Kommunale Leistungsverwaltung im 19. Jahrhundert: Frankfurt am Main unter Mumm von Schwarzenstein 1868 bis 1880 [1 ed.] 9783428484577, 9783428084579

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Kommunale Leistungsverwaltung im 19. Jahrhundert: Frankfurt am Main unter Mumm von Schwarzenstein 1868 bis 1880 [1 ed.]
 9783428484577, 9783428084579

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ANDREA FISCHER

Kommunale Leistungsverwaltung im 19. Jahrhundert

Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 65

Kommunale Leistungsverwaltung im 19. Jahrhundert Frankfurt am Main unter Mumm von Schwarzenstein 1868 bis 1880

Von Andrea Fischer

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Fischer, Andrea:

Kommunale Leistungsverwaltung im 19. Jahrhundert: Frankfurt am Mainunter Mumm von Schwarzenstein, 1868 bis 1880 I von Andrea Fischer.- Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zur Rechtsgeschichte ; H. 65) Zug!.: Frankfurt (Main), Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08457-8 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 3-428-08457-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 VCl'Wahung

men. 350 Am 23.12.1873 genehmigte auch die Stadtverordnetenversammlung das weitere Darlehen351 Die städtischen Behörden befaßten sich in der Folgezeit nicht nur mit der vorübergehenden Kreditgewährung. Bereits am 20.5.1873 hatte die Stadtverordnetenversammlung die Kreditvergabe davon abhängig gemacht, daß eine gemischte Kommission gebildet werde, die mit Kommissarien der AG über definitive Regelungen des gegenseitigen und statutarischen Rechtsverhältnisses verhandeln sollte. 352 Grundsätzliche Frage für die Kommission war, ob die Stadt aufgrund der finanziellen Probleme der AG die für die Erstellung des Werkes insgesamt noch nötigen Mittel aufbringen solle und unter welchen Bedingungen dies zu erfolgen habe.

bb) Aufbringung der Vollendungskosten durch die Stadt Den Ausgangspunkt der Diskussion um eine definitive Regelung des rechtlichen Verhältnisses der Stadt zur AG bildete das Gutachten der gemischten Kommission vom 29.11.1873,353 das den zur Fertigstellung des Werkes noch benötigten Finanzbedarf auf 1.350.000 f1 bezifferte. Daraus resultierte die Frage, ob die Stadt sich in dieser Höhe für eine private Wasserleitungsgesellschaft engagieren sollte.

(I) Befiirworter

Die gemischte Kommission erwog zur Aufbringung des Betrages a) die Übernahme weiterer Aktien der Serie A durch die Stadt und b) ein Prioritätsanlehen. Hinsichtlich der Art der Geldbeschaffung lehnte sie ein Prioritätsanlehen bei Dritten ab, da "doch eigentlich das ganze Unternehmen der 35°Festschrift der AG 22.11.1873, MA T 1872 ill. 35I StvV 23.12.1873, MA T 1872 ill; MPS 1873 § 756, S. 608. 352 StvV 20.5.1873 StvVP § 292 in: MA T 1872 II; zu den Magistratsdeputierten: 27.5.1873, MA T 1872 II; MPS 1873 § 700, S. 552. Die gemischte Kommission bestand aus: Oven, Graubne~ BrofR (Magistrat) Rumpf, -wolschendorff 1md Maas (StvV). Scharffvertrat die Au. 353 KB 29.11.1873, MA T 1872 ill; gedruckt MPS 1873 § 700, S. 549 ff.

C. Wasserversorgung

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Stadt zum Vorteile gereicht, daß niemand mehr als die Stadt das lebhafteste Interesse an dem völligen Ausbau" 354 hat. Zudem bezögen die Prioritätsgläubiger die besten Einnahmen vorweg. 355 Sie sprach sich darum für die Beschaffung des Kapitals seitens der Stadt aus, wobei sie jedoch sowohl ein Prioritätsanlehen wie auch eine weitere Übernahme von Aktien durch die Stadt ablehnte. Letzteres würde dem Unternehmen den Charakter einer AG nehmen die AG wäre unter städtischer Kontrolle - bei einem Prioritätsanlehen wäre die Stadt Gläubigerin und Schuldnerin zugleich. Sie befürwortete, den Betrag von 1.350.000 f1 als Anzahlung auf den Kaufpreis gegen Zinsen zu 5% zu gewähren. Der Termin zur Einlösung der Aktien B sollte von 1886 auf 1880 vorverlegt werden. Die Eichung des Hochwasserbehälters durch die Baudeputation war jedoch Voraussetzung.356 Der Magistrat beanstandete in seinem Vortrag vom 3.12.1873 die Ausführungen der Kommission nicht grundsätzlich. Geringfügige Änderungen waren: 1. Es solle beim Termin von 1886 bleiben, 2. einem Darlehen stünde nicht entgegen, daß die Stadt Gläubigerin und Schuldnerin in einer Person wäre; die AG sei ein selbständiges Rechtssubjekt. Gegen die von der Kommission befürwortete Aufrechnung auf den Kaufpreis spreche, daß ein Kauf gar nicht in Aussicht stehe. Der Magistrat sprach sich zur Finanzierung für die Übernahme einer entsprechenden Anzahl von Aktien aus, alternativ für ein festverzinsliches Darlehen. Magistrat und gemischte Kommission befürworteten damit die Beschaffung des Vollendungsbetrages von 1.350.000 f1 zur Erstellung durch die Stadt, wobei sie die AG grundsätzlich beibehalten wollten. 357

354 MPS 1873 § 700, S. 551 ; vgl. zur Prioritätsobligation, Heckel/Lotz, "Anleihe", HwbdStw, S. 321. 355 MPS 1873 § 700, S. 551. 356Ebd. 357 Mag. 3.12.1873 StvVA 624· auch abgedruckt, MPS 1873 § 700, S. 552 ff, so auch Magtstrat 6.1.1874, StvVA 624; 10.4. I874, StvVA 624j, vg[ Schäfer, der pauschal von der Gegnerschaft der städtischen Behörden ausgeht, i'Jchäfer, S. 270.

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3. Teil: Bereiche der Lei&lUlgsvenvah\Ulg

(2) Gegner

Die Stadtverordnetenversammlung stimmte dem Kommissionsbericht und den Magistratsvorlagen nicht zu. Eine Spezialkommission358 forderte als Vorbedingung zunächst Auskunft über: 1. Eichung des Hochbehälters, 2. Handhabung der Vertretung in der AG und 3. Zeitpunkt des Betriebsbeginns der AG. Im Protokoll vom 23.12.1873 wies die Stadtverordnetenversammlung darauf hin, daß von einer Betriebseröffnung erst nach übereinstimmendem Beschluß von beiden städtischen Organen ausgegangen werden könne. Eine Betriebseröffnung und die in den Bestimmungen daran geknüpften Rechtsfolgen, z.B. die Zinsgarantie, wollte sie erst akzeptieren, wenn die AG die in den "Bestimmungen" zugesicherte Wassermenge zu liefern in der Lage wäre. 359 Demgegenüber sah der Magistrat die Auflagen der Spezialkommission in keinem Zusammenhang mit der Frage nach der Übernahme der Vollendungskosten. 360 Die Prüfungen durch die Baudeputation erbrachten nicht die geforderte Wassermenge im Hochreservoir. 361 Die Spezialkommission empfahl eine städtische Übernahme der Vollendungskosten in Form eines Darlehens über 1.350.000 fl. Allerdings durfte es die Zinsgarantie in keiner Weise erschweren, war mit 5 % zu vergüten und bis zum 1.7.1879 zurückzuzahlen. Als Gegenleistung wurde von der Aktiengesellschaft verlangt, daß sie der Stadt zum 1. Januar 1875, 1876, 1877 oder 1878 das Recht zuerkannte, das Werk käuflich zu erwerben. Des weiteren mußte sich die AG verpflichten, ohne Zustimmung der Stadt keine Anleihen aufzunehmen.362 Der Vorschlag der Spezialkommission sah keine Zahlung an die AG vor. Er verband mit dem Kredit bereits die Übernahme. An die Ergebnisse der Eichung und den Vorschlag der Spezialkommission knüpften die Debatten der Stadtverordnetenversammlung vom 2./7.4.1874 an. Auf das ungünstige Ergebnis der Eichung verwiesen die demokratischen Par-

358 Zusammensetzwtg: Sonnemann, Kayser, Maas, Rumpf, Wolschendorff, Horkheimer, Ebner, De NeufVtlle 4. 12.1873, StvVA 624. 359 Spezialkommission 23.12.1873, StvVA 624; siehe auch 27.1.1874, StvVA 624.

360Magistrat 6.1.1874, StvVA 624. 36lvgl. Magistrat beauftragt Baudeputation am 24.12.1873 sie soll Eichun1: vornehmen, MA T 1872 ID; 14.fl874/J0.2.1874 Baudeputation zu Ergebnissen der Eichung, MA T 1872 ID. 362 KB 23.3.1874, StvA 624.

C. Wasserversorgtmg

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lamentarier Sonnemann und Wolschendorff. 363 Weiterhin nannten sie das Risiko der Zahlung und vermuteten, daß die benötigte Summe nicht ausreiche.364 Sonnemann unterstellte dabei dem Magistrat, daß er immer auf seiten der Gesellschaft stehe, "stets nur die Interessen der Gesellschaft vertrete". 365 Kayser wollte die Stadt nicht in Verbindlichkeiten verwickeln; wenn das Werk nicht genehmigt werde, könne es auch nichts zurückzahlen. 366 Maas sah als erwiesen an, daß weder die ursprünglichen noch die weiter verlangten Mittel ausreichten. Eine Geldverweigerung begründete er damit, daß die Stadt nicht Initiator gewesen sei, sondern ein provisorisches Comite. 367 In der Abschlußabstimmung wurde eine städtische Zahlung von 1.350.000 tl verweigert und nur der am 24.4.1873 bereits gefaßte Beschluß wiederholt, der die Zustimmung zur Geldaufnahme von 500.000 tl sowie zu einer Erweiterung bis 500.000 Talern gegeben hatte- unter der Bedingung, daß die Zinsgarantie nicht erschwert werde. Überdies empfahl man die Kündigung des bereits gewährten Darlehens von 800.000 tl.368 Die Möglichkeit der Übernahme der Quellwasserleitung in städtische Hand, wie von der Spezialkommission angesprochen, klang in den Beiträgen Knopfs und Wolschendorffs (Demokratischer Wahlverein) an. Erster betonte, daß er damals allein gestanden habe, "heute seien selbst die Aktionäre zur Abtretung bereit. "369 Letzterer wollte dies jedoch so lange zurückstellen, bis das Werk den vereinbarten Wert habe. 370

363 Sonnemann, StvVP 854 (1874 § 169, S. 321; Wolschendorff, ebd., S. 299;

S. 323.

364 Sonnemann, StvVP 854 (1874 § 169. S. 322; Wolschendorff, StvVP 854

(1874) § 169, S. 300.

365 § 169, S. 322. 366 Kayser, StvVP 854 ( 1874) § 172, S. 332 f 367 Maas, StvVP 854 (1874) § 172. S. 336. 344. 368 StvV 7.4.1871z MA T 1872 ID; vgl. Magistrat an AGam 10.4.1870. Er meldet die Ablehmmg, MA 1 1872. 369 Knopf, StvVP 854 (1874) § 169, S. 317. 370Knopf, StvVP 854 (1874) § 169, S. 317; Wolschendorff, ebd., S. 323.

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3. Teil: Bereic:he der Lei&tmg.werwahtmg

(3) Lage der AG Im Anschluß an die Absage der Stadtverordneten an eine städtische Zahlung der Vollendungskosten wies der Magistrat am 10.4.1874 warnend darauf hin, daß das Geld nun seitens der AG anderweitig zu beschaffen sei. 371 Der vom Magistrat angesprochene Fall trat ein. Die AG erhielt in der Generalversammlung von ihren Aktionären die Ermächtigung zur Aufnahme eines Darlehen bis zu 3.000.000 Reichsmark unter günstigsten Bedingungen. Mit Beschluß der Stadtverordnetenversammlung vom 7.4.1874 mußte die AG das Darlehen über 800.000 fl zum 1.5.1874 zurückzahlen. Dieses Geld sowie die weitere zur Fertigstellung der Quellwasserleitung nötige Summe von insgesamt 1.400.000 fl (2.400. 000 Mark) wurde als Prioritätsanlehen unkündbar auf drei Jahre bei 5 % Verzinsung unter Vergütung einer Provision von 3 % an die Garanten ausgegeben.372 Mit der Gewährung eines Prioritätsanlehens war die vom Magistrat befiirchtete Verschlechterung der Stellung der Aktionäre eingetreten. 373 Hinsichtlich dieser Aufnahme mehrten sich folglich kritische Stimmen in der Stadtverordnetenversammlung wie die Neubürgers, der die Rechtmäßigkeit des Beschlusses in Frage stellte. 374 Zudem war die von der Stadtverordnetenversammlung geforderte Übermittlung ihres Beschlusses vom 7.4.1874 durch den Magistrat an die AG in der Kürze der Zeit nicht möglich gewesen. 375 Städtischerseils wurde der AG trotz der erfolgten Ablehnung der Zahlung von 1.350.000 fl wiederum Geld zur Verfugung gestellt. In Verhandlungen bestimmten die städtischen Gremien, daß Obligationen der Prioritätsschuld im Betrag von 600.000 Mark (350.000 fl) vorerst nicht begeben werden sollten. Gegen Deponierung dieser Aktien gewährte die Stadt einen Vorschuß in der vollen Höhe des Betrages zu 5 % per annum und einer dreimonatigen Kündigungszeit 376 37 1Mag.1 0.4.1874, StvVA 624; vgl. auch bereits so 4.3.1874, StvVA 624. 372 AG Bericht erstattet in der V. Generalversammlung 4.2.1875, MA T 1872 ill. 373MPS 1873 § 282, S. 225. 374 Neubürger, StvVP 854 (1874) § 186, S. 385; siehe ebd., den Beitrag von Scherlenzky. 375 StvV 14.4.1874, MA T 1872 ill; Magistrat 18.4.1874, MA T 1872 ill. 376 Aktiengesellschaft Frankfurter Quellwasserleitunf. Berichte erstattet in der V. Generalversammlung 4.2.1875_. MA T 1872 Il1 v . AG an Magistrat wegen fl. 350.000 = 600.000.--Mark, L-2.9.1874, MA t 1 72 ill; Zustimrnun__E StvV 29.9.1874, MA T 1872 In; Zustimmung Magistrat 2.10.1874, MA T 1872 ill; siehe auch Neubürger StvVP 854 (1874) § 240, S. 495, dem unverständlich ist, daß steh die Stadt an dem Anlehen beteiligt. · ·

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Somit läßt sich feststellen, daß die AG zusätzlich zum Aktienkapital von 3.150.000 fl Obligationen im Werte von 1.400.000 fl (2.400.000 M) an private Interessenten ausgab. Obligationen in Höhe von 350.000 fl hielt die AG zurück. Die Stadt erklärte sich bereit, darauf ein Darlehen bis 350.000 fl . zu gewähren. Wiederum, wie 1873, hatte sie damit nur ein Teildarlehen zur Verfügung gestellt. Über den Fortgang der Bau- und Abschlußarbeiten und die weitere finanzielle Entwicklung wird an späterer Stelle berichtet, da diese Fragen im Zusammenhang mit der Kommunalisierung der Quellwasserleitung ihren Abschluß fanden.

2. Beziehung zu städtischen/staatlichen Behörden Das Verhältnis der städtischen Organe zur AG wurde auch durch die Einflußnahme staatlicher Behörden mitbestimmt. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob sich die Stadt zugunsten der AG bei staatlichen Behörden engagierte.

a) Genehmigung des Unternehmens

Bereits in seinem Schreiben vom 30.6.1869 äußerte der Oberpräsident sein Wohlwollen hinsichtlich der geplanten Wasserleitung.377 In einem am 29.4.1870 dem Magistrat übermittelten Schreiben an den Oberpräsidenten wies das Comite zur Gründung einer Quellwasserleitung den Oberpräsidenten auf folgende staatliche Erfordernisse hin: I. Genehmigung des Projekts, 2. allgemeine Konzession zur Ausführung, 3. Gestattung der Benutzung von Staatsstraßen zum Legen der Röhren, 4. Anwendung des kurhessischen Enteignungsgesetzes sowie 5. für den Fall der Durchführung durch ein Privatunternehmen, die Erlaubnis zur Bildung einer Aktiengesellschaft. Diesbezügliche Anträge wurden gestellt. 378 377 MA T 1872 I, S. 45. 378Text des Schreibens an den Obe~räsidenten, MA T 1872 I, S. 193 ff; die Anträge finden sich, S. 198 RS; vl!l. auch Ubermittlung der Anträge durch die Gesellscliaft an die Stadt 29.4.1870. MA T 1872 I S. 135 ff: es finden sich gerin~ge Unterschiede; vgl. AG im Januar 1870, HStA Wiesbaden Abt. 405 Nr. 6063, S. ß. -

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3. Teil: Ber-eiche der Leist=s,werwahWlg

Die Frankfurter Quellwasserleitung stellte aufgrund ihrer räumlichen Anforderungen im Hinblick auf Konzessionen eine Besonderheit dar. Grundsätzlich war die Errichtung eines Wasserwerkes nicht genehmigungspflichtig. Die Gewerbeordnung kannte kein Genehmigungserfordernis. Im Interesse der öffentlichen Gesundheit unterlagen Trinkwasserleitungen lediglich bezüglich Art und Benutzung der gesundheitlichen Aufsicht des Kreis- bzw. Stadtarztes.379 Mit Schreiben vom 2.5.1870 teilte der Oberpräsident dem Magistrat mit, daß es fordertich sei, wenn dieser sich den Anträgen des Comites anschließe.380 Eines formellen Anschlusses bedurfte es laut Schreiben vom 4.5.1870 aber erst nach Vollendung der Instruierung, wenn die Angelegenheit in Berlin vorgelegt würde. 381 Diesem Briefwechsel zufolge verwandten sich die städtischen Behörden fur die staatliche Genehmigung des Projekts. Gegen die vom Comite gestellten Anträge wurden seitens des Oberpräsidenten bzw. der Regierung keine Bedenken geäußert. "Von seiten des letzteren (gemeint ist der Oberpräsident) und der sonstigen mit der Sache befaßt gewesenen Staatsbehörden sind unsere Anträge in so außerordentlicher Weise gefordert worden, daß uns bereits durch Erlaß des Herrn Oberpräsidenten vom 30. Mai der vollkommen befriedigende Abschluß dieser Verhandlungen angezeigt werden konnte. "382 Die Genehmigung im einzelnen als Angelegenheit des Privatunternehmens AG soll nicht Gegenstand vorliegender Darstellung sein. Mit Schreiben vom 26.1l.l870 teilte die Quellwassergesellschaft dem Oberpräsidenten mit, daß sie der königlichen Regierung - Abteilung direkte Steuern, Domänen und Forsten- ihre Konstituierung und Eintragung nachgewiesen habe. 383

379 § 2 Landes-Medizinalpolizei vom 23.10.1817; v_gl. dazu Buck, S. 146; zu den juristischen Grundlagen der Wasserversorgung vgl. Koch, Wasserleitung, S. 32 ff 380oberpräsidium 2.5.1870, MA T 1872 I, S. 214. 381 Oberpräsidium 4.5.1870, MA T 1872 I, S. 215. 382 Praes. am 4.6.1870, MA T 1872 I, S. 272 VIRS; siehe auch AG an Regierung am 3.3.1871, HStA Wiesbaden Abt. 405 Nr. 2847, S. 3. 383 AG 26.11.1870 T 1872 1, S. 330.

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b) Enteignungen

Schwerpunkt des Schreibens vom 26.11.1870 war die für die AG wesentliche Frage der Expropriationen. Der Enteignung des für die Quellwasserleitung notwendigen Grund und Bodens standen die politischen Gegebenheiten im Wege. So lagen die Quellen in Fischborn auf großherzoglichdarmstädtischem Gebiet. Für den Verlauf der Vogelsherger Leitung, die auf vormals kurfürstlichem Gebiet verlief, waren Verhandlungen mit der preußischen Regierung erforderlich. Die Quellgebiete im Kassel- und Eiebergrund hingegen unterlagen bis 1866 bayrischem Recht. Hinzu kamen notwendige Grunderwerbungen im Gebiet des ehemals freistädtischen Frankfurt. Zwar kannten alle Landesverwaltungen Enteignungsgesetze, ihre Gültigkeit war jedoch durch die Annexionen in Frage gestellt. 384 Da die Vorbereitung der Enteignungsverfahren in den Aufgabenkreis der AG fiel und der Magistrat insoweit nur unterstützend tätig war, soll nachfolgend lediglich die Übernahme und Anpassung des Frankfurter Enteignungsgesetzes als Voraussetzung für die Enteignung in Frankfurt skizziert werden.3 85 Auf die Dringlichkeit der Anpassung und Notwendigkeit von Zwangsenteignungen im Gebiet Frankfurt wies bereits Graf Eulenburg, der Innenminister, hin und schlug deshalb eine Übertragung von § 3 des Frankfurter Enteignungsgesetzes vom 8.6.1866 nebst Abänderung vor. 386 Nach bisheriger Rechtslage konnte eine erzwungene Abtretung nur durch gerichtliche Entscheidung infolge eines auf Antrag des Senats erlassenen besonderen Gesetzes verfügt werden. 387 Als hinderlich wurde dabei die Notwendigkeit des Erlasses weiterer Spezialgesetze angeführt.388 Ein Entwurf sah die grundsätzliche Übernahme des Frankfurter Gesetzes von 1866 vor. An die Stelle von § 3, der

384 Schäfer, S. 264. 385 Vgl. fur die anderen Gebiete u.a. Erlaß vom 18.5.1870, der das kurhessische Enteignun_gsgesetzfuranwendbarerklärt: vgl. Schreiben AG 26.1l.l870 MA T 1872 I, S. 330.; stehe auch Holthof, Quellwasserlettung, zu den bayrischen Enteignungen, S. 101.

386 Eulenburg 4.2.1870, MA T 1872 I, S. 327; 26.11.1870 MA T 1872 I, S. 330. 387 Gesetz- u. StatutenS, Bd. 16, 1866, S. 357, 358.

388 Eulenburg 4.2.1870, MA T 1872 I, S. 327; vgl. auch Schreiben der AG vom 26.11.1870, MAT 1872 I, S. 330 hilfsweise wurde die Anwendung des Gesetztes über erzwungene Abtretung von unbeweElichem Eigentum vom 11.11.1856, Gesetz- u. StatutenS, Bd. 14, 1856-1861, S. 9 fbeantragt. § 3 ist identisch mit § 3 des Gesetzes von 1866.

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3. Teil: Bereiche der Leistlmgsverwahung

ein Gesetzeserfordernis ausgesprochen hatte, sollte die gerichtliche Erkenntnis infolge einer königlichen Verordnung treten.389 Das Gesetz betreffend das Expropriationsverfahren in der Provinz Hannover und im Gebiet der vormals freien Stadt Frankfurt a.M. vom 12.3.1871 erklärte das Gesetz von 1866 für anwendbar und reduzierte das Erfordernis einer königlichen Verordnung auf einen königlichen Erlaß. 390 Dieser Voraussetzung im Hinblick auf die Frankfurter Quellwasserleitung entsprach der König mit dem Erlaß vom 3.6.1871, der den geänderten§ 3 in der Form des Gesetzes vom 12.3.1871 "auf die for die Zwecke der gedachten Aktien-Gesellschaft erforderlichen Entäußerungen im Gebiete der vormals Freien Stadt Frankfurt" 391 zur Anwendung brachte. In den Motiven wurde der gemeinnützige Charakter des Unternehmens betont, dessen Beschleunigung im öffentlichen Interesse liege. Des weiteren wurde darauf hingewiesen, daß auch für andere Unternehmen wie die Main-Kanalisation binnen kurzem dasselbe Bedürfnis eintrete. Die Motive betonten die 1/3 Beteiligung und die Übernahme der Zinsgarantie durch die Stadt. 392 Das Recht der Expropriation übermittelte der Polizeipräsident. 393 Der Magistrat verwandte sich Ende 1873 für weitere legislative Schritte zum Schutz der Quellwasserleitung. 394 Zur Begründung brachte die Stadt folgendes vor: " ...der von der früheren RechtsprechWig adoptierte Satz, daß der Eigenthümer der Quelle über deren BenutZWig Wld AbleitWig zu verfugen habe, ist neuerlich von dem königl. Appellationsgericht zu Cassel aufgegeben" 395

worden. Die Stadt ging davon aus, daß, obgleich alle Klagen hinsichtlich der Wasserabführung im Wege des Vergleichs erledigt waren, die Regierung Verfügungen und Anordnungen zum Schutze der Quellwasserleitung erlassen

389Entwwfder AG, MA T 1&72 I, S. 333.

390 Oven, Bd. 1, S. 92. 391 Erlaß 3.6.1871 im Schreiben des Polizeipräsidenten vom 28.6. 1871 , MA T 1872 li; vgl. noch Gesetz über die Wahl von Gescbworenen zum EnteignWigsverfahren vom 5 . 1.1~70, PGS 1870, S. 17. 392 HStA Wiesbaden Abt. 405 Nr. 6063, S. 55f

393 28.6.1&71 , MA T 1872 li. 394 Magistrat 16.10.1873/8.12.1873/ 16.12. 1873117.12.1873, MA T 1872 ID. 395 M!Jllllll 16.10.1873 an Eulenburg, GSt~ Merseburg, R~. 77, Ministerium des Innem, T1t. 683 Nr. 9 Bd. 2, BI. 143, Konzept m: MA T 1&72 IIl.

C. Wasserversorgung

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würde. 396 Dies um sicherzustellen, daß keine neuerlichen Entschädigungsansprüche geltend gemacht werden. 397 Das Ministerium sah darin ein Mißverständnis. Es wollte legislative Schritte nur dann in Betracht ziehen, wenn die Wasserleitungsgesellschaft durch die angestrengten Prozesse gefährdet wäre, 398 nicht aber, wenn der Schutz der bestehenden Gesetze durch die Rechtsprechung ausreichte. 399 Dies sah es aufgrund der Mitteilung der AG, daß alle Klagen im Wege des Vergleichs beseitigt seien, als gegeben an. 400

c) Zusammenlegungen Lediglich am Rande gab es Berührungspunkte zwischen der Regierung und den städtischen Behörden in der Frage der Quellwasserleitung. Sie betrafen das Erfordernis der Genehmigung durch die Regierung bei Zusammenlegungen gemäß § 4 Nr. 1 GemVG. Betroffen waren Grundstücke in der Bornheimer Gemarkung. Nachdem sich die Stadtverordnetenversammlung einverstanden erklärt hatte, gab auch die Regierung die nachgesuchte Genehmigung40I Die Regierung übermittelte auch eine Anfrage des Finanzministers nach Vergünstigung des Wasserbezuges für preußische Dienstgebäude.402 Am 14.8.1874 antwortete der Magistrat, daß keine Vergünstigung der staatlichen Wasserversorgung bestehe. 403

396 Ebd., S. 143 RS; vgl. auch Mumm 17.12. 1873, GStA Merseburg, Rep. 77, Ministerium des Innem, Tit. 683 Nr. 9 Bd. 2; Konzept in: MA T 1872 ill. 397 Mumm 16.10.18~", GStA Merseburg, Rep. 77, Ministerium des Innem, Tit. 683 Nr. 9 Bd. 2, BI. 143 rus. 398 Votum des Ministeriums fiir landwirtschaftliche Angelegenheiten an Eulenburg 24.12. 1873, GStA Mersebur_g, R~. 771. Ministerium des Inilem, Tit. 683, Nr. 9 Bd. 2; siehe auch ders. 8.12. 1873, MA T 187L. ill. 399 Ministerium 16. 1.1874, MA T 1872 ill; vcl. Konzept in: GStA Merseburg, Rep. 77, Ministerium des Innem, Tit. 383 Nr. 9 Bd. "2. 400 AG 16.11.1873, MA T 1872 ill; vgl. Schreiben 16.1.1874. MA T 1872 ill. 401 StvV 6.6. 1871, MA T 1872 0; Regierung 14.6.1871, MA T 1872 0 . 402 10. 7.1874, HStA Wiesbaden, Abt. 405 Nr. 2847, S. 12 f 403 Ebd., S. 14.

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3. Teil: Bereid!e der LeishmgsverwahlDlg

d) Polizeiverordnung Berührungspunkte zwischen städtischen Behörden und Polizeipräsidium ergaben sich aus dem Wunsch der AG, die Quellwasserleitung unter den Schutz einer Polizeiverordnung zu stellen. Sowohl Regierung als auch Magistrat hatten keine Bedenken404 - letzterer besaß nur ein Beratungsrecht -, so daß gemäß § § 5, 6 der preußischen Verordnung vom 20. 9.1867 die Polizeiverordnung am 12.7.1874 erging. Sie stellte Beschädigungen an der neuen Wasserleitung und allem Dazugehörigen sowie jede den Betrieb störende Handlung unter eine Geldbuße von 1-10 Talern bzw., im Falle des Unvermögens, unter eine Haftstrafe, sofern das StGB keine höheren Strafen vorsah. 405 Neben die Unterstützung durch Oberpräsidium, Staatsministerium und Regierung trat damit der Schutz durch eine Polizeiverordnung.

IV. Kommunalisierung Die Bereitschaft von Teilen der Stadtverordnetenversammlung zur Übernahme der Quellwasserleitung war unter der Leitung der AG nicht verstummt, sondern war im Rahmen der Problematik des Vollendungskredits wiederholt aufgetaucht. Fraglich ist, warum 1874 im Gegensatz zu 1870 eine Kommunalisierung angestrebt, und welche rechtliche Ausgestaltung dafiir gewählt wurde.

1. Kommunalisierungsbereitschaft

Die grundsätzliche Frage der Übernahme der Wasserversorgung durch die Stadt diskutierten Stadtverordnete und Magistrat im Rahmen der Frage nach der Übergabe der alten Quellwasserleitungen. Umstritten war, ob die Eröffnung des Wasserwerks eingetreten sei, was die Übergabe der alten Wasserleitungen an die AG zur Folge gehabt hätte.

404 Polizeipräsidium nennt Zustiirummg der Regierung 4. 7.1874, MA T 1872 m. 405 Amtsblatt 24. 7.1874, S. 173-174.

C. Wasserversorgung

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a) Städtische Organe Hatte der Magistrat bislang eine Kommunalisierung nicht in Erwägung gezogen und als noch nicht wünschenswert bezeichnet, so bewertete Mumm in der Stadtverordnetenversammlung am 23.6.1874 eine Vereinbarung für die Übernahme des Werkes als vernünftig. Beabsichtige man dies, so dürfe man aber nicht die wohlbegründeten Ansprüche der AG abweisen. Hintergrund der ablehnenden Stellungnahme der Stadtverordnetenversammlung in der Frage der Übergabe der alten Wasserleitungen sei die Furcht, daß damit ein Präjudiz für die Zinsgarantie geschaffen werde, was aber nicht zuträfe. 406 Sonnemann betonte demgegenüber, daß die Gesellschaft ihre Verbindlichkeiten nicht erfüllt habe. "Am liebsten würde er es sehen, wenn die ganze Wasserleitung unter billigen Bedingungen an die Stadt" übergehe.407 Jetzt sei der geeignete Zeitpunkt für Verhandlungen. "Es sei zu erwarten, daß auch die Gesellschaft sich entgegenkommend verhalten werde. n408 Varrentrapp betonte, daß das Werkaufgrund von notwendigen Vergrößerungen eigentlich nie zu vollenden sei. Wenn die Stadt das Werk kaufen wolle, solle man der Gesellschaft keine Schwierigkeiten machen. 409 Ebner bezeichnete das Werk als rentabel und befürwortete deshalb die Einleitung von Verhandlungen.410 Neben den o.g. Gründen für die Kommunalisierung war eine weitere Motivation für die städtischen Organe bestimmend. Am 30.6.1874 hatte der Polizeipräsident über Typhuserkrankungen und die schlechte Beschaffenheit des Brunnenwassers berichtet. 43 Todesfälle waren bereits eingetreten. Die Angst vor einem Umsichgreifen der Krankheit machte das Schließen der von schlechtem Wasser gespeisten Brunnen erforderlich. Scherlensky forderte darum, "öffentliche Brunnen sollen durch Vogelsherger Wasser gespeist werden. n4ll Sonnemann plädierte darüber hinaus für die obligatorische Einführung in allen Haushalten. 412 Die Bedeutung einer funktionierenden Quell406 Mwrun in: StvV, StvVP 854 (1874) § 379, S. 724 ff; vlrl. auch die Position des Magistrats hinsichtlich der älteren Wasserleitungen 24.4.1874, 1.6.1874, 26.6.1874. MAT 1872ill. 407 Sonnemann, StvVP 854 (1874) § 379, S. 730. 408 Sonnemann, StvVP 854 (1874) § 379~ S. 731: siehe auch Neubürger ebenfalls mit Hinweis aufgünstige Bedingungen ebd., ~- 733. 409 Varrentrapp ebd., § 379, S. 733 ff. 410Ebner ebd., § 379, S. 739; so auch Ladenburg ebd., S. 740. 411 Scher1ensky, StvVP 854 (1874) § 382, S. 753; vgl. Maly, S. 93. 412 Sonnemann, StvVP 854 (1874) § 382, S 752.

216

3. Teil: Bereid:te der Lei&ung.werwahung

wasserversorgung wurde den Stadtverordneten somit in ihrer Dringlichkeit deutlich. Am 2. 7.1874 stimmten sie deshalb einem Magistratsantrag zu, eine gemischte Kommission zu bilden, die mit der AG zwecks Abtretung ihres Wasserwerks an die Stadt in Verbindung treten sollte. 413

b) Quellwasserleitungs AG

Für die AG, die am 4.2.1875 gezwungenermaßen ihren Antrag auf Übernahme durch die Stadt stellte, resultierte die städtische Bereitschaft zur Übernahme aus der Erkenntnis um die große Bedeutung der Wasserversorgung für die Stadt. Dazu habe Frankfurt die schwierige Lage der AG planvoll genutzt. Als wichtigsten Differenzpunkt mit der Stadt bezeichnete die AG die Verweigerung der Anerkennung der Eröffnung der Quellwasserleitung und, daraus resultierend, die Verweigerung der Zinsgarantie nach § 6 der Statuten und der Übergabe des alten Röhrennetzes. Auch die Vorenthaltung des städtischen Wassergeldes in Höhe von 50.000 f1 wurde gerügt. Die AG führte die Kostensteigerung im Verlauf der Bauarbeiten auf die Vergrößerung der Anlage im Interesse der Stadt zurück. Von der Erreichung ihrer Rechte im Weg des Prozesses wollte die AG jedoch absehen. 414 Sie fügte sich vielmehr in die Übernahme.

2. Übernahmevertrag

a) Zustandekommen

Die Ausarbeitung des Übernahmevertrages vollzog sich weitgehend in Kommissionen. Den ersten Entwurf erarbeitete am 10.8.1874 die bereits erwähnte Gemischte Kommission 415 Sie empfahl die Übernahme. Einem Sepa413 Beschluß der StvV 2. 7.1874 § 401, in: MA T 1872 m. Deputierte der StvV waren Sonnemann, Rumpf und Heussenstamm. Am 7.7.1874 bestunmte der Magistrat Passavant, Strauß und Mumm zu Deputierten, MA T 1872 ill. 414 "Actiengesellschaft Frankfurter Quellwasserleitung Berichte erstattet in der V. Generalversammlung am 4. Februar 187)", MA T 1872 m. 415 KB

MA T 1873 I, S. 10.

C. Wasserversorgung

217

ratvotum Heussenstamms416 widersprach der Magistrat; es könne bewirken, daß die AG sich zum Behalt des Werkes entschließe. 417 Der auf Antrag Sieberts zustandegekommene Beschluß der Stadtverordnetenversammlung akzeptierte den Entwurf der Gemischten Kommission als Grundlage. Ergänzend dazu sollte eine Zusammenstellung der Finanzlage erfolgen. 418 Am 12.12.1874 erstattete die Gemischte Kommission ausführlichen Bericht. Ihre Vorschläge empfahl sie mit folgenden Bemerkungen "überzeugt, daß bei Ausfiihnmg der vereinbarten BestimmWlgen das Werk der Frankfurter Quellwasserleitung immerhin Wlter solchen Verhältnissen in den Besitz der Stadt übergeht, welche die gedeihliche AusnutzWlg derselben fiir die Zwecke Wlseres Gemeinwesens gestatten Wld sichern, während beim Mangel einer Einigwtg der sofortige Ausbruch Wlerquicklicher, die städtischen Interessen unter allen Umständen schädigender Streitigkeiten von Wlberechenbarer Tragweite zu befiirchten stände. u419 Der im Anhang vorgelegte Entwurf der Bedingungen420 bildete die Grundlage des Vertrages, in den noch Abänderungen der Juristenkommission einflossen. 421 Die städtischen Organe und die Generalversammlung billigten den Übernahmevertrag. 422 Seine Ausarbeitung vollzog sich damit weitgehend ohne Beteiligung der AG.423

416 12.8.1874, MA T 1873 I, S. 16 ff. 4 17 14.8.1874, MA T 1873 I, S. 22. 4 ~ 8 18.8)874, StvVP 855 (1874) § 48~ S. 133; siehe dort auch Antrag Siebert; der Magistrat stliDinte am 21.8.1874 zu, MA 1 1873 I, S. 25 RS. 419 KB 12.12.1874, MA T 1873 I, S. 28 V/RS.

420 MA T 1873 I, S. 43 ff. 421 Bericht Juristenkommission eingesetzt durch StvV-Beschluß vom 15.12.1874,

MA T 1873 I, S. 53.

422 Zustimmung Mag. 29.12.1874, MA T 1873 J..S. 51 RS; StvVP 29.12.1874 § 795 in: MA T 1873 I, S. 67; GeneralversammlWlg, lVlA T 1873 I, S. 56. 423 Vgl. AbändefWlgsantrag der AG 8.2.1875, MA T 1873 I, S. 15.

218

3. Teil: Bereiche der Leistlmgsvawahung

b) Inhalt

Gemäß Nr. I der Bestimmungen der Übernahme der Frankfurter Quellwasserleitung durch hiesige Stadt vom 9.2.1875 424 übernahm die Stadt spätestens am 31.12.1875 alle Frankfurter Quellwasserleitungs-Aktiva. Nr. IIl der Bestimmungen sah als Vollendungstermindenselben Zeitpunkt vor; auf Antrag war eine Terminverlängerung von sechs Monaten möglich. Die Kosten für Neubau und Grunderwerbungen beliefen sich nach Nr. II auf 541.000 fl. Sie durften von der Gesellschaft nur um 150.000 f1 überschritten werden. Nr. li legte zudem die von der Stadt zu übernehmenden Passiva fest, u.a. die Prioritätsschuld von 1.400.000 f1 .425 Gemäß Nr. IIl bestand für die Gesellschaft die Verpflichtung, das Werk auf eine tägliche Leistung bis zu 800.000 cbf zu bringen. Der Nachweis sollte gemäß Nr. IV durch den Einlauf von 600.000 cbf im Hochreservoir binnen 24 Std. erbracht werden. Gemäß Nr. V hatte die Stadt gegen Übergabe des Werkes einen dem Aktienkapital entsprechenden Betrag von 3.150.000 f1 mit laufenden Zinsen ab dem 1. Januar an die Gesellschaft zu zahlen. Sollte das Wasserquantum 600.000 cbf unterschreiten, so war damit eine Verminderung des Kaufpreises verbunden. Nr. V enthielt des weiteren eine Aufzählung der auf die Stadt übergehenden Aktiva. Im Gegenzug übernahm die Stadt alle Verbindlichkeiten. Kontinuität wurde dadurch gesichert, daß die Stadt in den Dienstvertrag mit dem Bauinspektor eintrat und die Gebrauchsordnung sowie der Wassergeldtarif bis auf weiteres bestehen blieben. Gemäß Nr. VI hatte die Gesellschaft nach erfolgter Zahlung in Liquidation zu treten. Sofort nach Genehmigung der Übernahmebestimmungen stellte die Stadt der AG u.a. 350.000 f1 zinsfrei als Gegenwert des nicht gegebenen Teils des Prioritätsanlehens zur Verfügung. Die von der Stadt vorgeschossenen Beträge waren dabei in Abzug zu bringen. Zu den zinsfrei zur Verfügung gestellten Beträgen gehörten auch Deckungsmittel zur Befriedigung von Entschädigungsansprüchen. Nr. VIII 1) entsprach einer langjährigen Forderung der AG: Mit Genehmigung der Bestimmungen gingen die alte Wasserleitung sowie das Hochreservoir bis zur Übergabe in die Benutzung der Gesellschaft über. Gemäß Nr. VIII

424 Anzeigeblatt 1875, MA T 1873 I, S. 73 ff; vgl. auch KB 24.4. 1876, StvVA 624. 425 Vgl. Zur Rückzahhmg durch die Stadt, AG 27.3.1877, MA T 1872 V; AusgleichlUlg nahm die Rechneikasse vor, so Magistrat 3.4.1877, MA T 1872 V.

C. Wasserversorgung

219

2) entfiel eine Zahlung des Wassergeldes. Der letzte Absatz von Nr. VIII regelte den Gefahrübergang auf die Stadt mit Genehmigung der Bestimmungen. Die wichtigsten Posten der nunmehr von der Stadt erbrachten Leistung waren: Die Prioritätsschuld in Höhe von 1.400.000 fl, die Übernahme der von ihr geleisteten Vorschüsse, die Kosten für Neubau und Grunderwerbungen in Höhe von 541.000 f1 und außerdem die Rückzahlung aller Aktien also 3,15 Millionen fl.

3. Übernahme

Eng mit der Frage der Übernahme verknüpft war das Problem, wann die Quellwasserleitung als vollendet anzusehen sei und welche Ausgestaltung die städtische Verwaltung der Quellwasserleitung aufweisen sollte.

a) Vollendung

Die Vollendung der Quellwasserleitung war gemäß Nr. III der Bestimmungen für den 3l.l2.1875 vorgesehen. Zu diesem Zeitpunkt qualifizierte der Magistrat das Werk noch als unvollendet - Nebenarbeiten wie gärtnerische Anlagen waren noch nicht fertiggestellt - und verlängerte die Frist bis zum 1.5.1876. 426 Gemäß den Beschlüssen der städtischen Organe sollte der im Juli 1874 eingesetzten Kommission auch die Prüfung der Abnahme obliegen.427 Am 28.4.1876 teilte die AG neuerlich die Vollendung mit. Die BauDeputation nahm eine Prüfung vor. 428 Als Berichterstatter der Gemischten Kommission teilte Sonnemann mit, daß keine Bedenken bestünden. 429 Fristgerecht zum 1.5.1876 war die Vollendung eingetreten. Am 16.1.1877 stimmte

42631.12.1875, MA T 1873 I, S. 89 RS. 427 28.2.1876 MA T 1873 I, S. 98~ 24.4.1876, MA T 1873 I, S. 162 ff. siehe oben Kapitel IV I azurKommissionvon la74. 428Bericht 18.5.1876, MA T 1873 I, S. 211. 429 28.5.1876. MA T 1873 I, S. 237.

220

3. Teil: Bereiche der LeistWlgsverwahWlg

die Stadtverordnetenversammlung der Übernahme der Quellwasserleitung durch die Stadt rückwirkend zum 1.5.1876 zu.430

b) Regulativ der Quellwasserleitungsdeputation Seit dem 1.5.1876 befand sich die Quellwasserleitung in städtischer Hand. Bis 1882 galten die Wasserwerke in Preußen jedoch nicht als gemeinnützige Anlagen, die der Versorgung mit hygienisch einwandfreiem Wasser dienten, sondern vielmehr als gewinnbringendes Geschäft und folglich als kommunalsteuerpflichtige Gewerbebetriebe. 431 Mit der Übernahme 1876 trat aber anstelle der privaten Firmenleitung die kommunale Führung; ihre rechtlichen Grundlagen sind nachfolgend darzustellen.

aa) Entstehung Oberbürgermeister Mumm verfaßte den Entwurf für ein Regulativ betreffend die provisorische Einführung einer Deputation für die Quellwasserleitung selbst. 432 Das auf seinen Vorschlägen basierende Regulativ erging am 6.2.1877. Die Stadtverordnetenversammlung hatte es am 16.1.1877 genehrnigt.433 Aufgrund von § 3, der die Tätigkeit eines Technikers zum Gegenstand hatte, zog die Stadtverordnetenversammlung das Regulativ am 13.2.1877 wieder in Zweifel. Zusätzlich sollte eingefügt werden, daß der Techniker über eine beratende Stimme verfüge, und daß die Zustimmung der Stadtverordnetenversammlung zu einer Geschäftsordnung für dessen Arbeitsgebiet erforderlich sei. 434 Am 13.3.1877 erklärte die Stadtverordnetenver430 StvVP vom 16.1.1877, in: MA T 1873 II, S. 56. Die StvV erklärte sich damit einverstanden, 177.600 M fiir Aktien, die noch im Privatbesitz sind, zu zahlen. 431 Zur Befreiung der städtischen Wasserwerke von der Gewerbesteuer bzw. der Konummalsteuer, OVG 11.10.1883, Preußisches Verwaltun~blatt 5 (1883/84), S. 123 f; vgl. hierzu auch: Oerlel, S. 317; Krabbe, Kornmunalpohtik, S. 24. 432 Munun an die Stadtverordnetenversammlung 17.11.1876, MA T 1873 II, S. 46; entworfener Text, S. 48. Er war weitgehend identisch mit dem angenommenen Regulativ. Lediglich § 4 fehlte. 433 MA T 1873 II, S. 56. 434 MA T 1873 II, S. 62 ff.

C. W asserversorglDlg

221

sammlungihre nachträgliche Zustimmung zu§ 3,435 nachdem der Magistrat zugesichert hatte, daß die Geschäftsordnung ihrer Zustimmung bedürfe. 436

bb) Inhalt und Geltungszeitraum Gemäß § 1 des Regulativs betreffend die provisorische Einsetzung einer Deputation fur die städtische Wasserleitung437 setzte sich die neu gebildete Deputation aus einem Mitglied des Magistrats, einem der Stadtverordnetenversammlung sowie einem Vertreter der Bürgerschaft zusammen, wobei gemäß § 2 das dem Magistrat angehörende Mitglied, das den Vorsitz fuhrte, ernannt, die übrigen auf drei Jahre gewählt wurden. Gemäß § 3 wurden der Deputation ein Techniker sowie Unterbeamten beigegeben. Die Ausgestaltung des Geschäftskreises des Technikers sollte einer künftigen Geschäftsordnung vorbehalten bleiben. § 4 legte fest, daß das Regulativ spätestens am 31.12.1879 außer Kraft treten sollte. § 5 enthielt die Verpflichtung, sobald wie möglich eine Geschäftsordnung auszuarbeiten und den Umfang des Personals festzulegen. Da sich die Stadtverordnetenversammlung 1879 mit einem Entwurf zur Organisation der Wasserleitungsdeputation nicht einverstanden erklärte438 und ein von ihr vorgelegter Gegenentwurf, der den industriellen Charakter der Wasserversorgung stärker zum Ausdruck brachte, im gleichen Jahr nicht mehr angenommen wurde, verlängerten die Gemeindeorgane die Gültigkeit des alten Regulativs bis zum 1.7.1880 4 39 In der Amtszeit Mumms blieb folglich der provisorische Charakter der Organisation bestehen. Mitglieder der Deputation waren Pfaff, als magistratischer Vorsitzender, sowie Heussenstamm und Schiele, letzterer als bürgerlicher Deputierter.440

435 MA T 1873 II, S. 70 ff. vgl. auch Bericht der Reorganisationskommission vom 7.3.1877, MA T 1873 II, S. 73 ff. 436 MA T 437

1873 II, S. 65 ff.

Anzeigeblatt 1877, S.83.

438 28.1.1879 MA T

1876.

439 18.12.1879, 20.1.1880, MA T 1876; VB 1877/78, S. 27. 440 StvV 27.3.1877,

MA T 1876; Wahl Schieies 1.5.1877, MA T 1876.

222

3. Teil: Bereidte der Leishmgsverwahl.Dlg

Kerner hatte seine Wahl zum bürgerlichen Deputierten abgelehnt. 441 1878 wurde Heussenstamm durch Sonnemann ersetzt 442 Der Magistrat betraute die provisorische Wasserleitungsdeputation damit, alles das zu regeln, was für die Übernahme noch erforderlich war, wie Bilanzerstellung und Vollzug der Übernahme, der nach Anleitung eines Protokolls zu erfolgen hatte. 443 Am 27.7.1877 teilte der Magistrat der Stadtverordnetenversammlung mit, daß noch kein fester Zeitpunkt der Übernahme feststehe. 444 Diese erfolgte einen Monat später, am 28.8.1877, durch die Wasserleitungsdeputation, die mitteilte, nach Prüfung der Bilanz ""WUrde heute kraß der uns erteilten Vollmacht das U'erk der Quellwasserleitung von uns in Besitz und in die Verwaltung der Stadt übernommen"_445

Gemäß § 12 des Eingemeindungsvertrages mit Bornheim verpflichtete sich die Kommune auch, binnen 5 Jahren die Frankfurter Quellwasserleitung in Bornheim einzuführen.446 In Anbetracht des Wassermangels auf der BornheimeT Heide stellte dies eine vorrangige Aufgabe dar. 447 Die Rentabilität des Wasserwerks machte bereits der Verwaltungsbericht von 1877/78 deutlich. Der Reingewinn für ein Jahr wurde mit 626.590,72 Mark angegeben. Dieser Betrag ergab bei einem Anlagekapital von 10 Millionen eine Rendite von 6 1/4% pro Jahr. Infolgedessen hielt der Magistrat zwar keine allgemeine Herabsetzung des Wassertarifs, jedoch eine Ermäßigung für Bedürftige für möglich. 448 Ein kostenloser Wasserbezug für Wohnungen mit einer geringen Jahresmiete wurde nicht eingeführt. Der Magistrat setzte aber

441 5.4.1877, MA T 1876. 442 22.1.1878, MA T 1876. 44322.6.1877, MA T 187311, S. 112 RS. 444 Anfrage StvV 24.7.1877, MA T 187311, S. 113; Antwort Mag. 27.7. 1877, MA T 1873 11, S. ll4 RS.

445 MA T 1873 11, S. 117; Anlage: Protokoll bezüglich der Übergabe Wld Übernahme der Frankfurter QuellwasserleJtWlg ebd., S. 118. 446 Vertrag mit Bornheim vom 20.10.1876 Anzeigeblatt 1877, S. 45. Gemäß § 13 des Vertrages zwischen AG Wld Stadt hatte die KommWie der AG bereits 1874 die Erlaubnis zur Ausdehnung des Röhrennetzes auf Bornheim erteilt, vgl. Schäfer, S. 270. 447 HStA Wiesbaden, Abt. 405 Nr. 2847, S. 18. 448 VB 1877/78, S. 38 f

C. Wasserversorgung

223

fest, daß ab 1.4.1879 für alle Mietwohnungen die besondere Vergütung für Klosettbewässerung entfalle. 449 Nannte der Verwaltungsbericht von 1878179 noch 14.300 Abonnements auf Wasserbezug, so waren es 1881/82 bereits 20.262 4 50

V. Weitere Entwicklung Die weitere Entwicklung der Wasserversorgung erforderte rechtliche und technische Ergänzungen.

1. Rechtliche Entwicklung

Die Konstituierung einer ständigen, städtischen Verwaltungseinrichtung erfolgte erst nach dem Ausscheiden Mumms mit Regulativ vom 2.7.1880.451 Anstelle der provisorischen Quellwasser-Deputation vom 6.2.1877 trat das städtische Wasseramt Es sollte als Zweig des städtischen Dienstes betrachtet, aber nach den Grundsätzen eines industriellen Unternehmens eingerichtet werden. 452 Seinen Geschäftskreis beschrieb § 1 des Regulativs. Er bestand in der Leitung des Betriebes, der die Versorgung der Stadt mit Wasser dienenden Anstalten und Einrichtungen, der Verwaltung des dazu gehörenden Grundbesitzes und dem Ausbau und der Erweiterung der städtischen Wasserleitung. Gemäß § 2 setzte sich das neugeschaffene Amt aus drei Magistrats- und drei Stadtverordnetenmitgliedern zusammen, wobei der Vorsitzende wiederum vom Magistrat ernannt wurde. Die übrigen Paragraphen des Regulativs betrafen u.a. Geschäftsführung, Etat, Sitz, Personal und Bilanz. 453 Mit Regulativ vom 23.2.1883 wurde das Wasseramt dem Tiefbauamt unterstellt 454 449 VB 1878/79, S. 40; Anzeigeblatt 8.3. 1879, S. 105. 450 VB 1878/79; VB 1882 S. 61 ; vgl. zur Rendite der Quellwasserleitung VB 1878/79, S. 3; VB 1880, S. 56. 4 51

Anzeigeblatt 1880, S. 243 f

452 VB 1880, S. 56; VB 1881/82, S. 61. 453 Siehe§§ 3-12 des Regulativs ebd. 454Regulativ, MA T 1876.

224

3. Teil: Bereiche der Leistlmgsverwah=g

Am 1.2.1889455 regelte die Stadt die Benutzung der städtischen Wasserleitung zum Privatgebrauch durch ein Ortsstatut 456 Änderungen und Ergänzungen erfuhr das Ortsstatut u.a. 1892 und 1895. 457 Bereits 1889 trat zum Ortsstatut eine dem Schutz der Wasserleitung dienende Polizeiverordnung.458 Vorschriften des Anschluß- und Benutzungszwanges enthielt diese jedoch nicht. Gemäß dem Ortsstatut von 1889 betrug das Wassergeld für private Zwecke eine Mark pro 25 Mark Mietsteuer. Sozialpolitische Züge hatte die Regelung des Ortsstatuts, die Mieter der untersten Mietklasse, d.h. unter 250 Mark jährlichen Mietwerts, zu kostenlosem Wasserbezug ermächtigte. 459 1890 setzte die Stadtverordnetenversammlung die Freigrenze auf 300 Mark hoch, lehnte aber eine Reduktion für teure Wohnungen (über 6.000 Mark Mietwert) ab 460 1898 blieb es beim Pauschaltarif; er betrug 4 % des Mietwerts, ausgenommen waren Bockenheim und Seckbach, wo eine Messung stattfand. Die Freigrenze lag bei 250 Mark. 461 . Eine Messung erfolgte auch bei Fabriken, gewerblichen oder landwirtschaftlichen Betrieben.462

2. Technische Entwicklung Ein bzw. zwei Jahre nach Übernahme der Quellwasserleitung durch die Stadt wurde der Gegenwasserbehälter in Sachsenhausen ausgebaut463 und der an der Friedberger Warte vergrößert. Bevölkerungswachstum und Eingemeindung führten dazu, daß die bestehende Wasserversorgung nicht ausreichte. Das Wasser der alten Quellen wurde in das neue Röhrennetz eingespeist, und die alte Wasserleitung versorgte man mit Mainwasser zur Straßenbe-

455 Anzeigeblatt 1889, S. 141 f 456 Anzeigeblatt 1889, S. 142. 457 Anzeigeblatt 1892, S. 465, 471; 1895, S. 239 ff 458 Anzeigeblatt 1889, S. 144. 459 Anzejgeblatt 18891 S. 142 § 12; Maly, S. 260 m. w. N.,· Busch, S. 133; Steitz, S. 196. Zur Höhe des Tarifs in den zurückliegenden Jahren: Ma y , S. 233, 243. 460 Maly, S. 261. 461 Busch, S. 133; vgl. auch Steitz, S. 196. 462 Busch, S. 133. 463 StvVA 625, S. 264 ff Er bildete das Gegenstück zum Wasserbehälter an der Friedberger Warte.

C. Wasserversorgung

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gießung. 464 Pläne, weitere Quellen im Vogelsberg und Spessart abzuleiten und zu Frankfurts Wasserversorgung mit heranzuziehen,465 scheiterten 1881/82 am Erwerb und an Entschädigungsansprüchen. Neue Wasservorräte in Frankfurt selbst konnten 1885 durch die Tiefquellen des Stadtwaldes erschlossen werden. Im gleichen Jahr wurde eine Gießwasserleitung in Betrieb gesetzt.466 Somit stand die Quellwasserleitung lediglich am Beginn einer modernen Wasserversorgung. Bereits wenige Jahre nach ihrer Ingebrauchnahme war sie nicht mehr ausreichend, blieb aber weiterhin wesentlicher Bestandteil. 467

VI. Ergebnis

Mangelnde Quantität und Qualität der Wasserversorgung ließen in Frankfurt - wie auch in anderen größeren Städten Deutschlands - zwischen 1870 und 1880468 die Neuregelung der Wasserversorgung nötig erscheinen. Zu Ende der freistädtischen Zeit gab es in Frankfurt eine private Initiative, die sich für eine Quellwasserversorgung aus dem Vogelsberg und dem Spessart einsetzte. Auch im preußischen Frankfurt erfolgte die weitere Projektierung durch Privatleute. Städtische bzw. staatliche Initiativen gab es nicht. Weisungen der staatlichen Polizei an die Gemeinde lassen sich nicht nachweisen.469 Obwohl die Stadt 1870 die Möglichkeit erhielt, die Projektierung in eigener Regie vorzunehmen, entschied sie sich lediglich für eine städtische I/3 Beteiligung. Insofern ist Brunckhorst zu widersprechen, der die kommunale Ausführung der Wasserversorgung als nicht umstritten ansah. 470 Stadtverordnete wie der Demokrat Sonnemann hatten das Wasserwerk als Monopol eingestuft, das die Kommune nicht privater Ausbeutung überlassen dürfe; auf Seiten des Magistrats wurde jedoch die Ansicht vertreten, daß eine 464Spiess, S. 97; Rödel, S. 81. 465 VB l&Sl/82, S. 58. 466 Spiess, S. 99; Lindley. S. 511 ff. 46 7 Rödel, Reclam Führer, S. 104. 468Hofmann, VG lli, S. 590; Krabbe, Kommtmalpolitik, S. 26 ff.

469 Vgl. Krabbe, Kommtmalpolitik, der dies für andere Städte feststellt, S. 29. 470 Brunckhorst, S. 5.

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3. Teil: Bereid:le der LeistlDlg.werwahlDlg

private Erstellung billiger und rascher erfolge. Dahinter stand, wie schon bei der Gasfrage, die Furcht vor der grundsätzlichen Verantwortungsübernahme durch den Magistrat. Nicht nur dem Betriebsrisiko, sondern auch dem der Errichtung selbst, sah er sich nicht gewachsen. Andererseits wollte der Magistrat Teilverantwortung für die lebenswichtige Wasserversorgung und Einfluß auf die Geschäftsführung des Wasserwerks übernehmen, so daß er und große Teile des Stadtparlamentes sich für die Organisationsform Aktiengesellschaft mit städtischer Beteiligung einsetzten. Wiederum war der Magistrat Kommunalisierungsgegner, während Teile der Stadtverordnetenversammlung die Kommunalisierung favorisierten. Der Demokrat Kanngießer charakterisiert die Auseinandersetzungen um die Quellwasserleitung leicht übertreibend: "standen Kanalisation oder Wasserleitungsangelegenheiten auf der Tagesordnung, so durfte man sicher sein, daß in der Stadtverordnetenversammlung eine Joumee mit Blitz und Donner gegeben wurde."471 Damit stand Frankfurt gegen den Trend bei der Errichtung von Wasserwerken. Im allgemeinen erfolgte nämlich die Errichtung von zentralen Wasserversorgungsantagen in kommunaler Regie. 472 Sicherheitspolitische, gesundheits- und sozialpolitische Argumente spielten dabei die entscheidende Rolle.473 Zugleich war die Anzahl an privaten Kapitalgebern gering, denn Wasserwerke versprachen keine hohe Rendite. 474 Der im Anschluß an die Ablehnung der Kommunalisierung zustandegekommene Vertrag zwischen Stadt und Aktiengesellschaft folgte weitgehend den Vorschlägen der AG. Nur in bezug auf ein Heimfallrecht des Wasserwerkes an die Stadt bestanden die Behörden auf einer für die Kommune vorteilhafteren Regelung. Durch Amortisation eines Teiles der Aktien zugunsten der Stadt war die Kommunalisierung in späterer Zeit sichergestellt. 475 Als ungünstig für die Arbeit der AG erwies sich, daß die im Gegenzug für die Amortisation zugesicherte städtische Zinsgarantie auf das Aktienkapital erst mit Ende der Zahlung der Bauzinsen einsetzen sollte. Ebenso nachteilig waren die Regelungen bezüglich der Übergabe der alten Wasserleitungen an die AG. Sicherheitstechnische Zugeständnisse an die Stadt bestanden darin, daß der 47 1 Kanngießer, Gegenwart, S. 19. 472 Krabbe, Kommwtalpolitik~ S. 29; Rüfner, Formen, S. 88 f; vgl. auch Mombert, S. ll. Von 219 dt. Städten über )0.000 Einwohnern hatten um die Jahrhundertwende 202 ein kommunales Wasserwerk; Lindemann, Städteverwaltung, S. 247. 473 Brunckhorst. S. 6. 474 Krabbe, Kommunalpolitik, S. 29. 475 Zur Amortisation als Mittel der Kommunalisierung, Lindemann, Wirtschaftspflege, S. lll.

C. Wasserversorgung

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Stadt der gesamte Wasservorrat bei Feuersgefahr zur Verfügung stand, sowie darin, daß die Begießung der Straßen durch die AG durchzuführen war. Neben diesen Vertrag traten - zur rechtlichen Ausgestaltung der Wasserversorgung- die Statuten der Aktiengesellschaft, die der Stadt eine Teilnahme im Verwaltungsrat einräumten und der Quellwassertarif nebst Gebrauchsordnung. Entsprechend den Vorschlägen der AG war der Wassergeldtarif an den Mietwert gekoppelt worden. Er enthielt folglich eine soziale Komponente. Es handelte sich um den damals üblichen Pauschaltarif. Seine Höhe war mit dem früheren Krahnengeld nicht zu vergleichen. Wasser war zum kostbaren Gut geworden. Eine Wasserzinsfreigrenze bestand nicht. 476 Der Tarif blieb trotz Senkungsbemühungen seitens der Stadtverordneten für Privatpersonen unverändert. Gemäß dem Vertrag zwischen AG und Stadt unterlag seine Abänderungen der Genehmigung des Magistrats. Dies bot dem Magistrat sozialpolitische Einwirkungsmöglichkeiten. Er konnte Preissteigerungen verbieten. Insgesamt war die Ausarbeitung der rechtlichen Grundlagen durch die AG erfolgt. Heimfallrecht, Mitgliedschaft im Verwaltungsrecht und die Mitsprache beim Wassergeldtarif machen jedoch den starken städtischen Einfluß deutlich. Ein Verhalten der AG, das die städtischen Organe nach Konstituierung der AG beschäftigte, bildete 1873 die Entlassung des Subunternehmers Aird. Entgegen der Sonnemannsehen Forderung wurde kein neuer, rechenschaftspflichtiger Subunternehmer verpflichtet. Hauptberührungspunkte zwischen AG und städtischen Behörden stellten die finanziellen Probleme der AG infolge gestiegener Baukosten dar. 1873 beantragte die AG bei den städtischen Behörden erstmals die Zustimmung zur Aufnahme eines Kredites. Während der Magistrat diesen von einer vierprozentigen Zinsgarantie umfaßt sehen wollte, forderte die Stadtverordnetenversammlung, diese Garantie auf das Grundkapital zu beschränken. Dem Magistrat war im Rahmen seiner eingeschränkten Verantwortlichkeit daran gelegen, einerseits seine Bereitschaft zur Daseinsvorsorge zu demonstrieren und andererseits die AG arbeitsfähig zu erhalten. Demgegenüber forderten Stimmen aus der Stadtverordnetenversammlung die Quellwasserleitung nach Fertigstellung zu übernehmen. Ausdruck dieses Bestrebens war auch die Ablehnung eines Vollendungskredites von 1.350.000 fl , während sich der Magistrat in Form einer Aktienvermehrung oder eines Darlehens dafür einsetzte. Eine Spezialkommission der Stadtverordnetenversammlung hatte sich nur unter der Bedingung für eine Zahlung ausgesprochen, daß diese mit der Möglichkeit der sofortigen Übernahme der Quellwasserleitung einhergehe. Grundsätzlich war 476 Vgl. hierzu Steuer "Wassertarife" HwbdKw, S. 448. I )*

228

3. Teil: Bereiche der Leishmg.svenvahtmg

damit dem Stadtparlament nicht mehr an der Unterstützung der AG gelegen. Dem entsprach auch, daß man der AG in der Frage der Übergabe der alten Wasserleitungen Schwierigkeiten bereitete. Die Verweigerung des Vollendungskredites hatte zur Folge, daß die AG ein Prioritätsanlehen bei Dritten aufnehmen mußte. Diese Handlungsweise, die Dritte verstärkt und vorrangig heranzog, wurde von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung bedauert. Nachdem die Unterstützung des Privatunternehmens gescheitert war, schien auch dem Magistrat die Übernahme dieses lebenswichtigen Versorgungszweiges wünschenswert. War das Verhältnis der AG zu den städtischen Behörden aufgrund der finanziellen Probleme zwiespältig, so unterstützten die preußischen Behörden die Errichtung der Quellwasserleitung. Der Magistrat fungierte als Vermittler. 1871 wurde für Frankfurt ein neues Enteignungsgesetz erlassen. Mit Erlaß vom 3.6.1871 erklärte der König es für auf die AG anwendbar. Unterstützung fand die Tätigkeit der AG auch durch die Genehmigung von Zusammenlegungen seitens der Regierung und den Erlaß einer Polizeiverordnung zum Schutz der Quellwasserleitung. Den Kommunalisierungsverhandlungen gingen seitens der städtischen Organe keine grundsätzlichen Debatten voraus. Diesbezügliche Argumente waren bereits 1870 dargelegt worden. Es bestand nunmehr Einigkeit bezüglich des Erfordernisses einer Kommunalisierung. In der Stadtverordnetenversammlung spielte das Argument, daß eine preiswerte Übergabe eines rentablen Betriebes möglich sei, eine Schlüsselrolle. Hinzu kam die Seuchenangst infolge verunreinigten Brunnenwassers. 477 Die Ausarbeitung des Übernahmevertrages vollzog sich ohne Beteiligung der AG. Spätestens zum 1.6.1876 sollten sämtliche Aktiva und Passiva der Frankfurter Quellwasserleitungs AG auf die Stadt übergehen. Als Gegenleistung hatte die Stadt einen, dem Aktienkapital entsprechenden Betrag abzüglich bereits geleisteter Zahlungen an die Gesellschaft zu entrichten. Dem städtischen Schutzbedürfnis war dadurch Rechnung getragen, daß der tägliche Wasserzulauf 800.000 cbf betragen und das Werk vollendet sein mußte. Die Kosten für Neu- und Grunderwerbungen wurden auf 541 .000 fl beziffert. Hinsichtlich der tatsächlichen Übergabe ließ sich die Stadt Zeit, bis die Vollendung des Werks eingetreten war. Dies entsprach auch dem Anliegen des Magistrats, erst dann die Verantwortung zu übernehmen, wenn alle Anfangsschwierigkeiten überwunden waren. Damit hatte auch Frankfurt den

477 Vgl. Grahn, S. 76, der die Cholera als den großen "Sanitätsrefonner", die "Polizei der Natur" bezeichnet.

D. Markthalle

229

Weg zur Kommunalisierung gefunden, jedoch auf dem Umweg über die Beteiligung an einem Privatunternehmen in der schwierigen Aufbauphase. Neue diesbezügliche städtische Verwaltungsspitze wurde die Quellwasserdeputation. Ihr gehörten neben einem Magistrats- und einem Stadtverordnetenmitglied auch ein bürgerlicher Vertreter an. Dieses Provisorium blieb über die Amtszeit Mumms hinaus erhalten. Eine ständige Verwaltungseinrichtung schuf man erst 1880 mit dem Wasseramt Knapp 10 Jahre später, 1889, erfolgte die Regelung der Benutzung der städtischen Wasserleitung durch ein Ortsstatut Eine Anschluß- und Benutzungszwang vorsehende Polizeiverordnung, vielfach für städtische Wasserwerke charakteristisch,478 existierte nicht. Dem Wassergeldtarif von 1889 lag wie schon 1871 für Privatabnehmer ein Pauschaltarif zugrunde. Die Wassergeldfreiheit für Mieter mit Niedrigmieten bezeugte sozialpolitische Verantwortung. 479 Die Preisgestaltung mit ihren Rabatten begünstigte den Großbetrieb, der vielfach sogar autark war und sich eigene Brunnen leisten konnte. 480 Damit hat die Ära Mumm die Grundlagen der Wasserversorgung geschaffen. Versorgungstechnisch war die Quellwasserleitung bald nicht mehr ausreichend. Neue Wassermengen mußten wegen der Bevölkerungszunahme481 erschlossen werden.

D. Markthalle I. Ausgangslage Der Markthallenbau von 1879 ist im Rahmen des gesamten Marktwesens zu betrachten.

478 Stern!Püttner,

S. 18; Hofmann VG ill, S. 590.

479 Busch, S. 133; Steitz, S. 196; zur Wassergeldfreiheit in anderen dt. Städten,

Lindemann, StädteverwaltWlg, S. 259. 480 Steitz, S. 196.

481 Vgl. Krabbe, Komm\Ulalpolitik, S. 27 nennt dies als dritten GT\Uld neben Quantität Wld Qualität fiir den Ausbau einer modernen Wasserversorg\Ulg.

230

3. Teil: Bereid!e der Leistm~erwaltung

l. Marktwesen bis zum Ende der freistädtischen Zeit

Unter Marktwesen versteht man die geordnete Versorgung des städtischen Gemeinwesens mit Nahrungsmitteln aller Art. 482 Es handelt sich dabei um die Wochenmärkte, eine von den Handelsmessen und Jahrmärkten zu unterscheidende Einrichtung, deren Wurzeln im 12. Jahrhundert liegen. Erstmals urkundlich erwähnt wird der Marktplatz in Frankfurt am 3.12. 1238.483 Neben der örtlichen Komponente weist der Begriff Markt auf einen besonderen Rechtszustand hin. Zu nennen ist für das Mittelalter der Marktfriede. Seine Überwachung oblag einem städtischen Beamten, dem Marktmeister, der Richtetfunktionen ausübte. Die Einkünfte des Marktmeisters bestanden zunächst aus einem Maklerlohn, allmählich wurde eine Taxe eingeführt. Außer den Marktmeistergebühren verlangte die Stadt ein geringes Standgeld. Mit Übergang der polizeilichen Aufsicht an die Stadt wurde eine erweiterte städtische Verkaufsabgabe eingeführt. Bereits 1311 galten Mittwoch und Samstag als die Markttage. Der Ort war zunächst der Römerberg, der daraufhin den Namen "Samstagsberg" erhielt. Später wurde der Wochenmarkt in die Krämergasse verlegt. 484 1573 erstreckte er sich über diese hinaus bis hinter das Pfarreisen zum Garküchenplatz, 1765 verlegte man ihn nach dem Hirschgraben. Die hierdurch betroffenen Händler monierten, daß ihnen durch die Verlagerung ans andere Ende der Stadt ein Schaden entstünde.485 Rechtlich war zum Ende der freistädtischen Zeit die Marktordnung vom 20.11.1843 maßgebend. 486 Neben§ 1, der als Zeit der Markttage Mittwoch und Samstag festlegte und§ 2, der die Vorschrift der gesunden Beschaffenheit aller Waren enthielt, zeichnete sich die Marktordnung von 1843 dadurch aus, daß sie zeittypisch 487 versuchte, die Tätigkeit von Zwischenhändlern, sogenannten Hocken(§ 4) und den Handel von fremdherrschaftliehen Marktbesuchern (§ 5) zu erschweren. 482 Holthof, Markthalle, S. 107; vgl. zum Begriff: Morgenroth "Märkte und Messen" HwbdKw, S. 329; Leuthold "Marktwesen", in: Stenge/, S. 83. 483 Dietz, S. 117· a. A. Morgenroth "Märkte und Messen", HwbdKw, S. 329, der auch Messen und Ja~ärkte als Arten von Märkten bezeichnet; Altheim, S. 13. 484 Dietz, S. 117; Altheim, S. 13. 485 Dietz, S. 124. 486 Amtsblatt der freien Stadt Frankfurt 1843, S. 590; Altheim, S. 12. 487 Vgl. Morgenroth "Märkte und Messen", HwbdKw, S. 332.

D. Markthalle

231

Im Laufe der funfziger Jahre des 19. Jh. war jedoch die Beschränkung der Zwischenhändler immer mehr außer Gebrauch gekommen und 1868 schließlich auf Wunsch des zweiten Bürgermeisters vom Polizeipräsidenten außer Kraft gesetzt worden. Als Folge davon tauchten neuerlich Klagen gegen die Zwischenhändler auf;488 ein Problem, das auch fur den Bau einer Markthalle Bedeutung gewinnen sollte. Hinsichtlich der Einnahme von Marktstandsgeldern galt folgende Rechtslage: Seit dem 1.4.1865 wurden keine Marktmeistergebühren mehr erhoben. Die Marktaufseher hatten jedoch das Recht, "Marktstühlchen" an die auf dem Markt Feilhaltenden zu vermieten und dafur eine Gebühr von 1 kr pro Tag zu verlangen. 489

2. Neuer Markt 1871

Raurnnot490 und das Bedürfnis nach zentraler Lage491 fuhrten zur Ausweisung eines neuen Marktgeländes im preußischen Frankfurt auf dem Baugraben, dem Gelände zwischen Hasengasse und Fahrgasse. Als Voraussetzung hatte der Magistrat den Abriß der städtischen Baracken auf diesem Gelände beantragt. Am 1.4.1870 stimmte die Stadtverordnetenversammlung zu.492 Mit der Einrichtung des neuen Marktes wurde der Erlaß einer Verordnung verbunden, die die Abhaltung des Wochenmarktes in Frankfurt regelte. Diese ist vor dem Hintergrund der einheitlichen Regelung der Gewerbeordnung von 1869 zu sehen, die in den §§ 64-71 den Marktverkehr behandelte. Danach bestand das Wesen des Marktes darin, daß jedermann als Verkäufer von Waren den Markt besuchen durfte (§ 64 GewO). Für Verkauf bzw. Kauf galten keine besonderen Zulassungsbedingungen. Die alten, zugunsten der Stadtbewohner bestehenden Verkaufsverbote waren beseitigt. 493 Gemäß § 65 GewO 488 Diese Vorgänge schildert der Polizeipräsident am 9.8.1870 dem Magistrat, MA R 1625, S. 13. 489 Bericht der städtischen Polizeisektion 13.8.1868, MA R 1625, S. II f; auch in: HStA Wiesbaden Abt. 407 Nr. 217, S. 13; Altheim, S. 13. 49 0 MA R 1627, S. 2 ff 491 MP Gesetzgebende Versammlung§ 84. S. 83 f; vgl. auch Rödel, S. 274.

492 MA R 1627, S. 12; vgl. auch den Beschluß StV vom 14.7. 1870 MA R 1627 S. 46. 493 Panlien "Märkte und Messen", HwbdStw, S. 494; Steinbach "Gewerbe-ordnung", HwbdKw, S. 387; Leuthold "Marktwesen", in: Stenge/, S. 86.

232

3. Teil: BereidJ.e der Leistlmgsverwahung

durfte die zuständige Verwaltungsbehörde Zeit, Zahl und Dauer der Wochenmärkte festsetzen. § 69 Ge\\-0 gestattete der Ortspolizei im Einverständnis mit der Gemeindebehörde, die Marktordnung nach den örtlichen Bedürfnissen festzulegen. Die neue Marktordnung für Frankfurt erging am 16.8.1871 494 und setzte in Art. I die Markttage Mittwoch und Samstag sowie die Verkaufsartikel fest. Sie mußten dem § 66 der Gewerbeordnung entsprechen, d.h. es mußte sich primär um frische Lebensmittel oder rohe Naturerzeugnisse unter Ausschluß des Viehs handeln. 495 Art. 2 der Marktordnung regelte die Dauer des Marktverkehrs. Hatte die Verordnung vom 16.8.1871, außer am Samstag, bereits um ein Uhr den Markt geschlossen, so wurde dies durch Verordnung vom 14.12.1871 aufsechs Uhr,496 durch Verordnung vom 25.5.1872 für die Sommermonate bis auf acht Uhr am Abend verlängert. 497 Art. 3 hatte das Aufstellen von Waren, Art. 4 das Erfordernis der gesunden Beschaffenheit der Marktwaren und Art. 5 die vorschriftsmäßige Eichung zum Gegenstand. Art. 7 und 8 enthielten die Aufforderung, den Anordnungen der Aufsichtsbeamten Folge zu leisten und die Strafsanktionen. Gemäß Art. 6 blieb es einer gesonderten Bekanntmachung vorbehalten, den Marktort zu bestimmen. Diese erging ebenfalls am 16.8.1871. 498 Gemäߧ I der Bekanntmachung wurde der Wochenmarkt für die Zeit von Donnerstag, dem 24.8. bis einschließlich Samstag, dem 30.9.1871 versuchsweise zwischen Hasengasse und Fahrgasse abgehalten. Der Markt auf dem Judenmarkt, der Fisch-, Heu- und Strohmarkt wurden davon nicht berührt. § 2 regelte das Signal für Beginn und Schluß, § 3 die Verkaufsplätze, § 4 die Handhabung von Wagen und Schiebkarren, § 5 den Verkehr in der Hasengasse an den Hauptmarkttagen und § 6 schließlich die Bereitstellung von Baracken für unverkaufte Waren. Vorschriften über Standgebühren enthielten weder die Verordnung vom 16.8.1871 noch die Bekanntmachung bzw. ergänzende Verordnungen. Damit wurden keine Marktstandsgelder erhoben. 499

494 Amtsblatt 1871, S. 227. 495 VEl. Morgenroth "Märkte wtd Messen", HwbdKw, S. 342, der die wichtigsten Artikel des Marktes aufzählt: so auch Leuthold "Marktwesen", in: Stenge!, S. 85. 496 Amtsblatt 1871, S. 346. 497 Amtsblatt 1872, S. 343; die Markthändler sahen in der Beschrän.kwtg der Verkaufszeiteine Gefährdwtg ihrer Existenz, Altheim, S. 13. 498 Amtsblatt 1871, S. 228. 4 99 Vgl. Anfrage des Oberbürgermeisters von Hanau vom 2. 11.1871, MA R 1625, S. 42; Verneinwtg der Stadtkämmerei 6.11.1871, MA R 1625, S. 42 RS; so auch Mag. 7. ll.l87l, MA R 1625, S. 44.

D. Markthalle

233

Mit der Bekanntmachung war der Platz zwischen Hasen- und Fahrgasse als neuer Markt ausgewiesen. Er wurde in der Folgezeit der Neumarkt. Damit war zugleich die räumliche Voraussetzung fur die Errichtung eines gedeckten Marktes, einer Markthalle, gegeben.

II. Markthallenbau Der Bau von Markthallen erfolgte in größerem Umfang erst ab Mitte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Vorreiter war Frankreich mit den Halles Centrales von Paris. Seinem Beispiel folgten Belgien, Italien und England. Deutschland war insoweit rückständiger. Lediglich die Markthalle in Stuttgart von 1865 ist zu nennen. 500 Der Plan zum Bau einer städtischen Markthalle in Frankfurt kam nicht von der neupreußischen Stadtverwaltung. Zwar fiel seine Projektierung erst in die Zeit nach Errichtung des neuen Marktes 1871, Vorschläge zur Errichtung eines gedeckten Marktes existierten jedoch bereits im freistädtischen Frankfurt.

1. Vorgeschichte

Bereits am 22.11.1858 hatte das Bauamt "das Bedürfnis geräumiger Marktlocalitäten mit Markthallen" 501 anerkannt, in Ermangelung von größeren Plätzen in zentraler Lage aber eine Projektierung nicht vorgenommen. Die Gesetzgebende Versammlung wies in den darauffolgenden Jahren weiter auf die Dringlichkeit hin. Nach Mitteilung des Polizeiamtes vom 7.10.1861, daß keine geeigneten Marktlokalitäten zur Verfugung stünden, ersuchte die Versammlung 1862 den Senat, die Voraussetzungen zu schaffen. Zwei Jahre später, am 10.12.1864, beantragte Dr. Jung in der Gesetzgebenden Versammlung, den Markthallenbau mit aller Energie einzuleiten und, wenn nötig, zum Mittel der Enteignung zu greifen. Als Mißstand bezeichnete er, daß die Marktverkäufer jeglicher Witterung ausgesetzt seien und durch Enge und Verkehr vielfach

500 Schachner,"Markthallen

501

(Technisches)", S. 334.

In: MP Gesetzgebende Versammlwtg § 84, S. 83.

234

3. Teil: Bereiche der Leistunl!l'verwaltung

behindert würden. 502 Da eine Lösung der Markthallenfrage bis 1866 nicht erfolgte, wurde diese Frage 1868 "als Erbstück aus der Verlassenschaft der ehemals freien Stadt übernommen. oo503 Im preußischen Frankfurt bezeichnete das Bauamt 1868 die Errichtung einer Markthalle als "dringend notwendig". 504 Sie schlug daher eine Erhebung über die Anzahl der Marktverkäufer vor. Demgegenüber vertrat Mumm 1869 die Ansicht, daß vom Bau einer Markthalle in Anbetracht anderer wichtiger Bauten zunächst abgesehen werden solle und mit Eröffnung eines Marktes an der Hasengasse dem städtischen Bedürfnis vorerst Genüge getan sei.505 Damit war die Markthallenfrage zunächst einmal vertagt.

2. Aktivitäten nach 1871

Mit Einrichtung des neuen Marktes 1871 verfügte die Stadt über ein zentrales, geräumiges Marktgelände von ca. 4.000 qm506 und damit über eine wesentliche Voraussetzung zur Errichtung einer Markthalle. Die rein baulichen Fragen sollen jedoch soweit möglich vernachlässigt werden.

a) Private Initiativen Am Beginn der eigentlichen Markthallenprojektierung standen wiederum nicht die städtischen Behörden, sondern Vorschläge des "Vereins zur Förderung öffentlichen Verkehrslebens" (Verschönerungsverein), die dieser am

502 MP

Gesetzgebende Versammhmg § 84, S. 84.

503 Holthof, Markthalle, S. 504 Bauamt

108.

23. 7.1868, MA R 1629, S. l.

505 Vortrag des Herrn Oberbür_germeisters Daniel Mwnm in der Stadtverordneten-

versammhmg vom 14. Dezember m: Frankfurter Zeittmg 15.12.1869; MA R 1627, S. 1 RS. 506 Rödel, S. 275.

D. Markthalle

235

14.12.1871507 nebst einer Denkschrift der Herren Lindheimer Söhne 508 gegenüber den Behörden formulierte. Der Frankfurter Verkehrsverein verstand sich dabei als Teil der interessierten Öffentlichkeit, die den zuständigen Behörden die fachmännische Entscheidung möglichst erleichtern wollte. Als Mißstand prangerte die Denkschrift Lindheimer Söhne an, daß Frankfurt in den letzten Jahren eine der teuersten Städte Deutschlands geworden sei. Ursache bilde der Mangel an räumlichen und organisatorischen Einrichtungen des Marktes. Insbesondere sei die "systematische Übersteigerung der Preise" 509 durch die Zwischenhändler ein Ärgernis. Die Denkschrift befürwortete eine gedeckte Marktverkaufshalle, in der ein breites Angebot an Waren verkauft werde. Das Innere der Halle sollte 1.400 Verkaufsstände aufnehmen und 18.000 Gulden bei einem jährlichen Mietzins von 500 fl pro Stand durch die Vermietung der Läden sowie weitere 10.000 fl durch die der Kellerräumlichkeit erwirtschaften. 510 Ein städtisches Verauktionierungssystem für auswärtige Waren wurde geplant, um die Zwischenhändler, wie in der Madeleine Halle in Brüssel, auszuschalten. Zudem sollte nur der Engroshandel in der Halle seinen Platz finden. 5ll Grundsätzlich befürwortete der Verein städtische Bauausführung und spätere städtische Verwaltung.512 Eine Prüfung dieser Vorschläge durch die städtischen Behörden erfolgte nicht. Vielmehr überwies der Magistrat diese Frage an den "Landwirtschaftlichen Verein" zur gutachterliehen Prüfung.513 Dieser schloß sich am 5.2.1872 den Ausführungen des "Vereins zur Förderung des öffentlichen Verkehrslebens" an.514 Eine von ihm eingesetzte Kommission zur Begutachtung kam in ihrem Bericht515 vom 20.1.1872 zu folgenden Ergebnissen: Sie bewer507 MA R 1629, S. 4. 508 "Die ErbauWlg einer Markthalle Wld die Reorganisation Wlserer Marktverhältnisse", MA R 1629, S. 61f. lhr Ia~ ein Referat von Eniiers zugnmde, MA R 1629, S. 4 RS. Enders äußerte sich noch des öfter~_. vgl. hierzu MA R 1630 S. 5 ff, ebd., S. 191f. Die Denkschrift fmdet sich auch in: rn>tA Wiesbaden, Abt. 407 Nr. 22&, S. 12-16 sowie als Separatdruck. · 509 MAR 1629, S. 11. 510 MA R 1629, S. 14 VIRS. 511 ebd., S. ll f 512MA R 1629, S. 14 RS f 513Mag. 15.2.1&71, MA R 1629, S. 5 RS. 514 MA R 1629, S. 1&. 5 15 MA R 1629, S. 191f.

236

3. Teil: BereidJ.e der Leisllmg.sverwahWig

tete die Regulierung der Lebensmittelpreise als vorrangig. Der Lebensmittelpreis sei bedingt in der Regelung des Marktwesens "und dieses in erster Linie in der Zentralisierung des Marktverkehrs in einer an geeigneter Stelle gelegenen großen, luftigen, schattigen Halle". 516 Die bisherigen, ungenügenden Marktverhältnisse hätten die Produzenten verdrängt und die Geschäfte in die Hände von Zwischenhändlern übergehen lassen, die den dreifachen Wert verlangten und Preisabsprachen träfen. Somit beurteilten zwei für die Marktfrage einschlägige Vereine die Errichtung einer städtischen Markthalle als zur Neuorganisierung des Marktwesens 517dringend notwendig. Es sollten wieder gerechte Marktpreise erzielt werden.

b) Städtische Behörden Städtischerseils befaßten sich eine Reihe von Behörden im Anschluß an die privaten Vorüberlegungen mit der Markthallenfrage. Am Anfang stand, wie stets, die Einsetzung einer Kommission.

aa) Einsetzung der Markthallenkommission Die grundsätzliche Bereitschaft der städtischen Behörden zur Errichtung einer Markthalle in eigener Regie machte bereits die Absage an eine französische Offerte für den Markthallenbau vom 6.1.1872 deutlich.518 Darüber hinaus betraute der Magistrat zunächst eine aus Magistratsmitgliedern gebildete Kommission mit der Begutachtung der Markthallenfrage und der Organisation des Marktverkehrs in der Halle. Diese Magistratskomrnission, der Berg, v. Boltog und May angehörten,519 stimmte in ihrem Bericht vom 14.10.1872520 516 MA R 1629, S. 19 RS. 517 MA R 1629, S. 20; vgl. 25.6.1872: Der Magistrat übermittelt die BefiirwortWlg der beiden Vereine an den Polizeipräsidenten, HStA Wiesbaden, Abt. 407 Nr. 228, S. 18. 518 MAR 1629, S. 17. 519Mag. 18.6.1872, MAR 1629, 8. 29. 520 MA R 1629, S. 33-36.

D. Markthalle

237

den Vorschlägen des Verkehrsvereins wie auch dem Erfordernis zu, das Versteigerungsgeschäft in der neuen Halle fur städtische Rechnung und unter städtischer Kontrolle durchzuführen. Nur unter dieser Bedingung würden auswärtige Produzenten und Großhändler dem Unternehmen ihr Vertrauen zuwenden, "durch welches ein großartiger zum Gemeinnutzen fohrender Aufschwung des Geschäfts bedingt ist. "521 Aufbauend auf diesen Vorschlägen beantragte der Magistrat die Bildung einer gemischten Kommission aus vier von der Stadtverordnetenversammlung bzw. der Bürgerschaft zu wählenden Mitgliedern sowie einem Magistratsdeputierten. Diese Kommission sollte das Recht zur Hinzuziehung von Sachverständigen haben und somit eine Expertenkommission bilden. 522 Die zunächst mit der Prüfung der Zweckmäßigkeitsfrage betraute Kommission der Stadtverordnetenversammlung stimmte in ihrem Bericht am 2.11.1872 der Einrichtung einer gemischten Markthallenkommission zu. Hinsichtlich der Frage, ob die Stadt oder ein engagierter Unternehmer das Versteigerungswesen in der neuen Halle übernehmen sollte, war man unentschieden. 523 Am 3.2.1873 524 gab die aus Enders, Hofmann, Zimmermann, Mevi seitens der Stadtverordnetenversammlung und von Boltog als Magistratsmitglied bestehende Markthallenkommission ihre Konstituierung bekannt. 525 Am Anfang der städtischen Aktivitäten stand also wiederum eine vom Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung beschickte Expertengruppe.

bb) Weitere Projektierungstätigkeit Mit Bericht vom 14.9.1874 regte die Markthallenkommission zur Erweiterung der Marktfläche den Ankauf der Häuser Fahrgasse Nr. 113-115 sowie 117 an. In städtischem Besitz befand sich bereits das Haus Nr. 119.526 Hierzu

521 MA R 1629, S. 35 RS. 522Mag., MPS 1872 § 463, S. 367; MA R 1629, S. 36. 523 MPS 1872 § 514, S. 409 f Ihr gehörten an: Leipprand, Matti, Brucker, Hofmann Wld Ebner. 524 MAR 1629, S. 40. 525 MPS 1873 § 56, S. 30; § 75 S. 48; MA R 1629 S. 38. Am 4.3.1874 wird Broßt Nachfolger von Boltogs, MA R 16i9, S. 66. Siehe auch die Akten der Kommission in: MA R 1630, passim.

526MA R 1629, S. 73.

238

3. Teil: Bereiche der LeistungsveJWahung

teilte der Magistrat jedoch mit, daß auf eine Erweiterung "definitiv" 527 zu verzichten wäre. Den Grund dafür bildeten die übertriebenen Forderungen der Eigentümer5 2 8 Sollte der vorhandene Platz nicht ausreichen, wollte man einen Filialmarkt bzw. einen zweiten Marktplatz einrichten. "Der Bau der Hauptmarkthalle wird hiernach in bescheideneren Dimensionen als bisher gedacht und mit Rücksicht auf die Finanzlage der Stadt unter Abstrahierung von Herstellung eines monumentalen Bauwerkes in einfachem, die Schönheit nicht ausschließendem Stile zu projektieren"5 29

sein. Im Vordergrund sollte die Zweckmäßigkeit stehen. Hiermit trug der Magistrat der Finanzlage der Stadt, die 1875 erstmals eine Anleihe aufnehmen mußte, Rechnung. In der Folgezeit wurden verschiedene Konzepte ausgearbeitet: Am 10.10.1874 legte die Markthallenkommission ein Neun-Punkte-Programm zur Erbauung einer Markthalle vor. 530 Stadtbaurat Behnke erstellte im November 1874 einen "Erläuterungsbericht fur den Neubau einer Markthalle", welcher eine Größe von 3.662 qm vorsah. 1.046 Verkäufer sollten in der Halle Platz finden. Des weiteren wurde im Bericht festgestellt, daß die Halle fur 1.400- 1.600 Stände nicht ausreiche und darum der Bau einer zweiten Halle erforderlich würde. 531 Wenig später projektierte der Magistrat die Markthalle mit 4.664 qm bebauter Grundfläche und 1.386 Verkaufsplätzen. Den Kostenaufwand bezifferte er auf600.000 f1. 532 Im weiteren Verlauf der Vorarbeiten waren Stadtkämmerei, Stadtverordnetenversammlung und Baudeputation verstärkt mit dem Hallenbau befaßt. Erstere befurwortete am 30.9.1875 die Niederlegung des Hauses Fahrgasse 119, womit sich die Stadtverordnetenversammlung einverstanden erklärte.533 Die Baudeputation beschäftigte sich im September 1876 neben der Aus52715.9.1874, MA R 1629, S. 75. 528siehe dazu Bericht der Stadtkämmerei vom 14.8.1875, MA R 1629, S. 111 RS; vgl. auch HStA Wiesbaden, Abt. 407 Nr. 228, S. 30. 529 MA R 1629, S. 75 RS. 530MA R 1629, S. 78 vgl. auch, S. 93. 531 MA R 1629, S. 83-89. Siehe weitere Planungen Behnkes in MA R 1630, S.l2ff,37ff,41ff. 532 MA R 1629, S. 96 ff. 533 MA R 1629 S 119 ff. Zustimmung der StvV am 12.10.1875, MA R 1629, s. 122. , .

D. Markthalle

239

arbeitung von Plänen mit dem Verkauf von städtischem Terrain an der Zeil, wobei das Bauamt mit einem Verkaufspreis von 98.224 M rechnete.534 Die Stadtverordnetenversammlung hatte auf den Vortrag des Magistrats vom 12.5.1876535 , der Erbauung einer Markthalle zuzustimmen, mit Einsetzung einer Spezialkommission geantwortet. 536 Die Spezialkommission537 führte die entstandenen Verzögerungen auch auf die Frage der Einführung eines Versteigerungssystems in der Halle zurück. Erst spät habe die städtische Planung erkannt, daß dafür nur zeitweise ein größerer Raum nötig sei. "Man hielt lange an der Ansicht fest, daß besondere bauliche Einrichtungen hierzu notwendig seien. "538 Der Kommissionsbericht bildete die Grundlage des Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung vom 8.8.1876, der der Erbauung einer Markthalle unter der Bedingung zustimmte, daß ein "annehmbares Abkommen" 539 mit den Zeithäuserbesitzern erzielt werde. Lediglich Ebner hatte sich mit der Begründung gegen das ausgearbeitete Projekt - nicht aber die grundsätzliche Notwendigkeit - erklärt, daß die geplante Halle nicht ausreichend sei. Vielmehr sollten zusätzlich Straßen einbezogen werden. 540 Nachdem auch die königliche Regierung, die gemäß § 60 Nr. 1 Gern VG bei der Veräußerung von Grundstücken ihre Genehmigung erteilen mußte, mit einer Veräußerung von städtischem Terrain an die Zeithäuserbesitzer zum Kaufpreis von 12M pro qm einverstanden war, 541 konnte das Geschäft vonstatten gehen. Der Magistrat wies die Stadtkämmerei zum Verkauf der Grundstücke an. 542

534 Vgl. zu den Verhand1wtgen mit den Hausbesitzern MA R 1629, S. 165 ff. Zum Preis: Baudeputation vom 21.9.1876 MAR 1629, S. 174 RS. 535 MA

R 1629, S. 136.

536Ihr gehörten die Stadtverordneten Müller, Ladenburg, Holthof, Matti wtd Ebner an, vgl. 23.5.1876, § 400 StvVP in: StvVA 706. 537 Bericht der Spezialkommission vom 28. 7.1876, präsentiert am 29.7.1876, StvVA 706; auch in: MA R 1629, S. 141. 538 Bericht Spezialkommission vom 28.7.1876, MA R 1629, S. 141; vgl. auch Altheim, S. 17. 539 MA R 1629, S. 138; StvV 8.8. 1876, § 566 StvVP in: StvVA 706. 540 Ebd. für die vorgelegte Projektierwtg sprachen sich Müller, Holthof wtd Varrentrapp aus. 5417.10.1876, MA R 1629, S. 179. 542 MA R 1629, S. 180 RS.

240

3. Teil: Bereiche der Leist\mgsverwaltung

Am 22.1. 1877 schließlich teilte die Baudeputation den Abschluß der Projektierungsvorarbeiten mit. 543

In der Projektierungsphase befaßten sich jedoch nicht nur kommunale Behörden mit der Markthallenfrage, sondern auch eine staatliche, das Polizeipräsidium.

c) Polizeipräsidium

Bereits zwei Ergänzungen zur Polizeiverordnung vom 18.6.1871 machten deutlich, daß sich die Aktivitäten des Polizeipräsidiums in Anbetracht der Tatsache, daß der Neumarkt nicht ausreichte, auf die Ausweisung von neuen Marktplätzen konzentrierten. Mit Verordnung vom 14.12.1871 wurden den Obstverkäufern weitere Plätze zugeteilt,544 mit Verordnung vom 25.5.1872 sollten Marktverkäufer, die auf dem Neuen Markt keinen Platz fanden, ihren Stand auf dem Judenmarkt nehmen. 545 In der Folgezeit bildete die Mahnung, baldmöglichst eine Halle zu errichten, das zentrale Anliegen des Polizeipräsidenten. So wies er am 14.7.1874 aufgrund des stärker werdenden sommerlichen Gedränges auf das Bedürfnis hin, den Markthallenbau voranzutreiben.546 Am 10.9.1874 mahnte er neuerlich, "daß das Bedürfois zur Herstellung und Erweiterung des Marktplatzes immer dringender hervortritt. "5 47 Zur Abhilfe erklärte er sich am 7.12.1874 mit dem Magistratsvorschlag einverstanden, einen dritten Markt beim Affentor in Sachsenhausen einzurichten. 548 Doch, wie auch im Falle des Judenmarkts, werde jeder danach trachten, auf dem Hauptmarkt einen Stand zu erhalten. 549 Inhaltlich nahm der Polizeipräsident zu den Problemen am 6.11.1874 Stellung. Er konstatierte, daß an den Hauptmarkttagen durch das herrschende Gedränge eine Marktpolizeiaufsicht nicht mehr gewährleistet sei. Des weiteren sah auch er, wie früher schon der Verkehrsverein und die städtischen 543 MA R 1629, S. 184. 544 Amtsblatt 1871, S. 346. 545 Amtsblatt 1872, S. 120. 546 MA R 1629, S. 67. 547 MA R 1629, S. 70.

548MA R 1629, S. 90; Altheim, S. 14. 549 MAR 1629, S. 90.

D. Markthalle

241

Behörden, eine zunehmende Gefahr für den Marktpreis. Die keinen Raum findenden Produzenten veräußerten ihre Waren lieber zu geringen Preisen an Zwischenhändler, die dann ihrerseits die Preise in die Höhe schraubten. Abhilfe erwartete der Polizeipräsident durch die Niederlegung der auf der einen Seite des Marktes liegenden Baracken. 550 Einer Niederlegung der Baracken widersprach jedoch die Stadtkämmerei mit der Begründung, sie dienten vielfach Zwecken der Feuerwehr. 551 In der Folgezeit wiederholte der Polizeipräsident seine Nachfrage bezüglich der Realisierung des Markthallenprojekts. 552 Die Stadtkämmerei stimmte ihm darin bei, daß Marktnebenplätze zumeist nicht beachtet würden. 553 Auch der Zweigmarkt in Sachsenhausen sei kein Erfolg gewesen. Auf den Wunsch der Baudeputation, daß im Falle eines Markthallenbaues ein Verbot des Verkaufs außerhalb der Halle ausgesprochen werden müsse, erklärte sich der Polizeipräsident mit einem solchen Verbot einverstanden. 554 Gleichzeitig ging er jedoch von der Annahme aus, daß die Halle in den Sommermonaten nicht genügend Raum biete. 555 Der Beitrag des Polizeipräsidenten zur Markthallenfrage läßt sich somit als ständiges Drängen auf Errichtung einer Markthalle unter Hinweis auf die Enge und Unübersichtlichkeit des Marktplatzes qualifizieren.

3. Bauausführung

Am 22.1.1877 hatte das Bauamt sich eine Frist von drei Monaten zur Ausarbeitung des Spezialprojekts vorbehalten. Während der nächsten Zeit war es gleichzeitig mit der Verlegung des Marktes aufgrund des Hallenausbaues beschäftigt. 556 Die Vorlage der Spezialprojektierung nebst Kostenberechnung erfolgte erst am 4.7.1877. 550 MA R 551

1629, S. 99.

1.12.1874, MA R 1629, S. 100 RS.

552 27. 7.1875,

MA R 1629, S . 109.

553 Stadtkämmerei

14.8.1875, MA R 1629, S. 111.

554 22.4.1876, MA R

1629, S . 131.

555Ebd. 556 MA R

1(1

Fisdll'f

1629, S. 188 ff

242

3. Teil: Bereidle der Lei&ung.werwahung

Am 13.7.1817 legte der Magistrat der Stadtverordnetenversammlung den Antrag vor, 850.000 M für den Hallenbau zu bewilligen. 557 Das Stadtparlament betraute die vereinigte Ingenieur- und Markthallenkommission558 mit der Prüfung der ihr vorgelegten Frage. Deren Bericht datiert vom 31.7.1877. 559 Des weiteren überreichte der Magistrat der Stadtverordnetenversammlung das Anerbieten der Firma Kayser und Fries, den Markthallenbau zu übernehmen, 560 welches er bereits abschlägig beschieden hatte: Der Bau in eigener Regie sei beschlossene Sache 561 Die Stadtverordnetenversammlung betraute auf Antrag des Stadtverordneten Müller eine Kommission mit der Prüfung des Projekts Kayser/Fries.562 Diese kam zu dem Ergebnis, "die besseren Abweichungen von dem städtischen Projekt sind jedoch nur unwesentlicher Natur. "563 Am 30.8.1877 stimmte die Stadtverordnetenversammlung nach kurzer Debatte564 der Bewilligung von 850.000 M für den Markthallenbau zu; nur hinsichtlich der Keller wurden Bedenken geäußert. Die Offerte Kayser I Fries reichten die Stadtverordneten dem Magistrat zurück. 565 Am 4.9.1817 wurde zusätzlich ein Antrag Kanngießers angenommen, der auf die Initiative des Schreinermeisters und Stadtverordneten Dörr zurückging und festlegte, daß die Submission des Hallenbaues unter "vorzugsweiser Berücksichtigung der Frankfurter lndustrie" 566 durchgeführt werde. Damit sollten die heimischen Betriebe vom Bau profitieren. Am 4.9.1817 genehmigte der Magistrat schließlich die Planung der Baudeputation.567 Die Bauausführung konnte am 20.9.1817 beginnen. Die Oberbauleitung hatte Stadtbaurat Behnk:e. 568 Die Bauzeit betrug ein gutes Jahr. Nach 557 MA R 1629, S. 212; siehe auch StvVA 706. 55824.7.1877, § 571 StvVP, in: StvVA 706. 559 Bericht

siehe StvVA 706.

5607.8.1877, § 619 StvVP, in: StvVA 706. 561 Mag. 10.8.1877, in StvVA 706. 562 16.8.1877, § 634 StvVP, in: StvVA 706. 563MPs 1877, § 682, S. 474-475. 564 Bemerkungen der Stadtverordneten Scherlensky, Kanngießer, Matti, Schlußwort von Müller J0.8.1877, § 682 StvVP, in: StvVA 706; MA R 1629, S. 238. 565 30.8.1877, § 682 StvVP, in: StvVA 706. 566 4.9.1877, § 690 StvVP, in: StvVA 706. Auch Sonnemann war "vollkommen damit einverstanden, die Frankfurter Industrie nach Möglichkeit zu unterstützen." 567 MA R 1629, S. 239 RS.

568 Vgl. zu den im e~zelnen mit dem Bau befaßten Architekten und Ingenieuren, MA R 1629, S. 250 ff; Rodel, S. 275.

D. Markthalle

243

der vorläufigen Freigabe der Halle Anfang Dezember 1878,569 erfolgte die offizielle Eröffnung am 10.2.1879. Frankfurt verfügte nunmehr über eine Markthalle, die im Erdgeschoß 548 und auf der Galerie 347 durchschnittlich 2,20 qm große Stände aufwies. Daneben bestanden 102 Keller und 16 Eiskeller.570 Der aus Raumnot gewählte Typ der Markthalle mit umlaufender Galerie war einmalig in Deutschland und Vorbild für die 1891 vollendeten Markthallen in Dresden und Leipzig. 571 Die veranschlagten Baukosten von 850.000 M wurden um 100.000 M unterschritten. 572

m. Neuregelung des Marktwesens Der Markthallenbau zog die Neuorganisation des Marktwesens nach sich.

1. Automatischer Übergang der Marktpolizei auf die Stadt

Städtischerseils tauchte mit Errichtung der Markthalle zunächst die These auf, daß eine kommunale Markthalle den automatischen Übergang des gesamten Marktwesens - also auch der staatlichen Marktpolizei - an die Kommune und deren Marktamt zur Folge hätte.

569 Baudeputation meldet dem Magistrat am 3.12.1878, Ausbau ist vollendet, MA

R 1631.

570 Holthof, Markthalle, S. 109; die Zahl der Stände wird 1mterschiedlich angegeben: Spiess, S'.' 140 nennt im Erdgeschoß 596, auf der Galerie 347 Stände; Altheim, S. 17 kommt un Erdgeschoß auf 720. auf der Galerie auf 348 Stände. Zu den baulicnen Angaben{ siehe ~uch Behnke, S. 240 ff; Rödel, S. 276 ff; Groß, passim; Fünfzig Jahre Marktha le, passun. 571 Rödel, S. 275. 572 Altheim, S. 17; Spiess, S. 139.

244

3. Teil: Bereiche der Leistungsvenvahtmg

a) Städtische Beforworter Der Gedanke eines automatischen Übergangs der Marktpolizei vom Staat auf die Stadt findet sich erstmals im Bericht der Baudeputation vom 28.2.1878.573 Mit der Begründung, daß die Verteilung der Stände durch Polizeibeamte sich nur auf die Benutzung öffentlicher Straßen und Plätze, also die Verkehrspolizei, gründe, wollte die Baudeputation diese Aufgaben in Zukunft der Markthallenverwaltung übertragen. Den Polizeibeamten sollte künftig nur die Sicherheitspolizei, die Kontrolle der Lebensmittel (Gesundheitspolizei) sowie der Maße und Gewichte verbleiben. 574 Detailliertere Ausführungen gleicher Art erfolgten durch die mit der Prüfung der Vorschläge der Baukommission am 12.3.1878 beauftragte Kommission zur Organisation des Verkehrs im Bericht vom 24.10.1878.575 Diese Kommission wurde später ebenfalls als Markthallenkommission bezeichnet. Sie ist aber nicht mit der Markthallenkommission von 1873 identisch. Der Kommissionsbericht begründete die Ausübung des Marktrechts seitens der Ortspolizei lediglich mit der Inanspruchnahme der öffentlichen Straßen. 576 Zwar zähle§ 6 der Verordnung vom 20.9.1867 unter die Gegenstände, die ortspolizeilicher Anordnung unterliegen auch den Marktverkehr und das öffentliche Feilhalten von Lebensmitteln, der Gesetzgeber sei dabei jedoch, wie auch in den §§ 64-71 GewO, von der Voraussetzung ausgegangen, daß die Märkte und das Feilbieten auf öffentlichen Straßen stattfinden. Die Errichtung einer Markthalle habe man damals, wie auch in den Vorschriften des Gesetzes vom 26.4.1872 zur Erhebung von Marktstandsgeldern, nicht bedacht. Dies gehe auch aus der Ministerialanweisung zur Durchführung letztgenannter Verordnung vom 10.6.1872 hervor.577 Markthallenkommission und Baudeputation gingen somit von der These aus, daß der Markthallenbau, weil er den Markt in die städtische Halle verlegte, nicht mehr in die Kompetenz der Polizei falle, sondern eine städtische Marktverwaltung dies zu regeln habe.

573 MA R 1631, S. 1 ff 574MA R 1631, S. 14 RS. 575 Sie setzte sich aus Holthof, Pfafftmd Beck zusammen, MA R 1631, S. 24 RS; Später wurden Haag, Glock, Hofinann, Rumbier etc. kooptiert vgl. Bericht vom 24.10.1878, S. 29 ff 576 MA R 1631, S. 29 f 577MAR 1631, S. 52.

D. Markthalle

245

b) Gegenposition des Polizeipräsidenten Der städtischen Forderung nach Kompetenzverschiebung zugunsten der Stadt trat der Polizeipräsident am 3.12.1878 entgegen. Die Verlegung des Marktes von den öffentlichen Straßen in eine der Stadt gehörige Halle bedinge keine Kompetenzverschiebung. Einzig eintretende Veränderung sei die Erhebung eines Standgeldes durch die Stadtverwaltung. Zur Begründung verwies der Polizeipräsident auf den Wortlaut der preußischen Verordnung vom 20.9.1867, der die Gegenstände ortspolizeilicher Vorschriften benannte. Diese Gesetzeslage nebst den Bestimmungen in den§§ 64-71 GewO ließen keinen Zweifel daran, daß "die Abhaltwtg des Wochenmarktes, insbesondere die Zeit, Zahl Wld Dauer der Märkte sowie die PlatzverteiiWlg in der fiir den Marktverkehr bestimmten Halle durch PolizeiverordnWlg geregelt werden müssen. "578

c) Einlenken der städtischen Behörden Auf die Vorhaltungen des Polizeipräsidenten betonte die Markthallenkommission am 7.12.1878 wiederum das Neue einer städtischen Markthalle, das "den gesetzgebenden Faktoren des preußischen Staates völlig fernliegen mußte. Es gab damals und gibt heute in Preußen noch keine Markthalle im eigentlichen Sinne".579 Dieses Novum, das der Gesetzgeber nicht bedacht habe, hätte sie zur Annahme veranlaßt, "daß mindestens die vorhandenen Normen eine ganz andere Anwendung wie seither erfahren müßten".580 Gegen ihre Schlußfolgerung sprächen aber formale Bedenken. Dieser Betrachtungsweise schloß sich der Bericht der Stadtverordnetenkommission vom 2.1.1879 mit der Schlußfolgerung an, daß bei Eröffnung der Halle die Marktpolizei vom Polizeipräsidenten übernommen werde.581

578 MA ~ 1631, S.. 68 RS f; siehe auch Konzept des Polizeipräsidenten vom 30.11.1878, m : HStA Wiesbaden Abt. 407 Nr. 228, S. 62 ff 579 MA R 1631. S. 74 RS f 580 MA R 1631, S. 75. 581 MA R 1631, S. 105 ff; vgl. auch 13.12.1878 Magistrat teilte auch formelle Bedenken, HStA Wiesbaden Abt. 407 Nr. 228. Die Kommission bestand aus Müller, Hofinann, Glock, Freyeisen Wld Haag, MA R 1631, S. 109.

246

3. Teil: Bereiche der Leist.tmgsverwahtmg

Damit verblieb es bei der Zuständigkeitsregelung von 1867, die die Marktpolizei als ortspolizeiliche Aufgabe bezeichnet. Ortspolizei war der Polizeipräsident. Sowohl die Markthallenkommission582 wie auch eine Kommission der Stadtverordnetenversammlung583 wollten jedoch gemäß § 2 der Verordnung vom 20.9.1867 beantragen, daß die Marktpolizei von der königlichen Polizei auf die Behörden der Stadt übertragen werde. Die Kommission der Stadtverordnetenversammlung bezeichnete dies als dringende Notwendigkeit, die auf dem Gebiet der Bau- und Feldpolizei bereits realisiert wäre. Die Beschränkung der Stadt auf das Einsammeln von Standgeldern möge bequem sein, "so wenig wird sich ein derartiger Zustand auf die Dauer ertragen lassen. "584 Vielmehr handele es sich um ein anormales Verhältnis, "daß man in seinem mit großen Kosten erbauten Hause nicht den geringsten Theil seines Hausrechts beanspruchen kann" 585 Infolgedessen würde es zu Kompetenzkonflikten kommen, bei denen die städtischen Behörden stets den kürzeren zögen. 586 Am 17.1.1879 beantragte der Magistrat deswegen beim preußischen Innenministerium die Übertragung der Marktpolizei. 587

2. Gesetzesanpassung und Provisorium Die Errichtung der Markthalle erforderte städtischerseits den Erlaß einer Markthallen- und Platzgeldordnung und die Regelung der Erhebung eines Standgeldes außerhalb der Halle. Da die Stadt die Marktpolizei künftig übernehmen wollte, sah sie diese Regelungen nur als Provisorium an.

582 MA R 1631, S. 80. 583MA R 1631. S. 106; Beschluß StvV 9. 1.1879, MA R 1631, S. 102 RS. 584 MA R 1631, S. 106.

585 Ebd., S. I 06. 586 Ebd., S. I 06. 587 MA R 1631, S. 112; zum Antrag auf Übertragung s.u. Gnmdsätz1iche Ändenmg der Marktverhältnisse.

D. Marlcthalle

247

a) Polizeiverordnung und Bekanntmachung

Bereits in seinem Schreiben vom 30.11.1878 hatte der Polizeipräsident den Erlaß einer Marktordnung nebst Bekanntmachung der Marktplätze gemäß Artikel 6 der Marktordnung vorgeschlagen. 588 Auch die Markthallenkomrnission589 und die Stadtverordnetenkommission590 sahen diese Aufgaben als unumgänglich an. Hinsichtlich der Marktordnung hielt der Polizeipräsident nur eine geringfügige Änderung der Verordnung vom 16.8.1871 für nötig. 591 Es handelte sich hierbei um Art. 1, der festlegte, daß der Markt an allen Wochentagen mit Ausnahme der Feiertage abgehalten werde und um Art. 2, der die Marktstunden festlegte. 592 Ansonsten verblieb es grundsätzlich bei der Polizeiverordnung von 1871. Eine stärkere Anpassung an die neuen Verhältnisse erfolgte durch die Bekanntmachung vom 20.1.1879, die die Marktplätze festlegte. So schrieb § 1 fest, daß der Wochenmarkt vom 10.2.1879 an in der neuerbauten Markthalle sowie, wenn erforderlich, auf den nächstgelegenen Straßenteilen abgehalten wird. Gemäß § 2 war der Verkauf von Obst- außer in der Halle- auch auf weiteren Plätzen wie dem Samstagsberg, Liebfrauenberg etc. zugelassen. Der Fischmarkt, Heu- und Strohmarkt sowie der Verkauf von Weißkraut und Kartoffeln, soweit er vom Wagen aus erfolgte, verblieb auf den bisherigen Plätzen (§ 3).593 § 4 stellte ebenfalls eine Anpassung an die veränderten Marktverhältnisse dar, indem er die Regelung zur Benutzung der Markthalle und den Verkauf der Marktwaren einer vom Magistrat im Einvernehmen mit dem Polizeipräsidenten zu erlassenden Hallen- und Platzgeldordnung überließ. 594 Eine vom Polizeipräsidenten am 30.11.1878 ebenfalls vorgeschlagene Polizeiverordnung für den Großverkauf in der Markthalle mit Strafbestimmung wurde nicht umgesetzt. 595 588 MA R 1631, S. 68 f 589 MA R 1631, S. 52 ff 590MA R 1631, S. 106 RS. 59l MA R 1631, S. 69 RS. 592 Amtsblatt, 1879, S. 42.

593vgl. Markthallenkommission, MA R 1631, S. 52 ff 594 Amtsblatt 1879, S. 42. 595 MA R 1631, S. 70 RS.

248

3. Teil: Bereiche der LeisbmgsvetWahWlg

Die durch den Markthallenbau erforderlich gewordene Anpassung polizeilicher Vorschriften war damit erfolgt. Der öffentliche Markt fand in der Markthalle statt. Zwar galten Markthallen, da eine Standvermietung stattfand, als gewerbliche Anstalten, sie nahmen jedoch den Charakter von polizeilichen Gemeindeanstalten an, wenn der Markt auf öffentlichen Plätzen geschlossen wurde.596 Gemäß § l der Bekanntmachung vom 20.1.1879 fand der Wochenmarkt in der Markthalle nebst angrenzenden Straßen statt. Ausnahmen galten zwar für Obst, Fisch, Heu und Stroh, doch war somit der Zwang zur Benutzung der Halle festgeschrieben und der Markt primär in die Halle verlegt. Es handelte sich bei der Frankfurter Markthalle somit um eine Gemeindeanstalt

b) Standgelderhebung außerhalb der Halle Hinsichtlich der Notwendigkeit der Erhebung eines Platzgeldes für Stände außerhalb der Halle bestanden beim Polizeipräsidenten597, der Markthallenkommission598 und der Stadtverordnetenkommission599 keine Zweifel. Reichsgesetzlich hatte § 68 GewO das Heberecht stark eingeschränkt. 600 Für die Erhebung von Marktstandsgeldern in Preußen war das Gesetz betreffend die Erhebung von Marktstandsgeldern vom 26.4.1872601 einschlägig. Gemäß § I dieses Gesetzes durfte für den Gebrauch öffentlicher Plätze und Straßen zum Feilbieten von Waren sowie auch auf Märkten eine Abgabe, also ein Marktstandsgeld, erhoben werden. Erforderlich war jedoch die Zustimmung der Gemeinde und die Genehmigung der Bezirksregierung. Auf letzteres Erfordernis wies der Polizeipräsident die Stadt Frankfurt ausdrücklich hin. 602 Die Gemeinde beantragte sie deshalb am 17.1.1879603 bei der preu-

596 Buck, S. 196. 597 MA R 1631, S. 71 f 598MA R 1631, S. 29 ff, 74 ff 599 MA R 1631, S. 107 RS. 600 Vgl. auch Matthias "Marktstandsgelder lUld Meßgebühren", HwbdKw, S. 345; Leuthola"Marktwesen", in: Stenge/, S. 86. 601 PGS 1872, S. 513. 602MA R 1631, S. 71 f 603 Magistrat, MA R 1631, S. 114.

D. Markthalle

249

ßischen Bezirksregierung. Am 20.1.1879 lag diese vor. 604 Frankfurt erhob danach ein tägliches Marktstandsgeld von 10 Pfennig pro qm von den außerhalb der Markthalle anbietenden Verkäufern. Damit lag die Gebühr der Gemeinde deutlich unter dem gemäß § 2 des Gesetzes vom 26.4.1872 zulässigen Maximum von 20 Pfennig pro Tag und Quadratmeter. 605

c) Markthallen- und Platzgeldordnung Mit der Ausarbeitung einer lediglich als Provisorium606 empfundenen Markthallen- und Platzgeldordnung setzten sich Baudeputation, Markthallenund Stadtverordnetenkommission auseinander. Schon die Ausführungen der Baudeputation unterschieden, wie auch die spätere Hallenordnung, zwischen Vorschriften zum Detail- und solchen den Engroshandel betreffend. Als problematisch wertete die Baudeputation im Detailhandel die Frage der Platzverteilung und dabei insbesondere die Entscheidung, welche Waren auf die Galerie zu verbannen seien. Als für die Galerie geeignet sah das Bauamt den Verkauf von Eiern, Butter und Käse und in Anlehnung an die Regelung zu der als Vorbild dienenden Madeleine Halle in Belgien den Verkaufvon Blumen und Geflügel an. Auch der Engroshandel sollte in der Halle Platz finden, allerdings an den Hauptwochenmarkttagen auf die frühesten Stunden beschränkt. Hauptfrage war, durch wessen Hand der Engrosverkauf bewirkt werden sollte. In den belgiseben und französischen Markthallen wie der in Wien erfolgte der Engrosverkauf durch die Markthallenverwaltung, während in England eine vollständige Freigabe existierte. Für letzteres System plädierte auch die Baudeputation, "weil die Ausschließ1mg der außerhalb der Verwaltung stehenden Agenten eine bedeutende Vermehnmg des Verwalt1mgspersonals erfordern 1md die Freiheit des Verkehrs beeinträchtigen würde," ohne notwendig zu sein.60?

604 Königliche Regierung, MA R 1631, S. 129. 605 Vgl. auch Holthof, Markthalle, S. 110. 606 so Stadtverordnetenkommission am 2.1.1879, MA R 1631, S. 106 RS. 607 MA R 1631, S. 11 RS.

250

3. Teil: Bereiche der Leistunl!l'verwahung

Diese Abkehr vom System der Versteigerung durch die Markthalle ohne Zwischenhändler, wie vom Verkehrsverein und der Markthallenkommission 1873 gefordert, griff auch die Markthallenkommission von 1878 auf. Für eine Übernahme des Systems freier Vermittler spreche, daß es bei Bedarf noch möglich sei, zum System beamteter Vermittler überzugehen. 608 Wie schon die Baudeputation sah die Magistratskommission die Frage der Verteilung der Stände als zentral an. Sie bezeichnete es als "Grundgesetz" 609 , daß das, was im Erdgeschoß verkauft würde, nicht auch auf der Galerie feilgeboten werden dürfe. Die Markthallenkommission erarbeitete sodann den Entwurf der Markthallen- und Platzgeldordnung610, der bis auf geringfügige Änderungen von den städtischen Organen akzeptiert und mit Zustimmung des Polizeipräsidenten am 20.1.1879 erlassen wurde. 61 1 So strich die Kommission auf Wunsch der Stadtverordnetenversammlung612 eine Bestimmung, die die deutliche Kenntlichmachung des Preises einzelner Waren zum Gegenstand hatte 613 Als Motiv führten die Stadtverordneten an, daß dies in vielen Fällen unmöglich sei. 614 Die weiteren Änderungen betrafen nur Marginalien. 615 Insgesamt urnfaßte die Markthallen- und Platzgeldordnung 25 Paragraphen, die sich in I. Allgemeine Bestimmungen (§§ 1-6), II. Bestimmungen über den Kleinverkehr (§§ 7-18) und III. Bestimmungen über den Großverkehr (§§ 19-25) untergliederten.616 Die Allgemeinen Bestimmungen setzten in § 1 zunächst fest, daß die Markthalle sowohl dem Klein- wie auch Großverkauf dient sowie in § 2 die Öffnungszeiten von vier Uhr morgens bis sechs Uhr abends (Sommer) und fünf Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags im Winter. Weitere Bestimmungen regelten u.a. die Benutzung der Aufzüge(§ 3) und der Zentralwaage (§ 4). 608MA R 1631, S. 36. 609 Ebd., S. 45. 6 10 Anlage li Markthallen Wld Platzgeldordmmg, MA R 1631, S.

59 ff.

611 Anzeigeblatt 1879, S. 57 f

6 12 Stadtverordnetenkommission 2.1.18 79, MA R 1631 S. I 07 ff. 613 Vgl. § 17, MA R 1631, S. 61. 614 MA R 1631, S. 107f 615 So u.a. der Wegfall einer vorrangigen Vermietung an Personen, welche in der Umgebung Frankfurts oder an benachbarten Orten wohnen, in§ 12. MA R 1631, S. 60 RS. 616 Anzeigeblatt 1879, S. 57 f

Zu Preisanstiegen vgl. z.B. Amtsblatt 1880, S. 195.

D. Markthalle

251

Hinsichtlich des Kleinverkehrs reservierte § 7 an den Wochenmarkttagen Mittwoch und Samstag ab sechs Uhr die Hclle ausschließlich für den Detailhandel. § 8 verbannte an diesen Tagen alle Verkaufsgegenstände außer Feldgemüse und Obst auf die Galerie. Da gemäß § 7 Mittwoch und Samstag die Hauptmarkttage bildeten, war nach§ 9 an diesen Tagen nur die Vergabe von Einzelständen möglich. Zudem wurde das Standgeld pro Markttag erhoben. Es betrug bis zu 40 Pfennig für einen Stand im Erdgeschoß und bis zu 30 Pfennig für einen auf der Galerie. An den übrigen Tagen konnten ganze Abteilungen und Einzelstände auf längere Zeit gemietet werden (§ 12). Die monatlichen Preise für einen Einzelstand lagen im Erdgeschoß bei 6,-- M, auf der Galerie bei 5,-- M. An den Tagen außer Mittwoch und Samstag wurden zudem Einzelstände zu ermäßigten Preisen tageweise abgegeben (§ 15). Insgesamt enthielt die Markthallenordnung eine Preisstaffelung nach Einzelstand und Abteilung, nach Erdgeschoß und Galerie sowie nach den Hauptmarkttagen und den sonstigen Tagen der Woche. Der Großmarkt war an den Hauptmarkttagen auf die Zeit von vier Uhr bzw. im Winter fünf Uhr bis sechs Uhr morgens beschränkt, ansonsten standen ihm die Räumlichkeiten der Halle in ihrer gesamten Öffnungszeit zur Verfügung. Hervorzuheben ist die Bestimmung des § 20, der den Zwischenhandel bei Engreswaren zum Gegenstand hatte. Danach war jedermann zur Vermittlung berechtigt. "Seitens des Magistrats werden jedoch Vermittler in Wlbestirnmter Zahl derartig concessioniert, daß ihnen SteiiWlg einer fur Erfiil!Wlg eingegangener Verbindlichkeiten haftender Caution gestattet wird. Die Gebührensätze dieser concessionierten Vermittler Wlterliegen der Cantrolle der städtischen VerwaltWlg. Den Verkäufern bleibt es überlassen, ihre Waren freihändig oder im VersteigefWlgswege zu veräußern."617

Die Durchführung öffentlicher Versteigerungen war damit endgültig gescheitert.618 Lediglich über die konzessionierten Vermittler sicherte sich die Stadt eine Einflußmöglichkeit

617 Anzeigeblatt 1879, S. 58. 618Holthof, Markthalle, S. 109.

252

3. Teil: Bereidle der Leishmg.werwaltung

3. Städtische Verwaltungsbehörde Durch Erlaß der Polizeiverordnung nebst ihrer Bekanntmachung, durch die Standgelderhebung außerhalb der Halle sowie durch die Hallen- und Platzgeldordnung war den Veränderungen des Marktwesens, wie sie durch die Errichtung einer städtischen Markthalle veranlaßt worden waren, Rechnung getragen. Offen blieb die Frage, wie die städtische Verwaltung des Marktwesens zu organisieren sei. Zunächst konnte sich diese nur auf die Standgelderhebung erstrecken. Eine Ausweitung war jedoch dann möglich, wenn dem städtischen Antrag auf Übernahme der Marktpolizei staatlicherseits nachgekommen wurde. a) Provisorische Marktverwaltung und Übertragung der Marktpolizei

Als städtische Verwaltungseinrichtung der neuerrichteten Markthalle konstituierte die Stadt ein provisorisches Marktamt, eine Marktkommission. Die Einrichtung erfolgte durch einstweilige Verfügung des Magistrats vom 14.1.1879.619 Die provisorische Verwaltung wurde den Stadträten Holthof, Pfaff und Beck übertragen.620 Gleichzeitig setzte der Oberbürgermeister den Polizeipräsidenten vom Provisorium und der Tatsache in Kenntnis, daß die Verwaltung nunmehr mit der Vermietung beginne.621 Am 17.1.1879 forderte der Magistrat die Stadtverordnetenversammlung auf, ihrerseits zwei Mitglieder für die Verwaltungsspitze zu benennen. 622 Dem entsprach diese am 28.1.1879 mit der Wahl der Herren Vogel und Bock.623 Bedingt durch die bloß provisorische Handhabung der Marktverwaltung zielte der Magistrat darauf ab, diesen Zustand baldmöglichst zu beenden. In seinem Antrag auf Übertragung der Marktpolizei vom 17.1.1879, gerichtet an den preußischen Innenminister. hatte er seinen Standpunkt auf folgende Argumente gestützt:

6 19 MA R 1631, S. 100.

620 MA R 1631, S. 100; siehe auch Beschluß StadtvV vom 9.1.1879 Zustitmmmg zur EinsetZlUlg einer provisorischen Verwaltung, S. 102 RS. 621 14.l.l879, MA R 1631, S. 101. 622 MA R 1631 , S. 110 RS; 17.1.1879 StvVA 706. 623MA R 1631, S. 131 ; 28.1.1879 StvVA 706. Es handelte sich bei beiden um Privatpersonen, nicht um Stadtverordnete.

D. Markthalle

253

Der Grund für die Kompetenz der Ortspolizei auf dem Gebiet des Marktwesens habe in der Inanspruchnahme der Straßen gelegen. In diesen tatsächlichen Verhältnissen sei durch die Errichtung der Markthalle eine fundamentale Änderung eingetreten. Beim Markthallenbau habe es sich um eine innere Umgestaltung des ganzen Marktwesens gehandelt. Weniger die Unterbringung des Kleinverkehrs als die Heranbildung eines Großhandels habe in Frage gestanden. Nur durch die Einbeziehung des Großhandels seien die Errichtungskosten, die der Verbraucher über das Standgeld zu finanzieren habe, für die Käufer akzeptabel. 62 4 "Zu einer solchen systematischen, ineinandergreifenden Organisation der Marktverhältnisse ist es aber Wlerläßlich, daß sich das Dispositionsrecht über alle jenen Angelegenheiten Wlgeteih Wld ganz in einer Hand Wld zwar in derjenigen der mit Errichtung von Markthallenbauten vorgehenden Gemeinde befmde. "625 Es existiere ein "anormaler und zwitterhafter Zustand" , wenn der Gemeinde nach Errichtung nicht ein Teil des Hausrechts zustehe. 626 Für die kaufmännischen Aufgaben des Großhandels sei die Ortspolizei ungeeignet. Aus einem Nebeneinander von staatlichen und städtischen Behörden würden nur Konflikte resultieren. Somit müsse dort, wo auf Initiative der Gemeinde eine Markthalle entstehe, "die Handhabung der gesamten Marktpolizei der Communalverwaltung überwiesen werden. oo627 Mit Schreiben vom 20.1.1879 teilte der Polizeipräsident dem Magistrat mit, daß er dessen Antrag auf Übertragung der Marktpolizei weiterleite.628 Die Regierung in Wiesbaden urteilte gegenüber dem lnnenminister, daß sie eine Übertragung der Marktpolizei gutheiße. 629 Zwei Monate später, am 20.3.1879, erfolgte durch den Polizeipräsidenten die Mitteilung, daß den städtischen Wünschen entsprochen werde. 630 Er übersandte den Erlaß des Innenministers Eulenburg vom 12.3.1879, gerichtet an die königliche Regierung zu Wiesbaden, worin dieser festsetzte, daß er im 624 Magistrat 17.1.1879, GStA Merseburg, Rep. 77, Ministerium des Innem, Tit.

683 Nr. Hl.

625Ebd. 626Ebd. 627Ebd. 62 8MA R 1631, S. 115. 629 Regierung in Wiesbaden 12.2.1879, GStA Merseburg, Rep.77, Ministerium des Innem Tit. 683 Nr. 16. 630 MA R 1364, S. 19.

254

3. Teil: Bereiche der LrutWlg.we!WahWlg

Einverständnis mit dem Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten631 aufgrund § 2 der Verordnung vom 29.6.1867 beschlossen habe, die örtliche Marktpolizei in Frankfurt am Main, d.h. das Marktwesen und das öffentliche Feilhalten von Nahrungsmitteln, soweit es sich nicht um Ausübung der Sicherheitspolizei, die Kontrolle der Lebensmittel in sanitärer Beziehung und um die Kontrolle der Maße und Gewichte handelte, an die Stadt Frankfurt zu übertragen. 632 Als Zeitpunkt der Übernahme schlug der Polizeipräsident den 1.4.1879 vor. Die neue Kompetenzregelung wurde am 26.3.1879 vom Polizeipräsidenten bekanntgemacht 633

b)Marktamt Mit Übertragung der Marktpolizei war die Grundlage für eine dauerhafte Neuorganisation des städtischen Marktwesens gelegt.

aa) Rechtliche Ausgestaltung Erste Entwürfe zur Ausgestaltung einer städtischen Marktverwaltung stammten von der Markthallenkommission, die am 24.10.1878 in Anlage I zu ihrem Bericht den "Entwurf für die Organisation des Marktamtes" vorgelegt hatte.634 Er wurde nicht weiter behandelt, da er damals in Widerspruch mit der Gesetzeslage stand. Mit der definitiven Übernahme der Marktpolizei 1880 durch die Stadt stellte sich die Organisationsfrage erneut. Am 11.7.1879 legte der Magistrat der Stadtverordnetenversammlung das "Regulativ, die Organisation des städtischen Marktwesens betreffend", zur

631 Vlrl. hierzu Handelsministerium 28.2.1879, GStA Merseburg, Rep. 77, Ministerium aes Innem, Tit. 683 Nr. 16. 632 MA R 1364, S. 20; siehe auch Eulenburg 7.3.1879, GStA Merseburg, Rep 77, Ministerium des Innem, Tit. 683 Nr. 16. 633 Amtsbatt 1879, S. 94. 63 4 MA

R 1631, S. 57.

D. Markthalle

255

Genehmigung vor. 635 Es fand am 27.4.1880 die grundsätzliche Billigung der Stadtverordnetenversammlung. 636 Trotzdem bestand die Stadtverordnetenversammlung auf geringfugigen Änderungen: Gemäß dem Vorschlag der Markthal1enkommission637 vom 15.3.1880 wurde § 4 des Regulativs, der die Anzahl der ständigen Beamten zum Gegenstand hatte, dahin geändert, daß statt zwei Erheberstellen nur eine eingerichtet wurde. Auf Dr. Matti geht die Anregung zurück, das neue Amt nicht Marktdeputation, sondern Marktamt zu nennen, 638 auf Dr. Ebner die Bezeichnung Marktmeister fur die Inspektoren639 Der Magistrat billigte die Korrekturen am 18.6.1880640 Insgesamt wies die Organisationsregelung vom 18.6.1880641 funf Paragraphen auf. § 1 bezeichnete als Aufgabenkreis des neugeschaffenen Marktamtes die Handhabung der Marktpolizei und derjenigen Geschäfte, die sich auf die Versorgung der Einwohner der Stadt mit Lebensmitteln und den Betrieb der Markthalle beziehen. Gemäß § 2 bestand die Leitung des Amtes aus zwei Mitgliedern des Magistrats und drei stimmberechtigten Bürgern. Zwar fiihrte ein vom ersten Bürgermeister ernanntes Magistratsmitglied den Vorsitz im Marktarnt, gleichwohl hatten die stimmberechtigten Bürger das Übergewicht. Den Geschäftskreis im einzelnen regelte § 3. § 4 befaßte sich mit den dem Marktarnt zugehörigen ständigen Beamten. § 5 hatte die Finanzverwaltung des neuen Amtes zum Gegenstand. 642

bb) Tätigkeit In Ausfuhrung der nach § 2 notwendigen Wahl bzw. Ernennung der Mitglieder des Marktamtes wurden seitens der Stadtverordnetenversammlung die 635 11.7.1879, StvVA 706; vgl. auch MAR 1634. 636 StvVP 27.4.1880, § 290; in: StvVA 706, vgl. auch MA R 1634. 637 Diese Markthallenkommission bestand u.a. aus Hofinarut Wld Freyeisen, Bericht 15.3.1880 StvA 706. 638 StvV 27.4.1880, § 290 StvVP in: StvA 706. 639 Ebd. · vlrl. auch Bericht der von der Stadtverordnetenversamml1mg gewählten Mitglieder der 'Markthallenkommission Vogel 1md Bock vom 10.2.1880 I 9.1.1880, in: StvVA 706. 640 StvA 706, vgl. auch MA R 1634. 641 Anzeigeblatt 1880, S. 229. 642 Anzeigeblatt 1880, S. 229.

256

3. Teil: Bereiche der Leistungsvawahung

schon im provisorischen Marktamt bzw. der Marktkommission der Stadtverordnetenversammlung tätigen Hofmann, Vogel und Bock gewählt, während der Magistrat Holthof und Pfaff aus dem provisorischen Marktarnt zu Magistratsmitgliedern ernannte. Den Vorsitz führte Holthof.643 Bereits der Verwaltungsbericht von 1880/81 bewertete die neugeschaffene Organisationsform grundsätzlich positiv. Es kann "mit Fug behauptet werden, daß die neugeschaffene Einrichtung sich in jeder Beziehung sowohl nach der wirtschaftlichen wie nach der fmanziellen Seite hin vollkommen bewährt und die von ihr gehegten Erwartungen durchaus erfüllt hat. "644 Zwar war der Versuch der Versteigerung von Marktwaren in Frankfurt wegen mangelnden Publikumsinteresses gescheitert,645 doch hatten auswärtige und einheimische Händler derart zugenommen,646 "daß, wenn nicht Erbauung einer weiteren Markthalle, so doch vorläufige Teilung des Marktes in nächster Zeit in Erwägung gestellt werden muß. "647 Die Kommune erhoffte sich insbesondere von einem gesteigerten Angebot der Großhändler günstige Einflüsse auf den Markt. Die Gewinne des Marktwesens reichten vorerst nicht zur Amortisation aus. Aufgrund der sich abzeichnenden Entwicklung erwartete die Stadtverwaltung dies jedoch für die nahe Zukunft, "obgleich die fiir Benutzung der Markteinrichtung erhobenen Gebühren mit Rücksicht darauf, daß die Markthalle nicht als Erwerbsgeschäft, sondern als eine Anstalt öffentlichen Nutzens gefiihrt werden soll, niedrig gegriffen sind." 648 Dieser Prognose entsprachen die Einnahmen aus dem Betriebe der Markthalle, die sich von 63.898 Mim Jahre 1879/80 auf 76.152,83 Mim folgenden Jahr erhöhten. 649 Damit hatte sich die Markthalle nicht nur aus marktpolitischen Gründen rentiert, sondern war auch finanziell gesehen lukrativ.

643 18.6.1880 Ernennung der Magistratsdeputierteni 13.7.1880 Wahl der Deputierten der Stadtverordnetenversammlung, StvVA 706, eba., MA R 1634. 644 VB 1880/81, S. 129. 645 VB 1879/80, S. 57. 646Holthof, Markthalle, S. liO.

647 VB 1880/81, S. 129. 648 VB 1879/80, S. 57. 649 VB 1880/81, S. 130; vgl. auch VB 18881/81, S. 70f

D. Markthalle

257

IV. Ergebnis Das Marktwesen des freistädtischen Frankfurt vollzog sich unter freiem Himmel. Maßgebend war die Marktordnung von 1843, die noch Regelungen enthielt, durch die der Handel von Zwischenhändlern und fremden Marktbesuchern erschwert wurde. 1871 wies die Stadt Frankfurt ein neues zentrales Marktgelände zwischen Hasengasse und Fahrgasse aus. Damit verbunden erging eine neue Marktordnung nebst Bekanntmachung, die den neuen Marktverhältnissen und den liberalen Vorschriften der Gewerbeordnung Rechnung trug. Standgebühren wurden auch 1871 nicht verlangt.

Mit der Ausweisung des neuen Marktgeländes waren die Voraussetzungen für die Errichtung einer städtischen Markthalle geschaffen. Diesbezügliche Pläne stammten bereits aus freistädtischer Zeit, waren aber immer am Nichtvorhandensein eines geeigneten Platzes gescheitert. Noch 1869 hatte Mumm sie zugunsten anderer Projekte zurückgestellt. Die ersten Initiativen zur Hallenprojektierung waren privater Natur und stammten vom "Verein zur Förderung des öffentlichen Verkehrslebens" und vom "Landwirtschaftlichen Verein". Als vorrangiges Anliegen des Markthallenbaus sahen die Vereine die Regulierung der Lebensmittelpreise. Dies blieb auch in der Folgezeit neben dem Argument der Raumnot Hauptanliegen. Demgegenüber wurden technische bzw. hygienische Argumente wenig angeführt.650 Erst nach den privaten Vorprüfungen schalteten sich die städtischen Behörden ein. Grundsätzlich planten sie den Bau in eigener Regie. Eine gemischte Kommission nahm am 4.2.1873 die detaillierte Ausarbeitung des Bauvorhabens auf. Neben der Markthallenkommission waren der Magistrat, die Stadtverordnetenversammlung, die Kämmerei sowie die Baudeputation mit der Planung befaßt. Auch die Stadtverordnetenversammlung befürwortete grundsätzlich die Errichtung einer Markthalle. Am 22.1.1877 war die Projektierungsphase abgeschlossen. In dieser Zeit hatte eine staatliche Behörde, Polizeipräsidium, durch ständige Mahnungen auf die bestehenden, unzulänglichen Marktverhältnisse hingewiesen. Der Polizeipräsident sah ebenfalls die Raumnot und die Senkung der Lebensmittelpreise als wesentlich an. Die Regierung in Wiesbaden genehmigte Frankfurt die notwendigen Grundstücksveräußerungen.

6 50 Vgl. zu den Argumenten die andernorts zum Markthallenbau fiihrten: Morgenroth "Markthallen (Wirtschaftliches)", HwbdKw, S. 340. 17 Fischer

258

3. Teil: Bereidle der Leisbmgsvawah\Dlg

Auf Vorlage des Magistrats bewilligte die Stadtverordnetenversammlung 850.000 M für das ausgearbeitete Markthallenprojekt. Der zuvor eingeholte Bericht einer Markthallen- und Ingenieurkommission hatte nur geringfügige Beanstandungen enthalten. Nach einer knapp einjährigen Bauzeit verfügte Frankfurt, einmalig in Deutschland, über eine Markthalle modernen Typs mit umlaufender Galerie. Weitere Hallen in Deutschland entstanden erst ab den neunziger Jahren. Bis zum ersten Weltkrieg waren sie in 19 deutschen Städten vorhanden. 651 Die Errichtung der Markthalle in Frankfurt mußte eine Neuorganisation des Marktwesens nach sich ziehen. Am weitreichendsten waren die Schlußfolgerungen der Baudeputation und der Markthallenkommission von 1878, die von einem automatischen Übergang des gesamten Marktwesens, also auch der bisher der Ortspolizei übertragenen, auf die Stadt ausgingen. Zur Begrundung verwiesen beide darauf, daß die gesetzlichen Regelungen den Fall einer Markthalle nicht bedacht hätten und somit eine Lücke vorliege. Formale Bedenken des Polizeipräsidenten mit Verweis auf die Regelungen zur Ortspolizei von 1867 veranlaßten die städtischen Behörden, die formelle Übertragung der Ortspolizei auf die Stadt zu beantragen. Folglich betrachteten die städtischen Behörden die aufgrund des Markthallenbaus notwendigen Anpassungen zunächst nur als Provisorium.

Die polizeiliche Angleichung an die neuen Marktverhältnisse erfolgte durch die Polizeiverordnung vom 10.1.1879 und die aufgrund ihrer ergehenden Bekanntmachung, die festlegte, daß der Wochenmarkt ab dem 10.2.1879 in der neuerbauten Markthalle stattfindet. Durch die Genehmigung der Regierung war es Frankfurt möglich, außerhalb der Markthalle ein Standgeld von I 0 Pf zu verlangen. Damit bestand erstmals eine Standgebühr. Die Markthallenkommission von 1878 erarbeitete die Markthallen- und Platzgeldordnung, die keine Trennung zwischen Groß- und Kleinhandel vornahm, vielmehr gab die Kommission einer Zentralmarkthalle den Vorzug.652 Lediglich an den Hauptmarkttagen war der Kleinhandel bevorrechtigt. Die Preise pro Stand waren je nach Einzelstand oder Abteilung, Galerie oder Erdgeschoß sowie den Hauptmarkttagen (Mittwoch und Samstag) und den übrigen Wochentagen gestaffelt.

651 Morgenroth "Markthallen (Technisches)", HwbdKw, S. 340. 6 52 Zu dieser später üblichen Trenmmg, Pantlen, "Märkte und Messen", HwbdStw, S. 493; Morgenroth "Markthalle (Wirtschaftliches)", HwbdKw, S. 340; Lindemann, StädteveiWalhmg, S. 135.

D. Markthalle

259

Entgegen früheren Plänen hatte Frankfurt auf ein städtisches Versteigerungssystem und damit einen verstärkten Einfluß aus Gründen der Kosten und der Freiheit des Verkehrs verzichtet. Das städtische Versteigerungssystem hat sich auch in anderen deutschen Städten vielfach nicht behaupten können. 653 Die Schaffung einer städtischen Markthallenverwaltung erfolgte erst mit Übertragung der Marktpolizei an die Stadtaufgrund § 2 der preußischen Verordnung vom 29.6.1867 zum 1.4.1879. Bis dahin hatte eine provisorische Marktkommission, eingesetzt durch einstweilige Verfügung des Magistrats vom 14.1.1879, die Geschäfte geführt. Ihr gehörten Holthof, Pfaff und Beck (alle vom Magistrat) sowie Vogel und Bock seitens der Stadtverordnetenversammlung gewählt, an. Rechtlich ausgestaltet wurde die neue Verwaltungsspitze, das Marktamt, durch Regulativ vom 18.6.1880. Seine Leitung bestand aus zwei Magistratsmitgliedern und drei stimmberechtigten Bürgern. Den Vorsitz führte das vom Bürgermeister ernannte Magistratsmitglied. Mit der Wahl bzw. Ernennung Hofmanns, Vogels, Bocks, Holthofs und Pfaffs wurden bereits mit dem Marktwesen der zurückliegenden Zeit befaßte Personen ausgewählt. Die Tätigkeit des neuen Amtes beurteilte die Verwaltung positiv und erwartete aufgrund steigender Einnahmen eine baldige Amortisation der Errichtungskosten. 654 Auch die wirtschaftspolitischen Zwecke, Senkung der Lebensmittelpreise, sah die Stadt als erfüllt an. Den illegitimen Zwischenhandel bekämpfte die Kommune, um zusätzlich auf die Lebensmittelpreise Druck auszuüben. 655 Allgemein läßt sich ein günstiger Einfluß des Markthallenbaues auf die Marktpreise nicht immer genau nachweisen. 656 Im Gemüsehandel waren weiterhin Kleinproduzenten vorherrschend, nur langsam bildeten sich auch Großhändler heraus657 . Dies führte zu Reibereien zwischen Klein- und Großhändlern mit der Folge, daß die Stadt bereits 1881/82 die Notwendigkeit einer weiteren Halle konstatierte.658 1882 wurden die Geschäfte des Marktamtes dem "Städtischen Polizei- und Verkehrsamt" übertragen.659

653 Morgenroth "Markthalle (Wirtschaftliches)", HwbdKw, S. 343. 654 Die Prognose hat sich .in. späteren Jahren nicht bewahrheitet, so Lindemann, Städteverwalhmg, S. 147: Frankfurt schloß 1904/05 mit einem Defizit ab. 655 VB 1881/82, S. 71. 656Ebd., S. 344; vgl. auch Burgholz, S. 105; Lindemann, Städteverwalhmg, S. 147. 65? Lindemann, Städteverwalhmg, S. 136. 658 VB 1881182, s. 11. 659 Regulativ das städtische Polizei- wtd Verkehrsamt betr. vom 8.12.1882, in MA

R 1634. 17*

260

3. Teil: BereidJ.e der Leistungsverwahung

Die Markthalle blieb in den folgenden Jahrzehnten weiterhin der dominierende Marktplatz. Daneben bestanden während der Frühjahrs- und Herbstmesse die Lederhalle und seit 1906 eine provisorische Markthalle. 660 Die Schaffung einer allein dem Großverkauf dienenden Zentralmarkthalle datiert erst von 1928. So hatten der Markthallenbau von 1879 und die damit verbundenen Neuregelungen des Marktwesens grundsätzliche Bedeutung.

660 Busch, S.

158.

Lösungsansatz: Zum System der Frankfurter Leistungsverwaltung Die Leistungsverwaltung im Frankfurt der Ära Mumm war preußisch geführte Verwaltung. Den staats-, völker- und verwaltungsrechtlichen Umbruch, dem Frankfurt 1866 unterworfen wurde, rechtfertigte Preußen mit dem Ende des Deutschen Bundes, dem feindlichen Verhalten Frankfurts und dem völkerrechtlichen Titel der Eroberung. Das Ausmaß des daraus resultierenden Eingliederungsprozesses war umfassend und kompromißlos. Frankfurt wurde der preußische Verwaltungsaufbau übergestülpt und bildete einen Stadtkreis im Regierungsbezirk Wiesbaden, der wiederum zur Provinz Hessen-Nassau zählte. Gleicherart verfuhr der preußische Staat mit der Polizeiverwaltung, die er dem Staat unterstellte. Aufgrund des weitgefaßten Polizeibegriffes konnte die staatliche Polizei umfassend tätig werden. Auch die Steuerverwaltung wurde gemäß preußischen Grundsätzen neu geordnet. Mit dem Kommunalverfassungsgesetz von 1867 glich Preußen die Verfassung der Stadt Frankfurt an die Magistratsverfassung der Städteordnung von 1853 an. Eine Vielzahl von Aufsichts-, Eingriffs-, Genehmigungs- und Ernennungsrechten resultierten daraus. Die einzige Frankfurt konzedierte Eigentümlichkeit bestand in der Beibehaltung des Zensuswahlrechts, das an die Tradition der Bürgergemeinde mit Stimmengleichheit unter den Bürgern anknüpfte. Ebenfalls entgegenkommend zeigte sich Preußen bei der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung, beim Rezeß. Trotz der vollständigen Eingliederung verblieb Frankfurt breiter Raum zur eigenen Verwirklichung. Das GemVG - wie auch alle anderen Kommunalverfassungen - kannte insoweit keine Normierung. In § 2 GernVG wurde lediglich die Garantie der Selbstverwaltung festgeschrieben. Grundsätzlich konnte die Gemeinde damit alles an sich ziehen, was für die Wirtschaft, Wohlfahrt, Gesundheit und Sicherheit der Gemeindeangehörigen förderlich war. Dies bot die Möglichkeit zu umfassender, selbständiger Leistungsverwaltung.

LÖSWlgsansatz

262

Getragen wurde die städtische Verwaltung durch die kommunalen Gremien, Bürgermeister, Magistrat nebst untergeordneten Verwaltungsämtern und die Stadtverordnetenversammlung. Finanzielle Grundlage bildete der Haushalt der Kommune. Der mit den Bürgermeistern aus sechs besoldeten und ebenso vielen unbesoldeten Amtsträgern bestehende oberste Verwaltungsträger der Stadt, der Magistrat, knüpfte personell an die freistädtische Tradition an. Es dominierten Kaufleute und Juristen. Obgleich kollegial konzipiert, kam dem ersten Bürgermeister nach dem Gern VG eine herausragende Stellung zu. Mit Mumm von Schwarzenstein wurde seitens der preußischen Regierung ein durch seine Karriere in der Frankfurter Zivilgerichtsbarkeit geprägter Frankfurter, der altem Adel entstammte, zum obersten Verwaltungschef ernannt. Er hatte bis dahin nur wenige Erfahrungen im Senat des freistädtischen Frankfurt sammeln können. Die später üblich werdende Laufbahn als modernem Verwaltungsjurist1 blieb Mumm versagt. Damit stand ein Jurist alter Prägung an der Spitze der Stadtverwaltung. Neben ihm waren die dem Bauamt bzw. der Kämmerei und dem Polizeiamt - den wichtigsten Verwaltungsämtern - vorstehenden Stadträte Oven und Jäger am einflußreichsten. Die indirekte Verwaltungsarbeit leisteten die ihnen unterstellten Ämter. Im Unterschied zu den Verwaltungsstrukturen der freistädtischen Zeit war die preußische Stadtverwaltung sowohl in der Spitze als auch in der Anzahl der einzelnen Ämter und des Personals gestrafft worden. Eine erneute Ausweitung der Bürokratie durch Schaffung neuer Ämter deutete sich bereits an. Die Vermehrung der besoldeten Magistratsstellen, Indiz fur zunehmende Bürokratisierung und Professionalisierung, konnte von der Stadtverordnetenversammlung in der Zeit Mumms abgewendet werden. Die Bedeutung der ehrenamtlichen Magistratsmitglieder blieb unangetastet. Die Stadtverordnetenversammlung war ein Honoratiorenparlament, in dem der parteipolitischen Zugehörigkeit nur geringe Bedeutung zukam. Aufgrund des Zensuswahlrechts wurde das Parlament von liberalen Parteien dominiert. Die überparteiliche Zusammenarbeit fand in der Arbeit der gemischten Kommissionen, in denen auch Magistratsdeputierte mitwirkten, ihren Niederschlag. Aus dem liberalen Grundkonsens stach der Demokratische Wahlverein nur graduell hervor. Er dominierte die Wahlen und verfugte über dezidierte, kommunalpolitische Vorstellungen. Mit Sonnemann stand ein Politiker von überregionalem Format an seiner Spitze. Ökonomisch gesehen bewirkte die Abkehr Frankfurts von einer reinen Vermögens- und Haushaltspolitik hin zu bewußter Ausgabenpolitik einen erhöhI Hardtwig, Großstadt,

S. 43.

Löstmgansatz

263

ten Steuerdruck seitens der Stadt, zu dem die Steuerbelastung durch den preußischen Staat hinzukam. Infolge der Wirtschaftskrise von 1873 mußte die Stadt 1875 und 1877 zur Deckung des Extraordinariums umfangreiche Anleihen aufnehmen. Die Übernahme neuer Verwaltungsaufgaben forderte ihren finanziellen Tribut In weiten Teilen der exemplarisch untersuchten Bereiche der Verwaltung war die Ausgangslage durch freistädtische Verträge bestimmt: Sowohl die Müllabfuhr (Pachtvertrag) als auch die Straßenbeleuchtung (Konzessionsvertrag) wurden damals bereits als öffentliche Aufgaben angesehen. Mit ihrer Durchführung betraute die Stadt Privatunternehmer. Auch die Pläne zur Einführung neuer Versorgungseinrichtungen, die vom neupreußischen Frankfurt erstmalig umgesetzt wurden, resultierten vielfach aus Überlegungen in der freistädtischen Periode. So waren bei der Konzeption der Wasserleitung Privatleute im freistädtischen Frankfurt federführend. Gerade die Jahre vor Frankfurts Übernahme durch Preußen erwiesen sich in dieser Hinsicht, bedingt durch die damaligen technischen Errungenschaften, als außerordentlich zukunftsweisend. Das neupreußische Frankfurt baute auf dieser Ausgangslage auf Straßenbeleuchtung, Müllabfuhr und Wasserversorgung wurden als öffentliche Aufgaben eingestuft. Als Organisationsform der Müllentsorgung, der Gas- und Wasserversorgung wählte die Stadt die Ausführung durch Private mit Aussicht auf Gewinn. Jedoch wollte sie auch im Rahmen der privatrechtliehen Vergabe die Kontrolle über die Ausführung ihrer Aufgaben behalten. Detaillierte Verträge mit äußerst ausführlichen Bedingungsheften, die alle technischen und rechtlichen Fragen bedachten, waren die Folge. Hinter der Entscheidung der Obrigkeit zur privaten Vergabe stand kein doktrinärer Wirtschaftsliberalismus, sondern die Angst vor dem Risiko, insbesondere dem finanziellen. Bald zeigte sich jedoch, daß die Privatunternehmer nicht bereit bzw. nicht in der Lage waren, die öffentlichen Aufgaben vertragsgemäß zu erfüllen. Die Quellwasserleitungs AG hatte sich bei der Errichtung übernommen, die Alr fuhr des Mülls brachte kaum Gewinne. Auch das Straßenbeleuchtungsgeschäft war wenig lukrativ. Hier trat jedoch eine Kompensation durch die Gewinne bei der Lieferung an Privathaushalte ein. Ausdruck des Festhaltens an den überkommenen Organisationsstrukturen war in der Müll- und Gasfrage das Submissionsverfahren. Durch die öffentliche Ausschreibung hoffte die Stadt, die private Vergabe qualitativ besser und preiswerter gestalten zu können, ohne die alte Form aufgeben zu müssen. Da die gewünschten Ergebnisse nicht erzielt wurden, stand die Stadt vor dem Problem, auch die Durchführung öffentlicher Aufgaben ins Auge fassen zu müssen.

264

Löstmgsansatz

Mit der Kommunalisierungsfrage beschäftigten sich eine Vielzahl von städtischen Gremien, Magistrat, Stadtverordnetenversammlung sowie das Bauamt Von besonderer, vorbereitender Bedeutung waren die gemischten Kommissionen, in denen das überparteiliche Zusammenwirken ihrer Mitglieder die Züge von Expertengremien annahmen. Ausdruck ihrer professionellen Arbeitsweise war die Einholung von Gutachten. 2 Hierzu korrespondierten die Kommissionen landesweit mit Kommunen in vergleichbaren Verhältnissen. Eine kommunalpolitische Diskussion grundsätzlicher Art entspann sich nur bei der 1869/70 diskutierten Gasfrage. Diskussionsgegenstand bildete die Wettbewerbsfähigkeit eines städtischen Gaswerkes bzw. die Senkung der Gaspreise der Privaten. Wirtschafts- oder sozialpolitische Fragen wurden nur am Rande erörtert. Das Argument in der Stadtverordnetenversammlung, der Gaspreis sei ein allgemeines Anliegen, könnte zwar bereits auf die Erkenntnis um die Bedeutung einer aktiven Gestaltung der Existenzbedingungen der Bürger hinweisen, die Entgegnung des Magistrats, es handele sich nur um ein Anliegen weniger sowie die Tatsache, daß um 1870 nur die wohlhabende Bevölkerung Gasbezieher war, macht deutlich, daß die städtischen Behörden 1870 die Bedeutung von Gas zur Existenzsicherung noch nicht erkennen konnten. Auch die Einstufung einer Quellwasserleitung als städtische Aufgabe resultierte primär aus gesundheitlichen, nicht aus sozialen Erwägungen. Das im Rahmen des Markthallenbaus immer wieder angeführte Anliegen der Herausbildung eines angemessenen Preises macht demgegenüber marktwirtschaftliche Anliegen deutlich. Grundsätzlich artikulierten die städtischen Behörden kein Bewußtsein um die sozialen, existenzsichernden Aufgaben der Stadt, der Daseinsvorsorge. Da sich nur liberale Stadtverordnete im Frankfurter Parlament befanden, erfolgte auch dort keine grundsätzliche politische Auseinandersetzung. Lediglich der demokratische Stadtverordnete Sonnemann wies sowohl bei der Gas- wie auch der Wasserversorgung auf die Konsequenzen eines privaten Monopols hin. Zumeist blieb die Diskussion in lokalen Fragen stecken. Das Interesse, einen Monopolbetrieb zu besitzen, war nur bei der Müllabfuhr Kommunalisierungsgrund. In der Gasfrage fürchtete der Magistrat die Konkurrenz der Privaten so sehr, daß er lieber ein Quasimonopol, bestehend aus zwei Gasbetrieben, zuließ. Gegen die Kommunalisierung verwies man auf den schwerfälligen Verwaltungsapparat (Gas) und das Errichtungsrisiko (Wasserleitung). Das Argument des unwirtschaftlichen Arbeitens durch den Staat wurde nicht gegen eine 2 Matzerath, Leishmgsverwaltwtg, S.

II.

Lösungansatz

265

Kommunalisierung angeführt. Detaillierte Zahlen zur Rentabilität eines städtischen Gaswerkes wurden nicht vorgelegt. Insgesamt läßt sich feststellen, daß die Kommunalisierung primär ein finanzielles Problem darstellte. Wie bereits ausgeführt, waren grundsätzliche Überlegungen zur Existenzsicherung nicht ausschlaggebend. Mängel im System der privaten Vergabe wurden nur beim Müll angeführt, während die Übernahme von Gas- und Wasserleitung aus finanziellen Erwägungen heraus befürwortet wurde. Die private Vergabe hatte nur bei der Müllabfuhr zu Funktionsstörungen geführt. Ansonsten lagen keine Beanstandungen wie überhöhte Preise, heruntergekommene Anlagen etc. vor. Die geringe Zahl von Funktionsstörungen war auch der vorbeugenden städtischen Vertragsgestaltung zu verdanken. So bedachten die städtischen Konzessionsvertragsklauseln zum Beispiel auch die Sicherung des Versorgungsprinzips, die Ausdehnung der Stadt und somit die Versorgung neuer Regionen. Die Stadt hatte die Notwendigkeit "infrastruktureller Erschließung" 3 erkannt. Instrument ihrer Vorsorge bildeten die Konzessionsverträge. Betrachtet man die Kommunalisierungsvorhaben abschließend, so kommt man zu folgenden Ergebnissen: Die Einrichtung einer städtischen Müllabfuhr und einer zentralen Markthalle erfolgte ohne kommunalpolitische Auseinandersetzung. In beiden Fällen handelte es sich um bereits seit langem anerkannte, öffentliche Aufgaben der Stadt. Die Durchführung seitens Privater bei der Müllabfuhr hatte sich als ineffizient erwiesen. Das zuvor gewählte Verfahren zur Ermittlung verläßlicherer Vertragspartner war gescheitert. Kalkulationen ergaben, daß die von der Kommune durchgeführte Müllabfuhr billiger sein würde als die private Vergabe. Der Bau einer städtischen Markthalle wurde nie grundsätzlich in Frage gestellt. Sowohl Müllanstalt als auch Markthalle erforderten als kleine Gemeindebetriebe keine hohen Kosten. Bei Gas- und Wasserversorgung waren sicherheitspolitische Interessen der Kommune gegeben. Die Straßenbeleuchtung und die Versorgung mit sauberem Wasser waren als öffentliche Aufgaben- die Stadt selbst bezog 170.000 cbf Wasser für ihre Zwecke - anerkannt. Im Unterschied zu Müll und Markthalle wollte die Obrigkeit jedoch grundsätzlich (Gas) bzw. für eine gewisse Übergangszeit (Quellwasserleitung) an privaten Strukturen festhalten. Beide 3 Ambrosius, S. 135.

266

Löstmgsansatz

Male waren finanzielle Gesichtspunkte ausschlaggebend. Im Fall der Gasversorgung fürchtete die Stadt einen Verdrängungswettbewerb mit den bereits konzessionierten privaten Gasgesellschaften. Bei der Quellwasserleitung hatte sie Angst vor dem Errichtungsrisiko. Folglich wählte Frankfurt die private Ausführung durch eine AG, lediglich verbrämt durch eine finanzielle Beteiligung, die allerdings ihre Interessen sicherte. Im Gegensatz zu den kleinen, primär hygienisch ausgerichteten Betrieben sah sich die Stadt bei den großen, technischen Anstalten dem Finanzierungsrisiko nicht gewachsen. Erst nach dem finanziellen Scheitern der Quellwasserleitungs AG aufgrund erhöhter Errichtungskosten und dem Ende des Errichtungsrisikos mit förmlicher Fertigstellung war die Stadt bereit, Verantwortung zu übernehmen. Die Methode, Versorgungsunternehmen als Aktiengesellschaften der Stadt zu konstruieren, wurde später ein beliebtes Verfahren4 Frankfurt wählte 1870 jedoch nicht diesen Weg, sondern beteiligte sich nur an einer privaten Gesellschaft. Hieraus resultierten eine Vielzahl von juristischen Überlegungen. Ein Vertrag zwischen Stadt und AG mußte ausgehandelt werden, der Fragen wie z.B. die der Konzession regelte. Die Bestimmungen zum Heimfallrecht machen deutlich, daß die Stadt die Übernahme nach Errichtung bereits anvisiert hatte. Eine kostengünstige Übernahme war das Anliegen der Stadt. Dies ging mit einer Vielzahl von Verhandlungen einher, in denen die Übergabemodalitäten festgelegt wurden. Diese städtische Kommunalisierungsposition beruhte primär auf der Haltung des Magistrats. Er scheute das Risiko der Verantwortungsübernahme. Demgegenüber befürworteten Stadtverordnete wie Sonnemann, Knopf, May und Nolte, allesamt Demokratischer Wahlverein, die Kommunalisierung. Ihr Eintreten für preiswertes Gas läßt sich jedoch nicht als Erkenntnis um die Daseinsvorsorge, sondern als Konzession an ihre Wählerklientel qualifizieren. Die geforderte Senkung des Wassertarifs verweist auf die Sorge für Geringverdienende. Durch die Koppelung des Wasserpreise an den Mietwert war dieser bereits sozial ausgestaltet. Andererseits konnten sich die städtischen Behörden in der Ära Mumm zu keinem kostenlosen Wasserbezug für Wohnungen mit niedrigen Mieten durchringen. Aufgrund der Rentabilität des Wasserwerkes führte die Kommune aber die Wassergeldfreiheit für Klosetts ein; diese verbrauchten besonders viel Wasser. Der Magistrat unterstützte im Gegensatz zur Stadtverordnetenversammlung die privaten Versorgungseinrichtungen. War der Stadtverordnetenversammlung an Schwierigkeiten der Quellwasserleitungs AG gelegen, um deren Werk preiswert zu erlangen, so versuchte der Magistrat, den privaten 4 Boelcke, S. 73. Zumal es die GmbH noch nicht gab.

LÖSimgansatz

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Betrieben/Gesellschaften seine Hilfe zu geben. Im Rahmen der privaten Vergabe war er dann sogar bereit, Verantwortung zu tragen. Dies geschah z.B. durch Übernahme der städtischen Zinsgarantie für Kredite (Quellwasserleitung). Verantwortungsbewußtsein äußerte sich auch im Aushandeln eines niedrigen Gaspreises für Privatverbraucher. Die Haltung des Magistrats wird insbesondere an den Handlungen des Oberbürgermeisters verdeutlicht. In der unproblematischen Frage des Mülls wurde er nicht besonders tätig. Bei der Gasfrage setzte er sich für eine Verständigung mit den Gasgesellschaften ein. Als dies zu scheitern drohte, erwirkte Mumm im Alleingang eine Preissenkung. Seinem Vorgehen folgten Magistrat und Stadtverordnete einhellig. Der vorsichtigen Politik Mumms entsprach es auch, für eine private Vergabe der Quellwasserleitung zu plädieren. Gleichzeitig trat Mumm, um die Beteiligung der Stadt an lebensnotwendigen Aufgaben zu betonen, für eine städtische Beteiligung ein. Mumm unterstützte die AG in ihrer Arbeit. Viele Forderungen der Stadtverordnetenversammlung wertete er als Schikane. Erst nach Überwindung der Anfangsschwierigkeiten war auch Mumm bereit, für die Bereitstellung des lebensnotwendigen Gutes "Wasser" die volle Verantwortung zu übernehmen. Er arbeitete selbst das Regulativ für die Deputation der Quellwasserleitung aus. Das Projekt Markthallenbau hatte Mumm anfänglich zugunsten anderer Projekte zurückgestellt. Die Schaffung einer neuen Versorgungseinrichtung für Marktwaren schien ihm weniger wichtig. Eine spätere Gegnerschaft Mumms bestand jedoch nicht. Die aufgezählten Beispiele zeigen Mumms vorsichtiges Taktieren, den Versuch, das Verwaltungsrisiko gering zu halten. Außerdem wird Mumms Tendenz zu Alleingängen und eigenmächtigem Handeln deutlich. Insgesamt läßt sich hinsichtlich der Kommunalisierungen weder die Ansicht teilen, daß nur Verluste sozialisiert werden sollten5 - dies wäre z.B. der Fall gewesen, hätte man nur die Kanalisation, die gemeinhin als Verlustgeschäft galt, kommunalisiert, nicht aber die Wasserleitung, die Gewinn aJ>. warf,6- noch diejenige, daß nur lukrative Unternehmen übernommen wurden. Die Müllentsorgung diente primär hygienischen Zwecken und war nicht lukrativ. Die kommunale Durchführung ließ sich jedoch billiger bewerkstelligen als die private. Bei der Gas- und Wasserleitung wurden primär Interessen der Gewinnerzielung und des lukrativen Geschäfts geäußert, daneben aber auch

5 So z.B. Stern, S. 13, Forsthoff, Lehrbuch, S. 371; Weh/er, S. 52; vgl. dazu auch Brunckhorst, S. 2.

6 Ambros ius, S. 127.

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grundsätzliche, sicherheitspolitische Zwecke verfolgt. Auch fiir die Markthalle wurde angestrebt, daß sie sich finanziell selbst tragen sollte. Somit waren Sicherheits- und Erwerbsinteressen fiir die Kommunalisierung maßgebend. Bei den Sicherheitsinteressen knüpfte die Stadt an traditionelle Aufgaben an. Grundsätzlich konnte der Kommunalisierung förderlich sein, wenn a) die Kommune selbst der größte bzw. ein großer Abnehmer war (Müll, Wasser), b) das Unternehmen öffentliches Eigentum in Anspruch nehmen mußte (Wasser), c) es monopolartigen Charakter hatte (Müll, Wasserleitung, Markt), d) Investitionsanreize fiir privates Kapital fehlten (Müll, Wasserleitung nach 1873) und e) der kommunale Betrieb effizienter arbeitete (Müll).? Aus der zeitlichen Abfolge der Kommunalisierungen lassen sich keine weitergehenden Schlüsse ziehen. Sowohl zu Beginn der Ära Mumm 1872 (Müll) als auch zu Ende, im Jahre 1879 (Markthallenbau), errichtete die Stadt weitgehend diskussionslos zwei städtische Versorgungseinrichtungen. Eine zunehmende Bereitschaft zur Kommunalisierung gegen Ende der siebziger Jahre läßt sich also nicht belegen. Auch gesamtwirtschaftliche Entwicklungen bilden kein Erklärungsmuster. 1869 lehnte Frankfurt die Übernahme der Gasversorgung ab, obgleich die Kassen noch gefiillt waren. 1877 kaufte die Stadt die Quellwasserleitung trotz der seit 1873 allgemein herrschenden Rezession. Lediglich die These ist aufstellbar, daß der im Zuge der Rezession verstärkt auftretende, staatliche Interventionismus8 auch auf städtischem Gebiet die Kommunalisierungsbereitschaft erhöht haben könnte und die Stadt daher der Übernahme der Quellwasserleitung nicht mehr ablehnend gegenüberstand. Die Bedeutung des preußischen Staates fiir die städtische Leistungsverwaltung war gering. Dies korrespondiert vielfach mit der Situation in anderen Großstädten. In Frankfurt gingen auf Preußen keine Initiativen zurück Das Tätigwerden des Polizeipräsidiums bestand zumeist im Hinweis auf hygienische Mißstände (Müll, Marktwesen). Lediglich in der Frage einer Polizeiverordnung zur Verbesserung der Müllabfuhrpraxis kam es zwischen Kommune und Polizeiamt zu einer Machtfrage. Dem lag das Problem der Rechtsnachfolge im Anschluß an die Annexion Frankfurts zugrunde. Umstritten war insoweit, auf welche Instrumentarien (Polizeiverordnung, öffentliche Strafe oder privatrechtliche Konventionalstrafe) die Obrigkeit zurückgreifen sollte und wem dies zustand. Damals konnte der Polizeipräsident seinen Standpunkt behaupten.

7 Diese grundsätzlichen Kommunalisienmgsfaktoren fmden sich bei Steitz, S. 170.

8 Vgl. Krabbe, Kommunalpolitik, S. 86; Kwack, S. 76.

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Im Bereich der Gasversorgung schalteten sich die staatlichen Behörden nicht ein. Die Errichtung einer Quellwasserleitung fand in allen Genehmigungsfragen die Unterstützung von Regierung und Oberpräsidium. Außerordentliche gesetzliche Schritte zum Ausschluß von Entschädigungsansprüchen Dritter wollte Preußen nicht ergreifen, wohl aber eine Polizeiverordnung zum Schutz der Wasserleitung. Auf dem Gebiet des Marktwesens erklärte sich Preußen sogar bereit, Kompetenzen abzugeben. Frankfurt erhielt eine städtische Marktpolizei. Lediglich gegen einen automatischen Übergang hatte sich der Polizeipräsident aus rechtlichen Gesichtspunkten verwahrt. Die städtischen Behörden folgten dieser Auffassung. Preußische Anweisungen zur Handhabung der städtischen Leistungsverwaltung fehlten gänzlich. Auch die Aufnahme von Anleihen fand seitens Preußen keine Beanstandung. Angesichts dieses zustimmenden Verhaltens war zu einer ausführlichen Korrespondenz mit Regierung, Oberpräsidium und Innenministerium wenig Anlaß. Auseinandersetzungen wie beim Bau der Obermainbrücke,9 als Mumm die Aufsichtsbehörden in die innerstädtische Auseinandersetzung hineinzog, fanden nicht statt. Die für die ausgewählten Bereiche einschlägigen Rechtsquellen waren vielfältig. Stets standen am Beginn möglichst lückenlose privatrechtliche Verträge (Bedingungshefte). In der Frage der Müllabfuhr und des Marktwesens wurden sie durch öffentlich-rechtliche Bestimmungen wie z.B. Polizeiverordnungen ergänzt. In bezug auf die Markthalle waren die Gewerbeordnung und das Gesetz über die Erhebung von Marktstandsgeldern heranzuziehen. Rechtlich führte die Stadt ihre neuen Unternehmungen als städtische Ämter (Fuhramt, Quellwasserdeputation/Wasseramt und Marktamt). Die Ausgestaltung im einzelnen wurde durch Regulative vorgenommen. Es handelte sich damit um kameralistisch geführte Regiebetriebe. Sie zeichneten sich dadurch aus, daß sie im Haushalt und in der Verwaltung fest integriert waren und ihnen sowohl die rechtliche als auch die wirtschaftliche Selbständigkeit fehlte.IO Auf die formliehe Errichtung einer Anstalt durch Ortsstatut, durch welches die Müllabfuhr bzw. die Wasserversorgung zur Gemeindeangelegenheit ge9 vg1. hierzu

Wolf, S. 110.

10 Boelcke, S. 66; Püttner, S. 119.

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Löstmgsansatz

macht und ihre Eigenständigkeit betont wurde, 11 verzichtete die Kommune in der Ära Mumm. Folglich konnte auch keine Polizeiverordnung ergehen, die Anschluß- und Benutzungszwang vorschrieb. An der Spitze der neugegründeten Ämter standen mit May, Dr. Knopf (Fuhramt), und Holthof (Marktamt) Vertreter des Demokratischen Wahlvereins. Stets setzte sich die unter Vorsitz des Magistratsdeputierten stehende Amtsspitze aus Magistrats- und Stadtverordnetenmitgliedern zusammen. Im Marktamt waren neben zwei Magistrats- und Stadtverordnetendeputierten zwei bürgerliche Deputierte vertreten. Bürgerliche Mitsprache fand sich auch in der Quellwasserdeputation. Die Tradition bürgerlicher Teilhabe blieb erhalten. Zu den Deputierten trat das städtische Personal, das aus Oberbeamten wie dem Techniker (Wasserdeputation), später zwei Ingenieuren und einem Vorsteher der Buchhalterei (Wasseramt), dem Marktmeister (Marktamt) und dem Verwalter (Fuhramt) bestand. Eine Reihe von Unterbeamten und Angestellen wie Futtermeister, Tierarzt (Fuhramt), Aufseher, Erbeber und Markthallendiener (Marktamt), ergänzten das Personal. Dies führte zu einer Erweiterung des Verwaltungskörpers und seiner Professionalisierung. Das Berufsbild des städtischen Ingenieurs gewann an Bedeutung. Stellenweise wurden die neugegründeten Ämter mit anderen vereinigt. So geschehen mit dem Fuhramt, das zur Deputation für Feuerlösch- und Fuhrwesen, später zum Feuerlösch- und Fuhramt wurde und dem Marktamt. das man in das städtische Polizei- und Verkehrsamt aufnahm. Den neuen Verwaltungseinrichtungen wurden mit dem Wassergeld und den Standgebühren neue Geldquellen erschlossen. Die Müllabfuhr erfolgte kostenlos. In der Folgezeit stellten die neuen Finanzquellen - bislang resultierten Einnahmen nur aus dem Pfandhaus und dem Holzamt 12 -wichtige Einnahmemöglichkeiten der Stadt dar. Beispielhaft sei angeführt, daß das Frankfurter Wasserwerk bereits 1877 einen Reingewinn von 625.590,72 Mark erwirtschaftete.13 Obgleich erst am Anfang einer Entwicklung stehend, hatten die rechtlichen und tatsächlichen Lösungen der Ära Mumm Bestand. So konnten sich die städtischen Behörden auch in den folgenden Jahren nicht zur Übernahme der Gasversorgung entschließen. Die kommunale Müllabfuhr war schon in der 11 Püttner, S. 119. 12 Forstmann,

S. 382.

13 VB 1877178, S. 38; Die Betriebsüberschüsse der Gemeindebetriebe machten 1912/13 ein Viertel des EinkommensteueraufKommens aus, Forstmann, S. 382; Kwack, S. 381.

Lösungansatz

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Zeit Mumms wieder zugunsten privater Beteiligung geändert worden. Erst 1902 wurde sie wiederum vollständig städtisch. Der Quellwassertarif als Pauschaltarif für Privatabonnenten blieb ebenso verbindlich wie das städtische Angebot an Marktständen. Der steigende Bedarf ließ Markthalle und Wasserleitung bald als nicht mehr ausreichend erscheinen. Sowohl neue Wasserquellen als auch neue Hallenplätze mußten erschlossen werden. Betrachtet man Frankfurts technische Entwicklung in der Ära Mumm im nationalen Vergleich, so darf die Stadt als modern qualifiziert werden. Frankfurt besaß als eine der ersten deutschen Städte Gaswerke, eine Quellwasserleitung und als erste deutsche Stadt eine Markthalle mit umlaufender Galerie. Entgegen der allgemeinen Entwicklung in der Gasindustrie errichtete Frankfurt kein städtisches Gaswerk. Frankfurt folgte auch nicht der Tendenz, die lebenswichtige Wasserleitung in städtischer Regie zu errichten, sondern delegierte diese Aufgabe an eine Aktiengesellschaft unter städtischer Beteiligung. In bezugauf die Bereitschaft zu Verantwortungsübernahme fehlte es der Stadt somit an Risikofreudigkeit und Modernität. Frankfurt als nicht industriell geprägte Stadt sah die Kommunalisierung von Versorgungs- und Entsorgungsbetrieben unter sicherheits- und gesundheitspolitischen Aspekten. Die Gewinnorientierung bildete einen wesentlichen Faktor. Eine nach Krabbe neue Zielmotivation, die Erfüllung gegenwärtiger und neuer, zukünftiger Bedürfnisse, die aktive Gestaltung der Existenzbedingungen14 wurde entweder nicht erkannt oder noch nicht thematisiert;. der fiskalische Standpunkt war noch beherrschend. 15 Trotzdem kann in den Jahren 1868-80 ein allmählicher Wandel zu mehr städtischer Verantwortung konstatiert werden. Die Grundlage für eine Daseinsvorsorge modernen Typus war damit gelegt. Dies veränderte das Tätigkeitsfeld und den Umfang der kommunalen Selbstverwaltung. Die "prospektive Vorwegnahme von Entwicklungen zur jystematischen Planung" 16 bildete sich hingegen erst in den folgenden Jahren heraus. Der zögerliche Beitrag Mumms entsprach seiner Sozialisation als vorsichtigem, nicht verwaltungsrechtlich geschultem Juristen. Das neue "Sozia/profi/" 17 des Verwaltungsjuristen erfüllte er noch nicht. Die Last der Verantwortung ließ ihn, wie auch 14 Krabbe,

Kommunalpolitik, S. 82.

15 Ambrosius, S.

135; Reulecke, S. 62.

16 Hardtwig1 Großstadt, S. 33; vgl. Henning, S. 60 ff, der fiir den Zeitraum Mittelalter bis 19. Jalirnundert nur von einer Rahmenverschiebung, nicht aber einem Wandel ausgeht, a.A. Mazerath, Modeme, S. 7, der vermittelnd von Zäsur ~richt; einen Wand:el un 19. Jahrhundert konstatieren u.a. auch Kwack, S. 75; Krab5e, Kommunalpolitik, S. 82, Ambrosius, S. 135, Reulecke, S. 62; vgl. auch Forstmann, S. 390, 408. 17 Reulecke, S.

121.

272

Lösungsansatz

den Magistrat insgesamt, zunächst an der privaten Vergabe von Versorgungsaufgaben festhalten. Diese Haltung war typisch für Amtsträger zu Beginn der Urbanisierungsphase angesichts der immensen technischen, wirtschaftlichen und bevölkerungsmäßigen Umwälzungen. Dabei erschwerte der Verwaltungsumbruch in Frankfurt die Leistungsverwaltung nicht, er gab ihr vielmehr einen rationalen, straffen Rahmen. Die Ansätze einer modernen Leistungsverwaltung unter Mumm in den Umbruchsjahren 1868-1880 waren somit originäre Frankfurter Schöpfungen und eng mit der Person des Bürgermeisters verknüpft.

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Teil: Quellen

A: Ungedruckte Quellen Bei den Akten, die ohne Seitenzahl zitiert werden, fehlt die Paginienmg.

I. Stadtarchiv Frankfurt 1. Allgemein Nachlaß Mumm S l/254, Personen S 2/3052. Magistratsakten (MA): U 202, 203, R 303 I. Akten der Stadtverordnetenversammhmg (StvVA): 80.

2. Bereiche der Leistungsverwaltung

a) Gas

MA: T 1936 I, T 1938. StvVA: 583. Protokolle der StadtverordnetenversammlWlg (StvVP): 849 (1870).

I X Fis