissidents in Protest to UN , in: New York Times, 23.05.1969; Jhabvala S. Darius: 41 Russians Condemn Own Nation, in: Boston Globe, 12.06.1969; Henry Kamm: Soviet Said to [sic!] Signers of Human-Rights Plea to UN , in: New York Times, 19.06.1969. 298 Kathleen Teltsch: UN to Study Charge Soviet Aides Balked Petition, in: New York Times, 20.06.1969. 299 UNARM : SG U Thant, S-0855-8-9, Telegramm von Chetchetkin, UN -Moskau an UN New York vom 24.06.1969 (Eingangsstempel). 300 Ebd.

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U Thant befand sich nun in einem Dilemma. Auf der einen Seite hatte er verkünden lassen, dass die Informationszentren befugt seien, Individualbeschwerden anzunehmen. Auf der anderen Seite weigerten sich die UN-Mitarbeiter vor Ort, dem nachzukommen. Zudem drohte der Leiter des Zentrums U Thant. Dieser musste befürchten, dass das Zentrum in Moskau geschlossen wurde. In den Informationszentren hatten Bürger Zugang zu UN-Dokumenten wie der AEMR oder den Menschenrechtspakten. In Moskau, Bukarest und Prag befanden sich die einzigen UN-Informationszentren in Osteuropa.301 Da diese keine exterritorialen Liegenschaften waren, sondern nur auf Grundlage der Kooperation und Duldung durch den Gaststaat arbeiteten, konnte die Sowjetunion das Informationszentrum jederzeit schließen lassen. In diesem Fall hätten die Vereinten Nationen die Möglichkeit verloren, Informationen über ihre Arbeit in der Sowjetunion zu verbreiten. U Thant musste entscheiden, entweder seine Mitarbeiter in Moskau aufzufordern, zukünftig Individualbeschwerden anzunehmen und weiterzuleiten und damit eine Schließung des Zentrums zu riskieren oder seine Aussage diesbezüglich zu revidieren. Als im Oktober 1969 erneut berichtet wurde, dass eine Gruppe Dissidenten vergeblich versucht hätte, eine Petition im UN-Informationszentrum in Moskau abzugeben, entschied U Thant, dass die Informationszentren in Zukunft keine Individualbeschwerden mehr annehmen durften.302 Bei einer Pressekonferenz äußerte er sich anschließend persönlich zu dieser Entscheidung. Dabei betonte er erstens, dass es bis dato noch keine Regelung gegeben hätte, wie die Zentren mit Individualbeschwerden umgehen sollten. Zweitens  – und an dieser Stelle verriet U Thant, dass Anfang 1969 wohl doch eine Petition im Informationszentrum in Moskau eingegangen sein musste  – hätten bisher die Direktoren selbst entschieden, ob sie diese Dokumente weiterleiteten oder nicht und bisher seien nur zehn Dokumente auf diesem Weg in New York angekommen, wobei der Fall im Mai 1969 in Moskau zugleich der erste gewesen wäre. Der Direktor des Zentrums in Moskau hätte sich daraufhin mit der Bitte um Instruktion an den Generalsekretär gewandt.303 In den Quellen finden sich keine Hinweise, die diese Aussage stützen, im Gegenteil, in dem Telegramm des Leiters des Zentrums an U Thant bestritt dieser, dass er Unterlagen erhalten habe. Das U Thant auf der Pressekonferenz das Gegenteil behauptete, lässt vermuten, dass er sich vor seine Mitarbeiter in Moskau stellen wollte und die Verantwortung dafür übernahm, dass die Petition nicht in New York angekommen war, um den Konflikt mit der Sowjetunion zu entschärfen. Dazu bemerkte er:

301 Siehe YUN: 1969, S. 1043 ff. 302 Art. Soviet Dissenters in 2nd appeal to UN , in: New York Times, 30.09.1969; Robert H. Estabrook: UN Official Backs Rejection of Protest Note by Soviet Aide, in: Washington Post, 04.10.1969. 303 Vgl. UNARM : SG U Thant, S-0855-08-08, UN Press Service, Brief an Agha Abdul Hamid vom 28.10.1969; mit ORUN: SG  / S M /1200, UN Press Release vom 22.12.1969, S. 5–7.

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We considered this question very closely. We asked ourselves: If United Nations Headquarters were to instruct all Information Centres, which number about 50, to accept and transmit to Headquarters all complaints regarding breaches of human rights in the host countries, what would be the result? The result would be that it would generate a tremendous protest from all host Governments – not one, but all – I cannot think of any Member State which would permit any of its citizens to use the United Nations Information Centres as a channel of complaints against the Government. Let us suppose that an Individual or a group of Individuals wanted to criticize a member of the Government for corruption or debauchery or whatever, and then attempted to transmit a piece of paper to Headquarters – since he had no other channels of communication. Then, if Headquarters were to issue instructions to Information Centres to accept for transmission all such communications, I am sure the host Governments would ask the United Nations to close down all Information Centres. That would be the result.304

Darüber hinaus ließ U Thant verlautbaren, dass das Hauptquartier mit Beschwerden überschüttet werden würde, wodurch die Arbeit in New York zum Erliegen käme. Abschließend betonte er aber: »I am all for it. I want everybody, every individual, all groups of individuals or organizations to bring to the attention of the relevant organs of the United Nations cases of breaches of human rights.«305 Nur seien die Informationszentren nicht auf die Übermittlung von Beschwerden eingerichtet. Diese sollten direkt an die Menschenrechtsdivision geschickt werden. Der Fall des Moskauer Informationszentrums verdeutlicht, dass der öffentliche Umgang mit Menschenrechtsverletzungen für das Sekretariat politisch heikel war. Auf der einen Seite sollte es Petitionen und Individualbeschwerden annehmen, damit diese im Rahmen der vorhandenen Verfahren behandelt werden konnten. Auf der anderen Seite setzte es sich damit der Kritik der betroffenen Staaten aus und wurde mit dem Vorwurf der Parteinahme konfrontiert, was schädlich für eine Organisation war, deren Kapital die neutrale Stellung in den internationalen Beziehungen war. Die öffentliche Behandlung des Falls in westlichen Zeitungen verstärkte diese Effekte und hatte sowohl für die Opfer als auch die UN negative Konsequenzen. Im Nachhinein wurde U Thant diese Episode immer wieder negativ ausgelegt und als Beleg dafür gesehen, dass die Menschenrechte für ihn erstens keine große Rolle gespielt hätten und dass er zweitens allzu leicht dem Druck der sozialistischen Staaten nachgegeben hätte.306 Vielmehr verdeutlicht diese Episode aber, wie problematisch der Umgang mit Menschenrechtsverletzungen Ende der 1960er-Jahre immer noch war. Sie zeigt, welchen Spagat das Sekretariat leisten musste, um den Forderungen der Mitgliedstaaten nachzukommen, ohne gleich-

304 ORUN: SG  / S M /1200, UN Press Release vom 22.12.1969, S. 5–7. 305 Ebd. 306 Siehe Burke: Decolonization, S. 96.

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zeitig die eigene Legitimität zu gefährden. U Thant musste selbst eine Lösung finden, um mit dem Widerspruch in der UN-Charta zwischen der universellen Geltung der Menschenrechte und dem Prinzip der Nichteinmischung umzugehen. Im Fall der Informationszentren entschied er sich zugunsten der staatlichen Souveränität und gegen die Umsetzung des Menschenrechtsschutzes, um die Informationszentren zu erhalten und die Legitimität seiner Organisation zu schützen. Als Generalsekretär musste U Thant zu allen Mitgliedern gute Beziehungen pflegen und sich neutral verhalten. Geheimhaltung wurde für ihn deshalb zu einem wichtigen Element seiner Menschenrechtsarbeit. Zugleich vermied er jeglichen Bezug auf die Menschenrechte, da diese politisch zu umstritten waren. Im Jahresbericht für 1969 brachte er seine Besorgnis über die Lage jüdischer Menschen in arabischen Ländern zum Ausdruck, wo es seit dem Sechstagekrieg immer wieder zu staatlich organisierten Übergriffen kam.307 Im Januar 1969 hatte U Thant vergeblich seine ›good offices‹ eingesetzt, um das Leben von elf irakischen Juden zu retten, die wegen angeblicher Spionage zum Tode verurteilt worden waren.308 In seinem Bericht bemerkte er, dass es sowohl für diese Menschen als auch die Länder, in denen sie lebten, besser wäre, wenn sie ausreisen dürften. Bemerkenswert an seinen Äußerungen waren vor allem die letzten beiden Sätze: I hope very much, therefore that it may soon be possible to find sensible ways of solving this largely humanitarian problem. The approach of the situation can be based only on humanitarian considerations and the lessening of tensions in the area, since these Jewish people, being citizens of the countries in which they live, are under the exclusive jurisdiction of the Governments of those countries.309

U Thant erwähnte weder ein spezielles Land noch die Menschenrechte. Stattdessen stützte er seine Argumentation auf »humanitäre Gründe«. Er vermied den direkten Bezug auf die Menschenrechte oder das ›Right to Leave‹, welches in Artikel 13 der AEMR von 1948 festgeschrieben war.310 Er erwähnte die Menschenrechte nicht, weil sie politisch zu brisant waren und er dem Vorwurf

307 Zum jüdischen Exodus im Nahen Osten von den 1940er- bis 1970er-Jahren siehe Malka Hillel Shulewitz (Hg.): The Forgotten Millions. The Modern Jewish Exodus from Arab Lands, London / New York 2000, S. XIII –XVII ; Zum Prozess im Irak von 1968, siehe Kanan Makiya: The Republic of Fear. The Politics of Modern Iraq, 5. Aufl., Berkeley 2003 (1998), S. 49 f. 308 Vgl. Rede des Generalsekretärs U Thant vor der Royal Commonwealth Society am 15.06.1970 in London, siehe U Thant: A Quiet United Nations Road to Accord, in: UN Monthly Chronicle 7/7 (1970). 309 ORUN: A/76001/Add.1, Einleitung zum Jahresbericht des Generalsekretärs zur Arbeit der Organisation für 1968/1969, S. 9 § 74. 310 Ebd., AEMR , Artikel 13.2 (»Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren«).

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entgehen musste, sich in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedstaates einzumischen. Mit der Bezugnahme auf die Menschenrechte wurde ein Rechtsanspruch formuliert, der den betroffenen Staat unter Zugzwang setzte. Auch wenn die AEMR unverbindlich war, wog der Vorwurf gegen diese zu verstoßen schwer und provozierte heftige Abwehrreaktionen. Ein Verweis auf »humanitarian considerations« wirkte hingegen als neutraler und unverbindlicher Platzhalter, mit dem er seine Forderung legitimieren konnte, ohne seine neutrale Stellung zu gefährden. Auch die Betonung, dass diese Menschen der Rechtsprechung ihrer jeweiligen Heimatländer unterlagen, sollte den Vorwurf entkräften, gegen Artikel 2.7 der UN-Charta zu verstoßen. Anders als für Akteure der Zivilgesellschaft waren die Menschenrechte für den Generalsekretär keine unpolitische Instanz, auf die er sich nach Belieben berufen konnte.311 Im Gegenteil, der Verweis auf die Menschenrechte war zu dieser Zeit politisch höchst kontrovers. Dass sich die guten Dienste des Generalsekretärs zu einem wichtigen Instrument zum Schutz der Menschenrechte entwickelten, lag vor allem an der politischen Entwicklung am Ende der 1960er-Jahre. Das Thema Menschenrechtsschutz wurde durch die Konkurrenz zwischen Ost und West politisch aufgeladen und obwohl es erste Verfahren gab, konnten diese noch nicht angewandt werden. Zugleich gab es immer wieder Situationen, in denen Staaten darauf angewiesen waren, dass sich jemand für die individuellen Rechte von Menschen einsetzte. So wandte sich die Sowjetunion 1968 wegen der Freilassung sowjetischer Staatsbürger aus einem ghanaischen Gefängnis an den Generalsekretär.312 Am häufigsten setzte U Thant seine guten Dienste zu dieser Zeit aber für jüdische Menschen in der Sowjetunion ein, die vergeblich versuchten, das Land zu verlassen, um nach Israel oder in die USA zu emigrieren. Die Frage der ›Refuseniks‹ wurde Ende der 1960er-Jahre zu einem wichtigen Thema in den Ost-West-Beziehungen und zum wichtigsten Einsatzgebiet der guten Dienste des UN-Generalsekretärs.313 Mitte 1969 wandte sich der israelische Botschafter Yosef Tekoah vertraulich an U Thant und überreichte diesem eine Petition von Menschen jüdischen Glaubens aus der Sowjetunion, die teilweise seit Jahren auf eine Ausreisegenehmigung nach Israel warteten. U Thant ging damit zum sowjetischen ­ N-Botschafter Yakov Malik mit der Bitte, seine guten Dienste einsetzen zu U dürfen, um diesen Menschen die Ausreise nach Israel zu ermöglichen. Malik reagierte irritiert und erklärte, dass es sich dabei um eine äußerst sensible Angelegenheit handele, welche der Generalsekretär besser wieder schnell vergessen 311 Zur Ansicht der Menschenrechte als ›unpolitische Instanz‹ in den internationalen Beziehungen der 1970er-Jahre siehe Jan Eckel: Humanitarisierung der internationalen Beziehungen? Menschenrechtspolitik in den 1970er Jahren, in: Geschichte und Gesellschaft 38/4 (2012), S. 603–635. 312 Rede des Generalsekretärs U Thant vor der Royal Commonwealth Society am 15.06.1970 in London, siehe U Thant: Quiet, S. 130. 313 Allgemein zur Problematik der ›Refuseniks‹ siehe Perez: People, S. 99–191.

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sollte. U Thant versicherte daraufhin: »that I was fully aware of the juridical aspects of this problem, and that it was an internal affair, but that I wanted to pursue the matter on a purely humanitarian basis.«314 Dieses Gespräch zeigt, wie behutsam U Thant vorging. Die humanitäre Begründung versetzte sein Gegenüber in eine vorteilhafte Position, da dieser nun die Möglichkeit hatte, seine Großzügigkeit unter Beweis stellen und so sein Gesicht wahren konnte. Trotzdem lehnte Malik jegliche Kooperation in dieser Angelegenheit ab. U Thant suchte daraufhin nach anderen Wegen, um einen vertraulichen Kontakt nach Moskau aufzubauen. Schließlich wandte er sich an seine beiden sowjetischen Untergeneralsekretäre Leonid N. Kutakov und Victor M. Lessiovski. Heimlich übermittelte er diesen die Namenslisten, welche er vom israelischen Botschafter erhalten hatte, damit sie diese an die sowjetische Führung weiterleiteten. Laut U Thants Angaben informierte er niemanden über diese Praxis, auch nicht den israelischen Botschafter Tekoah. Die beiden sowjetischen Untergeneralsekretäre schickten die Dokumente schließlich nach Moskau. Es dauerte allerdings, bis die sowjetische Regierung darauf reagierte.315 In der Zwischenzeit wandte sich der israelische Botschafter gegen Ende des Jahres 1969 an die Öffentlichkeit. Auf einer Pressekonferenz präsentierte er den Journalisten eine Petition von 18 jüdischen Familien aus Georgien. Diese berichteten von Diskriminierungen seitens sowjetischer Behörden und dass sie seit Jahren vergeblich auf eine Ausreisegenehmigung nach Israel warteten. Tekoah schickte die Unterlagen noch am gleichen Tag mit der Bitte an den Generalsekretär: »to use your good offices to alleviate the situation of Soviet Jewry and more particular to secure for the signatories of the documents and for their families.«316 Zugleich sollte die Petition als offizielles Dokument zum Thema »Question of Violation of Human Rights and Fundamental Freedoms […]« auf der Generalversammlung des Jahres 1969 behandelt werden.317 Die Reaktion der Sowjetunion ließ nicht lange auf sich warten. In einer öffentlichen Gegendarstellung warfen sie Israel »Gross Violations of the United Nations Charter« vor. Zudem hätten die Anschuldigungen nichts mit den Menschen­rechten zu tun. Die Frage der Ausreisegenehmigung sei eine innere Angelegenheit der Sowjetunion. Israel sowie die UN hätten kein Recht, sich darin einzumischen.318 Zudem griff der sowjetische Botschafter das UN-Sekretariat direkt an: 314 U Thant: View, S. 352. 315 Ebd. 316 UNARM : SG U Thant, S-0861-2-1, Brief von Tekoah an U Thant vom 10.01.1969; oder ORUN: A/7762, Brief des israelischen UN -Botschafters an den Generalsekretär, ver­ öffentlicht am 13.11.1969. 317 Ebd. 318 UNARM : SG U Thant, S-0861-2-1, Brief von Malik an U Thant vom 20.11.1969; oder ORUN: A/7787, Brief des sowjetischen UN -Botschafters an den Generalsekretär, veröffentlicht am 24.11.1969. UNARM : SG U Thant, S-0861-2-1, Brief von Malik an U Thant vom 20.11.1969

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Also noteworthy is the fact that some members of the United Nations Secretariat permitted the Israel representative to involve them in this provocative undertaking and afforded him the opportunity to exploit for unworthy purposes the machinery of an international Organization which is called upon to be a centre for harmonizing the actions of States for the purpose of maintaining international peace and security and developing friendly relations and international cooperation and not a place for carrying out hostile and slanderous acts against States Members of the United Nations. For officials of the United Nations Secretariat to have afforded assistance in this provocative act is wholly inadmissible. Such occurrences in the activity of the United Nations must inevitably undermine the prestige of the international Organization and damage it authority.319

U Thant reagierte auf diese Vorwürfe mit einer öffentlichen Gegendarstellung, in der er sein Handeln rechtfertigte und jegliche Schuld von sich wies.320 Die Debatte hätte an dieser Stelle beendet werden können, doch weder der israelische noch der sowjetische Botschafter wollten es dabei belassen und warfen sich anschließend in öffentlichen Stellungnahmen gegenseitig Menschenrechtsverletzungen vor. Dieses Schauspiel wiederholte sich noch mehrfach und das sowjetisch-israelische Geplänkel endete erst im Februar 1970.321 Die Debatte in der Generalversammlung 1969, in deren Rahmen die Dokumente eingereicht wurden, endete damit, dass Israel wegen Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten verurteilt wurde.322 Die Diskriminierung jüdischer Menschen in der Sowjetunion und deren ›Right to Leave‹ wurde hingegen nicht thematisiert. Stattdessen drehte sich die Diskussion ausschließlich um Südafrika und Israel und um das Recht der Palästinenser, in ihre Heimat zurückzukehren.323 Das verdeutlicht erneut, dass die öffentliche Auseinandersetzung mit Menschenrechtsverletzungen in den UN zu dieser Zeit den Opfern nicht half und der Organisation schadete. Auch für Israel ging die öffentliche Aktion nach hinten los und fortan wandte sich der israelische Botschafter nur noch vertraulich an den Generalsekretär, damit dieser seine guten Dienste einsetzte, um Menschen die Ausreise aus der Sowjetunion zu ermöglichen.324 319 Ebd. 320 Ebd., Brief von U Thant an Malik vom 01.12.1969 (Entwurf und Endfassung); oder ORUN: A/7819, Brief des Generalsekretärs an den sowjetischen UN -Botschafter, veröffentlicht am 01.12.1969. 321 Vgl. UNARM : SG U Thant, S-0861-2-1, Brief von Tekoah an U Thant vom 02.12.1969; mit ORUN , A/7808, Brief des israelischen Botschafters an den Generalsekretär, ver­ öffentlicht am 02.12.1969; ebd., Brief von Malik an U Thant vom 12.12.1969 mit ORUN: A/7904, Brief des sowjetischen Botschafters an den Generalsekretär veröffentlicht am 13.12.1969 sowie ebd., Brief von Tekoah an U Thant vom 05.01.1970 mit ORUN: A/7919, Brief des israelischen Botschafters, veröffentlicht am 05.01.1970; ebd., Brief von Tekoah an U Thant vom 27.01.1970; ebd., Brief von Stavropoulos an Tekoah vom 11.02.1970. 322 ORUN: Resolution 2546 (XIV), Resolution der Generalversammlung vom 11.12.1969. 323 ORUN: A/7826, Bericht über die Sitzungen des Dritten Komitees vom 05.12.1969. 324 NARA : RG  59, Central Foreign Policy Files 1970–1973, Box 3110, File SOC 14 4/1/71, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 04.05.1971.

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Unterdessen spitzte sich der Streit um jüdische Menschen in der Sowjetunion zu. In den USA radikalisierten sich die öffentlichen Proteste und auch innerhalb der Sowjetunion machten sich die ›Refuseniks‹ und Dissidenten bemerkbar. Im Juni 1970 versuchten einige von ihnen ein ziviles Passagierflugzeug auf dem Flughafen in Leningrad zu entwenden, um damit nach Israel zu gelangen. Die Mitglieder der Gruppe wurden verhaftet und wegen Hochverrats und Flugzeugentführung (»Hijacking«) vor Gericht gestellt.325 Im November 1970 versuchten Mitglieder der radikalen Jewish Defense League (JDL) die sowjetische UN-Botschaft in New York zu stürmen.326 Mehrfach kam es in den folgenden Monaten zu Anschlägen von Mitgliedern der JDL auf Personal und Einrichtungen der sowjetischen UN-Botschaft in New York. All diese Zwischenfälle belasteten die politischen Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion sowie der Sowjetunion und Israel.327 Zur gleichen Zeit intensivierte U Thant hinter den Kulissen seine guten Dienste, um mithilfe seiner beiden sowjetischen Mitarbeiter im Sekretariat jüdischen Menschen die Ausreise aus der Sowjetunion zu ermöglichen und den Konflikt zu entschärfen. Inzwischen wandten sich auch Vertreter ziviler Organisationen an den Generalsekretär. Anfang Dezember 1970 schrieb der bekannte Politikwissenschaftler, Jurist und Vorsitzender des Academic Committee on Soviet Jewry Hans J.  Morgenthau U Thant. Nachdem Morgenthau in seinem Brief ausführlich über die Rechtsgeschichte und Geltung der Menschenrechte sowie dem ›Right to Leave‹ dozierte, machte er den Generalsekretär auf die anhängende Petition von 2500 Wissenschaftlern aus den USA und Kanada aufmerksam, die seine Organisation ebenfalls an den sowjetischen Premierminister Alexei Kossygin geschickt hatte. In der Petition forderten sie, den jüdischen Menschen in der Sowjetunion die Ausreise nach Israel zu gestatten. Morgenthau bat U Thant zudem: »to use your good offices to facilitate this humanitarian objective.«328 U Thant schrieb ihm wenige Tage später zurück: As you may be aware, I have been privately dealing with certain aspects of the problems of Soviet citizens of Jewish origin, and at times with positive results. Essential to this end is to keep my efforts away from the glare of publicity. You may be sure that I shall continue to follow the matter closely.329

325 Peretz: People, S. 143 f. 326 UNARM : SG U Thant, S-0881-7-2, Brief der sowjetischen UN -Botschaft an die US -Botschaft in New York und den UN -Generalsekretär vom 24.11.1970; ebd., Brief der sowjetischen UN -Botschaft an die US -Botschaft in New York und den UN -Generalsekretär vom 30.11.1970. 327 Peretz: People, S. 139 f. 328 UNARM : SG U Thant, S-0881-7-2, Brief von Hans J.  Morgenthau an U Thant vom 02.12.1970. 329 Ebd., Brief von U Thant an Hans J. Morgenthau vom 10.12.1970.

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Als Ende Dezember 1970 ein sowjetisches Gericht zwei der elf Angeklagten, die versucht hatten in Leningrad ein Flugzeug zu entwenden, zum Tode verurteilte, gab es erneut eine Welle des internationalen Protests.330 Zugleich appellierte die israelische Regierung an den UN-Generalsekretär, sich für diese Menschen einzusetzen. Am 25. Dezember 1970 leitete der israelische UN-Botschafter einen Brief des israelischen Außenministers Abba Eban an U Thant weiter. Mit eindringlichen Worten bat Eban den Generalsekretär um Hilfe: »In the name of humanity I request your assistance in a supreme attempt to prevent, above all, the execution of these two men […].«331 U Thant schickte am folgenden Tag einen Brief an den sowjetischen Botschafter Malik, darin versicherte er: I want to make it perfectly clear that it is far from my intention to interfere in the internal affairs of the Union of Soviet Socialist Republics on matters which are within the constitutional jurisdiction of the USSR . My motivation in exercising my good offices in this matter is purely humanitarian and I am sure you are fully aware of my strong conviction in the sacredness of life.332

Am Silvesterabend 1970/71 hob das oberste Gericht in Moskau die Todesurteile auf.333 Ob der Brief des Generalsekretärs zu dieser Entscheidung führte oder der massive öffentliche Protest von NGOs und Regierungen weltweit oder vielleicht sogar ganz andere Gründe ausschlaggebend waren, bleibt unklar. Der Brief U Thants an den sowjetischen Botschafter zeigt aber, dass er erneut auf die gleiche Argumentation zurückgriff. Wieder stützte er seine Forderung auf eine humanitäre Argumentation anstatt auf die Menschenrechte und bestritt zugleich jegliche Intention, sich in die inneren Angelegenheiten der Sowjetunion einzumischen. Neben der humanitären Argumentation war Diskretion eine weitere wichtige Grundlage für die Verhandlungen. In allen Briefen, die U Thant an die Bittsteller verschickte, betonte er, dass nichts über seine Bemühungen an die Öffentlichkeit dringen dürfe. So schlug er dem US -Botschafter George H. W. Bush die Bitte aus, sich mit einer Delegation jüdischer Rabbiner in New York zu treffen, um über die Diskriminierung von Juden in der Sowjetunion zu sprechen. Dazu erklärte er: As you may know, I have been trying for a long time to be of assistance in this problem and I believe that my efforts may have made some contribution towards such progress as has been made. You will well understand, I am sure, that in such delicate matters, in which sovereign governments are intimately involved, complete discretion and lack of publicity are absolutely essential if results are to be achieved. For this reason, I have made a practice of avoiding as far as possible any meetings or contacts which could conceivably be interpreted as pressure or be subject to misleading publicity. I think 330 331 332 333

Ebd., Brief von William Laws und William P. Thompson an U Thant vom 29.12.1970. Ebd., Brief vom Botschafter Shabtai Rosenne an U Thant vom 25.12.1970. Ebd., Brief von U Thant an Botschafter Yakov Malik vom 26.12.1970. Peretz: People, S. 143 f.

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you will agree that the preoccupation of the rabbis, which I share, will be better served by my continuing with this policy than by meeting with them[…].334

Zugleich wuchs der öffentliche Druck auf die UN, in Fällen von Menschenrechtsverletzungen einzugreifen. In zahlreichen Zeitungsartikeln und Briefen aus den USA wurden den UN und speziell dem Generalsekretär Untätigkeit vorgeworfen. Radikale jüdische Aktivisten protestierten weiterhin in New York, wobei es erneut zu gewalttätigen Ausschreitungen kam.335 Bei einem Treffen der Royal Commonwealth Society im Sommer 1970 sprach U Thant deshalb dieses Problem erstmals öffentlich an: Thus it not infrequently happens that while working quietly on a problem, the Secretary-General is publicly accused of ignoring it or of being indifferent. Any hint that an action of the Secretary General may serve to score political points for one party or another will almost automatically render his efforts useless, and public pressure on him from any quarter are likely to have the same result.336

Es war ein zentrales Dilemma der guten Dienste der Generalsekretäre, dass die Erfolge meist geheim blieben, während Misserfolge öffentlich gegen die UN verwendet wurden: »the perfect good offices operation is one which is not heard of until it is successfully concluded, or even never heard of at all.«337 Zugleich wusste U Thant mittlerweile, dass seine Bemühungen nicht vergebens gewesen waren. Die Sowjetunion hatte nach dem Leningrader Prozess die Ausreisebeschränkungen für jüdische Bürger gelockert. Bereits im Januar 1971 bedankte sich der israelische Botschafter bei U Thant für sein schnelles Eingreifen im Fall der zum Tode verurteilten Personen.338 Im Sommer des gleichen Jahres teilte Tekoah dem Generalsekretär mit, dass von den 800 Namen, die er ihm übermittelt hätte, bereits über 400 Personen in Israel eingetroffen seien.339 Auch im State Department waren die Bemühungen des Generalsekretärs nicht unbemerkt geblieben. Die US -Regierung verfolgte das Thema mit großem Interesse, nicht zuletzt, weil sie selbst davon betroffen war, und der öffentliche und politische Druck auf die Regierung Nixon, sich für diese Menschen einzusetzen, immer weiter stieg.340 334 UNARM : SG U Thant, S-0881-7-2, Brief von U Thant an George H. W.  Bush vom 12.07.1971. 335 Thant: View, S. 352; Peretz: People, S. 139 f. 336 Rede des Generalsekretärs U Thant vor der Royal Commonwealth Society am 15.06.1970 in London, siehe Thant: Quiet, hier S. 125. 337 Ebd., S. 123. 338 UNARM : SG U Thant, S-0881-7-2, Brief vom israelischen UN -Botschafter an U Thant vom 01.01.1971. 339 Thant: View, S. 352. 340 Zum innenpolitischen Druck auf die US -Regierung, sich für die Menschenrechte einzusetzen, siehe Sarah B. Snyder: »A Call for U. S. Leadership«. Congressional Activism on Human Rights, in: Diplomatic History 37/2 (2013), S. 372–397.

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Bei einem Treffen Anfang Mai 1971 erzählte U Thant Bush, dass er seit mehr als einem Jahr regelmäßig Listen mit Namen vom israelischen Botschafter erhielt und diese über vertrauliche Kontakte nach Moskau weiterleiten würde.341 Bei einem weiteren Treffen der beiden im Juni 1971 berichtete Bush U Thant, welche Probleme für die USA aufgrund der zahlreichen Zwischenfälle in New York durch radikale jüdische Aktivisten der JDL entstehen würden. Bush bat U Thant daraufhin, bei seiner bevorstehenden Moskaureise das Thema mit den sowjetischen Führern zu besprechen. Der Generalsekretär zeigte Bush daraufhin einige Namenslisten, die er wieder von Tekoah erhalten hatte und sagte, dass er darüber nachdenke, diese bei seinem Aufenthalt in Moskau diesmal persönlich zu übergeben. Weiter berichtete er, wie viele Personen nach seinem Wissen aufgrund seiner Bemühungen ausreisen durften. Zugleich betonte er: »of course it was necessary to hold this info closely since if his role were to become known his usefulness would be compromised.«342 Zur gleichen Zeit meldete die US -Botschaft in den Niederlanden343 1971, dass allein von Januar bis März 600 Personen nach Israel ausreisen konnten, bis Mai sei diese Zahl bereits auf 1200 Personen gestiegen.344 Die US -Botschaft in Moskau bestätigte diese Zahlen. Laut eines Informanten im sowjetischen Außenministerium hätten bis Mai 1971 bereits 1868 Personen die Sowjetunion in Richtung Israel verlassen.345 U Thants gute Dienste waren somit erfolgreich und die Listen, die er über seine beiden sowjetischen Mitarbeiter nach Moskau übermittelte, wurden dort angenommen. Erst gegen Ende seiner Amtszeit brach U Thant sein Schweigen. Auf einer Pressekonferenz im September 1971 äußerte er seine persönliche Meinung und bezog sich dabei zugleich erstmals auf die Menschenrechte: In an ideal society, everybody should have the rights to leave the country in which he or she does not want to live. At the same time, everybody in an ideal society should have the right to return to his or her own country. That is the essence of the Declaration of Human Rights. […] Therefore, in an ideal society, as I said a moment ago, I think that those Soviet citizens of Jewish faith in the Soviet Union who want to leave the Soviet Union should be permitted to leave, and at the same time, Palestinian refugees who have been refugees for more than twenty years should be permitted to return 341 NARA : RG  59, Central Foreign Policy Files 1970–1973, Box 3110, File SOC 14 4/1/71, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 04.05.1971. 342 NARA : RG 59, Central Foreign Policy Files 1970–1973, Box 3110, File SOC 14 6/1/71, Telegramm der US -UN -Botschaft in New York an das Department of State vom 18.06.1971. 343 Die Niederlande übernahmen nach dem Sechstagekrieg von 1967 informell die Vertretung Israels in der Sowjetunion, da die sozialistischen Staaten ihre diplomatischen Beziehungen zu dem Land formell abgebrochen hatten. Siehe Evgenij M. Primakov: Russia and the Arabs. Behind the Scenes in the Middle East from the Cold War to the Present. New York 2009. 344 NARA : RG  59, Central Foreign Policy Files 1970–1973, Box 3110, File SOC 14 4/1/71, Telegramm der US Botschaft in Den Haag an das Department of State vom 07.05.1971. 345 Ebd., Telegramm der US -Botschaft in Moskau an das Department of State vom 05.05.1971.

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to their homes. So there are two aspects to this problem, in terms of the Declaration of Human Rights. But our society is far from ideal, and so we have to keep on trying to fashion the kind of society we want.346

U Thant setzte Ende der 1960er-Jahre seine guten Dienste zum Schutz der Menschenrechte ein. Geheimhaltung und eine humanitäre Argumentation waren dabei die Mittel seiner Wahl, um den Konflikt mit Artikel 2.7 der UN-Charta zu vermeiden und die Konkurrenz zwischen Ost und West zu überwinden. Die Sowjetunion, die USA und Israel hatten zu dieser Zeit ein politisches Interesse daran, den Konflikt um die ›Refuseniks‹ einvernehmlich zu lösen. Die guten Dienste boten dabei einen Weg, bei dem alle Seiten ihr Gesicht wahren und ihre Interessen durchsetzen konnten. Indirekt übernahm U Thant damit aber eine Kernfunktion eines Hochkommissars für Menschenrechte, dessen Antrag zur gleichen Zeit in der Generalversammlung feststeckte. Die guten Dienste setzten sich Ende der 1960er-Jahre als Instrument zum Schutz der Menschenrechte durch, weil sie die Schwächen der bereits bestehenden Verfahren kompensierten und die Konkurrenz umgingen. U Thant nutzte seinen Handlungsspielraum und setzte sich für Menschen ein, deren Grundrechte verletzt wurden. Dieses Vorgehen verdeutlicht zum einen, wie sich ein neues Verfahren zum Schutz der Menschenrechte aus der Praxis heraus entwickelte. Zum anderen zeigt es, wie der Menschenrechtsschutz durch das Handeln einzelner Akteure geprägt wurde.

346 ORUN: SF  / S M /1530, United Nations Press Release vom 04.09.1971.

3. Die Institutionalisierung des Menschenrechtsschutzes in den 1970er-Jahren

Die 1970er-Jahre waren eine sehr komplexe und für die Entwicklung des UNMenschenrechtsschutzes bedeutende Dekade. Neue Akteure gewannen in der internationalen Politik an Bedeutung.1 Neue Krisen erschütterten die Welt und die Staaten in Ost und West sowie Nord und Süd veränderten ihre Menschenrechtspolitiken. Vor diesem Hintergrund wurden die Verfahren zum Schutz der Menschenrechte erstmals angewandt. Drei grundlegende Entwicklungen veränderten die Konkurrenz in diesem Jahrzehnt. Erstens erlebten die Menschenrechte einen massiven Bedeutungs­ gewinn in den westlichen Gesellschaften.2 Immer mehr Menschen engagierten sich in NGOs und übten politischen Druck auf ihre Regierungen aus.3 Die Zivilgesellschaften in Westeuropa und Nordamerika übernahmen damit die Rolle des bewertenden Dritten im Wettbewerb um Menschenrechte, wodurch sich sowohl die Debatten als auch die Dynamik der Konkurrenz veränderte. Ost und West warben fortan auch um die Gunst der Öffentlichkeit in den UN. Zweitens radikalisierte sich das Lager der Bündnisfreien, wodurch sich die Debatten und die Beziehungen zwischen Nord und Süd in den UN veränderten. Immer mehr Staaten in Afrika, Asien und Südamerika wandten sich von der Idee des internationalen Menschenrechtsschutzes ab und forderten stattdessen eine ›Neue Weltwirtschaftsordnung‹ und die Stärkung wirtschaftlicher und sozialer Rechte.4 Dadurch wurden die Bündnisfreien Staaten zunehmend selbst zu Konkurrenten und verloren in ihrer Stellung als bewertender Dritter an Bedeutung. Vor allem aber verloren die Befürworter des universellen Menschenrechtsschutzes an Unterstützung, wie die Debatte über den Hochkommissar für Menschenrechte gezeigt hat. Drittens wurden die Menschenrechte zu einem wichtigen Element der Entspannungspolitik. Die westeuropäischen Staaten nutzten die Menschenrechte, um sich zu konsolidieren.5 Ab 1975 setzten sie sich geschlossen für die Stär1 Zur Krisenwahrnehmung in den 1970er-Jahren und deren Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft siehe Konrad H. Jarausch (Hg.): Das Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte, Göttingen 2008; Anselm Doering-Manteuffel / Lutz Raphael: Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, 3. Aufl., Göttingen 2012 (2008). 2 Die zentrale These von Moyn: Utopia; Eckel / Moyn, Moral, S. 7–68. 3 Eckel: Ambivalenz, S. 343–346 und S. 436 f. 4 Allgemein bei Dinkel: Bewegung, S. 225 f.; sowie speziell mit Blick auf die Debatten um Menschenrechte in den UN siehe Burke: Decolonization, S. 112–144. 5 Mehrere Beiträge zur Bedeutung der Menschenrechte im KSZE -Prozess finden sich in Peter / Wentker: KSZE .

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kung des Menschenrechtsschutzes ein. Die sozialistischen Staaten stellten dem ihre Forderung nach einem ›Recht auf Frieden‹ entgegen und versuchten damit die Deutungshoheit über den Menschenrechtsdiskurs an sich zu reißen. Dadurch verstärkte sich die Konkurrenz um Menschenrechte in den Vereinten Nationen. In dieser komplexen und teils gegenläufigen Entwicklung lassen sich zwei Phasen unterscheiden. In der ersten bis 1975 gewannen die Menschenrechte immer mehr an Bedeutung innerhalb der westlichen Gesellschaften, während die meisten Regierungen in Ost und West noch kein Konzept hatten, welche Rolle die Menschenrechte zukünftig in ihrer Außenpolitik spielen sollten. Die zweite Phase wurde 1975 durch einen Eklat auf der 30. Generalversammlung eingeleitet. Das radikale Auftreten einiger bündnisfreier Staaten schädigte das Ansehen und die Stellung der UN in den internationalen Beziehungen. In Reaktion darauf verlagerten die westeuropäischen Staaten ihre multilaterale Politik einerseits stärker auf die KSZE -Konferenzen. Andererseits starteten sie aber auch eine ›Menschenrechtsinitiative‹ in den UN, bei der sie neue Ideen präsentierten und eng mit zivilen Akteuren und Experten zusammenarbeiteten, um ihren Einfluss im UN-Sekretariat und auf den UN-Menschenrechtsschutz auszubauen. Die USA zogen sich hingegen zurück und verloren trotz des politischen Wandels unter Präsident Jimmy Carter immer mehr an Einfluss in der Organisation. Auch das Lager der Bündnisfreien Staaten spaltete sich nach 1975 und während einige Länder sich sehr für den Menschenrechtsschutz engagierten, versuchten andere diesen wieder zurückzudrängen. Auch die sozialistischen Staaten bemühten sich mit ihrer Initiative ein Gegennarrativ aufzubauen, um den Fokus der Debatten vom Menschenrechtsschutz wegzulenken. Unabhängig davon erweiterte und institutionalisierte Kurt Waldheim die guten Dienste in den 1970er-Jahren zu einem eigenständigen und allgemein anerkannten Verfahren zum Schutz der Menschenrechte, wobei er die neue Stellung der Öffentlichkeit im internationalen System nutzte. Im Kontext dieser komplexen Entwicklung wurden die Verfahren zum Schutz der Menschenrechte eingerichtet und angewandt. Die sich verändernde Konkurrenz bildeten dabei einen wichtigen Motor im Institutionalisierungsprozess und förderte die Entwicklung des UN-Menschenrechtsschutzes.

3.1 Chile als Präzedenzfall des Charter Based Monitoring Chile wurde 1973 zum Brennpunkt internationaler Menschenrechtsproteste. Viele westliche Regierungen gerieten dadurch innenpolitisch immer stärker unter Druck und wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten. Die Inkohärenz in ihrer Menschenrechtspolitik führte im Zusammenspiel mit der Konkurrenz um Menschenrechte dazu, dass Ost und West am Ende ungewollt kooperierten. Die Unklarheit im Umgang mit den Menschenrechten wurde vor allem in der US -Außenpolitik deutlich. Auf der einen Seite setzten sich Nixons Diplomaten

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für die Einrichtung eines Hochkommissars für Menschenrechte sowie für jüdische Menschen in der Sowjetunion ein. Auf der anderen Seite bauten die USA unter seiner Führung die Beziehungen zu verschiedenen Diktaturen in der Welt aus und in der ›Dreieckspolitik‹ mit der Volksrepublik China sowie in der Entspannungspolitik wurden Menschenrechte bewusst ausgeklammert.6 Die Probleme und Konflikte, die aus dieser Ambivalenz hervorgingen, zeigten sich vor allem in der Frage der Diskriminierung jüdischer Menschen in der Sowjetunion. Die radikalen Proteste jüdischer NGOs erlebten Anfang der 1970er-Jahre in New York ihren Höhepunkt und setzten Nixon innenpolitisch massiv unter Druck. Politiker wie Charles A. Vanik, Senator Henry M. Jackson oder Donald M.  Fraser forderten daraufhin ein stärkeres Eintreten der US Regierung gegenüber der Sowjetunion sowie anderen autoritären Regimen in Menschenrechtsfragen und kritisierten damit zugleich die Entspannungspolitik Nixons und seines Sicherheitsberaters Henry Kissingers.7 Im State Department häuften sich zur selben Zeit Anfragen von Politikern, Prominenten und NGOs nach Menschenrechtsverletzungen an jüdischen Bürgern in der Sowjetunion. Auch die Fragen nach der Ratifizierung der Menschenrechtspakte oder der Genozid-Konvention sowie nach dem allgemeinen Engagement der USA im Bereich der Menschenrechte nahmen zu.8 Mit dem Jackson-Vanik-Amendement von 1974 wurden der US -Regierung vom US -Kongress schließlich Handelsbeschränkungen für Staaten auferlegt, die jüdischen Menschen die Ausreise verweigerten. Mit dem im selben Jahr verabschiedeten Amendement zum Foreign Assistance Act durften die USA nur noch Militärhilfe für Staaten leisten, in denen die Menschenrechte eingehalten wurden. Zudem verpflichtete dieser Zusatz das State Department, den US -Kongress jährlich über die Menschenrechtslage in allen Ländern zu informieren, zu denen die USA politische Beziehungen pflegten. Letzteres hatte massive Folgen, denn es zwang die US -Diplomaten

6 Zur US -amerikanischen Menschenrechtspolitik unter Richard Nixon vgl. Jeremi Suri: Détente and Human Rights. American and West European Perspectives on International Change, in: Cold War History 8/4 (2008), S. 527–545; mit Joe Renouard: Human Rights in American Foreign Policy from the 1960s to the Soviet Collapse, Philadelphia 2016, S. 69–124. Beide Autoren zeichnen ein sehr unterschiedliches Bild. Suri argumentiert, dass Nixon die Menschenrechte in seiner Entspannungspolitik nutzte, um die Ost-West-Beziehungen zu stabilisieren. Renouard zeigt hingegen, wie Nixon wegen der Menschenrechte zunehmend unter Druck geriet und versuchte, die öffentliche Kritik zu kompensieren. 7 Vgl. Snyder: Call, S. 372–397; Barbara J.  Keys: Congress, Kissinger, and the Origins of Human Rights Diplomacy, in: Diplomatic History 34/5 (2010), S. 823–851; für die Mitte der 1970er-Jahre siehe William Michael Schmidli: Institutionalizing Human Rights in U. S.  Foreign Policy. U. S.-Argentine Relations, 1976–1980, in: Diplomatic History, 35/2 (2011), S. 351–377. 8 Briefe von Politikern mit Anfragen zur Situation jüdischer Bürger in der Sowjetunion oder der Ratifizierung verschiedener Menschenrechtsverträge finden sich in folgenden Bänden: NARA : RG  59, Central Foreign Policy Files, 1970–1973, Box 3108–3111; ebd., Box 3041, SOC  14 1/1/73 UN ; Box 3042; sowie ebd., Box 3043, SOC  14-7 1/1/71.

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erstmals dazu, sich bewusst mit der Menschenrechtslage in anderen Ländern auseinanderzusetzen.9 Das zeigt, wie der »Congress Activism« die US -Außenpolitik in dieser Zeit von der Basis her veränderte und damit zu einem wichtigen Impulsgeber für die spätere Entwicklung einer eigenständigen Menschenrechtspolitik unter Carter wurde.10 Nixon reagierte auf diesen innenpolitischen Druck, indem er die multilateralen Bemühungen der USA im Rahmen der Debatte über den Hochkommissar für Menschenrechte als Beleg für das US -Engagement für Menschenrechte anführte. Auch die in den UN von US -Vertretern immer wieder öffentlich geforderte Einhaltung des ›Right to Leave‹ sowie die gelegentlich vorgebrachte Kritik an der Diskriminierung religiöser Minderheiten richtete sich primär an Politiker und NGOs im Inland. Dass die USA damit gleichzeitig andere Staaten (vor allem die Sowjetunion) provozierten, war hingegen ein negativer Nebeneffekt, der nur missbilligend in Kauf genommen wurde. Unter Nixon diente die US -Menschenrechtspolitik in den Vereinten Nationen primär zur Kompensation innenpolitischer Kritik. Das war allerdings eine Gratwanderung, wie ein Telefonat zwischen Nixon und Kissinger über die zwei zum Tode verurteilten ›Refuseniks‹ in Leningrad verdeutlicht: […] [K:] We are getting  a lot of heat from Jewish groups about these people who were sentenced and we have urged Ron11 to say nothing. [P:] Yes. That is right. I am for capital punishment for hijackers. I am glad to see the Jewish people raising Cain with the Russians. The idea of putting out a big public statement is like blowing into the wind. [K:] And also whatever the trail, these are after all their own citizens.

9 Das State Department warnte nach der Einführung des Foreign Assistance Act alle Auslandsvertretungen in Ländern, die nach ihrer Ansicht einen problematischen Umgang mit den Menschenrechten an den Tag legten, vor möglichen Folgen des Gesetzes und wies die Botschaften an, regelmäßig Berichte über die Menschenrechtslage vor Ort nach Washington zu schicken, siehe dazu exemplarisch: NARA : AAD, 1974STATE282264, Weisung des Department of State in Washington D. C. an die US -Botschaft in Damaskus vom 27.12.1974; ebd., 1974SANTIA07578, Telegramm der US -Botschaft in Santiago de Chile an das Department of State vom 13.12.1974; ebd., 1975STATE014917, Telegramm des State Department an alle US -Botschaften vom 22.01.1975; ebd., 1975CAIRO02402, Telegramm der Botschaft in Kairo an das Department of State vom 05.03.1975; ebd., 1975JAKART03180, Telegramm der Botschaft in Jakarta an das Department of State vom 17.03.1975; ebd., 1975Kuala01574, Telegramm der Botschaft in Kuala Lumpur an das Department of State vom 26.03.1975. 10 So die These von Snyder: Call; sowie Keys: Congress, S. 823–851. 11 Ronald L. Ziegler war seit 1969 Pressesprecher des Weißen Hauses siehe FRUS : ­1969–1976, Vol. II , Organization and Management of U. S. Foreign Policy, 1969–1972, Persons: Ron L. Ziegler.

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[P:] That is right. They are no American citizens. They were not part of that Turkish group, were they? [K:] No. I wouldn’t be surprised if they were framed but who are we to say that? I think we would irritate the Soviets if we said that now. [P:] I think everyone should be tough on hijackers. [K:] The report says it was a KGB trap of people who wanted to flee. [P:] Tell your Jewish People we are looking into it. […].12

In den bilateralen Verhandlungen mit der Sowjetunion versuchte Nixon das Thema ›Refuseniks‹ auszuklammern.13 Den Grund dafür legte Kissinger in einem Memorandum für das Weiße Haus vom Januar 1971 dar: The principal problem is this: Encouraging middle-class America […] to take an excessively hard stand against the USSR could later tie the President’s hands. […] More broadly, it conceivable that encouraging increased middle-class skepticism of the USSR could affect ratification of any SALT14 agreement that might be worked out. The President’s policy has been  a combination of firmness vis-à-vis the USSR and keeping the door open to cooperation in common interests. This is a delicate line to tread politically, and it would not seem helpful to fan the flames of strong emotions that could make the President’s road more difficult.15

Nixon und Kissinger mieden Menschenrechtsfragen in den Verhandlungen mit dem Kreml und Peking. Stattdessen bedienten sie sich der guten Dienste des UN-Generalsekretärs, um auf vertraulichem Wege jüdischen Menschen die Ausreise aus der Sowjetunion zu ermöglichen, ohne dabei eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Sowjetunion zu provozieren. Neben den ›Refuseniks‹ war die militärische und politische Unterstützung für autoritäre Regime ein weiterer Kritikpunkt, der immer wieder zu innenpolitischem Protest an der US Außenpolitik führte. In Südamerika, Afrika und Asien unterstützten die US -Regierung Militärdiktaturen und Rebellenmilizen. Auch in den UN hielten sie schützend ihre Hand über befreundete Despoten. Zudem waren sie dem all-

12 FRUS : 1969–1976, Vol. XIII , Soviet Union, October 1970–October 1971, Doc. 77, Transcript of a Telephone Conversation Between President Richard Nixon and the President’s Assistant for National Security Affairs Henry Kissinger, 26.12.1970. 13 Zu Nixons Politik siehe Renouard: Human Rights, S. 112–121; Allerdings nutzte die sowjetische Seite das Thema, um Nixon unter Druck zu setzten oder ihm sogar zu helfen, wenn sie sich davon Vorteile in anderen Verhandlungen versprachen, siehe dazu Zubok: Empire, S. 233–237. 14 SALT steht für ›Strategic Arms Limitation Talks‹ und bezeichnete die Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und der UdSSR in den Jahren 1969–1979. Allgemein dazu siehe Schors: Doppelter Boden. 15 FRUS : 1969–1976, Vol. XIII , Soviet Union, October 1970–October 1971, Doc. 92, Memorandum from the President’s Assistant for National Security Henry Kissinger to the White House Chief of Staff Harry Robbins Halderman, 12.01.1971.

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gemeinen Menschenrechtsschutz gegenüber grundsätzlich kritisch eingestellt.16 Wie lange Nixon diese Gratwanderung noch fortsetzen und die Menschenrechtspolitik lediglich zur Kompensation innenpolitischer Kritik einsetzen konnte, war angesichts des wachsenden zivilen Engagements für die Menschenrechte fraglich. Hinzu kam, dass die westeuropäischen Staaten anders mit dem Bedeutungsanstieg der Menschenrechte umgingen. Auch auf der anderen Seite des Atlantiks gewannen die Menschenrechte immer mehr an Bedeutung. Einzelne westeuropäische Staaten wie die Niederlande oder Schweden formulierten neue außenpolitische Konzepte. Sie rückten die Menschenrechte ins Zentrum ihrer Außenpolitik und wurden zu den stärksten Verfechtern eines universellen Menschenrechtsschutzes im westlichen Lager.17 Darüber hinaus begannen mehrere westeuropäische Staaten sich auch außenpolitisch stärker zu konsolidieren. 1969 trafen sich die Außenminister Belgiens, Luxemburgs, Italiens, Frankreichs, der Niederlande und Westdeutschlands, um eine gemeinsame außenpolitische Agenda zu formulieren. In dem Abschlussbericht des Treffens nahmen die Menschenrechte eine besondere Stellung ein. »L’Europe unie doit se fonder sur un patrimoine commun de respect de la liberté et des droits de l’homme et rassembler des Etats démocratiques dotés d’un Parlement librement élu.«18 Der ›Davignion-Bericht‹ legte den Grundstein für die ›Europäische Politische Zusammenarbeit‹ (EPZ). Diese war der Versuch, eine gemeinsame europäische Außenpolitik zu formulieren.19 Die Menschenrechte und Demokratie bildeten dabei die verbindenden Elemente der europäischen Integration und dienten zugleich dazu, sich von den undemokratisch regierten Ländern Osteuropas abzugrenzen. Auch Willy Brandt räumte den Menschenrechten im Rahmen seiner neuen Ostpolitik einen eigenen Platz ein. In einer Rede vor der Generalversammlung 1973 legte er seine Sicht auf die Rolle der Menschenrechte in der internationalen Politik dar: Im Übrigen: Wer in dieser Verhandlung seinen Sitz einnimmt, muß zu den moralischen Fragen des internationalen Zusammenlebens auch dann Stellung nehmen, wenn die eigenen staatlichen Interessen nicht unmittelbar betroffen sind. Er begegnet dabei zwei anerkannten Grundsätzen, die beide dem Friedenswillen dienen: Das eine ist der Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. Das andere ist der Grundsatz der Universalität der Menschenrechte.

16 David F. Schmitz: The United States and Right-Wing Dictatorships, 1965–1989. Cambridge /​ New York 2006, S. 72–111. 17 Vgl. Eckel: Ambivalenz, S. 440–462. 18 Der ›Davingion-Bericht‹ vom 27.10.1970 online: http://www.cvce.eu/obj/rapport_davignon_ luxembourg_27_octobre_1970-fr-4176efc3-c734-41e5-bb90-d34c4d17bbb5.html (07.04.2021). 19 Piers N.  Ludlow: European integration and the Cold War, in: Melvyn P.  Leffler / Odd Arne Westad (Hg.): The Cambridge History of the Cold War. Crises and Détente, Bd. 2, Cambridge 2010, S. 179–197.

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Auf die Grundrechte der Charta der Vereinten Nationen dürfen sich nicht nur Staaten, sondern auch Bürger berufen. Dem Frieden kommt es zugute, wenn sich Menschen und Informationen über die Grenzen hinweg möglichst frei bewegen können.20

Für Brandt war das Verhältnis zwischen Frieden und Menschenrechten kein Entweder-oder, sondern voneinander abhängig. Die Verbreitung und der Schutz der Menschenrechte über Ländergrenzen hinweg konnten aus seiner Sicht zu einer Stabilisierung des Ost-West-Verhältnisses beitragen. Die Menschenrechte waren Teil des neuen Konzepts ›Wandel durch Annäherung‹, bei dem durch eine politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Annäherung zwischen beiden Lagern Spannungen abgebaut und der Status quo gefestigt werden sollte. Diese Überlegungen wurden zum Teil auch in anderen westeuropäischen Staaten geteilt und prägten die Entspannungspolitik in der ersten Hälfte der 1970erJahre.21 Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung in der Schlussakte von Helsinki 1975, in der sich Ost und West unter anderem zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichteten. Dabei irrte sich Brandt mit seiner Annahme, dass die Menschenrechte das politische Klima zwischen beiden Lagern verbessern könnten. Die Menschenrechtspolitik westlicher Staaten wurde im Kreml als Bedrohung wahrgenommen und belastete die Ost-West-Beziehungen.22 Egon Bahr, der das Konzept der neuen Ostpolitik mitentwickelt hatte und später die Verhandlungen mit den osteuropäischen Staaten leitete, war anders als Brandt nicht davon überzeugt, dass die Menschenrechte ein wesentlicher Bestandteil für eine Annäherung zwischen Ost und West sein müssten, im Gegenteil. Bahr erkannte, dass das Thema Menschenrechte die Verhandlungen erschwerte und ordnete sie deswegen seinem primären Ziel unter  – den Frieden in Europa zu sichern.23 Auch Brandts Nachfolger Helmut Schmidt machte keinen Hehl aus seiner ablehnenden Haltung gegenüber einer zu dominanten Stellung der Menschenrechte in seiner Außenpolitik.24 Sein Außenminister Hans-Dietrich Genscher sah das hingegen anders. 20 Rede von Willy Brandt vor der Generalversammlung am 26.09.1973, online: http:// www.cvce.eu/content/publication/2003/10/22/d92f3d64-42ee-4e2e-a999-ee665d3f8444/ publishable_de.pdf (07.04.2021). 21 Vgl. Jussi M. Hanhimäki: Conservative Goals, Revolutionary Outcomes. The Paradox of Détente, in: Cold War History 8/4 (2008), S. 503–512; mit Suri: Détente. 22 Wie die Menschenrechtsfrage die sozialistischen Staaten provozierte, zeigt sich immer wieder in den internen Auswertungen, siehe dazu exemplarisch PA AA : MfAA , ZR 559/86, Politik der UdSSR in der UNO sowie in der Abrüstungsfrage: Zur Rede Gromykos vor der 28. Generalversammlung der UN vom 02.10.1973, S. 5–6. 23 Vgl. Andreas Vogtmeier: Egon Bahr und die deutsche Frage. Zur Entwicklung der sozialdemokratischen Ost- und Deutschlandpolitik vom Kriegsende bis zur Vereinigung, Bonn 1996; Frank Fischer: »Im deutschen Interesse«. Die Ostpolitik der SPD von 1969 bis 1989, Husum 2001; Stephan Fuchs: »Dreiecksverhältnisse sind immer kompliziert«. Kissinger, Bahr und die Ostpolitik, Hamburg 1999. 24 Kristina Spohr: The Global Chancellor. Helmut Schmidt and the Reshaping of the International Order, Oxford 2016, S. 58.

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Obwohl die Menschenrechte in den 1970er-Jahren zu einem wichtigen Bestandteil der Entspannungspolitik wurden, blieb der Umgang mit ihnen ambivalent. Der Schutz der Menschenrechte wurde zum einen als nützliches Instrument eingesetzt, um sich ideologisch abzugrenzen, Bündnisse zu festigen oder die Zustimmung der eigenen Bevölkerung zu suchen.25 Zum anderen wurde der allgemeine Menschenrechtsschutz im State Department immer noch kritisch betrachtet, während sich die westeuropäischen Staaten immer stärker dafür engagierten, das bestehende System auszuweiten. Diese Widersprüche in der Außenpolitik der westlichen Staaten sind der Schlüssel zum Verständnis des ungewöhnlichen Verlaufs der Debatte im Fall Chile. Am 11. September 1973 kam es in dem Land zu einem blutigen Militärputsch durch General Augusto Pinochet, in dessen Verlauf sich der demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende das Leben nahm. Allende stand für die Politik eines demokratischen Sozialismus und wurde international vor allem von den sozialistischen Staaten hofiert. Zudem genoss er aber auch in großen Teilen der chilenischen Bevölkerung ein hohes Ansehen und war für viele Menschen in Ost und West ein Hoffnungsträger, der nach dem Scheitern des Prager Frühlings beweisen sollte, dass ein ›dritter Weg‹ möglich war. Die Bilder des Staatsstreiches wurden weltweit im Fernsehen übertragen und mobilisierten Millionen Menschen in West- und Osteuropa sowie Nordamerika, die gegen den Putsch und die von der Militärjunta verübten Menschenrechtsverletzungen auf die Straße gingen.26 Auch in den UN lösten die Ereignisse in dem südamerikanischen Staat heftigen Protest aus. Zwei Tage nach dem Putsch berief Kuba den UN-Sicherheitsrat ein. Dort beschwerte das Land sich wegen des Beschusses seiner Botschaft in Santiago durch das chilenische Militär und kritisierte die willkürliche Verhaftung und Folter von Tausenden Menschen. Kuba sah in dem Staatstreich und dessen Folgen eine Bedrohung des internationalen Friedens und forderte den Sicherheitsrat deshalb auf, die Geschehnisse zu verurteilen und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Unterstützung erhielt das Land vor allem von der Sowjetunion. Der im Sicherheitsrat vorgeladene Vertreter Chiles wies all diese Vorwürfe jedoch zurück. Dabei erhielt er Rückendeckung von den USA , Australien, Österreich, Indien, Indonesien und Kenia. Sie alle sahen in dem Putsch keine Gefahr für den internationalen Frieden und betonten, dass es sich dabei um eine innere Angelegenheit der neuen chilenischen Militärregierung handeln würde und die Vereinten Nationen kein Recht hätten, sich einzumischen. Lediglich 25 Letztgenanntes wurde besonders in demokratischen Staaten immer wichtiger, was zu einer komplexen Verzahnung zwischen Innen- und Außenpolitik führte. NGOs spielten dabei sowohl in Ost als auch West eine besondere Rolle. 26 Zur Komplexität dieser transnationalen Protestbewegungen in Ost und West vgl. Caroline Moine: Denouncing or Supporting the Chilean Dictatorship in West Germany? Local Associations of Solidarity and Their Transnational Networks since the 1970s, in: Global Security Vol. 33/3 (2019). 3, S. 332–347; mit Eckel: Amobivalenz 692–710.

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Panama kritisierte das Vorgehen der Militärs und mahnte zur Einhaltung der Menschenrechte. Am Ende scheiterte ein Einschreiten des Sicherheitsrates am Veto der USA .27 Im Sicherheitsrat ging es um die Frage, ob von dem Putsch eine Bedrohung für den internationalen Frieden ausging, die Menschenrechtsverletzungen spielten dabei zu dieser Zeit für die meisten Mitglieder noch keine zentrale Rolle. In den unterschiedlichen Reaktionen spiegelten sich die politischen Beziehungen zu dem südamerikanischen Land wider. Während die USA froh waren, dass eine, aus ihrer Sicht drohende sozialistische Machtübernahme in Chile abgewendet werden konnte, verurteilten die sozialistischen Staaten den Putsch, weil sie dadurch an Einfluss in der Region verloren.28 Daneben kritisierten nur wenige Staaten wie Schweden, Dänemark, die Niederlande oder Panama die Menschenrechtsverletzungen. Außerhalb der UN formierte sich daraufhin allerdings eine länderübergreifende breite Protestbewegung gegen die Militärjunta und gegen das Schweigen der internationalen Gemeinschaft. Kampagnen verschiedener NGOs trugen dazu bei, dass sich Millionen Menschen mit den weißen christlichen Opfern der Gewalt solidarisierten und ihre Regierungen aufforderten, energischer gegen die Menschenrechtsverletzungen in Chile vorzugehen.29 Auch die Sowjetunion sorgte sich um das Schicksal kommunistischer Politiker in dem Land.30 Zugleich wollte sie die Situation als Vorwand nutzen, um die westlichen Staaten öffentlich anzuklagen. Die UN sollten dabei als Forum dienen und der massive zivile Protest in Ost und West bestärkte sie darin, den Putsch in Chile in den UN öffentlich verhandeln zu lassen.31 Nachdem der Sicherheitsrat sich nicht einigen konnte, wandten sich die Vertreter der sozialistischen Staaten anschließend an die Generalversammlung und forderten den Generalsekretär öffentlich auf, seine guten Dienste für die Freilassung kommunistischer Politiker aus chilenischen Gefängnissen einzusetzen. Die sozialistischen Länder waren zu diesem Zeitpunkt die einzigen, die den Putsch in Chile in der UN verurteilten. Der Rest der internationalen Staatengemeinschaft schwieg beharrlich.32

27 YUN: 1973, S. 174–176. 28 Allgemein dazu siehe Nicola Miller: Soviet Relations with Latin America, 1959–1987, Cambridge / New York / Melbourne 1989, S.  127–147. 29 Eckel: Ambivalenz, S. 692–710. 30 Das zeigte sich vor allem in den intensiven Bemühungen sozialistischer Regierungen, die versuchten, über den Weg der stillen Diplomatie und der guten Dienste des Generalsekretärs diese Menschen aufzuspüren und außer Landes zu schaffen. Siehe Kap. 3.6. 31 MFAA : C1570/76, Abschlussbericht der Sitzung des 3. Komitees. Einschätzungen und Ergebnisse 09.12.1974. 32 Vgl. ORUN: E / C N .4/SR .1272, Summary Records des 1272. Meetings der 30. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 25.02.1974, S. 61; Statement UdSSR (darin findet sich ein Verweis auf die Forderung der Sowjetunion vor der Generalversammlung).

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Anfang 1974 beantragten mehrere sozialistische Staaten die Menschenrechtsverletzungen in Chile in der Menschenrechtskommission unter dem Verfahren nach Resolution 1235 öffentlich zu verhandeln. Damit übergingen sie die Unterkommission zum Schutz von Minderheiten und das vorgesehene Prozedere. Sie wollten die Menschenrechtsverletzungen in Chile so schnell wie möglich öffentlich thematisieren, um die westlichen Staaten wegen ihrer Beziehungen zur Junta vorzuführen. Unterstützung erhielten sie dabei von der »Women’s International Democratic Federation« (WIDF), einer in Ostberlin ansässigen privaten Organisation mit einer prosowjetischen Agenda.33 Ihre Vizevorsitzende Hortensia Allende, Witwe des chilenischen Präsidenten Salvador Allende, sollte eine Rede vor der Menschenrechtskommission halten. Um die Wirksamkeit dieser Inszenierung zu steigern, beantragte die DDR zudem, die Sitzung live im ostdeutschen Staatsfernsehen zu übertragen. Gemeinsam mit Kuba organisierte sie die Einreise und Unterbringung von Allende in New York.34 Neben der DDR bekundeten auch private Sendeanstalten aus den USA und Großbritannien ihr Interesse an einer Liveübertragung. Das öffentliche Interesse innerhalb der Bevölkerungen in Ost und West war sehr groß.35 Die Anwesenheit von Fernsehkameras war ein Novum in der Geschichte der Menschenrechtskommission und wurde nicht von allen Mitgliedern begrüßt, wie man im Sekretariat bemerkte: […] the Eastern European members were opposed to televising meetings of the Commission on item 12 and that some of the western Europeans were not very favorable either. It appeared however that the majority of the members of the Commission, either had no specific preference or were in favor of this form of publicity for meetings of the Commission.36

Zu Beginn der Sitzung sprachen sich schließlich die Sowjetunion und Bulgarien gegen eine Fernsehübertragung aus, woraufhin ein Vertreter der DDR zum österreichischen Vorsitzenden Felix Ermacora37 eilte und den Antrag seiner 33 Yulia Gradskova: Women’s International Democratic Federation, the ›Third World‹ and the Global Cold War from the late-1950s to the mid-1960s, in: Women’s History Review 29/2 (2020), S. 270–288; Jadwiga Pieper Mooney: Fighting Fascism Forging New Political Activism. The Women’s International Democratic Foundation (WIDF) in the Cold War, in: Dies. / Fabio Lanza (Hg.): De-Centering Cold War History. Local and Global Change, London / New York 2013, S. 52–72. 34 PA AA : ZA B30, 115817, Brief der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 01.03.1974. 35 UNARM : SG Waldheim, S-0913-23-9, Memorandum von Schreiber an Kittani vom 27.02.1974. 36 Ebd. 37 Felix Ermacora war ein Jurist, Politiker und Repräsentant Österreichs in der Menschenrechtskommission. 1974 wurde er zum Vorsitzenden der 30. Sitzung der Kommission gewählt, weswegen er in dem Jahr als offizieller Sprecher der Kommission auftrat. In späteren Jahren wurde Ermacora vor allem durch seine Tätigkeit als Menschenrechtsexperte

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Regierung zurückzog.38 Dieser sah sich nun gezwungen, die Fernsehteams des Saals zu verweisen, was dem Vorsitzenden im Nachhinein den Vorwurf der Zensur in der westlichen Presse einbrachte und auch UN-intern zu massiver Kritik führte.39 Obwohl die sozialistischen Staaten diese Debatte selbst initiiert hatten, um die westlichen Staaten wegen ihrer Unterstützung der Junta an den Pranger zu stellen, ging ihnen eine TV-Übertragung zu weit. Die sowjetischen Diplomaten fürchteten vermutlich, dass die Kameras neben der Rede Allendes auch öffentliche Kritik an der Sowjetunion einfangen könnten. Schließlich konnten sie den Verlauf der Debatte nicht kontrollieren und tatsächlich nutzten Vertreter der USA und Großbritanniens ihre Redebeiträge anschließend, um auf das Schicksal des Dissidenten Alexander Solschenizyn hinzuweisen. Damit verdeutlicht diese Episode, wie Staaten wie die DDR den Putsch für ihre Propaganda instrumentalisieren wollten. Vor allem aber zeigt sie, dass auch die sozialistischen Staaten erkannt hatten, wie wichtig die öffentliche Meinung in der Konkurrenz um Menschenrechte geworden war.40 Die Debatte über Chile wurde anschließend ohne Fernsehkameras fortgesetzt. In ihrer Rede berichtete Allende über die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land. Dabei zeichnete sie das Bild einer »neofaschistischen, kapitalistischen und imperialistischen Weltverschwörung«41 und beschuldigte die CIA sowie amerikanische Großkonzerne, Pinochet zu unterstützen. Danach folgten die Vertreter der sozialistischen Staaten: »Fascism was again on the rise in Chile […]« verkündete der sowjetische Delegierte und stellte fest, »The junta was using Hitlerite methods to commit gross violations of human rights and fundamental freedoms«.42 Der Beobachter der DDR mahnte: although there was currently a trend throughout the world towards détente and the strengthening of peace crimes against the humanity were being committed by imperialist circles in their colonial territories and by the military junta in Chile. Their actions represented not only a challenge to the United Nations, but also a threat to peace and international security.43 für die UN und seine zahlreichen Publikationen zum Thema Menschenrechte bekannt. Für biografische Informationen zur Person, siehe online: https://www.parlament.gv.at/ WWER /PAD_00274/index.shtml (19.04.2021). 38 ORUN: E / C N .4/SR .1271, Summary Records des 1271. Meetings der 30. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 25.02.1974; mit UNARM : SG Waldheim, S-0913-23-9, Memorandum von Schreiber an Kittani vom 27.02.1974; und PA AA : ZA B30, 115817, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 01.03.1974. 39 UNARM : SG Waldheim, S-0913-23-9, Memorandum von Schreiber an Henning, 01.03.1974. 40 Ebd. 41 ORUN: E / C N .4/SR .1271, Summary Record des 1271. Meetings der 30. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 25.02.1974, Statement Hortensia Allende. 42 Ebd., E / C N .4/SR .1272, Summary Records des 1272. Meetings der 30. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 25.02.1974, Statement Kolosovyky. 43 Ebd., Statement Florin.

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Der chilenische Botschafter begegnete den Vorwürfen hingegen mit seiner eigenen Theorie, wonach es sich bei der vorgebrachten Kritik und den Unruhen in seinem Land um eine von ›Moskau‹ gesteuerte Verschwörung handelte. Zudem rechtfertigte er das Vorgehen des Militärs mit dem von der Junta ausgerufenen Notstand.44 Die Bündnisfreien Staaten hielten sich hingegen zurück und die südamerikanischen Diplomaten folgten den Ausführungen des chilenischen Vertreters »[…] sichtbar mit Stolz«, wie ein westdeutscher Beobachter bemerkte.45 Die einzigen, die die Menschenrechtsverletzungen kritisierten und ein offizielles Untersuchungsverfahren der Menschenrechtskommission forderten, waren die Repräsentanten Italiens und der Niederlande.46 Großbritannien, Frankreich und die USA vermieden es hingegen, von Menschenrechtsverletzungen in Chile zu sprechen und sahen darin lediglich ein »humanitäres Problem«. In den unterschiedlichen Reaktionen der westlichen Länder spiegelte sich ihre inkohärente Menschenrechtspolitik wider. Während nur wenige progressive Maßnahmen unterstützten, wollten die anderen die Debatte möglichst schnell beenden. Der Vertreter Frankreichs schlug daraufhin vor, ein gemeinsames Telegramm an die chilenische Regierung zu schicken.47 Schnell zeichnete sich eine breite Unterstützung ab und gemeinsam mit der Sowjetunion, Großbritannien, Indien und den USA entwarf die französische Delegation ein Telegramm. Darin brachten alle ihre Besorgnis zum Ausdruck und forderten die Junta auf, die UN-Charta, die AEMR und die Menschenrechtspakte einzuhalten. Zudem wurden die Namen von einzelnen Prominenten genannt, deren Leben in Gefahr sei und denen die Ausreise erlaubt werden sollte.48 Nachdem sich die US -Vertreter bei der chilenischen Regierung rückversicherten, dass das Telegramm für sie akzeptabel war, wurde es abgeschickt.49 Der westdeutsche Beobachter kommentierte diese ungewöhnliche Einigkeit abschließend mit eindringlichen Worten:

44 ORUN: E / C N .4/SR .1271–1285, Summary Records des 1271. bis 1285. Meetings der 30. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 25.02.–06.03.1974; oder PA AA : ZA B30, 115817, Brief der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 01.03.1974. 45 PA AA : ZA B30, 115817, Brief der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 01.03.1974. 46 ORUN: E / C N .4/SR .1272, Summary Records des 1272. Meetings der 30. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 25.02.1974, Statement Mr. van Boven; ebd., E / C N .4/SR .1273 Summary Records des 1273. Meetings der 30. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 26.02.1974, Statement Mr. Cassese. 47 Ebd., E / C N .4/SR .1278, Summary Records des 1278. Meetings der 30. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 28.02.1974, Statements Juvigny und Hoffman. 48 Ebd., E / C N .4/1154, Jahresbericht der 30. Sitzung der Menschenrechtskommission des Jahres 1974, S. 56 f. 49 NARA : AAD, 1974USUNN00675, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State vom 27.02.1974.

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Der chilenische Delegierte erklärte sich vor der Kommission ausdrücklich mit dem Text des Telegrammes einverstanden. Der damit scheinbar sogar zwischen Chile und der Ud SSR hergestellte ›Consens‹ zog einen VN-konformen Schlußstrich unter eine an Dramatik, Emotionen und auch Heuchelei reichen Debatte, die von manchen Beobachtern trotz zahlreicher negativer Aspekte als ein Höhepunkt in der Geschichte der Menschenrechtskommission der VN bezeichnet wurde.50

Während die sozialistischen Staaten den Fall Chile 1974 öffentlich inszenieren und für ihre Propaganda instrumentalisieren wollten, nutzten die westlichen Länder die Debatte in der Menschenrechtskommission, um den Anschein zu erwecken, sie würden sich ernsthaft bemühen. Das gemeinsame Telegramm erfüllte für beide Seiten seinen Zweck, sodass sie am Ende alle zustimmten. Doch durch das gemeinsame Telegramm der Mitglieder der Menschenrechtskommission verbesserte sich weder die Menschenrechtslage in Chile, noch beruhigten sich die internationalen Proteste gegen das Pinochet-Regime und die Untätigkeit der internationalen Staatengemeinschaft. NGOs und Experten begannen nun, die UN unter Druck zu setzten. Kurz nach dem Putsch hatten die ICJ und AI Beweise über die Menschenrechtsverletzungen in dem Land zusammengetragen, die nun veröffentlicht wurden.51 Als im August die Unterkommission zum Schutz von Minderheiten tagte, berichtete ein Vertreter der ICJ den Experten der Kommission, dass der Rechtsstaat in Chile außer Kraft gesetzt sei und politische Häftlinge systematischer Folter ausgesetzt seien.52 Der sudanesische Experte Abu Rannat legte daraufhin gemeinsam mit seinen tunesischen, französischen, italienischen, jugoslawischen, mexikanischen, pakis­tanischen und sowjetischen Kollegen einen Resolutionsentwurf vor, indem sie an die chilenische Regierung appellierten, die Menschenrechte einzuhalten. Außerdem forderten sie NGOs auf, weitere Beweise über Menschenrechtsverletzungen in dem Land zusammenzutragen und diese an den UN-Generalsekretär zu übergeben. Vor allem aber empfahlen sie der Menschenrechtskommission: »[to] study the reported violations of human rights in Chile, with particular reference to torture and other cruel, inhumane or degrading treatment or punish­ment.«53 Nur die südamerikanischen Menschenrechtsexperten stimmten gegen die Resolution. Sie kritisierten, dass die Unterkommission nur allgemeine Studien verfassen sollte und nicht ein einzelnes Land herausgreifen dürfe, da sie dadurch politische Entscheidungen treffen würde, die ihre Kompetenzen über-

50 PA AA : ZA B30, 115817, Brief der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 01.03.1974. 51 Zur Arbeit der NGOs in Chile siehe Mark Ensalaco: Chile Under Pinochet Recovering the Truth, Philadelphia 2000, S. 98–124. 52 ORUN: E / C N .4/1160: Jahresbericht der 27. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten des Jahres 1974, S. 37. 53 Ebd., hier S. 54.

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stiegen.54 Der US -amerikanische Experte und seine britische Kollegin Baro­ness Elles kritisierten einzelne Formulierungen der Resolution. Sie wollten eine Vorverurteilung Chiles vermeiden, um die Glaubwürdigkeit der Unterkommission und des geforderten Untersuchungsverfahrens nicht zu gefährden.55 Grundsätzlich waren sie aber für ein Untersuchung. Die anderen Experten stimmten ihren Änderungsvorschlägen zu und am Ende wurde die Resolution mit 17 Stimmen und 4 Enthaltungen angenommen.56 Damit nahm die erste offizielle Untersuchung der Menschenrechtskommission, die sich nicht gegen Südafrika richtete, Gestalt an und der einzige Widerstand kam von den südamerikanischen Experten. Wenig später trafen sich die Vertreter aller UN-Mitgliedstaaten im Dritten Komitee zur Vorbereitung der 29. Generalversammlung Ende 1974. Chile stand auch hier weit oben auf der Agenda und viele Teilnehmer wünschten sich nun ein entschlossenes Vorgehen der Menschenrechtskommission gegen die Junta. Wie bereits im Februar kam es auch diesmal zu heftigen Wortgefechten zwischen den chilenischen und den sozialistischen Diplomaten. Kurz darauf legten sowohl die Niederlande als auch Kuba und Algerien jeweils einen Resolutionsentwurf zu Chile vor. Der niederländische Entwurf stützte sich dabei explizit auf die Empfehlungen der Unterkommission und forderte eine offizielle Untersuchung der Situation in Chile durch eine Arbeitsgruppe der Menschenrechtskommission. Der kubanisch-algerische Entwurf verurteilte hingegen die chilenische Regierung auf schärfste und prangerte die Menschenrechtsverletzungen an, ohne eine Untersuchung durch die UN zu fordern.57 In der anschließenden Debatte kam es daraufhin erneut zu einer ungewöhnlichen Lagerbildung. Die westeuropäischen Staaten (mit Ausnahme Spaniens) stellten sich zusammen mit Australien und Neuseeland geschlossen hinter den niederländischen Entwurf. Die sozialistischen Staaten unterstützten hingegen den kubanisch-algerischen Entwurf. Die USA , alle südamerikanischen Staaten sowie einige afrikanische, asiatische und muslimische Staaten lehnten hingegen beide Resolutionen ab. Am meisten Kritik kam dabei aus dem Lager süd­ amerikanischer Staaten.58 Ein westdeutscher Diplomat beschrieb die Situation wie folgt: Angesichts der in ihrer Unaufrichtigkeit schwer zu ertragenden massiven Angriffe der Ostblockstaaten und der Kritik der meisten westlichen Staaten sammelten sich die Lateinamerikaner an der Seite Chiles. Sie verurteilten, was nicht ohne Eindruck 54 Ebd., E / C N .4/Sub.2/SR .711, Summary Record des 711. Meetings der 27. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten vom 21.08.1974, Statements Mr. Ingles, Mr. Martinez Cobo, Mr. Diaz Samayoa, Mrs. Daes, Miss. Dubra. 55 Ebd., Statements von Mr. Carter und Baroness Elles. 56 Ebd., S. 15. 57 Vgl. PA AA : ZA B30, 115817, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 16.10.1974. 58 Ebd., Prüfung der behaupteten Menschenrechtsverletzungen in Chile […], o. D.

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auf die Dritte Welt geblieben ist, die Unzulässigkeit und in ihrer Einseitigkeit unfaire Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chiles, die ein politisches Manöver der hierzu am wenigsten aufgerufenen Staaten darstelle. Uruguay sprach von der ›kollektiven Feigheit‹ anderer (gemeint: westlicher) Staaten bei der Behandlung dieses Themas im dritten Ausschuss.59

Auch andere Staaten solidarisierten sich mit Chile. Die Volksrepublik China und Saudi-Arabien beklagten, dass Chile ein Opfer der Großmächte geworden sei und man es von ihren Einflüssen befreien müsste. Am Ende enthielten sich viele Bündnisfreie Staaten der Stimme oder blieben der Abstimmung demonstrativ fern. Darunter waren Staaten, die bis dato als Fürsprecher eines univer­ sellen Menschenrechtsschutzes in den UN aufgetreten waren und wichtige Beiträge zu dessen Einführung geleistet hatten wie Uruguay, Costa Rica, Ecuador oder die Philippinen.60 Schließlich einigten sich die Westeuropäer und die sozialistischen Staaten darauf, beide Resolutionen zusammenzulegen, um eine Stimmenmehrheit gegenüber den Bündnisfreien Staaten zu haben. Am Ende stimmte das Dritte Komitee über eine Resolution ab, in der sowohl die Forderung der westlichen Staaten nach einem Untersuchungsverfahren als auch die Vorverurteilung Chiles enthalten war, die von den sozialistischen Staaten eingebracht wurde.61 Dieser neue Resolutionsentwurf, in dem westeuropäische und sozialistische Länder gemeinsam als Sponsoren auftraten, wurde anschließend von einer deutlichen Mehrheit mit 83 zu 9 Stimmen angenommen. Die Gegenstimmen kamen dabei geschlossen von den Südamerikanern. Von den Staaten Afrikas und Asiens enthielten sich hingegen 21 der Stimme und 22 erschienen nicht zur Abstimmung. Die USA enthielten sich ebenfalls.62 Aus westdeutscher Sicht war dieser Erfolg ein Pyrrhussieg. Delegationsleiter Rüdiger Freiherr von Wechmar beurteilte das Ergebnis abschließend sehr kritisch: Das Abstimmungsergebnis, insbesondere die Nein-Stimmen und Enthaltungen Lateinamerikas und wichtiger, vor allem asiatischer Entwicklungsländer, stellt einen Erfolg Chiles und auch der (durch die jüngsten CIA-Indiskretionen eher kompromittierten) USA dar. In einigen westlichen Delegationen (England, Frankreich und auch bei uns) war das Unbehagen über unser Abstimmungsverhalten unverkennbar, und zwar aus einer Reihe von Gründen: 1. Der Vorwurf, dass die Resolution das Ergebnis einer der Menschenrechtskommission übertragenen Untersuchung trotz der leicht abgemilderten Formulierung vorwegnimmt, ist  – ungeachtet der in Chile fraglos 59 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 24.10.1974. 60 Ebd. 61 Ebd. 62 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 07.11.1974.

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fortbestehenden Menschenrechtsverletzungen – nicht von der Hand zu weisen. Das hier angewandte Verfahren, d. h. keine unparteiische Untersuchung, sondern politisch motivierte Verurteilung, entspricht im Grunde dem Interesse der Sowjetunion. Es droht den Ausbau des noch in den Anfängen steckenden Prozedere im Rahmen der VN bei Untersuchungen von Menschenrechtsverletzungen zu kompromittieren.63

Darüber hinaus fürchtete von Wechmar, die »summarische Kritik an Chile« könnte kontraproduktiv sein und zu einer Abschottung des Regimes führen. Auch die traditionell guten Beziehungen zu den anderen südamerikanischen Staaten sah der Diplomat dadurch gefährdet.64 Dass die Bundesrepublik trotz dieser Zweifel für die Resolution stimmte, lag an der Gruppendynamik des westlichen Lagers und dem Willen, möglichst geschlossen aufzutreten. Das zeigt ein Telegramm der westdeutschen Botschaft. Demnach haben die westeuropäischen ›Neun‹ bereits im Vorfeld erklärt, für den Kompromiss zu stimmen. Einzelne Staaten wie die Niederlande, Belgien und Dänemark erklärten sogar, dass sie für den algerischen Entwurf stimmen würden, sollte die WEOG ihre Resolution zurückziehen. Die westdeutsche Botschaft meldete daraufhin: »Unter diesen Umständen werden auch wir, für den [gemeinsamen] Entwurf stimmen, falls keine anderslautende Weisung […] vorliegt, und falls nicht mindestens mit uns insgesamt 4 EG -Staaten sich der Stimme enthalten.«65 Die Bundesrepublik wollte sich auf keinen Fall isolieren und schloss sich deshalb trotz ihrer Bedenken der Mehrheit an. Die USA standen bei dieser Entscheidung hingegen außen vor. Es war mittlerweile bekannt geworden, dass die CIA den Putsch Pinochets gebilligt hatte und die USA ihre Hände schützend über das Regime hielten. Seit 1972 wurde die Regierung in Washington von einer Serie von Skandalen erschüttert, die als ›Watergate Affäre‹ in die Geschichte eingingen. Diese erlebte ihren Höhepunkt im Sommer 1974, als Präsident Nixon am 9. August schließlich seinen Rücktritt erklärte, um damit einem Amtsenthebungsverfahren zuvorzukommen. Im Zuge der Aufarbeitung des Skandals wurden auch einige verdeckte Operationen der CIA in Afrika, Südostasien und Südamerika öffentlich gemacht, was weitreichende Konsequenzen hatte. Der US -Kongress zwang die Regierung in ihrer Außenpolitik fortan den Menschenrechten mehr Gewicht zu geben. In den UN wurden die USA aber vor allem diskreditiert, weshalb sie sich in den Debatten über Chile zurückhielten.66 63 Ebd., Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 24.10.1974. 64 Ebd. 65 PA AA : ZA B30, 115817, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 15.10.1974. 66 Allgemein zur ›Watergate Affaire‹ siehe Katherine A. Scott: Reining in the State. Civil Society and Congress in the Vietnam and Watergate Eras, Lawrence 2013; dazu, wie sich diese Skandale auf die US -Menschenrechtspolitik auswirkten, siehe Eckel: Ambivalenz, S. 465.

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Anfang 1975 traf sich die Gruppe der westlichen Staaten, um das weitere gemeinsame Vorgehen im Fall Chile zu planen. Dabei zeichnete sich ein Wandel ab.67 Den Anfang machte Großbritannien. Der britische Vertreter betonte, dass seine Regierung eine Situation wie auf der letzten Generalversammlung vermeiden wollte, bei der die westlichen Staaten zusammen mit »strange bedfellows«68 eine widersprüchliche Resolution durchgesetzt hatten. Allerdings sei die öffentliche Stimmung in Großbritannien dermaßen aufgeheizt, dass man sich nicht gegen eine Resolution zu Chile stellen könnte.69 Deshalb forderte er: [A] statement of continuing concern about alleged violations, recogni­tion of areas of progress, and some sort of procedural mechanism which could produce a final report on the situation, final in the sense that UN bodies would not be seized of problem in future.70

Die Aussage des britischen Diplomaten zeigt zum einen, dass es seiner Regierung primär darum ging, die öffentliche Meinung im eigenen Land zu beruhigen. Anstatt sich ernsthaft mit den Menschenrechtsverletzungen in Chile zu befassen. Zum andern verdeutlicht sie aber auch, dass die öffentliche Meinung 1975 zu einem wichtigen Einflussfaktor in der britischen Außenpolitik geworden war. Diese Haltung änderte sich wenig später grundlegend. Beim nächsten WEOG -Treffen an dem Diplomaten aus Frankreich, Großbritannien, Österreich, den Niederlanden, der Bundesrepublik, der Türkei und den USA teilnahmen, einigten sich die Vertreter darauf, dass der UN-Menschenrechtsschutz zukünftig ein Schwerpunkt ihrer UN-Politik bilden sollte. Im Auswärtigen Amt sprach man sogar von einer ›Menschenrechtsinitiative‹. Da die Einführung eines Hochkommissars für Menschenrechte 1974 vorerst gescheitert war, sah man nun im CBM der Menschenrechtskommission eine Alternative, die man stärker fördern wollte. Chile sollte dabei den nötigen Präzedenzfall schaffen, mit dem das Verfahren erstmals angewandt werden konnte.71 Eine erfolgreiche Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen war somit entscheidend, um das Verfahren voranzubringen. Von da an engagierten sich die westlichen Staaten für ein seriöses und effektives Untersuchungsverfahren. Sie taten das nicht 67 Zu den Treffen siehe PA AA : ZA B30, 115817, Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 10.01.1975; sowie Vermerk vom 17.01.1975; sowie ebd., Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 19.01.1975; sowie ebd., Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 23.01.1975. 68 NARA : AAD, 1975USUNN00024, US -Botschaft in New York an das Department of State in Washington D. C. vom 07.01.1975. 69 Ebd. 70 Ebd. 71 Vgl. PA AA : ZA B30, 121112, Drahtbericht der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 23.01.1975; NARA : AAD, 1975USUNN00076, US -Botschaft in New York an das Department of State in Washington D. C. vom 10.01.1975.

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nur, um dem öffentlichen Druck im Inland zu kompensieren, sondern auch, weil sie damit weiterführende Ziele verbanden und sich in Zukunft mit dem Thema Menschenrechtsschutz in den UN profilieren wollten.72 Um ein solches Verfahren durchzusetzen, war man allerdings auf die Kooperation der Junta in Santiago angewiesen und diese sandte zur gleichen Zeit sehr widersprüchliche Signale. Auf der einen Seite beharrte sie auf ihrem Standpunkt und verurteilte die internationalen Proteste lautstark als kommunistische Verschwörung. Auf der anderen Seite kündigte Pinochet die Freilassung politischer Häftlinge an.73 Das verunsicherte die Gruppe der westlichen Staaten. Sie fürchteten, die Junta könne sich noch mehr abschotten und einer UN-Untersuchungskommission den Zugang verweigern. Deswegen wollten sie nun auch die positiven Entwicklungen in Chile seit Anfang des Jahres würdigen, um damit Entgegenkommen auszudrücken.74 Auch die USA schlossen sich diesem Plan an: »If, however, majority sentiment favors study of situation on Chile by UN -HRC , we are prepared to support.«75 Zweifel an dem Vorhaben äußerten nur die französische Delegation.76 Die Niederlande, Großbritannien und Österreich forderten hingegen, den »moralischen Druck« auf Pinochet noch weiter zu erhöhen. Die Niederländer gingen sogar soweit, dass sie drohten, im Notfall auch mit der Sowjetunion alleine zusammenzuarbeiten, um eine entsprechende Resolution zu erwirken – »in a business like fashion«, wie der niederländische Vertreter Theo van Boven versicherte.77 Damit vertrat dieser die extremste Position in der Runde. Im Auswärtigen Amt löste das große Besorgnis aus, weil man nun fürchtete, dass sich die Gruppe noch weiter radikalisieren könnte.78 Mit Ausnahme der Niederlande war das westliche Lager aber entschlossen, möglichst geschlossen aufzutreten und einen Entwurf zu präsentieren, der sich deutlich von dem sowjetischen abgrenzen sollte.79 Großbritannien und die Niederländer arbeiteten daraufhin gemeinsam einen Entwurf aus, den die USA anschließend von den chilenischen Vertretern vorab absegnen lassen sollten. Alle Beteiligten wussten, dass die Untersuchung nur 72 Siehe dazu Kap. 3.3. 73 Vgl. PA AA : ZA B30, 115817, Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 10.01.1975; ebd., Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Santiago de Chile an das Auswärtige Amt in Bonn vom 16.11.1974. 74 Ebd., Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 10.01.1975. 75 NARA : AAD, 1975STATE008973, Weisung des Department of State an die US -Botschaft in New York vom 14.01.1975. 76 PA AA : ZA B30, 115817, Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 19.01.1975. 77 Ebd., Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 19.01.1975. 78 Ebd., Vermerk vom 23.01.1975. 79 Vgl. ebd.; sowie NARA : AAD, 1975USUNN00164, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State in D. C. vom 17.01.1975.

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mit Zustimmung der chilenischen Regierung den erwünschten Erfolg erzielen konnte und einen tragfähigen Präzedenzfall schaffen würde. Zudem plante man, für die Untersuchungsgruppe nur die Staaten zu berücksichtigen, die diplomatische Beziehungen zu Chile unterhielten, wodurch die sozialistischen Staaten als Kandidaten von vornherein ausgeschlossen wurden, um damit der chilenischen Regierung entgegenzukommen.80 Dennoch waren die Vorzeichen schlecht. Sowohl gegenüber den Unterhändlern der USA als auch gegenüber Vertretern der Bundesrepublik machte die Junta klar, dass sie einer UN-Untersuchung nicht zustimmen würde. Zur Begründung hieß es:81 […] ihre Versuche, internationalen Kommissionen die Nachprüfung der Verhältnisse im Lande zu ermöglichen, hätten sich insofern als wenig nützlich erwiesen, als leider diesen Kommissionen meist Personen angehört hätten, die früher gehörte Meinungen bestätigt finden wollten, statt die Lage zur Zeit ihres Aufenthaltes neu und gründlich zu prüfen.82

Selbst als der US -Diplomat davor warnte, dass die Alternative eine sowjetische Resolution sei, in der sein Land direkt beschuldigt und vorverurteilt wurde, wollte der chilenische Außenminister nicht von seinem Standpunkt abrücken.83 Wie diese Vorbereitungen zeigen, hatte der Wandel in der Haltung der westlichen Staaten im Fall Chile drei Ursachen. Erstens hatten alle das Bedürfnis, möglichst geschlossen aufzutreten, was dazu führte, dass Mitglieder wie die USA ihre Haltung an die ihrer Verbündeten anpassten. Gleichzeitig setzten Länder wie die Niederlande, Österreich oder Italien, die eine offensivere Position vertraten, die anderen unter Druck, sich ihrer Position anzunähern. Die Gruppendynamik innerhalb der westlichen Gruppe war somit ein entscheidender Faktor. Zweitens war es den westlichen Staaten wichtig, sich von den sozialistischen Ländern mit einer eigenen Resolution abzugrenzen. Nur die Niederländer zeigten sich gegenüber den sowjetischen Diplomaten offen. Das zeigte, wie wichtig die Konkurrenz für die Entscheidungsfindung im westlichen Lager war. Dieses wollte der Sowjetunion nicht die Deutungshoheit im Fall Chile überlassen, sondern eine Gegenposition einnehmen und das sozialistische Lager in der Menschenrechtskommission isolieren. Die westliche Gruppe konsolidierte sich

80 Ebd., Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 19.01.1975 (außer Rumänien). 81 Vgl. NARA : AAD, 1975SANTIA00325, Telegramm der US -Botschaft in Santiago de Chile an das Department of State in Washington D. C. vom 16.01.1974; PA AA : ZA B30, 115817, Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Santiago de Chile an das Auswärtige Amt vom 29.01.1975. 82 PA AA : ZA B30, 115817, Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Santiago de Chile an das Auswärtige Amt vom 29.01.1975. 83 NARA : AAD, 1975SANTIA00325, Telegramm der US -Botschaft in Santiago de Chile an das Department of State in Washington D. C. vom 16.01.1974.

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mit der gemeinsamen Forderung nach einem effektiven Untersuchungsverfahren. Drittens wollte sie damit die innenpolitische Kritik kompensieren. Das verdeutlicht, wie komplex Entscheidungsprozesse in der multilateralen Politik in den 1970er-Jahren geworden waren. Die wachsende Bedeutung der öffentlichen Meinung und das Bestreben, sich außenpolitisch zu konsolidieren, trieb die westliche Menschenrechtspolitik in dieser Zeit an. Der Menschenrechtsschutz bildete dabei das verbindende Element, hinter dem sich die westlichen Staaten in den UN zusammenschließen und ein positives Image im In- und Ausland erzeugen konnte.84 Am 25. Februar 1975 eröffnete Direktor Schreiber die Sitzung zum Thema: »Study of Reported Violations of Human Rights in Chile«.85 Im Anschluss stellte der niederländische Vertreter van Boven den westlichen Resolutionsentwurf vor, in dem die Einrichtung einer dreiköpfigen Ad-hoc-Arbeitsgruppe gefordert wurde, die nach Chile reisen sollte, um vor Ort Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Der Entwurf wurde vor allem von den südamerikanischen Staaten positiv aufgenommen und Nicaragua ließ sich sogar als Co-Sponsor aufstellen. Diese unterstützten grundsätzlich ein unabhängiges Untersuchungsverfahren und waren lediglich gegen eine einseitige Vorverurteilung. Der Grund für diesen Meinungsumschwung war, dass sich die Beziehungen zwischen Chile und seinen Nachbarn mittlerweile deutlich abgekühlt hatten.86 Danach präsentierte der sowjetische Vertreter die sozialistische Resolution, in der Chile »Gross Violations of Human Rights« vorgeworfen wurden. Zudem wurde in dem Entwurf ein Ausschluss Chiles aus den UN angedeutet.87 Nun kam es auf die Stimmen der Staaten Afrikas und Asiens an und auf den Korridoren des Palais de Nations in Genf begannen die informellen Verhandlungen zwischen den Diplomaten. Dabei nutzten die westlichen Vertreter ihre guten persönlichen Kontakte zu den südamerikanischen Diplomaten. Diese bemühten sich wiederum, die Staaten Afrikas und Asiens zur Kooperation zu bewegen. Dabei zeichnete sich früh ab, dass letztere zur westlichen Resolution tendierten. Allerdings forderten sie eine stärkere Beteiligung an der geplanten Ad-hoc-Arbeitsgruppe.88 Kurz darauf rissen die Bündnisfreien Staaten das Thema jedoch an sich. Senegal, Indien und Ägypten erarbeiteten einen eigenen Entwurf, in dem sie eine fünfköpfige Ad-hoc-Arbeitsgruppe vorschlugen. Die Mitglieder dieser Arbeitsgruppe sollten vom pakistanischen Vorsitzenden der Menschenrechtskommis84 Siehe dazu auch Kap. 3.3. 85 Vgl. ORUN: E / C N .4/1179: Jahresbericht der 31. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1975; sowie ebd., E / C N .4/SR .1318, Summary Record der 1318. Meetings der 31. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 25.02.1975. 86 Vgl. PA AA : ZA B30, 115817, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 25.02.1975; mit ORUN: E / C N .4/L.1301, Resolutionsentwurf der Niederlande, Nicaraguas und Großbritanniens. 87 ORUN: E / C N .4/L.1303, sowjetischer Entwurf. 88 NARA : AAD, 1975STATE044937, Telegramm des Department of State an die US -Botschaft in Saigon vom 27.02.1975.

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sion Ghulam Ali Allana ernannt werden.89 Damit konnten die sozialistischen Staaten von der Untersuchung ausgeschlossen werden, was eine Kernforderung Chiles war. Um den sozialistischen Staaten entgegenzukommen, wurden im Gegenzug die Menschenrechtsverletzungen in Chile nur angedeutet, ohne sie jedoch ausdrücklich zu bestätigen: »Nothing with serious concern the continuing reports of violations of human rights in Chile.«90 Abschließend beantragten die Bündnisfreien Staaten die Resolution per Konsensentscheidung anzunehmen, wodurch sie die anderen beiden Entwürfe aushebelten.91 Ost und West waren nun gezwungen, dem Vorschlag Senegals zuzustimmen, wenn sie ihre Forderung wenigsten teilweise durchsetzen und sich nicht isolieren wollten. Dies konfrontierte beide Seiten mit einem Dilemma, wobei die westlichen Staaten deutlich besser abschnitten als die sozialistischen. Ihre Forderung nach einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe wurde erfüllt. Gleichzeitig gab es nur eine indirekte Anspielung auf die Menschenrechtsverletzungen in Chile. Für die Sowjetunion war die Resolution der Bündnisfreien hingegen nur schwer zu verdauen. Sie waren gegen eine Untersuchung und wollten stattdessen nur eine öffentlichkeitswirksame Verurteilung Chiles. Gleichzeitig wollten sie sich nicht isolieren und sich als einzige gegen eine Resolution stellen. Ein Mitglied der westdeutschen Delegation brachte diese missliche Situation in einem Telegramm auf den Punkt: Angesichts des von der Ud SSR eingebrachten Resolutionsentwurfs […] stellt die Kommissionsentscheidung eine kaum verhüllte Niederlage der am Schluss nahezu völlig isolierten Sowjetunion dar. Deren Forderung nach Verurteilung und Isolierung der ›faschistischen Junta‹ fand keinen Anklang. Die Ud SSR , die sich stets gegen die Entsendung derartiger Untersuchungskommissionen ausgesprochen hatte, musste nun ausgerechnet als Folge der vor allem von ihr betriebenen Kampagne gegen Chile der Schaffung eines Präzedenzfalles zustimmen.92

Am 27. Februar 1975 wurde die senegalesische Resolution angenommen.93 Im Anschluss wurden die Mitglieder der Ad-hoc-Arbeitsgruppe ausgewählt. Darunter war der pakistanische Vorsitzende Ghulam Ali Allana, der Österreicher Ermacora, Leopoldo Benites aus Ecuador, Abdoulaye Diéye aus Senegal und M. J.T. Kamara aus Sierra Leone.94 Aus Sicht des Auswärtigen Amtes hatte die 89 PA AA : ZA B30, 115817, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 25.02.1975. 90 ORUN: E / C N .4/L.1303, Resolutionsentwurf des Senegals. 91 Ebd., E / C N .4/1179, Jahresbericht der 30. Sitzung der Menschenrechtskommission des Jahres 1975, S. 26, § 107. 92 PA AA : ZA B30, 115817, Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 25.02.1975. 93 Vgl. Ebd., mit NARA : AAD, 1975GENEVA01273, Telegramm der US -Botschaft in Genf an das Department of State vom 25.02.1975; sowie ebd., 1975GENEVA01328, Telegramm der US -Botschaft in Genf an das Department of State vom 27.02.1975. 94 ORUN: E / C N .4/1179, Jahresbericht der 30. Sitzung der Menschenrechtskommission des Jahres 1975, S. 26 § 111.

Eklat auf der 30. Generalversammlung 1975 

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Menschenrechtskommission mit dieser Entscheidung einen historischen Schritt vollzogen. Erstmals wurde mit der Zustimmung des betroffenen Staates eine öffentliche Untersuchung der Menschenrechtskommission eingeleitet, die sich nicht gegen Südafrika oder Israel richtete. Doch Chile war mehr als nur ein wichtiger Präzedenzfall für den UN-Menschenrechtsschutz. Der Fall zeigte, welche wichtige Stellung NGOs und die Öffentlichkeit in den 1970er-Jahren einnahmen und wie sie die Menschenrechtspolitik und die Konkurrenz zwischen Ost und West beeinflussten. Sie übernahmen die Rolle des bewertenden Dritten, um dessen Gunst beide Seiten stritten. Der Westen wollte eine Untersuchung, um die öffentliche Kritik zu kompensieren. Die sozialistischen Staaten wollten hingegen eine öffentlichkeitswirksame Verurteilung, um den Westen vorzuführen und sich international zu profilieren. Beide Seiten passten damit ihre Politik an die vermuteten Erwartungen der Öffentlichkeit an, was dazu führte, das am Ende Ost und West gemeinsam eine Resolution verabschiedeten, die ein Untersuchungsverfahren gegen Chile einleitete. Die Konkurrenz war damit erneut der entscheidende Impulsgeber und zugleich der Motor, der die Entwicklung des UN-Menschenrechtsschutzes voranbrachte.

3.2 Eklat auf der 30. Generalversammlung 1975 Die Dekolonisierung erreichte 1975 in Afrika und Asien einen Höhepunkt. Im November löste sich das portugiesische Kolonialreich auf und Kap Verde, Sao Tomé und Príncipe, Mosambik, Angola sowie Osttimor wurden unabhängig. In Angola und Osttimor kam es daraufhin zu Bürgerkriegen. Während in Osttimor das indonesische Militär diese Situation ausnutzte, das Land besetzte und mit Gewalt gegen die lokale Bevölkerung vorging, intervenierte Kuba eigenmächtig in Angola. Fidel Castro entsandte ein mehrere Tausend Soldaten umfassendes Expeditionsheer in den Süden Afrikas, um die marxistische MPLA im Bürgerkrieg zu unterstützen und die eindringenden südafrikanischen Streitkräfte zu bekämpfen.95 Das Ende der Dekolonisierung war brutal und läutete 1975 zugleich den Beginn einer neuen Phase der Beziehungen zwischen den ›ent­w ickelten‹ Staaten Westeuropas sowie Nordamerikas und den ›unterentwickelten‹ Staaten in Afrika, Asien und Südamerika ein. Im Nord-Süd-Konflikt forderten die Bündnisfreien Staaten nun eine ›Neue Weltwirtschaftsordnung‹, mit der sie ihre ökomische Gleichberechtigung, finanzielle Unterstützung sowie mehr politischen Einfluss durchsetzen wollten. Um ihre Forderung zu verstärken, hatten sie mithilfe der sozialistischen Staaten bereits 1973 eine Sonder95 Zu den Konflikten im südlichen Afrika infolge des Zusammenbruchs des portugiesischen Kolonialreichs 1975 siehe: Westad: Global, S. 207–249; sowie Piero Gleijeses: Visions of Freedom. Havana, Washington, Pretoria, and the Struggle for Southern Africa, 1976– 1991, Chapel Hill 2013, S. 17–37.

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sitzung der Generalversammlung zum Thema »Development an International Corporation« für das Jahr 1975 durchgesetzt.96 Damit versuchten sie das Thema ins Zentrum zu rücken. Dabei kam es auf der 30. Generalversammlung zu einem Eklat, der den Umgang der westlichen Staaten mit den Menschenrechten und deren Haltung zu den Vereinten Nationen langfristig veränderte. Der NordSüd-Konflikt dominierte damit ab 1975 die meisten Debatten in den Vereinten Nationen und beeinflusste auch die Konkurrenz um Menschenrechte. Die Gruppe der westlichen Staaten traf sich bereits im Januar 1975, um ihre zukünftige UN-Politik abzusprechen. Nachdem die Debatte über einen Hochkommissar für Menschenrechte 1974 erneut verschoben wurde und sich die USA zurückgezogen hatten, übernahmen die Westeuropäer die Führung. Diese wollten sich mit einer neuen kohärenten Menschenrechtspolitik profilieren und rückten das Thema Menschenrechtsschutz ins Zentrum. Obwohl alle Beteiligten weiterhin von der Idee eines Hochkommissars für Menschenrechte überzeugt waren, wussten sie, dass dessen Umsetzung unrealistisch war. Deshalb einigten sie sich auf vier Alternativen, mit denen der Menschenrechtsschutz langfristig gestärkt werden sollte.97 Erstens griffen sie die Idee regionaler Menschenrechtskommissionen wieder auf und wollten zukünftig für den Aufbau regionaler Menschenrechtsregime in Asien und Afrika plädieren, wobei die Europäische Menschenrechtskommission als Vorbild dienen sollte. Zweitens sollte das TBM gestärkt werden, indem man für die Ratifizierung der Menschenrechtspakte warb. Drittens wollten sie eine Untersuchung gegen Chile in die Wege leiten, um einen Präzedenzfall zu schaffen, mit dem das CBM gefördert wurde. Viertens beschlossen sie, die guten Dienste des UN-Generalsekretärs zu stärken und diesem mehr Personal aus westlichen Staaten zur Seite zu stellen. Die Westeuropäer setzten sich damit geschlossen und auf breiter Front für die Stärkung des UN-Menschenrechtsschutzes ein. Im Auswärtigen Amt bezeichnete man diese neue politische Strategie als ›Menschenrechtsinitiative‹98 und machte sich daran, diese auf der Generalversammlung Ende 1975 umzusetzen.99 Während sich die Westeuropäer 1975 unter dem Banner des Menschenrechtsschutzes zusammenschlossen, strauchelten die USA geschwächt durch innere und äußere Krisen.100 Neben der ›Watergate Affäre‹, musste das Land 96 ORUN: A / R ES /28/3272, Resolution der Generalversammlung vom 17.12.1973. 97 Vgl. PA AA : ZA B30, 121112, Bericht der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt in Bonn vom 23.01.1975, Betr. Vorbereitung XXX . GA »TOP Alternative Wege«. 98 So die Beschriftung der Aktendeckel im Archiv, siehe dazu exemplarisch PA AA : ZA B30, 115818. 99 Vgl. ebd., 121112, Bericht der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt in Bonn vom 23.01.1975, Betr. Vorbereitung XXX . GA »TOP Alternative Wege«. 100 NARA : AAD, 1975USUNN01734, US -Botschaft in New York an das Department of State in Washington, D. C. vom 23.05.1975.

Eklat auf der 30. Generalversammlung 1975 

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außenpolitische Rückschläge hinnehmen. Im April 1975 stürmte die nordvietnamesische Volksarmee Saigon und beendete den seit fast 30 Jahren andauernden ›Indochina Krieg‹.101 Im gleichen Monat übernahmen die kommunistischen Roten Khmer in Kambodscha die Macht und im November landeten die kubanischen Truppen in Angola. Diese scheinbaren Erfolge kommunistischer Streitkräfte in Saigon, Phnom Penh und Luanda führten gepaart mit der kriselnden US -Wirtschaft dazu, dass immer mehr Menschen in den USA einen außenpolitischen Wandel forderten.102 Sie wollten eine moralischere Außenpolitik, die sich an religiösen und demokratischen Grundwerten orientierte.103 Das ebnete den Weg für ein breites Spektrum neuer politischer Strömungen in den USA vom liberalen Jimmy Carter bis hin zum konservativen Ronald Reagan. Beide forderten eine an Moral orientierte US -Außenpolitik und brachten sich nach dem Rücktritt Präsident Nixons für den nächsten Präsidentschaftswahlkampf in Stellung.104 Im Rahmen der Debatte über die Neuausrichtung der US -Außenpolitik brach zudem 1975 ein Streit zwischen der US -Regierung und dem State Department aus, der in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde. Der ehemalige Präsident Nixon neigte dazu, das Außenministerium zu übergehen und die Entscheidungsgewalt auf den Nationalen Sicherheitsrat und Kissinger zu übertragen. Nach Nixons Rücktritt forderten die US -Diplomaten in Washington wieder mehr Mitsprache.105 Führende Mitarbeiter des State Department veröffentlichten deshalb Artikel in großen überregionalen Zeitungen wie in der Washington Post, der New York Times oder dem Christian Science Monitor, in denen sie einen Kurswechsel in der US -Politik forderten. Der schwindende Einfluss in den Vereinten Nationen war dabei ein zentrales Argument.106 Der US -Kongress setzte sogar einen Untersuchungsausschuss ein, der das ›Versagen‹ der USA in den UN aufarbeiten sollte.107 Der bekannte Soziologe Daniel Patrick Moynihan veröffentlichte zudem im Spätsommer 1975 einen kontrovers diskutierten Ar-

101 Westad, Global: S. 158–207; Fredrik Logevall: The Indochina wars and the Cold War, 1945–1975, in: Melvyn P. Leffler / Odd Arne Westad (Hg.): The Cambridge History of the Cold War. Crises and Détente, Bd. 2, Cambridge 2010, S. 281–304. 102 Zur außenpolitischen Krisenwahrnehmung in den USA in den 1970er-Jahren siehe Barbara Zanchetta: The Transformation of American International Power in the 1970s, Cambridge 2014. 103 Keys: Reclaiming, S.153–178; Snyder: Call. 104 Zur konservativen Kritik an der UN in den USA in den 1970er-Jahren und wie diese die spätere Politik Ronald Reagans prägte siehe Laurence R. Jurdem: »That Mad Hatters Tea Party on the East River«. Conservative Journals of Opinion and the United Nations 1964–1981, in: Cold War History 17/1 (2017), S. 39–59; sowie zu Carter siehe Keys: Reclaiming. 105 Suri: Kissinger, S. 205 u. 223 f. 106 PA AA : MfAA , ZR 1067/84, Informationen zur Haltung der USA gegenüber den Vereinten Nationen vom 13.05.1975 (Zusammenfassung und Analyse der Debatte). 107 Jurdem: Hatters hier S. 48.

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tikel in der Zeitschrift Commentary.108 In dem Beitrag »The US in Opposition« kritisierte er »The tyranny of the UN ’s new majority«, wonach eine Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten eine prosozialistische und antiamerikanische Ideologie vertreten würden. Deshalb sei es nun an der Zeit, dass die USA in den UN in die Opposition gehen sollten, um offensiv für einen »International Liberalism« einzutreten. Die USA sollten sich zusammen mit ihren westlichen Verbündeten stärker für ihre politischen Ideale einsetzen, auch auf die Gefahr hin, sich dadurch zu isolieren.109 Nixons Nachfolger Präsident Gerald Ford und sein Außenminister Kissinger äußerten sich nicht öffentlich zu dieser Debatte. Stattdessen begnügten sie sich mit symbolischen Gesten und erhöhten die Gehälter der US -Botschaftsmitarbeiter in New York.110 Zudem ernannten sie Moynihan zum neuen US -Botschafter bei den Vereinten Nationen.111 An der ›Menschenrechtsinitiative‹ der Westeuropäer hatte das State Department 1975 hingegen kein großes Interesse. Zwar wollte man den Entwurf der Convention Against Torture (CAT) vorstellen, die auf eine Initiative von AI zurückging. Das Hauptaugenmerk lag aber darauf, einen Ausschluss Israels aus den Vereinten Nationen zu verhindern, worauf im Vorfeld einiges hindeutete.112 Die 30. Generalversammlung ging als Tiefpunkt in die Geschichte der Vereinten Nationen ein. Prägend war dabei vor allem der Auftritt des ugandischen Präsidenten Idi Amin Dada. Dieser putschte sich 1971 ins Amt und während er anfangs von weiten Teilen der Bevölkerung unterstützt wurde, entwickelte er sich schnell zu einem der schillerndsten und brutalsten Diktatoren Afrikas. Willkürlich ließ er Tausende Menschen verhaften, foltern und umbringen.113 AI sowie die ICJ hatten öffentlich auf seine Verbrechen aufmerksam gemacht und seit 1974 stand sein Land im Rahmen der ECOSOC -Resolution 1503 unter Beobachtung der UN-Menschenrechtskommission.114 108 Daniel Patrick Moynihan: The US in Opposition, in: Commentary 59/3 (1975), S. 31–44. 109 Ebd. 110 PA AA : MfAA , ZR 1067/84, Informationen zur Haltung der USA gegenüber den Vereinten Nationen vom 13.05.1975. 111 Gil Troy, Moynihan’s Moment. America’s Fight Against Zionism as Racism, Oxford 2013, S. 1–15. 112 NARA : AAD, 1975USUNN01551, Department of State in Washington, D. C. an alle Botschaften vom 08.05.1975 (erste Meldung); ebd., 1975STATE191465, Department of State in Washington, D. C. an alle Botschaften vom 13.08.1975 (letzte Meldung vor Beginn der Sitzung). 113 Vgl. Daniel G.  Acheson-Brown: The Tanzanian Invasion of Uganda. A Just War? In: International Third World Studies Journal and Review 12 (2001), S. 1–11; Phares Mukasa Mutibwa: Uganda since independence. A Story of Unfulfilled Hopes, Trenton 1992, S. 120 f. 114 UNARM : SG Waldheim, S-0913-04-010 Human Rights 1974, Memorandum von Marc Schreiber an Generalsekretär Waldheim: Zur 27. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten  – Treffen der Arbeitsgruppe zu Individualbeschwerden, 16.08.1974.

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Dennoch nutzte Amin 1975 die Generalversammlung als Bühne, um sich als Herrscher seines Landes und Vorsitzender der Organisation of African Unity (OAU) zu inszenieren. Er saß mit Orden behangen und einem Marschallstab in der Hand auf einem Thron neben dem Rednerpult, während ein Assistent seine Rede verlas. Die zentrale Botschaft darin war, dass nach dem erfolgreichen Kampf um nationale Selbstbestimmung die Staaten der ›Dritten Welt‹ nun für ihre ökonomische Selbstbestimmung kämpfen sollten. Die Forderung nach einer ›Neuen Weltwirtschaftsordnung‹ sowie die damit verbundene globale Umverteilung der Besitzverhältnisse zwischen Nord und Süd bildeten den Kern seiner Rede. Anschließend widmete er sich den, aus seiner Sicht, größten Bedrohungen der Menschheit – Rassismus und Zionismus – verkörpert durch die Staaten Südafrika und Israel. Dabei sah er enge Verbindungen zwischen diesen Staaten und beiden -ismen. Beides seien Produkte des Kolonialismus, deren einziges Ziel es sei, die Welt zu beherrschen. Ihre wichtigsten Unterstützer seien dabei die Vereinigten Staaten. Diese belieferten Israel und Südafrika mit Waffen, darunter angeblich auch Atomwaffen: »This has created great uncertainty and fear not only in the Middle East but in all of Africa, which in the northern corner has the Zionists and in the southern corner the Boers of South Africa.«115 Amins Ausführungen gipfelten in der Behauptung, die USA selbst seien nur eine Marionette der Zionisten: The United States persistent support for Israel stems from the sad history of colonization. The United States of America has been colonized by the Zionists who hold all the tools of development and power. They own virtually all the banking institutions, the major manufacturing and processing industries and the major means of communication; and have so much infiltrated the Central Intelligence Agency that they are posing a great threat to nations and peoples which may be opposed to the atrocious Zionist movement.116

Die Anlehnung an den Mythos einer jüdischen Weltverschwörung war unverkennbar.117 Wie alle Verschwörungserzählungen baute auch die von Amin auf die Verbindung von Fakten und Fiktion. Tatsächlich unterhielten sowohl Israel als auch Südafrika eigene Atomwaffenprogramme. Während Israel 1975 bereits über solche Waffen verfügte, stand Südafrika kurz vor der Fertigstellung der ersten Atombombe.118 Es gab seit Anfang des Jahrzehnts eine enge Kooperation zwischen Südafrika und Israel bei der Entwicklung und Herstellung konventio115 ORUN : A / P V/2370, Summary Records der 2370. Plenarsitzung der 30. Generalversammlung vom 01.10.1975, Rede Idi Amins. 116 Ebd. 117 Für einen allgemeinen Überblick zur Entstehung und dem Wandel antisemitischer Verschwörungsmythen von der Antike bis in die Neuzeit siehe: Wolfgang Benz: Antisemitismus. Präsenz und Tradition eines Ressentiments, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 2020. 118 Nic von Wielligh / Lydia von Wielligh-Steyn: The Bomb. South Africa’s Nuclear Program, Pretoria 2015.

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neller Waffensysteme wie Kriegsschiffe, Mittelstreckenraketen und Handfeuerwaffen.119 Über eine mögliche nukleare Kooperation zwischen beiden Staaten wurde viel spekuliert, Beweise dafür konnten jedoch noch nicht vorgelegt werden.120 Auch Amins Anspielungen auf die CIA waren nicht ganz aus der Luft gegriffen. Tatsächlich gab es 1975 zahlreiche spektakuläre Enthüllungen, im Rahmen der von Präsident Ford eingesetzten ›Rockefeller Kommission‹ sowie der von dem demokratischen Senator Frank Church geleiteten parlamentarischen Untersuchungsgruppe über die geheimen Operationen der CIA . In diesen wurden Mordversuche des US -Geheimdienstes an ausländischen Staatschefs wie Castro oder Patrice Lumumba aufgedeckt. Auch die US -amerikanische Beteiligung an zahlreichen Staatsstreichen wurde öffentlich.121 Die USA versuchten immer wieder, mithilfe illegaler Aktionen ihrer Geheimdienste die politischen Entwicklungen in anderen Ländern zu beeinflussen, dass das Land aber eine Marionette der zionistischen Bewegung sei und nicht im eigenen Interessen handelte, war falsch. Das zeigte vor allem der Umgang der verschiedenen US -Regierungen mit den ›Refuseniks‹. Die Ziele des Zionismus hatten keinen Platz in der US -Außenpolitik.122 Amins Assistent beendete seine Rede mit der Forderung, Israel aus den Vereinten Nationen auszuschließen und den Staat als solchen »auszulöschen«. Obwohl Amins Assistent im Folgenden versuchte, seine Aussage zu entschärfen, indem er klarstellte, dass die Drohung nur dem Staat und nicht den Menschen gelte, hatte er damit eine Grenze überschritten.123 Die öffentliche Aufforderung, einen Mitgliedstaat zu vernichten, war ein Novum in der Geschichte der Generalversammlung und sorgte in der westlichen Öffentlichkeit für scharfe Kritik.124 Amins Rede hatte Folgen. Ein Vertreter der Palestine Liberation Organization (PLO) griff daraufhin im Dritten Komitee Amins Worte auf und nutzte die Debatte über die 1973 ausgerufene Dekade gegen Rassendiskriminierung, um einen Zusammenhang zwischen Rassismus und Zionismus herzustellen. Kuba reichte daraufhin zusammen mit der Volksrepublik Jemen, Syrien, Libyen 119 Eine umfassende Quellensammlung dazu in NSA : Electronic Briefing Book Nr. 181, Document 25, African Review des National Foreign Assessment Centers vom 08.06.1981, online: http://nsarchive.gwu.edu/NSAEBB /NSAEBB181/sa25.pdf (08.04.2021). 120 Zur Debatte über eine israelisch-südafrikanische Kooperation vgl. Sasha PolakowSuranski: The Unspoken Alliance. Israel’s Secret Relationship with Apartheid South Africa, New York 2010; Martha van Wyk: Sunset Over Atomic Apartheid. United StatesSouth African Nuclear Relations, 1981–1993, in: Cold War History 10/1 (2010), S. 51–79; Peter Liberman: The Rise and Fall of the South African Bomb, in: International Security, 26/2 (2001), S. 45–86. 121 Schmitz: United States, S. 112–142. 122 Peretz: People, S. 135–245. 123 ORUN : A / P V/2370, Summary Records der 2370. Plenarsitzung der 30. Generalversammlung vom 01.10.1975, Rede Idi Amins. 124 Troy: Moynihan, S. 158–183.

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und Somalia eine Resolution ein, in der Zionismus mit Rassismus gleichgesetzt wurde.125 Die Verbindung beider Themen war nicht neu. Bereits Anfang der 1960erJahre hatten die sozialistischen Staaten diese hergestellt, als Israel versuchte, Antisemitismus in die Deklaration gegen Rassendiskriminierung einzuschreiben. Danach wurde die Anschuldigung in unregelmäßigen Abständen in den UN aufgegriffen, meistens von sozialistischen Staaten, als Reaktion auf den Vorwurf, jüdische Menschen zu diskriminieren.126 Darüber hinaus spielte das Thema auch innenpolitisch eine wichtige Rolle, um die Ausreisebestrebungen jüdischer Bürger zu diskreditieren.127 In den 1970er-Jahren verschärfte die politischen Entwicklung im Nahen Osten diese Debatte. Der ›Kampf gegen den Zionismus‹ entwickelte sich zu einem zentralen Motiv der ›Neuen Linken‹ im Westen. Die DDR und andere sozialistische Staaten nutzten dies, um sich als Anführer einer ›globalen antizionistischen Bewegung‹ zu präsentieren. Der Antizionismus ersetzte dabei den Antifaschismus als Leitmotiv der sozialistischen Internationalen und die Sowjetunion und die DDR hofften damit, Teile der Studentenbewegung zu vereinnahmen.128 Hinzu kam der immer größer werdende Zuspruch aus den Reihen der arabischen Staaten. Am deutlichsten wurde das auf der ersten Internationalen Weltfrauenkonferenz in Mexiko-Stadt im Sommer 1975. Dort gelang es den sozialistischen und arabischen Staaten, Zionismus in verschiedenen Resolutionen sowie der Abschlussdeklaration mit Rassismus, Kolonialismus und der Apartheid gleichzusetzen.129 In New York legte Kuba schließlich Ende 1975 den Entwurf für die Resolution vor, in der Zionismus mit Rassismus gleichgesetzt wurde. Die USA hielten sich daraufhin zunächst zurück. US -Botschafter Moynihan hatte wie die meisten seiner westlichen Kollegen demonstrativ nicht an der Sitzung teilgenommen. Er reagierte erst einen Tag später auf die Rede Amins während eines öffentlichen Auftritts in San Francisco: In the United Nations today there are in the range of two dozen democracies left. Totalitarian communist regimes and assorted ancient and modern despotism make up all the rest. An[d] nothing so unites these nations as the conviction that their success 125 Vgl. ORUN: A / C .3/SR .2118: Summary Record des 2118. Meetings des Dritten Komitees der 30. Generalversammlung vom 01.10.1975; mit NARA : AAD, 1975USUNN04667, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 02.10.1975. 126 Vgl. Jensen: International, S. 257. 127 Vgl. Zubok: Empire, S. 186 f. sowie S. 231–235; Peretz: People, S. 101–103; Jensen: International, S. 256–259. 128 Vgl. Jeffrey Herf: Undeclared Wars with Israel. East Germany and the West German Far Left, 1967–1989. Cambridge 2015, S. 288–316; mit Thomas Haury: Antisemitismus von Links. Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR . Hamburg 2002. 129 ORUN: E / Conf.66/34, Report of the World Conference of the International Women’s Year, Mexico City 19.06–02.07.1975.

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ultimately depends on our failure. It is no accident that on Wednesday, ›His Excellency […] Idi Amin Dada, President of the Republic of Uganda […] called for ›the extinction of Israel as a state‹ and it is no accident, it fear that this ›racist murderer‹– as one of our leading newspapers called him this morning – is Head of the Organization of African Unity.130

Moynihan hatte die Rede auf seinem Flug an die Westküste eigenmächtig umgeschrieben, ohne das mit dem State Department abzusprechen.131 Er griff mit seinen Worten nicht nur Amin an, sondern alle Bündnisfreien Mitglieder und die sozialistischen Staaten. Er zog eine klare Front zwischen demokratischen und nichtdemokratischen Staaten und zeichnete ein polarisierendes Bild. Damit versuchte er die Wahrnehmung des Nord-Süd- und des Nahostkonflikts als Kampf zwischen Gut und Böse darzustellen. »Israel is a democracy and it is simply the fact that despotism will seek whatever opportunities come to hand to destroy that which threatens them most which is democracy.«132 Dass gut die Hälfte der Diktaturen in der Region Verbündete der USA waren, erwähnte Moynihan dabei nicht. Die OAU reagierte mit einer Pressemitteilung, in der sie die antisemitischen Anschuldigungen wiederholten: »If the comments attributed to Moynihan could be confirmed, then one would wonder if [he] represents Zionism at the UN or the United States?«133 Auch die Kritik in der US -Presse wurde als Beleg für die zionistische Unterwanderung der USA ausgelegt.134 In Washington sorgten Moynihans Aussagen ebenfalls für Turbulenzen. Wie die Zeitschrift Newsweek berichtete, sei man im State Department verstört über sein undiplomatisches Verhalten. Kissinger soll ausgerastet sein (»he blew the stack«), als er von Moynihans Worten erfuhr.135 Zugleich erhielt dieser aber Rückendeckung vom Präsidenten, der wohl sagte: »he felt his men at the UN had ›said what needed to be said‹«.136 Im State Department, wo man bereits an einer Strategie gegen die geplante Zionismus-Resolution arbeitete, hielt man Moynihans Aussagen jedoch für kontraproduktiv. Kurz nachdem Kuba den Antrag 130 NARA : AAD, 1975USUNN04831, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 07.10.1975. 131 Vgl. Troy: Moynihan, S. 158–183; NARA : AAD, 1975USUNN04831, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 07.10.1975. 132 Ebd. 133 NARA : AAD, 1975USUNN04799, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 07.10.1975. 134 Vgl. Art.: Kathleen Teltsch (Kolumne 6), in: New York Times, 04.10.1975, S. 1; mit NARA : AAD, 1975USUNN04802, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 07.10.1975. 135 Angus Deming / Raymond Carrol / Lynn James / Bruce van Voorst: The Moynihan Controversy, in: Newsweek vom 20.10.1975. 136 Zitiert nach ebd.

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eingereicht und die Debatte über die Zionismus-Resolution im Dritten Komitee begonnen hatte, versicherte man sich im State Department, dass die Verbündeten der westlichen Gruppe geschlossen gegen das Vorhaben stimmen würde. Zugleich bemerkten die US -Diplomaten in New York, dass es innerhalb der Gruppe der afrikanischen Staaten Meinungsverschiedenheiten gab. Einige forderten sogar, das Thema zu vertagen. Der tansanische Vertreter sagte US -Repräsentanten, dass mindestens dreizehn afrikanische Staaten gegen die Zionismus-Resolution stimmen wollten, weil sie sich über das Vorgehen der arabischen Staaten ärgerten.137 Sie waren dagegen, dass das Thema Rassendiskriminierung mit dem Thema Zionismus in Verbindung gesetzt wurde und sie fürchteten, dass dadurch der Kampf gegen die Apartheid an Bedeutung verlieren könnte. Die Dekade gegen Rassendiskriminierung war eine groß angelegte politische Kampagne, mit der Südafrika noch weiter isoliert werden sollte. Eine weitere Politisierung dieser Kampagne durch die Bezugnahme auf Zionismus und Israel konnte dieses Projekt gefährden. Einige westliche Staaten hatten bereits gedroht, die finanzielle und politische Unterstützung einzustellen, sollte die ZionismusResolution angenommen werden.138 Es folgte daraufhin eine hitzige Debatte im Dritten Komitee, bei der die Vertreter der westlichen Staaten gegen das Vorhaben argumentierten und weitere Drohungen ausstießen. Unterstützung erhielten sie dabei von einer Reihe afrikanischer Staaten sowie Uruguay. Alle muslimischen Länder sowie die afrikanischen Staaten mit engen politischen Verbindungen zur Sowjetunion und die meisten asiatischen Staaten, darunter auch Indien und China, argumentierten für die Zionismus-Resolution. Für die westlichen Länder und ihre Unterstützer wurde schnell klar, dass sie gegen diese Übermacht nicht ankommen konnten. Am 10. Oktober 1975 stimmte das Dritte Komitee schließlich mit 75 ja zu 22 nein und 26 Enthaltungen für das Amendement. Das war zwar noch nicht die endgültige Entscheidung, diese folgte in der Generalversammlung, doch im State Department hatte man nun die Hoffnung aufgegeben, die Zionismus-Resolution noch abzuwehren.139 Gleichzeitig war man im State Department positiv überrascht, mit welcher Leidenschaft sich einige afrikanischen Länder wie Liberia, Malawi und Sierra Leone gegen ihre Nachbarstaaten stellten.140 Dass Chile für die Resolution gestimmt und sich damit auf der Seite der sozialistischen Staaten positionierte, empörte Moynihan hingegen zutiefst, was er in seinem Abschlussbericht verdeutlichte. In einer, für ein dienstliches Telegramm außergewöhnlichen Spra137 NARA : AAD, 1975USUNN04753, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 04.10.1975. 138 Ebd.: 1975USUNN05080, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 16.10.1975. 139 Ebd. 140 Ebd.; ebd., 1975USUNN05147, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 18.10.1975.

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che, gab er seine Meinung wieder. Dabei leitete er seinen Bericht mit den Worten des irischen Dichters James Joyce ein: »Joyce hit upon the term epiphany for such moments of showing through. ›Its Soul,‹ he wrote, ›Its whatness leaps to us from vestment of its appearance … the object achieves its epiphany.‹ It happend yesterday to the United Nations.«141 Schon in der äußerst langen Kopfzeile des Berichts fasste er die wichtigsten Aspekte zusammen und brachte seine Wut zum Ausdruck: Wherein the United Nations commences to self-destruct [sic]; The black Africans stand up for their own interests and break with the Arabs; The Fascists in Chile and assorted like-minded folk in Latin America line up with the anti-Semites of other equally progressive parts of the world and wherein what is more the United States for once ends up in fit and sufficient company.142

Die Haltung Chiles empörte Moynihan, weil sich das Land selbst als Bastion gegen den Sozialismus in Südamerika präsentierte und damit zugleich seine zahlreichen Menschenrechtsverletzungen rechtfertigte.143 Als Erklärung für das Verhalten Santiagos präsentierte Moynihan zwei Theorien. Die erste stützte sich auf die falsche Annahme: »that Fascists are naturally anti-semitic, and that the Generals were only doing what came naturally«.144 Sein zweiter Erklärungsansatz traf die Intentionen Santiagos besser. Demnach habe die Junta ihre Stimme an die arabischen Staaten verkauft, damit diese die sozialistischen und anderen Bündnisfreien Staaten davon überzeugen würden, die Untersuchung der Ad-hoc-Arbeitsgruppe der Menschenrechtskommission einzustellen.145 Chile wollte seine Außenpolitik 1975 neu ausrichten. Nachdem sich immer mehr westliche Staaten von Pinochet distanzierten, suchte dieser die Nähe zu den Bündnisfreien Staaten. Chile kündigte die enge Partnerschaft mit Israel auf und hoffte dadurch, in der Gunst der arabischen Staaten zu steigen und stimmte für die Zionismus-Resolution.146 Amins Auftritt und Moynihans Reaktion wurden in der Rückschau als spektakulärste Eskalation des Nord-Süd-Konflikts in den UN bewertet und die Zionismus-Resolution gilt bis heute als Tiefpunkt in der Geschichte der Vereinten Nationen.147 Vor allem war dies aber der Moment, in dem die USA erkannten, dass sie die Kontrolle in den UN verloren hatten und die demokratischen Staaten zur Minderheit in der Organisation wurden.

141 NARA : AAD, 1975USUNN05080, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 18.10.1975. 142 Ebd. 143 Eckel: Ambivalenz, S. 692–711. 144 NARA : AAD, 1975USUNN05080, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 18.10.1975. 145 Ebd. 146 Eckel: Ambivalenz, S. 660 f. 147 Troy: Moynihan, S. 256–270.

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Zudem verschärfte die Zionismus-Resolution die Menschenrechtsdebatte im Dritten Komitee, was fatale Folgen für die ›Menschenrechtsinitiative‹ der Westeuropäer hatte. Diese schlugen in ihren Reden wie geplant verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung des UN-Menschenrechtsschutzes vor. Zudem wollten sie eine Resolution zur Menschenrechtslage in Santiago durchsetzen, wobei sie auf heftigen Widerstand bei den südamerikanischen und afrikanischen Staaten stießen.148 Chile konterte, indem die Vertreter des Landes ein radikales und umfassendes Konzept zur Verbesserung des UN-Menschenrechtsschutzes vorlegten, mit dem sie die Gruppe der westlichen Staaten vorführten. Chile forderte die Einrichtung einer dauerhaften unabhängigen Arbeitsgruppe, die in Fällen von Menschenrechtsverletzungen automatisch und selbstständig eine Untersuchung durchführen sollte, ohne dass die Mitgliedstaaten Einfluss darauf nehmen konnten. Damit sollte die Selektivität der Vereinten Nationen überwunden werden. Die Bezüge in dem Konzept zur chilenischen Situation waren unübersehbar: Die gegenwärtige Praxis, in der ein Land wie Chile wegen Menschenrechtsverletzungen in den Vereinten Nationen angeschuldigt und verurteilt werden kann, während sich keine Stimme gegen gleichartige oder noch schlimmere Menschenrechtsverletzungen in anderen Staaten erhebt, erscheint sehr unbefriedigend. Die Unehrlichkeit dieses Verfahrens wird noch grösser, wenn sich – wie soeben in Falle Chiles wieder geschehen – Staaten der westlichen Welt mit Ländern verbinden, in denen zweifellos die Menschenrechte missachtet werden, um gemeinsam Menschenrechtsverletzungen in einem kleinen, der westlichen Welt zuzurechnenden Land zu verurteilen.149

Die Selektivität des UN-Menschenrechtsschutzes wurde den Vereinten Nationen immer wieder zum Vorwurf gemacht und »nach Auffassung der Botschaft trägt diese Praxis genauso wie die Annahme der Zionismus-Resolution dazu bei, das Ansehen der Vereinten Nationen zu stören.«150 Gleichzeitig war das chilenische Konzept der Versuch, die gegenwärtige Untersuchung der Ad-hocArbeitsgruppe der Menschenrechtskommission zu diskreditieren. Mit diesem Vorstoß hebelte Chile die ›Menschenrechtsinitiative‹ der westeuropäischen Staaten aus. Diese mussten dem Vorschlag Chiles zustimmen, um sich nicht unglaubwürdig zu machen:

148 PA AA : ZA B30, 115817, Bericht: Behandlung der Chilefrage in den Vereinten Nationen o. D. (Stempel vom 03.11.1975); ebd., Telegramm von der Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt in Bonn vom 30.10.1975; ebd., Brief der Botschaft der Bundesrepublik in Santiago an das Auswärtige Amt in Bonn vom 18.11.1975, Betr.: 3. Ausschuss der 30. Generalversammlung der Vereinten Nationen; ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 12.11.1975. 149 Ebd., 115818: Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Santiago an das Auswärtige Amt vom 25.11.1975. 150 Ebd.

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Trotz unserer Bedenken wegen des auch in unseren Augen noch verbesserungswürdigen Textes, hinsichtlich des wenig glücklichen Zeitpunktes der Einbringung und der Urheberschaft des Entwurfes durch Chile – mit dem wir bei der Verbesserung des Menschenrechtsschutzes nicht auf eine Stufe gestellt werden wollen – bewerten wir die Grundgedanken des chilenischen Resolutionsentwurfes grundsätzlich positiv.151

Die westdeutsche Botschaft in New York empfahl deswegen, die westliche Initiative auszusetzten und auf das nächste Jahr zu verschieben.152 Großbritannien stellte daraufhin einen Antrag im Komitee, den Tagesordnungspunkt zu verschieben. Saudi-Arabien nutzte diese Gelegenheit und beantragte eine Verschiebung um zwei Jahre. Die Mehrheit der Bündnisfreien Staaten stimmte dem zu und der Start der westlichen ›Menschenrechtsinitiative‹ wurde vertagt.153 Die 30. Generalversammlung war damit aus Sicht westlicher Außenministerien ein Debakel. Die Zionismus-Resolution wurde am 10. November mit 72 Ja- und 35 Neinstimmen bei 32 Enthaltungen als Resolution 3379 angenommen. In dieser hieß es: »The General Assembly […] determines that Zionism is a form of racism and racial discrimination.«154 Die ›Menschenrechtsinitiative‹ der Westeuropäer konnte nur mit Mühe ins Jahr 1977 gerettet werden. Damit war sie zwar noch nicht verloren, es zeigte aber, auf welche Ablehnung das Thema mittlerweile in den UN stieß.155 Die westlichen Vorschläge zur Verbesserung des Menschenrechtsschutzes lösten teils heftige Gegenreaktionen bei einigen Bündnisfreien Staaten aus. So argumentierte der saudische Botschafter Baroody polemisch: They did not want anything except the high commissioner, a new Pope. The Pope has to follow doctrines sometimes. There would be a new Pope for the whole world, a Pope for human rights. What human rights in one country may not be human rights in another. For example, art here is synonymous with pornography.156

Zugleich präsentierte er sich als wohlwollender Sprecher der Bündnisfreien Staaten, der das Thema nur noch aus reiner Großmütigkeit dulde: »I could have carried the Third Committee with me to defeat it altogether, but out of courtesy we said let us have some more time.«157 In der westdeutschen Botschaft in New 151 Ebd., Weisung des Auswärtigen Amtes in Bonn an die Botschaft der Bundesrepublik in New York vom 25.11.1975. 152 Vgl. ebd., Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 24.11.1975; mit ebd., Weisung des Auswärtigen Amtes in Bonn an die Botschaft der Bundesrepublik in New York vom 25.11.1975. 153 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 28.11.1975. 154 ORUN: A / R ES /30/3379, Resolution der Generalversammlung vom 10.11.1975. 155 PA AA : ZA B30, 115818: Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 10.12.1975. 156 ORUN: A / P V.2433: Summary Record des 2433. Meetings der 30. Generalversammlung am 09.12.1975, S. 1196. 157 Ebd.

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York interpretierte man die Worte Baroodys als Kampfansage und fürchtete, dass die Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten so dachte.158 Auch Moynihan stellte abschließend enttäuscht fest: »In the area of human rights the UNGA159 once again proved that it is a body uncongenial to US interests and values.«160 Damit waren die Aussichten schlecht, den UN-Menschenrechtsschutz weiter auszubauen und nach eigenen Vorstellungen prägen zu können Die Stimmung hatte sich 1975 verändert. Während in den 1960er-Jahren viele Staaten Afrikas und Asiens noch dem Ideal US -amerikanischer Modernisierungstheorien gefolgt waren, wonach freie Marktwirtschaft und Demokratie automatisch zu Wohlstand führen sollten, wandten sich viele von diesem Kurs in den 1970er-Jahren ab. Stattdessen suchten sie nach eigenen Auswegen aus der Armut und der Abhängigkeit. Menschenrechte wurden dabei zunehmend als Entwicklungshemmnis gesehen und viele Regierungen der ›Dritten Welt‹ sprachen sich plötzlich gegen die Idee universeller Menschenrechte aus.161 Auch die südamerikanischen Staaten, die seit 1945 eine treibende Kraft bei der Einrichtung des Menschenrechtsschutzes gewesen waren, stemmten sich nun gegen dieses System. Moynihan bemerkte dazu: Among developing countries there was sympathy for the internal affairs, and some of the abstentions and no votes reflected not only bilateral relations with Chile but also a real fear that it might become other small country next in Chile’s place.162

Ab 1975 sah eine Mehrheit der Bündnisfreien Staaten in einem System zum Schutz der Menschenrechte eine Bedrohung. Sie waren deshalb gegen ein allgemeines und effektives System zum Schutz der Menschenrechte.163 Das radikale Auftreten dieser Staaten stellte die westlichen UN-Mitglieder vor neue Herausforderungen. Die globalpolitische Lage wurde 1975 nicht nur konfrontativer, sondern vor allem komplexer. Die Differenzen innerhalb der einzelnen Lager nahmen zu. In der WEOG unterschied sich der Umgang mit den Menschenrechten zwischen den Westeuropäern und den USA deutlich. Auch in Osteuropa zeichneten sich politische Konflikte ab. Rumänien näherte sich seit dem ›Prager Frühling‹ von 1968 diplomatisch den westeuropäischen Staaten an und nutzte die Vereinten Nationen, um seinen Dissens mit Moskau auszudrücken.164 Am 158 PA AA : ZA B30, 115818: Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 10.12.1975. 159 UNGA ist eine Abkürzung für United Nations General Assembly. 160 NARA : AAD, 1976USUNN0024, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 06.01.1975. 161 Vgl. Westad: Global, S. 8–39 und 110–157. 162 NARA : AAD, 1976USUNN0024, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 06.01.1975. 163 Burke: Decolonization, S. 112–144. 164 Michael E. Ionescu: Romania’s Special Position within the Eastern Bloc during the CSCE Follow-Up Conference of Belgrade and Madrid, in: Matthias Peter / Hermann Wentker

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folgenreichsten war aber der kubanische Alleingang in Angola.165 Das nicht abgesprochene militärische Vorgehen der Kubaner zwang auch die anderen sozialistischen Staaten, zu intervenieren und Geld, Waffen sowie militärisches Personal in den Süden Afrikas zu entsenden.166 Länder wie Kuba und die DDR gerieten dadurch immer tiefer in den Strudel postkolonialer Gewalt in Afrika, wodurch sie sich in kostspielige Stellvertreterkriege verwickelten, welche die äußeren Beziehungen zu den Bündnisfreien Staaten belasteten. Noch komplexer war die Situation innerhalb der Gruppe der Bündnisfreien. Neben den Meinungsverschiedenheiten zwischen den arabischen und nichtmuslimischen afrikanischen Staaten, die in der Zionismus-Resolution zum Vorschein kamen, isolierte sich Ägypten durch seine politische Annäherung an Israel innerhalb der Gruppe der arabischen Staaten.167 Der Grenzkonflikt zwischen dem Iran und dem Irak schwelte seit Anfang der 1970er-Jahre.168 Auch die gewaltsame Annexion Osttimors durch das indonesische Militär im Dezember 1975, bei der es zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen war, führte zu massiven internationalen Protesten. Dabei blockierte Moynihan im Sicherheitsrat eine Verurteilung des Suharto-Regimes durch die UN.169 Mehrere bündnisfreie Staaten schlossen sich daraufhin zusammen und ließen das Vorgehen Indonesiens von der Generalversammlung verurteilen.170 Die Eroberung Phnom Penhs durch die Roten Khmer im April 1975 führte zu politischen Spannungen zwischen Vietnam und China.171 Hinzu kamen die seit dem Grenzkrieg von 1962 immer wieder aufbrechenden Konflikte zwischen China und Indien sowie Indien und Pakistan. Während China ab 1969 seine diplomatischen Be(Hg.): Die KSZE im Ost-West-Konflikt. Internationale Politik und gesellschaftliche Transformation 1975–1990, München 2012, S. 137–154. 165 Zur kubanischen Intervention siehe Gleijeses: Visions, S. 65–118; Ders. Cuba and the Cold War, 1959–1980, in: Melvyn P. Leffler / Odd Arne Westad (Hg.): The Cambridge History of the Cold War. Crises and Détente, Bd. 2, Cambridge 2010, S. 327–348; Christine Hatzky: Kubaner in Angola. Süd-Süd-Kooperation und Bildungstransfer 1976–1991, München 2012, S. 69–78. 166 Vgl. Michael E.  Latham: The Cold War in the Third World. 1963–1975, in: Melvyn P. Leffler / Odd Arne Westad (Hg.): The Cambridge History of the Cold War. Crises and Détente, Bd. 2, Cambridge 2010, S. 258–280. 167 Vgl. Guy Laron: The Cold War in the Arab World, in: Lorenz M. Lüthi (Hg.): The Regional Cold Wars in Europe, East Asia, and the Middle East. Crucial Periods and Turning Points. Stanford 2015, S. 170–190; mit Primakov: Russia. 168 Pierre Razoux, The Iran-Iraq War, Cambridge 2015, S. 45–67. 169 Daniel Patrick Moynihan: Pandaemonium. Ethnicity in International Politics, Oxford 1993, S. 153. 170 Die Resolution, siehe ORUN: A / R ES /30/3485, Resolution der Generalversammlung vom 12.12.1975; sowie allgemein zum Konflikt um Osttimor siehe Elizabeth Stanley: Torture, Truth and Justice. The Case of Timor-Leste, New York 2011. 171 Logevall: Indochina; Ben Kiernan: How Pol Pot Came to Power. Colonialism, Nationalism, and Communism in Cambodia, 1930–1975, 2. Aufl., New Haven / London 2004 (1985), S. 297–411.

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ziehungen zu den USA schrittweise normalisierte, unterzeichnete Indien 1971 ein Freundschafts- und Beistandsabkommen mit der Sowjetunion. Pakistan war hingegen ein Verbündeter der USA .172 Es war ein Paradoxon der 1970er-Jahre, dass sich die Bündnisfreien Staaten in diesem Jahrzehnt politisch konsolidierten, obwohl zur gleichen Zeit die Konflikte zwischen den einzelnen Mitgliedern eskalierten.173 Es entstanden in jener Dekade zahlreiche neue Bündnisse und Konflikte, die bis in die Gegenwart wirken und die internationalen Beziehungen noch vielschichtiger und komplexer machten. Der indische UN-Botschafter beschrieb diese globale Entwicklung mit eindringlichen Worten: The 30th G. A. will be remembered for the variety of controversial questions that converted the so called tyranny of the majority of the 29th G. A. into the confusion of the majority caused by an unprecedented splintering of the various groups. For example, the resolution on Zionism split the African group into Islamic and nonIslamic elements. The Cyprus issue saw Turkey in isolation with the Islamic States either voting against Turkey, or abstaining. The Korean question divided all groups along ideological lines, with several states abstaining. Spanish Sahara spilt the Arabs and the Africans; Portuguese Timor and the Asian Group; Belize the Latin American group. The Angolan issue came up indirectly and found the Africans in disarray, with some even justifying South African intervention on the Middle East and Palestine question the west Europeans were divided.174

Auch im State Department und im Auswärtigen Amt bemerkte man die Risse im Lager der Bündnisfreien Staaten.175 In einem Bericht für die US -Botschaften in Afrika, schrieb Moynihan: Whereas the watchword of the African group prior to this General Assembly has been, literally, that ›public displays of disagreement among African members are a sign of political immaturity‹, this guideline was reversed dramatically during the 30th UNGA . Disagreement now is lauded as a sign of political maturity.176 172 Vgl. Vojtech Mastny: The Soviet Union’s Partnership with India, in: Journal of Cold War Studies 12/3 (2010), 3, S. 50–90; John Ciorciari: China and the Pol Pot Regime, in: Cold War History 14/2 (2014), S. 215–235; Zhiqun Zhu: China-India Relations in the 21st Century. A Critical Inquiry, in: Indian Journal of Asian Affairs 24/2 (2011), S. 1–16; Jeremy Friedman: Shadow Cold War. The Sino-Soviet Competition for the Third World, Chapel Hill 2015, S. 43 f. 173 Dinkel: Bewegung, S. 225–226. 174 NARA : AAD, 1976USUNN00715, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 26.02.1976. 175 Vgl. ebd., 1976USUNN00024, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 06.01.1976; PA AA : ZA B30, 113323, Vermerk, Auswirkungen der Zionismus-Resolution auf die Arbeit von VN -Gremien vom 02.01.1976. 176 NARA : AAD, 1976USUNN00024, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 06.01.1976.

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Neben den politisch komplexer werdenden Konflikten identifizierte Moynihan fünf Gründe für die Spannungen im Bündnisfreien Lager. Erstens hätte eine effektive Führung gefehlt. Während der algerische Außenminister Abd al-Aziz Bouteflika der 29. Generalversammlung als Präsident vorsaß und seine Stellung nutzen konnte, um das Lager der Bündnisfreien Staaten auf Linie zu halten, fehlte seine Führungsstärke auf der 30. Sitzung. Zweitens seien viele nichtmuslimische afrikanische Staaten über die geringen finanziellen Zuwendungen seitens der arabischen Staaten enttäuscht gewesen. Letztere hatten den Afrikanern viel Geld dafür versprochen, dass diese ihre diplomatischen Beziehungen zu Israel kappten.177 Wie Moynihan hinter vorgehaltener Hand erfuhr, wollten die ›Subsahara-Staaten‹ erst wieder im Block abstimmen (»block voting«), wenn sich die arabischen Staaten großzügiger zeigten.178 Drittens sorgten die kolonialen Ambitionen einiger Bündnisfreier Staaten für Ärger. In der Westsahara, Dschibuti, Belize, Osttimor und Angola verhielten sich einige Bündnisfreie Staaten selbst wie Kolonialmächte, indem sie diese Länder überfielen und deren Bevölkerung unterdrückten, kurz nachdem diese unabhängig geworden waren.179 Die anderen Bündnisfreien ließen dieses Vorgehen in mehreren Resolutionen der Generalversammlung verurteilten.180 Viertens ginge es um Grundsätzliches: »On the Zionism issue and on Angola the majority of Sub-Saharan non Islamic, non-radical African were not to be pushed around by the Arabs and the Communists.«181 Die kubanische Intervention in Angola bezeichneten einige dabei als »Soviet recolonization«.182 Fünftens gäbe es auch bei der Forderung nach einer ›Neuen Weltwirtschaftsordnung‹ Meinungsverschiedenheiten: »It is a simple fact that many fourth world183 countries, on the brink of starvation, chose food from and cooperation with the West rather than the sterile rhetoric of their third world brothers.«184

177 Vgl. Levey: Israel’s Exit. 178 NARA : AAD, 1976USUNN03652, Telegramm des Department of State an alle US -Botschaften in Afrika vom 07.01.1976. 179 Vgl. Claes Olsson u. a. (Hg.): The Western Sahara Conflict. The Role of Natural Resources in Decolonization, Uppsala 2006; sowie Stanley: Torture; zur Rolle der USA siehe: William Burr / Michael L. Evans, (Hg.): East Timor Revisited. Ford, Kissinger and the Indonesian Invasion, 1975–76, in: National Security Archive Electronic Briefing Book 62, (06.12.2001): http://nsarchive.gwu.edu/NSAEBB /NSAEBB62/ (08.04.2021). 180 ORUN : A / R ES /30/3485, Resolution der Generalversammlung vom 12.12.1975 (Ost­ timor); ebd. A / R ES /30/3458, Resolution der Generalversammlung vom 10.12.1975 (Westsahara). 181 NARA : AAD, 1976USUNN03652, Telegramm des Department of State an alle US -Botschaften in Afrika, vom 07.01.1976. 182 Ebd. 183 Die Bezeichnung bezieht sich eigentlich auf indigene Völker, soll hier aber vermutlich eine weitere Abgrenzung der ›Dritten Welt‹ andeuten. 184 NARA : AAD, 1976USUNN03652, Telegramm des Department of State an alle US -Botschaften in Afrika vom 07.01.1976.

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Obwohl Moynihan in seinem Bericht die Ursachen für den Dissens innerhalb der Bündnisfreien Staaten präzise offenlegte, wusste er nicht, wie man damit umgehen sollte. Auch in seinem Abschlussbericht für das State Department zog er keine Schlüsse aus dem Verhalten dieser Staaten: »The Third Committee of the 30th GA brought much to light but accomplished little positive.«185 Zwar sei es gelungen, »to separate a number of Africans from their position of blind allies to the Arab cause, but it did so only at a cost of a malicious and nefarious decision.«186 Abschließend bemerkte er resignierend: »›In that case‹ said the Dodo solemnly, rising to its feet, ›I move that the meeting adjourn, for the immediate adoption of more energetic remedies.‹«187 Mit diesen Worten des Schriftstellers Lewis Carroll aus dem Roman Alice im Wunderland beendete Moynihan seinen Bericht. Die 30. Generalversammlung war eine wichtige Zäsur in der Geschichte der UN. Sie verdeutlichte der Weltöffentlichkeit und den westlichen Regierungen, dass die Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten nicht mehr demokratisch waren und dem Menschenrechtsschutz kritisch gegenüberstanden. Damit verloren die Bündnisfreien Staaten ihre Rolle als bewertender Dritter und wurden zunehmend selbst zum Konkurrenten, der Ost und West die Forderung nach einer ›Neuen Weltwirtschaftsordnung‹ entgegenhielt. Das schwierige Verhältnis zwischen den USA und den UN wurde dadurch in eine tiefe Krise gestürzt. Die Radikalisierung der Bündnisfreien auf der 30. Generalversammlung löste zudem zwei Entwicklungen aus, die starke Auswirkungen auf die Konkurrenz um Menschenrechte und die Entwicklung des Menschenrechtsschutzes hatten. Erstens führte sie dazu, dass die westlichen Staaten ihre ›Menschenrechtsinitiative‹ verstärkten und sich bewusst über das Thema Menschenrechtsschutz konsolidierten, um sich von der (undemokratischen) Mehrheit der UN-Mitglieder abzugrenzen. Zweitens spaltete es das Lager der ›Dritten Welt‹ in den UN. Nicht alle wollten dem radikalen Kurs der muslimischen Länder in der Resolution 3379 folgen. Vor allem einige afrikanische Staaten distanzierten sich von den anderen Bündnisfreien und verfolgten fortan einen eigenen Kurs.

3.3 Die westliche ›Menschenrechtsinitiative‹ Der politische Eklat auf der 30. Generalversammlung veränderte die Menschen­ rechtspolitik der westlichen Gruppe in den UN. Diese schloss sich nun noch enger zusammen und profilierte sich nun gezielt über das Thema Menschenrechtsschutz, indem sie ihre ›Menschenrechtsinitiative‹ verstärkte und neue Ideen entwickelte, um den Schutz universeller Grundrechte zu verbessern. Zu185 Ebd., 1976USUNN00024, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 06.01.1976. 186 Ebd. 187 Ebd.

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dem steigerte sie ihr Engagement für die bereits bestehenden Verfahren und versuchte ihren Einfluss auf das UN-Sekretariat mithilfe von Menschenrechtsexperten auszuweiten. 3.3.1 Genschers Menschenrechtsgerichtshof

Die Bundesrepublik und die DDR waren seit 1973 Mitglieder der Vereinten Nationen. 1975 wurden beide Staaten von den Mitgliedern des Wirtschafts- und Sozialrates in die Menschenrechtskommission gewählt. Die Menschenrechte gewannen damit innerhalb der bundesdeutschen UN-Politik stark an Bedeutung. Verantwortlich dafür war vor allem der damalige Außenminister Genscher. Dieser wollte das Thema Innen- und Außenpolitik nutzen und präsentierte dazu neue und für die damalige Zeit umstrittene Ideen. Das Hauptaugenmerk der westdeutschen Außenpolitik lag zu dieser Zeit auf den deutsch-deutschen Beziehungen, wovon auch die Menschenrechtspolitik der Bundesrepublik nicht unbeeinflusst blieb. Die Konkurrenz zwischen der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik war die treibende Kraft und zugleich das prägende Element in diesem Bereich. Das zeigte sich auch bei der nachträglichen Analyse der 30. Generalversammlung durch Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, wie die Interpretation der Rede eines DDRDelegierten zeigt: Die Erklärung war offensichtlich in erster Linie an die Länder der Dritten Welt gerichtet, die ebenfalls erhebliche Vorbehalte gegen wirksame VN-Maßnahmen zur Verbesserung des Menschenrechtsschutzes haben. Wir sollten nicht verkennen, daß die Darstellung des DDR-Vertreters im 3. Ausschuss der tatsächlichen Lage in den VN und den politischen Möglichkeiten zum Mindestens sehr nahekommt. Es dürfte für den Westen in Zukunft noch schwieriger werden, auch nur geringe Fortschritte auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes zu erreichen.188

Das Auswärtige Amt identifizierte die Bündnisfreien Staaten nun bewusst als bewertenden Dritten. Allerdings musste es sich eingestehen, dass »die Mehrheit wirksamen Maßnahmen zur Sicherung des Menschenrechtsschutzes ablehnend« gegenüberstand und die DDR deshalb grundsätzlich mehr Zustimmung erhielt als die Bundesrepublik.189 Als Ursache für die Ablehnung identifizierte der Autor, dass immer mehr dieser Staaten in den Fokus des UN-Menschenrechtsschutzes gerieten. Tatsächlich standen bis 1976 zwölf Staaten im Rahmen des 1503-Verfahrens unter Beobachtung der Menschenrechtskommission.

188 PA AA : ZA B30, 115844, Zur Unterrichtung, DDR-Haltung zur Behandlung von Menschenrechtsfragen in den Vereinten Nationen vom 18.12.1975. 189 Ebd., Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, Zwischenbilanz der Kommissionsarbeit und Möglichkeiten für Initiativen vom 14.01.1976.

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Neben Südafrika, Chile und Israel wurden auf westlicher Seite Großbritannien (wegen des Vorgehens in Nordirland)  und Portugal in der Kommission behandelt. Die restlichen sieben Staaten stammten hingegen alle aus der ›Dritten Welt‹.190 Die 30. Generalversammlung hatte den Diplomaten in Bonn verdeutlicht, dass sie mit ihrer Forderung nach einer Ausweitung des Menschenrechtsschutzes, wie sie es Anfang 1975 mit den anderen westlichen Staaten im Rahmen ihrer ›Menschenrechtsinitiative‹ vereinbart hatten, auf heftigen Widerstand stoßen würden und die DDR im Vorteil war.191 Trotzdem gab es aus Sicht der Diplomaten des Auswärtigen Amtes noch Hoffnung. So bemerkte der Autor des Berichts abschließend. Dass aufgrund der besonderen Konstellation in der Menschenrechtskommission und des »beachtlichen Niveaus der Mehrheit« dort bereits einige Fortschritte erzielt werden konnten, da die »Bereitschaft der Vertreter der ›Dritten Welt‹, die osteuropäischen Staaten ›vorbehaltslos‹ zu unterstützen, in einigen Fällen geringer [sei] als in anderen VN Gremien […].«192 Der Autor erkannte, dass die ›Menschenrechtsinitiative‹ der westlichen Staaten in der Generalversammlung, wo alle UN -Mitglieder vertreten waren, nur wenig Aussicht auf Erfolg hatte. In der Menschenrechtskommission sah das hingegen anders aus. Dort bestand die Möglichkeit, die ›gemäßigten‹ Bündnisfreien Länder für die eigene Position zu gewinnen. An dieser Stelle des Berichts notierte Außenminister Genscher handschriftlich: »Ich bitte um Vorschläge welche Menschenrechtsverletzungen durch die DDR mangels vergleichbarer Tatbestände in der 3. Welt mit Aussicht auf Erfolg vorgebracht werden können.«193 Genscher wollte die DDR in der Kommission vorführen. Die Diplomaten in Bonn suchten daraufhin nach Menschenrechtsverletzungen, mit denen man die DDR öffentlich anklagen konnte, ohne zugleich auch bündnisfreie Staaten zu kritisieren.194 Das Ergebnis der Recherchen war allerdings ernüchternd. Die Mitarbeiter konnten keine Menschenrechtsverletzung ausmachen, die nicht auch in gleicher oder ähnlicher Form in Bündnisfreien Staaten vorkam. Zugleich wurde den Diplomaten plötzlich bewusst, dass es auch in der Bundesrepublik Praktiken gab, die internationale Kritik hervorrufen konnten, wie der ›Radikalenerlass‹195 von

190 Ebd., Zur Unterrichtung an den Bundesminister: Anrufung der VN -Menschenrechtskommission wegen Menschenrechtsverletzungen vom 14.01.1976. 191 Vgl. Kap. 3.2. 192 PA AA : ZA B30, 115844, Zur Unterrichtung an den Bundesminister: Anrufung der VN Menschenrechtskommission wegen Menschenrechtsverletzungen vom 14.01.1976. 193 Ebd. 194 Ebd., Zur Unterrichtung an den Bundesminister: Anrufung der VN -Menschenrechtskommission oder anderer VN -Gremien wegen der Verletzung von Menschenrechten durch die DDR vom 03.02.1976 (sowie die Schreiben vom 21.01.1976 und 08.03.1976). 195 Das ist ein politischer Kampfbegriff für den Extremistenbeschluss der Bundesregierung von 1972, mit dem Bewerber im öffentlichen Dienst auf ihre Verfassungstreue hin überprüft wurden. Hier wurde er aus der Quelle übernommen, siehe ebd.

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Die Institutionalisierung des Menschenrechtsschutzes

1972 oder der Umgang mit Häftlingen der Rote Armee Fraktion.196 Allerdings kamen sie dadurch auch zu einer wichtigen Erkenntnis: Um glaubwürdig zu bleiben, müssen wir uns auch für die legitimen menschenrechtlichen Anliegen der DW mit Nachdruck einsetzen (Apartheid, Selbstbestimmung), auch wenn deren Schwerpunkt gegenwärtig bei den Gruppenrechten liegt. Nur dann können wir Unterstützung oder zumindest Verständnis für unsere Position erwarten.197

Das zeigt, wie die Konkurrenz zwischen Ost- und Westdeutschland Entscheidungen beeinflusste. Im Auswärtigen Amt verstand man, dass man sich gezielt für die Ziele der bündnisfeien Staaten einsetzen musste, um dadurch Glaubwürdigkeit zu erzeugen und deren Unterstützung zu gewinnen. Dadurch, dass ein Konkurrent sein Handeln an die Intentionen des bewertenden Dritten anpasste, entfaltete die Konkurrenz ihr transformatives Potenzial: Bei Vorhaltungen gegenüber der DDR müssen wir – ebenso wie generell bei unserer Menschenrechtspolitik in den VN – die Bildung einer gemeinsamen Front des Ostblocks einschließlich der DDR und DW gegen uns zu vermeiden suchen, namentlich, wenn die DW sich mit betroffen fühlen könnte. Wir müssen deshalb unter der Reizschwelle bleiben, jenseits der es zu einer breiten Konfrontation kommen kann (Moynihan).198

Deshalb empfahlen die Diplomaten dem Bundesaußenminister, sich in Zukunft stärker für Menschenrechtsthemen der Bündnisfreien Staaten zu engagieren. Das bedeutete aber nicht, dass man die eigene Menschenrechtsauffassung aufgeben sollte. Im Gegenteil, die westlichen Staaten sollte ihre eigenen Ziele mit noch mehr Nachdruck vertreten, um dadurch Glaubwürdigkeit zu erzeugen und die ›gemäßigten‹ Länder der ›Dritten Welt‹ an sich zu binden. Gemeinsames Ziel sollte es sein, die durch die Zionismus-Resolution geschaffene auto­matische Verbindung des Zionismus mit dem Komplex Rassismus, Rassendiskri­ minierung und Apartheid zumindest in der Praxis wieder aufzulösen. Dies dürfte auch den Zielvorstellungen einer Reihe gemäßigter Länder der Dritten Welt entsprechen.199

Die 30. Generalversammlung führte im Auswärtigen Amt somit dazu, dass man die Konkurrenz um Menschenrechte verstärkte und nun gezielt versuchte, die ›gemäßigten‹ Länder von sich zu überzeugen. Wie genau man dabei vorging, das entschied Genscher. 196 Ebd., Zur Unterrichtung an den Bundesminister: Anrufung der VN -Menschenrechtskommission oder anderer VN -Gremien wegen der Verletzung von Menschenrechten durch die DDR vom 03.02.1976. 197 Ebd. 198 Ebd. 199 PA AA : ZA B30, 113323, Vermerk: Auswirkungen der Zionismus-Resolution auf die Arbeit von VN -Gremien: Abstimmung einer EG Haltung für ein gemeinsames Vorgehen vom 02.01.1976.

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Dieser war mit den Ergebnissen der Recherchen seiner Diplomaten unzufrieden. Bei einem Besuch in der westdeutschen Botschaft in New York Mitte Juli 1976 besprach er mit den Mitarbeitern vor Ort seine geplante Rede auf der bevorstehenden Generalversammlung. Dabei lenkte er das Gespräch auf zwei für ihn wichtige Themen, die er in seiner Rede unbedingt ansprechen wollte – Terrorismus und Menschenrechte.200 Zum Ersteren wollte er eine internationale Konvention zum Verbot von Geiselnahmen initiieren. Das Thema wurde in dieser Zeit immer wichtiger und die zahlreichen Anschläge, Entführungen und Geiselnahmen linker und palästinensischer Terroristen führten zu hitzigen Debatten in der Bundesrepublik und in den UN. Zuletzt hatte die Geiselname in Entebbe (Uganda) Anfang Juli 1976 diese wieder aufflammen lassen und die Staaten stritten darüber, was Terrorismus und was ein legitimer Befreiungskampf sei.201 Mit der Fokussierung auf die Praxis des Geiselnehmens konnte Genscher die Debatte internationalisieren und zugleich die heiklen politischen Fragen umgehen. Eine Taktik, die sich später auch beim Menschenrechtsschutz bewähren sollte. Zum zweiten Thema Menschenrechte wollte er hingegen immer noch Menschenrechtsverletzungen in der DDR ansprechen.202 Doch die Diplomaten des Auswärtigen Amtes konnten Genschers Forderung nicht erfüllen. Stattdessen präsentierten sie ihm wenig später eine Alternative – die Idee eines Weltmenschenrechtsgerichtshofes. Um diese anzupreisen bemerkten sie, dass sich ein Menschenrechtsgerichtshof mit der generellen außenpolitischen Linie der Bundesrepublik decken würde, »[sich] nachdrücklich für den weltweiten Schutz der Menschenrechte einzusetzen.«203 Darüber hinaus würde die »[…] Einbeziehung in die Rede des Herrn Bundesministers vor der 31.  GV […] unsere Bemühungen auf dem Gebiet der Menschenrechte verdeutlichen und namentlich gegenüber der ›Dritten Welt‹ glaubwürdiger machen.«204 Die Idee eines internationalen Strafgerichtshofes für Menschenrechte war nicht neu und stammte wahrscheinlich sogar aus dem parteipolitischen Umfeld des Ministers selbst. So fand sich die Idee auch in dem Wahlprogramm der Freien Demokratischen Partei für den Bundestagswahlkampf von 1976. Diese Tatsache legt die Vermutung nahe, dass hier innen- und außenpolitische Inte-

200 PA AA : ZA B30, 115818, Niederschrift über ein Gespräch des Herrn Ministers in der VN -Vertretung in New York am 16. Juli um 15h vom 19.07.1976. 201 Allgemein zu den UN -Debatten über Terrorismus in den 1970er-Jahren, siehe Bernhard Blumenau: The Other Battleground of the Cold War. The UN and the Struggle Against International Terrorism in the 1970s, in: Journal of Cold War Studies 16/1 (2014), S. 61–84. 202 PA AA : ZA B30, 115818, Niederschrift über ein Gespräch des Herrn Ministers in der VN -Vertretung in New York am 16. Juli um 15h vom 19.07.1976. 203 Ebd., Redevorschlag, Rede des Herrn Bundesministers vor der 31. VN -Generalversammlung vom 22.07.1976. 204 Ebd.

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ressen zusammenliefen.205 Das verdeutlicht auch ein Interview, dass Genscher einem Reporter der Zeitung Welt am Sonntag gab. Darin erwähnte der Bundesaußenminister, dass er eine Konvention gegen Geiselnahmen und einen Weltmenschenrechtsgerichtshof vor der Generalversammlung vorschlagen wolle: »Damit man nicht länger darauf beschränkt ist, Menschenrechtsverletzungen bloß zu kritisieren, sondern damit sie dort auch anhängig gemacht werden.«206 Die Frage des Interviewers, ob auch die Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze vor einen solchen Gerichtshof gehörten, bejahte Genscher ausdrücklich.207 Die Zeitung titelte daraufhin: »Genscher zu Welt am Sonntag: ›Todesautomaten gehören vor die UNO ‹«.208 Diese Art der öffentlichen Darstellung legte die innenpolitischen Motive des Menschenrechtsgerichtshofes frei. Allerdings verkennt man die wahre Reichweite dieser Initiative, wenn man sie nur durch die Linse der Innenpolitik betrachtet. Die westdeutsche Forderung nach einem Weltmenschenrechtsgerichtshof war von Anfang an eine symbolische Forderung, mit der es darum ging, ein Zeichen zu setzen und die eigene Glaubwürdigkeit in den UN zu stärken. Trotz dieser – für den Westen insgesamt enttäuschenden Lage – sollten wir nach wie vor jede Gelegenheit dazu benutzen, um auf eine Verbesserung des Menschenrechtsschutzes in den VN hinzuwirken. Nur dadurch können wir die Glaubwürdigkeit des westlichen Standpunktes zu Menschenrechtsfragen gegenüber den Entwicklungsländern aufrechterhalten.209

Im Auswärtigen Amt machte man sich keine Illusionen darüber, diese Institution tatsächlich durchzusetzen: Die Forderung, einen Welt-Menschenrechts-Gerichtshof bei den VN nach dem Vorbild der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu erreichen, läßt sich zwar nach Lage der Dinge z.Z. wegen des Widerstandes des Ostblocks und der Dritten Welt nicht durchsetzen; sie zeigt jedoch, daß wir in Übereinstimmung mit unseren westlichen Partnern an dem Konzept des individuellen Menschenrechtsschutzes mit gutem Grund festzuhalten gewillt sind.210

Ein weiteres wichtiges Ziel dieser Initiative war es also, das Ansehen der westlichen Gruppe im Allgemeinen und der Bundesrepublik im Speziellen gegenüber den Ländern der ›Dritten Welt‹ sowie der Weltöffentlichkeit aufzuwerten und 205 Siehe dazu Philipp Rock: Macht, Märkte und Moral. Zur Rolle der Menschenrechte in der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland in den Sechziger und Siebziger Jahren, Frankfurt 2010, S. 258–261. 206 Manfred Geist: Genscher zu Welt am Sonntag: »Todesautomaten gehören vor die UNO «, in: Welt am Sonntag vom 25.07.1976. 207 Ebd. 208 Ebd. 209 PA AA : ZA B30, 115818, Redevorschlag: Rede des Herrn Bundesministers vor der 31.  VN Generalversammlung vom 22.07.1976. 210 Ebd.

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einen Konnex zwischen dem ›Westen‹ und dem Menschenrechtsschutz zu konstruieren. Die Vereinten Nationen boten dem Bundesminister dabei die ideale Bühne, um dieses Ziel zu erreichen. Doch damit ließ Genscher sich auf ein gewagtes Spiel ein. Die westdeutschen Diplomaten in Genf fürchteten, dass die Bundesrepublik den Zorn der östlichen und ›radikalen‹, Bündnisfreien Staaten auf sich ziehen würde. Zudem könnten die westlichen Partner ihnen vorwerfen, sich bewusst mit aussichtslosen Vorschlägen profilieren zu wollen.211 Der westdeutsche Botschafter wandte sich deshalb vorab an Eric Suy, den Leiter der Rechtsabteilung der UN. Dieser riet: »Ein MRG müsse als  – unabhängiges  – Organ geschaffen werden, denn die MRK sei viel zu politisiert und gegenüber dem IHG212 hatten die DW und die sozialistischen Staaten die bekannten Bedenken.«213 Deswegen empfahl Suy, die Initiative noch zu verschieben. Der Botschafter schloss sich dem an und telegrafierte daraufhin nach Bonn: […] eine Initiative der Bundesregierung in dem von dem Bundesminister angestrebten Sinne könnte sich daher auf eine ausführliche Ankündigung entsprechender Schritte konzentrieren, die im Vorfeld der 32. GV zu ergreifen wären, um im kommenden Herbst sonst mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwartende ablehnende Haltung der meisten Mitgliedstaaten auf ein Mindestmaß zu beschränken. Die Vertretung vermag nicht zu übersehen, ob aus dortiger Sicht auch eine solche Ablehnung auf der 31. GV in Kauf genommen werden würde, wenn damit die Beweislast für einen Fehlschlag bei der negativ votierenden Mehrheit liegt.214

Die Diplomaten in Bonn wollten daraufhin erstmal vorfühlen, wie die internationale Gemeinschaft auf diese Idee reagieren würde. Das Auswärtige Amt wies alle Auslandsvertretungen an, sich mit einer Demarche an die jeweiligen Gastländer zu wenden und die Idee eines Menschenrechtsgerichtshofes sowie einer Konvention gegen Geiselnahmen vorzustellen. Im Auswärtigen Amt entbrannte unterdessen ein interner Streit darüber, welche Rolle die deutsch-deutsche Konkurrenz bei dieser Initiative spielen sollte.215 Kurz zuvor war an der innerdeutschen Grenze ein westdeutscher Staatsbürger von einem DDR-Grenzsoldaten angeschossen worden.216 Einige Oppositions211 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 27.07.1976. 212 Wahrscheinlich ein Tippfehler in der Quelle. Vermutlich ist mit dieser Abkürzung der Internationale Gerichtshof in Den Haag gemeint. 213 PA AA : ZA B30, 115818, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 27.07.1976. 214 Ebd. 215 Ebd., Weisung des Auswärtigen Amtes in Bonn an alle Botschaften der Bundesrepublik vom 30.07.1976. 216 Art.: Provozierte Grenzer, in: Der Spiegel 34/1976; sowie Ost-Berlin läßt Hamburger frei. Verfahren in der »DDR« gegen Bubbers eingestellt – Heimkehr im Krankenwagen, in: Hamburger Abendblatt vom 11.08.1976.

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politiker forderten nun eine offizielle Protestnote an den UN-Generalsekretär. Zugleich sollte Genscher das Thema auf der bevorstehenden Generalversammlung in New York ansprechen. Das Auswärtige Amt wies diese Forderung jedoch nach intensiven internen Debatten zurück. Man wollte eine direkte Konfrontation mit der DDR um jeden Preis vermeiden, weil dadurch die »Initiative mit großer Wahrscheinlichkeit getötet« werden würde.217 Die »querelles allemandes« sollten aus der UN herausgehalten werden, da man dort andere Sorgen hätte »und in der ›Dritten Welt‹ auch gewisse instinktive Sympathien für die Bemühungen eines jungen Staates wie der DDR bestünden, seine Souveränität zu festigen, jedem ›brain drain‹ entgegenzuwirken und sich nicht von westlichen Einflüssen […] überwältigen zu lassen […].«218 An dieser Stelle zeigt sich erneut, wie die Konkurrenz in der multilateralen Politik ihre Wirkung entfaltete. Die Bundesregierung suchte die indirekte Konfrontation mit der DDR über das Thema Menschenrechte. Dazu leitete sie eine ›Menschenrechtsinitiative‹ ein, bei der sie auf die Unterstützung der Bündnisfreien Staaten angewiesen war. Deswegen wollte man alles vermeiden, was diese Staaten provozieren konnte. Die Diplomaten des Auswärtigen Amtes versuchten, die Intentionen des bewertenden Dritten zu erahnen und passten ihr Vorgehen dementsprechend an. Das Ergebnis der Demarche entsprach den Erwartungen des Auswärtigen Amtes. Während die westlichen Staaten die Idee prinzipiell begrüßten, aber für unrealisierbar hielten, sprachen sich die sozialistischen Staaten dagegen aus. Die Bündnisfreien Länder waren überwiegend zurückhaltend und wollten sich nicht festlegen. Einige reagierten jedoch »erstaunlich positiv« und versprachen Genschers Vorhaben zu unterstützen.219 Erst nach Abschluss der Demarche legte das Auswärtige Amt seine konkreten Ziele fest, die es mit der Initiative erreichen wollte: »Es geht uns zunächst darum, den Grundgedanken der Schaffung eines MGH als langfristige Aufgabe der VN herauszustellen und hierfür über den Kreis der westlichen Länder hinaus Unterstützung zu finden.«220 Deswegen solle der Vorschlag »nur in allgemeiner Form eingeführt werden«, ohne dafür einen Tagesordnungspunkt zu beantragen oder gar einen Resolutionsentwurf einzureichen.221 Demnach sei die Initiative dann ein Erfolg, wenn möglichst viele UN-Mitgliedstaaten die Idee in der Plenardebatte aufgreifen und unterstützend erwähnen würden. Zur Verstärkung sollten die Botschafter kurz vor Beginn der Sitzung nochmal bei ihren Gastländern vorstellig werden und um Unterstützung werben, vor allem bei den Ländern der ›Dritten Welt‹ sollten 217 PA AA : ZA B30, 115818, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 28.07.1976. 218 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 03.08.1976. 219 Ebd., 115837, Menschenrechtsinitiative der Bundesregierung auf der 31.  GV: Zusammenfassung der Ergebnisse der Demarche vom 01.09.1976. 220 Ebd. 221 Ebd.

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sie nochmal »nachfassen«.222 Die Auswertung sowie die daraus resultierende strategische Ausrichtung bestätigten den deklaratorischen Charakter von Genschers Menschenrechtsgerichtshof. Das bedeutete aber nicht, dass die Bundesregierung keine konkreten politischen Ziele mit ihrer Initiative verfolgte, nur waren diese größer gedacht und zielten auf eine Veränderung des internationalen Menschenrechtsdiskurses insgesamt: Wir treten dafür ein, daß die westlichen Staaten die Resignation, die die Haltung mancher Regierungen bestimmt hat, überwinden und aus der Defensive heraustreten. Es ist erforderlich, daß die westlichen Staaten, im Bereich der weltweiten multilateralen Zusammenarbeit auch und gerade gegenüber der Mehrheit ihre Werte und ihre Interessen mit mehr Selbstbewusstsein, mit mehr Nachdruck und mit größerer Überzeugungskraft zur Geltung bringen. Der Westen muß wieder mehr eigenes Profil gewinnen und darf das Gesetz des Handelns nicht der Mehrheit überlassen. […] Die westlichen Staaten, und insbesondere die Europäer, haben eine besondere politische und moralische Verantwortung, in dem Weltforum in New York für die Werte einzutreten, die die Grundlage ihrer eigenen politischen und gesellschaftlichen Ordnung sind. […] Auf der 31.  GV geht es darum, zunächst den Gedanken der Schaffung eines Internationalen Menschenrechts-Gerichtshofs in allgemeiner Form einzuführen und dadurch gleichzeitig die westliche Grundposition in der Frage des weltweiten Menschenrechtsschutzes zu verdeutlichen.223

Es ging darum, sich zu profilieren, ein Image zu kreieren, wonach die Bundesrepublik automatisch mit dem Schutz der Menschenrechte in Verbindung gebracht wurde. Das zeigt, wie sich die Konkurrenz um Menschenrechte Mitte der 1970er-Jahre veränderte. Anstatt eine konkrete Institution wie einen Hochkommissar einzurichten, wollte Genscher mit einer neuen Idee im globalen Menschenrechtsdiskurs ein Zeichen setzten. Die Bundesrepublik sollte vor den Augen der Weltöffentlichkeit als Vorkämpfer der Menschenrechte angesehen werden. Obwohl der Begriff der ›Soft Power‹ erst Jahre später eingeführt werden sollte, beschreibt er genau das, was die Bunderegierung 1976 mit ihrer Menschenrechtspolitik in den UN intendierte. Sie versuchte ein attraktives Bild der Bundesrepublik zu erzeugen, das langfristig eine enorme Anziehungskraft entfalten sollte und mit dem man die Deutungshoheit im Menschenrechtsdiskurs gewinnen wollte, um Einfluss in den internationalen Beziehungen auszuüben: Die Mehrheit in den VN wird heute und auch in absehbarer Zeit noch nicht bereit sein, an einem solchen Projekt konkret mitzuarbeiten. Der Ostblock lehnt jede Internationalisierung des Menschenrechtsschutzes aus ideologischen Gründen von vornherein ab; viele Länder der Dritten Welt haben wegen eigener interner Schwierigkeiten starke Bedenken. Aber diese Mehrheit ist keine ›automatische‹ Mehrheit. Auch außerhalb 222 Ebd. 223 Ebd., 115818, Argumentationskatalog zum Thema internationaler Menschenrechtsgerichtshof o. D.

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des Westens sind erste Ansätze für einen Konsensus erkennbar, dass der Menschenrechtsschutz nicht Sache des einzelnen Staates bleiben darf. […] Bei anderen Ländern der Dritten Welt sind die bestehenden Vorbehalte oft nicht prinzipieller Art, sondern durch die innere Instabilität bedingt. Den Grundgedanken des internationalen Menschenrechtsschutzes bejahen diese Länder, wenn sie vorläufig auch nicht zur Realisierung bereit sind. […] In der Frage des internationalen Menschenrechtsschutzes gibt es keine vorgezeichneten Fronten. […] Es ist denkbar, daß auch sie [die ›Dritte Welt‹] eines Tages unter diesen Gesichtspunkten für ein internationales System zum Schutz der Menschenrechte eintreten.224

Sollte dieser Tag kommen, stünde Westdeutschland gut da. Mit der Initiative für einen Menschenrechtsgerichtshof wollte die Bundesregierung ihren Einfluss und ihr Ansehen stärken. Die 31. Generalversammlung Ende 1976 verlief schließlich für die west­lichen Staaten deutlich besser als im Jahr zuvor. Genscher hielt seine Rede am 28. September.225 Die Forderung nach einem Menschenrechtsgerichtshof war knapp und sachlich, ohne einen Bezug auf die DDR . Auch die anderen westlichen Staaten konzentrierten sich in ihren Beiträgen auf das Thema Menschenrechtsschutz und formulierten eigene Ideen, wie der Schutz der Menschenrechte weltweit ausgebaut werden könnte.226 Sogar Kissinger baute in seiner Rede zahlreiche Referenzen zum Schutz der Menschenrechte ein.227 Das Thema Menschenrechtsschutz spielte 1976 bei allen westlichen Staaten eine zentrale Rolle in ihrer Selbstdarstellung in den UN. Statt den Forderungen der Bündnisfreien Staaten passiv gegenüberzustehen, gingen sie in die Offensive und versuchten das Themenfeld mit eigenen Ideen zu besetzen. Damit zeichnete sich 1976 schemenhaft das Bild eines umfassenden Wandels ab, bei dem der ›Westen‹ langfristig seine Stellung in den internationalen Menschenrechtsdiskursen veränderte. Im Zusammenspiel mit dem zur gleichen Zeit laufenden KSZE -Prozess, der europäischen Integration, den zahlreichen Menschenrechtspolitiken einzelner westlicher Staaten sowie innerstaatlichen Liberalisierungsprozessen begannen die westeuropäischen Staaten in den 1970er-Jahren ihr globales Image zu verändern.228 Die Zeit, in der diese in 224 PA AA : ZA B30, 115818, Argumentationskatalog zum Thema internationaler Menschenrechtsgerichtshof o. D. 225 ORUN: A/31/PV.7, Official Record des 7. Meetings der 31. Generalversammlung vom 28.09.1976, § 117–120. 226 NARA : AAD, 1976USUNN04057, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 30.09.1976. 227 NARA : AAD, 1976SECTO28016, Telegramm des Secretary of State an das Department of State vom 30.09.1976. 228 Allgemein zur KSZE siehe Douglas Selvage: The Superpowers and the Conference on Security and Cooperation in Europa, 1977–1983. Human Rights, Nuclear Weapons, and Western Europe, in: Matthias Peter / Hermann Wentker (Hg.): Die KSZE im OstWest-Konflikt. Internationale Politik und gesellschaftliche Transformation 1975–1990, München 2012, S. 15–58; zum Bedeutungsgewinn der Menschenrechte in den 1970er-

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den UN vorwiegend mit den Themen Kolonialismus sowie umstrittenen Militärinterventionen im Nahen Osten, Afrika oder Asien in Verbindung gebracht wurden, sollte überwunden werden. Westeuropa erfand sich in jener Dekade neu und nutzte dazu die Vereinten Nationen und das Thema Menschenrechtsschutz. Das bedeute aber nicht, dass ihre Außenpolitik tatsächlich ›moralischer‹ wurde, sondern nur, dass dieses Bild bewusst nach außen vermittelt werden sollte. Sie kooperierten und unterstützten auch weiterhin zahlreiche Diktaturen auf der ganzen Welt, vom Iran über Indonesien bis nach Zaire.229 Sie betrieben auch weiterhin Machtpolitik, nur wurden die Menschenrechte und das Image, das von ihnen ausging, zu einem Bestandteil dieser Politik. Genscher wiederholte seine Forderung nach einem Menschenrechtsgerichtshof fortan Jahr für Jahr auf der Generalversammlung in New York. Obwohl es noch 26 Jahre dauerte, bis die internationale Staatengemeinschaft in Den Haag tatsächlich einen International Criminal Court einrichtete, war Genscher mit seiner Idee 1975 ein wichtiger Wegbereiter. Zugleich verdeutlicht sie, wie der Kalte Krieg den internationalen Menschenrechtsschutz auch über dessen Ende hinaus prägte. 3.3.2 Der UN -Menschenrechtsausschuss

Die westliche Menschenrechtsinitiative beschränkte sich nicht nur auf symbolische Maßnahmen, wie die Ankündigung eines Menschenrechtsgerichtshofes. Die westlichen Regierungen wollten vor allem ihren Einfluss bei der Umsetzung des Menschenrechtsschutzes ausbauen. Die Einrichtung des UN-Menschenrechtsausschusses 1976 bot ihnen dazu eine passende Gelegenheit. Dieser entwickelte sich dank des Engagements westlicher Menschenrechtsexperten zu einem anerkannten Instrument des UN-Menschenrechtsschutzes und bildete zugleich eine wichtige Arena der Konkurrenz um Menschenrechte zwischen Ost und West. Der UN-Menschenrechtsausschuss wurde 1976 eingerichtet, um die Einhaltung des 1966 fertiggestellten Paktes über die politischen und bürgerlichen Rechte zu überwachen. Zehn Jahre hatte es gedauert, bis 37 Staaten den Pakt ratifizierten, sodass dieser nun in Kraft trat und der Ausschuss seine Arbeit aufnehmen konnte. Sein Zwilling, der Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, der ebenfalls 1966 von der Generalversammlung angenommen wurde, hatte hingegen immer noch nicht die ausreichende Anzahl Jahren siehe Eckel: Neugeburt; Moyn: Utopia, S. 120–176; Allgemein zum Prozess der europäischen Integration siehe Wilfried Loth: Europas Einigung. Eine unvollendete Geschichte, Frankfurt a. M. 2014, S. 211–249. 229 Zur US -Außenpolitik und dem Umgang mit Diktaturen unter Präsident Gerald Ford siehe Schmitz: United States, S. 112–142; zu den Motiven französischer Interventionen in Afrika in dieser Zeit siehe Nathaniel K. Powell: The »Cuba of the West«? France’s Cold War in Zaïre, 1977–1978, in: Journal of Cold War Studies 18/2 (2016), S. 64–96.

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an Mitgliedern erreicht. Der Menschenrechtsausschuss war neben dem Ausschuss zur Rassendiskriminierung (1970) das zweite Vertragsorgan des TBM , mit dem dieser Zweig des Menschenrechtsschutzes weiter ausgebaut wurde.230 Das Besondere an diesen Ausschüssen war, dass dort keine Diplomaten über Menschenrechte stritten, sondern Menschenrechtsexperten231. Im Fall des Menschenrechtsausschusses sollten sich dazu 18 formal unabhängige Rechtsexperten zweimal im Jahr in Genf und New York treffen, um Staatenberichte, Staatenbeschwerden und Individualbeschwerden zu prüfen. Letzteres galt nur für die Mitglieder, die auch das Fakultativprotokoll unterzeichnet hatten, was 1976 nur gut ein Dutzend Staaten betraf. Während alle sozialistischen Länder beide Pakte ratifiziert hatten, waren es aufseiten des Westens nur Schweden, Dänemark, Norwegen und die Bundesrepublik sowie Finnland (das offiziell neutral war).232 Da nur die Staaten Experten zur Wahl stellen durften, die die Pakte bis zum 20. Mai 1976 ratifiziert hatten, traten am 19. und 20. Mai noch Kanada und Großbritannien bei. Damit hatten die westlichen Mitglieder nun das Recht, drei bis vier Experten für das Gremium zu stellen. Die restlichen Plätze wurden mit Kandidaten aus sozialistischen und Bündnisfreien Ländern besetzt.233 Die westlichen Staaten waren anfangs unterrepräsentiert, weil nur wenige die Pakte ratifiziert hatten. Die Gründe dafür waren unterschiedlich. Während die USA multilateralen Verträgen grundsätzlich kritisch gegenüberstanden und sich weigerten, diese anzuerkennen, misstrauten die Westeuropäer dem Verfahren, weil sie mit der Europäischen Menschenrechtskommission bereits über ein eigenes System verfügten. Staaten wie die Bundesrepublik wollten zunächst abwarten, wie sich die neuen Verfahren in den UN entwickelten, bevor sie weitere Verpflichtungen eingingen. Deswegen hatten sie 1973 zwar beide Verträge ratifiziert, weigerten sich aber bis dahin, das Fakultativprotokoll anzuerkennen, mit dem der Ausschuss auch über Individualbeschwerden aus der Bundesrepublik hätte entscheiden dürfen.234 Im Gegensatz dazu hatten die sozialistischen Staaten als erste beide Pakte bereits Mitte der 1960er-Jahre ratifiziert. Sie akzeptierten die Verträge erstens, weil von diesen keine Gefahr ausging und der zur Überwachung des Paktes eingesetzte Ausschuss keinerlei rechtsverbindlichen Befugnisse besaß. Zweitens konnten sie sich in der Konkurrenz um Menschenrechte gegenüber den westlichen Staaten damit einen Vorteil verschaffen, indem sie sich als Vorreiter im 230 YUN: 1976, S. 609 f. 231 Zur Rolle und Bedeutung dieser Experten in den UN siehe Kap. 3.3.3. 232 Finnland war offiziell nicht Mitglied der ›WEOG ‹ (siehe Kap.1, Anmerkung 1), stand in Abstimmungen zu Menschenrechtsfragen aber oft aufseiten der westlichen Staatengruppe. 233 ORUN: A/32/44, Jahresbericht des Menschenrechtsauschusses von 1977, S. 15 f. 234 PA AA : ZA B30, 115861, Bericht des Auswärtigen Amtes an die UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf, o. D. – Anhang eines Briefes vom 17.08.1976.

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Menschenrechtsschutz inszenierten. Drittens nutzten sie den Verweis auf die Pakte als Argument gegen die Ausweitung des Menschenrechtsschutzes. Sozialistische Diplomaten und Juristen beharrten darauf, dass es mit den Menschenrechtspakten ausreichende Verfahren zum Schutz der Menschenrechte gäbe. Paradoxerweise nutzten die sozialistischen Länder somit die Mitgliedschaft im Pakt über politische und bürgerliche Rechte, um sich vor dem Menschenrechtsschutz zu schützen und gegen diesen zu agieren.235 Obwohl die westlichen Mitglieder 1976 in der Unterzahl waren, wollte die Bundesregierung das Feld nicht der DDR überlassen. Im Auswärtigen Amt ging man fest davon aus, dass sich die DDR mit ihrem Völkerrechtsexperten Professor Bernhard Graefrath im Ausschuss bewerben würde, deshalb wollte die Bundesregierung ebenfalls einen westdeutschen Experten zur Wahl stellen. Auch andere westliche Staaten deuteten an, dass sie eigene Experten vorschlagen wollten, um möglichst viel Einfluss auf die neue Institution nehmen zu können.236 Bei der Suche nach einem geeigneten Kandidaten stießen die Diplomaten schnell auf den Bonner Professor für Völkerrecht Christian Tomuschat. Dieser war der Direktor des Instituts für Völkerrecht an der Universität Bonn und hatte bereits mehrfach die Bundesrepublik in Menschenrechtsfragen beraten und sogar offiziell in den UN vertreten.237 Im Auswärtige Amt erhoffte man sich mit Tomuschat vor allem bei den Bündnisfreien Staaten gute Chancen, denn schließlich war dieser nicht der erste westdeutsche Jurist, der als Experte bei Vereinten Nationen arbeitete.238 Seit Anfang der 1970er-Jahre war der Bonner Völkerrechtler Karl Josef Partsch Mitglied des Ausschusses gegen Rassendiskriminierung, in dem er sich großer Beliebtheit erfreute. Allein die Tatsache, dass Partsch von 1970–1990 immer wiedergewählt wurde, sprach für sein hohes Ansehen bei den Mitgliedern.239 Die Bundesrepublik war seit 1975 Mitglied in der UN-Menschenrechtskommission. Ein westdeutscher Experte im UN-Menschenrechtsausschuss hätte das vom Auswärtigen Amt angestrebte Image eines internationalen Verfechters der Menschenrechte abgerundet. Eine Woche vor Genschers Rede vor der Generalversammlung, in der er seinen Menschenrechtsgerichtshof vorstellte, fand die Wahl der Experten statt. Entgegen aller Erwartungen wurden alle westlichen Kandidaten in den Aus235 Diese These stammt von Steven L. B. Jensen, siehe Ders.: International, S. 227 f. 236 PA AA : ZA B30, 115861, Weisung des Auswärtigen Amtes in Bonn an die westdeutsche Botschaft in New York vom 25.05.1976. 237 Vgl. ebd., Telegramm von der westdeutschen Botschaft in New York an das Auswärtige Amt in Bonn vom 09.04.1976; mit ebd., Weisung des Auswärtigen Amtes in Bonn an die westdeutsche Botschaft in New York vom 25.05.1976. 238 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt in Bonn vom 09.04.1976. 239 Siehe: Wolfgang Löwer / Rüdiger Wolfrum: In Memoriam Karl Josef Partsch, Reden, gehalten am 21. Juni 1997 anläßlich der Gedenkfeier der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Bonn 1998.

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schuss gewählt, darunter auch der westdeutsche Bewerber Tomuschat. Obwohl nur sieben westliche Staaten bis dato die Menschenrechtspakte ratifiziert hatten, stellten sie nun fünf von achtzehn Experten. Von den osteuropäischen Staaten wurden hingegen nur vier Juristen gewählt. Darunter der Ostberliner Völkerrechtler Graefrath. Damit konnten beide deutsche Staaten ihre Experten im Ausschuss unterbringen. Zählt man zur westlichen Gruppe noch die Kandidaten aus Zypern, Costa Rica und Ecuador hinzu, dann war der ›Westen‹ gegenüber dem ›Osten‹ damit deutlich im Vorteil. Das gute Abschneiden der westlichen Experten wurde von den bundesdeutschen Diplomaten in New York auf das geschlossene Stimmverhalten der WEOG zurückgeführt. Erstmals war es gelungen, dass sich nicht nur alle Mitglieder gegenseitig unterstützten, sondern auch gemeinsam für die gleichen Kandidaten aus anderen Gruppen stimmten. Die zahlenmäßige Überlegenheit sollte sich auf den ersten beiden Sitzungen des Jahres 1977, in denen über die Verfahrensregeln entschieden wurde, als vorteilhaft erweisen.240 Auf dem ersten Treffen 1977 in New Work einigten sich die Experten über die zukünftige Arbeitsweise des Ausschusses. Dabei profitierten die westlichen Juristen nicht nur von ihrer Überzahl gegenüber den Juristen aus sozialistischen Staaten, sondern auch von ihren guten persönlichen Beziehungen zu den Juristen aus den anderen Staaten wie dem zypriotischen Vorsitzenden Andreas V. Mavrommatis, Rajsoomer Lallah aus Mauritius oder den südamerikanischen Experten. Gemeinsam setzten sie sich in den Verhandlungen gegen die sozialistischen Experten durch und stellten wichtige Weichen für die zukünftige Entwicklung des Ausschusses.241 So erreichten sie, dass Entscheidungen durch Abstimmung und nicht nur im Konsens getroffen werden konnten. Obwohl man den Konsens meistens vorzog, konnte der Ausschuss dadurch auch dann handlungsfähig bleiben, wenn sich die Experten nicht einig waren. Diese Entscheidung stellte aber auch die größte Hürde für die Arbeit des Ausschusses dar, weil viele der Experten aufgrund ihrer zahlreichen Nebentätigkeiten oftmals nicht zu den Sitzungen erscheinen konnten. Dadurch wurden das Quorum sowie eine ausgeglichene regionale Verteilung gefährdet. Die einzigen, die immer zuverlässig an den Sitzungen des Ausschusses teilnahmen, waren die Juristen aus den sozialistischen Ländern.242 Eine weitere wichtige Entscheidung war die Veröffentlichung der Staatenberichte und die Zusammenfassungen der Sitzungsprotokolle. Damit wurden die Menschenrechtsverletzungen, die vor dem Ausschuss verhandelt wurden, dokumentiert und die Besprechung der Staatenberichte entwickelte sich zu einer Art 240 PA AA : ZA B30, 115861, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt in Bonn vom 21.09.1976. 241 ORUN: A/32/44, Jahresbericht des UN -Menschenrechtsausschusses von 1977, S. 1–7. 242 PA AA : ZA B30, 121132, Bericht von Tomuschat über die Sitzungen des Menschenrechtsausschusses im Jahr 1978 o. D.

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Tribunal, bei dem die Staaten öffentlich Rede und Antwort stehen mussten. Die Mitglieder des Ausschusses bestritten dies allerdings bewusst und stellten sich selbst lieber als beratendes Gremium dar. Darüber hinaus setzten die west­lichen Experten durch, dass in den Entscheidungen über Individualbeschwerden auch abweichende Meinungen in die Berichterstattung aufgenommen werden sollten.243 Eine weitere wichtige Verfahrensregel bestand darin, dass Individualbeschwerden Dritter zulässig waren. Das ermöglichte es Familienangehörigen oder Anwälten, Beschwerden im Namen ihrer Verwandten oder Mandanten an den Ausschuss zu richten. Dadurch konnten auch Verfahren zu Personen eingeleitet werden, die selbst nicht in der Lage waren, eine Beschwerde an den Ausschuss zu richten, weil sie im Gefängnis saßen oder wie in den meisten Fällen der 1970er-Jahre als ›verschwunden‹244 galten. Andere wichtige Entscheidungen wurden nicht durch Abstimmung festgelegt, sondern ergaben sich aus der Arbeit durch Präzedenzfälle, wie die Möglichkeit, einen Vertreter erneut einzubestellen, wenn der Bericht nicht zufriedenstellend war oder Informationen aus der Presse oder von NGOs in die Befragung mit einfließen zu lassen. Die sozialistischen Experten protestierten zwar dagegen, doch die westlichen Experten ignorierten das und die anderen störten sich nicht daran, sodass es im Laufe der Zeit zu einer akzeptierten Praxis wurde.245 Durch ihre zahlenmäßige Überlegenheit konnten die Juristen aus westlichen Staaten zusammen mit Kollegen aus Bündnisfreien Staaten wichtige Weichen für die zukünftige Arbeit und die Effektivität des Ausschusses stellen. Dadurch sollte sich der Ausschuss nicht nur zu einem anerkannten Instrument des Menschenrechtsschutzes ent243 Vgl. ORUN: A/32/44, Jahresbericht des Menschenrechtsausschusses von 1977, S. 8–16; PA AA : ZA B30, 121132, Bericht von Tomuschat über die erste Sitzung des Menschenrechtsausschusses des Jahres 1978 o.D; ebd., 120956, Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 02.02.1978, darin: Bericht von Tomuschat; ebd., Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 23.12.1977. 244 Als ›verschwundene Personen‹ (engl. ›Disappeared Persons‹) bezeichnete man in den 1970er-Jahren Menschen, die von Regierungen verschleppt wurden, ohne dass ihre Angehörigen wussten, was mit ihnen geschehen war. Vor allem in den Diktaturen in Südamerika war diese Praxis weit verbreitet und löste internationale Proteste aus. NGOs rückten das Thema in die Öffentlichkeit und auch in den UN begann man, diese Form der Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Siehe dazu Christoph Grammer: Der Tatbestand des Verschwindenlassens einer Person. Transposition einer völkerrechtlichen Figur ins Strafrecht, Berlin 2005. 245 Vgl. PA AA : ZA B30, 121132, Bericht von Tomuschat über die erste Sitzung des Menschenrechtsausschusses des Jahres 1978 o. D.; ebd., 120956, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 02.02.1978, darin: Bericht von Tomuschat; ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 23.12.1977; ebd., Bericht von Tomuschat über die zweite Sitzung des Menschenrechtsausschusses des Jahres 1978 o. D. Torkel Opsahl: Human Rights Committee, in: Alston, Philip (Hg.): The United Nations and Human Rights. A Critical Appraisal, Oxford 1992, S. 369–443.

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wickeln, sondern seine Arbeit diente auch den politischen Zielen der westlichen Staaten. Diese nutzten den Ausschuss als Bühne, auf der sie sich öffentlich mit den sozialistischen Staaten messen konnten. Alle Staaten wollten bei den öffentlichen Befragungen vor dem Ausschuss möglichst gut abschneiden. Zugleich hatten die sozialistischen Experten im Ausschuss ein besonderes Interesse daran, Menschenrechtsverletzungen in kapitalistischen Staaten aufzudecken. Unterdessen wollten die westlichen und einige südliche Experten nicht, dass dem Ausschuss ähnlich wie der Menschenrechtskommission Selektivität vorgeworfen wurde. Deswegen hielten sie sich bei heiklen Fragen zurück oder waren bemüht, gegenüber den sozialistischen Staaten nicht zu kritisch aufzutreten.246 Der westdeutsche Experte Tomuschat bemerkte dazu in einem Bericht an das Auswärtige Amt über die Befragung der DDR 1978: »So war bei einer Reihe westlicher Mitglieder eine unverkennbare Zurückhaltung spürbar, die wohl den Eindruck zerstreuen sollte, die osteuropäischen Staaten werden ungleich behandelt.«247 Gleichzeitig scheuten die westlichen Experten nicht, bei Vertreten aus westlichen Staaten den Finger in die Wunde zu legen: »Die westlichen Ausschussmitglieder bemühten sich, auch auf die Berichte der westlichen Staaten so intensiv wie nur möglich einzugehen, um sich nicht dem Vorwurf der Einäugigkeit auszusetzen.«248 Im Gegensatz dazu stellten die sozialistischen Experten Vertretern aus dem eigenen Lager meist nur »Entlastungsfragen« und gingen gegenüber westlichen Staaten sehr genau vor.249 Die gegensätzlichen Intentionen führten zu einer Art Gleichgewicht, wodurch sich der Ausschuss seine Objektivität bewahren sollte und sich nicht dem Vorwurf der Parteilichkeit aussetzte. Es gab keinen Staat, der nicht kritisiert wurde.250 Dass Staaten wie die USA , Israel oder Südafrika erst in den 1990er-Jahren Mitglieder wurden, schwächte zwar die internationale Bedeutung des Ausschusses, wirkte sich aber zugleich positiv auf dessen Arbeit aus. Diese wurde weniger stark politisiert und es konnte sich über die Jahre eine durchaus produktive Arbeitsatmosphäre herausbilden. Der Menschenrechtsausschuss wurde damit zu einer wichtigen Bühne für die Konkurrenz zwischen Ost und West und verstärkte langfristig das positive menschenrechtliche Image des Westens. Wie sich die Konkurrenz in dem Ausschuss auswirkte, zeigte sich besonders deutlich in den ersten Jahren von 1977–1979. Dabei profitierten die westlichen Staaten von dem Wetteifer ihrer Kontrahenten. Dadurch, dass die sozialistischen Länder geschlossen die Menschenrechtspakte ratifiziert hatten und als 246 PA AA : ZA B30, 120956, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 02.02.1978, darin: Bericht von Tomuschat. 247 Ebd. 248 Ebd., Bericht von Tomuschat über die erste Sitzung des Menschenrechtsausschusses des Jahres 1978 an das Auswärtige Amt o. D. 249 Ebd. 250 Vgl. ICCPR Stand der Ratifikation, online: http://indicators.ohchr.org/ (08.04.2021).

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einzige pünktlich ihre Staatenberichte einreichten, mussten sie in den ersten zwei Jahren besonders häufig vor dem Ausschuss Rede und Antwort stehen.251 Im Herbst 1977 trat Ungarn vor das Gremium. Im Februar 1978 waren die CSSR und die DDR an der Reihe und auf der Herbstsitzung desselben Jahres mussten noch die Sowjetunion, Weißrussland, Rumänien und die Ukraine vorsprechen.252 Von westlicher Seite traten im selben Jahr nur Dänemark, Norwegen, Schweden, die Bundesrepublik und Großbritannien vor den Ausschuss.253 Die Tschechoslowakei und die DDR versuchten bei ihrem Auftritt im Januar 1978 eine makellose Vorstellung abzuliefern.254 Erstere entsandten einen Völkerrechtsprofessor und die DDR einen hochrangigen Mitarbeiter des Justizministeriums. Das Prozedere verlief bei beiden gleich. Zunächst stellten die Vertreter die Staatenberichte vor, worauf anschließend die Fragen der Experten des Ausschusses folgten. In ihren Einführungen vermieden die sozialistischen Repräsentanten heikle Themen und überschütteten den Ausschuss stattdessen mit juristischen Details: »In der Tat strahlte der DDR-Vertreter den Geist perfekter bürokratischer Schwerfälligkeit aus […]«,255 bemerkte Tomuschat. Die anschließenden Fragen der Experten waren kurz und ohne Polemik, konzentrierten sich dafür aber auf konkrete Problemfelder wie die Unabhängigkeit der Gerichte, Reisefreiheit, Meinungsfreiheit, politische Mitbestimmung, politische Häftlinge, den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze und Selbstschussanlagen. Die sozialistischen Experten des Ausschusses begnügten sich hingegen mit einfachen »Entlastungsfragen«.256 Auch der ecuadorianische Experte beteiligte sich rege an der Befragung, während die meisten anderen Experten aus Bündnisfreien Ländern entweder durch Abwesenheit oder Desinteresse auffielen. Wieder andere, wie der iranische Jurist Ganji, versuchten die Befragung dafür zu nutzen, um den Vorrang wirtschaftlicher und sozialer Rechte gegenüber politischen zu betonen.257 Die Taktik der beiden sozialistischen Diplomaten bestand hingegen darin, möglichst technische und ausführliche Antworten zu geben, wozu sie sich jeweils einen gesamten Vormittag Zeit nahmen. Dabei antworteten sie auch auf 251 Für einen Überblick über die eingegangenen Staatenberichte im Zeitraum 1977–1985, ORUN : A/32/40, Jahresbericht des UN -Menschenrechtsausschusses von 1977, S. 17; ebd., A/35/40, Jahresbericht des UN -Menschenrechtsausschusses von 1980, S. 6; ebd., A/40/40, Jahresbericht des UN -Menschenrechtsausschusses von 1985, S. 8. 252 Vgl. ebd., A/32/44, Jahresbericht des UN -Menschenrechtsausschusses von 1977, S. 34 f.; sowie ebd., A/33/40, Jahresbericht des UN -Menschenrechtsausschusses von 1978, S. 19 f., 26 f., 69 f., 96 f. 253 Vgl. ebd., S. 45 f.; ebd., A/33/40, Jahresbericht des UN -Menschenrechtsausschusses von 1978, S. 108 f. 254 PA AA : ZA B30, 120956, Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 02.02.1978. 255 Ebd. 256 Ebd. Bericht der Sitzungen des Menschenrechtsausschusses von Tomuschat vom 08.02.1978. 257 Ebd.

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kritische Fragen sehr ausführlich. Während sie bei manchen Fragen wie bei der nach politischen Häftlingen einfach logen, präsentierten sie bei anderen ausführliche juristische Argumentationen. Diese stützten sie mit einer Fülle von statistischen Daten und historischen Bezügen.258 Für Tomuschat und die Diplomaten im Auswärtigen Amt verlief die erste ausführliche Befragung der sozialistischen Vertreter somit besser als erwartet. Obwohl die Vorladung des tschechoslowakischen Vertreters ausführlicher und brisanter verlief als bei seinem ostdeutschen Kollegen, hätten sich beide stets korrekt verhalten und auch auf eine Erörterung kritischer Fragen eingelassen. Zudem bemühten sie sich um eine Rechtfertigung der Politik ihrer Regierungen.259 Die befürchtete aggressive Abwehrhaltung blieb aus. Im Ausschuss verhielten sie sich kooperativ und setzten wichtige Standards im Verfahren. Dies war durchaus bemerkenswert, denn zur gleichen Zeit lieferten sich die Diplomaten aus Ost und West in der Menschenrechtskommission und darüber hinaus heftige Auseinandersetzungen.260 Dass die Besprechungen nicht eskalierten, lag nach der Vermutung Tomuschats daran, dass die Öffentlichkeit das Geschehen in Genf nur begrenzt zur Kenntnis nahm und die sozialistischen Staaten deshalb nicht Gefahr liefen, sich öffentlich bloßzustellen. Während bei der Befragung des tschechischen Experten einige Journalisten anwesend waren, war bei der DDR nur ein Reporter der Associated Press vor Ort.261 Anfang Februar berichtete die Zeitung »Die Welt« über die Sitzung in Genf. Der Artikel war nüchtern und formal neutral, besaß aber zugleich einen zweideutigen Unterton: Vor dem UNO -Menschenrechtsausschuß hat sich die ›DDR‹ gestern zum ersten Mal kritischen Fragen eines internationalen Gremiums von Rechtsexperten gestellt. Erwartungsgemäß hat sich der ›DDR‹-Vertreter dabei darauf berufen, daß innerstaat­ liches Recht bestimmte Einschränkungen von Bürgerrechten zulasse, so zum Beispiel bei Freizügigkeit und Zwangsausbürgerung.262

Damit bot der Ausschuss den westlichen Mitgliedern ein Forum, in dem sie Menschenrechtsverletzungen in sozialistischen Staaten ansprechen konnten, ohne dass es zu einer Eskalation kam. Wie effektiv dies allerdings sein würde, ohne die entsprechende Resonanz in den Medien, war anfangs sehr umstritten. Auch Tomuschat hielt sich bei der Bewertung der Wirkung zurück. Es herrschte allgemein die Überzeugung, 258 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 02.02.1978. 259 Ebd. 260 Siehe Kap. 3.3.4. 261 PA AA : ZA B30, 120956, Bericht der Sitzungen des Menschenrechtsausschusses von Tomuschat vom 08.02.178. 262 Hans Neuerbourg: Die ›DDR‹ mußte sich in Genf zu den Menschenrechten äußern, in: Die Welt vom 01.02.1978.

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der Ausschuss würde niemanden verurteilen, sondern lediglich »im Wege des Dialogs überzeugen«.263 Dazu bemerkte er: »Wieweit dieses abstrakte Konzept allerdings in praxi trägt, bleibt abzuwarten.«264 Darüber hinaus räumte er ein: Wieweit die betroffenen Staaten sich ernstlich mit den Stellungnahmen befassen, die im Ausschuß abgegeben werden, läßt sich schwer ausmachen. In vielen Fällen schien es das einzige Bestreben zu sein, möglichst ›ungerupft‹ durch die Prüfung durch­ zukommen, ohne gleichzeitig eine effektive Besserung gerügter Zustände ins Auge zu fassen.265

Das mangelnde Interesse der Presse änderte sich in der nächsten Sitzungsrunde Ende 1978, in der die Sowjetunion und Chile ihre Berichte vorstellten sollten. Zwar einigten sich die Mitglieder zu Beginn darauf, die Behandlung Chiles zu verschieben, weil man zunächst noch den Untersuchungsbericht der Ad-hocArbeitsgruppe der Menschenrechtskommission abwarten wollte, welche 1978 endlich in das Land einreisen durfte. Darüber hinaus wollte die Sowjetunion nicht in der gleichen Sitzung auftreten.266 Dennoch waren 1978 einige Vertreter der internationalen Presse anwesend, was sich laut Tomuschat positiv auf die Arbeit auswirkte. Die westlichen Experten konfrontierten die sowjetischen Vertreter mit sehr drängenden Fragen wie nach der Verfolgung Andersdenkender, der Behandlung politischer Häftlinge, der Einweisung gesunder Menschen in psychiatrische Anstalten, der Ausreisefreiheit, der Religionsfreiheit und mehr. Der britische und der westdeutsche Experte erwähnten sogar ganz konkrete Einzelfälle und bezogen sich dabei auf externe Quellen. Die Reaktionen der sowjetischen Vertreter überraschten die westlichen Experten. Zwar leugneten sie alle Vorwürfe, beriefen sich dabei aber nicht auf Artikel 2.7 der UN-Charta, um die Fragen als Einmischung in die inneren Angelegenheiten abzulehnen. Tomuschat war davon überrascht und ließ sich erstmals zu einer Prognose über die Wirkung der Arbeit des Ausschusses hinreißen: Wichtig erscheint mir indes, daß man bestimmte Vorwürfe kategorisch und sehr dezidiert zurückwies: Niemals seien vor allem Gesunde in psychiatrische Anstalten eingewiesen worden. Eine solche Erklärung erscheint nicht nur als dialektische Ausrede, sondern besitzt einen eigenen politischen Verpflichtungswert und wird m. E. auch die tatsächliche Praxis zumindest in Zukunft beeinflussen.267

Die Anwesenheit der Presse betrachtete er als konstitutive Voraussetzung zur Wirksamkeit des Ausschusses. 263 Ebd., 120958, Bericht von Tomuschat über die 4. Tagung des Ausschusses für Menschenrechte, New York, vom 02.08.1978. 264 Ebd. 265 Ebd. 266 Ebd., 121132, Bericht von Tomuschat über die 5. Tagung des Ausschusses für Menschenrechte, New York, 23.10.–03.11.1978. 267 Ebd.

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Die Anwesenheit der internationalen Presse verlieh der Sitzung eine gewisse Spannung, gleichzeitig auch Feierlichkeit. Den Vertretern der Sowjetunion war offenbar bewußt, daß sie ihre Erklärungen nicht nur vor dem Ausschuß als einem anonymen Fachgremium, sondern vor der Weltöffentlichkeit abgaben. Obwohl das sowjetische Ausschussmitglied Mowchan in den folgenden Tagen deutliche Anzeichen des Mißfallens über die in den Presseorganen erschienenen Berichte erkennen ließ, meine ich doch sagen zu können, daß die Berichtsprüfung als politisches Ereignis von der ihr zuteil gewordenen Publizität nur hat gewinnen können.268

Besonders deutlich wurde die von ihm vermutete Kontrollfunktion der Presse in seinem Bericht über die Besprechung zu Weißrussland, als die Medienvertreter nicht mehr anwesend waren: Die Vertreter Weißrusslands waren noch stärker bemüht, jeden auch nur entfernten Anschein eines Problems in Abrede zu stellen. Da die Presse der Veranstaltung keinerlei Aufmerksamkeit mehr schenkte, erzeugte meinem Eindruck nach dem weißrussischen Rechtfertigungsversuch eine deprimierende Atmosphäre diplomatischer Unseriösität [sic!]. Die Ausschußmitglieder mußten den Eindruck gewinnen, man fühle sich legitimiert, ihnen jede erdenkliche Behauptung als Wahrheit aufzutischen. Ohne die von der internationalen Presse ausgeübte Kontrollfunktion vermag m. E. der Ausschuß echte politische Statur nicht zu gewinnen.269

Die Rolle der Presse war umso wichtiger, da seitens der offiziellen Dokumentation des UN-Sekretariats nicht immer mit einer objektiven Darstellung gerechnet werden konnte. Als die Mitglieder am Ende der Sitzung über den Jahresbericht abstimmten, bemängelte der westdeutsche Experte die unausgewogene Darstellung der Prüfung der Staatenberichte. So wurde im Fall der Bundesrepublik die Besprechung sehr ausführlich dargestellt, einzelne kritische Fragen hervorgehoben und spezielle Begriffe wie Berufsverbot unterstrichen. Der Bericht über die Prüfung der Sowjetunion war hingegen deutlich kürzer und alle kritischen Fragen wurden nur sehr abstrakt und lückenhaft wiedergegeben. Für Tomuschat war es offensichtlich, dass das Sekretariat dem Druck der Sowjetunion nachgegeben und die Jahresberichte »geschönt« hatte.270 Dadurch, dass die Presse aber ausführlich über die Prüfung der Sowjetunion berichtet hatte, fiel diese Manipulation nicht allzu sehr ins Gewicht. Der Bericht Chiles wurde im April 1979 zusammen mit denen Rumäniens, Bulgariens, Großbritanniens und Spaniens besprochen. Besonders bemerkenswert war dabei, dass alle Experten sich bei der Befragung auf Zusatzinformationen bezogen, die nicht aus den Staatenberichten hervorgingen, und sich niemand deswegen beschwerte. Dabei war es offensichtlich, dass man sich bei der Prüfung des rumänischen Berichts auf Informationen von AI stützte. Selbst die

268 Ebd. 269 Ebd. 270 Ebd.

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sozialistischen Experten verwiesen bei der Befragung der britischen Repräsentanten offen auf Informationen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes im Hinblick auf Foltervorwürfe in Nordirland oder umstrittene »Jungfräulichkeitstests« der britischen Einwanderungsbehörden. Bei der Befragung Chiles wurden zudem die Erkenntnisse der Ad-hoc-Arbeitsgruppe verwendet.271 Durch die Bezugnahme auf Informationen von NGOs und dadurch, dass westliche Staaten genauso kritisch behandelt wurden wie andere Staaten, gewann der Ausschuss an Statur, sein Mandat wurde gefestigt und zum Teil sogar erweitert. Problematisch war allerdings die häufige Abwesenheit vieler Experten. Einige Lateinamerikaner waren aufgrund ihrer politischen Doppelfunktion als Minister in ihren Heimatländern oftmals nicht anwesend.272 Vor allem nach den Neuwahlen 1978 waren die sozialistischen Experten deswegen zahlenmäßig oft im Vorteil. Dementsprechend kritisch fiel das Zwischenfazit Tomuschats aus: Der Ausschuß befindet sich jetzt in einem Zwischenstadium. Nachdem es ihm gelungen ist, das Aufbaustadium relativ rasch und erfolgreich zu durchschreiten, kann er vielleicht noch das Jahr 1979 über von den Anfangserfolgen zehren. Endgültige Statur gewinnt er aber erst, wenn er sowohl im Abschluß der Berichtsprüfung wie auch der Individualbeschwerdeverfahren die gleiche Entschlossenheit und Zielstrebigkeit an den Tag legt.273

Im Auswärtigen Amt bewertete man die Arbeit hingegen positiver. Demnach würden die Diskussionen im Menschenrechtsausschuss, im Gegensatz zur Menschenrechtskommission, mit großer Offenheit geführt. Damit weise sich die Institution als ein Instrument aus, das Dank der westlichen Experten die Möglichkeiten ausschöpft, die ihm im Rahmen des Pakts gegeben wurden.274 Selbst wenn, wie die Beispiele der sozialistischen Staaten gezeigt haben, die Antworten auf diese Fragen je nachdem ausweichend, zynisch oder doppelsinnig ausfallen, so bleibt das Faktum, daß ein erkanntes Defizit zunächst öffentlich festgestellt und auch in den Ausschußberichten veröffentlicht wird. Möge auch in vielen Staaten die Wirkung dieser Rechenschaftspflicht nach innen bescheiden sein, so darf doch an­ genommen werden, daß die Mahnung der periodischen Berichtsprüfung das mora­ lische Gewissen der Staaten zumindest in einen Prozeß heilsamer Unruhe versetzt, in dem das Bewußtsein, den Pakt zu verletzten, moderierend wirken kann.275

271 Ebd., 121132, Bericht der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 17.08.1979. 272 Ebd., Bericht von Tomuschat über die 6. Tagung des Ausschusses für Menschenrechte der Vereinten Nationen, New York vom 04.05.1979. 273 Ebd. 274 Ebd., Bericht der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 17.08.1979. 275 Ebd.

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Für das Auswärtige Amt war der Ausschuss ein ideales Forum, um die sozialistischen Staaten vorzuführen und eventuell sogar geeignet, einen innenpolitischen Wandel in Osteuropa anzustoßen. Tomuschat bewertete die Wirkung des Ausschusses hingegen deutlich skeptischer.276 Die Sommersitzung in Genf 1979 wurde erheiternd und peinlich. Während die westlichen Experten bei der Besprechung des ukrainischen Staatenberichts zahlreiche Mängel aufzeigen konnten, brachte der tunesische Experte seine sozialistischen Kollegen ins Schwitzen, als er sich auf einen Artikel aus der sowjetischen Zeitung Iswestija aus dem Jahr 1945 bezog, in dem über die Zwangsdeportation der Krimtataren unter Stalin berichtet wurde. Dabei fragte er, warum diese nach ihrer Rehabilitierung durch Chruschtschow in den 1960er-Jahren nicht wieder repatriiert wurden. Der DDR-Experte Graefrath kritisierte daraufhin erstmals die Verwendung von Pressematerial im Ausschuss, »und sei es aus der Iswestija«, wie er lautstark bemerkte.277 Dabei hatte sich diese Praxis mittlerweile bei allen Experten durchgesetzt, sogar den sozialistischen. Besonders peinlich wurde es hingegen für die Repräsentanten Großbritanniens, welche in der Sommersitzung den Bericht über die Überseeterritorien des Vereinigten Königreichs vorstellen mussten. Dabei zeigte sich, dass in vielen Gebieten der britischen Krone formell noch sehr archaische Rechtspraktiken vorhanden waren, welche die Experten teilweise belustigten und teilweise verstörten. Von Prügelstrafen mit einer neunschwänzigen Katze für Erwachsene und einer Tamarindenwurzel für Minderjährige bis hin zur Todesstrafe für Majestätsbeleidigung in kleinen Südseekönigreichen, wobei das endgültige Strafmaß nach »the Majesty’s pleasure« festgelegt wurde.278 Der britische Bericht enthielt zahlreiche Sonderrechte aus der Kolonialzeit, die zwar vor langer Zeit festgeschrieben worden waren, de facto aber keine Anwendung mehr fanden. Besonders die sozialistischen Experten ließen es sich nicht nehmen, dies in der öffentlichen Debatte auszuschlachten.279 Bemerkenswert war zudem der Vorschlag des zypriotischen Vorsitzenden, zukünftig eine Sitzung in einem anderen Land abzuhalten, wobei er direkt an die Bundesrepublik dachte. Sowohl Tomuschat als auch die westdeutsche Botschaft in Genf begrüßten diese Idee. Damit könnte die Bundesrepublik ihr Engagement für Menschenrechte nach außen sichtbar machen und der Welt zeigen, dass sie »eine beachtenswerte Bilanz des Menschenrechtsschutzes vorweisen« könne.280 Zugleich gab Tomuschat aber zu bedenken, dass nicht der Eindruck 276 Ebd., Bericht von Tomuschat über die 7. Tagung des Ausschusses für Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 20.08.1979. 277 Ebd., Bericht der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 17.08.1979. 278 Ebd. 279 Ebd. 280 Ebd., Bericht über die 7. Tagung des Ausschusses für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Genf vom 20.08.1979.

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entstehen dürfe, dass die »reichen Länder« die Menschenrechte »›kaufen‹ und ihr spezielles Verständnis auf diese Weise mit unredlichen Mitteln« durchsetzen wollten. Dennoch wurde diese Idee im Auswärtigen Amt äußert positiv aufgenommen und weiterverfolgt.281 Der Ausschuss machte in seinen ersten drei Jahren Fortschritte bei der Institutionalisierung und fand immer mehr Akzeptanz unter den Mitgliedstaaten. Vor allem bei der Prüfung der Staatenberichte stellte sich Routine ein. Gleichzeitig bot dieser den westlichen Staaten ein Forum, um sich zu präsentieren und mit anderen zu messen. Doch der Ausschuss wirkte nicht nur im Rahmen der Konkurrenz um Menschenrechte, er förderte unterschwellig auch die Institutionalisierung der Menschenrechte in den jeweiligen Regierungsapparaten der Mitgliedstaaten. Diese mussten Personal bereitstellen, das sich auf diesem Gebiet auskannte und Berichte anfertigen sowie Auskunft erteilen konnte. Anders als in der UNMenschenrechtskommission wurden die Dokumente im Ausschuss tatsächlich gelesen und öffentlich diskutiert. Dabei zeigte sich, dass viele der Berichte nicht die Informationen lieferten, die die Experten haben wollten. Auch die Vertreter der Regierungen waren nach Einschätzung der Ausschussmitglieder oft nicht qualifiziert, um ihr Land in Menschenrechtsfragen zu repräsentieren. Das änderte sich jedoch in den nachfolgenden Sitzungen. Im Laufe der Zeit professionalisierten sich diese Abläufe. Die Berichte wurden dichter und einheitlicher, zugleich wurden hochrangige Mitarbeiter aus den jeweiligen Justizministerien abgestellt, die die Berichte vorstellten und verteidigten mussten. Auch wenn die mediale Aufmerksamkeit gering war und nur bei besonderen Fällen die Presse über die Sitzungen des Ausschusses berichtete, waren die Staaten stets bemüht, ein möglichst positives Bild abzugeben. Der Ausschuss zwang die Mitgliedstaaten somit, sich innerhalb ihrer Ministerien verstärkt mit den Menschenrechten auseinanderzusetzen, auch wenn es nur darum ging, ein möglichst geschöntes Bild in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Damit trug der Ausschuss zur Institutionalisierung der Menschenrechte innerhalb der jeweiligen Regierungssysteme bei und sorgte für einen zunehmenden Bedarf an Menschenrechtsexperten. Die Konkurrenz prägte die Arbeit des Ausschusses. Sie motivierte beide Seiten, sich mit eigenen Experten zu engagieren und diesen als Bühne zur Selbstdarstellung zu nutzen. Dadurch konnte der Menschenrechtsausschuss in den ersten Jahren an Profil gewinnen. Langfristig betrachtet profitierte vor allem der ›Westen‹ von dessen Arbeit. Er diente den westlichen Staaten als Bühne, auf der sie ihr Menschenrechtsimage festigen konnten. Zudem förderte er die Institutionalisierung der Menschenrechte innerhalb der Außenministerien der einzelnen Mitgliedstaaten und entwickelte sich zu einem angesehenen Instrument des UN -Menschenrechtsschutzes, woran die westlichen Staaten ein genuines poli281 Ebd.

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tisches Interesse hatten. Der Ausschuss war damit zugleich ein Beispiel dafür, wie die westlichen Länder von der Zusammenarbeit mit Menschenrechtsexperten profitierten. Deren besondere Rolle bei der Entstehung des UN-Menschenrechtsschutzes wird im folgenden Kapitel genauer untersucht. 3.3.3 Menschenrechtsexperten

Menschenrechtsexperten spielten sowohl bei der Entstehung des UN-Menschen­ rechtsschutzes als auch in der Konkurrenz um Menschenrechte eine wichtige Rolle. Die westeuropäischen Staaten setzten nach 1975 verstärkt auf westliche Rechtswissenschaftler, um ihren Einfluss auf das Sekretariat und den Menschenrechtsschutz auszuweiten. Im März 1976 sollte der Posten des Direktors der Menschenrechtsdivision neu besetzt werden, und da der bisherige Amtsinhaber Schreiber »sich weder bei den leitenden Persönlichkeiten des VN-Sekretariats noch in seiner eigenen Abteilung großer Beliebtheit«282 erfreute, rechnete man im Auswärtigen Amt zu diesem Zeitpunkt nicht damit, dass seine Amtszeit verlängert werde. Da zugleich der Posten des stellvertretenden Direktors bereits Pierre J. Sanon aus Obervolta zugesagt worden war und es das Junktim gab, dass eines der beiden Ämter mit einer Person aus der ›Dritten Welt‹ besetzt werden musste, hoffte man im Auswärtigen Amt nun, dass erneut ein Kandidat aus dem ›Westen‹ der neue Direktor der Division werden würde. Italien, die Niederlande und Kanada präsentierten Waldheim, der über die Neubesetzung entscheiden musste, daraufhin mögliche Kandidaten für Schreibers Nachfolge. Dabei zeichnete sich schon früh ab, dass der niederländische Menschenrechtsexperte Theo van ­Boven die besten Chancen haben würde.283 Der Jurist van Boven arbeitete seit den 1960er-Jahren für das niederländische Außenministerium. Von 1967–1970 lehrte er zudem als Dozent zum Thema Menschenrechte an der Universität Amsterdam. Danach wurde er als Vertreter der Niederlande in die Menschenrechtskommission entsandt, wo er die progressive Menschenrechtspolitik des sozialdemo­k ratischen Ministerpräsidenten Joop den Uyl und seines Außenministers Max van der Stoel repräsentierte. Er prägte das Image der Niederlande als Staat, der sich für Menschenrechte einsetzte.284 Dabei galt er als leidenschaftlicher Verfechter des universellen Menschenrechtsschutzes, was im Fall Chile 1975 deutlich wurde. Wie Humphrey war van Boven ein transnationaler Akteur, der mehrere Funktionen gleichzeitig einnahm. Er hatte als Diplomat, 282 PA AA : ZA B30, 121144, Bericht der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 16.03.1976. 283 Ebd., Vermerk: Kandidaten für den Posten des Leiters der VN -Menschenrechtsabteilung in Genf. 284 Allgemein zur Menschenrechtspolitik der Niederlande siehe Eckel: Ambivalenz, S. ­440–462.

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Jurist sowie als Experte für Internationales Recht viel Erfahrung gesammelt und arbeitete dabei eng mit NGOs und westlichen Regierungen zusammen. Wie die meisten Menschenrechtsexperten nahm er damit eine wichtige Mittlerposition im internationalen Menschenrechtsschutz ein.285 Während ihn das aus Sicht der Diplomaten in Bonn als idealen Nachfolger Schreibers auszeichnete, machte er sich damit bei anderen Staaten jedoch unbeliebt.286 Van Boven war in der UN umstritten. Die Sowjetunion hatte sich bereits öffentlich gegen den Niederländer ausgesprochen und auch im Westen gab es vereinzelt Bedenken. Sein eigensinniges Vorgehen im Fall Chile im Jahr zuvor war vielen in Erinnerung geblieben und manche fürchteten, er sei zu ›radikal‹ für diesen Posten. Van Boven war nicht nur ein Diplomat und Jurist, sondern auch ein Aktivist, der wie Humphrey seine eigenen Vorstellungen vom UN -Menschenrechtsschutz hatte und auch durchsetzen wollte. Aus Sicht der meisten westeuropäischen Regierungen qualifizierte ihn aber gerade das in besonderem Maß für das Amt des Direktors der UN-Menschenrechtsdivision. Sie hofften, dass der Niederländer das schlechte Image der UN aufwerten würde und ihnen zugleich wieder mehr Einfluss in der Menschenrechtsdivision verschaffen könnte.287 Waldheim zögerte die Entscheidung allerdings hinaus. Da der Sicherheitsrat im gleichen Jahr über seine zweite Amtszeit abstimmen musste, verlängerte er den Vertrag des amtierenden Direktors Schreiber um ein weiteres Jahr. Damit vermied er es, sich der Kritik der sozialistischen Staaten auszusetzen, was seine Wiederwahl gefährden könnte.288 Die Neubesetzung des Direktors der Menschenrechtsdivision wurde damit aber nur verschoben und die Westeuropäer hatten nun noch mehr Zeit, eine Strategie zu entwickeln, um ihren Kandidaten van Boven durchzusetzen. Dazu einigten sie sich untereinander, die Auswahl des Generalsekretärs bewusst einzuschränken: […] bei der Entscheidung des VN-GS (voraussichtlich Waldheim) ist mit der Neigung zu rechnen, dem schwächsten, die geringste Opposition auslösenden Kandidaten den Vorzug zu geben. Wir haben daher ein Interesse daran, dass sich die EG und der Westen auf einen weniger aussichtsreichen Kandidaten einigen wird und damit die Wahlmöglichkeiten des GS einschränkt.289

285 Ridder: Menschenrechtsexperten, S. 245–266. 286 PA AA : ZA B30, 121144, Vermerk: Kandidaten für den Posten des Leiters der VN -Menschenrechts-Abteilung in Genf; ebd., Vermerk: Neuer Leiter der VN -Menschenrechtsabteilung Theo van Boven vom 22.06.1977. 287 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 10.06.1976; ebd., Weisung des Auswärtigen Amtes in Bonn an die Botschaft der Bundesrepublik in Genf vom 15.06.1976. 288 Ebd. 289 Ebd., Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 10.06.1976.

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Der italienische Kandidat war als Theologe und Spezialist für Kirchenrecht ungeeignet. Der kanadische Bewerber schied aus, weil Kanada mit Humphrey bereits einen Direktor gestellt hatte, der zudem über 20 Jahre im Amt gewesen war. Auch der US -Kandidat Thomas Buergenthal hatte aufgrund seiner Nationalität wenig Aussicht auf Erfolg. Ernsthafte Konkurrenz bot nur die britische Kandidatin Margaret Bruce, doch London zog ihre Bewerbung zu Gunsten van Bovens zurück.290 Ende des Jahres 1976 wurde Waldheim auf der Generalversammlung in New York wiedergewählt. Das war aus Sicht der westlichen Staaten ebenfalls positiv, denn es bedeutete, dass sie weiterhin auf eine gute Zusammenarbeit mit dem Sekretariat hoffen konnten.291 Alle wichtigen Ämter wurden dort zu dieser Zeit von Personen aus westlichen Ländern besetzt. Der republikanische US -Politiker Bradford Morse war von 1972–1976 Untergeneralsekretär für politische Angelegenheiten und leitete anschließend das Entwicklungshilfeprogramms der Vereinten Nationen (UNDP).292 Sein Nachfolger wurde der ehemalige US -Diplomat Buffum. Dieser war im US -Außenministerium als Assistant Secretary of State for International Organizations für die Koordinierung der UN-Politik der USA zuständig gewesen, bis er von Waldheim 1975 als Untergeneralsekretär für politische Angelegenheiten ins Sekretariat am East River geholt wurde.293 Der Brite Brian Urquhart übernahm 1971 den Posten des US -Amerikaners Ralph Bunche und war als Untergeneralsekretär für den Einsatz der UN -Friedenstruppen zuständig.294 Der Kanadier George Davidson war seit 1971 Under-SecretaryGeneral for Administration and Management. Waldheim selbst bezeichnete diese vier als seine engsten Mitarbeiter, mit denen er alle wichtigen Entscheidungen beriet. In der Rückschau rechtfertigte er seine Personalentscheidungen damit, dass die westlichen Staaten als größte Geldgeber der Organisation traditionsgemäß auch ein Anrecht darauf hätten, im Sekretariat überrepräsentiert zu sein.295 Er räumte zudem ein, dass er an der Loyalität seiner osteuropäischen Mitarbeiter zweifelte: Moskau schickte zwar durchaus kompetente Leute, und wir bemühten uns stets, ihre Loyalität gegenüber der Weltorganisation einfach vorauszusetzen. Dennoch hatten wir immer wieder Zwischenfälle mit dem amerikanischen Sicherheitsdienst (FBI), der die Tätigkeit der Sowjets genau überwachte, sobald sie in Verdacht gerieten, ihre Anwesenheit in New York für andere Zwecke als für ihre UNO -Arbeit zu nutzen.296 290 Ebd., Vermerk: Kandidaten für den Posten des Leiters der VN -Menschenrechts-Abteilung in Genf; ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 10.06.1976. 291 NARA : AAD, 1976State313877, Telegramm des Department of State an alle Botschaften vom 30.12.1976. 292 Kurzbiografie von Bradford Morse, online: http://bioguide.congress.gov/scripts/bio​ display.pl?index=M001009 (08.04.2021). 293 Art.: William B. Buffum, in: Washington Post, 10.05.2012, S. B6. 294 Brian Urquhart: A Life in Peace and War, New York 1987. 295 Kurt Waldheim: Im Glaspalast der Weltpolitik, Düsseldorf / Wien 1985, S. 84–86. 296 Ebd., S. 87 f.

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Es kam zudem immer wieder zu Zwischenfällen, bei denen sich sowjetische Mitarbeiter mit ihren Familien absetzten und in westlichen Staaten Asyl beantragten.297 Zwar muss davon ausgegangen werden, dass auch westliche Staaten in den UN spionierten, nur scheint es fraglich, inwiefern das FBI auch nach US Spionen im Sekretariat in New York suchte. Zumal die westlichen Staaten durch die Personalstruktur bereits im Vorteil waren. Nachdem Waldheim wiedergewählt wurde, widmete er sich der Frage, wer den Posten des Direktors der UN-Menschenrechtsdivision besetzen sollte. Ende Januar 1977 entschied er sich schließlich für den Niederländer van Boven.298 Damit gelang es den westlichen Staaten, ihre Interessen durchzusetzen und ihre Stellung sowie ihren Einfluss im Sekretariat auszubauen, wodurch sie sich in der Konkurrenz um Menschenrechte Vorteile erhofften. Daneben profitierten die westlichen Staaten von ihren engen und guten Beziehungen zu Menschenrechtsexperten wie dem Niederländer van Boven. Dieser bezog im Mai 1977 sein neues Büro in Genf und machte sich mit Elan daran, die Effizienz der Division zu verbessern. Bereits nach einem Monat meldete die westdeutsche Botschaft »eine Beschleunigung der Arbeit und Dezentralisierung der Verantwortlichkeit«.299 Das Haupthindernis seien dabei die »›Erbhöfe‹ bestimmter Staaten, die wie üblich von diesen und ihren Staatsangehörigen in der Abteilung hartnäckig verteidigt werden.«300 Zudem wurde der Niederländer auch politisch aktiv. Nachdem die sozialistischen Staaten zusammen mit einigen Bündnisfreien Staaten 1975 eine Resolution auf den Weg gebracht hatten, wonach die Zusammenarbeit zwischen NGOs und der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten bei der Prüfung der Individualbeschwerden verboten werden sollte, warb van Boven aktiv bei den Staaten gegen die Resolution. Dabei bediente er sich einer Taktik, die auch schon einer seiner Vorgänger Humphrey angewandt hatte. Er veröffentlichte einen Artikel in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift, in der er für die Notwendigkeit der Kooperation zwischen NGOs und den UN eintrat, um so Einfluss auf die Debatte zu nehmen.301 Auch Humphrey hatte sich, zwar nicht als Direktor, aber in seiner Zeit als Menschenrechtsexperte in der Unterkommission, in juristischen Fachzeitschriften zu Wort gemeldet und zu aktuellen Themen des Menschenrechtsschutzes Stellung bezogen. Dieses Vorgehen war nicht ungewöhnlich, schließlich waren die meisten Menschenrechtsexperten der UN zugleich auch Wissenschaftler. Viele von ihnen arbeiteten als Professoren an Universitäten und nutzten diese Stellung, um ihre Ideen und Vorstellungen auch außerhalb der Vereinten Nationen zu verbreiten. Auch die sozialistischen Menschenrechtsexperten bedienten sich 297 UNARM : SG Waldheim, S-0913-6-2, Unterlagen zum Fall Balakhonov. 298 UNARM : SG Waldheim, S-0897-20-22, Brief von Generalsekretär Kurt Waldheim an den niederländischen Außenminister Max van der Stoel vom 24.01.1977. 299 PA AA : ZA B30, 121144, Brief der westdeutschen Botschaft in Genf an das Auswärtige Amt vom 22.06.1977, Betr.: Neue Leitung der VN -Menschenrechtsabteilung. 300 Ebd. 301 Ebd.

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dieser Taktik und veröffentlichten regelmäßig in westlichen Fachzeitschriften. Doch damit nahmen diese Menschenrechtsexperten nicht nur Einfluss auf aktuelle politische Debatten, zumal dieser wohl eher gering war.302 Ein viel wichtigerer und unterschwelliger Prozess, den sie damit beförderten, war die ›Verwissenschaftlichung‹ der Menschenrechte. Diese wurden seit der UN -Charta von 1945 zunehmend zum Gegenstand wissenschaftlicher Debatten. Während sich in den 1940er-Jahren noch vorwiegend Geisteswissenschaftler mit ihnen befassten, wurde sie mit der Gründung der Vereinten Nationen zum Subjekt des Völkerrechts. Menschenrechte wurden Thema der Rechtswissenschaften und Juristen übernahmen nun die Rolle des Menschenrechtsexperten. In den 1970er-Jahren stieg die Zahl der juristischen Publikationen zum Thema Menschenrechte sprunghaft an,303 wodurch sich der Fokus der öffentlichen Debatten auf bürgerliche und politische Rechte verschob. Das führte dazu, dass Menschenrechte und der Menschenrechtsschutz vorwiegend als strafrechtliche Angelegenheit betrachtet und im Rahmen von juristischen Verfahren aufgearbeitet werden sollten. Menschenrechtsschutz war Sache von Juristen, doch für den Schutz wirtschaftlicher und sozialer Rechte bedurfte es anderer Kompetenzen und neuer Verfahren. Mit dem Bedeutungsgewinn dieser Kollektivrechte im Rahmen der Debatten über eine ›Neue Weltwirtschaftsordnung‹ wurden die Menschenrechte zunehmend auch in anderen Wissenschaftsdisziplinen thematisiert. Zugleich zeigte sich, dass die meisten Wissenschaftler, die über die Menschenrechte forschten, auch in den UN als Experten, Diplomaten, Mitarbeiter oder teilweise auch als Aktivisten und Mitglieder von NGOs auftraten, so wie zum Beispiel Humphrey, Schwelb oder van Boven. Sie waren Teil einer transnationalen Menschenrechtszene, in der Wissenschaft, Aktivismus und Politik verschmolzen und die ab den 1970er-Jahren immer mehr an Einfluss gewann.304 Diese Menschenrechtsexperten setzten sich zudem dafür ein, die Menschen­ rechte als Forschungsgegenstand in der Wissenschaft zu etablieren und förderten deren Institutionalisierung an Universitäten. Sie richteten neue Studiengänge ein, besetzten Lehrstühle und gründeten ganze Forschungseinrichtungen, die sich den Menschenrechten und deren Schutz widmeten. Vor allem aber bildeten sie zukünftige Generationen von Menschenrechtsexperten aus. Diese engagierten sich später wiederum selbst in NGOs, der Politik oder arbeiteten für Regierungen und internationale Organisationen und förderten damit die Durchsetzung des Menschenrechtsschutzes. Gleichzeitig schufen sie damit ein 302 Vgl. exemplarisch Humphrey: Sub-Commission; und Theo van Boven: Partners in the Promotion and Protection of Human Rights, in: Netherlands International Law Review 24/1–2 (May) 1977, S. 55–71; sowie ein sowjetischer Experte wie P. D. Morozov: Legal Aspects of a Projected New International Economic Order. Comment, in: Netherlands International Law Review 24/3 (1977), S. 542–543. 303 Moyn: Utopia, S. 176–211. 304 Ridder: Menschenrechtsexperten.

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unabhängiges System, in dem der Bedarf an Menschenrechtsexperten nicht abriss. Von diesen Effekten profitierten vor allem die westlichen Staaten. Zum einen, weil diese Experten wichtige Positionen im Sekretariat oder in Ausschüssen besetzten, wobei sie eng mit westlichen Regierungen zusammenarbeiteten, wie die Beispiele van Boven, Humphrey oder Tomuschat zeigen. Sie gaben interne Informationen an westliche Diplomaten weiter oder entwickelten wie im Fall des Hochkommissars für Menschenrechte eigene Ideen und Konzepte, für die sie sich einsetzten und wovon die westlichen Länder profitierten. Zum anderen hatten diese Experten Einfluss auf die zu dieser Zeit immer populärer werdenden Menschenrechtsdiskurse. Diese verlagerten sich in den 1970er-Jahren immer stärker auf die zivilgesellschaftliche Ebene, welche damit die Rolle des bewertenden Dritten übernahm. Dadurch, dass Menschenrechtsexperten wie Humphrey und van Boven nicht nur als Professoren, Berater, Diplomaten und UN-Beamte arbeiteten, sondern sich auch in NGOs wie AI engagierten, übernahmen sie eine wichtige Mittlerfunktion. Als transnationale Akteure förderten sie die Durchsetzung eines ›westlichen‹ Menschenrechtsverständnisses, mit einer starken Fokussierung auf politische und bürgerliche Rechte. Das verschaffte den westlichen Staaten einen entscheidenden Vorteil in der Konkurrenz um Menschenrechte. Der ›Westen‹ erlangte in den 1970er-Jahren mithilfe dieser Experten, NGOs und der ›Menschenrechtsinitiative‹ einzelner westlicher Regierungen in den UN, der KSZE und darüber hinaus die Deutungshoheit über den Menschenrechtsschutz und die öffentliche Wahrnehmung dessen, was als Menschenrechtverletzung betrachtet wurde und was nicht. 3.3.4 Carters UN -Menschenrechtspolitik

Den westlichen Staaten gelang es 1976, ihren Einfluss auf den UN-Menschenrechtsschutz auszubauen und dessen Institutionalisierung voranzutreiben. Als Carter 1977 das US -Präsidentenamt übernahm, verstärkte seine engagierte Menschenrechtspolitik den Ost-West-Konflikt. Zudem belastete sein eigensinniges Vorgehen und die Unerfahrenheit seiner Mitarbeiter die Zusammenarbeit der westlichen Gruppe in den UN. Insgesamt stärkte Carter aber die westliche ›Menschenrechtinitiative‹ und förderte den von den westlichen Staaten angestrebten Imagewandel.305 Entgegen seiner Vorgänger erklärte der neue US -Präsident die Menschenrechte 1977 zu einem zentralen Aspekt der US -Außenpolitik, was sich auch auf die Politik anderer Staaten auswirken sollte. Obwohl einzelne westlichen Verbündeten wie Bundeskanzler Schmidt sein Vorgehen kritisierten, begrüßten 305 Zum Politikwechsel unter Carter siehe Keys: Reclaiming, S. 242–262; David F. Schmitz / ​ Vanessa Walker: Jimmy Carter and the Foreign Policy of Human Rights. The Development of a Post-Cold War Foreign Policy, in: Diplomatic History 28/1 (2004), S. 113–143.

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viele den Politikwechsel in Washington.306 Dabei wirkte die Menschenrechtsrhetorik des US -Präsidenten über das westliche Lager hinaus und förderte weltweit die öffentliche Auseinandersetzung mit den Menschenrechten. Sein Idealismus steckte viele Menschen an. Auch räumte er der multilateralen Politik in den UN zu Beginn seiner Amtszeit einen hohen Stellenwert ein.307 Das brachte er auch symbolisch zum Ausdruck, indem er UN-Generalsekretär Kurt Waldheim mit militärischen Ehren im Weißen Haus empfing, ein Ritual, das sonst nur Staatsoberhäuptern zuteilwurde.308 Allerdings zeigte sich in Carters Außenpolitik auch eine gewisse Janusköpfigkeit, die sich in seinem Personal widerspiegelte. Außenminister wurde der liberale Demokrat Cyrus Vance. Ihm zur Seite stand Zbigniew Brzezinski. Brzezinski stammte aus Polen und war ein überzeugter Antikommunist. Er beriet Johnson bereits in den 1960er-Jahren und Carter machte ihn 1977 zum nationalen Sicherheitsberater. Im Gegensatz zu Vance war Brzezinski ein ›intellektueller Hardliner‹.309 Sein Einfluss wurde vor allem in Carters bilateraler Menschenrechtspolitik gegenüber der Sowjetunion sichtbar, in der er die Menschenrechte gezielt einsetzte. Sein Ziel war es, ein militärisches und moralisches Gleichgewicht zwischen der Sowjetunion und den USA herzustellen. Für Ersteres trieb er die Abrüstungsverhandlungen voran und für Letzteres zeigte er öffentlich mit dem Finger auf Menschenrechtsverletzungen in Osteuropa. Zudem verknüpfte Carter beide Themenbereiche, indem er Fortschritte auf einer Ebene mit Fortschritten auf der anderen verband.310 Diese Strategie wurde auch schon von Nixon und Kissinger angewandt, allerdings nicht im Bereich der Menschenrechte. Hier lag zudem der wesentliche Unterschied zwischen Carter und seinen Vorgängern. Er brach mit der stillen Vereinbarung zwischen der sowjetischen Führung und den US -Präsidenten, wonach sich keine Seite in die inneren Angelegenheiten des anderen einmischte. Dieses unausgesprochene Prinzip bestand seit den 1960er-Jahren und bildete die Grundlage der Entspannungspolitik.311 Die Vereinten Nationen boten dabei einen speziellen Raum, der Ausnahmen ermöglichte und Kritik im begrenzten Umfang zuließ. Zudem entwickelten sich Ende der 1960er-Jahre die guten Dienste des UN-Generalsekretärs zu einem 306 Klaus Wiegrefe: Das Zerwürfnis. Helmut Schmidt, Jimmy Carter und die Krise der deutsch-amerikanischen Beziehungen, Berlin 2005. 307 Vgl. Scott Kaufman: Plans Unraveled. The Foreign Policy of the Carter Administration, DeKalb 2008, S. 5–56; Robert A. Strong: Working in the World. Jimmy Carter and the Making of American Foreign Policy, Baton Rouge 2000, S. 260–281; John Dumbrell: The Carter Presidency. A Re-Evaluation, Manchester 1995, S. 210–216. 308 Waldheim: Glaspalast, S. 211. 309 Vgl. Justin Vaïsse: Zbigniew Brzezinski. America’s Grand Strategist, Cambridge 2018; Charles Gati (Hg.): Zbig. The Strategy and Statecraft of Zbigniew Brzezinski, Baltimore / London 2013. 310 Christian Peterson: The Carter Administration and the Promotion of Human Rights in the Soviet Union, 1977–1981, in: Diplomatic History 38/3 (2014), S. 628–656. 311 Zubok: Empire, S. 192–265.

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geeigneten Instrument, um Menschenrechtsfragen zwischen Ost und West im Verborgenen zu klären.312 Für Carter war die UN hingegen geeignet, um das angestrebte moralische Gleichgewicht mit der Sowjetunion wiederherzustellen. Carter wollte, dass sich die USA von der Schmach des Vietnamkrieges und der zahlreichen politischen Skandale der vergangenen Jahre befreiten und wieder als eine moralische Führungsmacht in der Welt wahrgenommen wurden.313 Ende Januar 1977 ernannte er deshalb Andrew Young zum neuen US -Botschafter bei den Vereinten Nationen. Young war ein bekannter Bürgerrechtler, Politiker und Pastor, der wie Carter aus Georgia stammte. Er war Mitglied in Carters Kabinett und der erste schwarze US -Botschafter bei den Vereinten Nationen. Damit wollte Carter auch symbolisch ein Zeichen setzen, das sich sowohl an die Menschen in den USA richtete als auch an die Vertreter der Bündnisfreien Staaten. Young sollte dazu beitragen, die Spannungen abzubauen, die sich im Zuge der Zionismus-Resolution aufgebaut hatten. Vor allem auf die afrikanischen Staaten sollte diese Nominierung positiv wirken, da sich Young seit Jahren gegen die Apartheid engagierte.314 Neuer Vertreter in der UN-Menschenrechtskommission wurde der demokratische Politiker Allard K.  Lowenstein. Auch dieser war ein bekannter Aktivist aus der US -Bürgerrechtsbewegung, der Anti-Apartheid-Bewegung sowie der Friedensbewegung.315 Carter ernannte die Bürgerrechtsaktivistin Patricia Murphy Derian zur neuen Koordinatorin für Menschenrechtspolitik im State Department. Der Posten wurde bereits 1975 von Präsident Ford eingerichtet. Als Carter das Amt 1977 übernahm, wertete er diesen Posten jedoch zum Assistant Secretary for Human Rights auf und richtete außerdem eine völlig neue Abteilung ein, die sich ausschließlich mit der neuen Menschenrechtspolitik der USA befassen sollte. Damit hatte Carter nicht nur die Köpfe der Institutionen ersetzt, sondern zugleich neue Strukturen geschaffen, um seine Politik umzusetzen.316 Dabei besetzte er wichtige Ämter mit Personen, die zwar viel Erfahrung als Menschenrechtsaktivisten hatten, aber nur wenige als Diplomaten, was sich als problematisch erweisen sollte. Im selben Jahr, in dem Carter ins Weiße Haus einzog, formierte sich in Osteuropa eine neue Protestbewegung.317 Die ›Helsinki-Gruppe‹ berief sich auf 312 313 314 315

Siehe Kap. 2.3. Keys: Reclaiming, S. 242–268. Andrew J. DeRoche: Andrew Young. Civil Rights Ambassador, Lanham 2003, S. xi. Kurze Biografie von Allard K. Lowenstein online: http://bioguide.congress.gov/scripts/ biodisplay.pl?index=L000477 (08.04.2021). 316 Für einen Überblick über die Umstrukturierungen im State Department unter Carter siehe FRUS : Carter and Human Rights, 1977–1981: https://history.state.gov/milestones/​ 1977-1980/human-rights (08.04.2021). 317 Allgemein dazu siehe Ernst Warwa: Ein Schandfleck der westlichen Diplomatie? Die Folgen des KSZE -Prozesses und die Bürger- und Menschenrechtsbewegung in der Sowjetunion (1976–1982), in: Helmut Altrichter / Hermann Wentker (Hg.): Der KSZE -Prozess. Vom Kalten Krieg zu einem neuen Europa 1975 bis 1990, München 2011, S. 63–74.

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die Schlussakte von Helsinki und forderte von der sowjetischen Regierung die Einhaltung der darin formulierten Menschenrechte. Die sowjetischen Behörden verhafteten daraufhin einige Dissidenten, verschärften die Repressionen und starteten eine Propagandakampagne, in der Regimekritiker als »westliche Agenten« diffamiert wurden. Präsident Carter und das kanadische Parlament reagierten als erste und brachten öffentlich ihre Sorge über die Verhaftungen der Dissidenten zum Ausdruck. Anschließend nahm Carter Kontakt zu dem bekannten Dissidenten Andrei Sacharow auf und US -Vizepräsident Walter Mondale traf sich persönlich mit dem Dissidenten Wladimir Bukowski im Weißen Haus. Parallel dazu sollten die US -Vertreter in Genf das Thema vor der Menschenrechtskommission ansprechen. Dabei sorgte der neue US -Delegationsleiter Lowenstein bereits zu Beginn der Sitzung für einen Eklat, als er außerhalb der Tagesordnung und vor allen Kommissionsmitgliedern fragte, wie die Menschenrechtskommission auf die Verhaftung der Dissidenten in der Sowjetunion zu reagieren gedenke. Er forderte, die Kommission auf, ein Telegramm an die sowjetische Regierung zu senden, und um eine Stellungnahme zu bitten. Der sowjetische Delegierte reagierte daraufhin empört und erwiderte, man solle ihn doch einfach persönlich fragen, zumal es sich dabei um eine innere Angelegenheit handele, die die USA nichts angehen würde.318 Lowenstein brach mit seinem Vorgehen die strengen diplomatischen Gewohnheitsregeln der UN. Anstatt eine Resolution einzureichen, sprach er die sowjetischen Diplomaten direkt an und konfrontierte diese öffentlich mit Vorwürfen und verstieß damit gegen ein unausgesprochenes Grundprinzip der Entspannungspolitik, den anderen nicht öffentlich zu kritisieren. Bereits wenige Wochen später passierte der nächste diplomatische Fauxpas, als sich eines der neuen Mitglieder der US -Delegation öffentlich vor der Menschenrechtskommission für die Beteiligung der USA am Sturz Allendes entschuldigte. Allerdings war seine Aussprache so schnell und undeutlich, dass die meisten Kommissionsmitglieder seine Worte nicht verstanden. Als er aber begann, Menschenrechtsverletzungen in Brasilien, Paraguay und Argentinien anzusprechen (alles Verbündete der USA), wurde es unruhig im Sitzungssaal. Wie sich später herausstellte, war diese Stellungnahme nicht mit dem State Department abgesprochen und die südamerikanischen und westlichen Partner waren entsetzt über dieses »undiplomatische« Vorgehen des US -Amerikaners. Die Art und Weise, wie die neue US -Regierung mit dem Thema Menschenrechte umging, und vor allem die diplomatische Unerfahrenheit ihrer Mitarbeiter wurden zum Problem.319 318 PA AA : ZA B30, 115857, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 11.02.1977; ebd., Informationen für den Bundesminister, die sowjetische Dissidentenfrage, 18.02.1977; ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Moskau an das Auswärtige Amt in Bonn vom 16.02.1977. 319 Dieser Konflikt spiegelt sich auch in der unterschiedlichen Darstellung der Ereignisse in den Berichten der beiden Außenministerien wider, vgl. PA AA : ZA B30, 115822, Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom

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Die USA und Kanada reagierten damals sofort auf die zunehmenden Repressionen in den sozialistischen Staaten, während die Westeuropäer zögerten. Die Gründe dafür waren komplex, wie Unterlagen aus dem Auswärtigen Amt zeigen. Dort lag der Fokus zu diesem Zeitpunkt auf der KSZE . Mit großer Spannung sah man der ersten Folgekonferenz in Belgrad Mitte 1977 entgegen. Die multilaterale Menschenrechtspolitik in den UN wurde dem untergeordnet: »Grundsätzlich sollten bei der Behandlung derartiger Fälle die Auswirkungen auf Belgrad beachtet werden.«320 Aus Sicht des Auswärtigen Amtes bestand ein Zusammenhang zwischen der Entspannungspolitik und dem Protest der Dissidenten in Osteuropa: Ausgangspunkt muß die Erwägung sein, daß die Entspannungspolitik der letzten Jahre maßgeblich dazu beigetragen hat, daß sich die innere Opposition in der Sowjetunion entfalten und behaupten konnte. […] Daher dürfte die Entspannungspolitik auch für die Belange der Dissidenten per Saldo günstigere Bedingungen gewährleisten als eine gegenteilige Politik. Eine Überreaktion des Westens würde die Sowjetunion aus Prestige- und Sicherheitsgründen voraussichtlich zu scharfen Maßnahmen zwingen. Überreaktionen des Westens und eine damit verbundene Eskalation würde möglicherweise nicht nur zu einer Belastung der Entspannung führen, sondern überdies den Dissidenten wenig nützen.321

Die Bonner Diplomaten wollten den durch die Entspannungspolitik ausgehandelten Status Quo mit der Sowjetunion nicht gefährden: »Wegen der Interdependenz zwischen Entspannung und den Menschenrechtsfragen sowie zwischen Entspannung und öffentlicher Meinung ist es demnach äußerst schwierig, das rechte Maß eines Einwirkens des Westens auf die Sowjetunion  – etwa durch öffentliche Erklärungen  – zu finden.«322 Die Bundesrepublik sah sich damit einem Dilemma ausgesetzt. Auf der einen Seite wollte sie ihre ›Menschenrechtsinitiative‹ fortsetzen. Auf der anderen Seite bemerkte sie nun, dass ein zu offensives Auftreten in Menschenrechtsfragen die Entspannungspolitik gefährdete. Im Auswärtigen Amt setzte man deshalb lieber auf die stille Diplomatie, statt auf öffentliche Kritik. Allerdings erkannten die Diplomaten des Auswärtigen Amtes, dass es eine legitime Forderung der Dissidenten sei, öffentlich die Unterstützung westliche Staaten einzufordern und auf die Einhaltung internationaler Menschenrechtsabkommen zu pochen. Hinzu kam, dass sowohl Carter als auch die westliche Öffentlichkeit Druck auf die Bundesregierung ausübten.323 Damit kehrten sich 1977 die Verhältnisse innerhalb des westlichen Lagers um. Während 1975 vor allem westeuropäische Staaten wie die Niederlande Vorreiter 10.03.1977; mit NARA : AAD, 1977STATE062947, Telegramm des Department of State an die US -Botschaft in Santiago vom 22.03.1977. 320 PA AA : ZA B30, 115857, Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 16.02.1977. 321 Ebd., Informationen für den Bundesminister: Die sowjetische Dissidentenfrage 18.02.1977. 322 Ebd. 323 Ebd.

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waren, die ihre Partner unter Druck setzen, übernahmen nun die USA diese Rolle. Damit gefährdeten sie aber die Entspannungspolitik und die westliche ›Menschenrechtsinitiative‹. Ihren Höhepunkt erreichte Carters UN -Menschenrechtspolitik auf der 32. Generalversammlung Ende 1977. Der US -Präsident hatte ankündigt, die Debatte über einen Hochkommissar für Menschenrechte wiederzubeleben. Die Westeuropäer unterstützten sein Vorhaben und planten zudem, ihre eigenen Initiativen auf der Sitzung voranzubringen. Die Bundesrepublik wollte erneut für einen Menschenrechtsgerichtshof werben. Schweden versuchte ein Untersuchungsverfahren im Rahmen des CBM gegen Uganda in Gang zu setzen und auch Belgien wollte das CBM mit einer Resolution allgemein stärken.324 Die Generalversammlung in New York wurde 1977 allerdings von der zur gleichen Zeit in Belgrad stattfindenden KSZE -Folgekonferenz überschattet, was sich negativ auf die Arbeit der Diplomaten auswirkte: »Bei den westlichen Delegationen entwickelte sich in New York das Gefühl […] auf einem in Europa nicht interessierenden Posten gestellt zu sein.«325 Trotzdem arbeiteten die west­ lichen Delegationen intensiv daran, die ›Menschenrechtsinitiative‹ vorzubereiten. Durch die koordinierte Zusammenarbeit der Westeuropäer oder »The Gang of Nine«326, wie sie mittlerweile genannt wurden, gelang es ihnen vorab, eine breite Unterstützerbasis für ihre Vorhaben aufzubauen. Ebenso konnten sie durch das konsolidierte Abstimmungsverhalten ihre Initiative weit oben auf der Tagesordnung der Generalversammlung platzieren. Damit war 1977 die Chance, dass ein Hochkommissar für Menschenrechte endlich angenommen wurde, aus Sicht der westlichen Gruppe so groß wie seit 1967 nicht mehr.327 Im State Department rechnete man Ende November mit rund 60 Befürwortern bei 40 Gegenstimmen und 40 Enthaltungen.328 Der Stimmungswandel in den UN 1977 lässt sich vor allem auf einige afrikanische Staaten zurückführen. Dort hatte sich seit 1975 die Haltung zu den Menschenrechten ebenfalls gewandelt, was positive Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des UN-Menschenrechtsschutzes haben sollte, doch dazu an anderer Stelle mehr.329 Die Sitzung verlief schließlich erneut anders als es die westlichen Staaten erwartet hatten. Aus Sicht der westdeutschen Botschaft verunsicherte Carters Ein324 Vgl. ORUN: A / C .3/32/L.46, Resolutionsentwurf vom 05.12.1977; PA AA : ZA B30, 121112, Bericht der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt über die Sitzungen des Dritten Komitees auf der 32. Generalversammlung vom 23.01.1978. 325 PA AA : ZA B30, 121112, Bericht der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt über die Sitzungen des Dritten Komitees auf der 32. Generalversammlung vom 23.01.1978. 326 Ebd. 327 Vgl. ebd. mit NARA : AAD, 1977USUNN05020, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 26.11.1977. 328 NARA : AAD, 1977USUNN05020, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 26.11.1977. 329 Vgl. Kap. 3.4.

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satz für Dissidenten in Osteuropa und die schwedische Resolution zu Uganda einige afrikanische Staaten, die sich zuvor bereit erklärt hatten, die westliche Resolution zu unterstützen. Dadurch verzögerte sich ihre Entscheidung, wodurch der Resolutionsentwurf verspätet eingereicht wurde.330 Das nutzten einige Bündnisfreien Staaten aus.331 Sie reichten eine Resolution ein, nach der sich die Vereinten Nationen zukünftig stärker auf den Schutz wirtschaftlicher und sozialer Rechte konzentrieren sollten, statt auf bürgerliche und politische Rechte.332 Aufgrund der Verzögerungen bei den westlichen Staaten wurde die Resolution der Bündnisfreien vorgezogen, was die westliche Gruppe vollkommen aus dem Konzept brachte.333 Die sozialistischen Länder (mit Ausnahme Ungarns und Kubas) beteiligten sich interessanterweise nicht an dem Vorhaben.334 Im Auswärtigen Amt mutmaßte man, dass die in der Resolution geforderte Implementierung dieser Rechte durch »international instruments« die Sowjetunion abschreckte.335 Die sozialistischen Staaten lehnten den allgemeinen Menschenrechtsschutz ab. Dabei waren sie so konsequent, dass sie auch den allgemeinen Schutz wirtschaftlicher und sozialer Rechte für unrechtmäßig erklärten. Aus sozialistischer Sicht durften die UN nur Menschenrechtsverletzungen in ›imperialistischen Staaten‹ untersuchen, weil nur von diesen eine Gefahr für den Weltfrieden ausging. Die Armut in der ›Dritten Welt‹ zählte aus sowjetischer Sicht hingegen nicht dazu.336 Davon abgesehen war sich die sowjetische Führung im Kreml in dieser Zeit durchaus bewusst, dass der Lebensstandard ihrer Bürger unter dem lag, der in vielen westlichen Staaten üblich war und dass sie um wirtschaftliche und soziale Standards nicht mit dem Westen konkurrieren konnten.337 In der Resolution der Bündnisfreien Staaten spiegelten sich vor allem die Bestrebungen nach einer ›Neuen Weltwirtschaftsordnung‹ wider. Im Auswärtigen 330 PA AA : ZA B30, 121112, Bericht der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt über die Sitzungen des Dritten Komitees auf der 32. Generalversammlung vom 23.01.1978, S. 16–20. 331 In diesem Fall Argentinien, Kuba, Ägypten und 15 weitere Staaten aus Afrika, Asien, Südamerika und Südosteuropa. 332 Vgl. ORUN: A / R ES /32/130, Resolution der Generalversammlung vom 16.12.1977 mit ebd. A / C .3/32/L.17, Resolutionsentwurf vom 02.11.1977. 333 PA AA : ZA B30, 121112, Bericht der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt über die Sitzungen des Dritten Komitees auf der 32. Generalversammlung vom 23.01.1978. 334 Ebd., S. 7 u. 14. 335 Vgl. ORUN: A / R ES /32/130, Resolution der Generalversammlung vom 16.12.1977 mit ebd., A / C .3/32/L.17, Resolutionsentwurf vom 02.11.1977; PA AA : ZA B30, 121112, Bericht der Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt über die Sitzungen des Dritten Komitees auf der 32. Generalversammlung vom 23.01.1978. 336 Vgl. Kap. 3.6. 337 Zubok: Empire, S. 227–265; Mark Kramer: The Decline in Soviet Arms Transfer to the Third World 1986–1991. Political, Economic and Military Dimension, in: Artemy M. Kalinovsky / Sergey Radchenko (Hg.): The End of the Cold War and the Third World. New Perspectives on Regional Conflict, London 2011, S. 46–100.

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Amt fürchtete man deshalb daraufhin, dass ihre ›Menschenrechtsinitiative‹ ein Spielball des Nord-Süd-Konflikts werden würden.338 Die Bündnisfreien stellten nicht nur die dominante Stellung politischer und bürgerlicher Rechte infrage, sondern bedrohten vor allem das geschlossene Auftreten der westlichen Gruppe. Einige westliche Staaten zeigten nämlich großes Verständnis für diese Forderungen. Schweden, Finnland und Neuseeland ließen sich sogar als Co-Sponsoren aufstellen. Die meisten anderen haderten jedoch mit ihrer Entscheidung, wussten aber, dass ihre Haltung zu dem Thema Auswirkungen auf die Abstimmung über den Hochkommissar haben würde. Um den Bündnisfreien Staaten entgegenzukommen, hatten sie bereits den Entwurf für den Hochkommissar geändert und betonten darin, dass dieser auch für den Schutz wirtschaftlicher und sozialer Rechte eintreten werde. Dennoch zögerten einige westliche Regierungen, dem Entwurf zuzustimmen. Vor allem die USA taten sich schwer. Je länger die Debatte dauerte, desto weniger Zeit blieb am Ende für die Verhandlung. Überdies trafen die Weisungen aus den westlichen Hauptstädten nur sehr zögerlich ein und änderten sich ständig. Die parallel laufenden KSZE -Verhandlungen in Belgrad verstärkten diesen Effekt. Durch das Zögern des Westens machte sich eine gewisse Verunsicherung unter den Delegierten breit, welche die sozialistischen Vertreter ausnutzten, um Stimmung gegen die westliche Initiative zu machen und den Resolutionsentwurf mit Amendements zu verändern.339 Aus westdeutscher Sicht war es aber der US -Botschafter Young selbst, der dem Hochkommissar 1977 den Todesstoß versetzte. Ungeduldig und verärgert über das Zögern in Washington wandte dieser sich an den iranischen Botschafter, ohne sich mit den westlichen Partnern abzusprechen. Young versuchte diesen dazu zu bewegen, kritische Passagen aus der Resolution der Bündnisfreien zu entfernen. Der iranische Botschafter witterte daraufhin seine Chance und lockte Young in eine Falle. Er bat diesen, aufgrund der großen Meinungsunterschiede mit Blick auf den Hochkommissar von einer Abstimmung in der Generalversammlung abzusehen und den Entwurf zunächst von der Menschenrechtskommission verhandeln zu lassen. Im Gegenzug versprach der iranische Vertreter Entgegenkommen bei der Resolution der Bündnisfreien. Young willigte schließlich ein. Als er das Ergebnis seiner Verhandlungen der westlichen Gruppe präsentierte, waren diese entsetzt.340 Anders als Young wussten sie, dass die WEOG in der Menschenrechtskommission mittlerweile zahlenmäßig unter338 Vgl. NARA : AAD, 1977USUNN05671, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 15.12.1977; PA AA : ZA B30, 121112, Bericht der Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt über die Sitzungen des Dritten Komitees auf der 32. Generalversammlung vom 23.01.1978, S. 14–20. 339 PA AA : ZA B30, 121112, Bericht der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt über die Sitzungen des Dritten Komitees auf der 32. Generalversammlung vom 23.01.1978, S. 14–20. 340 Ebd., S. 16–20.

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legen war. Die sozialistischen Staaten konnten dort zusammen mit den ihnen wohlgesonnenen Bündnisfreien Ländern den Antrag auf einen Hochkommissar in Ruhe zerlegen. Die Enttäuschung war daraufhin groß: Die Einbringer des Hochkommissars waren nach dem Young’schen Fehler entmutigt. Von wochenlangem Lobbyieren überanstrengt, waren sie am Rande ihrer Kräfte und mußten wenige Stunden vor der Abstimmung erfahren, daß der größte west­ liche Partner ihnen in den Rücken gefallen war. Auf der entscheidenden Sitzung am 05.12.1977 war daher keiner der Einbringer mehr bereit zu kämpfen.341

Dabei standen die Chancen bis zum Schluss gut. Man rechnete mit bis zu 20 Stimmen mehr. Nun wurde das Thema wieder in die Menschenrechtskommission zurückverwiesen und war damit wieder genau da, wo es elf Jahre zuvor seinen Anfang nahm. Das Verhältnis zwischen den USA und ihren westeuropäischen Partnern wurde durch diese Aktion belastet, was sich vor allem in ihren Abschluss­ bewertungen zeigte: Das größte Problem war die unberechenbare Haltung der USA . Schon fast jeder der etwa zehn bis fünfzehn amerikanischen Delegierten im 3. Ausschuss hatte eine andere Meinung, hinzukam, daß auch deren Gesprächspartner in Washington keine klare Linie einnahmen. Schon um ein Gegengewicht gegen diese Unsicherheit zu schaffen, bemühten sich die Experten der EPZ mehr als je zuvor um eine gemeinsame Haltung und waren dabei der Fixpunkt in der westlichen Gruppe.342

Aus Sicht der US -Delegation trugen hingegen die Westeuropäer die alleinige Schuld an dem Desaster: We can only attribute this failure to the long standing habits of prior consultation about everything with the ›like-minded‹ or WEO Group, especially the close, nearly ›garrison mentality‹ of some of the EC9. In spite of a fair amount of African interest in the high commissioner proposal, until the very end the initiative and the planning was almost entirely in the hands of the Europeans.343

Auch die anderen westlichen Initiativen blieben erfolglos. Schweden musste seine Resolution zu Uganda zurückziehen, nachdem diese für Unruhe im afrikanischen Lager geführt hatte. Die belgische Resolution zum CBM scheiterte hingegen bei der Abstimmung an den Gegenstimmen der Bündnisfreien und der sozialistischen Staaten.344 Damit war die westliche ›Menschenrechtsinitiative‹ in der Generalversammlung 1977 erneut gescheitert. 341 Ebd., S. 18. 342 Ebd. 343 NARA : AAD, 1977USUNN05671, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 15.12.1977. 344 PA AA : ZA B30, 121112, Bericht der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt über die Sitzungen des Dritten Komitees auf der 32. Generalversammlung vom 23.01.1978.

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Insgesamt war sie dennoch erfolgreich. Obwohl die westlichen Staaten ihre Resolutionen nicht durchsetzen konnten, schafften sie es, ihr Image als Verteidiger der Menschenrechte weiter zu festigen und sich vor den Augen des bewertenden Dritten als Kämpfer für den Schutz der Menschenrechte zu inszenieren, zumal sich die westliche Öffentlichkeit in dieser Zeit eher auf die KSZE und die Ereignisse in Osteuropa konzentrierte. Carters Engagement für Dissidenten außerhalb der Vereinten Nationen sowie seine offene Kritik an autoritären Regimen, die eigentlich Verbündete der USA waren, stärkte die Glaubwürdigkeit der westlichen ›Menschenrechtsinitiative‹ trotz des Misserfolgs in New York. 3.3.5 Zwischenfazit

Die westlichen Staaten veränderten Mitte der 1970er-Jahre ihre Menschenrechtspolitik, weil sich die Rahmenbedingungen verändert hatten. Der politische Eklat auf der 30. Generalversammlung katalysierte die westliche ›Menschenrechtsinitiative‹ in den UN. Sie konsolidierten sich und verstärkten daraufhin ihr Engagement für den UN -Menschenrechtsschutz. Sie präsentierten neue Ideen wie Genschers Forderung nach einem Menschenrechtsgerichtshof oder engagierten sich wie Carter für Dissidenten und einen Hochkommissar für Menschenrechte. Zudem versuchten sie ihren Einfluss auf das UN-Sekretariat mithilfe von Menschenrechtsexperten auszuweiten. Sie ließen wichtige Ämter mit Experten aus westlichen Staaten besetzten. Darüber hinaus steigerten sie ihr Engagement für die bereits bestehenden sowie neue Verfahren wie den UN -Menschenrechtsausschuss. Mit diesem Vorstoß wollten sich die westlichen Staaten vor den Augen der internationalen Staatengemeinschaft und der Weltöffentlichkeit inszenieren, ein neues Image kreieren, wonach der Westen für den Schutz der Menschenrechte eintraten. Westeuropa und Nordamerika hatten die Zeit des Kolonialismus, der Rassentrennung sowie der Diktatur hinter sich gelassen und erfanden sich Mitte der 1970er-Jahre neu. Sie grenzten sich moralisch und politisch mithilfe der Menschenrechte von den sozialistischen Staaten sowie den undemokratisch regierten Bündnisfreien Staaten ab, denn sie waren davon überzeugt, dass die Menschenrechte und deren Schutz auf lange Sicht innenpolitisch und international immer mehr an Bedeutung gewinnen würden und sie hofften nun, durch ein Eintreten für den Menschenrechtsschutz die Öffentlichkeit von sich zu überzeugen und zugleich die Unterstützung gemäßigter Staaten Afrikas und Asiens für sich zu gewinnen. Die ›Menschenrechtsinitiative‹ der westlichen Staaten war somit der Versuch, ihre ›Soft Power‹ auszubauen, um sich in der Konkurrenz um Menschenrechte gegenüber den sozialistischen Staaten einen Vorteil zu verschaffen und in der Gunst des bewertenden Dritten aufzusteigen.

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3.4 Die Bündnisfreien Staaten – Konkurrenten, Kontrahenten und Partner Ab Mitte der 1970er-Jahre veränderte sich nicht nur die Menschenrechtspolitik der westlichen Staaten in den UN. Auch im Lager der Bündnisfreien zeichnete sich ein Wandel ab. Der provokante Auftritt des ugandischen Diktators Amin auf der 30. Generalversammlung 1975 und die Zionismus-Resolution verschärften den Nord-Süd-Konflikt. Dabei instrumentalisierten einige Bündnisfreie Staaten die Debatten über Menschenrechte, um ihre eigenen Forderungen zu verstärken. Allerdings zeichnete sich gleichzeitig auch eine immer stärkere Differenzierung innerhalb dieser Gruppe ab. Vor allem Staaten im zentralen und südlichen Afrika formulierten ab 1977 eigene Menschenrechtsthemen, mit denen sie sich konsolidierten und profilierten. Damit veränderten sie nicht nur die Debatten über die Menschenrechte, sondern förderten auch die Anwendung und Institutionalisierung des Menschenrechtsschutzes. Sichtbar wurde dieser Wandel auf der 32. Generalversammlung 1977. Dort gelang es den Bündnisfreien Staaten, die westliche ›Menschenrechtsinitiative‹ mit einer Resolution auszuhebeln und zugleich ihre eigene Forderung zur Ausweitung des UN-Menschenrechtsschutzes auf wirtschaftliche und soziale Rechte durchzusetzen. Dabei legte die Debatte die Differenzen innerhalb des Lagers der ›Dritten Welt‹ frei. Während einige Staaten die Resolution nur nutzen wollten, um das bestehende System zum Schutz der Menschenrechte anzugreifen und die Einsetzung eines Hochkommissars für Menschenrechte zu verhindern, ging es anderen darum, die Stellung wirtschaftlicher und sozialer Rechte aufzuwerten.345 Am Ende konnten sich letztere mit der Unterstützung einiger weniger westlicher Staaten durchsetzen. Gemeinsam gelang es ihnen, die ›radikalsten‹ Forderungen aus dem Resolutionsentwurf zu streichen und die Unteilbarkeit aller Menschenrechte festschreiben zu lassen, sodass politische und bürgerliche Rechte nicht abgewertet, sondern den wirtschaftlichen und sozialen Rechten gleichgestellt wurden.346 Damit formulierten sie 1977 eine umfassende und für die Zeit neue menschenrechtliche Forderung, die weit über die Verurteilung von Kolonialismus, Rassismus und Apartheid hinausreichte.347 Schaut man auf die Ursprünge der Menschenrechte in den 1940er-Jahren zurück, so waren wirtschaftliche Rechte ebenso Bestandteil von Menschenrechten wie politische und bürgerliche Rechte. In der ›Four-Freedoms-Rede‹ des 345 ORUN: A/32/PV.105, Protokoll des 105. Meetings der 32. Generalversammlung am 16.12.1977, S. 1721. 346 PA AA : ZA B30, 121112, Weisung des Auswärtigen Amtes an die UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York vom 14.12.1977; ebd., Bericht der UN -Botschaft der Bundes­ republik in Genf an das Auswärtige Amt über die Sitzungen des Dritten Komitees auf der 32. Generalversammlung vom 23.01.1978. 347 ORUN: A / R ES /32/64, Resolution der Generalversammlung vom 08.12.1977.

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US -Präsidenten Franklin D. Roosevelt von 1941 stand die ›Freiheit von Not‹ auf einer Ebene mit der Rede- und Religionsfreiheit sowie der Freiheit von Angst. Auch in der UN-Charta von 1945 und der AEMR von 1948 finden sich wirtschaftliche und soziale Rechte neben politischen und bürgerlichen. Erst mit der Ausarbeitung der beiden Menschenrechtspakte und dem sich zuspitzenden OstWest-Konflikt setzte sich in den 1950er-Jahren eine institutionelle Trennung beider Komplexe durch. Auch wenn die Aufteilung der Pakte ausdrücklich nicht als hierarchische Herabsetzung verstanden werden sollte und beide Pakte 1966 von der Generalversammlung gemeinsam angenommen wurden, entwickelten sie sich in den folgenden Jahren sehr unterschiedlich. Während der Pakt über die politischen und bürgerlichen Rechte nach zehn Jahren in Kraft trat und 1977 der UN-Menschenrechtsausschuss zu dessen Überwachung eingerichtet wurde, entwickelte sich der Vertrag über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte seit 1966 nicht über den deklaratorischen Status hinaus.348 Allerdings verstärkte sich ab Mitte der 1970er-Jahre das Bewusstsein, dass soziale Ungleichheit und die daraus entstehende wirtschaftliche Not die Würde des Menschen ebenso herabsetzte wie Folter oder die Einschränkung der Redefreiheit. Die 1972 vom »Club of Rome« veröffentlichte Studie »The Limits to Growth« sorgte weltweit für Aufsehen und förderte die Vorstellung globaler Interdependenz, wonach ökonomische, demografische und ökologische Faktoren die internationale Sicherheit ebenso bedrohten wie Kriege zwischen Staaten.349 Diese veränderte Wahrnehmung führte dazu, dass immer mehr Menschen Verständnis für die Forderung der Bündnisfreien Staaten nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung zeigten. Diese sollte die wirtschaftliche Diskriminierung der dekolonisierten Staaten überwinden und die soziale Ungleich­heit zwischen Nord und Süd abbauen.350 Die meisten westlichen Regierungen lehnten die damit verbundene Steigerung der Transferleistungen und Ausweitung des staatlichen Einflusses auf die Weltwirtschaft jedoch ab. Dennoch zeigten einzelne Länder gegen Ende des Jahrzehnts erste Anzeichen eines Entgegenkommens. So hatte US -Präsident Carter im Sommer 1977 formell die Legitimität wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte anerkannt, als er beide Menschenrechtspakte unterzeichnete, darunter auch den über wirtschaftliche und soziale Rechte.351 Auch wenn die Ratifizierung beider Pakte ausblieb, war es eine 348 Zur historischen Entwicklung wirtschaftlicher und sozialer Rechte siehe Moyn: Not Enough S. 41–118; zum Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte siehe Peter Ridder: Die Menschenrechtspakte (1966), in: Daniel Stahl (Hg.): Quellen zur Geschichte der Menschenrechte. Kommentierte Schlüsseltexte, Göttingen 2021, S. 101–150. 349 Donella H.  Meadows / Dennis L. Meadows / Jørgen Randers / William W. Behrens  III : The Limits to Growth. A Report for the Club of Rome’s Project on the Predicament of Mankind, New York 1972. 350 Zur Entwicklungspolitik in dieser Zeit siehe Bressensdorf / Seefried / Ostermann: West Germany, S. 5–9. 351 ICCPR-Stand der Ratifikation, online: http://indicators.ohchr.org/ (08.04.2021).

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wichtige symbolische Geste. Im selben Jahr gründete der ehemalige Bundeskanzler Brandt auf Anregung des damaligen Präsidenten der Weltbank Robert McNamara die ›Nord-Süd-Kommission‹, welche einen Dialog zwischen beiden Lagern verbessern und bis 1980 Vorschläge zur Umsetzung einer ›Neuen Weltwirtschaftsordnung‹ vorlegen sollte.352 Auch auf der 32. Generalversammlung in New York Ende 1977, äußerten die bundesdeutschen Diplomaten Verständnis dafür, als sie nach Bonn telegrafierten, dass die »Menschenrechte […] durch Hunger ebenso gefährdet werden wie durch Folter.«353 Sie rieten deshalb: »Der aktive Dialog mit den Vertretern der DW müßte aber gerade in der 32. GV in New York gesucht werden, um hier Brücken zu schlagen und nicht dem Ostblock das Feld zu überlassen.«354 Während die westdeutschen Diplomaten in der Resolution der Bündnisfreien eine Gelegenheit erkannten, das Verhältnis mit diesen Staaten zu verbessern und neue Handlungsspielräume gegenüber den Osteuropäern zu eröffnen, deuteten die Mitglieder der US -Delegation die Resolution ausschließlich als Versuch, die Debatte über einen Hochkommissar für Menschenrechte zu sabotieren.355 Dieser Meinung folgten schließlich die meisten westlichen Regierungen. Nur die skandinavischen Länder unterstützten die Forderung der Bündnisfreien Staaten.356 Am Ende wurde ihre Resolution von der Mehrheit der UN-Mitglieder am 16. Dezember 1977 als Resolution 32/130 angenommen. 135 Staaten stimmten dafür, Gegenstimmen gab es keine, lediglich 15 Staaten aus dem westlichen Lager enthielten sich.357 Die Resolution veränderte den Menschenrechtsdiskurs in den UN nachhaltig. Fortan mussten wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte immer mit berücksichtigt werden und 1985 richteten die UN schließlich einen Ausschuss zur Überwachung des Paktes für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ein.358 Die Bündnisfreien Staaten hatten damit erneut entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Menschenrechtsschutzes in den UN genommen. Ihr 352 Willy Brandt / Hainer Kober / Barbara Bortfeldt / Leonore Schwartz (Hg.): Das Überleben sichern. Bericht der Nord-Süd-Kommission. Gemeinsame Interessen der Industrie- und Entwicklungsländer, Köln 1980. 353 PA AA : ZA B30, 121112, Bericht der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt über die Sitzungen des Dritten Komitees auf der 32. Generalversammlung vom 23.01.1978, S. 15. 354 Ebd. S. 32. 355 Vgl. NARA : AAD, 1977USUNN05671, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York an das Department of State vom 15.12.1977; mit PA AA : ZA B3, 121112, Bericht der Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt über die Sitzungen des Dritten Komitees auf der 32. Generalversammlung vom 23.01.1978, S. 14–20. 356 PA AA : ZA B30, 121112, Bericht der Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt über die Sitzungen des Dritten Komitees auf der 32. Generalversammlung vom 23.01.1978. 357 ORUN: A/32/PV.105, Protokoll des 105. Meetings der 32. Generalversammlung am 16.12.1977, S. 1721. 358 Vgl. ORUN: ECOSOC -Resolution 1985/17 vom 28.05.1985.

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Vorstoß führte 1977 zu einer formellen Aufwertung und Gleichstellung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte. Doch das neue Engagement einiger bündnisfreier Staaten reichte weit über die Gleichstellung dieser Rechte hinaus. Dabei fielen vor allem Staaten aus dem zentralen und südlichen Afrika auf. Länder wie Senegal, Ghana, Lesotho und Botswana präsentierten sich auf der 32. Generalversammlung als leidenschaftliche Verfechter der Menschenrechte und des Systems zu deren Schutz. So reichte Nigeria auf derselben Sitzung eine Resolution ein, welche die Einrichtung regionaler Menschenrechtskommissionen forderte. Die Idee stammte ursprünglich von Jamaika und wurde bereits in den 1960er-Jahren verhandelt.359 1975 brachte Großbritannien diesen Vorschlag erneut erfolglos in die Generalversammlung ein. In Bonn begrüßte man 1977 Nigerias Resolution, da man darin einen ersten Schritt in Richtung eines internationalen Menschenrechtsgerichtshofes zu erkennen glaubte. Zudem sah das Auswärtige Amt darin die Möglichkeit, das europäische Menschenrechtssystem auch in andere Weltregionen zu exportieren, wodurch die weltweite Akzeptanz der Menschenrechte gefördert wurde, wovon vor allem der ›Westen‹ profitieren sollte.360 Insgesamt bewerte die westdeutsche Botschaft in Genf dieses neue Interesse einiger bündnisfreier Staaten an den Menschenrechten aber als Gegenreaktion auf die westliche ›Menschenrechtsinitiative‹: »Angesichts dieser Bedrohung durch aktive westliche Menschenrechtspolitik entschlossen sich mehrere Delegierte der DW, ihrerseits aktiv zu werden und nicht die Auseinandersetzung über Menschenrechte in einen Ost-West-Gegensatz ausarten zu lassen.«361 Diese Einschätzung griff allerdings zu kurz und zeugte von einer paternalistischen Sicht auf die ›Dritte Welt‹. Tatsächlich spiegelte sich in der nigerianischen Resolution das Bestreben, ein eigenes afrikanisches Menschenrechtsregime aufzubauen. Erste Ideen dazu wurden bereits 1961 von dem senegalesischen Menschenrechtler und Mitglied der ICJ Kéba Mbaye362 eingeleitet. Seitdem hatte die Debatte allerdings nur wenig Fortschritte gemacht. Das änderte sich 1977. Staaten wie Nigeria, Senegal, Ghana, Lesotho und Botswana griffen die Ideen Mbayes wieder auf. Allerdings sollte das afrikanische Menschenrechtsregime kein Abbild bereits bestehender europäischer Institutionen seien, sondern ein genuines afrikanisches Menschenrechtsverständnis ausdrücken, in dem wirtschaftliche, soziale und kulturelle

359 Jensen: International, S. 69–101. 360 PA AA : ZA B30, 121112, Weisung des Auswärtigen Amtes an die Botschaft der Bundesrepublik in New York vom 14.12.1977. 361 Ebd., Bericht der Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt über die Sitzungen des Dritten Komitees auf der 32. Generalversammlung vom 23.01.1978, S. 31. 362 Mbaye war oberster Richter im Senegal, 1973 Funktionär beim Internationalen Olympischen Komitee, wo er für einen Boykott Südafrikas kämpfte und seit 1977 Präsident der ICJ . Vgl. Nachruf auf Kéba Mbaye auf der Internetseite des Olympischen Komitees, online: https://www.olympic.org/news/death-of-judge-keba-mbaye-ioc-honorarymember-since-2002/ (08.04.2021).

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Rechte den politischen und bürgerlichen gleichgestellt waren. Ziel war es, durch die Festlegung eines gemeinsamen Wertekanons die Gruppe der zentral- und südafrikanischen Staaten zu konsolidieren und von den radikalen arabischen, prosozialistischen und westlichen Staaten abzugrenzen. 1981 gipfelten diese Bestrebungen in der Ausarbeitung der Banjul Charta, mit der die Grundlage für ein genuines afrikanisches Menschenrechtsregime gelegt wurde.363 Die 1970er-Jahre waren ein Jahrzehnt, in dem viele Staaten im Angesicht globaler Krisen Schutz in multilateralen Bündnissen suchten, die sich auf gemeinsame Werte stützten. Die EPZ und der Prozess der europäischen Integration sind beispielhaft dafür.364 Die Bündnisfreien konsolidierten sich ebenfalls zu Beginn der 1970er-Jahre, blieben aber ein politisch sehr heterogenes Bündnis, ohne einen verbindenden Wertekanon.365 Auch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gewann in den 1970er-Jahren an Bedeutung. Allerdings erschwerten in ihrem Fall die Menschenrechte die Konsolidierung, da viele südamerikanische Staaten zu dieser Zeit wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen in der Kritik standen. Als die USA ab 1977 die Menschenrechte ins Zentrum ihrer Außenpolitik rückten und damit begannen, Menschenrechtsverletzungen in befreundeten Staaten zu kritisieren, vertiefte das die Gräben zwischen den Staaten Nord- und Südamerikas.366 Die Herausbildung eines afrikanischen Menschenrechtsregimes der Staaten südlich der Sahara muss deshalb in diesem globalen Kontext betrachtet werden. Das ist wichtig, zum einem um zu verstehen, was dieses Engagement für Menschenrechte von dem in den 1960er-Jahren unterschied und zum anderen, um die Bedeutung des neuen afrikanischen Menschenrechtsregimes innerhalb der Geschichte der Menschenrechte zu verorten. Einige Bündnisfreie Staaten formulierten ab 1977 eigene Menschenrechtskonzepte und veränderten damit langfristig den Menschenrechtsdiskurs in den UN. Das zeigt, dass diese kein Spielball zwischen Ost und West waren, sondern Akteure, die in der Konkurrenz um Menschenrechte und in ihrer Rolle als bewertende Dritte eigene Akzente setzten. Die Bedeutung der Bündnisfreien wurde immer komplexer. Sie waren Konkurrenten, Kontrahenten und Partner. Neben dem Aufbau eines afrikanischen Menschenrechtsregimes engagierten sich einige auch für den allgemeinen Menschenrechtsschutz. Vor allem in der Menschenrechtskommission zeigte das neue Engagement dieser Staaten im folgenden Jahr Wirkung. Davon profitierte zum einen die Anwendung des CBM , 363 Vgl. Hassan B. Jallow: The Law of the African (Banjul) Charter on Human and People’s Rights, Victoria 2007, S. 1–15; mit Eckel: Ambivalenz, S. 797–802. 364 Vgl. Loth: Europas Einigung, S. 211–249; Guido Thiemeyer: Europäische Integration. Motive – Prozesse – Strukturen, Köln 2010, S. 61–71. 365 Zu den Konflikten innerhalb der Bewegung siehe Dinkel: Bewegung, S. 225 f. 366 Klaas Dykmann: Philanthropic Endeavors or the Exploitation of an Ideal? The Human Rights Policy of the Organization of American States. 1970–1991, Frankfurt a. M. 2004, S. 267–313.

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weil das Verfahren ausgeweitet und institutionalisiert wurde, zum anderen die westlichen Staaten, indem der Fokus erstmals auf sozialistische Regime ausgeweitet wurde. So verlief die 34. Sitzung der Menschenrechtskommission 1978 aus Sicht der teilnehmenden US -Diplomaten sehr gut.367 Die Stimmung unter den Mitgliedern sei ruhig und kooperativ gewesen und es sei nur zu wenigen Eskalationen zwischen Ost und West gekommen, wobei Kuba und die Sowjetunion sich nicht durchsetzen konnten. Zwar wurden die Debatte über den Hochkommissar sowie die anderen Vorschläge zur Verbesserung des Menschenrechtsschutzes der Westeuropäer vertagt, die Tatsache, dass diese »still alive« waren, wurde vom State Department jedoch als Erfolg gewertet. Besonders positiv betrachteten die US -Vertreter aber die Anwendung des Verfahrens nach Resolution 1503. Erstmals wurde dieses auch gegen Bündnisfreie und sozialistische Staaten eingesetzt.368 Schweden gelang es mit Unterstützung einiger afrikanischer Staaten, das Untersuchungsverfahren gegen Uganda wieder aufnehmen zu lassen und einen »Prominent African« als Sonderberichterstatter einzusetzen. Das war ein wichtiger Präzedenzfall, der die Institutionalisierung des Verfahrens prägte. Zudem geriet damit erstmals ein Wortführer der Bewegung der Bündnisfreien ins Visier des UN-Menschenrechtsschutzes.369 Auch gegen andere Bündnisfreie Staaten wurden 1978 Ermittlungen eingeleitet. Vertreter Äquatorialguineas wurden vorgeladen und mussten sich vor der Kommission zu Vorwürfen äußern. Dabei drohten die Kommissionsmitglieder, den Fall in das öffentliche Verfahren nach Resolution 1235 zu übertragen, sollte sich die Lage in dem Land nicht verbessern. Diese Entscheidung war ein wichtiger Präzedenzfall, der die Anwendung des CBM nachhaltig prägen sollte. Zukünftig wurde die Kombination aus öffentlichen und vertraulichen Verfahren als Druckmittel eingesetzt.370 Neben Äquatorialguinea leitete die Kommission auch Verfahren gegen Malawi und Äthiopien ein. Letzteres war dabei für die westlichen Staaten von besonderer Bedeutung. Äthiopien wurde seit 1974 von einer kommunistischen Militärdiktatur regiert, die mit massiver Gewalt gegen die eigene Bevölkerung vorging und damit ihre Macht im Staat festigte. Seit 1977 erhielt das Land zudem direkte militärische Unterstützung von Kuba im Krieg gegen Somalia. 15.000 kubanische Soldaten kämpften am Horn von Afrika aufseiten des äthiopischen Regimes. Die anderen osteuropäischen Staaten lieferten Waffen, Munition und Militärberater, zunächst an beide Konfliktparteien und ab November 1977 nur noch an Äthiopien.371 Damit stand erstmals

367 NARA : AAD, 1978GENEVA03851, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in Genf an das Department of State vom 11.03.1978. 368 Ebd. 369 Ebd. 370 Nifosi: Special Procedures, S. 69–71. 371 Allgemein zu den Konflikten in der Region siehe Westad: Global, S. 207–288.

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ein Verbündeter Moskaus im Fokus des UN-Menschenrechtsschutzes und ein Krieg, an dem sozialistische Soldaten direkt beteiligt waren. Auch dem west­ lichen Lager nahestehende Staaten wie Bolivien, Paraguay, Indonesien und Südkorea wurden im Rahmen des 1503-Verfahrens unter Beobachtung gestellt und aufgefordert, Stellungnahmen abzugeben. Dadurch, dass das Verfahren nun gegen Staaten aus allen drei Lagern angewandt wurde, konnte die Kommission den Vorwurf der Selektivität entkräften und das Ansehen und die Anerkennung des vertraulichen Verfahrens wurden gestärkt. Auch im öffentlichen Verfahren nach Resolution 1235 konnten die westlichen Staaten einen Erfolg verbuchen. Großbritannien gelang es, die Aufmerksamkeit auf die Menschenrechtslage in Kambodscha (damals Kampuchea)  zu lenken. Erstmals wurde damit öffentlich über Menschenrechtsverletzungen in einem sozialistischen Land gesprochen. Dort hatten die Roten Khmer 1975 die Macht gewaltsam übernommen und ein Terrorregime errichtet, indem sie die eigene Bevölkerung in Arbeitslagern internierte und versklavte. Millionen Menschen starben gewaltsam, durch Hunger, Krankheit oder Entkräftung. Informationen über diese Verbrechen gerieten ab 1977 bruchstückhaft an die Öffentlichkeit.372 Das ganze Ausmaß des Völkermordes sollte sich aber erst in den folgenden Jahren offenbaren. Obwohl die Sowjetunion keine guten Beziehungen zu dem Regime der Roten Khmer unterhielt, weil diese ein enger Verbündeter des Erzrivalen Chinas waren, schadete aus Moskaus Sicht die öffentliche Verhandlung dem Ansehen aller sozialistischen Staaten. Deshalb versuchten die sowjetischen Diplomaten, die Verhandlung der Verbrechen in Kambodscha vor der Menschenrechtskommission zu verhindern.373 Trotz der Proteste aus Moskau nahm die Kommission eine Resolution des senegalesischen Vorsitzenden Mbaye an, mit der der Generalsekretär aufgefordert wurde, Kontakt zu dem international isolierten Regime in Phnom Penh aufzunehmen und von diesem eine Stellungnahme einzufordern. Damit wurde sichergestellt, dass der Fall auch im folgenden Jahr auf der Agenda der Kommission stehen würde und das Land weiter unter Beobachtung blieb.374 Dass sowohl im vertraulichen als auch im öffentlichen Verfahren plötzlich Menschenrechtverletzungen Bündnisfreier und sozialistischer Staaten verhandelt werden konnten, lag aus Sicht der US -Diplomaten an dem engagierten und gut koordinierten gemeinsamen Vorgehen afrikanischer und westlicher Staaten. Die Elfenbeinküste, Lesotho, Ruanda, Senegal und Nigeria hätten sich dabei besonders hervorgetan und es ermöglicht, den Widerstand der sozialistischen und 372 Kiernan: Pol Pot, S. 412–423. 373 ORUN: E / C N .4/1292, Jahresbericht der 34. Sitzung der Menschenrechtskommission des Jahres 1978, S. 48. 374 Vgl. ORUN: E / C N .4/1292, Jahresbericht der 34. Sitzung der Menschenrechtskommission des Jahres 1978, Resolution (9 XXXIV), S. 137; mit NARA : AAD, 1978GENEVA03851, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in Genf an das Department of State vom 11.03.1978.

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der arabischen Staaten zu überwinden. Vor allem aber der senegalesische Vorsitzende Mbaye ermöglichte durch seine geschickte Leitung das geschlossene und effektive Auftreten beider Lager.375 Die Sitzung der Menschenrechtskommission des Jahres 1978 zeigt, dass sich das neue Engagement der afrikanischen Mitglieder positiv auf die Institutionalisierung des Menschenrechtsschutzes auswirkte und die westlichen Staaten davon profitierten. Wie die westlichen Staaten im Folgenden das CBM gegen die sozialistischen Staaten ausspielten, zeigt sich vor allem am Beispiel Kambodschas. Dabei veränderte sich die Lage Ende des Jahres grundlegend. Am 25. Dezember 1978 startete die mit der Sowjetunion verbündete Volksrepublik Vietnam eine umfassende militärische Intervention gegen das benachbarte Kambodscha, um die mit China verbündeten Roten Khmer zu vertreiben und den Massenmord in dem Land zu beenden. Das Pol-Pot-Regime wurde abgesetzt und flüchtete in den Urwald an der Grenze zu Thailand. Vietnam besetzte daraufhin das Land.376 Die USA und Großbritannien verurteilten die vietnamesische Intervention und pochten darauf, die Roten Khmer weiterhin als legitime Regierung Kambodschas anzuerkennen. Aufgrund der von den USA angestrebten Normalisierung der Beziehungen mit China ordnete US -Präsident Carter seine Menschenrechtspolitik den geostrategischen Interessen im Ost-West-Konflikt unter und stellte sich auf die Seite Chinas. Anfang Januar 1979 ließen die USA und Großbritannien dazu eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates einberufen, um die Legitimität der ›Demokratischen Republik Kampuchea‹ unter der Herrschaft der Roten Khmer bestätigen zu lassen. Das Vorhaben scheiterte jedoch am sowjetischen Veto und einen Tag später rief Vietnam in Phnom Penh die ›Demokratische Volksrepublik Kampuchea‹ aus.377 Doch damit verschwand das Thema noch nicht von der Agenda. Aufgrund der Entscheidung der Menschenrechtskommission des Vorjahres sollte die Kommission auch 1979 die Menschenrechtsverletzungen in dem Land im Rahmen des 1235-Verfahrens besprechen. Dazu bereiteten die Experten der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten einen ausführlichen Bericht über die Menschenrechtsverletzungen in dem Land vor, den sie im Februar 1979 in der Kommission öffentlich präsentieren sollten. Noch bevor die Experten ihren Bericht vorstellten, eskalierte der Konflikt in Indochina jedoch erneut. Am 17. Februar 1979 griff die Volksrepublik China die Volksrepublik Vietnam an.378 Der kurze, aber sehr blutige Grenzkonflikt endete nach nur drei Wochen 375 NARA : AAD, 1978GENEVA03851, Telegramm der US -Botschaft bei den Vereinten Nationen in Genf an das Department of State vom 11.03.1978. 376 Ciorciari: China, S. 215–235. 377 Debbie Sharnak: Sovereignty and Human Rights. Re-examining Carter’s Foreign Policy Toward the Third World, in: Diplomacy and Statecraft 25/2 (2014), S. 303–330. 378 Nicholas Khoo: Collateral Damage, Sino-Soviet Rivalry and the Termination of the SinoVietnamese Alliance, New York 2011, S. 137–164.

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ein einem Patt und kostete fast 50.000 Menschen das Leben.379 Parallel zu den Kampfhandlungen in Vietnam spitzte sich auch der Streit in Genf zu. Als eine Beobachterdelegation des Pol-Pot-Regimes Anfang Februar in der Menschenrechtskommission auftauchte, kam es zum Eklat und die sowjetische Delegation protestierte lautstark gegen die Anwesenheit der Vertreter der Roten Khmer, weshalb sie mehrfach vom Kommissionsvorsitzenden zur Ordnung aufgerufen werden musste. Der Direktor der Menschenrechtsdivision van Boven erklärte daraufhin in einer offiziellen Stellungnahme die Rechtmäßigkeit des Auftretens der Khmer-Diplomaten als legitime Repräsentanten Kambodschas. China hatte die Delegation anscheinend aus ihrem Dschungelversteck im thailändischen Grenzgebiet geschleust und nach Genf eingeflogen, um die Sowjetunion bewusst zu provozieren.380 In Genf wandten sich die Vertreter der Roten Khmer schließlich an die australische Delegation in der Menschenrechtskommission und baten diese um Unterstützung. Australien sollte sich dafür einsetzen, dass die Menschenrechtskommission auch weiterhin die Menschenrechtsverletzungen in Kambod­scha untersuchen sollte. Zwar wiesen sie die Anschuldigungen bezüglich der von ihnen begangenen Verstöße gegenüber den Australiern zurück, zugleich sahen sie in einer öffentlichen Debatte und einer offiziellen Resolution über die von ihnen begangenen Verbrechen eine Bestätigung ihres legitimen Herrschaftsanspruchs über Kambodscha. Die Roten Khmer versuchten damit, die Debatte über Menschenrechtsverletzungen zu nutzen, um sich ihre staatliche Souveränität bestätigen zu lassen und Australien sollte ihnen dabei helfen. Die Vertreter des Pol-Pot-Regimes beriefen sich dabei auf ihre guten Beziehungen zu dem Land, schließlich sei Australien neben China ihr wichtigster Verbündeter in Asien.381 Großbritannien und Australien bereiteten daraufhin eine Resolution vor, in der sie die unrechtmäßige Besetzung des Landes durch Vietnam verurteilten, den Besatzern Menschenrechtsverletzungen vorwarfen und deshalb eine Fortsetzung der Untersuchung im Rahmen des 1235-Verfahrens forderten.382 Im Auswärtigen Amt hatte man kein Interesse, sich daran zu beteiligen. Zugleich wollte man den Bemühungen der westlichen Partner aber nicht im Wege ste379 Allgemein zu dem Konflikt siehe Odd Arne Westad / Sophie Quinn-Judge (Hg.): The Third Indochina War. Conflict between China, Vietnam and Cambodia, 1972–79, London / New York 2006. 380 Das lässt sich aus den Beobachtungen der westdeutschen Diplomaten schlussfolgern, siehe PA AA : ZA B30, 120983, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 28.02.1979. 381 Vgl. ebd.; mit ebd., MfAA , C7116, Bericht über die 35. Tagung der UN -Menschenrechtskommission vom 16.03.1979, mit ORUN: E / C N .4/1335, Bericht der Unterkommission vom 30.01.1979. 382 PA AA : ZA B30, 120983, Vermerk: 35.MRK , TOP 12 Kambodscha und Birma vom 19.02.1979; sowie ebd., Drahterlass 35. MRK , TOP12 Menschenrechtsverletzungen in einzelnen Ländern vom 19.02.1979.

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hen, zumal das Ausmaß der Verbrechen der Roten Khmer aus Sicht der Bonner Diplomaten eine öffentliche Aufarbeitung verdiene, weswegen man die britischaustralische Resolution letztendlich doch noch unterstützte.383 Auf der darauffolgenden Sitzung der Menschenrechtskommission war das Medieninteresse groß. Vor voll besetzten Besucherplätzen stellte ein Experte der Unterkommission die wichtigsten Ergebnisse des Berichts über die Menschenrechtsverletzungen der Roten Khmer in Kambodscha vor. Demnach wurden in dem Land nach Schätzungen der Experten ca. 100.000 Menschen vom Regime verschleppt und ermordet, eine Million starb an Hunger, Krankheit und Entkräftung in den Arbeitslagern. Das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen in dem Land überschritt alles, was bis dato öffentlich in der Kommission verhandelt worden war.384 Als am folgenden Tag die Mitglieder den Bericht besprechen wollten, beantragte Syrien die Debatte sofort zu beenden. Jugoslawien schwächte den syrischen Antrag daraufhin ab, indem sie eine Verschiebung der Sitzung auf das folgende Jahr forderten. Großbritannien, Australien und die USA wurden von diesem Vorstoß überrascht und protestierten heftig. Anschließend stimmte eine Mehrheit aus sozialistischen und einigen Bündnisfreien Staaten für den jugoslawischen Antrag, wodurch die Debatte um ein Jahr vertagt wurde.385 Obwohl die westlichen Staaten ihre Resolution nicht durchsetzen konnten, war die Sitzung für sie insgesamt dennoch erfolgreich. Das Thema stand weiterhin auf der Agenda der Kommission und das Medienecho über die Vorstellung des Berichts war groß. Kambodscha bot Großbritannien und den USA nun dauerhaft eine Plattform, um den diskursiven Konnex zwischen Sozialismus und Menschenrechtsverletzungen zu festigen. Zugleich weckte das Thema großes öffentliches Interesse, wodurch die Wahrnehmung der Arbeit der Menschenrechtskommission in den westlichen Gesellschaften gesteigert wurde und der UN-Menschenrechtsschutz an Sichtbarkeit gewann. Neben der öffentlichen Behandlung des Völkermordes in Kambodscha konnte das CBM aus Sicht des Auswärtigen Amtes 1979 aber auch in anderen Bereichen Fortschritte erzielen. Dabei profitierten die westlichen Staaten erneut von der guten Zusammenarbeit mit einigen afrikanischen Staaten. Im Rahmen der vertraulichen Sitzungen des Verfahrens nach Resolution 1503 war es gelungen, Äquatorialguinea ins öffentliche Verfahren (1235) zu überführen und damit die Drohungen der letzten Sitzung umzusetzen und den Druck auf 383 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 28.02.1979; ebd. Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 06.03.1979; ebd. Drahterlass an die UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf vom 07.03.1979. 384 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 07.03.1979. 385 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 12.03.1979 (TOP 12 Kampuchea).

Die Bündnisfreien Staaten – Konkurrenten, Kontrahenten und Partner 

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die Regierung zu erhöhen, die weiterhin jegliche Kooperation mit der Kommission ablehnte. Darüber hinaus wurde das 1503-Verfahren durch die Fortsetzung der Prüfungen in den Fällen Äthiopien, Birma, Bolivien, Indonesien, Südkorea, Malawi, Paraguay und Uruguay bestätigt. Im Fall Ugandas wurde die Untersuchung sogar damit abgeschlossen, dass die Ermittlungen an einen Sonderberichterstatter übertragen wurden. Die Macht des ugandischen Diktators Amin schwand zunehmend, besonders seitdem dieser im Oktober 1978 das Nachbarland Tansania angegriffen hatte und sich der Konflikt zugunsten der Verteidiger wendete.386 Auch dass Äthiopien, Bolivien, Indonesien, Paraguay und Uruguay Vertreter zu den Sitzungen entsandten, die sich »teilweise mit drängenden Fragen konfrontiert […]«387 sahen und Stellung zu den Vorwürfen nehmen mussten, wurde als positiver Schritt hin zu einer Institutionalisierung des Verfahrens gewertet. Dabei zeigten sich die meisten Vertreter kooperationsbereit (außer Äquatorialguinea). Selbst die Sowjetunion hätte diesmal darauf verzichtet, das Verfahren an sich infrage zu stellen und lediglich versucht, die Auswirkungen auf das verbündete Äthiopien einzudämmen.388 Negativ wertete die westdeutsche Delegation hingegen, dass weder osteuropäische Staaten noch Argentinien aufgrund ihrer ideologischen Nähe zu den jeweiligen Großmächten Gegenstand der Untersuchung wurden. Zudem hätten einige afrikanische Staaten sich aus Gruppensolidarität für Äthiopien eingesetzt und einen »unverhältnismäßig günstigen« Resolutionstext durchgesetzt, »der Maßstäbe verfälsche«.389 Besonders positiv wertete man dafür die gute Zusammenarbeit mit den »gemäßigten Vertretern der Dritten Welt«390 aus Senegal, Indien, Brasilien, der Elfenbeinküste, Nigeria und Marokko. Zugleich bemerkten die westdeutschen Diplomaten: »Das östliche Lager operierte insgesamt nicht erfolglos (Äthiopien) aber defensiv.«391 Dafür litt die westliche Gruppe aus ihrer Sicht unter dem »taktisch oft schwerfälligen Vorgehen der USA .«392 Diese hätten durch ihr provokantes Auftreten mehrfach die Stimmung angeheizt und nicht nur die westlichen Partner verstört, sondern vor allem auch die Unterstützung der ›gemäßigten‹ Staaten der ›Dritten Welt‹ aufs Spiel gesetzt. Erstens hatte die US -Delegation einen Resolutionstext unter den Mitgliedern zirkulieren lassen, in dem der UdSSR konkrete Fälle von Menschenrechtsver­letzungen vorgeworfen wurden. Die Resolution sollte niemals offiziell eingereicht werden und diente nur dem Zweck, die sowjetische Führung zu provozieren, wie man im State Department gegenüber Vertretern des Auswärtigen Amtes bestä386 Allgemein zu dem Konflikt siehe Acheson-Brown: Tanzanian, S. 1–11. 387 PA AA : ZA B30, 120983, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 10.03.1979. 388 Ebd. 389 Ebd. 390 Ebd. 391 Ebd. 392 Ebd.

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tigte.393 Zweitens warf der US -Delegierte öffentlich zahlreichen afrikanischen, asiatischen, südamerikanischen und osteuropäischen Staaten Menschenrechtsverletzungen vor und präsentierte dabei zahlreiche Details über Einzelfälle.394 Damit provozierte er nicht nur die sozialistischen Diplomaten, sondern auch die Vertreter der Bündnisfreien Staaten, auf deren Unterstützung die westliche Gruppe angewiesen war. Noch provokanter war drittens die Drohung, Informationen aus dem vertraulichen 1503-Verfahren gegen Äthiopien der Öffentlichkeit preiszugeben. Dies führte nicht nur zu lautstarkem Protest aufseiten der sowjetischen Delegation, sondern trieb auch befreundete Staaten wie Senegal auf die Barrikaden. Selbst die westlichen Verbündeten kritisierten diesen Vorstoß, weil damit das gewonnene Vertrauen der Mitglieder in das Verfahren aufs Spiel gesetzt wurde.395 Die US -Diplomaten waren unerfahren und agierten ungeschickt. Das zeigte sich auch bei ihrer Führung. Im Sommer 1978 hatte US -Botschafter Young in einem Zeitungsinterview gesagt, dass es Hunderte politischer Häftlinge in den USA gäbe und als er sich im Sommer 1979 heimlich mit Vertretern der PLO traf, obwohl die USA diese offiziell nicht anerkannten, musste er zurücktreten.396 Im Gegensatz zum Auswärtigen Amt bewertete das State Department die Sitzung 1979 deshalb insgesamt als Misserfolg, bei dem die politischen Spannungen zwischen Ost und West sowie Nord und Süd einen neuen Höhepunkt erreicht hätten. Obwohl man im CBM und bei einigen den USA wichtigen Kernthemen wie die CAT) oder der Wiederbelebung der Debatte um religiöse Intoleranz bescheidene Fortschritte verbuchen konnte, trübte die erzwungene Vertagung der Besprechung des Berichts über Kambodscha das Gesamturteil der US -Diplomaten.397 Zudem scheiterten andere Versuche, den UN-Menschenrechtsschutz institutionell auszuweiten. Australien präsentierte den Vorschlag, die UN-Menschenrechtsdivision in ein Centre for Human Rights auszubauen. Im Gegenzug wollte man die Forderung nach einem Hochkommissar für Menschenrechte fallen lassen. Mit dieser Maßnahme sollte nicht nur der Direktor van Boven zu einem Assistant Secretary General befördert, sondern auch die Stellung des Menschenrechtsbereichs insgesamt aufgewertet werden.398 Ein

393 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 07.03.1979. 394 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 13.03.1979. 395 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 09.03.1979. 396 DeRoche: Andrew Young, S. 71–96. 397 FRUS : 1977–1980, Vol. II , Human Rights and Humanitarian Affairs, Doc. 184: Telegram from the Mission at Geneva to the Department of State, Geneva, 17.03.1979. 398 Vgl. ORUN: E / C N .4/1347, Jahresbericht der 35. Sitzung der UN -Menschenrechtskommission von 1979. S. 49; mit PA AA : MfAA , C7116, Bericht über die 35. Tagung der UN Menschenrechtskommission vom 16.03.1979.

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weiterer wichtiger Vorschlag wurde von der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten vorgelegt. Diese empfahl, die Abstimmung im Rahmen des 1503-Verfahrens zukünftig im Geheimen abzuhalten. Damit sollte den Staaten mehr Freiraum gewährt werden, um ›blockfrei‹ abzustimmen. Beide Vorschläge wurden von den sozialistischen Staaten und ihren Unterstützern jedoch zurückgewiesen.399 Trotz dieser Rückschläge und der pessimistischen Sicht der USA konnte der UN-Menschenrechtsschutz im Rahmen des CBM in dieser Zeit wichtige Fortschritte erzielen. Schaut man sich die Stellungnahmen der einzelnen Regierungsvertreter genau an, die im Rahmen des vertraulichen 1503-Verfahrens 1979 vor die Kommission geladen wurden, erkennt man, dass sich keiner zur Verteidigung seines Landes auf Artikel 2.7 der UN-Charta berief und das Verfahren als Eingriff in die inneren Angelegenheiten verurteilte. Stattdessen bemängelten sie Verfahrensfehler, bestritten die von NGOs vorgelegten Beweise oder rechtfertigten einzelne Menschenrechtsverletzungen durch besondere Umstände wie die Bedrohung der nationalen Sicherheit. Das zeigt, dass immer mehr Staaten 1979 den Schutz der Menschenrechte durch die UN prinzipiell als legitim betrachteten. Selbst die sozialistischen Staaten stellten den Menschenrechtsschutz im Rahmen des CBM nicht mehr grundsätzlich infrage, sondern kritisierten lediglich, dass die bestehenden Resolutionen nicht korrekt ausgelegt wurden. Zwölf Jahre nach Einführung des CBM wurde dieses nun auch in der Praxis akzeptiert und nicht mehr grundsätzlich abgelehnt.400 Der Menschenrechtsschutz wurde damit in den 1970er-Jahren zu einem legitimen Bestandteil der Arbeit der Menschenrechtskommission gemacht. Zugleich richtete sich der Fokus nun nicht mehr ausschließlich auf Südafrika, Israel und Chile, sondern verschob sich langsam auf die Bündnisfreien Staaten, darunter sogar verbündete Moskaus. Der Menschenrechtsschutz konnte nach 1975 somit Fortschritte machen und wurde zunehmend institutionalisiert. Die ›Menschenrechtsinitiative‹ der westlichen Staaten sowie der Einfluss einzelner Akteure wie van Boven und Tomuschat förderten diese Entwicklung. Hinzu kam, dass einige afrikanische Staaten sich verstärkt für den Menschenrechtsschutz engagierten und mit den westlichen Staaten kooperierten. Davon profitierte sowohl die Institutionalisierung des UN-Menschenrechtsschutzes als auch die westliche ›Menschenrechtsinitiative‹. Schließlich gelang es dem westlichen Lager in den UN, sein positives Image zu stärken und sich erfolgreich von den sozialistischen und ›radikalen‹ Bündnisfreien Staaten abzugrenzen. Die Konkurrenz zwischen Ost und West war somit in den 1970er-Jahren ein wichtiger Motor, der beide Seiten antrieb, sich über die Menschenrechte zu

399 PA AA : ZA B30, 120983, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 07.03.1979. 400 ORUN: E / C N .4/SR .1501–1515, Summary Record der 1501.–1515. Sitzung der 35. UN Menschenrechtskommission vom 05.03.1979 bis zum 14.03.1979.

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Die Institutionalisierung des Menschenrechtsschutzes

profilieren und damit das System zum Schutz der Menschenrechte festige. Zugleich spielten die Bündnisfreien Staaten dabei eine Schlüsselrolle. Sie sorgten mit ihren Stimmen dafür, dass das CBM weiter ausgebaut und gefestigt wurde und veränderten nachhaltig die Debatten über den UN-Menschenrechtsschutz, indem sie die Stellung wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Rechte aufwerteten. Zwar teilten sich die Staaten Afrikas, Asiens und Südamerikas die Rolle des bewertenden Dritten nun mit der Öffentlichkeit, und da die UN insgesamt immer mehr an Bedeutung einbüßten, wurde es für die westlichen Regierungen wichtiger, sich öffentlich zu profilieren, statt konkrete Ergebnisse zu erzielen. Dennoch wurden sie nun auch zu Konkurrenten, die den Diskurs in den UN beeinflussten. Die Mehrheit behielt jedoch die Rolle des Kontrahenten und stemmte sich weiterhin gegen die universelle Anwendung des UN -Menschenrechtsschutzes.

3.5 Das ›Recht auf Frieden‹ – Eine neue sozialistische Menschenrechtspolitik Anfang der 1970er-Jahre richteten die sozialistischen Staaten ihre UN-Menschenrechtspolitik politisch, ideologisch und völkerrechtlich neu aus. Damit reagierten sie zum einen auf die wachsende Popularität der Menschenrechte, zum anderen verbanden sie ihre Menschenrechtspolitik mit der Entspannungspolitik. Die sozialistische Menschenrechtspolitik litt seit 1945 an einem inhärenten Widerspruch. Laut Karl Marx waren Menschenrechte ein Instrument, mit dem die »Bourgeoise« das »Proletariat« unterdrückte. Sie waren Teil des ›Überbaus‹, den der Sozialismus überwinden wollte. Der Sozialismus sollte ein Rechtssystem, wie es in nichtsozialistischen Gesellschaften bestand, überflüssig machen.401 Soweit die Theorie, in der Praxis verfügte die Sowjetunion jedoch seit 1924 über eine eigene Verfassung und somit über ein Rechtssystem, ähnlich dem in nichtsozialistischen Staaten. Zudem engagierte sich das Land seit 1945 in der UN -Menschenrechtskommission.402 Am deutlichsten trat dieser Widerspruch beim Thema Menschenrechtsschutz zum Vorschein. Die sozialistischen Staaten lehnten diesen ab. Gleichzeitig forderten und unterstützen sie immer wieder Untersuchungsverfahren gegen Südafrika, Israel oder Chile.403 Um diese Widersprüche innerhalb der sozialistischen Menschenrechtspolitik auszuräumen, entwickelten Völkerrechtler aus sozialistischen Staaten zu Beginn 401 Karl Marx: Lohnarbeit und Kapital. Zur Judenfrage und anderen Schriften der Frühzeit, Leipzig 1947, S. 40–47; für eine rechtswissenschaftliche Erläuterung dieser Problematik siehe: Friederike Brinkmeier: Der Einfluß des Kalten Krieges auf den internationalen Menschenrechtsschutz. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vor und nach dem Mauerfall, Berlin 2004, S. 40–60. 402 Troebst: ›Sozialistisches Völkerecht‹. 403 Beispielhaft für die 1950er-Jahren siehe Amos: Unterstützen, S. 142–169; zu Südafrika siehe Kap. 2.1 und Kap. 3.1.

Das ›Recht auf Frieden‹ – Eine neue sozialistische Menschenrechtspolitik 

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der 1970er-Jahre eine neue Argumentationsstrategie in den UN. Dabei unterschieden sie zwischen zwei Arten von Menschenrechtsverletzungen, ›einfachen‹ Menschenrechtsverletzungen und »Gross Violations of Human Rights«.404 Letztere umfassten nach sozialistischer Definition ausschließlich »violations of human rights and freedoms connected with the policy of aggression, colonia­lism, genocide and racism pursued in South-East Asia, the Near East and other parts of the world.«405 Diese »Gross Violations of Human Rights« wurden ausschließlich von ›imperialistischen Staaten‹ begangen und waren besonders gefährlich, weil »[…] cases of gross and systematic violations of human rights […] constituted threats to the peace, breaches of the peace and acts of aggression […].«406 Dieser letzte Punkt war aus völkerrechtlicher Sicht wichtig. Folgt man der sowjetischen Auslegung der UN-Charta, stellte eine Gefährdung des internationalen Friedens den einzigen legitimen Grund für eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates dar: At San Francisco, when the Charter was being drafted, it had been agreed that the question of protecting human rights came within the jurisdiction of States, except in cases which were within the purview of Chapter VII, relating to threats of peace, breaches of the peace and acts of aggression. Gross and systematic violations of human rights did constitute threats to peace, breaches of the peace and acts of aggression and should be dealt with effectively.407

Während ›einfache‹ Menschenrechtsverletzungen also durch die staatliche Souveränität gedeckt wurden, mussten ›Gross Violations of Human Rights‹ von den UN untersucht werden, weil letztere den Weltfrieden gefährdeten. »However, they could not deal with cases of violations of human rights which were not of an international nature and did not arise from the failure of a State to comply with its obligation under the Charter.«408 Da ›imperialistische Staaten‹ nach den Lehren Wladimir I. Lenins qua natura eine Bedrohung für den internationalen Frieden darstellten, durften die UN also gegen diese Länder Ermittlungen einleiten.409 Diese Argumentation erlaubte es den sozialistischen Völkerrechtlern, 404 Vgl. ORUN: E / C N .4/1039: Jahresbericht der 23. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1970, S. 35; ebd., E / C N .4/SR .1067, Summary Records des 1067. Meetings der Menschenrechtskommission der 26. Sitzung vom 11.03.1970, Statement Nedbailo, S. 234. 405 ORUN: E / C N .4/Sub.2/316: Jahresbericht der 23. Sitzung Unterkommission zum Schutz von Minderheiten 1970, S. 87 f. 406 Ebd., E / C N .4/1039, Jahresbericht der 26. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1970, S. 35. 407 ORUN: E / C N .4/SR .1067, Summary Record des 1067. Meetings der 26. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 11.03.1970, Statement Nedbailo, S. 234. 408 Ebd. 409 Zur leninistischen Auslegung des Imperialismus Begriffes vgl. Wladimir I. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Gemeinverständlicher Abriss, 6. Aufl., Berlin 2016 (1960); mit Jörg Fisch / Dieter Groh / Rudolf Walther: Imperialismus, in: Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe, Band 3, Stuttgart 1982, S. 171–236.

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den allgemeinen Menschenrechtsschutz abzulehnen und gleichzeitig Untersuchungsverfahren gegen Südafrika, Israel oder Chile einzufordern.410 Darüber hinaus konnten sie damit die von den westlichen Staaten geforderte Ausweitung des Menschenrechtsschutzes zurückweisen und als Bedrohung für den internationalen Frieden darstellen: They noted further that that procedure, being entirely illegal, had nothing to do with the purpose and principles of the United Nations Charter, could only do serious harm to the cause of developing friendly relations and effective co-operation between States Members of the United Nations, would inevitably complicate and worsen relations between them, and would thereby heighten international tension. […] Such efforts could only lead to the resurgence of the spirit of the cold war in the United Nations […].411

Diese janusköpfige Argumentation, bei der sowohl die Ablehnung als auch die Forderung nach Menschenrechtsschutz mit der Wahrung des Friedens legitimiert wurde, erlaubte es, im Rahmen der sozialistischen Ideologie, mit den westlichen Staaten um Menschenrechte zu konkurrieren. Der Kampf für oder gegen die Menschenrechte wurde damit automatisch zu einem ›Kampf für den Frieden‹.412 Diese Neuausrichtung bot zudem die Möglichkeit, die sozialistische Menschenrechtspolitik in die Entspannungspolitik der 1970er-Jahre zu integrieren und im Rahmen letzterer zu instrumentalisieren. Der seit 1964 amtierende Generalsekretär der KPdSU Leonid I.  Breschnew leitete zu Beginn des neuen Jahrzehnts einen Politikwechsel in der Außenpolitik ein. Entspannung und Abrüstung wurden die wichtigsten Ziele der sozialistischen Staaten in den 1970er-Jahren.413 Die Entspannungspolitik wurde als Teil einer sozialistischen ›Friedenspolitik‹ dargestellt und mit nationalistischen Argumenten aus der russischen Geschichte hergeleitet:

410 Vgl. dazu exemplarisch Stellungnahmen sozialistischer Diplomaten in den UN ORUN: E / C N .4/1039, Jahresbericht der 26. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1970, S. 35; ebd., E / C N .4/SR .1061, Summary Record des 1061. Meetings der 26. Sitzung Menschenrechtskommission vom 06.03.1970, S. 158–160. Statement Tarassov (UdSSR); auch in den Konzepten des MfAA taucht diese Anschauung auf, siehe dazu PA AA : MfAA , ZR 559/86: Politik der UdSSR in der UNO sowie in der Abrüstungsfrage: Zur Rede Gromykos vor der 28. Generalversammlung der UN vom 02.10.1973. 411 ORUN: E / C N .4/Sub.2/316, Jahresbericht der 23. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten 1970, S. 87 f. 412 Das wird besonders in den Berichten des MfAA deutlich, siehe dazu exemplarisch PA AA : MfAA , ZR 559/86, Politik der UdSSR in der UNO sowie in der Abrüstungsfrage: Zur Rede Gromykos vor der 28. Generalversammlung der UN vom 02.10.1973. 413 Vgl. Mark Sandle: Brezhnev and Developed Socialism. The Ideology of Zastoi? In: Edwin Bacon / Ders. (Hg.): Brezhnev Reconsidered, New York 2002, S. 165–187; Boris Belge / ​ Martin Deuerlein (Hg.): Goldenes Zeitalter der Stagnation? Perspektiven auf die sowjetische Ordnung der Brežnev-Ära, Tübingen 2014.

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Peace had been achieved at a very heavy cost in lives of the Soviet Union and the cause of peace had always been and would continue to be the focal point of his country’s policy. The history of the USSR was the history of a persistent struggle against imperialism, a struggle to avert the source of war.414

Der Zweite Weltkrieg spielt in der russischen Erinnerungskultur bis heute eine zentrale Rolle und seit 1945 wurde die sowjetische Außenpolitik als ›Kampf für den Frieden‹ inszeniert und damit zugleich innen- und außenpolitisch legitimiert. In den 1960er-Jahren trat dieser Aspekt allerdings in den Hintergrund. Unter Chruschtschow übernahmen die sozialistischen Staaten die Ziele der dekolonisierten Länder und konzentrierten ihre Menschenrechtspolitik auf die Aspekte Rassismus und Kolonialismus.415 Mit dem Ende der Dekolonisierung verloren diese Themen allerdings wieder an Bedeutung und durch die Ausweitung der Entspannungspolitik in den 1970er-Jahren erhielt die Friedensrhetorik wieder einen hohen Stellenwert innerhalb der sowjetischen Propaganda.416 Sozialistische Diplomaten und Völkerrechtler versuchten bei jeder sich bietenden Gelegenheit, die Entspannungspolitik als ›Friedenspolitik‹ darzustellen und mit den Menschenrechten zu verbinden: In supporting disarmament and measures to prevent war, which constituted the most dangerous violation of human rights and fundamental freedoms […]. The USSR considered that it had a duty actively to defend human rights which were violated as a result of such armed conflicts.417

Frieden war demnach eng mit dem Schutz der Menschenrechte verbunden  – ohne Frieden keine Menschenrechte. Deshalb erklärte die Sowjetunion Ende 1974 die Einführung eines ›Rechtes auf Frieden‹ zum wichtigsten Ziel der sozialistischen Menschenrechtspolitik.418 Jedes Menschen Recht wird gegenstandslos, wenn nicht die physische Existenz der Menschen gesichert ist. Ein neuer (nuklearer) Weltkrieg würde Millionen Menschen den Tod bringen und die Fortexistenz der Menschheit überhaupt in Frage stellen. In einem solchen Fall wäre jede Frage nach irgendwelchen Menschenrechten irrelevant. 414 ORUN: E / C N .4/SR .1061, Summary Record des 1061. Meetings der 26. Sitzung der Menschenrechtskommission von 06.03.1970, Statement Tarassov (UdSSR), S. 158 f. 415 Vgl. Kap. 2.1. 416 Vgl. Michael Ploetz / Hans-Peter Müller: Ferngelenkte Friedensbewegung? DDR und UdSSR im Kampf gegen den NATO -Doppelbeschluss, Münster 2004, S. 49 f.; ­Scholtyseck: Außenpolitik, S. 118–132 (Die Autoren beziehen ihre Darstellung der SU -Friedensrhetorik nur auf die späte Phase ab 1978, in den Quellen finden sich aber gleiche Äußerungen schon vorher) mit PA AA : MfAA , C 1598/76, Bericht über die Begehung des 25. Jahrestages der AEMR in der DDR vom März 1974; ebd., C1570/76, Abschlussbericht zur Arbeit des Dritten Komitees vom 09.12.1974. 417 ORUN: E / C N .4/SR .1061, Summary Record des 1061. Meetings der 26. Sitzung der Menschenrechtskommission von 06.03.1970, Statement Tarassov (UdSSR), S. 158 f. 418 PA AA : MfAA , C 1570/76, Abschlussbericht zur Arbeit des Dritten Komitees vom 09.12.1974 von Bernhard Graefrath.

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Die Institutionalisierung des Menschenrechtsschutzes

Deshalb betrachten wir das Recht der Menschen auf Frieden als das erste, höchste Menschenrecht.419

Mit dem ›Recht auf Frieden‹ verfolgten die sozialistischen Staaten mehrere Ziele. Erstens versuchten sie die Entspannungspolitik aufzuwerten, indem sie diesen in einen menschenrechtlichen Diskurs einbetteten. Damit reagierten sie auf den allgemeinen Bedeutungsanstieg der Menschenrechte in den 1970erJahren und erhofften sich mehr Zustimmung bei der westlichen Öffentlichkeit. Zweitens versuchten sie ein Gegennarrativ zur westlichen Forderung nach mehr Menschenrechtsschutz aufzubauen, indem sie individuelle Menschenrechte der Wahrung des Friedens unterordneten. Erst musste der Frieden auf der Welt gesichert, also die Entspannungs- und Abrüstungspolitik erfolgreich abgeschlossen werden, bevor man sich um die Umsetzung und den Schutz individueller Freiheitsrechte kümmern konnte. Die ab 1977 erstarkende Friedensbewegung in Westeuropa bestärkte die sozialistischen Staaten dabei in ihrem Streben, die Deutungshoheit über die Menschenrechte zu erringen und sich mit dem Thema Frieden in der Konkurrenz um Menschenrechte durchzusetzen. Drittens sollte mit der Debatte über ein Recht auf Frieden der Fokus der Menschenrechtsdiskurse in den UN auf Kollektivrechte gelenkt werden, weg von der Forderung nach der Verbesserung des Schutzes von Individualrechten. Die gleiche Strategie hatten die USA in den 1950er-Jahren erfolgreich angewandt, als sie mit ihrem Aktionsplan zur Förderung der Menschenrechte die Entwicklung der Menschenrechtspakte verzögerten, indem sie den Fokus der Menschenrechtskommission vom Menschenrechtsschutz ablenkten.420 Die Gegenüberstellung der beiden Themen Frieden und Menschenrechtsschutz rückte ab 1977 ins Zentrum der öffentlichen Konkurrenz um Menschenrechte zwischen Ost und West in den UN. Das lag daran, dass die sozialistischen Staaten die westliche ›Menschenrechtsinitiative‹ als direkte Bedrohung wahrnahmen und daraufhin ihre »Friedensinitiative« verstärkten. In einer vom MfAA angefertigten »Argumentationshilfe zur Menschenrechtskampagne der Carter-Administration« von Ende 1977 zeichneten die Autoren das Bild eines komplexen Bedrohungsszenarios, bei dem der Westen vor allem auf »ideologische Diversion + psychologische Kriegsführung«421 setze. »Dazu bediente sich die Carter-Administration einer bisher beispiellosen Demagogie und einer massenhaften Manipulation des Denkens breiter Kreise der Bevölkerung in den kapitalistischen Staaten.«422 Die Ziele dieser Politik seien erstens, »die auf 419 Ebd., ZR 208.85, Argumentationshilfe zur Menschenrechtskampagne der Carter-­ Administration vmtl. 1977, S. 3. 420 Eckel: Ambivalenz, S. 135–143. 421 PA AA : MfAA , ZR 208.85, Argumentationshilfe zur Menschenrechtskampagne der Carter-Administration o. D., S. 1 (Handschriftlicher Vermerk – »1977«. Zudem ist das Dokument davor vom November 1977 und das danach vom Januar 1978, woraus sich schließen lässt, dass das Dokument Ende 1977 angefertigt wurde). 422 Ebd.

Das ›Recht auf Frieden‹ – Eine neue sozialistische Menschenrechtspolitik 

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Frieden und Entspannung gerichtete Politik der UdSSR und der anderen sozialistischen Staaten zu diskreditieren und in ihrer Wirkung abzuschwächen.«423 Zweitens sollte sie die Errungenschaften der sozialistischen Revolution verleumden und drittens die innerstaatliche Ordnung der sozialistischen Länder unterminieren.424 Hauptmethode ist dabei die Forcierung der Einmischungspolitik in die inneren Angelegenheiten der sozialistischen Staaten, insbesondere durch einseitige Konzentration auf Korb 3. Die Verfälschung der Schlußakte von Helsinki und den Mißbrauch von Menschenrechts- und bürgerlichen Freiheitslosungen.425

In Moskau war die Sorge 1977 sogar noch größer. Bei einem Treffen der Außenminister der WVO -Staaten widmete der sowjetische Außenminister Andrei Gromyko der Menschenrechtspolitik der westlichen Staaten fast zwei Drittel seiner Rede. Er sah eine Verbindung zwischen der Ausweitung der NATO Bündnispolitik, dem Stocken der Abrüstungsverhandlungen und der westlichen Menschenrechtskritik. Damit suggerierte er, dass die westliche ›Menschenrechtsinitiative‹ zur Vorbereitung eines militärischen Angriffs diene. Demnach versuche der Westen durch eine falsche Auslegung der Schlussakte die internationale Atmosphäre zu vergiften und politische Spannungen zwischen den Staaten aufzubauen, um eine für einen Erstschlag günstige Lage zu schaffen. Vor allem aber sah Gromyko in der westlichen ›Menschenrechtsinitiative‹ den Versuch, die Entspannungspolitik zu sabotieren.426 Deren Fortsetzung war für die Sowjetunion existenziell, da sie in jenen Jahren zunehmend unter Druck geriet. Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage im Westen und des hohen Ölpreises, von denen die Sowjetunion profitierte, geriet die sozialistische Planwirtschaft immer stärker in Schieflage. Diese konnte sowohl technologisch als auch von den Produktionskapazitäten her nicht mehr mit der westlichen Marktwirtschaft konkurrieren. Neben Nahrungsmittelimporten mussten sich immer mehr sozialistische Staaten Geld im Westen leihen, um Konsumgüter zu erwerben. Zudem stiegen die Ausgaben für das nukleare Wettrüsten und die Militärhilfe für Staaten der ›Dritten Welt‹. Die sozialistischen Länder inter­venierten im Bürgerkrieg in Angola und seit 1977 auch in Äthiopien. Hinzu kamen die großzügigen Waffenlieferungen an Rebellen und Terrorristen auf der ganzen Welt. Das Festhalten an der Entspannungspolitik war für die Sowjetunion deshalb aus wirtschaftlicher Sicht überlebenswichtig.427 423 Ebd. 424 Ebd. 425 Ebd., ZR 1379/88, Vorlage für den Minister für Auswärtige Angelegenheiten Oskar Fischer: Einschätzung der Regierungsbildung in den USA und der ersten außenpolitischen Erklärungen und Handlungen Carters o. D. 426 PHP : Rede Gromykos beim VIII . Außenministertreffen der Staaten der WVO in Moskau am 25.05.1977 (Übersetzung des MfAA). 427 Vgl. Manfred Hildermeier: Die Sowjetunion 1917–1991, Berlin / Boston 2016, S. 1034–1049; mit Zubok: Empire, S. 227–265; Westad, Global: S. 250–288.

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Die Institutionalisierung des Menschenrechtsschutzes

Um zur Entspannungspolitik zurückzukehren und der westlichen ›Menschen­ rechtsinitiative‹ entgegenzutreten, empfahl Gromyko deshalb: Das Banner des Kampfes um die Gewährleistung eines dauerhaften Friedens in ­Europa wurde von uns, den Bruderparteien und -staaten, erhoben. Wir halten es fest in unseren Händen, indem wir jene Kräfte im Westen für den Frieden gewinnen – zum gegenwärtigen Zeitpunkt beeindruckende  –, die nicht an einer Rückkehr zur Spannung interessiert sind.428

Gromyko erhoffte sich, die Friedensbewegung für die politischen Ziele der So­w jetunion zu gewinnen und damit den innenpolitischen Druck auf die west­ lichen Regierungen zu erhöhen, damit diese die Entspannungspolitik fortsetzten und die Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in Osteuropa einstellten. Dies war aus seiner Sicht der beste Weg, den Dialog wiederaufzunehmen und zum Modus Vivendi zurückzukehren. Die sozialistischen Staaten verstärkten deshalb 1977 ihre ›Friedensinitiative‹. Das Thema Frieden gewann tatsächlich in der Bundesrepublik zu dieser Zeit immer mehr an Bedeutung. Als Ende Mai 1977 bekannt wurde, dass die USA unter Carter die Entwicklung einer Neutronenbombe vorantrieben, rückte die Gefahr eines Atomkrieges in Westeuropa ins Zentrum öffentlicher Debatten. Im Oktober hielt Bundeskanzler Schmidt zudem eine viel beachtete Rede am International Institute for Strategic Studies in London, in der er vor der Bedrohung durch sowjetische Mittelstreckenraketen warnte. Schmidt forderte, diese Waffen in die Rüstungsverhandlungen mit einzubeziehen und Gegenmaßnahmen einzuleiten sowie das eigene Arsenal zu modernisieren und aufzurüsten. Das war die Geburtsstunde des ›NATO -Doppelbeschlusses‹. Dieser mobilisierte Millionen von Menschen im Rahmen der Friedensbewegung in Westdeutschland und darüber hinaus, die für Frieden und Abrüstung demonstrierten.429 Die westdeutsche Friedensbewegung bestärkte die sozialistischen Staaten 1977 darin, an ihrer ›Friedensinitiative‹ festzuhalten.430 428 PHP : Rede Gromykos beim VIII . Außenministertreffen der Staaten des WVO in Moskau am 25.05.1977 (Übersetzung des MfAA). 429 Allgemein zur Friedensbewegung und dem Streit um den NATO -Doppelbeschluss siehe Susanne Schregel: Der Atomkrieg vor der Wohnungstür. Eine Politikgeschichte der neuen Friedensbewegung in der Bundesrepublik 1970–1985, Frankfurt a. M. 2011, S. 57–61; Jan Hansen: Abschied vom Kalten Krieg? Die Sozialdemokraten und der Nachrüstungsstreit (1977–1987), Berlin 2016; Claudia Kemper (Hg.): Gespannte Verhältnisse, Frieden und Protest in Europa während der 1970er und 1980er Jahre, Essen 2017, S. 9–26; Philipp Gassert / Tim Geiger / Hermann Wentker (Hg.): Zweiter Kalter Krieg und Friedensbewegung. Der NATO -Doppelbeschluss in deutsch-deutscher und internationaler Perspektive, München 2011. 430 Zu dem Einfluss der DDR auf die Friedensbewegung siehe Helge Heidemeyer: NATO Doppelbeschluss, westdeutsche Friedensbewegung und der Einfluss der DDR , in: Philipp Gassert / Tim Geiger / Hermann Wentker (Hg.): Zweiter Kalter Krieg und Friedensbewegung. Der NATO -Doppelbeschluss in deutsch-deutscher und internationaler Perspektive, München 2011, S. 247–269, S. 247–269.

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Das Jahr 1978 sollte ganz im Zeichen der Themen Frieden und Abrüstung stehen. Dazu hatten die sozialistischen Staaten frühzeitig eine Sondersitzung der Generalversammlung zu diesen Themen für April und Mai 1978 durchge­ setzt. Auf der regulären Tagung der Generalversammlung Ende 1978 stellte die Mongolei schließlich die von Polen ausgearbeitete »Deklaration zur Vorbereitung der Völker für ein Leben in Frieden« vor.431 Darin wurde ein »Recht auf ein Leben in Frieden« proklamiert. Darüber hinaus stellte sie aus Sicht der DDR eine »umfassende Bekräftigung der Grundsätze der Entspannung und der friedlichen Koexistenz dar […].«432 Die Generalversammlung 1978 war damit aus Sicht der ostberliner Diplomaten ein wichtiger »Beitrag für die Festigung des Weltfriedens, für die Zurückdrängung der Kräfte des Wettrüstens und der Konfrontation […].«433 Zugleich wollte man damit die »Versuche, die Menschenrechtsfragen für ihre Einmischungspolitik zu missbrauchen«, zurückweisen.434 Die Bemühungen, die »Bildung von Organen für die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten unter der Flagge der Menschenrechte« voranzutreiben, hätten zwar zugenommen, wie man im MfAA bemerkte. Zugleich sei es dem sozialistischen Lager gelungen, diese im Einzelnen abzuwehren. Dabei bezog sich der Autor vor allem auf die Versuche der westlichen Staaten, die Debatte über einen Hochkommissar für Menschenrechte wiederzubeleben sowie Italiens Versuch, das CBM zu stärken und Genschers Forderung nach einem Menschenrechtsgerichtshof.435 Gemeinsam mit den »progressiven Entwicklungsländern« konnten diese Vorstöße abgewehrt werden, während sie zugleich eine Resolution durchsetzten, mit der das Prinzip der Nichteinmischung bekräftigt und die Ausarbeitung einer entsprechenden Deklaration gefordert wurde.436 Neben diesen Erfolgen bemerkten die Diplomaten der DDR aber, dass sich die Beziehungen zu einigen Bündnisfreien Staaten verschlechterten. So hätte der Differenzierungsprozess unter diesen Staaten weiter zugenommen und »die Koordinierung ihres Auftretens war schwieriger und das Abstimmungs­verhalten unterschiedlicher als in der Vergangenheit.«437 Viele »Entwicklungsländer« würden die Gefahren der »imperialistischen Menschenrechtskampagne« unterschätzen.438 Einige hätten sogar die Bestrebungen des Westens zur Schaffung 431 ORUN: A / S -10/4, Abschlussbericht der 10. Sondersitzung der Generalversammlung von 1978. 432 PA AA : MfAA , C 4226, Bericht über die 33. Tagung der UN -Vollversammlung vom 21.12.1978, S. 9. 433 Ebd., S. 1. 434 Ebd., S. 5. 435 PA AA : MfAA , C 4226–4227, Bericht über die 33. Tagung der UN -Vollversammlung o. D. (Endfassung), S. 11. 436 ORUN: A / R ES /33/74, Resolution der Generalversammlung vom 15.12.1978. 437 PA AA : MfAA , C 4226, Bericht über die 33. Tagung der UN -Vollversammlung vom 21.12.1978, S. 4. 438 Ebd., Informationen über die 33. Tagung der UN -Vollversammlung vom 05.10.1978, S. 2.

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neuer »Interventionsinstrumente unter der Flagge der Menschenrechte«439 unterstützt oder zumindest toleriert. Auch mit Blick auf das südliche Afrika würden immer mehr afrikanische Staaten die »Manöver« der »imperialistischen Staaten« im Rahmen der ›Namibia-Kontaktgruppe‹440 unterstützen. Auch die Vereinbarungen in Camp David über den Frieden zwischen Israel und Ägypten würden von vielen Bündnisfreien Staaten begrüßt werden. Lediglich die »fortschrittlichen arabischen Staaten sowie Saudi-Arabien« hätten das von den USA vermittelte »Separatabkommen« zwischen Israel und Ägypten ausdrücklich verurteilt.441 Damit war es den westlichen Staaten zum Unmut der ostdeutschen Diplomaten gelungen, bei zwei für die Beziehungen zu den Bündnisfreien Staaten wichtigen Themen zu punkten. Sowohl im südlichen Afrika als auch im Nahen Osten präsentierte sich der ›Westen‹ als Vermittler, der um eine friedliche Beilegung der Konflikte bemüht war. Damit versuchte dieser einen Konsens bei den Themen zu schaffen, in denen es bisher die größten Meinungsverschiedenheiten zwischen Nord und Süd gegeben hatte: Die imperialistischen Staaten versuchten in demagogischer Weise die Unterstützung der Entwicklungsländer zu gewinnen. Sie verleumdeten die Politik der sozialistischen Staaten und stellten die Frage der Entwicklungshilfe, der ökonomischen Beziehungen, der ›friedlichen Lösung‹ im südlichen Afrika sowie die Menschenrechtsproblematik in den Vordergrund ihrer Reden. Die Afrika-Politik der Ud SSR und Kubas wurden erneut verleumdet und der Versuch unternommen, die sozialistischen Staaten für mangelnde Fortschritte auf dem Gebiet der Abrüstung, bei der Regelung internationaler Konflikte und bei der Lösung der ökonomischen Probleme der Entwicklungsländer verantwortlich zu machen. Die Menschenrechtsproblematik wurde mißbraucht, um sich in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten einzumischen.442

Erschwerend käme hinzu, dass eine große Mehrheit der Bündnisfreien Staaten weiterhin »die These vom Nord-Süd-Konflikt« vertreten würde und finanzielle Forderungen an die »entwickelten Industrieländer« stellte.443 Dabei fürchtete man nicht nur, dass die Bündnisfreien Staaten auch von den sozialistischen Ländern Geld fordern könnten, sondern dass die Debatte über eine ›neue Wirtschaftsordnung‹ die öffentliche Aufmerksamkeit von den Themen Frieden und Abrüstung ablenken könnte. Zwar hätten diesmal deutlich mehr Staaten des 439 Ebd., Bericht über die 33. Tagung der UN -Vollversammlung vom 21.12.1978, S. 4. 440 Hans-Joachim Vergau war als Diplomat der Bundesrepublik an den Verhandlungen beteiligt und hat später umfassend dazu publiziert, siehe Ders.: Verhandeln um die Freiheit Namibias. Das diplomatische Werk der westlichen Kontaktgruppe, Baden-Baden 2006, S. 11–55. 441 PA AA : MfAA , C 4226, Bericht über die 33. Tagung der UN -Vollversammlung vom 21.12.1978. 442 PA AA : MfAA , C 4226, Informationen über die 33. Tagung der UN -Vollversammlung vom 05.10.1978, S. 3. 443 Ebd.

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Lagers der Bündnisfreien die sozialistische ›Friedensinitiative‹ unterstützt, zugleich beunruhigten die Diplomaten im MfAA die »Bestrebungen der Mehrheit, ohne Rücksicht auf die Interessen der sozialistischen Staaten den gesamten Abrüstungsmechanismus in die UNO zu integrieren, um ihre zahlenmäßige Überlegenheit stärker zur Geltung zu bringen«.444 Sie fürchteten, dass die Bündnisfreien die Debatte kaperten und sie an Einfluss verlieren könnten. Die politische Führung in der DDR und der Sowjetunion wollten die »Entwicklungsländer« als treue Vasallen unter sich wissen, nicht aber als potenzielle Widersacher neben sich dulden. Insgesamt zeichnet sich damit ein Bild ab, wonach sich das Verhältnis zwischen dem sozialistischen Lager und den Bündnisfreien Staaten veränderte. Treue Unterstützung erfuhr die Sowjetunion nur noch von einigen arabischen Ländern, während es den westlichen Regierungen vor allem in Afrika gelang, sich über die Themen wie Namibia, Entwicklungshilfe und Menschenrechte politisch weiter anzunähern.445 Dennoch wähnten sich die sozialistischen Länder zu dieser Zeit auf dem Höhepunkt ihrer Macht und sie interpretierten den Wandel in den Beziehungen zu den Bündnisfreien anders.446 Demnach fehle den »Entwicklungsländern« einfach ein klares gemeinsames Konzept. Einen Konsens fänden diese lediglich in der Forderung nach einer ›neuen Wirtschaftsordnung‹. Dabei versuche der ›Westen‹, seine »Entwicklungshilfe als wesentliches Element für die Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation in den Entwicklungsländern zu propagieren.«447 Die sozialistischen Staaten wollten diese Länder hingegen dadurch überzeugen, indem sie ihnen die negativen Konsequenzen des imperialistischen Wettrüstens für ihre wirtschaftliche und soziale Lage aufzeigten. Dennoch erkannte man im MfAA : »In zunehmendem Maße zeichnete sich, wie auch in anderen UN-Organen die Tendenz ab, dass eine Reihe Entwicklungsländer offen für die Interessen der imperialistischen Staaten eintraten.«448 Dennoch erreichten die sozialistischen Länder am Ende ihr Ziel. Am 15. Dezember 1978 wurde die »Deklaration zur Vorbereitung der Völker für ein Leben in Frieden« von der Generalversammlung angenommen und damit erstmals ein ›Recht auf Frieden‹ kodifiziert.449 Ob sich damit der Bedeutungsgewinn des Menschenrechtsschutzes tatsächlich abwenden ließ und die Sowjetunion 444 Ebd., Bericht über die 33. Tagung der UN -Vollversammlung vom 21.12.1978, S. 3. 445 Zur Entwicklungspolitik beider deutschen Staaten siehe Agnes Bresselau von Bressensdorf: Fortschritt und Entwicklung. Die beiden deutschen Staaten in der Dritten Welt seit den 1960er Jahren, in: Elke Seefried / Dierk Hoffmann (Hg.): Plan und Planung. Deutschdeutsche Vorgriffe auf die Zukunft, Berlin / Boston 2018, S. 131–148. 446 Zur DDR siehe Richardson-Little: Between, S. 69–82; zur Sowjetunion siehe Zubok: Empire, S. 227–265. 447 PA AA : MfAA , C7116, Bericht über die 35. Tagung der UN -Menschenrechtskommission vom 16.03.1979. 448 Ebd. 449 ORUN: A / R ES /33/73, Resolution der Generalversammlung vom 15.12.1978.

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die Deutungshoheit in den Menschenrechtsdiskursen erlangen konnten, hing jedoch von der öffentlichen Meinung und der Entwicklung der Beziehungen zu den Bündnisfreien ab. Diese verschlechterten sich weiter. Ab 1979 versuchte der Kreml deshalb seine Kontakte zu diesen in den UN wieder zu stärken. Die sozialistischen Staaten begannen nun aktiv für die Resolution 32/130 zu werben und unterstützten die Forderung nach einem Recht auf Entwicklung. Dabei lieferten sie allerdings nie mehr als symbolischen Beistand und verwiesen in finanziellen Fragen auf die Verantwortung des ›Westens‹, wodurch sie im Wesentlichen außen vor blieben und es ihnen nicht gelang, die Debatte mitzugestalten. Konkrete Vorschläge, wie die wirtschaftliche Not in der ›Dritten Welt‹ überwunden werden konnte, blieben die sozialistischen Diplomaten schuldig. Stattdessen priesen sie die ›Friedensinitiative‹ und den Sozialismus an. Dabei hatten viele Bündnisfreie nach zwanzig Jahren Unabhängigkeit die schmerzliche Erfahrung gemacht, dass sie weder der Sozialismus noch die westliche Marktwirtschaft aus ihrer benachteiligten Lage befreite. Ende der 1970er-Jahre konnte die Sowjetunion mit ihrer Ideologie und der Friedensrhetorik in den UN nicht mehr überzeugen und verlor in den Reihen der Bündnisfeien Staaten immer mehr an Einfluss und Unterstützung.450 Obwohl sich dieser Trend auf der Generalversammlung 1979 fortsetzte, konnten die sozialistischen Staaten ihre Kernziele erneut durchsetzen. Nach jahrelangen und zähen Verhandlungen wurde die von der Sowjetunion ange­ stoßene CEDAW angenommen und stand nun zur Unterzeichnung durch die Mitgliedstaaten bereit.451 Anders als die Menschenrechtspakte trat die Konvention bereits 1981 in Kraft und noch im selben Jahr wurde ein Ausschuss zur Überwachung der Konvention eingesetzt.452 Zwar wollten die sozialistischen Staaten die Konvention und den Ausschuss vor allem für ihre Propaganda nutzen, doch zugleich leisteten sie damit einen Beitrag, um ein System zur Überwindung geschlechterspezifischer Diskriminierung in den UN zu etablieren. Die westlichen Länder traten der Konvention ebenfalls schnell bei, mit dem Ziel, ihren Einfluss auf den allgemeinen Menschenrechtsschutz weiter auszubauen. Neben der Forderung nach einem Hochkommissar für Menschenrechte präsentierte Italien 1979 zudem den Vorschlag, die Menschenrechtsdivision in ein Centre for Human Rights umzuwandeln.453 Die Resolution wurde an450 Vgl. Artemy M. Kalinovsky / Sergey Radchenko (Hg.): The End of the Cold War and the Third World. New Perspectives on Regional Conflict, London 2011, S. 5. 451 PA AA : MfAA , ZR 3033/93, Bericht über die 34. Tagung der Generalversammlung vom 18.12.1979, S. 15. 452 Allgemein über die Arbeit des Ausschusses siehe Roberta Jacobson: The Committee on the Elimination of Discrimination Against Women, in: Philip Alston (Hg.): The United Nations and Human Rights. A Critical Appraisal, Oxford 1992, S. 444–472. 453 Vgl. PA AA : MfAA , ZR 3033/93, Bericht über die 34. Tagung der Generalversammlung vom 18.12.1979, S. 14; mit NARA : AAD, 1979USUNN03865, US -Botschaft in New York an das Department of State in Washington D. C. vom 20.09.1979.

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genommen, allerdings nur in abgeschwächter Form, sodass die Umstrukturie­ rung zunächst nur vom Generalsekretär geprüft werden sollte.454 Kanada reichte eine Resolution ein, mit der die guten Dienste des UN-Generalsekretärs hervorgehoben und bekräftigt wurden. Zugleich sollte dem Generalsekretär ein zusätzlicher Mitarbeiter zur Seite gestellt werden. Die Abstimmung wurde durch den Druck der sozialistischen Staaten auf das nächste Jahr verschoben.455 Zugleich gelang es einigen Bündnisfreien mit Unterstützung der Sozialisten eine Resolution annehmen zu lassen, mit der eine Arbeitsgruppe eingesetzt wurde, um eine Deklaration zur Bekräftigung des Prinzips der Nichteinmischung auszuarbeiten. In dieser sollte nun explizit festgelegt werden, dass »human rights issues« keine Eingriffe in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedstaates legitimierten.456 Das zeigt, dass obwohl die sozialistischen Staaten bei den Bündnisfreien an Unterstützung verloren, sich die Stellung des ›Westens‹ in den UN nur unwesentlich verbessert hatte. Zwar gab es aus Sicht der Diplomaten des MfAA mittlerweile eine »relativ stabile Gruppierung rechtsorientierter Staaten, die die Positionen des Imperialismus weitgehend unterstützte (am aktivsten Zaire, Senegal, Gabun, Marokko, Pakistan, Bangladesch, Singapur)«.457 Vor allem beim Thema Südafrika sei es den westlichen Staaten durch ihre Politik der Vermittlung im Fall Namibias gelungen, einige afrikanische Staaten auf ihre Seite zu ziehen. Dennoch reichte diese Unterstützung nicht aus, um eine Mehrheit in der Generalversammlung oder der Menschenrechtskommission zu bilden. Deshalb bewertete die ostdeutsche Botschaft in New York die Generalversammlung 1979 als Erfolg.458 Allerdings tauchten in dem Abschlussbericht auch erste Zweifel auf. Die Konflikte mit den Bündnisfreien Staaten nahmen demnach spürbar zu. Zum einen versuchten diese den sozialistischen Ländern ihr Kernthema zu entreißen, indem sie die Abrüstungsfragen gänzlich in die UN verlagern wollten, wo sie ihre Mehrheit ausspielen konnten. Zum anderen bemühten sie sich auch um eine grundlegende Reform der UN-Charta, mit der die Dominanz der Großmächte im UN-Sicherheitsrat überwunden werden sollte, indem sie das Vetorecht beschränkten und die Zahl der ständigen Mitglieder erhöhten. Gleichzeitig sollten die Kompetenzen der Generalversammlung ausgeweitet werden.459 Beides war für die US -Regierung und die Führung in Moskau indiskutabel, weswegen beide 454 ORUN: A / R ES /34/47: Resolution der Generalversammlung vom 23.11.1979. 455 PA AA : MfAA , ZR 3033/93, Bericht über die 34. Tagung der Generalversammlung vom 18.12.1979, S. 14. 456 Vgl. ORUN: A / R ES /34/10: Resolution der Generalversammlung vom 14.12.1979; mit PA AA : MfAA , ZR 3033/93, Bericht über die 34. Tagung der Generalversammlung vom 18.12.1979, S. 11. 457 PA AA : MfAA , ZR 3033/93, Bericht über die 34. Tagung der Generalversammlung vom 18.12.1979, S. 5. 458 Ebd. 459 Ebd.

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Seiten bei diesem Thema an einem Strang zogen.460 Zugleich kam es im Rahmen der Debatte über eine ›Neue Weltwirtschaftsordnung‹ zu Konflikten. Die Bündnisfreien forderten nun ein »Recht auf Entwicklung«, womit den »entwickelten Ländern« finanzielle und materielle Konzessionen abgerungen werden sollten. Dazu zählten die Bündnisfreien Staaten auch die sozialistischen Länder: Das veranlaßte die sozialistischen Länder, mehrfach in gemeinsamen Erklärungen ihre Position klarzustellen. Es konnte verhindert werden, daß in den angenommenen Beschlüssen finanzielle oder materielle Verpflichtungen für die sozialistischen Staaten enthalten seien.461

Für die Sowjetunion wurde es immer schwieriger, ihre Außenseiterrolle im Nord-Süd-Konflikt beizubehalten. Auf lange Sicht forderten die Bündnisfreien mehr als nur rhetorische Unterstützung. Zwar ging man davon aus, dass man über Kuba eine besondere Beziehung zur ›Dritten Welt‹ hatte, schließlich trat das Land 1979 offiziell der Bewegung der Blockfreien bei und präsentierte sich auf der Generalversammlung 1979 sogar als deren Wortführer.462 Doch die militärischen Interventionen Castros in Angola und Äthiopien hatten deutlich gezeigt, dass der kleine Karibikstaat eigene Ziele verfolgte, die nicht deckungsgleich mit denen der anderen sozialistischen Staaten waren.463 Hinzukam, dass diese Militärinterventionen Kubas von vielen afrikanischen Ländern als Bedrohung wahrgenommen wurden. Damit zeichneten sich 1979 erste Risse im Verhältnis zwischen den sozia­ listischen und den Bündnisfreien Staaten ab. Verlässliche Unterstützung erhielten die sozialistischen Diplomaten nur noch von den arabischen Vertretern. Die Ost-West-Beziehungen hatten hingegen den für beide Seiten akzeptablen Status Quo beibehalten. Trotz der ›Menschenrechtsinitiative‹ des Westens konnte die Entspannungspolitik im Rahmen der KSZE und in den Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion Fortschritte verbuchen. Die ›Friedensinitiative‹ schien somit aus sozialistischer Perspektive ihren wichtigsten Zweck zu erfüllen. Allerdings gelang es den sozialistischen Staaten nicht, mit ihrer Forderung nach einem ›Recht auf Frieden‹ die Debatten über den Menschenrechtsschutz aus den UN zu verdrängen. Dafür wurde immer deutlicher, dass die westliche ›Menschenrechtsinitiative‹ das sozialistische Lager nicht ernsthaft in Gefahr bringen konnte, solange die Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten effektive Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte blockierte. Der Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan im Dezember 1979 veränderte jedoch alles und das Engagement im UN-Menschenrechtsbereich sollte den sozialistischen Staaten im folgenden Jahrzehnt zum Verhängnis werden. 460 Ebd. S. 1–17. 461 Ebd. S. 16. 462 PA AA : MfAA , ZR 3033/93, Bericht über die 34. Tagung der Generalversammlung vom 18.12.1979, S. 4. 463 Allgemein zu der Intervention der Kubaner siehe Westad: Global, S. 207–288.

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Die Entstehung der Debatte über ein ›Recht auf Frieden‹ in den UN verdeutlichte beispielhaft die Wirkungen der Konkurrenz zwischen Ost und West in den UN in den 1970er-Jahren. Die Friedensbewegung wurde gegen Ende des Jahrzehnts in Westeuropa immer populärer und die sowjetische Führung hoffte durch ihre ›Friedensinitiative‹ die öffentliche Meinung im Westen zu beeinflussen und damit die Deutungshoheit über die Auslegung der Menschenrechte zu erringen. Darüber hinaus ist das ›Recht auf Frieden‹ aber auch ein Beispiel dafür, wie Menschenrechtsdiskurse genutzt wurden, um gegen die Entwicklung des Menschenrechtsschutzes vorzugehen. Mit den Debatten über ein Recht auf Frieden wollten die sozialistischen Staaten Ressourcen binden und neue Schwerpunkte setzten, um die Frage nach der Ausweitung des UN-Menschenrechtsschutzes zu verdrängen. Dieses Ziel erreichten sie nicht. Allerdings setzte sich die Debatte über das Ende des Kalten Krieges hinaus fort und im Jahr 2016 verabschiedete die Generalversammlung schließlich die von Algerien, Bolivien, Kuba, Nordkorea, Namibia, Venezuela, Eritrea, Syrien und Vietnam eingereichte »Deklaration für ein Recht auf Frieden«.464 Auch in der Gegenwart nutzen Staaten Menschenrechtsdiskurse, um die Weiterentwicklung des Menschenrechtsschutzes zu schwächen.

3.6 Die guten Dienste Kurt Waldheims Die UN waren zu Beginn der 1970er-Jahre von Umstrukturierungen betroffen, die große Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des UN-Menschenrechtsschutzes hatten und die Institutionalisierung der guten Dienste förderten. Als Kurt Waldheim 1972 das Amt des Generalsekretärs übernahm, erbte er eine Schuldenlast von 115 Millionen Dollar. Hauptursache für die Verschuldung war die seit den 1950er-Jahren wachsende Anzahl von UN-Friedensmissionen und die Tatsache, dass sich über 30 Staaten nicht an deren Finanzierung beteiligten. Stattdessen forderten sie, dass die Verursacher der Konflikte für die Friedenssicherung aufkommen sollten.465 U Thant selbst hatte das Amt 1961 von Hammarskjöld bereits mit über 100 Millionen Dollar Schulden übernommen, diese wuchsen danach durch die Einsätze im Kongo (1960–1964) und im Nahen Osten (1956–1979) sowie durch den sich immer weiter aufblähenden bürokratischen Apparat weiter an. Im Jahr 1962 beschäftigte das UN-Sekretariat 1267 Personen, 1972 waren es bereits 2256.466 Dabei war Waldheim dem gleichen Widerspruch ausgesetzt wie U Thant. Auf der einen Seite forderten die Mitglieder, die Kosten zu reduzieren. Auf der anderen Seite wollten sie mehr 464 ORUN: A / C .3/71/L.29, Entwurf der Resolution A/72/189 vom 31.10.2016. 465 Vgl. U Thant: View, S. 85–90; mit Waldheim: Glaspalast, S. 303–308. 466 ORUN: A/8831, Bericht des Generalsekretärs; Personalfragen, Zusammensetzung des Sekretariats vom 06.10.1972.

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Ausschüsse, Studien, Informationszentren, Konferenzen und Friedensmissionen, welche die Kosten weiter anschwellen ließen. Zugleich stieg die Zahl der UN -Mitglieder unproportional zum UN -Budget. Viele der neuen Staaten konnten oder wollten ihre Beiträge nicht bezahlen. Ende der 1970er-Jahre bestritten 20 der 157 Mitgliedstaaten 85 Prozent des UN-Budgets.467 Die zunehmenden Anforderungen gepaart mit der chronischen Unterfinanzierung verschärfte die finanzielle Schieflage der Organisation in den 1970er-Jahren und drohte die UN handlungsunfähig zu machen. Um dem entgegenzusteuern, entwickelte Waldheim umfassende Reformpläne, mit denen das Sekretariat zukünftig kosteneffizienter arbeiten sollte. Die UN -Menschenrechtsdivision war von diesen Reformen am stärksten betroffen, weil sie in den vorangegangenen Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hatte und stetig erweitert wurde.468 Allerdings war der Platz in New York begrenzt und teuer, denn abgesehen von dem Hauptgebäude des Sekretariats am East River mussten alle anderen UN-Liegenschaften in der Stadt angemietet werden.469 Deswegen schlug Waldheim 1972 vor, die UN-Menschenrechtsdivision von New York nach Genf zu verlegen. In Genf besaßen die UN das Palais des Nations mit seinen umfassenden Parkanlagen, die genügend Platz zum Expandieren boten.470 Während es die meisten Staaten begrüßten, die Menschenrechtsdivision in einem neutralen Land anzusiedeln, lehnten die USA diesen Vorschlag ab.471 Sie fürchteten, an Einfluss zu verlieren und dass der Stellenwert der Menschenrechte dadurch abgewertet werden könnte, wie der US -Botschafter Charles W. Yost in einem Brief an Henry Kissinger bereits 1969 anmahnte: The point is that the United Nations Secretariat is physically bursting at the seams and that unless it can enlarge its available space more and more of its subdivisions will be transferred to Geneva or elsewhere with consequent damage both to the Secretary General’s capabilities for coordination and United States influence on the Organization.472 467 Thomas Schlesinger: Financing and Financial Crises, in: Franz Cede / Lilly SucharipaBehrmann (Hg.): The United Nations Law and Practice, The Hague / Boston 2001, S. ­289–302; Waldheim: Glaspalast, S. 308. 468 YUN: 1971, S. 674. 469 ORUN: A / R ES /2618 (XXIV), Resolution der Generalversammlung vom 16.12.1969; mit UNARM : SG Waldheim, S-0913-24-2, Memorandum von USG George F. Davidson an SG Waldheim vom 16.08.1973. 470 ORUN: A / C .5/1458 und 1462, Berichte des Generalsekretärs über das Budget für 1973 mit möglichen Sparmaßnahmen. 471 Vgl. ebd., A / C .5/SR .1591, Summary Record des 1591. Meetings des Fünften Komitees der 28. Generalversammlung vom 02.11.1973, S. 176 f. (Statement des US -Diplomaten); UNARM : SG Waldheim, S-0913-24-2, Memorandum von USG George F. Davidson an SG Waldheim vom 16.08.1973. 472 FRUS : 1969–1972, Vol. V, United Nations, Doc. 3, Letter from the Representative to the United Nations (Charles W. Yost) to the President’s Assistant for National Security Affairs (Henry Kissinger) 19.08.1969.

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Dennoch stimmte am Ende eine deutliche Mehrheit für Waldheims Plan. Allerdings entpuppte sich dieser als finanzielles Fiasko für die UN. Das Ende des »Bretton-Woods-Systems« zu Beginn der 1970er-Jahre und der daraus resultierende Wertverlust des US -Dollar trafen die Organisation schwer. Die von Waldheim eingeplanten Einsparungen der Mietkosten in New York fielen geringer aus als veranschlagt, zugleich erhöhten sich die Umzugs- und Baukosten für die Unterbringung der Behörde in Genf, weil der Schweizer Franken deutlich an Wert zulegte. 1973 ließ Waldheim den Umzug um ein Jahr verschieben, in der Hoffnung, dass der Kurs des Dollars bis dahin wieder steigen würde, was jedoch nicht geschah. Der Umzug der Division von New York nach Genf Anfang der 1970er-Jahre verschärfte die finanzielle Schieflage der UN und hatte großen Einfluss auf die weitere Entwicklung des UN-Menschenrechtsschutzes.473 Die räumliche Trennung zwischen dem Sekretariat in New York und der Menschenrechtsdivision in Genf erschwerte den Umgang mit Individualbeschwerden. Diese trafen nun sowohl in Genf als auch in New York ein und es gab kein einheitliches Verfahren, wie man damit umgehen sollte, wodurch es immer wieder zu Überschneidungen kam. Verschärft wurde dieses Problem dadurch, dass die Anzahl der Individualbeschwerden zu Beginn der 1970er-Jahre massiv zunahm. Der Grund dafür war der UN-Beitritt der DDR und der Bundesrepublik 1973. Tausende Menschen in Westdeutschland wandten sich seitdem an den Generalsekretär und baten diesen, sich für die Ausreise ihrer Verwandten in Ostdeutschland einzusetzen. Waldheim hatte ein persönliches Interesse an diesen Briefen und wollte ständig über deren Anzahl und Inhalt informiert werden.474 Die Frage nach einem einheitlichen System zum Umgang mit diesen Individualbeschwerden wurde dadurch immer drängender:475 a) The Human Rights Division receives the bulk of Human Rights complaints including letters written in German. Other such complaints are sent to us but there appears to be no consistent pattern. B) There exists a wide ›communication gap‹ between us and the Human Rights Division. The Human Rights Division normally does not know what to do about complaints already answered by the Secretary-General’s office.476

In Genf hatte man bereits ein ausgeklügeltes »Index-Card-System« entwickelt, mit dem die eingehenden Beschwerden registriert, sortiert und für die weitere Bearbeitung aufbereitet wurden. 473 UNARM : SG Waldheim, S-0913-4-9, Memorandum von USG George F. Davidson für SG Waldheim vom 23.03.1973; ebd., S-0913-4-8, Memorandum von USG George F. Davidson für SG Waldheim vom 18.05.1973; sowie YUN: 1973, S. 869 f. 474 UNARM : SG Waldheim, S-0986-11-1, Human Rights Summary Index 1979, Memorandum von Wolfgang Ischinger an Georg Hennig vom 10.07.1973. 475 ORUN: E / C N .4/1070, Jahresbericht der 24. Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten des Jahres 1971, S. 43. 476 UNARM : SG Waldheim, S-0986-0011-01 Human Rights Summary Index 1973, Memorandum von Wolfgang Ischinger an Georg Hennig vom 10.07.1973.

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Deswegen beschloss Waldheim, zukünftig alle Individualbeschwerden nach Genf zu übermitteln, wo sie registriert und in Listen zusammengefasst werden sollten. Um weiterhin Zugriff auf einzelne Fälle aus der Bundesrepublik zu haben, setzte Waldheim einen Mitarbeiter ein, der die Listen auswertete und die interessanten Fälle dem Generalsekretär meldete: An important element is to keep the Secretary-General informed on Human Rights developments as his good offices are most appropriately used in this field. For that purpose, I would advise that we be sent regularly the monthly ›confidential list of communications concerning Human Rights‹ and that someone477 in our Secretariat be put in charge of reviewing it for further submittal to the Secretary-General for any appropriate follow-up if necessary.478

Damit wurde das Sekretariat in New York entlastet, gleichzeitig behielt sich der Generalsekretär vor, Einzelfälle herauszugreifen und persönlich zu behandeln. Neben dieser Regelung führte die Menschenrechtsdivision 1973 einen Standardbrief ein, der als Antwortschreiben an die Autoren von Individualbeschwerden verschickt werden sollte. Bemerkenswert daran war, dass dieser dieselbe Argumentation beinhaltete, die bereits U Thant im Rahmen seiner ›good Offices‹ verwendet hatte. Der Begriff der Menschenrechte wurde darin nicht benutzt, stattdessen bezeichnete man das Einschreiten des Generalsekretärs als »rein humanitäres Anliegen«. Es wurde ausdrücklich betont, dass es nicht die Intention des Generalsekretärs sei, sich in die inneren Angelegenheiten des betroffenen Mitgliedstaates einzumischen und gegen Artikel 2.7 der UN-Charta zu verstoßen.479 Auch in der Praxis übernahm Waldheim dieses Vorgehen. Im Jahr 1972 setzte er seine guten Dienste für politische Häftlinge im Iran ein und unterstrich dabei gegenüber dem iranischen Botschafter: »[He is] fully realizing that the matter referred therein, are basically of an internal character, the Secretary General […] moved solely by humanitarian considerations, would be grateful for any information […] on a strictly confidential basis.«480 Ein Verweis auf die inneren Angelegenheiten, eine humanitäre Legitimation und die Zusicherung, das Ganze streng vertraulich zu behandeln, waren die Grundsätze, auf denen schon U Thant seine guten Dienste gründete. Zugleich setzte er den iranischen Botschafter geschickt unter Druck, indem er bemerkte:

477 Durchgestrichen und mit dem handschriftlichen Vermerk »Mr. W. I.« versehen, was wahrscheinlich Wolfgang Ischinger meint, den Autor des Memos. 478 UNARM : SG Waldheim, S-0986-11-1 Human Rights Summary Index 1973, Kommentar zu dem Memo von Wolfgang Ischinger an Georg Hennig vom 10.07.1973. 479 Ebd., S-0986-11-1, Human Rights Summary Index 1973: Der Ordner enthält Entwürfe eines Standard Antwortbriefes auf Menschenrechtsanfragen o. D. 480 Ebd., S-0913-24-9, Human Rights Iran 1971–1981, Note for the Secretary-General 25.02.1972 – Handschriftlicher Vermerk auf dem Dokument »I have informed ambassador of Iran accordingly. He will report to his foreignmin [sic]«.

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He [Waldheim] is fully aware of the frequently expressed and demonstrated attachment of the Iranian Government to humanitarian principles of respect for human rights for all and ventures to express the hope that the Iranian authorities will display in the cases referred to a spirit of clemency.481

Waldheim versuchte damit, das langjährige und umstrittene Engagement des Irans im UN-Menschenrechtssektor gegen diesen auszuspielen.482 Im Juli 1972 wandte sich der israelische Botschafter Tekoah an das Sekretariat und überreichte einem Mitarbeiter Waldheims mehrere Briefe von Privatpersonen aus der Sowjetunion und verwies dabei auf die erfolgreiche Zusammenarbeit mit U Thant. Dieser hätte die Namenslisten früher bei einer Moskaureise mitgenommen und an die sowjetischen Vertreter übermittelt. Waldheim solle es den sowjetischen Vertretern gegenüber als humanitäres Anliegen präsentieren, dieses hätte sich bewährt, riet Tekoah.483 Dass der israelische Botschafter nicht wusste, dass U Thant die Namenslisten nicht persönlich an die sowjetischen Vertreter übergab, sondern über zwei seiner Mitarbeiter im Sekretariat einen vertraulichen Kanal eingerichtet hatte, zeigt, wie geheim dieses Vorgehen war. Auch Waldheim nutzte diesen Weg über seinen sowjetischen Untergeneralsekretär Lessiovski, um die Namenslisten an die sowjetische Führung zu übermitteln.484 Dieselbe Methode wandte Waldheim auch im Irak an. Ende 1972 stellte er über einen irakischen Mitarbeiter im Sekretariat einen geheimen Kontakt nach Bagdad her, um sich für die Begnadigung von 14 irakischen Juden einzusetzen, die wegen angeblicher Spionage zum Tode verurteilt wurden. Auch in diesem Fall setzte er auf eine humanitäre Argumentation und Geheimhaltung.485 Obwohl Waldheim 1973 eine Regelung über die Verteilung und dem Umgang mit Individualbeschwerden festlegte, gab es weiterhin Probleme bei der Koordination. Ende Oktober 1976 traf sich der Direktor der Menschenrechtsdivision Schreiber deshalb mit Mitarbeitern des Generalsekretärs in New York, um eine neue Regelung festzuschreiben. Sie einigten sich schließlich darauf, dass der Direktor der Division zukünftig »special cases of a serious nature« oder »exceptional human rights cases« identifizieren und nach New York weiterleiten sollte.486 Damit übernahm der Direktor zukünftig eine wichtige Filterfunktion. Auf eine viel wichtigere Änderung deutete Schreiber hingegen eher beiläufig hin: 481 Ebd. 482 Zur kontroversen Menschenrechtspolitik des Iran Ende der 1960er-Jahre siehe Jensen: International, S. 174–209; Burke: Decolonization, S. 92–112. 483 UNARM : SG Waldheim, S-0913-4-2, Israel Human Rights: Memorandum von USG Roberto E. Guyer an Generalsekretär Waldheim vom 05.07.1972. 484 Waldheim: Glaspalast, S. 213. 485 UNARM : SG Waldheim, S-0913-24-9, Human Rights: Note for the Secretary-General 21.12.1972; und ebd., Aide-Memoire vom 27.11.1972. 486 Ebd., S-0913-024-02, Human Rights Division 1974–1979, Note for the file on a meeting with Marc Schreiber on 28.10.1976.

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»Mr. Schreiber also pointed out to us that he felt that the reference to UN-Charter art. 2/7 in our standard Human Rights reply was too strong, as governments rarely insist on invoking it.«487 Dies zeugt von der großen Akzeptanz der guten Dienste unter den Mitgliedern. Dennoch sollte der Verweis auf die inneren Angelegenheiten vorerst nicht aus der Sprache der guten Dienste verschwinden. Im September 1977 beauftragte Waldheim zum Beispiel einen seiner Mitarbeiter, sich mit einem Vertreter Ugandas zu treffen. Dieser sollte an die Regierung Amins appellieren, die Vollstreckung der Todesstrafe gegen 12 angebliche Verschwörer auszusetzen. In dem Gespräch erklärte der UN-Mitarbeiter seinem Gegenüber: The Secretary-General wished to advise President Amin that he was fully conscious of the fact that this involved a matter of domestic jurisdiction in Uganda and that he had no desire to intervene in internal affairs of the country. However, in view of the concern about the reportedly impending execution, he wished to convey to the President of the Republic on a purely humanitarian basis an appeal that clemency be exercised in this matter.488

Auch bei späteren Einsätzen im Iran 1979 oder in Liberia 1980 erklärte Waldheim, dass es nicht seine Absicht sei, sich in die inneren Angelegenheiten dieser Staaten einzumischen und dass er aus rein humanitären Gründen handele.489 Die Einführung einer Regelung zum Umgang mit Individualbeschwerden und von Standardbriefen mit der darin festgehaltenen Sprachregelung trugen zur Institutionalisierung bei und prägten das Verfahren dauerhaft. Doch unter Waldheim wurden die guten Dienste nicht nur in den Verwaltungsstrukturen des Sekretariats verankert. Er bemühte sich auch, diese in den internationalen Beziehungen als reguläre Praxis zu etablieren. Dazu nutzte er die Öffentlichkeit, um für seine Person, die Organisation und die Institution der guten Dienste zu werben. Während U Thant erst am Ende seiner Amtszeit sein Schweigen brach und öffentlich über sein Engagement für jüdische Menschen in der Sowjetunion berichtete, war Waldheim viel offener. Bereits im August 1972 erwähnte er seine guten Dienste in seinem Jahresbericht.490 Zudem verwies er auf das Dilemma, mit dem er dabei konfrontiert wurde: The Secretary-General faces a recurring dilemma whenever and wherever large-scale military conflict or civil strife within a State results in massive killings of innocent civilians. In the latter case, the Secretary-General has to reconcile article 2, paragraph 7, of the Charter with the moral principles, and especially those concerning the 487 Ebd. 488 Ebd., S-0913-6-1, Gesprächsmemorandum über ein Treffen zwischen Louis Kayanda Mwangaguhunga, Rafeeuddin Ahmed und William B. Buffum am 08.09.1977. 489 ORUN: SG  / S M /3010, Press Release vom 16.03.1979; ebd., SG  / S M /2910 Press Release vom 23.04.1980. 490 ORUN: A/8701/Add.1, Jahresbericht des Generalsekretärs über die Tätigkeit der Organisation, August 1972, VII , S. 4.

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sacredness of human life, which the Charter embodies. No matter what criticisms or setbacks may arise, the unwritten moral responsibility which every Secretary-General bears does not allow him to turn a blind eye when innocent civilian lives are placed in jeopardy on a large scale.491

Ohne die Menschenrechte zu erwähnen, rechtfertigte Waldheim sein Eingreifen mit einer »ungeschriebenen moralischen Verpflichtung«. Diese Legitimation war ebenso vage wie unwiderlegbar. Dennoch erfüllte sie ihren Zweck, denn es ging weniger um die rechtliche Legitimation seines Handelns als die öffentliche Auseinandersetzung damit. Waldheim nutzte viele Gelegenheiten, um öffentlich für seine guten Dienste zu werben und auf den Widerspruch in der UN -Charta zwischen dem Schutz der Menschenrechte sowie dem Prinzip der Nichteinmischung aufmerksam zu machen.492 Damit wollte er sowohl sein eigenes Image als auch das der Organisation aufwerten, schließlich standen die UN in den 1970er-Jahren massiv in der Kritik und die guten Dienste waren eine der wenigen Erfolgsgeschichten der Organisation.493 Darüber hinaus konnte er die Akzeptanz und Verbreitung der guten Dienste unter den Mitgliedstaaten fördern. Dass Waldheim den Begriff der Menschenrechte dabei vermied, zeigt, wie problematisch der Umgang mit diesen immer noch war. Während die Menschenrechte in westlichen Zivilgesellschaften Mitte der 1970er-Jahre eine Konjunktur erlebten, weil sie als unpolitisch angesehen wurden, waren sie in den UN weiterhin ein politisch kontaminierter Begriff.494 Dadurch, dass Waldheim allerdings immer wieder öffentlich für sein »humanitäres Engagement« eintrat, trug er wesentlich zur allgemeinen Anerkennung und weiteren Institutionalisierung der guten Dienste bei, wodurch diese eine gewohnheitsrechtlich legitimierte Form des UN-Menschenrechtsschutzes wurden. Zugleich untergrub er durch die öffentliche und kritische Auseinandersetzung mit Artikel 2.7 der UN -Charta dessen Bedeutung in den internationalen Beziehungen. Auch außerhalb der UN wurden die ›good offices‹ nun thematisiert. Medien berichteten verstärkt über die Interventionen des Generalsekretärs und auch Juristen begannen sich mit den rechtlichen Aspekten zu beschäftigen. Im Jahr 1972 veröffentlichte der tschechoslowakische Jurist und ehemalige Vorsitzende des Sechsten Komitees der Generalversammlung (Komitee für Rechtsfragen) Vratis­lav Pechota ein Buch über die stille Diplomatie der Generalsekretäre und

491 Ebd., IX , S. 4. 492 Vgl. siehe exemplarisch in folgenden UN -Dokumenten ORUN: A/8701/Add.1 (1972); A/901/Add.1 (1974); A/31/1/Add1, S. 9 (1976); A/32/1, at 6–7 (1977); A/33/1 (1978); A/34/1 (1979); A/35/1, IX (1980); OPI /622, at 16–17 (1978); SG  / SM321, UN Press Release at 6 (1977). 493 Waldheim geht in seinen Memoiren ausführlich auf die Kritik an den UN in den 1970erJahren ein, siehe Ders.: Glaspalast, S. 75 f. 494 Wie und warum zivilgesellschaftliche Akteure in den 1970er-Jahren Menschenrechte als ›unpolitisch‹ betrachteten, beschreibt Jan Eckel, siehe dazu Ders.: Humanitarisierung.

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deren Rolle als Vermittler in Konflikten.495 Der Autor und seine Familie sollten wenig später selbst die guten Dienste des Generalsekretärs in Anspruch nehmen, um in die USA auszuwandern.496 Auch Waldheim selbst veröffentlichte schon während seiner Amtszeit Bücher, in denen er auf seine guten Dienste einging. In der 1978 veröffentlichten Monografie mit dem Titel »Der schwierigste Job der Welt« schilderte Waldheim seine Menschenrechtsarbeit.497 Dabei ging er auf einzelne Fälle ein, stellte diese als Erfolgsgeschichten dar und erläuterte zugleich die grundlegenden rechtlichen Probleme.498 Dem Dilemma zwischen Artikel 2.7 und dem universellen Anspruch der Menschenrechte widmete er dabei sogar ein eigenes Kapitel mit dem Titel »Macht und Ohnmacht der Vereinten Nationen«. Darin schrieb er: Eine der Aufgaben des Generalsekretärs der Vereinten Nationen ist die Verteidigung der Menschenrechte. Es ist eine heikle Pflicht, die ihn vor ein fast unüberwindbares Dilemma stellt: einerseits drängt ihn die öffentliche Meinung, sich zugunsten der Unterdrückten einzusetzen, andererseits ist seine Handlungsfreiheit dadurch beschränkt, daß er sich an der Spitze einer Organisation von souveränen Staaten befindet. Was immer er auch in einem bestimmten Fall tun mag, er läuft stets Gefahr, die einen zu enttäuschen und die anderen zu verärgern.499

Neben diesem Dilemma ging er auch auf die ideologischen Konflikte um Menschenrechte ein. Ohne die Lager zu benennen oder einzelne Länder hervorzuheben, erläuterte er, wie einige Mitglieder individuelle Freiheitsrechte den wirtschaftlichen und sozialen Rechten unterordneten.500 »Zahlreiche Regierungen vertreten die Auffassung, es sei wichtiger, ein Volk zu ernähren und zu erziehen, als ihnen zum Beispiel das Stimmrecht zu gewähren […].«501 Zugleich stellte er klar: »Es steht mir nicht zu, der Weltgemeinschaft Vorschriften zur Einhaltung ihrer Prinzipien zu machen.«502 Bereits im Vorwort hatte er seine Stellung innerhalb der Organisation mit pathetischen Worten beschrieben: Der Generalsekretär ist […] ein einsamer und noch dazu verwundbarer Mann. Nationale Staatsmänner dürfen sich Fehler erlauben oder können es wagen, gegen den Strom zu schwimmen. Die Weltpresse wird sie vielleicht angreifen, da sie aber hinter sich die Macht ihres Landes wissen, können sie dessen ungeachtet des eingeschlagenen Kurses weitersteuern. Der Generalsekretär dagegen muß die Bestrebungen und Interessen der gesamten internationalen Gemeinschaft in Rechnung stellen, denn 495 Pechota: Quiet. 496 UNARM : SG Waldheim, S-0913-023-04 Human Rights 1977–1980, Brief Pechota an Waldheim vom 10.11.1977; ebd., Brief von Rohan an Pechota 20.12.1977. 497 Kurt Waldheim: Der schwierigste Job der Welt. Die UNO, die beste aller Chancen, München 1979. 498 Ebd., S. 11 f. 499 Ebd., S. 71. 500 Ebd., S. 72. 501 Ebd., S. 73. 502 Ebd.

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er ist nicht der Repräsentant eines einzelnen Staates oder einer bestimmten Region, sondern aller Mitgliedstaaten.503

Gleichzeitig machte er immer wieder deutlich, dass die damaligen Mehrheitsverhältnisse in der Organisation nicht dem ›westlichen Ideal‹ der Menschenrechte zugutekämen. Die Staaten, die einen Schwerpunkt auf die Geltung individueller Freiheitsrechte legten, waren zu dieser Zeit in der Minderheit.504 Nachdem er die juristischen, politischen und ideologischen Problemfelder des Menschenrechtsschutzes dargelegt hatte, stellte er diesen seine guten Dienste gegenüber: Trotz dieser Beschränkungen verfüge ich über einen gewissen Spielraum, um meinen Einfluß bei der Verteidigung der Menschenrechte einzusetzen. Meine oberste Richtschnur ist dabei das Wohl der Menschen. In inoffizieller Weise stelle ich meine guten Dienste zur Verfügung, und zwar auf rein humanitärer Basis.505

Im Anschluss beschrieb er sein übliches Vorgehen und stellte die guten Dienste als Erfolgsgeschichte der UN dar. Auf die offiziellen Verfahren im Rahmen des TBM und CBM verwies er hingegen nur beiläufig. Zudem erklärte er, warum eine humanitäre Argumentation geeignet war, das Dilemma um Menschenrechte zu umgehen: »Sind die Fragen der Menschenrechte und des Terrorismus umstritten, so liegen die Dinge anders, wenn es sich um rein humanitäre Hilfsaktionen handelt.«506 Der Verweis auf Humanität galt als Garant für eine unpolitische und damit legitime Motivation. Das war besonders wichtig in einem Bereich, der stark politisch aufgeladen war. Die ständige Wiederholung dieses humanitären Mantras in der Öffentlichkeit half ebenso, die Akzeptanz der guten Dienste zu fördern wie deren Anwendung zu legitimieren. Das Buch, das nur auf Französisch und Deutsch veröffentlicht wurde, diente Waldheim vermutlich dazu, sich selbst gegenüber der österreichischen Öffentlichkeit als großen Staatsmann zu inszenieren und den Weg für seine Rückkehr in die österreichische Politik vorzubereiten. Nebenbei trug er damit aber auch zur Institutionalisierung der guten Dienste als dritte Säule des UN -Menschenrechtsschutzes bei. Zudem nutzte er die öffentliche Darstellung, um der Kritik seitens der Presse an seiner Person und der Organisation entgegenzuwirken, indem er sie an verschiedenen Stellen im Buch in den Vordergrund rückte und zu entkräften versuchte.507 Auch der Direktor der Menschenrechtsdivision Schreiber verwies auf die guten Dienste des Generalsekretärs, als er auf einer Pressekonferenz im September 1974 von einem Journalisten gefragt wurde, welche Erfolge die UN auf dem Ge503 Ebd., S. 28. 504 Ebd., vor allem S. 71–84, aber auch S. 11–36. 505 Ebd., S. 73 f. 506 Ebd., S. 78. 507 Vgl. zur öffentlichen Kritik ebd., S. 14, 19, 28 f.

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biet der Menschenrechte vorweisen könne.508 Die guten Dienste dienten als Beleg für den Nutzen und die Wirksamkeit der Organisation. Obwohl es in vielen Fällen unklar blieb, ob die Bemühungen des Generalsekretärs erfolgreich waren oder nicht. Ein unbekannter Mitarbeiter des Sekretariats in New York beschrieb die Menschenrechtsarbeit des Generalsekretärs gegenüber einem Reporter der Washington Post deshalb kritisch: »We’re like vacuum cleaner salesmen who calls at 10 doors and makes one sale. It’s a lousy record.«509 Der Umgang mit der Öffentlichkeit war für Waldheim sehr wichtig. Er war ein Politiker, der stets darauf bedacht war, wie er sich selbst und sein Amt in der Öffentlichkeit präsentierte.510 Schon früh attestierten ihm Diplomaten deshalb einen ausgeprägten Selbstdarstellungsdrang.511 Zugleich bemerkte er die wachsende Kritik an der Organisation in westlichen Medien, vor allem nach 1975, als der Diktator Amin Präsident der Generalversammlung war und diese mit der Resolution 3379, in der Zionismus mit Rassismus gleichgesetzt wurde, für Negativschlagzeilen sorgte.512 Noch im selben Jahr ernannte Waldheim den österreichischen Journalisten Eberhard Strohal zum neuen Direktor des United Nations Information Departments in Wien. Aus Sicht des MfAA bestand dessen wichtigste Aufgabe darin: »für ›ein besseres Image der UNO und ihres Generalsekretärs‹ zu sorgen.«513 Waldheim selbst bemerkte in seinen Memoiren und anderen Publikationen mehrfach, wie wichtig für ihn der Umgang mit den Medien war.514 Die öffentliche Meinung wurde in den 1960er- und 1970er-Jahren sowohl für die nationale als auch die internationale Politik immer wichtiger. Vor allem im Bereich des Menschenrechtsschutzes trat dieser Wandel deutlich hervor und entwickelte sich zum zentralen Instrument des zivilen Menschenrechtsschutzes. NGOs gelang es, mithilfe ausgeklügelter Kampagnen Millionen von Menschen zu mobilisieren, die ihrerseits an ihre Regierungsvertreter appellierten, sich für den Schutz der Menschenrechte einzusetzen.515 Zugleich hat die bisherige Analyse gezeigt, dass Öffentlichkeit in den UN aufgrund der Konkurrenz zwischen den Staaten nicht immer förderlich war und immer wieder die Umsetzung des Menschenrechtsschutzes behinderte. Waldheim selbst bemerkte dazu: 508 UNARM : SG Waldheim, S-0913-4-10, Human Rights 1974, Memorandum von Schreiber an Waldheim über eine Pressekonferenz vom 25.09.1974. 509 Bernhard B. Nossiter: UN Rights Body has a poor history of biased reports in: Washington Post 23.11.1977. 510 Neben seinen vielen öffentlichen Auftritten veröffentlichte er noch während seiner Amtszeit ein Buch über seine Arbeit als Generalsekretär Waldheim: Job. 511 PA AA : MFAA , C4296, Brief von Grunert (New York) an Moldt (Ostberlin) vom 19.04.1973. 512 Waldheim: Glaspalast, S. 65–95. 513 PA AA : MfAA , C4268, Dokumente zur Vorbereitung des Besuchs Kurt Waldheims in der DDR 1979, vmtl. November 1978, Anlage 3, Zur Person Strohal, Eberhard. 514 Waldheim: Glaspalast, S. 65–95; und Ders.: Job, S. 74. 515 Eckel: Ambivalenz, S. 364–389.

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Für große Auftritte und medienwirksame Selbstdarstellung war dies das denkbar ungeeignetste Amt. Denn nur in der Stille und Vertraulichkeit des persönlichen Gesprächs waren Politiker und Diplomaten bereit, jene Kritiken und Mahnungen zu akzeptieren, die in der Öffentlichkeit wohl aggressive Reaktionen provoziert hätten.516

Darüber hinaus begann Waldheim aber in Einzelfällen, gezielt die Öffentlichkeit einzusetzen, um Regierungen unter Druck zu setzen und seine Verhandlungsposition zu stärken. Damit wich er erstmals von dem Vorgehen U Thants ab und entwickelte das Verfahren weiter. Er selbst schrieb diesbezüglich 1977, wie er im Fall Ugandas öffentlich Druck ausübte, indem er eine Untersuchung der Todesumstände des Erzbischofs Janani Luwum forderte, obwohl er zu gleichen Zeit vertrauliche Verhandlungen mit der Regierung führte.517 Im März 1979 ließ Waldheim durch einen UNSprecher seine tiefe Besorgnis über die Hinrichtung politischer Häftlinge im Iran zum Ausdruck bringen.518 Im April 1980 drückte Waldheim öffentlich seine Besorgnis über willkürliche Exekutionen in Liberia aus.519 Diese Art des Umgangs mit der Öffentlichkeit war neu und zeigte, warum Waldheim die Praxis der guten Dienste von U Thant übernahm und fortsetzte. Sie boten ihm die Möglichkeit, seine Kompetenzen auszuweiten und Einfluss auf die internationale Politik zu nehmen. Zugleich konnte er sich damit als großer Staatsmann in Szene setzen. Der gezielte Einsatz der Öffentlichkeit wurde zum Spezifikum der guten Dienste unter Waldheim. Dennoch blieben die Fälle, in denen Waldheim gezielt die Öffentlichkeit einsetzte, eher die Ausnahme.520 Dennoch unterstreicht es den Bedeutungswandel der Öffentlichkeit in den 1970er-Jahren. Diese wurde als bewertender Dritter zu einem zentralen Akteur in der internationalen Menschenrechtspolitik. Dass die guten Dienste des Generalsekretärs in dieser Zeit zu einem festen Bestandteil des UN-Menschenrechtsschutzes wurden, zeigte sich vor allem darin, dass selbst die schärfsten Kritiker diese in Anspruch nahmen, wie der Fall Chiles verdeutlicht. Nach dem Putsch rechtskonservativer Militärs in dem südamerikanischen Land am 11. September 1973 erreichten den Generalsekretär zahlreiche Briefe von besorgten Menschen, NGOs und Regierungen. Sie appellierten an Waldheim, seine guten Dienste einzusetzen, um den Menschen in Chile zu helfen. Parallel zu der öffentlichen Auseinandersetzung in der UN -Menschenrechtskommission und den späteren Ermittlungen der Ad-hocArbeitsgruppe der Menschenrechtskommission trat Waldheim mehrfach mit den chilenischen Behörden in Kontakt, um sich für politische Häftlinge, zum 516 Waldheim: Glaspalast, S. 76. 517 Kurt Waldheim: Un Métier Unique au Monde, Paris 1977, S. 102. 518 ORUN: SG  / S M /3010, Press Release vom 16.03.1979. 519 Ebd., SG  / S M /2910, Press Release vom 23.04.1980. 520 Ebd., S. 29 f.

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Tode verurteilte oder ›verschwundene‹ Personen stark zu machen.521 Dabei wandten sich vor allem sozialistische Länder an Waldheim und baten diesen, sich für sozialistische Politiker, Gewerkschafter und Aktivisten einzusetzen, die verhaftet worden waren.522 So meldeten im Oktober 1975 mehrere sozialistische Staaten besorgt dem Generalsekretär, dass der chilenische Politiker Luis Corvalán von einem Militärgericht zum Tode verurteilt werden könnte und baten um seine Hilfe. Waldheim sprach das Thema daraufhin bei einem Treffen mit dem chilenischen Botschafter an. Dieser versprach, sich nach aktuellen Informationen zu erkundigen.523 Anschließend entsandte Waldheim seinen US -Mitarbeiter im Sekretariat Bradford Morse nach Chile, um sich mit politischen Häftlingen zu treffen, darunter auch Corvalán.524 Ende Januar 1976 wandte sich der sowjetische Botschafter Malik vertraulich an den Generalsekretär und übergab diesem eine Liste mit Namen von Mitgliedern der kommunistischen Partei in Chile, darunter auch Corvalán. Waldheim ließ die Liste daraufhin Ende Februar an die chilenische UN-Botschaft übermitteln, mit der Bitte, Informationen über das Schicksal der Personen zu erhalten.525 Im Mai 1976 wandten sich die UN-Botschafter der Tschechoslowakei, Bulga­ riens, Weißrusslands, Kubas, der DDR , Ungarns, der Mongolei, Polens, der Ukraine und der Sowjetunion in einem offenen Brief an den Generalsekretär. Darin appellierten sie an den Generalsekretär, sich für mehrere kommunistische Politiker in Chile einzusetzen, die vor Kurzem verhaftet wurden und deren Leben in Gefahr sei, darunter auch der bekannte Schriftsteller und Professor Jorge Montez.526 Zur gleichen Zeit zeichnete sich ein Wandel in der chilenischen Haltung ab. Anfang Juli teilte der chilenische UN-Botschafter mit, dass Montez gegen elf politische Häftlinge in der DDR ausgetauscht wurde und das Land verlassen durfte.527 Allerdings hatte, wie sich später herausstellte, nicht der Generalsekretär diesen Deal eingefädelt, sondern der westdeutsche Politiker Herbert Wehner.528 521 UNARM : S-0913-024-02, Human Rights Division 1974–1979, Telegramm von Waldheim an Augusto Pinochet vom 02.08.1974; ebd., S-0904-008-07, Minutes of  a Meeting between the Secretary-General and the Ambassador of Chile H. E.  Mr. Huerta (10.10.1975), Aufzeichnung vom 17.10.1975. 522 Ebd., Brief des bulgarischen UN -Botschafters an den Generalsekretär vom 28.10.1975; sowie ebd. Notiz für den Generalsekretär vom 28.10.1975. 523 Ebd., S-0904-8-7, Minutes of a Meeting between the Secretary-General and the Ambassador of Chile H. E. Mr. Huerta, 17.10.1975. 524 Ebd., Minutes of a Meeting between the Secretary-General and the Ambassador of Chile H. E. Mr. Huerta, 17.10.1975. 525 Ebd., Note for the File 27.03.1976 (2x). 526 Vgl. ebd., Brief des tschechischen UN -Botschafters an Waldheim vom 28.05.1976; mit ORUN: A/31/99, Brief des tschechischen UN -Botschafters an Waldheim vom 28.05.1976. 527 UNARM : S-0904-8-7, Brief des chilenischen UN -Botschafters an den Vorsitzenden der Arbeitsgruppe vom 04.07.1977. 528 Art.: Wehners Draht, in: Der Spiegel, 77/1977.

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Am 16. November 1976 verkündete die chilenische Regierung schließlich die Freilassung aller politischen Häftlinge in Chile.529 Auch in den Fall Corvaláns kam daraufhin Bewegung, der als Anführer der kommunistischen Partei Chiles einer der prominentesten Häftlinge war. Nachdem die bisherigen Bemühungen keinen Erfolg erbracht hatten, wandte sich die Sowjetunion schließlich an die USA . Unter der Vermittlung von US -Diplomaten gelang es, eine Einigung auszuhandeln, bei der Corvalán gegen den bekannten russischen Dissidenten Bukowski ausgetauscht wurde.530 Obwohl Waldheim in den Fällen Montez und Corvaláns keinen Erfolg hatte, verdeutlichen sie, warum die guten Dienste des Generalsekretärs auf so breite Akzeptanz in den UN stießen. Alle Mitglieder konnten in eine Situation geraten, in der sie auf die guten Dienste angewiesen waren. Die Bereitschaft, zur kooperieren war deswegen groß. Allerdings gerieten die guten Dienste des Generalsekretärs im Fall Chile erstmals in Konflikt mit den regulären Verfahren zum Schutz der Menschenrechte. 1975 beschloss die Menschenrechtskommission, in einem Präzedenzfall eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe einzurichten, um Menschenrechtsverletzungen in Chile zu untersuchen. Die Arbeitsgruppe der Menschenrechtskommission ermittelte parallel zu den guten Diensten des Generalsekretärs, wodurch Waldheim in ein Dilemma geriet. Auf der einen Seite verpflichtete ihn das Mandat der Menschenrechtskommission, die Arbeitsgruppe bei ihren Ermittlungen zu unterstützen.531 Auf der anderen Seite war die Arbeitsgruppe politisch sehr umstritten und die Zusammenarbeit mit dieser gefährdete seine Stellung als Mediator in den fortlaufenden Verhandlungen mit der chilenischen Regierung. Als Kompromiss erklärte er sich bereit, sich mit den Mitgliedern der Gruppe zu treffen, sich deren Anliegen anzuhören und gegebenenfalls seinen Rat zu geben.532 Davon abgesehen legte er großen Wert darauf, sich nicht von der Arbeitsgruppe vereinnahmen zu lassen, weshalb er sich aus den Verhandlungen zwischen der Arbeitsgruppe und den chilenischen Behörden heraushielt.533 529 ORUN: A / C .3/31/11, Brief des chilenischen UN -Botschafters an die Vereinten Nationen z.Hd. des Generalsekretärs vom 16.11.1976. 530 Vgl. FRUS : 1969–1976, Vol. E 11 Part 2, Documents on South America, 1973–1976, Doc. 254, Memorandum from the Assistant Secretary of State for Inter-American Affairs to Acting Secretary of State 23.11.1976; Art.: Tausch in Zürich. Bukowski gegen Corvalán, in: Der Spiegel, 27.12.1976. 531 ORUN: E / C N .4/1179, Jahresbericht der 31. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1975. 532 Ebd., Memorandum von Schreiber an Ahmed 21.05.1976; Memorandum von Schreiber an Ahmed 19.05.1976; ebd., Memorandum (zur Vorbereitung eines Treffens mit der Arbeitsgruppe)  von Buffum an Waldheim vom 19.07.1977; für einen Überblick siehe ORUN: A/32/227, Bericht des Generalsekretärs über den Schutz der Menschenrechte in Chile vom 29.09.1977. 533 Laut der überlieferten Akten in New York erwähnt Waldheim die Arbeitsgruppe nur bei einem einzigen Treffen mit dem chilenischen UN -Botschafter und das sehr verhalten, siehe UNARM : SG Waldheim, S-904-8-7, Gesprächsprotokoll über ein Treffen zwischen dem Generalsekretär und dem chilenischen UN -Botschafter vom 14.09.1977.

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Am 4. Juli 1975, kurz bevor die Arbeitsgruppe nach Chile reisen sollte, informierte der chilenische Botschafter Waldheim, dass die chilenische Regierung ihre Einladung an die Ad-hoc-Arbeitsgruppe zurückziehe und sie diese nicht einreisen lassen werde.534 Er begründete diese Entscheidung damit, dass bereits verschiedene NGOs und Untersuchungsgruppen in Chile gewesen wären und deren Ergebnisse auf der Weltfrauenkonferenz in Mexico Stadt von den »Feinden Chiles« für eine Hetzkampagne gegen sein Land missbraucht hätten.535 Die Weigerung der chilenischen Regierung zwang die UN-Arbeitsgruppe dazu, ihre Untersuchungen außerhalb Chiles fortzusetzen und aus dem Ausland Beweise für Menschenrechtsverletzungen zusammenzutragen. Eine Praxis, die zwar unbefriedigend war, sich allerdings verstetigte und später auch in anderen Untersuchungen eingesetzt wurde, bei denen die betroffenen Staaten die Zusammenarbeit verweigerten.536 Bei einem Treffen mit dem chilenischen UN-Botschafter am 14. September 1977 sprach Waldheim die Situation vorsichtig an: »I hope that you be able to help solve the difficulty of that Group’s visit to your country.«537 Anders als noch im Juli 1975 begründete der chilenische Botschafter die ablehnende Haltung seiner Regierung nun damit, dass der Vorsitzende der Gruppe Ghulam Ali Allana sich damals öffentlich kritisch über Chile geäußert habe: Ambassador Diez Yes. The problem for us was actually created in June 1975, when we were prepared to receive the group. Two or three days before, Allana made  a derogatory statement about Chile which appeared in the Pakistani press and were reproduced in the Chilean press. Secretary General Was what he said very aggressive? Ambassador Diez Oh yes, very aggressive. He said he was going to Chile to verify assassinations […].538

Die chilenische Seite hielt den pakistanischen Vorsitzenden der Gruppe für befangen und lehnte die Ermittlungen ab. Waldheim musste sich deshalb von der Arbeitsgruppe distanzieren, obwohl diese zeitgleich immer wieder Zugriff auf die Informationen forderte, die Waldheim im Rahmen seiner guten Dienste von der chilenischen Regierung erhielt. Ende 1977 schickte Waldheim mit Zustimmung der chilenischen Behörden seinen Rechtsberater Eric Suy in das Land, um Informationen über ›ver534 Vgl. ebd., Aktennotiz vom 04.07.1975; und ebd., Telegramm New York (Henning) nach Lima (Allana) vom 05.07.1975. 535 Vgl. ebd., Aktennotiz vom 04.07.1975; ebd., weitergeleitetes Telegramm des chilenischen Botschafters an den Generalsekretär vom 07.07.1975. 536 Ebd., S-0904-8-7, Memorandum von Schreiber an Ahmed vom 19.05.1976 und vom 21.05.1976. 537 Ebd., Gesprächsprotokoll über ein Treffen zwischen dem Generalsekretär und dem chilenischen UN -Botschafter vom 14.09.1977. 538 Ebd. Gesprächsprotokoll über ein Treffen zwischen dem chilenischen UN -Botschafter Sergio Diez und Kurt Waldheim am 14.09.1977.

Die guten Dienste Kurt Waldheims 

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schwundene‹ Personen zu recherchieren.539 Das weckte Begehrlichkeiten bei der Arbeitsgruppe. Obwohl Suy wenig später mit leeren Händen aus Chile zurückkehrte, empfahl er dem Generalsekretär, die Arbeitsgruppe nicht zu informieren. Stattdessen sollte er diese nur allgemein über seine Aktivitäten in Kenntnis setzen, ohne auf Inhaltliches einzugehen. Er bemerkte dazu: By keeping the group informed of your good offices activity […], you maintain the separation of your own action from the work and the larger mandate of the working group. By encouraging the group to continue its efforts on the whole area of the ›disappeared‹ and its broader work on human rights in Chile, you demonstrate your continuing support for the working group, and its mandate.540

Waldheim war zu einem Spagat gezwungen. Er musste dem Mandat der Menschenrechtskommission Folge leisten und die Arbeitsgruppe unterstützen und gleichzeitig wollte er seine eigenen diplomatischen Bemühungen nicht gefährden. Dazu versuchte er seine guten Dienste von den Untersuchungen der Arbeitsgruppe abzugrenzen und zugleich die nötige Unterstützung für diese zum Ausdruck zu bringen, wie es von ihm erwartet wurde. Dieses Beispiel zeigt, wie die guten Dienste mit den parallel laufenden Verfahren des CBM in Konflikt geraten konnten. Trotz dieser Konflikte institutionalisierte Waldheim die guten Dienste in den 1970er-Jahren neben dem TBM und CBM als dritte Ebene des UN-Menschenrechtsschutzes. Am Ende des Jahrzehnts wurden diese schließlich auch schriftlich kodifiziert. 1978 forderten westliche Staaten in der Menschenrechtskommission die Rolle des UN-Generalsekretärs und seine guten Dienste auszubauen und zu stärken.541 Im darauffolgenden Jahr stellten sie den Entwurf für eine Resolution mit dem Titel: »Good Offices role of the Secretary General in the field of human rights« vor, welche 1980 im Konsens angenommen wurde.542 Obwohl die Generalversammlung später die Zustimmung verweigerte, war die Resolution der Menschenrechtskommission von 1980 ein Beleg dafür, dass die guten Dienste Ende der 1970er-Jahre als Instrument zum Schutz der Menschenrechte anerkannt wurden.543 Während Waldheims Amtszeit stieg die Zahl der Individualbeschwerden und damit auch der Einsatz seiner guten Dienste zum Schutz der Menschenrechte zudem stark an. Der Bedeutungsgewinn der Menschenrechte in den 539 Ramcharan: Humanitarian, S. 89 f. 540 UNARM : SG Waldheim, S-0904-8-7, Memorandum – Follow up Action to ECLA Strike von Buffum und Suy an Waldheim vom 19.11.1977. 541 ORUN: E / C N .4/1292: Jahresbericht der 34. Sitzung der Menschenrechtskommission des Jahres 1978, S. 40 u. 42; ebd., E / C N .4/1347: Jahresbericht der 35. Sitzung der Menschenrechtskommission des Jahres 1979, S. 4 u. 51. 542 Ebd., E / C N .4/1408, Jahresbericht der 36. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1980, Resolution 27 (XXXVI). 543 Vgl. ebd., A / C .3/35/L.78, kanadischer Resolutionsentwurf; Ramcharan: Humanitarian, S. 35–52.

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Die Institutionalisierung des Menschenrechtsschutzes

1970er-Jahre führte dazu, dass sich noch mehr Menschen an die Vereinten Nationen wandten und diese um Hilfe baten. Chile, die DDR , die Sowjetunion und Uganda wurden zu Brennpunkten der guten Dienste des Generalsekretärs. Staaten, NGOs und Privatpersonen hatten dabei ein gemeinsames Interesse daran, die Konflikte zwischen Individuen und Regierungen im Verborgenen zu lösen. Für Waldheim boten die guten Dienste hingegen die Möglichkeit, die Kompetenzen des Generalsekretärs zu erweitern und aktiv in das internationale Geschehen einzugreifen. Der Österreicher institutionalisierte die guten Dienste und machte sie zu einem wichtigen und anerkannten Bestandteil der Arbeit der Generalsekretäre sowie zu einem legitimen Verfahren des UN-Menschenrechtsschutzes.

4. Menschenrechtsschutz im ›Zweiten Kalten Krieg‹ – Konfrontation und Konkurrenz

Der Kalte Krieg verschärfte sich zu Beginn der 1980er-Jahre, wodurch sich auch die Konkurrenz um Menschenrechte erneut veränderte. Der sowjetische Einmarsch in Afghanistan im Dezember 1979 belastete die Beziehungen zwischen den sozialistischen und den Bündnisfreien Staaten.1 Vor allem muslimische Länder stellten sich gegen die Sowjetunion, wodurch sich das Kräfteverhältnis in der Konkurrenz um Menschenrechte verschob und die sozialistischen Staaten zum ersten mal selbst ins Visier des UN-Menschenrechtsschutzes gerieten. Mit dem Amtsantritt Ronald Reagans spitzte sich der Konflikt noch weiter zu. Im Rahmen seiner neuen ›neokonservativen‹ Menschenrechtspolitik instrumentalisierte die US -Regierung die Menschenrechte noch stärker in den UN.2 Das führte zu Meinungsverschiedenheiten mit den westeuropäischen Verbündeten und belastete die Beziehungen der USA zum UN-Sekretariat. Vor allem aber veränderte sich dadurch die Konkurrenz um Menschenrechte. Die Gleichzeitigkeit von Konfrontation und Konkurrenz prägte die Entwicklung des UN-Menschenrechtsschutzes in dieser heiklen Phase des Kalten Krieges. Dabei spielten einzelne Akteure innerhalb und außerhalb der UN sowie das Engagement einzelner westlicher und Bündnisfreier Staaten eine wichtige Rolle dabei, dass der UN-Menschenrechtsschutz gestärkt aus dieser Zeit hervorging und die Menschenrechtskommission in Genf zu einem wichtigen Forum des internationalen Menschenrechtsschutzes und transnationalen Menschenrechtsaktivismus wurde.

4.1 Die Wende in der Konkurrenz um Menschenrechte Das Verhältnis zwischen Ost und West verschlechterte sich nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan und aus Sicht der Zeitgenossen begann ein ›Zweiter Kalter Krieg‹. Dabei wirkte sich die sowjetische Militärintervention nicht nur negativ auf die Ost-West-Beziehungen aus, sondern belastete auch die Beziehungen zwischen den sozialistischen und Bündnisfreien Staaten. Vor allem 1 Allgemein zur sowjetischen Intervention in Afghanistan und deren Folgen für den Kalten Krieg siehe Westad: Global, S. 288–330; sowie Agnes Bresselau von Bressensdorf: Die unterschätzte Herausforderung. Afghanistan 1979, das Krisenmanagement der NATO -Staaten und der Islam als Faktor der internationalen Beziehungen, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 64/4 (2016), S. 665–699. 2 Zu Reagans Menschenrechtspolitik siehe Renouard: Human Rights, S. 167–207; Eckel: Ambivalenz, S. 540–582.

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Menschenrechtsschutz im ›Zweiten Kalten Krieg‹

muslimische Länder stellten sich plötzlich der Sowjetunion entgegen, wodurch sich Anfang der 1980er-Jahre das Blatt in der Konkurrenz um Menschenrechte in den UN wendete.3 Die US -Administration rechnete Ende 1979 mit einem Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan. Dennoch zeigte sie sich überrascht und Präsident Carter reagierte mit harten und einschneidenden Maßnahmen, wodurch sich der Konflikt mit der Sowjetunion verschärfte.4 Während die westeuropäischen Staaten unentschlossen reagierten, verhängte der US -Präsident Wirtschaftssanktionen gegen die Sowjetunion. Darüber hinaus plante man im Weißen Haus, die für 1980 angesetzten Olympischen Sommerspiele in Moskau zu boykottieren: »[…] such a boycott would humiliate the leadership and deprive the USSR of prestige and propaganda opportunities it clearly hopes to extract from well run, noncontroversial Olympics.«5 Darüber hinaus weigerte sich der US -Senat, das 1979 ausgehandelte Salt-II-Abkommen zu ratifizieren, was einen Rückschlag für die Abrüstungsverhandlungen der 1970er-Jahre bedeutete.6 Neben diesen bilateralen Maßnahmen nutzten die USA aber auch multilaterale Foren wie die KSZE -Folgekonferenz in Madrid, um den politischen Druck auf die Sowjetunion zu erhöhen. Die UN spielten dabei zu Beginn nur eine unbedeutende Nebenrolle. So ließen die USA Anfang Januar 1980 den UN-Sicherheitsrat zusammentreten, um die sowjetische Invasion in Afghanistan zu verurteilen. Wie man im State Department erwartete, verhinderte die Sowjetunion die Annahme einer Resolution mit ihrem Veto. Allerdings gelang es den westlichen Staaten, eine Sondersitzung der Generalversammlung durchzusetzen.7 Dabei zeigte sich, dass »der Preis, den die Sowjetunion für die uneingeschränkte Herrschaft in Afghanistan zahlt, eine Schädigung ihres Ansehens bei den Ungebundenen und insbesondere islamischen Staaten ist.«8 Auf der Sondersitzung in New York brachte die Mehrheit der UN-Mitglieder am 14. Januar ihre »Sorge« über die sowjetische Militäraktion in Afghanistan zum Ausdruck und forderte den sofortigen Abzug aller »ausländischen Truppen«9. Damit wurde die Sowjetunion erstmals seit den 1950er-Jahre in der Generalversammlung wieder isoliert und für ihre Politik von einer Mehrheit der UN-Mitglieder öffentlich verurteilt. 3 Vgl. FRUS : 1977–1980, Vol. VI , Soviet Union, Doc. 250, Overview of an Intelligence Assessment Prepared in the Central Intelligence Agency, Washington, January 1980; PA AA : AA , ZA B30, 134884, Lage in Afghanistan und Auswirkungen der sowjetischen Intervention in der Region, Sachstand vom 22.01.1980. 4 Westad: Kalter Krieg, S. 551 f. 5 FRUS : 1977–1980, Vol. VI , Soviet Union, Doc. 250, Overview of an Intelligence Assessment Prepared in the Central Intelligence Agency, Washington, January 1980. 6 Allgemein zu den SALT Verhandlungen in den 1970er-Jahren siehe Schors: Doppelter Boden, S. 468–476. 7 ORUN: SC Resolution 462 (1980), Resolution des Sicherheitsrates vom 09.01.1980. 8 PA AA : ZA B30, 134884, Lage in Afghanistan und Auswirkungen der Sowjetischen Intervention in der Region, Sachstand vom 22.01.1980. 9 ORUN : GA ES -6/2, Resolution der 6. Sondersitzung der Generalversammlung vom 14.01.1980.

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Islamische Staaten waren dabei die treibende Kraft. Auf dem Treffen der »Organisation für Islamische Zusammenarbeit« Mitte Januar in Islamabad verurteilten die Teilnehmer die sowjetische Intervention aufs schärfste. Anders als in der Generalversammlung brachten die Mitglieder nicht bloß ihre »Sorge« zum Ausdruck, sondern stuften die Militäroperationen explizit als Menschenrechtsverletzung ein.10 Zudem kritisierten sie die »armed aggressions against the Democratic Republic of Somalia« und »denounce the presence of military forces of the Soviet Union and some of its allies in the Horn of Africa.«11 Diese harschen Worte, mit denen die Politik des sozialistischen Lagers angegriffen wurde, waren außergewöhnlich. Pakistan spielte eine besondere Rolle in diesem Konflikt. Das Land hatte Millionen Flüchtlinge aus Afghanistan aufgenommen und war selbst tief in dem Krieg im Nachbarland verstrickt.12 Die Regierung in Islamabad unterhielt ein gutes Verhältnis zu den USA , während der Erzrivale Indien freundschaftliche Beziehungen zur Sowjetunion pflegte. Pakistan nutzte seine Stellung innerhalb der Gruppe der islamischen Staaten sowie innerhalb der Gruppe der Bündnisfreien, um diese gegen die Sowjetunion zu vereinen und sich die Unterstützung der USA zu sichern. Damit fungierte Pakistan nicht nur als Bindeglied zwischen dem westlichen und dem muslimischen Lager in den UN, das Land war ein wichtiger Agitator in der UN-Kampagne gegen die sowjetische Besetzung Afghanistans und nutzte die UN, um den Konflikt zu internationalisieren und die eigene Stellung in der Region gegenüber Indien abzusichern.13 Für die sozialistischen Staaten kam dieser Stimmungswandel völlig unerwartet. Bei einem Treffen zwischen den stellvertretenden Außenministern der DDR und der CSSR Ende Januar 1980 waren sich beide einig, dass die 34. Generalversammlung die »komplizierteste« aller bisherigen gewesen sei. Zum einen, weil die »Attacken der entspannungsfeindlichen Kräfte« deutlich zugenommen hätten.14 Zum anderen, weil die sozialistischen Länder plötzlich bei Themen isoliert wurden, bei denen sie sonst auf breite Unterstützung zählen konnten: Bei der Abstimmung über die Vertretung der VR Kampuchea in der UNO rechnete die CSSR mit einer deutlicheren Haltung der Entwicklungsländer für den Revolutionären Volksrat. […] Das klassenindifferente Vorgehen der Entwicklungsländer vom NordSüd-Standpunkt zur Umgestaltung der Wirtschaftsbeziehungen wird sich fortsetzen. 10 PA AA : ZA B30, 134884, Resolution on the Soviet Military Intervention in Afghanistan and on its Enduring Effects o. D. 11 Ebd., Resolution on Foreign Military Intervention in the Horn of Africa o. D. 12 Agnes Bresselau von Bressensdorf (Hg.): Über Grenzen, Migration und Flucht in globaler Perspektive seit 1945, Göttingen 2019, S. 13. 13 Amin Saikal: Islamism, the Iranian Revolution, and the Soviet Invasion of Afghanistan, in: Melvyn P. Leffler / Odd Arne Westad (Hg.): The Cambridge History of the Cold War. Endings, Bd. 3, Cambridge 2010, S. 112–134. 14 PA AA : MfAA , ZR 1855/83, Konsultation des Stellvertreters des Ministers, Genosse Neugebauer, mit dem Stellvertreter des Außenministers der CSSR , Genossen Vejvoda, 30.01–01.02.1980.

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Menschenrechtsschutz im ›Zweiten Kalten Krieg‹

Ebenso das Bestreben, die UNO ausschließlich auf ihre Interessen auszurichten. Kuba war als Vorsitzender der Nichtpaktgebundenen in einer schwierigen Lage. Die kubanische Delegation hat das unter diesen Bedingungen Mögliche zur Unterstützung der sozialistischen Staaten getan. Im wirtschaftspolitischen Bereich werden allerdings zunehmende Divergenzen deutlich.15

Auch beim Thema Abrüstung und dem »Recht auf Frieden« zeigte sich eine »überraschend restriktive Haltung vieler Entwicklungsländer.«16 Der Krieg in Afghanistan drehte die Mehrheitsverhältnisse um. Seit den 1960er-Jahren positionierten sich die sozialistischen Staaten aufseiten der Bündnisfreien Länder, um immer aufseiten der Mehrheit zu stehen, nun wurden sie plötzlich zur Minderheit und in immer mehr Themengebieten isoliert. Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung auf der Sitzung der UN-Menschenrechtskommission im Februar und März 1980. Pakistan reichte dort einen Resolutionsentwurf ein, mit dem die sowjetische Intervention als Verstoß gegen das Recht auf Selbstbestimmung des afghanischen Volkes verurteilt werden sollte. Diese Resolution hatte hohen symbolischen Wert. Das Recht auf Selbstbestimmung war das erste Menschenrecht in beiden Menschenrechtspakten und war eng mit dem antikolonialen Kampf der afroasiatischen Staaten für ihre Unabhängigkeit verbunden, welche die Sowjetunion laut der eigenen Darstellung immer unterstützte. Seit Lenin präsentierte sich das Land als Anwalt der vom Kolonialismus unterdrückten Völker in Afrika, Asien und im Nahen und Mittleren Osten.17 Die pakistanische Resolution wandte somit einen ›Kampfbegriff‹ der sozialistischen Propaganda gegen die Sowjetunion.18 Die muslimischen Verbündeten der Sowjetunion, Algerien, Libyen, Syrien und der Irak kündigten daraufhin Widerstand an und begannen mit dem Entwurf einer Gegenresolution. Der pakistanische Entwurf war äußerst scharf formuliert und forderte zudem einen Boykott der Olympischen Sommerspiele in Moskau sowie die diplomatische Isolation der neuen afghanischen Regierung. Letzteres ging selbst den USA zu weit. Sie rügten intern das ungestüme und eigenmächtige Vorgehen Pakistans und forderten die Streichung des letzten Punktes. Während Pakistans Resolution insgesamt auf breite Zustimmung stieß, taten sich die westlichen Staaten schwer, ihre Initiativen durchzusetzen. Großbritannien wollte neben Afghanistan den Fall Andrei Sacharows ansprechen, wobei innenpolitische und bündnispolitische Faktoren ausschlagegebend waren.19 Der 15 Ebd. 16 Ebd. 17 Siehe dazu Fisch: Selbstbestimmung, S. 148–150. 18 Zur Debatte über die Resolution siehe PA AA : ZA B30, 134884, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 06.02.1980; sowie ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 08.02.1980. 19 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 14.02.1980.

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sowjetische Physiker, Menschenrechtler, Dissident und Friedensnobelpreisträger wurde im Januar 1980 verhaftet, nachdem er öffentlich den Einmarsch in Afghanistan kritisiert hatte.20 In Großbritannien bekleidete seit Mai 1979 die konservative Politikerin Margaret Thatcher das Amt der Premierministerin und vertrat einen strengen antikommunistischen Kurs. Da Großbritannien aber aufgrund der prekären Wirtschaftslage vor Wirtschaftssanktionen gegen die Sowjetunion, wie die USA sie forderten, zurückschreckte, nutzte es den Fall Sacharow zur Kompensation.21 Zudem forderte Großbritannien weiterhin eine Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen in Kambodscha. Der britische Vorstoß ging nach hinten los und provozierte nicht nur die sozialistischen Staaten, sondern vor allem die Bündnisfreien. Selbst prowestliche Länder wie Senegal lehnten es ab, Einzelfälle wie den Sacharows, von der Kommission untersuchen zu lassen. Als die Sowjetunion mit einer Resolution über britische Menschenrechtsverletzungen in Nordirland konterte, einigten sich beide Seiten darauf, ihre Resolutionen wieder zurückzuziehen. Der britische Vorstoß missfiel den meisten Mitgliedern und zeigte, wie heikel das Thema Menschenrechtsschutz nach wie vor war. Während kollektive Menschenrechtsverletzungen mittlerweile öffentlich in der Menschenrechtskommission verhandelt werden konnten, galten Einzelfälle weiterhin als innere Angelegenheit des betroffenen Staates.22 Im Fall Kambodschas hatte Großbritannien hingegen mehr Erfolg. Dabei versuchte die Sowjetunion der westlichen Initiative diesmal den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie selbst eine Resolution einreichte, in der sie die Menschenrechtsverletzungen des Pol-Pot-Regimes verurteilte. Pakistan hebelte diese jedoch mit einem Verfahrensantrag aus und die westliche Resolution wurde mit 20 Stimmen, bei 9 Gegenstimmen und 6 Enthaltungen angenommen. Darin wurde die Invasion und Besetzung Kambodschas durch »ausländische Truppen« verurteilt und die Menschenrechtslage sollte weiterhin beobachtet werden, wodurch das Thema auf der Agenda blieb.23 Zum Showdown kam es schließlich in der Debatte über das Selbstbestimmungsrecht der Völker, in der die pakistanische Resolution über Afghanistan verhandelt wurde. Erstmals seit den 1960er-Jahren standen die sozialistischen Staaten einer geschlossenen Front aus Bündnisfreien und westlichen Ländern gegenüber und wurden in einem Themenbereich vorgeführt, in dem sie bisher 20 Zu den Protesten der Dissidenten in der Sowjetunion siehe Peterson: Globalizing, S. 93– 105; sowie Warwa: »Schandfleck«, S. 63–73. 21 Daniel James Lahey: The Thatcher Government’s Response to the Soviet Invasion of Afghanistan, 1979–1980, in: Cold War History 13/1 (2013), S. 21–42; Michael J. Turner: Britain’s international Role, 1970–1991, Basingstoke / New York 2010, S. 64–107. 22 Vgl. PA AA : MfAA , ZR 205/92, 36. Tagung der Menschenrechtskommission: Bericht zum TOP 12, Genf den 14.03.1980; ORUN: E / C N .4/1408, Jahresbericht der 36. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1980, S. 71. 23 ORUN: Resolution 29 (XXXVI), in: E / C N .4/1408, Jahresbericht der 36. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1980, S. 190 f.

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die Deutungshoheit besaßen. Die Sitzung der Menschenrechtskommission im Februar und März 1980 zeigt damit, wie sich das Kräfteverhältnis Anfang der 1980er-Jahre veränderte. Bei den Themen Afghanistan und Kambodscha stellten sich Bündnisfreie und westliche Staaten gemeinsam gegen das sozialistische Lager und dessen Verbündete. Das bedeutete aber nicht, dass der ›Westen‹ dadurch eine »automatische Mehrheit«24 erhielt, wie das Beispiel Sacharow gezeigt hat. Die Bündnisfreien folgten weiterhin ihrer eigenen Agenda. Im MfAA verhinderte die marxistische Ideologie hingegen eine realistische Einschätzung der Lage. Die sozialistischen Diplomaten erkannten nicht, dass die Blockfreien die treibende Kraft hinter dieser Initiative waren und suchten stattdessen die Schuldigen in Washington: Die von den USA gesteuerte maßlose Hetze und Verleumdung gegen die Ud SSR um Afghanistan bildete dann auch weitgehend den Schwerpunkt der Debatte […]. Dabei hielten sich die USA und die anderen imperialistischen Staaten zunächst im Hintergrund und ließen vielmehr solche reaktionären EL25, wie Pakistan, Somalia, Ägypten und Uruguay auftreten. Mit besonderen scharfen Verleumdungen sind bereits zu Beginn der Diskussion auch China und der Vertreter der Pol-Pot-Clique (im letzteren Falle verließen die sozialistischen Staaten den Konferenzraum) aufgetreten. Erst später, teilweise erst im Abstimmungsverfahren zu der entsprechenden Resolution, meldeten sich die USA , Großbritannien, Kanada, Australien, Dänemark, die BRD u. a. zu Wort. Mit direkten Beiträgen an der antisowjetischen Hetze beteiligten sich ferner die Philippinen, Kuweit, Kolumbien, der Sudan, Senegal und Nigeria. Auch der Vertreter des Iran sprach sich gegen die sowjetische Hilfsaktion aus […].26

Besonders deutlich wurde diese Fehleinschätzung bei der Interpretation des Abstimmungsergebnisses über die Resolution, die von Pakistan, den Philippinen, Marokko, dem Iran, Costa Rica, Malaysia, Oman, Katar, Saudi-Arabien, Somalia, Sudan und Tunesien eingebracht und mit 27 zu 9 Stimmen bei 6 Enthaltungen angenommen wurde: Das Abstimmungsergebnis ist die Folge einer beispiellosen von den USA und anderen imperialistischen Staaten inszenierten Demagogie und Hetze gegen die Sowjetunion. Es zeigt die Absicht der imperialistischen Staaten, die bei zahlreichen EL zweifellos vorhandenen regionalen und religiösen Bindungen und Vorurteile zu nutzen, um das Bündnis dieser Länder mit den sozialistischen Staaten auf lange Sicht zu stören.27 24 Als »automatische Mehrheit« bezeichneten westliche Diplomaten bei den UN das Stimmverhalten der Bündnisfreien Mitglieder und suggerierten damit, dass diese immer gleich (aufseiten der sozialistischen Staaten) abstimmen würden. Dabei war den Diplomaten durchaus bewusst, dass diese Verallgemeinerung falsch war und es keine »automatische Mehrheit« gab, wie sie selbst immer wieder feststellten. Siehe dazu PA AA : ZA B30, 142160, Abstimmungsverhalten während der 39. GV aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland vom 08.05.1985. 25 »EL « ist eine Abkürzung für ›Entwicklungsländer‹. 26 PA AA : MfAA , ZR 205/92, 36. Tagung der Menschenrechtskommission: Bericht zum TOP  9 o. D. 27 Ebd.

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Es war für die Diplomaten schlichtweg undenkbar, dass sich die Bündnisfreien Länder selbstständig und aus eigenem Antrieb gegen sie wandten. Schließlich war es nach den marxistischen Lehren eine historische Gesetzmäßigkeit, dass alle »unterdrückten Völker« von sich aus dem Kommunismus entgegenstrebten. Dass die Bündnisfreien aus freiem Willen gegen die Interessen der Sowjetunion handelten, wollten sie nicht glauben. Stattdessen vermuteten sie eine gezielte Manipulation durch die USA . Diese Fehlinterpretation setzte sich auch in anderen Analysen fort: »Die erfolgreiche Politik der UdSSR und der anderen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft bei der Durchsetzung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz hat zugleich zu einer Verschärfung des ideologischen Kampfes zwischen Sozialismus und Kapitalismus geführt.«28 Dabei »werde gegen die sozialistischen Staaten [eine] politische und propagandistische Kampagne im Geiste des kalten Krieges geführt«, in dem die Menschenrechtsfragen zu einem Schwerpunkt geworden seien.29 Dabei deutete man die Verschärfung der Lage als Gegenreaktion auf den eigenen Erfolg: Angesichts der weiteren Entwicklung des internationalen Kräfteverhältnisses zugunsten des Sozialismus und anderer Kräfte des Friedens und sozialen Fortschritts ist auch in den kommenden Jahren mit einer Fortsetzung und sogar einer Verschärfung der Hetz- und Verleumdungskampagne des Imperialismus gegen die Politik der sozialistischen und anderen progressiven Staaten zu rechnen.30

Im Ministerium beharrte man auf der ideologisch geprägten Interpretation, wonach der Sieg des Sozialismus historisch unaufhaltsam sei und das »kapitalistische System« kurz vor dem Zusammenbruch stehen müsste. Die Menschenrechtspolitik der westlichen Mitglieder, im Rahmen dessen nun auch die Bündnisfreien Länder manipuliert und instrumentalisiert wurden, war demnach lediglich das letzte Aufbäumen des Kapitalismus vor dessen Untergang. Trotz dieser durch die eigene Propaganda verzerrten Wahrnehmung der Ereignisse von 1980 zog das Ministerium daraus aber die richtigen Schlüsse, nämlich, dass die Bedeutung von Menschenrechtsfragen in Zukunft zunehmen würde und dass sich die sozialistischen Staaten auf noch mehr internationale Kritik einstellen müssten.31 Um dem entgegenzuwirken, entwickelten die Mitarbeiter im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten eine neue Strategie, mit der der Fokus der Menschenrechtsdebatten auf die Themen wirtschaftliche und soziale Rechte, Neofaschismus, die Diskriminierung von Frauen und die Lage von Ureinwohnern gelenkt werden sollte. Zudem wollte man eine Reihe von Konventionen, 28 PA AA : MfAA , ZR 437/92, Konzeption zum weiteren Vorgehen der DDR zusammen mit anderen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Menschenrechte im UN -System, Berlin, den 25.07.1980. 29 Ebd. 30 Ebd., S. 2. 31 Ebd.

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Menschenrechtsschutz im ›Zweiten Kalten Krieg‹

Deklarationen und Sonderstudien in die Wege leiten, in denen die Zusammenhänge zwischen einem Recht auf Frieden, Abrüstung und der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der ›Dritten Welt‹ herausgestellt wurden.32 Dabei ging es primär darum: »[…] langfristiger und differenzierter einzelne Initiativen mit Entwicklungsländern abzustimmen, gemeinsame Aktivitäten zu entwickeln sowie ihnen im jeweils konkreten Fall die Gefährlichkeit imperialistischer Bestrebungen zu Menschenrechtsfragen zu verdeutlichen.«33 Die sozialistischen Staaten wollten wieder mehr Einfluss in den Reihen der Bündnisfreien gewinnen. Darüber hinaus sollte die UN-Menschenrechtskommission mit einer Fülle von Studien, Seminaren und Konventionen überschwemmt werden, sodass für den Menschenrechtsschutz weder Zeit noch Ressourcen übrigblieben. Zudem wollte man die Verfahren nach ECOSOC -Resolution 1235 und 1503, im Rahmen derer auch die Fälle Afghanistan und Kambodscha verhandelt wurden, abschaffen, damit sich Sitzungen wie die des Jahres 1980 nicht wiederholten Als Ersatz sollte stattdessen der UN-Menschenrechtsausschuss dienen, da von diesem aus Sicht des MfAA keine Gefahr ausging.34 Diese neue Strategie erlebte ihre erste Bewährungsprobe wenig später auf der Generalversammlung Ende 1980. Während die KSZE -Folgekonferenz von Madrid aufgrund der Eskalation zwischen Ost und West verschoben wurde, trafen Ost und West in New York aufeinander. Während sich die Vertreter aus beiden Lagern heftige Auseinandersetzungen lieferten, zeigte sich, dass sich die meisten Bündnisfreien Mitglieder nicht in den Konflikt hineinziehen lassen wollten und weiterhin eigenständige Positionen vertraten. So unterstützten sie zwar die Forderungen des sozialistischen Lagers, das Ost und West zur Entspannungspolitik zurückzukehren sollten, zugleich scheuten sie aber nicht, die sozialistischen Staaten bei den Themen Afghanistan und Kambodscha anzuklagen. Lediglich die »Staaten mit sozialistischen Entwicklungen und progressive Länder« unterstützten das sozialistische Lager.35 Bei den anderen zeigte sich hingegen ein komplexeres Bild: »Entsprechend der These vom ›gleichen Abstand zu den Blöcken‹ hielten sie sich bei Initiativen der sozialistischen Staaten zurück. Wandten sich aber auch gegen antisozialistische Vorstöße von imperialistischer Seite.«36 Dennoch sah sich das MfAA in seiner Ansicht bestätigt, dass die Mehrzahl der Bündnisfreien grundsätzlich immer noch auf ihrer Seite standen: 32 PA AA : MfAA , ZR 437/92, Konzeption zum weiteren Vorgehen der DDR zusammen mit anderen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Menschenrechte im UN -System, Berlin, den 25.07.1980; sowie ebd., aus der Konzeption abgeleiteter Ein­ zelvorschläge für Initiativen der sozialistischen Staaten auf dem Gebiet der Menschenrechte. 33 Ebd., Konzeption zum weiteren Vorgehen der DDR zusammen mit anderen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Menschenrechte im UN -System, Berlin, den 25.07.1980, S. 2. 34 Vgl. ebd.; sowie ebd., aus der Konzeption abgeleiteter Einzelvorschläge für Initiativen der sozialistischen Staaten auf dem Gebiet der Menschenrechte. 35 Ebd., ZR3033/93, Einschätzung der Ergebnisse der 35. Tagung o. D., S. 3. 36 Ebd.

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Entscheidend für ihr Auftreten war jedoch das gemeinsame Interesse der nichtpaktgebundenen und sozialistischen Staaten, den Prozeß der Entspannung fortzusetzen. Da auch in den Sachfragen weitgehende Ähnlichkeit bestand, wirkte sich ihr Auftreten letztlich insgesamt zugunsten der sozialistischen Staaten aus.37

Als Erfolge verbuchte man auch die neuen Themen »Kampf gegen Neofaschismus«, die »Deklaration über die Rolle der Frau im Kampf für den Frieden« und die »Konvention über die Bestrafung von Apartheidverbrechen«, bei denen die sozialistischen Länder Zustimmung erhielten.38 Lediglich im Fall Afghanistans räumten die Diplomaten ein, dass es »nicht übersehen werden [konnte], daß die meisten nichtpaktgebundenen Staaten nach wie vor die internationalistische Hilfe der UdSSR gegenüber Afghanistan als eine der Quellen für die Verschärfung der internationalen Lage betrachten.«39 Die Risse zwischen den sozialistischen und den Blockfreien Staaten, die sich seit Ende der 1970er-Jahre gebildet hatten, brachen durch den Krieg in Afghanistan weiter auf. Im MfAA erkannte man jedoch nicht, dass sich das sozialistische Lager mit seinen zahlreichen Militärinterventionen zunehmend international isolierte und dass dies die sowjetische Position in der Organisation schwächte sowie die sozialistische Friedensrhetorik mit Widersprüchen konfrontierte. Während das sozialistische Lager in den UN isoliert wurde und unter Druck geriet, spitzte sich der Kalte Krieg außerhalb der Vereinten Nationen weiter zu. Ende März 1980 riefen die USA zum Boykott der Olympischen Sommerspiele in Moskau auf. Neben den meisten westlichen Ländern schlossen sich dem auch 36 muslimische Staaten an. Insgesamt nahmen 65 Nationen nicht an der Olympiade teil. Die politischen und ökonomischen Folgen des Boykotts sind bis heute umstritten, die symbolische Wirkung war allerdings groß.40 Die Sowjetunion versuchte dennoch die Spiele zu nutzen, um sich selbst zu inszenieren und die Überlegenheit des Sozialismus zu demonstrieren. Zeitgleich kam es jedoch in Lublin in der Volksrepublik Polen zu einer Streikwelle, die sich in kurzer Zeit auch auf andere Städte im Land ausbreitete. Die Arbeiter forderten höhere Löhne und eine bessere Lebensmittelversorgung. Die wirtschaftliche Lage war aufgrund des Einmarschs in Afghanistan und der daraus folgenden Wirtschaftssanktionen angespannt. Hinzu kam, dass wegen der Olympischen Spiele viele Ressourcen nach Moskau umgeleitet worden waren.41 Noch vor 37 Ebd. 38 Ebd., S. 2 f. 39 Ebd. 40 Leffler: Soul, S. 335; Stöver: Kalter Krieg, S. 415. 41 DS -FOIA : Telegramm der US -Botschaft in Warschau an das Department of State in Washington vom 31.07.1980; ebd., Telegramm der US -Botschaft in Warschau an das De­ partment of State in Washington vom 11.07.1980; ebd. Telegramm der US -Botschaft in Warschau an das Department of State in Washington vom 18.07.1980: »Widespread Work stoppages […]«.

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dem Ende der Spiele schlossen sich die Arbeiter in Danzig zur Solidarność zusammen und gründeten damit die erste und einzige freie Gewerkschaft in Osteuropa. Bis Jahresende zählte sie über 9 Millionen Mitglieder und wurde zur stärksten politischen Opposition des Landes.42 Diese innenpolitische Krise und der außenpolitische Druck verstärkten die Bedrohungsperzeption der sowjetischen Führung und als Reagan 1981 das Präsidentenamt in den USA übernahm, wurde aus der Konkurrenz um Menschenrechte eine offene Konfrontation.43 Das wurde auch bei der nächsten Sitzung der Menschenrechtskommission im Februar und März 1981 deutlich, wie ostdeutsche Diplomaten bemerkten: Die 37. Tagung der Menschenrechtskommission stand unter dem Einfluss der verschärften internationalen Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus. Dabei kommt der von der neuen USA-Administration verkündeten Politik der Militarisierung und Konfrontation, der Festigung der Beziehungen zu den reaktionären Regimes in Asien, Afrika und Lateinamerika sowie des Kampfes gegen den ›internationalen Terrorismus‹ ein entscheidender Stellenwert zu.44

Die Kritik der Mitglieder der Kommission richtete sich nun direkt gegen die Sowjetunion, Vietnam, Kuba, die Tschechoslowakei und die DDR . Neben der Verfolgung politisch Andersdenkender wie den Mitgliedern der Charta 77 oder des Dissidenten Sacharow kritisierten die USA auch die Zwangsumsiedlung von größeren Personengruppen in Kuba. Die DDR musste 1981 sogar im Rahmen des 1503-Verfahrens zur Praxis der Zwangsausbürgerung Stellung nehmen, was von den ostdeutschen Diplomaten als gezielte Provokation der westlichen Staaten bewertet wurde. Schwerpunkte der Debatten bildeten aber erneut Afghanistan und Kambodscha. Dabei sei es dem Westen diesmal aus Sicht des MfAA sogar gelungen, einige der »progressiven Staaten« wie den Irak, Jugoslawien und Burundi auf seine Seite zu ziehen. Die Ausdifferenzierung der »Entwicklungsländer« setzte sich weiter fort und »eine Anzahl von ihnen […] [lasse] sich eindeutig für die Interessen der imperialistischen Staaten mißbrauchen.«45 Die sozialistischen Länder hielten hingegen an der 1980 ausgearbeiteten Strategie fest. Sie kritisierten die USA wegen der Missachtung der Menschenrechte amerikanischer Ureinwohner und warfen Großbritannien Menschenrechtsverletzungen in Nordirland vor. Darüber hinaus gelang es ihnen, die Lage in Südafrika, Israel, El Salvador, Chile, Bolivien und Guatemala verurteilen zu lassen und die USA wegen der politischen, militärischen und ökonomischen 42 Vgl. Robert Brier: The Helsinki Final Act, the Second Stage of Ostpolitik, and Human Rights in Eastern Europe. The Case of Poland, in: Rasmus Mariager / Karl Molin / Kjersti Brathagen (Hg.): Human Rights in Europe During the Cold War, London / New York 2014, S. 87–106; Norman Davies: Im Herzen Europas. Geschichte Polens, 4. Aufl., München 2006, S. 419–434. 43 Siehe dazu Kap. 4.2. 44 PA AA : MfAA , ZR 206.92, Bericht über Verlauf und Ergebnisse der 37. Tagung der Menschenrechtskommission vom 03.02.–13.03.1981, Berlin, den 25.03.1981, S. 2–8. 45 Ebd.

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Kooperation mit diesen Staaten vorzuführen. Auch das Thema ›Neofaschismus‹ wurde in verschiedenen Debatten eingebracht und im nächsten Jahr sollte eine Deklaration dazu von der Kommission ausgearbeitet werden. Die Debatte über »wissenschaftlich-technischen Fortschritt im Interesse des Friedens« mit dem die Menschenrechtskommission von der Frage des Menschenrechtsschutzes abgelenkt werden sollten, scheiterte jedoch am Widerstand westlicher und einiger Bündnisfreier Staaten.46 Obwohl man sich im Ministerium bemühte, die Sitzung insgesamt als Erfolg darzustellen, überwogen am Ende die negativen Aspekte, was sich auch im abschließenden Urteil widerspiegelte: Trotz der imperialistischen Manöver, die Menschenrechtskommission zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten vor allem der sozialistischen Staaten zu mißbrauchen und sie ihren Interessen der ideologischen Kriegsführung unterzuordnen, konnten die sozialistischen Staaten im engen Zusammenwirken mit einer Reihe von Entwicklungsländern ein progressives Gesamtergebnis der Konferenz erreichen.47

Diese nüchterne Einschätzung unterschied sich deutlich von früheren Berichten.48 Die sozialistischen Staaten wurden immer stärker isoliert und öffentlich kritisiert. Daran änderte auch die neue Strategie nichts. Die Themen, mit denen sie die Deutungshoheit innerhalb der Menschenrechtsdebatten zurückerlangen wollte, fanden kaum Resonanz. Trotz dieser Rückschläge zogen sie sich jedoch nicht zurück wie Südafrika oder Israel. Im Gegenteil, der sowjetische Botschafter forderte seine Genossen aus der DDR nach der Sitzung 1981 in Genf auf, dass sich sein Land im kommenden Jahr um eine Mitgliedschaft in der Menschenrechtskommission bewerben sollte (die DDR nahm bis dato nur als Beobachter teil und war kein Mitglied der Kommission). Obwohl sich die Lage verschlechterte, wollten die sozialistischen Staaten dem ›Westen‹ in der Menschenrechtskommission weiterhin die Stirn bieten.49 Im MfAA machte man sich unverzüglich daran, die Lage zu sondieren. Anfang April 1981 legte die Botschaft der DDR in New York dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten ein umfassendes Konzept vor. Drei Aspekte fallen darin auf. Erstens intensivierte sich die Propagandarhetorik: Kraft und Einfluß der mit der Sowjetunion verbündeten sozialistischen Staaten wachsen unaufhaltsam. Der revolutionäre Kampf der Völker, die erst unlängst ihre nationale Freiheit erlangt haben, gewinnt an Kraft. Die imperialistische Herrschaftssphäre erfährt eine weitere Einengung und die inneren Widersprüche der kapitalisti46 PA AA : MfAA , ZR 206.92, Bericht über Verlauf und Ergebnisse der 37. Tagung der Menschenrechtskommission vom 03.02.–13.03.1981, Berlin, den 25.03.1981, S. 5. 47 Ebd., S. 1 f. 48 Vgl. ebd., mit der späteren Analyse in: PA AA : MfAA , ZR 1072/84, Überlegungen für eine langfristige Konzeption zur Tätigkeit der DDR in der UNO o. D. (Eingangsstempel 06.04.1981). 49 Ebd., Bericht über Verlauf und Ergebnisse der 37. Tagung der Menschenrechtskommission vom 03.02.–13.03.1981, Berlin, den 25.03.1981, S. 8.

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schen Welt spitzen sich zu. In der internationalen Politik vollzieht sich ein intensiver Kampf zweier Richtungen. Einerseits ist es der Kurs auf Zügelung des Wettrüstens, auf die Festigung des Friedens und der Entspannung, auf die Verteidigung der souveränen Rechte und der Freiheiten der Völker. Andererseits ist es der Kurs auf Unterminierung der Entspannung, auf Forcierung des Wettrüstens, die Politik der Drohungen und der Einmischung in fremde Angelegenheiten, der Unterdrückung des Befreiungs­kampfes. Die Aggressivität der Politik des Imperialismus, in erster Linie des USA-Imperialismus, nimmt zu. Der Prozeß der Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen internationalen Kräften widerspiegelt sich in der Organisation der Vereinten Nationen auf allen Gebieten des Zusammenlebens der Staaten, mit denen die UNO beschäftigt ist.50

Während sich in früheren Strategiepapieren diese ideologischen Passagen auf wenige Sätze begrenzten, umfassten sie hier mehr als eine Seite und erweckten damit den Anschein, als ob sich die Autoren ihrer eigenen ideologischen Überzeugung versichern mussten.51 Der zweite Aspekt war die eigensinnige Beurteilung der Beziehungen zur ›Dritten Welt‹. Während die Autoren auf der ersten Seite die Ausweitung des sowjetischen Einflussbereiches in den UN anpriesen, wurde auf den folgenden Seiten detailliert dargestellt, wie und wo die sozialistischen Mitglieder in den UN an Einfluss verloren hatten. Die einzigen Verbündeten seien nur noch die Länder mit »sozialistischer Orientierung«, während vor allem die »nichtpaktgebundenen Staaten« sich immer weiter von den »Kernfragen der Klassenauseinandersetzung« entfernten und »offen antisowjetische bzw. antisozialistische Positionen« beziehen würden.52 Langfristig, so prognostizierte der Autor, würde das Gewicht der Bündnisfreien steigen und die Vereinten Nationen dadurch von den »wichtigen Fragen der antiimperialistischen Zusammenarbeit« weggeführt werden.53 Drittens räumte der Autor erstmals ein, dass die westlichen Mitglieder dadurch in eine vorteilhafte Position geraten seien: Die Spaltung in unterschiedliche Interessensgruppen (verschiedene UNCTAD -Kategorien, erdölproduzierende und nicht erdölproduzierende am meisten betroffene Staaten usw.) sowie die zunehmende Zahl von Konflikten zwischen nichtpaktgebundenen Staaten (Irak / Iran, Westsahara, Tschad, Äthiopien, Somalia u. a.) schwächen die antiimperialistischen Gemeinsamkeiten der Gruppe und werden vom Imperialismus zur Durchsetzung seines Kurses genutzt.54 50 PA AA : MfAA , ZR 1072/84, Überlegungen für eine langfristige Konzeption zur Tätigkeit der DDR in der UNO o. D. (Eingangsstempel 06.04.1981). 51 Vgl. ebd., mit ebd., C 7114, Enthält mehrere Beispiele zur Sitzung der Menschenrechtskommission aus dem Jahr 1977; ebd., ZR 572/92, Konzeption zu Wahrnehmung der Mitgliedschaft der DDR im ECOSOC für das Gebiet soziale Fragen und MR vom 27.02.1979. 52 PA AA : MfAA , ZR 1072/84, Überlegungen für eine langfristige Konzeption zur Tätigkeit der DDR in der UNO o. D. (Eingangsstempel 06.04.1981), S. 2 f. 53 Ebd. 54 Ebd., S. 3.

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Anschließend wurden die Schwerpunkte der zukünftigen UN-Politik der DDR aufgeführt, mit denen sie die Deutungshoheit zurückgewinnen wollten. Die Themen Frieden, Entspannungspolitik und Abrüstung standen dabei an erster Stelle. Danach folgten aktuelle politische und militärische Konflikte. Erst an dritter Stelle stand die Forderung der Bündnisfreien Staaten nach einer ›Neuen Weltwirtschaftsordnung‹. Dabei wurde eingeräumt, dass es dabei zwangsläufig zu Kompromissen zwischen den Bündnisfreien und den westlichen Ländern kommen werde und der ›Westen‹ seine materielle und finanzielle Überlegenheit einsetzen und gegen das sozialistische Lager ausspielen würde.55 Erst an vierter Stelle folgten die Menschenrechte. Dabei sollte dem westlichen Streben nach einer Verbesserung des Menschenrechtsschutzes der »Kampf um Frieden als grundlegende Menschenrechtsproblematik« entgegengestellt werden:56 Es ist weiterhin der Nachweis zu führen, daß die UN-Charta den Schutz der Menschenrechte ausdrücklich als Element friedlicher internationaler Zusammenarbeit basierend auf der Achtung der souveränen Gleichheit betrachtet und nicht als Feld der Intervention in innere Angelegenheiten.57

Die sozialistischen Staaten intensivierten somit 1981 ihre ›Friedensinitiative‹ und steigerten ihr Engagement im UN -Menschenrechtsbereich. Sie wollten weiterhin mit dem Westen um Menschenrechte konkurrieren und investierten Zeit und Geld, um neue Initiativen zu entwickeln, mit denen sie die Deutungshoheit über die Menschenrechte zurückgewinnen und ihre vorteilhafte Position innerhalb der Organisation zurückerobern wollten. Das zeigt, wie wichtig ihnen die Selbstdarstellung in diesem Bereich war und wie sehr die Konkurrenz die politische Entscheidungsfindung prägte. Die Gegenüberstellung der Themen Menschenrechte und Frieden dominierte mittlerweile auch die zivilen Proteste in Ost und West. Im Juni 1981 kam es in Polen erneut zu großen Demonstrationen gegen die sozialistische Regierung, welche bis Jahresende zunahmen. Die Solidarność war mittlerweile zu einer Massenbewegung mit Millionen von Mitgliedern angewachsen. Politische und finanzielle Unterstützung erhielt sie dabei vor allem von Gewerkschaften aus der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten. Auch die katholische Kirche unter der Führung des polnischen Papstes Johannes Paul II . unterstützte die Demonstranten. Westliche Regierungen solidarisierten sich mit den Protestierenden. Dennoch war die Solidarność kein Instrument des ›Westens‹, sondern eine eigenständig agierende Oppositionsbewegung. Diese forderte mittlerweile offen demokratische Wahlen und einen politischen Wandel. In Ost und West wuchsen daraufhin die Befürchtungen, WVO -Truppen könnten die Proteste blutig niederschlagen.58 55 56 57 58

Ebd., S. 13 f. Ebd., S. 14 f. Ebd., S. 15. Zur Lage in Polen siehe Gregory F. Domber: Empowering Revolution. America, Poland, and the End of the Cold War, Chapel Hill 2014, S. 11–47; Friedhelm Boll / Świder Małgorzata:

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Proteste gab es im selben Jahr aber auch in der Bundesrepublik, wo Hunderttausende Menschen gegen die Aufrüstungspläne der NATO auf die Straßen gingen. Im Juni versammelten sich beispielsweise Demonstranten auf dem Treffen des evangelischen Kirchentages in Hamburg und nachdem Reagan im August den Bau einer Neutronenbombe angekündigt hatte, beteiligten sich im Oktober 1981 über 300.000 Menschen an den Protesten der Friedensbewegung in Bonn.59 Auch die westdeutsche Friedensbewegung erhielt finanzielle und politische Unterstützung aus dem Ausland, vor allem vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) und dem sowjetischen Komitee für Staatssicherheit (KGB). Die Friedensbewegung sollte den ›Friedenskampf‹ der sozialistischen Staaten in die westlichen Gesellschaften hineintragen und einen politischen Wandel herbeiführen. Allerdings hatten MfS und KGB weit weniger finanzielle Mittel zur Verfügung, als die westlichen Gewerkschaften oder die katholische Kirche, welche die Solidarność unterstützten. Zudem gelang es den sozialistischen Geheimdiensten zu keinem Zeitpunkt, die Kontrolle über den zivilen Protest in der Bundesrepublik zu erlangen, zumal die Friedensbewegung ein weitestgehend ›deutsches‹ Phänomen blieb und nur in wenigen anderen westlichen Ländern auf große Zustimmung stieß.60 Dafür zeigte die sozialistische Friedenspropaganda auch in der DDR Wirkung. Im Jahr 1981 formierte sich dort ebenfalls eine politisch unabhängige Friedensbewegung. Unterstützt von der evangelischen Kirche protestierten ihre Anhänger unter dem Motto »Schwerter zu Pflugscharen« gegen die Stationierung sowjetischer Atomwaffen in der DDR . Da sich die Gruppe geschickt der Motive und Slogans der sozialistischen Propaganda bediente, fiel es den Behörden schwer, gegen diese vorzugehen. So förderte der ›Friedenskampf‹ der sozialistischen Staaten indirekt die Entstehung einer zivilgesellschaftlichen Opposition in der DDR .61 Die Konkurrenz zwischen den Themen Frieden und Menschenrechte wurde zunehmend in die Zivilgesellschaften von Ost und West hineingetragen, und in Polen, der Bundesrepublik und der DDR demonstrierten Menschen für Frieden The FRG . Humanitarian Support without Big Publicity, in: Idesbald Goddeeris (Hg.): Solidarity with Solidarity? Western European Trade Unions and the Polish Crisis, 1980– 1982, Lanham 2013, S. 159–189; Helene Sjursen: The United States, Western Europe and the Polish Crisis. International Relations in the Second Cold War, New York u. a. 2003, S. 93–106. 59 Heidemeyer: NATO -Doppelbeschluss. 60 Vgl dazu Ploetz, Müller: Ferngelenkte, S. 355–361; Wilfried Mausbach: Vereint marschieren getrennt schlagen? Die Amerikanische Friedensbewegung und der Widerstand gegen den NATO -Doppelbeschluss, in: Philipp Gassert / Tim Geiger / Hermann Wentker (Hg.): Zweiter Kalter Krieg und Friedensbewegung. Der NATO -Doppelbeschluss in deutschdeutscher und internationaler Perspektive, München 2011, S. 283–304. 61 Detlef Pollack: Zwischen Ost und West, zwischen Staat und Kirche. Die Friedensgruppen in der DDR , in: Philipp Gassert / Tim Geiger / Hermann Wentker (Hg.): Zweiter Kalter Krieg und Friedensbewegung. Der NATO -Doppelbeschluss in deutsch-deutscher und internationaler Perspektive, München 2011, S. 269–283.

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oder Menschenrechte, wodurch der Ost-West-Konflikt weiter eskalierte. Der zivile Protest in Polen, der Bundesrepublik und in der DDR hatte Rückwirkungen auf die UN-Politik in Ost und West. Während die Diplomaten im Auswärtigen Amt durch die Proteste in Polen motiviert wurden, ihre Menschenrechtspolitik zu intensivieren, weil sie glaubten, damit einen politischen Transformationsprozess in Osteuropa zu fördern, fühlte sich der Kreml durch die Proteste der Friedensbewegung in seiner politischen Ausrichtung bestätigt. Aus Sicht des Politbüros in Moskau war der friedliche Protest der Friedensbewegung eine direkte Folge ihrer Friedensinitiative der 1970er-Jahre und der Anfang vom Ende des Kapitalismus in Europa.62 Im Sommer 1982 demonstrierten über eine halbe Millionen Menschen in der Bundeshauptstadt gegen den NATO -Doppelbeschlusses. Eine Woche danach tagte dort der UN-Menschenrechtsausschuss auf Einladung der Bundesregierung. Die westlichen Staaten setzten ihr Engagement für den UN-Menschenrechtsschutz fort und spielten diesen nun geschickt gegen die sozialistischen Staaten aus. Die Tagung bot dem Ausschuss nicht nur die Möglichkeit, Geld zu sparen, schließlich übernahm die Bundesregierung einen Großteil der anfallenden Kosten, sondern man hoffte auch an Publizität zu gewinnen. Zwar war das öffentliche Interesse überschaubar, aber immer noch größer als in Genf oder New York, wo die Sitzungen des ›kleinen‹ Menschenrechtsauschusses zwischen den Veranstaltungen ›großer‹ Gremien untergingen.63 Die Tagung in Bonn verlief ohne besondere politische Spannungen, abgesehen von einzelnen Protesten iranischer Exilanten, und war aus Sicht des westdeutschen Mitglieds Tomuschat ein PR-Erfolg für die Bundesrepublik: Insgesamt aber hat sich die Bundesrepublik bei allen Ausschussmitgliedern eine gute Note verdient. Jedermann hat selbst feststellen können, daß es sich um ein freiheitliches Land handelte dessen Qualitäten keineswegs durch den Preis der Polizeistaatlichkeit erkauft sind, wie dies eine nicht ungeschickte Propagandaaktion den Mitgliedern im Juli 1978 vor der Prüfung des Berichtes der Bundesrepublik hatte weismachen wollen.64

Für die Bundesregierung diente die Einladung des Menschenrechtsausschusses dazu, sich als demokratischer und die Menschenrechte achtender Staat zu präsentieren und sich damit von der DDR abzugrenzen. Sie konnte damit ihr Image festigen und sich international weiter profilieren. Auch in der Menschenrechtskommission konnte das Lager der westlichen Staaten 1982 seine Ziele durchsetzen und das Spektrum des UN-Menschenrechtsschutzes dauerhaft ausweiten. Die Menschenrechtslage in Polen, Afghanistan 62 PHP : Rede Gromykos auf dem XVII . Außenministertreffen der Staaten der WVO in Budapest am 19.04.1984. 63 PA AA : ZA B30, 121147, Bericht über die 14. Tagung des Menschenrechtsausschusses Bonn, 19.–30.10.1981 vom 11.11.1981. 64 Ebd.

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und Kambodscha nahmen große Teile der öffentlichen Debatte über Menschenrechtsverletzungen ein. Auch Südafrika, Israel und Chile standen weiterhin auf der Agenda, ebenso die kritische Menschenrechtslage in Mittelamerika, wodurch der Vorwurf der Selektivität entkräftet werden konnte.65 Polen, Afghanistan und Kambodscha wurden zu Brennpunkten internationaler Debatten über Menschenrechtsverletzungen, in die auch NGOs und andere zivile Gruppen involviert waren.66 Im Fall Polens gelang es der westlichen Staatengruppe sogar, eine Resolution durchzusetzen, mit der der Generalsekretär aufgefordert wurde, einen Bericht über die Menschenrechtslage in der Volksrepublik anzufertigen und auf der nächsten Sitzung öffentlich vorzustellen. Zu Afghanistan und Kambodscha wurden erneut Resolutionen angenommen, in denen ein Abzug aller ausländischen Truppen gefordert wurde.67 Im MfAA bemühte man sich trotz dieser Rückschläge, die Sitzung erneut als »überwiegend progressiv« darzustellen. Vor allem die von der Sowjetunion initiierte Resolution über das »Recht auf Leben«, die ohne Gegenstimmen angenommen wurde, galt als großer Erfolg: Die Resolution, die allen mit Abrüstungsfragen befaßten UN-Organen zugestellt werden soll, stellt den für die gegenwärtigen internationalen Beziehungen wichtigen Zusammenhang zwischen Abrüstung, Recht auf Frieden und Recht auf Leben her.68

Die Ausarbeitung der geplanten »Deklaration zum Recht für Frauen auf ein Leben in Frieden« machte hingegen nur langsam Fortschritte und die Deklaration zum Thema ›Neofaschismus‹ scheiterte gänzlich. Das Ziel der ostdeutschen Diplomaten, die Menschenrechtskommission mit diesen Themen vom Menschenrechtsschutz abzulenken, misslang. Stattdessen nahmen die Debatten über Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der Resolution 1235 mittlerweile immer mehr Zeit in Anspruch und wurden zum wichtigsten Tagesordnungspunkt auf der Agenda. Auch die Behandlung der DDR im Rahmen des vertraulichen 1503-Verfahrens wurde 1982 fortgesetzt.69 Die neue Strategie ging somit nicht auf und im MfAA stellte man sich langfristig auf eine Oppositionsrolle in der Menschenrechtskommission ein: Aus mehreren politisch brisanten Abstimmungen ist abzuleiten, daß die imperialistischen Staaten ca. 19/20 Stimmen in der Menschenrechtskommission für ihre Projekte gewinnen können; die sozialistischen Staaten hingegen nur 12/13. Aus dieser 65 PA AA : MfAA , ZR 207/92, Bericht über Verlauf und Ereignisse der 38. Tagung der Menschenrechtskommission vom 01.02.–12.03.1982. 66 Zur Arbeit von Amnesty International in Polen siehe Christie Miedema: Not a Movement of Dissidents. Amnesty International Beyond the Iron Curtain, Göttingen 2019. 67 ORUN: E / C N .4/182/30, Jahresbericht der 38. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1982, S. 143 f. und 123. 68 PA AA : MfAA , ZR 207/92, Bericht über Verlauf und Ereignisse der 38. Tagung der Menschenrechtskommission vom 01.02.–12.03.1982. 69 Ebd.

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Kräftekonstellation kann geschlußfolgert werden, daß die imperialistischen Staaten auch während kommender Tagungen versuchen werden, reaktionäre Initiativen insbesondere in dieses Gremium zu verlagern und durchzusetzen.70

Der Westen gewann die Oberhand in der Konkurrenz um Menschenrechte. Die seit den 1970er-Jahren dominierende Allianz aus sozialistischen und Bündnisfreien Mitgliedern wurde Anfang der 1980er-Jahre aufgebrochen und den westlichen Staaten gelang es, wieder Mehrheiten zu bilden und die sozialistischen Länder zu isolieren. Die sich parallel entfaltenden politischen Entwicklungen außerhalb der Vereinten Nationen verstärkten die Isolation und den politischen Druck auf die Regierung in Moskau. Die militärische Lage in Afghanistan verschlechterte sich ab 1982 rasant. Der Widerstand gegen die sowjetische Besatzung nahm zu und die USA unterstützten mittlerweile zusammen mit Pakistan und Saudi-Arabien die islamistischen ›Mudschahedin‹ direkt mit Geld und Waffen.71 Auch in Europa spitzte sich die Krise weiter zu. Im August kam es in Polen erneut zu schweren Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, bei denen viele Menschen verhaftet und einige sogar getötet wurden. Die Angst vor einer sowjetischen Militärintervention stieg.72 Die Regierungskrise im Kreml verschärfte die Lage. Generalsekretär Breschnew war seit Anfang der 1980er-Jahren zunehmend außerstande die Regierungsgeschäfte wahrzunehmen. Seit Ende 1981 wurde die UdSSR von einem Schattenkabinett geführt, bestehend aus dem Außenminister Gromyko, dem Verteidigungsminister Dimitri Ustinov, dem zweiten Sekretär Michail Suslow (dieser verstarb bereits im Februar 1982) sowie dem KGB -Vorsitzenden Juri Andropow. Eine Riege alter konservativer Parteikader, die in der Zeit des stalinistischen Terrors politisch geprägt worden waren. Sie hatten eine paranoide Angst vor Veränderungen und verstanden nicht, warum die Sowjetunion plötzlich international so stark in die Kritik geriet und immer mehr Menschen in Osteuropa Reformen forderten. Die aggressive Rhetorik Reagans verstärkte ihre Bedrohungsperzeption und der innenpolitische Protest der Dissidenten sowie der Solidarność wurde als äußere Einmischung und gezielte Provokation des Westens betrachtet.73 Im November 1982 starb Breschnew schließlich und Andropow übernahm sein Amt. Dieser überlebte seinen Vorgänger nur sechzehn Monate. Nachfolger wurde im Februar 1984 der 73-jährige Konstantin Tschernenko, der ebenfalls bei schlechter Gesundheit war.74 De facto wurde die Sowjetunion somit nun von

70 Ebd. 71 Westad: Global, S. 288–330. 72 Domber: Empowering, S. 11–47. 73 Zubok: Empire, S. 265–330. 74 Gaddis: Cold War, S. 228.

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Außenminister Gromyko geführt.75 Dieser hielt am 19. April 1984 eine Rede auf dem Treffen der WVO -Staaten in Budapest, in der er seine Einschätzung der globalen Lage präsentierte und den außenpolitischen Kurs des sozialistischen Lagers vorgab.76 Seiner Meinung nach eskalierten die USA den Konflikt: »Zieht man die Schlußfolgerung aus dem über die Politik der gegenwärtigen USAAdministration Gesagten, so ist darin kein Lichtblick zu erkennen. Die Gefahren des abenteuerischen [sic] militärischen Kurses Washingtons werden ganz und gar nicht geringer.«77 Trotzdem war Gromyko siegesgewiss. Schließlich vertrat die sozialistische Gemeinschaft aus seiner Sicht die »Grundinteressen der gesamten Menschheit«. Deshalb hätten die UdSSR auch die Unterstützung der »breiten Massen« hinter sich, wie die zahlreichen Proteste der Antikriegsbewegung in Westeuropa und den USA belegen würden. Auch auf internationaler Ebene könnten die sozialistischen Staaten auf große Unterstützung bauen, denn die »nichtpaktgebundenen Staaten« würden sich den Versuchen der USA widersetzen, sich in ihre inneren Angelegenheiten einzumischen und ihnen ihren Willen zu diktieren. Auch bei den westlichen Staaten würde der Widerstand gegen die USA zunehmen. Als Beleg dafür dienten Gromyko die Ereignisse in den Vereinten Nationen, wo die USA wegen Reagans aggressiver Außenpolitik zunehmend in die Kritik gerieten: Bezeichnend ist auch die Tatsache, daß die USA auf der Tagung der UN-Vollversammlung und auf anderen internationalen Foren immer häufiger in der Isolierung sind, allein oder lediglich in Gesellschaft Israels oder der RSA gegen solche Fragen wie die Lage im Nahen Osten, die Entkolonialisierung und der Kampf gegen Rassismus und Apartheid stimmen. Das gleiche Bild zeigt sich zuweilen auch in der UNMenschenrechtskommission. Das zeugt nicht nur davon, daß viele Länder den Kurs Reagans nicht akzeptieren, sondern auch von dem Bestreben einer Reihe von Staaten des Westens, einschließlich der engsten Verbündeten der USA , sich zu einem ziemlich breiten Spektrum von Fragen von ihnen zu distanzieren.78

Für die Zukunft empfahl er, am eingeschlagenen Kurs festzuhalten, Ausdauer zu zeigen und »bei der Verteidigung der Lebensinteressen der sozialistischen Gemeinschaft standhaft zu sein«.79 In enger Zusammenarbeit mit ihren Freunden und Verbündeten sollten die sozialistischen Staaten weiter darauf hinarbeiten, »das Wettrüsten zu zügeln, zur Entspannung zurückzukehren […][und] die europäische und internationale Sicherheit zu festigen.«80 Auf den ersten Blick unterschied sich die Rede Gromykos nur wenig von denen der vorherigen Jahre. Die Unterschiede zeigen sich lediglich in der Wahl 75 Zubok: Empire, S. 265–330. 76 PHP : Rede Gromykos auf dem XVII . Außenministertreffen der Staaten der WVO in Budapest am 19.04.1984. 77 Ebd., S. 4. 78 Ebd., S. 5. 79 Ebd., S. 6. 80 Ebd.

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seiner Worte und in dem, was Gromyko diesmal nicht sagte.81 Er verzichtete fast vollständig auf die sonst übliche Friedensrhetorik. Das Wort Frieden fiel im Vergleich zu vorherigen Reden viel seltener und auch das Bild, wonach die sozialistischen Staaten ein ›Bollwerk des Friedens‹ darstellten, wurde nicht so direkt beschworen wie in den Jahren zuvor. Das bedeutet aber nicht, dass dieser Aspekt keine Rolle mehr spielte. Im Gegenteil, wichtigstes Ziel waren weiterhin die Abrüstungsverhandlungen und eine Rückkehr zu Entspannungspolitik. Die USA wurden weiterhin als größter Aggressor dargestellt und die Sowjetunion sah sich weiterhin an der Spitze einer »weltweiten Friedensbewegung«.82 Die seit 1978 von den sozialistischen Staaten vorangetriebene Arbeit an einer Deklaration zum ›Recht auf Frieden‹ näherte sich dem Ende und sollte auf der darauffolgenden Sitzung der Generalversammlung Ende des Jahres 1984 zur Abstimmung gestellt werden.83 Auch an anderen Stellen wirkten die Worte Gromykos wenig optimistisch. So beschrieb er zwar korrekt, dass die USA in der UN-Generalversammlung »immer häufiger in der Isolierung« seien, gestand aber zugleich, dass Gleiches in der Menschenrechtskommission nur »zuweilen« der Fall sei. Zugleich erkannte er ganz richtig, dass einige westeuropäische Staaten sich in außenpolitischen Fragen von den USA »distanzierten«, das bedeute aber nicht, dass diese Staaten sich im Gegenzug auf die Seite des sozialistischen Lagers stellten. Die Westeuropäer agierten immer eigenständiger und schlossen sich Anfang der 1980er-Jahre zur »Europäische Gemeinschaft« (EG) zusammen.84 Deutlich wurde das auch im Rahmen ihrer Menschenrechtspolitik, bei der sie seit Mitte der 1970er-Jahre eigene Projekte vorantrieb, mit denen sie eigene Schwerpunkte setzten und zugleich aber alle gemeinsam auf dasselbe Ziel hinarbeiteten, den Menschenrechtsschutz zu stärken. Das westliche Lager wurde heterogener und einzelne Staaten scheuten nicht, den USA in den UN öffentlich zu widersprechen, oder diese gar zu kritisieren. Das bedeutete aber eben nicht, dass der Westen dadurch automatisch schwächer wurde und das sozialistische Lager an Einfluss gewann.85 Gleiches lässt sich auch für die Haltung der »nichtpaktgebundenen Staaten« beobachten. Zwar widersetzten sich viele den Forderungen der USA , doch kaum welche schlugen sich deswegen auf die Seite der Sowjetunion. Der Zusammenhalt der Bündnisfreien Staaten im Rahmen der Debatten über ein Recht auf Entwicklung, eine ›Neue Weltwirtschaftsordnung‹ oder die Reform der Vereinten Nationen war stark. Dennoch lässt sich eine zunehmende Ausdifferenzie81 Obwohl für die Analyse hier eine Übersetzung der Rede Gromykos aus dem russischen vom MfAA genutzt wurde, lassen sich aus den Kernaussagen wichtige Erkenntnisse ableiten. 82 PHP : Rede Gromykos auf dem XVII . Außenministertreffen der Staaten der WVO in Budapest am 19.04.1984. 83 YUN: 1984, S. 114. 84 Loth: Europas Einigung, S. 249–277. 85 PHP : Rede Gromykos auf dem XVII . Außenministertreffen der Staaten der WVO in Budapest am 19.04.1984.

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rung erkennen.86 Die Konflikte innerhalb der muslimischen Staaten zwischen ­Schiiten und Sunniten nahmen im Zuge des Ersten Golfkrieges (1980–1988) zu. Auch unter den afrikanischen Staaten wuchsen die Differenzen mit Blick auf die Haltung gegenüber Südafrika und Namibia. In Asien ließen einzelne Staaten sehr unterschiedliche politische und ökonomische Entwicklungen erkennen. China hatte seit 1978 eine Politik der Öffnung und Modernisierung hin zum Kapitalismus eingeleitet und auch andere Länder wie die britische Kolonie Hongkong, Südkorea, Taiwan und Singapur legten ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum an den Tag. Damit näherten sie sich wirtschaftlich im Laufe der 1980er-Jahre den Ländern der ›Ersten Welt‹ immer weiter an und entfernten sich von den politischen Zielen der »Entwicklungsländer« in der UNO.87 Liest man die Rede Gromykos also genauer, so fällt auf, dass er an keiner Stelle erwähnt, dass die Sowjetunion ihren Einfluss in der Welt ausweiten konnte, weder im Nahen Osten, in Mittelamerika noch in Afrika oder in Asien. Zwar behauptete Gromyko, dass das sozialistische Lager die »Grundinteressen der gesamten Menschheit«88 vertreten würde, de facto verlor sie jedoch an Einfluss. Die Auswirkungen dessen wurden auf der ECOSOC -Sitzung im Mai 1984 deutlich, auf der die sozialistischen Länder zunehmend den Anschluss verloren und bei den Themen Menschenrechtsschutz, Weltfrauenkonferenz und Recht auf Entwicklung außen vor standen. Zum ersten Punkt bemerkte man im MfAA : Dem setzte der Imperialismus seine reaktionäre These von ›Menschenrechtsverletzun­ gen überall in der Welt‹ und die Ablehnung ›selektiver Behandlung‹ von Menschenrechtsfragen entgegen. Die imperialistischen Staaten außer den USA spielten die direkte Konfrontation nicht in den Vordergrund. Ihre negative Haltung zu kontroversen Fragen wie Nichtverlängerung des Mandates des Berichterstatters Polen, Hochkommissar Menschenrechte, Afghanistan oder Kampuchea macht jedoch deutlich, daß dies Hauptpunkte im Konfrontationskonzept bleiben sollen. Vor allem reaktionäre Entwicklungsländer Lateinamerikas folgen der These von existierenden Menschenrechtsverletzungen in jeder Gesellschaftsordnung. Sie propagieren aktiv das Projekt Hochkommissar.89

Beim zweiten Punkt, der bevorstehende Weltfrauenkonferenz in Nairobi 1985, gelang es den sozialistischen Staaten nicht, das Thema politisch zu vereinnahmen, 86 Dinkel: Bewegung, S. 234–271. 87 Zur ökonomischen Entwicklung dieser Länder in den 1980er-Jahren siehe Dennis Kirchberg: Der Aufstieg der Tigerstaaten im 20. Jahrhundert. Eine historische Analyse. Saarbrücken 2007; Ezra F. Vogel, The Four Little Dragons. The Spread of Industrialization in East Asia, Cambridge 1991; Loren Brandt / Thomas G.  Rawski (Hg.): China’s Great Economic Transformation, Cambridge 2008, S.1–26. 88 PHP : Rede Gromykos auf dem XVII . Außenministertreffen der Staaten der WVO in Budapest am 19.04.1984. 89 PA AA : MfAA , ZR 575.92, Abschlussbericht über die ECOSOC -Frühjahrstagung 1984, New York, 29.05.1984, S. 5.

Die Wende in der Konkurrenz um Menschenrechte 

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so wie bei der ersten Weltfrauenkonferenz in Mexico-Stadt 1975, die schon im Vorfeld stark politisiert und von sozialistischen und arabischen Staaten benutzt wurde, um Zionismus als Rassismus zu brandmarken und gegen Israel zu hetzen.90 Neben den Vertretern sozialistischer Staaten gingen nur wenige andere Delegationen auf die politischen Aspekte der Frauenproblematik ein. Nur Nikaragua und Algerien setzten sich offensiv mit den Folgen imperialistischer Aggressions- und Unter­ drückungspolitik für die Situation der Frauen in Entwicklungsländern auseinander. Die Mehrzahl der Vertreter von NPG -Staaten konzentrierte sich auf die Darstellung nationaler Probleme. Sie waren bemüht, kontroverse Diskussionen mit imperialistischen Staaten zu vermeiden. […] Imperialistische Staaten traten massiv für sog. Entpolitisierung der Diskussion ein. Durch das Hochspielen sekundärer Probleme wie zum Beispiel Gewalt in der Familie und technischer Probleme bei der Durchführung der Weltkonferenz versuchten sie verstärkt, von den politischen Hauptfragen bei der Verwirklichung der Rechte der Frauen abzulenken.91

Ein ähnliches Bild zeichnete sich drittens bei den Debatten über »soziale Entwicklung« ab, bei der die sozialistischen Staaten vergeblich versuchten, das »Wechselverhältnis politischer, ökonomischer und sozialer Fragen« mit der »Konzeption imperialistischer Staaten« in Verbindung zu bringen, während die westlichen Staaten die Behandlung sozialer Fragen ›entpolitisierten‹, indem sie sich auf die Aspekte der Kriminalität und der Verbrechensverhütung beschränkten.92 Die Bündnisfreien Staaten stellten hingegen die Entwicklungsfragen in den Vordergrund und verknüpften diese mit ihrer Forderung nach einer ›Neuen Weltweltwirtschaftsordnung‹.93 Die Beispiele zeigen, dass es den sozialistischen Ländern zwischen 1980–1984 schwerfiel, sich auf die sich verändernde politische Lage einzustellen. Sie klammerten sich weiterhin an ihre marxistische Weltanschauung und wunderten sich, warum sie damit auf immer weniger Resonanz bei den Bündnisfreien Staaten stießen. Das sozialistische Lager verlor Anfang der 1980er-Jahre seine vorteilhafte Stellung in den UN, weil sich immer mehr Bündnisfreie von der Sowjetunion abwandten. Wirtschaftlich konnte ihnen das Land nichts mehr bieten und die expansive Außenpolitik der sozialistischen Staaten wurde zunehmend als Bedrohung wahrgenommen. Die westlichen Mitglieder nutzten diese Verschiebung, um den UN-Menschenrechtsschutz weiter zu fördern und dessen Fokus auf ihre Kontrahenten zu lenken. Den sozialistischen Staaten wurde ihr jahrzehntelanges Engagement im UN-Menschenrechtsbereich damit 90 Vgl. ORUN: E / Conf.66/34, Report of the World Conference of the International Women’s Year, Mexico City 19.06.–02.07.1975. 91 PA AA : MfAA , ZR 575.92, Abschlussbericht über die ECOSOC -Frühjahrstagung 1984, New York, 29.05.1984, S. 7. 92 Ebd. 93 Ebd.

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zunehmend zum Verhängnis. Anstatt sich jedoch zurückzuziehen, steigerten sie ihre Bemühungen, in den UN wieder an Einfluss zu gewinnen.

4.2 Ronald Reagans Menschenrechtspolitik Der neue US -Präsident Ronald Reagan leitete 1981 eine politische Wende ein, mit der die USA außen- und innenpolitisch gestärkt werden sollten. Nach Ansicht der neun US -Administration hatte die Politik des zurückliegenden Jahrzehnts die Stellung der USA in der Welt geschwächt. Die US -Wirtschaft litt noch immer unter den Folgen der Wirtschaftskrisen der 1970er-Jahre. Das Wirtschaftswachstum schrumpfte und die Inflation stieg ebenso wie die Staatsverschuldung. Innenpolitisch hatte die militärische Niederlage in Vietnam viele Menschen in den USA desillusioniert und die Proteste sozialer Bewegungen, steigende Kriminalität sowie der wachsende Einfluss religiöser Fundamentalisten drohten die US -Gesellschaft zu spalten. Außenpolitisch hatten die USA aus Sicht der neuen Regierung zudem an Einfluss in der Welt verloren, wofür sie vor allem die Entspannungspolitik und Carters universalistische Menschenrechtspolitik verantwortlich machten. Demnach hätte Carters »naives« Vorgehen das Regime des Schahs im Iran destabilisiert und die Machtübernahme durch den radikalen Schiitenführer Ruhollah Chomeini begünstigt. In Nicaragua hätte die Kritik an der rechtsgerichteten Diktatur Anastasio Somoza angeblich den militärischen Sieg der marxistischen Sandinisten im Jahr 1979 begünstigt und in den UN hätten Sozialisten und Diktatoren aus der ›Dritten Welt‹ die Führung übernommen und die USA und ihre westlichen Verbündeten in die Opposition gedrängt. Das alles schwächte nach Reagans Ansicht die Stellung der USA in der Welt und ermutigte die Sowjetunion, ihren Einflussbereich in Afrika, Mittelamerika und im Mittleren Osten auszuweiten.94 Diese harsche Kritik an der Menschenrechtspolitik seines Vorgängers bedeutete aber nicht, dass der Schutz der Menschenrechte in Zukunft keine Rolle mehr in der US -Außenpolitik spielen sollte.95 Im Gegenteil, Reagan strebte eine ideologische Neuausrichtung der US -Politik an, bei der sich die USA wieder auf ihre »traditionellen« Werte berufen und diese in die Welt tragen sollten. Demokratie und Menschenrechte waren demnach uramerikanische Prinzipien, die das Land von den totalitären Regimen Osteuropas unterschied. Der internationale Menschenrechtsschutz durfte den USA aus Reagans Sicht keine außenpolitischen Fesseln anlegen, sondern sollte der Durchsetzung ihrer Interessen dienen. Dabei hatte er eine klare Meinung, auf wen sich der Fokus richten sollte, was er in einem Interview 1981 deutlich zum Ausdruck brachte: »The Soviet

94 Hal Brands: Making the Unipolar Moment. U. S. Foreign Policy and the Rise of the PostCold War Order, Ithaca 2016, S. 68–117. 95 Keller: Neokonservatismus, S. 105–131.

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Union is the greatest violator today of human rights in all the world.«96 Reagan wollte den UN-Menschenrechtsschutz nutzen, um die sozialistischen Staaten zu destabilisieren und den Kalten Krieg zu gewinnen. Konfrontation prägte dabei die US -Menschenrechtspolitik in der ersten Amtszeit Reagans, mit der er den Kalten Krieg bewusst eskalierte, Konflikte mit westlichen Verbündeten sowie Bündnisfreien Staaten provozierte und die Vereinten Nationen finanziell ruinierte. Der Wandel der US -Menschenrechtspolitik zu Beginn der 1980er-Jahre vollzog sich in drei Phasen. In der ersten von 1981–1982 entwickelten Reagans Beraterinnen und Berater das Konzept einer neuen ›neokonservativen‹97 Menschenrechtspolitik und sie versuchten die UN-Ermittlungen gegen Polen für ihre Ziele zu vereinnahmen. Die zweite Phase begann 1983 mit der Steigerung der Konfrontation mit der Sowjetunion, der Ausweitung der Menschenrechtspolitik auf die Ebene der bilateralen Beziehungen und einer Intensivierung der Angriffe gegen die sozialistischen Staaten in der UN-Menschenrechtskommission. Dieses Vorgehen führte zu Spannungen innerhalb der westlichen Staatengruppe, die auch die dritte Phase von 1984–1986 prägten. In dieser verstärkten die USA jedoch zudem ihr Engagement in der UN-Menschenrechtskommission, wobei sie nun sowohl auf Konfrontation als auch auf Konkurrenz setzten. Zugleich verschärften sie den Konflikt mit den UN, während sich in Osteuropa die Menschenrechtslage allmählich verbesserte. Die Herausbildung einer genuin konservativen Menschenrechtspolitik begann bereits in den 1970er-Jahren. Sowohl in Westeuropa als auch in den USA nutzten konservative Politiker die Menschenrechte, um die Entspannungspolitik der amtierenden Regierungen zu kritisieren. Sie verwiesen auf Menschenrechtsverletzungen in sozialistischen Regimen, um den Prozess der politischen Annäherung zwischen Ost und West zu diskreditieren. Stattdessen forderten sie eine härtere Gangart gegenüber dem Ostblock und dass die westlichen Regierungen auf die Einhaltung der Menschenrechte, vor allem politischer und bürgerlicher Rechte, in sozialistischen Staaten pochten und deren Umsetzung aktiv förderten. Führende Köpfe dieser ›neokonservativen‹ Denkschule spielten Anfang der 1980er-Jahre eine wichtige Rolle bei der Neuausrichtung der US -Menschenrechtspolitik.98 Dazu zählte die von Reagan zur neuen US -Botschafterin bei den Vereinten Nationen ernannte Politikwissenschaftlerin Jeane Kirkpatrick. Sie prägte die US -Menschenrechtspolitik in seiner ersten Amtszeit. Kennzeichnend für ihr Menschenrechtsverständnis war die klare Unterscheidung zwischen Menschenrechtsverletzungen in totalitären und in autoritären Regimen. Während Men96 CBS News Interview von Walter Cronkite mit Ronald Reagan vom 03.03.1981, online: https://www.reaganlibrary.gov/research/speeches/30381c (22.04.2021). 97 Definition: »Neokonservatives außenpolitisches Denken zeichnet sich nicht durch radikale Originalität, sondern durch ein spezifisches Mischungsverhältnis liberal-idealistischer und konservativ-realistischer Ideen aus.« Keller: Neokonservatismus, S. 104. 98 Westad: Kalter Krieg, S. 529–532; Brands: Making, S. 14–67; Jurdem: Mad Hatters.

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schenrechtsverletzungen in totalitären Regimen wie der Sowjetunion, Polen oder der DDR durch die Vereinten Nationen öffentlich gemacht und untersucht werden sollten, um den politischen Druck von außen auf diese Regime zu erhöhen, sollten autoritär regierte Staaten wie Argentinien, die Philippinen oder Chile davon verschont bleiben. Die Idee dahinter war, dass autoritäre Regime sich von innen heraus wandeln und zur Demokratie finden konnten, wie die Beispiele Griechenland, Spanien und Portugal in den 1970er-Jahren gezeigt hätten. Totalitäre Regime könnten hingegen nur durch eine Intervention von außen und durch öffentlichen Druck zum Wandel bewegt werden. Kirkpatricks Menschenrechtsverständnis ähnelt damit dem der sozialistischen Staaten, die zwischen den Frieden gefährdenden Menschenrechtsverletzungen ›imperialistischer Staaten‹ und den akzeptablen Menschenrechtsverletzungen in ›progressiven Staaten‹ unterschieden.99 An ihre Seite platzierte Reagan den Juristen und Politikwissenschaftler Elliot Abrams als Assistant Secretary des State Department für Menschenrechte. Dieser war zuvor Berater von Senator Henry M.  Jackson gewesen, bekannt durch das Jackson-Vanik-Amendement, mit dem 1974 Handelsbeschränkungen gegen die Sowjetunion wegen der Diskriminierung jüdischer Menschen verhängt wurden.100 Zudem arbeitete Abrams eng mit Senator Moynihan zusammen, der mittlerweile ebenfalls zu einem Wortführer der ›Neokonservativen‹ in den USA geworden war.101 Abrams und Kirkpatrick waren die Architekten von Reagans Menschenrechtspolitik, deren Ziel es war, die Menschenrechte als Waffe gegen die Sowjetunion einzusetzen und verbündete Regime vor Kritik zu schützen.102 Die Grundzüge der Neuausrichtung der US -Menschenrechtspolitik unter Reagan lassen sich am besten anhand der »Country Reports on Human Rights Practices« untersuchen. Seit 1977 veröffentlichte das State Department jährlich einen Bericht über den Stand der Menschenrechte in der Welt.103 In dem über tausend Seiten umfassenden Bericht wurde die Menschenrechtslage in allen Ländern auf Grundlage von Informationen der US -Botschaften, der Geheimdienste, internationaler Organisationen und NGOs für den US -Kongress zusammengefasst. Diese Form der Berichtspraxis wurde 1974 auf Druck des US Kongresses eingeführt und Reagan nutzte sie, um sein umstrittenes politisches Vorgehen zu legitimeren und den politischen Gegner öffentlich anzugreifen. Wie die neue US -Regierung diese Berichte einsetzte, zeigt sich vor allem im Vergleich zu den Berichten der Vorgängerregierung. Der 1981 vorgelegte Bericht stammte noch von der Carter-Administration und verfügte nur über eine sehr knappe vierseitige Einleitung, in der die wichtigsten Grundzüge von 99 Jeane Kirkpatrick: Dictatorships and Double Standards. Rationalism and Reason in Politics, New York 1982, S. 23–52. 100 Vgl. Snyder: Call; Keys: Congress. 101 Troy: Moynihan, S. 41–63. 102 Keller: Neokonservatismus, S. 105–131. 103 Department of State: Country Reports on Human Rights Practices,1981.

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Carters Menschenrechtspolitik nüchtern dargestellt wurden.104 Die Einleitung des nachfolgenden Berichts von 1982 umfasste hingegen sechzehn Seiten. Darin leitet die neue Regierung ihr Engagement für Menschenechte aus der US -­ Geschichte her und bediente sich dabei zivilreligiöser Motive. Ausführlich wird in der Einleitung beschrieben, wie die USA 1776 angeblich die Menschenrechte erfunden hätten und seitdem dafür kämpften, diese weltweit durchzusetzen. Die Vertreibung und Ermordung der nordamerikanischen Ureinwohner sowie die Sklaverei wurden dabei nicht erwähnt.105 Im Gegenteil, die Abschaffung der Sklaverei wurde sogar als Beleg für die historische Vorreiterrolle der USA im Kampf für Menschenrechte aufgeführt. Die Menschenrechte wurden damit zu einem Bestandteil des US -amerikanischen Sendungsbewusstseins gemacht und Reagans Menschenrechtspolitik so zu einer ›göttlichen Mission‹ stilisiert. Die Sowjetunion wurde demgegenüber als schlimmster »Human Rights Violator« des 20. Jahrhunderts dargestellt.106 Diese historisch hergeleitete und mit zivilreligiösen Elementen versehene Abgrenzung zwischen den USA und der Sowjetunion war ein wichtiges Element zur Legitimation der Politik Reagans und zur gezielten Provokation der sowjetischen Führer. In dem Bericht des Jahres 1983 wurde diese Darstellung nochmals deutlicher: Human Rights is at the core of American foreign policy because it is central to America’s conception of itself. This nation did not develop. It was created in order to make real a specific political vision. It follows that human rights are not something added on our foreign policy, but its ultimate purpose: the preservation and promotion of liberty in the world. Freedom is the issue that separates us from the Soviet bloc and embodies America’s claim on the imagination of people all over the world.107

Reagan rückte damit die Konfrontation ins Zentrum, was sich auch in den Debatten über den UN-Menschenrechtsschutz widerspiegelte. Anstatt sich wie früher indirekt über ein Thema wie dem Hochkommissar für Menschenrechte zu profilieren, wurde der Kontrahent nun direkt angegriffen und diffamiert. Anschließend wurden in dem Bericht von 1982 unter dem Titel »Building Freedom« die theoretischen Leitideen der neuen US -Menschenrechtspolitik dargelegt. Der Leitgedanke war dabei, dass Menschenrechte nur in Demokratien eingehalten werden könnten. Deswegen sei es wichtiger darauf hinzu­arbeiten, dass alle Staaten in der Welt demokratisch würden, anstatt sich wie »Sisyphos« an einzelnen Menschenrechtsverletzungen abzuarbeiten.108 Da der Kommu104 Ebd., S. 1–4. 105 Vgl. Zur Segregation und ihren Folgen in den USA siehe: Steven Hahn: A Nation under our Feet. Black Political Struggles in the Rural South, from Slavery to the Great Migra­ tion, Cambridge 2003; Zur Debatte eines Völkermordes an den nordamerikanischen Ureinwohnern siehe Heike Bungert: Die Indianer. Geschichte der indigenen Nationen in den USA , München 2020, S. 99. 106 Department of State: Country Reports on Human Rights Practices, 1982, S. 4. 107 Ebd., 1983, S. 7. 108 Ebd., 1982, S. 7.

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nismus aus Sicht der Reagan-Administration aber der »natürliche Feind« der Demokratie war, musste man diesen erst »besiegen«, bevor die Menschenrechte weltweit durchgesetzt werden könnten. Der Kampf gegen den Kommunismus wurde damit automatisch zu einem Kampf für die Menschenrechte. Innerhalb dieser Binnenlogik fügte sich die neue Menschenrechtspolitik auch in die umstrittene Außenpolitik der USA , in der jedes Mittel recht war, um der Sowjetunion zu schaden. Die US -Menschenrechtspolitik wurde damit Bestandteil der ›Reagan-Doktrin‹.109 Das bedeutete aber nicht, dass sich die USA zukünftig nicht auch für die Einhaltung der Menschenrechte in befreundeten Diktaturen einsetzen würden, wie der Bericht klarstellte: Since the United States will continue to seek the redress of human rights even in friendly countries, human rights policy will sometimes be very troubling. We will sometimes be forced to make hard choices between the need to answer human rights violations and other foreign policy interests, such as trade or security. In some cases, we will have to accept the fact that bilateral relations with a friendly country may be damaged because of our human rights concern. This is the unavoidable price of  a consistent policy.110

In der Praxis neigte die US -Regierung in Reagans erster Amtszeit aber dazu, bei Menschenrechtsverletzungen in befreundeten Diktaturen wegzusehen und realpolitischen Zielen den Vorrang zu geben.111 Auch wenn sich diese Menschenrechtspolitik in den folgenden Jahren noch weiter ausdifferenzierte, blieb ihr Kerngedanke erhalten, wonach ein demokratisches Gesellschaftssystem die Grundvoraussetzung für die Einhaltung der Menschenrechte war. Diese Grundidee stellte zugleich den entscheidenden Bruch mit der westlichen Menschenrechtspolitik der 1970er-Jahre dar. Diese baute auf der Prämisse auf, dass die Menschenrechte theoretisch auch in sozialistischen Staaten umgesetzt werden könnten und so eine gemeinsame Wertebasis für eine zukünftige Annäherung schaffen würden. Im Auswärtigen Amt hoffte man sogar, dass die Einführung der Menschenrechte in Osteuropa langfristig zu einem Reformprozess führe, aus dem ein demokratischer Sozialismus hervorginge.112 Für die Reagan-Administration war das hingegen ausgeschlossen. Ihrer Meinung nach musste es erst einen Regimewechsel in Russland geben und danach könnten sich die Menschenrechte von allein durchsetzen. Diese Verbindung von Demokratie 109 Zur ›Reagan-Doktrin‹ siehe William M. LeoGrande: Our Own Backyard. The ­United States in Central America, 1977–1992. Chapel Hill 1998, S. 219–237; Leffler: Soul, S. ­319–333; Evan McCormick, Freedom Tide? Ideology, Politics, and the Origins of Democracy Promotion in US Central America Policy, 1980–1984, in: Journal of Cold War Studies 16/4 (2014), S. 60–109. 110 Department of State: Country Reports on Human Rights Practices, 1982, S. 9. 111 Vgl. LeoGrande: Backyard, S. 104–125 sowie Eckel: Ambivalenz, S. 559 f. 112 siehe PA AA : ZA B30, 115857, Informationen für den Bundesminister, die sowjetische Dissidentenfrage, 18.02.1977.

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und Menschenrechten stellte die entscheidende Wende im internationalen Menschenrechtsdiskurs der 1980er-Jahre dar. Doch nicht nur gegenüber der Sowjetunion gingen die USA unter Reagan auf Konfrontationskurs, auch den Bündnisfreien Staaten und ihrem Streben nach einer Stärkung wirtschaftlicher und sozialer Rechte sagten sie den Kampf an. Während in dem alten Bericht der Carter-Regierung wirtschaftliche und politische Rechte gleichgestellt waren, betont der von 1982: The urgency and moral seriousness of need to eliminate starvation and poverty from the world are unquestionable, and continue to motivate large American foreign aid efforts. However, the idea of economic and social rights is easily abused by repressive governments which claim that they promote human rights even though they deny their citizens the basic rights to the integrity of the person, as well as civil and political rights. This justification for repression has in fact been extensively used.113

Wirtschaftliche und soziale Rechte wurden hier als Bedrohung dargestellt, womit die Reagan-Administration vor allem ihre ablehnende Haltung gegenüber der Forderung der Bündnisfreien Staaten nach einer ›Neuen Weltwirtschaftsordnung‹ und einer Stärkung dieser Rechte ausdrückte. Diese Neuausrichtung der US -Menschenrechtspolitik führte nicht nur zu einer Eskalation des Kalten Krieges und der Konflikte mit den Bündnisfreien Staaten, sondern provozierte auch neue Konflikte innerhalb der Vereinten Nationen. Anfang März 1982 sandte der westdeutsche UN-Botschafter Günther van Well einen besorgten Bericht an das Auswärtige Amt in Bonn. Demnach würden sich die USA mit ihrer Haltung zunehmend isolieren, weil viele Staaten der ›Dritten Welt‹ diese nicht mehr als »progressive Schutzmacht liberaler Werte« ansehen würden, sondern als aggressiven Hegemon, der die eigenen Interessen über internationales Recht stellte. Hinzu kam, dass die USA die Ursachen für alle Probleme im Ost-West-Konflikt verorteten. Sie lehnten eine differenzierte Betrachtung internationaler Konflikte ab und drohten zukünftig verstärkt unilateral zu handeln, sollten sich die anderen Staaten ihnen nicht anschließen. Das schwächte nach van Wells Meinung die Stellung der USA innerhalb der internationalen Gemeinschaft und führte auch zu Konflikten mit den westlichen Verbündeten. Diese müssten deshalb alles daran setzten: […] die zunehmende Entfremdung zwischen den USA und der Mehrzahl der VNMitgliedstaaten so weit wie möglich abzufangen. […] In dieser Situation wird es vor allem darauf ankommen, möglichst weitgehenden Schaden zu verhindern. Das bedeutet zum einen, dass wir Reibungen mit den USA vermeiden müssen, andererseits aber das Verständnis, das wir für unsere Positionen in verschiedenen Fällen bei der Dritten Welt errungen haben, nicht wieder aufs Spiel setzen dürfen. Das erlegt uns in den Vereinten Nationen vermehrt eine Mittlerposition auf, die versuchen muss, die abweichenden Haltungen zwischen der Dritten Welt und den USA nicht völlig auseinanderdriften zu lassen. Dies wird uns vermutlich von keiner Seite gedankt 113 Department of State: Country Reports on Human Rights Practices, 1982, S. 6.

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werden, es ist gleichwohl eine Aufgabe, der wir uns im Interesse der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Vereinten Nationen zur Förderung einer weltweiten Friedenspolitik unterziehen müssen.114

Die neue US -Menschenrechtspolitik provozierte neue Konflikte und bestärkte einige westeuropäischen Staaten darin, ihr eigenes Profil zu schärfen und sich in den UN von den USA abzugrenzen. Auch die Vereinten Nationen wurden in dem Bericht des State Department ins Visier genommen: »During the past year the U. S. has taken the lead in oppo­sing in international fora the double standard applied to human rights violations.«115 Konkret kritisiert der Bericht die intensive Auseinandersetzung der Menschenrechtskommission mit Menschenrechtsverletzungen in Mittelund Südamerika, »while equal or greater violations of human rights in Eastern ­Europe, the Soviet Union and Cuba went virtually unnoticed.«116 Die USA warfen den UN Selektivität und Voreingenommenheit vor. Durch die jährliche Veröffentlichung der Menschenrechtsberichte im Februar wurden diese demonstrativ als Korrektiv zur Arbeit der UN -Menschenrechtskommission dargestellt, die ebenfalls im Februar tagte. Die US -Regierung kritisierte dabei nicht nur die anderen UN-Mitglieder, sondern auch die Arbeit des Sekretariats und stellte die gesamte Organisation als Antagonisten dar. Mit diesem Vorgehen gegen die UN verfolgte Reagan drei Ziele. Erstens gab es in den USA seit den 1950er-Jahren Vorbehalte gegenüber den UN.117 Diese hatten seit 1975 zugenommen und das Lager der UN-Kritiker gewann im US Kongress immer mehr an Einfluss. Ende April 1982 beschrieb der ehemalige US -Botschafter bei den Vereinten Nationen, William J. Vanden Heuvel, dieses Problem in einem besorgten Brief an den UN-Generalsekretär: There seems to be an ideological commitment in this Administration against multilateral negotiations and obligations. The spokesman for this viewpoint argue that the United Nations is an entity hostile to American interests, that the Third World – itself a hostile force – would not exist if the United Nations did not exist, and that we have locked ourselves into a setting where our vital interests are adversely affected by nations who interfere with issues that are crucial to the United States but in which they have no real, material concern. Disdain for the United Nations is expressed by describing it as an institution that provokes, not consensus, but rather ›conflict extension, exacerbation and polarization.‹118 114 PA AA : ZA B30, 134947, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt vom 10.03.1982 (Teil 1. u. 2). 115 Department of State: Country Reports on Human Rights Practices, 1982, S. 2. 116 Ebd., S. 3. 117 Natalie Hevener Kaufman / David Whiteman: Opposition to Human Rights Treaties in the United States Senate. The Legacy of the Bricker Amendment, in: Human Rights Quarterly 10/3 (1988), S. 309–337. 118 UNARM : SG de Cuéllar, S-1051-12-3, Brief William J. Vanden Heuvel und de Cuéllar vom 22.04.1982.

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Die UN waren aus Sicht der Kritiker in den USA ein politisches Instrument, welches von den sozialistischen sowie radikalen Bündnisfreien Staaten gekapert und gegen US -Interessen eingesetzt wurde. Hinter dieser Anti-UN-Kampagne stand laut Vanden Heuvel die Heritage Foundation. Ein ultrakonservativer Thinktank, der gute Kontakte in den Kongress und zum Weißen Haus unterhielt.119 Reagans polarisierende UN-Politik bediente die Kritik dieser konservativen Politiker und sicherte ihm deren Unterstützung für andere politische Vorhaben. Zweitens reagierte Reagan damit auf die zunehmende Isolation der USA in den UN. Die USA provozierten mit ihrem politischen Vorgehen Konflikte mit den anderen UN-Mitgliedern. Immer häufiger wurde das Land deswegen in der Generalversammlung namentlich in Resolutionen erwähnt und für seine engen politischen Beziehungen zu Südafrika, Israel oder Chile öffentlich verurteilt. Auch die zahlreichen verdeckten und offenen militärischen Interventionen der USA in Mittelamerika, Nordafrika und dem Nahen Osten provozierten internationale Proteste. Um dem entgegenzuwirken, verstärkte die US -Regierung ihre Angriffe auf die Vereinten Nationen und versuchte damit, die gegen sie vorgebrachten Anschuldigungen der internationalen Staatengemeinschaft zu relativieren. Drittens wollte Reagan damit das Sekretariat und die anderen UN-Mitglieder unter Druck setzten. Der UN-Menschenrechtsschutz sollte sich mehr mit Menschenrechtsverletzungen in sozialistischen Staaten beschäftigen. Es sollten keine Programme mehr gefördert werden, die nicht im Interesse der US -Regierung waren. Kurz, die USA wollten wieder mehr Kontrolle und Einfluss über die Organisation gewinnen. Die »Country Reports on Human Rights Practices« fanden im Laufe der Zeit international immer mehr Anerkennung. Sowohl die Presse als auch verbündete Staaten wie die Bundesrepublik stützten sich auf die Informationen aus den einzelnen Länderstudien des State Department. Private Menschenrechtsorganisationen kritisierten zwar, dass die einzelnen Berichte in ihren Proportionen teilweise sehr unterschiedlich ausfallen würden, lobten aber zugleich ihre Objektivität.120 Diese Einschätzung verwundert nicht, da sich das State Department auch auf Informationen von NGOs stützte, und dies auch bei jeder Gelegenheit betonte.121 Die US -Regierung und die NGOs standen hierbei in einem symbiotischen Verhältnis, indem sie sich gegenseitig Legitimität verschafften. 119 Die Heritage Foundation veröffentlicht seit Anfang der 1980er-Jahre regelmäßig programatische Manifeste konservativer Politik, welche großen Einfluss auf die Politik der Republikanischen Partei haben, siehe Charles L.  Heatherly (Hg.): Mandate for Leadership. Policy Management in a Conservative Administration, Washington D. C. 1981. 120 PA AA : ZA B30, 134947, Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Washington an das Department of State, Amerikanische Menschenrechtspolitik vom 09.03.1983. 121 Department of State: Country Reports on Human Rights Practices for 1982, Foreword.

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Die Regierung Reagan profitierte damit von dem im Westen etablierten zivilen Aktivismus, wie man im Auswärtigen Amt bemerkte: Der umfassende Inhalt des Jahresberichtes und die Reaktionen der hiesigen Öffentlichkeit unterstreichen, dass die Menschenrechtspolitik der Administration trotz einiger Kritik kaum noch kontrovers ist. Im Gegensatz zur Carter-Administration neigt die Reagan-Administration jedoch dazu, Menschenrechtsverletzungen auf pragmatische Art und Weise zu lösen. An dieser durchaus erfolgreichen Politik ist der einsatzfreudige Leiter des Menschenrechtsbüros im State Department, Asst. Secr. Abrams, wesentlich beteiligt. Das unvermindert große Interesse vieler Kongressmitglieder an Menschenrechtsfragen und der Einfluss privater Organisationen tragen zu dieser aktiven Politik bei.122

Diese Anerkennung unterstreicht nochmals, wie diese Berichte als Korrektiv gegenüber der Arbeit der Vereinten Nationen eingesetzt wurden. Die anhaltende Kritik in den Berichten an den Doppelstandards der UN trug dazu bei, deren Glaubwürdigkeit zu unterminieren und die eigene demgegenüber zu stärken. Damit schadeten die USA bewusst der UN, um ihr eigenes Ansehen aufzuwerten und ihren Einflussverlust innerhalb der Organisation zu kompensieren. An der effektiven Anwendung und Weiterentwicklung des UN-Menschenrechtsschutzes hatten sie hingegen wenig Interesse. Wie die neue US -Regierung den UN-Menschenrechtsschutz konkret instrumentalisierte, zeigte das Beispiel Polen. Als Ende 1981 die Proteste in dem Land eskalierten und das Kriegsrecht ausgerufen wurde, folgten massive staatliche Repressionen gegen die Anhänger der Solidarność.123 Die USA wurden von den Ereignissen überrascht, erkannten darin aber schnell einen geeigneten Hebel, um den Druck auf die Sowjetunion zu erhöhen. Die US -Regierung begann nun direkt die Opposition in Polen und in anderen osteuropäischen Ländern finanziell zu unterstützen.124 Im Januar 1982 wandten sich die USA zudem gemeinsam mit den EG -Staaten vertraulich an den UN-Generalsekretär. Sie wollten die Menschenrechtslage in Polen auf der bevorstehenden Sitzung der Menschenrechtskommission öffentlich ansprechen und eine Resolution einreichen, in der sie den Generalsekretär aufforderten, die Menschenrechtsverstöße dort zu untersuchen.125 Javier Pérez de Cuéllar hatte kein Interesse daran, in den Konflikt hineingezogen zu werden, da er bereits im Rahmen seiner guten Dienste mit der polnischen Regierung über die Aufhebung des Kriegsrechts verhandelte und sich für den unter Hausarrest stehenden Solidarność122 PA AA : ZA B30, 134947, Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Washington an das Department of State, Amerikanische Menschenrechtspolitik vom 09.03.1983. 123 Andrzej Paczkowski: Revolution and Counterrevolution in Poland, 1980–1989. Solidarity, Martial Law, and the End of Communism in Europe, Rochester 2015, S. 54–120. 124 Domber: Empowering, S. 48–87. 125 UNARM : SG de Cuéllar, S-1051-12-3, Note for the Secretary General: Human Rights in Poland von G. Picco vom 15.01.1982.

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Führer Lech Wałęsa einsetzte.126 Die Forderung nach einer Untersuchung versetzte ihn in ein Dilemma. Der Generalsekretär konnte nicht als Ermittler fungieren und gleichzeitig als neutraler Vermittler im Rahmen seiner guten Dienste auftreten. Auch über die Frage, welchen Stellwert das Thema haben sollte, herrschte Uneinigkeit. Die USA wollten Polen gesondert auf die Agenda setzten lassen, um die besondere Schwere der Menschenrechtsverletzungen zu unterstreichen und mehr Zeit für dessen Behandlung zu bekommen. Im Gegenzug sollte Chile von der Tagesordnung gestrichen werden. Die anderen westlichen Staaten waren dagegen. Sie fürchteten, dadurch die Glaubwürdigkeit des westlichen Lagers zu gefährden. Stattdessen wollten sie Chile auf der Agenda belassen und Polen im Rahmen des 1235-Verfahrens zusammen mit anderen Staaten untersuchen lassen. Auch einige Bündnisfreie Staaten sprachen sich gegen eine Sonderbehand­ lung Polens aus, sodass sich am Ende der Vorschlag der Westeuropäer durchsetzte. Zum Nachteil des Generalsekretärs beschlossen die Mitglieder der Menschenrechtskommission, dass dieser die Untersuchung leiten sollte.127 Die polnische Regierung lehnte indes die von der Menschenrechtskommission eingeleitete Untersuchung des Generalsekretärs in Gänze ab. Warschau verurteilte diese als eine vom Westen initiierte Kampagne zur Destabilisierung Polens und verweigerte offiziell jegliche Kooperation mit dem Generalsekretär. Dieser ließ sich acht Monate Zeit, bis er den Argentinier Hugo Gobbi offiziell damit beauftragte, die Lage in dem Land zu untersuchen.128 Gobbi, der ebenfalls Sonderberichterstatter für den Zypernkonflikt war, hatte somit nur zwei Monate, um einen Bericht über Polen auszuarbeiten. Dabei durfte er nicht in das Land einreisen und vor Ort recherchieren. Die USA als Hauptinitiator dieses Verfahrens boten daraufhin ihre Hilfe an und beauftragten ihre Auslandsvertretungen in Westeuropa: […] to emphasize to host governments at highest appropriate level the importance of acting expeditiously to ensure that the enormous effort made by all involved in ­passage of HRC129 resolution results in  a meaningful report. Embassies should therefore emphasize need for supplying useful information to Special Representative 126 Ebd., Notes on the Secretary-General’s Meeting with the Prime Minister of Italy am 17.02.1982. 127 DS -FOIA : F-2014-09980, Telegramm der US -Botschaft in Genf an das Department of State in Washington D. C. vom 27.01.1982; ebd., Telegramm der US -Botschaft in Genf an das Department of State in Washington D. C. vom 30.01.1982 (2x); sowie ebd., Telegramm der US -Botschaft in Genf an das Department of State in Washington D. C. vom 03.02.1982. 128 Vgl. Theo van Boven: The Role of the United Nations Secretariat in the Area of Human Rights, in: New York University Journal for International Law & Politics 24/69 (1991), S. 69–107, hier S. 82 f.; mit UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-1-4, Human Rights in Iran 1981–1983: D. E.  Fitzpatrick, Note for the File vom 29.12.1982 (Herndl called about ­Poland and Iran). 129 HRC ist eine Abkürzung für Human Rights Commission.

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[Gobbi] to expedite his study in view of the limited time now available. Background material, information supplied by local NGO’s and documentation from solidarity groups in western countries, should prove useful in developing a broad base of information.130

Während sich die Westeuropäer weigerten, direkten Kontakt mit Gobbi aufzunehmen, um nicht den Verdacht der Einflussnahme zu wecken, traf sich die US -Botschafterin Kirkpatrick persönlich mit dem Argentinier.131 Dabei betonte sie: »There were no ulterior motives, nor was it proposed to use this subject as a political instrument«.132 Anschließend mahnte sie Gobbi jedoch, eine möglichst gründliche Studie auszuarbeiten, da die Öffentlichkeit sonst an der Effek­ tivität der Vereinten Nationen zweifeln würde. Außerdem brachte sie ihr Missfallen über die Verzögerung seiner Ernennung zum Ausdruck und forderte, dass sein Mandat nun verlängert werden müsste. Außerdem riet sie ihm, in seinem Bericht vor allem auf die Zeit vor 1983 einzugehen, als die Proteste und die Repressionen in Polen ihren Höhepunkt erlebten. Abschließend betonte sie: »Her Government considered the human rights question in Poland to be an extremely serious matter.«133 Doch nicht nur die USA wollten die Untersuchung beeinflussen. Eine Woche später tauchte der polnische Botschafter im Sekretariat in New York auf. Dieser betonte, dass der Generalsekretär ihn gebeten hätte, ihn über die Lage in Polen auf dem Laufenden zu halten: »With this in mind, he had put together a set of papers, drawn from official and public sources, that, he hoped would be of interest to the Secretary-General and the Secretariat.«134 Als die UN-Mitarbeiterin daraufhin fragte, ob auch Gobbi diese Unterlagen sehen dürfte, erklärte der Botschafter »[…] his Government could not officially co-operate with any study being prepared in response to the resolution of the Human Rights Commission.« Dennoch, so bemerkte die Mitarbeiterin des Generalsekretärs: »[…] he was handing me public documents which could, if needed, be used by Mr. Gobbi to follow the situation in Poland. He hoped that these documents would be taken into account. He added that, from time to time, he might have additional 130 DS -FOIA : F-2014-09980, Telegramm des Department of State in Washington D. C. an die US -Botschaften in u. a. Bonn, Brüssel, Kopenhagen, London, Paris, Rom, Stockholm und Den Haag vom 27.12.1982. 131 Ebd., F-2014-09980, Telegramm der US -Botschaft in Genf an das Department of State in Washington D. C. vom 13.01.1983. 132 Zitat UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-1-6, Mrs. Kirkpatrick’s Visit to Mr. Hugo J. Gobbi on 05.01.1983 at 10:00 Hours, 06.01.1983; sowie allgemein zu dem Treffen siehe DS FOIA : F-2014-09980, Telegramm der US -Botschaft in Genf an das Department of State in Washington D. C. vom 07.01.1983 133 UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-1-6, Mrs. Kirkpatrick’s Visit to Mr. Hugo J. Gobbi on 05.01.1983 at 10:00 Hours, 06.01.1983. 134 UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-1-6, Virendra Dayal: Note for the Secretary-General, 13.01.1983.

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documents sent over to my office.«135 Anschließend wurden die Dokumente an Gobbi nach Genf geschickt. Obwohl die Übermittlung von Informationen im Rahmen der Resolution von 1982 legitim war, zeigt die Art des Vorgehens, dass beide Seiten versuchten, Druck auf das Sekretariat auszuüben und Einfluss auf den Bericht des Experten des Generalsekretärs zu nehmen. Diese Bemühungen waren jedoch vergeblich, wie sich im weiteren Verlauf zeigen sollte. Kurz vor Beginn der Sitzung der Menschenrechtskommission 1983 legte die polnische Regierung schriftlich Beschwerde beim Generalsekretär ein, dass der Bericht von Gobbi unter dem Tagesordnungspunkt »Consistent Patterns of Gross Violations of Human Rights« (Titel des 1235-Verfahrens) besprochen werden sollte, wodurch er aus ihrer Sicht einen präjudizierenden Charakter bekäme.136 Zwei Wochen später, am 21. Februar 1983, wurde der Bericht schließlich veröffentlicht. Bei der anschließenden Debatte gingen die Meinungen innerhalb der Kommission weit auseinander. Die sozialistischen Staaten verurteilten diesen als Einmischung in die inneren Angelegenheiten und bezeichneten dessen Inhalt als »biased, one-sided and distorted«.137 Vor allem die Tatsache, dass in dem Bericht Informationen aus westlichen Medien und von NGOs verwendet wurden, kritisierten die sozialistischen Diplomaten. Die Vertreter der Bundesrepublik bezeichneten den Bericht hingegen als »nützlich«, aber von einem »vorläufigen« Charakter.138 Diesem Urteil schlossen sich weitere Staaten an und bemängelten, dass aufgrund der kurzen Zeit, in der der Bericht angefertigt wurde, dieser nicht ausführlich genug sei. Andere Staaten wie die USA , Kanada, Irland, Australien und Italien gingen in ihren Statements hingegen gar nicht auf den Bericht ein. Gemeinsam präsentierten die west­ lichen Staaten anschließend eine Resolution, in der sie dem Generalsekretär und Gobbi für ihre Arbeit dankten und eine Verlängerung des Mandats forderten. Zudem rügten sie die polnische Regierung wegen der mangelnden Kooperation und forderten die Aufhebung der Notstandsregelungen sowie die Einhaltung der Menschenrechte. Die Resolution wurde am 8. März 1983 mit 19 zu 14 Stimmen und 14 Enthaltungen angenommen.139 Damit könnte man die Sitzung aus westlicher Sicht als Erfolg betrachten. Dennoch wandten sich die USA einen Tag später in einer öffentlichen Mitteilung an die Presse und bezeichneten den Bericht Gobbis als »masterpiece of understatement and evasion«.140 Aus ihrer Sicht spiegele der Bericht nicht die »Realität« in dem Land wider und sei ein weiterer Beleg für die Doppelstandards der UN im Umgang mir den Menschenrechten: 135 Ebd. 136 Ebd., Yasushi Akashi: Note for the Record, 03.02.1983. 137 Ebd., Memorandum von William B. Buffum an den Generalsekretär vom 11.03.1983. 138 Ebd., Analysis of Debate on Poland, 10.03.1983. 139 Ebd., mit ORUN: E / C N .4/1983/60, Jahresbericht der 39. Sitzung der Menschenrechtskommission 1983, S. 63 f. 140 Zitiert nach Art.: U. S. Assails U. N. Report on Human Rights in Poland, in: Associated Press, 09.03.1983.

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In the case of Chile, Gershman said, U. N. reports were ›uniformly hostile‹, whereas in the case of Poland the Communist government there has been rewarded for its recalcitrant and entirely contemptuous attitude toward the commission.141

Weiter kritisierte der Sprecher der US -Botschaft in New York: »It appears that the representative of the Secretary-General (Gobbi) has bent over backwards to avoid offending the Polish authorities in the hope that they might relent and permit him to enter the country […].«142 Die US -Regierung präsentierte den Bericht damit als Beweis dafür, dass sich die UN erneut dem Diktat eines undemokratischen Landes unterworfen hätten. Sie profilierten sich öffentlich auf Kosten der Organisation und nutzten die Anti-UN-Stimmung in den USA , um zu polarisieren und sich selbst als Verteidiger der Menschenrechte zu präsentieren. Die UN dienten dabei als Sündenbock, auf dessen Rücken internationale Konflikte ausgetragen wurden. Schließlich hatten die westlichen Staaten selbst dafür gesorgt, dass Gobbi kein unabhängiges Mandat hatte und nicht als offizieller UN-Sonderberichterstatter agieren konnte. Stattdessen musste er sich als Experte des Generalsekretärs den politischen Zwängen dieses Amtes unterwerfen.143 Wie Gobbi später selbst gegenüber der US -Botschafterin Kirkpatrick einräumte, »[…] hätte [man] dem VN-GS die Bürde eines Berichtes ersparen sollen. Er, Gobbi, könne in den Bericht nichts aufnehmen, was den GS in Verlegenheit bringe.«144 Auch 1983 war der Menschenrechtsschutz für das UN-Sekretariat keine unpolitische Angelegenheit, sondern ein politisches und ideologisches Minenfeld. Im Sekretariat in New York sorgten die Äußerungen der US -Regierung für Verwirrung, schließlich hatten sich die USA weder beim Generalsekretär noch während der öffentlichen Sitzung der Menschenrechtskommission beschwert.145 Der US -amerikanische Berater des Generalsekretärs Buffum bemerkte: »As one reads the criticism from the ›other side‹, it would appear the report struck a good balance. It is interesting to compare the U. S. criticism with the Polish criticism.«146 Das Sekretariat war es gewohnt als Sündenbock herhalten zu müssen, und verbuchte diese Episode als ein weiteres Beispiel dafür, wie Staaten die UN für ihre politischen Interessen benutzten.147 Damit zeigt der Fall Polens, wie die USA die UN für ihre Ziele missbrauchten. Sie nutzten den UN-Menschenrechtsschutz, um Polen öffentlich bloßzustellen und die Konfrontation zwischen Ost und West zu verstärken. Zudem profilierten sie sich auf Kosten 141 Ebd. 142 Ebd. 143 DS -FOIA : F-2014-09980, Telegramm der US -Botschaft in New York an das Department of State in Washington D. C. vom 24.06.1983. 144 PA AA : ZA B30, 134947, Vermerk: VN -Konsultation vom 20.09.1983. 145 UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-1-6, Joe Sills, Note to the Secretary-General, 11.03.1983. 146 Ebd., Memorandum von William B. Buffum an den Generalsekretär vom 11.03.1983. 147 Bob Reinalda: Routhledge History of International Organizations. From 1815 to Present, London / New York 2009, S. 545–550.

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der Organisation, indem sie Gobbis-Bericht als Beleg für die Unfähigkeit und Voreingenommenheit der UN präsentierten. Dabei waren die USA selbst dafür mitverantwortlich, dass der Bericht am Ende unausgewogen ausfiel. Ab 1983 begann die nächste Phase der Eskalation. Die USA verstärkten die Konfrontation und damit den politischen Druck auf die Sowjetunion, indem sie ihre Initiativen auf verschiedene Ebenen ausweiteten. Am 23. März verkündete Reagan die Pläne für eine ›Strategic Defense Initiative‹ (SDI). Reagan wollten damit die Bedrohung durch sowjetische Atomraketen ausschalten und die Menschen in seinem Land vor einem Atomkrieg beschützen. Die sowjetische Führung sah darin aber den Versuch der USA , die Oberhand im nuklearen Wettrüsten zu erlangen und fühlte sich herausgefordert. Der Plan eines im Weltraum stationierten lasergestützten Raketenabwehrschirmes war zwar utopisch, dennoch verunsicherte er die Staaten des WVO und verschärfte den Konflikt.148 Auch in der Menschenrechtspolitik ging Reagan 1983 in die Offensive. Im Februar, kurz vor Beginn der Sitzung der Menschenrechtskommission, stellten die USA wie jedes Jahr ihren Menschenrechtsbericht vor. Dabei nutzte der Leiter der Menschenrechtsabteilung Abrams die dazu einberufene Pressekonferenz als Plattform, um einzelne sozialistische Staaten direkt anzugreifen. Vietnam sei demnach »[…] the worst country to live in […]«.149 Zudem legte die Ausgabe des Jahres 1983 einen besonderen Schwerpunkt auf die baltischen Staaten, die erstmals gesondert aufgeführt wurden. Darüber hinaus weiteten die US -Regierung ihre Menschenrechtspolitik auch auf andere Bereiche aus. Anfang Juni 1983 informierte der Leiter der US -De­ legation in der NATO seinen westdeutschen Amtskollegen, dass der US -Präsident eine Menschenrechtsoffensive gegen die Sowjetunion plane. Dieser wolle sowohl auf multilateraler als auch auf bilateraler Ebene die Menschenrechtslage in dem Land zu einem zentralen Aspekt der US -Außenpolitik machen. Menschenrechtsverletzungen sollten nicht nur öffentlich angeprangert werden, sondern auch in den bilateralen Verhandlungen mit sowjetischen Vertretern im Zentrum stehen. Zu diesem Zweck reiste der frühere stellvertretende US -Außenminister Walter Stoessel in die Hauptstädte der westeuropäischen NATO -Partner, um entweder »eine gemeinsame Beurteilung herbeizuführen oder gemeinsame Schritte einzuleiten.«150 Wie das britische Außenministerium dem Auswärtigen Amt auf Nachfrage verriet, hatte die Reise Stoessels vor allem innenpolitische Motive. Reagan reagierte damit auf den wachsenden Druck seitens jüdischer Interessensverbände, die ein stärkeres Eintreten für jüdische 148 Beth A.  Fischer: Nuclear Abolitionism, the Strategic Defense Initiative, and the 1987 Intermediate Nuclear Forces Treaty, in: Philipp Gassert / Tim Geiger / Hermann Wentker, The INF -Treaty of 1987. A Reappraisal, Göttingen 2021, S. 43–53. 149 PA AA : ZA B30, 134947, Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Washington an das Department of State, Amerikanische Menschenrechtspolitik, vom 09.03.1983. 150 Ebd., 134945, Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Brüssel (NATO) an das Auswärtige Amt vom 14.06.1983.

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Bürger in der Sowjetunion forderten.151 Das State Department bestätigte dies indirekt und bat das Auswärtige Amt der geplanten »Presidential Mission« deshalb vorerst keine Publizität zu geben.152 Auch wenn in dieser Initiative innen- und außenpolitische Motive zusammenliefen, änderte das nichts an dem Ergebnis, nämlich, dass der politische Druck auf die Sowjetunion gesteigert wurde. Darüber hinaus setzte die US -Regierung damit seine westlichen Verbündeten ebenfalls unter Druck. Das State Department betonte gegenüber dem Auswärtigen Amt vorab, dass es ihm darum ging, in enger Kooperation mit den NATO -Partnern Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetunion zum wichtigsten Thema in den UN, der NATO, der KSZE und darüber hinaus zu machen, damit das Land die Ausreisequoten für jüdische Menschen erhöhte und die Repressionen gegenüber Dissidenten einstellte. Nur ein gut koordiniertes Vorgehen der westlichen Staaten hätte dabei Aussicht auf Erfolg.153 Der US -Gesandte Stoessel traf am 11. Juli 1983 in Bonn ein, nachdem er zuvor Paris, Rom, Wien, Den Haag und Madrid aufgesucht hatte und überreichte einen Brief von Präsident Reagan an Bundeskanzler Helmut Kohl: Dear Helmut, I have asked Ambassador Walter Stoessel to make  a special trip to several countries in Europe to let you know of my concern about the human rights situation in the Soviet Union. The situation concerns me because of the importance I attach to the Helsinki Final Act commitments, because of the terrible costs that are being paid by individual human beings, and because our overall relationship with the Soviets is seriously affected by human rights violations. Our Western countries have been working hard to find ways of dealing with the Soviet Union that enhanced the chance for peace. Arms reduction negotiations are naturally a major focus of this effort. But I am convinced that human rights must be another, and for that reason we give it a central role in our discussion with the Soviets.154

Anschließend warb Stoessel für die US -Menschenrechtsoffensive und forderte die Verbündeten auf, dem Beispiel der USA zu folgen und Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetunion bei jeder sich bietenden Gelegenheit anzusprechen. Dazu empfahl er, regelmäßig Namenslisten ausreisewilliger Menschen anzu­fertigen, die dann an die sowjetischen Behörden übergeben werden konnten. Zudem sollten alle Staaten ihre informellen Kontakte innerhalb der Sowjetunion ausbauen, so wie es die USA mithilfe jüdischer Organisationen taten. Auch eine enge Zusammenarbeit mit NGOs, Kirchen und Gewerkschaften 151 Ebd., Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in London an das Auswärtige Amt vom 21.06.1983. 152 Ebd., Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Washington an das Auswärtige Amt vom 22.06.1983. 153 Ebd., Telegramm des Auswärtigen Amtes an die Botschaft der Bundesrepublik in Brüssel (NATO) vom 12.07.1983; ebd., Vermerk: Europareise einer »Presidential Mission« unter Leitung des früheren Stellvertretenden Außenministers Walter Stoessel, Bonn, 06.07.1983. 154 Ebd., Brief von Ronald Reagan an Helmut Kohl vom 02.07.1983.

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konnte nützlich sein, um den politischen Druck auf die sowjetische Regierung zu erhöhen.155 Staatssekretär Berndt von Staden blieb allerdings skeptisch. Zwar könnte man den Willen der sowjetischen Führung, die Beziehungen zum Westen zu verbessern, als Hebel nutzen, die tatsächliche Wirkung sei aber sehr begrenzt. Die Bundesrepublik wolle sich deshalb lieber auf die ›stille Diplomatie‹ konzentrieren, da diese sich in der Vergangenheit bewährt hätte.156 Stoessel forderte daraufhin wenigstens eine gemeinsame Erklärung der NATO -Staaten, was der Staatssekretär ablehnte. Stattdessen sollte jeder Staat selbst eine Erklärung abgeben, die auf einer gemeinsamen Grundlage fuße, um das »Block zu BlockVerhalten« nicht noch zu verstärken.157 Die Westdeutschen scheuten die öffentliche Konfrontation mit sozialistischen Diplomaten und wollten lieber im Stillen wirken. Zugleich fühlten sie sich von den USA unter Druck gesetzt. Im Sommer des Jahres 1984 reiste Stoessel erneut durch Europa, um sich mit den westeuropäischen Verbündeten zu beraten. Das Auswärtige Amt beharrte jedoch weiterhin darauf, dass die Bundesrepublik die ›stille Diplomatie‹ einer öffentlichen Auseinandersetzung vorziehe, obwohl sie selbst einräumen musste, dass beide Vorgehensweisen bisher wenig bewirkt hatten: Gleichwohl aber haben sowohl die Regierungen, die eine ›stille Diplomatie‹ verfolgen, als auch die Regierungen, die mit Menschenrechtsfragen stärker an die Öffentlichkeit treten, beide wenig Erfolg zu verzeichnen. […] Um nicht unnötig sowjetische Prestigeempfindlichkeiten zu verletzen, möchten wir dennoch den Eindruck vermeiden, wir wollten die SU unter Druck setzen.158

Auch die zweite Mission Stoessels brachte auf den ersten Blick somit keine konkreten Ergebnisse hervor, sondern legte lediglich die Uneinigkeit zwischen den USA und ihren Verbündeten im Umgang mit Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetunion offen. Dabei bot die politische Entwicklung in Osteuropa den westlichen Staaten genügend Anlass, um die Menschenrechtssituation öffentlich anzusprechen. In Polen wurde der Notstand zwar Ende Juli 1983 aufgehoben, doch die Lage blieb weiterhin angespannt. Teile der Solidarność gingen in den Untergrund, es kam weiterhin zu sporadischen Demonstrationen und die Repressionen des Sicherheitsapparates hielten weiter an.159 Am 1. September 1983 schoss die sowjetische Luftwaffe zudem versehentlich ein ziviles südkoreanisches Passagier­ flugzeug ab. 269 Menschen kamen dabei ums Leben, darunter auch ein Mitglied 155 Ebd., Vermerk: Europareise einer »Presidential Mission« unter Leitung des früheren Stellvertretenden Außenministers Walter Stoessel, Bonn, 06.07.1983. 156 Ebd., Telegramm des Auswärtigen Amtes an die Botschaft der Bundesrepublik in Brüssel (NATO) vom 12.07.1983. 157 Ebd., 158 Ebd., Bericht an den Herrn Staatssekretär: Europareise von Walter Stoessel, vom 11.07.1984 (Mehrere Unterlagen dazu aus dem Jahr 1984). 159 Paczkowski: Revolution, S. 270–283.

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des US -Kongresses.160 In seiner Rede an die Nation verurteilte US -Präsident Reagan den Vorfall aufs schärfste und bezeichnete ihn als ein »Massaker« und »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«. Dabei nutzte er die Rede auch, um die Menschenrechtslage in der Sowjetunion erneut anzusprechen: »Their deaths were the result of the Soviet Union violating every concept of human rights.«161 Zudem betonte er: Secretary Shultz is going to Madrid to meet with representatives of 35 countries who, for 3 years, have been negotiating an agreement having to do with, among other things, human rights. Foreign Minister Gromyko of the Soviet Union is scheduled to attend that meeting. If he does come to the meeting, Secretary Shultz is going to present him with our demands for disclosure of the facts, corrective action, and concrete assurances that such a thing will not happen again and that restitution be made.162

Reagan kritisierte die Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetunion nun bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Zwei Wochen später reiste eine Delegation des US -Senats nach Moskau, um sich mit Andropow zu treffen. Diese sprach den sowjetischen Generalsekretär direkt auf das Schicksal von Sacharow an und forderte ihn auf, mehr Ausreisegenehmigungen für jüdische Menschen auszustellen. Andropow reagierte »engagiert« und »deutlich erregt«. Er behauptete Sacharow sei geisteskrank. Andere Dissidenten bezeichnete er als Spione und Schwerverbrecher. In Bezug auf die Ausreise jüdischer Menschen hielt er ebenfalls an seinem Standpunkt fest.163 Andropows Reaktionen bestätigten die Einschätzung des Auswärtigen Amtes, wonach der Kreml auf direkte Kritik aggressiv reagierte. Dennoch begannen nun auch die Diplomaten in Bonn ihre Bemühungen zu verstärken und nach neuen Wegen zu suchen, die Menschenrechtslage in der Sowjetunion sowohl in bi- als auch multilateralen Verhandlungen stärker miteinzubeziehen. Zudem suchte und förderte das Auswärtige Amt parlamentarische Gruppen, NGOs und Gewerkschaften, die sich für die Menschenrechte in Osteuropa engagierten. Damit zeigte die Stoessel-Mission auf dem zweiten Blick doch noch einen Effekt. Zwar weigerte sich die Bundesregierung weiterhin Menschenrechtsverletzungen in Osteuropa öffentlich anzuprangern, dafür intensivierte sie nun ihre bilateralen Bemühungen im Verborgenen.164 Auch in der UN-Menschenrechtskommission wollten die USA ab 1983 den Druck auf die Sowjetunion steigern. Dazu lud der neue Leiter der US -Delegation 160 Schild: 1983, S. 173–183. 161 Vgl. Rede zur Lage der Nation von Ronald Reagan am 05.09.1983, online: https://www. reaganlibrary.gov/research/speeches/90583a (09.04.2021). 162 Ebd. 163 PA AA : ZA B30, 134945, Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Moskau an das Auswärtige Amt in Berlin 25.08.1983. 164 Ebd., (Mehrere Dokumente in dem Ordner zeigen, wie das Auswärtige Amt seine Kontakte zu u. a. parlamentarischen Gruppen ausweitete, die sich für Menschenrechte in der Sowjetunion einsetzten).

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in der UN-Menschenrechtskommission Richard Schifter seine westlichen Kollegen Anfang Juni zu einem Vorbereitungstreffen ein.165 Im Zentrum stand die Frage, wie man auf die sowjetische Menschenrechtspolitik reagieren sollte. Die Themen »Wissenschaft und Technik im Dienst des Friedens«, ›Neofaschismus‹ und ein Recht auf Leben dienten seiner Ansicht nach lediglich dazu, das Thema Menschenrechtsschutz zu verdrängen. Die westlichen Staaten sollten dies nicht länger unterschätzen, sondern versuchen, dem aktiv entgegenzuwirken. Ebenso empfahl er eine engere Zusammenarbeit der westlichen Staaten beim Thema Recht auf Entwicklung. Zudem erwähnte er eine von den USA geplante Kampagne über eine Generalamnestie für politische Häftlinge, mit der sie auf die Menschenrechtslage in der Sowjetunion aufmerksam machen wollten.166 Schifter intensivierte das US -Engagement in der Menschenrechtskommission und suchte die Konfrontation mit den sozialistischen Diplomaten in den UN. Im Gegensatz dazu verfolgten die Westeuropäer jeweils eigene Initiativen. Italien brachte 1983 die Forderung nach einem Hochkommissar für Menschenrechte erneut ein. Dänemark und Finnland wollten eine Resolution gegen willkürliche Hinrichtungen (›Summary Executions‹) einreichen und Großbritannien eine gegen die Praxis des ›Verschwindenlassens‹. Die Niederlande wollten sich für den Abschluss der CAT einsetzen. Alle drei Themen gingen auf Initiativen von AI zurück und verdeutlichen, wie das Zusammenspiel zwischen westlichen Regierungen und NGOs in den UN wirkte.167 Die Bundesrepublik plante hingegen ein Fakultativprotokoll zum UN-Zivilpakt zur Abschaffung der Todesstrafe, womit sie sich sogar direkt gegen einen engen Verbündeten wandte – die USA .168 Die westeuropäischen Mitglieder der Menschenrechtskommission vertraten eigene Initiativen und profilierten sich auf breiter Front, indem jeder einen spezifischen Aspekt des Menschenrechtsschutzes für sich vereinnahmte. Bemerkenswert war dabei, dass all diese Themen keinen direkten Bezug zum Ost-West-Konflikt hatten. Willkürliche Hinrichtungen, Folter und das ›Verschwindenlassen‹ waren Menschenrechtsverletzungen, die überall auf der Welt vorkamen. Das sollte den universellen Anspruch der Menschenrechte unterstreichen, womit sich die Initiativen der Westeuropäer bewusst vom konfrontativen Vorgehen der USA abgrenzten. Zudem versuchten sie damit den Vorwurf der Selektivität des UN-Menschenrechtsschutzes aktiv zu entkräften, indem sie das Themenfeld ausweiteten. Dabei konzentrierten sie sich nicht auf einzelne Länder, sondern auf die Art der Menschenrechtsverletzungen. Durch die Fokus­sierung auf die Praktiken anstatt auf einzelne Länder wurden die Themen 165 PA AA : ZA B30, 134947, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt in Bonn vom 09.06.1983. 166 Ebd. 167 Eckel: Ambivalenz, S. 387. 168 Siehe beispielhaft PA AA : ZA B30, 134947, Telegramm Bonn an Houston: Todesstrafe in den USA vom 10.06.1985.

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politisch entschärft und verloren an Brisanz, wodurch es einfacher wurde, diese durchzusetzen. Dieses Vorgehen führte gleichzeitig dazu, dass sich die USA innerhalb der westlichen Gruppe weiter isolierten.169 Das wurde auch bei den Vorbereitungen der folgenden Sitzung deutlich. Ende 1983 reiste Schifter mehrfach persönlich nach Bonn, um sich mit seiner westdeutschen Kollegin im Auswärtigen Amtes zu besprechen. Er betonte dabei, dass aus seiner Sicht Großbritannien und die Bundesrepublik die »Kerngruppe« der westlichen Staaten in den UN darstellten und Washington in Zukunft die Zusammenarbeit mit beiden Staaten vorziehe. Die Franzosen würden ihn hingegen mit ihrem Verhalten irritieren, weswegen er sich auf diese nicht mehr verlassen könne. Dafür seien die »Afrikaner […] individueller Beeinflussung zugänglich, wenn man sich intensiv um sie kümmere.«170 Anschließend äußerte sich Schifter erstmals zur sowjetischen Initiative über das ›Recht auf Frieden‹ und der damit verbundenen Friedensrhetorik der sozialistischen Staaten. Der Westen habe das Thema bisher ignoriert, dabei dürfe man die Bereiche Frieden und Abrüstung nicht den sozialistischen Ländern überlassen, sondern müsse zukünftig versuchen, diese mithilfe von Amende­ ments für sich zu vereinnahmen.171 Zudem wollte Schifter das Thema religiöse Intoleranz wiederbeleben. Die Debatte über eine Konvention dazu hatte infolge des Sechstagekrieges von 1967 an Bedeutung verloren. Dieses Mal sollte sich der Fokus aber nicht nur auf jüdische Menschen in der Sowjetunion oder in arabischen Ländern richten, sondern auch auf die Verfolgung der Bahai im Iran aufmerksam machen. Ähnlich wie bei der Stoessel-Mission spielten auch hier im Hintergrund innenpolitische Motive eine Rolle. Die Exilgemeinschaft der Bahai war in den USA sehr gut organisiert und übte seit der islamischen Revolution von 1979 politischen Druck auf die US -Regierung aus. Auch beim Thema Recht auf Entwicklung wollte Schifter in Zukunft eigene Akzente setzten und betonte, dass es vor allem darauf ankäme: […] diesen Begriffsbereich mit westlichen Qualifikationen zu besetzen. Der Osten möchte hier seine kollektivistischen Vorstellungen durchsetzen. Es müßte aber dem Westen leichtfallen, anhand des Versagens der kollektiven sowjetischen Landwirtschaft oder an dem schlechten Beispiel, das Tansania mit ähnlichen Experimenten gemacht habe, nachzuweisen, daß die westliche Konzeption die bessere sei. In Washington fange man an, sich mit diesen Möglichkeiten ernsthaft zu beschäftigen. Es müsse vermieden werden, daß der Westen durch allzu lange Zurückhaltung zunächst in die Defensive gerate, aus der heraus aktive Operationen viel schwieriger zu initiieren seien.172 169 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt in Bonn vom 09.06.1983. 170 Ebd., Vermerk: Gespräch mit US -Vertreter in der Menschenrechtskommission, Richard Schifter, am 16.11.1983. 171 Ebd., Gesprächsnotiz: Gespräch des US -Delegationsleiters bei der MRK Richard Schifter, mit RL i. V. 231 am 16.09.1983. 172 Ebd.

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Die Treffen zwischen dem US -Delegationsleiter Schifter mit seiner Kollegin im Auswärtigen Amt verdeutlichen zwei wichtige Entwicklungen. Erstens wuchsen die Spannungen innerhalb der westlichen Staatengruppe zwischen den USA und den anderen Mitgliedern, weshalb sich die US -Diplomaten nun primär mit Vertretern der Bundesrepublik und Großbritannien austauschten. Zweitens gewann unter Schifter die Konkurrenz um Menschenrechte ab 1984 wieder an Bedeutung innerhalb der US -Menschenrechtspolitik. Zwar wollte Schifter auch weiterhin jede Gelegenheit nutzen, um auf Menschenrechtsverletzungen in Osteuropa hinzuweisen. Gleichzeit versuchte er nun aber auch aktiv, mit den sozialistischen Staaten um die Deutungshoheit in verschiedenen Themengebieten wie Abrüstung und dem Recht auf Entwicklung zu konkurrieren. Schifter erweiterte damit ab 1984 Reagans Menschenrechtspolitik und leitete damit die dritte Phase ein. Die Sitzung der Menschenrechtskommission des Jahres 1984 verlief auf den ersten Blick erfolgreich für die westlichen Staaten. Die USA nutzten die Themen Afghanistan und Kambodscha, um die sozialistischen Länder anzuklagen. Es gelang ihnen sogar, die Einsetzung eines Sonderberichterstatters zur Lage in Afghanistan durchzusetzen. Zudem wurde das vertrauliche Verfahren gegen das Land unter Resolution 1503 in das öffentliche Verfahren unter Resolution 1235 übergeleitet. Bisher war Afghanistan immer nur unter dem Tagesordnungspunkt Selbstbestimmungsrecht der Völker behandelt worden, nun wurde es im Bereich »Question of Violation of Human Rights […]« besprochen.173 Auch zum Iran einigte sich die Kommission schließlich auf die Einsetzung eines Sonderberichterstatters. Ebenso wurde ein Sonderberichterstatter zum Thema ›Right to Leave‹ eingesetzt, der sich mit den Ausreisebeschränkungen der Menschen in Osteuropa befasste. Die USA und Großbritannien nutzten zudem die sowjetische Debatte zum Thema Wissenschaft und Technik im Dienste der Menschenrechte, um der Sowjetunion den Missbrauch psychiatrischer Einrichtungen zur Inhaftierung politischer Gefangener vorzuwerfen.174 Es gelang den westlichen Staaten, einige ihrer Initiativen voranzubringen und das Blickfeld der Menschenrechtskommission zu erweitern, gleichzeitig konnten die USA und Großbritannien die sozialistischen Staaten weiter öffentlich unter Druck setzen. Auf den zweiten Blick offenbarte die Sitzung des Jahres 1984 aber auch die wachsenden Spannungen innerhalb des westlichen Lagers. Im September 1984 trafen sich die Vertreter der Bundesrepublik, Großbritanniens, der Niederlande, Belgiens, Japans und der USA . Ziel dieses Treffens war es laut Schifter, die »Zusammenarbeit der westlichen Länder bei der rechtzeitigen Vorberei173 Vgl. ORUN: E / C N .4/1984/77, Jahresbericht der 40. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1984, Resolution 1984/55; mit PA AA : ZA B 30, 134884, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 16.03.1984. 174 PA AA : ZA B30, 134947, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 27.02.1984.

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tung von MRK-Tagungen zu verbessern und mittelfristige Perspektiven für die Arbeit in der MRK zu entwickeln.«175 Schifter kritisierte auf dem Treffen, dass die anderen ihre Initiativen erst in »letzter Minute« formulierten und in Genf vorstellen würden, ohne dass er Zeit habe, sich damit zu befassen, was ihn vor »schwerwiegende Probleme« stelle. Das gleiche gelte für die Behandlung von Schwerpunktthemen und die Vorbereitung entsprechender Debattenbeiträge. Außerdem wäre eine mittelfristige Planung über weitere Initiativen wünschenswert. Großbritannien und Westdeutschland widersprachen zunächst: GB und wir legten dar, dass nach unseren Erfahrungen die westliche Koordinierung in Genf – im Gegensatz zur New Yorker Situation während der GV – besonders intensiv sei und auch gute Resultate ergeben habe. Weitere Perfektionierung sei kaum noch denkbar.176

Wenig später ließen sie aber erkennen, dass sie mit der Organisation der Sitzungen überfordert waren: Da neben den täglichen Besprechungen der Delegationsleiter in unseren Vertretungen zahlreiche Sitzungen von Sonderarbeitsgruppen zu einzelnen Themen stattfänden, die kleinere Delegationen manchmal kaum noch wahrnehmen könnten.177

Ein weiteres Problem war, dass sich bis Weihnachten alle Anstrengungen in den Botschaften auf die Generalversammlung konzentrierten und im Januar die ausführlichen Abschlussberichte an die Hauptstädte geschrieben werden mussten. Zur Vorbereitung der Menschenrechtskommission im Februar bliebe dabei wenig Zeit und diesen Arbeitsrhythmus könne man auch nicht verändern. Schließlich räumten sie ein, dass es auf den vorherigen Sitzungen doch Meinungsverschiedenheiten innerhalb des westlichen Lages gab, die teilweise offen ausgetragen wurden, worunter vor allem die Debatte über den Hochkommissar für Menschenrechte gelitten hätte. Die Niederländer warfen abschließend noch ein, dass es die Prärogative jeder Delegation sei, kurzfristig eigene Initiativen einzubringen, zumal hierbei meistens die jeweiligen Außenminister die Entscheidung träfen. Am Ende einigten sich die Vertreter der westlichen Staaten darauf, zukünftig die Koordinierung zu verbessern und mehr öffent­liche Aufmerksamkeit auf Genf zu lenken. Dazu sollte die Kooperation mit dem Fern­sehen und Radio ausgebaut werden, um die mediale Außenwirkung zu erhöhen.178 Das Treffen verdeutlicht, dass es innerhalb der westlichen Gruppe nicht rund lief. Es gab Spannungen zwischen den Westeuropäern und den USA . Dabei war vor allem die Bundesrepublik hin- und hergerissen. Auf der einen Seite suchte sie die Kooperation im Rahmen der EG , vor allem mit Frankreich. 175 Ebd., 134879, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt in Bonn vom 18.09.1984. 176 Ebd. 177 Ebd. 178 Ebd.

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Auf der anderen wollte sie die intensive transatlantische Partnerschaft und die von Schifter immer wieder hervorgehobenen engen Beziehung mit den USA nicht gefährden. Obwohl sich 1985 die Menschenrechtslage in Osteuropa verbesserte, schwelte der Streit innerhalb des westlichen Lagers weiter. Seit dem offiziellen Besuch Gromykos in Washington im September 1984 wurden die Repressionen in der Sowjetunion heruntergefahren. Wie die westdeutsche Botschaft in Moskau meldete, hätte es keine neuen Verhaftungen von Dissidenten mehr gegeben. Die niederländische Botschaft, die inoffiziell seit 1967 die Interessen Israels in der Sowjetunion vertrat, berichtete zudem, dass die sowjetischen Behörden wieder mehr Ausreisegenehmigungen für jüdische Bürger ausstellen würden: Hinzu kommen lockernde Tendenzen in sowjetischer Innenpolitik: Im Gegensatz zu Frühjahr [sic] Sommer 1984 tritt [sic] derzeit in seinen Aktivitäten etwas zurück. Besorgte Äußerungen bei Sowjetbürgern über Verschärfung der Gesetze und Verordnungen sind weniger zu hören. In sowjetischen Fachkreisen und Medien (Neue Rubrik in der ›Iswestija‹) findet fortlaufende Diskussion über mehr Rechtsstaatlichkeit statt. Dabei werden vereinzelt Willkür-Übergriffe der inneren Organe negativ dargestellt.179

Die westlichen Staaten waren sich uneinig, wie sie darauf reagieren sollten, ebenso im Fall Polens. Die USA wollten einen Sonderberichterstatter einsetzen, um die Lage in dem Land weiter beobachten zu lassen. Frankreich und die Bundesrepublik waren dagegen und wollten stattdessen in ihren öffentlichen Statements auf die Verbesserung der Menschenrechtslage aufmerksam machen, um der Regierung in Warschau entgegenzukommen.180 Am Ende setzten sich die Westeuropäer durch und die Debatte über Polen wurde beendet.181 Auch beim Thema Afghanistan gab es Probleme. Zwar lobten alle den Bericht des Sonderberichterstatter Ermacora. Zugleich wollte sich niemand bereit erklären, das Thema zu übernehmen und eine entsprechende Resolution vorzulegen, da man genug mit den eigenen Initiativen zu tun hatte. Am Ende erklärte sich die Bundesrepublik nach langem Hin und Her bereit, eine entsprechende Resolution einzureichen.182 Differenzen zeigten sich vor allem auch bei der Bewertung der Lage in Mittelamerika. Zwar lobten alle grundsätzlich die Fortschritte im

179 PA AA : ZA B30, 134945, Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Moskau an das Auswärtige Amt in Bonn vom 17.01.1985. 180 Ebd., 134879, Sachstand: Menschenrechtslage in Polen und El Salvador vom 20.02.1985. 181 Zum Verlauf der Debatte vgl. ebd., Sachstand: Menschenrechtslage in Polen und El Salvador vom 20.02.1985; mit ORUN , A / C N .4/1985/66, Jahresbericht der 41. Sitzung der Menschenrechtskommission 1985. 182 Vgl. PA AA : ZA B30, 134884, Bericht an den Herrn Staatssekretär vom 25.02.1985: Behandlung der Menschenrechte in Afghanistan; mit ebd., Drahterlass an Genf vom 28.02.1985; mit ORUN: A / C N .4/1985/66, Jahresbericht der 41. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1985, S. 167.

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Demokratisierungsprozess in El Salvador und Guatemala, aber vor allem die Niederländer kritisierten zum Missfallen der USA , dass es in El Salvador immer noch zu Menschenrechtsverletzungen käme und sich die politische Lage in Chile erneut verschlechtert hätte.183 Diese Differenzen spiegelten sich auch in den anschließenden Abstimmungsergebnissen wider, bei denen die USA erneut isoliert wurden.184 Kurz nach dieser Sitzung reiste Schifter erneut nach Bonn. Beide Seiten bewerteten die »deutsch-amerikanischen Beziehungen« als »gut und eng«.185 Zugleich störte sich die westdeutsche Diplomatin daran, dass Schifter gelegentlich versuchte, sie: […] in besonderem Maße in die Pflicht zu nehmen. […] Diesem Zweck dient offenbar das wiederholte Beharren auf angeblichen Versäumnissen oder Widersprüchen in unserer Haltung. Wir sollten demgegenüber auf Basis der sachlich und persönlich guten Zusammenarbeit ruhig darlegen, wo wir mit amerikanischen Überlegungen übereinstimmen und wo nicht.186

Im Folgenden erläuterte sie den Standpunkt der Bundesrepublik. Im Punkto Chile wollte Westdeutschland die sich verschlechternde Menschenrechtslage in einer Resolution ansprechen, obwohl die USA dagegen waren. Mit Blick auf El Salvador versuchte sie hingegen die Wogen zu glätten. Dass sich die Bundesrepublik auf der letzten Sitzung der Generalversammlung der Bitte der USA um »Miteinbringerschaft« ihrer Resolution widersetzt hätte, läge daran, dass man die EG -Staaten sowie die Contadora-Gruppe187 nicht »spalten« wollte. Zumal eine westdeutsche Beteiligung auch nichts an dem negativen Ergebnis geändert hätte. Bei der Frage der Erweiterung der Institutionen im Bereich des UN -Menschenrechtsschutzes bestand hingegen Einigkeit. Zugleich beschwerte Schifter sich aber über die Arbeit des UN-Menschenrechtszentrums, diese sei unzureichend und »was immer geschehen sollte, müssten die Mitgliedstaaten selbst tun.«188 Das transatlantische Verhältnis blieb schwierig und die Differenzen zwischen den EG -Staaten und den USA traten immer stärker hervor.

183 PA AA : ZA B30, 134864, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 13.03.1985. 184 Vgl. ORUN: A / C N .4/1985/66, Jahresbericht der 41. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1985. 185 PA AA : ZA B30, 134947, Bericht: Deutsch-amerikanische VN -Konsultation, 30.04.1985. 186 Ebd. 187 Eine vom schwedischen Premierminister Olof Palme eingeleitete Initiative, in der sich mehrere südamerikanische Staaten zusammenschlossen, um eine friedliche Lösung der Konflikte in der Region zu erwirken. Allgemein zu den Konflikten in Zentralamerika siehe John H. Coatsworth: The Cold War in Central America, 1975–1991, in: Melvyn P. Leffler / Odd Arne Westad (Hg.), The Cambridge History of the Cold War. Endings, Bd. 3, Cambridge 2010, S. 201–221. 188 PA AA : ZA B30, 134947, Bericht: Deutsch-amerikanische VN -Konsultation, 30.04.1985.

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Besonders deutlich wurde das in der nachträglichen internen Analyse des Abstimmungsverhaltens auf der Generalversammlung von 1984 durch Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes. Bemerkenswert sei demnach »die große ›Schere‹ zwischen den Extrempolen« der westlichen Gruppe. Während Großbritannien am häufigsten mit den Positionen der Bundesrepublik übereinstimmte, lagen die USA lediglich auf Platz acht der westlichen Gruppe. Griechenland und die Türkei bildeten die Schlusslichter.189 Auch das State Department wertete das Abstimmungsverhalten der anderen Staaten mittlerweile statistisch genau aus. Anders als das Auswärtige Amt benutzten sie die Ergebnisse aber nicht nur für die interne Revision, sondern versandten diese an ihre Partner, verbunden mit einer impliziten Botschaft, wie man in Bonn kritisch bemerkte: Im Falle der US -Studie sind […] [die Ziele] ganz klar: Etwas vereinfacht ausgedrückt soll die Studie Freund und Feind orten, die Konsequenzen sind […] Belohnung bzw. Bestrafung im bilateralen Verhältnis. Dieser Ansatz scheint mir selbst aus Sicht einer Supermacht nicht nur zu undifferenziert, sondern im Grundsatz verfehlt. Er macht die Interessenslage der USA zum Maßstab […] und mißt das Verhalten andere schlicht an deren Nähe und Ferne hierzu. Daß andere Staaten eventuell eine objektiv andere Interessenslage habe könnten als die USA und eine Abstimmung für oder gegen eine Resolution nicht immer eine Abstimmung für oder gegen die USA sein muß, bleibt völlig außer Betracht.190

Im August 1985 übersandte das State Department dem Auswärtigen Amt dazu ein »Non-Paper« mit ihren wichtigsten Zielen für die nächste Generalversammlung. Primär sollte erneut ein Ausschluss Israels verhindert werden. Diesmal war der Iran die treibende Kraft hinter der Initiative. Dann sollten Resolutionen verhindert werden, in denen die USA namentlich kritisiert wurden. Washington wollte es nicht länger hinnehmen, in Resolutionen der Generalversammlung wegen seiner engen Beziehungen zu Südafrika und Israel oder seiner Verstrickun­ gen in Mittelamerika verurteilt zu werden. Der Großteil des ›Non-Papers‹ bezog sich auf diesen letzten Punkt, indem erneut alle UN-Mitgliedstaaten prozentual anhand der Abstimmungsstatistik in die Kategorien »Freunde« und »Feinde« der USA aufgeteilt wurden.191 Reagans Menschenrechtspolitik spaltete das westliche Lager in den UN. Das Abstimmungsverhalten innerhalb der westlichen Gruppe differenzierte sich immer weiter aus und nicht alle waren bereit, Reagans umstrittener Menschenrechtspolitik zu folgen. Die USA isolierten sich mit ihrer Haltung in den UN und wurden dafür mittlerweile auch offen kritisiert. 189 Ebd., 142160, Vermerk vom 08.05.1985. 190 Ebd., Brief von VLR I Klaus Werndl (New York) an VLR I Claus Vollers (Bonn) vom 09.07.1985. 191 PA AA : ZA B30, 134947, Vermerk: Betr.:40. GV; hier: spezielle Anliegen der USA , vom 14.08.1985.

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Ende 1985 kündigte der US -Präsident eine Wende in seiner UN-Politik an. Am 24. Oktober 1985 hielt Reagan eine Rede vor der Generalversammlung. Darin lobte er den Einsatz der UN für den Frieden und bot den Mitgliedern einen Neustart der Beziehungen an: »I come offering for my country  a new commitment, a fresh start.«192 Im Anschluss zählte er die Erfolge der UN auf wie die Zusammenarbeit im Koreakrieg, die Verhandlungen zur Nichtverbrei­ tung von Atomwaffen, die Unterstützung für die Dekolonisierung sowie die Arbeit des Hochkommissars für Flüchtlinge. Zugleich kritisierte er aber: »Nor must we close our eyes to this organization’s disappointments: its failure to deal with real security issues, the total inversion of morality in the infamous Zionism-is-racism resolution, the politicization of too many agencies, the misuse of too many resources.«193 Im Anschluss konzentrierte er sich vor allem auf den Ost-West-Konflikt. Dabei zeichnete er erneut ein dichotomes Weltbild. Die USA und der Westen standen darin für Frieden, Freiheit und Menschenrechte, wohingegen die UdSSR »Mauern errichte« und »Krieg und Unterdrückung« auf der Welt verbreitete: It’s difficult for us to understand the ideological premise that force is an acceptable way to expand a political system. We Americans do not accept that any Government has the right to command and order the lives of its people, that any nation has an historic right to use force to export its ideology. This belief regarding the nature of man and the limitations of government, is at the core of our deep and abiding difference with the Soviet Union, differences that put us into natural conflict and competition with one another.194

Die Doppelmoral dieser Worte erscheint in der Rückschau erschreckend. Zur gleichen Zeit, als Reagan in New York seine Rede hielt, verkaufte der US -Geheimdienst CIA Waffen an die Islamische Republik Iran und gestattete es den Contra-Rebellen Nicaraguas tonnenweise Kokain in die USA zu schmuggeln, um damit den Bürgerkrieg im eigenen Land zu finanzieren. Dort kämpften sie gegen eine demokratisch gewählte Regierung, wobei sie massive Menschenrechtsverletzungen verübten. Der US -Kongress hatte Reagan bereits 1982 die Finanzierung dieser Gruppen verboten. Die CIA nutzte den illegalen Handel mit Waffen und Drogen, um dieses Verbot zu umgehen und ihre Vor­stellung von Freiheit und Demokratie in Mittelamerika mit Gewalt durchzusetzen. 1986 wurden diese Geschäfte von Journalisten in den USA aufgedeckt und die ›IranContra-Affäre‹ führte der Welt die Abgründe der ›Reagan-Doktrin‹ vor Augen.195 192 Rede Ronald Reagans auf der 40. Sitzung der Generalversammlung am 24.10.1985, online: https://www.reaganlibrary.gov/research/speeches/102485a (09.04.2021). 193 Ebd. 194 Ebd. 195 Anfang 1986 wurden diese illegalen Operationen von der US -Presse aufgedeckt und unter der Bezeichnung ›Iran-Contra-Affäre‹ bekannt gemacht, siehe dazu Malcolm Byrne: Iran-Contra. Reagan’s Scandal and the Unchecked Abuse of Presidential Power, Lawrence 2014, S. 307–330.

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Den Schwerpunkt von Reagans Rede bildeten die Abrüstungsverhandlungen mit der Sowjetunion in Genf und das für November geplante Treffen mit dem neuen Generalsekretär der KPdSU Michail Gorbatschow. Dabei streckte er die Hand zum Dialog aus und verkündete mit Blick auf das Treffen: »I look to a fresh start in the relationship of our two nations.«196 Es waren vor allem diese Worte und die ihnen folgenden Sätze, in denen Reagan von Kooperation statt von Konfrontation sprach, die im Anschluss an diese Sitzung von den Medien aufgegriffen wurden und um die Welt gingen.197 Während sich Ost und West annäherte, leitete Reagan auch in seiner UNPolitik den angekündigten Neustart ein. Vernon A. Walters wurde zum neuen UN -Botschafter der USA . Im Gegensatz zu seiner Vorgängerin Kirkpatrick war er den Vereinten Nationen gegenüber positiver eingestellt.198 Zudem beförderte Reagan Schifter zum Leiter der Menschenrechtsabteilung im State Department. Während sein Vorgänger Abrams sich vor allem darum bemüht hatte, die Menschenrechte innerhalb der Bürokratie des US -Außenministeriums zu verankern und ihre Stellung zu verbessern, wollte Schifter die UN-Menschenrechtspolitik der USA ausweiten.199 Dazu reiste er Ende 1985 erneut nach Bonn, um sich mit seinen westdeutschen Kollegen zu treffen. Er kündigte an, dass die USA zukünftig ihre multilaterale Politik in den UN wieder intensivieren wollten und eine aktivere Rolle im UN-Menschenrechtsbereich anstrebten. Als Zeichen in diese Richtung verkündete er, dass sein Land im März 1986 die CAT unterzeichnen würde, sofern der US -Senat bis dahin die Genozid-Konvention ratifiziert hätte (beides fand nicht statt). Zudem plante er, auf der kommenden Sitzung der Menschenrechtskommission einen Sonderberichterstatter zum Problem der religiösen Intoleranz zu fordern. Dabei machte er deutlich, dass er die Sonderberichterstatter als wirksamstes Mittel im UN-Repertoire betrachtete und darin einen vorläufigen Ersatz für einen Hochkommissar für Menschenrechte sah.200 Darüber hinaus wollten die USA eine Resolution bezüglich der Apartheid in Südafrika einreichen, wobei es ihnen weniger auf eine Annahme durch die Kommission ankäme, als darauf, ein Zeichen zu setzen. Gleiches galt für eine geplante Resolution zum Thema Totalitarismus, es sei wichtiger, »einen klaren Standpunkt 196 Rede Ronald Reagans auf der 40. Sitzung der Generalversammlung am 24.10.1985, online: https://www.reaganlibrary.gov/research/speeches/102485a (09.04.2021). 197 Vgl. Lou Cannon: President Calls for a ›Fresh Start‹ with Soviets, in: Washington Post, 25.10.1985; Art.: Soviet Criticizes Reagan’s Address, in: New York Times, 26.10.1985. 198 Für biografische Informationen zur Person Vernon A. Walters siehe Tina Kelley: Vernon A. Walters, 85, Former Envoy to the UN , in: New York Times, 15.02.2002. 199 PA AA : ZA B30, 134947, Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Washington an das Auswärtige Amt, Betr.: Richard Schifter Designierter Leiter der Menschenrechtsabteilung vom 13.09.1985. 200 Ebd., Vermerk: Gespräch mit dem US -Assistant Secretary of State for Humanitarian Affairs, Mr. Richard Schifter, am 16. Dezember 1985 im Auswärtigen Amt, Bonn, 30.12.1985.

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›on the record‹ zu haben, als ein (erfolgreiches) Abstimmungsergebnis«201 herbeizuführen. Die Außendarstellung vor der Öffentlichkeit und der eigenen Bevölkerung war wichtiger als die Zustimmung der UN-Mitglieder. Auch beim Thema Recht auf Leben wollte Schifter die Initiative ergreifen und klarstellen, dass die Verbindung mit Atomwaffen und Abrüstungsfragen nichts mit den Menschenrechten zu tun hatte. Die Vertreter des Auswärtigen Amtes stimmten all dem zu. Beim Thema Chile zeigten sich allerdings immer noch Differenzen. Schifter bezeichnete alle bisherigen Beschlüsse dazu als »total dishonesty«. Dass alle 12 EG -Staaten auf der Generalversammlung für die Resolution gegen Chile gestimmt hätten, führte der US -Amerikaner darauf zurück, dass die öffentliche Meinung in Westeuropa systematisch »kommunistisch beeinflusst« sei.202 Auch über die auf der letzten Sitzung mit Unterstützung der Westeuropäer angenommene Resolution zu El Salvador äußerte er sich abfällig. In dieser wurden beide Seiten zu politischen Verhandlungen aufgerufen, dabei handele es sich um ein »politisches Element«, das nach seiner Meinung nicht in eine Resolution der Menschenrechtskommission gehörte. Deshalb wollte er einen eigenen Entwurf einreichen, der auf die demokratischen Fortschritte der Militärjunta hinwies und paramilitärischen Gruppen die Schuld an den zahlreichen Menschenrechtsverletzungen gab. In Bezug auf die Lage in der Sowjetunion zeigte Schifter sich ebenfalls sehr kritisch. Zwar habe es bei der Frage der Ausreise jüdischer Menschen Fortschritte gegeben, bei der internen Menschenrechtspolitik zeichne sich aber eine Verschärfung der Lage ab: »Gorbatschow versuche offensichtlich, die ökono­ mische Modernisierung durch Verschärfung des Zwangs voranzutreiben.«203 Er verkündete, dass die USA weiterhin an ihrer Doppelstrategie aus öffentlicher Verurteilung und stiller Diplomatie gegenüber der Sowjetunion festhielten. Der von Reagan angekündigte Neustart in den Beziehungen zu den Vereinten Nationen wurde somit zunächst nur von einem gesteigerten Aktionismus geprägt. Die USA radikalisierten sich zunehmend und verstärkten damit die Konflikte mit ihren westlichen Partnern, den anderen UN-Mitgliedstaaten und dem UN-Sekretariat. Während Reagans Menschenrechtspolitik ab 1983 das westliche Lager immer mehr auseinandertrieb, verschärfte die US -Regierung auch den Konflikt mit den UN. Bereits Ende 1983 kündigten die USA offiziell ihren Austritt aus der UNESCO an. Die Meldung ging um die Welt und war in erster Linie ein geschickter Schachzug Reagans, mit dem er zum einen die wachsende Zahl der UN -Kritiker im US -Kongress bediente. Zum anderen wollte er die UN -Mitglieder und das UN-Sekretariat unter Druck setzten, damit sie seinen Forderungen entgegenkamen. Zur Begründung hieß es:

201 Ebd., S. 5. 202 Ebd., S. 1. 203 Ebd., S. 3.

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UNESCO has extraneously politicized virtually every subject it deals with, has exhib-

ited hostility toward the basic institutions of a free society, especially a free market and a free press, and has demonstrated unrestrained budgetary expansion.204

So hätte die UNESCO zum Beispiel 750.000 Dollar für von der Sowjetunion eingeleitete Studien zur Abrüstung bewilligt. Des Weiteren würde die Organisation Kollektivrechte auf Kosten individueller Menschenrechte fördern. Darüber hinaus laufe die Debatte über eine ›Neue Weltwirtschaftsordnung‹ immer weiter aus dem Ruder. Die USA bestritten gut ein Viertel des Budgets der UNESCO, deren Ausgaben 1982 tatsächlich um fast zehn Prozent gestiegen waren. Obwohl sich die UN-Mitglieder seit den 1970er-Jahren dazu verpflichtet hatten, einen Anstieg der Kosten zu vermeiden. Der US -Außenminister betonte, dass es nicht die Intention der USA sei, sich zurückzuziehen. Im Gegenteil, die USA wollten ihr Engagement ausbauen. Zudem trete der Austritt erst in 12 Monaten in Kraft und bis dahin behielt sich das Weiße Haus vor, die Entscheidung wieder rückgängig zu machen. Obwohl das Außenministerium dabei betonte, dass es sich nicht um »negotiation ploy« handele, offenbart dieses Vorgehen, wie die USA ihre finanziellen Mittel einsetzten, um Einfluss auf die UN zu nehmen.205 Das hatte Folgen. Die Schuldenlast der Vereinten Nationen stieg weiter an und bereits im September 1984 erließ der Generalsekretär einen Einstellungsstopp für vierzehn UN-Institutionen, darunter auch das Menschenrechtszentrum in Genf.206 Mitte 1985 spitzte sich die Auseinandersetzung zwischen den USA und den UN weiter zu. Die USA waren wie alle UN -Mitglieder gegen eine Erhöhung des UN-Budgets und wollten stattdessen die Ausgabe der Organisation reduzieren.207 Von besonderer Bedeutung war in diesem Zusammenhang ein kurz zuvor vom US -Kongress angenommenes Amendement, mit dem die Beitragszahlungen der USA um 80 Prozent reduziert werden sollten, wenn das Land nicht ein privilegiertes Stimmrecht bei Budgetfragen innerhalb der Generalversammlung erhielten. Die USA stellten gut ein Drittel des UN-Haushalts bereit und waren damit der größte Beitragszahler. Gefolgt von Japan (11.4 Prozent), der Sowjetunion (10 Prozent) und der Bundesrepublik (9 Prozent). Insgesamt übernahmen zehn Mitglieder drei Viertel des gesamten UN-Budgets. Trotz dieser ungleichen Verteilung waren alle anderen Mitglieder gegen ein privilegiertes Stimmrecht der USA .208 204 Zitiert nach Bernard Gwertzman: US is quitting UNESCO, Affirms Backing for UN , in: New York Times, 30.12.1983. 205 Ebd. 206 UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-2-2, Cable von USG Patricio Ruedas vom 24.08.1984. 207 PA AA : ZA B30, 134947: Vermerk: Betr.:40. GV; hier: spezielle Anliegen der USA , vom 14.08.1985. 208 Vgl. Amos Yoder: The Evolution of the United Nations System, Washington D. C. 1993, S. 295; mit Javier Pérez de Cuéllar: Pilgramage for Peace, New York 1997, S. 10.

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Der Konflikt erreichte Ende 1985 seinen Höhepunkt, als die Generalversamm­ lung die Forderung der USA nach einem Vetorecht in Budgetfragen ablehnte.209 Das führte dazu, das mehrere große Beitragszahler gegen die Annahme der Haushaltspläne für 1986 stimmten. Hinzu kam, dass US -Präsident Reagan im Dezember 1985 ein Gesetz unterschreiben musste, mit dem die US -Regierung vom Kongress gezwungen wurde, ihre Ausgaben zu senken, sollte das Staatsdefizit zu hoch sein.210 Als am 31. Dezember 1985 Großbritannien ebenfalls aus der UNESCO austrat, war die Krise perfekt.211 Den Vereinten Nationen fehlten plötzlich über 100 Million Dollar für das kommende Haushaltsjahr und die Organisation durchlebte die schwerste Krise in ihrer Geschichte.212 Der Generalsekretär Javier Pérez de Quéllar beklagte daraufhin öffentlich: The underlying causes were political; differences of views about work programs had prejudiced the budgetary process and also the readiness of some Member States to rely on the United Nations for positive regional and global change.213

Zudem kündigte er drastische Sparmaßnamen an und begann Gelder intern umzuverteilen.214 Vor allem hoffte er aber darauf, dass andere Staaten den Ausfall der USA kompensieren würden.215 In seinen Memoiren machte er später Reagan und seinen Außenminister George P. Schultz persönlich für die Krise verantwortlich: President Reagan addressed the General Assembly more frequently than any of his predecessors. He repeatedly expressed American support for the United Nations, as did his Secretary of State, George Schultz. I don’t believe that either had an ideological prejudice against it. Neither, however, were they inclined to do battle with those in Congress and in the administration who were hostile to the Organization. […] I gained the impression that Secretary Schultz found it tactically useful to remain aloof from controversies in Washington over the United Nations in order to maintain his freedom of action in other areas he considered more important.216

Der Generalsekretär warf beiden vor, sich bewusst nicht für die UN einzusetzen, um sich innenpolitisch mehr Handlungsspielraum zu verschaffen. Zugleich scheint es, als ob Reagan diesen Konflikt bewusst schürte, um seine umstrittene

209 Yoder: Evolution, S. 182 f. 210 Schlesinger: Financing, S. 295. 211 Pressemeldung dazu: Art.: Britain Following Lead of U. S., Will Withdraw from UNESCO, in: Associated Press, 05.12.1985. 212 Cuéllar: Pilgrimage, S. 10 f. 213 YUN: 1986, S. 1017. 214 ORUN: ST / IC /86/17, Information Circular: The Financial Crisis of the United Nations 13.03.1986. 215 Zur finanziellen Lage der Organisation 1986 und den Lösungsstrategien siehe Yoder: Evolution, S. 182 f.; Schlesinger: Financing, S. 295; Cuéllar: Pilgrimage, S. 10. 216 Cuéllar: Pilgrimage, S. 11.

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Außenpolitik abzusichern und die Tatsache zu verschleiern, dass die USA immer stärker in den UN isoliert wurden.217 Als die USA im April 1986 zur Vergeltung eines Bombenanschlags in Westberlin Luftangriffe auf Libyen flogen, verurteilte die Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten dieses unilaterale Vorgehen.218 Zur gleichen Zeit wurde die ›Iran-Contra-Affäre‹ aufgedeckt. Wenig später verurteilte der internationale Gerichtshof in Den Haag die militärischen Aktivitäten der CIA in Nicaragua und auch die Generalversammlung verurteilte Ende des Jahres das Vorgehen der USA in Mittelamerika.219 Selbst die westeuropäischen Verbündeten positionierten sich 1986 in vielen Punkten offen gegen die USA . Sie unterstützten die Resolutionen der Menschenrechtskommission und der Generalversammlung gegen Süd­afrika, Israel, El Salvador und Chile und kritisierten offen die Menschenrechtslage in diesen Staaten. Außerhalb der UN gingen sie sogar noch weiter und verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Südafrika. Auch der US -Kongress verhängte 1986 gegen den Willen der US -Regierung einen Boykott gegen das Apartheid-Regime.220 Die Westeuropäer widersetzten sich Reagans selektiver Auslegung des Menschenrechtsschutzes, wonach dieser nur gegen ›totalitäre‹ Staaten angewandt werden sollte, und verfolgten weiterhin eigene Ziele. Die direkte Konfrontation mit den sozialistischen Staaten war prägend für die US -Menschenrechtspolitik von 1981–1986. Der Menschenrechtsschutz diente dabei als Mittel, um den Kalten Krieg bewusst zu eskalieren und sich zugleich innenpolitisch die Unterstützung verschiedener Gruppen zu sichern. Dies führte allerdings auch zu Spannungen mit den anderen UN-Mitgliedstaaten und dem UN-Sekretariat. Die Folgen dieser Spannungen waren vielfältig. Zum einen wurde das westliche Lager in den UN heterogener. Einzelne Staaten wider­setzten sich nun immer häufiger den USA und zeigten ihre Bereitschaft, in Fragen von Menschenrechtsverletzungen, wirtschaftlichen Rechten, dem Recht auf Entwicklung oder einer ›Neuen Weltwirtschaftsordnung‹ eigene Positionen zu vertreten sowie gegen die Interessen der USA abzustimmen. Das führte dazu, dass die westlichen Staaten in den UN ihre Verhandlungsposition verbesserten. Indem die Westeuropäer einzelne Debatten bewusst ›entpolitisierten‹ und nicht wie die USA jedes Problem im Licht des Ost-West-Konflikts betrachteten, konnten sie mehr Zustimmung für ihre Initiativen unter den Bündnisfreien Staaten gewinnen, wodurch es ihnen gelang, in wichtigen Bereichen des UNMenschenrechtsschutzes ihre Interessen durchzusetzen.221 Insgesamt richteten die USA in den UN aber massiven Schaden an. Sie stürzten die Organisation 217 Reinalda: Routledge History, S. 545–550. 218 ORUN: A / R ES /42/38, Resolution der Generalversammlung vom 20.11.1986. 219 Byrne: Iran-Contra, S. 253–306; ORUN: A / R ES /41/31, Resolution der Generalversammlung vom 03.11.1986. 220 Claudius Wenzel: Die Südafrikapolitik der USA in der Ära Reagan. Konstruktives oder destruktives Engagement? Hamburg 1990, S. 104 f. 221 Siehe dazu Kap. 4.3.

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Menschenrechtsschutz im ›Zweiten Kalten Krieg‹

in die schlimmste Finanzkrise ihrer Geschichte, worunter vor allem das UNSekretariat und der UN-Menschenrechtsschutz zu leiden hatte. Vor allem aber verstärkten sie die Abneigung vieler US -Amerikaner gegenüber multilateraler Politik im Allgemeinen und den Vereinten Nationen im Besonderen. Davon abgesehen hatte Reagans Politik weitreichende Folgen für die historische Entwicklung der Menschenrechte im 20. Jahrhundert. Die Aneignung und Umdeutung der Menschenrechte im Rahmen ›neokonservativer‹ Politikkonzepte führte dazu, dass sie zu einem wichtigen Element konservativer Außenpolitik wurden. Während Menschenrechtspolitik in den 1970er-Jahren häufig noch als idealistisches Experiment sozialdemokratischer Regierungen wahrgenommen wurde, entwickelte sie sich in den 1980er-Jahren zu einem festen Bestandteil der Außenpolitik aller westlichen Staaten.222

4.3 Die Etablierung des Menschenrechtsschutzes im Schatten des ›Zweiten Kalten Krieges‹ Obwohl sich die internationale Lage in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre dramatisch verschärfte, ging der UN-Menschenrechtsschutz gestärkt aus dieser Phase hervor. Die westlichen Staaten hatten nach wie vor mehr Einfluss im Sekretariat. Seit Beginn des Jahres 1981 stieg die Anzahl der Briefe von NGOs und Politikern aus den USA an Generalsekretär Waldheim sprunghaft an.223 Diese baten ihn, seine guten Dienste für Menschen in der Sowjetunion einzusetzen, um ihnen die Ausreise nach Israel oder in die USA zu ermöglichen.224 Ursache dieses Anstiegs waren zum einen die zunehmenden Repressionen innerhalb der Sowjetunion gegenüber Dissidenten und Menschen jüdischen Glaubens. Zum anderen engagieren sich mehr Menschen in den USA für ihre Angehörigen in sozialistischen Ländern und setzten die US -Regierung unter Druck.225 Waldheim beauftragte daraufhin seinen US -amerikanischen Mitarbeiter Buffum, sich um die Kontakte mit den NGOs und Politikern in den USA zu kümmern und die Verhandlungen mit der sowjetischen Regierung zu koordinieren. Das sowjetische Außenministerium reagierte gereizt, wie eine Beschwerde beim Sekretariat belegt, dennoch kooperierten sie am Ende.226 Bei einer Reise nach 222 Eckel: Ambivalenz, S. 540–582. 223 UNARM : SG Waldheim, S-913-23-5, Der ganze Ordner ist diesbezüglich voll mit Korrespondenz. 224 Vgl. ebd., Note for the File vom 18.05.1981, über eine Reise Waldheims nach Moskau; sowie ebd., S-913-5-14, in beiden Ordnern finden sich diesbezüglich mehrere Dokumente aus dem Jahr 1981. 225 PA AA : ZA B30, 134945, Telegramm der Botschaft der Bundesrepublik in Moskau an das Auswärtige Amt in Bonn vom 19.01.1981. 226 UNARM : SG Waldheim, S-913-23-5, Brief des UN Sekretariats an die Botschaft der UdSSR in New York vom 18.06.1981 (Das Sekretariat geht darin auf eine Beschwerde

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Moskau im Dezember 1981 übergab Waldheim schließlich persönlich eine Liste mit Namen von sowjetischen Bürgern, die nach Israel, Westdeutschland und Großbritannien ausreisen wollten. Auch wenn nur drei der gelisteten dreizehn Personen das Land anschließend verlassen durften, zeigt dieser Fall, dass auch die guten Dienste des Generalsekretärs dazu beitrugen, den politischen Druck auf den Kreml zu erhöhen.227 Dabei war Waldheim zu dieser Zeit in zahlreichen Regionen der Welt aktiv. Im Sekretariat und der Menschenrechtsdivision gingen so viele Anfragen ein, dass Waldheim die Fälle auf seine Mitarbeiter verteilen musste und die Menschenrechtsarbeit im Rahmen der guten Dienste zu einem zentralen Bestanteil der Arbeit des Sekretariats wurden. Auch der niederländische Direktor der UN-Menschenrechtsdivision in Genf van Boven war seit Ende der 1970er-Jahre in diese Verhandlungen involviert, wobei sich sein Engagement stärker auf Süd- und Zentralamerika konzentrierte. Er nutzte seine Position als Direktor der UN-Menschenrechtsdivision, um dafür zu sorgen, dass die von der Menschenrechtskommission eingesetzte Arbeitsgruppe über die Praxis des ›Verschwindenlassens‹ effektiv arbeitete und in zahlreichen südamerikanischen Ländern Beweise über Menschenrechtsverletzungen sammeln konnte.228 Ebenso wie Buffum zog auch er damit den Zorn einiger Regierungen auf sich. Vor allem die argentinische Militärjunta beschwerte sich bei Waldheim und warf van Boven vor, Kontakte zu Terroristen zu unterhalten. Van Bovens Engagement trug maßgeblich zum Erfolg der Arbeitsgruppen und Sonderberichterstatter in dieser Zeit bei und half damit, den UN-Menschenrechtsschutz effektiv umzusetzen. Zugleich fiel van Boven wegen seines Engagements bei den sozialistischen und einigen südamerikanischen Staaten in Ungnade.229 Im Dezember des Jahres 1981 endete Waldheims zweite Amtszeit und seine Wiederwahl war umstritten. Auch van Bovens erste Amtszeit näherte sich ihrem Ende und im Sekretariat stand man vor der Frage, entweder einen geeigneten Nachfolger zu finden oder den Vertrag mit dem unbequemen Niederländer zu verlängern. Außerdem weckte die Besetzung beider Posten Begehrlichkeiten bei den Mitgliedstaaten. Kandidaten aus Griechenland, Großbritannien und den skandinavischen Staaten bewarben sich auf den Posten van Bovens. Dieser sprach sich selbst gegen den griechischen Bewerber aus und betonte mit Blick auf die anderen Kandidaten, dass die westlichen Staaten in der Division

der sowjetischen Botschaft ein und rechtfertigt ein Treffen zwischen Buffum und einer Gruppe Dissidenten. 227 Vgl. ebd., Memorandum über einen Besuch Waldheims in Moskau vom 15.12.1981. 228 Vgl. ebd. (In dem Ordner finden sich diesbezüglich mehrere Berichte und Schreiben); mit PA AA : ZA B30, 121144, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 13.05.1982; ebd., Vermerk vom 12.02.1982; sowie: Van Boven: Role, S. 96 f. 229 UNARM : SG Waldheim, S-913-23-5, Note for the File, 22.01.1981 sowie Aide Memoire: Beschwerde der argentinischen Regierung, van Boven würde sich mit Terroristen treffen.

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bereits überrepräsentiert seien und man einem Bewerber aus den Bündnisfreien Staaten den Vorzug geben solle.230 Dabei hatte Waldheim erst im Februar 1981 den Ghanaer Kwadwo Faka Nyamekye zum stellvertretenden Direktor ernannt, sodass der Posten des Direktors traditionell an eine Person vergeben werden sollte, die nicht aus der ›Dritten Welt‹ stammte.231 Im September 1981 stellte die bulgarische Botschaft ebenfalls einen Kandidaten zur Wahl. Die Bewerbung wurde vom Sekretariat allerdings umgehend abgelehnt, wobei man sich auf formale Gründe berief.232 Zugleich war die Besetzung des Postens des Direktors der Menschenrechtsdivision politisch äußerst heikel und Waldheim scheute sich davor, sich festzulegen, weil er seine Wiederwahl nicht gefährden wollte. Er verlängerte deshalb den Vertrag van Bovens zunächst. Auch bei einer anderen wichtigen Frage zögerte Waldheim. Die Umstrukturierung der Menschenrechtsdivision in Genf in ein ›Centre for Human Rights‹ schob er seit einem Jahr vor sich her.233 Im Juni 1981 wandte sich Buffum daraufhin an Waldheim und riet diesem, einer Umstrukturierung zuzustimmen. Dafür spräche laut Buffum, dass die Beförderung des Direktors bereits ausgeschlossen wurde und somit keine weiteren Kosten entstehen würden. Es handelte sich somit um einen rein symbolischen Akt, mit dem die politische Stellung der Menschenrechte innerhalb der UN aufgewertet werden würde. Zudem hätten mittlerweile verschiedene UN-Gremien ihren Willen zur Umbenennung der Division in Form von Resolutionen bekräftigt. Dabei hätte es zuletzt keine Gegenstimmen mehr gegeben. Abschließend versicherte Buffum, dass er die Vertreter der westlichen Gruppe bei einem Treffen im Oktober 1980 davor gewarnt hätte, das Thema erneut in einer Resolution vorzubringen, um die Angelegenheit nicht noch weiter zu politisieren.234 An dieser Stelle zeigt sich, welches doppelte Spiel Buffum im Sekretariat spielte. Laut den Dokumenten des Auswärtigen Amtes riet er den westlichen Diplomaten auf dem Treffen im Oktober nämlich das Gegenteil. Um Waldheim unter Druck zu setzen und zu einer Entscheidung zu drängen, riet er ihnen damals, eine weitere Resolution einzureichen.235 Das zeigt, wie sehr sich der US -Amerikaner dafür einsetzte, die von den westlichen Staaten geforderte Aufwertung der Menschenrechtsdivision voranzubringen. Trotzdem gelang es ihm nicht, den Generalsekretär

230 Ebd. Note for the File, 29.04.1981: Über ein Gespräch zwischen Georg Mautner-Markhof mit Theo van Boven. 231 UNARM : SG Waldheim, S-913-24-7, Press Release HR /2029 vom 03.02.1981; New ­Deputy Director to Human Rights Division. 232 Ebd., mehrere Dokumente zusammengefasst: Bewerbung, interne Memoranden sowie Ablehnungsschreiben an die bulgarische Botschaft in New York, 14.09.1981–04.11.1981. 233 ORUN: A / R ES /35/194, Resolution der Generalversammlung vom 15.12.1980. 234 UNARM : SG Waldheim, S-913-24-7, Memorandum von Buffum an Waldheim vom 04.06.1981. 235 Vgl. ebd.; mit PA AA : ZA B30, 121112, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt in Bonn vom 28.10.1980.

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zu überzeugen. Waldheim weigerte sich, die Anordnung zu unterschreiben und wich damit erneut vor einer Entscheidung zurück, um seine Wiederwahl im Dezember nicht zu gefährden.236 Trotz der Bemühungen Waldheims wurde gegen Ende des Jahres der Peruaner Javier Pérez de Cuéllar zum neuen UN-Generalsekretär gewählt. Dieser war seit den 1970er-Jahren zunächst als peruanischer Diplomat in den UN und später als enger Mitarbeiter Waldheims im Sekretariat tätig und genoss großes Ansehen unter den Mitgliedstaaten. Er war zuvor Vorsitzender der G 77237 und pflegte gute Kontakte zu führenden Bündnisfreien Staaten. Zudem hatte er bereits öffentlich die bessere Verteilung des Wohlstandes in der Welt als wichtigstes Menschenrecht überhaupt bezeichnet.238 Waldheim machte ihn zum Sonderbeauftragten im Zypernkonflikt, wo er sich das Ansehen der Westeuropäer erarbeitete. 1980 wurde er zum Sonderbeauftragten der UN für Afghanistan eingesetzt, was zu Spannungen mit der Sowjetunion führte.239 Zugleich verband ihn eine enge persönliche Freundschaft mit dem US -Vizepräsidenten Bush.240 Pérez de Cuéllar war kein Politiker wie Waldheim, sondern ein Karrierediplomat. Er galt als ruhig und zurückhaltend, was ihm als Vermittler in Konflikten zugutekam. Zugleich scheute er direkte Auseinandersetzungen, weswegen sich manche Beobachter fragten, ob er wohl auch bei politisch heiklen Themen wie dem Menschenrechtsschutz klar Stellung beziehen würde.241 Die westlichen Staaten konnten damit ihre dominante Stellung im UN-Sekretariat auch zu Beginn der 1980er-Jahre behaupten, wovon, wie im Folgenden gezeigt wird, die Ausweitung des Menschenrechtsschutzes profitierte. Die erste große Bewährungsprobe hatte der neue Generalsekretär Anfang 1982, als der Direktor der Menschenrechtsdivision van Boven die Menschenrechtskommission als Bühne nutzte, um einen politischen Eklat zu provozieren und Pérez de Cuéllar öffentlich herauszufordern. In seiner Eröffnungsrede kritisierte der Niederländer die Mitgliedstaaten und beschwerte sich über die abstrakten Debatten in der Kommission. Während die Diplomaten in Genf über philosophische oder rechtliche Aspekte der Menschenrechte stritten, käme es weltweit zu massiven Menschenrechtsverletzungen. Tausende Menschen wür236 UNARM : SG Waldheim, S-913-24-7, Secretary-General’s Bulletin: Subject Organization of the Secretariat – Redesignation of the Division of Human Rights as a Centre for ­Human Rights, o. D. 237 Zusammenschluss von 77 südlichen Staaten, die in der Forderung nach einer ›Neuen Weltwirtschaftsordnung‹ in den UN zusammenarbeiteten. Siehe dazu Dinkel: Bewegung, S. 128 f. 238 Pressemeldung dazu O. C.  Doelling: Peruvian Elected UN Chief. Pledges Support to Third World, in: Associated Press, 15.12.1981. 239 Vgl. Art.: Security Council Elects a Peruvian Secretary General, in: New York Times, 12.12.1981, S. 1; sowie Art.: Javier Perez de Cuéllar, in: Der Spiegel 52/198, S. 176. 240 Cuéllar: Pilgrimage, S. 26. 241 Art.: Security Council Elects  a Peruvian Secretary General, in: New York Times, 12.12.1981, S. 1.

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den jedes Jahr aufgrund ihrer politischen Überzeugung, ethnischen Herkunft, Religion oder Staatsangehörigkeit ermordet werden. Van Boven beließ es nicht bei vagen Andeutungen, sondern präsentierte konkrete Zahlen, die von den Arbeitsgruppen oder den Sonderberichterstattern der Menschenrechtsdivision unter seiner Leitung recherchiert worden waren. Zudem nannte er die Namen der Staaten, denen diese Verbrechen zur Last gelegt wurden, darunter Chile, Uganda, Äquatorialguinea, El Salvador, Guatemala, Kambodscha und der Iran. Andere Staaten wie Argentinien beschuldigte er indirekt, indem er auf Untersuchungen der interamerikanischen Menschenrechtskommission verwies.242 Zudem beklagte er, dass einige Staaten, die der Kommission Doppelstandards im Umgang mit den Menschenrechten vorwarfen, zugleich selbst immer wieder dafür sorgten, dass Verbrechen nicht öffentlich aufgearbeitet werden konnten, womit er auf die Politik der USA anspielte. Vor allem beschwerte er sich aber, wie frustrierend seine Arbeit als Direktor der Menschenrechtsdivision sei. Jeden Tag würden sich Menschen an ihn wenden und um Hilfe bitten, jeden Tag würden er und seine Mitarbeiter zahlreiche Informationen über Menschenrechtsverletzungen zusammentragen, obgleich sie wussten, dass sie diesen Menschen nicht helfen konnten. Abschließend forderte er, dass der Schutz des Rechts auf Leben ganz oben auf der Agenda der Kommission stehen sollte und ein Sonderberichterstatter zu diesem Thema eingesetzt wird. Er beschloss seine Rede mit einem eindringlichen Appell an die Mitglieder: Of one thing I am sure, though, that is: unless the Commission of Human Rights considers these questions urgently and takes appropriate and meaningful action, then it will hardly be deserving of its name and the cries, and the tears, and the anguish of people on the edge of their survival will be upon our heads, all of us.243

Mit seiner emotionalen und zugleich provokativen Rede brach van Boven mit den diplomatischen Gepflogenheiten der UN . Er führte die Mitglieder der Kommission öffentlich vor und beschuldigte einzelne sogar direkt, Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Was heute gängige Praxis in den UN ist, führte 1982 noch zu einem Skandal und empörte einige Diplomaten aus den verschiedenen Lagern. Während manche aus Protest den Saal verließen, wandten sich andere im Anschluss mit Protestnoten an den neuen Generalsekretär. Wenige Tage später verkündete der Niederländer vor der Kommission, dass aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit dem Sekretariat sein Arbeitsvertrag nicht verlängert worden sei und er aus dem Dienst für die UN ausscheiden werde. Zugleich rechtfertigte van Boven sein Handeln:244 242 Vgl. ORUN: Press Release HR /1140, Address of Mr. Theo van Boven, Director of the United Nations Division of Human Rights at the Opening of the 38th Session of the Commission on Human Rights, vom 01.02.1982. 243 Ebd. 244 ORUN : E / C N .4/1982/SR .14, Summary Record des 14. Meetings der 38. Sitzung der Menschenrechtskommission am 10.2.1982, S. 13 f.

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I have always felt that our primary duty is towards the people in whose name the United Nations Charter was written and I have maintained that whenever necessary we must speak out on matters of principal, regardless of whom we please or displease within or outside the organization.245

Im Anschluss nannte er vier konkrete Maßnahmen, mit denen die UN die Missstände, welche er in seiner Eröffnungsrede angeprangert hatte, überwinden könnten. Erstens müsse endlich ein Hochkommissar für Menschenrechte eingeführt werden, der sich der zahlreichen Menschenrechtsverletzungen annehme und seine guten Dienste dafür einsetze, diese »humanitären Probleme« zu lösen. Zweitens müsse die Menschenrechtskommission mehrmals im Jahr tagen, um schneller auf Menschenrechtsverletzungen reagieren zu können. Drittens sollte die Rolle der Sonderberichterstatter gestärkt werden und viertens müsse die Menschenrechtsdivision endlich mit ausreichenden finanziellen Mitteln sowie genügend Personal ausgestattet werden.246 Von manchen Kommissionsmitgliedern erhielt van Boven daraufhin stehen­ den Applaus. Sowohl Diplomaten aus westlichen und auch Bündnisfreien Staaten zeigten sich erstaunt und dankten ihm anschließend persönlich für seine Arbeit. Der sowjetische Vertreter war hingegen empört und verurteilte die Worte des Niederländers scharf. Er betonte, dass diese »out of order« seien und van Boven sich besser an die Regeln gehalten hätte. Vor allem Vertreter südamerikanischer Staaten missbilligten seine Ausführungen.247 Am folgenden Tag bestätigte ein Sprecher des UN-Sekretariats in New York das Ausscheiden van Bovens, allerdings sei dies keine Entscheidung des Generalsekretärs gewesen. Van Boven selbst habe aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit dem Sekretariat eine weitere Verlängerung seines Vertrags abgelehnt. Der Sprecher bemerkte dazu: Unfortunately, however, on more than one occasion, Mr. van Boven made public statements not wholly in keeping with his status as an international civil servant. In order to be effective, all UN officials dealing with important and sensitive matters must assure that statement they deliver reflect a considered and coordinated policy decision.248

Wie die westdeutsche Botschaft in New York später berichtete, hatte Buffum mehrere Änderungswünsche an der Rede van Bovens vorgelegt. Dieser hätte sich daraufhin aus Gewissensgründen geweigert, dem zu entsprechen. Ab dieser 245 Zitiert nach PA AA : ZA B30, 121144, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 10.02.1982. 246 Vgl. ebd.; mit ORUN: E / C N .4/1982/SR .14, Summary Record des 14. Meetings der 38. Sitzung der Menschenrechtskommission am 10.02.1982. 247 PA AA : ZA B30, 121144, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 10.02.1982. 248 Zitiert nach ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 11.02.1982.

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Stelle weichen die Aussagen von Buffum und van Boven voneinander ab. Buffum behauptete, van Boven gewarnt zu haben, dass wenn dieser seine Rede halten sollte, sein Vertrag nicht verlängert werde. Der Niederländer hätte daraufhin eine Woche vor der Sitzung ein Rücktrittsgesuch eingereicht. Van Boven behauptete hingegen, dass er lediglich mit seinem Rücktritt gedroht habe, und dass Buffum daraufhin eingelenkt und ihm telefonisch versicherte hätte, dass er bleiben könne, solange er deutlich mache, dass es sich um seine persönliche Meinung handele und nicht um ein offizielles Statement in seiner Funktion als Direktor der Menschenrechtsdivision. Als im Anschluss an die Sitzung die Beschwerden der südamerikanischen Staaten im Sekretariat eingingen, insbesondere Argentiniens, sei Buffum allerdings von seinem Kompromiss wieder abgerückt.249 Die genauen Hintergründe bleiben bis heute unklar. Neben den sich widersprechenden Versionen Buffums und van Bovens gab es auch Spekulationen darüber, dass es bereits bei der Wahl des Generalsekretärs Ende 1981 Absprachen zwischen den USA und der Sowjetunion gegeben haben soll, wonach Waldheim wiedergewählt werde, wenn er versprach, van Bovens Vertrag nicht zu verlängern.250 Dass Waldheim schon 1981 nach einem möglichen Ersatz für van Boven suchte, spricht für diese Hypothese. Allerdings scheiterte seine Wiederwahl und ob sich Pérez de Cuéllar auf denselben Deal eingelassen hätte, ist völlig unklar. Zudem lässt sich Buffums Version nicht völlig ausschließen, wonach dem Niederländer der Druck selbst zu groß wurde und er freiwillig ging. Selbst im Auswärtigen Amt räumte man ein, dass van Boven schon seit Längerem »Anzeichen von Amtsmüdigkeit« gezeigt hätte.251 Auch sein ausgeprägter Hang zur Selbstdarstellung wurde auf seiner Abschiedsfeier in Genf im April 1982 hinter vorgehaltener Hand kritisiert und sorgte für Irritation bei den Diplomaten. Laut der westdeutschen Botschaft erweckte diese den Eindruck, als hätte er nach einem möglichst effektvollen Abschied von der internationalen Bühne gesucht.252 Eine weitere Version präsentierte Pérez de Cuéllar schließlich selbst. Demnach wollte er es einfach nicht dulden, dass sich van Boven mehrfach seinen Anweisungen widersetzt hätte.253 Ob der neue Generalsekretär wirklich

249 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 18.02.1982 250 Pierre Simonitsch: Wer hat Angst vor Theodor van Boven? Ohne Rücksicht brandmarkte der gekündigte UN -Direktor Menschenrechtsverletzungen, in: Frankfurter Rundschau vom 15.02.1982. 251 PA AA : ZA B30, 121144, Sachstand: Vereinte Nationen; Ausscheiden des Leiters der VN Menschenrechtsabteilung in Genf van Boven (NL) vom 12.02.1982. 252 Ebd., UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 13.05.1982, Ausscheiden des Direktors Theo van Boven zum 30. April 1982. 253 Vgl. UNARM : SG de Cuéllar, S-1051-12-5; sowie Telegramm des Generalsekretärs an M. L.  Cottafavi, UN Generaldirektor in Genf vom 22.02.1982; mit ebd., S-1051-12-3, Notes on the Secretary-General’s Meeting with the Prime Minister of Italy am 17.02.1982.

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dem Druck der südamerikanischen Diktaturen nachgegeben hatte oder sich in seiner neuen Position behaupten wollte, bleibt somit offen.254 Fest steht, dass van Bovens Auftritt 1982 in der Öffentlichkeit für Aufsehen sorgte und es ihm damit gelang, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf Genf zu lenken und die internationale Debatte über die Rolle der UN beim Schutz der Menschenrechte neuen Schwung erhielt. Sein Ausscheiden fand weltweit ein großes Medienecho.255 Zeitungen in Westeuropa und den USA feier­ten den Niederländer dafür, dass er sich dem neuen Generalsekretär in New York widersetzt und mit deutlichen Worten die Verbrechen einiger Mitglieder angesprochen hatte.256 Vor allem in den Niederlanden lobte die Presse das Verhalten van Bovens und das Parlament forderte, eine formelle Protestnote beim Generalsekretär einzureichen.257 Auch zahlreiche NGOs verurteilten die Entscheidung und sogar der UN-Standortdirektor in Genf brachte in einem Brief an den Generalsekretär sein Missfallen zum Ausdruck.258 Unterdessen verkündete der Generalsekretär, dass er den Posten des Direk­ tors zu einem Assistent Secretary General aufwerten werde, zugleich ließ er durchsickern, dass er gewillt sei, die Menschenrechtsdivision in ›Centre for ­Human Rights‹ umzubenennen.259 Pérez de Cuéllar ging damit noch weiter als in den westlichen Resolutionen von 1980 gefordert wurde und war bereit, Geld und Personal für die Menschenrechtsabteilung in Genf aufzustocken. Zugleich versicherte er dem italienischen Außenminister in einem persönlichen Gespräch, dass der Posten des Direktors mit einer Person aus dem Westen besetzt werden würde. Außerdem berichtete er von seinem Treffen mit der polnischen Führung in Warschau und dass er sich auch weiterhin persönlich für die Einhaltung der Menschenrechte in Polen einsetzen werde.260 Die westeuropäischen Staaten rückten daraufhin von ihrem Vorhaben einer förmlichen Protestnote ab.261 Zur gleichen Zeit begannen sie, sich für die Neubesetzung des Postens in 254 Zu den verschiedenen Thesen siehe auch Jensen: International, S. 264. 255 UNARM : SG de Cuéllar, S-1051-12-5, Interoffice Memorandum, World Press Reaction to van Boven von Ellen Lukas an den Generalsekretär vom 11.02.1982. 256 Vgl. Art.: Differenzen um Menschenrechtsabteilung: Hoher Beamter der UNO scheidet vorzeitig aus, in: General-Anzeiger vom 11.02.1982; mit Art.: M. van Boven, Directeur de la Division des Droits de l’homme de L’ONU, quite ses Fonctions, in: Le Monde vom 12.02.1982; mit Art.: U. N. Rights Commission Director Resigns Over ›Policy Differences‹, in: New York Times, 11.02.1982. 257 PA AA : ZA B30, 121144, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 12.02.1982. 258 Vgl. UNARM : SG de Cuéllar, S-1051-12-5, Statement by NGOs on Mr. van Boven 12.02.1982; sowie ebd., Telegramm des Generalsekretärs an M. L. Cottafavi, UN -Generaldirektor in Genf vom 22.02.1982; mit PA AA : ZA B30, 121144, Telegramm der UN Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 12.02.1982. 259 Ebd. 260 UNARM : SG de Cuéllar, S-1051-12-3, Notes on the Secretary-General’s Meeting with the Prime Minister of Italy am 17.02.1982 (der PM wurde durch den AM Emilio Colombo vertreten) 261 PA AA : ZA B30, 121144, Drahterlass aus Bonn an New York vom 17.02.1982.

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Stellung zu bringen, und suchten nach geeigneten Kandidaten, mit denen sie sich beim Sekretariat bewerben konnten.262 Doch der Generalsekretär kam ihnen zuvor. Bereits am 19. Februar 1982 präsentierte dieser der Presse den Österreicher Kurt Herndl als neuen Assistant Secretary General der UN -Menschenrechtsdivision.263 Die Aufwertung der Abteilung zum ›Centre for Human Rights‹ folgte kurze Zeit später. Herndl war zuvor Direktor der Division des UN-Sicherheitsrates und war ein enger Vertrauter Waldheims. Mitarbeiter und Außenstehende bezeichneten ihn später als »pragmatischen Idealisten«, der anders als sein Vorgänger nicht das Rampenlicht suchte, sondern aus dem Hintergrund agierte. Unter seiner Leitung wurde die Division zu einem ›Centre for Human Rights‹ ausgebaut und der Menschenrechtsschutz in die verschiedenen Arbeitsbereiche der UN integriert.264 Herndls Einfluss wurde in der Rückschau als entscheidender Beitrag dafür gewertet, dass die Menschenrechte in den 1980er-Jahren ein integraler Bestandteil der Arbeit der UN wurden.265 Der UN-Menschenrechtsbereich ging also gestärkt aus diesem Skandal hervor und Pérez de Cuéllar hatte bewiesen, dass er den Menschenrechtsschutz ernst nahm. Parallel dazu gewann der Menschenrechtsschutz international immer mehr an Bedeutung. Die öffentlichen Debatten über Menschenrechtsverletzungen wurden immer wichtiger und die Verfahren ausgeweitet. Auch im Sekretariat in New York bemerkte man diesen Wandel. In einem Memorandum an den ­ N-Generalsekretär fasste Untergeneralsekretär Buffum die wichtigsten ErgebU nisse der Sitzung der Menschenrechtskommission 1981 zusammen: This year’s meeting of the Human Rights Commission was particularly significant in several respects. A number of important decisions were taken which both broaden and deepened the United Nations role in this sensitive area. The session was well attended, and well managed by its Chairman […]. Despite considerable substantive progress it was also marked by extensive, contentious political debates. […] The Commission’s report which will be submitted to the spring session of ECOSOC , reflects decisions which, on balance, speak well for the future of the international human rights movement.266

In dieser Einschätzung spiegelte sich zugleich eine gewisse Voreingenommenheit des ehemaligen US -Diplomaten wider, da er im Folgenden nur die Entscheidungen der Kommission hervorhob, die auf Initiative westlicher Staaten und 262 Ebd. Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 17.02.1982 (mehrere Telegramme am selben Tag dazu). 263 Ebd., Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 18.02.1982; sowie ORUN: SG  / A /272, Press Release vom 18.02.1982. 264 Ramcharan: United Nations, S. 181–193. 265 Ebd. 266 UNARM : SG Waldheim, S-0913-6-5, Interoffice Memorandum von Buffum an Waldheim vom 30.03.1981.

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NGOs zurückzuführen waren. Darunter die Fertigstellung eines Entwurfs für die Deklaration gegen religiöse Intoleranz. Ein Projekt, das vor allem von den USA und Israel seit Anfang der 1960er-Jahren vorangetrieben und nach 1967 auf Druck der sozialistischen und arabischen Staaten von der Agenda genommen worden waren.267 Durch die islamische Revolution und die massive Verfolgung religiöser Minderheiten im Iran gewann das Thema seit 1980 jedoch wieder breite Unterstützung.268 Die 1977 von Genscher angestoßene Konvention gegen Geiselnahmen trat ebenfalls 1980 in Kraft.269 Auch in diesem Fall half die Lage im Iran, eine Lösung herbeizuführen. Die Geiselnahme von US -Diplomaten bewirkte, dass letzte Widerstände in der Kommission überwunden werden konnten, denn kein Staat hatte ein Interesse daran, dass seine Diplomaten gegen ihren Willen festgehalten wurden.270 Darüber hinaus wurde eine Arbeitsgruppe zum Thema ›Disappeared Persons‹ eingerichtet. Das Thema stand seit 1975 auf der Agenda der Kommission und richtete sich ursprünglich gegen Menschenrechtsverletzungen in Chile sowie anderen Diktaturen in Südamerika und war vor allem ein Anliegen von AI .271 Mittlerweile weitete sich der Fokus jedoch auch auf andere Regionen aus, sodass Staaten aus verschiedenen Lagern für das Vorhaben stimmten. Dadurch, dass die Arbeitsgruppe nicht zu einem einzelnen Land arbeitete, sondern sich allgemein auf die Praxis des ›Verschwindenlassens‹ konzentrierte, wurde sie weniger stark politisiert.272 Auch die Einsetzung eines Sonderberichterstatters zum Thema Massenexodus wurde von Buffum als besonderer Erfolg hervorgehoben. Das Thema wurde 1980 von Kanada auf die Agenda gesetzt und bezog sich unter anderem auf die ›Boat People‹ in Südostasien – Menschen, die aus Vietnam und Kambodscha vor der Verfolgung durch ihre kommunistische Regierung flohen, sowie auf die Millionen Menschen, die nach dem Einmarsch der Roten Armee aus Afghanistan nach Pakistan fliehen mussten. Es bot den USA und Großbritannien eine Plattform, die Sowjetunion und Vietnam öffentlich anzugreifen, gleichzeitig nutzten sie Staaten wie die Bundesrepublik, um die Asyl-Debatte zu internationalisieren.273 Des Weiteren konnte die von den USA unter Carter angestoßene Initiative einer Antifolterkonvention deutliche Fort267 Siehe dazu Jensen: International, S. 138–174. 268 UNARM : SG Waldheim, S-0913-6-5, Interoffice Memorandum von Buffum an Waldheim vom 30.03.1981. 269 Vgl. mit ORUN: E / C N .4/1475, Jahresbericht der 37. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1981, S. 228 f., Resolution 27 (XXXVII). 270 UNARM : SG Waldheim, S-0913-6-5, Interoffice Memorandum von Buffum an Waldheim vom 30.03.1981. 271 Eckel: Ambivalenz, S. 387. 272 Ebd. 273 Olaf Beuchling: Die Flucht der vietnamesischen »Boat People« 1975–2000. Ein zeitgeschichtliches Lehrstück? In: Agnes Bresselau von Bressensdorf (Hg.): Über Grenzen. Migration und Flucht in globaler Perspektive, Göttingen 2020, S. 313–333.

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schritte vorweisen.274 Auch bei diesem Thema spielte AI im Hintergrund eine wichtige Rolle, indem die Organisation die Kampagne Mitte der 1970er-Jahre ins Rollen gebracht hatte.275 Dass es bei diesen Themen, die teilweise seit 20 Jahren stagnierten, plötzlich Forstschritte gab, war vor allem der zunehmenden Zustimmung einiger Bündnisfreier Staaten zu verdanken.276 Hierbei zeigte sich, dass die Bemühungen der WEOG der späten 1970er-Jahre, die Zusammenarbeit mit diesen Staaten zu verbessern, Früchte getragen hatten. Entscheidend war aber, dass sich mittlerweile immer mehr afrikanische Staaten selbst über das Thema Menschenrechte profilieren wollten. Im Juni 1981 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der OAU auf den Text einer Afrikanischen Menschenrechtscharta, mit der sie einem genuin afrikanischen Menschenrechtsverständnis Ausdruck verleihen wollten.277 Die westlichen Staaten profitierten von dieser Entwicklung, weil sie wieder mehr Zustimmung für ihre Resolutionen erhielten und ihre Position gegenüber den sozialistischen Staaten in der Menschenrechtskommission gestärkt wurde. Auch das öffentliche Verfahren des CBM im Rahmen der Resolution 1235 entwickelte sich laut Buffum gut. Die Mitglieder der Menschenrechtskommis­ sion machten bei den öffentlichen Sitzungen auf die Menschenrechtslage in Bolivien, Chile, Kambodscha, El Salvador, Äquatorialguinea, Guatemala, Namibia, den Palästinensergebieten, Südafrika, Uganda und der Westsahara aufmerksam und hielten dies in Resolutionen fest.278 Das zeigt, dass sich im Vergleich zu den Vorjahren nicht nur die Anzahl der Staaten erhöhte, denen man Menschenrechtsverletzungen zur Last legte, sondern auch das regionale Spektrum sich ausweitete. Als der ›Zweite Kalte Krieg‹ 1983 seinen Höhepunkt erreichte und Reagans konfrontative Menschenrechtspolitik die Beziehungen innerhalb des westlichen Lagers immer stärker belastete, nahm der UN-Menschenrechtsschutz immer mehr Raum ein. Dabei profitierte dieser auch von dem sich allmählich wandelnden internationalen Klima. Die Ära rechter Diktaturen in Südamerika neigte sich dem Ende zu. Uruguay und Argentinien wurden wieder demokratisch und verstärkten die westeuropäischen Staaten in den UN. Die neue Regierung Argentiniens nutzte die Sitzung der Menschenrechtskommission Anfang 1984 geschickt zur Selbstdarstellung, wodurch sich nach Meinung der westdeutschen Delegation eine positive Grundstimmung durchsetzte.279 274 UNARM : SG Waldheim, S-0913-6-5, Interoffice Memorandum von Buffum an Waldheim vom 30.03.1981. 275 Eckel: Ambivalenz, S. 387. 276 UNARM : SG Waldheim, S-0913-6-5, Interoffice Memorandum von Buffum an Waldheim vom 30.03.1981. 277 Eckel: Ambivalenz, S. 797–803. 278 Vgl. ebd.; mit ORUN: E / C N .4/1984/77, Bericht der 40. Sitzung der Menschenrechts­ kommission 1984. 279 Vgl. die Schilderungen der westdeutschen Diplomaten in Genf PA AA : ZA B30, 134947, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom

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Auch die Eröffnungsrede des neuen Leiters des Genfer Menschenrechts­ zentrums Herndl kam der westlichen Haltung entgegen. Dieser sprach von einer neuen Phase des UN-Menschenrechtsschutzes – dem Zeitalter der Implementierung der Menschenrechte. Darin unterstrich er, dass der Schutz der Menschenrechte mittlerweile die Hauptaufgabe des UN-Menschenrechtszentrums sei.280 Er bezog sich damit vor allem auf drei Bereiche: Erstens verwies er auf die Arbeit des UN-Menschenrechtsausschusses (TBM), speziell die Prüfung der Staatenberichte sowie die Veröffentlichung der ›General Comments‹. Zweitens unterstrich er die Bedeutung des CBM . Darunter zählte er zum einen die Behandlung von Menschenrechtsverletzungen in der UN-Menschenrechtskommission im Rahmen der 1503- und 1235-Verfahren sowie die daraus resultierenden ›FactFinding-Missionen‹ der UN-Sonderberichterstatter. Zum anderen bezog er sich auf die guten Dienste des Generalsekretärs. Drittens verwies er auf die Hilfe für Opfer von Menschenrechtsverletzungen sowie die logistische und organisatorische Unterstützung für Staaten zum Aufbau einer eigenen Menschenrechtsinfrastruktur.281 Der Menschenrechtsschutz konnte damit bis Mitte der 1980er-Jahre seine Stellung im UN-System behaupten und hatte sich als fester Bestandteil der Arbeit der Kommission etabliert. Die Auftritte wichtiger Personen wie die des Vorsitzenden der Menschenrechtskommission der OAS oder des Generalsekretärs des Europarates verbesserten die mediale Aufmerksamkeit, und die rege Beteiligung zahlreicher NGOs machte die Menschenrechtskommission zum Weltforum für Menschenrechtsfragen.282 Doch auch die Debatten während der Sitzungen hatten sich verändert: The debates in the Commission are increasingly characterized by free statements about numerous situations of violations of human rights in which Member States, Observers of Governments and non-governmental organizations rise allegations of violations as a matter of course. As the Governments concerned almost invariably take the floor to reply the Commission serves increasingly as a forum for publicity airing concerns about human rights violations.283

Van Bovens Auftritt hatte zu einem Wandel geführt und die Debatte über »Question of Violation of Human Rights […]« (TOP12) nahm nun immer mehr Zeit in Anspruch und dominierte fortan die Agenda der Menschenrechtskom07.02.1984; mit der politischen Entwicklung in dem Land, siehe dazu Schmidli: Institutionalizing. 280 Vgl. ORUN: HR /1472, Press Release der Rede von Kurt Herndl vom 06.02.1984; mit PA AA : ZA B30, 134947, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 07.02.1984. 281 PA AA : ZA B30, 134947, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 07.02.1984. 282 UNARM : SG de Cuéllar: S-1055-4-7, Memorandum von Buffum an den Generalsekretär vom 18.03.1985. 283 UNARM : SG de Cuéllar: S-1055-5-5, Memorandum von Buffum an de Cuéllar vom 02.04.1986.

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mission. Zugleich war das der Tagesordnungspunkt, der die größte öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zog.284 Während sich das Gros der Debatten vorher auf Fragen der Kodifizierung oder Bedeutung verschiedener menschenrechtlicher Aspekte konzentriert hatte, standen ab Mitte der 1980er-Jahre Menschenrechtsverletzungen im Zentrum. Die Institution Menschenrechtskommission hatte damit in den vergangenen 20 Jahren einen bedeutenden Wandel erlebt, wie Buffum 1986 bemerkte: »The Commission ist thus becoming more and more a highly complex political (and no longer technical) organ which requires careful diplomatic management.«285 Diese Einschätzung war zwar kurzsichtig, da, wie in den vorherigen Kapiteln gezeigt wurde, die Menschenrechtskommission auch schon in den 1960er-Jahren ein in hohem Maße politisiertes Gremium gewesen war. Dennoch bezeugt sie den neuen Stellenwert der Menschenrechtskommission Mitte der 1980er-Jahre und wie sich ihre Wahrnehmung im transnationalen Menschenrechtsdiskurs veränderte. Die jährliche Sitzung in Genf wurde zum zentralen Ort, an dem zivilgesellschaftliche und politische Akteure aufeinandertrafen und über Menschenrechtsverletzungen stritten. Die Kommission veränderte dadurch zunehmend das eigene Profil, wodurch ihre Stellung im UN System aufgewertet wurde. Genf entwickelte sich zu einem transnationalen Zentrum für Menschenrechte und der Menschenrechtsschutz wurde zu einem integralen Bestandteil der Arbeit der UN. Auch das TBM wurde in dieser Zeit immer weiter ausgeweitet und der UNMenschenrechtsausschuss professionalisierte sich zunehmend. Dieser behandelte 1979 die erste Individualbeschwerde und veröffentlichte das Urteil in seinem Jahresbericht.286 In den folgenden Jahren wurden immer mehr Fälle abgeschlossen und die Ergebnisse veröffentlicht. Die meisten richteten sich gegen die Militärregierung in Uruguay, doch es gab auch einige Fälle gegen Dänemark, Finnland, Italien, Kanada, Kolumbien, Norwegen, Madagaskar, Mauritius, Schweden und Zaire. Ein breites Spektrum an Staaten geriet in den Fokus, wodurch der Ausschuss dem Vorwurf der Selektivität entging. Allerdings wurden die meisten Beschwerden aus formalen Gründen abgelehnt.287 In manchen Fällen gab der Ausschuss den Beschwerdeführern jedoch recht und in einigen Fällen folgten die Staaten sogar dem Urteil und entschädigten die Opfer oder passten ihre nationale Rechtsprechung den Empfehlungen des Ausschusses an.288 Bis 1983 hatte der Ausschuss 147 Individualbeschwerden erhalten, davon wurden 49 abgeschlossen, 64 abgelehnt oder zurückgezogen und 34 waren noch offen.289 Diese Zahlen zeigen, dass der Ausschuss bei der Auslegung der Pakte 284 Ebd. 285 Ebd. 286 ORUN: A/34/40, Jahresbericht des Menschenrechtsausschusses von 1979, S. 124–129. 287 Vgl. ORUN: A/32/1977; A/33/1978; A/34/1979/; A/35/1980/; A/36/1981; A/37/1982; A/38/​ 1983; A/39/1984. Jahresberichte des UN -Menschenrechtsausschusses von ­1977–1984. 288 Ebd., A/38/1983, Jahresbericht des UN -Menschenrechtsausschusses 1983, S. 249–265 (Statements der Diplomaten aus Kanada, Finnland und Mauritius). 289 Ebd., S. 91.

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zurückhaltend vorging, was die Akzeptanz in den internationalen Beziehungen langfristig förderte und den Mitgliedern half, Vertrauen zu dieser neuen Institution aufzubauen.290 Der Ausschuss veröffentlichte seit 1982 zudem regelmäßig ›General Comments‹, in denen einzelne Artikel des Zivilpaktes auslegt und gegenüberstellt wurden. Der Ausschuss nahm sich dabei auch politisch umstrittenen Fragen an. Im Jahr 1983 veröffentlichte er einen Kommentar zum Recht auf freie Meinungsäußerung (Artikel 19) und dem Verbot von Kriegspropaganda und der Verbreitung von Rassenhass (Artikel 20) des Paktes. Einige westliche Staaten weigerten sich, Artikel 20 anzuerkennen, weil sie darin eine Einschränkung der Meinungsfreiheit sahen. Dieser Rechtsgrundsatz aus den 1950er-Jahren ging vor allem auf die Initiative sozialistischer Staaten zurück und tatsächlich nutzten diese Staaten den Artikel 20, um ihr Vorgehen gegen politische Gegner im Inland zu rechtfertigen.291 Allerdings erkannten andere westliche Länder wie die Bundesrepublik und Frankreich beide Artikel an. Der Ausschuss kam zu dem Schluss, dass beide Grundsätze miteinander im Einklang stehen konnten, und man einigte sich auf eine Formel, die versuchte, beide Seiten zusammenzubringen. Zugleich wiesen die Experten auf die Problematik des Missbrauchs hin und forderten die Mitglieder auf, diesem entgegenzuwirken.292 Sowohl mit der Prüfung der Individualbeschwerden als auch mit der Veröffentlichung der ›General Comments‹ konnte sich der UN-Menschenrechts­ ausschuss in den internationalen Beziehungen und als Institution im Völkerrecht behaupten. Obwohl seine Arbeit keine große Publizität genoss, leistete er damit einen wichtigen Beitrag zur Implementierung des Menschenrechtsschutzes. Dabei war es gerade der Abwesenheit der öffentlichen Aufmerksamkeit zu verdanken, dass die Arbeit des Ausschusses im ›Zweiten Kalten Krieg‹ politisch nicht so stark aufgeheizt wurde. Auch die Tatsache, dass Staaten wie die USA , Israel und Südafrika keine Mitglieder waren, führte dazu, dass die Debatten nicht übermäßig politisiert wurden, was die Effizienz des Ausschusses förderte. Die Professionalität und Nüchternheit, mit der der Ausschuss arbeitete, förderte dessen Anerkennung unter den Staaten, von denen inzwischen immer mehr dem Zivilpakt beitraten. Im Gegenzug förderte der Ausschuss nicht nur die Rechtspraxis im Umgang mit Menschenrechten auf internationaler Ebene sowie die weitere ›Verwissenschaftlichung‹ der Menschenrechte im akademischen Bereich, sondern auch die Bereitschaft der Staaten, sich den Menschenrechtspakten und damit einer internationalen Kontrolle zu unterwerfen. Seit dem Inkrafttreten der Pakte 1976 hatten 40 weitere Staaten den Vertrag rati­ 290 Zur Arbeit des Ausschusses siehe Opsahl: Committee; zur These, dass der restriktive Umgang mit Menschenrechtsfragen die Anerkennung der Institutionen zur Durchsetzung von Menschenrechten langfristig förderte, siehe Madsen: Legal. 291 Das beschreibt zum Beispiel Eckel: Ambivalenz, S. 98. 292 ORUN: A/38/40, Jahresbericht des UN -Menschenrechtsausschusses von 1983, S. 110.

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fiziert. Die Zahl der Mitglieder hatte sich somit bereits verdoppelt und stieg kontinuierlich. Sogar das Zusatzprotokoll des Zivilpaktes, mit dem der Ausschuss ermächtigt wurde, Individualbeschwerden anzunehmen, hatten mittlerweile 34 Staaten ratifiziert, darunter elf westeuropäische Staaten. Von den sozialistischen Staaten erkannte hingegen keiner diese Funktion des Ausschusses an.293 Die Tatsache, dass immer mehr Staaten dieses Verfahren akzeptierten, stärkte die Stellung des Ausschusses. Auch die Zusammenarbeit der Staaten innerhalb des Ausschusses verbesserte sich. Als die Sowjetunion im November 1984 zur Vorstellung ihres zweiten Staatenberichts vorgeladen und mit kritischen Fragen konfrontiert wurde, räumte deren Vertreter ein: […] that his country did indeed have unresolved problems, including difficulties in the implementation of civil and political rights. Respect for such rights, he noted, gave rise to new requirements, for example in terms of training, to which the party organs, trade unions and public organisations were drawing attention. Far from wishing to idealize what had been done thus far to strengthen socialist democracy, he acknowledged that his country was still experiencing growing pains in its efforts to generalize material benefits and the political culture of the masses.294

Eine so selbstkritische Haltung eines sowjetischen Diplomaten wäre in den 1970er-Jahren noch undenkbar gewesen. Sie zeugt davon, dass die Staaten immer mehr Vertrauen zum Ausschuss aufbauten und dieser einen Raum bot, in dem konstruktive Debatten geführt werden konnten und Selbstkritik möglich war, ohne dass man dafür bloßgestellt wurde. Darüber hinaus wurde das TBM mittlerweile auch auf andere Bereiche ausgeweitet. Neben dem Menschenrechtsausschuss gab es seit 1982 auch noch den Ausschuss zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen. Auch dieser konnte seine Stellung festigen, indem er Staatenberichte prüfte und allgemeine Empfehlungen herausgab, wodurch die Rechtspraxis im Umgang mit diesem Thema weiter institutionalisiert und ausgebaut wurde.295 Auch die Mitglieder des Paktes über wirtschaftliche und soziale Rechte berieten über die Einrichtung eines eigenen Ausschusses zur Überwachung wirtschaftlicher und sozialer Rechte und stießen damit immer mehr auf Zustimmung.296 Auch die Einhaltung der Ende 1985 angenommene CAT sollte durch einen Ausschuss überwacht werden.297 Dabei profitierten diese Verfahren von der unterschiedlichen Schwerpunktsetzung einzelner Staatenverbände und der Konkurrenz zwischen 293 Liste der Ratifikationen des ICCPR , online: http://indicators.ohchr.org/ (09.04.2021). 294 ORUN: A/40/40, Jahresbericht des UN -Menschenrechtsausschusses von 1985, S. 45 (Die Berichte beziehen sich auch immer auf die Novembersitzung des Vorjahres). 295 Jacobson: Committee, S. 444–472. 296 Ben Soul / David Kinley / Jacqueline Mowbray: The International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, Commentary Cases and Material, Oxford 2014, S. 1–12. 297 YUN: 1984, S. 813 f.

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Ost und West sowie dem Nord-Süd-Konflikt, wodurch sich das Spektrum stetig erweiterte und man den Ausschüssen keine Selektivität vorwerfen konnte. In diesen wurden Menschenrechtsverletzungen aus allen Lagern verhandelt. Das TBM stieß somit Mitte der 1980er-Jahre insgesamt auf breite Akzeptanz und hatte sich im internationalen System und im Völkerrecht etabliert. Neben dem TBM gewann auch das CBM in dieser Zeit an Bedeutung. Dabei konnte sich vor allem ein Element des UN-Menschenrechtsschutzes in dieser Zeit durchsetzen, die Sonderberichterstatter. Neben den Sonderberichterstattern zu einzelnen Ländern wie Afghanistan, Iran, Chile oder El Salvador waren es vor allem die Sonderberichterstatter zu den Bereichen Folter, willkürliche Hinrichtungen und ›Verschwindenlassen‹, die sich durch ihre professionelle Arbeit allgemeine Anerkennung verdienten. Damit wurden »all main areas of violations threatening human life […] subject to fact-finding and humanitarian procedures«, wie man im Sekretariat bemerkte.298 Die Sonderberichterstatter verbesserten auch das Ansehen der Organisation. Auf der Sitzung der Menschenrechtskommission des Jahres 1985 stellte der österreichische Sonderberichterstatter Ermacora seinen Bericht zur Lage in Afghanistan vor. Obwohl dieser nicht vor Ort recherchieren durfte, war sein Bericht umfassend und informierte über das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen im Land.299 Die USA , andere westlichen Staaten und die meisten Bündnisfreien Staaten lobten Ermacoras Arbeit. Auch in der westlichen Öffentlichkeit wurde der Bericht breit rezipiert und positiv bewertet. Für die UN war das nach dem öffentlichen Debakel, welches sie im Fall Polens und dem van Boven-Skandal erlebt hatten, ein wichtiger PR-Erfolg. Auch der Bericht des Sonderberichterstatters über den Iran wurde positiv aufgenommen und half, das Image der UN aufzuwerten.300 Allgemein betrachtet übernahmen die Sonderberichterstatter damit immer mehr die Funktion eines Hochkommissars für Menschenrechte. Nicht umsonst betonte der US -Diplomat Schifter 1985 auf einem Treffen in Bonn, dass für ihn die Sonderberichterstatter ein Ersatz für einen Hochkommissar seien. Darin zeigt sich, wie dominant die Idee eines Hochkommissars in den Köpfen westlicher Akteure immer noch war und zugleich, wie diese die Institutionalisierung des Menschenrechtsschutzes prägte. Zugleich förderten die Sonderberichterstatter ebenfalls die ›Verwissenschaftlichung‹ der Menschenrechte. Die meisten waren erfahrene Völkerrechtler, die zugleich als Professoren an Universitäten lehrten, als Experten ihre Regierungen 298 UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-4-7, Memorandum von Buffum an den Generalsekretär vom 18.03.1985. 299 Vgl. ORUN: E / C N .4/1985/21, Situation of Human Rights in Afghanistan vom 19.02.1985 mit Timothy Nunan: Humanitarian Invasion. Global Development in Cold War Afghanistan, Cambridge 2016, S. 228. 300 UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-4-7, Memorandum von Buffum an den Generalsekretär vom 18.03.1985.

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Menschenrechtsschutz im ›Zweiten Kalten Krieg‹

berieten, als UN-Beamte tätig waren und sich teilweise sogar in NGOs für den Menschenrechtsschutz engagierten. Daneben gab es aber auch Rückschläge in dieser Zeit, wie vor allem die Untersuchung gegen die DDR im Rahmen des vertraulichen 1503-Verfahrens zeigte. Das Land rückte vermutlich vor allem aus technischen Gründen in den Fokus der Kommission. Wie die Auswertungen der eingegangenen Individualbeschwerden durch die Menschenrechtsdivision und die Unterkommission zum Schutz von Minderheiten verdeutlichten, lagen Anfang der 1980er-Jahre immer mehr Individualbeschwerden gegen sozialistische Regierungen vor. So richteten sich von den insgesamt 4.716 Individualbeschwerden, die im Sommer 1981 von der Unterkommission bearbeitet wurden, 4.332 gegen den Iran. Diese hohe Anzahl war vor allem auf den hohen Organisationsgrad der im Exil lebenden religiösen Minderheit der Bahais zurückzuführen, welche die meisten Klagen bei der UN einreichten und darin gegen die massive Verfolgung ihrer Glaubensanhänger durch das Ayatollah-Regime protestierten. Von den übrigen 384 Eingaben betrafen aber 114 die UdSSR , 84 Rumänien, 63 die DDR und 51 Polen. Die restlichen 72 Beschwerden verteilten sich auf 35 andere Staaten.301 Diese Verteilung zeigt, dass die Theorie der 1950er-Jahre, wonach die Menschen in den ›geschlossenen Gesellschaften‹ des Ostblocks keine Möglichkeit hätten, eine Individualbeschwerde an die UN zu richten, für die 1980er-Jahren nicht zutraf. Darüber hinaus zeigt die Art und Weise der Auswertung, dass Individualbeschwerden nun viel stärker berücksichtigt wurden als noch in den 1970erJahren. In den ersten Berichten der Unterkommission von 1974 stützte sich das Urteil der Experten hauptsächlich auf Berichte von NGOs , während auf die Individualbeschwerden nur am Rande verwiesen wurde.302 Zu Beginn der 1980erJahre kehrte sich das um. Nun standen die Individualbeschwerden und deren statistische Auswertung im Zentrum der Berichte, welche durch Informationen von NGOs lediglich ergänzt wurden. Ermöglicht wurde dieser Wandel vermutlich durch die Fortschritte bei der elektronischen Datenverarbeitung. Allein von Januar bis Juli 1982 bearbeitete die Menschenrechtsdivision in Genf 18.595 Beschwerden. Sie fasste deren Inhalte zusammen und sortierte die Eingaben nach Ländern und der Art der Menschenrechtsverletzung. Damit veränderte sich das methodische Vorgehen von einer qualitativen hin zu einer quantitativen Auswertung der Fälle. Diese Umstellung hatte Vor- und Nachteile. Zum einen konnte man damit zwar möglichst viele Beschwerden berücksichtigen und in die Urteilsfindung mit einbeziehen, zum anderen wurde dadurch das Gesamtbild verzerrt, wie sich anhand des Beispiels der Bahais im Iran zeigte. Ähnlich 301 Vgl. PA AA : ZA B30, 127923, Bericht der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 11.01.1982, VN -Menschenrechtskommission: Vertrauliche Mitteilungen im »1503-Verfahren«; mit ORUN: E / C N .4/CCR /81/7, Confidential List of Communications Concerning Human Rights Processed in July 1981 vom 24.08.1981. 302 Vgl. UNARM : SG Waldheim, S-0913-4-10, Human Rights 1974: Memorandum von Marc Schreiber an Kurt Waldheim 16.08.1974.

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verhielt es sich mit der DDR und der UdSSR , die vor allem deswegen unter den ersten Plätzen auftauchten, weil sich Hunderte Menschen aus der Bundesrepublik und den USA im Namen ihrer Angehörigen an die UN wandten. Zwar berücksichtigten die Experten der Unterkommission auch weiterhin NGO -Berichte, sodass auch gegen Staaten Ermittlungen eingeleitet wurden, über die keine Beschwerden vorlagen, doch standen die sozialistischen Länder aufgrund der quantitativen Auswertung nun verstärkt im Fokus. Damit spielte die methodische Umstellung bei der Auswertung der Individualbeschwerden im UNMenschenrechtszentrum in Genf den westlichen Staaten in die Hände.303 Das erkannte allerdings auch die Sowjetunion und bemühte sich fortan darum, mehr Einfluss auf die Arbeitsgruppe der Unterkommission zu nehmen, welche für die Auswertung und Beurteilung der Individualbeschwerden zuständig war.304 Das gelang den sozialistischen Staaten bereits 1982. Die Arbeitsgruppe der Unterkommission bestand zu dieser Zeit aus fünf Mitgliedern aus Kanada, Bulgarien, Tansania, Zypern und Kuba. Damit waren die westlichen Experten nun in der Minderheit. Ein Jahr später empfahl die Arbeitsgruppe schließlich, das Verfahren gegen die DDR einzustellen, da keine neuen Beschwerden gegen das Land eingegangen waren.305 Die westlichen Staaten in der Menschenrechtskommission waren dagegen, wohingegen die sozialistischen Staaten der Empfehlung der Unterkommission folgen wollten. Nachdem die sozialistischen Staaten dreimal mit ihrem Antrag, das Verfahren einzustellen, scheiterten, gelang es ihnen beim vierten Anlauf mit einer knappen Mehrheit, ihr Anliegen durchzusetzen.306 Im MfAA atmete man daraufhin auf.307 Afghanistan war nun das einzige sozialistische Land, das im Rahmen des vertraulichen 1503-Verfahrens behandelt wurde. Daneben mussten Argentinien, Haiti, Indonesien, der Iran, Paraguay, die Türkei und Uruguay sich vor der Kommission wegen Menschenrechtsverletzungen rechtfertigen.308 Damit standen 1983 wieder überwiegend Staaten im Fokus, die dem ›Westen‹ politisch nahestanden. Zudem hatte die Zahl der Staaten, gegen die ermittelt wurde, insgesamt abgenommen, was ebenfalls auf die restriktive Haltung der Experten in der Arbeitsgruppe zurückzuführen war. 303 Vgl. PA AA : ZA B30, 127923, Bericht der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Genf vom 06.12.1982, Eingaben nach dem »1503-Verfahren«; mit ebd., 135006, enthalten UN -Unterlagen über das Verfahren 1503 von 1981–1986; sowie ebd., 135005, ganzer Band. 304 Vgl. ORUN: E / C N .4/1983/R.5, Bericht der Arbeitsgruppe nach Entscheidung 1982/103 vom 31.01.1983, S. 5; sowie PA AA : ZA B30, 135005, 40. MRK TOP 12: Sachstand o. D. 305 Ebd. 306 Vgl. ORUN: E / C N .4/1983/SR .35, Summary Records des 35. Meetings der Menschenrechtskommission am 24.02.1983; mit ebd., E / C N .4/1983/SR .36, Summary Records des 36. Meetings der Menschenrechtskommission am 24.02.1983. 307 PA AA : MfAA , ZR 208/92, Bericht über den Verlauf der Ergebnisse der 39. Tagung der Menschenrechtskommission vom 31.01.–11.03.1983 in Genf, Berlin den 19.03.1983. 308 PA AA : ZA B30, 135005, 40. MRK TOP 12: Sachstand o. D.

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Menschenrechtsschutz im ›Zweiten Kalten Krieg‹

Obwohl die Anzahl der Individualbeschwerden stieg, gelang es den sozialistischen Experten, die Arbeitsgruppe zu dominieren, wie man in der westdeutschen Botschaft in New York resignierend feststellte. Auf der einen Seite sind östliche Vertreter ausschließlich Regierungsbeamte, die im Übrigen über lange Erfahrungen im VN-Bereich – meist auch in New York – verfügen. Westliche Vertreter sind hingegen echte unabhängige Experten, die sich in VNTaktiken nicht gut auskennen und daher bei streitigen Resolutionsentwürfen nicht immer gut abschneiden.309

Die sozialistischen Experten sorgten ebenfalls dafür, dass in der Versagung der Ausreise kein hinreichender Grund für die Einleitung eines Verfahrens erkannt wurde, obwohl die Zahl der Individualbeschwerden mit Bezug auf das ›Right to Leave‹ jährlich stieg.310 Allerdings einigte sich der Wirtschafts- und Sozialrat im Mai 1984 auf die Einsetzung eines Sonderberichterstatters zu diesem Thema. Der sambische Jurist und Experte der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten Chama Mubanga-Chipoya wurde ausgewählt, um eine Studie über die Praxis der Staaten im Umgang mit dem ›Right to Leave‹ anzufertigen.311 Das Thema wurde damit fortan auch auf den Sitzungen der Menschenrechtskommission besprochen und bot den westlichen Staaten nicht nur eine weitere Plattform, um die sozialistischen Staaten anzugreifen, sondern besaß auch das Potenzial, den Umgang mit diesem Thema im 1503-Verfahren zu verändern. Bis dahin hatte dieses jedoch für die westlichen Staaten an Nutzen verloren, weshalb sie ihr Engagement auf andere Ebenen des Menschenrechtsschutzes verlagerten. Abgesehen von diesen Rückschritten beim 1503-Verfahren konnte der ­ N-Menschenrechtsschutz damit auf verschiedenen Gebieten beachtliche FortU schritte vorweisen. Der Wandel der Konkurrenz zu Beginn des Jahrzehnts sowie der immer stärker werdende Einfluss ziviler Akteure förderte den Aufstieg der Menschenrechtskommission in Genf zum Forum einer transnational agierenden Menschenrechtsszene. Zudem gewannen die verschiedenen Verfahren immer mehr Anerkennung in den internationalen Beziehungen, sodass der UN -Menschenrechtsschutz insgesamt gestärkt aus dem ›Zweiten Kalten Krieg‹ hervorging.

309 Ebd., 134879, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in New York an das Auswärtige Amt in Bonn vom 21.12.1984. 310 Ebd., 134862, Bericht der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt in Bonn vom 24.04.1984. 311 ORUN: E / C N .4/Sub.2/1984/43, Jahresbericht der Sitzung der Unterkommission zum Schutz von Minderheiten, S. 40 f.

5. Das Ende des Kalten Krieges – Frieden, Demokratie und Menschenrechte

Ab Mitte der 1980er-Jahre wurden weltweit immer mehr Staaten demokratisch und leiteten damit einen globalen politischen Transformationsprozess ein, der das internationale System und die Debatten über den UN-Menschenrechtsschutz veränderte. In Südamerika und Asien wurden die in den 1970er-Jahren etablierten Diktaturen überwunden und Staaten wie Argentinien (1983), Uruguay (1985) und die Philippinen (1987) kehrten zu einer demokratischen Staatsform zurück. In der Sowjetunion leitete der neue Generalsekretär der KPdSU Michail Gorbatschow 1986 Reformprozesse ein, die zu einer wirtschaftlichen Öffnung, Demokratisierung und Annäherung an den Westen führten. Binnen kurzer Zeit breiteten sich diese Prozesse auch in den meisten anderen sozialistischen Staaten Osteuropas aus, wodurch der Kalte Krieg schließlich beendet wurde und der Sozialismus als politisches System in Europa verschwand. Selbst in Südafrika, wo eine weiße Minderheitenregierung die schwarze Bevölkerungsmehrheit unterdrückte, begann der neue Ministerpräsident Frederik Willem de Klerk 1989 mit dem stufenweisen Abbau der Apartheid. Bis 1993 war die Mehrheit der UN Mitglieder in den UN demokratisch.1 Neben diesen Demokratisierungstrend, konnten in vielen Krisenregionen Friedensprozesse eingeleitet werden, die zu einer Beilegung der Konflikte führten. Nachdem 1986 erneut eine Phase der Entspannung in den Beziehungen zwischen Ost und West einsetzte, zog die Sowjetunion unter Vermittlung der UN 1988 ihre Soldaten aus Afghanistan ab. Im selben Jahr konnten die vom ­ N-Generalsekretär Pérez de Cuéllar geleiteten Friedensverhandlungen zwiU schen dem Irak und dem Iran erfolgreich abgeschlossen werden. In den langjährigen Bürgerkriegen im Libanon (1975–1990) und in Mittelamerika (1978–1992) konnten mithilfe der Vereinten Nationen Friedensverhandlungen eingeleitet werden, die bis Anfang der 1990er-Jahre zur Beendigung der Auseinandersetzungen führten. Südafrika beendete die Besetzung Namibias, wodurch das Land nach 73 Jahren unabhängig wurde. Auch hier begleiteten UN-Blauhelme den Übergangsprozess und sorgten damit für ein friedliches Ende des seit Jahrzehnten schwelenden Konflikts. Selbst im Nahen Osten zeichnete sich zu Beginn der 1990er-Jahre ein hoffnungsvoller Friedensprozess ab. Viele Konflikte, die die internationalen Beziehungen seit Jahrzehnten belasteten, wurden friedlich beendet.2 1 Cuéllar: Pilgrimage, S. 3–19. 2 Westad: Kalte Krieg, S. 617–645.

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Auch wenn die Gründe für diese Entwicklungen jeweils unterschiedlich sind und von verschiedenen Faktoren beeinflusst wurden, trugen sie alle zum selben Ergebnis bei. Der globale politische Wandel stärkte zwischen 1986–1993 das Lager derer in den UN, die sich für einen effektiven Schutz der Menschenrechte einsetzten. Die Vereinten Nationen erfuhren dadurch zwischen 1990 und 1993 eine Hochphase der internationalen Kooperation sowie einen umfassenden politischen Konsens über die zukünftige Bedeutung der Menschenrechte in den internationalen Beziehungen.3 Aber es zeichneten sich auch gegenläufige Entwicklungen ab. Je mehr sich die Beziehungen zwischen Ost und West verbesserten, umso größer wurden die politischen Spannungen mit den Bündnisfreien Staaten in den Vereinten Nationen. Zudem breiteten sich Nationalismus, Rassismus und religiöser Fundamentalismus weltweit immer stärker aus, wodurch neue Konflikte ausgelöst wurden, die Gesellschaften spalteten und zu Spannungen im internationalen System führten.4 Beide Entwicklungen, der globale Demokratisierungstrend und die Entste­ hung neuer Konflikte, veränderten die Konkurrenz um Menschenrechte zwischen 1986 und 1993.

5.1 Das Ende der Konkurrenz zwischen Ost und West Ein Jahr nach dem Amtsantritt des neuen Generalsekretärs der KPdSU Michail Gorbatschow zeichnete sich in der Sowjetunion ein politischer Wandel ab, der die Konkurrenz um Menschenrechte nachhaltig beeinflusste.5 In der Eröffnungsrede zum 17. Parteitag der kommunistischen Partei am 25. Februar 1986 kündigte Gorbatschow umfassende Reformen an, mit denen er die Sowjetunion wirtschaftlich und politisch modernisieren wollte, um den Sozialismus zu stärken und langfristig mit den westlichen Staaten besser konkurrieren zu können.6 Sein Reformprogramm bestand aus zwei Teilen. Der Erste, die ›Perestroika‹, umfasste Wirtschaftsreformen, mit denen die sowjetische Planwirtschaft modernisiert werden sollte, um deren Effizienz zu steigern. Der Zweite, die ›Glasnost‹, trieb den Abbau staatlicher Restriktionen im Alltagsleben der 3 Eckel: Ambivalenz, S. 825; Cuéllar: Pilgrimage, S. 3–19. 4 Für einen Überblick zur weltweiten politischen Entwicklung in dieser Zeit siehe Chris Armbruster / George Lawson / Michael Cox: The Global 1989. Continuity and Change in World Politics, Cambridge 2010; Kristina Spohr: Post Wall, Post Square. Rebuilding the World after 1989, London 2019, S. 11–128. 5 Siehe dazu die Schilderung der westdeutschen Diplomaten in Genf PA AA : ZA B30, 135006, Bericht über die 42. Tagung der VN -Menschenrechtskommission vom 20.03.1986, S. 3. 6 Zu den Reformen in der Sowjetunion vgl. Helmut Altrichter: Russland 1989. Untergang des sowjetischen Imperiums, München 2009, S. 39–114; Yuliya von Saal: KSZE -Prozess und Perestroika in der Sowjetunion. Demokratisierung, Werteumbruch und Auflösung 1985–1991, München 2014, S. 79–119.

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sowjetischen Bürger voran. Dadurch erhoffte sich Gorbatschow, den nötigen gesellschaftlichen Rückhalt für seine einschneidenden Reformen zu sichern. Darüber hinaus erkannte er die Möglichkeit, durch eine Öffnung seines Landes und die Hinwendung zu den Menschenrechten die politischen Spannungen mit den westlichen Staaten abzubauen. Die Entspannung in den politischen Beziehungen sollte sich positiv auf die Abrüstungsverhandlungen auswirken und würde es ihm erlauben, finanzielle Ressourcen für den Umbau der Wirtschaft freizusetzten.7 Die Sowjetunion begann daraufhin ihre internationale Menschenrechtspolitik zu verändern. Die Vereinten Nationen dienten dabei als Forum, um für ihre Maßnahmen zu werben und den Prozess der Annäherung zu fördern. Das sowjetische Außenministerium entsandte dazu 1987 den sowjetischen Justizminister nach Genf. Dieser sollte in einer ausführlichen Rede vor der Menschenrechtskommission das Reformprogramm Gorbatschows darlegen und damit den Ernst dieser Bemühungen verdeutlichen. Im Auswärtigen Amt bewertete man die Rede des sowjetischen Ministers zunächst allerdings kritisch: Die vom Inhalt wie vom Vortrag farblose Ansprache beschränkte sich – im Gegensatz zu offenbar substantielleren Erklärungen an anderen Orten – auf Darstellung innersowjetischer Entwicklungen nach bekanntem Muster.8

Im Gegensatz dazu zeigte der neue sowjetische Delegationsleiter Wladimir Lomeiko im persönlichen Kontakt mit westdeutschen und US -amerikanischen Diplomaten deutlich mehr Engagement: Lomeiko drängte unter Hinweis auf ernst zu nehmenden Demokratisierungsprozess in der SOW auf Beendigung der Konfrontation, auch in MRK . Insbesondere mit USA . Er appellierte an uns, dazu beizutragen, dass das Klima der 43. MRK mehr von Zusammenarbeit und Verständigung geprägt und auf eigentliches Ziel, Schutz und Förderung der Menschenrechte ausgerichtet wird.9

Auch in den Sitzungen verhielt sich die sowjetische Delegation aus westlicher Sicht moderat und verzichtete auf die üblichen Verbalattacken. Sogar bei den für die Sowjetunion sehr heiklen Themen zeigten sie plötzlich Entgegenkommen. So luden sie den Afghanistan-Sonderberichterstatter Ermacora offiziell ein, um vor Ort seine Ermittlungen durchzuführen. Zudem ließen sie den obersten Rabbiner der Moskauer Synagoge nach Genf einfliegen. Dieser berichtete offen und kritisch über religiöse Diskriminierung in der Sowjetunion. Selbst als sich in den Plenumsbeiträgen bekannte Dissidenten zu Wort meldeten, erhob die sowjetische Delegation keinen Widerspruch. Als die US -amerikanischen Diplomaten die Menschenrechtslage in Kuba ansprachen, räumte der sowjetische 7 Zubok: Empire, S. 303–336; Hildermeier: Sowjetunion, S. 85–89. 8 PA AA : ZA B30, 135006, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 05.02.1987. 9 PA AA : ZA B30, 134950, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 12.02.1987.

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Delegationsleiter sogar öffentlich ein, dass die Menschenrechtslage in dem Karibikstaat ein Problem sei und sein Land einer gemäßigten Resolution zustimmen würde.10 Auch beim Thema Menschenrechtsschutz zeigte sich eine neue Offenheit. Obwohl die Debatte zum Verfahren nach Resolution 1503 1987 sehr kurz war, da aufgrund der Finanzkrise keine neuen Berichte der Unterkommission angefertigt werden konnten,11 verzichteten die sozialistischen Staaten darauf, das Verfahren wie sonst grundsätzlich infrage zu stellen und als Verstoß gegen Artikel 2.7 zu verurteilen.12 Trotz dieses Entgegenkommens in Genf blieben die Vertreter der westlichen Staaten zurückhaltend, was dem sowjetischen Delegationsleiter Lomeiko Sorge bereitete: Lomeiko unterstrich mehrfach und mit Nachdruck neue demokratische Entwicklung der SOW, die ernst zu nehmen und unumkehrbar sei, von der heute jüngeren sowjetischen Führung getragen und weitergeführt werde. Misstrauen der westlichen Welt, besonders nach wie vor spürbare Aggressivität der USA , sei unverständlich und könne weitere Fortschritte in der SOW erschweren. Die sowjetische Führung habe das Gefühl, in ihrem Willen und Ernst um Reformen nicht verstanden und gewürdigt zu werden.13

Anstatt gegeneinander zu arbeiten, wollten die sowjetischen Diplomaten zukünftig mit den westlichen Vertretern kooperieren und die direkte Konfrontation beim Thema Menschenrechte überwinden: Lomeiko wies mehrfach darauf hin, nicht das Gezänk Iran-Irak, nicht das Gezeter anderer kleiner VN-Mitglieder dürfe den Ton bestimmen. Vielmehr sollten die ›Erwachsenen‹ Staaten versuchen, die jahrzehntelange Versteinerung des Dialogs in der VN aufzuweichen.14

Sollten die USA aber weiterhin ihren Konfrontationskurs fortsetzen, sähe sich auch die sowjetische Seite gezwungen »zurückzuschlagen«. Der westdeutsche Delegationsleiter dämpfte daraufhin die Erwartungen Lomeikos. Man beobachte die Entwicklung in der Sowjetunion zwar mit »hoffnungsvoller Aufmerksamkeit«, doch könne dieser nicht erwarten, nur wegen einiger Schritte in Richtung partieller Demokratisierung im Westen Vertrauen zu schaffen.15 Das Misstrauen bei den westlichen Staaten war groß und Gorbatschow musste mehr 10 Ebd. 11 Ebd. Telegramme der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 13.02.1987, 24.02.1987, 09.03.1987 und 12.02.1987. 12 Ebd. Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 14.03.1987, Abschlussbericht Teil 1–2. 13 Ebd. Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 12.02.1987. 14 Ebd. 15 Ebd.

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als verbale Zugeständnisse liefern, um das Verhältnis zu verbessern und die Spannungen zwischen Ost und West beim Thema Menschenrechte in den UN zu überwinden. Allerdings folgten nicht alle sozialistischen Bruderländer dem neuen politischen Kurs. Auf einem Treffen in Sofia Ende April 1987 berieten Vertreter der WVO -Mitglieder über ihr zukünftiges gemeinsames Vorgehen in den UN. Dabei zeigte sich ein zunehmender Dissens innerhalb der Gruppe darüber, welche Haltung man in der internationalen Menschenrechtspolitik einnehmen sollte. Auf der einen Seite wollte die Sowjetunion das Thema nutzen, um die politischen Beziehungen zu den westlichen Staaten zu verbessern, indem man sich an deren Positionen annäherte. Auf der anderen Seite beharrte sie aber weiterhin darauf, an einem genuinen sozialistischen Menschenrechtsverständnis festzuhalten, das sich grundsätzlich von westlichen Positionen unterschied. Beides umzusetzen war eine schwierige Gratwanderung. Die sozialistischen Diplomaten einigten sich darauf, sich auch weiterhin für Themen wie dem ›Recht auf Frieden‹, dem Kampf gegen Rassismus sowie der Stärkung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte einzusetzen. Im Gegenzug wollten sie in Zukunft aber auch die Unteilbarkeit aller Menschenrechte anerkennen. Damit stellten sie sich zwar weiterhin gegen ein Primat bürgerlicher und politischer Rechte, räumten diesen aber zugleich mehr Platz ein.16 Bei der von der DDR angestoßenen Debatte über eine »Sozialistische Menschenrechtsdeklaration« kam es zum Streit zwischen den Delegierten. Ostber­ liner Diplomaten hatte diese Idee Ende 1986 angestoßen und folgten damit dem globalen Trend, die Menschenrechte regional stärker zu verankern, um sich damit politisch abzugrenzen und zu konsolidieren. Dazu plante man eine Deklaration auszuarbeiten, in der wirtschaftliche und soziale Rechte einen zentralen Platz einnehmen sollten. Politische und bürgerliche Rechte wurden ebenfalls in das Dokument aufgenommen, denn »eine sozialistische Menschenrechtsdeklaration [sei] ohne diese Garantien nicht politisch wirksam […] und [könnte] eine mögliche Angriffsfläche für antikommunistische Propaganda bieten […].«17 Die Tschechoslowakei und Polen unterstützten die DDR bei diesem Vorhaben, während vor allem die Sowjetunion und Rumänien wenig Interesse zeigten. Für die sowjetischen Vertreter war es zu früh für eine rechtsverbindliche Deklaration und auch die bulgarischen Diplomaten wollten, wenn überhaupt, eine allgemeine Erklärung zur »sozialistischen Menschenrechtsauffassung«.18 16 PA AA : MfAA , ZR 438/92, Bericht über eine Koordinierungsberatung sozialistischer Staaten zu Menschenrechtsfragen o. D. (das Treffen fand vom 21.04.–24.04.1987 statt). 17 Ebd.: Bericht über eine Koordinierungsberatung sozialistischer Staaten zu Menschenrechtsfragen o. D. 18 PA AA : MfAA , ZR 438/92: Bericht über eine Koordinierungsberatung sozialistischer Staaten zu Menschenrechtsfragen o.D; ebd., Bericht über die 2. Runde der Beratungen von Vertretern der Außenministerien der Warschauer Vertragsstaaten zur Ausarbeitung einer sozialistischen Menschenrechtsdeklaration vom 30.06.1987.

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Vor allem beim Thema Menschenrechtsschutz trat die Uneinigkeit unter den sozialistischen Staaten hervor. Die DDR wollte weiterhin an einem konfrontativen Kurs festhalten und schlug die Einrichtung eines Sonderberichterstatters zum Thema Söldner vor, mit dem man indirekt die Politik der USA und Süd­afrikas verurteilen konnte. Zudem forderten sie, dass sich das sozialistische Lager auf der nächsten Sitzung wieder geschlossen für eine Revision des Verfahrens nach Resolution 1503 einsetzten sollte. Die Vertreter der Sowjetunion, Bulgariens und Kubas wiesen diese Forderung jedoch zurück und rieten stattdessen: Es sollte versucht werden, Einzelbeschwerden aus westlichen Ländern zu organisieren bzw. Beschwerden durch progressive NGOs, besonders zu ökonomischen und sozialen Rechten einbringen zu lassen. Die Zusammenarbeit mit den Experten der Unterkommission müsse verstärkt werden.19

Anstatt das 1503-Verfahren weiterhin zu blockieren, wie es die DDR forderte, wollten die Vertreter der anderen sozialistischen Staaten die vorteilhafte Position sozialistischer Menschenrechtsexperten innerhalb der Unterkommission ausnutzen, um das Verfahren in Zukunft selbst aktiv gegen westliche Staaten einzusetzen. Die ukrainische Delegation bekräftigte daraufhin, »die ablehnende Haltung zum 1503-Verfahren aufzugeben, was große propagandistische Wirkung habe und eine aktive Ausnutzung der Prozedur ermöglichen würde.«20 Sie gingen sogar noch weiter und forderten die Anerkennung des Fakultativprotokolls des UN-Zivilpaktes, mit dem der Menschenrechtsausschuss bevollmächtigt wurde, Individualbeschwerden anzunehmen. Dieser Vorschlag ging der DDR und Rumänien allerdings zu weit, schließlich sei dieses Verfahren nicht mit »der Grundhaltung der sozialistischen Staaten zum Völkerrecht der Gegenwart« vereinbar.21 Die Vorbereitungen in Sofia 1987 zeigen, wie sich der ›Ostblock‹ in Menschenrechtsfragen immer weiter auseinanderbewegte. Während die DDR den allgemeinen Menschenrechtsschutz weiterhin kategorisch ablehnte, wuchs bei anderen sozialistischen Staaten die Akzeptanz dieser Verfahren. Einigkeit bestand nur darüber, dass man grundsätzlich an der Konkurrenz um Menschenrechte festhalten und den westlichen Staaten auch weiterhin ein eigenes sozialistisches Menschenrechtsverständnis entgegenhalten wollte. Inwieweit dieser Spagat allerdings gelingen würde, wenn die wesentlichen Gegensätze zwischen Ost und West in Menschenrechtsfrage ausgeräumt wurden, war fraglich. Gorbatschow entschied diesen Streit schließlich im Alleingang. Im Septem­ ber 1987 veröffentlichte er einen Artikel in der Prawda, der international für Aufsehen sorgte. Darin forderte er eine Stärkung der UN und betonte den 19 PA AA : MfAA , ZR 438/92, Bericht über eine Koordinierungsberatung sozialistischer Staaten zu Menschenrechtsfragen o. D. (siehe Anlage). 20 Ebd. 21 Ebd.

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Zusammenhang zwischen internationaler Sicherheit und dem Schutz der Menschenrechte durch die UN.22 Der Genrealsekretär kündigte damit eine Kehrtwende in der sozialistischen Menschenrechtspolitik an und stellte die von den Vertretern der DDR in Sofia betonte »Grundhaltung der sozialistischen Staaten zum Völkerrecht« erstmals öffentlich infrage.23 Die politische Annäherung zwischen Ost und West setzte sich 1988 rasch fort, wovon auch die UN und das System zum Schutz der Menschenrechte profitierte. Zu Beginn des Jahres verkündete der neue sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse, dass die Sowjetunion ihre Truppen aus Afghanistan abziehen würde.24 Unter Beteiligung der UN verhandelten die Konfliktparteien seit 1981 in Genf. Obwohl die Entscheidung Gorbatschows 1988 primär aus der wirtschaftlichen Not und der militärischen Ausweglosigkeit erwuchs, konnte die UN diesen Erfolg für sich verbuchen.25 Der UN-Sonderberichterstatter Ermacora war zur gleichen Zeit in Afghanistan, um vor Ort die Menschenrechtslage zu untersuchen. Als er wenige Tage nach der Ankündigung Schewardnadses nach Wien zurückkehrte, bestätigte er im österreichischen Fernsehen, dass der Abzug sowjetischer Truppen kurz bevorstünde.26 Die Meldung Ermacoras war ein Signal für den Frieden und ein PR-Erfolg für die Vereinten Nationen. Dass der Österreicher diese Meldung in seiner Funktion als UN-Sonderberichterstatter der Menschenrechtskommission verbreitete, stärkte das Ansehen dieser Institution. Dies bekräftigten auch die UN Mitglieder auf der 44. Sitzung der Menschenrechtskommission, als diese beschlossen, die Mandate aller Sonderberichterstatter um zwei, statt um ein Jahr zu verlängern. Eine Entscheidung, die laut des neuen Leiters des Menschenrechtszentrums in Genf Jan Martenson vor einigen Jahren noch »unthinkable« gewesen wäre.27 Die Sonderberichterstatter wurden in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre zum Aushängeschild des Menschenrechtsschutzes, weil sie, im Gegensatz zu den anderen Verfahren, greifbare Ergebnisse präsentierten. Neben den Sonderberichterstattern gewannen die »beratenden Dienste« der Menschenrechtskommission zum Aufbau einer Menschenrechtsinfrastruktur in Mitgliedstaaten ebenfalls an Bedeutung.28 Diese wurden zu einem weiteren wichtigen Standbein der Menschenrechtsarbeit der UN, das sich durch Spenden einzelner Mitglieder finanzierte. Die Bundesrepublik hatte 1986 einen Hilfs22 AAPD : 1988, Dok. 262, Aufzeichnung von Citron vom 23.09.1988, FN 15.  23 PA AA : MfAA , ZR 438/92, Bericht über eine Koordinierungsberatung sozialistischer Staaten zu Menschenrechtsfragen o. D. 24 Philip Taubman: Kremlin Feels Strain of Afghan War, in: New York Times, 11.01.1988. 25 Zubok: Empire, S. 297. 26 UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-6-6, Telegramm von Wüstenhagen an Dayal vom 14.01.1988. 27 Ebd., Note for the Secretary General from USG Martenson on the 44th Session of the Commission on Human Rights, 18.03.1988. 28 Ebd.

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fonds dafür eingerichtet, damit diese ihre Arbeit trotz der Finanzkrise fortsetzen konnte. Selbst die USA zahlten 1988 Geld in diesen Fonds ein und die Sowjetunion wurde noch im selben Jahr der erste Rezipient der »beratenden Dienste«.29 Ende Mai reiste der Leiter des Genfer Menschenrechtszentrums Martenson persönlich in die sowjetische Hauptstadt, um sich mit dem stellvertretenden Außenminister und hohen Regierungsbeamten des sowjetischen Justizapparates zu treffen und diese zu beraten. Was Martenson aus Moskau berichtete, war außergewöhnlich und Zeugnis des Wandels der sowjetischen Menschenrechtspolitik 1988. Die Regierungsvertreter legten Martenson dar, dass derzeit das gesamte Justizsystem der Sowjetunion überarbeitet werden würde, um es an die internationalen Standards der Menschenrechtsverträge und die Schlussakte von Helsinki anzupassen. Religionsfreiheit, Redefreiheit und Reisefreiheit seien die zentralen Bereiche, auf die sich die Arbeit im Moment konzentriere und wozu es schon in Kürze die ersten Gesetze geben sollte: »To restore ›legality‹ to all spheres of political and economic life«.30 Auch außenpolitisch kündigten sie an, den Worten Gorbatschows Taten folgen zu lassen. Zwar betonte der stellvertretende Außenminister, dass man weiterhin an der Konkurrenz um Menschenrechte festhalten wollte, indem man für ein sozialistisches Menschenrechtsverständnis eintrat, zugleich sollten in Zukunft Probleme bei der Umsetzung der Menschenrechte im eigenen Land nicht länger verschwiegen werden. They are moving from their previous defensive posture to forthright exposition of differing national attitudes to human rights. Western accusations of violations are met with similar accusations in return. At the same time, they are acknowledging more candidly that problems exist.31

Dazu kündigte er an, dass die Sowjetunion das Fakultativprotokoll des UN-Zivilpaktes ratifizieren und sein Land sich damit dem Verfahren zur Prüfung von Individualbeschwerden des Menschenrechtsausschusses unterwerfen werde. Ein Jahr zuvor hatte die Ukraine den gleichen Vorschlag in Sofia präsentiert und war dafür noch scharf kritisiert worden, nun übernahm die Sowjetunion selbst diese Idee. Martenson bezeichnete diesen Schritt in seinem Bericht anschließend als »revolutionary«.32 Schließlich verkündete sie nicht weniger als die Abkehr von ihrer seit 1945 geltenden Auslegung der UN-Charta, wonach der allgemeine Schutz der Menschenrechte einen Verstoß gegen Artikel 2.7 darstellte.33 Zugleich baten die sowjetischen Vertreter um Unterstützung durch das 29 Ebd., Telegramm Martenson an de Cuéllar vom 25.02.1988; ebd., S-1055-6-1: Training Course on the Administration of Justice and Human Rights for Eastern European Countries, 15.11.1988 (Press Release). 30 Ebd., S-1055-6-1, Memorandum von Martenson an de Cuéllar vom 14.06.1988. 31 Ebd. 32 Ebd. 33 Vgl. dazu Troebst: ›Sozialistisches Völkerrecht‹, S. 94–105.

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Centre for Human Rights in Genf bei der Umsetzung dieser Reformen. Neben Informationsmaterial wollten sie vor allem Menschenrechtsseminare für Regierungs- und Justizbeamte organisieren. Die ersten sollten bereits im Herbst 1988 in Moskau stattfinden.34 Auch bei den guten Diensten legte die sowjetische Führung eine neue Offenheit an den Tag. Martenson hatte wie üblich eine Liste mit Personen mitgebracht, die in der Sowjetunion im Gefängnis saßen oder ausreisen wollten. Noch bevor der Schwede wieder nach Genf zurückkehrte, gaben die sowjetischen Vertreter ihm die gewünschten Informationen über die betroffenen Personen, wobei die meisten bereits freigelassen worden waren oder ausreisen durften. Martenson betonte daraufhin: »that such  a rapid reaction is quite unparalleled.«35 Im Gegenzug baten die sowjetischen Vertreter Martenson darum, seine guten Dienste für vermisste und gefangene sowjetische Soldaten in Afghanistan einzusetzen.36 Während sich in der Sowjetunion ein Paradigmenwechsel in Sachen Menschenrechtsschutz vollzog, hielt man in der DDR an den alten Prinzipien fest, wie sich in den Vorbereitungen des MfAA auf die Generalversammlung von 1988 zeigte: Die Hauptaufgabe der Zusammenarbeit der sozialistischen Länder auf dem Gebiet der Menschenrechte unter den gegenwärtigen Bedingungen besteht darin, auf Grundlage der völkerrechtlichen Grundprinzipien der UN-Charta diese Problematik zu einem Feld des friedlichen Wettbewerbs, des Dialogs und der weltweiten Zusammenarbeit zu entwickeln.37

Der Verweis auf die »völkerrechtlichen Grundprinzipien der UN-Charta« war eine Anspielung auf die »klassische« sozialistische Auslegung des Menschenrechtsschutzes. Zudem bildete die Konkurrenz mit dem Westen und die Abgrenzung von diesem weiterhin das zentrale Ziel ihrer Politik: Zielsetzung sollte es sein, Initiativen und Projekte zu wichtigen Grundfragen der sozialistischen Menschenrechtskonzeption in die internationale Diskussion einzubringen, um damit den Bestrebungen der imperialistischen Staaten zur ›Entpolitisierung‹ bzw. einseitigen Betonung von Individualrechten in der Arbeit der UN-Menschenrechtsgremien entgegenzuwirken. Damit sollte die konstruktive, den Interessen der Staatengemeinschaft dienende Alternative zu dem, insbesondere von den USA verfolgten aber z. T. auch von anderen imperialistischen Staaten mitgetragenen Kurs der Konfrontation und politischen Verleumdungskampagnen deutlich gemacht werden.38 34 UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-6-1, Memorandum von Martenson an de Cuéllar vom 14.06.1988. 35 Ebd. 36 Ebd. 37 PA AA : MfAA , ZR 438/92, 3. Komitee, Pjöngjang 09.–11.07.1988. 38 Ebd.

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Zudem weigerte sich die DDR weiterhin konsequent, Versäumnisse in Menschen­ rechtsfragen einzugestehen. Während die Sowjetunion also eine Kehrtwende in ihrer Haltung zum Menschenrechtsschutz vollzog, verlor die DDR den Anschluss und isolierte sich mit ihrer Haltung innerhalb des sozialistischen Lagers. Die Konkurrenz um Menschenrechte zwischen Ost und West endete schließlich dort, wo sie 28 Jahre zuvor von Chruschtschow eingeleitet worden war, auf der Generalversammlung in New York. Am 7. Dezember 1988 hielt Gorbatschow eine Rede, die in Europa und den USA live im Fernsehen übertragen und zu einem Medienspektakel wurde.39 Vor laufenden Kameras präsentierte er der Welt seine Vision einer neuen Weltordnung.40 Demnach sei die Zeit der »closed societies« endgültig vorbei. Stattdessen würde jetzt eine Periode des Friedens eintreten, in der die Menschheit eine neue Zukunft gestalten könnte. Eine Zukunft ohne Gewalt, in der Ost und West und Nord und Süd kooperieren und trotz ihrer Unterschiede vereint sein würden. Drei Elemente zeichneten Gorbatschows Vision einer neuen Weltordnung aus. An erster Stelle standen Frieden und Abrüstung. Nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation sollte die Bedrohung durch einen Atomkrieg durch Abrüstung endgültig beseitigt werden. An zweiter Stelle stand multilaterale Kooperation. Die Vereinten Nationen sollten zum Zentrum der internationalen Zusammenarbeit werden und als wichtiges Instrument zur Regelung internationaler Konflikte dienen. Drittens sollten die UN -Charta und die AEMR die rechtliche und moralische Grundordnung der internationalen Beziehungen festlegen. Daraus abgeleitet verkündete Gorbatschow, dass Demokratie und Menschenrechte der neuen Weltordnung zugrunde liegen sollten und die UN über deren Einhaltung wachen müsste. Mit Blick auf die Sowjetunion erklärte er, dass Demokratie die wichtigste Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg seines Landes sei. Das Ziel von ›Perestroika‹ und ›Glasnost‹ sei es deshalb, die Sowjetunion in eine »Soviet democracy« zu verwandeln.41 Es gehe ihm darum, politische und bürgerliche Rechte zu stärken. Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit wurden ebenso hervorgehoben wie das Recht auszureisen, wodurch sich das Problem der ›Refuseniks‹ von selber lösen würde. Auch auf internationaler Ebene kündigte ­Gorbatschow eine neue Haltung an. Demnach wolle sich sein Land zukünftig stärker an den Mechanismen zur Überwachung der Menschenrechte im Rahmen der Vereinten Nationen und der KSZE beteiligen. Ebenso erklärte er: »We believe the jurisdiction of the International Court of Justice at the Hague as regards the interpretation and implementation of agreements on human rights should be binding on all states.«42 Damit bekräftige er den Paradigmenwechsel, wonach der allgemeine Schutz der Menschenrechte nicht mehr als Verstoß gegen 39 Spohr: Post Wall, S. 11–13. 40 ORUN: A/43/PV.72, Rede von Michail Gorbatschow vor der Generalversammlung in New York vom 07.12.1988. 41 Ebd., S. 25. 42 Ebd. S. 26.

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Artikel 2.7 angesehen wurde. Die Sowjetunion übernahm damit 1988 die Haltung der westlichen Staaten zum Thema Menschenrechtsschutz, wodurch sich der wesentliche Gegensatz zwischen Ost und West auflöste. Für Gorbatschow bedeutete das aber immer noch nicht, dass er grundsätzlich gewillt war, von der Konkurrenz mit dem Westen zurückzutreten: Profound contradictions and roots of many conflicts have not disappeared. And there remains another fundamental fact, which is that a peaceful period will be taking shape in the context of the existence and rivalry of different socio-economic and political systems. However, the trust of our international efforts and one of the key elements of new thinking is that this rivalry should be given a quality of reasonable competition with due regard for freedom and choice and a balance of interests. Then it will become even more useful and productive from the standpoint of global development.43

Wie genau allerdings diese Konkurrenz in Zukunft ausgestaltet werden sollte und ob das sowjetische System noch genügend Überzeugungskraft besaß, war zu diesem Zeitpunkt unklar. Gorbatschows Ankündigung einer neuen Weltordnung war der Beginn einer neuen Phase in der Geschichte der Vereinten Nationen. Nachdem die Organisation seit 1975 eine schwere Krise durchlebte, bei der sie stark an Ansehen verloren hatte und die mit der Finanzkrise, ausgelöst durch den Rückzug der USA , 1986 ihren Höhepunkt erlebte, ging es 1988 wieder bergauf. Sie konnte sich in Afghanistan und im Ersten Golfkrieg als Friedenstifter präsentieren. Anfang Dezember nahm der UN-Generalsekretär Pérez de Cuéllar in Oslo den Friedensnobelpreis stellvertretend für die UN-Blauhelmsoldaten entgegen und Gorbatschows Rede wurde, vor allem wegen der Ankündigung eines einseitigen Truppenabzugs aus Osteuropa, von Zeitgenossen und Historikern als offizielles Ende des Kalten Krieges bewertet.44 Wie die Worte des sowjetischen Generalsekretärs die Stimmung in den UN veränderten, zeigte sich auf der 45. Sitzung der Menschenrechtskommission im Februar und März 1989. Ein neuer Geist prägte dort das Auftreten der sowjetischen Delegation. Die Vertreter der Sowjetunion nutzten die Kommission, um den Wandlungsprozess ihres Landes öffentlich darzustellen und für Unterstützung und Verständnis zu werben. Dabei verkündete der sowjetische Delegationsleiter direkt zu Beginn, dass die Sowjetunion das Zusatzprotokoll des Zivilpaktes ratifizieren werde und sich damit zukünftig dem Verfahren zur Prüfung von Einzelbeschwerden des UN-Menschenrechtsausschusses unterwerfe. Darüber hinaus lobte er die »beratenden Dienste« des UN-Menschenrechtszentrums in Genf und berichtete ausführlich über die Mentoring- und Trainingsprogramme der UN, welche sein Land seit Kurzem in Anspruch nahm.45 43 Ebd. S. 32. 44 Zur These, dass der ideologische Konflikt zwischen Ost und West 1988 endete, siehe Spohr: Post Wall, S. 17; Zubok: Empire, S. 314. 45 UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-9-1, Cable von Martenson an den Generalsekretär vom 15.02.1989.

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Am Ende der Sitzung informierte der stellvertretende sowjetische Außenminis­ ter die Kommission detailliert über den Verlauf der Reformen. Dabei bezog er sich auf die gleichen Punkte wie zuvor Gorbatschow in seiner Rede vor der Generalversammlung – Reisefreiheit, Meinungsfreiheit, Demokratie und wirtschaftliche Reformen. Er ging sogar darüber hinaus und berichtete von der engen Zusammenarbeit mit den USA und wie westliche Staaten der Sowjetunion halfen, die Menschenrechte im sowjetischen System zu implementieren. So besuchten und berieten Psychiater aus den USA psychiatrische Einrichtungen in der Sowjetunion. (In der Vergangenheit waren diese immer wieder Gegenstand heftiger internationaler Kritik gewesen, weil dort Dissidenten inhaftiert und misshandelt wurden.)46 Auch mit den westeuropäischen Staaten gebe es eine enge Kooperation, wobei man vor allem den KSZE -Rahmen nutze. In diesem Kontext schlugen sowjetische Diplomaten sogar vor, die nächste KSZE -Folgekonferenz 1990 in Moskau durchzuführen, was seitens der westlichen Staaten zunächst auf wenig Zustimmung stieß.47 Mit Blick auf die Wirtschaftsreformen präsentierte er hingegen ein gemischtes Bild und verschwieg nicht die Probleme. Es sei zwar gelungen, die Produktion zu steigern, gleichzeitig steige aber auch die Arbeitslosigkeit.48 Dieser neue Geist zeigte sich auch bei der Behandlung von Menschenrechtsverletzungen. Nicht in allen Ländern Osteuropas verlief der Wandel friedlich. In Rumänien kam es seit einiger Zeit immer wieder zu Protesten, die das Ceaușescu-Regime mit Gewalt einzudämmen versuchte.49 Deswegen stand die Menschenrechtslage in dem Land 1989 auf der Tagesordnung der Menschenrechtskommission und einige westeuropäische Staaten hatten zusammen mit Ungarn eine Resolution eingereicht, in der ein Sonderberichterstatter für Rumänien gefordert wurde. Zwar kam es nicht zu der erhofften Konsensentscheidung, doch die Debatte verlief nüchtern und sachlich, ohne spektakuläre Ausein­ andersetzungen. Neben Rumänien war die DDR das einzige sozialistische Land, das sich in der Debatte zu Wort meldete, dabei erklärte sie lediglich, dass sie aus »bekannten Gründen« nicht an der Abstimmung teilnehmen werde. Auch die Sowjetunion, die Ukraine, Bulgarien und Marokko blieben der anschließenden Abstimmung fern, sodass der Sonderberichterstatter mit 21 zu 7 Stimmen angenommen wurde.50 Davon abgesehen stand die Sitzung insgesamt im Zeichen des 46 Robert van Voren: Political Abuse of Psychiatry. An Historical Overview, in: Schizophrenia Bulletin 36/1 (2010), S. 33–35. 47 Die Idee wurde bereits seit 1986 innerhalb der Gruppe sozialistischer Staaten kontrovers diskutiert, siehe Douglas Selvage / Walter Süß: Staatssicherheit und KSZE -Prozess. MfS zwischen SED und KGB (1972–1989), Göttingen 2019, S. 543. 48 UNARMS : SG de Cuéllar, S-1055-9-4, Cable von Martenson an den Generalsekretär vom 08.03.1989. 49 Peter Siani-Davies: The Romanian Revolution of December 1989, Ithaca 2007, S. 9–52. 50 Vgl. ORUN: E / C N .4/1989/86, Jahresbericht der 45. Sitzung der Menschenrechtskommission 1989, S. 247 f.; ebd., E / C N .4/1989/SR .55/Add.1, Summary Record des 55. Meetings auf der 45. Sitzung der Menschenrechtskommission 1989, S. 14 f.

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globalen Wandels und dem von Gorbatschow angekündigten neuen Willen zur internationalen Kooperation. So wurden am Ende alle Entscheidungen, außer die zu Rumänien, ohne Abstimmung im Konsensverfahren angenommen.51 Obwohl Gorbatschow in seiner Rede vor der Generalversammlung 1988 noch betonte, dass Ost und West auch in Zukunft in einem friedlichen Wettbewerb stehen würden, lösten sich die wesentlichen Gegensätze zwischen beiden Seiten bereits 1988 auf. ›Perestroika‹ und ›Glasnost‹ beschleunigten schließlich unbewusst den Zerfall des sowjetischen Imperiums sowie des Sozialismus in Europa, womit auch die sozialistische Interpretation der Menschenrechte verschwand und die Konkurrenz um Menschenrechte zwischen Ost und West endete.

5.2 Neue Konflikte am Ende des Kalten Krieges? Die internationalen Beziehungen veränderten sich ab Mitte der 1980er-Jahre rasant. Immer mehr Staaten wurden wieder demokratisch und der Kalte Krieg entspannte sich ab 1986. Trotz dieser positiven Entwicklungen hielten die USA aber an ihrer aggressiven Menschenrechtspolitik fest, womit sie neue Konflikte provozierten. Der neue Zeitgeist prägte im Frühjahr 1986 auch die Sitzung der Menschenrechtskommission in Genf. Im Februar hatte der neue Generalsekretär der KPdSU seine Reformpläne öffentlich angekündigt. Diese wurden in den westlichen Außenministerien zwar zunächst verhalten aufgenommen, dennoch nährten sie die Hoffnungen, auf eine Entspannung der Beziehungen zwischen Ost und West. Die Enttäuschung war deshalb groß, als die Sitzung in Genf zunächst von einer noch schärferen Auseinandersetzung zwischen den Lagern geprägt wurde.52 Dabei sorgte laut den westdeutschen Diplomaten vor Ort vor allem das Vorgehen der USA für Spannungen: Außergewöhnlich war die Aktivität der USA , die ihre Ziele unbeirrt von Bedenken der westlichen Partner verfolgten. […] Die Zusammenarbeit in der westlichen Gruppe war eng und partnerschaftlich, wobei Irritationen über das Vorgehen der USA allgemein spürbar waren.53

Diese hatten versucht, gegen den Rat ihrer westeuropäischen Partner, eine Resolution gegen Äthiopien durchzusetzen, was ihnen eine »peinliche« Niederlage bescherte, weil sich die afrikanischen Staaten geschlossen gegen das Vorhaben stellten, darunter auch befreundete Länder.54 51 UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-9-4, Cable von Martenson an den Generalsekretär vom 08.03.1989. 52 Ebd., S-1055-5-5, Memorandum von Buffum an de Cuéllar vom 02.04.1986. 53 PA AA : ZA B30, 135006, Bericht über die 42. Tagung der VN -Menschenrechtskommission vom 20.03.1986, S. 2. 54 Ebd. S. 1.

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Davon abgesehen zeigten sich aber bereits positive Entwicklungen. Den USA gelang es, entgegen aller Erwartungen, einen Sonderberichterstatter zum Thema religiöse Intoleranz einsetzen zu lassen. Zudem überraschte die US -Delegation die anderen Kommissionsmitglieder, als sie nach langen und schweren Verhandlungen im Fall Chile einlenkte und erstmals einer kritischen Resolution zur Menschenrechtslage in dem Land zustimmte.55 Von besonderer Bedeutung waren aber die politischen Ereignisse in den Philippinen. Seit Wochen kam es dort zu Massenprotesten, die international für großes Aufsehen sorgten. In der Menschenrechtskommission verhandelte man unterdessen im Rahmen des 1503-Verfahrens die Menschenrechtsverletzungen in dem Inselstaat. Noch während ein Vertreter der philippinischen Regierung die kritischen Fragen der Delegierten beantwortete, traf in Genf die Nachricht ein, dass der dortige Diktator Ferdinand Marcos ins Exil geflohen sei. Die Philippinen hatten sich seit der Gründung der Vereinten Nationen für die Einführung eines Systems zum Schutz der Menschenrechte eingesetzt. Das Ende der Diktatur hatte somit eine große Symbolwirkung für die internationale Gemeinschaft. Nachdem die UN seit den 1970er-Jahren von Diktaturen dominierten wurden, wendeten sich in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre immer mehr Staaten wieder einer demokratischen Staatsform zu. Das stärkte das Lager der Staaten, die sich aktiv für die Ausweitung und effektive Anwendung des ­ N-Menschenrechtsschutz engagierten.56 Die in den Worten des westdeutschen U Vertreters »bewegende Sitzung« endete im März 1986 schließlich mit der Einstellung des Verfahrens gegen die Philippinen und einer optimistischen Sicht auf die zukünftige Entwicklung des UN-Menschenrechtsschutzes.57 Auch die USA bemerkten den globalen Demokratisierungstrend und erkannten darin zugleich die Chance, den UN-Menschenrechtsschutz nun gezielt gegen eine der letzten ›Bastionen‹ des Kommunismus in Mittelamerika einzusetzen. Kuba rückte ab 1987 ins Zentrum der US -Menschenrechtspolitik. Das lag erstens daran, dass sich die USA und die Sowjetunion politisch immer weiter annäherten und die US -Regierung nun mehr Druck auf das Regime in Kuba ausüben konnten. Zweitens gab es in den USA eine einflussreiche exilkubanische Gemeinde, die massiv Stimmung gegen das Castro-Regime machte und die US -Regierung aufforderte, sich stärker für die Einhaltung der Menschenrechte in dem Karibikstaat zu engagieren. Drittens spielte Kuba aus Sicht der US -Geheim­dienste eine Schlüsselrolle in den Bürgerkriegen in Nicaragua, Guatemala und El Salvador, weil es die dortigen Rebellen und linken Regime mit Waffen versorgte. Reagan hoffte, dass ein Regimewechsel in Havanna die Region befrieden würde. Der UN-Menschenrechtsschutz sollte ihm dabei hel55 Ebd. 56 Zum Engagement der Philippinen in den 1950er- und 1960er-Jahren vgl. Mitoma: Human Rights, S. 74–103; mit Burke: Decolonization, S. 59–92. 57 PA AA ; ZA B30, 135006, Bericht über die 42. Tagung der VN -Menschenrechtskommission vom 20.03.1986.

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fen, den politischen Druck auf Castro zu erhöhen und so zu einem politischen Wandel in Mittelamerika beizutragen.58 Ende Januar 1987, kurz vor Beginn der Sitzung der Menschenrechtskommission, wandten sich die USA an die Presse und kündigten ihre Initiative gegen Kuba öffentlich an. Der neue Delegationsleiter der USA Robert Wallach, ein Rechtsanwalt ohne diplomatische Erfahrung,59 drohte in der Washington Post: »We want the committee to stand up and be counted on this subject and if it’s not prepared to do that, then there’s going to be a lot of embarrassment around.«60 Mit Blick auf die Menschenrechtslage in der Sowjetunion verkündete Wallach hingegen: »The Jury is still out […]. We would like to see the Soviet Union explain itself and truly perform at this session on subjects like the Ukraine, religious oppression, Jewish emigration – things like that.«61 Erst einen Tag später informierte Wallach seinen westeuropäischen Kollegen bei einem Treffen nachträglich über die Ziele der USA . Er bestätigte, dass Kuba nun das Hauptziel der US -Menschenrechtspolitik sei. Ein Resolutionsentwurf liege zwar noch nicht vor, Washington werde seine westlichen Partner aber kurzfristig über das genaue Vorgehen in Kenntnis setzen. Zudem wollte er eine Verkürzung der Sitzung auf fünf Wochen beantragen, um den Druck auf die Kommissionsmitglieder zu erhöhen. Mit den Ersparnissen könne man dann einen weiteren Sonderberichterstatter finanzieren. Auch kündigte er an, neben Kuba die Menschenrechtslage in Rumänien, Bulgarien, Vietnam und Kambodscha auf die Tagesordnung setzen zu lassen, wobei Chile gleichzeitig von dieser gestrichen werden sollte. Auch wollte sich Wallach mit Blick auf El Salvador dafür einsetzen, dass dem Sonderberichterstatter sein Mandat entzogen und die laufenden Untersuchungen der Menschenrechtsverletzungen der von den USA unterstützten Militärdiktatur eingestellt wurden. Zu Südafrika wollten die USA hingegen eine eigene unabhängige Resolution einbringen. Am Ende forderte der US -Vertreter die westlichen Verbündeten noch auf, sich geschlossen gegen jede Resolution zu stellen, in der die USA oder Israel kritisiert wurden. Die Vertreter Australiens, Italiens und Irlands warnten Wallach daraufhin, im Fall Chile ein »falsches Signal« zu setzen und mahnten, dass es besser sei, den Druck auf Pinochets Diktatur aufrechtzuerhalten.62 Die Forderung, die Sitzungen in Genf zu verkürzen, lehnten sie ebenso geschlossen ab. Zum einen, weil das Menschenrechtszentrum nicht von den Einsparungen profitiere, sondern

58 Zum Konflikt zwischen den USA und Kuba Anfang der 1990er-Jahre siehe Morris Morley / Chris McGillion: Unfinished Business. America and Cuba after the Cold War, 1989–2001, New York / Cambridge 2002, S.10–51; sowie LeoGrande: Backyard, S. 169–260. 59 James Traub: The Misadventures of E. Robert Wallach, in: New York Times, 19.06.1988. 60 Zitiert nach: John Parry: U. S. Lays out on Rights Stance. Officials to Address U. N. Unit in Geneva, in: Washington Post, 20.01.1987. 61 Ebd. 62 PA AA : ZA B30, 134950, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 21.01.1987.

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nur der UN-Konferenzdienst und ein weiterer Sonderberichterstatter damit also nicht finanziert werden könnten. Zum anderen sei es der Öffentlichkeit nur schwer zu vermitteln, warum man sich im Dezember 1985 noch öffentlich gegen jegliche Einschränkungen des Menschenrechtsbereichs aus finanziellen Gründen ausgesprochen hatte und nun selbst eine Einschränkung der Sitzung der Menschenrechtskommission fordere. Die in den Gesprächen zutage tretenden Differenzen zwischen den west­ lichen Verbündeten und den USA verstärkten sich. Dabei fürchteten die anderen erstens, dass die USA die Glaubwürdigkeit der westlichen Menschenrechtspolitik aufs Spiel setzten, wenn diese ein hartes Vorgehen gegen Kuba forderten und zugleich ähnliche Maßnahmen mit Blick auf Chile und El Salvador ablehnten. Zweitens waren sie besorgt, dass eine Initiative gegen Kuba den Widerstand der Bündnisfreien Staaten provozieren könnte, da der Karibikstaat nicht nur Mitglied der Blockfreien war, sondern sich auch als deren Wortführer präsentierte. Dabei wollten die westlichen Staaten ihre erst seit Kurzem wieder wachsende Zustimmung unter diesen Staaten durch das Vorgehen der USA nicht gefährdet sehen. Besorgt telegrafierte der westdeutsche Delegationsleiter deshalb nach Bonn: Abschließend bestand der Eindruck, dass die USA auf Grund der Konsultation in Genf möglicherweise ihren Vorschlag auf Kürzung der MRK um eine Sitzungswoche nicht förmlich weiterverfolgen werden. Hingegen ließ Wallach keinen Zweifel an der amerikanischen Entschlossenheit, die Themen Kuba und Chile in dem dargestellten Sinn zu behandeln.63

Für die Bundesrepublik waren diese Konflikte im westlichen Lager besonders problematisch. Sie war hin und her gerissen zwischen ihrer engen vor allem auch sicherheitspolitischen Bindung an die USA und ihren neuen politischen Verpflichtungen gegenüber der sich intensivierenden Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft. Der Fall Kubas brachte dieses Dilemma der Bundesregierung deutlich zum Vorschein: Die MR Lage in Kuba rechtfertigt eine entsprechende Resolution der MRK . Die Aussichten auf eine Abstimmungsmehrheit sind jedoch derzeit noch gering. Wir haben kein Interesse daran, durch Abstimmungsniederlagen oder Rücknahme bereits eingebrachter Resolutionen (wie im Vorjahr die US -Resolution zu Äthiopien) Zweifel an der Ernsthaftigkeit der MR-Politik der westlichen Staaten zu wecken. Im Kreis der Zwölf wird noch abgestimmt, ob und wie diese grundsätzliche Frage mit den USA aufgenommen werden kann. Wenn die USA ihre Initiative weiterverfolgen, werden wir sie letztlich unterstützen müssen.64

Die USA hielten an ihrer Strategie fest und inszenierten die Anklage Kubas im großen Stil. Neben dem neuen Botschafter Walters nahm auch seine Vor63 Ebd. 64 Ebd., Bericht an der Herrn Staatssekretär vom 28.01.1987.

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gängerin Kirkpatrick an den Sitzungen teil. Sie ließen sogar Dissidenten und einen kubanischen Schriftsteller als Zeugen auftreten, die in sehr emotionalen Stellungnahmen die kubanische Regierung anklagten, womit sie allerdings über das Ziel hinausschossen: Die US -Delegation spielte keine glückliche Rolle, insbesondere in der Person des Delegationsleiters Wallach. Ob das Auftreten dieses amerikanischen Rechtsanwalts dem Stil vor amerikanischen Gerichten entsprach, wollen wir nicht beurteilen. Dem Stil der Vereinten Nationen entsprach sein Auftreten nicht. […] Das Ergebnis hätte anders aussehen können, wenn der Fall mit mehr Nüchternheit unterbreitet worden wäre. So war die Schilderung der einzelnen Schicksale der politischen Gefangenen aus Castros Kerkern zwar sehr bewegend. Die amerikanischen Sprecher, in erster Linie US -Delegationsleiter Wallach aber auch von VN-Botschafter Walters, trugen die Sache jedoch mit moralisierendem Pathos von oben herab vor und ließen die innenpolitischen Beweggründe der amerikanischen Seite klar durchblicken. Dieser Art des Auftretens wird man es zuschreiben müssen, dass sich maßgebliche Staaten der Blockfreien (Indien, Algerien) bewogen fühlten, sich mit einem Verfahrensantrag vor das wenig geliebte Mitglied Kuba zu stellen.65

Selbst die südamerikanischen Verbündeten der USA Brasilien, Kolumbien und Venezuela stimmten gegen die US -Resolution. Die USA hatten die Solidarität der Bündnisfreien Staaten mit Kuba unterschätzt. Trotz der zahlreichen Differenzen innerhalb dieser Gruppe hielten sie zusammen, sobald eines ihrer Mitglieder von einer Großmacht bedrängt wurde. Das unilaterale Vorgehen der USA verstärkte die Meinungsverschiedenheiten innerhalb des westlichen Lagers. Diese wurden insbesondere bei den zentralen Themen Südafrika und Israel sichtbar. In der Debatte über Südafrika versuchten die Bundesrepublik zusammen mit Großbritannien und den afrikanischen Staaten einen Kompromisstext zu erarbeiten. Die USA sprengten allerdings die Verhandlungen, als sie unangekündigt einen eigenen Entwurf präsentierten. Die afrikanischen Repräsentanten fühlten sich daraufhin brüskiert und verschärften ihren Entwurf, sodass dieser für die Bundesrepublik und Großbritannien unannehmbar wurde. Von den anderen westlichen Staaten enthielten sich viele, einige stimmten am Ende aber auch für den neuen provokanteren Text.66 Beim Thema Israel forderten die westlichen Staaten zwar geschlossen, das Existenzrecht des Staates Israel anzuerkennen, doch zugleich kritisierten Großbritannien, Frankreich, Belgien und Österreich die Siedlungspolitik im Westjordanland als »schleichende Annexion« der Palästinensergebiete und machten die israelische Regierung für die Eskalation der Gewalt im Rahmen der ersten

65 Ebd. 66 Vgl. PA AA : ZA B30, 134950, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 14.03.1987 (Teil 2); mit ORUN: E / C N .4/1986/60, Jahresbericht der 43. Sitzung der Menschenrechtskommission 1987, S. 174.

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›Intifada‹67 mitverantwortlich.68 Dabei hatten die USA ihren westlichen Verbündeten zuvor jegliche Kritik an Israel untersagt. Bei anderen Themen wie dem ›Recht auf Entwicklung‹, Chile und der Menschenrechtslage in dem Bürgerkriegsland Sri Lanka hinderten nur die von den Betroffenen vorgeschlagenen Konsensentscheidungen die westlichen Staaten davor, ihre Uneinigkeit mit den USA zu offenbaren.69 Diese Uneinigkeit war nicht neu. Das Lager der westlichen Staaten in den UN wurde seit den 1970er-Jahren immer heterogener. Länder wie Schweden, Frankreich und die Niederlande verfolgten eigene Ziele. Die Bundesrepublik tat sich hingegen schwer damit, eine eigene Haltung beim Thema Menschenrechte zu finden, was nun zu Problemen mit den Verbündeten führte. »Luxemburg hat mehr Courage als ihr«, warf der niederländische Delegationsleiter nach der Sitzung 1987 seinem westdeutschen Kollegen auf dem Fluren des Palais des Nations enttäuscht vor.70 Die Zurückhaltung der Bundesrepublik in den Debatten über Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des 1235-Verfahrens gefährdete nicht nur das gemeinsame Vorgehen der westlichen Staaten, sie schadete ebenso wie der übertriebene Aktionismus der USA der Glaubwürdigkeit der westlichen Menschenrechtspolitik, wie der westdeutsche Delegationsleiter Richard Jäger selbstkritisch in einem Telegramm nach Bonn bemerkte: Die Erhaltung guter und dauerhafter bilateraler Beziehungen ist eine wichtige außenpolitische Aufgabe. Allerdings stellen gerade wir immer wieder die außenpolitischen Prioritäten des Schutzes und der Förderung der Menschenrechte heraus. Daraus folgt die Verpflichtung einem entsprechenden hohen Engagement in der Menschenrechtskommission. Wenn es daran wie in diesem Jahr gelegentlich mangelt, werden wir deshalb insbesondere von anderen westlichen Staaten kritisiert. Es liegt auf der Hand, dass die Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen in bestimmten Ländern zu Eintrübungen der bilateralen Beziehungen führen kann. Vor dem Welt­ forum der Menschenrechtskommission wird unsere Glaubwürdigkeit jedoch für alle sichtbar getestet. Dort wird Zurückhaltung besonders deutlich erkennbar und der Widerspruch zwischen Bekenntnis und Taten tritt offen zu Tage. Das Auswärtige Amt muss daher entscheiden, ob wir angesichts des heute vorrangigen und weltweit anerkannten Gewichts der Menschenrechte nicht gelegentliche bilaterale Irritationen und Rückschläge in Kauf nehmen und dafür der Erhaltung des Vertrauens in unser Engagement zum Schutze der Menschenrechte mehr Raum gewähren wollen. Es sollte 67 Bezeichnung für den gewalttätigen Protest der Palästinenser gegen die Besatzung durch Israel zwischen 1987 und 1993, vgl. Eitan Y. Alimi: Israeli Politics and the First Intifada. Palestinian Political Opportunities, Framing Processes, and Contentious Politics, Abingdon 2006, S. 32–53. 68 PA AA : ZA B30, 134950, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 13.02.1987. 69 Ebd. Bericht an den Herrn Bundesminister zur 43. Sitzung der Menschenrechtskommission vom 18.03.1987, S. 2. 70 Ebd. Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 14.03.1987 (Teil 2).

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möglich sein, diese Haltung bilateral verständlich zu machen, denn in der Regel wird das kritisierte Land sein Interesse an guten Beziehungen zu uns realistischer Weise richtig einschätzen. Wenn es mögliche Alternativen für eine Re-Orientierung seiner politischen und wirtschaftlichen Beziehungen nüchtern abwägt, wird es finden, dass die Auswahl nicht so groß ist, um es lohnend erscheinen zu lassen, der Bundesrepublik Deutschland den Rücken zu kehren. Ich meine deshalb, dass sich die Bundesrepublik Deutschland dem Rang dieser Werte entsprechend verhalten sollte.71

Diese mahnenden Worte Jägers verdeutlichen nicht nur die Differenzen innerhalb der westlichen Gruppe. Sie zeigen vor allem den gesteigerten Stellenwert der Menschenrechte in der Außenpolitik der westlichen Staaten Mitte der 1980er-Jahre, obwohl sich die Bundesrepublik immer noch schwertat, ihren Worten Taten folgen zu lassen. Die USA setzten unterdessen ihren Aktionismus auch außerhalb der Menschenrechtskommission fort. In der Generalversammlung präsentierten sie Ende 1987 eine Resolution, in der in allen Staaten freie Wahlen gefordert wurden und die zu heftigen Kontroversen führte. Zugleich wurden im westlichen Lager und im UN-Sekretariat die Stimmen derer lauter, die den USA vorwarfen, absichtlich kontroverse Resolutionen einzureichen, nur um sie am Ende wieder zurückzuziehen und damit ihre Oppositionshaltung zu unterstreichen: »The fate of these initiatives would apparently support the stand of the United States on the financial crisis […]«, wie man im Sekretariat kritisch bemerkte.72 Die USA nutzten jede Gelegenheit, um die anderen UN -Mitglieder zu provozieren. So unterstützten sie El Salvador bei einer Resolution, mit der das Mandat des Sonderberichterstatters für das Land aufgehoben werden sollte. In diesem Fall stellten sich die westeuropäischen Staaten zusammen mit den südamerikanischen dagegen. Sie veränderten den Entwurf El Salvadors so stark, dass am Ende das bestehende Mandat wieder verlängert und die Untersuchung fortgesetzt wurde. Nur die Passage, die die Fortschritte der Regierung in El Salvador würdigte, blieb bestehen. Am deutlichsten isolierten sich die USA in der Debatte über die Ausarbeitung einer neuen Konvention zum Schutz der ›Rechte von Kindern‹. Die Idee dafür wurde 1978 von Polen eingebracht und traf auf breite Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft und verschiedener NGOs. Als Polen 1987 im Dritten Komitee der Generalsversammlung mehr Ressourcen für die Arbeitsgruppe forderte, damit diese die Arbeit an dem Dokument noch bis 1989 vollenden konnte, stellten sich die USA als einziges Land dagegen und verwiesen auf die Finanzkrise der Organisation, die sie selbst 1986 verursacht hatte. Die polnische Resolution wurde am Ende dennoch mit 134 Stimmen ohne Gegenstimmen angenommen. Lediglich die USA enthielten

71 PA AA : ZA B30, 134950, Telegramm der UN -Botschaft der Bundesrepublik in Genf an das Auswärtige Amt vom 14.03.1987 (Teil 3). 72 UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-7-3, Memorandum von Elsa Stamatopoulou-Robbins an Virendra Dayal vom 07.12.1987.

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sich bei der Abstimmung.73 Die US -Regierung setzte ihren Feldzug gegen die UN fort und präsentierte sich weiterhin in der Rolle des unbeugsamen Renegaten.74 Zugleich hielt sie an der Strategie fest, den UN-Menschenrechtsschutz gegen Kuba anzuwenden. 1988 versuchten es die USA erneut. Sie ernannten den bekannten Schriftsteller, Exilkubaner und Menschenrechtsaktivisten Armando Valladares zum Leiter ihrer Delegation in der Menschenrechtskommission. Dieser legte erneut eine Resolution vor, in der Havanna schwere Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt wurden.75 Kuba überraschte die USA daraufhin mit einem ungewöhnlichen Schritt. Es lud während der Sitzung den Vorsitzenden der Menschenrechtskommission sowie fünf Kommissionsmitglieder nach Kuba ein, um sich vor Ort selbst ein Bild von der Menschenrechtslage zu machen. Kolumbien präsentierte daraufhin einen Resolutionsentwurf, der den Vorschlag des kubanischen Delegationsleiters aufgriff. Die USA zogen ihre Resolution daraufhin zurück und Valladares erklärte seine Zustimmung für den Vorschlag. Die kolumbianische Resolution wurde anschließend ohne Abstimmung im Konsens angenommen. Am Ende legten beide Seiten das Ergebnis als Erfolg für sich aus.76 Das proaktive Vorgehen Kubas verdeutlichte die allgemeine Akzeptanz des Menschenrechtsschutzes Ende der 1980er-Jahre. Anders als im Fall Chile 1975 oder Polens 1982 erkannte Havanna das Verfahren als legitim an und arbeitete mit der Kommission zusammen. Das war ein Novum in der Geschichte des UN-Menschenrechtsschutzes. Allerdings fingen die Probleme im Fall Kubas damit erst an. Am 24. Februar 1989, kurz vor Beginn der Sitzung der Menschenrechtskommission, stellte die Untersuchungsgruppe ihren Bericht über die Menschenrechtslage in Kuba vor und leitete damit die nächste Runde des Verfahrens ein. Alle Staaten (außer Kuba) lobten den Bericht der Arbeitsgruppe für dessen Umfang und Ausgewogenheit. Der US -Vertreter Valladares berief sogar extra eine Pressekonferenz ein, in der er in höchsten Tönen über den UN-Bericht sprach: Today is a great day for the United Nations. After reading the report from the Cuba Work Group, I can tell you that, on balance, we are pleased. The report reflects and gathers the official version of the Cuban reality, but it also received the accusations, documents and testimonies of the people, the victims.77

73 Ebd. 74 Reinalda: Routledge History, S. 545–550. 75 ORUN: E / C N .4/1988/88, Jahresbericht der 44. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1988, siehe S. 230–233 sowie S. 291. 76 Vgl. UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-6-6, Message from Stopford, 10.03.1988; ebd., Note for the Secretary General from USG Martenson on the 44th Session of the Commission on Human Rights, 18.03.1988; sowie ORUN: E / C N .4/1988/88, Jahresbericht der 44. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1988, S. 230–233. 77 UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-9-4, Ambassador Armando Valladares, U. S. Representative United Nations Human Rights Commission, 24.02.1989.

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Valladares fasste den Inhalt des Berichts zusammen und verwies darauf, dass dieser zeige, dass die kubanische Regierung versucht habe, den Mitgliedern der Arbeitsgruppe ein geschöntes Bild zu präsentieren. Die von der Arbeitsgruppe präsentierten Fakten widerlegten demnach die offiziellen Angaben der kubanischen Behörden und offenbarten zahlreiche Menschenrechtsverletzungen. Vor allem aber betonte Valladares, dass einige der Zeugen, die in dem Bericht genannt wurden, im Anschluss von der kubanischen Geheimpolizei verhaftet wurden und nun in kubanischen Gefängnissen verschwunden seien.78 Der ­US -Repräsentant deutete dies als Versuch der kubanischen Regierung, die Untersuchung der UN zu behindern. Castros Regierung ging demnach mit Gewalt gegen Menschen vor, weil diese mit den UN kooperierten. Diese Anschuldigungen wogen schwer und Valladares forderte deshalb eine Verlängerung und Ausweitung des Mandats der Arbeitsgruppe.79 Um die Forderung Valladares zu unterstreichen, sandte der neue US -Präsident George H. W. Bush ein persönliches Statement zur Eröffnung der Sitzung der Menschenrechtskommission: I wish to express my support for the United Nations Human Rights Commission’s Report on human rights in Cuba. We find the report full, balanced and objective. Consideration of Cuba marks a watershed in the United Nations treatment of human rights abuses. For too long, the United Nations has focused on small countries which lack extensive support within the organization. Many of those countries today are either functioning democracies or have taken significant steps on the road toward full democracy. Meanwhile, longstanding violators of human rights have enjoyed immunity from scrutiny and have even fostered human rights investigations into other countries.80

Mit diesem Statement brachte Bush zugleich die neue konstruktive Haltung seiner Regierung zum Ausdruck. Bush war in den 1970er-Jahren selbst US Botschafter in den Vereinten Nationen und ein enger Freund des amtierenden Generalsekretärs Pérez de Cuéllar. Der neue US -Präsident war, anders als sein Vorgänger, ein überzeugter Anhänger multilateraler Politik. Es war ihm ein persönliches Anliegen, die USA mit den Vereinten Nationen wieder zu versöhnen. Zudem hatte die Menschenrechtskommission aus seiner Sicht mit der Untersuchung gegen Kuba endlich die Phase der Selektivität überwunden, die von seinem Vorgänger immer wieder kritisiert worden war.81 Doch die US -Diplomaten stießen mit der Forderung, die Untersuchung fortzusetzen, nicht wie erhofft auf breite Zustimmung. Zwar lobten alle (außer 78 Ebd. 79 Ebd. 80 Ebd., Statement by George Bush, The President of the United States of America on Human Rights in Cuba, 27.02.1989. 81 Jeffrey A. Engel: When the World Seemed New. George H. W. Bush and the End of the Cold War, Boston / New York 2017, S. 22–48.

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Kuba) den Bericht und die Arbeit der Arbeitsgruppe, doch waren nicht alle der Meinung, dass die Ergebnisse eine Fortsetzung der Untersuchung rechtfertigten. Die Sowjetunion und andere sozialistische Staaten bestätigten zwar den Inhalt der Dokumentation, bestritten aber, dass es sich bei den beschriebenen Fällen um ein »Consistent Pattern« und »Gross Violations of Human Rights« handele.82 Die Bündnisfreien Staaten schlossen sich dieser Meinung an und gingen noch weiter. Sie warfen der US -Regierung eine gezielte Kampagne gegen Kuba vor, mit der sie ein kleines unabhängiges Land dafür bestrafen wollten, dass es sich ihnen nicht unterwarf. Manche sprachen gar von einer »Vendetta« der USA gegen Kuba und vor allem die südamerikanischen Staaten stellten sich fast geschlossen gegen ihren nördlichen Nachbarn.83 Selbst die NGOs präsentierten ein geteiltes Meinungsbild. Zwar widersprach keine dem Inhalt des Berichts, doch interpretierten einige den Bericht anders und erkannten darin ebenfalls kein Muster massiver Menschenrechtsverletzungen: »In this Cuba is only one in a very large number of countries and should not be singled out as a special case«, wie ein NGO -Vertreter bemerkte.84 Nur einige wenige westeuropäische Staaten folgten dem Urteil der USA und forderten ebenfalls eine Verlängerung des Mandats der Arbeitsgruppe. Während Präsident Bush die Menschenrechtskommission also dafür lobte, die Phase der Selektivität und Politisierung überwunden zu haben, beschuldigten nun einige Mitglieder die USA selbst, die Debatte politisch aufzuheizen und selektiv vorzugehen. Mit ihrem Vorstoß stachelten die USA den Widerstand innerhalb der Kommission an, vor allem unter den Bündnisfreien Staaten. Dadurch wurde allen Beteiligten früh deutlich, dass eine Konsensentscheidung nicht möglich war. Kuba beantragte schließlich selbst eine Vertagung des Themas. Großbritannien präsentierte daraufhin einen Kompromiss, indem sie die Verlängerung des Mandates der Arbeitsgruppe aus der Resolution strichen und stattdessen forderten: To request the Secretary-General to maintain direct contacts with the Government and people of Cuba regarding issues and questions contained in the report, communicating to the Government of Cuba any additional information and inquiries he receives from all appropriate sources and reporting to the Commission as appropriate.85

Anstelle einer Arbeitsgruppe sollte sich der Generalsekretär der Angelegenheit annehmen. Obwohl die westlichen Staaten mit dieser Methode im Fall Polens 1982 schlechte Erfahrungen gemacht hatten, präsentierten die Briten mit Unter-

82 UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-9-4, Cable von Martinson an den Generalsekretär vom 02.03.1989. 83 Ebd. 84 Zitiert nach ebd. 85 ORUN: E / C N .4/1989/SR .56/Add.1, Summary Record des 56. Meetings auf der 45. Sitzung der Menschenrechtskommission 1989, S. 2.

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stützung Irlands diesen Vorschlag.86 Die Reaktionen waren ablehnend und vor allem die südamerikanischen Vertreter beschwerten sich, wodurch sich das Konsensstreben der Kommission endgültig auflöste. Panama präsentierte daraufhin einen Gegenentwurf zum britischen Absatz. Darin hieß es: To welcome the willingness of the Government of Cuba to co-operate with the Secre­ tary-General in maintaining their direct contacts on the issues and questions contained in the report, these contacts and their results will be taken up by the SecretaryGeneral in an appropriate manner.87

Die Version Panamas war deutlich schwächer und sehr vage in ihrem Auftrag. Bei der anschließenden Abstimmung unterlag der britische Vorschlag in einem Patt und die Resolution wurde mit 17 zu 17 Stimmen bei 8 Enthaltungen abgelehnt. Der Entwurf Panamas wurde daraufhin mit 32 gegen 1 Stimme bei 10 Enthaltungen angenommen. Auch die westlichen Staaten stimmten für diese Fassung, weil sie besser war als eine Vertagung, zumal es nun darauf ankam, wie der Generalsekretär diese Resolution auslegen würde.88 Aufgrund der schlechten Erfahrungen, die Pérez de Cuéllar im Fall Polens gemacht hatte, ging er sehr vorsichtig vor und ließ das Mandat zunächst von seinen Rechtsberatern im Sekretariat prüfen. Diese rieten ihm, sich im Rahmen seiner guten Dienste ausschließlich für die Personen einzusetzen, die wegen des Berichts der Kommission verhaftet worden waren. Die Treffen mit kubanischen Vertretern sollte er anschließend in einem allgemeinen Protokoll dokumentieren, um damit der Forderung der USA nach einem Bericht formell nachzukommen, ohne aber seine guten Dienste zu gefährden.89 Darüber hinaus berieten sie den Generalsekretär über die politischen Hintergründe im Fall Kubas und lieferten Tipps für die bevorstehenden Verhandlungen: Cuba is undergoing what is probably one of its most traumatic periods since 1959. Cuba is indeed at  a crossroads. Its relations with the Soviet Union are tense and clearly they do not see eye to eye not only ideological issues of the world communist movement but over a huge variety of other issues, including Central America, superpower relations and various other Third World issues. If it were not for Fidel Castro’s personality, Cuba might not be far from becoming a kind of Caribbean Albania, as Castro himself alluded to recently. […] There is little doubt that an improvement in the human rights situation in Cuba is closely linked with an improvement in bilateral relations between the two countries. It would be enormously helpful if you could tell

86 Vgl. Kap. 4.2. 87 ORUN: E / C N .4/1989/SR .56/Add.1, Summary Record des 56. Meetings auf der 45. Sitzung der Menschenrechtskommission 1989, S. 2. 88 Ebd., E / C N .4/1989/86, Jahresbericht der 45. Sitzung der Menschenrechtskommission 1989, S. 231–235. 89 UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-9-5, Memorandum von Fleischhauer an den Generalsekretär vom 25.04.1989; sowie ebd., Memorandum von Fleischhauer an den Generalsekretär vom 02.05.1989.

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the Cubans that steps towards improving the human rights in their country would be matched by reciprocal steps by the United States on bilateral matters. Fidel Castro will not go away by isolating him, but his regime could become a great deal less repressive if it manages to get rid of its siege mentality.90

Die Berater des Generalsekretärs erkannten den Zusammenhang zwischen dem Wandel in Osteuropa und der US -Initiative gegen Kuba. Die USA wollten die Spannungen im Verhältnis zwischen Gorbatschow und Castro ausnutzen, um das Regime in Kuba unter Druck zu setzen und zu destabilisieren. Es ging also um mehr als nur um politische Häftlinge. Dabei zweifelten die Autoren allerdings an den Erfolgsaussichten dieser Taktik, dass diese zu einem friedlichen Wandel wie in Osteuropa beitragen könne. Man war sich im UN-Sekretariat also bewusst, dass der Generalsekretär instrumentalisiert werden sollte. Dessen Ziel war es, möglichst unbeschadet aus dieser Situation herauszukommen.91 Im Anschluss versuchten beide Seiten, Einfluss auf die Ermittlungen zu nehmen. Ende April 1989 wandte sich der kubanische UN-Botschafter an den Generalsekretär und präsentierte diesem die kubanische Auslegung der Resolution. Demnach sollte der Generalsekretär nur Informationen berücksichtigen, die ihm die kubanische Regierung zur Verfügung stellte. Zudem dürfe er sich auch nicht auf Fälle beziehen, die sich nachträglich ereignet hätten und er hatte nicht das Recht, einen allgemeinen Bericht über die Menschenrechtslage in Kuba anzufertigen.92 Für August kündigte sich schließlich der neue US -Botschafter in den Vereinten Nationen Thomas R. Pickering im Sekretariat in New York für einen Besuch an. Zuvor bereiste dieser jedoch den UN-Standort in der Schweiz. Dort traf er sich mit dem schwedischen Leiter des UN-Menschenrechtszentrums Martenson. Dabei wurde Pickering von dem neuen US -Vertreter der USA Morris B. Abram, dem ehemaligen Delegationsleiter der USA in der Menschenrechtskom­ mission in den 1960er-Jahren, in Genf begleitet. Die Ernennung von Abram zum UN -Botschafter in Genf durch Präsident Bush 1989 war ein deutliches Zeichen des Wandels in der Haltung der USA zu den UN. Die Lage in Kuba stand im Zentrum des Treffens in Genf, dabei gab es im August 1989 auch andere wichtige Menschenrechtsthemen, wie zum Beispiel die Niederschlagung der friedlichen Proteste in Peking. Dennoch machte Botschafter Pickering unmissverständlich deutlich, dass für die USA der Fall Kuba weiterhin Priorität besaß. Er berichtete, dass angeblich rund 50 Personen verhaftet worden seien, weil sie Kontakt zu der Arbeitsgruppe der UN-Menschenrechtskommission hatten. Damit stünde nun das Ansehen der gesamten Organisation 90 Ebd., S-1024-18-4, Note for the Secretary-General: Role of the Secretary-General Concerning the Situation of Human Rights in Cuba, Francesc Vendrell, 28.08.1989. 91 Ebd., S-1055-9-6, Cable von Stopford in Genf an de Soto in New York vom 29.09.1989 (darin Rückblick auf Entwicklung des Themas 1989). 92 Ebd.

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und vor allem des UN-Menschenrechtsschutzes auf dem Spiel. Deswegen käme es nun besonders auf die Mission des Generalsekretärs an: He felt strongly that the Secretary-General had been given a serious mandate under that decision and that it was therefore crucial for you to exert every effort to protect those people whose only crime had been to testify before the United Nations Group. […] Ambassador Abram affirmed that the integrity of the United Nations Human Rights System was at stake in the cases of Cuba […].93

Pickering riet, dass Kubas langjähriges Engagement im UN-Menschenrechtsbereich nützlich sei. Man sollte die Offenheit der kubanischen Regierung nutzen und gegen diese ausspielen, um ihnen Zugeständnisse zu entlocken.94 Davon abgesehen forderten beide Botschafter einen ausführlichen Bericht des Generalsekretärs für die kommende Sitzung des Jahres 1990. Martenson versicherte daraufhin, dass die Angelegenheit in »guten Händen« sei und der Generalsekretär sich um alles kümmern würde. Selbstverständlich würde er auch einen Bericht anfertigen. Über den Inhalt dieses Berichts schwieg er jedoch.95 Am Ende des Treffens sprach Martenson die beiden Botschafter ganz unverblümt auf die Zahlungsmoral ihrer Regierung an. Pickering versicherte daraufhin, dass die Gelder für die neue Friedensmission in Namibia bereits vom Kongress bewilligt wurden. Bei der vom Generalsekretär geforderten Sonderzahlung für die andere Blauhelmmission in Höhe von 46 Millionen Dollar gäbe es jedoch Probleme wegen des hohen Haushaltsdefizits der USA . Dafür halte man an dem von Präsident Bush aufgestellten Plan fest, die Schulden der USA bei den UN in Höhe von 500 Millionen Dollar in den nächsten vier bis fünf Jahren zurückzuzahlen. Der Besuch Pickerings und Abrams bei Martenson zeigte sehr deutlich, dass sich das Verhältnis der USA zu den Vereinten Nationen unter Bush zwar verbesserte. Zugleich versuchte aber auch dieser, den Menschenrechtsschutz für seine Kampagne gegen Castro zu instrumentalisieren.96 Zudem schadete Bush sowohl seiner eigenen Glaubwürdigkeit als auch der der Vereinten Nationen, wenn sein Land auf eine öffentliche Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen in Kuba drängte, dies zur gleichen Zeit aber mit Blick auf die Ereignisse auf dem Tian’anmen-Platz ablehnte.97 Zum Glück für die USA lenkte die dramatische weltpolitische Entwicklung des Jahres 1989 die öffentliche Aufmerksamkeit schnell von China ab. Im November öffnete sich in Berlin der ›Eiserne Vorhang‹ und die deutsche Teilung wurde nach 28 Jahren überwunden. Auch in Mittelamerika zeichnete sich eine positive Entwicklung ab. Die Friedensverhandlungen in Nicaragua zwischen Sandinisten und Contras machten Fortschritte. Für 1990 wurden freie Wahlen 93 Ebd., S-1055-9-1, Cable von Martenson in Genf an de Soto in New York vom 23.08.1989. 94 Ebd., S-1055-9-6, Cable von Stopford in Genf an de Soto in New York vom 29.09.1989. 95 Ebd., S-1055-9-1, Cable von Martenson in Genf an de Soto in New York vom 23.08.1989. 96 Ebd. 97 Vgl. Engel: World, S. 160–175; mit Spohr: Post Wall, S. 557 ff.

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angesetzt und beide Seiten einigten sich auf einen Waffenstillstand. Die Vereinten Nationen sollten diesen Prozess begleiten und sowohl die Wahlen als auch die Entwaffnung der Milizen überwachen.98 Trotz der positiven Entwicklung in der Region hielten die USA an ihrer Initiative fest. Getragen von der Euphorie der historischen Ereignisse besuchte Anfang Dezember 1989 US -Vizepräsident Danforth Quayle Generalsekretär Pérez de Cuéllar in New York. Das Treffen fand in einer herzlichen und gelösten Atmosphäre statt. Zur Begrüßung überreichte Quayle einen Umschlag mit einem Scheck und witzelte: »As a little contribution, although not a Christmas bonus.«99 De Cuéllar reagierte spitzzüngig: »Coming from you this is not only a contribution but  a promise.«100 Quayle versicherte daraufhin, dass Präsident Bush eng mit dem Kongress zusammenarbeite: »To bring the US payments up to date.«101 In diesem Zusammenhang bemerkte Quayle, dass er als ehemaliger Senator viel Einfluss im Kapitol besäße und diesen nutzen könnte, um den UNfeindlichen Block aufzubrechen und die Beitragszahlungen der USA wieder auf Spur zu bringen. Dazu müssten die UN den USA aber mehr entgegenkommen. Er forderte den Generalsekretär deshalb erstens auf, die Zionismus-Resolution der Generalversammlung von 1975 zurückzunehmen. Dieser Schritt würde nicht nur die Bereitschaft des Kongresses erhöhen, die US -Beitragszahlungen zu entrichten, es könnte auch allgemein das Ansehen der UN in den USA wieder verbessern. Die Aufhebung der Resolution wäre »a real ten strike«.102 Pérez de Cuéllar versicherte seinem Gegenüber, dass er immer gegen die Zionismus-Resolution gewesen sei und dies auch schon mehrfach öffentlich bekräftigt hätte, allerdings sei es eine Entscheidung der Generalversammlung, auf die er keinen Einfluss nehmen konnte. Die Generalversammlung müsse selbst eine neue Resolution annehmen, mit der die Resolution 3379 von 1975 aufgehoben würde. Die Initiative dazu könne aber nur von den Mitgliedern selbst ausgehen. Quayle lenkte daraufhin ein und bemerkte, dass das Sekretariat wohl ein besseres Gespür dafür hätte, weswegen er den Generalsekretär um Unterstützung bat, einen entsprechenden Resolutionsentwurf für die USA vorzubereiten. Der Generalsekretär versicherte ihm seine Unterstützung.103 Zweitens kam Quayle auf Mittelamerika zu sprechen, wobei er deutlich machte, dass aus Sicht der USA die Lage in Kuba entscheidend war: The Vice President predicted that the reading would be positive. However, there continued to be obstacles regarding US -Soviet cooperation. The most noticeable of which 98 Zu dem Konflikt siehe LeoGrande: Backyard, S. 505–526. 99 UNARM : SG de Cuéllar, S-1024-18-4, Notes of Secretary-General’s Meeting with Vice President Quayle of the United States of America held at UN Headquarters on 11.12.1989 at 10:00 a.m. 100 Ebd. 101 Ebd. 102 Ebd. 103 Ebd.

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concerned Central America. In that region one found ›the most glaring exception to the winds of freedom and democracy‹ personified in Fidel Castro of Cuba. Another example of this old way of thinking was Deng Xiaoping. Mr. Quayle observed that Mr. Castro refrained from blatant criticism of the Soviet President but that he openly opposed perestroika. The Cuban leader was not at all happy with the changes in Eastern Europe, and ›was doing his best to perpetuate revolutions, especially in Central America.‹ His record on human rights in Cuba was deplorable and the UN mission to monitor human right there was of particular interest to the US .104

Pérez de Cuéllar versuchte Quayle deutlich zu machen, dass seine Vermittlungen mit Kuba extrem schwierig waren und ihn in eine unangenehme Lage versetzten. Er berichtete von seinen Treffen mit lateinamerikanischen Regierungschefs und dem Stand der Verhandlungen, dabei regte er an, Kuba in die Friedens­gespräche in Mittelamerika mit einzubeziehen. Zugleich bemerkte er, dass sich die Sowjet­ union aus der Region zurückgezogen hätte: »In fact, Mr. Castro was now viewed as a rebel in the other socialist countries.«105 Dem widersprach Quayle: Our view, […] is that Gorbachev may have less influence but he still has a lot of leverage in Cuba. The Soviets are not losing too much sleep regarding instability in Central America. Maybe it is because they have other problems to worry about. In the meeting with President Bush, and also between Shevardnadze and Baker in Wyoming, the Soviets said they would stop arms shipment. But the weapons are still pouring into Cuba, and from there to Nicaragua and onto El Salvador in unprecedented terms. In El Salvador alone, the firepower at the disposal of the FLMN to conduct war against a duly elected government was shocking. As I said in an interview with Izvestia the $7 billion in Soviet military assistance to Central America should stop. They could buy a lot of soap with that money. In fact, they send a total of $20 billion to Nicaragua, Cambodia, Afghanistan, Cuba, etc. We need to find a way to put pressure on Castro. We feel your report to the UN Human Rights Commission will go a long way towards isolating Cuba. Their practice should be exposed!106

Der Generalsekretär berichtete anschließend von seinen Kontakten zu Castros Regierung in Havanna und wie er mithilfe seiner guten Dienste versucht habe, drei inhaftierten Dissidenten zu helfen. Quayle fragte daraufhin nochmal direkt nach, ob er nun einen Bericht über die Menschenrechtslage in Kuba anfertigen werde oder nicht. Der Generalsekretär stellte klar, dass er dazu nur befugt sei, wenn dies ausdrücklich von einem Mitgliedstaat gefordert werde: »Don’t worry, ›interjected Ambassador Pickering, we are going to ask for a report.‹«107 Zwei Tage nach diesem Treffen übersandte Martenson dem Generalsekretär zwei Briefe. Einen von Botschafter Pickering und einen vom Leiter der Abteilung für internationale Organisationen des State Department, in denen beide 104 Ebd. 105 Ebd. 106 Ebd. 107 Ebd.

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den Generalsekretär an seine Aussagen auf dem Treffen mit Quayle erinnerten und erneut einen Bericht über Kuba forderten. Beiden Briefen war eine Notiz vom Leiter des Executive Office des Generalsekretärs beigelegt, dieser warnte: I take it that the key issue concerning any communication you might wish to make to the Human Rights Commission concerning its resolution 133 and Cuba is to avoid any appearance that your activities have served American political purposes which are not accepted by many Member States, and to minimize the chance that any such communication might itself be used for such purposes.108

Der Bericht an die Kommission sollte deshalb möglichst kurz sein und sich ausschließlich auf die Personen beziehen, die wegen ihrer Kooperation mit der Arbeitsgruppe Repressionen erfahren mussten: »Your efforts to protect such persons would appear to be entirely within your general responsibilities as Secretary-General to persons who risk themselves to co-operate with the United Nations, and to protect the human rights machinery of the Organization.«109 Aussagen über die allgemeine Menschenrechtslage in Kuba sollten darin aber ausdrücklich nicht enthalten sein. Hier zeichnete sich ein Missverständnis zwischen dem Sekretariat und den Vertretern der USA ab. Als der Generalsekretär auf dem Treffen mit Quayle sagte, dass die Forderung nach einem Bericht von einem Mitgliedstaat kommen müsse, meinte er, dass dazu eine Resolution notwendig sei. Ein formloser Brief eines Botschafters, in dem ein Bericht gefordert wurde, reichte hingegen nicht aus. Anfang Januar erinnerte Botschafter Pickering den Generalsekretär erneut schriftlich an das Gespräch im Dezember und erkundigte sich nach dem Bericht über Kuba.110 Der Generalsekretär klärte daraufhin das Missverständnis auf und schrieb Pickering, dass er nur auf Anweisung der Menschenrechtskommission befugt sei, einen Bericht anzufertigen. Sollten die USA einen Bericht über die Menschenrechtslage fordern, müssten sie eine entsprechende Resolution von der Kommission annehmen lassen.111 Der Konflikt mit den USA drohte erneut zu eskalieren. Doch der Generalsekretär löste die Situation geschickt. Am 29. Januar 1990 schrieb er einen offenen Brief an die philippinische Vorsitzende der Menschenrechtskommission. Darin informierte er diese nicht nur über seine Kontakte mit den kubanischen Behörden und den Verhandlungen bezüglich der Menschen, die aufgrund ihrer Aussage vor der Arbeitsgruppe 1988 Repressionen erfahren hatten. Er riet der Kommission auch, die Menschenrechtslage in dem Land erneut ausführlich untersuchen zu lassen. Er lieferte den USA damit einen 108 Ebd., Note for the Secretary-General, John L. Washburn, 14.12.1989. 109 Ebd. 110 Ebd., S-1055-12-5, Brief von Botschafter Pickering an Generalsekretär de Cuéllar vom 09.01.1990. 111 Ebd., Brief des Generalsekretärs de Cuéllar an Botschafter Pickering vom 23.01.1990.

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Vorwand, um von der Kommission einen ausführlichen Bericht über Kuba einzufordern.112 Doch die USA hatten ihre Gegenoffensive bereits eingeleitet. Am folgenden Tag veröffentlichte die New York Times einen Artikel, in dem behauptet wurde, dass der Generalsekretär dem US -Vizepräsidenten Quayle persönlich zugesagt hätte, einen Bericht über die Menschenrechtslage in Kuba zu verfassen. Die Regierung Bush sei deswegen enttäuscht, dass der Generalsekretär seine Zusage nicht eingehalten und keinen Bericht vorgelegt hatte. Darüber hinaus kündigte der Genfer US -Botschafter Abram laut des Artikels an, dass die USA nun einen »special investigator« für Kuba durchsetzen würden.113 Auf der Pressekonferenz des US -Außenministeriums fiel die Kritik anschließend schon deutlich zurückhaltender aus: It is true that the United States would have preferred that the Secretary General prepare a report to the UNHRC on human rights in Cuba. The Secretary General, however, has decided to communicate his concerns in another form. We are confident that the United Nations and the Secretary General will pursue this issue.114

Am folgenden Tag traf sich Pickering mit dem Generalsekretär. Dieser hatte einen Brief des US -Außenministers Baker bei sich, den er persönlich übergab. Vorab beteuerte er jedoch, dass der Brief veraltet sei und verfasst worden sei, bevor de Cuéllar seinen Brief an die Vorsitzende der Menschenrechtskommission geschickt hätte: […] the tone of the Secretary of State’s letter did not reflect the U. S. Government’s appreciation for the Secretary General’s efforts ›to open up the process‹ in this connection. For its part. The U. S. maintained its view on the appropriateness of a report by the Secretary-General on his dialogue with the Government of Cuba. ›In this respect, our view does not coincide with yours, Mr. Secretary-General. However, we agree to disagree. Certainly, there should be no exchanges in the press.‹115

Der Plan des Generalsekretärs, den USA durch einen Brief einen Vorwand zu liefern, das Thema Kuba wieder aufzugreifen, wurde positiv aufgenommen. Auch die westeuropäischen Staaten begrüßten das und gratulierten dem Generalsekretär, dass er diese delikate Angelegenheit »magistral« gelöst habe.116 Auch Vertreter südamerikanischer Staaten schlossen sich dem an. Damit hatte sich de Cuéllar vorerst aus der Affäre gezogen und spielte den Ball an die Menschenrechtskommission zurück. Das bestätigte auch Martenson in einem Telegramm an den Generalsekretär wenig später: 112 113 114 115

Cuéllar: Pilgramage, S. 407. Paul Lewis: Move by UN Chief on Cuba IRKS US , in: New York Times, 30.01.1990. UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-12-5, State Department Briefing, 30.01.1990. Ebd., Notes of the Secretary-General’s Meeting with the Permanent Representative of the USA , 31.01.1990. 116 Ebd., S-1024-18-4, Telegramm von Martenson an den Generalsekretär vom 31.01.1990.

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Nevertheless it is clear, as we have learned from delegations close to the United States, that they consider the letter to have provided them with a welcome means of reverting to the issue subsequently. […] The apparent acceptance by Members of the Commission to leave any further action for the time being to the bureau is very satisfactory. The issue has been defused for now and the prospect of divisive voting has at least been postponed. For your part, you have made clear that the matter rests firmly with the commission.117

Der Generalsekretär konnte den Konflikt entschärfen. Zugleich bot er den USA einen neuen Aufhänger, um ihre Initiative fortzusetzen. Am 26. Februar 1990 reichten die USA erneut einen Resolutionsentwurf ein. In diesem forderten sie den Generalsekretär auf: »[…] to provide the Commission, at its forty-seventh session, with the texts and results of his oral and written contacts maintained with the Government of Cuba pursuant to decision 1989/113.«118 Zwei Tage später berief die kubanische Botschaft in Genf eine Pressekonferenz ein. Auf dieser präsentierten die Kubaner ein durchgestochenes Telegramm des US -Außenministers Baker an den Leiter der US -Delegation in der Menschenrechtskommission. In dem Dokument mit dem Titel: »Keeping the heat on Cuba in the UNHRC« forderte Baker die US -Delegation auf, dafür zu sorgen, dass die Menschenrechtslage in Kuba auch weiterhin öffentlich in der Kommission verhandelt würde. Zudem sollte das Mandat zur Überwachung der Menschenrechtslage in dem Land gestärkt werden  – am besten in Form eines Berichts des Generalsekretärs. Außerdem sollte sie dafür sorgen, dass das Thema auch 1991 wieder auf der Agenda der Kommission stand. Vor allem aber offenbarte das Telegramm die außen- und innenpolitischen Beweggründe der US -Offensive gegen Kuba, bei der es den USA primär darum ging, Castro zu beseitigen.119 Die Veröffentlichung des Telegramms diskreditierte die Initiative der USA und in der folgenden Woche präsentierten die US -Delegation eine überarbeitete Fassung ihrer Resolution, in der die Aufforderung an den Generalsekretär, »texts and results«120 an die Kommission weiterzuleiten, fehlte. Stattdessen ähnelte der zweite Entwurf der abgeschwächten Formulierung eines kanadischen Delegierten.121 Die USA folgten nun dem gemäßigteren Vorschlag der westlichen Verbündeten. In der anschließenden Debatte offenbarte sich erneut der grundlegende Konflikt beim Thema Kuba. Der mexikanische und der brasilianische Vertreter kritisierten, dass die Debatte politisch und ideologisch aufgeladen sei, wodurch eine »atmosphere of sterile debate« erzeugt werde, welche den eigentlichen 117 Ebd. 118 ORUN: E / C N .4/1990/L.36, US -Resolutionsentwurf vom 26.02.1990. 119 UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-12-5, Telegramm Genf an New York vom 27.02.1990. 120 ORUN: E / C N .4/1990/L.36, US -Resolutionsentwurf vom 26.02.19990. 121 Ebd., E / C N .4/1990/48: Resolution der Menschenrechtskommission: Situation of Human Rights in Cuba, 06.03.1990.

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humanitären Zielen der Kommission im Wege stünde. Auch der sowjetische Vertreter kritisierte den konfrontativen politischen Charakter der US -Initia­ tive.122 Dabei bezweifelte niemand in seinen Stellungnahmen, dass es in Kuba zu Menschenrechtsverletzungen gekommen war, aber die Art und Weise, wie die USA versuchten, der Menschenrechtskommission dieses Thema aufzuzwingen, um ihre politischen Ziele durchzusetzen, ärgerte viele. Zumal es andere Themen gab, bei denen sich die Kommissionsmitglieder ein ähnliches Engagement der USA gewünscht hätten. So sollte die gewaltsame Niederschlagung der friedlichen Proteste auf dem Tian’anmen Platz in Peking im Juni 1989 ebenfalls auf der Sitzung der Kommission Anfang 1990 behandelt werden. Am 28. Februar hatte Australien zusammen mit mehreren westlichen Staaten einen Resolutionsentwurf eingereicht, in dem die chinesische Regierung aufgefordert wurde, die Menschenrechte einzuhalten. Zudem sollte der Generalsekretär eine Untersuchung der Ereignisse durchführen. Über die China Resolution Australiens sollte am selben Tag abgestimmt werden wie über die Kuba Resolution. Allerdings beantragte der Vertreter Pakistans, China von der Agenda zu streichen. Der Vorschlag wurde anschließend mit 17 zu 15 Stimmen bei 11 Enthaltungen angenommen. Die westlichen Staaten stimmten geschlossen dagegen, während die meisten Bündnisfreien und die Sowjetunion dafür stimmten. Die Enthaltungen stammten größtenteils aus Staaten, die dem Westen nahestanden wie Senegal oder die Philippinen. Damit wurde Tian’anmen in der Kommission auf Druck der Bündnisfreien Staaten nicht besprochen. Laut des Abschlussberichts an den Generalsekretär soll es daraufhin zum offenen Streit innerhalb der westlichen Gruppe gekommen sein: »[…] Australian Permanent Representative Wilenski, in a meeting I attended this week, publicly taxed Ambassador Pickering for the failure of the United States to work as hard in support of the China resolution as it had on the one about Cuba. Ambassador Pickering embarrassedly conceded the point.«123 Die US -Resolution über Kuba wurde hingegen mit 19 gegen 12 Stimmen angenommen, 12 weitere Staaten enthielten sich.124 Der Fall Kuba zeigt damit, dass die Debatten über Menschenrechtsverletzungen trotz des Endes des Kalten Krieges ein spannungsgeladenes Konfliktfeld blieben. Dabei ersetzte der Nord-Süd-Konflikt nun zunehmend den OstWest-Konflikt. Zu diesem Urteil kam auch der interne Abschlussbericht des UN -Menschenrechtszentrums: The Eastern Europe group split on both China and Cuba with Bulgaria and Hungary voting with the supporters of the resolutions in both cases. Although non-voting, 122 Vgl. ORUN: E / C N .4/1990/SR .52/Add.1, Summary Record des 52. Meetings auf der 46. Sitzung der Menschenrechtskommission am 06.03.1990. 123 UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-11-1, Note to the Secretary-General, Second summary of important selected action in the current CHR session, John L. Washburn, 15.03.1990. 124 ORUN: E / C N .4/1990/94, Jahresbericht der 46. Sitzung der Menschenrechtskommission von 1986, S. 238.

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both Czechoslovakia and Poland supported the resolution on China. Moreover, the entire Eastern European group stood with the WEOG on the question of expanding and enlarging the Commission, resulting in a decision to reach recommendations at its next session. Mr. Martenson’s reporting to you emphasizes that as a result of these experiences, there has emerged in the Commission ›a change in the political balance between geopolitical groups […] with North-South division taking the place of EastWest.‹125

Besonders deutlich wurde diese Verschiebung, wie in dem Telegramm angedeutet, in der Debatte über eine Vergrößerung der Menschenrechtskommission. Bereits auf der Generalversammlung 1989 hatten die Bündnisfreien Staaten die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zu dieser Frage durchgesetzt. Die Gruppe tagte zur gleichen Zeit wie die Menschenrechtskommission in Genf und war Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen zwischen Nord und Süd.126 Als die USA sich schließlich für die Aufhebung der Zionismus-Resolution von 1975 einsetzen, eskalierte der Konflikt endgültig. Die muslimischen Staaten reagierten aggressiv und forderten nun eine Ausweitung der Resolution, wonach Zionismus nicht nur rassistisch, sondern auch antidemokratisch sei. Im Sekretariat wertete man diesen Schlagabtausch als schlechtes Omen für die bevorstehende Generalversammlung 1990.127 Die von vielen Beteiligten erhoffte Konsensstimmung in Menschenrechts­ fragen nahm zwar zu, sie konnte sich aber noch nicht umfassend durchsetzen. Die Konkurrenz um Menschenrechte verschwand 1989 nicht aus den UN, sondern verlagerte sich nun auf die ›Nord-Süd-Achse‹. Das Thema Menschenrechtsschutz war dabei auch weiterhin Schauplatz politischer Konflikte und solange Staaten wie die USA diesen für ihre politischen Zwecke instrumentalisierten, bildet die Konkurrenz ein prägendes Element des UN-Menschenrechtsschutzes.

5.3 Der Beginn einer ›New World Order‹? Die US -Initiative gegen Kuba hat gezeigt, wie sich zwischen 1988 und 1990 der ›Nord-Süd-Konflikt‹ verschärfte und die politische Instrumentalisierung des UN-Menschenrechtsschutzes nicht mit dem Ende des Kalten Krieges verschwand. Doch das änderte sich zwischen 1990 und 1994. Zwei Ereignisse führten dazu, dass sich in den internationalen Beziehungen für einen kurzen Zeitraum ein breiter Konsens etablierte und die Kooperationsbereitschaft unter den UN-Mitgliedstaaten gestärkt wurde. 125 UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-11-1, Note to the Secretary-General, Second summary of important selected action in the current CHR session, John L. Washburn, 15.03.1990. 126 Vgl. ebd., E / C N .4/1990/91, Bericht der Arbeitsgruppe vom 09.03.1990; mit ebd., E / C N .4/​ 1990/SR .56, Summary Records des 56. Meetings auf der 46. Sitzung der Menschenrechtskommission am 09.03.1990. 127 UNARM : SG de Cuéllar, S-1055-11-1, Note to the Secretary-General, second summary of important selected action in the current CHR session, John L. Washburn, 15.03.1990.

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Am 8. August 1990 überfiel der irakische Diktator Saddam Hussein das benachbarte Kuwait. Die USA brachen daraufhin endgültig mit ihrem einstigen Verbündeten am Golf und auch die Sowjetunion entzog dem Diktator daraufhin die Unterstützung und stellte sich gemeinsam mit den USA und den Westeuropäern gegen den Irak.128 Bereits einen Tag nach dem Einmarsch irakischer Truppen einigte sich der Sicherheitsrat einstimmig auf eine Resolution, welche die irakische Invasion für illegal erklärte und einen Rückzug der irakischen Armee forderte.129 Kurz darauf trafen sich die Vertreter der Arabischen Liga in Kairo. Diese verurteilte ebenfalls den Einmarsch und beschloss, Soldaten nach Saudi-Arabien zu entsenden. Lediglich Libyen, der Irak und die PLO stimmten gegen diese Entscheidung. Die USA machten sich unterdessen daran, eine lagerübergreifende Allianz gegen den Irak zu bilden und eine militärische Intervention vorzubereiten. Auch dabei zeigte sich eine außergewöhnliche Kooperationsbereitschaft der internationalen Gemeinschaft. Binnen kurzer Zeit schlossen sich 34 Staaten der Koalition unter der Führung der USA an, darunter Staaten aus Westeuropa, Osteuropa, Afrika und Asien.130 Am 16. August nahm der UN-Sicherheitsrat erneut eine Resolution an, in der der Irak aufgefordert wurde, alle ausländischen Geiseln freizulassen.131 Saddam hielt Hunderte Ausländer fest und benutzte diese an strategisch wichtigen Orten als menschliche Schutzschilde. Darunter auch viele Mitarbeiter der Vereinten Nationen.132 Ende August verhängte der Sicherheitsrat schließlich Sanktionen und eine Seeblockade.133 Trotz dieser beeindruckenden Drohkulisse weigerte sich der Diktator, die Besetzung Kuwaits aufzugeben und seine Truppen abzuziehen, wodurch ein Krieg immer wahrscheinlicher wurde. Dabei war es den USA gelungen, eine internationale Militärallianz zu bilden, die Staaten aus allen Lagern vereinte. Getragen von der Euphorie dieser historischen Einigkeit hielt US -Präsident Bush am 11. September 1990 eine Rede vor dem US -Kongress. Darin beschwor er einen neuen Zeitgeist und verkündete, zwei Jahre nach Gorbatschows Rede vor der Generalversammlung, ebenfalls den Beginn einer ›New World Order‹: […] we stand today at a unique and extraordinary moment. The crisis in the Persian Gulf, as grave as it is, also offers a rare opportunity to move toward an historic period of cooperation. Out of these troubled times, our fifth objective – a new world order – can emerge: a new era – free from the threat of terror, stronger in the pursuit of justice, and more secure in the quest for peace. An era in which the nations of the world, East 128 Allgemein zum Konflikt siehe Sebastian Bruns: Via New York nach Bagdad? Die Vereinten Nationen und die Irak-Politik der USA , Tectum 2008, S. 37–74; Lawrence Freedman / Efraim Karsh: The Gulf Conflict. 1990–1991. Diplomacy and War in the New World Order, London 1994, S. 19–182. 129 ORUN: S / R ES /662, Resolution des UN -Sicherheitsrates vom 09.08.1990. 130 Bruns: New York, S. 70–74; Freedman / Karsh: Gulf Conflict, S. 95–128. 131 ORUN: S / R ES /664, Resolution des UN -Sicherheitsrates vom 16.08.1990. 132 Cuéllar: Pilgrimage, S. 239 f. 133 ORUN: S / R ES /665, Resolution des UN -Sicherheitsrates vom 25.08.1990.

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and West, North and South, can prosper and live in harmony. A hundred generations have searched for this elusive path to peace, while a thousand wars raged across the span of human endeavor. Today that new world is struggling to be born, a world quite different from the one we have known. A world where the rule of law supplants the rule of the jungle. A world in which nations recognize the shared responsibility for freedom and justice. A world where the strong respect the rights of the weak. This is the vision that I shared with President Gorbachev in Helsinki. He and other leaders from Europe, the Gulf, and around the world understand that how we manage this crisis today could shape the future for generations to come.134

Für den US -Präsidenten läutete nicht das Ende des Ost-West-Konflikts eine neue Ära ein wie für Gorbatschow 1988, sondern das gemeinsame Vorgehen gegen den Irak. Erstmals seit Gründung der Vereinten Nationen arbeiteten alle Sicherheitsratsmitglieder zusammen, um internationales Recht durchzusetzen und die Sicherheitsarchitektur der Vereinten Nationen wurde so angewandt, wie sie von den Gründern der Organisation nach dem Zweiten Weltkrieg entworfen worden war. Ende November gab der UN-Sicherheitsrat mit Resolution 678 grünes Licht für einen Militärschlag, um Kuwait von der irakischen Besatzung zu befreien.135 Lediglich Kuba und Jemen stimmten dagegen, als nichtständige Mitglieder hatten sie jedoch kein Vetorecht. China enthielt sich der Stimme.136 Am 17. Januar, einen Tag nach Ablauf des Ultimatums der UN, begann ›Operation Desert Storm‹ und binnen zwei Monaten wurde die irakische Armee besiegt und Kuwait befreit.137 Für die USA war es der erste größere militärische Erfolg seit dem Zweiten Weltkrieg und eine Bestätigung ihrer neuen Stellung in der Welt. Wie Präsident Bush in seiner ›New World Order‹-Rede verkündet hatte, sahen sich die USA nun an der Spitze der internationalen Gemeinschaft und als Garant für Frieden und die Einhaltung des internationalen Rechts in der Welt.138 Die Vereinten Nationen spielten in Bushs Idee einer ›New World Order‹ eine zentrale Rolle. Als am 29. November 1990 der UN-Sicherheitsrat die Resolution 678 verabschiedete, besuchte der US -Außenminister James Baker General­ sekretär Pérez de Cuéllar in New York und überreichte diesem einen Check mit weiteren 185 Millionen Dollar und bekräftige, »[…] that the end of the Cold War had made it possible for the U. S. administration to convince the American political establishment that the United States should work through the United Nations in matters of international security.«139 Dazu bemerkte er, das »The 134 Rede von George H. W.  Bush vor dem US -Kongress vom 11.09.1990, online: https:// millercenter.org/the-presidency/presidential-speeches/september-11-1990-address-jointsession-congress (12.04.2021). 135 ORUN: S / R ES /678, Resolution des Sicherheitsrates vom 29.11.1990. 136 Ebd. 137 Freedman / Karsh: Gulf Conflict, S. 297–427. 138 Zur neuen Rolle der USA nach dem Ende des Kalten Krieges siehe Mark Mazower: Govern­ing the World, The History of an Idea, London 2012, S. 378–406. 139 Ebd.

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dream of the UN-Founders come true.«140 Endlich täte der Sicherheitsrat das, wofür er 1945 geschaffen worden sei, und die internationale Staatengemeinschaft arbeitete gemeinsam daran, die Welt sicherer zu machen. Zugleich räumte er ein, dass dies aber vor allem Gorbatschows Verdienst sei, weil dieser den Kalten Krieg beendet hätte. Darüber hinaus berichtete Baker, dass die USA auch ohne ein UN-Mandat gegen den Irak in den Krieg ziehen würden, aber Präsident Bush auf eine UN-Resolution bestünde, um der Welt zu verdeutlichen, dass die USA in dieser neuen Ära nicht eigenmächtig handelten, sondern eine verlässliche Supermacht seien, die den Willen der Mehrheit ausführte und internationales Recht durchsetze, um die schwachen Staaten vor Aggressoren zu schützen.141 Das zeigt, dass die Vereinten Nationen Bush dazu dienten, die neue Rolle der USA in der Welt innen- und außenpolitisch zu legitimieren. Davon profitierten zunächst beide Seiten. Die USA konnten international ihre neue Stellung als letzte Supermacht festigen und innenpolitisch konnte Bush die US -Amerikaner davon überzeugen, dass sich das Land auch nach dem ›Sieg‹ über die Sowjetunion weiterhin international engagieren musste. Die UN halfen den USA , ihre Interessen nach dem Ende des Kalten Krieges durchzusetzen und gleichzeitig die Last der neuen Herausforderungen aufzuteilen. Die UN wurden im Gegenzug damit wieder zum Zentrum internationaler Politik und konnten ihr Ansehen in der Welt, das seit 1975 arg gelitten hatte, wieder aufwerten und die Vertrauenskrise überwinden. Auch aus Sicht Pérez de Cuéllars war der Zweite Golfkrieg (1991) damit ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte der UN: I believe that the United Nations emerged from the Gulf War a stronger force for peace in the world and that the basic principle on which the United Nations is founded, that of collective security, was shown to be achievable.142

Doch Bushs Vision einer ›New World Order‹ weckte bei den Menschen Hoffnungen und Ängste zugleich. Zwar versprach Präsident Bush, die kleinen Staaten vor den Großen zu schützen und die »rule of law« gegen die »rule of the jungle« durchzusetzen.143 Zugleich bedeutete diese normative Festlegung aber auch, dass die USA und die UN diese Rechte und darunter subsumierte Bush vor allem Demokratie, Menschenrechte und eine liberale Wirtschaftsordnung, notfalls auch mit Gewalt durchsetzen würden. Das erhöhte nicht nur den Druck auf nichtdemokratische Staaten wie den Irak, Iran, Nordkorea oder Kuba, sondern lud den Vereinten Nationen auch ein hohes Maß an Verantwortung auf, der sie auf lange Sicht nur schwer gerecht werden konnten. 140 Cuéllar: Pilgrimage, S. 250. 141 Ebd. 142 Ebd. 143 Rede von George H. W.  Bush vor dem US -Kongress vom 11.09.1990, online: https:// millercenter.org/the-presidency/presidential-speeches/september-11-1990-address-jointsession-congress (12.04.2021).

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1990 verstärkte der Zweite Golfkrieg und die von Präsident Bush verkündete ›New World Order‹ aber zunächst die Tendenz der gemeinsamen Kooperation und führte zu einer Stärkung der multilateralen Politik. Zwischen 1990 und 1993 folgte deshalb eine kurze, aber intensive Phase lagerübergreifender internationaler Kooperation auf den verschiedensten Gebieten und die politischen Konflikte, die seit Jahrzehnten die Lösung internationaler Streitthemen verhindert hatten, konnten plötzlich überwunden werden. Dabei löste sich nicht nur der Gegensatz zwischen Ost und West zeitweilig auf, auch das Verhältnis zu den Bündnisfreien Staaten verbesserte sich spürbar. Zu Beginn des Jahres 1992 wurde der ehemalige ägyptische Außenminister Boutros Boutros-Ghali zum neuen UN-Generalsekretär gewählt. Erstmals führte damit ein Afrikaner und Vertreter eines muslimischen Landes die Organisation an. Kurz zuvor war es den USA gelungen, die Zionismus-Resolution von 1975 von der Generalversammlung aufheben zu lassen. Zwar stimmte kein einziges muslimisches Land für diesen Entschluss und die Staaten, die aufgrund ihrer politischen Bündnisse keine Stellung beziehen wollten, blieben der Abstimmung fern wie Tunesien, Ägypten oder die Türkei. Dafür unterstützten die Staaten Europas, Südamerikas (bis auf Kuba)  sowie alle nichtmuslimischen Staaten Afrikas und Asiens das Vorhaben. Insgesamt wurde die US -Resolution im Dezember 1991 mit 111 gegen 25 Stimmen bei 11 Enthaltungen angenommen.144 Seit Langem hatte keine US -Resolution solch eine große Zustimmung in der Generalversammlung erhalten. Vor allem nicht bei einem so strittigen Thema. Im Auswärtigen Amt erkannte man eine historisch einmalige Gelegenheit, um wichtige Weichen für zukünftige Entwicklungen zu stellen. Vor allem im Bereich des Menschenrechtsschutzes: Zusammenfassend bringt der Wegfall der West-Ost Konfrontation zwar die Möglichkeit für eine Verschärfung des Nord-Süd Gegensatzes […], er eröffnet zugleich zusätzliche und erweiterte Chancen für bessere Beachtung der Menschenrechtsnormen in der Welt. Diese Chancen sollten wir durch intensive Ausschöpfung der o. g. Möglichkeiten nutzen.145

1992 ratifizierte der US -Senat den UN-Menschenrechtspakt über die bürgerlichen und politischen Rechte. Damit erkannten die USA 44 Jahre nach der AEMR nun formell die Legitimität der Menschenrechte im internationalen System an.146 Darüber hinaus stieg die Zahl der Vertragsmitglieder der Menschenrechtspakte seit 1990 signifikant. Allein zwischen 1990 und 1993 traten 30 Staaten dem Zivilpakt und 25 dem Pakt über wirtschaftliche und soziale 144 Vgl. ORUN: A / R ES /46/86, Resolution der Generalversammlung vom 16.12.1991; sowie YUN : 1991, S. 537. 145 PA AA : ZA B30, 148338, Menschenrechtspolitik in veränderter weltpolitischer Lage vom 10.09.1990. 146 Vgl. Stand der ICCPR-Ratifizierungen, online unter: http://indicators.ohchr.org/ (12.04.2021).

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Rechte bei. Bedenkt man, dass es 10 Jahre gedauert hatte, bis die ersten 33 Staaten die Pakte ratifiziert hatten und diese in Kraft treten konnten, war dieser Anstieg zu Beginn der 1990er-Jahre bemerkenswert. Zwar erklärt sich dieser Anstieg auch dadurch, dass durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und Jugoslawiens neue Staaten entstanden, die laut den Regeln des internationalen Rechts automatisch Mitglieder von Pakten waren, die ihr Vorgängerstaat ratifiziert hatte.147 Aber viele dieser neuen Staaten begrüßten auch ihre Mitgliedschaft in den Menschenrechtspakten und nutzen diese, um ihre neu gewonnene Souveränität zu bekräftigen. Zudem gab es einige Staaten, die freiwillig nach 1990 die Verträge ratifizierten. Darunter waren vor allem die Länder, die bis 1991 der Sowjetunion politisch nahestanden, wie Angola, Äthiopien, Mosambik und Kambodscha. Aber auch Staaten, die internationalen Verpflichtungen generell kritisch gegenüberstanden wie die Schweiz, die USA , oder sehr negative Erfahrungen mit dem UN-Menschenrechtsschutz gemacht hatten wie Südafrika und Israel. Letzterer zählte zwar zu den ersten Staaten, die 1966 die Menschenrechtspakte unterzeichnet hatten. Als Israel jedoch nach 1967 zum Pariastaat der Vereinten Nationen gemacht wurde, verzögerte sich die Ratifizierung durch die Knesset. Warum diese 1991 die Pakte ratifizierte und ob ein Zusammenhang mit dem Ende des Ost-West-Konflikts, der Aufhebung der Zionismus-Resolution oder den Osloer-Verträgen bestand, bleibt unklar.148 Es zeigt aber, dass die Menschenrechte in dieser kurzen Phase zwischen 1991 und 1993 breite Unterstützung erfuhren und die Chancen gut standen, um den Menschenrechtsschutz institutionell zu erweitern. Das Echo der von Präsident Bush verkündeten ›New World Order‹ hallte auch in den Sitzungen der verschiedenen UN-Gremien nach. Zugleich wirkte die finanzielle Krise der 1980er-Jahre aber immer noch lähmend auf die Organisation. Der US -Kongress hielt aufgrund des Haushaltsdefizits der USA und der generellen Ablehnung vieler konservativer Politiker weiterhin große Teile der US -Beiträge zurück. Diese Haltung nahmen sich auch andere Staaten zum Vorbild. 1992 zahlten nur 67 von 159 Mitgliedern ihre vollen Beiträge und die Schuldenlast der Organisation stieg auf über 1 Milliarde Dollar an.149 Boutros-Ghalis erste Amtshandlung bestand deshalb darin, zwei unabhängige Wirtschaftsexperten, den ehemaligen Vorsitzenden der Federal Reserve Bank Paul Volcker und den stellvertretenden Vorsitzenden der Bank of Japan Shujiro Ogata zu beauftragen, die finanziellen Probleme der UN zu untersuchen und Lösungsvorschläge zu präsentieren. Zwölf Monate später legten beide ihren Bericht der Generalversammlung vor. Diese betonten: »[…]›the contrast between the demands placed on the United Nations and the smallness and 147 Artikel 34 der ›Vienna Convention on Succession of States in respect of Treaties‹ von 1978, online: http://legal.un.org/ilc/texts/instruments/english/conventions/3_2_1978. pdf (12.04.2021). 148 Vgl. ICCPR-Ratifizierungen, online unter: http://indicators.ohchr.org/ (12.04.2021). 149 Boutros Boutros-Ghali: Unvanquished. A U. S.-U. N. Saga, New York 1999, S. 16.

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precariousness of its financial base.‹«150 Die Empfehlung der beiden Experten in dem Bericht war simpel. Die Mitglieder sollten endlich ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen und einen Notfallfonds für Friedensmissionen anlegen. Die Generalversammlung ignorierte den Bericht jedoch, sodass die UN weiterhin auf die Umverteilung der Gelder und Spenden einzelner Mitglieder angewiesen waren.151 Um der finanziellen Schieflage der Organisation etwas entgegenzuwirken, leitete Boutros-Ghali Reformen ein, mit denen der bürokratische Apparat verkleinert und Geld eingespart werden sollte. Diese führten allerdings nur dazu, dass seine Beliebtheit im Sekretariat und unter den UN -Mitgliedern rasch sank.152 Die bedrückende Finanzlage der Organisation blieb also bestehen und machte es den UN nahezu unmöglich, ihre neue Rolle zu erfüllen und den in sie gesetzten Erwartungen gerecht zu werden. Dabei stiegen die Anforderungen an die Vereinten Nationen weiter an. Anfang 1992 hielt der UN-Sicherheitsrat eine besondere Sitzung ab, bei der die Staaten von ihren jeweiligen Regierungschefs vertreten wurden. Präsident Bush, der neue russische Präsident Boris Jelzin, François Mitterrand, John Major, Li Peng, Narasimha Rao und andere trafen sich in New York, um der neuen Einigkeit Ausdruck zu verleihen und ein symbolisches Zeichen zu setzen. Das Ziel des Treffens war es, den neuen Generalsekretär damit zu beauftragen: »To produce a new approach to international stability and security for a new era.«153 Die Resolution wurde einstimmig angenommen und in der gemeinsamen Abschlusserklärung forderten die Regierungschefs den Generalsekretär auf: […] to come up with ›recommendations on ways of strengthening and making more efficient the capacity of the United Nations for preventive diplomacy, for peacemaking and for peacekeeping‹ and of making greater use of the good offices and other functions of the secretary-general under the UN Charter.154

Nur sechs Monate später präsentierte Boutros-Ghali die ›Agenda for Peace‹.155 Darin empfahl er unter anderem präventive UN-Friedensmissionen, um Konflikte im Vorfeld zu verhindern, statt auf diese nur zu reagieren. Zudem schlug er ein »Peace Enforcement« vor, mit dem die UN-Blauhelme zukünftig befugt werden sollten, die Einhaltung des Friedens auch mit Mitteln der Gewalt zu erzwingen, ähnlich wie bei den Einsätzen in Korea (1950–1953) und im Kongo (1960–1964).156 Außerdem sollten die Mitgliedstaaten eine ständige Eingreif­ 150 151 152 153 154 155 156

Zitiert nach ebd., S. 17. Ebd., S. 17–19. Ebd., S. 21. Ebd., S. 23. Ebd., S. 25. ORUN: A/47/277, An Agenda for Peace, 17.06.1992. Vgl. Zu den UN -Einsätzen in Korea und im Kongo siehe Rolf Steininger: Der vergessene Krieg. Korea 1950–1953, München 2006; Michael Kennedy: Art Magennis, Ireland, the United Nations and the Congo. A Military and Diplomatic History, 1960–1961, Dublin 2014.

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truppe bereitstellen, die in Konfliktfällen schnell und flexibel eingesetzt werden könnte. Neben der militärischen Komponente verdeutlichte die neue Agenda vor allem, dass Konflikte dauerhaft nicht nur mit Friedenstruppen beendet werden konnten, sondern es jeweils ein umfassendes Bündel an humanitären und politischen Maßnahmen bedürfte, um einen dauerhaften Frieden zu gewährleisten. Die ›Agenda for Peace‹ wurde von den meisten UN-Mitgliedern zu diesem Zeitpunkt positiv aufgenommen und auch in der Öffentlichkeit und der Wissenschaft wurden die Vorschläge Boutros-Ghalis rege und optimistisch diskutiert. Es gab aber auch Kritiker. Vor allem in den USA warfen Konservative wie der Republikanische Präsidentschaftskandidat Pat Buchanan oder der evangelikale Verschwörungstheoretiker Pat Robertson dem Generalsekretär vor, heimlich eine UN-Armee aufzubauen, mit der er die Weltherrschaft an sich reißen wolle.157 Der Begriff der ›New World Order‹ wurde dabei zum Synonym eines Verschwörungsmythos, wonach eine kleine im Geheimen operierende Elite mithilfe der UN die USA besetzten und unterdrücken wollten.158 So absurd diese Theorie klingen mag, die Stimmen dieser Kritiker gewannen im weiteren Verlauf der 1990er-Jahre immer mehr Zuspruch in den USA , sodass Boutros-Ghalis Vorschläge schließlich ad acta gelegt wurden und die UN am Ende des Jahrtausends in den USA ein noch schlechteres Ansehen genossen als nach 1975. Dennoch war die ›Agenda for Peace‹ ein historisch bedeutendes Dokument, das die besondere politische Atmosphäre zu Beginn der 1990er-Jahre einfing und zum Ausdruck brachte.159 Kooperation und Konsens prägten nach dem Zweiten Golfkrieg das Zusammenwirken der Staaten in den UN in dieser kurzen, aber intensiven Phase, in der die Staaten erstmals seit Langem wieder die Bereitschaft zeigten, Teile ihrer Souveränität an eine internationale Organisation wie die UN abzutreten. Die Situation ähnelte der nach 1945, als die UN gegründet wurden und die Staaten die UN-Charta und die AEMR annahmen. Es waren diese besonderen Momente in der Geschichte, in denen einst für utopisch gehaltene Ziele erreicht wurden.160 Während der internationale Konsens und die Kooperation in den Vereinten Nationen eine positive Zukunft versprachen, zeichnete sich gleichzeitig aber auch eine gegenläufige Entwicklung ab. Im selben Jahr, in dem die von den USA angeführte Koalition Kuwait befreite, erklärten sich Slowenien und Kroatien unilateral für unabhängig und lösten damit im Sommer 1991 den 157 Pat Robertson: A New World Order, Dallas 1991. 158 Vgl. exemplarisch Art.: The New Blue Army, in: New York Times, 20.09.1992, S. 16; Art.: A Peace Agenda, in: The Irish Times, 04.06.1992, S. 9. 159 Vgl. Erwin A. Schmidl: Art., Agenda for Peace, in: Helmut Volger (Hg.): A Concise Encyclopedia of the United Nations, 2. Aufl., Leiden / Boston 2010, S. 27–29. 160 Zur These, dass die Menschenrechte in ›besonderen‹ Phasen des 20. Jahrhunderts, also in den 1940er-, 1970er- und 1990er-Jahren, an Bedeutung gewannen vgl. Daniel Sergant: Eine Oase in der Wüste. Amerikas Wiederentdeckung der Menschenrechte, in: Jan Eckel / Samuel Moyn, (Hg.): Moral für die Welt. Menschenrechtspolitik in den 1970er Jahren, Göttingen 2012, S. 259–289; mit Eckel: Ambivalenz, S. 825 ff.

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jugoslawischen Bürgerkrieg aus.161 Im selben Jahr zerbrach die Sowjetunion in elf Einzelstaaten, was im Kaukasus und Zentralasien zu blutigen Konflikten und ethnisch motivierten Gewaltausbrüchen führte.162 In Südafrika sorgte die Ankündigung Präsident de Klerks, die Apartheid abzuschaffen, zu einer Welle der Gewalt innerhalb der schwarzen Bevölkerungsmehrheit und es begann ein blutiger Machtkampf um die Vorherrschaft zwischen den einzelnen schwarzen Bevölkerungsgruppen.163 Vor allem der Balkan entwickelte sich in den folgenden Jahren aber zum zentralen Krisenherd der internationalen Gemeinschaft. Der Jugoslawienkrieg wurde im Laufe der 1990er-Jahre zur größten Herausforderung für die von Bush verkündete ›New World Order‹ und zu einem neuen dunklen Kapitel in der Geschichte der Vereinten Nationen. Der jugoslawische Bürgerkrieg wurde von Beginn an von einer erschreckenden Grausamkeit und Gewalt gegen die Zivilbevölkerung geprägt. Zwar gelang es dem UN-Unterhändler Cyrus Vance zu Beginn des Jahres 1992 einen Waffenstillstand auszuhandeln, und im Februar beschloss der UN-Sicherheitsrat sogar die Entsendung einer UN-Friedenstruppe, um die Einhaltung des Waffenstillstandes zu überwachen. Dennoch eskalierte der Konflikt erneut und griff im April auch auf das benachbarte Bosnien-Herzegowina über, wo größtenteils Muslime lebten.164 In der Folge kam es zu massiven Menschenrechtsverletzungen, sodass die USA schließlich im Sommer 1992 die erste Sondersitzung der UN -Menschenrechtskommission beantragten, um auf die Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung zu reagieren. Die Sondersitzungen fanden im August statt und wurden von einer umfassenden Einigkeit unter den Delegierten geprägt.165 Abgesehen von einigen Ausfällen des libyschen Vertreters in Bezug auf die Lage in den besetzten Palästinensergebieten und der Stellungnahme eines Vertreters Jugoslawiens, der versuchte, das Vorgehen der Belgrader Regierung zu rechtfertigen, verurteilten alle Staaten geschlossen die Gewalttaten auf dem Balkan. Vertreter von NGOs, Staaten aus Südamerika, Afrika und Asien berichteten von ethnischen Säuberungen, willkürlichen Hinrichtungen und Konzentrationslagern. Vor allem die muslimischen Länder beklagten die Übergriffe auf die muslimische Bevölkerung seitens serbischer Milizen in der Region. Der Ver­ 161 Zum Verlauf des Konflikts siehe Erich Rathfelder: Der Krieg an seinen Schauplätzen, in: Dunja Melčić (Hg.): Der Jugoslawien-Krieg. Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen, 2. Aufl., Wiesbaden 2007 (1999), S. 344–361; Marie-Janine Calic: Der erste »neue Krieg«? Staatszerfall und Radikalisierung der Gewalt im ehemaligen Jugoslawien, in: Zeithistorische Forschungen 2/1 (2005), S. 71–87. 162 Altrichter: Russland, S. 307–384. 163 Nancy L. Clark / William H. Worger: South Africa. The Rise and Fall of Apartheid, London 2016, S. 94–110. 164 Daniel Eisermann: Der lange Weg nach Dayton. Die westliche Politik und der Krieg im ehemaligen Jugoslawien 1991 bis 1995, Baden-Baden 2000, S. 25–82. 165 Vgl. ORUN: E / C N .4/1992/84/Add.1, Bericht über die erste Sondersitzung der Menschenrechtskommission zur Lage in Jugoslawien im August 1992; mit UNARM , SG Boutros-Ghali, S-1085-26-4, Telegramm von Antoine Blanca an den Generalsekretär vom 14.08.1992.

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treter des Ayatollah-Regimes im Iran sprach dabei sogar von einem gezielten Völkermord an Muslimen und forderte die Anwendung der Genozid-Konvention und die Einrichtung eines internationalen Kriegsverbrechertribunals. Am Ende präsentierten die USA eine Resolution, in der die Gewalt scharf verurteilt und die Einsetzung eines Sonderberichterstatters gefordert wurde.166 60 Staaten meldeten sich als Sponsoren, davon waren alle 34 Mitglieder der Menschenrechtskommission sowie Staaten, die zwar offiziell keine Mitglieder waren, aber darauf bestanden, als Sponsoren aufgelistet zu werden. Noch nie hatte eine Entscheidung der Menschenrechtskommission so eine breite Unterstützung erfahren.167 Ein zügiges Vorgehen der UN scheiterte jedoch an der fehlenden Bereitschaft, die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Im Sekretariat schlug man deshalb Alarm, das Genfer Menschenrechtszentrums arbeitete bereits am Limit.168 Dennoch gelang es dem Sonderberichterstatter und ehema­ ligen polnischen Premierminister Tadeusz Mazowiecki, bereits Ende ­August 1992 einen Bericht vorzulegen. Darin erhob er schwere Anschuldigungen gegen die serbische Führung und berichtete von massiven und in ihren Ausmaßen alarmierenden Menschenrechtsverletzungen. Die Entsendung der UNBlauhelme verlief unterdessen nur schleppend. Dafür wurde inzwischen eine UN -Sonderkommission für Kriegsverbrechen eingerichtet und für November beantragten die Türkei und die USA die nächste Sondersitzung der Menschenrechtskommission, um den Bericht des Sonderberichterstatters zu besprechen und Maßnahmen vorzuschlagen.169 Auch die Sondersitzung im November wurde von dem gemeinsamen Konsens getragen, doch zugleich zeichneten sich erste Tendenzen einer Lagerbildung ab. Die Mitglieder empfahlen die Einrichtung eines Registers über die Menschenrechtsverletzungen in Jugoslawien sowie die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes. Zudem sollte die Kommission mit Notfall-Mechanismen ausgestattet werden und sich besser mit dem Bereich der humanitären Hilfe und der Friedenssicherung innerhalb der UN vernetzen. Darüber hinaus forderten die Mitglieder, den Sonderberichterstatter mit mehr Geld und Personal auszustatten. Sicherheitszonen für Zivilisten sollten eingerichtet und von Blauhelmsoldaten überwacht werden. Außerdem beschloss man die Aufstockung der humanitären Hilfe des Hochkommissars für Flüchtlinge und des

166 Vgl. UNARM : SG Boutros-Ghali, S-1085-26-4, Telegramm von Antoine Blanca an den Generalsekretär vom 14.08.1992; mit ORUN: E / C N .4/1992/84/Add.1, Bericht über die erste Sondersitzung der Menschenrechtskommission im August 1992. 167 ORUN: E / C N .4/RES /1992/S-1/1, Resolution der ersten Sondersitzung der Menschenrechtskommission vom 14.08.1992. 168 UNARM : SG Boutros-Ghali, S-1085-26-4, Telegramm von Antoine Blanca an den Generalsekretär vom 14.08.1992. 169 Ebd., S-1085-26-2, Note of the Secretary-General’s meeting with the Special Rapporteur of the Commission on Human Rights, 23.11.1992.

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Internationalen Komitees des Roten Kreuzes.170 Die USA reichten daraufhin erneut einen Resolutionsentwurf ein, in dem das Vorgehen der jugoslawischen Armee unter serbischer Führung scharf verurteilt wurde. Zudem wurden einige der vorgeschlagenen Maßnahmen aufgegriffen und das Mandat des Sonderberichterstatters verlängert.171 52 Staaten ließen sich als Sponsoren aufstellen, darunter 26 Mitglieder der Menschenrechtskommission. Damit herrschte immer noch ein beeindruckender Konsens unter den Mitgliedern, wenngleich diesmal weniger Staaten als noch im August das Vorhaben unterstützten. Einige muslimische Staaten beschwerten sich mittlerweile, dass die Resolution nicht weit genug gehe und zu milde sei. Sie forderten, dass die Verbrechen an der muslimischen Bevölkerung stärker hervorgehoben und als systematischer Genozid an Muslimen bezeichnet werden sollten. Zudem sollte das Recht auf Selbstverteidigung der Muslime in Bosnien-Herzegowina betont werden.172 Russland ging die Resolution hingegen zu weit. Der russische Vertreter bestritt die Vorwürfe ethnischer Säuberungen und bezeichnete die Resolution als zu einseitig und allein gegen die Serben gerichtet. Dennoch stimmten am Ende sowohl Russland als auch Pakistan und der Iran für die US -Resolution, die mit 45 Stimmen gegen eine angenommen wurde. Die Gegenstimme stammte von Jugoslawien, während sich Kuba enthielt. Damit konnte sich die Einigkeit erneut durchsetzen, auch wenn erste Risse sichtbar wurden. Im weiteren Verlauf des jugoslawischen Bürgerkrieges sollte sich Russland allerdings immer mehr auf die Seite Serbiens stellen, wobei sie sich auf ihre gemeinsame slawische Identität beriefen.173 Weit weniger Optimismus mit Blick auf die Zusammenarbeit der Staaten zeigte der neue Generalsekretär Boutros-Ghali. Dieser empfing im November 1992 den polnischen Sonderberichterstatter, um sich persönlich von diesen über die Lage vor Ort in Kenntnis setzen zu lassen. In dramatischen Worten schilderte Mazowiecki seine Eindrücke. Verärgert betonte er dabei, dass er dieses Amt nicht angenommen hätte, um nur einen Bericht zu schreiben und zuzu­ sehen, wie Menschen sterben, er wolle wirklich helfen und das Morden beenden. Deswegen müssten die von ihm vorgeschlagenen Schutzzonen für Zivilisten so schnell wie möglich eingerichtet werden. Der Generalsekretär wandte daraufhin direkt ein, dass die Vereinten Nationen einfach nicht die Mittel hätten, um das umzusetzen, was er und die Staaten von ihnen forderten. Die Schulden der Organisation seien mittlerweile auf 1.4 Milliarden Dollar angewachsen und die 170 Ebd., Telegramm von Antoine Blanca an den Generalsekretär vom 30.11.1992. 171 Vgl. ORUN: E / C N .4/RES /1992/S-2/1, Resolution der zweiten Sondersitzung der Menschenrechtskommission vom 01.12.1992. Titel: »The Situation of human rights in the territory of the former Yugoslavia.« 172 UNARM : SG Boutros-Ghali, S-1085-26-2, Telegramm von Antoine Blanca an den Generalsekretär vom 01.12.1992. 173 Ebd.

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Zahlungsmoral hätte sich trotz zahlreicher Versprechen der Mitglieder nicht verbessert. Diese forderten Sicherheits- und Flugverbotszonen, dafür benötigten die UN Geld und Soldaten und bisher stellten die Mitglieder weder das eine noch das andere zur Verfügung. Die einzigen, die bisher Geld gegeben hätten, waren die USA , die auf dem Treffen der Menschenrechtskommission im November 1992 angekündigt hatten, 500.000 Dollar Soforthilfe bereitzustellen. Ein weiteres Problem war die Kooperation mit der Europäischen Union (EU). Es sei das erste Mal, dass die UN mit der EU zusammenarbeite und die aufwendige Koordinierung verzögere vieles. Zumal auch hier der Hauptstreitpunkt darin lag, wer für welche Kosten aufkommen sollte.174 Der Sonderberichterstatter räumte ein, dass er nun einsehe, warum die Hilfe der UN nur sehr schleppend anlaufe. In diesem Zusammenhang berichtete er von einem Treffen mit Vertretern der Islamischen Konferenz. Dabei hätte er den Mitgliedern deutlich gesagt, dass sie ihren muslimischen Brüdern und Schwestern auf dem Balkan am besten helfen könnten, wenn sie den UN endlich die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellten. 400–500 Millionen Dollar, schätzte er, seien nötig, um eine geeignete Schutztruppe für Jugoslawien aufzustellen. Auch bei einem Treffen in London mit europäischen Vertretern hätte er dies angemahnt. Das Thema müsse auf der nächsten Sitzung des Sicherheitsrates angesprochen werden, beharrte der Pole, allerdings würden bis dahin noch Tausende Menschen sterben.175 Beide gingen frustriert und uneinig auseinander: Summing up, the Secretary-General concluded, if the operation needed military force, it would not work, as Member States were not ready to use force. They were ready to send ships to enforce a blockade and to transport humanitarian aid, but one shot would stop them. Mr. Mazowiecki agreed with the assessment of the SecretaryGeneral, but considered that identification of the security zones would not lead to conflict. On the contrary, it would have a preventive influence, he said. The SecretaryGeneral did not concur: unless the troops had no arms and a new mandate, this would not work.176

Wie dieses Treffen zeigte, fiel es den UN schwer, sich in ihrer neuen Rolle im Rahmen der ›New World Order‹ zurechtzufinden. Auch wenn sich die Rhetorik der Staaten nach dem Ende des Ost-West-Konflikts verändert hatte, blieb deren Zahlungsmoral auch weiterhin schlecht, wovon vor allem das UN-Menschenrechtszentrum und die Friedenssicherung betroffen waren, dessen Aufgabenbereich zu dieser Zeit ständig erweitert wurde, ohne dass Budget und Personal entsprechend angepasst wurden. Eine Reform des Menschenrechtsschutzes und der Friedenssicherung drängte sich deswegen seit 1990 zunehmend auf und entwickelte sich zu einer zentralen 174 UNARM : SG Boutros-Ghali, S-1085-26-2, Note of the Secretary-General’s meeting with the Special Rapporteur of the Commission on Human Rights, 23.11.1992. 175 Ebd. 176 Ebd.

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Das Ende des Kalten Krieges

Forderung einiger Mitgliedstaaten und des UN -Sekretariats. Der Krieg auf dem Balkan erhöhte den Druck auf die Staaten, endlich wirksame Mechanismen zum Schutz der Menschenrechte durchzusetzen. Hinzu kam, dass nun auch muslimische Staaten einen effektiveren Menschenrechtsschutz forderten. Die Hinwendung zu den Menschenrechten brachten diese 1990 auch in der Kairoer Erklärung zum Ausdruck. Wie die Europäer, Südamerikaner und Afrikaner, nutzen nun auch immer mehr muslimische Staaten die Menschenrechte in Verbindung mit der Scharia, um ein eigenes, muslimisches Menschenrechtsverständnis zu konstruieren und sich zu konsolidieren.177 Der Krieg auf dem Balkan katalysierte diese Entwicklung und brachte nun auch die muslimischen Staaten dazu, sich in den UN für ein effektives System zum Schutz der Menschenrechte einzusetzen. Nicht das Ende des Kalten Krieges führte somit zur Überwindung der Differenzen in den UN, die seit Jahrzehnten die Debatten über den Schutz der Menschenrechte blockierten, sondern die von den USA im Zuge des Golfkrieges verkündete Zukunftsvision einer ›New World Order‹ sowie die Verbrechen auf dem Balkan, die allen UN-Mitgliedern deutlich machte, dass das System zum Schutz der Menschenrechte verbessert werden musste.

5.4 Die Wiener Weltmenschenrechtskonferenz Die neue Einigkeit der UN-Mitglieder drückte sich zu Beginn der 1990er-Jahre auch in dem Bestreben aus, die Probleme der Menschheit gemeinsam im Rahmen großer Konferenzen in Angriff zu nehmen und zu lösen. Auf der regulären Sitzung der Menschenrechtskommission im Februar und März 1993 stand deshalb neben der Lage in Jugoslawien auch die für Juni geplante Weltmenschenrechtskonferenz in Wien auf der Tagesordnung. Diese sollte eigentlich im wiedervereinigten Berlin stattfinden, doch die Bundesregierung hatte ihr Angebot Anfang 1992 zurückgezogen, nachdem sie feststellen musste, dass es in der Stadt nicht die benötigten Kapazitäten gab, um eine Konferenz dieser Größenordnung auszurichten. Stattdessen entschied man sich schließlich für Wien.178 Bei der Vorbesprechung in Genf war sich die Mehrzahl der Kommissionsmitglieder einig, dass in Wien ein neuer »global way« gefunden werden müsse, um den Menschenrechtsbereich der UN zu stärken und für die Herausforderungen der Zukunft zu wappnen. Der Krieg auf dem Balkan und die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen setzte die Vereinten Nationen und ihre Mitglieder dabei zusätzlich unter Druck, eine grundlegende Reform des Menschenrechts-

177 Zur Kairoer Erklärung siehe Ann Elizabeth Mayer: Islam and Human Rights. Tradition and Politics, 5. Aufl., New York 2018 (1999). 178 UNARM : SG Boutros-Ghali, S-1085-37-9, Brief von Hans-Dietrich Genscher an Boutros Boutros-Ghali vom 12.02.1992.

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zentrums durchzusetzen, um die Effektivität des UN-Menschenrechtsschutzes endlich zu verbessern.179 Der deutsche Außenminister Klaus Kinkel nutzte diese Gelegenheit und betonte in seiner Rede vor der Kommission deshalb, dass angesichts der Ereignisse auf dem Balkan und in Somalia die Kommissionmitglieder ernsthaft darüber nachdenken sollten, einen Hochkommissar für Menschenrechte einzusetzen.180 Kinkel war nicht der erste, der diese Idee 1993 wieder ins Spiel brachte. Seit Monaten warben Politiker und Diplomaten aus verschiedenen Ländern sowie NGOs vor und hinter den Kulissen dafür, die Debatte über einen Hochkommissar, die seit den 1970er-Jahren stagnierte, wiederzubeleben.181 Vertreter westlicher Staaten und NGOs nutzten jede Gelegenheit, um für die Idee eines Hochkommissars für Menschenrechte zu werben. Sie verbreiteten einen Aktionsplan für Wien, in denen sie einen massiven Ausbau des UN-Menschenrechtsbereichs vorschlugen. Dazu zählte neben der Einführung eines Hochkommissars für Menschenrechte die Aufstockung des Budgets, des Personals und mehr Autonomie für das Genfer Menschenrechtszentrum sowie eine bessere Vernetzung innerhalb des UN-Apparates. Menschenrechte sollten zukünftig integraler Bestandteil der Friedenssicherung werden und auch in den Bereichen Entwicklung und Umwelt stärker berücksichtigt werden. Zudem sollten Frauen- und Menschenrechte zusammengeführt und ein präventiver Menschenrechtsschutz etabliert werden. Darüber hinaus wurde die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes (»International Criminal Court«) und eines internationalen Menschenrechtsgerichtshofes (»International Human Rights Court«) gefordert, damit zukünftig Menschenrechtsverletzungen auf internationaler Ebene justiziabel gemacht werden konnten. Viele der in den Katalogen geforderten Maßnahmen standen seit Jahrzehnten in den UN zur Debatte, scheiterten aber bisher am Widerstand der sozialistischen und Bündnisfreien Staaten und an der mangelnden Kompromissbereitschaft der USA .182 1993 schien jedoch der richtige Augenblick, um all diese Forderungen wieder vorzubringen. Noch nie war die Kooperationsbereitschaft zwischen den einzelnen Lagern so groß. Vor allem der neue US -Präsident William Jefferson ›Bill‹ Clinton war zu Beginn seiner Amtszeit noch sehr enthusiastisch darin, die Rolle der UN zu stärken, um damit die neue Stellung der USA in der Welt abzusichern. Damit folgte er dem außenpolitischen Kurs seines Vorgängers. Anders als dieser zeigte Clinton aber

179 Ebd., S-1085-34-5, Telegramm von Ibrahima Fall an Boutros Boutros-Ghali vom 19.03.1993. 180 Ebd., S-1085-37-9, Telegramm von Ibrahima Fall an Boutros Boutros-Ghali vom 05.03.1993. 181 Ebd. 182 Ebd., S-1085-37-6, Notizen über ein Treffen zwischen de Soto (UN) und Bolton (USA) vom 27.05.1993 (»US -HR-Action-Plan« für Wien im Anhang); ebd., Fax von Michael Stopford an Ibrahima Fall vom 18.05.1993: Betreff: World Conference of Human Rights (NGOs Meeting in Washington Concerning US -HR-Action-Plan).

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auch ein hohes Maß an Flexibilität und besonders beim Thema Hochkommissar war er zu weitreichenden Zugeständnissen bereit.183 Während die internationale Gemeinschaft in Wien tagte, traf sich ein Vertreter der USA im Mai 1993 mit Untergeneralsekretär Álvaro de Soto in New York, um den Aktionsplan der USA für Wien zu besprechen. De Soto war von der Idee eines Hochkommissars überzeugt. Allerdings machte dieses Amt aus seiner Sicht nur dann Sinn, wenn erstens die Mitglieder genügend finanzielle Mittel bereitstellten, zweitens müsse ein Hochkommissar außerhalb des UN-Systems stehen und losgelöst von der Kommission und dem Sekretariat agieren können. Nur wenn beide Faktoren gegeben waren, konnte ein Hochkommissar eine echte Bereicherung für den Menschenrechtsschutz darstellen und den UN-Generalsekretär von den teilweise unangenehmen Verpflichtungen und Konflikten im Rahmen seiner guten Dienste befreien sowie das Menschenrechtszen­ trum in Genf entlasten.184 Der US -Vertreter äußerte Verständnis mit Blick auf die finanziellen Fragen und sicherte die Unterstützung der USA zu. Zugleich versprach er einen anderen Punkt zu bedenken. Die von de Soto geforderten Befugnisse eines Hochkommissars für Menschenrechte waren aus seiner Sicht logisch und bildeten den Kern der Idee. Gleichzeitig waren genau diese Befugnisse und die Frage der Autorität die Hauptstreitpunkte gewesen, welche die Debatte seit Jahrzehnten blockierten. Die sozialistischen und die Bündnisfreien Staaten hatten den USA und den anderen westlichen Staaten vorgeworfen, mit einem Hochkommissar wieder mehr Kontrolle über die UN gewinnen zu wollen und diesen als Interventionsinstrument gegen unliebsame Mitglieder einzusetzen. Dabei war diese Einschätzung mit Blick auf die 1960er-Jahre nicht falsch, ob die USA und ihre westlichen Verbündeten aber 1993 immer noch dieses Ziel mit einem Hochkommissar verfolgten, ist fraglich. In dem 1993 dem UN-Sekretariat vorgelegten Aktionsplan sollte der Hochkommissar weitreichende Befugnisse besitzen und selbstständig Ermittlungen einleiten und durchführen können. Zur Stellung des Hochkommissars innerhalb der UN-Hierarchie hieß es in dem Konzept hingegen nur: »The High Commissioner should have line authority for all UN human rights units«.185 183 Vgl. James D. Boys: Clinton’s Grand Strategy, U. S. Foreign Policy in a Post Cold War World, London u. a. 2015, S. 90–95; Rasmus Sinding Søndergaard: Bill Clinton’s ›Democratic Enlargement‹ and the Securitization of Democracy promotion, in: Diplomacy & Statecraft 26/3 (2015), S. 534–551. 184 UNARM : SG Boutros-Ghali, S-1085-37-6, Notizen über ein Treffen zwischen de Soto (UN) und Bolton (USA) vom 27.05.1993 (»US -HR-Action-Plan« für Wien im Anhang); ebd., Fax von Michael Stopford an Ibrahima Fall vom 18.05.1993, Betreff: World Conference of Human Rights (NGOs Meeting in Washington Concerning US -HR-ActionPlan). 185 UNARM : SG Boutros-Ghali, S-1085-37-6, Note for the File in Mr. de Soto’s Meeting with Mr. Edward Marks of the United States Mission on 25. May 1993, from Freda Mackey 27.05.1993 (US -Aktionsplan im Anhang).

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Tatsächlich war dieser Punkt nach wie vor unklar und der US -Vertreter wusste, dass die USA Zugeständnisse machen mussten. So bestätigte er zwar de Sotos Einschätzung als »A very valid position«, bemerkte aber zugleich, dass sich die USA durchaus einen Hochkommissar unter Kontrolle der UN-Mitgliedstaaten vorstellen könnten: »However, the two ideas were not necessarily antithetical. ›The High Commissioner could be in charge, with an operational head under him. We need to think about this.‹«186 Mit Blick auf die Frage de Sotos, wie wahrscheinlich die Einrichtung eines Hochkommissars sei, erwiderte der US -Amerikaner, dass noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden müsse, insgesamt seien die Chancen aber so gut wie seit Langem nicht mehr. Allerdings gab es 1993 in den UN auch Widerstand gegen diese Bestrebungen. Dabei rückte vor allem der Nord-Süd-Gegensatz wieder stärker in den Vor­dergrund. Die Staaten des ›globalen Südens‹187 stellten den Forderungen der westlichen Staaten nach der Stärkung bürgerlicher und politischer Rechte das Recht auf Entwicklung gegenüber und kritisierten ihre systematische wirtschaftliche und politische Benachteiligung im internationalen System. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts forderten sie nun ein umso stärkeres Engagement der wohlhabenden Staaten zur Überwindung der globalen sozialen Ungleichheit.188 Hinzu kam, dass vor allem in Asien einige Staaten in den 1980er-Jahren wirtschaftlich erfolgreich waren und dadurch mit mehr Selbstbewusstsein auftraten. Diese hatten kein Interesse daran, den UN-Menschenrechtsschutz auszuweiten und Einschränkungen ihrer staatlichen Souveränität zu akzeptieren.189 Einer dieser Staaten war China, das seit dem Massaker am Tian’anmen-Platz 1989 wegen der Menschenrechtslage in der Kritik stand. Zwar hatte sich das Land bei dem Thema Menschenrechte in der Vergangenheit eher zurückgehalten, nun ging es aber zusammen mit anderen asiatischen Staaten zum Gegenangriff über. Gemeinsam stellten sie sich gegen den ›Westen‹ und die Forderung, den Menschenrechtsschutz zu reformieren.190 Diese politischen Spannungen zeigten sich bereits auf der Sitzung der Menschenrechtskommission im Februar 1993. Der Senegalese Ibrahima Fall leitete seit 1992 das UN-Menschenrechtszentrum in Genf und war damit der erste nicht westliche Vorsitzende. In seinem Abschlussbericht an den Generalsekretär beschrieb er das Auftreten der Staaten des ›globalen Südens‹ wie folgt: 186 Ebd. 187 Zum Begriff des ›globalen Südens‹ siehe Andrea Hollington / Tijo Salverda / Tobias Schwarz / ​Oliver Tappe: Concepts of the Global South. Cologne, Germany: Global South Studies Center Cologne (2015): https://kups.ub.uni-koeln.de/6399/ (23.04.2021); Mark Philip Bradley: Decolonization, the global South, and the Cold War, 1919–1962, in: Melvyn P. Leffler / Odd Arne Westad (Hg.): The Cambridge History of the Cold War. Origins, Bd. 1, Cambridge 2010, S. 464–485. 188 Vgl. Eckel: Ambivalenz S. 827–830; mit Dinkel: Bewegung, S. 287 f. 189 Zum wirtschaftlichen Aufstieg dieser Staaten in den 1980er-Jahren siehe Kirchberg: Tigerstaaten. 190 Eckel: Ambivalenz, S. 827–830.

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It might be observed that the enlargement of the commission’s Membership (Members from African, Asian and Latin American Groups increased) impacted the time allocation for the debate, as well as the tone of the discussion and the content of the resolutions adopted. Participation by the African and Asian groups reflected  a different character at this session. Member States from those regions were no longer spectators casting votes at the commission, but they had rather become partners in dealing with human rights issues; it is true that a lack of objectivity and selectiveness were attributed particularly to the Western group when singled out for human rights violations. The clause ›interference in internal affairs‹ was mentioned in several instances. But, overall, those groups brought to the commission their legitimate concern in terms if the rights to development, education and the need for technical assistance in the area of human rights.191

Was sich in Genf nur andeutete, trat auf den Vorbereitungstreffen zur Wiener Weltmenschenrechtskonferenz noch stärker hervor. Die Generalversammlung hatte 1992 eine provisorische Agenda für die Wiener Konferenz vorgelegt. Darin wurde die Verbesserung der Effektivität des UN -Menschenrechtsschutzes gefordert. Im Januar 1993 begannen die regionalen Vorbereitungstreffen der einzelnen Lager in Tunis, San José, Bangkok und Straßburg. Das Ziel dieser Treffen war es, dass jede regionale Gruppe vorab eine Erklärung verfasste, in denen sie ihren Standpunkt zu den für die Konferenz vorgeschlagenen Themen bekannt gaben. Damit sollte vorab ein Konsens innerhalb der jeweiligen regionalen Gruppen hergestellt werden.192 Diese regionalen Vorbereitungstreffen wurden zum Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen. In San José gab es Ende Januar 1993 große Meinungs­ verschiedenheiten über die Einführung eines Hochkommissars für Menschenrechte. In einem Fax an den Generalsekretär berichtete eine Mitarbeiterin des Sekretariats: »By far the most controversial Paragraph was operative paragraph 25 dealing with the question of the setting up of  a High Commissioner for ­Human Rights.«193 Mexico, Kolumbien, Kuba, Venezuela und Argentinien standen dem Vorschlag sehr skeptisch gegenüber. Sie wollten dem nicht zustimmen ohne zu wissen, wer einen Hochkommissar ernennen würde, welche Befugnisse dieser haben sollte und ob dieser der Kontrolle eines Exekutivkomitees oder den Mitgliedstaaten unterstehen würde. Am Ende einigten sich die Staaten in San José nur auf einen vagen Kompromiss: »We propose that the World Conference consider the possibility of asking the General Assembly to study the feasibility of establishing  a United Nations Permanent Commissioner for Human Rights.«194 191 UNARM : SG Boutros-Ghali, S-1085-34-5, Telegramm von Ibrahima Fall an Boutros Boutros-Ghali vom 19.03.1993. 192 ORUN: A / R ES /47/122, Resolution der Generalversammlung vom 18.12.1992. 193 UNARM : SG Boutros-Ghali, S-1085-37-9, Fax von John Pace an Elsa Stamatopoulou vom 22.01.1993. 194 Ebd.

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Auch auf den regionalen Vorbereitungstreffen der afrikanischen Gruppe in Tunis sowie der asiatischen Gruppe in Bangkok gab es heftigen Streit, wie der Leiter des Menschenrechtszentrums Fall berichtete: The earlier three sessions reflected, at a macro-level, the inherent contradiction on the question of human rights and fundamental freedoms between North and South after the End of Cold War. These differences, which manifested themselves sharply at the preparatory Committee at its third session, […], ranged from such diverse questions such as universality versus regional particularity, the inter-linkage and indivisibility of all human rights, the interdependence between the right to development and civil and political rights, the threat of terrorism to the enjoyment of civil and political rights, as well as the question of implementation machinery, monitoring, prevention, and the strengthening of United Nations mechanisms in the field of human rights, including the Centre for Human Rights, in addition, the question of new mechanisms, such as a High Commissioner / Permanent Commissioner for Human Rights, as well as the question of a ›more aggressive‹ or more forward-looking policy on human rights based on the Secretary General’s ›Agenda for Peace‹ were other potentially controversial questions which required to be resolved, not through polemics but through a process of dialogue and discussion.195

Dabei stellten einige Staaten nicht nur die Forderung nach einem Hoch­ kommissar für Menschenrechte infrage, sondern kritisierten das Konzept der Menschenrechte grundsätzlich. Sie zweifelten deren universellen Anspruch an, indem sie nationale, kulturelle und religiöse Unterschiede betonten.196 Diese als ›Asian Values‹ bezeichnete politische Debatte zu Beginn der 1990er-Jahre bildete die stärkste Kritik am Konzept der Menschenrechte seit den 1970er-Jahren. Selbst die sozialistischen Staaten waren nie so weit gegangen, den universellen Charakter der Menschenrechte und damit den Kern dieser Idee grundsätzlich abzulehnen. Der globale Konflikt um Menschenrechte erreichte damit einen neuen Höhepunkt, der die Phase des Konsenses seit 1990 rasch zu beenden drohte. Selbst der neue Generalsekretär Boutros-Ghali war gegen die Einführung eines Hochkommissars für Menschenrechte. Als am 14. Mai 1993 eine Delega­ tion der Human Rights Division des Carter-Centers in Atlanta den Generalsekretär besuchte, um mit diesem die bevorstehende Weltmenschenrechtskonferenz zu besprechen, brachte Boutros-Ghali seine Ablehnung deutlich zum Ausdruck. Er hielt die Einrichtung eines Hochkommissars aus mehreren Gründen für nicht sinnvoll. Erstens sei die Mehrheit der UN-Mitglieder gegen diese Idee und eine Debatte darüber würde den Nord-Süd-Konflikt nur unnötig verschärfen. Zweitens würde damit nur ein weiterer bürokratischer Apparat ge195 Ebd., S-1085-37-6, Telegramm von Fall an Stamatopoulou vom 12.05.1993. 196 Ebd., Telegramm von Fall an Stamatopoulou vom 26.05.1993; ebd., Telegramm von Fall an Stamatopoulou, 250.6.1993; ebd., Telegramm von Fall an Stamatopoulou, 12.05.1993; ebd., Telegramm von Fall an Stamatopoulou, 05.05.1993; ebd., Telegramm von Fall an Stamatopoulou, 04.05.1993.

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schaffen, den es zu verwalten und zu bezahlen galt. Drittens sei allein schon die Namensgebung ein Relikt der britischen Kolonialzeit und ein Affront für alle Staaten Afrikas und Asiens, die unter dem britischen Empire gelitten hatten. Auch bei einem Treffen mit dem australischen Botschafter äußerte der Generalsekretär diese Bedenken.197 Die Aussichten für Wien waren somit schlecht. Auf dem regionalen Treffen in Tunis und Bangkok wurde die Idee eines Hochkommissars abgelehnt. Nur in San José konnte sich ein Kompromiss durchsetzen, wonach die Idee eines ›Menschenrechtskommissars‹ in Wien wenigstens angesprochen werden sollte. Selbst der UN-Generalssekretär war gegen die Einführung eines Hochkommissars und in Bangkok zweifelten einige asiatische Staaten ganz grundsätzlich am Konzept universeller Menschenrechte. Doch es kam anders. Zur gleichen Zeit, als sich in Wien die internationale Menschenrechtszene – Diplomaten, Aktivisten, Experten und Politiker – versammelten, eskalierte nur wenige Hundert Kilometer südlich der Krieg in Bosnien. Die Stadt Sarajevo wurde seit über einem Jahr von serbischen Milizen belagert und die Berichte von ethnischen Säuberungen, Massenhinrichtungen und Massenvergewaltigungen aus der Region schockierten die Menschen weltweit und vor allem in Wien. Das schlimmste Drama spielte sich jedoch zur gleichen Zeit in dem kleinen Ort Srebrenica ab, wohin Tausende bosnischer Muslime vor der Verfolgung durch serbische Milizen geflohen waren. Im März hatte der Befehlshaber der UN-Schutztruppe erklärt, die UN werden in dem Ort eine Sicherheitszone für Zivilisten einrichten. Anfang April erklärte der Sicherheitsrat Srebrenica offiziell zum sicheren Rückzugsort für Zivilisten und entsandte Blauhelmsoldaten, um die Menschen vor Ort zu schützen. Die Lage spitzte sich allerdings im Mai 1993 immer weiter zu. Serbische Milizen begannen den Ort einzukesseln und drohten öffentlich, Srebrenica zu stürmen.198 Laut des ehemaligen Leiters der deutschen Delegation in Wien Gerhart Baum waren es diese Ereignisse, die die Stimmung in Wien haben kippen lassen: Alle waren betroffen von den Menschenrechtsverletzungen auf dem Balkan. Alle. Also die Christen, die Moslems – alle Lager fühlten sich da im Grunde verletzt. Ich bin überzeugt, dass dieser Hintergrund – es war ja auch geografisch ganz nah von Wien – dass der eine Rolle gespielt hat zugunsten der Ergebnisse.199 197 Vgl. UNARM : SG Boutros-Ghali, S-1085-37-6, Notes of the Meeting of the SecretaryGeneral with the Delegation of Experts of the Human Rights Program, Carter Center, Emory University at 14.05.1993 (vom 17.05.1993); ebd., S-1085-37-4, Notes of the Meeting of the Secretary-General with the Permanent Representative of Australia, 16.11.1993; Boutros-Ghali: Unvanquished, S. 168. 198 Matthias Fink: Srebrenica. Chronologie eines Völkermords. Oder Was geschah mit Mirnes Osmanović, Hamburg 2015, S. 206–298; David Rohde: Die letzten Tage von Srebrenica. Was geschah und wie es möglich wurde. Hamburg 1997, S. 9–18. 199 Interview mit Gerhart Baum vom 27.11.2014, in: Quellen zur Geschichte der Menschen­ rechte, hg. vom Arbeitskreis Menschenrechte im 20. Jahrhundert, online: www.geschichtemenschenrechte.de/personen/gerhart-baum/ (23.04.2021).

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Die Kritiker lenkten am Ende schließlich ein und erklärten sich zugunsten eines Konsenses mit einem Kompromiss einverstanden. Sie einigten sich auf eine gemeinsame Abschlusserklärung, in der ein Bekenntnis zu der Universalität und der Unteilbarkeit aller Menschenrechte enthalten war: All human rights are universal, indivisible and interdependent and interrelated. The international community must treat human rights globally in a fair and equal manner, on the same footing, and with the same emphasis. While the significance of national and regional particularities and various historical, cultural and religious backgrounds must be born in mind, it is the duty of States, regardless of their political, economic and cultural systems, to promote and protect all human rights and fundamental freedoms.200

Die Mitglieder bekräftigten nicht nur den universellen Anspruch der Menschenrechte und die Gleichstellung wirtschaftlicher und sozialer Rechte mit politischen und bürgerlichen Rechten, sondern vor allem auch das Recht der UN, sich für den Schutz dieser Rechte einzusetzen. Zugleich wurden die regionalen Unterschiede erwähnt. Zum Hochkommissar bemerkte die Abschlusserklärung: The World Conference on Human Rights recommends to the General Assembly that […], it begin, as a matter of priority, consideration of the question of the establishment of a High Commissioner for Human Rights for the promotion and protection of all human rights.201

Damit hatten die westlichen Staaten ihr Ziel erreicht und auf der kommenden Generalversammlung Ende 1993 würden die Mitglieder endlich über einen Hochkommissar abstimmen, nachdem das Konzept 28 Jahre lang nicht über das Dritte Komitee hinausgekommen war. Zudem wurde auch die Einrichtung eines ständigen internationalen Strafgerichtshofes empfohlen.202 Die Wiener Deklaration und der Aktionsplan von Wien wurden am 25. Juni 1993 einstimmig angenommen. Regierungen, NGOs und Medien bewerteten die Konferenz abschließend als großen Erfolg. Die Tagung zählte fasst 7000 Teilnehmer, 800 NGOs waren vertreten und 171 Staaten schickten ihre Diplomaten nach Wien. Es war das größte Zusammentreffen dieser Art und wurde vor allem von dem starken Einfluss der NGOs geprägt.203 Diese trugen dazu bei, dass in Wien erstmals die Rechte von Frauen auf der gleichen Ebene behandelt wurden wie die Menschenrechte.204 200 Deklaration der Wiener Menschenrechtskonferenz vom 25.6.1993, online: http://www. ohchr.org/EN/ProfessionalInterest/Pages/Vienna.aspx (07.04.2021). 201 Ebd., Artikel 17 und 18. 202 Ebd., Artikel 92. 203 Eckel: Ambivalenz, S. 826. 204 Celine Donnert: Wessen Utopie? Frauenrechte und Staatssozialismus im internationalen Jahr der Frau 1975, in: Jan Eckel / Samuel Moyn (Hg.): Moral für die Welt. Menschenrechtspolitik in den 1970er Jahren, Göttingen 2012, S. 376–394.

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Auch die Rechte von Ureinwohnern bildeten ein zentrales Thema.205 In Wien präsentierte die internationale Gemeinschaft ein in der Geschichte der Vereinten Nationen und in der der Menschenrechte einmalige Einigkeit. Die Weltmenschenrechtskonferenz wurde damit zu einem wichtigen Meilenstein und Wendepunkt in der Geschichte der UN und der Menschenrechte.206 Dieser Erfolg war das Ergebnis mehrerer Faktoren. Zum einen mobilisierte die Gewalt auf dem Balkan die muslimischen Staaten innerhalb der UN, sich für die Stärkung des Menschenrechtsschutzes zu engagieren, obwohl sie bis dato zu dessen größten Kritikern zählten. Zum anderen machten die westlichen Staaten weitreichende Zugeständnisse. Vor allem die neue US -Regierung des Demokraten Clinton willigte ein, wirtschaftliche und soziale Rechte sowie ein Recht auf Entwicklung anzuerkennen. Bis dato hatten sich dem alle US -Regierungen (außer Carter) verweigert. In den Verhandlungen über die Abschlusserklärung war dies eine wichtiger Streitpunkt und am Ende einigten sich die Teilnehmer darauf, diese Rechte in die Abschlusserklärung von Wien aufzunehmen und mehrfach hervorzuheben. Auch bei der Frage des Hochkommissars zeigten sich die USA ungewöhnlich flexibel. Das bestätigte auch die neue US -Botschafterin in den Vereinten Nationen Madeleine Albright in einem Brief an den Generalsekretär nach Abschluss der Verhandlungen: The U. S. Action Plan circulated in Vienna staked out a very ambitious position on this issue. We are prepared to show great flexibility in terms of the High Commissioners mandate and the structure of the office. We believe the High Commissioner should report to the Secretary-General.207

Ende Dezember 1993 nahm die Generalversammlung schließlich eine Resolution an, mit der sie die Einrichtung eines Hochkommissars für Menschenrechte einleitete. Darin wurde mehrfach ausdrücklich die Bedeutung wirtschaftlicher und sozialer Rechte und des Rechts auf Entwicklung erwähnt und dass deren Schutz ebenso Teil der Arbeit des Hochkommissars sein werde, wie der Schutz bürgerlicher und politischer Rechte.208 Auch mit Blick auf die Frage der Unabhängigkeit des Hochkommissars lenkten die USA und ihre westlichen Partner schließlich ein: [The General Assembly] decides that the High Commissioner for Human Rights shall be the United Nations official with principal responsibility for United Nations human rights activities under the direction and authority of the Secretary-General; within the framework of the overall competence, authority and decisions of the 205 Deklaration der Wiener Menschenrechtskonferenz vom 25.06.1993, online: http://www. ohchr.org/EN/ProfessionalInterest/Pages/Vienna.aspx (07.04.2021). 206 Vgl. Kennedy: Parliament, S. 192–198. 207 UNARM : SG Boutros-Ghali, S-1085-34-1, Fax von Craig Kuehl (USUN) an Angela Kane vom 13.10.1993. 208 ORUN: A / R ES /48/141, Resolution der Generalversammlung vom 20.12.1993, § 3c.

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General Assembly, the Economic and Social Council and the Commission on Human Rights […].209

Damit unterstand der zukünftige Hochkommissar dem Generalsekretär und der Kontrolle der UN-Mitgliedstaaten und war nicht außerhalb des UN-Systems angesiedelt, wie viele das gefordert hatten. Die Einigung in Wien war somit das Resultat der außergewöhnlichen Kompromissbereitschaft der USA und der westlichen Staaten sowie der besonderen und dramatischen politischen Lage des Jahres 1993. Hinzu kam, dass die Funktionen, die ein Hochkommissar nun übernehmen sollte, de facto bereits durch andere Institutionen ausgeführt wurden. Seit Ende der 1960er-Jahre setzten die UN -Generalsekretäre ihre guten Dienste zum Schutz der Menschenrechte ein und etablierten damit eine der Kernfunktionen des späteren Hochkommissars. Ein weiterer wichtiger Schritt war die Entwicklung des Systems der Sonderberichterstatter. Diese waren formell unabhängig und konnten selbstständige Ermittlungen durchführen. Der Hochkommissar bündelte beide Funktionen zukünftig und entlastete damit vor allem die Generalsekretäre und das Genfer Menschenrechtszentrum. Es wurden also keine neuen Verfahren eingeführt, sondern der Hochkommissar vereinte lediglich die bereits bestehenden und wertete diese auf. Das steigerte seine Akzeptanz.210 Neben diesem institutionellen Wandel zeichnete sich in Wien aber auch eine generelle Neuinterpretation des internationalen Menschenrechtsverständnisses ab. Eine deutliche Mehrheit der Staats- und Regierungschefs brachte dies bereits in ihren Eröffnungsstatements in Wien zum Ausdruck. So betonte Boris Jelzin: »Experience shows that without reliable protection of human rights there can be no lasting international peace.« Fast alle Staatsoberhäupter folgten diesem Tenor.211 Das sozialistische Konzept, wonach Frieden eine Grundvoraussetzung zur Einhaltung der Menschenrechte sei, hatte damit ausgedient. 1993 kehrten sich die Bezugspunkte in dieser Argumentation um. Fortan wurde der Schutz der Menschenrechte als eine der wichtigsten Aufgaben der UN betrachtet und als Voraussetzung für den Erhalt des Friedens und der Sicherheit im internationalen System betrachtet. Dabei war diese Idee nicht neu. Bereits in den vierziger Jahren vertraten ›liberale Internationalisten‹, die sich für die Gründung der Vereinten Nationen und die Aufnahme der Menschenrechte in die UN -Charta stark gemacht hatten, diese Haltung.212 Damit verwirklichten sich Anfang der 1990er-Jahre tatsächlich die Ideen der Gründer der Vereinten Na209 Ebd., § 4. 210 Opitz: Menschenrechte, S. 174–182. 211 Vgl. ORUN: A / Conf/157/7, Message dated 07.06.1993 from B. J.  Jelzin to the Vienna Conference on Human Rights, 11.07.1993; ebd., Final Report on Vienna (darin sind auch alle Eröffnungsstatements der Konferenz abgedruckt). 212 Mitoma: Human Rights, S. 17–44; Mazower: Enchanted, S. 66–104; Eckel: Ambivalenz, S. 60–69.

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Das Ende des Kalten Krieges

tionen, so wie es 1990 vielerorts von Politkern verkündetet wurde.213 Allerdings veränderte sich dadurch nicht nur die Bedeutung der Menschenrechte in den Debatten, das ganze Konzept von Sicherheit in den internationalen Beziehungen wurde damit auf den Kopf gestellt, was weitreichende Konsequenzen hatte.214 Ein Jahr nach der Wiener Menschenrechtskonferenz veröffentlichte das United Nations Development Programme (UNDP) den ›Human Development Report 1994‹. Darin wurden erstmals individuelle Rechte als zentrale Kategorien der ›Human Security‹ definiert, womit der bisherige Fokus der UN auf den Schutz des Staates um dem Schutz des Individuums erweitert wurde.215 Der Konflikt mit Artikel 2.7 der UN-Charta wurde damit weitestgehend ausgeräumt. Allerdings gewann dadurch das Prinzip humanitärer Interventionen seit den 1990erJahren wieder stark an Bedeutung. Die militärische Friedenssicherung der Vereinten Nationen weitete sich massiv aus und auch die NATO entwickelte sich zunehmend zu einem Instrument zum Schutz der Menschenrechte mit militärischen Mitteln wie im Kosovo 1998.216 Den vorläufigen Höhepunkt erreichte dieses Entwicklung mit der ›Responsibility to Protect‹ Anfang der 2000er-Jahre, womit sich die UN-Mitglieder formal verpflichteten, in Fällen von Menschenrechtsverletzungen militärisch zu intervenieren.217 Die Menschenrechte bilden damit heute das Zentrum der internationalen Sicherheitsarchitektur und haben das Konzept staatlicher Souveränität neu definiert.218 Sicherer und friedlicher ist die Welt dadurch aber nicht geworden, wie die Intervention der westlichen Staaten in Libyen 2006 verdeutlichte. Zugleich verdeutlichten die US -Intervention im Irak 2003 und die russische Annexion der Krim 2014, die beide auch unter dem Vorwand des Menschenrechtsschutzes durchgeführt wurden, dass Staaten auch weiterhin die Menschenrechte für politische Zwecke instrumentalisieren werden, sofern sie davon profitieren. Die Geschichte des Menschenrechtsschutzes zeigt somit, dass sich dieses System nicht trotz der unterschiedlichen globalen politischen Konflikte durchsetzen konnte, sondern das Produkt dieser ist. 213 Vgl. Eckel: Ambivalenz, S. 825; mit Cuéllar: Pilgrimage, S. 250. 214 Zum Wandel des Sicherheitsverständnisses Anfang der 1990er-Jahre siehe Conze: Geschichte, S. 9 f. 215 Vgl. ORUN: Human Development Report 1994, New York 1994, S. 24–26.; mit Jaqueline Stein-Kaempfe: Human Security – Völkerrechtliche Aspekte eines internationalen Sicherheitskonzeptes zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Berlin 2008, S. 70–75. 216 Zum NATO -Einsatz im Kosovo und der völkerrechtlich umstrittenen Rechtfertigung durch den Schutz der Menschenrechte siehe Rafael Biermann: Der Kosovo-Krieg als Beispiel humanitärer Interventionen, in: Norbert Frei / A nnette Weinke (Hg.): Toward a New Moral World Order? Menschenrechtspolitik und Völkerrecht seit 1945, Göttingen 2013, S. 219–231. 217 Zur ›R2P‹ siehe Pape: Humanitäre Interventionen, S. 13–26; Opitz: Menschenrechte, S. 146–173; Zur Geschichte humanitärer Interventionen vom 19. Jahrhundert bis zur ›R2P‹ siehe Fabian Klose (Hg.): The Emergence of Humanitarian Intervention. Ideas and Practice from the Nineteenth Century to the Present, Cambridge 2016, S. 1–28. 218 Conze: Sicherheit, S. 9 f.

6. Zusammenfassung und Fazit

Die Grundlagen des Systems zum Schutz der Menschenrechte wurden zwischen 1965 und 1993 entwickelt. Diesen Prozess prägte der Ost-West-Konflikt, die Dekolonisierung und der Nord-Süd-Konflikt sowie der wachsende Einfluss von NGOs und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Die Fokussierung dieses Buches auf die Auswirkungen der Konkurrenz zwischen Ost und West hat dabei gezeigt, dass sich der Menschenrechtsschutz nicht trotz des Kalten Krieges durchsetzen konnte, sondern aus diesem hervorgegangen ist. Die Konkurrenz gab den entscheidenden Impuls und wirkte als treibende Kraft in dessen Entwicklung. Dabei entfaltete sie auf verschiedenen Ebenen ihr transformatives Potenzial. Sie prägte die Institutionalisierung der verschiedenen Verfahren ebenso wie deren praktische Umsetzung. Sie hatte Einfluss auf die Wahrnehmung der internationalen Debatten und beeinflusste direkt die Politik der Staaten im Umgang mit den Menschenrechten. Dabei lassen sich in dem Zeitraum von 1965 bis 1993 vier unterschiedliche Phasen der Konkurrenz ausmachen, in denen sich diese veränderte, und unterschiedliche Effekte entfaltete. Die erste begann Mitte der 1960er-Jahre und endete Mitte der 1970er-Jahre. Das Zusammenwirken von Dekolonisierung und Détente lieferten die Rahmenbedingungen, unter denen die Konkurrenz wirkte. Im Zuge der Entspannungspolitik gewann der ideologische Wettbewerb an Bedeutung und die Menschenrechte wurden zu einem umstrittenen Gut. Beide Seiten wollten sich über das Thema international profilieren und konkurrierten in den Vereinten Nationen um die Deutungshoheit über die Auslegung von Menschenrechtsverletzungen. Die dekolonisierten Staaten übernahmen in dieser Phase die Rolle des bewertenden Dritten, um dessen Gunst die USA und die Sowjetunion stritten. Sie stellten seit 1960 die Mehrzahl der UN-Mitglieder und beide Großmächte waren auf die Zustimmung dieser Staaten angewiesen, um ihre jeweiligen Initiativen durchzusetzen. Die Konkurrenz gab in dieser ersten Phase den Impuls, der die Entwicklung allgemeiner Verfahren zum Schutz der Menschenrechte in Gang setzte. Die Sowjetunion versuchte mit den Themen Rassendiskriminierung und Dekolonisierung die Zustimmung der afroasiatischen Länder zu gewinnen und den Fokus der Debatten auf Südafrika und die westeuropäischen Kolonialmächte zu lenken. Dabei entwickelte die sozialistische Initiative eine ganz eigene Dynamik und führte ungewollt wie durch den Einfluss der afroasiatischen Staaten zur Einführung des CBM im Jahr 1967. Auch die westlichen Staaten stimmten für die Einführung dieses Verfahren, weil sie hofften, dadurch die Zustimmung der dekolonisierten Staaten für ihre eigene Initiative zu bekommen, den Hochkommissar für Menschenrechte. Dieser sollte als unabhängige Institution Menschenrechtsverletzungen unter-

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Zusammenfassung und Fazit

suchen. Mitte der 1960er-Jahre fand diese Idee auch unter den dekolonisierten Staaten große Zustimmung. Zugleich hofften die USA insgeheim, die Kontrolle über den UN-Menschenrechtsbereich zurückzugewinnen, damit sie zukünftig Einfluss auf Ermittlungen nehmen konnten. Zu Beginn der 1970er-Jahre kippte die Stimmung jedoch und immer mehr Bündnisfreie Staaten sahen im Hochkommissar eine Bedrohung und lehnten diesen ab. Dennoch prägte die Idee eines Hochkommissars die Entwicklung des UN-Menschenrechtsschutzes nachhaltig. Das zeigte sich sowohl in den guten Diensten der Generalsekretäre ab Ende der 1960er-Jahre als auch in der Arbeit der Arbeitsgruppen und Sonderberichterstatter ab Ende der 1970er-Jahre. Beide Verfahren übernahmen Kernfunktionen eines Hochkommissars für Menschenrechte. Doch die Konkurrenz lieferte in dieser ersten Phase nicht nur den Impuls, sie prägte auch die Anwendung und Institutionalisierung der Verfahren. Im Jahr 1968 endete die erste Anwendung der Resolution 1235 in einem Debakel und führte dazu, dass die Mitglieder der Menschenrechtskommission die Sitzung nutzten, um ihrem jeweiligen politischen Gegner anzugreifen, anstatt die vorliegenden Fälle Griechenland und Haiti zu behandeln. Deswegen wurde das CBM 1970 mit der Resolution 1503 um ein vertrauliches Verfahren erweitert, mit dem die Konkurrenz zwischen den Staaten umgangen werden konnte. Ebenso entwickelten sich die guten Dienste des UN -Generalsekretärs in dieser Zeit zu einem wirksamen Instrument, um in individuellen Fällen von Menschenrechtsverletzungen eine Einigung zu erzielen. Auch hier dienten die Geheimhaltung und der Verweis auf ein ›humanitäres Anliegen‹ (Anstatt auf die Menschenrechte) dazu, die Konkurrenz zwischen den Staaten auszuhebeln. Während die Konkurrenz also die Entstehung des Menschenrechtsschutzes in den 1960er-Jahren gefördert hatte, behinderte sie dessen Anwendung, was dazu führte, dass die Sitzungen später unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden. In der zweiten Phase von 1970 bis 1980 wurde die Konkurrenz komplexer. Dadurch, dass die Menschenrechte an Popularität gewannen und sich immer mehr Menschen für den Schutz dieser engagierten, übernahm die Öffentlichkeit zunehmend die Rolle des bewertenden Dritten. Das wirkte sich auch auf die Menschenrechtspolitik der Staaten aus. Ost und West rangen nun nicht mehr nur um die Zustimmung der Bündnisfreien Staaten, sondern zunehmend um die Gunst der öffentlichen Meinung. Das führte dazu, dass die westeuropäischen Staaten 1975 gemeinsam mit den sozialistischen Staaten das erste Untersuchungsverfahren des CBM in Gang setzten, das sich nicht auf Südafrika oder Israel konzentrierte, sondern auf Chile. Daneben veränderte sich auch das Verhältnis zu den Bündnisfreien Ländern. Ab 1975 dominierten nicht demokratische Regime aus Afrika, Asien, Südamerika gemeinsam mit den sozialistischen Staaten die Debatten in den Vereinten Nationen. Diese forderten eine ›Neue Weltwirtschaftsordnung‹ und nutzten die UN, um den politischen Druck auf Israel und Südafrika zu erhöhen. Der Nord-Süd-Konflikt bestimmte fortan die Debatten in den UN und die

Zusammenfassung und Fazit

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meisten Bündnisfreien Staaten standen dem Menschenrechtsschutz nun sehr kritisch gegenüber. In Reaktion darauf verlagerten die westlichen Staaten ihre multilaterale Politik zunehmend auf die KSZE -Konferenzen. Zudem starteten sie eine ›Menschenrechtsinitiative‹, mit der sie sich gezielt über das Thema Menschenrechtsschutz profilieren wollten, um sich so von anderen Staaten abzugrenzen, ihr politisches Bündnis zu konsolidieren und ein Image aufzubauen, wonach der ›Westen‹ für die Einhaltung der Menschenrechte eintrat. Bundesaußenminister Genscher forderte ab 1976 einen internationalen Menschenrechtsgerichtshof und ab 1977 rückten auch die USA unter Präsident Carter die Menschenrechte offiziell ins Zentrum ihrer Außenpolitik. Dabei profitierten die westlichen Staaten von der wachsenden Bedeutung westlicher Menschenrechtsexperten, diese professionalisierten und ›verwissenschaftlichten‹ den Menschenrechtsschutz und trugen damit zur Entstehung einer transnationalen Menschenrechtsszene bei, die sich aus Aktivisten, Wissenschaftlern, Diplomaten sowie UN-Mitarbeitern zusammensetzte und sich für die Anwendung und Weiterentwicklung des UN-Menschenrechtsschutzes engagierte. Gemeinsam mit den westlichen Regierungen entfalteten sie großen Einfluss auf das UNSekretariat und förderten die Einrichtung und die praktische Umsetzung des UN -Menschenrechtsschutzes, wie das Beispiel des Menschenrechtsausschusses gezeigt hat. Darüber hinaus profitierten die westlichen Staaten von der zunehmenden Spaltung der Bündnisfreien Staaten in Menschenrechtsfragen. Während die meisten den Menschenrechtsschutz beschränken wollten, versuchten sich vor allem afrikanische Länder über eine eigene Auslegung der Menschenrechte international zu profilieren. Sie engagierten sich für die Gleichstellung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte und förderten die universelle Anwendung des CBM . Dadurch gerieten immer mehr Staaten der ›Dritten Welt‹ in den Brennpunkt der Ermittlungsverfahren der Menschenrechtskommission und selbst sozialistische Staaten wie Kambodscha und Äthiopien wurden Gegenstand eigenständiger Untersuchungen. Im Gegensatz dazu bauten die sozialistischen Staaten mit dem Thema Frieden seit Anfang der 1970er-Jahre ein Gegennarrativ auf. Das ›Recht auf Frieden‹ wurde in den 1970er-Jahren zu einer zentralen Forderung des sozialistischen Lagers und sollte die vom Westen vorangetriebenen Debatten zum Thema Menschenrechtsschutz verdrängen und die Entspannungspolitik fördern. Mit dieser Agenda engagierten sie sich in allen UN-Menschenrechtsgremien und versuchten die Weiterentwicklung und Anwendung des allgemeinen Menschenrechtsschutzes zu stören. Die wachsende Bedeutung der Friedensbewegung in Westdeutschland bestärkte die Führung im Kreml und in Ostberlin dabei im Glauben, mit dem Thema Frieden langfristig die Deutungshoheit im internationalen Menschenrechtsdiskurs zu erlangen. Allerdings machten sich die sozialistischen Länder damit angreifbar. Zum einen standen die militärischen Interventionen in Angola, Äthiopien und Afghanistan im Widerspruch

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Zusammenfassung und Fazit

zu ihrer Friedensrhetorik, zum anderen verloren sie mit dieser Neuausrichtung an Unterstützung bei den Bündnisfreien Staaten. Parallel zu diesen komplexen Entwicklungen institutionalisierte Generalsekretär Waldheim seine guten Dienste als eigenständige dritte Ebene des UNMenschenrechtsschutzes. Dabei nutzte er den Bedeutungsgewinn der Menschenrechte in der Öffentlichkeit, indem er diese als Druckmittel in seinen Verhandlungen einsetzte und sich selbst als konzilianten Vermittler in Menschenrechtsfällen präsentierte. Die Konkurrenz wirkte in dieser zweiten Phase somit als Motor, der beide Seiten antrieb, sich für den Menschenrechtsschutz oder ein ›Recht auf Frieden‹ zu engagieren, um sich international zu profilieren. Die Weiterentwicklung und Anwendung der Verfahren in den Vereinten Nationen wurde dadurch gefördert. Der ›Zweite Kalte Krieg‹ leitete die dritte Phase der Konkurrenz von 1980– 1985 ein, in der diese wieder an Bedeutung verlor und von einer direkten Konfrontation zwischen Ost und West überlagert wurde. Die Sowjetunion isolierte sich in den UN durch den Einmarsch in Afghanistan Ende 1979 und den westlichen Staaten gelang es erstmals, Menschenrechtsverletzungen in sozialistischen Staaten öffentlich verhandeln zu lassen und damit den Fokus des UN-Menschenrechtsschutzes auszuweiten. Allerdings behinderte die Konfrontation die Anwendung des Menschenrechtsschutzes wie der Fall Polen gezeigt hat. Zudem belastete die neue ›neokonservative‹ Menschenrechtspolitik des US -Präsidenten Reagan ab 1981 die Beziehungen zwischen den westlichen Verbündeten sowie zu den Vereinten Nationen und trug zur Eskalation des Ost-West-Konflikts bei. Davon abgesehen machte Reagan die Menschenrechte aber zu einem festen Bestandteil konservativer Außenpolitik und veränderte damit langfristig den internationalen Menschenrechtsdiskurs. Insgesamt förderte der ›Zweite Kalte Krieg‹ und die Gleichzeitigkeit von Konkurrenz und Konfrontation die Stellung des Menschenrechtsschutzes. Der Fokus der Verfahren des CBM wurde durch das Engagement westlicher Staaten und einzelner Mitarbeiter im Sekretariat wie van Boven oder Herndl sukzessive ausgeweitet. Die UN-Sonderberichterstatter entwickelten sich zu einem effektiven und anerkannten Instrument, um Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten untersuchen zu lassen. Zudem wurde Genf zum Zentrum einer transnationalen Menschenrechtsszene und die Debatten über Menschenrechtsverletzungen standen ab Mitte der 1980er-Jahre im Mittelpunkt der Arbeit der Kommission. Ab 1986 veränderte ein Demokratisierungstrend das internationale System und leitete damit die vierte und letzte Phase der Konkurrenz ein. Zahlreiche Diktaturen der 1960er- und 1970er-Jahre wurden demokratisch, wodurch die Befürworter des Menschenrechtsschutzes gestärkt wurden. Ost und West näherten sich politisch wieder an und als Gorbatschow 1988 in der Generalversammlung den Beginn einer neuen Weltordnung verkündete, in der Demokratie und Menschenrechte die Grundlage der internationalen Beziehungen bilden

Zusammenfassung und Fazit

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sollten, lösten sich die Gegensätze zwischen westlichen und sozialistischen Staaten bei der Auslegung der Menschenrechte auf. Dadurch verschwand die Konkurrenz um Menschenrechte allerdings nicht aus den UN. Je mehr sich Ost und West in dieser Phase annäherten, umso mehr verstärkte sich die Auseinandersetzung mit den Staaten Afrikas und Asiens. Die US -Initiative gegen Kuba (1987–1990) verdeutlichte, wie sich die Bündnisfreien Staaten konsolidierten und sich die Konkurrenz um Menschenrechte auf den Nord-Süd-Konflikt verlagerte. Offen zu Tage trat dieser Konflikt vor allem bei den Vorbereitungen zur Wiener Menschenrechtskonferenz von 1993, wo einige asiatische Staaten die Idee der Menschenrechte grundsätzlich infrage stellten. Dass Wien dennoch ein Erfolg wurde, lag vor allem an der besonderen internationalen Situation infolge des jugoslawischen Bürgerkrieges und der außergewöhnlichen Kompromissbereitschaft der USA unter US -Präsident Clinton. In der Abschlusserklärung einigten sich alle UN-Mitgliedstaaten auf die Unteilbarkeit und den universellen Anspruch der Menschenrechte und sie bestätigten, dass es die wichtigste Aufgabe der Vereinten Nationen sei, sich für den Schutz der Menschenrechte einzusetzen. Darüber hinaus empfahlen sie die Einsetzung eines Hochkommissars für Menschenrechte, wodurch die westlichen Staaten ihre in den 1960er-Jahren entwickelte Vorstellung des Menschenrechtsschutzes nach fast 30 Jahren durchsetzen konnten. In Wien zeichnete sich zudem ein Paradigmenwechsel ab. Demokratie und Menschenrechte wurden zur Grundvoraussetzung zum Erhalt des internationalen Friedens erklärt und bildeten ab 1994 den Kern der ›Human Security‹, wonach nicht der Erhalt des Staates, sondern der Schutz des Individuums zukünftig für mehr Sicherheit in der Welt sorgen sollte. Wie diese Untersuchung zeigen konnte, spielte die Konkurrenz zwischen Ost und West eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des UN-Menschenrechtsschutzes. Die größte Wirkung entfaltete sie dabei vor allem in den ersten beiden Phasen, während der 1960er- und 1970er-Jahre. Dabei bot die Entspannungspolitik die entscheidenden Rahmenbedingungen dafür, dass Ost und West um die Deutungshoheit um Menschenrechtsverletzungen konkurrierten und den Menschenrechtsschutz instrumentalisierten. Als die Entspannungspolitik 1980 in eine Krise geriet, verlor auch die Konkurrenz ihre Wirkung und der direkte Konflikt zwischen beiden Seiten überlagerte die Entwicklung in den Vereinten Nationen. Zugleich hatte sich das Thema bereits soweit verselbstständigt, dass im Zusammenwirken mit dem UN-Sekretariat und zivilen Akteuren der Menschenrechtsschutz weiter gefestigt und ausgebaut werden konnte.

7. Abkürzungsverzeichnis

AA AAD AEMR AI CAT CEDAW CBM CIA CSSR DDR ECOSOC EG EPZ EU FOIA FRUS GA ICCPR ICERD ICESCR ICJ JDL KGB KPdSU KSZE MfAA

MfS

NAACP NARA NATO OAS OAU ORUN PA AA PHP PLO SC SG TBM Ud SSR

Auswärtiges Amt Access to Archival Database (Online Archiv der NARA) Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Amnesty International Convention Against Torture Convention for the Elimination of Discrimination Against Women Charter Based Monitoring Central Intelligence Agency Tschechoslowakische Sozialistische Republik Deutsche Demokratische Republik Economic and Social Council Europäische Gemeinschaft Europäische Politische Zusammenarbeit Europäische Union Freedom of Information Act Foreign Relations of the United States General Assembly International Covenant on Civil and Political Rights International Convention for the Elimination of Racial Discrimination International Covenant on Economic, Social, and Cultural Rights International Commission of Jurists Jewish Defense League Komitee für Staatssicherheit Kommunistische Partei der Sowjetunion Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Ministerium für Staatssicherheit National Association for the Advancement of Colored People National Archives and Records Administration North Atlantic Treaty Organisation Organisation Amerikanischer Staaten Organisation für Afrikanische Einheit Official Record of the United Nations Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Parallel History Project Palästinensische Befreiungsorganisation Security Council Secretary General Treaty Based Monitoring Union der Sozialistischen Sowjet Republiken

Abkürzungsverzeichnis

UN UNARM UNESCO UNHCR WVO YUN

United Nations United Nations Archives and Records Management United Nations Educational, Scientific, and Cultural Organization United Nations High Commissioner for Human Rights Warschauer Vertragsorganisation Yearbook of the United Nations

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10.1 Ortsregister Afghanistan  29, 64, 82, 84, 202, 219, 259, 279, 287, 289, 291, 346 Ägypten  47, 121, 136, 198, 324 Algerien  33, 115, 203, 222 Angola  123, 125, 136, 138, 195, 202, 325, 345 Äquatorialguinea  182, 274, 280 Argentinien  42, 72, 170, 187, 242, 274, 276, 280, 287, 289, 336 Äthiopien  182, 187, 325, 345 Australien  33, 84, 109, 115, 185 f., 188, 251, 303, 319 Baltische Staaten  253 Bangladesch  201 Belgien  31, 84, 107, 117, 172, 259, 305 Belize  138 Biafra  52 Birma  187 Bolivien  183, 187, 203, 228, 280 Botswana  180 Brasilien  170, 187, 305 Bulgarien  214, 287, 300, 303 Burundi  228 Chile  68, 103, 132 f., 141, 157 f., 162, 189 f., 192, 213–215, 217 f., 228, 234, 242, 247, 249, 262, 266, 269, 274, 279 f., 285, 302 f., 306, 308, 344 China  10, 67, 89, 104, 116, 131, 136, 183–185, 238, 313, 319, 322, 335 Costa Rica  43 f., 64, 66, 68, 72, 75 f., 79, 83, 116, 152, 224 Dahomey  36, 42, 44, 72, 75, 79 Dänemark  110, 155, 282 Demokratischen Republik Kongo siehe Kongo Dschibuti  138

Ecuador  116, 152 Elfenbeinküste  183, 187 El Salvador  228, 269, 274, 280, 285, 303 Entebbe  143 Eritrea  203 Finnland  174, 282 Frankreich  10, 31, 33, 39, 75, 77, 79, 82, 84, 107, 113, 118, 260 f., 283, 305 f. Gabun  201 Ghana  94, 180 Griechenland  48–51, 53 f., 59, 89, 242, 263, 271, 344 Großbritannien  10, 31, 33, 36, 40, 50, 57, 68, 72 f., 75, 82, 84, 111–113, 118 f., 134, 141, 150, 155, 158, 160, 180, 183–186, 222, 228, 257–259, 263, 268, 271, 279, 305, 310 Guatemala  228, 274, 280 Haiti  48, 50 f., 53, 344 Hongkong  238 Indien  35, 39, 42, 45, 47, 53, 57, 67, 73, 85, 109, 113, 121, 131, 136, 187, 221 Indonesien  47, 109, 136, 149, 183, 187, 287 Irak  67, 73, 136, 207, 222, 228, 289, 321–323, 342 Iran  57, 81, 84, 136, 149, 206, 208, 213, 224, 240, 258 f., 263 f., 274, 279, 285 f., 289, 323, 329 f. Irland  84, 251, 303, 311 Israel  36, 47 f., 51, 53, 55 f., 60, 80 f., 83, 94–97, 99, 101, 123, 126 f., 129, 131 f., 136, 138, 141, 154, 189 f., 192, 198, 228, 234, 239, 247, 261, 263, 269 f., 279, 283, 303, 305, 325, 344

377

Ortsregister 

Italien  33, 41 f., 84, 107, 113, 120, 162, 197, 200, 251, 257, 282, 303 Jamaika  36, 41 f., 50, 75, 81, 180 Japan  84, 259, 267, 325 Jemen  128, 322 Jugoslawien  11, 33, 57, 88, 186, 228, 325, 328–332 Kambodscha  11, 125, 183–186, 188, 223 f., 226, 228, 234, 259, 274, 280, 303, 325, 345 Kanada  38, 84, 97, 150, 162, 164, 171, 201, 251, 279, 282, 287 Kap Verde  123 Katar  224 Kolumbien  282, 336 Kongo  31, 42, 47, 203, 282, 326 Kroatien  327 Kuba  109, 111, 115, 123, 128–130, 136, 173, 182, 202 f., 214, 228, 287, 291, 294, 302, 320, 322 f., 330, 336, 347 Kuwait  321 f., 327 Lesotho  180, 183 Libanon  289 Liberia  131 Libyen  45, 128, 222, 269, 321, 342 Madagaskar  282 Malawi  187 Malaysia  224 Marokko  41 f., 187, 201, 224, 300 Mauritius  282 Mexico  336 Mongolei  214 Mosambik  123, 325 Namibia  48, 199, 201, 203, 238, 280, 289, 313 Neuseeland  174 Niederlande  107, 110, 118, 306 Nigeria  42, 44, 52, 64, 180, 183, 187 Nordirland  159, 223, 228 Nordkorea  203, 323 Norwegen  84, 150, 155, 282

Oman  224 Österreich  72, 75, 84, 109, 118–120, 305 Ost-Pakistan  85 Osttimor  123, 136, 138 Pakistan  42, 136, 201, 221–224, 235, 279, 319, 330 Palais des Nations  121, 306 Palästinensergebiete  80, 85, 305 Palästinensergebieten  280 Panama  110 Paraguay  170, 183, 287 Peking  106, 312, 319 Philippinen  33 f., 36, 44, 57, 64, 72, 75, 79, 84, 116, 224, 242, 289, 302, 319 Polen  35 f., 73, 214, 233, 235, 293 Portugal  83, 85, 242 portugiesische Kolonien  48 Rhodesien  33, 48, 85 Ruanda  183 Rumänien  155, 286, 293 f., 300, 303 Sao Tomé und Príncipe  123 Saudi-Arabien  86, 116, 134, 198, 224, 235, 321 Schweden  40, 43 f., 50, 72, 84, 88, 107, 110, 150, 155, 172, 174 f., 182, 282, 306 Schweiz  312, 325 Senegal  36, 42, 44, 72, 75, 79, 82, 121 f., 180, 183, 187 f., 201, 223, 319 Serbien  330 Sierra Leone  33 f., 82, 122, 131 Singapur  201, 238 Somalia  182, 221, 224, 333 Spanien  115, 158, 242 Srebrenica  338 Sri Lanka  306 Südafrika  33–42, 44, 46, 48 f., 54, 60, 78 f., 83, 85, 96, 115, 123, 127, 131, 141, 154, 189 f., 192, 201, 228 f., 234, 238, 247, 263, 265, 269, 280, 283, 289, 294, 303, 305, 325, 328, 343 f. Sudan  39, 224 Südkorea  183, 187, 238 Südwestafrika  48

378

Register

Syrien  128, 186, 203, 222

Uruguay  84, 187, 280, 282, 287, 289

Taiwan  238 Tansania  42, 44, 53, 57, 187, 287 Tian’anmen Platz  313, 319, 335 Tschechoslowakei  89, 155, 214, 228, 293 Tunesien  224, 324 Türkei  118, 263, 287, 324, 329

Venezuela  203, 305, 336 Vereinigten Arabischen Republik  39, 47, 53, 57 Vietnam  31, 51, 54, 136, 184, 203, 228, 240, 253, 279, 303

Uganda  172 f., 175, 182, 187, 208, 213, 218, 274, 280 Ukraine  35 f., 42, 73, 155, 214, 296, 300, 303 Ungarn  155, 173, 214, 300

Weißrussland  155, 158, 214 Westsahara  138, 280 Wiener Weltmenschenrechtskonferenz ​ 30 Zypern  152, 287

10.2 Personenregister Abram, Morris B.  35, 40–43, 50 f., 66, 76, 312 f., 317 Abrams, Elliot  242, 248, 253, 265 Albright, Madeleine  340 Allana, Ghulam Ali  122, 216 Allende, Hortensia  111 Allende, Salvador  109, 170 Amin Dada, Idi  126–129, 132, 177, 187, 208, 212 Andropow, Juri  235, 256 Arkadev, Georgi Petrovitch  71 Asiyo, Phoebe  56 Bahr, Egon  108 Baker, James  315, 317 f., 322 Baroody, Jamil  83, 134 f. Baum, Gerhart  338 Benenson, Peter  63 Blaustein, Jacob  63 Bouteflika, Abd al-Aziz  138 Boutros-Ghali, Boutros  324–326, 330, 337 Boven, Theo van  119, 121, 162 f., ­165–167, 185, 188 f., 271, 273–276, 281, 285, 346 Brandt, Willy  107 f., 179 Breschnew, Leonid I.  192, 235 Bruce, Margaret  164 Brzezinski, Zbigniew  168

Buchanan, Pat  327 Buergenthal, Thomas  164 Buffum, William B.  49, 252, 270–272, 275 f., 278–280, 282 Bukowski, Wladimir  170, 215 Bunche, Ralph  71, 164 Bush, George H. W.  98, 100, 273, 309 f., 312–314, 317, 321 f., 324, 326, 328 Calvocoressi, Peter  48 Carroll, Lewis  139 Carter, Jimmy  24, 103, 105, 125, 167, 176, 178, 184, 194, 196, 220, 240, 242, 245, 279, 337, 340, 345 Cassin, René  22, 61 Castro, Fidel  123, 128, 202, 302, 309, 312 f., 315, 318 Chomeini, Ruhollah  240 Chruschtschow, Nikita  32, 160, 193, 298 Church, Frank  128 Clinton, Bill  333, 340, 347 Corvalán, Luis  214 f. Cuéllar, Javier Pérez de  248, 273, 276–278, 289, 299, 309, 311, 314, 317, 322 Davidson, George  164 Derian, Patricia Murphy  169

379

Personenregister 

Eban, Abba  98 Ermacora, Felix  111, 122, 261, 285, 291, 295

Lomeiko, Wladimir  291 f. Lumumba, Patrice  128 Luwum, Janani  213

Fall, Ibrahima  335 Ferguson, Clyde  38–40, 57 Ford, Gerald  126 Fraser, Donald M.  104

MacBride, Seán  63 Major, John  326 Malik, Yakov  94, 98, 214 Marcos, Ferdinand  302 Martenson, Jan  295 f., 312 f., 315, 317 Mazowiecki, Tadeusz  329 f. Mbaye, Kéba  180, 183 f. McNamara, Robert  179 Mitterrand, François  326 Mohammed, Adam  52 Mondale, Walter  170 Montez, Jorge  214 Morgenthau, Hans J.  97 Morse, Bradford  164, 214 Moynihan, Daniel Patrick  125, ­129–132, 135–137, 139, 142, 242 Mubanga-Chipoya, Chama  288

Genscher, Hans-Dietrich  108, 140, 151, 176, 197, 279, 345 Gobbi, Hugo  249–252 Goldberg, Arthur  50, 54–56, 66, 74, 81 Gorbatschow, Michail  265 f., 289 f., 292, 294, 296, 298 f., 301, 312, 321, 346 Graefrath, Bernhard  151 f., 160 Gromyko, Andrei  195, 235 f., 238, 261 Groza, Maria  83 Hammarskjöld, Dag  88 f., 203 Hauser, Rita Eleanor  57, 82 Herndl, Kurt  278, 281, 346 Humphrey, John P.  22, 35, 38, 47, 49, 56, 60, 63 f., 66, 68–70, 72 f., 76, 162 f., 165–167 Hussein, Saddam  321 Jackson, Henry M.  104, 242 Jäger, Richard  306 Jelzin, Boris  326, 341 Johnson, Lyndon B.  64 f., 74, 168 Kennedy, John F.  60, 62, 64 Ketrzynski, Wojciech  47 Kinkel, Klaus  333 Kirkpatrick, Jeane  241 f., 250, 252, 265, 305 Kissinger, Henry  104–106, 125, 130, 148, 168, 204 Klerk, Frederik Willem de  289, 328 Kohl, Helmut  254 Kutakov, Leonid N.  95 Lenin, Wladimir I.  222 Lessiovski, Victor M.  95, 207 Lie, Trygve  88 Loewenstein, Allard K.  169 f.

Nasinovsky, Evgeny N.  38–40 Nixon, Richard M.  82, 99, 103, 105–107, 117, 125 f., 168 Nyamekye, Kwadwo Faka  272 Ogata, Shujiro  325 Pahlavi, Mohammed Reza  81 Pai, Nath  56 Paolini, Jean-Dominique  84 Paul II., Johannes  231 Pechota, Vratislav  209 Peng, Li  326 Perlzweig, Maurice L.  63 Pickering, Thomas R.  312 f., 315–317, 319 Pinochet, Augusto  109, 112, 114, 117, 119, 132, 303 Quayle, Danforth  314–316 Rannat, Mohammed Abu  47, 56, 114 Rao, Narasimha  326 Reagan, Ronald  29, 125, 219, 228, 232, 235 f., 240, 280, 302, 346

380 Robertson, Pat  327 Roosevelt, Eleanor  34 Roosevelt, Franklin D.  178 Sacharow, Andrei  170, 222, 224, 228, 256 Sanon, Pierre J.  162 Schewardnadse, Eduard  295 Schifter, Richard  257–259, 261 f., 265 f., 285 Schmidt, Helmut  108, 167, 196 Schreiber, Marc  70, 76, 121, 162 f., 207, 211 Schwelb, Egon  22, 76, 166 Simmel, Georg  18, 20 Sisco, Joseph J.  61 f., 66 f., 71, 78 Solschenizyn, Alexander  112 Somoza, Anastasio  240 Soto, Álvaro de  334 f. Stalin, Josef  88, 160 Stoessel, Walter  253–256, 258 Strohal, Eberhard  212 Suy, Eric  145, 216 Tekoah, Yosef  94 f., 99 f., 207 Thant, U  28, 71 f., 89, 203, 206, 208, 213

Register

Tito, Josip Broz   88 Tomuschat, Christian  151, 154–160, 167, 189, 233 Tshombes, Moise  47 Urquhart, Brian  164 Ustinov, Dimitri  235 Valladares, Armando  308 f. Vance, Cyrus  168, 328 Vanden Heuvel, William J.  246 Vanik, Charles A.  104 Volcker, Paul  325 Waldheim, Kurt  29, 103, 162–165, 168, 203, 270–273, 276, 278, 346 Wałęsa, Lech  249 Wallach, Robert  303, 305 Walters, Vernon A.  265, 304 Wechmar, Rüdiger Freiherr von  116 Wehner, Herbert  214 Well, Günther van  245 Yost, Charles W.  82, 204 Young, Andrew  169, 174, 188

10.3 Sachregister Academic Committee on Soviet Jewry ​ 97 Afrikanische Menschenrechtscharta (Banjul Charta)  181 Afrikanischen Menschenrechtscharta ​ 280 Agenda for Peace  326 f., 337 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR)  10, 14, 19, 22 f., 26, 81, 91, 93, 113, 178, 298, 324, 327 Amnesty International (AI)  63, 69, 114, 126, 158, 167, 257, 279 f. Antifaschismus  129 Antisemitismus  33, 129 Apartheid  16, 35, 39 f., 42–44, 46, 75, 80 f., 85, 129, 131, 142, 169, 177, 227, 236, 265, 269, 289, 328

Arabische Liga  321 Asian Values  337 Asylrecht  279 Bahai  258, 286 Berliner Mauer  31 Blauhelmsoldaten  289, 299, 313, 326, 329, 338 Boat People  279 Bürgerrechtsbewegung  61, 65 f., 75, 169 Central Intelligence Agency (CIA)  128, 264, 269 Centre for Human Rights  188, 200, 272, 277 f., 297, 337 Charta 77  228 Christian Science Monitor  125

381

Sachregister 

Commentary  126 Commission on the Status of Women ​ 16 Convention Against Torture (CAT) ​ 188, 279, 284 Convention for the Elimination of Discrimination Against Women (CEDAW)  17, 200 Country Reports on Human Rights Practices  242 Deklaration für ein Recht auf Frieden ​ 203 Deklaration zum Recht für Frauen auf ein Leben in Frieden  234 Dissidenten  24, 90 f., 97, 112, 170 f., 173, 176, 215, 228, 235, 254, 256, 261, 270, 291, 300, 305, 315 ECOSOC  36, 44, 79, 238 EMRK  124

Erster Golfkrieg  238 Europäischen Union (EU)  331 Foreign Assistance Act  104 Freie Demokratischen Partei  143 Friedensbewegung  169, 194, 196, 203, 232 f., 237, 345 Genozid-Konvention  104, 265, 329 Great Society  75 Gross Violations of Human Rights  51, 53 f., 56, 85, 112, 121, 191, 251, 310 Hochkommissar für Flüchtlinge  264 Human Development Report 1994  342 Human Security  342, 347 International Bill of Rights  10 International Commission of Jurists (ICJ)  63, 114, 126, 180 International Convention on the Elimination of Racial Discrimination (ICERD)  11, 42, 46, 72–74, 83, 86 f. International Criminal Court  149 Internationale Menschenrechtskon­ ferenz in Teheran  56, 81

Internationaler Strafgerichtshof in Den Haag  11 Internationales Komitee des Roten Kreuzes  87, 330 International Institute for Strategic Studies  196 Internationalismus  25 Intifada  306 Jackson-Vanik-Amendement  104, 242 Jewish Defense League (JDL)  97, 100 Jugoslawienkrieg  328 Kairoer Erklärung  332 katholische Kirche  231 KGB  106, 232, 235 Knesset  325 Kolonialismus  81 Konvention gegen Geiselnahmen  143 Kreml  106, 108, 173, 200, 233, 235, 256, 271, 345 KSZE  24, 103, 148, 167, 171 f., 174, 176, 202, 220, 226, 254, 298, 300, 345 Kubakrise  31, 64 Leningrader Prozess  97–99, 105 Ministerium für Staatssicherheit (MfS) ​ 232 Mudschahedin  235 Namibia-Kontaktgruppe  198 National Association for the Advance­ ment of Coloured People (NAACP) ​ 65, 72 NATO  195, 232, 253 f., 342 NATO -Doppelbeschlusses  196, 233 Neofaschismus  225, 227, 229, 234, 257 Neokonservatismus  29, 219, 241 f., 270, 346 Neue Linke  129 New Deal  15 Newsweek  130 New World Order  321–323, 325, 327 f., 331 f. New York Times  125, 317 Nord-Süd-Kommission  179

382 Operation Desert Storm  322 Organisation of African Unity (OAU) ​ 127, 130, 280 Osloer-Verträge  325 Palestine Liberation Organization (PLO) ​128, 188, 321 Radikalenerlass  141 Recht auf Entwicklung  12, 16, 26, 200, 202, 237 f., 257–259, 269, 306, 335, 340 Recht auf Wahrheit  15 Refuseniks  82, 94, 97, 101, 105 f., 128, 298 religiöse Intoleranz  22, 35, 72, 74 f., 78–80, 188, 258, 279, 302 Responsibility to Protect  11, 342 Right to Leave  93, 96 f., 105, 259, 288 Rockefeller Kommission  128 Rote Armee Fraktion  142 Rote Khmer  125, 136, 183–186 Royal Commonwealth Society  99 Scharia  332 Sechstagekrieg  51, 80, 93, 258 Selbstbestimmungsrecht der Völker  16, 26, 223, 259 Soft Power  21, 147, 176 Solidarność  228, 231, 235, 248, 255 Sonderberichterstatter  285, 329 Status of Women  16 Terrorismus  143 UNESCO  87, 268

Register

UN-Finanzkrise  270, 292, 296, 299,

307

UN-Informationszentrum  90–92, 204

United Nations Development ­Programme ​342 United Nations Information Departments  212 Ureinwohner  225, 228, 243, 340 US -Kongress  104, 117, 125, 242, 246, 256, 264, 266 f., 269, 321, 325

Verschwindenlassen  257, 271, 279, 285 Vietnamkrieg  51, 80, 125, 169 Völkermord  183, 186, 329 Warschauer Vertragsorganisation (WVO) ​ 27, 80, 195, 231, 236, 253, 293 Washington Post  125, 212, 303 Watergate Affäre  117, 124 Weltfrauenkonferenz in Mexico-Stadt ​ 17, 239 Weltfrauenkonferenz in Nairobi  238 Wiener Weltmenschenrechtskonferenz ​ 11, 14, 17, 336 wissenschaftlich-technischer Fortschritt im Interesse des Friedens  229 World Jewish Congress  63 Zionismus  127–129, 131, 142, 212, 239, 320 Zionismus-Resolution  130–134, 136, 142, 169, 177, 314, 320, 324 f. Zweiter Golfkrieg  323 f. Zweiter Weltkrieg  10, 47, 322 Zypernkonflikt  249, 273