Kommentare zum Buch Rut von Josef Kara: Editionen, Übersetzungen, Interpretationen ¿ Kontextualisierung mittelalterlicher Auslegungsliteratur 9783631664742, 9783653056976, 9783631693933, 9783631693940, 3631664745

Dieser Band versammelt verschiedene hebräische Kommentarfassungen zum Buch Rut, die dem Exegeten Josef Kara im 11. und 1

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German Pages 546 [544] Year 2017

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Kommentare zum Buch Rut von Josef Kara: Editionen, Übersetzungen, Interpretationen ¿ Kontextualisierung mittelalterlicher Auslegungsliteratur
 9783631664742, 9783653056976, 9783631693933, 9783631693940, 3631664745

Table of contents :
Cover
Inhaltsverzeichnis
Dank
1. Einleitung
1.1. Forschungsstand
1.2. Zum Aufbau der Arbeit
2. Das Buch Rut in der Hebräischen Bibel
2.1. Einleitungsfragen zum Buch Rut
2.1.1. Zusammenfassung des Buches Rut
2.1.2. Themen im Buch Rut, die sich auch andernorts in der Bibel finden
3. Die nordfranzösische Bibelexegese im 11. und 12. Jahrhundert
3.1. Orientierung im historischen Kontext
3.2. Jüdische Bibelauslegung im Nordfrankreich des 11. und 12. Jahrhunderts
4. R. Josef Ben Shimon Kara
4.1. Karas Auslegungsart
5. Rashi
5.1. Kara und Rashi
5.2. Kara und Rashbam
5.3. Nennung Karas in anderen Kommentaren, Bezugnahme auf andere Kommentatoren in Karas Auslegungen
6. Handschriftenbeschreibungen
6.1. Vorbemerkungen zu den Handschriftenbeschreibungen
6.2. MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Or. Fol. 1221
6.2.1. Relation zu anderen Manuskripten
6.3. MS Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. hebr. 32
6.4. MS Vatican, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. ebr. 18
6.4.1. Zitierte Bibelstellen in MS Vatican 18 außerhalb Rut
6.5. MS London, British Library, Add. 22,413
6.5.1. Der Kommentar zum Buch Rut in MS London 22413
6.5.2. Bildbeschreibung der Darstellung in MS London 22413, Fol. 71r
6.6. MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157
6.6.1. Verweise auf die “Traditionsliteratur”
6.6.2. Stil des Kommentars
6.7. MS Copenhagen, The Royal Library, Cod. Hebr. 35
6.7.1. Bemerkungen zum Text
6.8. MS Oxford, Bodleian Library, Opp. Add. Qu. 52
6.8.1. Beobachtungen zu Oxford 52
6.9. MS New York, Jewish Theological Seminary, Lutzki 778
6.10. Die drei Kara zugeschriebenen Kommentar-Fassungen
6.10.1. MS Berlin 1221 und Gruppe: MS Hamburg hebr. 32, MS Vatican 18 und MS Prag XVIII F 6
6.10.1.1. Untergruppe von MS Berlin 1221 zu Rut 1,1–6: MS Hamburg hebr. 32, MS Prag XVIII F6 und MS Vatican 18
6.10.1.2. Untergruppe von MS Berlin 1221 zu Rut 1,7–11: MS Vatican 18 als Wiedergabe von Rut Zuta
6.10.2. MS London 22413 ohne vergleichbare Parallelen
6.10.3. MS Zürich Or 157 und Gruppe: MS Copenhagen 35, MS Oxford 52 etc.
6.10.4. Relative Chronologie der drei Kommentar-Fassungen
6.10.5. Resümee
7. Grundlegendes zur Übersetzung
7.1. Einleitung in die Übersetzung
7.2. Zur Wiedergabe von Worten in hebräischer Schrift in der Übersetzung
7.3. Verwendete Satzzeichen
8. Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Or. Fol. 1221
[Zu Rut 1]
[Zu Rut 1,1]
[Zu Rut 1,2]
[Zu Rut 1,3]
[Zu Rut 1,9a]
[Zu Rut 1,8]
[Zu Rut 1,9b]
[Zu Rut 1,10]
[Zu Rut 1,11]
[Zu Rut 1,12]
[Zu Rut 1,13]
[Zu Rut 1,14]
[Zu Rut 1,15]
[Zu Rut 1,16]
[Zu Rut 1,17]
[Zu Rut 1,18]
[Zu Rut 1,19]
[Zu Rut 1,20]
[Zu Rut 1,21]
[Zu Rut 1,22]
[Zu Rut 2]
[Zu Rut 2,1]
[Zu Rut 2,2]
[Zu Rut 2,3]
[Zu Rut 2,4]
[Zu Rut 2,5]
[Zu Rut 2,6]
[Zu Rut 2,7]
[Zu Rut 2,8]
[Zu Rut 2,9]
[Zu Rut 2,10]
[Zu Rut 2,11]
[Zu Rut 2,12]
[Zu Rut 2,14]
[Zu Rut 2,15]
[Zu Rut 2,16]
[Zu Rut 2,18]
[Zu Rut 2,19]
[Zu Rut 2,21]
[Zu Rut 3]
[Zu Rut 3,1]
[Zu Rut 3,2]
[Rut 3,4]
[Zu Rut 3,8]
[Zu Rut 3,9]
[Zu Rut 3,10]
[Zu Rut 3,11]
[Zu Rut 3,13]
[Zu Rut 3,14]
[Zu Rut 3,15]
[Zu Rut 3,16]
[Zu Rut 3,17]
[Zu Rut 3,18]
[Zu Rut 4]
[Zu Rut 4,1]
[Zu Rut 4,2]
[Zu Rut 4,3]
[Zu Rut 4,4]
[Zu Rut 4,5]
[Zu Rut 4,6]
[Zu Rut 4,7]
[Zu Rut 4,10]
[Zu Rut 4,11]
[Zu Rut 4,14]
[Zu Rut 4,15]
[Zu Rut 4,17]
[Zu Rut 4,18]
9. Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413
[Zu Rut 1]
[Zu Rut 1,1]
[Zu Rut 1,2]
[Zu Rut 1,3]
[Zu Rut 1,4]
[Zu Rut 1,5]
[Zu Rut 1,6]
[Zu Rut 1,7]
[Zu Rut 1,8]
[Zu Rut 1,9]
[Zu Rut 1,10]
[Zu Rut 1,11]
[Rut 1,12]
[Zu Rut 1,13]
[Zu Rut 1,14]
[Zu Rut 1,15]
[Zu Rut 1,16–17]
[Zu Rut 1,18]
[Zu Rut 1,20]
[Zu Rut 1,21]
[Zu Rut 1,22]
[Zu Rut 2]
[Zu Rut 2,1]
[Zu Rut 2,2]
[Zu Rut 2,3]
[Zu Rut 2,4]
[Rut 2,5]
[Rut 2,6]
[Rut 2,7]
[Zu Rut 2,8]
[Zu Rut 2,9]
[Zu Rut 2,10]
[Zu Rut 2,11]
[Zu Rut 2,12]
[Zu Rut 2,13]
[Zu Rut 2,14]
[Zu Rut 2,15]
[Zu Rut 2,16]
[Zu Rut 2,18]
[Zu Rut 2,19]
[Zu Rut 2,20]
[Zu Rut 2,21]
[Zu Rut 2,22]
[Zu Rut 3]
[Zu Rut 3,1]
[Zu Rut 3,3]
[Zu Rut 3,4]
[Zu Rut 3,5]
[Zu Rut 3,6–7]
[Zu Rut 3,8]
[Zu Rut 3,9]
[Zu Rut 3,10]
[Zu Rut 3,11]
[Zu Rut 3,12]
[Zu Rut 3,13]
[Zu Rut 3,14]
[Zu Rut 3,15]
[Zu Rut 3,16]
[Zu Rut 3,17]
[Zu Rut 3,18]
[Zu Rut 4]
[Zu Rut 4,1]
[Zu Rut 4,3]
[Zu Rut 4,4]
[Zu Rut 4,5]
[Zu Rut 4,6]
[Zu Rut 4,7]
[Zu Rut 4,8]
[Zu Rut 4,9]
[Zu Rut 4,10]
[Zu Rut 4,11]
[Zu Rut 4,13]
[Zu Rut 4,14]
[Zu Rut 4,15]
[Zu Rut 4,17]
[Zu Rut 4,18]
10. Übersetzung MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157
[Zu Rut 1]
[Zu Rut 1,1]
[Zu Rut 1,2]
[Zu Rut 1,3]
[Zu Rut 1,4]
[Zu Rut 1,5]
[Zu Rut 1,6]
[Zu Rut 1,7]
[Zu Rut 1,8]
[Zu Rut 1,9]
[Zu Rut 1,10]
[Zu Rut 1,11]
[Zu Rut 1,12]
[Zu Rut 1,13]
[Zu Rut 1,16]
[Zu Rut 1,17]
[Zu Rut 1,18]
[Zu Rut 1,19]
[Zu Rut 1,21]
[Zu Rut 1,22]
[Rut 2]
[Zu Rut 2,1]
[Zu Rut 2,2]
[Zu Rut 2,3]
[Zu Rut 2,5]
[Zu Rut 2,6]
[Zu Rut 2,7]
[Zu Rut 2,8]
[Zu Rut 2,9]
[Zu Rut 2,10]
[Zu Rut 2,11]
[Zu Rut 2,13]
[Zu Rut 2,14]
[Zu Rut 2,16]
[Zu Rut 2,19]
[Zu Rut 2,20]
[Zu Rut 3]
[Zu Rut 3,2]
[Zu Rut 3,3]
[Zu Rut 3,6]
[Zu Rut 3,7]
[Zu Rut 3,8]
[Zu Rut 3,9]
[Zu Rut 3,10]
[Zu Rut 3,12]
[Zu Rut 3,13]
[Zu Rut 3,14]
[Zu Rut 3,15]
[Zu Rut 3,16]
[Zu Rut 3,18]
[Zu Rut 4]
[Zu Rut 4,1]
[Zu Rut 4,5]
[Zu Rut 4,6]
[Zu Rut 4,7]
[Zu Rut 4,8]
[Zu Rut 4,10]
[Zu Rut 4,11]
[Zu Rut 4,12]
[Zu Rut 4,13]
[Zu Rut 4,17]
[Zu Rut 4,18]
[Zu Rut 4,21]
[Zu Rut 4,22]
11. Vergleich der Kommentar-Fassungen zum Buch Rut
11.1. Vorwort zum Vergleich
11.1.1. MS Berlin 1221
11.1.2. MS London 22413
11.1.3. MS Zürich Or 157
11.2. Vergleich MS Berlin 1221 und MS London 22413 sowie MS Zürich Or 157
12. Vergleich der Kommentar-Fassungen zu Rut 1
Rut 1,1: Und es war zu der Zeit als die Richter richteten, da war eine Hungersnot im Land. Und ein Mann ging…
Rut 1,2: Und der Name des Mannes war Elimelekh, der Name seiner Frau Noomi und die Namen seiner Söhne Machlon und Kiljon. Sie waren Ephratiter aus Beit Lechem in Jehuda. Und sie kamen in die Gefilde Moabs.
Rut 1,3: Und Elimelekh, der Mann Noomis, starb. Und sie blieb übrig und ihre beiden Söhne.
Rut 1,4: Und sie verheirateten sich mit moabitischen Frauen: Orpa und der Name der zweiten war Rut und sie blieben ungefähr zehn Jahre dort.
Rut 1,5: Und auch die beiden, Machlon und Kiljon, starben.
Rut 1,6: Und sie kehrte zurück von den Gefilden Moabs. Denn sie hatte gehört, dass sich (der Ewige seines Volkes) angenommen hatte, ihnen Brot zu geben.
Rut 1,7: Und sie ging weg von dem Ort. Und sie gingen auf dem Weg.
Rut 1,8: Und Noomi sagte: “Geht, kehrt um! Eine [jegliche] Frau in ihrer Mutter Haus. Der Ewige erweise euch Gnade, wie ihr den Verstorbenen und mir Gnade erwiesen habt.”
Rut 1,9: “Und der Ewige gebe euch, dass Ihr Ruhe findet und ihr sollt Ruhe finden als Frau im Hause ihres Mannes.” Und sie küsste sie. Und sie erhoben ihre Stimmen.
Rut 1,10: Und sie sagten ihr: “Denn vielmehr wollen wir mit dir zu deinem Volk zurückkehren.”
Rut 1,11: “Kehrt doch um, meine Töchter! Warum solltet ihr mit mir gehen? Habe ich denn etwa noch Söhne in meinem Leib, die euch zu Männern werden könnten?”
Rut 1,12: “Kehrt doch um, meine Töchter, geht! Denn ich bin zu alt geworden, um bei einem Mann zu sein. Denn auch wenn ich sagen würde: ‘Ich habe noch Hoffnung, auch wenn ich heute Nacht bei einem Mann wäre und auch wenn ich noch Söhne gebären würde…’ ”
Rut 1,13: “Wollt ihr etwa darauf warten, bis sie aufgewachsen sind? Wollt ihr euch noch weiter zurückhalten? Nicht doch meine Töchter, denn überaus bitterer ist es mir als euch. Denn gegen mich ist die Hand des Ewigen ausgerückt.”
Rut 1,14: Und sie erhoben ihre Stimmen und weinten weiter. Und Orpa küsste ihre Schwiegermutter, aber Rut blieb anhänglich bei ihr.
Rut 1,15: Und sie sagte: “Siehe, deine Schwägerin ist zurückgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott. Kehre zurück, deiner Schwägerin hinterher!”
Rut 1,16–17: Und Rut sagte: “Bedränge mich nicht, dich zu verlassen, um hinter dir weg zurückzukehren. Denn wohin du gehen wirst, will [auch] ich hingehen. Und wo du übernachten wirst, will [auch] ich übernachten. Dein Volk sei mein Volk und dein Gott sei mein Gott. Wo du sterben wirst, will ich [auch] sterben, und dort will ich [auch] begraben sein. Der Ewige tue ...
Rut 1,18: Und sie sah, dass sie sich fest entschlossen hatte, mit ihr zu gehen. Und sie hörte auf, auf sie einzureden.
Rut 1,19: Und die beiden gingen, bis sie nach Beit Lechem kamen. Und die ganze Stadt geriet über sie in Aufregung und sagte: “Ist diese [da nicht etwa] Noomi?!”
Rut 1,20: Aber sie sagte zu ihnen: “Nennt mich nicht mehr Noomi! Nennt mich Mara! Denn der Ewige hat es mir sehr bitter ergehen lassen”.
Rut 1,21: “Ich bin voll [hier weg] gegangen, und in Leere hat er mich nun zurückkehren lassen. […] Und der Ewige hat gegen mich ausgesagt.”
Rut 1,22: Und [so] kam Noomi zurück und Rut die Moabiterin, ihre Schwiegertochter, war mit ihr. Sie kam zurück von den Feldern Moabs. Und so kamen sie nach Beit Lechem zu Beginn der Gerstenernte.
13. Vergleich der Kommentar-Fassungen zu Rut 2
Rut 2,1: Und Noomi hatte einen Angehörigen von der Seite ihres Mannes her, einen heldenhaft-großartigen Mann, aus der Familie Elimelekhs…
Rut 2,2: Und Rut, die Moabiterin, sagte zu Noomi: “Ich will doch bitte auf dem Feld sammeln gehen und in den Ähren Nachlese halten, hinter dem, in dessen Augen ich Gunst finden werde.”
Rut 2,3: Und sie ging und sie kam und sie hielt Nachlese auf dem Feld hinter den Schnittern her. Und es passierte zufällig…
Rut 2,4–5: Und siehe, Boaz kam aus Beit Lechem … Und Boaz sprach zu seinem jungen Mann, der über die Schnitter bestellt war: “Zu wem gehört diese junge Frau?”
Rut 2,6–7: Und der junge Mann, der über die Schnitter bestellt war, antwortete: “Sie ist eine moabitische junge Frau, die mit Noomi von dem Feld Moabs zurückgekehrt ist. Und sie sagte: ‘Ich möchte bitte Nachlese sammeln und zwischen den Garben hinter den Schnittern her aufsammeln.’ Und sie kam und stand seit heute Morgen an und bis jetzt und diese gönnte sich im Haus...
Rut 2,8: Und Boaz sprach zu Rut: “Hast du nicht gehört, meine Tochter? Gehe nicht, um auf einem anderen Feld [Nachlese] zu sammeln! Und so halte dich zu meinen jungen Frauen.”
Rut 2,9: “Richte deine Augen auf das Feld, das sie abernten werden. Und gehe ihnen hinterher. Habe ich denn nicht meinen jungen Männern befohlen, dich keinesfalls anzugehen? Und [wenn] du durstig bist, dann gehe zu den Gefäßen und trinke von dem, was die jungen Männer schöpfen.”
Rut 2,10: “Weshalb habe ich Gefallen in deinen Augen gefunden, mich wahrzunehmen, obwohl ich eine Fremde bin?”
Rut 2,11a: Und Boaz antwortete und sprach zu ihr: “Es ist mir erzählt, [ja wirklich] erzählt worden…”
Rut 2,11b: “…Alles, was du deiner Schwiegermutter [Gutes] getan hast nach dem Tod deines Mannes und [auch,] dass du deinen Vater und deine Mutter verlassen hast, und dein Heimatland und zu einem Volk gingst, das du vordem [noch] nicht kanntest.”
Rut 2,12: “Der Ewige vergelte dir dein Werk und es werde dir dein Lohn vollständig vergolten … vom Ewigen, dem Gott Israels, da du kamst, um dich unter seine Flügel zu bergen.”
Rut 2,13: “[Aber] ich werde [doch] nicht wie eine deiner Mägde [sein].”
Rut 2,14: Und Boaz sagte ihr: “…Und tauche deinen Bissen in Essig.” Und er reichte ihr Geröstetes [Getreide] dar. Und sie aß und wurde satt und ließ [noch etwas] übrig.
Rut 2,15: “Auch zwischen den Garben darf sie [Nachlese] sammeln und ihr sollt sie nicht beschämen.”
Rut 2,16: “Und ihr sollt ihr auch herausziehen, [ja wirklich] von den zusammengebundenen Ähren herausziehen. Und tadelt sie nicht!”
Rut 2,18: Und sie nahm, und sie kam [in] die Stadt. Und ihre Schwiegermutter sah, [was] sie übrig behalten hatte, als sie satt geworden war.
Rut 2,19: Und ihre Schwiegermutter fragte sie: “Wo hast du heute gesammelt, und wo hast du [das] gemacht? Dein Bekannter sei gesegnet!”
Rut 2,20: “[Gesegnet sei er dem Ewigen, der seine Gnade nicht genommen hat, weder von] den Lebenden und den Toten. Nah [verwandt] ist uns dieser Mann … er ist [einer] von unseren Lösern!”
Rut 2,21: Des Weiteren hat er auch zu mir gesagt: “Bleib … bis sie [die Ernte] abgeschlossen haben werden.”
Rut 2,22: “Sie werden dich nicht belästigen.”
14. Vergleich der Kommentar-Fassungen zu Rut 3
Zu Rut 3,1: Und Noomi, ihre Schwiegermutter, sprach zu ihr: “Meine Tochter, soll ich dir [denn] nicht eine Ruhe erbitten, damit es dir gut ergehen wird?”
Zu Rut 3,2: “Boaz, unser Angehöriger, mit dessen jungen Frauen du [zusammen] warst…”
Zu Rut 3,3: “Und [nun] bade (dich), und salbe (dich), und ziehe deine Kleider an, und steige hinab zur Tenne. Lass dich [aber bloß] nicht von dem Mann erkennen…”
Zu Rut 3,4: “…und decke von seinen Füßen her auf und lege dich hin und er wird dir sagen, was du tun sollst.”
Zu Rut 3,5: “… Alles, was du mir sagen wirst, werde ich tun.”
Zu Rut 3,6: … Und sie tat alles, was ihr ihre Schwiegermutter befohlen hatte.
Zu Rut 3,7: … Und [Boaz] aß und trank und sein Herz wurde gut[en Mutes]…
Zu Rut 3,8: Und es war in der Mitte der Nacht, und er fuhr [vom Schlaf] auf und und er beugte sich vor. Und es war, [dass] eine Frau zu seinen Füßen lag.
Zu Rut 3,9: Und er sprach: “Wer bist du?” Und [sie] sprach: “Ich bin Rut, deine Magd. Und breite den Saum deines Gewandes über [deine] Magd, denn ein Löser bist du.”
Zu Rut 3,10: Und er sprach: “Gesegnet seist du, meine Tochter, dem Ewigen, [denn] zuletzt hast du deine Liebenswürdigkeit noch mehr als zuvor bewiesen, denn du bist nicht den jungen Männern nachgelaufen, [egal] ob dürftig oder reich.”
Zu Rut 3,11: “Aber jetzt, meine Tochter, fürchte dich nicht. Alles, was du mir sagen wirst, will ich für dich tun. Denn es weiß jeder [im] Tor meines Volkes, dass du eine großartige Frau bist.”
Zu Rut 3,12: “Und jetzt, denn gewiss, auch wenn ich ein Löser bin, gibt es (doch noch) einen Löser, der (dir) näher (steht) als ich.”
Zu Rut 3,13: “Ruhe diese Nacht und es wird am [nächsten] Morgen sein. Wenn er dich lösen wird, gut, [so] soll er lösen. … So wahr der Ewige lebt.”
Zu Rut 3,14: Und sie legte sich zu seinen Füßen, bis zum Morgen. Und sie stand auf, bevor ein Mensch seinen Nächsten erkannte. Und er sprach: “Es soll [bloß] nicht bekannt werden, dass diese Frau auf diese Tenne gekommen ist.”
Zu Rut 3,15: Und er sprach: “Gib das Umschlagtuch, das du anhast. Und halte es [auf]!” Und sie hielt es [auf]. Und er maß sechs [Maß] der Gerste ab und legte [es] auf sie.
Zu Rut 3,16: Und sie kam zu ihrer Schwiegermutter [zurück] und [diese] sagte: “Wer bist du, meine Tochter?” Und sie sagte ihr alles, was der Mann an ihr getan hatte.
Zu Rut 3,17: Und sie sprach: “Die sechs [Hohl-]Maß Gerste hat er mir gegeben, denn er sagte zu mir: ‘Komme nicht [mit] leer[en Händen] zu deiner Schwiegermutter [zurück].’ ”
Zu Rut 3,18: Und sie sprach: “[Gönne Dir ruhig etwas] Ruhe, meine Tochter, bis du weißt, wie diese Sache ausgehen wird, denn er wird nicht [eher] ruhen bis er die Sache heute zu Ende gebracht hat.”
15. Vergleich der Kommentar-Fassungen zu Rut 4
Rut 4,1: Und Boaz stieg zum Tor hinauf und setzte sich dort [hin], und siehe, der [andere mögliche] Löser kommt vorbei, über den Boaz geredet hatte. Und [Boaz] sprach: “Komm herzu, setze dich hierher, Peloni Almoni!”
Rut 4,2–4: Und [Boaz] nahm zehn Leute… Und er sprach zu dem Löser: “Das Feldstück … verkauft Noomi. Und ich sagte [mir]: Ich will dir [die Sache] folgendermaßen [zu] Ohren [bringen, und damit] offenbaren: Ich will es [nämlich] wissen, denn es gibt keinen außer dir.” [Und der andere mögliche Löser Peloni Almoni sprach:] “Ich will lösen.”
Rut 4,5: Und [darauf] sprach Boaz: “An dem Tag, an dem du dir das Feld von Noomi und von Rut, der Moabiterin, der Frau des Verstorbenen erwirbst, erwirbst [du es], um den Namen des Verstorbenen [auf seinem Erbteil] zu erheben.”
Rut 4,6: Und der [andere mögliche] Löser sprach: “Ich werde [es] mir nicht lösen können. Dass ich bloß meinem [eigenen] Erbteil keinen Schaden zufüge.”
Rut 4,7–9: Und dies war früher [so] in Israel im [Rahmen] der Lösung und im [Rahmen] des Tausches, um jegliche Sache zu bestätigen, die Bezeugung. Und der [andere] Löser sagte zu Boaz: “Kaufe du dir.” Und er zog seinen Schuh aus. Und Boaz sprach zu den Ältesten: “… Denn ich habe gekauft.”
Rut 4,10: “Und auch Rut, die Moabiterin, die Frau Machlons, habe ich mir zur [Ehe-]Frau erworben, um den Namen des Verstorbenen auf seinem Besitz zu erheben und den Namen des Verstorbenen nicht auslöschen zu lassen unter seinen Brüdern und vom Tor seines Ortes.”
Rut 4,11–12: Und sie sagten: “Der Ewige gebe dieser Frau, die zu deinem Haus gekommen ist, wie Rachel und wie Lea, die beide das Haus Israel gebaut haben. … Und dein Haus sei wie das Haus Perez’.”
Rut 4,13: [Und Rut] gebar einen Sohn.
Rut 4,14: Und die Frauen sprachen zu Noomi: “[Er hat dir] heute einen Löser [gegeben]. Sein Name werde ausgerufen in Israel.”
Rut 4,15: “Und er sei dir zum Trost der Seele und werde zum Versorger in deinem Alter. Denn deine Schwiegertochter, die du lieb hast, hat ihn geboren. [Sie ist besser] als sieben Söhne.”
Rut 4,17: Und die Nachbarinnen benannten ihn [mit dem] Namen Oved um zu sagen, Noomi ist ein Sohn geboren worden.
Rut 4,18: Und dies sind die Generationen Perez’...
Rut 4,21–22: Und Salmon zeugte … Und Isai zeugte David.
16. Resümee des Vergleichs der Kommentar-Fassungen zum Buch Rut
16.1. Zuschreibung an Kara
17. Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur
17.1. Auslegungen in der Bibel und ihren Kommentaren
17.2. Sinn und Zweck der Kommentierung
17.2.1. Zielgruppe und Verwendung der Kommentar-Fassungen
17.2.2. Entstehung des Kommentars als Glossenkommentar
17.2.3. Anrede des Rezipienten
17.2.4. Herangehensweise an den Bibeltext
17.3. Zuschreibung von Kommentaren an Autoren
17.4. Bearbeitungsstufen eines Kommentars
17.4.1. Kompilation
17.5. Peshat
17.6. Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar
17.6.1. Definition des Begriffs “Midrash”
17.6.2. Yalkutim im Unterschied zu Midrashim
17.6.3. Verschronologische Auslegung des Bibeltextes
17.6.4. Zusammenstellung der Midrashim zu Anthologien im Vergleich zu Erstellung eines Bibelkommentars
17.6.5. Ähnlichkeiten der Auslegungsart in Anthologien und den Kommentaren zum Buch Rut
17.7. Verwendung des Targum
17.7.1. Targum zum Buch Rut
17.8. Der Bibeltext und seine Fassung(en)
17.8.1. Beispiele für Varianten der Wiedergabe des Bibeltextes in den behandelten Kommentaren
17.8.1.1. Varianten in den Kommentar-Fassungen zu Rut 1
17.8.1.2. Varianten in den Kommentar-Fassungen zu Rut 2
17.8.1.3. Varianten in den Kommentar-Fassungen zu Rut 3
17.8.1.4. Varianten im Kommentar zu Rut 4
17.9. Innerbiblische Bezüge
17.9.1. Innerbiblische Bezüge zwischen dem Buch Rut und Genesis
17.9.2. Innerbiblische Bezüge in den Kommentar-Fassungen
17.9.2.1. Innerbiblische Interpretationen zu Rut 1
17.9.2.2. Innerbiblische Interpretationen zu Rut 2
17.9.2.3. Innerbiblische Interpretationen zu Rut 4
17.10. Le’azim
17.10.1. Le’azim im Kommentar zu Rut 1
17.10.2. Le’azim im Kommentar zu Rut 2
17.10.3. Le’azim im Kommentar zu Rut 3
17.11. Hinweise auf Realia
18. Zusammenfassung
18.1. Verwendung der Traditionsliteratur in den Kommentaren der nordfranzösischen Schule im 12. Jahrhundert unter Berücksichtigung literarischer Aspekte
18.2. Rashis Kommentar als Grundlage Karas
18.3. Karas Kommentar-Fassungen zum Buch Rut sind durch verschiedene Sichtweisen auf den Text verbunden
19. Glossar
19.1. Definitionen häufig auftretender Begriffe
19.2. Abkürzungen
19.2.1. Sonstiges
20. Literaturverzeichnis
20.1. Quellen und Editionen
20.1.1. Manuskripte
20.1.2. Bibelausgaben
20.1.3. Midrash-Ausgaben
20.1.4. Editionen Mittelalterlicher Auslegungen
20.2. Allgemeine Bibliographie
20.2.1. A-E
20.2.2. F-K
20.2.3. L-P
20.2.4. Q-Z
20.3. Handschriftenkataloge
20.4. Wörterbücher
20.5. Nachschlagewerke
20.6. Software / Computerprogramme etc.
21. Register
21.1. Stellenregister
21.1.1. Bibel
21.1.2. Targum
21.1.3. Rabbinische Literatur
21.1.3.1. Mishna
21.1.3.2. Talmud Bavli
21.1.3.3. Talmud Yerushalmi
21.1.3.4. Yalkut Shimoni
21.1.3.5. Midrash
21.1.4. Mittelalterliche Kommentatoren
21.2. Namenregister
21.2.1. Biblische Figuren
21.2.2. Kommentatoren, Forscher und Gelehrte
21.2.3. Orte und Regionen
21.3. Sachregister
22. Abbildungsverzeichnis
23. Edition der drei Kommentar-Fassungen Karas
23.1. Mikra’ot Gedolot HaKeter (MGK) bietet nur zwei Versionen von Kommentaren zum Buch Rut, die R. Josef Kara zugeschrieben werden
23.2. MS New York 778
23.3. In der Edition verwendete Zeichen
24. Edition MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Or. Fol. 1221
25. Edition MS London, British Library, Add. 22,413
26. Edition MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157 sowie MS New York, Jewish Theological Seminary, Lutzki 778

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Judentum und Umwelt / Realms of Judaism 82

Ingeborg Lederer-Brüchner

Kommentare zum Buch Rut von Josef Kara Editionen, Übersetzungen, Interpretationen Kontextualisierung mittelalterlicher Auslegungsliteratur

Judentum und Umwelt / Realms of Judaism 82

Ingeborg Lederer-Brüchner

Kommentare zum Buch Rut von Josef Kara Dieser Band versammelt verschiedene hebräische Kommentar-Fassungen zum Buch Rut, die dem Exegeten Josef Kara im 11. und 12. Jahrhundert in Nordfrankreich zugeschrieben werden können. Diese Kommentare sind textkritisch ediert, ins Deutsche übersetzt und detailreich analysiert. Im Kontext mittelalterlicher Bibelauslegung erörtert die Verfasserin die Kommentare. Dabei diskutiert sie die Verwendung sogenannter Glossenkommentare ebenso wie Fragen nach der Autorschaft mittelalterlicher Kommentare, ihre Bearbeitungen und die in den Kommentaren verwendeten Auslegungsarten. Besonders geht die Verfasserin auf die Rolle rabbinischer Traditionsliteraturen ein und behandelt philologische Grundlagenfragen. Durch die Studien der vorliegenden Kommentare ergibt sich eine neue Sicht auf mittelalterliche jüdische Bibelauslegung. Die Ausführungen beruhen auf Kommentaren zum Buch Rut in acht Manuskripten (z.B. Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz Ms.or.fol.1221, London - The British Library Add. 22413 und Zürich - Zentralbibliothek Ms Or 157), die durch Abbildungen veranschaulicht werden. Die Autorin Ingeborg Lederer-Brüchner studierte in Heidelberg, Jerusalem und Berlin. Sie promovierte an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. Dort war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Bibel und Jüdische Bibelauslegung und hielt international Vorträge zu mittelalterlichen Bibelexegeten. Zuletzt war sie Bibliotheksreferendarin in der Hebraica- und Judaica-Sammlung der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main.

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Kommentare zum Buch Rut von Josef Kara

Judentum und Umwelt Realms of Judaism Herausgegeben von / Edited by Hanna Liss & Hans-Georg von Mutius In Verbindung mit / In Connection with Gianfranco Miletto

Band / Volume 82

Ingeborg Lederer-Brüchner

Kommentare zum Buch Rut von Josef Kara Editionen, Übersetzungen, Interpretationen Kontextualisierung mittelalterlicher Auslegungsliteratur

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zugl.: Heidelberg, Hochsch. für Jüdische Studien, Diss., 2014 Umschlagabbildung: Zentralbibliothek Zürich, Ms Or 157, S. 462

ISSN 0721-3131 ISBN 978-3-631-66474-2 (Print) E-ISBN 978-3-653-05697-6 (E-PDF) E-ISBN 978-3-631-69393-3 (EPUB) E-ISBN 978-3-631-69394-0 (MOBI) DOI 10.3726/b10400 © Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften Frankfurt am Main 2017 Alle Rechte vorbehalten. PL Academic Research ist ein Imprint der Peter Lang GmbH. Peter Lang – Frankfurt am Main · Bern · Bruxelles · New York · Oxford · Warszawa · Wien Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Diese Publikation wurde begutachtet. www.peterlang.com

Für meine Eltern

Inhaltsverzeichnis Dank .........................................................................................................................   13 1. Einleitung..........................................................................................................15 1.1. Forschungsstand  ...................................................................................  16 1.2. Zum Aufbau der Arbeit .......................................................................  19

2. Das Buch Rut in der Hebräischen Bibel  ...........................................   23 2.1.

Einleitungsfragen zum Buch Rut.........................................................  23 2.1.1. Zusammenfassung des Buches Rut .....................................  26 2.1.2. Themen im Buch Rut, die sich auch andernorts in der Bibel finden .....................................................................  28

3. Die nordfranzösische Bibelexegese im 11. und 12. Jahrhundert  ...........................................................................................   35 3.1. 3.2.

Orientierung im historischen Kontext ..............................................  35 Jüdische Bibelauslegung im Nordfrankreich des 11. und 12. Jahrhunderts ...................................................................................  39

4. R. Josef Ben Shimon Kara  .......................................................................   45 4.1.

Karas Auslegungsart .............................................................................  47

5. Rashi .................................................................................................................   51 5.1. 5.2. 5.3.

Kara und Rashi .....................................................................................  53 Kara und Rashbam ...............................................................................  55 Nennung Karas in anderen Kommentaren, Bezugnahme auf andere Kommentatoren in Karas Auslegungen ...............................  58

6. Handschriftenbeschreibungen .............................................................   61 6.1. 6.2. 6.3. 6.4. 6.5.

Vorbemerkungen zu den Handschriftenbeschreibungen ...............  61 MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Or. Fol. 1221 ..................................................................  62 6.2.1. Relation zu anderen Manuskripten ....................................  65 MS Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. hebr. 32 ...... 69 MS Vatican, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. ebr. 18 ................  78 6.4.1. Zitierte Bibelstellen in MS Vatican 18 außerhalb Rut.......  82 MS London, British Library, Add. 22,413 .........................................  84

8

Inhaltsverzeichnis

6.5.1. 6.5.2.

Der Kommentar zum Buch Rut in MS London 22413 ....... 86 Bildbeschreibung der Darstellung in MS London 22413, Fol. 71r ...............................................  90 6.6. MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157 .................................  93 6.6.1. Verweise auf die “Traditionsliteratur” ................................  97 6.6.2. Stil des Kommentars .............................................................  97 6.7. MS Copenhagen, The Royal Library, Cod. Hebr. 35 ......................  100 6.7.1. Bemerkungen zum Text .....................................................  102 6.8. MS Oxford, Bodleian Library, Opp. Add. Qu. 52 ..........................  105 6.8.1. Beobachtungen zu Oxford 52 ............................................  108 6.9. MS New York, Jewish Theological Seminary, Lutzki 778 ..............  112 6.10. Die drei Kara zugeschriebenen Kommentar-­Fassungen ...............  116 6.10.1. MS Berlin 1221 und Gruppe: MS Hamburg hebr. 32, MS Vatican 18 und MS Prag XVIII F 6 ......................  117 6.10.1.1. Untergruppe von MS Berlin 1221 zu Rut 1,1–6: MS Hamburg hebr. 32, MS Prag XVIII F6 und MS Vatican 18 .............................................................................  119 6.10.1.2. Untergruppe von MS Berlin 1221 zu Rut 1,7–11: MS Vatican 18 als Wiedergabe von Rut Zuta ..................  119 6.10.2. MS London 22413 ohne vergleichbare Parallelen ..........  120 6.10.3. MS Zürich Or 157 und Gruppe: MS Copenhagen 35, MS Oxford 52 etc. .........................................................  120 6.10.4. Relative Chronologie der drei Kommentar-­Fassungen ....  122 6.10.5. Resümee ...............................................................................  124

7. Grundlegendes zur Übersetzung  ....................................................... 125 7.1. 7.2. 7.3.

Einleitung in die Übersetzung ..........................................................  125 Zur Wiedergabe von Worten in hebräischer Schrift in der Übersetzung ........................................................................................  126 Verwendete Satzzeichen ....................................................................  126

8. Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Or. Fol. 1221  ........................................   129 9. Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413  .........   155 10. Übersetzung MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157 .....  185 11. Vergleich der Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut  .............   209

11.1. Vorwort zum Vergleich .....................................................................  209 11.1.1. MS Berlin 1221 ....................................................................  209

Inhaltsverzeichnis

9

11.1.2. MS London 22413 ................................................................ 209 11.1.3. MS Zürich Or 157 ................................................................ 210 11.2. Vergleich MS Berlin 1221 und MS London 22413 sowie MS Zürich Or 157 ............................................................................... 210

12. Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1  ........................... 213 13. Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2  ........................... 253 14. Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3  ........................... 291 15. Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 4  ........................... 323 16. Resümee des Vergleichs der Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut  ........................................................................................................ 353 16.1. Zuschreibung an Kara ......................................................................... 353

17. Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur  ...... 357

17.1. Auslegungen in der Bibel und ihren Kommentaren ....................... 357 17.2. Sinn und Zweck der Kommentierung .............................................. 361 17.2.1. Zielgruppe und Verwendung der Kommentar-­ Fassungen .............................................................................. 362 17.2.2. Entstehung des Kommentars als Glossenkommentar ..... 364 17.2.3. Anrede des Rezipienten ....................................................... 368 17.2.4. Herangehensweise an den Bibeltext .................................. 369 17.3. Zuschreibung von Kommentaren an Autoren ................................ 373 17.4. Bearbeitungsstufen eines Kommentars ............................................ 379 17.4.1. Kompilation .......................................................................... 381 17.5. Peshat  .................................................................................................... 386 17.6. Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar .......................................................................................... 390 17.6.1. Definition des Begriffs “Midrash” ...................................... 391 17.6.2. Yalkutim im Unterschied zu Midrashim ........................... 393 17.6.3. Verschronologische Auslegung des Bibeltextes ................ 394 17.6.4. Zusammenstellung der Midrashim zu Anthologien im Vergleich zu Erstellung eines Bibelkommentars ........ 397 17.6.5. Ähnlichkeiten der Auslegungsart in Anthologien und den Kommentaren zum Buch Rut ............................. 398 17.7. Verwendung des Targum ................................................................... 401 17.7.1. Targum zum Buch Rut ......................................................... 403 17.8. Der Bibeltext und seine Fassung(en) ................................................ 405

10

Inhaltsverzeichnis

17.8.1.

Beispiele für Varianten der Wiedergabe des Bibeltextes in den behandelten Kommentaren ................ 407 17.8.1.1. Varianten in den Kommentar-­Fassungen zu Rut 1 .......... 407 17.8.1.2. Varianten in den Kommentar-­Fassungen zu Rut 2 .......... 408 17.8.1.3. Varianten in den Kommentar-­Fassungen zu Rut 3 .......... 408 17.8.1.4. Varianten im Kommentar zu Rut 4 .................................... 409 17.9. Innerbiblische Bezüge ......................................................................... 409 17.9.1. Innerbiblische Bezüge zwischen dem Buch Rut und Genesis ................................................................................... 409 17.9.2. Innerbiblische Bezüge in den Kommentar-­Fassungen .......411 17.9.2.1. Innerbiblische Interpretationen zu Rut 1 .......................... 411 17.9.2.2. Innerbiblische Interpretationen zu Rut 2 .......................... 411 17.9.2.3. Innerbiblische Interpretationen zu Rut 4 .......................... 412 17.10. Le’azim................................................................................................... 413 17.10.1. Le’azim im Kommentar zu Rut 1........................................ 415 17.10.2. Le’azim im Kommentar zu Rut 2........................................ 417 17.10.3. Le’azim im Kommentar zu Rut 3........................................ 421 17.11. Hinweise auf Realia.............................................................................. 423

18. Zusammenfassung .................................................................................... 425 18.1. Verwendung der Traditionsliteratur in den Kommentaren der nordfranzösischen Schule im 12. Jahrhundert unter Berücksichtigung literarischer Aspekte ............................................ 425 18.2. Rashis Kommentar als Grundlage Karas .......................................... 427 18.3. Karas Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut sind durch verschiedene Sichtweisen auf den Text verbunden ......................... 430

19. Glossar ............................................................................................................ 435 19.1. Definitionen häufig auftretender Begriffe......................................... 435 19.2. Abkürzungen  ........................................................................................ 435 19.2.1. Sonstiges ................................................................................ 436

20. Literaturverzeichnis ................................................................................. 437 20.1. Quellen und Editionen........................................................................ 437 20.1.1. Manuskripte........................................................................... 437 20.1.2. Bibelausgaben........................................................................ 437 20.1.3. Midrash-­Ausgaben ............................................................... 438 20.1.4. Editionen Mittelalterlicher Auslegungen .......................... 439 20.2. Allgemeine Bibliographie ................................................................... 439 20.2.1. A-­E ......................................................................................... 439 20.2.2. F-­K .......................................................................................... 445

Inhaltsverzeichnis

11

20.2.3. L-­P .......................................................................................... 450 20.2.4. Q-­Z ......................................................................................... 454 20.3. Handschriftenkataloge  ........................................................................ 460 20.4. Wörterbücher  ....................................................................................... 461 20.5. Nachschlagewerke  ............................................................................... 462 20.6. Software / Computerprogramme etc. ............................................... 463

21. Register .......................................................................................................... 465 21.1. Stellenregister  ....................................................................................... 465 21.2. Namenregister  ...................................................................................... 470 21.3. Sachregister  .......................................................................................... 473

22. Abbildungsverzeichnis ............................................................................ 475 23. Edition der drei Kommentar-­Fassungen Karas  ........................... 477 23.1. Mikra’ot Gedolot HaKeter (MGK) bietet nur zwei Versionen von Kommentaren zum Buch Rut, die R. Josef Kara zugeschrieben werden ........................................................................ 478 23.2. MS New York 778 ................................................................................ 479 23.3. In der Edition verwendete Zeichen .................................................. 480

24. Edition MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Or. Fol. 1221  .............................................   I 25. Edition MS London, British Library, Add. 22,413  ..................  XVII 26. Edition MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157 sowie MS New York, Jewish Theological Seminary, Lutzki 778  .................................................................................................. XXXI

Dank Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2013/2014 an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg als Dissertation angenommen, im Sommersemester 2014 verteidigt und für den Druck überarbeitet. Ganz herzlich möchte ich allen danken, die mich im Laufe der Bearbeitung unterstützt haben. Allen voran und grundlegend Prof. Dr. Hanna Liss für alle Ermutigung, fachliche Unterstützung und die wertvolle Betreuung meiner Arbeit sowie die Aufnahme meiner Dissertation in die Reihe Judentum und Umwelt / Realms of Judaism. Prof. Dr. Oeming danke ich für seine Stellungnahmen zu meiner Dissertation. Außerdem danke ich Dr. Kiwitt für Anmerkungen zu den landessprachlichen Glossen. Weiter möchte ich mich bei allen Angehörigen der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg für Hinweise und manch’ hilfreiche Anmerkung bedanken: Ganz besonders bei Prof. Dr. Johannes Heil, Prof. Dr. Reichman, Anette Adelmann, Dr. Elodie Attia sowie Stefanie Budmiger. Dem Bibliothekspersonal der Bibliotheken in Heidelberg und Frankfurt, dem Institute of Microfilmed Hebrew Manuscripts der Jewish National and University Library sowie den Bibliotheken, in denen sich die Manuskripte befinden, die ich für diese Arbeit verwenden durfte, möchte ich vielmals danken: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, The Royal Library Copenhagen, Staatsund Universitätsbibliothek Hamburg, British Library London, The Library of The Jewish Theological Seminary, Bodleian Library Oxford, Biblioteca Apostolica Vaticana sowie Zentralbibliothek Zürich. Meine Freunde waren und sind mir immer eine große Hilfe. Hier gilt mein Dank ganz besonders Cosima Stawenow für Korrektorat und Lektorat, sowie David Zimmermann. Für das Korrekturlesen der Edition danke ich Tamar Weiss-­ Gabbay und Dr. Uri Gabbay. Auch Susanne Bracht danke ich für alle ermunternden Gespräche. Außerordentlich bedeutend haben mir meine Eltern immer und so auch in meinem Studium sowie diesem Dissertationsprojekt Beistand geleistet. Ihnen danke ich für jegliche Unterstützung in allen Lebenslagen und widme ihnen diese Arbeit. Danke an meine gesamte Familie, die mich immer wieder ermuntert und in allen möglichen Umständen begleitet. Vor allem aber danke ich meinem Mann Simon Brüchner, der mir ein unverwechselbarer Begleiter ist, für alles.

‫ישלם ה' פעלכם ותהי משכרתכם שלמה‬ nach Rut 2,12

1. Einleitung Heutzutage wird das Buch Rut an Shavuot in jüdischen Gemeinden gelesen, dem Dankfest für die erste eingebrachte Ernte.1 Belege für die Verwendung von Megillat Rut am Wochenfest gibt es im 11.–12. Jahrhundert.2 Damit begeben wir uns in jene Zeit, seit der das Buch Rut mit Shavuot verbunden wird. In eben dieser Zeit lebt und wirkt Josef Ben Shimon Kara (ca. 1055–1125). Seiner Kommentierung zum Buch Rut widmet sich die vorliegende Arbeit.3 Kara ist Zeitgenosse des namhaften Kommentators Rabbi Shelomo Jizḥaki, kurz “Rashi” (ca. 1040–1105).4 Beide sind Vertreter der sog. nordfranzösischen Schule der Bibelexegese,5 die in Troyes (Champagne-­Ardenne) zu verorten ist. Drei Fassungen des Kommentars zum Buch Rut, die auf Josef Ben Shimon Kara zurückzuführen sind, werden in der vorliegenden Arbeit aufgrund mittelalterlicher Handschriften ediert, übersetzt und vergleichend betrachtet:6 MSS7

1 Shavuot wird sieben Wochen nach Pessach gefeiert und daher auch "Wochenfest" genannt. "Schavuot ist Chag ha-­Bikkurim, das Fest der Erstlinge, bzw. Chag ha-­Qazir 'Fest der Getreideernte' ", siehe Liss, Hanna: Tanach. Lehrbuch der jüdischen Bibel. (Schriften der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg 8). 2. Aufl. Winter: Heidelberg 2008, S. 358. 2 "Die expliziten Belege für die Lesung von Rut zum Wochenfest stammen somit, soweit datierbar, aus dem späten 11. und dem 12. Jh.; keiner besagt eindeutig eine öffentliche Verlesung in der Synagoge; bis heute haben sich sowohl private wie öffentliche Lesung des Buches gehalten." Siehe Stemberger, Günter: "Die Megillot als Festlesungen der jüdischen Liturgie". In: Stemberger, Günter: Judaica Minora I. (Texts and Studies in Ancient Judaism 133). Mohr Siebeck: Tübingen 2010, S. 245. 3 "Rabbi" wird im Folgenden mit "R." abgekürzt. Auf R. Josef Ben Shimon Kara wird mit "Josef Kara" oder einfach nur "Kara" Bezug genommen. 4 Den Auslegern Rashi und Kara widmet sich im Folgenden jeweils ein eigenes Kapitel. 5 Zum Begriff z. B. Geiger, Abraham: Parschandatha. Die nordfranzösische Exegetenschule. Ein Beitrag zur Geschichte der Bibel-­Exegese und der jüdischen Literatur. Leopold Schnauss: Leipzig 1855. 6 Grundlage für die Auswahl der verwendeten Grundschriften ist dabei die namentliche Zuschreibung des Kommentars an Kara, siehe dazu ausführlicher Kapitel "Vergleich der Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut," S. 209. 7 "Handschrift(en)" werden im folgenden "MS(S)" genannt, als Abkürzung für "Manuskript(e)". Zu den MSS-­Beschreibungen vgl. Kapitel "Handschriftenbeschreibungen", S. 61 ff.

16

1. Einleitung

Berlin 12218, London 224139 und Zürich Or 15710 sind Grundlage dieser Arbeit.11 Untersuchungen solcher Bibelkommentare sind im Gebiet der “jüdischen Rezeption der hebräischen Bibel” zu verorten, weiter “im Bereich der Erarbeitung der Quellen zur jüdischen Bibelauslegung.”12 In der vorliegenden Arbeit stehen dabei Karas Auslegungen und damit die jüdische Bibelexegese des 11./12. Jahrhunderts in Nordfrankreich im Vordergrund der Betrachtungen. Für die nordfranzösische Exegese sind neben der Berücksichtigung sowie der Emanzipation von der Traditionsliteratur ein rationaler Zugang zum Bibeltext und der sog. ‫פשוטו של מקרא‬ peshuto shel-­mikra‘ “wörtliche Textsinn,”13 als Charakteristikum zu nennen.14 Die drei Kommentar-­Fassungen können durch die eben genannten Eigenschaften der Textauslegung Kara zugeschrieben, aber auch aufgrund der Nähe zu Rashis Kommentar der sog. nordfranzösischen Bibelexegese zugeordnet werden.

1.1. Forschungsstand Die Erforschung der hier betrachteten nordfranzösischen Exegese wird bereits im 19. Jahrhundert gepflegt. Quellen der Auslegungen und Kara zugeschriebene Kommentare werden untersucht von Abraham Geiger (1810–1874),15 Aaron 8 STAATSBIBLIOTHEK ZU BERLIN – Preußischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Ms.or.fol.1221, vgl. hierzu die Handschriftenbeschreibung im Kapitel "Handschriftenbeschreibungen", S. 62. 9 The British Library Add. 22,413, vgl. hierzu die Handschriftenbeschreibung im Kapitel "Handschriftenbeschreibungen", S. 84. 10 Zentralbibliothek Zürich, Ms Or 157, vgl. hierzu die Handschriftenbeschreibung im Kapitel "Handschriftenbeschreibungen", S. 93. 11 Dabei bilden MSS Berlin 1221 und Zürich Or 157 Grundhandschriften für Gruppen, denen weitere MSS zuzuordnen sind, vgl. hierzu Kapitel "Vergleich der Kommentar-­ Fassungen zum Buch Rut", S. 209. Für MS London 22413 finden sich bisher keine parallelen Überlieferungen. 12 Bezeichnungen siehe Liss, Hanna: "Judaistische Mediävistik: Neue Methoden an alten Texten". In: Heil, Johannes / Krochmalnik, Daniel (Hrsg.): Jüdische Studien als Disziplin – Die Disziplinen der Jüdischen Studien. Festschrift der Hochschule für Jüdische Studien 1979–2009. (Schriften der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg 13). Winter: Heidelberg 2010, S. 26. 13 Vgl. Kara zu 1. Sam. 1,17. Hierzu weiteres im Kapitel "Peshat", S. 386. 14 Weitere inhaltliche Ausführungen zur nordfranzösichen Bibelexegese vgl. Kapitel "Die nordfranzösische Bibelexegese im 11. und 12. Jahrhundert", S. 35. 15 Z.B. Geiger: Parschandatha 1855. Im Folgenden werden jeweils eine, höchstens zwei, v. a. auf Kara oder Rashi Bezug nehmende Schrift(en) genannt. Weitere relevante Werke werden im Laufe der Arbeit zitiert.

1.1. Forschungsstand

17

Jellinek (1820/21–1893),16 Abraham Berliner (1833–1915)17, Martin Littmann (1864–1925)18 und Samuel Poznański (1864–1921)19. In ihren Werken werden die nordfranzösische Schule als Ganzes und ihre Art der Bibelauslegung diskutiert, z. B. werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Kommentaren von Kara, Rashi und R. Samuel ben Meir (kurz Rashbam, ca. 1080–1160) sowie der Umgang dieser mittelalterlichen Exegeten mit philologischen Problemen dargestellt. Die wissenschaftliche Erforschung mittelalterlicher Handschriften konnte seit dem 19. Jahrhundert nicht kontinuierlich fortschreiten, was auf die Weltkriege der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückzuführen ist. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird die Untersuchung von MSS grundlegend weitergeführt, wobei das Institute of Microfilmed Hebrew Manuscripts der Jewish National and University Library in Jerusalem eine wichtige Rolle spielt.20 16 Von Aaron Jellinek ist hier v. a. folgende Veröffentlichung zu nennen: Jellinek, Adolph (Hrsg.): Commentarien zu Esther, Ruth und den Klageliedern von Menachem b. Chelbo, R. Tobia b. Elieser, R. Josef Kara, R. Samuel b. Meir und einem Ungenannten. Leopold Schnauss: Leipzig 1855. Dieses Werk enthält eine eklektische Abschrift von MS Hamburg hebr. 32. Weiteres zu diesem Manuskript vgl. Kapitel "Handschriftenbeschreibungen", S. 69. 17 Hier v. a. zu nennen Berliner, Abraham: "Zur Schrift-­Exegese Joseph Kara's". In: Berliner, Abraham (Hrsg.): Pletath Soferim, Beiträge zur jüdischen Schriftauslegung im Mittelalter, nebst Midrasch über die Gründe der defectiva und plena, aus handschriftlichen Quellen herausgegeben und näher beschrieben. Schletter: Breslau 1872, S. 19–25, sowie Berliner, Abraham: Raschi. Der Kommentar des Salomo B. Isak über den Pentateuch. 2. Aufl. J. Kauffmann: Frankfurt am Main 1905. 18 Littmann, Martin: Josef ben Simeon Kara als Schrifterklärer. Schottlaender: Breslau 1887. 19 Z.B. Poznański, Samuel: "Die nordfranzösische Exegetenschule". In: Geiger, Ludwig (Hrsg.): Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk. Reimer: Berlin 1910, S. 388–399. Hier ist auch Leopold Zunz (1794–1886) zu nennen, z. B. Zunz, Leopold: "Salomon ben Isaac, genannt Raschi". In: Zeitschrift für die Wissenschaft des Judentums 2, 1822, S. 277–384, sowie Moritz Steinschneider (1816–1907), z. B. Steinschneider, Moritz (Hrsg.): Die Handschriften-­Verzeichnisse der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Verzeichnis der hebraeischen Handschriften. Asher: Berlin 1897. 20 Institute of Microfilmed Hebrew Manuscripts wird im Folgenden abgekürzt mit "IMHM." Zu Funktion und Stellenwert des IMHM sei hier beispielhaft Folgendes angeführt: " '… our first duty is to save Hebrew literature. There are thousands of Hebrew manuscripts lying idle in various libraries … Many of them have vanished in the darkness of the past or have been destroyed by the wrath of oppressors … It is the duty of the State of Israel to acquire and gather those exiles of the spirit of Israel dispersed in the Diaspora. I do not think that it will be possible to acquire … the original manuscripts, but their reproductions … will have the same practical value as the manuscripts

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1. Einleitung

Heute ist die Erforschung der Quellen fest im Forschungsbetrieb verankert, woraufhin zahlreiche neue Arbeiten entstehen, die sich mit mittelalterlichen u. a. MSS beschäftigen.21 Studien von Moshe M. Ahrend22 und Gershon Brin23 zu Karas Kommentierung erscheinen in den 1980er und 1990er Jahren, weiter befasst sich Abraham Grossman umfangreich mit Karas Werk.24 Durch neue Funde in Archiven entstehen weitere Arbeiten, hierbei ist bspw. Mauro Perani zu nennen.25 Nach

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themselves …' (David Ben Gurion, Prime Minister of Israel, March 5, 1950)." Zitat und kurzer geschichtlicher Abriss siehe www.jnul.huji.ac.il/imhm/imhm.htm#history (Zugriffsdatum: 19.03.2016). Editionen und Arbeiten über verschiedenste überlieferte Literaturen in MSS werden mit neuen technischen Mitteln veröffentlicht, wobei technische Möglichkeiten auch zum Fortschritt der Forschung beitragen. Bspw. ist hier die Erstellung von Digitalisaten in besitzenden Bibliotheken von Handschriften fast überall auf der Welt zu nennen, da die Qualität der Darstellung von reproduzierten MSS im digitalen Format meist besser und klarer als auf einem Mikrofilm ist. Ahrend, Moshe M.: Rabbi Joseph Kara's Commentary on Job based on Manuscripts and first Printings, edited, with Introduction, Variants, References, explanatory Notes and Appendices. Mossad HaRav Kook: Jerusalem 1988 (Hebr.). Brin, Gershon: Studies in the Biblical Exegesis of R. Joseph Qara. Chaim Rosenberg School of Jewish Studies University Publishing Projects: Tel Aviv 1990 (Hebr.). Für Rashis Werk ist zu jener Zeit u. a. zu nennen Banitt, Menahem: Rashi, Interpreter of the Biblical Letter. Chaim Rosenberg School of Jewish Studies University Publishing Projects: Tel Aviv 1985 (Hebr.). Grossman, Avraham: The Early Sages of France. Their Lives, Leadership and Works. 3. Aufl. Magnes Press: Jerusalem 2001 (Hebr.), erste Auflage 1994. Zusammenfassungen und Übersetzungen liegen vor z. B. Grossman, Avraham: "School of Literal Jewish Exegesis in Northern France". In: Saebo, Magne (Hrsg.): Hebrew Bible / Old Testament. The History of Its Interpretation I,2. From the beginnings to the Middle Ages (until 1300). The Middle Ages. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2000, S. 321–371. Perani, Mauro: "Yosef Ben Sim´on Kara's Lost Commentary on the Psalms. The Imola Fragment from the 'Italian Genizah' ". In: Perani, Mauro (Hrsg.): The Words of a Wise Man's Mouth are Gracious (Qoh 10,12). Festschrift for Günter Stemberger on the occasion of his 65th birthday. (Studia Judaica 32). De Gruyter: Berlin et al. 2005, S. 395–428. Er nennt dort auch Eleazar Touitou und Sarah Japhet mit dem Verweis auf ein erstarkendes Forschungsinteresse mit neuen Sichten auf peshat und derash sowie auf die literarische Bedeutung der Bibel in der "Kleinen Renaissance des 12. Jahrhunderts", vgl. ebd. S. 398. Bzgl. der relativ modernen Forschungen über die nordfranzösische Exegese im Allgemeinen ließen sich auch noch andere Forscher nennen wie z. B. Sarah Kamin mit folgenden Werken: Kamin, Sarah: Rashi's Exegetical Categorization. In Respect to the Distinction Between Peshat and Derash. Magnes Press: Jerusalem, 2000; Kamin, Sarah: Jews and Christians Interpret the Bible. Magnes Press: Jerusalem 2000.

1.2.  Zum Aufbau der Arbeit

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der Veröffentlichung der ekletischen Edition Mikra’ot Gedolot HaKeter26 seit 1992 an der Universität Bar-­Ilan in Ramat-­Gan ist zu erwarten, dass zukünftig weitere Forschungen folgen, die bspw. bestimmte Terminologien von Auslegungen in den Blick nehmen.27 Die vorliegende Arbeit legt nun ihren Hauptaugenmerk auf Karas Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut. Neben Angaben des Online-­Katalogs des IMHM ist eine von Barry D. Walfish im Jahr 1993 veröffentlichte Bibliographie Ausgangspunkt meiner Recherche.28

1.2. Zum Aufbau der Arbeit Die Recherche nach MSS, die einen Kommentar von R. Josef Ben Shimon Kara enthalten, ergab den Befund von drei verschiedenen Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut, die jeweils Kara zugeschrieben werden. Grundlage meiner inhaltlichen Ausarbeitung sind MS Zürich Or 157, MS London 22413 und MS Berlin 1221, die jeweils eine andere Kommentar-­Fassung enthalten (siehe Kapitel “Handschriftenbeschreibungen,” S. 61).29 Diese Arbeit leistet – im Gegensatz zu bisher erschienenen Editionen – eine textkritische, diplomatische Edition der drei Kommentar-­Fassungen von Kara zum Buch Rut (siehe Kapitel “Edition der drei Kommentar-­Fassungen Karas,” S. 477). Diese gibt, sofern 26 Die Edition liegt in elektronischer Form vor: Mgketer Application, 1994, sowie zwischenzeitlich in gedruckter Form: Cohen, Menachem (Hrsg.): Mikra'ot Gedolot 'Haketer'. A Revised and Augmented Scientific Edition of 'Mikra'ot Gedolot'. Based on the Aleppo Codex and early Medieval MSS. The Five Scrolls. Small edition. Bar-­Ilan University Press: Ramat Gan 2012 (Hebr.). In diesen Fassungen wird jedoch keine Auskunft über die verwendeten MSS gegeben. Mikra'ot Gedolot 'HaKeter' wird im Folgenden MGK abgekürzt. Zur Version von MGK zu Megillat Rut vgl. Kapitel "Vergleich der Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut," S. 209. 27 Vgl. bspw. Jacobs, Jonathan: "Rabbi Joseph Kara as an Exegete of Biblical Narrative: Discovering the Phenomenon of Exposition". In: Jewish Studies Quarterly 19,1, 2012, S. 73–89. 28 Walfish, Barry D.: "An Annotated Bibliography of Medieval Jewish Commentaries on the Book of Ruth in Print and in Manuscript". In: The Frank Talmage Memorial Volume I. (Jewish History 6). Haifa University Press: Haifa 1993, S. 251–271. 29 Die beiden Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut, die sich in den beiden letztgenannten MSS befinden, werden als "‫( " 'נוסח א‬entspricht inhaltlich MS Berlin 1221) sowie "‫" 'נוסח ב‬ (entspricht inhaltlich MS London 22413) in MGK abgedruckt. Hinzugekommen ist nun eine "dritte" Gruppe von MSS, die eine weitere an Kara zugeschriebene Kommentar-­ Fassung enthält. Für die letztgenannte Gruppe wird MS Zürich Or 157 als Grundtext verwendet, worin der Kommentar namentlich "Rabbi Josef Kara" zugeschrieben wird (MS Zürich Or 157, Fol. 462: "‫)"פירוש מחמש מגילות לרבי יוסף קרא ז'ל' ספר רות‬.

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1. Einleitung

vergleichbare MSS vorhanden sind, die jeweilige Lesart anderer MSS an, die dieselbe Kommentar-­Fassung enthalten.30 Die jeweilige Übersetzung der drei Kommentar-­Fassungen ins Deutsche liegt bisher so noch nicht vor (siehe Kapitel “Grundlegendes zur Übersetzung,” S. 125).31 Ein ausführlicher Vergleich der drei Kommentar-­Fassungen untereinander schließt sich an den Übersetzungsteil an. Dieser Vergleich behandelt jeden Vers in chronologischer Reihenfolge. Dadurch sollen Einzelheiten der unterschiedlichen Kommentar-­Fassungen verdeutlicht und der jeweilige Kontext der Auslegung nachvollziehbar werden. Gegenüber einer durchgängigen thematischen Betrachtung erleichtert die verschronologische Untersuchung die Orientierung bei der Suche nach der Auslegung zu einem bestimmten Vers in allen drei Kommentar-­Fassungen. Durch den genauen Vergleich werden Unterschiede deutlicher als durch die einfache Lektüre des Kommentars an sich. Zwar wollen die Ausführungen so vollständig wie möglich sein, jedoch kann nicht alles angesprochen werden. Ausführungen zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten der drei Kommentar-­Fassungen, die auf eine gegenseitige Bezugnahme schließen lassen, sind an betreffender Stelle des Kommentar-­Vergleichs genannt (siehe Kapitel “Vergleich der Kommentar-­ Fassungen zum Buch Rut,” S. 209). Ein Resümee zur evtl. chronologischen Abfolge schließt den Vergleichsteil ab. Ziel des Vergleichs ist die Spezifizierung bzw. Verifizierung von Karas Auslegungsart, die in einem weiteren Abschnitt anhand der Forschungsliteratur zusammengefasst und auf Karas Kommentar zum Buch Rut angewandt wird. Allgemeine Ausführungen zur Kommentarliteratur des 11. und 12. Jahrhunderts in Nordfrankreich folgen auf den Vergleich der drei Kommentar-­Fassungen (siehe Kapitel “Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur,” S. 357). Zu den jeweiligen Eigenarten wird jeweils ein Überblick zu betreffenden Stellen in den Kommentar-­Versionen gegeben.

30 Andere Editionen, wie z. B. die genannte Mikra'ot Gedolot 'Haketer' (s. o.), geben zwar auch Kommentare zum Buch Rut wieder, die R. Josef Ben Shimon Kara zugeschrieben werden, jedoch ist dort lediglich eine eklektische Wiedergabe des Kommentars zu finden, die weniger MSS zum Vergleich heranziehen als dies in den bisher zugänglichen Editionen der Fall war. Außerdem nennt MGK die zugrundeliegenden MSS weder in der elektronischen noch in der gedruckten Fassung der einzelnen Bücher. 31 Mit der Übersetzung wird die Lektüre erleichtert und einem weiteren Publikum zugänglich. Einerseits lässt sich damit das Textverständnis mit dem Hebräischen abgleichen, andererseits auf die Übersetzung für eine erleichterte Rezeption des Inhalts zurückgreifen, z. B. falls hebräische Sprachkenntnisse nicht weit genug reichen sollten.

1.2.  Zum Aufbau der Arbeit

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Zweck dieser Auflistung ist, die angesprochenen Eigenschaften mittelalterlicher Literatur im betreffenden Kommentar selbst oder im erklärenden Vergleichsteil nachschlagen zu können, und dort auch den jeweiligen Kontext der Ausführung mit zu betrachten. Die Zusammenfassung, die sich vorallem mit der bemerkenswert ausführlichen Verwendung von Traditionsliteratur in den vorliegenden Kommentar-­Versionen befasst, schließt die Arbeit ab. Sofern nicht anders angegeben, stammen Übersetzungen wie z. B. übersetzte Bibelstellen von der Verfasserin dieser Arbeit.

2. Das Buch Rut in der Hebräischen Bibel 2.1. Einleitungsfragen zum Buch Rut Das Buch Rut erzählt in vier Kapiteln über die verwitwete Moabiterin Rut, die ihre Schwiegermutter nach Beit Lechem begleitet und dort Boaz’ Frau wird. Beide werden Urgroßeltern von König David.32 Die Angabe zur erzählten Zeit in Rut 1,1 (Und es war als die Richter regierten…) setzt die Handlung des Buches in die Richterzeit, die biblisch nach der Siedlung der Israeliten in Kanaan (vgl. Buch Josua) und vor der Königszeit (vgl. 1. Samuel – 2. Könige) einzuordnen ist.33 Das Buch Rut gehört in der Hebräischen Bibel zum Teil der Ketuvim, den Schriften. Die Bezeichnung “Megillot,”34 zu denen das Buch Rut zählt und das daher auch Megillat Rut genannt wird, stammt aus gaonäischer Zeit.35 Die Niederschrift des

32 Versaufteilung nach Kapiteln: Rut 1: 22 Verse; Rut 2: 23 Verse; Rut 3: 18 Verse; Rut 4: 22 Verse. Das Buch Rut umfasst also insgesamt 85 Verse. Hierbei ist die heute gängige Versaufteilung Grundlage der Berechnung, wobei festzuhalten ist, dass "Erzbischof von Canterbury Stephan Langton (ca. 1155–1228)" (siehe Liss: Tanach. Lehrbuch. 2. Aufl. 2008, S. 7) erst Ende des 12. Jahrhundert jene Aufteilung vorgenommen haben kann. 33 Über "die Zeit der Richter" berichtet in der Bibel das Buch der Richter. Bei Darstellungen von Begebenheiten, die in der Bibel beschrieben werden, kann hinterfragt werden, ob es sich dort um "historische Berichte" handelt oder vielmehr um eine bestimmte Sicht auf historische Ereignisse. Diese Frage soll hier nicht diskutiert werden, jedoch soll exemplarisch zur Problematik und hier zur biblischen Schilderung der Richterzeit Folgendes festgehalten werden: "Nach der Landnahme beginnt in der biblischen Darstellung die Epoche der Richter. Die im Richterbuch zusammengefaßten Quellen betreffen regionale Ereignisse unterschiedlicher Art, die nur durch den redaktionellen Rahmen zu einem gesamtisraelitischen Geschehen gestaltet sind. Ohne diesen Rahmen belegen sie im Gegenteil, daß es vor der Entstehung des Königtums ein verfaßtes Israel nicht gegeben hat. Der redaktionelle Entwurf kann nämlich nicht anders, als die Königszeit in die vorkönigliche Zeit zu prolongieren: Die Richter sind nach ihrem Amt fiktive Könige. Ihre künstliche Sukzession zeigt das am deutlichsten. Wer die Richter als charismatische Führer von der späten Königen abrücken will, hat in den Texten keine Stütze. Eine 'Richterzeit' hat es nicht gegeben." Siehe Levin, Christoph: "Das vorstaatliche Israel". In: Zeitschrift für Theologie und Kirche 97, 2000, S. 392. 34 Sg. Megilla, Pl. Megillot, "Schriftrolle." Als Konstruktus wird die "Schriftrolle Rut" als Megillat Rut bezeichnet. 35 Vgl. Liss: Tanach. Lehrbuch. 2. Aufl. 2008, S. 332. "Fünf Schriften nehmen seit dem frühen Mittelalter eine herausragende Position ein, weil sie in ihrer Gesamtheit litur-

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2.  Das Buch Rut in der Hebräischen Bibel

Buches Rut kann in die nachexilische Zeit eingeordnet werden, wobei die Perserzeit mit dem 5. Jahrhundert v.d.Z. als Datierung zu nennen ist.36 Über die literarische Form des Buches Rut gibt es verschiedene Ansichten, z. B. wird es “Novelle” oder Kurzgeschichte genannt, und auch geäußert, dass eine gische Texte für die drei Pilgerfeste und zwei besondere Tage darstellen. […] Schir ha-­Schirim Pesach, Rut Schavuot, Echa Tischa be-­Av, Qohelet Sukkot, Ester Purim," siehe ebd. Geonim ca. 7. Jahrhundert bis ca. 11. Jahrhundert n.d.Z., vgl. Stemberger, Günter: Einleitung in Talmud und Midrasch. 9. Aufl. C.H.Beck: München 2011, S. 17. 36 Zenger begründet die "Entstehung des Rutbuchs in nachexilischer Zeit" wie folgt: 1) "Verbindung von Schwagerehe […] und Vorkaufsrecht/Rückkaufspflicht von Sippeneigentum […] so daß man von einer 'Halacha' zu Lev. 25 (Löserinstituion) und Dtn 25 (Levirat) sprechen kann. Diese Art von Umgang mit der Tora ist vorexilisch nicht denkbar. 2) "Betonung von Familie bzw. des Clans […] ist als Reaktion auf den Zusammenbruch des Staates plausibel." 3) "Motivverbindung von 'Rückkehr' aus der Fremde und 'Geburt' eines Kindes […] erinnert an die theologische Metaphorik von Klgl und Jes 40–66." 4) "Das in Rut planvoll betriebene Spiel mit den sprechenden Eigennamen […] ist typisch für die nachexilische Literatur." 5) "Die das Buch Rut zentral bestimmende Frauenperspektive ist vorexilisch so nicht vorstellbar." 6) "Die Vielfalt der intertextuellen Bezüge verlangt nachexilische Herkunft"; schlussendlich 7) "Falls Rut sich auch mit der im 5.Jh. von Rigoristen geforderten Verstoßung fremdländischer Ehefrauen (vgl. Esra 13; Neh 10) polemisch auseinandersetzt, ist die Datierung in dieser Epoche zwingend." Siehe Zenger, Erich: "Das Buch Rut". In: Zenger, Erich (Hrsg.): Einleitung in das Alte Testament. 4. Aufl. Kohlhammer: Stuttgart 2001, S. 207. Des Weiteren hält Witte "entgegen der gelegentlich in der älteren Forschung vertretenen Datierung in der Königszeit – eine Entstehung in der Perserzeit wahrscheinlich." Gründe, die er dafür aufführt sind folgende: 1. "Die Themantisierung der Frage nach dem Levirat hängt von Dt. 25,5–10 ab. Die spezifischen Unterschiede zu Dtn 25,5–10 erklären sich aus einer bewussten Korrektur des deuteronomischen Rechtssatzes." 2. "Die Problematisierung der Auslösung des Grundbesitzes basiert auf Lev 25." 3. "Die positive Kennzeichnung Moabs setzt sich kritisch mit dem deuteronomischen Verbot, Moabiter in die Jhwhgemeinde aufzunehmen (Dtn 23,4–7), auseinander." 4. "Die Stilisierung der Ausländerin Rut als Großmutter Davids richtet sich kritisch gegen das von Nehemia betriebene Verbot der Eheschließung von Judäern mit Ausländerinnen (Neh 13,3–13.23–31 […])." 5. "Die fremdenfreundliche Tendenz entspricht dem aus der Perserzeit stammenden Jonabuch, aber auch späten prophetischen Texten wie Jes 19,24; 56,1–8." 6. "Die Einreihung unter die Ketubim, die durchweg aus der Zeit des Zweiten Tempels stammen, deutet auf eine perserzeitliche Abfassung hin." Witte verweist außerdem auf eine mögliche Unterscheidung zweier Schichten. Argumentation und Zitate siehe Witte, Markus: "Das Rutbuch". In: Gertz, Jan Christian (Hrsg.): Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments. 3. Aufl. (UTB 2745: Theologie, Religion). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2009, S. 462.

2.1.  Einleitungsfragen zum Buch Rut

25

Idylle darin geschildert werde.37 Im Buch Rut selbst werden innerbiblische Bezüge hergestellt, indem Themen aus dem Pentateuch aufgenommen werden38 und Personennamen aus anderen biblischen Büchern auftreten. Neben der Nennung Davids zum Schluss des Stammbaums am Ende des Buches, der mit Perez, dem Sohn Tamars aus Gen. 38 beginnt, nimmt ein Segensspruch in Rut 4,11 bspw. auch namentlich auf die “Erzmütter” Lea, Rachel und Tamar aus dem Buch Genesis Bezug.39 Viele Dialoge treten im Buch Rut auf. Die Namen der agierenden Personen treten in der Hebräischen Bibel aber nur im Kontext des Buches selbt auf und sind sinntragend: Rut bedeutet “Freundin,” Boaz “in ihm ist Kraft” und Noomi “Liebliche.”40 Statt den Inhalt des Buches nachzuerzählen, soll hier eine inhaltliche Übersicht über das Buch Rut gegeben werden: 37 "Beyspiels willen jedoch dedenken wir des Buches Ruth, welches bey seinem hohen Zweck einem Könige von Israel anständige, interessante Voreltern zu verschaffen, zugleich als das lieblichste kleine Ganze betrachtet werden kann, das uns episch und idyllisch überliefert worden ist." Siehe Goethe, Johann Wolfgang von: "West-­oestlicher Divan". In: Brius, Hendrik (Hrsg.): Johann Wolfgang Goethe. West-­östlicher Divan Teil 1. Deutscher Klassiker Verlag: Frankfurt am Main 1994, S. 140. Weiter werden folgende Begriffe verwendet bei der Formbeschreibung des Buches Rut: "atl. Kunstprosa", "weisheitliche Novelle" des Weiteren werden Kategorien genannt wie "short story, foktale, comedy, saga, romance" sowie "midraschartige Halacha, d. h. eine narrative 'Rechtskommentierung' bzw. eine aktualisierende Rechtserzählung zu den beiden Rechtstexten Lev 25 (vgl. Lev 27,9–33) und Dtn 25." Siehe Witte: "Das Rutbuch", S. 461 f. 38 Vgl. bspw. Braulik, Georg: "Das Deuteronomium und die Bücher Ijob, Sprichwörter, Rut. Zur Frage früher Kanonizität des Deuteronomiums". In: Zenger, Erich (Hrsg.): Die Tora als Kanon für Juden und Christen. (Herders Biblische Studien 10). Herder: Freiburg 1996, S. 61–138, bes. S. 105 ff. 39 Diese Frauen werden genannt in Rut 4,11 als Teil des Segensspruches der Ältesten im Tor, welche in Rut 4,2–12 Zeugen der Verhandlung sind. Lea und Rachel waren beide Fremde in Kanaan, nachdem Jakob sie aus ihres Vaters Hause geholt hatte, vgl. dazu MSS Berlin 1221 und London 22413 zu Rut 4,11–12. Beispiele zu innerbiblischen Bezügen zu Gen. vgl. auch im Kapitel "Innerbiblische Bezüge," S. 409. 40 Die Namen der lediglich im Buch Rut genannten Personen in Folge ihres Auftretens mit ihrer jeweiligen Bedeutung lauten: Elimelekh "Mein Gott ist König"; Noomi "Liebliche"; Mara 'Bittere'; Rut "Freundin/Labsal"; Orpa "die den Rücken Kehrende"; Machlon "Kränkling"; Kiljon "Schwächling"; Boaz "In ihm ist Kraft"; Oved "Knecht". Übersetzung der Namen siehe Liss: Tanach. Lehrbuch. 2. Aufl. 2008, S. 355 f. Der andere mögliche Löser von Boaz, der ab Rut 3 eine Rolle spielt, hat im Bibeltext keinen Eigennamen. Jedoch interpretiert RutR 6,6 die Aussage Boaz' in Rut 3,13 als Hinweis auf einen Eigennamen für den ihm näherstehenden Löser Tov "Gut." Somit versteht RutR 6,6 die Aussage von Boaz in Rut 3,13 nicht in der Bedeutung von "… wenn er dich lösen will, gut so soll er lösen…", sondern als "… wenn dich Tov lösen will, so soll

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2.  Das Buch Rut in der Hebräischen Bibel

2.1.1. Zusammenfassung des Buches Rut Kapitel

Rut 1

Rut 2

Rut 3

Rut 4

Handlungs- Beit Lechem – ort Moab – Beit Lechem

Beit Lechem – Beit Lechem – Feld in der Nähe – Tenne in der Beit Lechem Nähe – Beit Lechem

Beit Lechem – Tor – Beit Lechem

Handlungs- Zeit, in der die zeit Richter regieren: Hungersnot (Rut 1,1); Ende der Hungersnot (Rut 1,6)

Gerstenernte

Nacht

Morgen

Hauptfiguren

Boaz (ein Verwandter der Familie Elimelekhs); Rut; Noomi

Rut und Boaz

Boaz und der andere Kandidat; Zeugen; Nachbarinnen

Elimelekh und Noomi (Ehepaar); Machlon und Kiljon (Söhne von Elimelekh und Noomi); Orpa und Rut (Frauen von Machlon und Kiljon)

er lösen…" Durch diese Auslegung zu Rut 3 erhält der alternative Löser Ruts also eine positive Bezeichnung durch den Eigennamen "Tov." In der Auslegung zu Rut 4,1 wird diese positive Bezeichnung des Lösers neutraler gefasst. Peloni Almoni, übersetzbar als "ein gewisser So-­und-So," wird in RutR 7,7 als Eigenname und nicht als Bezeichnung verstanden (RutR 7,7 (Ed. Lerner): …‫ויאמר סורה שבה פה [פלוני אלמוני] ר' יהושע בן לוי‬ ‫ פלוני אלמוני היה שמו‬,‫ …אמר‬Quelle: Responsa Project online, Bar-­Ilan University: http:// www.responsa.co.il/home.en-­US.aspx (Zugriffsdatum: 23.10.2013). Somit nimmt er als Figur ab seinem ersten Auftreten in Rut 4 die Position dessen ein, der eben "irgendwer" ist. Jedoch wird ihm durch seinen Namen keine positive Charaktereigenschaft zugesprochen. Will man dies in Verbindung setzen zur Bezeichnung desjenigen, der nach dem Rücktritt von der Verpflichtung der Schwagerehe den sprechenden Namen "Haus des Barfüßigen" erhält (vgl. Dt. 25,10: ‫)ונקרא שמו בישראל בית חלוץ הנעל‬, trägt Peloni Almoni diesen Namen in gewisser Hinsicht mit Blick auf die rabbinische Auslegung schon vor seinem Rücktritt von der Schwagerehe und ist bar seines Namens "Irgendwer."

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2.1.  Einleitungsfragen zum Buch Rut Kapitel

Rut 1

Rut 2

Rut 3

Rut 4

Handlung

Rut 1,2–7

Rut 2,1–3

Rut 3,1–5

Rut 4,1–12

Umzug der Familie von Beit Lechem nach Moab. Elimelekh stirbt. Machlon und Kiljon heiraten moabitische Frauen: Orpa und Rut. Machlon und Kiljon sterben. Noomi kehrt mit ihren Schwiegertöchtern in Richtung Beit Lechem zurück.

Rut geht Nachlese der Ernte sammeln, durch Zufall auf Boaz' Feld. Boaz erscheint auf diesem Feld. Dialog zwischen Boaz und seinem Vorsteher über die Schnitter.

Noomis Plan: Boaz ist ein möglicher Löser für Rut. Noomi will die beiden zusammenbringen. Rut soll zu Boaz' Tenne gehen. Boaz soll dann sagen, was weiter zu unternehmen sei.

Gerichtsverhandlung zwischen Boaz und dem anderen möglichen Löser. Ablehnung der Eheschließung durch den anderen Kandidaten. Lösung des Feldes von Noomi durch Boaz. Segen der Zeugen für Boaz' Familie.

Rut 1,8–21

Rut 2,4–23

Rut 3,6–18

Rut 4,13–22

Diskussion auf dem Weg: Noomi will allein nach Jehuda zurückkehren; Reaktion der Schwiegertöchter: Orpa geht zurück nach Moab. Rut bleibt bei Noomi. Ankunft in Beit Lechem.

Dialog zwischen Boaz' und Rut. Dialog zwischen Rut und Noomi: Noomi ist erstaunt wegen der Menge an Getreide, das Rut gesammelt hat. Noomi bemerkt, dass Boaz ein Verwandter ist. Noomi reagiert mit Freude und einem Plan.

Rut geht zu Boaz' Tenne. Dialog zwischen Boaz und Rut: Boaz möchte Rut gerne heiraten, aber es gibt noch einen anderen, näher verwandten Kandidaten für eine (Schwager-)Ehe mit Rut. Boaz' Idee: Falls der andere mögliche Ehekandidat Rut nicht heiraten will, wird Boaz Rut zur Frau nehmen.

Heirat von Boaz und Rut. Ihr Sohn Oved. Stammbaum von Perez zu David.

28

2. Das Buch Rut in der Hebräischen Bibel

Familiäre Verbindungen der Familie Elimelekhs, vgl. bBB 91a Aminadav Nachshon

Salmo/Salmon

Elimelekh

Boas

N.N.

Peloni Almoni/Tov

Noomi

Rut ⚭ Machlon

Kiljon ⚭ Orpa

2.1.2. Themen im Buch Rut, die sich auch andernorts in der Bibel finden Im Folgenden sollen einige Themen aus dem Buch Rut herausgestellt werden.41 Eine Hungersnot ist der Ausgangspunkt für die Handlung, die direkt nach der

41 Es könnten auch weitere Themen angesprochen werden, da das Buch Rut viele Themen aus der Bibel aufnimmt, z. B. lokaler Landbezug: Noomi kehrt nach Moab zurück, weil sich Gott seinem Volk angenommen hat, dabei gehört Noomi als Bethlehemiterin auch zum Volk. Jedoch ist die Zuwendung Gottes mit einem lokalen Bezug verbunden, dem Landbezug zu Eretz Israel, den Noomi wahrnehmen muss, um in den Genuss dieses Sich-wieder-Zuwenden Gottes zu kommen. Wenn sie in Moab bleiben würde, würde sie persönlich (außer einem schnöden Gerücht über die veränderten Verhältnisse außerhalb Moabs) nichts davon haben, dass sich Gott wieder seines Volkes angenommen hat (übrigens wird in Rut 1,16 kein Bezug auf Beit Lechem oder die Region Jehuda genommen, sondern nur aus der Sicht Moabs erzählt). Die Wortwurzel √‫ לקט‬sowie die zeitliche Einordnung "in den Tagen der Richter" zeigt eine Nähe zu "priesterschriftlichen Texten," vgl. Chavel, Simeon: "Numbers 15,32–36 – A Microcosm of the Living

2.1. Einleitungsfragen zum Buch Rut

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Zeitangabe als zweite Information in Rut 1,1 angegeben wird: Und es war als die Richter regierten, und da war eine Hungersnot im Lande… Neben der Spezifizierung der zeitlichen Einordnung ist “Hungersnot” ein verbindendes Thema zu anderen Stellen des weiten biblischen Kontextes, wie beispielsweise zu Gen. 12,10, wo die Hungersnot als Auftakt für Abrams Wegzug nach Ägypten genannt wird.42 Somit ist die Thematik der Fremdheit bereits in Rut 1,1 angesprochen, wo geschildert wird, dass sich Elimelekh mit seiner Familie aus Beit Lechem in Jehuda aufmacht, um in Moab zu wohnen. Die Wortwurzel √‫גור‬, “wohnen, siedeln, bleiben,”43 tritt innerhalb des Buches nur in Rut 1,1 auf. Dies ist ebenfalls ein Wort, das an anderen Bibelstellen außerhalb Rut auftritt, somit einen Verbindungspunkt darstellt und dort jeweils verschiedene Bedeutungen der Wortwurzel widerspiegelt.44 Der Zielort der Familie – Moab – wird im Pentateuch negativ Priesthood and Its Literay Production". In: Shectman, Sarah / Baden, Joel S. (Hgg.): The Strata of the Priestly Writings: Contemporary Debate and Future Directions. (Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments 95). Theologischer Verlag: Zürich 2009, S. 48 und S. 51. Auch die Themen Königtum, Gerechtigkeit, sowie "Belohnung" ("reward", vgl. Kronholm, Tryggve: "The portrayal of characters in Midrash Ruth Rabbah". In: Annual of the Swedish Theological Institute 12, 1983, S. 18), "Segen" (ebd.) und "Verdienst" (‫זכא‬/‫ ;זכה‬vgl. ebd.), "Gesetz" (‫ ;הלכה‬vgl. ebd.) und Weiteres ließen sich nennen. Weitere Themen, die sich durch die Rezeption von Rut Rabba herleiten lassen, vgl. ebd., S. 18. Schlüsselwörter im Buch Rut (wie z. B. √‫ דבק‬in Rut 1,14 und 2,8.21.23 sowie "Siebenergruppierungen von Leitwörtern und anderen Wörtern") stellen ebenfalls sinntragende Verbindungen her, siehe Braulik: "Das Deuteronomium und die Bücher Ijob, Sprichwörter, Rut", S. 106 ff. Auch die Verwendung der Wortwurzel √‫פגע‬ in Rut 1,16 i.S.v. "dringe (nicht) in mich" oder in Rut 2,22 i.S.v. [auf einem anderen Feld] "angehen" bzw. "schlecht behandeln", sowie mit (phonetischer) Ähnlichkeit zur Wurzel √‫ נגע‬lassen Bezüge herstellen. Da die vorliegende Arbeit aber Kara zugeschriebene Kommentar-Fassungen zum Buch Rut und nicht in erster Linie das Buch Rut selbst behandelt, können die biblischen Themen hier nicht abschließend erörtert werden. 42 Weitere Ausführungen vgl. z. B. Zakovitch, Yair: Das Buch Rut. Ein jüdischer Kommentar. (Stuttgarter Bibelstudien 177). Verlag Katholisches Bibelwerk: Stuttgart 1999, S. 55 f. mit den Parallelen Gen. 26,1 (Isaak in Gerar), Gen. 47,4 (Jakob und seine Söhne in Ägpten) und 2. Kön. 8,1–6 (Elischa und die Sunemitin). Auch der vorliegende Kommentar in MS Zürich Or 157 nimmt auf zehn Hungersnöte Bezug. 43 "…stay as foreigner and sojourner…" Siehe Bibleworks 8, Norfolk, VA: BibleWorks, 2008: http://www.ub.uni-heidelberg.de/cgi-bin/db-redi.cgi?app=biblewrk (Zugriffsdatum: 04.10.2012). 44 "‫ ּגֵר‬n.m. sojourner – 1. sojourner, temporary dweller, new-comer (no inherited rights), (opp. homeborn); of Abraham at Hebron. 2. usually of ‫ ּג ִֵרים‬in Israel; dwellers in Israel with certain conceded, not inherited rights. The ‫ ּגֵר‬is to share in Sabbath rest; otherwise he is to have like obligations with Israel." Siehe Brown, Francis / Driver,

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2.  Das Buch Rut in der Hebräischen Bibel

S. R. / Briggs, Charles A. (Hgg.): A Hebrew and English Lexicon of the Old Testament (abridged). Oxford: Clarendon Press, 1907. In: Accordance 8, Oak Tree Software, 2010. Von √‫ גור‬leitet sich das Wort ‫ גר‬Ger ab, das sich laut Bultmann weniger auf Fremde in jeglicher Hinsicht bezieht, sondern eher den Standpunkt innerhalb einer Gesellschaft bezeichnet. "Die angeführten Beobachtungen zeigen, daß in dem Begriff ger selber kein Aspekt von Fremdheit im Sinne ausländischer Herkunft liegt. Bei der Erklärung des Wortes ist von dem Verb gûr auszugehen, das ein Ansässig-­Sein bedeutet, das vom Ort des tatsächlichen Aufenthalts aus als das eines 'Fremden' erscheint. Für die Deutung der Gestalt des ger im dtn Gesetz ist entscheidend, daß er nirgends als ein Fremder in Israel bezeichnet wird, […] sondern als Fremder im lokalen Milieu, als fremd im Verhältnis vom jeweiligen Ort seines Aufenthalts (‫)אשר בשעריך‬. Von daher ist es unrichtig, das Wort ger für die Belege im dtn Gesetz als "Immigrant" zu übersetzen." Siehe Bultmann, Christoph: Der Fremde im antiken Juda. Eine Untersuchung zum sozialen Typenbegriff "ger" und seinem Bedeutungswandel in der alttestamentlichen Gesetzgebung. (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 153). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 1992, S. 22. ‫ לגור‬wird also auf jemanden bezogen, der unter Israeliten wohnt, aber auch auf Personen, die in einer anderen "Mehrheitsgesellschaft" siedeln, wie Elimelekh und Noomi mit Familie in Moab. Bzgl. des Wortes Ger als "Fremder" ist in der Bibel wörtlich und inhaltlich eine Unterscheidung zwischen Ger und Nokhri festzuhalten (vgl. auch Kronholm: "The portrayal of characters in Midrash Ruth Rabbah", S. 18), obwohl Nokhri auch mit "Fremder" übersetzt werden kann. Interessanterweise tritt das Wort Nokhri im Buch Rut nur als Verb auf, nicht als Substantiv, vgl. Rut 2,10.19; 3,14. √‫ נכר‬bedeutet "beachten" oder "kennen," aber auch "fremd." Ein Nokhri ‫ נכרי‬besitzt im Penateuch dargestellten Recht einen geringeren Status als der Ger ‫גר‬, und hat nicht dessen Privilegien: Dt. 14,21. 15,3. 23,21. Nokhri ‫ נכרי‬bedeutet also so viel wie nicht ganz dazu gehörig, weder ethnisch noch familiär assoziiert. Auch √‫ נכר‬wird im Buch Rut verwendet, in Rut 2,10.19; 3,14. Literaturhinweise vgl. Ebach, Jürgen: "Fremde in Moab – Fremde aus Moab: Das Buch Ruth als politische Literatur". In: Ebach, Jürgen / Richard Faber (Hrsg.): Bibel und Literatur. Fink: München 1995, S. 281: FN 20, mit Hinweis auf Crüseman bzgl. des soziopolitischen Status der "Fremden," welcher mit Hinweis auf Lev. 22,18 darstellt, dass sich ‫ גר‬auf denjenigen beziehe, "der wie der Israelit sein Opfer darbringen soll." Siehe Crüsemann, Frank: "Fremdenliebe und Identitätssicherung. Zum Verständnis der "Fremden" – Gesetze im Alten Testament". In: Wort und Dienst 19, 1987, S. 15. Somit stellt sich eine "Gleichberechtigung" des Fremden unter den Israeliten auch im kultischen Bereich dar. Bemerkenswerterweise verwendet der Targum (in Codex Urbinas 1, den Levine beschreibt, und als einen seiner Referenztexte verwendet), das Wort ‫גר‬, als bedeute es "Proselyt." ‫ לגור‬übersetzt Levine aus dem Targum als "to dwell," siehe Levine, Étan: The Aramaic Version of Ruth. (Analecta Biblica 58). Biblical Institute Press: Rom 1973, S. 15. Das Wort ‫[" להתגייר‬zum Judentum] übertreten" kommt von ‫גר‬. "Der Begriff '‫'להיתגייר‬, eigentlich 'sich entfremden', wird kontextabhängig als 'konvertieren' gedeutet." Siehe Spann, Korbinian: Beschreibung und Wahrnehmung

2.1.  Einleitungsfragen zum Buch Rut

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belegt, wobei v. a. Num. 22–25,3 zu nennen ist.45 Es ist bemerkenswert, dass die Lesung dieser Teile aus Bemidbar (Numeri, Parashat Balak) im jährlichen Lesezyklus der Tora in den Wochen um Shavuot gelesen werden, wenn auch Megillat Rut gelesen wird. Somit bietet die positive Darstellung der Moabiterin Rut neben inhaltlichen Aspekten auch in der zeitlichen Ordnung der synagogalen Lesung ein Gegenstück zur negativen Betrachtung Moabs. Daneben findet sich in Dt. 23,3–6 das Verbot moabitischer Gemeindemitglieder mit Verweis auf die in Num. 22–25 geschilderten Begebenheiten.46 Neben dem Thema “Fremde” enthält das Buch Rut zahlreiche weitere direkte und indirekte Verknüpfungen zu anderen Bibelstellen. Somit wird das Buch thematisch auch durch das Fremdsein der Israeliten in Ägypten und die Herausführung aus einem anderen Land in Richtung Eretz des Fremden in der rabbinischen Literatur. Eine Interpretation anhand der Traktate Brachot, Schabbat, Jebamot und Sanhedrin. (Judaica et Christiana 25). Peter Lang: Bern [et al.] 2010, S. 65. Der Hitpael ‫ להתגייר‬kommt auch im behandelten Kommentar vor, zu Rut 1,7 in Zürich Or 157 ab Zeile 14–16: …‫ד"א ותלכנה בדרך שהצירה עליהן הדרך‬ ‫ …'והולכות בייחוד ועוסקות בהל?כ(ו)ת גרים היאך תהיינה יכולות להתגייר‬und zu Rut 1,10; Zürich Or  157, Zeile 21–22: ‫ ותאמרנה לה' על שהיה בליבן להתגייר‬Vgl. dazu auch ad loc. im Kapitel "Vergleich der Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut," S. 209. 45 Z.B. wird die negative Darstellung Moabs im Buch Numeri im Rahmen des "Verfluchungsversuches" durch Bileam in Num. 22–24 und der "Abirrung des Volks" durch moabitische Frauen in Num. 25, 1–3 betont. 46 Weiterführende Literatur zum Thema Rut als Moabiterin z. B. Lee, Eunny P.: "Ruth the Moabite. Identity, Kinship, and Otherness". In: Day, Linda / Pressler, Carolyn (Hrsg.): Engaging the Bible in a Gendered World. An Introduction to Feminist Biblical Interpretation in Honor of Katharine Doob Sakenfeld. Westminster John Knox Press: Louisville, KY 2006, S. 89–101; Miller, J. Maxwell: "Moab and the Moabites". In: Dearman, Andrew (Hrsg.): Studies in the Mesha Inscription and Moab. (Archaeology and Biblical Studies 2). Scholars Press: Atlanta 1989, S. 1–40 und Moore, Michael S.: "Ruth the Moabite and the Blessing of Foreigners". In: Catholic Biblical Quarterly 60,2, 1998, S. 203–217. Moab ist fremd für Noomi, dagegen ist Jehuda fremd für Rut. Noomi ist eine Fremde in Moab, aber auch in Beit Lechem, wohin sie in Rut 1,19 ff. zurückkehrt. "In fact, when the women of Bethlehem bless Naomi, we get the feeling that Naomi is also a "foreigner" now. She has a different name, Mara. She has a different status, that of a widow who is now childless. She seems barely recognizable to her old friends ("Is this Naomi?"). Yet, since Naomi's Moabite daughter-­in-law has proven her worth to the community, the women bless Naomi as though she had the potential to be more fruitful than Tamar (another famous foreigner from their past). They bless her because the son produced by this Moabite is to become a restorer […] and redeemer […] who will sustain Noami. It is this hope, this need, this fulfillment of the promise which becomes so wonderfully explicit in the genealogical […] which conclude the book." Siehe Moore: "Ruth the Moabite and the Blessing of Foreigners", S. 203–218.

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2.  Das Buch Rut in der Hebräischen Bibel

Israel mit dem Buch Rut verbunden.47 Bestimmungen aus Deuteronomium zum Umgang mit Fremden, Witwen und Waisen (Dt. 14; 24 u. a.) sowie das Verbot von Ammonitern und Moabitern in der Gemeinde (Dt. 23,4) sind für die Bedeutung des Buches Rut wichtig.48 Des Weiteren sind neben den Löserbestimmungen aus Lev. 25, die in Rut 4 anklingen, die in Dt. 25 auftretenden Leviratsbestimmung zu nennen.49 Im Hinblick auf die Bücher Ezra/Nehemia lässt sich das Buch Rut als “Gegenentwurf ” lesen,50 insofern, als dass dort die Eheschließung mit und nicht die Scheidung von fremden Frauen geschildert wird. Themen, die sich durch mehrere Bücher der Bibel ziehen, finden sich auch im Buch Rut: Der Wegzug der Familie Elimelekhs nach Moab und Noomis Rückkehr nach Beit Lechem kann des Weiteren auf Unstetigkeit bezogen werden.51 Das Thema der Kinderlosigkeit kann ebenfalls als verbindender Sachverhalt zur anderen Bibelstellen angebracht werden. Bspw. sind Sarai, Rebekka und Rachel in Genesis und Hanna im Buch Samuel52 am Anfang ihrer Ehe kinderlos. Gleiches lässt sich auch von Rut in ihrer ersten Ehe annehmen, da von keinen Kindern in Rut 1 berichtet wird. Ferner wird das Thema der Ernte sowohl im Pentateuch behandelt als auch in der rabbinischen 47 Inhaltlich klingen Dekalog und Bundesbuch an, vgl. Crüsemann: "Fremdenliebe und Identitätssicherung", S. 17 ff., sowie Themen aus dem sog. Heiligkeitsgesetz, vgl. ebd., S. 21 f. 48 In Dt. 25 zeigt sich ein indirekter Bezug, da Moabiter und Ammoniter oft zusammen genannt werden. Im Buch der Richter wird gegen Ammoniter gekämpft, vgl. Ri. 10–11. 49 Vgl. Braulik: "Das Deuteronomium und die Bücher Ijob, Sprichwörter, Rut", S. 106 ff. 50 Vgl. Bieberstein, Klaus: "Geschichten ziehen Grenzen: Esra, Nehemia und Rut im Streit". In: Küchler, Max (Hrsg.): Randfiguren in der Mitte. Hermann-­Josef Venetz zu Ehren. Edition Exodus: Luzern 2003, S. 46 f. 51 Vgl. dazu z. B. der von Berlejung referierte "Gegensatz zwischen 'Israel' und 'Kanaan', den das Alte Testament aufbaut". Dieser werde "als ein 'pattern' (= Interpretationsmuster, ‑schablone) verstanden, durch das das AT die Distanz zum eigenen Lebensraum, der eigenen Sprache und ethnischen Zugehörigkeit zum Ausdruck bringt. Es ist dabei von dem Bemühen geleitet, den Kultgemeinden der (frühestens) Exilszeit […] Kriterien der Abgrenzung nach außen und Identitätsstiftung nach innen vorzugeben." Siehe Berlejung, Angelika: "Geschichte und Religionsgeschichte 'Israels': Grundlegungen". In: Gertz, Jan Christian (Hrsg.): Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments. 3. Aufl. (UTB 2745: Theologie, Religion). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2009, S. 60. 52 Neben der langen Kinderlosigkeit und Geburt eines "besonderen Sohns," Samuel, der ggf. parallel zu Oved zu sehen ist, lassen sich auch andere verbindende Motive zu den Samuelbüchern nennen, wie z. B. das Aguna-­Thema, vgl. Fisch, Harold: "Ruth and the Structure of Covenant History". In: Vetus Testamentum 32,4, 1982, S. 432 und natürlich die Nennung von David, s. o.

2.1.  Einleitungsfragen zum Buch Rut

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Literatur ausgeführt.53 Angesichts dieser innerbiblischen Bezüge kann ggf. von einer “Sonderstellung” des Buches Rut im biblischen Kanon gesprochen werden, derart, dass durch die Erzählung im Buch Rut selbst einerseits die vorherigen Erzählungen zu einem (vorläufigen) Abschluss kommen,54 aber auch weitergeführt werden können bzw. auf die “fortsetzenden” Erzählungen verweisen, für die das Buch Rut gewissermaßen eine Vorgeschichte darstellen.55 Da Rut und

53 Bibelstellen zu Pea ‫פאה‬/‫פאת השדה‬: Lev. 19,9; 23,22. Vgl. thematisch Dt. 24,19; Dt. 24,17–22 (Rechte des Fremden, der Armen, Witwen und Waisen), Dt. 14,28 f.; Lev. 19,9; 23,22. ‫ נכרי‬mit geringerem Status als der ‫ גר‬Ger, ohne dessen Privilegien: Dt. 14,21. 15,3. 23,21. ‫שפחה‬: In der Erzelterngeschichte: Gen. 12,16; 16,1–3.5–6.8; 20,14; 24,35; 25,12; 29,24.29; 30,4.7.9–10.12.18.43; 32,6.23; 33,1–2.6; 35,25–26; ‫ שפחה‬weiter in: Ex. 11,5; Lev. 19,20; Dt. 28,68; 1. Sam 1,18; 8,16; 25,27.41; 28,21–22; 2. Sam 14,6–7.12.15.17.19; 17,17; 2. Kön. 4,2.16; 5,26; Jes. 14,2; 24,2; Jer. 34,9–11.16; Joel 3,2; Ps. 123,2; Prov. 30,23; Rut 2,13; Koh. 2,7; Ester 7,4; 2. Chr. 28,10. Erntezeiten: Lev. 23,25–21 (Vorschrift für Shavuot); Dt. 16,9–12 (Shavuot); 2. Sam. 21,9 (Shaul kommt um in Gibea "in den ersten Tagen der Ernte, wenn die Gerstenernte beginnt"). Stellen aus der Mishna, mPea: mPea 1–4,9: Pe'a ‫ פאה‬Feldstück; mPea 4,10–5,6: Leket ‫לקט‬ Nachlese; mPea 5,7–7,2 Shikhḥah ‫ שכחה‬Vergessenes; mPea 7,3 Peret ‫ ;פרט‬mPea 7,4–7,8 Olelot ‫עוללת‬. "A number of topics unrelated to the immediate subject of the tractate are included: enumeration of mitzvot having no fixed measure (1:1); legal transactions involving small amounts of land (3:6, 7); laws of renunciation of ownership (1:6; 6:1). The first of these has been included (with variant readings) in the prayer book as part of the morning introductory prayers." Siehe Kelemer, Jacob: "Pe'ah". In: Encyclopaedia Judaica 15, 2007, S. 704–705. Auch in der Tosefta finden sich passende Stellen in tPea sowie im Talmud Jeruschalmi in jPea. "The Tosefta has four chapters, which, besides complementing and interpreting the Mishnah, include several interpretations and emendations based on the Talmud (Tosef., 1:6; 2:2; see Epstein, Tanna'im, 252). The Tosefta also contains some aggadic passages, such as "The Almighty combines a good intention with an action, but an evil intention the Almighty does not combine with an action" (1:4). In the last chapter, in which charity is highly praised, it is stated that charity and deeds of lovingkindness equal all the mitzvot in the Torah (4:19), that he who shuts his eyes to charity is like one who practices idolatry (4:20). There is no Gemara on the tractate in the Babylonian Talmud but there is in the Jerusalem Talmud, which includes much aggadic literature." Siehe ebd. 54 Vgl. Fisch: "Ruth and the Structure of Covenant History," bes. S. 433 ff. 55 Der Begriff "Sonderstellung" wird hier auf den Inhalt des Buches Rut bezogen und nicht auf die Anordnung des Buches Rut im biblischen Kanon. Hier ordnet die Hebräische Bibel Megillat Rut (s. o.) aufgrund des liturgischen Gebrauchs unter den Schriften nach Shir ha-­Shirim (Hohelied) und vor Ekha (Klageliedern). Die Anordnung im "Alten Testament" aufgrund griechischer Schriften ordnet das Buch Rut nach dem Buch der Richter und vor den Samuelbüchern an, vgl. Liss: Tanach. Lehrbuch. 2. Aufl. 2008, S. 1 f.

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2.  Das Buch Rut in der Hebräischen Bibel

ihre Schwiegermutter Noomi weibliche Hauptpersonen sind, liegt es nahe, nach “feministischen Aspekten” im Buch Rut zu suchen.56 Die Erzählung des Buches Rut selbst kann jedoch nicht als “feministisch” bezeichnet werden, auch wenn sie Themen aufweist, die als “weiblich” angesehen werden mögen.57 Es werden zwar durchaus Themen angesprochen, die ggf. eine weibliche Konnotation in sich tragen, wie z. B. ‫ חסד‬Hesed “Barmherzigkeit”, jedoch betreffen diese nicht nur Frauen.58 Wenn der Kommentar in MS London 22413 sich am Schluss darauf bezieht und sagt …‫…“ …לפי שמגילה זו כולה חסד ותורה כולה חסד‬weil diese ganze Megilla [von] Barmherzigkeit [spricht], und die ganze Tora Barmherzigkeit ist…”, wird deutlich: Diese Erzählung ist sowohl für weibliche als auch für männliche Leser konzipiert und nachvollziehbar.59 Es ließen sich weitere Themen zum Buch Rut selbst nennen, die sich auf den weiten biblischen Zusammenhang beziehen.60 Jedoch wollen wir uns in der vorliegenden Arbeit dem mittelalterlichen Kommentar zuwenden, der diese Themen stellenweise ebenfalls aufnimmt. Es zeigt sich, dass die Bibelausleger schon damals auf Themen und Sachverhalte Bezug nahmen, wie sie noch heute in der Forschung diskutiert werden.

56 Hierzu bietet z. B. Fischer die Deutung als "Frauenbuch", vgl. Fischer, Irmtraud: Rut. (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament). Herder: Freiburg 2001, S. 12. 57 Als "weibliche" Stereotypen könnten hier z. B. Ruts Zurückhaltung in Rut 2 und das "Schönmachen" Ruts vor dem Treffen mit Boaz in Rut 3 aufgeführt werden. Vgl. weitere Eigenschaften wie "anhänglich" und "fürsorglich", die als beispielhaft genannt werden könnten, siehe Fine, Cordelia: Die Geschlechterlüge. Die Macht der Vorurteile über Frau und Mann. Klett-­Cotta: Stuttgart 2012, S. 36. 58 Wie dies umgekehrt auch für "Stärke" gilt, die nicht nur Männern vorbehalten ist. 59 Der Kommentar zu Rut 1,3 hält die Gleichrangigkeit von Mann und Frau zumindest fest, was sich indirekt herauslesen lässt, wenn in MS Zürich Or 157 festgestellt wird ‫" אין איש מת אלא לאשתו‬Ein Mann stirbt nur für seine Frau" und umgekehrt. Also zeigt sich auch in der Auslegung eher eine geschlechterneutrale als eine "feministische" Sicht der Dinge. 60 Z.B. ließe sich eingehen auf den sog. Tun-­Ergehen-Zusammenhang, der sich in gewisser Weise auch im Buch Rut zeigt, oder auf das Thema "Narrative Theologie," sowie auf die Literarizität des Buches Rut, das sich als "Literatur und Literatur über Literatur" beschreiben lässt: "Die literarische Rezeption des Ruthbuches macht darauf aufmerksam, in welchem Maße es selbst Literatur und Literatur über Literatur ist. Jede Rezeption enthält ihre (Akzent-) Verschiebungen wie im Buch Ruth selbst die auf verschiedene Weise "zitierten" Überlieferungen neu akzentuiert werden." Siehe Ebach: "Fremde in Moab – Fremde aus Moab", S. 304.

3. Die nordfranzösische Bibelexegese im 11. und 12. Jahrhundert Ziel der folgenden Darstellung ist die Orientierung im historischen Kontext jener Zeit, die als die Entstehungszeit der hier behandelten Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut gilt. Die Kommentatoren, von denen im Folgenden die Rede ist, leben und wirken im 11. und 12. Jahrhundert. In diesem Kapitel wird einerseits ein Überblick über den historischen Hintergrund der Auslegungen zum Buch Rut und des darin auftretenden Textverständnisses vermittelt. Andererseits wird eine Vorschau auf die Ausführungen zur Kommentarliteratur gegeben. Die Kommentatoren Rashi und Kara, mit denen sich die vorliegende Arbeit hauptsächlich beschäftigt, werden genauer dargestellt, andere werden nur kurz genannt.61

3.1. Orientierung im historischen Kontext Im 11./12. Jahrhundert befinden wird uns im sog. Hochmittelalter, das trotz der großen Kreuzzüge nicht nur finster erscheinen muss.62 Im allgemeinen gesellschaftlichen Gefüge kommt es zu wichtigen Veränderungen:63 Städte wachsen, Handel und Wirtschaft verzeichnen Konjunktur.64 Ein allgemeiner Aufbruch im Denken ist sichtbar, das kritische Denken nimmt zu, das philologische Interesse rückt bei der Auslegung in den Vordergrund von Textbetrachtungen, was auch für Bibeltexte gilt.65 Universitäten entstehen ab dem 11. Jahrhundert, 1088 in 61 Hier sind beispielsweise zu nennen: R. Shemaiah (1060–1130), lebt ca. 70 Jahre, R. Samuel ben Meir (Rashbam, ca. 1080–ca. 1160), wird ca. 80 Jahre alt, Rabbenu Tam (1100–1173), wird ca. 73 Jahre alt, R. Josef Bekhor Shor (1130–1200), lebt ca. 70 Jahre und Abraham Ibn Ezra (ca. 1055–1138), ca. 83 Jahre. 62 Vgl. Liss, Hanna: Creating Fictional Worlds. Peshaṭ-­Exegesis and Narrativity in Rashbam's Commentary on the Torah. (Studies in Jewish History and Culture 25). Brill: Leiden 2011, S. 5 f. 63 Vgl. Liebeschütz, Hans: "Relations between Jews and Christians in the Middle Ages". In: The Journal of Jewish Studies 16,1–2, 1965, S. 35. 64 Vgl. Chazan, Robert: Medieval Jewry in Northern France. A political and social History. (Johns Hopkins University Studies in Historical and Political Science 91,2). The Johns Hopkins University Press: Baltimore 1973, S. 30 f. 65 "Similarities can also be discerned in literary activity, such as interest in grammar, critical […] study of the Bible, a quest for the literal meaning of Scripture, a desire for accurate texts […] There was a confidence in the power of human reason […] Siehe Grossman: "School of Literal Jewish Exegesis in Northern France", S. 328.

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3.  Die nordfranzösische Bibelexegese im 11. und 12. Jahrhundert

Bologna und 1200 in Paris. Für die Bibelexegese in Nordfrankreich jener Zeit ist in der Forschungliteratur sogar von einer “Revolution” die Rede.66 Trotz der anzunehmenden Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Religionen kommt es jedoch schon 1010 und 1063 zu Ausfällen gegen Juden.67 Rashi (1040–1105) bekommt sicherlich Kenntnis davon, er lebt z.Z. des 1. Kreuzzugs (1095/96–1101), was ebenso für Kara (ca. 1055–1125) gilt.68 Mit dem ersten Kreuzzug ist allgemein eine “verschlechterte Atmosphäre im Verhältnis zwischen Christen und Juden” festzuhalten.69 Somit wäre anzunehmen, dass diese Ereignisse der Umwelt sich in Rashis oder Karas Bibelkommentaren zeigen. Dies gilt zwar nicht für die vorliegenden Kommentierungen zum Buch Rut, kann jedoch für andere Schriften (z. B. Werke zu Piyyutim) festgestellt werden.70 Im Folgenden soll die Umgebungssituation für Nordfrankreich um Troyes in der Champagne umrissen werden, da Rashi und Kara dort zu verorten sind. Seit dem 9. Jahrhundert wird von jüdischer Bevölkerung in Nordfrankreich berichtet,71 wobei ihr Status in dieser Zeit als tolerierte Minderheit bezeichnet werden kann.72 Rashi baut 66 Vgl. Grossman: "School of Literal Jewish Exegesis in Northern France", S. 323 f. 67 Vgl. Liebeschütz: "Relations between Jews and Christians in the Middle Ages", S. 37. 68 Daten der Kreuzzüge: 1.) 1096–1099, 2.) 1147–1149, 3.) 1189–1192, 4.) 1202–1204, 5.) 1217–1221; 6.) 1248–1250, 7.) 1270. Vgl. Lexikon des Mittelalters, Vol. 5, Verlag J.B. Metzler, Turnhout: Brepols, 2004, Cols. 1508–1513. Online-­Ressource, http://apps. brepolis.net.ubproxy.ub.uni-­heidelberg.de/lexiema/test/Default2.aspx (Zugriffsdatum: 07.10.2013). 69 Siehe Battenberg, Friedrich: Das Europäische Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt Europas. Teilband I: Von den Anfängen bis 1650. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 1990, S. 83. 70 Vgl. auch Kapitel "R. Josef Ben Shimon Kara", S. 45. 71 "Im ostfränkischen Reich sind jüdische Kaufmannskolonien nicht vor dem späten 9. Jahrhundert (die erste Erwähnung betrifft Metz 888), zumeist aber erst im 10. Jahrhundert zu finden. […] Es kann sich im 9. Jahrhundert um nicht mehr als einige Dutzende jüdischer Familien gehandelt haben, im 10. Jahrhundert allerhöchstens um wenige hunderte. Eine Schätzung von insgesamt etwa 4.000–5.000 Personen für den Ausgang des 10. Jahrhunderts erscheint realistisch […]." Siehe Toch, Michael: Die Juden im mittelalterlichen Reich. (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 44). Oldenbourg: München 1998, S. 5 f. 72 Liebeschütz: "Relations between Jews and Christians in the Middle Ages", S. 35. Die Stellung der jüdischen Exegeten unterscheidet sich wohl nicht von der allgemeinen jüdischen Bevölkerung: Auch wenn sie nicht unbedingt im übermäßigen Wohlstand lebten, so mögen sie doch einen Sonderstatus besessen haben. "Their status was that of aubains 'foreigners'. We do not know of any noteworthy attacks against Champenois Jews as a group." Siehe Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 7.

3.1.  Orientierung im historischen Kontext

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nach seinem Studium in den sog. “ShUM-­Städten”73 sein Lehrhaus in Troyes auf.74 Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass er dort, in einem geografisch und gesellschaftlich anderen Umfeld als den Städten am Rhein, mehr Freiheit für seine Exegese wahrnehmen kann.75 Das nordfranzösische Troyes ist im 11. und 12. Jahrhundert ein Ort des Handels, halbjährlich findet dort ein großer Markt, eine Messe, statt, wozu von weit her Handelsmänner kommen und ein reger Austausch von Waren und Wissen stattfinden kann. Die Stadt mag somit bedeutend und multilateral ausgerichtet gewesen sein.76 Durch das Studium der Talmud- und Bibelexegeten in Rashis Lehrhaus ist auf jeden Fall von einer Horizonterweiterung in Troyes auszugehen.77 Bei der geografischen Ansiedlung in Troyes liegt die Frage nach dem Einfluss durch die christliche Umwelt sowie nach einem evtl. Austausch zwischen christlichen und jüdischen Auslegern nahe.78 Hierbei fällt die im Jahre 1108 von

73 Akronym für die drei Städte Speyer, Worms und Mainz (SH-­U-M). 74 Weiteres zu Rashi vgl. Kapitel "Rashi", S. 51 ff. 75 Stellenweise ist von "typisch ashkenasischer Offenheit" die Rede, vgl. Ta-­Shma, Israel M.: "The Library of the Ashkenaz Sages in the 11th–12th Centuries". In: Kiryat Sefer 60, 1985, S. 299. 76 Jedoch kann in Troyes auch "Nähe zu ländlichem Leben" vermutet werden, nicht zuletzt durch Rashis Betätigung als Weinbauer, wofür Landstücke, d. h. Platz für Weinreben, Voraussetzung ist. So kann angenommen werden, dass Troyes über Nähe zur "Ruhe auf dem Lande" verfügte, wo es sich, etwas entfernt von der Stadt – auch heute noch – "in Ruhe" und anders denken lässt, wenn Gesprächspartner vorhanden sind, mit denen diskutiert werden kann, auch wenn die alteingesessene Bevölkerung bei derlei Austausch evtl. nicht mitreden kann. Rashis Betätigung als Weingutbesitzer und die seines Enkels Rashbam als Schafzüchter lässt insgesamt darauf schließen, dass die Ausleger sich keinesfalls in ihren Elfenbeinturm zurückgezogen hatten, sondern vielmehr als "voll und ganz im Leben stehend" zu bezeichnen sind. 77 Mitzubedenken ist dabei des Weiteren, dass Rashi nach seiner Zeit in den ShUM-­ Städten nach Troyes zurückgekehrt war, also durchaus schon anderes gesehen hatte als die Champagne. Gleiches gilt für Kara, der aus der Provence in die Champagne gekommen war und somit auch als "Ankömmling" in Troyes und zu Rashis engstem Kreis Fuß fasst. Vgl. Harris, Robert A.: "Concepts of Scripture in the School of Rashi". In: Sommer, Benjamin D. (Hrsg.): Jewish Concepts of Scripture. A Comparative Introduction. New York University Press: New York 2012, S. 107. 78 So wird für Kara festgehalten, dass in seinen Kommentaren Parallelen zwischen der Art des Lernens auf jüdischer und christlicher Seite ausgemacht werden können. Das Aufblühen der Peshat-­Exegese kann als eine Folge des Aufeinandertreffens christlich-­ jüdischer Kulturen gesehen werden, vgl. Brin: Studies in the Biblical Exegesis of R. Joseph Qara 1990, S. 17 f.

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3.  Die nordfranzösische Bibelexegese im 11. und 12. Jahrhundert

Wilhelm von Champeaux gegründete Abtei in den Blick, wo z. B. Hugo, Richard oder Andreas von St. Viktor (Leiter 1120–1127) wirkten. Auch deren philologisch orientierte Exegese sucht nach dem Wortsinn der Bibel und ist daher u. U. mit Rashis Ansatz bzw. Sicht auf die Bibel zu vergleichen. Hierbei könnten z. B. Begriffe, die zur Ergründung des Wortsinnes der Bibel in jüdischer und christlicher Auslegung angeführt werden, miteinander in Verbindung gestellt werden.79 Dennoch lässt sich eine direkte Adaption der textbezogenen Auslegung auf jüdischer Seite bestreiten.80 Auch wenn auf jüdischer und christlicher Seite ähnliche Auslegungsmethoden im 12. Jahrhundert zur Exegese angewendet werden, ist Polemik in christlichen wie jüdischen Texten zu finden. Anstatt zu einem Zusammenspiel kommt es vielmehr zu gegenseitiger Abgrenzung.81 Auch wenn derartige Abgrenzungen aus Bibelkommentaren herausgelesen werden können,82 ist in den vorliegenden Kommentar-­Fassungen keine Bezugnahme auf die christliche Umwelt zu beobachten, weder positiver noch negativer Art. Somit kann ein Vergleich zur mittelalterlichen Umwelt zwar zu “praktischen” Fragen vorgenommen werden, z. B. bei Überlegungen zur Erstellung von Manuskripten, jedoch nicht inhaltlicher Art, da sich kein direkter Bezug auf die christliche und somit die “theologische” Umwelt finden. Bei den Kara zugeordneten Auslegungen zum Buch Rut ist kein

79 Z.B. "peshat" und "sensus litteralis," sowie "derash or sensus spiritualis": "Jewish and Christian exegetical literatures manifest consciousness of the distinction between 'plain meaning' (peshat or sensus latteralis) and derived or figurative meaning (derash or sensus spiritualis). However, there are very few twelfth-­century commentaries on scripture, either Christian or Jewish, that present a sustained theoretical framework that helps the reader to distinguish between them." Siehe Signer, Michael A.: "Restoring the Narrative: Jewish and Christian Exegesis in the Twelfth Century". In: McAuliffe, Jane Dammen / Walfish, Barry D. / Goering, Joseph W. (Hrsg.): With Reverence for the Word. Medieval Scriptural Exegesis in Judaism, Christianity and Islam. Oxford University Press: Oxford 2003, S. 71. 80 "Nevertheless, attempts to explain the emergence of the French-­Jewish school of lite�ral exegesis as due to the foundation of the school of St. Victor are mistaken." Siehe Grossman: "School of Literal Jewish Exegesis in Northern France", S. 329. 81 Chazan: Medieval Jewry in Northern France 1973, S. 30 ff. Für eine Übersicht über das Verhältnis zwischen Juden und Christen vgl. Liebeschütz: "Relations between Jews and Christians in the Middle Ages", S. 35–46. 82 "It seems to me that the masters of Rashi's School practised a literal form of biblical exegesis clearly and primarily for apologetic ends." Siehe Touitou, Elazar: "Rashi and his School". In: Albert, Bat-­Sheva (Hrsg.): Bar-­Ilan Studies in History IV. Medieval Studies in Honour of Avron Saltman. Bar Ilan University Press: Ramat-­Gan 1995, S. 249.

3.1.  Orientierung im historischen Kontext

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Einfluss christlicher Ansichten zu sehen.83 Allenfalls herleiten lässt sich die Kenntnis der Auslegungsmethoden auf christlicher Seite, z. B. der literarischen Exegese.84 Jedoch ist in den Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut keine direkte Reaktion auf die christliche Umwelt erkennbar.

3.2. Jüdische Bibelauslegung im Nordfrankreich des 11. und 12. Jahrhunderts Die jüdische Auslegung kann im Mittelalter auf eine Unmenge überlieferter Auslegungen zur Bibel zurückgreifen.85 Dabei stellt sich die Frage, welches Textmaterial den sog. Rishonim, d. h. Rashi, Kara und ihren Zeitgenossen vorgelegen haben mag. Es kann davon ausgegangen werden, dass eine ihnen evtl. zur Verfügung stehende “Bibliothek” zahlreiche Quellen aus dem Osten und Westen enthielt, bei denen ein bestimmter Grad an Normativität vorhanden war.86 Dabei kann des Weiteren angenommen werden, dass die Zusammensetzung dieser Bibliothek sich von den Büchereien anderer Gelehrter unterschied. Zitate für Auslegungen mögen aus den darin vorhandenen Schriften entweder gewissenhaft ausgewählt worden sein,87 andererseits ist anzunehmen, dass nur auf ein begrenztes Volumen von Textmaterial zurückgegriffen werden konnte. Diesbezüglich kann mit Blick auf die Annahme von Skriptorien zur Bucherstellung im 8.–10. Jahrhundert davon ausgegangen werden, dass sich diese für hebräische Handschriften nur an gewissen Orten befanden, an die man reiste, um Texte abzuschreiben. Hier ist also ein “praktischer” Vergleich zur christlichen Umwelt anzunehmen.88 Die Ver83 Auch findet keine Aufnahme des peshat in den als Grundhandschriften verwenden Manuskripten Berlin 1221, London 22413 oder Zürich Or 157 statt. Weiteres vgl. im Kapitel "Peshat," S. 386. 84 Vgl. z. B. Smalley, Beryl: The Study of the Bible in the Middle Ages. Blackwell: Oxford 1952, S. 103 f. 85 Z.B. Midrashim und andere Traditionsliteratur, vgl. dazu Kapitel "Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar," ab S. 390. 86 Vgl. Ta-­Shma: "The Library of the Ashkenaz Sages in the 11th–12th Centuries," S. 298 (Hebr.). 87 Vgl. Ta-­Shma: "The Library of the Ashkenaz Sages in the 11th–12th Centuries", S. 299, der hier auch auf Yalkutim hinweist. 88 "Aus anderen Klöstern lieh man sich kreuz und quer durch das ganze Frankenreich Texte aus, um sie für die eigene Bibliothek abzuschreiben." Siehe Germann, Martin: "Mittelalterliche Hilfsmittel zum Bibelstudium. Wie benutzte man eine karolingische Glossenhandschrift und den 'Mammotreuctus', Beromünster 1470? Mit 7 Abbildungen". In: Liberarium. Zeitschrift der schweizerischen Bibliophilen-­Gesellschaft. Revue de la Société Suisse des Bibliophiles 47,3, 2004, S. 135.

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3.  Die nordfranzösische Bibelexegese im 11. und 12. Jahrhundert

wendung der Traditionsliteratur kann ferner als aktive Zusammenstellung sowie Adaption sowohl in mündlicher als auch in schriftlicher Form vermutet werden.89 Die Quellen der Traditionsliteratur sind nicht unbedingt erhalten, manche 89 Als "Traditionsliteratur" werden in der vorliegenden Arbeit, allgemein gesprochen, jüdische Auslegungen bezeichnet, die als bekannt voraussetzbare Texte zur Erklärung des Bibeltextes herangezogen werden. Der Begriff könnte auch "mündliche Lehre" oder "rabbinische Literatur" genannt werden, wobei hier ganz allgemein Stellen aus Talmud, Mishna und v. a. Midrash gemeint sind. Grundsätzlich könnten alle hergebrachten Literaturen zwar auch als "Traditionsliteratur" bezeichnet werden (bspw. kann für Kara als "Traditionsliteratur" die bis zu ihm tradierte Literatur gelten, also sowohl Bibeltext, als auch Rashis Kommentar). In der vorliegenden Arbeit sind aber mit "Traditionsliteratur" jene Auslegungen gemeint, die zur Erklärung des Bibeltextes herangezogen werden. Hinweise auf biblische Stellen in der Auslegung eines biblischen Textes werden hier "innerbiblische Interpretation" genannt. Bezugnahmen auf diese Texte treten in den Kommentar-­Fassungen als Zitate oder in Abwandlung des hergebrachten Wortlautes auf. Es wird angenommen, dass die als "Traditionsliteratur" bezeichneten Texte bekannt waren und verwendet wurden. Diese hergebrachte Literatur wurde also nicht neu erstellt oder extra für den Kommentar verfasst. "Tradition kann systematisch und buchstäblich vermittelt werden, wie in der mittelalterlichen Schule. Die Rezeption kann imitativ sein, wie im 8. und 9. Jahrhundert; produktiv wie im 11. und 12. Sie kann auf unwilligen Widerstand stoßen (Florebat olim…); auf offene Revolte; auf Apathie. Es gibt aber auch bewußtes Rückgreifen auf entlegene Bestände, wobei Jahrhunderte übersprungen werden." Siehe Curtius, Ernst Robert: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. 11. Aufl. Francke Verlag: Tübingen, Basel 1993, S. 396. Somit wird hier die Ansicht vertreten, dass es sich bei der Aufnahme von Stellen aus der Traditionsliteratur um eine Zusammenstellung bekannter Passagen handelt. Die beiden Teile des Wortes "Tradition"-s-"Literatur" stellen sich wie folgt dar: "Tradition" bedeutet zweierlei: Traditum – das Weitergegebene, bis zur Verwendung im Kommentar; Traditio – die Weitergabe des Bekannten. Siehe Fishbane, der zwischen "tradition (traditum) and transmission (traditio)" unterscheidet, siehe Fishbane, Michael: "Inner-­Biblical Exegesis". In: Saebo, Magne (Hrsg.): Hebrew Bible / Old Testament. The History of Its Interpretation I,1. From the beginnings to the Middle Ages (until 1300). Antiquity. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 1996, S. 34, vgl. auch Utzschneider, Helmut / Nitsche, Stefan Ark: Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung. Eine Methodenlehre zur Exegese des Alten Testaments. Kaiser, Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2001, S. 189. "Literatur" wird als Begriff gewählt, da den wörtlichen Zitaten geschriebene Texte vorausgehen, wobei auch eine "mündliche" Weitergabe bis zur Verschriftlichung in (Vorformen) der vorliegenden Kommentar-­Fassungen mit bedacht werden könnte (wobei dies aber durch die angewachsene Schriftkultur bis zum Mittelalter weniger realistisch scheint). Bei dieser Definition ist natürlich auch zu bedenken, dass die verschiedenen Versionen der Kommentare zum Buch Rut durch ihre Schriftlichkeit selbst als Traditionsliteratur angesehen werden können. Durch die jeweilige Zusam-

3.1.  Orientierung im historischen Kontext

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existieren nur noch als Abschriften. So finden wird heute parallele Hinweise auf Quellen, von denen uns manche bekannt, manche jedoch verschollen sind.90 Rashi legt zunächst den Talmud aus und wendet sich daraufhin der Kommentierung der Bibel zu, wobei das Interesse an der Bibelexegese als etwas Neues verzeichnet werden kann.91 Manche Interpretationsansätze des Talmud werden für das Bibelstudium übernommen, obwohl sich Rashis Kommentierung der Bibel insgesamt anders darstellt als seine Auslegungen zur Bibel. Im Hinblick auf Ashkenas92 ist zu beachten, dass sich die Art der Auslegung im Gebiet des heutigen Nordfrankreich anders darstellt als im rheinischen Gebiet der ShUM-­Städte.93 Als Eigenart der Bibelexegese ist die literarische Orientierung hervorzuheben, die derart nur für

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menstellung mit anderen Erklärungen werden die Auslegungen für ihre Nachwelt selbst zur Traditionsliteratur und seit ihrer Abfassungszeit selbst weitergegeben. Derart kann neben den vorliegenden Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut z. B. der Yalkut als Zusammenstellung der "Traditionsliteratur" in späteren Generationen genannt werden. Die Tradition hat die Eigenschaft als Richtschnur bei der Exegese. Ein "Korrektiv in der Fülle der Möglichkeiten ist die Tradition, die Einbindung des Auslegers in die Gemeinschaft der Gläubigen. […] Wesentlich [für das, was in der Bibel jeweils Ausgangspunkt der Auslegung ist] ist hier der Bezug zur Leseordnung der Synagoge; diese gemeinsame Lesetradition [mit ausgewählten Stücken aus den Hagiographen] gibt zugleich den Kern der Offenbarung vor, von dem aus jede Auslegung auszugehen hat." Siehe Stemberger, Günter: "Vollkommener Text in vollkommener Sprache. Zum rabbinischen Schriftverständnis". In: Jahrbuch für biblische Theologie 12, 1997, S. 64. Vgl. zum Ganzen Ta-­Shma, "The Library of the Ashkenaz Sages in the 11th–12th Centuries", S. 299. Weiteres vgl. Kapitel "Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar," S. 390. "With Rashi's students and younger contemporaries in the peshat school, the balance shifted away from the rabbinic in favor of the biblical. This can be seen already in the work of Joseph Kara (1050–1125), who applied the principles of contextual exegesis to the biblical text with greater rigor and consistency." Siehe Walfish, Barry D.: "Medieval Jewish Interpretation". In: Berlin, Adele / Brettler, Marc Zvi (Hrsg.): The Jewish Study Bible. Tanakh Translation. Oxford University Press: Oxford 2004, S. 1888. Zur "Bezeichnung Ashkenas" vgl. bspw. Toch: Die Juden im mittelalterlichen Reich 1998, S. 4. Vgl. Grossman: "School of Literal Jewish Exegesis in Northern France", S. 323; "The provenance of Ashkenazi culture: There are a number of opinions regarding the geographical extent of the rabbinic culture of Ashkenazi Jewry in the eleventh to the thirteenth centuries. Some scholars view Germany and Northern France as one cultural unit, in this period as well as earlier. Others regard Germany as separate from France on a number of matters, and the findings of this study conform to the latter hypothesis." Siehe Geula, Amos: Lost Aggadic Works Known Only from Ashkenaz: Midrash Abkir, Midrash Esfa and Devarim Zuta. A Thesis submitted for the degree of Doctor of

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3.  Die nordfranzösische Bibelexegese im 11. und 12. Jahrhundert

Frankreich zu verzeichnen ist.94 Errungenschaften im Bereich der Grammatik werden in der Bibelauslegung angewandt, an der die spanische Exegese des 9. und 10. Jahrhunderts einen großen Anteil hat.95 Die Provence jener Zeit ist beeinflusst durch die Wissenschaft aus Spanien und den Mittelmeerländern. Durch Exegeten wie Kara, die von dort stammen,96 gelangen grammatische Erkenntnisse nach Nordfrankreich. Als Vertreter spanischer Grammatiker sind hier v. a. Menahem Ben Jacob Ibn Saruq (10. Jahrhundert) und Dunash Ben Labraṭ (Mitte 10. Jahrhundert) zu nennen, auf die in MS Berlin 1221 zu Rut 1,21 verwiesen wird.97 Als Voraussetzung für grammatische Erklärungen gilt, dass der ausgelegte Text, hier die Bibel, in schriftlicher Form greifbar sein muss, um die Erklärung nachzuvollziehen.98 Ein philologisches Interesse lässt sich für das 11. Jahrhundert in den Auslegungen der Bibel gegenüber der Antike als neu vermerken, biblische

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Philosophy. Submitted to the Senate of the Hebrew University: Jerusalem December 2006, S. III. Vgl. Grossman: "School of Literal Jewish Exegesis in Northern France", S. 326. Evtl. könnte sich durch Spanien und der dort ankommenden Exegeten aus dem arabischen Raum indirekt karäischer Einfluss bis nach Nordfrankreich ausgebreitet haben. Durch diesen ließe sich die Hinwendung zum peshat erklären, wobei z. B. Ibn Ezra als Überlieferer aufgetreten sein mag, der selbst jedoch nicht als Karäer gilt. Der evtl. karäische Einfluss auf die nordfranzösische Schule kann in dieser Arbeit nur angesprochen, aber nicht weiter ausgeführt werden. Für eine Übersicht über jüdische Auslegung in Spanien sei bspw. hingewiesen auf das Kapitel "The Flourishing Era of Jewish Exegesis in Spain" mit Beiträgen von Aharon Maman, Mordechai Cohen und Sara Klein-­Braslavy, in: Saeboe: Hebrew Bible / Old Testament. The History of Its Interpretation 1,2, 2000, S. 261–320. Vgl. Fudeman, Kirsten Anne: "The Old French Glosses in Joseph Kara’s Isaiah Commentary". In: Revue des Etudes Juives 165 (1–2), 2006, S. 148. Außerdem sind als spanische Grammatiker des 10. Jahrhunderts Jehudi Ben Sheshet (2. Hälfte 10. Jahrhundert) und Juda Ben David Hayyuj (ca. 945 bis ca. 1000) zu nennen, wobei festzuhalten ist, dass Rashi nicht auf ihr dreikonsonantiges Wurzelsystem zurückgreift: "Since he knew no Arabic, Rashi never learned of Judah b. David Ḥayyuj's and Jonah *Ibn Janaḥ's work on triconsonantalism." Siehe Kaddari, Menahem Zevi: "Rashi". In: Encyclopaedia Judaica 17, 2007, S. 103. Als Grammatiker des 11. Jahrhunderts sind auch Jonah Ibn Janach (auch Abu al-­Walid Marwan, 1. Hälfte 11. Jahrhundert) und Abraham Ibn Ezra (1089–1164) anzuführen, für das 12. Jahrhundert des Weiteren Joseph Kimḥi (1105–c. 1170) sowie dessen Söhne David (ca. 1160–ca. 1235 in Narbonne, Provence) und Moses (ebenfalls Narbonne, st. ca. 1190). Alle Jahresangaben nach Encyclopaedia Judaica, 2007. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Rezipient auch schreiben können muss, vgl. hierzu Abschnitt "Entstehung des Kommentars als Glossenkommentar," S. 364.

3.1.  Orientierung im historischen Kontext

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Erzählungen werden nun bspw. auf ihre Struktur und auf ihr textliches Gefüge hin untersucht.99 Das Interesse an der Bibel als Literatur könnte insgesamt als Aufnahme von Ansichten aus der Umgebung verstanden werden,100 andererseits aber auch als Rückzug und Hinwendung zur Bibel als Traditionsliteratur.101 Abschließend ist bzgl. der Bibelauslegung des 11. und 12. Jahrhunderts auf die Textproduktion durch die Zusammenstellung von überlieferten Literaturen hinzuweisen, was auch in der nordfranzösischen Bibelexegese wiederzufinden ist.102 In einem Kommentar werden auf diese Weise sowohl hergebrachte midrashische und grammatische Erklärungen103 als auch literaturbezogene Auslegungen zusammengeführt.104 Dies ist auch in den vorliegenden Kommentar-­Fassungen der Fall. So wollen wir uns nun dem Ausleger Kara als dem Vertreter der nordfranzösischen Exegese des 12. Jahrhunderts zuwenden, dessen Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut im zentralen Blickfeld dieser Arbeit stehen.

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"Nevertheless, ancient biblical exegesis did not address the structure of biblical narrative and did not identify expositions in biblical narratives." Siehe Jacobs: "Rabbi Joseph Kara as an Exegete of Biblical Narrative", S. 73. Aufnahme ist dabei jedoch nicht unbedingt auf die "christlich-­religiöse" Auslegung aufgrund eines "sensus spiritualis" oder "sensus literalis" zu beziehen (s. o.), sondern auf "säkulare," z. B. höfische Literatur. Gegenüber letzterer haben biblische Narrative durchaus einiges aufzubieten, so kann später zur exegetischen Herangehensweise des Enkel Rashis (Rashbam) festgehalten werden: "For the first time, biblical exegesis brings up literary-­theoretical arguments, exploring the 'biblical art of narration' or the biblical author's intention." Siehe Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 33. Als Gründe für das Erstarken literarischer Exegese können des Weiteren die "Renaissance" des 12. Jahrhunderts sowie die jüdisch-­christliche Polemik genannt werden, vgl. Grossman: "School of Literal Jewish Exegesis in Northern France", S. 326, wobei jüdisch-­christliche Polemik in den Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut nicht direkt sichtbar ist. Die Beschäftigung mit der Bibel kann auch eine Abgrenzung zur Umwelt bedeuten, wobei diese Lesart das Lehrhaus zum Rückzugsort werden lässt. Vgl. Weiteres zum "Sitz im Leben" im Kapitel "Sinn und Zweck der Kommentierung," S. 361. Vgl. Smalley: The Study of the Bible in the Middle Ages 1952, S. 46. Vgl. Kotjatko, Jens: "Geschichte der Hebräischen Grammatik vom 10. bis zum 16. Jahrhundert". In: Veltri, Giuseppe / Necker, Gerold (Hgg.): Gottes Sprache in der philologischen Werkstatt. Brill: Leiden 2004, S. 215–232. Vgl. dazu Kapitel "Bearbeitungsstufen eines Kommentars," S. 379.

4. R. Josef Ben Shimon Kara R. Josef Ben Shimon Kara lebt ca. 1055–1125.105 Sein Name “Kara” bedeutet “[Vor-]Leser,” was auf Vorträge vor Publikum, etwa als Dozent, hindeutet.106 Sein Vater Shimon Kara ist wohl auch ein Gelehrter, dem im 19. Jahrhundert vorübergehend der Yalkut Shimoni zugeschrieben wurde.107 Seine Ausbildung erhält R. Josef Ben Shimon Kara von seinem Onkel R. Menachem b. Helbo, dem Bruder

105 Die Lebensdaten Karas sind nicht eindeutig. Sein Geburtsjahr liegt zwischen 1050–1060 (vgl. Grossman, Avraham / Arend, Moshe-­Max / David Derovan: "Kara, Joseph". In: Encyclopaedia Judaica 11, 2007, S. 783; Grossman: Early Sages of France 2001, S. 257 gibt noch 1050–1055 an). Kara lebt bis ca. 1120–1130, vgl. ebd., S. 258. 106 Vgl. Grossman: Early Sages of France 2001, S. 259 mit Literaturhinweisen in Anm. 16, hervorzuheben ist dabei Touitous Bezugnahme auf "Vorleser vor der Öffentlichkeit", welcher "lector" genannt wird. Vgl. auch Brin: Studies in the Biblical Exegesis of R. Joseph Qara 1990, S. 18, mit Verweis auf Arendt und Banitt. Etwas anders leitet Jellinek den Namen Kara her indem er ihn in einen gewissen Gegensatz zur Bezeichnung Darschan stellt: "2) Der Name ‫ קרא‬bedeutet nach meiner Ansicht der den natürlichen Wortsinn festhaltende Exeget, im Gegensatz zu ‫דרשן‬, welcher der Hagada einen grössern Spielraum giebt [sic]." Siehe Jellinek: Commentarien zu Esther, Ruth und den Klageliedern 1855, S. VI, Anm. 2. Insgesamt lässt sich zusammenfassen "The name Kara indicates that he dealt with the Bible (miqraʾ) in his professional life, either as a teacher or an exegete, or both." Siehe Walfish: "Medieval Jewish Interpretation", S. 1888. 107 "‫ […] רבי‬:‫ ופרטים על זיהוי החכמים‬,‫שי"ר צירף הערות מקדימות לשני המכתבים הבאים של שד"ל‬ ‫ שי"ר מתקן טעויות בזיהוי ָם ומרחיב את הדיון על‬.‫ ורבי שמעון קרא בעל ילקוט השמעוני‬,‫יוסף קרא‬ ‫ילקוט שמעוני וזמנו של מחברו […] רוחב היריעה של למדנותו של שד"ל מוסיף להיראות בהמשכו‬ ‫יד של 'ילקוט על כל‬-‫של הכרך שבו הוא משיב על עניינים שונים […] ומביא נוסחים שמצא בכתבי‬ ‫" 'התנ"ך' שהוא 'נבדל מילקוט שמעוני‬, siehe :'‫– חכמת ישראל היא 'יבנה החדשה‬ ‫ כרם חמד‬,‫ משה‬,‫פלאי‬ ‫ תקצ״ג־תרט״ז‬,‫ כתב־העת העברי של ההשכלה בגליציה ובאיטליה‬,‫מפתח מוער לכרם חמד‬, Jerusalem: Magnes Press, 2009, S. 93. In diesem Zitat steht ‫ שי"ר‬für Salomon Juda Leib Rapoport (Rappaport) "(known by his acronym Shir; 1790–1867)", siehe Mirelman, Victor A.: "Rapoport (Rappaport), Solomon Judah Leib". In: Encyclopaedia Judaica 17, 2007, S. 99, ‫ שד"ל‬steht für Samuel David Luzzatto "(often referred to by the acronym of SHaDaL or SHeDaL; 1800–1865)", siehe Tobias, Alexander: "Luzzatto, Samuel David". In: Encyclopaedia Judaica 13, 2007, S. 286. Bgzl. Yalkutim vgl. Kapitel "Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar," S. 390.

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4.  R. Josef Ben Shimon Kara

seines Vaters,108 dessen Erklärungen er in seinen Auslegungen verwendet.109 Aus der Provence macht sich Kara auf nach Norden.110 Bevor er nach Troyes kommt, hält sich Kara wohl zunächst in Worms auf. Seine Nennung durch dort ansässige Gelehrte lässt die Annahe zu, dass Kara in den 1070er bis 1080er Jahren in Worms ist,111 wohin er wahrscheinlich schon als Talmid Chacham (“Schriftgelehrter”) gekommen war.112 Später siedelt er nach Troyes über, wo er mit Rashi in Verbindung tritt, als dessen Talmid Chaver (“Schüler, der gleichzeitig Kollege ist”) er bezeichnet werden kann.113 Rashi und Kara nehmen in ihren Kommentaren aufeinander Bezug.114 In Rashis Nachfolge wendet sich Kara v. a. der literarischen Analyse biblischer Texte zu.115

108 Vgl. Grossman: Early Sages of France 2001, S. 256 und Poznański, Samuel: Fragments de l'exégèse biblique de Menahem bar Helbo. Imprimerie de Schuldberg et Cie: Warschau 1904, S. 5. Menachem b. Helbo ist wohl zeitweise in Troyes; von ihm sind Erklärungen im Namen R. Jehudas von R. Moshe HaDarschan überliefert. "Und dieser Rabbi Jehuda lebte in Narbonne (Wohnort seines Vaters), oder vielleicht in Toulouse…" Vgl. Poznański, ebd., S. 6 [ÜS IL-­B]. Durch diese Nennung lässt sich also auf die Herkunft Karas und darauf schließen, dass nicht nur er selbst, sondern auch sein Onkel sich zeitweise in Troyes aufhielten. Des Weiteren ist erwähnenswert, dass auch Menachem Bar Helbo "Kara" genannt wurde, vgl. Poznański, ebd., S. 7. 109 Vgl. dazu Poznański: Fragments de l'exégèse biblique de Menahem bar Helbo 1904, S. 8 f. 110 Vgl. Harris: "Concepts of Scripture in the School of Rashi", S. 107. 111 Hier nennt Grossman R. Isaac ha Levi, dessen Sterbejahr er mit ca. 1080 angibt (wobei andernorts auch andere Jahresangaben zu finden sind, bspw. 1074), sowie den Kantor R. Meir, siehe Grossman: Early Sages of France 2001, S. 255. 112 "[…] .‫ "ר"י קרא בא אל וורמייזא כבר בהיותו תלמיד חכם‬Siehe Grossman: Early Sages of France 2001, S. 256. 113 "[…] ‫חבר של רש"י‬-‫ "ויש לראותו כתלמיד‬Siehe Grossman: Early Sages of France 2001, S. 255. 114 Bspw. nennt Rashi Kara in seinem Kommentar zu Jes. 10,24 sowie Prov. 18,22 und beruft sich dabei auf seine Auslegungen: Rashi zu Jes. 10,24 […] ‫משם רבי מנחם אמר‬ ‫לי רבי יוסף‬. Rashi zu Prov. 18,22: […] ‫ אותו‬,‫ אדם שמצא אשה ומצא טוב ויפק רצונו‬:‫דבר אחר‬ ‫ רבי יוסף קרא‬.‫האיש מוציא רצון מהקדוש ברוך הוא‬. (Quelle: Mgketer Application, 1994). Somit ist anzunehmen, dass Rashi Karas Auslegungen akzeptierte, vgl. Grossman / Arend / Derovan: "Kara", S. 783. 115 Vgl. Grossman / Arend / Derovan: "Kara", S. 784.

4.1.  Karas Auslegungsart

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4.1. Karas Auslegungsart Neben der Bibel legt Kara liturgische Texte116 und Piyyutim aus,117 jedoch nicht den Talmud.118 Karas Auslegungen sind nicht vollständig erhalten,119 z. B. sind seine Kommentare zur Tora nur teilweise problemlos einzusehen.120 Wie bereits er116 Dabei sind Kinot und Hoshanot zu nennen, "HOSHANOT (Heb. ‫ׁשעְנֹות‬ ַ ‫)הֹו‬, poetical prayers, thus named because of the recurrent expression "Hoshana" (or "Hoshi'aNa," "Save, I Pray!")." Siehe Eliner, Eliezer: "Hoshanot". In: Encyclopaedia Judaica 9, 2007, S. 560; "KINAH (Heb. ‫ ;קִינָה‬pl. ‫קִינֹות‬, kinot), poem expressing mourning, pain, and sorrow." Siehe Habermann, Abraham Meir: "Kinah". In: Encyclopaedia Judaica 12, 2007, S. 160. Vgl. Grossman / Arend / Derovan: "Kara", S. 784. Zur Darstellung von Karas Auslegungen liturgischer Texte vgl. Grossman, Avraham: "‫גלות וגאולה במשנתו‬ ‫"של ר' יוסף קרא‬. In: Ben-­Sasson, Menahem / Bonfil, Robert / Hacker, Joseph R. (Hgg.): Culture and Society in Medieval Jewry. Studies Dedicated to the Memory of Haim Hillel Ben-­Sasson. The History Society of Israel, The Zalman Shazar Center: Jerusalem 1989, S. 269–301. 117 "Most readers of classical piyyut (Hebrew liturgical poetry) will immediately recog­ nize the need for explanations of difficult words and phrases as well as the elucidation of allusions to Biblical and rabbinic texts. Piyyut commentary was the medieval answer to this need." Siehe Hollender, Elisabeth: Piyyut Commentary in Medieval Ashkenaz. (Studia Judaica 42). De Gruyter: Berlin 2008, S. 2. Es ist anzunehmen, dass Kara viele seiner Erklärungen von Schülern aus ganz Ashkenas erhielt. Hierbei könnten Teile der Kommentare von späteren Generationen stammen. In den Piyyut-­ Kommentaren liegt lediglich eine Auswahl von Aggadot vor. Wie zur Bibel werden in Karas Piyyut-­Kommentaren Sprache und literarische Aspekte erklärt, des Weiteren legt er grundlegende Prinzipien des Piyyut dar, wobei aber nicht auf den historischen Hintergrund eingegangen wird. In den liturgischen Kommentaren verwendet Kara auch Teile, die in seinem Bibel-­Kommentar zu finden sind. Vgl. Grossman / Arend / Derovan: "Kara", S. 784. Auf liturgische Texte und die Piyyut-­Auslegung Karas soll hier nicht weiter eingegangen werden.‬Zu genaueren Untersuchungen seiner P­iyyutim sei bspw. verwiesen auf Grossman: Early Sages of France 2001, S. 325 ff. sowie Hollender: Piyyut Commentary in Medieval Ashkenaz 2008, S. 36–40. 118 "Joseph Kara war, wozu ihn wahrscheinlich sein Amt als Bibelvorleser hinführte, gleich seinem Onkel, Menachem ben Chelbo, ausschliesslich Bibelerklärer; den ganzen Kreis jüdischer Studien umfasste er nicht mit gleicher Virtuosität, einer eingehenden Behandlung des Thalmuds fühlte er sich nicht gewachsen." Siehe Geiger: Parschandatha 1855, S. 20. Hierzu kann auch festgehalten werden, dass Kara nicht als Halakhist bezeichnet werden kann, vgl. Grossman: "School of Literal Jewish Exegesis in Northern France", S. 347. 119 Vgl. schon Berliner: "Zur Schrift-­Exegese Joseph Kara's", S. 22. 120 Hierbei ist hinzuweisen auf hebräische Einbandfragmente, die sich bspw. in Archiven von Bologna, Imola und Pieve die Cento befinden, wodurch ersichtlich ist, dass es

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4.  R. Josef Ben Shimon Kara

wähnt stehen in Karas Auslegungen literarische Beobachtungen im Vordergrund. Eine besondere Form der literarischen Erläuterung ist die Exegese aufgrund des peshat.121 Kara ist ein bedeutender Vertreter der peshat-­Erklärung und wird als einer der ersten genannt, die nach dem “strengen Wortsinn” auslegen.122 Zum peshat äußert sich Kara z. B. in seiner Stellungnahme zu 1. Sam. 1,17: ‫ דומה לזה ששטפתהו‬,‫ ונוטה לו אחר מדרשו של דבר‬,‫[…] אבל כל מי שאינו יודע פשוטו של מקרא‬ ‫ היה חוקר‬,’‫ ואוחז כל אשר יעלה בידו להינצל; ואלו שם לבו אל דבר ה‬,‫שבולת הנהר ומעמקי מים מציפין‬ ‫ ומוצא לקיים מה שנאמר “אם תבקשנה ככסף וכמטמונים תחפשנה אז תבין יראת‬,‫אחר פשר דבר ופשוטו‬ 123 ]…[ )‫ה‬-‫ד‬,‫ה’ ודעת אלהים תמצא” (מש’ ב‬ “[…] Aber jeder, der den peshat eines Verses nicht kennt und sich dem Midrash des Wortes zuwendet, gleicht demjenigen, den die Flut des Flusses versenkt und [den die] Tiefen des Wassers überfluten und [so] ergreift er alles, was ihm [zu fassen] gelingt, um [sich] zu retten; während er [doch aber] auf das Wort des Ewigen aufpassen [sollte, und es] nach der Bedeutung einer Sache und seines peshat erforschen sollte, und [dann jenes] bestätigt zu finden [würde], was gesagt ist: Wenn du sie wie Silber erbittest und wie Schätze suchst, dann wirst du die Furcht des Ewigen verstehen und Gotteserkenntnis finden (Prov. 2,4–5) […]”

Die Erforschung der “Bedeutung einer Sache” und des peshat zieht Kara hier midrashischen Auslegungen vor.124 Auch wenn diese Stellungnahme zum peshat als charakteristisch für Karas Sichtweise auf biblische Texte gilt, ist diese Aussage mit den ihm zugeschriebenen Erklärungen zum Buch Rut nicht völlig kongruent. In den Auslegungen, die wir in den Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut vorfinden, wird peshat zur Textauslegung nicht verwendet und eine Abweisung des derash ist keinesfalls festzustellen. Diese Diskrepanz sollte jedoch nicht zu der Annahme führen, die Kommentar-­Versionen zum Buch Rut seien fälschlicherweise Kara zugeordnet, etwa wegen der in ihnen enthaltenen Auslegungsart, die sich nicht ausdrücklich für den peshat ausspricht. Vielmehr kann die Divergenz in Form eines ausführlichen Gebrauchs der Traditionsliteratur zu Texterklärungen in den vorliegenden Kommentar-­Fassungen dahingehend erklärt werden, dass Kara den peshat verfolgt, jedoch auch frei ist, den Midrash zur Texterklärung

Kommentare zur Tora von Kara gibt. Vgl. Fudeman, Kirsten Anne: "The Old French Glosses in Joseph Kara’s Isaiah Commentary". In: Revue des Etudes Juives 165 (1–2), 2006, S. 150. 121 Zum Begriff peshat vgl. Kapitel "Peshat," S. 386. 122 Vgl. Grossman / Arend / Derovan: "Kara", S. 784. 123 Quelle: Mgketer Application, 1994. 124 Zur Verwendung des peshat in Karas Auslegungen zu verschiedenen anderen Stellen vgl. Brin: Studies in the Biblical Exegesis of R. Joseph Qara 1990, S. 41 ff.

4.1.  Karas Auslegungsart

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zu verwenden.125 Neben der Auslegung aufgrund des peshat ist für Kara ein Unterschied zwischen “homiletischen” und jenen Erklärungen anzuführen, die die Größe des Gesetzes hervorheben wollen.126 Im Allgemeinen kann ein philologisches Interesse Karas bei seiner Auslegung der Bibel festgehalten werden. Weiter problematisiert er Varianten des Bibeltextes und nimmt in seiner Auslegung stellenweise auf Teamim (Kantillationszeichen im biblischen Text) und Targumim Bezug.127 Etymologische Verbindungen zwischen Bibelstellen stellt Kara aufgrund von Worten mit gleichen Wortwurzeln, der analogen Verwendung von Worten oder ihrem vergleichbaren Klang in verschiedenen Versen her.128 Außerdem gibt er Erklärungen über Worte oder Phrasen, die im Kontext entbehrlich scheinen und deutet sie auf kommende Ereignisse des näheren biblischen Kontextes einer Erzählung.129 Weiter unterscheidet Kara zwischen dem Wortlaut der Bibel und dem jüdischer Gelehrter130 und zieht Zitate aus der Traditionsliteratur zur Text-

125 Vgl. auch Grossman: Early Sages of France 2001, S. 317. 126 "Nevertheless, there is still no explanation for the distinction he makes between homiletic explanations that 'the ear may hear,' i.e., which are plausible (aggadah ha-­nishma'at la-­ozen, on Job 26:13) and those which are only meant to "make the Law great and glorious," such as his commentary on I Sam. 1:17." Siehe Grossman / Arend / Derovan: "Kara", S. 784, dazu auch Grossman: Early Sages of France 2001, S. 316. Kara zu Hiob 26,13: […] ‫ב) אגדה הנשמעת לאוזן‬,‫]…[ וראיתי בבראשית רבא (ד‬ Quelle: Mgketer Application, 1994. 127 "‫ הבחנתו בין לשון המקרא‬,‬‫‬ עיסוקו בשאלות נוסח‫‬,‫הסתמכותו המרובה על טעמי המקרא ועל התרגומים‫‬ .‫ "‬ללשון חכמים וזיקתו ההדוקה לענייני ריאליה‫‬Siehe Grossman: Early Sages of France 2001, S. 322. Manchmal weicht Kara auch vom Bibeltext ab: "Sometimes, as on Joshua 9:4, he cites two different versions of the text, and at least once (on Jer. 25:13) he states that certain interpretation would be acceptable 'provided a fitting version can be found in some accurate book.' " Siehe Grossman / Arend / Derovan: "Kara", S. 784. Karas Behandlung und Sicht auf biblische Texte kann als Folge seiner rationalen Herangehensweise an die Bibel verstanden werden und zeigt darüber hinaus seine Selbständigkeit gegenüber Rashi: "Another typical trait of Kara's biblical exegesis, also born of his rationalism, is his attitude to the redaction of the books of the Bible. […] Rashi concerns himself very rarely with such matters, relying primarily on rabbinic opinion, unlike Joseph Kara." Siehe Grossman: "School of Literal Jewish Exegesis in Northern France", S. 353. 128 Vgl. Grossman / Arend / Derovan: "Kara", S. 784. 129 Vgl. Grossman / Arend / Derovan: "Kara", S. 784. So z. B. in MS London 22413 zu Rut 1,22 und 2,1–5. 130 Vgl. Grossman: Early Sages of France 2001, S. 322.

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4.  R. Josef Ben Shimon Kara

erklärung heran.131 In Karas Texterklärungen treten auch Le’azim (mundartliche Glossen) auf.132 Somit verwendete er selbst die Sprache seiner Umwelt, um von den Mitmenschen seiner Zeit in ihrer eigenen Sprache, nämlich im damaligem Französisch, verstanden zu werden. Lebensnahe Auslegungen finden sich auch in punktuellen Hinweisen auf Themen aus dem realen Lebensalltag, die in den Fassungen zum Buch Rut jedoch nur marginal in Erscheinung treten.133 Insgesamt ist für Karas Auslegungen eine Art vielseitige Exegese mit außerordentlicher Betonung auf literarischen Aspekten des biblischen Textes festzuhalten.134 Da Kara v. a. als Vertreter des peshat gilt und in den Zusammenhang der nordfranzösischen Schule Rashis gestellt wird, soll im Folgenden v. a. die Relation zwischen Kara und Rashi genauer betrachtet werden. Rashi als Ausleger wird kurz vorgestellt, danach wird auf Paralellen in den Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut von Rashi und Kara eingegangen. Das Kapitel wird mit einer Übersicht über das Verhältnis Karas zu anderen Exegeten seiner Zeit abgeschlossen.

131 Vgl. Brin: Studies in the Biblical Exegesis of R. Joseph Qara 1990, S. 29 und Kapitel "Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar," S. 390. 132 Vgl. dazu Kapitel "Le'azim," S. 413. 133 Vgl. Kapitel "Hinweise auf Realia," S. 423. 134 "…je mehr von ihm mitgetheilt wird, um so deutlicher lernen wir ihn als einen Mann kennen, der die natürliche Exegese mit Glück zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Er hat, trotzdem, dass ihm keine reicheren Hülftmittel [sic] zu Gebote stehen, und dass er auch keine grössere Sicherheit in der Grammatik zu erlangen vermochte, ein entschiedeneres Bewusstsein über den Werth und die Geltung der einfachen Auslegung, er tritt daher mit grösserer Kühnheit gegen die allegorische und aggadische Deutung auf, er hat gewisse Interpretationsregeln, die er mit Glück anwendet, und er scheut auch nicht die Kritik, wo sie sich ihm ungezwungen darbietet." Siehe Geiger: Parschandatha 1855, S. 18 f.

5. Rashi Rashi lebt ca. 1040–1105, studiert in den ShUM-­Städten und kehrt mit ca. 30 Jahren nach Troyes zurück.135 Dort gründet er ein Lehrhaus, wo er bis 1105 lebt und wirkt.136 Die Intention für Rashis Ortswechel von den Städten am Rhein zurück nach Troyes an der Seine lässt sich nur nachzeichnen, echte Fakten über sein Leben lassen sich kaum festmachen.137 Als Rashis Lehrer sind Jehuda Halevi sowie R. Jacob ben Jakar zu nennen.138 Nach seinem bedeutenden Talmudkommentar verfasst Rashi in Troyes auch Bibelkommentare. Seine Erklärungen können seinerzeit als zeitgemäß bezeichnet werden. Erst im 10. Jahrhundert kommen Talmudhandschriften nach Europa, vorher kann von einer mündlichen Weitergabe des Inhaltes ausgegangen werden.139 Inwieweit die Materialien, die Rashi zu seiner Texterklärung verwendete, in jener Zeit in Nordfrankreich bekannt waren, lässt sich nur teilweise rekonstruieren.140 Rashi und seine Zeitgenossen stellen verbindliche Auslegungen her, was v. a. für den Text des Talmud-­Kommentars gilt, von dem Kopien hergestellt werden.141 Dies gilt in gewisser Hinsicht auch für verbindliche Kommentare zur Bibel, die in ashkenasischen Schulen des 12. Jahrhunderts verwendet werden. Rashis Auslegungen verwenden die Mittel, die auch für 135 Hierfür kann als Jahresangabe 1070 genannt werden, vgl. Toch: Die Juden im mittelalterlichen Reich 1998, S. 27. 136 U.a. anlässlich seines 900. Todesjahres im Jahr 2005 wurde viel über ihn publiziert. Veröffentlichungen z. B. Attali, Paul / Margen, Élie (Hgg.): Rachi et les Juifs de Troyes. Centre Culturel Rachi: Troyes 2005; Gallé, Volker et. al. (Bearb.): Raschi: 1105–2005. Leben und Wirken Raschis. Die Juden in der Champagne und am Rhein. Worms-­ Verlag: Worms 2005; Krochmalnik, Daniel / Liss, Hanna / Ronen Reichman (Hgg.): Raschi und sein Erbe. (Schriften der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg 10). Winter: Heidelberg 2007. 137 Vgl. Heil, Johannes: "Raschi. Der Lebensweg als soziale Landschaft". In: Krochmalnik / Liss / Reichman (Hgg.): Raschi und sein Erbe 2007, S. 1–22. 138 Vgl. z. B. Grossman: "School of Literal Jewish Exegesis in Northern France", S. 326. 139 Siehe Nahon, Gérard: "Orality and Literacy: The French Tosaphists". In: Engel, David / Schiffman, Lawrence H. / Wolfson, Elliot R. (Hrsg.): Studies in Medieval Jewish Intellectual and Social History. Festschrift in Honor of Robert Chazan. (Supplements to the Journal of Jewish Thought and Philosophy 15). Brill: Leiden 2012, S. 146 f. 140 Vgl. Ta- Shma, "The Library of the Ashkenaz Sages in the 11th–12th Centuries", S. 298–309 (Hebr.). 141 Vgl. z. B. Nahon: "Orality and Literacy: The French Tosaphists", S. 147.

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5. Rashi

den “rabbinischen Midrash” genannt werden, z. B. dass ein Vers den gesamten Kontext der Bibel als Referenzpunkt für seine Auslegung hat.142 Da ein Vers somit nicht nur auf den nahen Textzusammenhang bezogen wird, wird auch der nahe Kontext des Erzählzusammenhangs teilweise außer Acht gelassen. Dies gilt auch für manche Stellen in Rashis Kommentar.143 Rashi richtet sein Hauptaugenmerk auf den Wortlaut des Bibeltextes – was für die Bibelexegese des 12. Jahrhunderts von großer Bedeutung ist.144 In seinen Bibelauslegungen steht der peshat im Mittelpunkt, als dessen Wegbereiter er betrachtet werden kann.145 In seinen Kommentaren verweist Rashi auf Werke von Menahem Bar Helbo und Menahem Ibn Saruk.146 Andererseits führt sein Kommentar auch tradierte Auslegungen fort, indem er überlieferte Literatur wiedergibt und daran anknüpft. Die Verwendung von Traditionsliteratur als Anknüpfungspunkt kann sowohl als “moderne” Auslegungsart als auch als “Fortführung der Tradition” gelten. Insgesamt vermittelt Rashi ein weites Spektrum der Bibelexegese seiner Zeit.147 Sein Bibelkommentar erlangt Autorität, wobei dessen Lektüre 142 "Kontext ist jedoch die ganze Bibel; in dieser kann jeder Vers mit jedem in Beziehung gesetzt werden; die spezielle Intention einer einzelnen Schrift interessiert dagegen kaum." Siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 262. 143 "Typisch für Rashis Kommentar ist auch [bzgl. Gen. 27,22 ff.] die Segmentierung des Erzählfadens in einzelne Abschnitte, die jeweils für sich erklärt und nicht im Zusammenhang gesehen werden. Der Entwicklungsgang der Erzählung spielt keine Rolle." Siehe Liss, Hanna: "Kommentieren als Erzählen: Narrativität und Literarizität im Tora-­ Kommentar des Rashbam". In: Frankfurter Judaistische Beiträge 35, 2008, S. 97. 144 Dies gilt auch für die christliche Exegese jener Zeit. Die Exegese des 11.–12. Jahrhundert ist in Extrakten und Zitierungen vorhanden. Referenzen von verlorenen Werken berühmter Wissenschaftler lassen sich darin finden, jedoch auch anonyme Stücke, die Charakteristiken der Zeit widerspiegeln. Vgl. Smalley: The Study of the Bible in the Middle Ages 1952, S. 46. 145 In seinem Kommentar zu Gen. 3,8 spricht sich Rashi für den direkten Schriftsinn aus, auf den er in der Einleitung zum Hohelied weiter eingeht. Weiteres zum Begriff "peshat" vgl. Kapitel "Peshat," S. 386. 146 Menahem Bar Helbo kann als Wegbereiter des peshat bezeichnet werden, da er eine Wende bzgl. des Interesses an der Grammatik einläutet. Jedenfalls ist ein naher Kontakt zu frühen hebräischen Grammatikern in Spanien zu beachten, da dies in Nordfrankreich zur Beschäftigung mit der Sprache der Bibel führte. 147 "Rashi, first and foremost, is an educator. As a leading figure of this exegetical movement, he endeavors to explain the obvious meaning of the text, ‫פשוטו של מקרא‬. At the same time, however, he remains firmly attached to the frame of reference of the Masters of the Midrash, because it is from them that he has gleaned the moral and religious precepts that he transmits to his readers. Rashi's didactic scope is, thus,

5.1.  Kara und Rashi

53

sogar dem Targum gleichgestellt wird.148 Rashis Pentateuchkommentar ist 1475 der erste bekannte hebräische Text in gedruckter Form. Seit der ersten Ausgabe der Mikraot Gedolot, der sog. Rabbinerbibel von Felix Pratensis im Jahre 1517–1518 wird Rashis Kommentar neben dem Targum und anderen Auslegern abgedruckt.149 Bis heute hat Rashis Kommentar seine Autorität bewahrt. So stellt sich bei der Lektüre des Bibeltextes mit Blick auf die jüdische Auslegung schnell die Frage “Was sagt Rashi dazu?”. Teilweise gilt also noch heute, was schon im 19. Jahrhundert festgehalten wurde: “Raschi, d. h. sein Commentar, gehört noch heute gewissermaassen [sic] mit zum Thalmud, und gehörte lange Jahrhunderte mit zur Bibel, die man nur nach seiner Auffassung in sich aufnahm.”150

5.1. Kara und Rashi Kara ist Zeitgenosse Rashis,151 der in seinen Erklärungen auf Kara hinweist und sogar seinen Kommentar aufgrund Karas Aussage abändert.152 Kara nimmt

uncommonly broad, because each of his commentaries is a condensed example of a course on Torah." ‬Siehe Touitou: "Rashi and his School", S. 249. 148 "Halakhic codes, beginning in the thirteenth century, ruled that a person reading the Pentateutch with Rashi's commentary, instead of Targum Onqelos, was consiered to have fullfilled the obligation of reading the weekly portion 'twice Hebrew and once the Targum.' " Siehe Grossman: "School of Literal Jewish Exegesis in Northern France", S. 344. 149 Zu Mikraot Gedolot vgl. Liss, Hanna: "Rabbinerbibel/Miqraot Gedolot". In: Das Wis­ senschaftliche Bibellexikon im Internet 2008. http://www.bibelwissenschaft.de/stich­ wort/31720/ (Zugriffsdatum: 19.03.2016). Die in den Mikraot Gedolot verwendete und nach ihm benannte "Rashi-­Schrift" bzw. "Rashi-­Kursive" ist nicht direkt seiner "Handschrift" nachempfunden, sondern eine Druckkursive. 150 Siehe Geiger: Parschandatha 1855, S. 12. 151 Vgl. dazu auch Poznański: Fragments de l'exégèse biblique de Menahem bar Helbo 1904, S. 5. 152 "Gerade dieses Beispiel [von Karas und Raschis Kommentar zu Num. 17,5] zeigt, […] dass Raschi selbst Aenderungen im Commentare vorgenommen habe, hier also in Folge des Hinweises von Kara, wie auch Letzterer selbst hinzufügt, dass seine Erklärung von Raschi gebilligt worden sei." Siehe Berliner: "Zur Schrift-­Exegese Joseph Kara's", S. 23. In Rashis Kommentaren finden sich auch indirekte Bezugnahmen auf Karas Onkel, R. Menachem b. Ḥelbo, die auf Karas Vermittlung zurückzuführen sind. Der Bezug auf Kara wird darin hergestellt, z. B. mit den Worten …‫משום ר' מנחם‬‪"‬ ‪"‫שמעתי מפי ר' יוס ‬ף‬, siehe Brin: Studies in the Biblical Exegesis of R. Joseph Qara 1990, S. 12.

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5. Rashi

seinerseits auf Rashis Kommentar Bezug, erweitert und zitiert ihn stellenweise, auch ohne auf ihn zu verweisen. Insgesamt spricht sich Kara nur selten gegen Rashi aus.153 In diesem Zusammenhang ergibt sich immer wieder das Problem der Zuschreibung. Werke, die einerseits Kara zuzuschreiben sind, werden andernorts Rashi zugeordnet. Bspw. nimmt Abraham Berliner Kara als Autor des Kommentars zu Genesis Rabba an, der sonst Raschi zugeschrieben wird; Epstein weist dagegen nach, dass der Kommentar nur Hinzufügungen Karas enthält, der originale Kommentar hingegen nicht von Kara gewesen sei.154 Des Weiteren können Varianten in der Lesart eines “Rashi-­Kommentars” einerseits als “Überarbeitungen” Rashis interpretiert, andererseits als Ganzes als Kommentar Karas bezeichnet werden.155 Auch in den hier vorliegenden Kommentar-­Fassungen haben wir es mit ähnlichen Problemen zu tun: Besonders MS Zürich Or 157 mit expliziter Zuschreibung an Kara zeigt große Nähe zum “Rashi-­Kommentar” in

153 Wie z. B. zu 1. Kön. 7,33, vgl. Grossman / Arend / Derovan: "Kara", S. 784. MGK verweist in Karas Kommentar zu 1. Kön. 7,33 auf Rashis Auslegung zur Stelle. Rashi wird aber nicht namentlich genannt, der Hinweis "‫ "ראה רש"י‬ist in dieser MGK Edition von 1996 bspw. nur in Klammern hinzugefügt: ‫(לג) ומעשה האופנים כמעשה אופן‬ ‫ רצונך‬:‫ ואמר לך‬,‫ התים לך כל פירושיה בדבר אחד‬,‫– אחר שפירש לך כל מעשה המכונה‬ ‫המרכבה‬ .‫ והן הן מעשה האופנים של מכונות‬,‫לידע מעשה המכונות? עיין לך במעשה המרכבה של בני אדם‬ ‫– "כעובד גלגלי מרכבת יקרא"; ופותרין‬ ‫ כמעשה אופן המרכבה‬:‫וראיתי בפתרון התרגום של יונתן‬ ‫טז); והוא‬,‫ כמו שאמור ביחזקאל במרכבת גבוה (ראה יח' א‬,‫ שתי וערב‬,‫ אופן בתוך אופן‬:)‫(ראה רש"י‬ ;‫ ומטעה כל ישראל אחריו בפתרונו‬,‫ ומהפך דברי אלהים חיים‬,‫מעות הישרה לכל שתורת אלוהיו בקרבו‬ ‫ שיאמר לכל‬,)‫ד‬,‫ שנתן לו המקום "לשון לימודים לדעת לעות את יעף דבר" (יש' נ‬,‫הראית מימיך אדם‬ ‫ רצונך לידע דבר זה? הסתכל בחוקות השמים; כתבניתו אשר אתה מראה למעלה‬:‫דבר המתקשה להבין‬ ‫ אם‬:‫ מי יעלה לנו השמימה ויראהו לנו? ואל תשיבהו‬:‫ כך תבניתו בארץ?! והלא הוא ישיבהו‬,‫ברקיע‬ ‫ ואף על‬,‫ יונתן לא ערך אלי מילים‬:‫ "כעובד גלגלי מרכבת יקרא"? אומר‬:‫ מפני מה תירגם יונתן‬,‫כדבריך‬ ‫ שלא עלה במחשבתו ללמד לדורות דבר הנראה מתוך דבר שאינו נראה ולא‬,'‫פי כן הרימותי ידי אל ה‬ ‫ שביניין מלאכתן‬,‫נודע מקומו איו; ומהו פתרון "כעובד גלגלי מרכבת יקרא"? כמעשה מרכבת השרים‬ '‫– 'בוייולש‬ ‫ וגבותם‬.)‫– 'איישיל' (בלעז‬ ‫ ידותם‬.‫נשתנית ממלאכת העגלות העשויות לטעון משאות‬ ‫– זרועות האופנים‬ ‫ חישוריהם‬.‫ שהוא קישורן‬,‫– עיגולן סביב‬ ‫ וחישוקיהן‬.‫ הן הנקבים שבאופן‬,)‫(בלעז‬ )‫ שקורין 'רייש' (בלעז‬,‫התחובים מגביהן לחישוקיהן‬. Quelle: Mgketer Application, 1994. 154 Vgl. Grossman / Arend / Derovan: "Kara", S. 784. 155 Dies veranschaulichen Beispiele aus dem Vortrag von Prof. Jordan S. Penkower "Rashi's Additions and Corrections to his Commentary on the Bible", der auf dem Workshop "From Theodulf to Rashi" (September 2011 an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg) Textstücke als "Rashi's" Überarbeitungen präsentierte, die jedoch als Kommentar Karas eingeordnet und im Kara-­Projekt zu Tere Asar aufgearbeitet werden. Ich danke hierzu Prof. Hanna Liss und Anette Adelmann M.A. für die Auskunft.

5.2.  Kara und Rashbam

55

MS New York L778.156 Sowohl Kara als auch Rashi zitieren in den angegebenen MSS viel aus der Traditionsliteratur,157 v. a. aus dem Midrash, was als Parallele zwischen Kara und Rashi festzuhalten ist.158 Neben dem Problem von etwaiger Überarbeitungen bzw. Eintragungen Karas in Rashis Kommentar bleibt jedoch festzuhalten, dass Kara durchaus auch unabhängig von Rashi kommentiert, was bspw. bei den Kommentar-­Fasssungen in MSS Berlin 1221 und London 22413 der Fall ist, sowie insgesamt für Karas Auslegungen gilt.159

5.2. Kara und Rashbam Auch wenn Kara älter als Rashis Enkel Rashbam ist und eine Einflussnahme Rashbams auf Kara fast unmöglich erscheint,160 kann Kara in Bezug auf die Aus156 Vgl. Kapitel "Vergleich der Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut," S. 209. 157 Anders als bspw. Jacobs dies beschreibt, verwendet Kara eben doch, wie Rashi, viel Traditionsliteratur zur Texterklärung des Buches Rut. "Rashi succeeded in combining peshat-­based commentary with a wealth of midrashic interpretations. But his diciples, Kara and Rashbam, meticulously avoided using external data in their commentaries." Siehe Jacobs: "Rabbi Joseph Kara as an Exegete of Biblical Narrative", S. 79. 158 Es könnte vermutet werden, dass es sich bei MS Zürich Or 157, welches die meisten Midrashim unter den Kommentar-­Fassungen wiedergibt, um einen Rashi-­ Kommentar handelt und es daher nicht als "Kara-­Kommentar" bearbeitet werden müsse. Jedoch schreibt MS Zürich Or 157 seinen betreffenden Kommentar namentlich Kara zu. Außerdem wird im zu MS Zürich Or 157 vergleichbaren MS Oxford 52 wortwörtlich postuliert, es handele sich bei diesem Kommentar nicht um Rashis: Unter der Überschrift mit zweiter Hand steht ‫" ספר רות איננו פירוש רשי‬Buch Rut, dies ist nicht die Auslegung Rashis". Auch wenn "‫ "איננו פירוש רשי‬mit sekundärer Hand geschrieben ist, ist diese Angabe als Argument ernstzunehmen. 159 "Vielmehr ergiebt ein Vergleich der in Betracht kommenden Schriften, dass Kara in den meisten seiner Kommentare selbstständig, jedenfalls nur mit geringer Benutzung der von Raschi ihm vorliegenden verfahren ist, so in den Kommentaren zu […] Ruth […] Immer aber sind seine Arbeiten selbstständig genug, um neben denen Raschis gelesen und geschätzt zu werden. Selbst wo er von Raschi abhängig ist und auch da, [...] wo sie ihm zu weitläufig erscheinen, führt sie weiter aus, wo sie dessen bedürfen oder er gerne verweilt, streicht viele Erklärungen ganz, wie er auch neue hinzufügt, und weist für falsch gehaltene zurück, selten mit Nennung des Namens Raschis, in der Regel nur so, dass er, ohne den Namen desselben zu nennen, den Erklärungen Raschis die seinige als die richtige an die Seite stellt…" Siehe Littmann, Josef ben Simeon Kara als Schrifterklärer 1887, S. 9–11 f. 160 Vgl. Japhet, Sarah: "The Nature and Distribution of Medieval Compilatory Commentaries in the Light of Rabbi Joseph Kara’s Commentary on the book of Job". In:

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5. Rashi

legungsart als Bindeglied zwischen Rashis und Rashbams Bibelkommentierung bezeichnet werden. In den Auslegungen von Kara und Rashbam lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschieden feststellen. Beide legen ihr Hauptaugenmerk auf die literarische Interpretation des biblischen Textes. Auch finden sich Hinweise auf Doppelungen, Vorwegnahmen von Informationen über den Erzählverlauf und antichristliche Polemik in ihren Auslegungen.161 Dagegen sind als Unterschiede zwischen Karas und Rashbams Texterklärungen die Bezugnahme auf Rashis Kommentare und die Verwendung von Midrashim festzuhalten: Während Kara sich kaum gegen Rash ausspricht, tut dies Rashbam stellenweise mit großer Vehemenz.162 Sowohl Kara als auch Rashbam verwenden den Terminus ‫כפל‬ zur Texterklärung,163 wobei fraglich ist, wer als erster dieses “Auslegungsprinzip” anwandte.164

Fishbane, Michael (Hrsg.): The Midrashic Imagination. Jewish Exegesis, Thought, and History. State University of New York Press: Albany, NY 1993, S. 102, anders jedoch Littmann, der Kara so alt sein lässt wie Rashbam: "Wir werden wohl nicht fehlgehen, wenn wir ihn [Kara] in dieselbe Zeit mit Raschbam setzen und danach annehmen, dass er beim Tode Raschis im Alter von 20–30 Jahren gestanden habe." Siehe Littmann, Josef ben Simeon Kara als Schrifterklärer 1887, S. 4. 161 Antichristliche Polemik kann ich in den vorliegenden Kommentar-­Fassungen nicht erkennen. Dazu wird in der Forschungsliteratur geäußert, dass antichristliche Polemik in Kommentaren sehr gut verborgen sei und sich auch daher die Verwendung des Midrash herleiten lasse (sozusagen als "Verpackung" vor christlicher Zensur). Noch heutzutage werden laut Grossman Karas Ausführungen in zeitgenössichen Polemiken verwendet, um die Begründung christlicher Theologien aufgrund der Hebräischen Bibel abzuweisen. Vgl. Grossman / Arend / Derovan: "Kara", S. 784. 162 Z.B. Rashbam zu Gen. 37,2, wo von Diskussionen mit Rashi berichtet wird und Rashbam auf mögliche Veränderungen des peshat hinweist. Auch in MS Hamburg hebr. 32 zu Rut 1,1 spricht sich Rashbam gegen Rashi aus, vgl. Anm. 996, S. 385. 163 "‫ כפל מילה‬bezeichnet bei Kara, der den Ausdruck im Buche Job sehr häufig anwendet, die syntaktische Regel, dass in parallelen Satzteilen verschiedene Ausdrücke zur Benennung desselben Begriffes dienen. Samuel b. Meir hat dafür den Ausdruck ‫כפל‬ ‫לשון‬, braucht denselben auch in gleichem Sinne, allerdings auch schon als Kunstwort für die 'aufschiebende Gliederung'." Siehe Littmann, Josef ben Simeon Kara als Schrifterklärer 1887, S. 19. 164 Grossman führt dies darauf zurück, dass die Auslegungen zum Bibeltext wohl auswendig zusammen mit dem Kommentar weitergegeben wurden, vgl. Grossman: Early Sages of France 2001, S. 321. Anders argumentiert Harris, der darauf hinweist, dass Kara das "Doppelungsprinzip" nicht als solches vor Augen hat: "Contrary to what might be expected, the commentaries of Rabbi Joseph Kara do not seem to reflect an awareness of parallelism." Siehe Harris, Robert A.: Discerning Parallelism.

5.2.  Kara und Rashbam

57

Zur literarischen Interpretation des biblischen Textes gehört auch die Interpretation von Angaben, die im Erzählverlauf redundant erscheinen, sozusagen als “erklärende Aussagen” (“principle of anticipation”, s. u.). Dies ist nicht zu verwechseln mit dem “klassischen Prinzip,” das aus der rabbinischen Exegese bekannt ist und das redundante Bibelverse für sich selbst als wichtige Angaben für den Erzählverlauf versteht. Erklärende Angaben setzen vielmehr einen schwierigeren, noch kommenden Vers voraus.165 Mit dieser Darstellung einer angenommenen Vorwegnahme wird weiterhin deutlich, dass Kara und Rashbam den Aufbau des Textes als literarisches Gefüge betrachten, wobei sie den Bibeltext im Hinblick auf kompositorische Aspekte untersuchen. Somit wird auch hier das Interesse am Bibeltext als in gewisser Weise schriftstellerisches Werk deutlich.166 Rashbam geht eigene Wege in seiner Exegese, die im Vergleich zu Kara mehr grammatisches Interesse zeigt. Außerdem ist für Rashbams Auslegungen festzuhalten, dass er midrashische Auslegungen weit weniger verwendet als Kara.167 Des Weiteren A Study in Northern French Medieval Jewish Biblical Exegesis. (Brown Judaic Studies 341). Brown Judaic Studies: Providence, R.I. 2004, S. 49–53, hier S. 49. 165 "Among others, Kara and Rashbam used the 'principle of anicipation' as an exegetical device for resolving difficulties. The difference between anticipatory verses and 'classic' expository verses is the relationship between the preliminary verses and the subsequent verses: in the case of expository verses, the preliminary verse does not resolve any future difficulty; rather, it provides important data for the developing plot. In contrast, the principle of anticipation states that there is an apparently superfluous preliminary verse and an apparently difficult later verse, and the difficulty in the later verse is resolved through the data that appear in the preliminary verse." Siehe Jacobs: "Rabbi Joseph Kara as an Exegete of Biblical Narrative", S. 79 [Hervorhebung IL-­B]. Auf diese "exegetische Regel" hat schon Berliner hingewiesen: "Eine andere exegetische Regel […] wiederholt Kara häufig, dass nämlich oft im Voraus gewisse Umstände näher angegeben werden. Vgl. Kara zu […] Rut 1, 22." Siehe Berliner: "Zur Schrift-­Exegese Joseph Kara's", S. 23 f. Veranschaulichung dieses Prinzips und Verwendung durch Kara, aber v. a. auch durch Rashi und Rashbam, vgl. Kapitel "‫"ההקדמה‬. In: Touitou, Elazar: Exegesis in Perpetual Motion. Studies in the Pentateuchal Commentary of Rabbi Samuel Ben Meir. 2. Aufl. Bar-­Ilan University Press: Ramat Gan 2005, S. 146 ff. 166 "Rashbam is the best Jewish representative of the 12th-­century Renaissance. He seems somehow to have acquired a solid grounding in literature and perhaps even in philosophy, which allowed him, for example, to develop the concept of a concentric literary structure for the Pentateuch […]" siehe Touitou: "Rashi and his School", S. 249 f. 167 "Was Raschi nicht mehr möglich gewesen, haben seine jüngeren Zeitgenossen ausgeführt. Samuel b. Meir verfolgt in seinem Kommentar zum Pentateuch mit vollem

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5. Rashi

nimmt Rashbam in seinen Texterklärungen noch mehr auf den peshat eines Verses Bezug als Kara.168 Verbindungen zwischen Kara und Rashbam lassen sich durch die beiderseitige Nennung in ihren Kommentaren herleiten. Insgesamt kann ein freundschaftliches Verhältnis zwischen beiden angenommen werden,169 das wohl auch auf ihr gemeinsames Interesse zurückgeführt werden kann, den peshat eines Verses zu ergründen und die Bibel als Literatur zu interpretieren.

5.3. Nennung Karas in anderen Kommentaren, Bezugnahme auf andere Kommentatoren in Karas Auslegungen Im Hinblick auf seine Zeitgenossen ist zu vermerken, dass Kara teilweise ähnlich wie seine “Kollegen” Rashi und Rashbam auslegt und in der Auslegung auf sie Bezug nimmt.170 Einerseits sind wörtliche Parallelen in anderen Kommentaren, Bewusstsein das Ziel einer ganz wortgetreuen, von jeder midraschischen Deutelei freien Exegese; von Josef Kara werden wir im Verlaufe unserer Arbeit noch darthun, wie entschieden er an vielen Stellen seiner Kommentare zu den Propheten dem Midrasch entgegentritt und alles zurückweist, was in den Worten nicht ausdrücklich enthalten ist, wenn er sich auch noch nicht zu der Folgerichtigkeit durchgerungen hat, die wir an seinem Freunde und Altersgenossen [Rashbam] bewundern. Aber während Samuel ben Meir sich neue Wege bahnt, selbstständig vorgeht und sich nur wenig an Raschi anlehnt, ist Kara mehr das, was Raschi seinen Arbeiten selbst gerne geworden wäre, ein treuer Umarbeiter des von diesem Gegebenen, der die midraschischen Stellen soweit als möglich beseitigt, der zwar nicht verabsäumt vieles in ganz neuer Form und geänderter Deutungsweise zu erklären, oft aber auch sich nicht scheut, ganze Stücke aus Raschi wörtlich in sein Werk aufzunehmen." Siehe Littmann, Josef ben Simeon Kara als Schrifterklärer 1887, S. 9. 168 Beispielsweise Rashbam zu Gen. 37,2 sowie zu Rut 1,1, s. o. "Gemeinsam ist beiden das Streben nach Zurückdrängung des Midrasch und das bewusste Befolgen bestimmt gefasster exegetischer Regeln. In der Erfassung des reinen Wortsinns gebührt der Vorzug Samuel b. Meir, in dem Aufsuchen der exegetischen Regeln wohl grösstenteils Kara." Siehe Littmann, Josef ben Simeon Kara als Schrifterklärer, S. 12. 169 "Samuel b. Meir nennt ihn [Kara] seinen Freund", Littmann, Josef ben Simeon Kara als Schrifterklärer, S. 12, vgl. auch Poznański: Fragments de l'exégèse biblique de Menahem bar Helbo 1904, S. 5. "Kara erwähnt Samuel b. Meirs Namen nur ein einziges Mal im Kommentar zu Job; auch hier würden wir geneigt sein, die betreffende Stelle mit Geiger für einen späteren Zusatz zu halten, da wir kaum Grund haben zu der Annahme, dass Samuel b. Meir den Jobkommentar gerade früher als Kara, alle übrigen, da Kara sie nicht kennt, später geschrieben habe." Siehe Littmann, Josef ben Simeon Kara als Schrifterklärer, S. 12. 170 S.o. Auch R. Josef Bekhor Shor zitiert ihn, vgl. Brin: Studies in the Biblical Exegesis of R. Joseph Qara 1990, S. 13.

5.3.  Nennung Karas in anderen Kommentaren

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die nicht Kara zugeschrieben werden, aber auch in seinen Auslegungen auftreten, auf gegenseitige Bezugnahmen oder “Einschreibungen” in Karas Kommentar oder in den Auslegungen anderer zurückzuführen.171 Parallelen in der Auslegung zu Rut sind bspw. auch zu Abraham Ibn Ezras Kommentar festzustellen. Hierbei ist bemerkenswert, dass in MS Vatican Urb. ebr. 20, das im Haupttext eine mit MS Berlin 1221 vergleichbare Kommentar-­Fassung enthält, in einer Randglosse auf Fol. 3r bzgl. Rut 2,17 auf Ibn Ezras Kommentar Bezug genommen wird.172 Auf eine punktuelle Ähnlichkeit von Karas und Ibn Ezras Kommentar geht Jacobs ein.173 Eventuell ist von einem direkten Kontakt zwischen Abraham Ibn Ezra und der nordfranzösischen Schule um Rashi in Troyes auszugehen. Gemeinsame Interessen bei der Textauslegung Karas und Ibn Ezras können auf jeden Fall verzeichnet werden, z. B. bzgl. piyyutim.174 Kara ist also durch verschiedene Bezüge zu anderen Auslegern gut in der nordfranzösischen Exegetenschule verankert. Auch sein Kommentar zeigt Eigenschaften der dort gepflegten Art der Bibelauslegung. So wollen wir uns nun seinen Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut zuwenden, die für die Textauslegung in 171 Vgl. Kapitel "Zuschreibung an Kara," S. 353 ff. 172 MS Vatican Biblioteca Apostolica Urb. ebr. 20, Fol. 3r, Randglosse: ‫כפי' אברהם בן‬ ‫עזרא‬. 173 Jacobs postuliert, dass Ibn Ezra zu Rut 1,22 mit Bezug auf Rut 2,8–9 ähnlich wie Kara kommentiert, vgl. Jacobs: "Rabbi Joseph Kara as an Exegete of Biblical Narrative", S. 78, Anm. 16. Bzgl. Ibn Ezras Kommentar zum Buch Rut vgl. Azcárraga Servert, María Josefa de: El comentario de Abraham Ibn Ezra al libro de Rut: Edición crítica, traducción y estudio introductorio. (Serie A, Literatura Hispano-­Hebrea 10). Consejo Superior de Investigaciones Científicas, Inst. de Lenguas y Culturas del Mediterráneo y de Oriente Próximo: Madrid 2008. 174 Die Vielfältigkeit von Ibn Ezras Forschungsfeldern kann hier nur angedeutet werden. "IBN EZRA, ABRAHAM BEN MEIR (1089–1164), one of the most important Jewish Bible exegetes; also a poet, composer of *piyyutim, grammarian, translator, philosopher, astronomer, and astrologer." Siehe Simon, Uriel / Jospe, Raphael: "Ibn Ezra, Abraham ben Meir". In: Encyclopaedia Judaica 9 (2007), S. 665. Die These, dass Kara ggf. im Zusammenhang von Ibn Ezras Ankunft und Abreise in Troyes von ihm und seinen Werken beeindruckt war, ihn etwa sogar begleitete, kann hier nur als Vermutung in den Raum gestellt und evtl. in einem anderen Rahmen genauer untersucht werden. Literatur zu Abraham ben Meir Ibn Ezra z. B. ‪Lancaster, Irene: Deconstructing the Bible: Abraham ibn Ezra's Introduction to the Torah. Routledge Curzon: London 2003; Sela, Shlomo: Abraham Ibn Ezra and the Rise of Medieval Hebrew Science. Brill: Leiden 2003, sowie Twersky, Isadore: Rabbi Abraham Ibn Ezra: Studies in the Writings of a Twelfth-­century Jewish Polymath. Harvard University Press: Cambridge, MA 1993.

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5. Rashi

diesem Gebiet beispielhaft sind. Dort vereinigen sich literarische Beobachtungen zum Textverlauf mit Zitaten aus der Traditionsliteratur, die auch in Rashis Kommentar aufgenommen sind. Durch die Zusammenstellung und Rezeption seiner Erklärungen wird Kara selbst zum Teil der Tradition, denn seine Kommentar-­ Fassungen führen die Auslegungsliteratur weiter.

6. Handschriftenbeschreibungen Es gibt ihn nicht, den einen und einzigen Kara-­Kommentar zum Buch Rut.175 MS London 22413176 und MS Zürich Or 157177 enthalten jeweils einen Kommentar, der namentlich Josef Kara zugeschrieben wird. Beide Versionen unterscheiden sich von dem Kommentar zum Buch Rut in MS Berlin 1221.178 Somit existieren drei Kommentar-­ Fassungen zum Buch Rut, für die R. Josef Kara als Urheber in Frage kommt. Im Folgenden werden die Grundhandschriften MS Berlin 1221, MS London 22413 und MS Zürich Or 157 beschrieben. Sie sind die Grundlage für die Edition. Weitere Manuskripte, die zu Berlin 1221 und Zürich Or 157 parallele Kommentare enthalten und in der Edition berücksichtigt sind, werden ebenfalls beschrieben.179 Nach den Manuskriptbeschreibungen werden im Schlussteil dieses Kapitels die drei Kommentar-­Fassungen zueinander in Beziehung gesetzt und ihre mögliche relative Chronologie diskutiert.

6.1. Vorbemerkungen zu den Handschriftenbeschreibungen In diesem Kapitel werden die Handschriften vorgestellt, die in der kritischen Edition wiedergegeben werden. Die Darstellung basiert auf folgendem Schema: • Signatur im betreffenden Katalog der besitzenden Bibliothek (sofern vorhanden), sowie die Mikrofilm-­Nr. des Institute of Microfilmed Hebrew Manuscripts, Jerusalem, Israel (IMHM).180 175 "It is clear […] that we do not possess one complete, authentic manuscript of Kara's commentary to the Latter Prophets and Hagiographa." Siehe Grossman: "School of Literal Jewish Exegesis in Northern France", S. 347. 176 Zuschreibung in MS London 22413 an R. Josef Kara am Beginn des Kommentars mit ‫( פרשת הקרא‬Fol. 71r, Randglosse, Zeile 1) sowie am Ende der Auslegungen mit den Worten '‫ פרישת רבי יוסף קרא ז'צ'ל‬auf Fol. 75r, Randglosse, Zeile 6–10: ‫חסלת מגילת‬ '‫רות פרישת רבי יוסף קרא ז'צ‬. Angaben bzgl. Karas Kommentar in MS London 22413 beziehen sich auf die dort befindliche "Randglosse." 177 Zuschreibung in MS Zürich Or 157 an R. Josef Kara in Überschrift an '‫רבי יוסף קרא ז'ל‬ "R. Josef Kara sel. A." auf Fol. 462 mit den Worten "‫פירוש מחמש מגילות לרבי יוסף קרא‬ ‫ "ז'ל' ספר רות‬und am Ende des Kommentars auf Fol. 469 ‫חסלת ספר רות לר' יוסף קרא‬. 178 Zur Zuschreibung von MS Berlin 1221 an Kara, s. u. Kapitel "Die drei Kara zugeschriebenen Kommentar-­Fassungen," S. 116. 179 Im Appendix finden sich Angaben zu weiteren MSS, die vergleichbare Kommentare zum Buch Rut enthalten wie die hier genannten Grundhandschriften. 180 Institute of Microfilmed Hebrew Manuscripts, abgekürzt aufgeführt als IMHM. F bezieht sich auf die dortige Bestellnummer des betreffenden Mikrofilms: aleph.nli.org.

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6. Handschriftenbeschreibungen

• Der in der vorliegenden Arbeit verwendete Name für das Manuskript. • Weitere Eigenschaften zur genaueren Darstellung des betreffenden Manuskripts.181 • Angaben zu den jeweiligen Kommentaren im betreffenden MS zum Buch Rut jeweils am Ende der Ausführungen. Die Reihenfolge der Handschriften richtet sich hier nach dem Alphabet, wobei jeweils die Grundhandschriften zu Beginn jeder Gruppe dargestellt werden.

6.2. MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Or. Fol. 1221 Katalogsignatur: Steinschneider Nr. 140. Fol. 1221;182 Erfurt 13;183 IMHM: F 10035. In der vorliegenden Arbeit wird auf das Manuskript der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Ms.or.fol.1221 mit “MS Berlin 1221” als Grundhandschrift verwiesen. • Mittlerweile ist MS Berlin 1221 auch online einsehbar.184

181

182

183 184

il/F/?func=file&file_name=find-­b&local_base=nnlmss, Suchrubrik "‫ "מספר סרט‬bzw. "Call no. Mss Film no." Grundlage ist hierfür die Prüfliste von Olszowy-­Schlanger, Judith: "Check list for observation and evaluation of Hebrew script". In: Instrumenta BwB 2, 2013, S. 1–8, abrufbar auf folgender Website: www.hebrewmanuscript.com/images/check-­listhebrew-­script-1.pdf (Zugriffsdatum: 22.03.2016). Siehe Steinschneider, Moritz (Hrsg.): Die Handschriften-­Verzeichnisse der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Verzeichnis der hebraeischen Handschriften. 2. Band. Zweite Abtheilung. Asher: Berlin 1897, S. 4, auch einsehbar auf folgender Website www.archive.org/ stream/diehandschriften0202preu#page/4/mode/2up (Zugriffsdatum: 22.03.2016). Die dortige Angabe "Qu. 514" könnte sich auf Berliners Aussage beziehen: "Cod. Berol Nr. 514, der hiesigen Königlichen Bibliothek gehörig, geschrieben in Salerno 1289, enthält den Raschi-­Commentar zum Pentateuch und zu den Megillot mit Ausnahme der Klagelieder, zu denen Kara's Commentar gegeben ist. Im ersten Capitel des Buches Rut sind mehrere Zusätze aus dem Midrasch." Siehe Berliner: "Zur Schrift-­Exegese Joseph Kara's", S. 25. In dieser Arbeit wird MS Berlin 1221 als Grundhandschrift einer Fassung des Kommentars Karas und nicht als Rashi-­Kommentar behandelt, vgl. Kapitel "Vergleich der Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut," S. 209. "Ms. Erfurt 13, bei Jaracz. S. 117 n. XXII u. XIV" siehe Steinschneider: Die Handschriften-­Verzeichnisse der Königlichen Bibliothek zu Berlin. 2. Bd. 1897, S. 4. Die Digitalisate sind einsehbar auf folgender Website: digital.staatsbibliothek-­berlin. de/dms/werkansicht/?PPN=PPN666097542&PHYSID=PHYS_0523 &USE=800 (Zugriffsdatum: 01.02.2016).

6.2.  MS Berlin, Staatsbibliothek – Preußischer Kulturbesitz, Or. Fol. 1221

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• Jahresangabe auf letzem Folio 264v, Col. 2, Zeile 5–7: “‫מתלמודו לכל זרעו’ מוסב‬ ’‫” על עמו’ לכ זרע עמו’ ח’ז’ק‬, • Dort glossenartige Hinzufügung mit zweiter Hand: “iis juxt 2 minore sup putationem i.c. An no Christi 1355.”185 • MS Berlin 1221 enthält 264 Folio mit Kommentaren zu fast allen Büchern der hebräischen Bibel, mit folgendem literarischen Aufriss: Fol. 1v-25v Genesis, Fol. 25v-52r Exodus, Fol. 52v-67r Leviticus, Fol. 67r83r Numeri, Fol. 83r-98r Deuteronomium, Fol. 98r-102r Josua, Fol. 102r106r Richter, Fol. 106r-115r Samuel, Fol. 115r-124v Könige, Fol. 124v-145v Jesaja, Fol. 146r-163v Hesekiel, Fol. 163v-173r Jeremia, Tere Asar, Zwölfprophetenbuch: Fol. 173r-177v Hosea, Fol. 177v-178r Joel, Fol. 178r-180v Amos, Fol. 180v-181r Obadja, Fol. 181r Jona, Fol. 181r-183r Micha, Fol. 183r-184r Nahum, Fol. 184r-185v Habakuk, Fol. 185v-186r Zefanja, Fol. 185v-186v Haggai, Fol. 186r-189v Sacharja, Fol. 189v-190v Malachi, Fol. 191r-211r Psalmen, Fol. 211r-222v Hiob, Fol. 222v-232v Sprüche, Fol. 233r-238r Daniel, Fol. 238r245r Ezra, Fol. 245v-251v Hohelied, Fol. 252r-259r Kohelet, Fol. 259r-261r Rut, Fol. 261r-262r Echa/Klagelieder, Fol. 263r-264v Ester. Text der Chroniken fehlt. • Die Paginierung auf Rectoseiten befindet sich jeweils in arabischen Ziffern oben links an den Folioaußenecken mit Bleistift und kann als sekundäre Hinzufügung betrachtet werden. • Besitzvermerk, sekundär, mit lateinischer Schrift und anderer Feder und Tinte eingefügt auf Fol. 264v, mit Jahresangabe, s. o. • Schrift vorwiegend ohne Vokalzeichen, kann als “ashkenasische Semikursive” sowie “bookhand calligraphic”186 bezeichnet werden. • Einzelne Überschriften sind abgehoben vom restlichen Text und stehen allein, wobei diese einzuordnen sind als “square calligraphic.”187 • Handschrift enthält ornamentale Buchstaben (nicht Masora Figurata).

185 1345 wurde verbessert zu 1355. Der gesamte hebräische Text der letzten Spalte lautet: ‫שפרשה ממנו מקינת סנהורי לפי' שנעשה קרוב למלכות והיה בכול ֯מ ֯מ מתלמודו לכל זרעו' מוסב על‬ '‫ לכל זרע עמו' ח'ז'ק‬/ '‫ עמו‬Dazu auch Steinschneider: Die Handschriften-­Verzeichnisse der Königlichen Bibliothek zu Berlin. 2. Bd. 1897, S. 4: "Das Endwort ‫ 'ח'ז'ק‬hat Jemand 115 "A. Christi 1355" berechnet!" Kolophon mit Jahresangabe siehe auch auf folgender Website: digital.staatsbibliothek-­berlin.de/dms/werkansicht/?PPN=PPN666097542 &PHY SID=PHYS_0534 (Zugriffsdatum: 22.03.2016). 186 Terminologie siehe Olszowy-­Schlanger: "Check list for observation and evaluation of Hebrew script", S. 2. 187 Terminologie siehe Olszowy-­Schlanger: "Check list for observation and evaluation of Hebrew script", S. 2.

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6. Handschriftenbeschreibungen

• An den Folio-­Außenseiten befinden sich Löcher, die wahrscheinlich von der Linierung zeugen.188 • Als Codex gebunden, mit sekundärem dunkelbraunen Stoffeinband, der mit einer Schnalle versehen ist. Innen sind die zwischen Einband und Buchdeckel befindlichen Seiten mit bunt-­marmoriertem Papier im Stil der 1980er Jahre beklebt (Vorsatz). • Der heutige Einband besteht aus hellgrau-­bräunlichem Stoff, der Rücken des Codex enthält heute die Signatur “Erfurter ebranische XIII”, Besitzvermerk durch Stempel auf zweiter Seite. • Das Material ist Pergament. • Tinte ist dunkelbraun/schwarz. 264 nummerierte Folio, d. h. sekundäre Seitennummerierung mit Bleistift ab Fol. 1r. • Allgemein ist der Text im MS dreispaltig angeordnet, teilweise aber auch einund zweispaltig aufgeteilt. Außer den Spalten, in denen der Text aufgeteilt ist, ist keine regulär geschriebene Schrift am Blattrand angeordnet. Hinzufügungen befinden sich nur stellenweisen am Rand (z. B. Fol. 1v neben Zeile 22). • Text ist auf Hebräisch, beginnend mit ausgewiesenem Rashi-­Kommentar als Fließtext ohne eigens abgehobenen Bibeltext. Masoretische Angaben sind nicht einzeln abgesetzt und Punktierung eigentlich gar nicht vorhanden. • Sorgfältig geschrieben, stellenweise mit sekundären Hinzufügungen versehen, die von anderer Hand stammen und hebräische sowie lateinische Buchstaben beinhalten. Lateinische Schrift in Bleistift und Tinte. Zeilenmarker, Hilfslinie für Schreiber sichtbar, u. U. mit Bleistift gezogen; der Text auf den ersten Folien ist unterhalb der Zeilenmarkierungen daran ausgerichtet. Hinweise auf Masora Parva bzw. Masora Magna sind nicht hervorgehoben, wenn, dann im Fließtext ausformuliert. • Anfangs- (Fol. 1–2) und Endfolio zeigen Abnutzung, wahrscheinlich durch Wasser. • Die Buchstaben ‫ א‬und ‫ יו‬sind oftmals schwer auseinanderzuhalten. • Zeilenfüller in MS Berlin 1221 im Kommentar zum Buch Rut: • Fol. 259v, Zeile 19–20 zu Rut 2,9: Zeile 19, Ende: ‫וה‬, Zeile 20 weitergeführt mit ‫והלכת‬ • Zu Rut 2,11: ‫ לאי‬mit folgendem Wort ‫ לאיש‬auf nächster Zeile. • Zu Rut 2,15: ‫ ’תשי‬mit folgendem Wort ‫תשיבו‬. 188 Löcher im Pergament sind vorhanden, z. B. Folio 4r zwischen 2. und 3. Spalte, daher auch auf Fol. 4v zwischen 1. und 2. Spalte, die aber schon auf dem ursprünglichen Pergament vorhanden waren und evtl. von der Herstellung stammen, so dass dies bei der Beschriftung der Seiten berücksichtigt werden konnte und nachträglich keine Buchstaben verloren gingen.

6.2.  MS Berlin, Staatsbibliothek – Preußischer Kulturbesitz, Or. Fol. 1221

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• Beginn der Parashen in der Tora ist jeweils großgeschrieben, innerhalb des Textes erstreckt sich das jeweilige Anfangswort dann über zwei Zeilen. • Auf der ersten Seite recto, nach Einband mit schwarzer Tinte, befindet sich geschwungene lateinische Schreibschrift mit folgendem Vermerk: “Cod. Erf XIII”, darunter (noch im oberen Drittel der Seite) “Aktz.10984”. Unten, mittig, steht Ms. or fol. 1221, was als sekundäre Hinzufügung gelten kann. Heutige nächste “Seite” ist ein Zwischenpapier, bleistiftbeschrieben mit “XIII”. • Das nächste Folio enthält einen Knick im oberen Fünftel der Seite, wo eine Zeile mit hebräischer Schrift geschrieben ist. Da die Schrift unter dem Knick “versteckt” ist, ist diese nicht mehr lesbar. Ein roter Stempel befindet sich auf diesem Folio, zu lesen “Ex Biblith.Regia Berlinenß.” An der unteren Randseite befindet sich eine Zeile mit “Buchstabentest”, der im Vergleich zur anderen Schrift verblichen ist. Zu lesen ist dort: ‫אבגדהוזחט‬. • Der Kommentar zum Buch Rut befindet sich auf Fol. 259r, Col. 1-Fol. 261r, Col. 1. • Auf den Kommentar zum Buch Rut folgt der Kommentar zu Ekha. • Überschrift ‫ איכה‬erstreckt sich über drei Zeilen (Fol. 261r, Col. 1, Zeile 6–8) und beginnt als “Fließtext” auf Zeile 10.

6.2.1. Relation zu anderen Manuskripten • MS Berlin 1221 weist Unterschiede zu MS Prag XVIII F 6 sowie MS Vatican 18 auf, enthält keine Kommentare zu Rut 1,4–7. • In MS Vatican 18 wechselt nach dem Kommentar zum Buch Rut 1,3 die Handschrift. Dort endet ebenfalls der zu MS Berlin 1221 mögliche Vergleich des Textes, da dieser nicht mehr parallel verläuft, sondern andere Ausführungen enthält.189 • Gerade der Teil Rut 1,4–7 wäre aussagekräftig bzgl. der Zusammenstellung der (mind.) zwei Teile von MS Vatican 18 (Rut 1,1–6; Rut 1,7–13). Rut 1,7 wird als Referenz in der Erklärung zu Rut 1,16 zitiert (Fol. 259r, Col. 3; Zeile 13). • Im Vergleich zu MS Prag XVIII F 6 ist in MS Berlin 1221 auf Fol. 259r, Col. 2; Zeile 12–14 eine Ergänzung eingefügt.

189 Zum Text sowie die ausführliche Edition des Glossenkommentars zum Buch Rut in MS Vatican 18 siehe Lederer, Ingeborg: "The Commentary on the Book of Ruth in the Hebrew Manuscript Vatican ebr. 18". In: Medieval Jewish Studies online 2,1, 2012, S. 1–28. http://www.medieval-­jewish-studies.com/Journal/Vol2/article01.html (Zugriffsdatum: 21.03.2016).

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6. Handschriftenbeschreibungen

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Ms.or.fol.1221, Fol. 259r

6.2.  MS Berlin, Staatsbibliothek – Preußischer Kulturbesitz, Or. Fol. 1221 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Ms.or.fol.1221, Fol. 260r

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6. Handschriftenbeschreibungen

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Ms.or.fol.1221, Fol. 261r

6.3.  MS Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. hebr. 32

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6.3. MS Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. hebr. 32 Katalogsignatur: Steinschneider Nr. 37. 32;190 IMHM: F 885. In der vorliegenden Arbeit wird das Manuskript der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Cod. hebr. 32 “MS Hamburg hebr. 32” genannt, in der Edition “H32”. • Die Entstehungszeit lässt sich durch die genannten Bibelexegeten ins 12. bzw. 13. Jahrhundert datieren.191 • Durch die Nennung von Rashi, Rashbam und Kara im Kommentar zu Rut kann der Herkunftsort der Erklärungen in deren Wirkungsraum Nordfrankreich verortet werden. Eine genaue Lokalisierung des MS selbst lässt sich aber nicht nachweisen. • Material ist Pergament.192 • Das Manuskript Hamburg hebr. 32 enthält insgesamt 165 Folio.193 • Alle Vorderseiten sind links oben mit arabischen und lateinischen Ziffern paginiert, teilweise wird eine weitere Ziffer hinzugefügt. Teilweise werden auch Parashennamen auf der Folio-­Oberseite vermerkt.

190 "(Uff. 20)", siehe Steinschneider, Moritz (Hrsg.): Catalog der hebräischen Handschriften in der Stadtbibliothek zu Hamburg und der sich anschliessenden in anderen Sprachen. Band 1. Hebräische Handschriften. Otto Meissner: Hamburg 1878, Nachdr. 1969, S. 8. 191 Jellinek zur Herkunft der in MS Hamburg hebr. 32 befindlichen Kommentare: "Sie stammen aus dem 11. und 12. Jahrhundert, ihr Vaterland ist Frankreich […]", siehe Jellinek: Commentarien zu Esther, Ruth und den Klageliedern 1855, S. VI. IMHM datiert ins 13. Jahrhundert, ebenso Walfish: "An Annotated Bibliography of Medieval Jewish Commentaries on the Book of Ruth in Print and in Manuscript", S. 257. 192 Siehe Steinschneider, Catalog der hebräischen Handschriften in der Stadtbibliothek zu Hamburg 1878, S. 8. 193 Die in der vorliegenden Arbeit verwendeten Folienangaben sind jene mit Tinte vorgenommenen lateinischen Blattzahlen, die wahrscheinlich von Uffenbach stammen. „Der Codex ist (wohl mehrfach) umgebunden worden und die Uffenbach'sche Zählung ist deshalb an verschiedenen Stellen unterbrochen.“ Dr. Hans-­Walter Stork, Handschriftenabteilung Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg danke ich für diesen Hinweis. Zwischenzeitlich ist der Codex mit Bleistiftfoliierung versehen, auf die in der vorliegenden Arbeit jedoch nicht Bezug genommen wird.

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6. Handschriftenbeschreibungen

• MS Hamburg hebr. 32 ist zu einem Codex zusammengebunden, dessen Folio heute nicht nach den Ziffern der Paginierung angeordnet sind. Vielmehr ist die Anordnung der Folien heute inhaltlich, nach Abfolge der biblischen Bücher.194 • Inhalt des Codex’ sind Kommentare zur Tora, den Megillot, Hiob und Haftarot. • Grundform (“Type”) kann bezeichnet werden als ashkenasisch.195 Des Weiteren als “bookhand informal.”196 • Am Ende eines Folio treten jedoch keine Kustoden auf, die z. B. auf das erste Wort der nächsten Seite verweisen könnten. • Auf der Vorder- und Rückseite eines Folio befinden sich jeweils zwei Kolumnen, alle sind streng rechtsbündig. Durch Füllungen am Zeilenende sollte wohl eine einheitliche Breite erreicht werden, jedoch sind die Kolumnen links nicht einheitlich abgeschlossen. • Zeilenfüller sind entweder Zeichen, die wie Buchstaben aussehen, oder Buchstaben, die den Anfang des folgenden Wortes in der nächsten Zeile bilden. Zur Vervollständigung einer Zeile werden auch Schluss-­Buchstaben am Zeilenende verlängert. • MS Hamburg hebr. 32 enthält an manchen Stellen Punktation von Wörtern, die aller Ansicht nach sekundären Charakters sind. • Eine vom Textkorpus unterschiedliche Schriftfarbe in marginalen Korrekturen weist zudem auf verschiedene Bearbeiter hin. • Auch im Kommentar zu Rut befinden sich solche marginalen Hinzufügungen am Rand. • Der Gottesname wird mit |‫ יי‬dargestellt, das Wort ‫ אלוהים‬wird ebenfalls nicht ausgeschrieben sondern mit ‫ אקיה‬abgekürzt. Dies ist auch bei der Hinzufügung eines Suffix’ der Fall. Befindet sich der Gottesname oder das Wort ‫ אקיה‬am Zeilenende, so wird die Zeile mit ||| abgeschlossen. • Der Kommentar zu Rut ist in ashkenasischer Schrift geschrieben und befindet sich auf sechs Folio, die recto paginiert sind. In arabischen gefolgt von lateinischen Zahlen stehen dort zwei Ziffern mit Tinte geschrieben (a), eine mit 194 "[…] einer der ältesten Codices in Hamburg; war falsch gebunden u. jetzt defect hinter f. 142, 145, 162", siehe Steinschneider, Catalog der hebräischen Handschriften in der Stadtbibliothek zu Hamburg 1878, S. 8. 195 Bzw. als ashkenasische Semi-­Kursive. Vgl. Fig.25 London, British Library MS Add. 18684, fol. 77v. "Ashkenazic Current Semi-­Cursive script, Nuremberg, 1391/2", in Beit-­Arié, Malachi: Hebrew Manuscripts of East and West. Towards a Comparative Codicology. (The Panizzi Lectures 1992). British Library: London 1993, S. 66. 196 Terminologie siehe Olszowy-­Schlanger: "Check list for observation and evaluation of Hebrew script", S. 2.

6.3.  MS Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. hebr. 32

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Bleistift (b): 83.LXXXV (a), 85 (b), weiter 84.XXXVI (a), 86 (b) sowie 69.LXXI (a) 87 (b).197 Die Seitenzahlen sind nicht fortlaufend. Hier zeigt sich, dass der Kommentar einmal nicht inhaltlich geordnet war und eine Vertauschung der Folio vorlag. • Der Kommentar zum Buch Rut folgt auf den Kommentar zu Shir ha-­Shirim bzw. auf das Hohelied. • Die Erklärungen zu Rut beginnen nach einer leeren Zeile in der Mitte auf Fol. 83r, Col. 1, Zeile 19 mit dem Wort ‫שפוט‬, das eineinhalbzeilig geschrieben ist und an das sich die erste (grammatische) Erklärung anschließt. Am Ende des Kommentars zum Buch Rut verjüngt sich der Text auf Fol. 69v ab Zeile 27 zu einem Kolophon. Darauf folgt der Kommentar zu Kohelet. • Der Kommentar zu Rut ist ein Kompilations-­Kommentar, der Erklärungen enthält, die den drei genannten nordfranzösischen Exegeten aus dem 12. Jahrhundert zugeschrieben werden. Diese Zuordnung geschieht durch die Nennung ihrer abgekürzten Namen, die ab den ersten Erklärungen zu Rut 1,1 auf Folio 83r, Coll. 1 auftreten: Rashi wird ‫( ר שלמה‬Zeile 34), Rashbam ‫ר שמ‬ (Zeile 25) und Kara ‫יוס‬ ‫( ר‬Zeile 31) genannt. Die Nennung dieser Ausleger wird oft durch ein Spatium vor und nach ihrem abgekürzten Namen im Text hervorgehoben. Innerhalb der Erklärungen von Kara wird Dunash Ben Labraṭ mit dem Verweis auf dessen Wörterbuch zitiert, auch auf R. Menahem Bar Ḥelbo wird verwiesen.

197 Die Ausführungen in der vorliegenden Arbeit beziehen sich auf die mit Tinte geschriebenen lateinischen Paginierungen.

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6. Handschriftenbeschreibungen

Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 83r [arabische Foliierung mit Tinte], heutige Foliierung mit Bleistift: Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 85r

6.3.  MS Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. hebr. 32

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Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 83v [arabische Foliierung mit Tinte], heutige Foliierung mit Bleistift: Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 85v

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6. Handschriftenbeschreibungen

Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 84r [arabische Foliierung mit Tinte], heutige Foliierung mit Bleistift: Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 86r

6.3.  MS Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. hebr. 32

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Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 84v [arabische Foliierung mit Tinte], heutige Foliierung mit Bleistift: Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 86v

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6. Handschriftenbeschreibungen

Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 69r [arabische Foliierung mit Tinte], heutige Foliierung mit Bleistift: Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 87r

6.3.  MS Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. hebr. 32

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Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 69v [arabische Foliierung mit Tinte], heutige Foliierung mit Bleistift: Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 87v

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6. Handschriftenbeschreibungen

6.4. MS Vatican, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. ebr. 18 Katalogsignatur: Cassuto 18 (ol. Palat.),198 Richler: Vat. ebr. 18;199 IMHM: F 8595. Auf dieses Manuskript Vat.ebr.18 der Biblioteca Apostolica Vaticana wird in der vorliegenden Arbeit mit “MS Vatican 18” Bezug genommen, in der Edition mit “V18”.200 • • • • •

Datierbar in 1273–1274.201 Das Material ist Pergament. Enthält 372 Folio.202 Das MS enthält Bibeltext, der in zwei Spalten angeordnet ist. Die Type des in der Mitte des Folio befindlichen Bibeltextes kann als ashkenasische, evtl. auch italienische Quadratschrift bezeichnet werden. • Der Kommentar zum Buch Rut befindet sich lediglich auf Fol. 336r als Randglosse und legt Rut 1,1–13 aus.203 • Auf Fol. 336r, auf dem sich der Beginn des Buches Rut befindet, ist der Bibeltext ebenfalls zweispaltig angeordnet, sowie ein sich über die ganze Länge des Blattes erstreckender Kommentar am Rand des Blattes. Dieser Kommentar ist 198 Siehe Cassuto, Humbertus (Hrsg.): Codices Vaticani Hebraici: Codices 1–115, Rom: Bybliotheca Vaticana, 1956, S. 22. 199 Siehe Richler, Benjamin (Hrsg.): Hebrew Manuscripts in the Vatican Library. Catalogue. Compiled by the Staff of the Institute of Microfilmed Hebrew Manuscripts, Jewish National and University Library, Jerusalem. Palaeographical and Codicological Descriptions Malachi Beit-­Arié in collaboration with Nurit Pasternak. Biblioteca Apostolica Vaticana: Città del Vaticano 2008, S. 12 f. "Kennicott 489. Palatine collection, Fondo Fuggeriana ebr. B." Siehe ebd., S. 13. 200 Literarischer Aufriss: "Pentateuch, Haftarot, Five Scrolls and Job." Siehe ebd., dort auch weitere Beschreibung. 201 Siehe Richler: Hebrew Manuscripts in the Vatican Library 2008, S. 12. 202 Siehe Richler: Hebrew Manuscripts in the Vatican Library 2008, S. 12. 203 "(f. 336–352v]) Megillot, seu quinque volumina. 1(ff. 336–338) Ruth […] (in marg. ext. f. 336) 1initium Commentarii in Ruth (1, 1–5), ubi Salomon Isaacides laudatur, inc. ‫ ; שפוט לש' פועל‬2 in Ruth 1, 7–13 (commentarius autem in vv. 8–11 deest in editionibus)." Siehe Cassuto: Codices Vaticani Hebraici 1956, S. 23. "Commentaries to the first chapter of Ruth were added in the margins; on Ruth i:i–­i:6 the commentary is the anonymous one beginning '‫שפוט לש‬ ‫ פועל‬that was edited from a Hamburg manuscript by A. Jellinek in his Commentarium zu Esther, Ruth und den Klageliedern (Leipzig 1855); on Ruth i:7-i:13 it is the expanded redaction of Rashi as edited by M. Zippor, ‫מהדורה מורחבת נוספת של פירוש‬ ‫ רש"י לרות וקטעי רות זוטא בשינויי נוסח‬. Sidra, viii (1992), pp. 99–118." Siehe Richler: Hebrew Manuscripts in the Vatican Library 2008, S. 12.

6.4.  MS Vatican, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. ebr. 18



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zweigeteilt, etwa in der Mitte des Textes ist eine Änderung in der Beschaffenheit der Schrift festzuhalten. Die Randglosse gliedert sich in zwei Teile, der Schriftstil beider Teile ist unterschiedlich. Beide können als “documentary informal” bezeichnet werden, wobei der obere Teil als ashkenasische Kursive, jedoch teilweise auch italienisch, der untere Teil als italienische Kursive bezeichnet werden kann,204 jedenfalls als Semi-­Kursive.205 Schriftart des Haupttextes auf Fol. 336r: ggf. zu bezeichnen als ashkenasische, teilw. gotische Quadratschrift.206 Schriftart der Randglosse auf Fol. 336r ist eine ashkenasische Semi-­Kursive207. Für den biblischen Text ist zu bemerken, dass sich die Buchstaben nach oben links hin orientieren. Für den ersten, “oberen” Teil des Kommentars ist eine gerade, im Vergleich zur Quadratschrift des biblischen Textes eher nach rechts geneigte Schrift auszumachen. Der zweite, “untere” Teil des Textes im Randkommentar ist im Vergleich zum vorhergehenden Teil des Kommentars noch stärker nach rechts geneigt. Das MS ist als Codex gebunden. Der zweispaltige biblische Text ist als Block angeordnet, der Kommentar auf Fol. 336r läuft zunächst beidseitig zusammen, woraufhin der größte Teil der Randglosse ebenfalls im Blockformat angeordnet ist. Am Ende der Seite, nach dem Ende des Bibeltext-­Blocks, erstreckt sich der Kommentar mit 8 Zeilen über ein Drittel der linken Breite des Blattes. Der Textblock, in dem sich der biblische Text befindet, ist über der rechten Spalte mit der Überschrift ‫ויהי בימי‬, zu übersetzen mit “und es war zu der Zeit” versehen, was die ersten Worte des biblischen Buches Rut wiedergibt. Die Buchstaben haben die Größe von zwei Zeilen (relativ zum übrigen Bibeltext), nach zweizeiligem Abstand folgt der weitere Text des Buches Rut. Über den großgeschriebenen ersten beiden Worten steht in lateinischer Schreibschrift “Ruth,” was als sekundärer Eintrag gewertet werden kann. Auf Fol. 338r be-

204 Terminologie siehe Olszowy-­Schlanger: "Check list for observation and evaluation of Hebrew script", S. 2. Ich danke Dr. Elodie Attia für diese Einordnung. 205 Siehe Richler: Hebrew Manuscripts in the Vatican Library 2008, S. 12. 206 Vgl. Fig. 22 London, British Library MS Add. 10456, fol. 144v. Ashkenazic 'Gothic' Square script, Germany 1348." Siehe Beit-­Arié: Hebrew Manuscripts of East and West 1993, S. 59. 207 Vgl. Fig. 23a "London, British Library MS Harley 5648, fol. 13v. Ashkenazic Semi-­ Cursive script, France or Germany, 1253/4." Siehe Beit-­Arié: Hebrew Manuscripts of East and West 1993, S. 60.

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6. Handschriftenbeschreibungen

ginnt der biblische Text des Hohelieds, wobei die Worte ebenfalls in zweizeiliger Größe gehalten sind. Dort ist zwischen dem Ende des Buches Rut und dem Anfang des Hohelieds in kursiver lateinischer Schrift “Canticum Canticorum” zu lesen, was ebenfalls als sekundär bezeichnet werden kann. Der biblische Text ist auf Fol. 336r-338r (ausgenommen der Buchüberschriften auf Fol. 336r und 338r) auf 29 Zeilen angeordnet. Die Zeilen sind in gleichmäßigem Abstand angeordnet, dies gilt sowohl für den biblischen Text als auch für den des Kommentars. Dabei entspricht die Höhe der beschriebenen Zeilen etwa der Höhe des Zeilenabstandes. Das gilt sowohl für den biblischen als auch den Kommentar-­Text relativ zum umgebenden Text. Die Größe der Buchstaben des Kommentartextes entspricht in etwa der halben Größe der Lettern des biblischen Textes. Der Abstand zwischen den Worten ist gleichmäßig, im biblischen Text etwas kleiner, im Kommentartext etwa so groß wie die Breite eines ‫“ ה‬He.” Die Abstände der Buchstaben innerhalb eines Wortes sind ebenfalls gleichmäßig, hierbei sind folgende Verhältnisse erkennbar: Im biblischen Text sind die Abstände zwischen den Buchstaben etwas kleiner, im Kommentartext etwa so groß wie die Breite des Buchstabens ‫“ ו‬Waw.” • Zwei bis drei Ansätze werden gebraucht, um einen Buchstaben des biblischen Textes zu schreiben, ein bis zwei für den Text des Kommentars. Einstiche für die Linienziehung des Bibeltextes sind an den Blattaußenseiten zu erkennen, wobei diese größer sind als einfache Löcher und schon fast kurzen Einschnitten gleichen. • Diese “Einkerbungen” sind in den Abständen der Zeilen des biblischen Textes vorhanden, wobei es teilweise durch Orientierung an den Einkerbungen an der Seite zu nicht gänzlich vertikaler Linienbeschreibung gekommen sein mag. • Die Anfänge jeder zweiten Zeile des Kommentars orientieren sich relativ zu den Zeilen des biblischen Textes, wobei die nicht sichtbaren Linien, auf denen der Text des Kommentars verläuft, zum linken Zeilenende hin etwas nach unten abfallen. Die Linienziehung selbst ist nicht sichtbar. Die Buchstaben des biblischen Textes richten sich wie folgt zur horizontalen Linie aus: • die oberen Teile der Buchstaben orientieren sich an einer horizontalen (nicht sichtbaren) Linie über dem Text. • die unteren Teile der Buchstaben “hängen” am oberen Teil der Buchstaben, ihre Basis neigt sich teilweise etwas nach links.

6.4.  MS Vatican, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. ebr. 18





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• Die vertikalen Linien der Buchstaben verlaufen etwas nach rechts (höchstens 30°). • Die Unterlängen der Buchstaben sind nicht lang, begeben sich fast nicht von der Basis weg (z. B. ‫ ק‬in ‫דבקה‬, Fol. 336r, Biblischer Text linke Spalte, Zeile 14, drittes Wort). • Die Oberlängen der Buchstaben betragen ca. die Hälfte des Korpus des Buchstabens und reichen merklich in den Zeilenzwischenraum hinein (z. B. ‫ ל‬in ‫תלכנה‬, Fol. 336r, Biblischer Text linke Spalte, Zeile 3, letztes Wort). Die Buchstaben des Textes im Randkommentar auf Fol. 336r richten sich wie folgt aus: • Die oberen Teile der Buchstaben orientieren sich an einer horizontalen (nicht sichtbaren) Linie über dem Text, wobei die Linien nicht allzu gerade sind. • Die unteren Teile der Buchstaben “hängen” am oberen Teil der Buchstaben, ihre Basis ist meist horizontal oder neigt sich etwas nach rechts, z. B. bei ‫פ‬ im ersten oder dritten Wort des Kommentars. • Die vertikalen Linien der Buchstaben verlaufen gerade nach unten. • Die Unterlängen der Buchstaben sind lang, mindestens 1/2 des Buchstabens, z. B. ‫ ך‬in ‫מלך‬, zweite Zeile, viertes Wort im Randkommentar. • Die Oberlängen der Buchstaben sind ebenfalls lang, ca. 1/2 bis 1/3 des Buchstabens, z. B. ‫ ל‬in ‫פועל‬, drittes Wort des Kommentars. Die horizontalen Linien am oberen und unteren Teil der Buchstaben des biblischen Texts sind meist horizontal, evtl. mit einer konvexen Tendenz. Im Kommentartext sind die horizontalen Linien ebenfalls meist horizontal, hier ist aber u. U. eine konkave Tendenz auszumachen. Die Breite der Buchstaben ist im biblischen Text dick, im ersten Teil des Kommentartextes ebenfalls dick, im zweiten Teil weniger breit. Nur wenige Ligaturen sind festzuhalten: Im biblischen Text keine, im Kommentartext bspw. ’‫ שנ‬in Zeile 34, drittes Wort. Worte enthalten keine Serifen. Im biblischen Text sind innerhalb der Linienziehung von Buchstaben kaum Treffpunkte auszumachen, im Kommentartext sind diese “Treffpunkte” im ersten, oberen Teil eher “rund” zulaufend (z. B. ‫ מ‬in ‫ מלוך‬zweite Zeile, drittes Wort im Randkommentar, Teile des ‫ א‬berühren sich dort nicht, laufen aber

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6. Handschriftenbeschreibungen

spitz aufeinander zu), im unteren Teil des Kommentars teilweise mit einem “Füßlein” (z. B. ‫ א‬in ‫)ותצא‬208. Buchstaben können größstenteils gut auseinandergehalten werden. Vokalisierung tritt im Bibeltext auf, Einteilung in Verse ist jeweils durch “Sof Pasuk” vorhanden, jedoch in Form einer kurzen Linie oberhalb eines Wortendes des jeweiligen Verses. Im Kommentartext ist keine Vokalisierung oder Akzentuierung vorhanden. Zeilenfüller sind lediglich im Kommentartext vorhanden, jedoch ist der Randkommentartext eher mit “Flatterrand” versehen, besonders im zweiten, unteren Teil. Der Kommentar zum Buch Rut in MS Vatican 18 enthält Erklärungen, die auch in Yalkut Shimoni zu finden sind. Parallelen zu Midrash, Yalkut Shimoni bzw. Rut Suta lassen sich herleiten. Zitate aus den Psalmen und Deuteronomium dienen ab Rut 1,8 (Zeile 75) zur Erklärung. Falls der Yalkut diesbezüglich als Quelle interpretiert werden wollte, müsste der Kommentar in MS Vatican 18 später als ins 13. Jahrhundert datiert werden, da der Yalkut ins 13. Jahrhundert datiert wird, MS Vatican 18 aber schon dieselben Erklärungen enthält. Durch die Datierung von MS Vatican 18 in 1273–1274 (s. o.) ist der Yalkut nicht unbedingt als Quelle anzunehmen.209

6.4.1. Zitierte Bibelstellen in MS Vatican 18 außerhalb Rut Zeile

Zitat

Bibelstelle

Anhaltspunkte

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'‫ליעק' ולישר‬ ֯ ‫יאמר‬ ֯ ‫ כעת‬Num. 23,23 Zukunftsbezug

81

‫ ֯ש ֯בעינו ֯ב ֯בקר חסדיך גו‬Ps. 90,14

85 86 f.

'‫ומשלם לשנאיו וגו‬ ֯ Dt. 7,10 ‫בליבי מעת דגנ֯ ם ותירושם רבו‬ ֯ ‫ נתתה שמחה‬Ps. 4,8

Zukunftsbezug "Vergeltung" (in der Zukunft) für böse Taten. Zeit der Ernte

208 "[…] feet (at the extremity of vertical downstrokes in aleph, gimel, tav)", siehe Olszowy-­Schlanger: "Check list for observation and evaluation of Hebrew script", S. 6. 209 Vgl. Kapitel "Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar," S. 390.

6.4.  MS Vatican, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. ebr. 18 Vat.ebr.18, Fol. 336r

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6. Handschriftenbeschreibungen

6.5. MS London, British Library, Add. 22,413 Katalogsignatur: Margoliouth Nr. 662;210 IMHM: F 5061. Herkunftsangabe: Süddeutschland (Nähe Bodensee), datiert mit 1322.211 Insges. 167 Fol.212 Machsor für Shavuot und Sukkot.213 Dieses Manuskript (c) The British Library Board Add. 22,413 wird in der vorliegenden Arbeit “MS London 22413” genannt. • • • •

MS London 22413 ist auf Pergament geschrieben. Die Tinte ist dunkelbraun. Der Zustand des erhaltenen MS ist gut. Das MS enthält zwei Spalten und Sorten von Text auf einem Folio: • Bibeltext jeweils zwei Drittel der Blattbreite umfassend und zur Codex-­ Innenseite hin ausgerichtet, mit Vokalzeichen, Verstrennungen (durch Beendigung mit Sof Pasuk) und Akzenten in ashkenasischer Quadratschrift.214 Des Weiteren ist eine Einteilung möglich als “square calligraphic”.215

210 Siehe Margoliouth, George: Catalogue of the Hebrew and Samaritan Manuscripts in the British Museum. Part 2. Published by the Trustees of the British Museum: London 1905, Nachdr. 1965, S. 285–288. 211 "Origin Germany, S. (area of Lake Constance) Date ca. 1322", siehe Beschreibung im Online-­Katalog des IMHM (Zugriffsdatum: 08.11.2013). IMHM datiert ins 14. Jahrhundert. "‫מאה י"ד‬," Zugriffsdatum: 08.11.2013. Späterer Besitzvermerk mit Jahresan­ gabe auf Fol. 1r "‫"קנין כספי יעקב דניאל בכמ' אברהם אולמו ז'ל‬, auf Fol. 167v: "‫נפלה עטרת‬ ‫) ובו ביום בא למנוחתו‬A.D. 1572 ( ‫'ראשינו בעוה פטירת א"א כמר שמחה ז'ל יו' א' יג' טבת שלב' לפק‬ ‫"כבוד וחיים ארוכים לכל ישראל שבק אמן‬. Siehe Margoliouth: Catalogue of the Hebrew and Samaritan Manuscripts in the British Museum 1905, Nachdr. 1965, S. 286 und 288. 212 Siehe Margoliouth: Catalogue of the Hebrew and Samaritan Manuscripts in the British Museum 1905, Nachdr. 1965, S. 285. 213 "A ‫ מחזור‬for ‫ שבועות‬and ‫ סכות‬according to the German rite, most of the poetial pieces being accompanied by Commentary. Ruth and Ecclesiates, with Joseph Ḳara's Commentary, are included." Siehe Margoliouth: Catalogue of the Hebrew and Samaritan Manuscripts in the British Museum 1905, Nachdr. 1965, S. 286. MS London 22413 ist als Ganzes der zweite Teil des dreiteiligen Machsor für Shavuot und Sukkot: "Tripartite Maḥzor of about 1320 (Budapest, Hungarian Academy of Sciences, Ms. A. 384, British Museum, Add. Ms. 22413, and Bodleian Library, Ms. Mich. 619)", siehe Narkiss, Bezalel, "Maḥzor". In: Encyclopaedia Judaica 13, S. 365. Literarischer Aufriss siehe ebd. 285–288. 214 Vgl. auch Angabe im Katalog des IMHM, wo ashkenasische Schrift angegeben wird. 215 Terminologie siehe Olszowy-­Schlanger: "Check list for observation and evaluation of Hebrew script", S. 2.

6.5.  MS London, British Library, Add. 22,413

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• Die ein Drittel der Seite umfassende schmalere Spalte enthält den Kommentar zum Text vorwiegend ohne Vokalzeichen und kann als “ashkenasische Semi-­Kursive” sowie “bookhand calligraphic”216 bezeichnet werden. Das MS ist zu einem Codex gebunden. Auf Seiten, auf denen kein neues biblisches Buch beginnt oder ein Wechsel zwischen den einzelnen Büchern stattfindet, umfasst der biblische Text 26 Zeilen217, der Kommentartext mindestens 50 Zeilen218. Die Zeilen sind in gleichmäßigem Abstand angeordnet, sowohl im Bibeltext als auch im Kommentartext. Dabei ist eine Zeile des biblischen Textes 1,5-mal so hoch wie der Text des Kommentars. Der Abstand zwischen den Wörtern ist weniger als die Breite eines ‫“ ה‬He”. Der Abstand zwischen den einzelnen Buchstaben innerhalb der Wörter entspricht etwa der Breite eines ‫“ ו‬Waw”. Der Text ist sorgfältg geschrieben. Zwei bis drei Ansätze werden für einen Buchstaben des biblischen Textes verwendet, ein bis zwei für den Text des Kommentars. Einstiche sind an den Blattinnenseiten für die Linierung des biblischen Textes zu erkennen. Horizontale Linierung ist nicht zu erkennen, vertikale für den Außenrand des biblischen Textes nur schwach zur Begrenzung des Blocksatzes (siehe z. B. Fol. 71r). Die Linien sind gleichmäßig gerade. Die Textausrichtung, d. h. die oberen Teile der Buchstaben, orientieren sich an einer horizontalen (nicht sichtbaren) Linie über dem Text. Die Breite der Buchstaben ist gleichmäßig. Die vertikalen Abwärtslinien der Buchstaben sind zueinander parallel. Die Oberlängen der Buchstaben sind parallel zu den Abwärtslinien innerhalb der Wörter. Die Abwärtslinien sind in etwa gleich lang wie die der Buchstabenkörper, die Unterlängen sind im biblischen Text kürzer, in etwa ein Drittel des Buchstabenkörpers, im Kommentartext so lang wie der Textkörper. Die Breite der Linien ist unterschiedlich.

216 Terminologie siehe ebd. 217 Biblischer Text mit 26 Zeilen z. B. auf Fol. 71v, 72r-­v, 73r-­v, 74r-­v. 218 Kommentartext mindestens 50 Zeilen z. B. auf Fol. 71v: 56 Zeilen, 72r: 55 Zeilen, 72v: 57 Zeilen, 73r: 54 Zeilen, 73v: 55 Zeilen, 74r: 52 Zeilen, 74v: 54 Zeilen.

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6. Handschriftenbeschreibungen

• Ligaturen bei den Buchstaben ‫ א‬und ‫ ל‬kommen im hebräischen Wort Elohim vor. • Die vertikalen Abwärtslinien sind gerade, wobei sie etwas nach links orientiert erscheinen. • Die horizontalen Teile der Basis eines Buchstabens sind gerade im Bibeltext, im Kommentartext ist eine konkave Tendenz auszumachen (z. B. bei ‫“ ב‬Bet” in ‫מוסב על‬, Fol. 71r, Kommentartext Zeile 17). • Die horizontalen Teile des oberen Teils eines Buchstabens sind ebenfalls gerade. • Die Verbindungspunkte von Federstrichen innerhalb eines Wortes sind meist kantig abgewinkelt im Bibeltext, im Kommentartext etwas runder. • Die Federstriche berühren sich. • Lemmata im Kommentar werden teilweise mit Doppelpunkten ausgezeichnet (z. B. Kommentartext auf Fol. 71r, Zeilen 6 und 7). • Buchstaben sind im Allgemeinen gleichmäßig geschrieben und können gut auseinander gehalten werden. • Vokale und Akzente im Kommentartext sind weniger vorhanden, außer bspw. die Punktierung des “La’az” auf Fol. 72v, Zeile 55). • Es gibt stellenweise am Zeilenende “Zeilenfüller,” wodurch die Zeilen eine einheitliche Breite erhalten, z. B. zu Rut 1,9 auf Fol. 71v, Zeile 19–20, am Ende der Zeile 19 ‫שר‬, was auf der nächsten Zeile mit ‫ שרצתה‬ausgeschrieben ist; oder zu Rut 2,19, Fol. 73r, Zeile 2–3, wo am Ende der zweiten Zeile ’‫במ‬, auf der folgenden ‫ במקום‬steht. Diese Zeilenfüller werden in der Edition nicht wiedergegeben. • Auch gibt es Reclamanten, wie bspw. auf 71v ’‫יבמ‬, wobei die folgende Seite 72r mit ‫ יבמתך‬beginnt.

6.5.1. Der Kommentar zum Buch Rut in MS London 22413 • Der Kommentar zum Buch Rut befindet sich auf der jeweiligen Blattaußenseite, als Randglosse zum Bibeltext im MS London 22413.219

219 "[…] in small print in the margin of the text of the Book of Ruth; ascribed to Joseph Kara but different from Hübsch/Jellinek and Zentralbibliothek (Zurich) Or. 157;" siehe Walfish: "An Annotated Bibliography of Medieval Jewish Commentaries on the Book of Ruth in Print and in Manuscript", S. 257.

6.5.  MS London, British Library, Add. 22,413

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• Der Kommentar befindet sich auf Fol. 71r-75r und wird im Kolophon des Kommentars zu Rut explizit Kara zugeschrieben:220 ‫מעם יי’ אלהי ישר’ אשר באת‬ ’‫לחסות תחת כנפיו מיגן הוא לכל החוסים” חסלת מגילת רות פרישת רבי יוסף קמ’ קרא ז’ל‬ • Bemerkenswert ist die Illustration auf erstem Folio, das den Kommentar enthält, Kommentar als Marginal-­Text auf Außenseite der Folien angeordnet. Die in MS London 22413 enthaltene Kommentar-­Fassung ist nicht identisch mit jener in MS Zürich Or 157 oder MS Berlin 1221. Außerdem weist MS London 22413 eine andere Kommentar-­Formulierung als die Gruppe “Kurzer Kara-­ Kommentar” auf und kann ihr daher nicht zugeordnet werden. Inhaltliche Ähnlichkeiten zum MS Berlin 1221 sind jedoch zu beobachten.221 • Der Kommentar zum Buch Rut in MS Lonon 22413 ist die Grundlage, die Mikra’ot Gedolot ‘Haketer’ für Kara (“second version”) zu Rut verwendet.222

220 "The book of Ruth, with a Commentary ascribed to Joseph Kara (‫)פרישת הקרא‬, begins on fol. 71a. The references to ‫ ר' יוסף‬found in Jellinek, ‫פירושים על אסתר רות ואיכה‬ (Leipzig, 1855) are not supported by the present Commentary." Siehe Margoliouth: Catalogue of the Hebrew and Samaritan Manuscripts in the British Museum 1905, Nachdr. 1965, S. 286. 221 Zu nennen ist bspw. der Kommentar zu Rut 2,3 ff., wobei die inhaltliche Nähe mit der Verwendung der Worte ‫( דרך‬in MS London 22413) und ‫( מנהג‬in MS Berlin 1221) zu Rut 2,5 aufzuführen ist, da die genannten Begriffe vergleichbar sind. Als weiteres Beispiel der Parallelen zwischen MSS Berlin 1221 und London 22413 sei auf die Kommentierung zu Rut 2,14 verwiesen, wo die selben Wortwurzeln in der Auslegung aufgeführt (√‫ צבט‬wird mit √‫ ישט‬erklärt) und gleiche Belegstellen (mHag 3,1) zur Erklärung angebracht werden. 222 Diese Auskunft erhielt ich 2008 nach Rückfrage bzgl. Mgketer Application, 1994.

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6. Handschriftenbeschreibungen

(c) The British Library Board Add. 22,413 Fol. 71r

6.5.  MS London, British Library, Add. 22,413 (c) The British Library Board Add. 22,413 Fol. 75r

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6. Handschriftenbeschreibungen

(c) The British Library Board Add. 22,413, Fol. 71r

6.5.2. Bildbeschreibung der Darstellung in MS London 22413, Fol. 71r223 Auf der ersten Seite, die den Kommentar zum Buch Rut enthält, befindet sich eine farbig gemalte Darstellung, die als Drolerie bezeichnet werden kann.224 Das Bild ist auf blauem Bildhintergrund in Rottönen gehalten und zeigt eine Ernteszene. Acht Figuren befinden sich auf diesem Bild, das links und rechts von rot-­braunen Säulen mit Kopfvignetten gerahmt wird, unten von einem 223 Das Folio, das die Illuminierung, den Beginn des Bibeltextes zum Buch Rut sowie den dazugehörigen Beginn des Kommentars enthält, findet sich auf folgender Website: www.bl.uk/catalogues/illuminatedmanuscripts/ILLUMINBig. ASP?size=big&IllID=44756; das vergrößerte Bild ist zu finden auf www.bl.uk/ca­ talogues/illuminatedmanuscripts/ILLUMINBig.ASP?size=big&IllID=52842; eine Übersicht über andere illuminierte Folien findet sich am Ende der bereits genannten Website http://www.bl.uk/catalogues/illuminatedmanuscripts/record.asp?MSID=19 240&CollID=27&NStart=22413 (Zugriffsdatum: jeweils 08.11.2013). 224 Zum Begriff "Drolerie" vgl. Jakobi-­Mirwald, Christine: Buchmalerei. Terminologie in der Kunstgeschichte. 3. Aufl. Reimer: Berlin 2008, S. 106. Weitere zur Bildbeschreibung verwendete Begriffe vgl. ebd.

6.5.  MS London, British Library, Add. 22,413

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Rahmen in Form einer Bordüre und oben durch ein baldachinähnliches Dach abgegrenzt wird, welches aus vier Spitzbögen geformt ist. Innerhalb des Bildes ist die Hintergrundfarbe dunkelblau, wobei ein Farbverlauf von links (helleres Blau) nach rechts (dunkleres Blau) zu erkennen ist. Vor diesem Hintergrund befindet sich die Szene, die durch den Stamm eines “Blütenbaumes” geteilt wird. Blüten befinden sich dabei an den Spitzen der Äste, die sich v. a. im oberen Bildbereich (unter dem Baldachin) über die ganze Länge des Bildes mit insgesamt 20 Blüten erstrecken. Auch diese Blüten sind in Rottönen gehalten, wobei sie jeweils fünfblättrig sind. Die fünf äußeren Blütenblätter sind spitz zulaufend, in hellerem Rot gehalten. Diese Rahmen runde Blütenblätter, die in dunklerem Rot gehalten sind und die das gelbe Blüteninnere umgeben. Der “Blütenbaum” ist auf der linken Seite in hellem Grün (beige), auf der rechten Seite in dunklem Grün gehalten. Auf der rechten Seite steht in großen Buchstaben ‫ ויהי‬in olivgrüner Farbe, die Buchstaben sind dabei mit roter Farbe umrandet. In der unteren Hälfte des Bildes befinden sich die genannten acht Figuren: Fünf in der rechten, drei in der linken Bildhälfte. Vier dieser Figuren haben einen tierhaften Kopf (von links die erste, die vierte, fünfte und die achte). Charakteristisch für diese Figuren ist ihre ernsthafte Miene. Außer den zwei Figuren rechts und links außen sind alle mit der Getreideernte beschäftigt, bzw. mit Gerätschaften (wie Rechen, Sichel, Korb und Stock auf der rechten Seite, Dreschflegel sowie Korb links) ausgestattet. Garben und Ähren befinden sich in jedem Viertel des Bildes.225 Das Bild als Ganzes lässt sich auf den Inhalt des Buches Rut und seinen Kommentar beziehen: Alle Figuren befinden sich bei der Getreideernte. Manche Figuren tragen einen tierähnlichen Kopf.226 Der Kommentar wird illustriert durch kniende Figuren gegenüber einer stehenden Figur in roter Robe, die eine Sichel in der Hand hält. Diese Figur lässt sich auf Rut beziehen, und zwar einerseits durch die rote Robe, die sich auf das Königtum beziehen und mit dem Kommentar in Verbindung bringen lässt, dass von Rut das Königtum abstamme.227 Andererseits lässt sich die weibliche 225 Soweit zur Bildbeschreibung. Diese könnte evtl. in einem anderen Rahmen weiter ausgeführt werden. Angaben zur Bildansicht im Internet s. o. 226 Weiteres hierzu vgl. Buda, Zsofia: "Animals and Gazing at Women: Zoocephalic Figures in the Triparite Mahzor". In: Jaritz, Gerhard / Choyke, Alice (Hrsg.): Animal Diversities. (Medium Aevum Quotidianum Sonderband XVI). Gesellschaft zur Erforschung der materiellen Kultur des Mittelalters: Krems 2005, S. 137–164. 227 Vgl. Kommentar in MS London 22413 zu Rut 2,12: ‫משכור' שלימה בבעל עשיר ומיוחס‬ ‫" ובעל מלכות‬Dein Lohn sei dir vollständig vergolten in [Form] eines reichen Ehemannes und von vornehmer Herkunft, sowie einen Inhaber des Königtums"; sowie ebd.

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6. Handschriftenbeschreibungen

Figur in roter Robe durch den Kommentar auf Rut beziehen, wo ausgesagt wird, dass Rut anders als die anderen im Stehen erntet.228 Der Kommentar aus MS London 22413 zu Rut 2,14 scheint ebenfalls im Bild illustriert zu sein durch die Darstellung der zweiten Figur von links, die sich als Boaz interpretieren lässt und mit weit geöffneten Armen einen Korb mit zwei Händen an seinen Henkeln hochhält.229 Somit zeigt sich mit dem Bild zu Beginn des Kommentars zum Buch Rut in MS London 22413 eine Illustrierung sowohl des Inhaltes als auch des Kommentars zum Buch Rut.230

zu Rut 4,11: ‫" ועש' חיל' אין חיל אלא מלכות‬Und [er] tue Großartiges – [dies bezieht sich auf] nichts anderes Großartiges, als auf das Königtum." 228 Vgl. hierzu Kommentar in MS London 22413 zu Rut 2,14: ‫אצלו‬ ֯ ‫מצד הקוצרים הושיבה‬ ‫" מפני כבודה ולא נתן לה לישב יחידית על הארץ‬Zu der Seite der Schnitter – er setzte sie neben sich, wegen ihrer Ehre, und er gab ihr [nicht die Erlaubnis], alleine auf der Erde zu sitzen." Inhaltlich passt hierzu auch der Kommentar in MS Zürich Or 157 zu Rut 2,5 mit Hinweis auf bShab 113b: ‫ והיתה מלקטת עומרות מעומֿד ושוכבות מיושב שלא תשחה‬Und sie sammelte "[die] stehenden [Ähren] stehend [d. h. im Stehen] und [schon auf dem Boden] liegende [Ähren] sitzend" (bShab 113b), [d. h. im Sitzen], damit sie sich nicht bücken musste." 229 Vgl. MS London 22413 zu Rut 2,14 mit Hinweis auf mHag 3,1: ‫ויצבט' ויושט' כמ' בית‬ ‫" הצביטה‬Und er reichte dar – und er reichte es ihr dar, wie "Henkel" (mHag 3,1)." 230 Weiterführende Literatur zu MS London 22413 siehe auf folgenden Websi­ ten: http://www.bl.uk/catalogues/illuminatedmanuscripts/record.asp?MSID=1 9240&CollID=27&NStart=22413; http://www.bl.uk/catalogues/illuminatedma­ nuscripts/HebrewMss.asp; sowie http://britishlibrary.typepad.co.uk/digitisedma­ nuscripts/2012/02/hebrew-­illuminated-manuscripts-­online.html (Zugriffsdatum: jeweils 08.11.2013), sowie Epstein, Marc Michael: Dreams of Subversion in Medieval Jewish Art and Literature. Pennsylvania State University Press: University Park, Pa. 1997, S. 169 und 177; Hollender: Piyyut Commentary in Medieval Ashkenaz 2008, S. 36 ff. und S. 234; Sternthal, Michal: "Hebrew Illuminated Manuscripts in the Austrian National Library of Vienna". Abrufbar unter: http://cja.huji.ac.il/Publications/ NL15/NL15-vienna.html (Zugriffsdatum: 16.03.2016).

6.6.  MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157

93

6.6. MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157 Katalogsignatur: Prijs Nr. 53,231 IMHM: F 10402.232 Datiert in 1322.233 In der vorliegenden Arbeit wird auf dieses Manuskript der Zentralbibliothek Zürich, Ms Or 157 mit “MS Zürich Or 157” Bezug genommen. • MS Zürich Or 157 gut erhalten. • Der Beschreibstoff ist Pergament, die Abmessungen 15 cm (Höhe) x 11 cm (Breite).234 • Schriftart kann als “documentary informal” bezeichnet werden (wobei die Unterscheidung zu “bookhand” nicht eindeutig ist),235 weiter als italienische Semi-­Kursive,236 wobei die Einordnung als “Kursive” ebenfalls möglich ist.237

231 "Der Katalog mittelalterlicher Handschriften wäre nicht vollständig, wenn nicht zum wenigsten nach Signatur und Zeit der mittelalterlichen hebräischen Texte gedacht würde, die Joseph Prijs in seinem 1942 begonnenen und 1949 abgeschlossenen Katalog 'Die hebräischen Handschriften der Zentralbibliothek Zürich' beschrieben, gruppiert und laufend durchnumeriert hat. So gehören hieher [SIC]: […] aus der Abteilung V 'Talmud, Midrasch': Nr. 53 (Z Or 157 C) = 14.Jh." Siehe Mohlberg, Leo Cunibert: Katalog der Handschriften der Zentralbibliothek Zürich I. Mittelalterliche Handschriften. Berichthaus: Zürich 1951, S. XXIV. 232 Gelistet in Allony, Nehemya / Kupfer, Efraim: List of Photocopies in the Institute. Part II. Hebrew Manuscripts in the Libraries of Belgium, Denmark, the Netherlands, Spain and Switzerland. Rubin Mass: Jerusalem 1964, S. 109 (Nr. 1301–1302). Einige Seiten vorher befinden sich in MS Zürich Or 157 u. a. der Kommentar von R. Ibn Ezra, bearbeitet in der Edition von Azcárraga Servert: El comentario de Abraham Ibn Ezra al libro de Rut 2008, zu MS Zürich Or 157 siehe bes. S. CII. 233 "1322 ‫ "פ"ב‬Siehe Katalog IMHM, Zugriffsdatum 23.09.3013, so auch Walfish: "An Annotated Bibliography of Medieval Jewish Commentaries on the Book of Ruth in Print and in Manuscript", S. 256. Azcárraga Servert nennt "1321 y 1322", siehe Azcárraga Servert: El comentario de Abraham Ibn Ezra al libro de Rut 2008, S. CII. Angaben zum Kollophon: "'‫ "נשלם חמש מגילות על ידי מנחם בר אברהם זצ"ל בר‬:‫קולופון‬ ‫ בתוך‬461( "‫ "בשנת חמשת אלפים ושמונים ושנים לבריאת עולם‬,)77 '‫בנימן ע"ה בר' יחיאל נ"ע" (עמ‬ )‫העגול‬." Siehe Online-­Katalog des IMHM (Zugriffsdatum: 13.11.2013). 234 Dr. phil. Alexa Renggli, Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich, danke ich für diese Information. 235 Einteilung vgl. Olszowy-­Schlanger: "Check list for observation and evaluation of Hebrew script", S. 2. 236 "‫"איטלקית‬, siehe Online-­Katalog des IMHM (Zugriffsdatum: 13.11.2013). 237 Ich danke Dr. Elodie Attia für diese Information.

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6. Handschriftenbeschreibungen

• Das MS ist zu einem Codex gebunden.238 • Paginierung ist auf jeder Seite, d. h. sowohl Vorder- als auch Rückseite vorhanden, mit lateinischen Ziffern in der oberen Ecke.239 • Der Text ist als Fließtext im Blocksatz angeordnet und erstreckt sich über die ganze Seite. An beiden Seitenrändern sowie am oberen Rand ist gleich viel Platz, im unteren Seitenbereich unter dem Text ist etwa doppelt so viel Platz wie an den übrigen Rändern. • Der Kommentar zum Buch Rut beginnt auf Fol. 462 mit einem rahmenden Bogen, ähnlich eines Baldachinrahmens240, der ausgefüllt ist mit Formen und Zierleisten zwischen zwei begrenzenden Konturlinien mit Flächenornamenten, die in quadratischer Form nebeneinanderstehen: Am oberen Rand horizontal verlaufend “liegende” Herzchen (deren Spitze nach rechts zeigt), vertikal an beiden Rändern Zierleisten in Form von vierteiligen Blüten, die Blütenenden jeweils orientiert zu den Ecken einzelner Quadrate (auf beiden Seiten enthalten drei Quadrate die vierteilige Blütenform, wobei die linke Reihe durch die obere vertikale Leiste nach unten versetzt ist). Der Bogen des Baldachins ist in Form einer Muschel mit fünf Ausbuchtungen gefasst. Zwischen Zierleisten und Bogen sind Formen durch geschwungene Linien dargestellt, eine Zierleiste Herzchen in Bogenform umspannt den unteren Rand des Bogens. Unter dem Bogen steht die vierzeilige Überschrift “‫פירוש‬ ‫”מחמש מגילות לרבי’ יוסף קרא ז’ל’ ספר רות‬. Die obere Hälfte des rahmenden Darstellung wird über der Häfte des Blattes begrenzt von zwei Medaillons, die sich am oberen Ende zweier als “Säulen” dargestellen Umrandung des Textes bezeichnen lassen. Diese “Säulen,” die gestufte Formen aufweisen, rahmen den Text der Seite.241 Auf der weiteren Seiten, die den Kara zugeschriebenen Kommentar zum Buch Rut enthalten, sind keine Darstellungen vorhanden. • Auf Fol. 462 befinden sich sechs Zeilen fortlaufender Text, nach der Überschrift ist das Wort ‫ ויהי‬zu Beginn des Textes in eineinhalbzeiliger Größe (relativ zum Kommentartext) geschrieben, die ersten beiden Zeilen des Textblocks demnach etwas eingerückt.

238 Angaben des Kolophon gibt der Online-­Katalog des IMHM wieder, s. o., Anm. 233. 239 Die betreffenden Folioangaben bzgl. MS Zürich beziehen sich auf diese beidseitige Paginierung, die Angaben werden daher nicht in recto und verso unterschieden. 240 Bezeichnung siehe Jakobi-­Mirwald: Buchmalerei. Terminologie in der Kunstgeschichte 2008, S. 80. 241 Ähnlich der Darstellung eines "Stufenbandes", Bezeichnung siehe ebd., S. 98.

6.6.  MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157

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• Fol. 463 enthält 27 Zeilen, Fol. 464 und 465 dagegen 30 Zeilen, auf Fol. 466 und 467 sind 31 vorhanden, auf Fol. 468 sind es 33 und auf Fol. 469 noch 29  Zeilen, wobei die letzte Zeile dort die Zuschreibung an R. Josef Kara enthält: ’‫חסלת ספר רות לר’ יוסף קרא‬. • Die Zeilen sind in regelmäßigem Abstand angeordnet. Auf Fol. 462, also der ersten Seite, die den Kara zugeschriebenen Kommentar enthält, ist der Beginn des Kommentars in zweizeiligem Abstand dargestellt, d. h. größer als die Höhe einer beschriebenen Zeile. Auf den folgenden Seiten ist der Zeilenabstand geringer, so groß wie die Größe der Buchstaben einer beschriebenen Zeile. • Der Abstand zwischen Worten ist regelmäßig, etwas breiter als die Breite eines ‫“ ה‬He”. • Der Abstand zwischen Buchstaben innerhalb der Wörter ist ebenfalls regelmäßig, in etwa so breit wie der Buchstabe ‫“ ו‬Waw”. • Der Text ist sorgfältig geschrieben, wobei auf Fol. 463, Zeile 9 das zweite Wort “‫“( ”איל{א}(מ)לך‬Eli{ae}(m)elekh”) gestrichen ist und durch eine Hinzufügung am Rand korrigiert wird: “‫“( ”כל אלימלך‬soll heißen Elimelekh”). • Einstiche an den Rändern sind sichtbar, eine Linierung ebenfalls (besonders auf Fol. 463, m. E. Fleischseite, da Fol. 464 m. E. gut erkennbar Haarseite). • Alle Zeilen sind beschrieben. • Der Text “hängt” teilweise an der Zeile, teilweise ist er auf der Zeile geschrieben, z. B. Fol. 463, Linienziehung der ersten Zeile beim letzten Wort ‫לשופטים‬ über dem Wort, bei der zweiten Linie steht das letzte Wort der zweiten Zeile ‫ שופטיו‬auf der Linie. Weiter ist eine abwechselnde Orientierung erkennbar: In jeder zweiten Zeile befindet sich die Linie oberhalb des Textes, in jeder Zeile dazwischen steht der Text auf der Linie. Die Oberlinien erstrecken sich bei der Orientierung an der oberen Linie nach oben über die Linie, die Unterlinien erstrecken sich bei der Orientierung an der unteren Linie unter die Linie. • Die Linien sind gleichmäßig. • Die oberen, horizontalen Teile der Buchstaben sind meist parallel zur Linie (z. B. ‫ ד‬in ‫ על ידי‬auf Fol. 463, vierte Zeile, vorletztes Wort), jedoch teilweise auch nach rechts geneigt (z. B. ‫ ב‬in ‫ ובימי‬auf Fol. 463, fünfte Zeile, erstes Wort). • Die Basisteile der Wörter sind meist waagerecht (z. B. ‫ כ‬und ‫ ב‬in ‫ לכבודי‬auf Fol. 463, Zeile 21, drittes Wort), oft mit konvexer Tendenz (z. B. ‫ ב‬in ‫חשובים‬ Fol. 463, 13. Zeile, viertes Wort). • Die Breite der Buchstaben ist regelmäßig. • Die vertikalen Teile der Buchstaben sind parallel.

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6. Handschriftenbeschreibungen

• Oberlängen von Worten sind in etwas so lang wie der Buchstabenkorpus hoch (z. B. ‫ ל‬in ‫ לעשות‬Fol. 463, erste Zeile, drittes Wort), die Unterlinien ebenfalls (z. B. ‫“ ן‬Nun sofit” in ‫ראויין‬, Fol. 463, erste Zeile, zweites Wort). • Die Linien der Buchstaben sind breit, entspricht wohl der Breite des Kalamos. • Ligaturen sind vorhanden, zwischen ‫ א‬und ‫ל‬, z. B. ‫ אלא‬auf Fol. 463, 15. Zeile, sechstes Wort). • Der Buchstabe ‫ מ‬ist “zerbrochen”, wenn ein Wort abgekürzt wird (z. B. ‫ מ‬in /‫לומ‬ [Abkürzung für ‫ ]לומר‬auf Fol. 463, 10. Zeile, siebtes Wort). • Vertikale Abwärtslinien sind meist gerade (v. a. bei ‫ל‬, s. o.), manche indes nach rechts geneigt (z. B. bei ‫ ד‬in ‫ גדול‬auf Fol. 463 sechste Zeile, sechstes Wort oder ‫“ ר‬Resh”, Fol. 463, Zeile 10, erstes Wort, ca. 70°). • Zur Buchstabengestaltung s. o. in Bezug auf Linienziehung. • Serifen sind nicht vorhanden. • Verbindungspunkte innerhalb eines Wortes sind meist rund (z. B. in ‫השופטים‬ auf Fol. 463, zweite Zeile, viertes Wort), die Federstriche berühren sich. Beim Shin ist der mittlere Federstrich weit nach oben verschoben, z. B. ebd. • Beth und Kaph sind manchmal schwer auseinander zu halten (z. B. ‫ כ‬und ‫ב‬ in ‫ לכבודי‬auf Fol. 463, Zeile 21, drittes Wort), Dalet und Resch sind besser auseinander zu halten (z. B. in ‫ הדור‬auf Fol. 463, Zeile 11, drittes Wort). • Vokalisierungen und Akzente sind nicht vorhanden. • Es gibt kleine, kurze Striche, die einerseits als Apostroph für die Abkürzung von Worten dienen (z. B. ‫ ר’ ביבי‬auf Fol. 463, Zeile 18, dritter Buchstabe), andererseits in doppelter Form als Auslassungszeichen für den Hinweis auf eine Stellenangabe (z. B. ‫ ”במדרש” רות‬Fol. 463, Zeile neun, drittes und viertes Wort) verwendet werden. • Punktierung kommt so gut wie nicht vor. • Kommentar zum Buch Rut auf Folio 462–469. • Manche Schreibweisen deuten darauf hin, dass ein anderer Bibeltext zur Grundlage stand, als MT wie ihn Biblia Hebraica Stuttgartensia (BHS) wiedergibt, z. B. sind manche Partikel anders gefasst (vgl. Zürich Or 157 zu Rut 1,12–13: MT BHQ: ‫ ;עד אשר יגדלו‬MS Zürich Or 157: ‫עד שיגדלו‬. • Der Kommentar in MS Zürich Or 157 wird als alphabetisch an dritter Stelle stehende Grundschrift einer Kommentar-­Fassung Karas verwendet und wiedergegeben.242

242 "MS. Zentralbibliothek (Zurich) Or. 157 […] attributed to Joseph Kara." Siehe Walfish: "An Annotated Bibliography of Medieval Jewish Commentaries on the Book of Ruth in Print and in Manuscript", S. 256.

6.6.  MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157

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6.6.1. Verweise auf die “Traditionsliteratur” Der Ausdruck ’‫ דכת‬wird auch für Verweise auf den Talmud Jerushalmi verwendet, vgl. Fol. 467, Zeile 10 zu ‫זכותי תרד עמך‬. Viel wird aus RutRabba zitiert, jedoch werden auch Bibelstellen als Belege in der Auslegung verwendet.

6.6.2. Stil des Kommentars Der Kommentar im Allgemeinen ist in sich geschlossen. Er folgt dem Bibeltext chronologisch. Themen, die im Bibeltext selbst angelegt sind, werden zur Stelle besprochen. Die Auslegung ist textimmanent.

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6. Handschriftenbeschreibungen

Zentralbibliothek Zürich, Ms Or 157, Fol. 462

6.6.  MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157 Zentralbibliothek Zürich, Ms Or 157, Fol. 469

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6. Handschriftenbeschreibungen

6.7. MS Copenhagen, The Royal Library, Cod. Hebr. 35 Katalogsignatur: IMHM: F 5508.243 Zu datieren ins 16.–17. Jahrhundert.244 In der vorliegenden Arbeit wird auf das Manuskript The Royal Library, Copenhagen, Cod. Heb. 35 mit “MS Copenhagen 35” Bezug genommen, in der Edition mit “Cop 35”. • Der Beschreibstoff ist Papier, die Abmessungen 22,3 cm (Höhe) x 15 cm (Breite).245 • Von der Schrift her ist das MS zu datieren in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts.246 • Der Text ist als “Blocksatz” mit einer Spalte auf einer Seite geschrieben. • Die Seiten sind zweifach nummeriert: 29–36 und 13–19, jeweils auf der linken oberen Seite recto. • Schreibmaterial des MS ist Papier; sowohl die vertikalen als auch einige horizontale Linien sind zu erkennen (“chain-” und “lain-­lines”). • Die Tinte ist dunkelbraun bis schwarz. • Das MS ist gut erhalten. An den Rändern der Blätter, auf denen sich der Kommentar zum Buch Rut befindet, sind wenige Abnutzungen festzustellen (z. B. S. “36” untere Ecke). • Die Löcher an beiden Seiten, v. a. an der jeweiligen Blattaußenseite, lassen sich als Einstiche zur Linienziehung (“pricking”) interpretieren (s. u.). • Stil der Schrift könnte kategorisiert werden als “informal bookhand”.247 • Als Eigenschaft der Schrift ist eine Orientierung zur rechten Seite hin festzuhalten (s. u., bzgl. Buchstaben). • Grundform (“Type”) könnte evtl. als italienische Semi-­Kursive bezeichnet werden.248 243 Gelistet in Allony / Kupfer: List of Photocopies in the Institute. Part II. 1964, S. 20 (Nr. 47). 244 "16th–17th cent." Siehe Walfish: "An Annotated Bibliography of Medieval Jewish Commentaries on the Book of Ruth in Print and in Manuscript", S. 256. IMHM datiert ins 16.–17. Jahrhundert. "‫י"ז‬-‫"מאה ט"ז‬, siehe online Katalog IMHM (Zugriffsdatum: 08.11.2013). 245 Eva-­Maria Jansson, Det Kongelige Bibliotek Nationalbibliotek og Københavns Universitetsbibliotek, The Royal Library Copenhagen, danke ich für diese Information. 246 Ich danke Dr. Elodie Attia für diesen Hinweis. 247 Kategorie in Olszowy-­Schlanger: "Check list for observation and evaluation of Hebrew script", S. 2. 248 Vgl. Fig. 25 London, British Library MS Add. 18684, fol. 77v. "Ashkenazic Current Semi-­Cursive script, Nuremberg, 1391/2" in Beit-­Arié: Hebrew Manuscripts of East and West 1993, S. 66.

6.7.  MS Copenhagen, The Royal Library, Cod. Hebr. 35

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• Das MS ist als Buch gebunden. • Der Text erstreckt sich im Blocksatz über zwei Drittel der Seite incl. Kopfzeile und einem etwas höheren Fußbereich. • Die Orientierung des Textes im gebundenem Buch ergibt einen breiten Rand, evtl. war dieser ebenso breit auf dem unbeschnittenen Papier, bevor es gebunden wurde. • 33 Zeilen sind auf jeder Seite vorhanden, die den Kommentar zum Buch Rut enthalten, auf einigen ist eine 34. Zeile hinzugefügt (z. B. S. 33r mit nur einem Wort, oder S. 35r, wo mit 1,5 Zeilen-­Abstand unter dem Haupttext ein neuer Absatz begonnen wird). • Die Zeilen sind in gleichmäßigem Abstand angeordnet, die Höhe der beschriebenen Zeile entspricht etwa der Höhe des Zeilenabstandes. • Der Abstand zwischen den Wörtern ist regelmäßig in etwa der Breite des Buchstaben ‫“ ה‬He.” • Der Abstand zwischen den einzelnen Buchstaben innerhalb eines Wortes ist ebenso gleichmäßig, etwas weniger breit als ein ‫“ ו‬Waw.” • Eine Linienziehung ist nicht direkt sichtbar, dabei befinden sich besonders an den Rändern eines Blattes sichtbare Einstiche, die evtl. auch auf der Seite, die heute das gebundene Buchinnere bilden, vor der Bindung vorhanden waren, jedoch heute kaum noch sichtbar sind, in der heutigen Buchmitte. • Die Linien sind gleichmäßig gerade. • Die Textausrichtung orientiert sich an einer horizontalen Linie über dem Text. Diese Linienziehung ist nicht mehr im MS zu erkennen. • Die Breite der Buchstaben ist gleichmäßig. • Ligaturen sind für die Buchstaben ‫ א‬und ‫ ל‬vorhanden, wenn sie im Wort ‫אלקים‬ “Gott” vorkommen, ansonsten werden beide Buchstaben nebeneinander ausgeschrieben. • Bzgl. der Gestaltung der Buchstaben läßt sich eine Orientierung zur rechten Seite hin festhalten, bspw. ist das Waw im 75°-Winkel nach rechts gelehnt. • Die horizontalen Teile der Basis eines Buchstabens (z. B. ‫“ ב‬Bet” und ‫“ ע‬Ajin”) sind gerade. • Die horizontalen Teile des oberen Teils eines Buchstabens (z. B. ‫“ ד‬Dalet” und ‫ר‬ “Resh”) sind ebenfalls gerade, wobei eine konkave Tendenz (v. a. bei ‫“ ר‬Resh”) festzuhalten ist. • Die Buchstaben enthalten keine Serifen. • Der Verbindungspunkt von Federstrichen innerhalb eines Wortes ist meist abgewinkelt, mit Tenzenz zur Rundung. • Die Federstriche berühren sich.

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6. Handschriftenbeschreibungen

• Doppelstriche über Worten werden für die Bibelzitate verwendet. Auch zwischen Worten treten Doppelstriche auf, dort weisen sie ebenfalls auf direkt folgende Bibelzitate hin (z. B. S. 33, Zeile 3 nach viertem Wort). • Buchstaben sind im Allgemeinen gleichmäßig geschrieben, wobei die kursive Schreibweise sowieso Variationen birgt. • Buchstaben können gut auseinandergehalten werden (bspw. ‫“ ה‬He” und ‫“ ת‬Tet” in ‫ לביתה‬auf S. 33, Zeile 14, fünftes Wort). • Manche Buchstaben sind bei Abkürzungen “zerbrochen”, z. B. zu Rut 3,9 auf Fol. 17v, Zeile 11: ‫ מ‬in /’‫כמ‬. • Vokale und Akzente sind nicht vorhanden, auch keine weitere Punktierung. • Zeilenfüller sind vorhanden, so dass ein gleichmäßiger Blocksatz entsteht. • Der Kommentar zum Buch Rut befindet sich auf S. 15v-18v.249

6.7.1. Bemerkungen zum Text • ‫ פקד‬aus Rut 1,6 wird als ‫ זכר‬interpretiert, siehe S. 16r, Zeile 22–24. • Zu Rut 1,8 (…‫ )…שנעפלתם‬parallel zu RutR 2,14 und MS Vatican, Biblioteca Apostolica Vaticana, Urb. ebr. 20. • Manche Lemmata sind ausführlicher als in MS Zürich Or 157, z. B. zu Rut 2,17–19, wobei dort nur Teile aus den besagten Versen zitiert werden: • MT BHQ [in MS Copenhagen 35 genannte Lemmata werden unterstrichten]: • Rut 2,17: ‫ותלקט בשדה עד הערב ותחבט את אשר לקטה ויהי כאיפה שערים׃‬ • Rut 2,18: ‫ותשא ותבוא העיר ותרא חמותה את אשר לקטה ותוצא ותתן לה את אשר‬ ‫הותרה משבעה׃‬ • Rut 2,19: ‫ותאמר לה חמותה איפה לקטת היום ואנה עשית יהי מכירך ברוך ותגד לחמותה‬ ‫את אשר עשתה עמו ותאמר שם האיש אשר עשיתי עמו היום בעז׃‬ • MS Zürich Or 157 [Lemma Rut 1,19]: ‫יהי מכירך‬ • MS Copenhagen 35 [Lemmata aus Rut 1,17–19] : ‫ותלקט בשדה ותשא ותבא‬ ‫ותאמר לה יהי מכירך ברוך‬ • Hinweise auf Ḳere und Ketiv (z. B. zu Rut 3,5 auf 17v, Zeile 4) lassen darauf schließen, dass das Publikum den Bibeltext nicht (als MT) vor sich hatte. • Zu Rut 1,12 zitiert MS Copenhagen 35 wie MT BHQ, also defektiv: ‫שבנה בנתי‬ ‫לכן‬, dies ist anders als bspw. MS Zürich Or 157.

249 Vgl. auch Walfish: "An Annotated Bibliography of Medieval Jewish Commentaries on the Book of Ruth in Print and in Manuscript", S. 256.

6.7.  MS Copenhagen, The Royal Library, Cod. Hebr. 35 The Royal Library, Copenhagen, Cod. Heb. 35, S. 15v

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6. Handschriftenbeschreibungen

The Royal Library, Copenhagen, Cod. Heb. 35, S. 18v

6.8.  MS Oxford, Bodleian Library, Opp. Add. Qu. 52

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6.8. MS Oxford, Bodleian Library, Opp. Add. Qu. 52 Katalogsignatur: Neubauer Nr.  322.250 IMHM: F 17241. Datierbar ins 14. Jahrhundert,251 Kolophon mit Zuschreibung an den Schreiber Simcha.252 Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf dieses Manuskript von The Bodleian Libraries, University of Oxford, MS. Opp. Add. 4to. 52 mit “MS Oxford 52”, in der Edition wird dieses Manuskript “Ox 52” abgekürzt. • MS Oxford 52 ist auf Pergament geschrieben, bspw. auf Fol. 146r ist eine raue Struktur der Seite zu erkennen, wobei es sich wahrscheinlich um die Haarseite handelt. • MS Oxford 52 ist relativ gut erhalten, auf dem ersten Folio sind Flecken vorhanden, ggf. von Wasser.

250 Enthält nach dem Kommentar Rashis zu den Psalmen Erklärungen Karas zu Hiob sowie Rashis Ausführungen zu Proverbien. Des Weiteren "Fol. 105. Anonymous comm. on Ruth (Cat. Flor. 8vo, p. 367, xiii)." Außerdem Rashis Kommentar zum Hohelied, Karas Auslegungen zu Beginn der Klagelieder sowie Rashis ab Kohelet 10. Es folgt Rashi zu den Klageliedern, "Anonymous writer on Esther", zu Daniel zugeschrieben zu R. Sa'adyah sowie ein anonymer Schreiber zu Ezra. Siehe und vgl. Neubauer, Adolf: Catalogue of the Hebrew Manuscripts in the Bodleian Library and in the College Libraries of Oxford. (Catalogi Codd. Mss. Bibliothecae Bodleianae Pars XII). Clarendon Press: Oxford 1886, Sp. 64. Durch die Zusammenstellung von Kommentaren Karas und Rashis, v. a. zu Kohelet, ist eine Nähe dieser Ausleger nicht auszuschließen und bestärkt die Annahme, diesen Kommentar wie MS Zürich Or 157 als Kara-­Kommentar zu interpretieren. Auf den Eintrag im Katalog Neubauer nimmt May Bezug: "Found in several other MSS., where it is called ‫פרוש‬ ‫( אחר‬e.g. Rome, Angelica MS. Or. 72, Copenhagen Cod. Hebr. 35)." Siehe Beit-­Arié, Malachi (Comp.) / May, R. A. (Bearb.): Catalogue of the Hebrew Manuscripts in the Bodleian Library. Supplement of Addenda and Corrigenda To Vol. I (A. Neubauer's Catalogue). Clarendon Press: Oxford 1994, Sp. 48. 251 "[Italy, 14th cent.]; Italian semi-­cursive script." Siehe Beit-­Arié (Comp.) / May (Bearb.): Catalogue of the Hebrew Manuscripts in the Bodleian Library Vol. I. 1994, Sp. 48. Angaben auch im online-­Katalog IMHM: "Imprint ‫( "מאה י"ד […] איטלקית‬Zugriffsdatum: 08.11.2013). Auch Walfish gibt das 14. Jahrhundert an: "14th cent.; Italian." Siehe Walfish: "An Annotated Bibliography of Medieval Jewish Commentaries on the Book of Ruth in Print and in Manuscript", S. 256. 252 ")‫א‬133 ,‫ב‬120 ,‫א‬14( ‫השם "שמחה" מובלט פעמים אחדות‬." Siehe Online-­Katalog des IMHM (Zugriffsdatum: 16.10.2013). Vgl. auch Neubauer: Catalogue of the Hebrew Manuscripts in the Bodleian Library and in the College Libraries of Oxford, Sp. 65.

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6. Handschriftenbeschreibungen

• Schriftart kann als “bookhand calligraphic” kategorisiert werden.253 • Haupttext ist in ashkenasische [italienische] Semi-­Kursive gehalten, jedoch in einer etwas “runderen” Form, daher auch als “italienisch” zu vermerken.254 • Schrift sekundärer Hand: ‫( איננו פירוש רשי‬unter der Überschrift ‫ )ספר רות‬ähnlich dem Druckfont der “Rashi-­Schrift”, in italienischer oder sefardischer Kursive255, die von späterer Hand hinzugefügt wurde.256 • Der Text ist gleichmäßig jeweils in zwei Spalten angeordnet, die ca. 5 cm zur Blattaußenseite haben. • Das MS ist zu einem Codex gebunden. • Auf einem Folio befinden sich durchschnittlich 31 Zeilen. 31 Zeilen hätten auch auf Fol. 105r Platz, wo der Kommentar zum Buch Rut beginnt. Dort endet in Col. 1 der Kommentar zu Sprüchen, Überschrift ‫ ספר רות‬befindet sich auf Höhe der zweiten Zeile, der Kommentar beginnt auf Höhe von Zeile 6. Der Hinweis ‫ איננו פירוש רשי‬befindet sich auf Höhe von Zeile 4. • Es befinden sich keine Hinzufügungen an den Rändern, außer eine kleine Zeichnung auf Fol. 105v: The Bodleian Libraries, University of Oxford, MS. Opp. Add. 4to. 52, Fol. 105v

• Der Text ist gleichmäßig verteilt. • Linierung ist zu erahnen, jedoch nicht eindeutig erkennbar. • Der Abstand zwischen den Zeilen ist gleichmäßig, der Zeilenabstand beträgt in etwa die Höhe der Buchstabenkörper (ohne Ober- und Unterlängen). • Der Abstand zwischen den Wörtern ist gleichmäßig und beträgt in etwa die Breite des Buchstabens ‫“ ה‬He.” • Der Abstand zwischen den Buchstaben innerhalb der Wörter ist gleichmäßig, etwas weniger als die Breite des Buchstabens ‫“ ו‬Waw.” 253 Terminologie siehe Olszowy-­Schlanger: "Check list for observation and evaluation of Hebrew script", S. 2. 254 Ich danke Dr. Elodie Attia für diesen Hinweis. Vgl. auch Angaben oben. 255 Außerdem Einordnung als "documentary" möglich. Terminologie siehe Olszowy-­ Schlanger: "Check list for observation and evaluation of Hebrew script", S. 2. 256 Evtl. ist hierfür das 17. Jahrhundert zu nennen, ich danke Dr. Elodie Attia für diesen Hinweis.

6.8.  MS Oxford, Bodleian Library, Opp. Add. Qu. 52

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• Für das Schreiben eines Buchstabens werden ca. zwei Ansätze benötigt, außer bspw. für ein ‫“ ש‬Schin,” für das drei Ansätze verwendet werden. • Einstiche an den Blattaußenseiten sind zu erkennen, sie befinden sich in der Höhe der jeweiligen Zeile, wobei sich die Buchstaben nach oben hin zu der vermutlichen Linienführung orientieren. Die Linienführung ist nicht direkt erkennbar. • Der Text ist gleichmäßig und gerade angeordnet, die Buchstaben befinden sich alle auf einer Linie (auch wenn diese nicht direkt zu sehen ist, s. o.). • Die oberen, horizontalen Linien der Buchstaben sind parallel zur Kopfzeile. • Die unteren “Basislinien” der Buchstaben sind parallel zur Basis der Buchstaben, jedoch etwas nach links geneigt. • Vertikal nach unten verlaufende Linien der Buchstaben sind ein wenig nach links geneigt. • Die Breite der Buchstaben ist regelmäßig. • Vertikal nach unten verlaufende Linien der Buchstaben sind parallel zueinander. • Sowohl die Ober- als auch die Unterlinien verlaufen parallel zu den Abwärtslinien der Buchstaben. • Oberlängen sind ca. so lang wie die Buchstabenkörper, Unterlängen sind etwas kürzer und betragen in etwa die Hälfte der Länge der Buchstabenkörper. • Die Linienziehung der Buchstaben ist breit, horizontal etwas breiter als vertikal. Das Schreibinstrument (wahrscheinlich Kiel) mag mit ca. 2–3 mm angenommen werden. Schattierungen sind nicht zu vermerken. • Ligaturen treten auf, z. B. ‫ א‬und ‫ל‬. • Buchstabe ‫ מ‬ist manchmal “zerbrochen”, wenn er der letzte Buchstabe eines abgekürzten Wortes ist. • Die vertikalen Linien werden nach unten hin meist dünner. • Die horizontalen Linien sind etwas konvex. • Die oberen Buchstabenlinien sind gerade. • Serifen sind kaum vorhanden. • Am Gimmel befindet sich ein kurzer Hacken am oberen Ende des Buchstabens zur linken Seite oben hin. • Der Buchstabe Pe ‫ פ‬enthält eine “Nase.”257 • Der Treffpunkt zweier Linien innerhalb eines Buchstabens ist meist schräg. Innerhalb eines Buchstabens treffen sich die Linien.

257 "[…] nose (pe)" siehe Olszowy-­Schlanger: "Check list for observation and evaluation of Hebrew script", S. 6.

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6. Handschriftenbeschreibungen

• ‫“ ד‬Dalet” und ‫“ ר‬Resh” können auseinandergehalten werden. • Akzentuierung und Punktation sind im Kommentar zum Buch Rut nicht vorhanden. • Manche Worte werden abgekürzt mit einem kurzen “Psik”. • Zeilenfüller sind vorhanden, z. B. zu Rut 1,4: ’‫ ומ‬von ‫ ומצות ייבום‬wird auf vorheriger Zeile aufgeführt; das ‫ ב‬wird von ‫ באשר‬auf vorheriger Zeile aufgeführt. Zu Rut 1,5: ’‫ בת‬von ‫בתחילה‬. • Kommentar zum Buch Rut befindet sich auf Fol. 105r-107r.258

6.8.1.  Beobachtungen zu Oxford 52 Fol 106a, Col. 1, Zeile 10 andere Satzstellung als der Bibeltext: ‫כי “מאד מר’ לי מכם‬ statt ‫כי מר לי מאד מכם‬.

258 Siehe auch Walfish: "An Annotated Bibliography of Medieval Jewish Commentaries on the Book of Ruth in Print and in Manuscript", S. 256.

6.8.  MS Oxford, Bodleian Library, Opp. Add. Qu. 52 The Bodleian Libraries, University of Oxford, MS. Opp. Add. 4to. 52, Fol. 105r

Diese Abbildung wurde aus rechtlichen Gründen entfernt.

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6. Handschriftenbeschreibungen

The Bodleian Libraries, University of Oxford, MS. Opp. Add. 4to. 52, Fol. 105v

Diese Abbildung wurde aus rechtlichen Gründen entfernt.

6.8.  MS Oxford, Bodleian Library, Opp. Add. Qu. 52 The Bodleian Libraries, University of Oxford, MS. Opp. Add. 4to. 52, Fol. 107v

Diese Abbildung wurde aus rechtlichen Gründen entfernt.

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6. Handschriftenbeschreibungen

6.9. MS New York, Jewish Theological Seminary, Lutzki 778 Katalogsignatur: Lutzki 778,259 NY JTS 903;260 IMHM: F 24010.261 Datierbar ins 12.,262 bzw. 13.–14. Jahrhundert.263 In der vorliegenden Arbeit wird das Manuskript des Jewish Theological Seminary MS L778 “MS New York 778” genannt. • Schriftart ist ashkenasisch.264 • Manuskript, auf Pergament geschrieben. • Paginierung: Auf den linken Folio (17[r], mit arabischer Nummer versehen) ist unten eine große Ecke ausgespart, der Haupttext erscheint fast in “Dreiecksform”, demnach auch auf Fol. 17v, und ähnlich auch auf 18r etc. • Viele Randglossen sind da, z. B. Fol. 21r. • Auf Fol. 54v steht interessanterweise oben über dem Haupttext ‫פתרונו רבות ראתי‬ ‫ למקרא אה ואנים מתיישבת על הלב‬der Haupttext beginnt mit ‫…אכן כה מתרת כשיראו‬ • Kommentar zum Buch Rut wird Rashi zugeschrieben.265 • Kommentar zu Rut ab Fol. 87v (Seitenbeginn; Folio ist auf der rechten unteren Hälfte der Seite beschädigt) bis Fol. 88r, Zeile 18, darauf folgt Klgl. ‫איכה‬. Kommentar ist als “Fliestext” blockförmig geschrieben, Fol. 89v (Zeile 17), endet mit ‫[ וכן ישעיה ותרי עשר וקהלת‬neue Zeile] ‫ סליק הספר‬an den Seiten von Fol. 88a stehen links drei, rechts zwei Zeilen jeweils vertikal, ausgerichtet nach dem “Buchinneren”. 259 Vgl. Lutzki, Morris: Hebrew Manuscript Catalogs from the Jewish Theological Seminary. The Lutzki Catalog of Biblical Manuscripts. Teil 2. MSS 420–818 [Mikrofiche-­ Ausg.], Sunningdale: Thompson Henry Ltd, 2006. 260 Siehe Online-­Katalog IMHM, Zugriffsdatum 12.11.2013. 261 Beschreibung laut Online-­Katalog IMHM: "[…] Descr., ‫א‬141-‫א‬84 ,‫א‬37-‫א‬1 ‫‫ דף‬ ‬ .‫ב‬204-‫א‬156 Gen. Note]‫ "מפי ר’ יוסף [קרא‬:‫א‬156 ‫ ‬‫ בדף‬.‫‫ אחרי שיר השירים הוספות שונות‬ ‫ בסוף ישעיה פרוש על ישעיה‬.‫ תרשימים של מקום המקדש על פי יחזקאל‬:‫ב‬10 ,‫א‬8 ‫ ‬ ‫ בדף‬."‫שמעתי‬ ,‫הסוף‬-‫ה‬:‫ זכריה ט‬,‫דברי הימים‬-‫ עזרא‬,‫ איוב‬,‫ ישעיה‬,‫סוף‬-‫כא‬:‫‬‫ כולל רק יחזקאל לב‬."‫כ מאת "יהודה‬:‫סו‬ ’‫ ‬ ‫ עם הערות בשוליים בין השאר מפי‬.‫ תהלים ומשלי‬,‫ שיר השירים‬,‫ קהלת‬,‫ אסתר‬,‫ איכה‬,‫ רות‬,‫מלאכי‬ ‬ .)‫ב‬158( "‫ "משם ר’ מנחם … מפי ר’ יוסף‬,)‫ב‬99( "‫ "מנחם קרא‬,)‫א‬5 ‫"רב היי" על מסכ’ אהלות (דף‬ Ownership Note ‫ "שמואל בר’ משה‬,"‫ "יחיאל בן הקדו’ ר’ מאיר‬,"‫ "יצחק‬:‫ב ציוני בעלים‬210 ‫‫ בדף‬ ‫ "יחיאל בן הקדוש מאיר‬:‫א ציון בעלים‬142 ‫‬‫ בראש דף‬."‫איש חיל בהר"ר … אביו הר’ מנחם ת[נ]צב"ה‬ ‬ ."‫ זצק"ל‬Paleog. Note‬ .‫( "‫מאיוב בכתיבה שונה‬Zugriffsdatum: 12.11.2013). 262 Ich danke Prof. Jordan S. Penkower für den Hinweis zu diesem MS, wonach MS New York 778 ins 12. Jh. datiert werden kann (wobei Teile davon jedoch jünger sind) und trotz fehlendem Kolophon älter ist als MS München 5, welches in 1233 datiert wird. 263 "Imprint ‫י"ד‬-‫מאה י"ג‬." Siehe Online-­Katalog IMHM (Zugriffsdatum: 12.11.2013). 264 "‫"אשכנזית‬, siehe ebd. 265 ")‫"מקרא פרשנות נביאים ראשונים (שלמה בן יצחק רש"י‬, siehe ebd.

6.9.  MS New York, Jewish Theological Seminary, Lutzki 778

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• ‫[ רות‬als “Überschrift”, im dritten Drittel zentriert rechts über dem Haupttext.] • 49 Zeilen auf Fol. 87v; Fol. 88r,65 Zeilen auf Fol. 88r. Dort auf Zeile 18 endet Kommentar zu Rut, der Kommentar zu Ekha folgt mit den Worten ‫ ירמיה‬:‫איכה‬ ‫כתב ספר קיטה חיא המגלה ששרף יהויקים‬ • Der im MS befindliche Kommentar zum Hohelied wird als akkuratester Rashi-­ Kommentar angesehen.266

266 "Rashi to Song of Songs 7:9, cited according to the text appearing in MS New York, Jewish Theological Seminary, Lutzki 778 (considered by scholars to be the most accurate one available), published in Secundum Salomonem: A Thirteenth Century Latin Commentary on the Song of Solomon, ed. Sarah Kamin and Avrom Saltman (Ramat Gan, 1989), 96–97." Siehe Cohen, Mordechai Z.: "Maimonides' Attitude toward Christian Biblical Hermeneutics in Light of Earlier Jewish Sources". In: Carlebach, Elisheva / Schacter, Jacob J. (Hrsg.): New Perspectives on Jewish-­Christian Relations. In honor of David Berger. (Brill Reference Library of Judaism 33). Brill: Leiden 2012, S. 455–476, S. 455, Anm. 2.

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6. Handschriftenbeschreibungen

Jewish Theological Seminary Library New York, MS L778, Fol. 87v

6.9.  MS New York, Jewish Theological Seminary, Lutzki 778 Jewish Theological Seminary Library New York, MS L778, Fol. 88r

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6. Handschriftenbeschreibungen

6.10. Die drei Kara zugeschriebenen Kommentar-­Fassungen Die namentlich an Kara zugeschriebenen Kommentare zum Buch Rut in MS London 22413 und MS Zürich Or 157 unterscheiden sich von dem in MS Berlin 1221. Obwohl letzeres keine direkte Zuschreibung an Kara enthält, kann Kara ebenfalls als Verfasser der Kommentar-­Version in MS Berlin 1221 angenommen werden. Dies ergibt sich aus dem Vergleich mit Teilen, die ihm in anderen Kommentaren zum Buch Rut zugeschrieben werden. Die drei Kommentar-­Fassungen aus MS Berlin 1221, MS London 22413 und MS Zürich Or 157, die R. Josef Kara zuzuordnen sind, werden im Folgenden miteinander verglichen. Da in der vorliegenden Arbeit v. a. auf den Vergleich der Kommentar-­Fassungen eingegangen werden soll, die Kara zugeschrieben werden und weniger auf andere Kommentatoren, kann die Korrelation zum Rashi-­Kommentar nur in Auswahl veranschaulicht werden. Für den Leser, der selbständig einen weiteren Vergleich mit dem Kommentar Rashis führen möchte, ist der Edition von MS Zürich Or 157 eine Abschrift von MS New York 778 hinzugefügt, welches als Rashi-­Kommentar geführt wird.267 Im Folgenden werden die MSS aufgeführt, die mit den der Edition zugrundeliegenden MSS vergleichbar sind. Das Kriterium für die Zuordnung zu Gruppen um die jeweils verwendete Grundhandschrift ist dabei nicht die namentliche Zuschreibung der Kommentare an Kara, sondern der in den genannten MSS enthaltene Text. Dieser Text wird in anderen Manuskripten Kara zugeordnet und kann durch den Vergleich der Texte andernorts auch ohne namentliche Zuschreibung als Kara-­Kommentar gelten. Die Auswahl der verwendeten MSS ist Ergebnis der Recherchen sowohl im IMHM268 als auch die Bibliografie von Walfish.269 Grundlage der Auswahl ist der in den MSS vorhandene Wortlaut des Kommmentartextes zum Buch Rut. Die genannten MSS werden herangezogen, wenn ihr Wortlaut mit dem der jeweiligen Grundhandschrift sichtbar übereinstimmt. Varianten wie Vertauschungen im Textablauf, Abkürzungen, Plene- und Defektivschreibweise und dergl. werden in der kritischen Edition vermerkt. Die Datierung der verschiedenen MSS kann variieren. Hier werden nun die drei Gruppen mit ihren dazugehörigen Manuskripten aufgeführt. Dem Thema der relativen Chronolo-

267 Zur Zuschreibung an Rashi vgl. Online-­Katalog des IMHM (Zugriffsdatum: 07.06.2013), sowie Kapitel "MS New York 778," S. 479. 268 Recherche im Online-­Katalog des IMHM sowie vor Ort, in Jerusalem, v. a. im September 2010. 269 Walfish: "An Annotated Bibliography of Medieval Jewish Commentaries on the Book of Ruth in Print and in Manuscript", S. 251–271.

6.10.  Die drei Kara zugeschriebenen Kommentar-­Fassungen

117

gie der drei Kommentar-­Fassungen um MS Berlin 1221, MS London 22413 und MS Zürich Or 157 widmet sich ein eigenes Kapitel im Anschluss.

6.10.1. MS Berlin 1221 und Gruppe: MS Hamburg hebr. 32, MS Vatican 18 und MS Prag XVIII F 6 Eine Gruppe bilden folgende Handschriften, wobei MS Berlin 1221 als Grundschrift verwendet wird, da es das älteste datierte MS ist, das einen gesamten Kommentar zum Buch Rut enthält: 1. MS Berlin 1221, 13. Jahrhundert.270 2. MS Hamburg hebr. 32, 12./13. Jahrhundert. 3. MS Vatican 18, 13. Jahrhundert.271 4. MS Prag XVIII F 6, 14. Jahrhundert. MS Berlin 1221 kann aus folgendem Gründen Kara zugeschrieben werden: Der mit MS Berlin 1221 vergleichbare Kommentar zum Buch Rut in MS Hamburg hebr. 32 enthält Erklärungen, die “R. Josef ” mit den Worten [‫ ר’ יוס[ף‬zugeschrieben werden.272 Dieser “R. Josef ” kann mit R. Josef Kara identifiziert werden. MS Hamburg hebr. 32 ist ein Kompilations-­Kommentar, in dem u. a. Zitate von R. Josef Ben Shimon Kara wiedergegeben und ihm zugeordnet werden.273 Diese Kara zugerechneten Absätze treten auch im Kommentar zum Buch Rut in MS Berlin 1221 auf, hier aber ohne namentliche Zuschreibung. Da die Kara betreffenden Passagen in MS Hamburg hebr. 32 und MS Berlin 1221 identisch sind, kann MS Berlin 1221 als Kara-­Kommentar betrachtet werden. Durch seine Eigenschaft als 270 Weist teilweise Unterschiede zu MS Prag XVIII sowie MS Vatican 18 auf. Z.B. MS Berlin 1221, 259r, Col. 2, Zeile 12–14 als Erweiterung des Kommentars zu Rut 1,9. Der dortige Anfang der Auslegung mag als Wiederholung angesehen werden, da sich das Lemma ‫ מצאן מנוחה אשה בית אישה‬in Zeile 12 und 14 wiederholt, jedoch schließt jeweils eine andere Auslegung daran an. 271 In MS Vatican 18 ist lediglich die Kommentierung zu Rut 1,1–13 vorhanden, die sich als Randglosse neben dem Bibeltext befindet. Der Rutkommentar in MS Vatican 18 könnte Funktion eines Zwischen- oder Verbindungsteils zwischen MS Berlin 1221 und MS Zürich Or 157 darstellen, denn MS Vatican 18 zu Rut 1,1–3 entspricht MS Berlin 1221, ab Rut 1,9 ff. zeigen sich Parallelen zu MS Zürich Or 157. 272 Zuschreibung eines Teils des Kommentars zum Buch Rut an R. Josef mit den Worten "‫ "ר' יוס‬in MS Hamburg hebr. 32, Fol. 83r, Zeile 31. 273 Insgesamt kommen im Kommentar zum Buch Rut in MS Hamburg hebr. 32 folgende Ausleger zu Wort: R. Shelomo Ben Yizḥak (Rashi), R. Josef Ben Shim’on Kara (Kara) und R. Shmu’el Ben Meïr (Rashbam), in den dortigen Ausführungen finden sich auch Zitate von Dunash Ben Labraṭ und R. Menahem Bar Ḥelbo.

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6. Handschriftenbeschreibungen

fortlaufender Kommentartext wird der Kommentar in MS Berlin 1221 zur Grundschrift der hier behandelten Kommentar-­Fassungen. Sowohl in MS London 22413 als auch in MS London 22413 wird der Kommentar am Anfang der Auslegungen Kara zugeschrieben.274 Die drei genannten Kommentar-­Versionen sind also als Kara zugeschriebene Kommentar-­Fassungen Gegenstand der Untersuchung. Im Vergleich der MSS untereinander und besonders der Gruppe um MS Berlin 1221 ist anzumerken, dass der dort Kara zugerechnete Kommentar in anderen MSS (z. B. in MS Hamburg hebr. 32) teilweise nicht Kara, sondern Rashbam oder Rashi zugeschrieben wird. Dies erschwert eine “authentische” Zuordnung der betreffenden Fassungen zu ihren Urhebern. Es wurden für die Zuschreibung zu Kara jene Teile aus MS Hamburg hebr. 32 in Beziehung zu MS Berlin 1221 gesetzt, die namentlich R. Josef [Kara] zugeschrieben werden.275 Die Gruppe um MS Berlin 1221 ist in Untergruppen zu teilen, da MS Vatican 18 zu Rut 1,1–6 und 7–13 aus mindestens zwei Teilen besteht:

274 S.o., Anmn. 176 sowie 177. 275 Hierbei wurden jene Teile aus MS Hamburg hebr. 32 in Beziehung zu MS Berlin 1221 gesetzt, die im Text von MS Hamburg hebr. 32 nach einer bestimmten Erklärung R. Josef [Kara] mit den Worten ‫" ר' יוסף‬R. Josef " zugeschrieben werden. Dabei wird die Zuschreibung in MS Hamburg hebr. 32 nicht etwa in der Reihenfolge "Rabbi XY sagt … [Auslegung folgt]", sondern folgendermaßen strukturiert: "[Auslegung ist vorangestellt]… [das ist die Erklärung von Rabbi] XY". Gerade damit ist aber stellenweise durchaus fraglich, ob diese im Text auf die Auslegung folgende, also bzgl. der Abfolge des Textes "nachträgliche" Zuschreibung durchgängig durchgehalten wurde. Es scheint stellenweise, dass die Zuschreibung eben nicht stringent nach den Zitaten, sondern auch manchmal vor der Auslegung zu stehen kommt. Damit wären beide Arten der Zuschreibung vertauscht (i.a.W.: gemeinhin folgt die Zuschreibung an den Autor seiner Auslegung: … [das war die Auslegung von] R. XY; stellenweise scheint die Zuschreibung jedoch vorangesetzt zu sein, womit der Kommentar-­Verlauf folgendermaßen strukturiert sein kann: "Rabbi XY sagt folgendes: …"). So ist im Fall der mit MS Berlin 1221 verglichenen MSS in der Editon die berechtigte Frage zu stellen, ob der darin enthaltene Kommentar zum Buch Rut lediglich Kara oder evtl. doch einer anderen Version oder einem anderen Urheber (z. B. Rashi oder Rashbam) zugeschrieben werden sollte. Trotz dieser Unsicherheit wird MS Berlin 1221 in der vorliegenden Arbeit als eine Version des Kara zugeschriebenen Kommentars behandelt.

6.10.  Die drei Kara zugeschriebenen Kommentar-­Fassungen

119

6.10.1.1. Untergruppe von MS Berlin 1221 zu Rut 1,1–6: MS Hamburg hebr. 32, MS Prag XVIII F6 und MS Vatican 18 • Karas Auslegungen zu Rut 1,1–13 in MS Hamburg hebr. 32 entspricht der Version in MS Prag XVIII F 6. • Karas Auslegungen zu Rut 1,1–6 in MS Hamburg hebr. 32 entspricht sowohl der Version in MS Prag XVIII F 6 als auch der Fassung in MS Vatican 18. Im Vergleich zu MS Berlin 1221 sind die Lemmata in MS Hamburg hebr. 32 und MS Vatican 18 kürzer. Sie wurden wohl erst in einer späteren, auf MS Berlin 1221 folgenden Phase, gekürzt.276 MS Hamburg hebr. 32 ist hingegen vor MS Vatican 18 anzusetzen, da es Zuschreibungen zu den Kommentatoren enthält.277

6.10.1.2. Untergruppe von MS Berlin 1221 zu Rut 1,7–11: MS Vatican 18 als Wiedergabe von Rut Zuta Kara verwendet auch Traditionsliteratur für seine Texterklärungen. Parallelen in anderen MSS der Gruppe um MS Berlin 1221, die bspw. Teile aus Rut Zuta wiedergeben, sind nicht als Karas Kommentar zu betrachten, sondern als von ihm verwendete Zitate.278 Als Grundlage für Rut Zuta sind andere Vorlagen an-

276 Für diese Argumentation wird die Theorie "lectio previor probalitor" nicht angewendet. 277 Für diese Argumentation wird das Prinzip "lectio previor probalitor" ebenfalls nicht angewendet, da die Angabe der Kommentatoren eigentlich einen längeren Textverlauf zur Folge hat. Hier wird aber angenommen, dass die Namen der Kommentatoren vorhanden gewesen und in einer chronologisch folgenden Phase weggestrichen wurden. Beispiele: "‫– בא ללמדך הכתוב היאך נתגלגל הדבר‬ ‫"ויהי בימי שפט השפטים‬. Bzgl. Rut 1,1a entsprechen MS Hamburg hebr. 32 und Prag XVIII F 6 der Kara ("first version") zu Rut in Mgketer Application, 1994. "‫– כך נוהגין בכמה‬ ‫ויהי בימי… ויהי רעב‬ ‫ "מקומות‬tritt auf in MS Hamburg hebr. 32, MS Vatican 18 und Rashbam zu Rut in Mgketer Application, 1994. 278 Vgl. dazu bspw. MS-­Beschreibung in IMHM zu MS St. Petersburg – Russian National Library Evr. I 21 (im Folgenden abgekürzt "MS St. Petersburg Evr. I 21"), F 51073 (Reel 4): " …‫ עם מעט שינויים מהנדפס ע"י שלמה בובר‬,)‫א‬27-‫א‬23( ‫ "מדרש רות זוטא‬MS St. Petersburg Evr. I 21 steht dem Midrash nahe. Enthält Teile, die Zipor Rashi zuschreibt, vgl. Zipor, Moshe A.: "An Additional expanded Edition of Rashi's Commentary to Ruth and Segments of Ruth Zuta in a different Version". In: Sidra 8, 1992, S. 99–118 (Hebr.). Zur Übereinstimmung von Rut Zuta und Karas Kommentar vgl. z. B. Aufzählung verschiedener ‫שוק‬-Arten zu Rut 1,8, die auch in MS Vatican 18 vorkommen. MS St. Petersburg Evr. I 21 wird nicht zu dieser Gruppe als Kara-­Kommentar gezählt,

120

6. Handschriftenbeschreibungen

zusehen als die Kommentare Karas.279 Beispielsweise enthält MS St. Petersburg Evr. I 21 denselben Text zu Rut 1,7–13 wie MS Vatican 18.280 MS Vatican 18 enthält jedoch einen kürzeren Abschnitt der Auslegungen zu Rut 1,7–13. Demnach ist der zweite Teil der Randglosse in MS Vatican 18 als ein Auszug derselben Vorlage wie MS St. Petersburg Evr. I 21 zu verstehen.281

6.10.2. MS London 22413 ohne vergleichbare Parallelen Nachdem nun die Gruppe um MS Berlin 1221 dargestellt wurde, soll auf die Gruppe um Zürich Or 157 eingegangen werden. MS London 22413 steht zwischen beiden Gruppen, jedoch finden sich dazu bisher keine vergleichbaren Kommentare in anderen Manuskripten. Somit kann hier keine Gruppe um MS London 22413 angeführt werden.

6.10.3. MS Zürich Or 157 und Gruppe: MS Copenhagen 35, MS Oxford 52 etc. Die Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut in folgendem MSS können der Gruppe um den in MS Zürich Or 157 befindlichen Kommentar zum Buch Rut zugeordnet werden, da sie Varianten des selben Kommentartextes enthalten. Für sie alle gilt, dass sie frühestens ins 14. Jahrhundert zu datieren sind.282 Die folgende Liste ist alphabetisch geordnet:

279 280 281

282

da MS St. Petersburg Evr. I 21 nicht explizit Karas Kommentar, sondern Midrash Rut Zuta enthält. Die Beschreibung der verschiedenen Märkte zu Rut 1,8 kommt bspw. nicht in anderen MSS dieser Gruppe vor, die Kara zugeschreiben werden, sondern nur bzgl. Rut Zuta. MS St. Petersburg Evr. I 21, Fol. 24r, Zeile 2–12; 14–22; 24–25. Z.B. steht dort die Aufzählung der Märkte zu Rut 1,8 und andere Dinge, die so nicht in Yalkut Shimoni, Midrash Rut Zuta oder der Edition von Zipor zu finden sind. Parallele Auslegungen in MS St. Petersburg Evr. I 21 bzw. im Kommentar zu Rut 1,9 in MS Vatican 18, die sich unbedingt auf die Traditionsliteratur gründen, da sie sich dort nicht auffinden lassen, sind z. B. MS Vatican 18, Zeile (71-)73, in MS St. Petersburg Evr. I 21, Zeile 10–11: ‫מצאה ֯מנוחה‬ ֯ ‫ ;אחת ֯מהן‬MS Vatican 18, Zeile 91–92, in MS St. Petersburg Evr. I 21, Zeile 21: ‫ ;אם כך אתה עושה‬MS Vatican 18 zu Rut 1,12–13 entspricht in etwa Rashi ad loc.: MS Vatican 18 zu Rut 1,12–13 entspricht in etwa MS St. Petersburg Evr. I 21, Fol. 154b, Col. 1, Zeile 29–40 und Fol. 154b, Col. 2, Zeile 42. Zur Datierung vgl. Online-­Katalog des IMHM sowie die Handschriftenbeschreibung zum betreffenden Manuskript. Nicht alle Manuskripte werden in der vorliegenden

6.10.  Die drei Kara zugeschriebenen Kommentar-­Fassungen

• • • • • • •

121

MS Copenhagen, The Royal Library, Cod. Heb. 35; 16.–17. Jahrhundert. MS Florenz, Biblioteca Medicea Laurentiana, Plut. III.8; 14. Jahrhundert. MS London, British Library, Harley 7621; 15. Jahrhundert. MS London, British Library, Add. 26,924; 14. Jahrhundert. MS Oxford, Bodleian Library, Opp. Add. Qu. 52; 14. Jahrhundert. MS Paris, Bibliothèque Nationale, Héb. 162; 14. Jahrhundert. MS Vatican, Biblioteca Apostolica Vaticana, Urb. ebr. 20; 14. Jahrhundert.

Grundschrift für die Edition dieser Gruppe ist MS Zürich Or 157, weil es die älteste Datierung enthält und die Zuschreibung an Kara direkt im Kommentar steht. Die Fassung des Kommentars in MS Zürich Or 157 gleicht stellenweise dem Kommentar, der andernorts Rashi zugeschrieben wird.283 Dennoch handelt es sich im Fall von Zürich Or 157 um einen an Kara zugeschriebenen Kommentar. Auch andere mit MS Zürich Or 157 verglichene Kommentare, die denselben Text enthalten, werden nicht Rashi, sondern Kara zugeschrieben.284 In Teilen verlaufen die drei Fassungen parallel, wenn auch nicht in der genauen wörtlichen Formulierung, sondern mit Abänderungen.285 Teilweise lassen sich in allen Gruppen Hinweise auf die Zusammenstellung verschiedener Texte (Kompilation) feststellen.286 Grundlegend ist jedoch die Annahme, dass MSS Berlin 1221 und London 22413 miteinander in Verbindung stehen.287

283 284

285 286 287

textkritischen Edition berücksichtigt. Ihre Editionen sollen an anderer Stelle veröffentlicht werden. Vgl. bspw. Mgketer Application, 1994 bzw. Mikra'ot Gedolot 'Haketer' (2012) zu Rut. So wird Kara im Katalog des IMHM ebenfalls als Urheber der Version in MS Copenhagen 35 gelistet, welche in der Edition mit MS Zürich Or 157 verglichen wird: "‫מקרא‬ )‫שמעון‬ ‫ יוסף בן‬,‫"‬פרשנות כתובים מגלות רות (קרא‬, siehe IMHM zu F 5508 (Zugriffsdatum: 18.06.2013). Z.B. kommentieren alle drei Kommentar-­Fassungen zu Rut 2,16 mit mHag. 3,1. Z.B. nach der ersten Hälfte der Erklärung zu Rut 1,13, die mit ‫ ד''א‬fortgeführt wird, zum Thema der Kompilation vgl. Kapitel "Bearbeitungsstufen eines Kommentars," S. 379. Vgl. bspw. beide Kommentar-­Fasssungen zu Rut 3,2 bzw. 3,3 (MS Berlin 1221 enthält keinen Kommentar zu Rut 3,3, legt aber Rut 3,2 aus; MS London 22413 gibt keine Auslegung zu Rut 3,2, dafür aber zu Rut 3,3): Dort argumentieren beide Kommentar-­ Fassungen ähnlich, indem sie mit einer ähnlichen Wortwurzel darstellen, dass der Besuch einer Frau in eines Mannes Hause "schändlich" sei.

122

6. Handschriftenbeschreibungen

6.10.4. Relative Chronologie der drei Kommentar-­Fassungen Eine Chronologie der verschiedenen Kommentar-­Fassungen, bzw. das chronologische Verhältnis der MSS Gruppen untereinander, ist kaum zu definieren.288 Folgende Eigenschaften lassen sich zur Argumentation heranziehen: Die Gruppe um MS Zürich Or 157 mit evtl. Grundlage von Rashis Kommentar und Verwendung der Midrashliteratur lässt sich anders kategorisieren als die Gruppe um MS Berlin 1221 mit Verwendung der Midrashliteratur und Hinweisen auf den Textverlauf. MS London 22413, das v. a. Hinweise zum Textverlauf gibt, ist dabei eher mit MS Berlin 1221 als mit MS Zürich Or 157 in Verbindung zu bringen. Durch ihre gegenseitige Beziehung werden in der folgenden Darstellungen MSS Berlin 1221 und London 22413 zusammen genannt und MS Zürich Or 157 gegenübergestellt. Zur besseren Orientierung werden die Eigenschaften des Inhalts der jeweiligen Fassung dem Namen der jeweiligen Grundhandschrift hinzugefügt:289 288 So geht schon Grossman auf das Problem verschiedener Kommentar-­Fassungen für die Prophetenbücher im Allgemeinen ein, wobei er von zwei Versionen spricht. Dabei stellt er einerseits die Möglichkeit dar, Kara habe Rashis Kommentar als Grundlage genommen und erst danach einen eigenständigen Kommentar verfasst. Als Gegenentwurf wird dargelegt, Kara habe zunächst eine kurze Liste von Kommentaren zusammengestellt und davon ausgewählt, welche Teile er weiter verwendete: "‫האם‬ ?‫ "כתב ר"י קרא שתי מהדורות לפירושו לנביאים‬Siehe Grossman: Early Sages of France 2001, S. 315. Hierbei bezieht sich Grossman auf Kommentare zu den Prophetenbüchern Josua, Jesaja, Jeremja, Hesekiel, die Rashi zugeschrieben sind. In den Auslegungen fänden sich aber zwischendurch auch Erklärungen Karas. MSS Wien 23, Berlin 122 und St. Petersburg 11 Evr. I werden hier als Beispiel dargestellt, die auf einer Quelle beruhten. Schwierigkeiten ergäben sich im MSS-­Vergleich, da die Erklärungen im Großen und Ganzen nicht so angeordnet seien wie in Karas Kommentar. Als Annahme wird weiter bekundet, Kara habe die Erklärungen vorgetragen und ein Schreiber – ggf. Shemaja – habe sie gehört, jedoch nicht in Bezug auf Karas Kommentarabfolge niedergeschrieben. Insgesamt seien Eintragungen des Schreibers Shemaja anzunehmen, dessen Eigenarten sich im Kommentar fänden und der die Liste Karas aus Ausgangspunkt genommen haben könnte, vgl. Grossman: Early Sages of France 2001, S. 315 f. 289 Daher wird keine der folgenden Varianten für die relative Chronologie aufgeführt. In Frage kommt demnach weder die Abfolge 1) MS Berlin 1221 mit Verwendung der Midrashliteratur und Hinweisen auf den Textverlauf, 2) MS Zürich Or 157 mit Rashis Kommentar als Grundlage und Verwendung der Midrashliteratur, 3) MS London 22413 v. a. mit Hinweisen zum Textverlauf; noch die Folge 1) MS London 22413 v. a. mit Hinweisen zum Textverlauf, 2) MS Zürich Or 157 mit Rashis Kommentar als Grundlage und Verwendung der Midrashliteratur, 3) MS Berlin 1221 mit Verwendung der Midrashliteratur und Hinweisen auf den Textverlauf.

6.10.  Die drei Kara zugeschriebenen Kommentar-­Fassungen

123

1. MS Berlin 1221 (Verwendung der Midrashliteratur, Hinweise auf den Textverlauf) 2. MS London 22413 (Hinweise zum Textzusammenhang) 3. MS Zürich Or 157 (Nähe zu Rashis Kommentar, ausführliche Verwendung der Midrashliteratur) oder 1. MS London 22413 (Hinweise zum Textzusammenhang) 2. MS Berlin 1221 (Verwendung der Midrashliteratur, Hinweise auf den Textverlauf) 3. MS Zürich Or 157 (Nähe zu Rashis Kommentar, ausführliche Verwendung der Midrashliteratur) Beziehungsweise: 1. MS Zürich Or 157 (Nähe zu Rashis Kommentar, ausführliche Verwendung der Midrashliteratur) 2. MS Berlin 1221 (Verwendung der Midrashliteratur, Hinweise auf den Textverlauf) 3. MS London 22413 (Hinweise zum Textzusammenhang) oder 1. MS Zürich Or 157 (Nähe zu Rashis Kommentar, ausführliche Verwendung der Midrashliteratur) 2. MS London 22413 (Hinweise zum Textzusammenhang) 3. MS Berlin 1221 (Verwendung der Midrashliteratur, Hinweise auf den Textverlauf) Für die chronologische Anordnung von MS Berlin 1221 vor MS London 22413 spricht, dass sich zu MS Berlin 1221 mehr vergleichbare MSS finden. MS Berlin 1221 verwendet verhältnismäßig mehr Traditionsliteratur als MS London 22413, jedoch weniger als MS Zürich Or 157. Dies könnte als ein Kompromiss zwischen MS Zürich Or 157 und MS London 22413 interpretiert werden, indem MS Berlin 1221 zwischen London 1221 und Zürich Or 157 steht. Als Textbeispiele lassen sich die Kommentar-­Versionen zu Rut 1,2290 sowie zu Rut 3,5291 nennen. Als Argumente für die Datierung von MS Berlin 1221 und damit auch vor MS London 22413 vor MS Zürich Or 157 lässt sich anbringen, dass lediglich MSS 290 Ausführungen dazu vgl. "Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1", S. 213. 291 Ausführungen dazu vgl. "Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3", S. 291.

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6. Handschriftenbeschreibungen

Berlin 1221 und London 22413 mundartliche Glossen, Le’azim, enthalten. Dies spricht für das höhere Alter dieser MSS. Für ein Textbeispiel ist zu verweisen auf den Vergleich der Kommentar-­Versionen zu Rut 1,3 als Argumentationsmöglichkeit für MS Berlin 1221 vor MS London 22413 vor MS Zürich Or 157.292 Schlussendlich könnte als Argument für die chronologische Abfolge von MS London 22413 vor Berlin 1221 sprechen, dass MS London 22413 eine eigenständigere Argumentation verwendet, ohne sich dabei auf Traditionsliteratur zu stützen.

6.10.5. Resümee Die Manuskripte Berlin 1221, Hamburg hebr. 32, Vatican 18 sowie Prag 18 F 6 bilden also eine Gruppe einer Kara zugeschriebenen Kommentar-­Fassung. Diese Gruppe enthält einen anderen Kommentar Karas zum Buch Rut als MS Zürich Or 157, MS Copenhagen 35, MS Florenz Biblioteca Medicea Laurentiana Plut. III.8, MS London British Harley 7621, London BL Add. 26924, MS Oxford 52, MS Paris Bibliothèque Nationale Héb. 162 sowie MS Vatican Urb. ebr. 20. Diese Gruppe wurde oben ebenfalls aufgeführt. Der Kommentar in MS London 22413 unterscheidet sich wiederum von den beiden Gruppen um MS Berlin 1221 und MS Zürich Or 157. Somit gibt es drei Kommentar-­Fassungen von Kommentaren zum Buch Rut, die Kara zugeschrieben und vergleichend betrachtet werden können.

292 Vgl. zusammenfassende Ausführungen zu Rut 1,3 im Kapitel "Rut 1,3: Und Elimelekh, der Mann Noomis, starb. Und sie blieb übrig und ihre beiden Söhne", S. 218.

7. Grundlegendes zur Übersetzung 7.1. Einleitung in die Übersetzung Bei der Übersetzung war mir eine möglichst genaue Wiedergabe des Wortlautes der Kommentar-­Fassungen in deutscher Sprache wichtig. Dabei sollte, soweit möglich, die Abfolge des hebräischen Satzes beibehalten werden. Gleiche Worte sollten gleich übersetzt werden, seien es nun einführende Begriffe in die Erklärungen, Überleitungen oder Fachbegriffe. Im Vordergrund der Entscheidung für eine betreffende Wortwahl der Übersetzung stand eine möglichst nah am Inhalt und der Abfolge des hebräischen Textes gelegene Formulierung des Textes im Deutschen. Natürlich kann eine Übersetzung das Original nicht wiedergeben.293 Daher ist die Übersetzung v. a. für Rezipienten gedacht, die den Text nicht in seinem hebräischen Original verwenden können und sich mit der Übersetzung als dessen Abbild abfinden müssen. So steht der Inhalt der Übersetzung trotz größtmöglicher Nähe zum hebräischen Text im Vordergrund. Eine Einschränkung der “völligen Weite der Form” und damit auch eines Teils seines Inhalts ist zwar bei einer Übersetzung unumgänglich,294 jedoch soll der Sinn des vorliegenden hebräischen Kommentars soweit wie möglich erhalten bleiben. Der Text bleibt dennoch besprechenswert. Auch aus diesem Grund werden im Kapitel “Vergleich der Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut” ab S. 209 einzelne Teile des Textes separat besprochen. Nicht zuletzt kann der Inhalt des Kommentars auch in Zukunft noch als Ausgangspunkt für Diskussionen dienen. So kann – neben dem Bibeltext selbst – auch der Kommentar zur Bibel Anhaltspunkt für Reflexionen bieten. Alternativen zur Übersetzung, z. B. Hinweise zur wörtlichen Wiedergabe von Worten, finden sich teilweise als Fußnoten im Teil der Übersetzung. Stellenweise

293 Vgl. dazu bspw. Oettinger, Anthony Gervin: "Das Problem der Übersetzung". In: Störig, Hans Joachim (Hrsg.): Das Problem des Übersetzens. 2. Aufl. (Wege der Forschung 8). Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 1973, S. 426. Aufgrund verschiedener Ausdrücke bzw. Vielschichtigkeit eines Wortes, das in einer anderen Sprache ggf. mehrere Facetten hat, konstatiert Arthur Schopenhauer: "Hierauf beruht das nothwendig Mangelhafte aller Uebersetzungen." Siehe Schopenhauer, Arthur: "Ueber Sprache und Worte". In: Störig: Das Problem des Übersetzens 1973, S. 102. Dennoch gilt hier mit Anthony Gervin Oettinger: "Als Alternative zur Unmöglichkeit ist jede Art der Übersetzung begrüßenswert." Siehe Oettinger: "Das Problem der Übersetzung", S. 423. 294 Vgl. ebd., S. 422.

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7.  Grundlegendes zur Übersetzung

befinden sich längere Ausführungen zu Übersetzungsalternativen in den betreffenden Stellen im Vergleich der Kommentar-­Fassungen, da der Teil der Übersetzung sonst zu überladen wäre.

7.2. Zur Wiedergabe von Worten in hebräischer Schrift in der Übersetzung Ein hebräisches Wort, das durch seine Eigenschaft des Hebräischen erklärt wird wie z. B. aufgrund von Gematria,295 oder dessen Schreibweise bzgl. der Tempusform,296 einen hebräischen Fachbegriff darstellt,297 oder aber durch die plene Schreibweise,298 wird an betreffender Stelle zunächst in runden Klammern wiedergegeben und daraufhin übersetzt. Die Übersetzung folgt darauf in Anführungszeichen. So soll in der Übersetzung auch für Nichthebräischkundige deutlich werden, dass der Kommentar diesbezüglich auf den hebräischen Sprachgebrauch des Bibeltextes bzw. auf einen rabbinischen Begriff in hebräischer Sprache abhebt. Mundartliche Glossen, sog. Le’azim,299 werden in hebräischen Buchstaben so wiedergegeben, wie sie im Kommentartext auftreten, ohne Klammern. Transliterationen von hebräischen Buchstaben und Worten werden kursiv wiedergegeben.

7.3. Verwendete Satzzeichen () Mit runden Klammern werden Hinzufügungen für den Textfluss gekennzeichnet, die bzgl. des Verständnisses im Deutschen hinzugefügt wurden, um den inhaltlichen Kontext genauer zu fassen. Der Inhalt ist dabei schon im Deutschen vorhanden, wird aber nochmals unterstrichen.300 [] Mit eckigen Klammern werden Hinzufügungen versehen, die so nicht im übersetzten Text stehen, um den inhaltlichen Kontext genauer zu fassen und im Text nicht wortwörtlich angedeutete Zusammenhänge klar darzustellen.301 295 Z.B. Rut 1,16 ‫ עמך‬mit Bezug auf den Zahlwert 613. 296 Z.B. ‫ שבה‬als Perfektform in Rut 2,6. 297 Z.B. ‫ סאה‬als Maßeinheit in Rut 3,15. 298 Z.B. ‫ בטרום‬in Rut 3,14. 299 Vgl. Kapitel "Le'azim", S. 413. 300 Z.B. im Kommentar zu Rut 1,5: "… ein (männlicher) Ammoniter …" oder "… ein (männlicher) Moabiter …" 301 Z.B. im Kommentar zu Rut 1,5: "… Denn die Halakha war noch nicht erneuert worden [wie die Vorschrift in Dt. 23,4 Ein Ammoniter und ein Moabiter soll nicht in die Gemeinde des Ewigen kommen… nämlich später eingegrenzt wurde und damit

7.3.  Verwendete Satzzeichen

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{} Streichungen im hebräischen Text werden mit geschweiften Klammern dargestellt. Lemmata, d. h. Stücke des in der Erklärung ausgelegten Bibeltextes werden fett dargestellt. Die Lemmata werden meist nicht mit einem Punkt abgeschlossen, da die Auslegung in den häufigsten Fällen nicht einen gesamten Vers wiedergibt und sich die Erklärungen meist direkt an den auszulegenden Bibeltext anschließen, ja ihn oft sogar als Teil des Auslegungssatzes verwenden, z. B. MS Berlin 1221 zu Rut 1,14 “… Und Orpa küsste ihre Schwiegermutter – um von ihrer Rechten zu weichen, aber Rut blieb anhänglich bei ihr.” Zitate aus anderen Bibelstellen als dem aktuell ausgelegten Vers werden kursiv wiedergegeben. Zitate aus rabbinischer Literatur werden in der Übersetzung nicht eigens ausgewiesen, lediglich am Ende der Referenzstelle aus der Traditionsliteratur wird der betreffende Stellenverweis in runden Klammern wiedergegeben.

nur] ein (männlicher) Ammoniter [gemeint ist] und nicht eine Ammoniterin, [und ebenso nur] ein (männlicher) Moabiter [gemeint ist], und nicht eine Moabiterin."

8. Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Or. Fol. 1221 [Zu Rut 1] [Zu Rut 1,1] Und es war Fol. 259r, Col. 2

zu der Zeit, als die Richter regierten – [Dieser Vers] kommt [von] der Schrift,302 um dich zu lehren, wie sich die Sache wenden kann: Elimelekh nämlich, der zu den Fürsten Jehudas gehörte, hätte seine Söhne mit [Töchtern von] Vornehmen aus dem Stamm Jehuda verheiraten können. Was veranlasste [es], dass sie sich mit moabitischen Frauen verheirateten und dass dadurch Rut aus unselbstsüchtigen Beweggründen (zum Judentum) übertrat? Was führte [schlussendlich] dazu, [dass] sie [derart] belohnt wurde, dass aus ihr [später] das Königtum hervorging?

[Zu Rut 1,2] Ephratiter – [So werden sie genannt,303] nach ihrem [Herkunfts-]Ort Beit Lechem, das ist Ephrat.

[Zu Rut 1,3] Und Elimelekh, der Mann Noomis, starb – [Dies ist geschrieben,] um dich [folgendes] zu lehren: Wenn er noch gelebt hätte, hätte er seinen Söhnen nicht erlaubt, dass sie fremde Frauen heiraten würden.

302 Dazu Eintrag zu ‫בוא‬: "Kal. kommen. I. von der h. Schrift und den biblischen Schriftstellern […]", im Gegensatz zu "II. Vom Ausleger und seinen Zuhörern […]", siehe Bacher, Wilhelm: Die exegetische Terminologie der jüdischen Traditionsliteratur. Zweiter (Schluss-)Teil: Die bibel- und traditionsexegetische Terminologie der Amoräer. Hinrichs: Leipzig 1905, S. 20. 303 Hinzugefügt nach MS Hamburg hebr. 32, wo am Beginn der Auslegung noch "‫כך‬ ‫ "נקראים‬steht.

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8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

[Zu Rut 1,9a] Der Ewige gebe euch, und ihr sollt Ruhe finden [als] Frau [im] Hause ihres Mannes – [Das ist,] als304 sagt sie: Es ist gut, [ja sogar besser] für euch, dass ihr in eurem Heimatland verheiratet seid und Ruhe findet [als] Frau [im] Hause ihres Mannes, als dass ihr mit mir in einem fremden Land umherwandert.

[Zu Rut 1,8] Der Ewige erweise Euch Gnade, wie du305 den Verstorbenen und mir [Gnade] erwiesen hast – Denn obwohl ihre [Noomis] Söhne [bereits] gestorben waren, verließen [ihre Schwiegertöchter] ihr Heimatland und gingen mit ihr weg.

[Zu Rut 1,9b] Und sie küsste sie – [Sie gab ihnen] einen Abschiedskuss, wie es in der Welt üblich ist, dass jeder, der sich von seinem Nächsten trennt, ihn küsst und geht.

[Zu Rut 1,10] Und sie sagten ihr usf. – Sie sagt ihnen: Der Ewige gebe euch, dass ihr eine Ruhe findet als Frau [im] Hause ihres Mannes (Rut 1,9). Aber er [der Vers formuliert, was] sie [ihr] antworten: Nein, denn [vielmehr] wollen wir mit dir zu deinem Volk zurückkehren. [Damit] sagen [sie]306: Wir wollen von jetzt an nicht mehr verheiratet sein, außer mit deinem Volk. Und sie antwortet ihnen:

[Zu Rut 1,11] Kehrt doch um, meine Töchter! Warum solltet ihr mit mir gehen? – Wenn ihr [euch] mit den Söhnen meines Volkes verheiraten [wollt], dann seid ihr [Teil des] Geschickes meines Volkes307. [Aber] kein Mann aus Israel lässt die Töchter Israels [links] liegen und wird euch heiraten. Und vielleicht werdet ihr sagen, ich, die ich

304 Im Text steht ‫לאילו‬, was wörtlich "zu ihnen" übersetzt werden kann, hier aber wie der Wortlaut bspw. in H32 als ‫ כאילו‬übersetzt wird. 305 In MS Berlin 1221 steht dies im Singular, anders als MT BHQ, wo ‫ עשיתם‬steht. 306 Im Text steht ‫( לומר‬übersetzbar als "zu sagen"), hier wird jedoch mit MS Hamburg hebr. 32 '‫ כלומ‬übersetzt. 307 ‫שבות עמי‬, Zitation von Jer. 30,3, Hos. 6,11 oder Amos 9,14.

8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

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schon angefangen hätte, für308 euch zu flehen, dass ich Söhne bekommen sollte, und sie euch zu [Ehe-]Männern werden.

[Zu Rut 1,12] Kehrt [doch] um, meine Töchter, geht! Denn ich bin zu alt geworden, um [bei] einem Mann zu sein. Denn, [auch wenn] ich sagte: „Ich habe [noch] Hoffnung“ – [Dessen] Erklärung [ist]: [Sogar] wenn ich [jetzt noch] in der Zeit [meiner309] Jugend wäre, dass ich sagen könnte „Ich habe [noch] Hoffnung, Söhne zu gebären“ und selbst wenn ich heute Nacht [bei] einem Mann gewesen wäre und auch wenn ich noch Söhne gebären würde:

[Zu Rut 1,13] Würdet ihr noch weiter warten wollen, bis dass sie aufgewachsen sind? Wollt ihr (etwa) weiter Ausschau halten [bis sie aufgewachsen sind]? Wollt ihr euch weiterhin [ehelichem Verkehr] entziehen? [Die] Erklärung [dafür ist]: Wollt ihr (etwa) weiterhin [als] Agunot sitzen? Nicht doch meine Töchter, denn überaus bitter ist es mir um euch – Denn euch ist es [noch] möglich, Fol. 259r, Col. 3

an Männer verheiratet zu werden. Aber [in Bezug auf] meinen Mann und meine Söhne, die gestorben sind, ist es nicht möglich, dass sie wieder zurückkehren. Und [außerdem] bin ich auch zu alt, um [bei] einem Mann zu sein (Rut 1,12). Und so ist [der Vers] ausgelegt und geht [weiter mit] Denn die Hand des Ewigen ist gegen mich ausgerückt – Und [dessen] Erklärung [ist]: Gegen mich [ist die Hand des Ewigen ausgerückt] und nicht gegen Euch!

[Zu Rut 1,14] Und sie erhoben ihre Stimmen und weinten weiter – Das Weinen des Abschieds, mit dem Verhalten, wie es in der Welt üblich ist310. Und Orpa küsste 308 Im Text steht ‫שהחלותי להתחתן בהם‬, übersetzbar als "dass ich anfangen sollte, für sie zu flehen". Hier wird mit Alcalay "because of ", i.S.v. "wegen euch" übersetzt mit "für euch", vgl. Alcalay, Reuben: The Complete Hebrew-­English Dictionary. Massada: Ramat-­Gan–Jerusalem: 1987, S. 180. 309 Hinzugefügt nach Wortlaut in MS Hamburg hebr. 32. 310 Im Text steht ''‫בנוהג'' שב‬, was als Abkürzung von ‫ בנוהג שבעולם‬übersetzt wird, vgl. MS Berlin 1221 zu Rut 1,9b.

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8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

ihre Schwiegermutter – um von ihrer Rechten zu weichen, aber Rut blieb anhänglich bei ihr.

[Zu Rut 1,15] Und sie sagte: Siehe, deine Schwägerin ist zurückgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott. Kehre zurück, deiner311 Schwägerin hinterher! – Zu deinem Volk und zu deinem Gott.

[Zu Rut 1,16] Und Rut sagte: Bedränge mich nicht, dich zu verlassen, um hinter dir [weg] zurückzukehren. Denn wohin du gehen wirst, will [auch] ich hingehen. – Weil oben gesagt ist: Und sie ging auf dem Weg, um zurückzukehren in das Land Jehuda (Rut 1,7), sagt sie [hier]: Denn wohin du gehen wirst, will [auch] ich hingehen. Und wo du übernachten wirst, will [auch] ich übernachten. – Es ist besser, bei dir zu bleiben, [also lieber] wie ein Umherziehender zu bleiben, als in bedeutsamen Palästen zu siedeln. Dein Volk sei mein Volk und dein Gott sei mein Gott – weil oben gesagt ist: Siehe, deine Schwägerin ist zurückgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott (Rut 1,15), antwortet sie [hier]: Dein Volk sei mein Volk und dein Gott sei mein Gott.

[Zu Rut 1,17] Wo du sterben wirst, will ich [auch] sterben, und dort will ich [auch] begraben sein. – [Dessen] Erklärung [ist wie folgt]: Bis zu dem Tag des Todes312 will ich mich nicht von dir scheiden. Wie am Ende des Verses erklärt ist: Denn [allein] der Tod wird zwischen dir und mir scheiden. Aber solange wir noch [am] Leben sind, wird eine Frau nicht von ihrer Weggefährtin geschieden werden313.

311 Im Text steht ‫יבמתי‬, was eigentlich übersetzt "meine Schwägerin" bedeutet, hier aber nicht so gemeint sein kann, da Rut – und nicht Noomi – die Schwägerin Orpas ist. MT BHQ und auch MS Hamburg hebr. 32 schreiben hier ‫" יבמתך‬deine Schwägerin." Die folgende Bemerkung wäre also missverständlich, wenn nach dem Wortlaut aus MS Berlin 1221 übersetzt würde. 312 Eine Übersetzungsalternative für ‫" עד יום המיתה‬Todestag", was im Deutschen aber die Konnotation eines Jahrestages hat und daher hier nicht als Übersetzung verwendet wird. 313 Im Text steht zwar ‫כפרד‬, wird jedoch als Verwechslung ähnlich aussehender Buchstaben interpretiert und übersetzt als ‫נפרד‬.

8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

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Und dort will [auch] ich begraben sein – [Dessen] Erklärung [ist]: Auch wenn ich einstmals sterben werde, will ich [trotzdem noch] bitten, dass man mich bei dir beerdigen möge, wegen der Liebe, die zwischen uns in [unseren] Lebzeiten war. Und aufgrund unserer Vorgehensweise, [den Inhalt eines Verses] aus der genauen Erforschung314 der Sprache [herzuleiten] – da sie [vorher] gesagt hatte Siehe, deine Schwägerin ist zurückgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott (Rut 1,15) – lernst du, dass sie (zum Judentum) übergetreten waren, als sie Machlon und Kiljon angeheiratet wurden. Denn der Ausdruck (‫„ )שבה‬sie kehrte zurück“ fällt [in dieser Form im ganzen Buch Rut] nicht, außer bei [der] Frau, die (zum Judentum) übergetreten war [nämlich Orpa] und [die] jetzt zu ihrer früheren [Religion] zurückkehrte, zu ihrem Volk und zu ihrem Gott (Rut 1,15).

[Zu Rut 1,18] Und sie sah, dass sie sich fest entschlossen hatte usf. – Die Worte Ruts, die sagte: Dränge mich nicht, dich zu verlassen, um hinter dir [weg] zurückzukehren usf. (Rut 1,16), waren stärker als die Worte Noomis, die gesagt hatte: Kehre zurück, deiner Schwägerin hinterher! (Rut 1,15) Und sie hörte auf, auf sie einzureden – nachdem sie sah, dass sie sich fest entschlossen hatte, mit ihr zu gehen, hörte sie [Noomi] auf, ihr zu sagen: Kehre zurück (Rut 1,15). Und sie nahm es auf sich, sie [Rut] mit sich zu führen, wie es [im weiteren Verlauf der Erzählung] ausgeführt ist:

[Zu Rut 1,19] Und die beiden gingen, bis sie nach Beit Lechem kamen. Und die ganze Stadt geriet über sie in Aufregung. Fol. 259v, Col. 1

Und sie sagte: Ist diese [da nicht etwa] Noomi?! – [Dies] lehrt, dass sich ihr Angesicht geändert hatte wegen der Not [in schlechten] Zeiten (vgl. Dan. 9,25),

314 Im Text steht ‫דקדוק‬, was "1. Zerkleinerung; 2. Genauigkeit, sorgfältiges Studium; 3. Einzelheit; 4. (spät) Grammatik" bedeutet, siehe Dalman, Gustav H.: Aramäisch-­ Neuhebräisches Handwörterbuch zu Targum, Talmud und Midrasch. Mit Lexikon der Abbreviaturen von G. H. Händler und einem Verzeichnis der Mischna-­Abschnitte. 3. Aufl. Verlag von Eduard Pfeiffer: Göttingen 1938. 2. und 5. Nachdruck der 3. unveränderten Auflage. Georg Olms Verlag: Hildesheim 1987 und 2007, S. 103. Im Textzusammenhang wird eher inhaltlich als grammatisch mit der Wortform argumentiert, daher wird hier ‫ דיקדוק‬nicht mit "Grammatik" übersetzt.

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8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

die über sie hinweggegangen waren. Und sie wunderten sich über sie folgendermaßen: Ist diese [da] Noomi?!

[Zu Rut 1,20] Aber sie sagte zu ihnen: Nennt mich nicht Noomi – Eine Frau, die ihre Tage gut und ihre Jahre angenehm (vgl. Hiob 21,13) verzehrt hat, ist würdig, Noomi genannt zu werden. Aber [auf] mich [trifft das nicht zu, also] nennt mich nicht [mehr] Noomi! Vorbei sind meine angenehmen Tage. Nennt mich Mara! – [Wobei dessen Bedeutung auch die] Erklärung [dafür ist]: Eine bittere Seele.

[Zu Rut 1,21] Ich bin voll [hier weg] gegangen, und [in] Leere [hat er mich nun zurückkehren lassen] – gleichbedeutend mit „Leere“ ist ‫ ויודמט‬in der Landessprache. Und so auch: Ihr sollt euch nicht leer vor mir zeigen (Ex. 23,15; 34,20). Und der Ewige hat gegen mich ausgesagt. – [Dessen] Erklärung [ist]: Er zeugte gegen mich. Meine Missetaten zeugten [gegen mich] (vgl. Jer. 14,7). Daher, dass er mich mit leeren Händen zurückkommen ließ [ist es so,] als habe er gegen mich gezeugt, damit meine Missetaten auf mich315 zurückfielen und meine Verfehlungen mir das Gute versagten. Und diese Überlieferung merke dir: [An] jeder Stelle, an dem du [die Präposition '‫ב‬316 Bet] nach [der Verwendung des Begriffs] (‫„ )ענייה‬Antwort“ findest, ist es ein Ausdruck der Zeugenaussage [wie bspw. in folgenden Versen]: Meine Aufrichtigkeit [soll] für mich zeugen (Gen. 30,33); Du sollst gegen deinen Nächsten keinen [falschen Eid] aussagen (Ex. 20,16); Und ich sagte gegen sie aus (vgl. Neh. 13,21); Hier bin ich, sagt gegen mich aus (1. Sam. 12,3). Eine Stelle, an der [sich der Buchstabe] (‫„ )ב‬Bet“ nicht befindet, das ist ein Ausdruck der Anklage, wie und der Sparren aus Holz erwidert ihm (Hab. 2,11). So fand ich es im [Werk] Maḥberet Dunash [erklärt].

[Zu Rut 1,22] Und [so] kam Noomi zurück und Rut die Moabiterin, ihre Schwiegertochter, war mit ihr – und ist [das] denn nicht schon oben gesagt worden [mit dem Vers] Und die beiden gingen, bis sie nach Beit Lechem kamen? (Rut 1,19) Und was [hat es damit auf sich, dass die] Notwendigkeit [besteht], zu sagen und N­oomi kehrte 315 Im Text steht ‫אלה‬, was hier als ‫ אלי‬interpretiert und übersetzt wird. 316 '‫ ב‬ist in MS Hamburg hebr. 32 hinzugefügt und wird hier wiedergegeben, da der Inhalt damit deutlicher wird.

8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

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zurück und Rut die Moabiterin [war mit ihr]? Aber dies ist dessen Erklärung: (‫מעשה‬317) „[Die] Handlung“ ist, dass sie zurückkehrte, Noomi und Rut die Moabiterin, ihre Schwiegertochter, mit ihr [zusammen], die von den Feldern Moabs zurückkehrte. (‫„ )אירע הדבר‬Das Ereignis318 der Sache“ [aber ist], dass sie zu Beginn der Gerstenernte [nach] Beit Lechem kamen. Und [die] Art dieser [Auslegung] merke dir für alle319 vierundzwanzig Bücher: An jeder Stelle, an der du es vorfindest, dass eine Sache verdoppelt [wird], nachdem [sie] zwei Mal auftritt, [da steht] es das erste [Mal da], um die Handlung zu erzählen und das zweite ist seine Deutung. Und von daher, dass eine Sache [erst] als Handlung [formuliert] wird,320 wird sie danach [als] Ereignis321 [dargestellt]. So [ist es auch], wie [wir] es am Ende des Buches Richter gefunden haben: Und er brachte das Silber zu seiner Mutter zurück (Ri. 17,4). Und danach ist geschrieben: Die 1100 der Silberstücke an seine Mutter (Ri. 17,3).322 [Dies] war zu demselben Zeitpunkt: Als seine Mutter die 200 Silberstücke nahm und sie zum Goldschmied gab usw. (Ri.17,4). [So] auch hier, weil gesagt werden muss, wie es zufällig passierte, dass es der Teil des Feldes war, das Boaz gehörte, [auf das Rut geriet, Rut 2,3]. [Daher besteht] die Notwendigkeit, [die Formulierung] zu verdoppeln und zu sagen, dass ihre Ankunft in Beit Lechem [nämlich] war zu Beginn der Gerstenernte.

[Zu Rut 2] [Zu Rut 2,1] Und Noomi hatte einen Angehörigen von der Seite ihres Mannes her usf. – Dessen Erklärung ist,

317 Im Text steht ‫משעה‬, was hier als ‫ מעשה‬interpretiert und wie zu Rut 2,3 mit "Handlung" übersetzt wird. 318 Eine Übersetzungsalternative für ‫ אירע הדבר‬ist "Geschehen", hier i.S.v. "Ergebnis" oder "Resultat." 319 Im Text steht ‫כבל כ'ד' ספרים‬, hier wird aber ‫ בכל כ'ד' ספרים‬übersetzt. 320 Im Text steht ‫ומשנעשה דבר‬, was hier übersetzt wird als "Und wie eine Sache als Handlung [formuliert] wird". Eine wörtlichere Wiedergabe wäre bspw. "und von dem, wie die Sache gemacht ist". 321 S.o., Anm. 318. 322 Hier argumentiert der Kommentar nicht in Einklang mit der Textchronologie in Richter 17, vgl. dazu betr. Ausführung im Kapitel "Vergleich der Kommentar-­ Fassungen zum Buch Rut."

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8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin Fol. 259v, Col. 2

[also die] Erklärung [des Wortes ist]: Ein naher [Verwandter] ihres [verstorbenen] Mannes, wie Sage zur Weisheit, du bist meine Schwester, und nenne die Klugheit eine Angehörige324 (Prov. 7,4). 323

[Zu Rut 2,2] Und Rut, die Moabiterin, sagte zu Noomi: Ich will doch bitte auf dem Feld sammeln gehen und in den Ähren Nachlese halten, hinter dem, in dessen325 Augen ich Gunst finden werde – so sagte [es] Rut zu ihrer Schwiegermutter: Jeder, der auszieht um Ähren zu sammeln, [da] richtet jeder einzelne seine Augen auf das Feld seines nahen [Verwandten]. Ein anderer [richtet seine Augen auf das Feld] seines Freundes. Aber ich – ich habe keinen Bekannten326. [So] werde ich für mich hinter einem Menschen hergehen, in dessen Augen ich Gunst finden werde, der [es] mir erlauben wird, auf seinem Feld [Nachlese] zu sammeln.

[Zu Rut 2,3] Und sie ging und sie kam – [dessen] Erklärung ist: und sie ging von ihr weg. Und sie kam und sie hielt Nachlese auf dem Feld hinter den Schnittern her. Und es passierte zufällig – so ist das Ereignis der Handlung, dass es ihr widerfuhr327, auf den Teil des Feldes von Boaz zu kommen.

323 Im Text steht ‫פרונו פתרונ‬, wobei sich beide Worte über das Ende und den Anfang einer Spalte hinweg erstrecken (das erste Wort befindet sich auf Fol. 259v, Col. 1, Zeile 40; das zweite auf Fol. 259v, Col. 2, Zeile 1). 324 Prov. 7,4 ‫אֱמ ֹר ַל ָח ְכמָה אֲח ֹתִ י אָּתְ ּומ ֹדָ ע ַלּבִינָה תִ ק ְָרא׃‬, siehe MT BHQ. Durch den Kontext von Prov. 7,4 könnte ‫ מודע‬auch mit "Vertraute" wiedergegeben werden. Aufgrund der angestrebten Einheitlichkeit der Übersetzungen in den unterschiedlichen Kommentar-­ Versionen wird ‫ מודע‬hier aber auch als "Angehörige" übersetzt. 325 Im Text steht ‫בעיניך‬, was wörtlich "in deinen Augen" übersetzt werden kann, hier aber mit der Lesart aus MS Hamburg hebr. 32 ‫( בעיניו‬mit Suffix 3. Sg. mask.) wiedergegeben wird. 326 Im Text steht ‫מכיר‬, daher mit "Bekannter" übersetzt, im Gegensatz zu ‫מודע‬, "Angehöriger." 327 Im Text steht ‫הוקרה‬, hier als passive Form verstanden: √‫ קרה‬Hufal, 3. perf. mask. + fem. Suffix; "widerfuhr" wird hier übersetzt als Synonym von "passieren", was im Lemma des Bibeltextes übersetzt wird. Diese Wiedergabe soll im Kontext der Argumentation die Abgrenzung zu "Ereignis" und "Handlung", mit den Wortwurzeln √‫"( ארע‬ereignen") und √‫"( עשה‬handeln"), hervorheben.

8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

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[Zu Rut 2,4] Und siehe, Boaz kam aus Beit Lechem.

[Zu Rut 2,5] Und Boaz sprach zu seinem jungen Mann, der über die Schnitter bestellt war: Zu wem gehört diese junge Frau? – Dies ist Brauch [in] der Welt, dass jeder, der [Trauben in] seinem Weinberg liest oder der sein Feld aberntet, einen Vorgesetzten aufstellt, damit er keinen fremden Menschen eintreten lasse, um zur Zeit der Ernte sein Feld zu betreten, es sei denn, es ist ein ihm nahestehender Verwandter (Lev. 21,2). Und als Boaz kam, fragte er weder nach jungen Frauen, die er kannte, noch tadelte er seinen über die Schnitter bestellten jungen Mann, weshalb er [es] diesen jungen Frauen erlaubte, [Nachlese] zu sammeln. Sondern [er fragte nur] wegen Rut, die in seinen Augen wie eine Fremde [er]schien, und fragte [den jungen Mann] über sie [aus]: „Zu wem gehört diese junge Frau?“, als ob er ihn tadeln würde, warum er ihr Erlaubnis gegeben hatte, [Nachlese] zu sammeln.

[Zu Rut 2,6] Und der junge Mann, der über die Schnitter bestellt war, antwortete: Sie ist eine moabitische junge Frau, die mit Noomi von dem Feld Moabs zurückgekehrt ist – [Diese Antwort ist fast so,] als antworte er ihm: Auch diese ist wegen der [verwandtschaftlichen] Nähe hierher gekommen.

[Zu Rut 2,7] Und sie sagte: Ich möchte bitte [Nachlese] sammeln und zwischen den Garben hinter den Schnittern [her aufsammeln]. – All dies ist die Rede des jungen Mannes, der über die Schnitter [bestellt war], der Boaz erzählt: Als diese in dieses Feld eintrat, um [Nachlese] zu sammeln, sagte sie zu mir: Ich möchte bitte [Nachlese] sammeln, und zwischen den Garben hinter den Schnittern [her aufsammeln]. Und sie kam und stand seit heute Morgen an und bis jetzt und diese [gönnte sich] [im] Haus kaum Ruhe. Und sie sammelte nichts außer ein bisschen für den Bedarf ihrer Schwiegermutter, die zu Hause sitzt und sie erwartet. Dies[e gönnte sich] im Haus kaum Ruhe erklärte R. Menaḥem Bar Ḥelbos [folgendermaßen]: Dies[e gönnte sich] kaum [ist zu beziehen] auf ihr Sitzen im Hause.

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8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin Fol. 259v, Col. 3

[Zu Rut 2,8] Und Boaz sprach zu Rut: Hast du nicht gehört, meine Tochter? Gehe nicht, meine Tochter, um auf einem anderen Feld [Nachlese] zu sammeln! – Nachdem er ihr gesagt hatte: Gehe nicht, meine Tochter, um auf einem anderen Feld [Nachlese] zu sammeln, damit sie dich nicht auf einem anderen Feld angehen, denn er sprach „Es ist Hässlichkeit328 und eine Schande329 für eine Frau, wenn junge Männer sie berühren.“ Und wenn sie einwenden würde: „Auch hier könnten mich die jungen Männer von Boaz angehen,“ wird deshalb [gleich] gesagt: So halte dich an meine jungen Frauen … und den jungen Männern habe ich befohlen,330 dich nicht zu berühren (Rut 2,9). Und daher sagt ihr [später auch] ihre Schwiegermutter: Es ist gut, meine Tochter, wenn du mit seinen jungen Frauen [hin]ausgehst, und [so] wird331 man dich nicht auf einem anderen Feld [sexuell] nötigen (Rut 2,22). Und wenn sie [dann] vielleicht noch einwenden würde: „Wenn diese [Ernte] geschnitten sein wird332, muss ich gegen meinen Willen auf einem anderen Feld sammeln.“ Und vielleicht würde sie [noch etwas anderes] einwenden,333 daher ist gesagt: Richte deine Augen [stets] auf das Feld, das sie abschneiden und gehe hinter ihnen her (Rut 2,9). Und auch Rut erzählte es ihrer Schwiegermutter: Auch ich, [so] hat er zu mir gesagt: Halte dich an die jungen Männer, die [für] mich [arbeiten], bis sie die ganze Ernte, die mir gehört, beendet haben (Rut 2,21).

[Zu Rut 2,9] Und [wenn] du durstig bist, das [soll sie wie folgt auffordern:] dann gehe zu den Gefäßen und trinke von dem, was die jungen Männer schöpfen, obwohl es

328 Im Text steht hier eigentlich ‫בעור‬, was aber bspw. mit MS H32 als ‫" כיעור‬Hässlichkeit" übersetzt wird, siehe z. B. Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 197 und Lavy, Jaacov: Handwörterbuch Hebräisch-­Deutsch. 2. Aufl. Berlin, München: Langenscheidt; Tel-­Aviv: Achiasaf, 1975. S. 230. 329 Im Text steht ‫ונוול‬, was mit "und Schande" übersetzt wird. Die Übersetzung "Schande bereiten" wird auch verwendet für ‫( …מתגנה ב‬vgl. MS Berlin 1221 zu Rut 3,11) wobei dort eine andere Wortwurzel verwendet wird. 330 Im Zitat aus Rut 2,9 wird ein Teil des Verses ausgelassen und das Verb ‫ ציויתי‬umgestellt, welches MT BHQ als ‫ צויתי‬wiedergibt. 331 Im Text steht ‫ואל‬, hier wird mit MT BHQ Rut 2,22 ‫ ולא‬übersetzt. 332 Im Text wird '‫ כשיק‬abgekürzt und mit MS Hamburg hebr. 32 als ‫ כשיקצור‬übersetzt. 333 Die Worte ‫ ושמא תאמר‬sind mit kurzen Strichen versehen, evtl. deutet dies auf eine Streichung hin. Hier wird jedoch übersetzt: "Und vielleicht würde sie einwenden".

8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

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dem Rest der Armen, die hinausgehen, um hinter den Schnittern her [Nachlese] zu sammeln, nicht erlaubt ist, zu den Gefäßen zu gehen, um von dem zu trinken, was die jungen Männer schöpfen.

[Zu Rut 2,10] Weshalb habe ich Gefallen in deinen Augen gefunden, mich wahrzunehmen, obwohl ich eine Fremde bin? – Und was sahst du, mich wahrzunehmen?

[Zu Rut 2,11] Und Boaz antwortete und sprach zu ihr: (‫ )הגד הוגד‬Es ist mir erzählt, [ja wirklich] erzählt worden. – Warum zweimal? Die Erklärung [dafür] ist: Es wurde [mir] erzählt, dass du deinen Vater und deine Mutter verlassen hast, [und weiter] wurde erzählt, dass du dein Heimatland verlassen hast und zu einem Volk gingst, das du vordem334 [noch] nicht kanntest. Denn wenn du keinen Vater und keine Mutter gehabt hättest, als du von dort weggingst, hätte ich diese Sache davon abhängig gemacht,335 dass du [das Land] verlassen hast, um dich von Israel zu ernähren.336 Oder wenn [du] von einem anderen Ort weggegangen wärst, der nicht der Ort deiner Heimat oder deiner Herkunft ist, wo sie dich nicht kennen, [dann] hätte ich [gedacht, dass] diese Sache daran hängt337, [dass] du weggegangen bist, um einem Mann angeheiratet zu werden.338 Aber jetzt kann die Sache nicht am Lebensunterhalt hängen, weil dein Vater und deine Mutter [ja noch weiterhin am Leben] sind und man kann die Angelegenheit nicht so [daran] hängen339, dass du von dort weggegangen bist, um einem Mann angeheiratet zu werden. 334 Im Text steht ‫תמול שלשום‬, was wörtlicher übersetzt mit "vorgestern" wiedergegeben werden könnte, hier im inhaltlichen Kontext jedoch nicht passt. 335 Im Text tritt die Formulierung ‫ לתלות הדבר‬zweimal in der Erklärung zu Rut 2,11 auf. Hier, beim ersten Mal steht ‫הייתי תלה הדבר‬. Formulierungsalternative für das erste Auftreten der Formulierung: "hätte ich [gedacht, dass] diese Sache, dass du [das Land] verlassen hast, daran hängt, [dass] dich von Israel zu ernähren [willst]", oder "hätte ich diese Sache davon abhängig gemacht." 336 Letzter Satzteil wird in der Übersetzung umgestellt; im Text steht ‫כדי להתפר' להתפרנס‬ ‫מישר' יצאת‬. 337 Hier steht im Text ‫לתלות הדבר‬, i.S.v. "ich hätte die Sache so aufgefasst", vgl. auch Anm. 335. 338 Der letzte Satzteil des hebräischen Textes wird in der Übersetzung umgestellt. Im Text steht hier ‫כדי להינשא לאיש יצאת‬. 339 Im Text steht ‫הייתי תולה הדבר‬, was hier so textnah wie möglich übersetzt wurde, i.S.v. "die Sache so auffassen", vgl. Anm. 335.

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8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin Fol. 260r, Col. 1

Denn du saßest ja inmitten deines Volkes und verließest dein Heimatland und du gingst zu einem Volk, das du vordem340 nicht kanntest (Rut 2,11). Und es ist für jeden Mann schwierig, eine Frau zu nehmen, die er nicht kennt. Daher kann man die Sache, dass du hierher kamst, nicht [von den gerade genannten Gründen] abhängig machen, sondern einzig daran, [dass du kamst,] um dich unter seinen Flügeln zu bergen (Rut 2,12).

[Zu Rut 2,12] Der Ewige vergelte dir dein Werk und es werde dir dein Lohn vollständig341 [vergolten] – Weil eine Frau, die das Haus ihres Vaters und das Land ihrer Geburt verlässt und zu einem Volk auszieht, das sie nicht kennt, ohne342 [gesicherten] Lebensunterhalt ist und ohne einen Mann, der ihr würdig ist, daher segnete er sie: Der Ewige vergelte dir dein Werk und es werde dir dein Lohn vollständig [vergolten]. [Dessen] Erklärung [ist]: Alles, was dir fehlt, dafür, [ja] dafür,343 dass du ausgezogen bist, um dich unter seine Flügel zu bergen, vergelte dir der Heilige, gepriesen sei er. Er gebe dir Unterhalt und ein Heim, das dir gut sein wird (vgl. Rut 3,1; 1,9).

[Zu Rut 2,14] (‫„ )ויצבט‬Und er reichte“ ihr344 Geröstetes [Getreide] dar – [Dessen] Erklärung [ist]: (‫„ )הושיט‬Er reichte“ ihr345 dar. Wie wir es [an anderer Stelle] gefunden haben, dass uns gelehrt worden ist: „Die Rückseite, die Innenseite und der Henkel“

340 Im Text steht ‫תמול שלשום‬, was wörtlicher übersetzt mit "vorgestern" wiedergegeben werden kann, hier im inhaltlichen Kontext jedoch nicht passt, vgl. Anm. 334. 341 Im Text steht ‫ישלם‬, von √‫שלם‬, was hier i.S.v. "voll und ganz" mit "vollständig" wiedergegeben wird, sich jedoch auf eine andere Wortwurzel als das Wort ‫ מלאה‬bezieht, √‫" מלא‬voll", das in Rut 1,21 auftritt. 342 Im Text steht ‫מחסרת‬, dies könnte wörtlicher übersetzt als "Mangel hat an…" wiedergegeben werden, wird aber hier nicht verwendet, da sich "ohne" besser in den Kontext einfügt. 343 Im Text steht ‫ בשביל‬doppelt ("‫)"בשביל בשביל‬, was hier ebenfalls doppelt wiedergegeben wird. 344 Das Wort ‫ ויצבט‬bedeutet "ergriff sie und reichte ihr dar", siehe Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 672. 345 Im Text steht ‫לך‬, was als Schreibfehler interpretiert werden kann. Z.B. steht in MS Hamburg hebr. 32 ‫לה‬, was mit "ihr" übersetzt besser in den Kontext passt.

8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

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(mHag 3,1). Und [dies ist] in der Gemara ausgelegt [als] „von einem Ort, an dem man ergreift“ (vgl. bHag 22b). Und sie aß und wurde satt und ließ [noch etwas] übrig – weil angrenzend gesagt ist: Und sie zog sie heraus und gab es ihr, was sie übrig behalten hatte, als sie satt geworden war (Rut 2,18). Der [hier erklärte Vers] geht [dem zitierten Vers] voraus und lehrt dich, dass sie [noch etwas von der Mahlzeit] übrig behalten hatte [und das war das, was sie dann später ihrer Schwiegermutter gab].

[Zu Rut 2,15] Auch zwischen den Garben soll sie [Nachlese] sammeln – Den übrigen, die noch [Nachlese] sammeln, ist es nicht erlaubt, zwischen den Garben [Nachlese] einzusammeln346, damit die Ähren nicht aus den Garben fallen. Sie darf [Nachlese] sammeln und ihr sollt sie nicht beschämen – [Dessen] Erklärung [ist]: Wendet euch nicht von ihr ab, dass sie mit leeren347 Händen [dasteht]348. ‫ ולא שקונדיטו‬349 in der Landessprache. Wie: Die jungen Männer,350 die dir [zur Verfügung stehen], waren mit uns, und wir haben sie nicht beschämt (1. Sam. 25,7). Dessen Erklärung ist: Wir haben nicht [etwas] vor ihnen zurückbehalten, wir verweigerten ihnen nichts (vgl. Koh. 2,10351) von dem, was sie von mir352 erbaten. Und so [auch in folgendem Vers]: […] niemand wurde [wegen] einer Sache beschämt

346 Im Text wird dieser Teil nochmals wiedergegeben: ‫שאר המלקטין אינן רשאין ללקט בין‬ ‫העמרים‬. Dies kann als Dublette interpretiert werden und wird daher in der Übersetzung nicht erneut wiedergegeben. Wenn diese Formulierung jedoch als "Verstärkung" der Aussage verstanden werden will, könnte hier Folgendes in der Übersetzung hinzugefügt werden: "…[ja wirklich:] Den übrigen, die noch auflesen, ist es nicht erlaubt, zwischen den Garben einzusammeln…" 347 Evtl. vgl. Rut 3,17. 348 Im Text steht ‫לא תשיבו פניה ריקם‬, was hier aber nicht mit "Gesicht", sondern euphemistisch mit "Händen" wiedergegeben wird. 349 Umgeschrieben evtl. nule secondites mit der Bedeutung von "[Behandelt] sie nicht zweitrangig!" 350 In 1. Sam. 25,7 steht ‫ רועים‬statt ‫נערים‬. 351 In Koh. 2,10 sind die Verben im Singular, dort steht eigentlich: …‫ֹלא ָא ַצלְּתִ י ֵמהֶם ֹלא־‬ ‫ … ָמנַעְּתִ י‬was übersetzt werden kann mit "… ich habe nicht [etwas] vor ihnen zurückbehalten, ich verweigerte ihnen nichts..." 352 Im Text steht ‫ממני‬, wird übersetzt als "von mir." ‫ ממני‬könnte evtl. als Abkürzung wegen Zeilenende und daher ggf. mit "von uns" wiedergegeben werden, was inhaltlich besser in den Kontext passen würde. Jedoch wird dieses Wort im nächsten Zeilenanfang nicht wiederholt und wird daher wie in MS Berlin 1221 formuliert übersetzt.

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8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

im Land (Ri. 18,7). Dessen Erklärung ist: Kein Mensch enthält seinem Freund [etwas] vor, ‫[ נאישט נול אלטיר דישקונדישר‬in der Landessprache]. Denn sie alle haben Fülle und bei ihnen ist kein Armer, wie [auch der Vers] erklärt: Ein Ort, an dem es überhaupt keinen Mangel gibt an dem, was es im Land gibt (Ri. 18,10).

[Zu Rut 2,16] Und ihr sollt ihr auch (‫ )שול תשולו‬herausziehen, [ja wirklich] von den zusammengebundenen Ähren herausziehen – Erklärung: (‫ )השלך השליכו‬Wirf, [ja wirklich] werft ihr [hin], ein handvolles Bündel, das ein Mensch zur Stunde der Ernte fassen kann, [auch] genannt „Bündel“ oder „Gebund“ (mEr 10,1). Fol. 260r, Col. 2

[Zu Rut 2,18] Und sie nahm, und sie kam [in] die Stadt usf.

[Zu Rut 2,19] Und ihre Schwiegermutter fragte sie: Wo hast du heute gesammelt, und wo hast du [das] gemacht? – [Dies ist] ein Ausdruck für Gewinn und [gleichzeitig] ein Ausdruck für Lohn. Wie [in folgendem Vers]: [Du könntest in deinem Herzen sprechen: Meine Kraft und meiner Hände Stärke] brachte353 mich zu [diesem]354 großartigen [Reichtum] (Dt. 8,17), und man übersetzt es: Kaufe mir (Targum Onkelos zu Dt. 8,17). Und so auch: Das Land brachte355 in den sieben Jahren diesen Überflusses […] hervor (Gen. 41,47), wofür [die] Erklärung [folgende] ist: der Gewinn [des Landes]. Und so [auch]: Und es [das Land] wird den356 Ertrag für drei Jahre aufbringen357 (Lev. 25,21). Und [nun sag schon,] wo hast du das gemacht? ‫ או אשוב דיש‬358 in der Übersetzung. 353 Im Text steht ‫עשה‬, was wörtlich mit "machte [mir diesen Reichtum]" übersetzt werden könnte, sich jedoch nicht völlig in den Kontext einfügt. 354 Im Verszitat in MS Berlin 1221 fehlt ‫את‬. Dt. 8,17 ‫… ָעׂשָה לִי אֶת־ ַה ַחי ִל ַהּזֶה׃‬, siehe Biblia Hebraica Stuttgartensia, BHS (1983) Accordance. 355 Im Text steht ‫תעש‬, wörtlicher übersetzbar mit "machte [diesen Überfluss]." 356 Im Verszitat in MS Berlin 1221 fehlt ‫את‬. Lev. 25,21 ‫ּׁשנִים׃‬ ָ ‫ ְו ָעׂשָת אֶת־הַּתְ בּוָאה ִלׁשְֹלׁש ַה‬, zitiert aus Biblia Hebraica Stuttgartensia, BHS (1983) Accordance. 357 Im Text steht ‫ועשת‬, wörtlicher übersetzbar mit "Und [das Land] wird [den Ertrag für drei Jahre] machen." 358 Umschrift evtl. "Où ast guadigné, wo hast du verdient?" Vgl. Jellinek: Commentarien zu Esther, Ruth und den Klageliedern 1855, S. 30.

8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

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Dein Bekannter sei gesegnet.359 – Wie: [… Jeder] Mensch von seinem Bekannten (2. Kön. 12,6). Was sah360 Noomi, sie zu fragen: Wo hast du heute [Nachlese] gesammelt? Und was sah361 sie, zu sagen: „Dein Bekannter sei gesegnet“? Aber weil sie sah, dass [Rut] ein Efa Gerste (vgl. Rut 2,17) für einen Tag gebracht hatte. [Das ist] was kein anderer Mann, der auszieht, um hinter den Schnittern her [Nachlese] zu sammeln, für zehn Tage [sammeln] kann. [Daher] sagte sie: Das [kann] nicht zu dem Gesammelten [der Nachlese gerechnet werden]. Vielleicht hast du bei362 einem unserer nahen [Verwandten] heute [Nachlese] gesammelt, dass du dies alles gebracht hast. [So] sage mir: Wo hast du [Nachlese] gesammelt? – [Etwa] bei einem von unseren Bekannten? Daher sagt sie ihr: Dein Bekannter sei gesegnet.

[Zu Rut 2,21] (‫„ )עד אם‬Bis [dahin], wenn“ sie [die Ernte] abgeschlossen haben werden – [dessen] Erklärung ist: (‫„ )עד אשר‬bis“ sie „dann“ abgeschlossen haben werden. Und so auch [folgender Vers] (‫„ )אם רחץ‬Wenn [mein Herr den Unflat] abgewaschen haben wird“ (Jes. 4,4) wie [es dort die Bedeutung von] (‫„ )כי‬denn [wenn er abgewaschen] hat“363 hat.

[Zu Rut 3] [Zu Rut 3,1] Und Noomi, ihre Schwiegermutter, sprach zu ihr: Meine Tochter, soll ich dir [denn] nicht eine Ruhe erbitten, damit es dir gut ergehen wird? – Daher [wird oben gesagt], dass der Mann, dem du verheiratet werden wirst „Ruhe“ genannt wird. Wie gesagt ist: …ihr sollt Ruhe finden [als] Frau [im] Hause ihres Mannes 359 Dieses Lemma könnte auch übersetzt werden mit "Der[jenige] sei gesegnet, der dich [in dieser Weise] wahrgenommen hat", vgl. dazu die Übersetzung zu Rut 2,10. Dort wird das Verb der Wortwurzel √‫ נכר‬als "wahrnehmen" übersetzt. Hier jedoch wird ‫ מכירך‬als "dein Bekannter" wiedergegeben, um die Verbindung zu 1. Kön. 12,6 zu verdeutlichen. 360 Im Text steht ‫ראת‬, was als Einleitung in die Erklärung auch mit "veranlasste" wiedergegeben werden könnte, hier aber für den Kontext passender wörtlich übersetzt als "sah" wiedergegeben wird. 361 Vgl. ebd., Anm. 360. 362 Im Text steht ‫אצל אחר‬, was als "bei [einem] hinter her" übersetzt werden könnte, hier aber als ‫ אצל אחד‬interpretiert und mit "bei einem" wiedergegeben wird. 363 Vgl. bspw. MS Hamburg hebr. 32, wo statt ‫ כי‬die Ausführung ‫ כאשר רחץ‬steht.

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8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

(Rut 1,9). Aber manchmal [kommt es vor,] dass die Frau einem Mann angetraut wird und er sie gering schätzt. Und dies ist [dann] keine vollkommene Ruhe, aber ich werde dir364 eine Ruhe erbitten, damit es dir gut ergehen wird.

[Zu Rut 3,2] Und siehe, Boaz, unser Angehöriger,365 mit dessen jungen Frauen du [zusammen] warst. Denn er ist ein rechtschaffener366 Mann, und er wird dich nicht gering schätzen. Siehe: Er worfelt auf der Gerstentenne diese Nacht. – Es ist eine schandhafte367 Sache für eine Frau, einen Mann in seinem Haus zu erbitten, vor seinen Angehörigen des Hauses, weil das Verdacht [entstehen lässt]. Aber heute Nacht worfelt er auf der Gerstentenne. Und [so] komme leise (vgl. Rut 3,7), [d. h.] mit Leichtigkeit

[Rut 3,4] und decke von seinen Füßen her auf und lege dich hin und er wird dir sagen, was du tun sollst.

[Zu Rut 3,8] Und es war in der Mitte der Nacht, und er fuhr [vom Schlaf] auf und er beugte sich vor. Und es war, [dass] eine Frau zu seinen Füßen lag. – Der Vers überliefert [dies so],368 und die Erklärung ist von seinem Ende her zu seinem Anfang [hin vorzunehmen]. Und [seine] Erklärung [ist folgende]: Als er von seinem Schlaf erwachte und Fol. 260r, Col. 3

seine Hände und Füße ausstreckte, fühlte er, dass die Frau zu seinen Füßen liegt. Dadurch fuhr er [vom Schlaf] auf. Und er beugte sich vor – ein Ausdruck [für das] Ausstrecken von Armen und Beinen und ein Ausdruck für Biegen, wie es 364 Im Text steht ‫לה‬, mit MS Hamburg hebr. 32 als ‫ לך‬übersetzt. 365 Im Text steht ‫מודעתינו‬. Zur Übersetzung von ‫ מודע‬vgl. Anm. 324 zu Rut 2,1. 366 Im Text steht ‫צדיק‬, was ebenfalls mit "gerecht" übersetzt werden kann; "rechtschaffen" wird in der Übersetzung verwendet, da dies m. E. besser in den Kontext passt. 367 Im Text steht ‫דבר מגינה הוא‬. √‫ גנה‬könnte auch mit "beschämen, tadeln" übersetzt werden, vgl. aber Anm. 376 zu Rut 3,11 sowie MS London 22413 zu Rut 3,3, dort wird ‫ גנאי‬mit "Schande" übersetzt. 368 Hier übersetzt als ‫" מקרא מסור‬der Vers überliefert." Mit MS Hamburg hebr. 32 ‫מקרא‬ ‫ מסורס‬auch übersetzbar als "Der Vers ist [hinsichtlich der berichteten Ereignisse] umgestellt".

8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

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die Gewohnheit eines Menschen ist, der von seinem Schlaf erwacht: Er streckt seine Arme und Beine aus und beugt [sie] hierhin und dorthin. Und so [auch] Und Shimshon umschlang [die Säulen] (Ri. 16,29). ‫ אישטודש‬in der Landessprache.

[Zu Rut 3,9] Und er sprach: Wer bist du, meine Tochter? Und [sie] sprach: Ich bin Rut, deine Magd. Und breite den Saum deines Gewandes369 über [deine] Magd, denn ein Löser bist du – Als ob sie sagt: Nicht zwecks Prostitution bin ich hierher gekommen, sondern um dir angeheiratet zu werden, denn ein Löser bist du.370 Und das, was hier [noch] unklar ist, wird am Ende des Buches erklärt: An dem Tag, an dem du den Acker aus der Hand der Noomi erwirbst, erwirbst du auch die Moabiterin Rut, die Frau des Verstorbenen, um den Namen des Verstorbenen auf seinem Erbteil zu erheben (Rut 4,5).

[Zu Rut 3,10] Und er sprach: Gesegnet seist du, meine Tochter, dem Ewigen, [denn] zuletzt hast du deine Liebenswürdigkeit noch mehr als zuvor bewiesen, denn du bist nicht den jungen Männern nachgelaufen, [egal] ob dürftig oder reich. – [Denn] wenn du nicht zu mir gekommen wärest, hätte ich diese Sache [davon] abhängig machen371 können, dass du [deshalb] (zum Judentum) übergetreten bist,372 weil du heute oder morgen deine Augen auf373 einen der jungen Männer wirfst, und dich [mit ihm] vermählen374 wirst. [Denn es ist doch so,] dass eine Frau [eher ihre

369 D.h. "nimm mich zur Frau," vgl. Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 354. 370 Im Text wird Fol. 260r, Col. 3, Zeile 9 wiederholt, was übersetzt nochmals folgendermaßen wiedergegeben werden könnte: "Als ob sie sagt: Nicht zwecks Prostitution bin ich hierher gekommen" (s. o.). 371 Im Text steht ‫לתלות‬, was auch übersetzt werden kann mit "[davon] abhängig machen," vgl. oben, Anm. 335. 372 Im Text steht ‫[ שלכך נתגיירה שהיום שלכך נתגיירה שהיום או למחר תתני‬Hervorhebung durch Verfasserin]. Dabei kann ‫ שהאם שלכך נתגיירה‬als Wiederholung interpretiert werden, daher wird dies in der Übersetzung nicht nochmals wiedergegeben. Angemerkt sei, dass dies übersetzt folgendermaßen wiedergegeben werden kann: "…wie an diesem Tag, an dem sie (zum Judentum) übergetreten ist…" 373 Im Text steht ‫כאחד‬, was übersetzt mit "wie einen" wiedergegeben werden könnte, hier aber i.S.v. ‫ באחד‬übersetzt wird. 374 Hier wird statt der im Deutschen weniger passenden Übersetzung "ihn [dir] heiraten" die Übersetzung "vermählen" gewählt, da im Hebräischen auf das Verb ein Posse-

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8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

Augen wirft] auf einen Jüngling, [der] dürftigerer ist als ein reicher Alter. Aber jetzt klärt sich diese Sache auf, dass du nicht [dafür] gekommen bist, (zum Judentum) überzutreten, sondern aus dem unselbstsüchtigen Beweggrund heraus.375

[Zu Rut 3,11] Aber jetzt, meine Tochter, fürchte dich nicht. Alles, was du mir sagen wirst, will ich für dich tun. Denn es weiß jeder [im] Tor meines Volkes, dass du eine großartige Frau bist. – [Dessen] Erklärung [ist]: Es [mag vorkommen], dass ein Mann eine Frau aus einer gering geschätzten Familie heiratet und sich ihrer schämt und er sich durch sie Schande bereitet, wegen ihrer Familie. Aber [nicht so] ich: Wenn ich dich heiraten werde, werde ich mir durch dich keine Schande bereiten,376 sondern durch dich beehrt werden und mich mit dir krönen. Denn jeder [im] Tor meines Volkes weiß, dass du eine großartige Frau bist – und eine großartige Frau ist die Krone ihres Mannes (Prov. 12,4).

[Zu Rut 3,13] Ruhe diese Nacht und es wird am [nächsten] Morgen sein. Wenn er dich lösen wird, gut, [so] soll er lösen. – [Dessen] Erklärung [ist]: Wenn dich der näher als ich [verwandte] Löser lösen wird, siehe, [dann] ist es gut, [so] soll er lösen.

[Zu Rut 3,14] Und sie legte sich zu seinen Füßen, bis zum Morgen. Und sie stand auf, bevor ein Mensch seinen Nächsten erkannte. Und er sprach: Es soll [bloß] nicht bekannt werden, dass diese Frau auf diese Tenne gekommen ist. – [Dessen] Erklärung [ist]: daher schickte er sie [weg], bevor ein Mensch seinen Nächsten erkennen konnte, denn er sagte: Es soll niemand wissen, dass diese Frau gekommen ist.

sivpronomen 2. Fem. Sg. ‫ לך‬folgt, und auch dieses in der Übersetzung vorkommen soll: …‫…ותינשאי לך‬ 375 ‫ לשם שמים‬ist auch übersetzbar als "zur Ehre Gottes," siehe Lavy: Handwörterbuch Hebräisch-­Deutsch 1975, S. 578, wird hier im Kontext jedoch als "aus dem unselbstsüchtigen Beweggrund heraus" wiedergegeben. 376 ‫ להתגנה‬Alternative Übersetzung wäre "… ich werde dich nicht gering schätzen". Vgl. dazu Anm. 329 zu Rut 2,8, wo ‫ ונוול‬ebenfalls mit "und Schande" übersetzt wird.

8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

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[Zu Rut 3,15] Und er sprach: ‫( הבי‬Gib) Fol. 260v, Col. 1

das Umschlagtuch, das du anhast.  – Wie: ‫( הבה‬Wohlan), lass uns klug gegen ihn vorgehen (Ex. 1,10). Und er maß sechs [Maß] der Gerste ab und legte [sie] auf sie – Sechs [Hohl-]Maßeinheiten. 377

378

[Zu Rut 3,16] Und sie kam zu ihrer Schwiegermutter [zurück] und [diese] sagte: Wer bist du, meine Tochter? – [Dessen] Erklärung [ist]: Was hast du vorgefunden, meine Tochter? Und so [auch]: Und sie gingen [hinaus] zu ihren Brüdern und er sprach:379 Wer seid ihr? (Vgl. Ri. 18,8380) Dessen Erklärung ist: Was habt ihr vorgefunden?381 Und sie erzählte ihr alles, was der Mann ihr getan hatte. – Dass er ihr versprochen hatte, sie zur Frau zu nehmen.

[Zu Rut 3,17] Und sie sprach382: Die sechs [Hohl-]Maß Gerste hat er mir gegeben, denn er sagte zu mir: Komme nicht [mit] leer[en Händen] zu deiner Schwiegermutter [zurück]. – Denn wenn [Noomi] sagen würde: Was ist der Bedarf an diesen sechs [Hohlmaß] Gerste, nachdem [der] Mann dir [doch] versprochen hat, dich zu heiraten?! Siehe alles, was ihm gehört, ist [dann doch auch] dein! – Daher muss [auch im Bibeltext gleich anschließend] erklärt werden: Nicht für mein Bedürfnis hat er sie gegeben, sondern weil er zu mir sagte: Komme nicht [mit] leer[en Händen] zu deiner Schwiegermutter [zurück].

377 Rut 3,17 schreibt hier ‫מטפחת‬. Dies ist "ein großes Umschlagetuch der Frauen" siehe Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 417. 378 ‫ אשר עליך‬lautet wörtlicher übersetzt: "…das auf dir liegt." 379 In diesem Kontext i.S.v. "fragte." 380 Aber Ri. 18,8 ‫ ַוּי ָב ֹאּו אֶל־ ֲאחֵיהֶם צ ְָרעָה ְו ֶאׁשְּתָ א ֹל וַּי ֹאמְרּו ָלהֶם ֲאחֵיהֶם מָה אַּתֶ ם׃‬mit anderen Wortformen als in MS Berlin 1221: ‫ויבואו אל אח אחיהם ויאמר מי אתם‬. Vgl. auch MS London 22413 zu Rut 3,16, wo auch auf Ri. 18,8 Bezug genommen wird, jedoch die Frage mit ‫( מה אתם‬wie MT BHQ) wiedergegeben wird [Hervorhebung durch Verfasserin]. 381 "‫ "מה מצאתם‬kommentiert auch Rashi zu Ri. 18,8, vgl. MGK. Kara kommentiert zu ‫מה‬ ‫ אתם‬in Ri. 18,8 mit ‫" מה ראיתם‬Was saht ihr?" Siehe Mgketer Application, 1994. 382 Im Text steht ‫ויאמר‬, was wörtlich übersetzt mit "und er sprach" wiedergegeben werden könnte, aber im Kontext hier nicht passt.

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8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

[Zu Rut 3,18] Und sie sprach: [Gönne Dir ruhig etwas] Ruhe,383 meine Tochter, bis du [mehr] weißt. – Warte [nur] ab.384 Denn der Mann wird nicht [eher] ruhen […] – Nachdem er dir [doch] geschworen hat, die Sache [erledigt an den Nagel] zu hängen.385

[Zu Rut 4] [Zu Rut 4,1] Und Boaz stieg zum Tor hinauf und setzte sich dort [hin], und siehe, der [andere mögliche] Löser kommt vorbei, über den Boaz geredet hatte. Und [Boaz] sprach: Komm zurück!386 Setze dich hierher, (‫„ )פלוני אלמוני‬Peloni Almoni“387. (‫„ )אלמוני‬Almoni“ [So-­und-]So  – [Dessen] Erklärung [ist]: Ich muss dir [folgende] Angelegenheit unterbreiten, sie ist verborgen und verdeckt und zugedeckt. Und diesem [Ausdruck] ist ähnlich an einem gewissen Ort einen Hinterhalt [legen] (2. Kön. 6,8). Und man übersetzt es [mit] „zugedeckt“. (‫„ )אלמוני‬Almoni“ [So-­ und-]So – Wie (‫„ )אלם‬stumm,“ dass die Sache zum Verstummen und bis heute noch nicht wieder ans Licht gebracht wurde.

[Zu Rut 4,2] Und [Boaz] nahm zehn Leute usf.

383 Vgl. Übersetzung zu ‫ׁשבְּתָ ּה ַה ַּבי ִת ְמעָט‬ ִ ‫ זֶה‬in Rut 2,7, s. o. 384 Im Text steht ‫המתים המתיני‬, wobei hier nur ‫ המתיני‬im Sinn von ‫ תמתיני‬übersetzt wurde. ‫ המתים‬steht auf Fol. 260v, Col. 1, am Ende der Zeile 16 und zweimal mit doppelten Apostrophen versehen. Dies kann als gestrichen interpretiert werden, zumal es am Ende der Zeile auch als ausgedehnter Zeilenfüller ausgewertet werden kann. Übersetzt kann das Wort an sich "die Toten" bedeuten, was hier aber weniger in den Kontext passt. 385 Im Text steht ‫לתלות‬, was mit "hängen" übersetzt wird, vgl. oben Anm. 335. 386 Im Text steht ‫שובה‬, was mit "Komm zurück!" übersetzt wurde. MT BHQ schreibt hier stattdessen ‫סורה‬, was übersetzt wie folgt wiedergegeben werden kann: "[Wende Dich] her!" oder wie in der Übersetzung von MS London 22413 zu Rut 4,1: "Komm herzu" vgl. Anm. 493. 387 Der zweiteilige Ausdruck ‫ פלוני אלמוני‬ist die Bezeichnung für den alternativen Löser, ohne dass dessen Name genannt wird. Er könnte auch mit "gewisser XY", oder "So-­ und-So" wiedergegeben werden.

8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

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[Zu Rut 4,3] Und er sprach zu dem Löser: Das Feldstück usf.

[Zu Rut 4,4] Und ich sagte [mir]: Ich will dir [die Sache] folgendermaßen [zu] Ohren [bringen, und damit] offenbaren: Ich will es [nämlich] wissen, denn es gibt keinen außer dir – [d. h. es gibt] keinen anderen nahen [Verwandten] um zu lösen, außer mich, [der ich] nach dir der nächste [Verwandte] von allen anderen Verwandten Elimelekhs bin. Und [der andere mögliche Löser Peloni-­Almoni] sprach: Ich will lösen.

[Zu Rut 4,5] Und [darauf] sprach Boaz: An dem Tag, an dem du dir das Feld von Noomi und von Rut, der Moabiterin, der Frau des Verstorbenen, erwirbst […] – [Dessen] Erklärung [ist]: Du bist nicht berechtigt, das Feld von dem zu lösen, der es kauft, wenn du es nicht zu Beginn von Noomi und von Rut der Moabiterin, der Frau des Toten, erwirbst. Denn alles, was Elimelekh gehört, und alles, was Kiljon und Machlon gehört, ist verpfändet [und ist überschrieben] für ihre Angetrauten [Orpa und Rut] in ihren Heiratsverträgen. Fol. 260v, Col. 2

Und [das heißt auch,] dass ihre Boden-­Besitztümer nicht verkauft werden [sollen], sondern [nur] an den übergehen, der sich Rut, die Moabiterin, zur Frau erwirbt, um den Namen des Verstorbenen auf seinem Erbteil zu erheben. Denn jeder, der an dem Feld vorbeikommt und fragt388: „Wem gehört dieses Feld?“, dem wird man antworten: „Es ist [das Grundstück] von dem [und dem].“ Und [wenn] er dann fragt: „War dies denn nicht [das Grundstück] von Machlon389 gewesen?“, [dann] wird man ihm antworten: „Er heiratete seine Witwe.“ So zeigt [es] sich, [dass] des Toten auf seinem Erbteil erinnert wird.

388 Im Text steht ‫וישאו‬, was aber als Schreibfehler gelten kann und hier als ‫ וישאל‬übersetzt wird, wie es bspw. auch in MS Hamburg hebr. 32 steht. 389 Im Text steht ‫מחלק‬, was hier aber als Schreibfehler verstanden wird und übersetzt wird als ‫מחלון‬, "von Machlon", wie es bspw. in MS Hamburg hebr. 32 steht.

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8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

[Zu Rut 4,6] Und der [andere mögliche] Löser sprach: Ich werde [es] mir nicht lösen können. Dass ich bloß meinem [eigenen] Erbteil keinen Schaden zufüge. – Ich kann dieses Erbteil nicht lösen, wenn ich nicht mein [eigenes] Erbteil veräußere. Und ich will meinem [eigenen] Erbteil keinen Schaden zufügen, um das Erbteil anderer zu lösen.

[Zu Rut 4,7] Und dies war früher usf. – Was diese Generationen jetzt beim Kauf durch ihren Kleiderzipfel erwerben, das hatten die Generationen der Vorderen dadurch erworben, dass ein Mann seinen Schuh auszog und seinem Nächsten gab. Und das ist ein [Zeichen der] Bestätigung in Israel – Der Erwerb ist eine Zeugenschaft in Israel, für einen, dem Zeugen bezeugen, dass er sich [etwas Bestimmtes] durch Kauf erworben hat. Nach einem Kauf[akt] ist kein [weiterer] Anspruch mehr zu stellen.

[Zu Rut 4,10] Und auch Rut, die Moabiterin, die Frau Machlons, habe ich mir zur [Ehe-] Frau erworben, um den Namen des Verstorbenen auf seinem Besitz zu erheben und den Namen des Verstorbenen nicht auslöschen zu lassen unter390 seinen Brüdern und vom Tor seines Ortes – jeder Mensch aus Israel, auch wenn er {aus Israel ist}391 [und weiter] entfernt [verwandt ist], dass er nicht [einer von] Elimelekhs nahen [Verwandten] wäre. Und auch wenn er sich Rut, die Moabiterin zur [Ehe-]Frau und auch das Feld von Noomi erworben hätte, auch dann hätte er durch den Erwerb den Namen des Toten auf seinem Besitz erhoben, weil die Grundstücke in ihren Heiratsverträgen [an sie] übertragen werden. Aber unter seinen Brüdern und dem Tor seines Ortes wäre der Name des Verstorbenen ausgelöscht worden, unter [seinen Brüdern]392 und dem Tor seines Ortes.

390 Im Text steht ‫מעם‬, was auch übersetzt werden könnte mit "von … [weg]", was sich aber im Kontext nicht schön einfügt. 391 Im Text steht ‫מישר‬, was als Abkürzung für ‫ מישראל‬aufgefasst wird. ‫ מישר‬ist zweifach mit Anführungszeichen versehen, was als Streichung interpretiert werden kann. Die Übersetzung "aus Israel" ist daher mit geschweiften Klammern versehen. 392 Im Text steht ‫מעם‬, evtl. verstand dies der Schreiber als "von dem Volk" (Präfix ‫ מ‬+ Nomen ‫)עם‬, anstatt "von" (Präposition ‫)מעם‬.

8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

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[Zu Rut 4,11] Der Ewige gebe dieser Frau, die zu deinem Haus gekommen ist, wie Rachel und wie Lea, die gebaut haben usf. – Was sahen die Ältesten, um hier, an die beiden, die das Haus I[srael] gebaut haben zu erinnern? Aber sie hatten [die Verhandlung ja mit an] gesehen, als Boaz ihm, dem Löser, sagte, das Feld zu lösen, da war [jener] bereit, zu lösen. Und er sagte: Ich will lösen (Rut 4,4). Als Boaz ihm [dann aber] entgegnete und ihm sagte: An dem Tag, an dem du dir das Feld von Noomi und von Rut, Fol. 260v, Col. 3

der Moabiterin, der Frau des Verstorbenen, erwirbst, ist auch der Name des Toten auf seinem Erbteil zu erheben (Rut 4,5), [da] antwortete ihm der Löser: Ich werde es mir nicht lösen können. Dass ich bloß meinem [eigenen] Erbteil keinen Schaden zufüge (Rut 4,6). Die Ältesten verstanden, dass er sich [wegen] nichts [sonst] zu lösen weigert[e], außer [vielmehr] wegen Rut, der Moabiterin, da es ihm eine Schande war, sie zu nehmen. Daher sagten ihm [Boaz] die Ältesten: Der Ewige gebe dieser Frau, die zu deinem Haus gekommen ist, wie Rachel und wie Lea, die beide das Haus Israel gebaut haben. Rachel und Lea – Laban, ihr Vater war Götzendiener gewesen. [Da] kam Jakob und ließ sie (zum Judentum) übertreten, und er heiratete sie – und die beiden haben [später] das Haus393 Israel gebaut. Und nicht nur [das], sondern [auch] unser Vorvater Perez stammte von Tamar ab und alle unsere Familien stammt[en]394 von Tamar ab. Wenn du Rut heiratest, wirst du Dir durch sie keine Schande bereiten.395 Es möge [Gottes] Wille [sein], dass der Ewige dieser Frau, die zu deinem Haus gekommen ist, wie Rachel und Lea gebe. Und tue in Ephrata Großartiges – [Dessen] Erklärung [ist]: Es möge [Gottes] Wille [sein], dass das Königtum von dem Samen hervorgehe, den der Ewige dir durch396 diese junge Frau geben wird. Denn von nichts [anderem] Großartigen 393 Im Text steht ‫בני‬, wobei hier ‫ בית‬übersetzt wird und in anderen MSS steht, z. B. in MS Hamburg hebr. 32. 394 Im Text steht ‫ יצא‬in 3.Sg. mask., was hier aber auf Familien bezogen und in Pluralform übersetzt wird. 395 ‫מתגנה ב ֿה‬, vgl. Anm. 376 zu Rut 3,11, wo ‫ מתגנה בך‬übersetzt wird als "…werde ich mir durch dich keine Schande bereiten…" Vgl. Anm. diesbzgl. ‫ להתגנה‬gering schätzen. Beachte auch Anm. 329 zu Rut 2,8, wo ‫ ונוול‬ebenfalls mit "und Schande" übersetzt wird. 396 Hier hält sich der Kommentar bei der Wiedergabe des Lemmas nicht an die Wortfolge von Rut 4,12 MT BHQ, wo steht: …‫ …יתן יי' לך מן‬Im Text wird Rut 4,12 stattdessen

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8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

ist [hier] die Rede, denn vom Königtum. Wie der Sachverhalt,397 der über Shaul gesagt wird: Und er wird Großartiges tun (1. Sam. 14,48). Und er rufe [den] Namen [aus] in Beit Lechem – Es sei [Gottes] Wille, dass sie einen Sohn gebäre (vgl. Rut 4,13), und sein Name so(mit) ausgerufen werde. [Der] Name, von dem hier gesprochen wird, ist das nicht der Sohn? – Wie [im folgenden Vers:] Von Babel will [ich] Namen398 und den Übriggebliebenen, Nachwuchs und Nachkommenschaft ausrotten (Jes. 14,22). Denn [der] Name, von dem hier gesprochen wird, [wird] in allen 24 Büchern [durch] einen Sohn [weitergetragen]. Und durch sie wird mein Name ausgerufen werden (Gen. 48,16).

[Zu Rut 4,14] Und die Frauen sagte[n]399: Sein Name werde ausgerufen in Israel – Es sei [Gottes] Wille, dass [der Name] in der Welt bestehe,400 dass er Nachkommen sehe und seine Lebenszeit verlängert werde (Jes. 53,10).

[Zu Rut 4,15] Und er sei dir zum Trost der Seele und werde zum Versorger in deinem Alter – Und wenn du nun sagen willst: Rut gebar ein Kind, aber401 wie [kann] {ihr Kind}402 [dann] für Noomi zum Trost der Seele werden? Deshalb wird gesagt: Die, die du liebst, hat ihn geboren.

wie folgt wiedergegeben: ‫ מן הזרע אשר יתן לך יי' מן הנערה הזאת‬Wörtlichere Übersetzung wäre demnach "…von dem Samen [hervorgehe], den der Ewige dir von dieser jungen Frau geben wird." 397 Im Text steht ‫כעניין‬. Eine Übersetzungsalternative hierfür ist "wie die Angelegenheit." 398 ‫ שם‬i.S.v "Erinnerung" bzw. "Andenken." 399 Im Text steht ‫( ותאמר‬Imperf. konsekutiv Sg. fem.), statt wie in MT BHQ ‫ותאמרנה‬. 400 ‫ שיתקיים‬von √‫ קום‬Hitpael, Impf. 3. Sg. Mask. mit Präfix ‫ ;ש‬dieses Wort enthält weitere Aspekte, dazu die Übersetzungsangabe für ‫התיקם‬: "bestehen, bestehenbleiben; stattfinden; sich verwirklichen, sich bewahrheiten; sich ernähren" siehe Lavy: Handwörterbuch Hebräisch-­Deutsch 1975, S. 498. 401 Im Text steht ‫ולנעמי‬, wobei das Waw-­Konjunktivum hier mit "aber … für Noomi" übersetzt wird. 402 Da ‫ילדה‬, hier übersetzt mit "ihr Kind", in MS Berlin 1221 mit doppelten Anführungszeichen versehen ist, ist es hier mit geschweifter Klammer versehen, da diese Markierung als Streichung verstanden werden kann.

8.  Übersetzung MS Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin

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[Zu Rut 4,17] Und die Nachbarinnen benannten ihn [mit] einem Namen, um zu sagen, Noomi ist ein Sohn geboren worden. Denn [es war ja so,] dass deine Schwiegertochter, die du liebst, ihn geboren hat (vgl. Rut 4,15). Und sie nannten seinen Namen – um zu sagen:403 Dieser wird ein Diener404 für Noomi sein und er wird [auch im hohen] Alter versorgen.

[Zu Rut 4,18] Und dies sind die Generationen405 Perez‘ – Was sah die Schrift, hier die Generationen Perez‘ der Abstammung nach anzuschließen? Aber vielmehr [einer anderen Auslegung], um dich [Folgendes] zu lehren: Denn dafür, dass Rut kam, um unter den Fittichen der (‫„ )שכינה‬Shekhina“ Zuflucht zu suchen, ging von ihr das Fol. 261r, Col. 1

Königtum der Gerechtigkeit aus, das in unseren Tagen [wieder] aufblühen möge.

403 Im Text steht '‫לומ‬, was auch mit "das heißt" übersetzt werden könnte, hier aber derart wiedergegeben ist, da dies besser in den Kontext passt, i.S.v. "soll heißen". 404 Die Wortwurzel √‫ עבד‬des Namens Oved ‫ עובד‬bedeutet "dienen", daher ist das hier übersetzte "ein Diener" das, was der Name Oved übersetzt bedeutet. 405 I.S.v. "Nachkommen".

9. Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413 Fol. 71r

[Zu Rut 1] [Zu Rut 1,1] Und es war zu der Zeit – all das [war],406 bevor ein König in Israel regierte. Er und seine Frau – [das] klingt dir im Ohr407, weil408 der Abschnitt [des Bibeltextes]409 über Noomi und ihre beiden Söhne reden will.

[Zu Rut 1,2] Ephratiter aus Beit Lechem – [das ist] Ephrat. Und sie kamen in die Gefilde Moabs – dies teilt uns mit, [dass all das geschah], da sie von ihrem [Heimat-]Ort wegzogen und nicht dem Heiligen [gepriesen sei er] vertrauten, der nicht mit der Seele eines Gerechten streitet. [So] wendete sich die Sache, dass sie starben. Und von Rut, die im Schatten der Flügel der ‫[ שכינה‬Shekhina, der Einwohnung (Gottes

406 Im Text steht ‫ויהי בימי שפוט כו‬, was dort im Plural wörtlich übersetzt "Und es war in den Tagen – alle diese waren" bedeutet. '‫ כו‬wird hier als Abkürzung für ‫ כולהון‬verstanden: ‫ כל‬+ Suffix 3.pl.mask. 407 ‫מבקיע לך האזן‬ – Wörtlich übersetzt: "es spaltet dir das Ohr", womit "ein bildlicher Ausdruck gebraucht sei, damit es recht grell und eindringlich ins Ohr klinge, dieses gleichsam spalte", siehe Bacher, Wilhelm, Die exegetische Terminologie der jüdischen Traditionsliteratur. Erster Teil: Die bibelexegetische Terminologie der Tannaiten. Hinrichs: Leipzig 1899, S. 4. 408 Auch an anderen Stellen im Kommentar zu Rut 2,14 wird diese Einleitungsform …‫ מפני ש‬verwendet. Um diese abzugrenzen von …‫לפי ש‬, werden diese Einleitungsformen wie folgt übersetzt: …‫מפני ש‬ – "weil" siehe Lavy, Jaacov: Langenscheidts Taschenwörterbuch der Hebräischen und deutschen Sprache. Teil 1 Hebräisch-­Deutsch. Langenscheidt: Berlin 1992, S. 222. 409 ‫ הפרש‬wird hier als Abkürzung für ‫" הפרשה‬der Abschnitt" verstanden, vgl. Bacher: Die exegetische Terminologie der jüdischen Traditionsliteratur 1899, S. 160, andere Interpretationsmöglichkeiten vgl. ebd., S. 154–162 und Bacher: Die exegetische Terminologie der jüdischen Traditionsliteratur 1905, S. 169, sowie zu alternativen Bedeutungen ebd., S. 165–170.

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9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

auf der Erde)] Zuflucht gefunden hatte (vgl. Rut 2,12), ging das Königtum hervor (‫יצא ממנה מלכות‬, vgl. Auslegung zu Rut 4,17). Und was [hat es damit auf sich], dass geschrieben [steht] Und sie kamen in die Gefilde Moabs? [Dies steht so im Bibeltext,] da [die Schrift später] sagen will Und sie kehrte zurück von den Gefilden Moabs (Rut 1,6).

[Zu Rut 1,3] Und Elimelekh starb – das heißt: Und [es war erst] nachdem [er gestorben war, da] heirateten410 sie moabitische Frauen (Rut 1,4). Denn wenn ihr Vater noch am Leben gewesen wäre, hätte er ihnen nicht erlaubt, moabitische Frauen zu heiraten. (Und Elimelekh,) der Mann Noomis – ist hinzugefügt zu [der vorherigen Stelle] und der Name seiner Frau war Noomi (Rut 1,2). Dieser Mann ist [der] Ehemann der Frau, und die Frau ist die Ehefrau [von ihm].

[Zu Rut 1,4] Und der Name der zweiten war Rut – [der Bibeltext] nennt [hier schon] ihre Namen, weil er sie [weiter] unten braucht.

[Zu Rut 1,5] Und auch diese beiden [Machlon und Kiljon] starben – es ist kein Zufall411, [dass hier] auch gesagt wird, sondern an der Stelle, an der die beiden [vorkommen, wird auf einen] Ausgleich [hingewiesen]: Wenn412 der eine des Todes ist, so ist auch der andere des Todes; wie Machlon, so [ergeht es] auch Kiljon.

[Zu Rut 1,6] Und sie kehrte zurück von den Gefilden Moabs – [der Bibeltext] betont, weshalb sie zurückkehrte. Denn sie hatte gehört – in [der Zeit, als] sie noch weiterhin im Gefilde Moabs geblieben war, dass sich (der Ewige seines Volkes) angenommen hatte usf.

410 Im Text steht ‫וישאו‬, was wörtlich übersetzt "und sie heirateten" bedeutet, aber hier ohne Waw-­Kopulativum übersetzt wird. 411 Im Text steht ‫ אין נופל לומ‬dabei wird ‫ נופל‬hier nicht als "fällt", sondern mit "Zufall" übersetzt. 412 Die Präposition ‫ כ‬des Wortes ‫ כמות‬könnte auch übersetzt werden als "wie", womit folgende Übersetzungsalternative möglich ist: "… wie [es] dem einen [ergeht],…"

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9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

Fol. 71v

ihnen Brot zu geben – an einem bösen Ort, der [Moab] für sie seit Beginn an gewesen war.

[Zu Rut 1,7] Und sie gingen auf dem Weg – um in das Land Jehuda zurückzukehren.

[Zu Rut 1,8] Und Noomi sagte usf. – Von Beginn an sagte sie in ihrem Herzen: Wenn sie mich begleiten, werden sie von sich aus umkehren wegen413 der Schwierigkeiten des Weges. Geht, kehrt um! – [Das] ist hinzugefügt zu [der vorherigen Stelle] und sie gingen auf dem Weg, um in das Land Jehuda zurückzukehren (Rut 1,7). Aber jetzt sagte sie [ihnen, dass sie] auf dem Weg zurückkehren [sollten], auf dem sie mit ihr gegangen waren [nach Moab zurück]. Eine [jegliche] Frau in ihrer Mutter Haus – in eurem Heimatland winkt414 euch Ehre, aber nicht [an einem anderen Ort], wenn ihr [euch irgendwo] als Fremdlinge aufhaltet.415 [Der Ewige erweise euch Gnade, wie ihr] den Verstorbenen [erwiesen habt] – als sie noch am Leben waren, und mit mir – durch eure guten [Taten] an mir416, denn ich [bin] eine alte [Frau geworden] und ich kann nicht [mehr einfach] wegziehen und [wieder zurück] kommen.

[Zu Rut 1,9] Und der Ewige gebe euch, dass ihr Ruhe findet – die Schrift [drückt damit] abgekürzt [aus]: Er gebe euch einen Ehemann, und ihr sollt Ruhe finden – damit ihr

413 ‫ מפני‬alleine wird mit "wegen" übersetzt (anders als …‫" מפני ש‬weil", vgl. Anm. 408). 414 Im Text steht ‫יהי לכם כבוד‬, was wörtlicher mit "wird euch Ehre sein" übersetzt werden könnte. 415 Im Text steht ‫בגירות‬, was hier mit "wenn ihr [Euch irgendwo] als Fremdlinge aufhaltet" wiedergegeben wird, aber wörtlicher mit "beim Wohnen als Fremdling" übersetzt werden könnte, vgl. Eintrag zu ‫" גירות‬wohnen als Fremdling; 2. Übertritt zum Judentum", siehe Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 78. 416 Hier wird "an mir" übersetzt, da dies im Deutschen besser passt als die Übersetzung "mit mir", die für das Lemma verwendet wird.

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9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

Ruhe finden werdet, [denn] während eine Frau noch im Hause ihres Ehemannes ist, [ist sie] in Ruhe. [In der Landessprache heißt das] ‫אטרֹוויר‬ ְ ‫‘ַאפּוי ִישי ִיש‬ Bei [der] Eheschließung fällt [dieses] Wort417 für das Finden [des Ehepartners, wie in folgendem Vers]: Wenn man eine Frau gefunden hat, hat man Gutes gefunden (Prov. 18,22). Und auch die Frau findet Gutes in einem guten Mann. (Ihr sollt Ruhe finden) [als] Frau [im] Hause ihres Mannes – ist hinzugefügt zu [der vorherigen Stelle Geht, kehrt zurück, eine (jegliche) Frau] in ihrer Mutter Haus (Rut 1,8). Wenn ihr [wieder] in eurem Lande sein werdet, werdet ihr euch Söhne von euren Familien nehmen [können]. Aber wenn ihr in meinem Land [an]kommen würdet, gäbe es [dort] keinen Menschen, der [euch] Ruhe bietet [und] ein naher (Verwandter) aus seiner Familie ist, und der [auch noch] fremde Moabiterinnen heiraten will. Und sie küsste sie – [sie gab ihnen] einen Abschiedskuss, da sie sich von ihnen trennen wollte.

[Zu Rut 1,10] Denn [vielmehr] wollen wir mit dir zu deinem Volk zurückkehren – und nicht eine [jegliche] Frau in ihrer Mutter Haus (Rut 1,8).

[Zu Rut 1,11] Warum solltet ihr mit mir gehen? – Wenn ihr mich fragt, warum ich euch sage, dass euch keiner [von den] Söhnen Israels zu [Ehe-]Frauen nehmen wird. Und [wenn ihr sagt: Spricht] denn nicht dagegen, [dass] auch meine Söhne euch [zu] Beginn [der Erzählung] geheiratet haben? [Dann sage ich euch:] Auch jetzt [wäre das so, denn] wenn ich [noch] gebären würde, würdet ihr ihren Brüdern verheiratet werden. [Aber] habe ich denn etwa noch Söhne in meinem Leib, die euch zu Männern werden könnten? Nicht wegen418 der [Vorschriften in Bezug auf die] Leviratsehe sagte sie ihnen dies, denn siehe, es steht geschrieben: Wenn Brüder beisammen weilen (Dt. 25,5). Ausgenommen ist [dabei aber] die Frau des Bruders, der nicht mehr am Leben ist (bJeb 17b, Rashi zu Dt. 25,5 et al.), aber dessen

417 Im Text steht ‫נופל לשון‬, was auch mit "Wortspiel" übersetzt werden kann (vgl. Lavy: Langenscheidts Taschenwörterbuch. Hebräisch-­Deutsch 1992, S. 260) hier aber im Kontext weniger passt. 418 ‫ מפני‬alleine wird hier (anders als …‫" מפני ש‬weil") mit "wegen" übersetzt, vgl. Anm. 413.

9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

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Nachkommen419 am Leben420 sind. Sie sagte ihnen [das alles aber vielmehr,] um sie von sich fortzuschieben: Was [ist], wenn sie euch [nur deshalb] geheiratet hatten, weil sie [als stammfremde Landesbewohner421] in einem fremden Land wohnten, und ihr [dort] Bürger gewesen seid? Aber die Söhne meines Volkes werden an euch keinen Gefallen haben, und außerdem habe ich [gar] keine Söhne [mehr], um sie aus [lauter] Liebe zu ihren toten Brüdern mit euch zu verheiraten. Und vielleicht sagt ihr, [auch] wenn ich [im Moment] keine Söhne in meinem Leibe habe, [so] werde ich [doch in Zukunft noch] einen Mann heiraten und [noch Söhne] gebären. Die Schrift lehrt [daher]: Denn ich bin alt geworden usf. (Rut 1,12).

[Rut 1,12] Denn ich sagte, [das heißt], auch wenn ich gesagt hätte. In der Landessprache ‫ין‬ ‫אנְקְדִ שֻישְא‬ Ich habe Hoffnung – denn [auch] wenn ich [nochmals] heiraten und [Kinder] gebären würde.

[Zu Rut 1,13] Siehe (‫)הלהן‬ – wollt ihr (etwa) noch weiter hoffen? – [Das Wort] Siehe (‫ )הלהן‬ist nicht zu erklären [mit] „auf die Söhne“, denn siehe [im Bibeltext] wird nicht gesagt (‫[„ )הלהם‬wollt ihr] (etwa) auf sie [warten]“422, sondern dieser Ausdruck [ist eine andere Wortform, abgeleitet von der Einleitung] „Siehe“423 (‫)הנה‬, [i.S.v.] für euch.424 419 Im Text ist die Lesung des Wortes als ‫( מילתיו‬wörtlich übersetzbar als "seine Beschnittenen") oder als ‫"( מילתא‬Beschneidung", aber auch "Wort") möglich. Dies wird hier interpretiert i.S.v. "seine beschnittenen Söhne" und daher übersetzt als "Nachkommen". 420 Die Übersetzung gibt die Lesart als ‫ מליתיו בעלמיו‬wieder. Der Text könnte auch gelesen werden als ‫מילתא בעלמא‬, wofür folgende Übersetzungsalternative genannt werden kann: "…aber der beizeiten beschnitten wurde". 421 Hier wird eine Verbform von √‫ גור‬verwendet, was auch einfach als "wohnen" übersetzt werden könnte. Da diese Wurzel aber auch eine Konnotation von "Fremdheit" hat, werden hier die Worte ‫ גר‬als "stammfremder Landesbewohner" zur Verdeutlichung hinzugefügt. Vgl. dazu Anm. 431. 422 Das Wort ‫ הלהן‬soll demnach nicht als eine variierte Form von ‫ הלהם‬mit Nun als Pluralendung verstanden werden. ‫ הלהם‬wäre in diesem Verständnis zusammengesetzt aus einem He-­Interrogativum und ‫ להם‬als 3. Pl. mask. von ‫ ל‬und kann somit übersetzt werden als "etwa wirklich auf sie." 423 ‫ הנה‬kann auch als Einleitung in eine rhetorische Frage verstanden werden, vgl. Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 185. 424 ‫ ג֯ בשבילכן‬steht im Text, was hier aber nicht mit "dreimal für euch" übersetzt wird. Dies wäre möglich, wenn man hieraus den Zahlwert des Buchstabens ‫ ג‬lesen möchte. Jedoch wird das vorangehende ‫ ג‬nicht berücksichtigt.

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9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

Wollt ihr hoffen? – Siehe, dass sie größer werden425 [und für euch zu Ehemännern herangewachsen sind]. [Wollt ihr] euch zurückhalten? – Ihr werdet [doch nur] als Agunot sitzen [bleiben]. Denn überaus bitter ist es mir um euch – noch mehr als euch, [denn] eine Frau, deren Ehemann gestorben ist, kann einen anderen [Mann] heiraten. Aber ich [bin schlimmer dran]: da meine Söhne gestorben sind, werden sie nie mehr zu mir zurückkommen. Und wie bitter ist es mir doch [ergangen], denn die Hand des Ewigen ging gegen mich aus – gegen mich, und nicht gegen euch! Nicht doch, meine Töchter – [denkt gar nicht daran, dass] wenn ihr mich fragen würdet, [oder] wenn ihr mit mir kommen würdet, könnte ich es euch gut gehen lassen.426 Daher sagte sie, es ist mir bitterer als euch [ergangen]: Ihr, [ja] für euch gibt es Hoffnung, es euch mit mir gut gehen zu lassen; aber [das gilt] nicht für mich, [ich habe keine Hoffnung] es euch gut gehen zu lassen. Und so findet man es auch [im weiteren Verlauf des Buches] betreffend Rut, dass sie es ihr [Noomi] gut ergehen ließ, nachdem sie verheiratet [worden] war.

[Zu Rut 1,14] Und Orpa küsste – dies ist ein Abschiedskuss. Weil diese sich von ihr trennte, muss [im Bibeltext gleich darauf] gesagt werden, und Rut blieb anhänglich bei ihr.

[Zu Rut 1,15] Siehe, deine Schwägerin ist zurückgekehrt zu ihrem Volk – sie sagt nicht [einfach nur] sie [Orpa] ist zurückgekehrt, sondern sie sagt es so427, weil sie [Rut]428 nicht damit anfing [zurückzukehren]. Es ist [da]mit impliziert,429 dass [Orpa und Rut] zum Judentum übergetreten waren, als sie Machlon und Kiljon heirateten.

425 ‫ִיפֹורצּו‬ ְ ‫ ש‬steht im Text, hier abgeleitet von √‫ ;פרץ‬kann im Nifal auch als "zunehmen" übersetzt werden, siehe Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 352. 426 Eine Übersetzungsvariante wäre: Nicht doch, meine Töchter – wenn ihr [es] mir [auch] sagen würdet, [oder] wenn ihr mit mir kommen würdet, könnte ich es euch [doch nicht] gut gehen lassen. 427 '‫ א'כ‬wird als ‫ אמר כך‬übersetzt, nicht als ‫" אחר כך‬danach". 428 Im Text steht 3. Sg. perfekt ‫היה מתחילה‬, was hier feminin übersetzt wird. 429 ‫מכלל‬, wörtlich übersetzt auch "eingeschlossen", "einbezogen", i.S.v. "es kann angenommen werden"; "es kann vorausgesetzt werden"

9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

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Und jetzt war [Orpa] zurückgekehrt zu ihrem Volk, [d. h.] zu ihrer Eigenschaft als Nichtjüdin.430

[Zu Rut 1,16–17] Dringe nicht in mich – dies ist aber nichts [anderes als der] Ausdruck einer Bitte, sondern [zu verstehen] wie wenn jemand vor seinem Freund steht und ihm sagt, „Komm [bloß] nicht mit mir!“ Denn wenn (‫)כי אם‬, wohin du gehen wirst, will ich [auch] gehen – ist hinzugefügt zu [der vorherigen Stelle] Kehrt um, meine Töchter, geht (Rut 1,12); und wo du übernachten wirst, will ich [auch] übernachten – ist hinzugefügt zu [der vorherigen Stelle] eine jegliche Frau in ihrer Mutter Haus (Rut 1,8), [als] Noomi zu ihr sagte, in das Haus ihrer Mutter zurückzukehren. Und jeder Mensch, der in seinem Heimatland ist, ist [dort] ein Bürger und respektiert. Aber ein stammfremder Landesbewohner in einem fremden Land431, der übernachtet [dort nur], und ist ein [fremder] Gast.432 Und [daher] antwortete [Rut der Noomi]: Wo du ein [fremder] Gast433 sein wirst, will auch ich dies sein. Und was [hat es damit auf sich,] dass du mir sagst, „Siehe, deine Schwägerin ist zurückgekehrt, Fol. 72r

zu ihrem Volk und zu ihrem Gott (Rut 1,15); so kehre [nun] auch du um“? [Ich will es] aber nicht [so machen, denn] dein Volk ist mein Volk, und dein Gott 430 Im Text steht ‫לגי֯ ותה‬, was hier übersetzt wird bzgl. ‫" גיותא‬Eigenschaft als Nichtjude", siehe Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 77. 431 Im Text steht ‫והגר בארץ נכריה‬, was hier mit "stammfremder Landesbewohner in einem fremden Land" wiedergegeben wird. Dabei wird ‫ גר‬als "stammfremder Landesbewohner" übersetzt, in Abgrenzung zu ‫ארץ נכריה‬, was als "fremdes Land" verstanden wird. Dies ist die einzige Stelle in MS London 22413, wo ‫ גר‬in dieser Bedeutung vorkommt, ansonsten tritt es zweimal als Teil der Wurzel √‫( גרם‬zu Rut 2,3 und 4,1) und einmal als Teil der Wurzel √‫ גור‬auf (wobei Letzteres aber ebenfalls bzgl. ‫ארץ נכריה‬ gegenübergestellt wird: zu Rut 1,11: … ‫)…מפני שגרו בארץ נכריה ואתן הייתם תושבים‬. 432 Im Text steht ‫ואכסנאי‬. Die beiden Konnotationen der Übersetzungsmöglichkeiten (‫ אכסניא‬,‫" אכסנאי‬Fremder, Gast", siehe Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 18), sollen durch die eckige Klammer wiedergegeben werden, wobei sie nicht konträr zu verstehen sind, sondern als ein fremder Gast, der nur eine Zeit lang in einem Kulturkreis lebt. Damit soll das Wort abgehoben werden von ‫" נכרי‬Fremde", wobei beide Begriffe im Kommentar dieselbe inhaltliche Bedeutung erhalten, vgl. auch unten, Kommentar zu Rut 4,11, S. 180. 433 Im Text steht ‫אכסנאית‬, siehe dazu ebd., Anm. 432.

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9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

ist mein Gott (Rut 1,16), wo du sterben wirst, will auch ich sterben (Rut 1,17). [Und auch] wenn du mich aufforderst, [das ich mich] von dir trennen [soll, so] machst du mich stattdessen betrübt.434 Denn [wo] du stirbst will auch ich sterben, und dort will ich begraben sein. Wie ein Mensch, der sagt, „Wenn ich tot wäre, würde ich nirgends begraben werden wollen außer bei deinem Grab“ [was er] aus [lauter] großer Liebe [sagt]. Und dort will ich begraben sein – ‫[ ְאיי ַאלֹוק' ְמא וֹולִרי ְיא פַרא פודִ יר‬in der Landessprache].435 Denn [allein] der Tod soll uns trennen – [nur] der Tod kann zwischen uns trennen, aber sonst [kann] nichts zwischen dir und mir trennen.

[Zu Rut 1,18] Und sie sah, dass sie sich fest [entschlossen] hatte – und Noomi sah, dass sie fest entschlossen war436, mit ihr zu gehen. Und sie hörte auf, auf sie einzureden – sie hörte auf, weiter zu ihr zu sagen „Kehre zurück (Rut 1,15) zu deinem Volk.“

[Zu Rut 1,20] Nennt mich Mara – [nach] einer bitteren Seele, und nicht [nach einer] angenehmen.437 Denn der Ewige hat [es] mir sehr bitter ergehen lassen. (In)wie(fern)? – [Insofern als] dass

[Zu Rut 1,21] ich voll [hier weg] gegangen bin, mit meinem Mann und meinen Söhnen, und mit Reichtum, und [in] Leere [hat er mich nun zurückkehren lassen] – das ist ein Begriff [für] „meine Leere“ ‫[ אוויידמנט‬in der Landessprache], wie das Wort [Gottes] ist nicht in ihnen (Jer. 5,13); Mir [gehört] die Rache und Heimzahlung (Dt. 34,35); Und die Juden nahmen [es als Brauch] an (Ester 9,23). Und dies [hier in Rut 1,21] 434 Eine Übersetzungsalternative für ‫ רעי במקום‬ist: "… [so sei doch trotzdem] mein Nachbar an jenem Ort." 435 Letzteres ist als mundartliche Glosse aufzufassen, die an anderer Stelle entschlüsselt werden muss. Weiteres vgl. Kapitel "Le'azim", S. 413 ff. 436 Im Text steht ‫נתאמצה‬, im Gegensatz zum ausgelegten Lemma Rut 1,18, wo ‫מתאמצת‬ steht. Daher sind hier unterschiedliche Wortformen übersetzt. 437 Hier wird, in Hinblick auf den Vergleich mit MS Berlin 1221, √‫ נעמ‬mit "angenehm" übersetzt, da dieser Begriff dort auch in der Übersetzung verwendet wird. Übersetzungsalternativen, die hier als Attribut für "Seele" nennenswert erscheinen, sind "freundliche" oder "liebliche [Seele]".

9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

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ist [ebenfalls] nicht als ‚arm‘438 auszulegen, ‘‫[ ווייה‬in der Landessprache], sondern [als] Leere, wie Ihr sollt euch nicht [mit] leer[en Händen] vor mir zeigen (Ex. 23,15 bzw. 34,20) [was ein Ausdruck für] ‚Leere‘ ist. Und der Ewige antwortete mir – dies ist die allgemeine [Regel, dass an] jeder Stelle, an der ‫„( ענייה‬Antwort“) geschrieben ist, und [nahe] dabei ein Bet steht, [dann ist dessen] Erklärung, [dass es sich um] Zeugenschaft [handelt], wie [in den folgenden Versen:] Du sollst gegen deinen Nächsten keinen [falschen Eid] aussagen (Ex. 20,16); Hier bin ich, sagt gegen mich aus (1. Sam. 12,3), und so [wird es noch an] vielen [anderen Stellen formuliert]. Und an der Stelle, an der zu der Antwort kein ‫[ ב‬Bet] hinzugefügt wird, wie [in dem Vers] und der Sparren aus Holz erwidert ihm (Hab. 2,11), dann ist es eine Antwort [mit laut] erhobener Stimme. Der Ewige antwortete mir – Der Ewige hat gegen mich gezeugt. Wie wenn der Ewige [gepriesen sei er] Unglück auf den Menschen bringt, als ob er gegen ihn zeugt, gemäß439 irgendwelcher [unbekannter] Sünde, so fordert er [nun] auch von mir [die Konsequenzen] ein.

[Zu Rut 1,22] Und Noomi kehrte zurück – und ist [das] denn nicht schon gesagt worden [mit dem Vers] Und die beiden gingen auf dem Weg, bis sie ankamen usf. (Rut 1,19)? Und was lehrt die Schrift [dann hier nochmals] und Noomi kehrte zurück? [Es ist kein Widerspruch], sondern die erste [Stelle ist dafür da,] um uns mitzuteilen, dass sie nach Beit Lechem zurückkehrten, und die letztere, um die Begebenheiten der Reihe nach zu erzählen, folgendermaßen: Und [die beiden] gingen [erst von dort weg] (Rut 1,19) usf. und [danach] kehrte sie zurück von dem Gefilde, weil Noomi und Rut [mit ihr] zurückkehrte[n] usf. Und sie kamen nach Beit Lechem – [Damit] wird diese ganze Bibel(stelle) zusammengebunden, und [zwar folgendermaßen:] da Noomi und Rut [mit ihr] zurückkehrte[n], [wird im Anschluss gesagt] und sie kamen usf. Und die Handlung war [folgendermaßen]:440 Und Noomi hatte einen Angehörigen usf. (Rut 2,1) und [so] sprach Rut in ihrem Herzen „Ich will doch gerne auf das 438 Im Text steht ‫ריקם‬, was hier – durch den Kontext des Kommentars – mit "arm" wiedergegeben wird, aber gemeinhin "leer" bedeutet. 439 ‫" לפי‬gemäß, nach, nach Maßgabe", siehe Lavy: Langenscheidts Taschenwörterbuch. Hebräisch-­Deutsch 1992, S. 222. 440 Im Text steht ‫מעשה‬, was etwas freier auch mit "es geschah [im Folgenden] so" übersetzt werden könnte. Diese Texterklärung scheint das erste Kapitel als Vorgeschichte zu verstehen: Die Einleitung zum Kommentar zu Rut 2 beginnt mit ‫והיה מעשהכך‬

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9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

Feld gehen“ (Rut 2,2). Und sie ging und kam und es passierte zufällig (Rut 2,3), und siehe: Boaz (Rut 2,4) bis [zu dem Vers] und Boaz441 sprach usf. (Rut 2,5). [Dies alles geschah] zu Beginn der Gerstenernte. [Dies wird so dargestellt, damit] es dir das Ohr erklingen lässt442 da [er doch mit ihr] über die Gerste reden will443 und ihr [später] sagt gehe nicht [anderswo] sammeln usf. (Rut 2,8).

[Zu Rut 2] [Zu Rut 2,1] (‫ )מודע‬Ein Angehöriger444 – das, was in der Ausdrucksweise der Schrift ein (‫)קרוב‬ naher [Verwandter] genannt wird, wird in der Ausdrucksweise [dieses] Verses (‫ )מודע‬Angehöriger genannt. Und Noomi hatte einen Angehörigen, (…) einen heldenhaft-­großartigen Mann, [das verweist darauf, dass ein folgender Sachverhalt schon hier] anklingt,445 da er mit Rut redliche Worte redete, und [durch ihn] wurde sie zu einer großartigen Frau (vgl. Rut 3,11). Aus der Familie Elimelekhs – also wundere dich nicht, wenn er zu seinem Bruder sagen wird „wenn der Löser lösen wird“ (Rut 4,4).

441 442 443 444 445

‫'ולנעמי' מודע וגו‬. Damit wird direkt auf ‫" מעשה‬Handlung" der Erzählung hingewiesen, die aber jetzt erst – mit Beginn von Rut 2 – (richtig) anfängt; die folgende Erklärung zählt, ähnlich wie die bisherigen Ausführungen zu Rut 1,22 die Abfolge der Ereignisse auf, bis sie nach der Wiedergabe von Rut 2,5 wieder auf Rut 1,22 zu sprechen kommt. Hier ist eine literarische Orientierung in der Erklärung erkennbar, die sich auf die Erzählstruktur, die Erzählabfolge bezieht. ‫ עז‬bedeutet "Kraft, Macht," siehe Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 575. ‫ בעז‬ist der Eigenname Boaz und kann übersetzt werden als "mit Kraft." Vgl. Hinweis zu ‫מבקיע לך האזן‬ – Wörtlich übersetzt: "es spaltet dir das Ohr", siehe Anm. 407. Eine alternative Übersetzung für ‫ לפי שרוצה לדבר בשעורים‬mit weiterem Kontext ist: "… da [die Schrift] von der Gerste reden will und [er später dann darauf Bezug nimmt und] ihr sagt: Gehe nicht in anderes Feld (Rut 2,8)." Im Hinblick auf die Einheitlichkeit der ÜSS in den unterschiedlichen Kommentar-­ Versionen wird ‫ מודע‬hier als "Angehöriger" übersetzt, vgl. Erklärung in MS Berlin 1221 zu Rut 2,1 mit Hinweis auf Prov. 7,4. ‫שיבר לך האזן‬ – wörtliche Übersetzung: "zerschmettert dir das Ohr", vgl. Berliner: Raschi 1905. Anm. 12, S. 146 (Hebr.).

9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

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[Zu Rut 2,2] Hinter [einem] her, [bei] dem ich Gunst finden werde – Hinter demjenigen her, in dessen Augen ich Gunst finden werde.

[Zu Rut 2,3] Und sie ging und kam – sie ging und kam446 auf das Feld Boaz‘. Und es passierte zufällig – der Heilige [gepriesen sei er] veranlasste, dass [es] ihr zufällig passierte, zu der Parzelle Boaz‘ zu kommen.

[Zu Rut 2,4] Und siehe, Boaz kam usf.

[Rut 2,5] Und Boaz sprach zu seinem jungen Mann, der [über die Schnitter] bestellt war – Warum [sollte er denn jemanden über die Schnitter] bestellen und [das doch wohl] nicht über den Rest der Garben? [Aber das ist so,] da es die Art der Inhaber der Felder447 ist. Sie setzen einen [Bestellten] über die Felder ein, der aufpassen soll, dass kein fremder Mensch sein Feld betritt. Aber wenn [jemand] kommt, der ihm nahe [verwandt] ist, dann kümmert er sich nicht darum, wenn der Bestellte über die Schnitter ihm [dem Nahverwandten] eine Garbe oder zwei Garben gibt. Aber er [der Feldbesitzer] will, dass er überhaupt keinem Fremden erlaubt, sein Feld zu betreten. Und als Boaz sah, [dass] die [ihm] fremde Rut auf sein Feld gekommen war, da sprach er zu dem Bestellten über die Schnitter: „Ich frage gar nicht nach dem Rest der Armen,448 [seien es nun] junge Männer oder junge Frauen, denn sie sind meine nahen [Verwandten], aber [wegen] dieser Fremden: Warum gabst du ihr [die Erlaubnis, hierher] zu kommen [und] sogar [Nachlese] zu sammeln? Es ist doch schon gut [genug], dass meine nahen [Ver446 Im Text steht ‫ובאת‬, also Perfekt 3. Sg. fem. mit Waw-­Kopulativum; anders als im Lemma 3. Sg. fem. Imperfekt Konsekutiv; beides von derselben Wortwurzel √‫בוא‬. Hier wird beides mit gleichem Wortlaut wiedergegeben. 447 ‫ בעלי שדות‬wird hier nicht mit "Feldbesitzer" übersetzt, obwohl das die Wortverbindung schöner wiedergeben würde; "besitzen" soll für Wortformen von √‫ ירש‬verwendet werden. 448 Im Text steht ‫שאר האביונים נערים ונערות‬. Dabei wird ‫ האביונים‬als "der Armen" übersetzt. Das Wort ‫ ריקם‬bzgl. Rut 1,20 wurde dort wegen des Kontextes des Kommentars auch als "arm" übersetzt.

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9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

wandten das Feld] betreten!“ Und er [der Bestellte über die Schnitter] antwortete ihm: „Auch diese ist eine dir nahe [Verwandte]. Es ist

[Rut 2,6] die, die mit Noomi, der Frau deines nahen [Verwandten von Moab nach Beit Lechem] gekommen ist. Und auch wenn sie keine dir nahe [Verwandte] wäre, was hätte ich [denn] tun sollen? Hat sie mir denn nicht gesagt, ‚Ich erbitte gar nichts [weiter], das ihr mir geben sollt, außer [Folgendes:]

[Rut 2,7] Ich will zwischen den Garben sammeln. Ich möchte bitte [Nachlese] sammeln [einfach nur] an dem Ort, an dem die Schnitter die Garben binden, Fol. 72v

hinter den Schnittern her. Und ich will nicht zwischen den Schnittern [das Feld] betreten, damit sie mich nicht des Stehlens von Ähren in den Garben verdächtigen.‘ Und [sie wollte] nicht mehr – aber auch wenn sie nur Nachlese gehalten hat, so ist [doch das Ausmaß ihrer] Nachlese viel. Was hast du? Die Tora berechtigt sie zur Nachlese. All das ist so, dass du [gar nichts in der Hand hast,] dich über mich zu ärgern. Denn sie kam und sie stand [erst]449 seit [heute] Morgen an und bis jetzt und sie [gönnte sich in] dem Haus kaum Ruhe.“ Und dies ist [die Bedeutung] seiner Antwort: Die Nachlese, die in ihrer Hand war, [und die] sie nicht für ihren [eigenen] Bedarf gesammelt hatte [behielt sie nicht], sondern [ließ es] in deinem Haus. Und sie ist eine dir nahe [Verwandte], und [wenn auch] nicht [sehr nahe verwandt], so doch ein wenig; und du musst [doch] nicht auf diese Sache aufpassen. Und [das ist die] Erklärung [von] sie saß wenig im Haus. Und da Boaz hörte, dass sie ihm nicht nahe [verwandt] war, [reagierte er] sofort

[Zu Rut 2,8] und sagte zu Rut: „Hast du nicht gehört?“ – [So wird es auch in folgendem] Beispiel [formuliert]: Hörst du denn nicht, dass Adonjahu als König regiert (1. Kön. 1,11)? Diese [Formulierungen] sind [jeweils als] Gegenwartsform [zu verstehen]. Willst du denn nicht auf meine Worte hören? Gehe nicht, um auf einem anderen Feld zu sammeln! – Wenn du sagst „Was soll ich tun, nachdem 449 Hier wird in MS London 22413 nicht MT BHQ als Imperfekt konsekutiv ‫ותבוא ותעמוד‬ wiedergegeben, sondern als Perfektform formuliert ‫באתה ועמדה‬, daher wird hier übersetzt mit "Denn sie kam und sie stand [erst]…"

9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

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dieses Feld abgeerntet ist?“ Die Schrift lehrt „Gehe nicht weg von diesem [Feld]“ du musst dieses [Feld] nicht verlassen, sondern kannst immer mit meinen jungen Mädchen sein. Denn wenn dieses Feld abgeerntet ist, habe ich noch viele andere Felder [die abgeerntet werden].

[Zu Rut 2,9] Und deine Augen sollen auf allen meinen Feldern sein, die sie abernten werden. Und gehe ihnen hinterher – du hast die ganze Erntezeit, um mit meinen jungen Mädchen zu sein. Wenn ihr [nun] einwenden werdet, „Vielleicht werden sie dich anschreien und anbrüllen,“ [so] lehrt die Schrift [weiter im Vers:] Habe ich denn nicht meinen jungen Männern befohlen, dich keinesfalls anzugehen? [So wird es auch in folgendem] Beispiel [formuliert]: Daher habe ich es nicht erlaubt, sie zu berühren (Gen. 20,6), davor [bewahrt,] dir Schaden zuzufügen. Und da es die Art der Schnitter ist, Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen und es auf das Feld zu bringen, und [da] die Schnitter wegen450 der Hitze viel trinken müssen und sie auf das Wasser hoffen, wird es nicht an Fremde [aus]gegeben. Aber du [für dich gilt dies nicht], und wenn du durstig bist, dann gehe zu den Gefäßen und trinke.

[Zu Rut 2,10] Mich wahrzunehmen – wenn du die Frauen deiner armen451 nahen [Verwandten] wahrnimmst, so gebührt [ihnen] das, da auch diese Frauen von den Söhnen deines Volkes abstammen. Aber ich bin eine Fremde.

[Zu Rut 2,11] Es ist mir alles erzählt, [ja wirklich] erzählt worden, was du getan hast usf. – Es ist mir erzählt worden, dass du deinen Vater und deine Mutter verlassen hast, nach [dem] Tod deines Mannes.452 Denn wenn du dies in den Tagen [als] dein Mann [noch am Leben war] getan hättest, wäre das nicht [so] rechtschaffen

450 ‫ מפני‬alleine wird hier (anders als …‫" מפני ש‬weil") als "wegen" übersetzt, vgl. Anm. 413. 451 Im Text steht '‫העניי‬, was hier mit "die armen [nahen Verwandten]" wiedergegeben wird und für eine schönere Übersetzung im Satzbau etwas vertauscht ist: im hebräischen Text steht ‫נשי קרוביך העניי‬, was bzgl. der Abfolge wörtlicher übersetzt "die Frauen deiner nahen [Verwandten,] die armen" wiedergegeben werden könnte. 452 Die Abfolge der Lemmata ist vertauscht im Vergleich zu MT.

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9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

gewesen. [Und] wenn du es getan hättest, als sie [Machlon und Kiljon] noch am Leben gewesen waren, und als du noch in deinem Land gewesen warst, [so wäre das schon gut] genug für dich gewesen, da es Frauen gibt, die ihre Schwiegermütter hassen, sogar noch zu Lebzeiten ihrer Ehemänner. Aber du hast deinen Vater und [deine] M[utter]453 verlassen. Und es gibt [auch die Situation] dass [Schwiegertöchter] ihnen Gutes tun, so lange die Schwiegermutter mit ihr in ihrem Hause bleiben will. [Aber] wenn du deinen Vater und deine Mutter gelassen hast, wohnen sie [ja noch dort] in [jener] Stadt. Und [da] du gekommen bist, um [hier] in ihrem Haus in ebenderselben Stadt zu wohnen, so [hast] du genug [getan]. Aber du gingst zu einem Volk, das du nicht kanntest.

[Zu Rut 2,12] Und da454 du ja alles so sehr gut gemacht hast, [so] vergelte der Ewige dir dein Werk. Da jede Frau, die aus ihrem Vaterhaus ausgewandert455 ist, keinen [Mann] von vornehmer Herkunft heiraten456 oder Erbteile in Besitz nehmen kann, denn siehe, an dem Ort, wo sie Fremdling ist,457 wird sie kein Reicher458 noch ein [Mann] vornehmer Herkunft heiraten. Und so [gilt] das [auch] dir, an alledem hast du dir selbst Mangel bei deinen Wegzug aus deinem [Herkunfts-]Ort zugefügt.

453 Im Text steht /‫ וא‬am Ende der Zeile, das Wort ist also nicht ausgeschrieben und das Possessiv-­Suffix nicht im Text vorhanden. Wegen dem Wortlaut des Bibeltextes in Rut 2,11 (‫" ּאביך ואמך‬deinen Vater und deine Mutter") wird dies in der Übersetzung aber hinzugefügt. 454 Im Text steht "‫ ;"והואיל ועשית כל כך טובה‬so wird hier die Überleitung zum Lemma mit "da ja" übersetzt: ‫" הואיל ו‬da ja" siehe Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 110. 455 Im Text steht ‫הגולה‬, was mit Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 79 als "auswandern" verstanden und übersetzt wird. Weiteres hierzu siehe im Kapitel "Rut 2,12: Der Ewige vergelte dir dein Werk und es werde dir dein Lohn vollständig vergolten … vom Ewigen, dem Gott Israels, da du kamst, um dich unter seine Flügel zu bergen," S. 270. 456 Im Text steht ‫ ;לינשא‬dies wird als ‫ להינשא‬übersetzt. 457 Im Text steht ‫גירותה‬, was hier als "wo sie Fremdling ist" wiedergegeben wird, aber wörtlicher übersetzt werden könnte mit "[der Ort] ihres Wohnens als Fremdling", vgl. Anm. 415. 458 '‫ עשי‬wird hier als Abkürzung für ‫ עשיר‬gelesen, vgl. hier MGK ad loc. [S. 77].

9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

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Dein Lohn459 sei dir vollständig vergolten in [Form] eines reichen Ehemannes460 und von vornehmer Herkunft, sowie einen Inhaber461 des Königtums, weil du dein Volk gelassen und verlassen hast, und deinen Gott, um bei dem Ewigen, dem Gott Israels, Zuflucht zu finden.

[Zu Rut 2,13] Aber ich werde nicht sein – ich will [gar] nichts [anderes] sein, außer [einfach] wie deine kleine Magd.

[Zu Rut 2,14] Und Boaz sagte ihr usf. – Der Vorfall462 wurde mir bekannt gemacht, da du gekommen bist, um Zuflucht zu finden unter den Flügeln (Rut 2,12) der ‫שכינה‬ [S­hekhina, der Einwohnung (Gottes auf der Erde)], die [es dich] hat gelingen lassen. Und nachdem Boaz [nun auf jeden Fall] wusste, dass sie die Frau seines nahen [Verwandten] war, näherte sie sich ihm [trotz ihrer vorherigen Zurückhaltung]. Zu der Seite der Schnitter – er setzte sie neben sich, wegen ihrer Ehre, und er gab ihr [nicht die Erlaubnis], alleine auf der Erde zu sitzen. Und er reichte dar – und er reichte [es ihr] dar, wie „Henkel“ (mHag 3,1). Und sie aß und wurde satt und ließ [noch etwas] übrig – [das verweist] dich [darauf, dass ein im Erzählverlauf folgender Sachverhalt schon hier] anklingt463, weil [die Schrift] unten [noch] sagen will Und sie zog sie heraus und gab es ihr, was sie übrig behalten hatte, als sie satt geworden war (Rut 2,18).

[Zu Rut 2,15] Auch zwischen den Garben – ein Ort, zu dem keiner von den Schnittern eintreten [darf], damit sie nicht stehlen und [etwas] von den Ähren herausziehen würden.

459 '‫ משכור‬wird als ‫ משכורתך‬gelesen. 460 ‫ בעל‬wird hier verwendet, was im weiteren Verlauf des Satzes nochmals aufgegriffen wird. Hier wird dies mit "Ehemann", im weiteren Verlauf des Satzes mit "Inhaber" übersetzt: … ‫[ …ישולם לך משכו֯ ר' שלימה בבעל עשיר ומיוחס ובעל מלכות‬Hervorhebungen durch Verfasserin]. 461 ‫ בעל‬wird hier verwendet, siehe ebd., Anm. 460. 462 '‫ המקר‬wird hier gelesen als ‫המקרה‬, und ‫ מקרה‬mit "Vorfall" übersetzt, siehe Lavy: Handwörterbuch Hebräisch-­Deutsch 1975, S. 334 – in Abgrenzung zu ‫" אירוע‬Ereignis" √‫ארע‬. 463 Im Text steht ‫שיבר לך האזן‬, vgl. dazu Anm. 445.

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9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

Diese darf [Nachlese] sammeln und ihr sollt sie nicht beschämen – ‫נַ ֱאשְטונְדי ֶס‬ ‫ לֵי‬in der Landessprache. Fügt ihr keinen Schaden zu, denn sie befindet sich [in einem Zustand], wie ein Mensch, [der] von seinem Freund einen Gegenstand fordert, aber er ihm [diesen] nicht gibt – ‫שקַֹונדִ יט‬ ְ [in der Landessprache] – so ist [dies] ausgelegt. Und es scheint mir, [dass es] ein Ausdruck von Beschämung ist, und dieser [wird] ausgelegt [wie in folgendem] Beispiel [formuliert]: und niemand wurde [wegen] einer Sache beschämt, [es gab keinen], der mit Gewalt in Besitz nahm [oder] Unterdrückung (Ri. 18,7). Wie es [dort] auch selbstverständlich war, denn alle [waren] reich,464 aber [eben] jenen [Vers] braucht man nicht auf diesen [zu beziehen],465 und wir haben sie nicht beschämt (1. Sam. 25,7). Dieser ganze Ausdruck ist etwas anderes.466

[Zu Rut 2,16] Aus den [Ähren]bündeln – Was ein Mensch mit seiner linken Hand mit einem Mal ergreift, wenn er mit seiner rechten Hand schneidet, wird Bündel genannt. [So wird es auch in folgendem] Beispiel [formuliert]: Wenn du ein ‚Gebund‘ oder ‚Bündel‘ findest (mEr 10,1). Fol. 73r

Und tadelt sie nicht – [so wird es auch in folgendem] Beispiel [formuliert]: und sein Vater tadelte ihn (Gen. 37,10) von [der aramäischen] Übersetzung „er erhielt einen Verweis“.

[Zu Rut 2,18] Und sie sah; und sie zeigte [es] ihrer Schwiegermutter … [was] sie übrig behalten hatte, als sie satt geworden war – ist hinzugefügt zu [der vorherigen Stelle]

464 Diese Übersetzung aufgrund des Eintrags zu ‫ צריך‬in Bacher: Die exegetische Terminologie der jüdischen Traditionsliteratur 1905, S. 184. Eventuelle alternative Übersetzung für ‫דצידכים‬: [Und weshalb sollte man hier so vorgehen], dass man [noch mehr Verse zur Auslegung] benötigt [und heranzieht]? 465 ‫ ואין זה צריך לזה‬kann wörtlich übersetzt werden mit "denn alle sind reich und niemand benötigt den anderen." Siehe dazu Bacher: Die exegetische Terminologie der jüdischen Traditionsliteratur 1899, S. 116: "…‫ …הרי זה מקרא עשיר במקומות הרבה‬d. h. dieser Schriftvers ist reich, indem sich sein Inhalt an vielen Stellen der h. Schrift wiederfindet." 466 '‫ דנכל‬wird hier als Abkürzung verstanden für ‫ דבר נפרד כל לשון‬und übersetzt als "dieser ganze Ausdruck ist etwas anderes".

9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

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und sie aß und sie wurde satt und sie ließ übrig (Rut 2,14) und sie gab den Rest ihrer Schwiegermutter.

[Zu Rut 2,19] Wo hast du heute gesammelt – eine so große Nachlese wie diese ist nicht wie die Nachlese der restlichen Leute und all das ist erst recht nicht [nur so viel], wie es Frauen [sammeln könnten], sondern [sicherlich] bist du zu einem guten Platz gekommen. Und [nun sag schon,] wo hast du das gemacht? – Wo bedeutet467 „Hast du etwa all das [selbst] eingebracht?“ In der Landessprache ‫ני ְי ֶ֯טריש‬. Wie [sowohl in folgendem Vers]: [Du könntest in deinem Herzen sprechen: Meine Kraft und meiner Hände Stärke] brachte mich zu diesem großartigen [Reichtum] (Dt. 8,17) [als auch in diesem Vers] und das Land brachte für sieben Jahre Überfluss […] hervor (Gen. 41,47). Dein Bekannter sei (gesegnet) – der Mensch, der dich wahrgenommen468 hat, wie [jeder] Mensch von seinem Bekannten (2. Kön. 12,6). Sie machte diesen Gewinn mit ihm.

[Zu Rut 2,20] [Gesegnet sei er dem Ewigen, der seine Gnade nicht genommen hat, weder von] den Lebenden – mit mir und mit dir [gnädig ist],469 und den Toten – als sie noch am Leben waren. Nah [verwandt] ist uns dieser Mann – der dich mit freundlichem Angesicht angenommen hat (vgl. mAv 1,15). Er ist [einer] von unseren Lösern – er ist [ein] uns nahe [Verwandter], und es ist ihm würdig, zu lösen unser Erbteil, das ich und mein Ehemann verkauft hatten, d. h. bei unserem Weggang zu den Gefilden Moabs.

467 '‫ נא‬wird als Abkürzung für ‫ נאמר‬interpretiert, etwas wörtlichere Übersetzung: "es wird gesagt". 468 Im Text steht ‫הכיר בך‬, wobei ‫ הכיר‬dieselbe Wurzel hat wie ‫( מכירך‬übersetzt mit "Bekannter"): √‫נכר‬. 469 ‫ געמך‬wird hier übersetzt als ‫ועמך‬, mit Waw-­Kopulativum. Alternativübersetzung wäre "mein Volk und dein Volk".

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9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

[Zu Rut 2,21] Des Weiteren hat er auch zu mir gesagt usf. – und auch [bedeutet] beständig ist, [was] ich mit ihm gewinnen werde, und ich dir [von nun an immer] bringen werde.

[Zu Rut 2,22] Sie werden dich nicht belästigen – sie werden nicht gegen dich stehen, um dich zu hindern.

[Zu Rut 3] [Zu Rut 3,1] Soll ich dir [denn] nicht eine [Ruhe] erbitten – Es ist mein Wunsch, dir eine Ruhe zu erbitten und [mich] zu kümmern, dass du einen Ehemann [bekommen] wirst. Und wenn du [aber] einen Ehemann [bekommen] wirst, der dürftig470 oder stolz ist, wird er sich nicht um dich kümmern, denn du bist eine Übergetretene zum Judentum. Daher werde ich einen guten Ehemann für dich erbitten, und er wird dir eine Ruhe sein. Und [so] brauchst du nicht mehr von einem Feld zum anderen gehen. Daher hänge deine Augen an Boaz, den Alten und Guten.

[Zu Rut 3,3] So ziehe dir dein Kleid an – damit du in seinen Augen schön sein wirst. Lass dich bloß nicht von dem Mann erkennen – denn das ist eine Schande für eine Frau: Wenn du zu ihm ins Haus gegangen wärest, das wäre eine Schande gewesen, und das ist es [erst recht, wenn] es seine Hausgenossen merken würden.

[Zu Rut 3,4] Er wird dir sagen usw.

470 Im Text steht ‫דל‬, was mit "arm, dürftig" übersetzt werden kann, siehe Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 98. Dies bezieht sich hier auf die Formulierung in Rut 3,10, wo Boaz äußert, dass Rut nicht den jungen Männern nachgelaufen sei …‫[…" אִם־ּדַ ל ְואִם־ ָעׁשִיר׃‬egal] ob arm oder reich."

9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

173 Fol. 73v

Und er wird dir sagen – denn er ist wichtig und gut und er wird dir, er wird dir wirklich einen Ratschlag erteilen,471 der dir würdig ist.

[Zu Rut 3,5] Alles, was du mir sagen wirst, werde ich tun – Denn ein alter [Mann], der [mich] liebt, ist mir lieber,472 als ein dürftiger473 stolzer junger [Mann].

[Zu Rut 3,6–7] Und sie tat alles, was ihr ihre Schwiegermutter befohlen hatte – [die Worte stehen] unbestimmt da, und später wird es erklärt, denn alsbald war es, dass Boaz aß und trank und sein Herz gut[en Mutes] war (Rut 3,7) – wie ein Mensch, der gutherzig ist: alles, was man von ihm erbittet, [das] tut er.

[Zu Rut 3,8] Und der Mann fuhr [vom Schlaf] auf – der Vers überliefert und er beugte sich vor. Und [erst] nachdem [gesagt wird], und der Mann fuhr [vom Schlaf] auf, [steht da:] und er beugte sich vor. Jeder Mensch, der von seinem Schlaf aufsteht, der streckt seine Arme und Beine aus und krümmt sie und zieht sie an sich, und streckt sie [danach wieder] aus. In der Landessprache ‫ש ַטנ ְִרילִית‬ ְ ‘. Und er beugte sich vor – und er krümmte sich.474 Und Shimshon umschlang die mittleren Säulen (Ri. 16,29). Und so ist die Auslegung: Wann [war es, was geschildert wird mit] und der Mann fuhr [vom Schlaf] auf? Zu dem Zeitpunkt,475 [der beschrieben wird mit] und er

471 Im Text steht ‫יעצך עצה‬, was als Betonung verstanden werden kann. Übersetzung als "Rat", vgl. MS Zürich Or 157 und MS New York JTS 778 mit Zitat aus Jes. 11,2, wo ‫ עצה‬mit "Ratschlag" übersetzt wird. 472 Im Text steht ‫כי טוב לי זקן‬, was wörtlicher übersetzt wiedergegeben werden kann mit "Denn ein alter [Mann] ist gut für mich." Die Übersetzung von …‫ טוב לי…מ‬als "… ist mir lieber als…" wird aufgrund des Kontextes gewählt, die Wiedergabe als "… ist mir besser als … " passt hier aufgrund des Wortlautes im Deutschen nicht. 473 Vgl. Anm. 470. 474 Im Text steht ‫רטורצת‬, i.S.v. "drehte sich um." Evtl. handelt es sich hierbei um ein "La'az", hier ggf. mit der Bedeutung "sich umdrehen" von retour[ner se], bzw. neufranzösisch "se retourner". 475 ‫ בשעת‬wörtlicher übersetzt: "in der Stunde".

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beugte sich vor.476 Danach [steht also geschrieben], dass er sich vorbeugt. Und siehe eine Frau liegt zu seinen Füßen – und [erst] danach fuhr er [vom Schlaf] auf.477 So ist die Auslegung.

[Zu Rut 3,9] Wer bist du, meine Tochter? – Was willst du, meine Tochter? [So wird es auch in folgendem] Beispiel [formuliert]: Und er kam zu ihnen und es sprach[en] ihre Brüder zu ihm: Wie geht es Euch (vgl. Ri. 18,8478)? So [formuliert es der] Vers, und mir scheint es [dass er fragte]:479 Wer bist du? Denn in dieser Nacht erkannte480 er sie nicht. Und breite – die Flügel aus, um mich zu heiraten. Denn ein Löser bist du – mein Ehemann war ein dir nahe [Verwandter], und da er gestorben ist, sind mir alle Bodenstücke übertragen worden, [wie es] in meinem Ehevertrag [steht]. Und jetzt sind sie verpfändet und verkauft. Aber nimm [doch] du mich zur Frau und ich werde dir Gunst erweisen für deine Lösung.

[Zu Rut 3,10] Du hast zuletzt deine Liebenswürdigkeit [noch] mehr als zuvor [bewiesen] – dass du deine Augen auf mich geworfen481 hast, der ich [doch] ein alter [Mann] bin, um das Feld meines nahen [Verwandten] zu lösen. Da482 die anderen Frauen ihre Augen [nur] auf junge [Männer] werfen,483 [egal] ob dürftig484 oder reich, 476 Im Text steht ‫וילפות‬, nicht wie MT BHQ ‫וילפת‬. 477 Im Text steht ‫ויחרד‬, was wörtlicher mit und er fuhr vom Schlaf auf wiedergegeben werden könnte. Hier wird das Waw-­Kopulativum wegen des Kontextes nicht mit übersetzt. 478 Im Text steht ‫'ויבא אליהם ויאמר להם אחיהם מה אתם כ'פ' י‬, jedoch die Formulierung in MT BHQ von Ri. 18,8 ‫ ַוּיָב ֹאּו אֶ ל־ ֲאחֵיהֶם צ ְָרעָה ְו ֶאׁשְּתָ א ֹל וַּי ֹאמְרּו ָלהֶם ֲאחֵיהֶם מָה אַּתֶ ם׃‬, zitiert aus Biblia Hebraica Stuttgartensia, BHS (1983) Accordance. 479 Im Text steht '‫ולי נר‬ – Interpretiert als ‫ לי נראה‬und übersetzt mit "es scheint mir." 480 Im Text steht ‫הכירה‬, Perf. Hifil, 3.Sg. mask. + Suffix fem. Sg. von √‫" נכר‬kennen, erkennen; 2. bekannt machen; 3. beiwohnen." Dieses Erkennen ist dabei aber nicht das mit √‫ ידע‬formulierte "Erkennen", das im biblischen Kontext noch eher mit Beischlaf in Verbindung gebracht wird als √‫נכר‬. 481 Hier im weiteren Sinne mit "[Augen] werfen auf " übersetzt. ‫ שנתת‬wäre wörtlich eigentlich zu übersetzen: "dass du gegeben hast", √‫נתן‬ – setzen, stellen, legen. 482 …‫לפי ש‬ – "da", vgl. Anm. 408. 483 Vgl. Anm. 481. 484 Im Text steht ‫דל‬, vgl. Anm. 470 zu Rut 3,1.

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und sie sind nicht besorgt, auch wenn ihre Ehemänner ihre Felder verlieren, [es ist ihnen] nur [wichtig], dass sie viel Geschlechtsverkehr485 haben. Aber du hast dich über die Felder meines nahen [Verwandten] erbarmt, und hast deine Augen auf mich geworfen.486 Vom Anfang an – als du kamst, um zum Judentum überzutreten. Von Beginn an hatten sie voll [und ganz] gemeint, dass [Elimelekh] dich hat übertreten lassen, damit dich der junge [Mann, Elimelekhs Sohn Machlon] heiraten würde.

[Zu Rut 3,11] Aber jetzt – [diese Formulierung] beweist, [dass das, was] du [am] Ende [sagtest], auf [das zurück weist, was] du [zu] Beginn [gefordert hast]. Fürchte dich nicht – [will] sagen, dass es [zwar] nicht in meinem Herzen ist, dich zu heiraten, [aber alles, das du mir sagst,] will ich für dich tun, auch, [wenn es darum geht,] dich zu heiraten, [ob] ich [das nun bin] oder jemand [anderes], damit es dir gut ergehen wird (Rut 3,1), denn ich schäme mich nicht [dafür], dass du eine Übergetretene bist. Denn jeder [im] Tor meines Volkes weiß – jeder, [von denen, die durch] das Tor meines Volkes kommen, weiß,487 dass du eine großartige Frau bist. Denn wenn die Angelegenheit [der Heirat mit] der übergetretenen Frau [nur] mit Schönheit verbunden ist, ist dies eine Schande. Aber wenn es eine Angelegenheit [der Heirat mit] einer großartigen Frau ist, bereitet [es] keine Schande488. [Will] sagen,489 daher [dass du eine starke Frau bist,] will ich dich heiraten.

[Zu Rut 3,12] Auch wenn ich ein Löser bin – wie deine Worte [es darstellen],

485 Im Text steht ‫תשמיש‬, was auch mit "Gebrauchsgegenstand" übersetzt werden kann, aber da es hier im Singular steht, wird die inhaltliche Übersetzung von ‫תשמיש מִטה‬ hier vorgezogen. 486 Vgl. Anm. 481. 487 Im Text steht ‫כל באי שער עמי‬. In wörtlicherer Übersetzung: "jeder [von den] Kommenden [durch das] Tor meines Volkes". 488 Im Text steht ‫מתגנה‬, wird wiedergegeben mit "bereitet [keine] Schande." Vgl. dazu Anm. zu Rut 3,11 in MS Berlin 1221. 489 Im Text steht /'‫ למ‬am Ende der Zeile, was hier mit "[will] sagen" wiedergegeben wird. Ggf. ist dies ein Zeilenfüller, dann wäre der Satz zu kürzen in "Daher will ich dich heiraten."

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[Zu Rut 3,13] gut, [so] soll er lösen – wenn er dich mit dem Feld [zusammen] lösen will, so ist es gut, und er löst, [so] werde auch ich ihm die Erlaubnis [dazu] geben.

[Zu Rut 3,14] Und er sprach – zu seinem Knecht: Es soll [bloß] nicht bekannt werden. – Es gibt welche, die legen [es] so aus, aber es ist [eine] falsch[e Interpretation], denn vielmehr sollte sein junger [Knecht] nichts davon wissen. Und so [ist die Erklärung aber folgendermaßen:] Er sprach in seinem Herzen: Es soll [bloß] nicht bekannt werden. [So] schickte er sie noch bevor ein Mensch [seinen Nächsten] erkennen konnte usw. – Weshalb [so früh]? Denn er sprach in seinem Herzen: Es soll [bloß] nicht bekannt werden. Und [so wird es auch in folgendem] Beispiel [formuliert]: [Schreibe] dies zur Erinnerung in ein Buch (Ex. 17,14). Denn er sagte: Die Hand an den Thron des Ewigen (Ex. 17,16), da der Krieg für lange Tage sein wird,490 in den Tagen Shauls. Daher [steht dort]: Schreibe dies zur Erinnerung in ein Buch (Ex. 17,14), damit du es nicht vergisst.

[Zu Rut 3,15] ‫( הבי‬Gib) – bereite vor. Wie: ‫( הבה‬Wohlan), lass uns klug gegen ihn vorgehen (Ex. 1,10). Sechs [Maß] der Gerste – sechs von den [Hohl-]Maßeinheiten. Fol. 74r

[Zu Rut 3,16] Wer bist du, meine Tochter? – Was hast du gemacht? Du [bist doch] meine Tochter. Und sie sagte ihr alles, was der Mann an ihr getan hatte. – Dass er gesagt hatte, [dass er bereit sei,] sie zu lösen, wenn sie nicht der nähere [Verwandte] lösen würde, [jener, der näher verwandt sei] als er: sein Onkel, oder der Sohn seines Onkels.

490 Im Text steht …‫ …שהמלחמה תהיה לימים רחוקים‬Evtl. könnte ‫ רחוקים‬auch als "weit entfernt" wiedergegeben werden, im Kontext bspw. als: "…da der Krieg in weit entfernten Tagen sein wird…"

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[Zu Rut 3,17] Und sie sprach: Diese sechs [Hohl-]Maß – sie sagte ihr, wenn er dir diese Maß nicht gegeben hätte, hätte ich gesagt, alles was er sagen wird, wird er auch bestätigen, aber nachdem [es nun so ist], dass er dir dieses Geschenk gegeben hat, stößt er dich nun fort. Denn wenn es sein Wille gewesen wäre, dich zu heiraten, [dann] hätte er dir gar nichts gegeben, denn alles, was ein Ehemann [besitzt], das alles [gehört auch] seiner Frau. Und Rut antwortete ihr: Er wollte mir das auch gar nicht geben, aber [er tat es dann doch], weil er zu mir sagte: Komme nicht [mit] leer[en Händen], [in] Leere491 zu deiner Schwiegermutter [zurück].

[Zu Rut 3,18] [So sprach Noomi: Setz dich, meine Tochter …], denn er wird nicht [eher] ruhen [bis er die Sache zu Ende gebracht hat], und so war es [dann] auch.

[Zu Rut 4] [Zu Rut 4,1] Und Boaz stieg zum Tor hinauf usf. […] und siehe, der [andere mögliche] Löser kommt vorbei – ihr Schicksal führte es [so], weil du gekommen bist, um im Schatten der Shekhina [der Einwohnung (Gottes auf der Erde)] Zuflucht zu suchen (vgl. Rut 2,12).492 ‫„ סורה‬Komm herzu,“493 setze dich hier[her], Peloni Almoni – ‫„ סורה‬Komm herzu“, um hierher zu kommen494, denn ich habe mit dir eine geheime und verdeckte Sache zu bereden.

491 Im Text steht ‫ריקנות‬, was ein Substantiv ist, vgl. Anm. 438 zu Rut 1,21. 492 Kommentar zu Rut 2,14 ist ähnlich und bezieht sich auch auf Schutz suchen in der Nähe der Shekhina. Im Text steht ‫מזלה גרם על שבאת לחסות בצל שכינה סורה‬. 493 √‫ סור‬kann auch wörtlicher als "hinzutreten" übersetzt werden, siehe Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 540. Hier wird ein diesbezügliches Synonym verwendet: "dazukommen", siehe Wortschatz-­Portal der Universität Leipzig: wortschatz.uni-­leipzig.de/abfrage/ (Zugriffsdatum: 27.03.2013). Oder: "(vom Weg) abweichen", vgl. Lavy: Handwörterbuch Hebräisch-­Deutsch 1975, S. 392. 494 Im Text steht ‫לבא‬.

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[‫ פלוני‬Peloni in der Bedeutung] wie wenn dir diese Sache zu rätselhaft erscheint (Dt. 17,8), verborgen und zugedeckt,495 wie an dem und dem bestimmten Ort496 will ich mein Lager [errichten] (2. Kön. 6,8), im Targum [formuliert mit] verborgen und geheim [Targum497 zu 2. Kön. 6,8]. [‫ אלמוני‬Almoni] ist ein Ausdruck [für] stumm (498‫)אילם‬. Und mir scheint es [wie folgt zu verstehen zu sein]:499 Komm herzu,500 setze dich hier[her], in Ruhe, und verberge es, damit die [Vorbei-] Gehenden es nicht wissen.

[Zu Rut 4,3] Verkauft Noomi – und [auch] ich bin ein naher [Verwandter] ihres Ehemannes, und an uns ist es, zu lösen.

[Zu Rut 4,4] Ich will es [nämlich] wissen – und ich weiß.501 [Und der andere mögliche Löser Peloni-­Almoni sprach:] Ich will lösen – er meinte, dass Rut [schon anderweitig] eine Ruhe für sich [gefunden] hatte, [und es nun] an ihm war, zu lösen, auch wenn er sie nicht heiratete.

[Zu Rut 4,5] Und von Rut, der Moabiterin – musst du [das Feldstück] kaufen. Aber sie will [das] nicht [einfach so], außer, wenn es so ist, [dass] du sie heiraten wirst, als [Ehe-]Frau.

495 Im Text steht ‫ארי יתכסי‬, was die Formulierung des Targum Onkelos bzgl. Dt. 17,8 ist. Mit den Worten ‫ ארי יתכסי‬wird auch im Rashi-­Kommentar zu Dt. 30,11 auf Dt. 17,8 hingewiesen. 496 Vgl. Angabe in Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 644. 497 Ed. Sperber, Alexander (Hrsg.), The Bible in Aramaic. The Former Prophets according to Targum Jonathan, 2. Aufl., Leiden [u. a.]: Brill, 1992, S. 284. 498 Auszusprechen als 'ylem. 499 Im Text steht '‫ולי נר‬. Zur Übersetzung vgl. Anm. 479. 500 √‫ סור‬kann auch wörtlicher als "hinzutreten" übersetzt werden (siehe Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 540). Hier wird ein diesbezügliches Synonym verwendet: "dazukommen", wortschatz.uni-­leipzig.de/abfrage/ (Zugriffsdatum: 27.03.2013). 501 Im Text kann einerseits ‫וידע‬, aber auch ‫ אדע‬gelesen werden.

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Um den Namen des Verstorbenen [auf seinem Erbteil] zu erheben – daher dass, wenn du sie [zur Frau] nehmen wirst,502 wird man sagen, was hat der mit jenem Feld [zu tun]? Und man wird [auf diese Frage] antworten: [Ihm gehört das Feld jetzt], da er die Frau Machlons geheiratet hat. So stellt sich heraus, [dass an] den Namen des Toten auf seinem Erbteil erinnert wird.

[Zu Rut 4,6] Ich werde [es] mir nicht lösen können – da sie eine Übergetretene war, und so fand er, [dass es] eine Verleumdung für ihn [darstellen könnte und sagte] folgendermaßen: Dass ich bloß meinem [eigenen] Erbteil keinen Schaden zufüge, ich habe kein Vermögen, um dieses Feld zu lösen, wenn ich nicht das Erbteil meiner [eigenen] Väter verkaufe und [dann] durch dessen Kaufpreis löse503. Und es ist nicht mein Wille, mein [eigenes] Erbteil zu schädigen, [d. h. es] zu verkaufen, um das Erbteil meines nahen [Verwandten] zu lösen. Wisse [aber], dass er nicht [einfach so von seiner Bereitschaft, das Feld zu lösen] ließ, sondern [nur,] weil er nicht an Rut hing. [Dies ist der Grund], dass [die Ältesten] zu Boaz sagten Und dein Haus sei wie das Haus Perez‘ (Rut 4,12).

[Zu Rut 4,7] Und dies war früher [so] in Israel – Was wir heute tun, um eine Angelegenheit des Kaufs oder der Verzeihung zu bestätigen, und [das tun wir, wenn] wir durch das Gewand504 des Käufers, der kauft, kaufen – ist wie [die Umgangsweise mit] diesen Angelegenheiten unserer Lehrer, [das] taten sie durch das Ausziehen des Schuhs. Im [Rahmen] der Lösung – [bei dem] der kommt, um das Erbteil seines nahen [Verwandten] zu lösen (vgl. Lev. 25,25 ff.), und im [Rahmen] des Tausches – [bei dem] der kommt, um einen begehrten Gegenstand zu tauschen. Um diese ganze Sache zu bestätigen – zwischen einem Menschen und seinem Genossen. 502 ‫לכשתקח‬ – wird hier auseinander gezogen und übersetzt als ‫לכך שתקח‬. 503 Im Text steht …‫…אם לא אמכר נחלת אבותיי ובאותן דמים אגאל‬, wobei das Bezugswort ‫ באותן‬zu ‫ דמים‬wörtlicher im Plural übersetzt werden könnte: "…wenn ich nicht das Erbteil meiner Väter verkaufe und durch deren Kaufpreis lösen werde". ‫ דמים‬wird hier aber im Singular übertragen, da ‫ דמים‬im Hebräischen nur im Plural vorkommt, vgl. Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 100. 504 ‫ כליו של קונה‬wird hier bzgl. Gewand übersetzt, da auch in anderen Kommentaren zur Stelle auf einen Zipfel des Gewandes hingewiesen wird (vgl. bspw. MS Hamburg hebr. 32 ad loc.). Zu Überlegungen das Wedeln des Gewandes als Bestätigung einer Transaktion zu verstehen vgl. Ausführungen zur Stelle auf S. 329 f.

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Die Bestätigung – das Ausziehen des Schuhs ist das Zeugnis jeglicher Sache, [die] bestätigt wird.

[Zu Rut 4,8] Kaufe du dir – mit dem Ausziehen des Schuhs.

[Zu Rut 4,9] Und Boaz sprach zu den Ältesten usf. Fol. 74v

Denn ich habe gekauft – ich kaufe jetzt, daher dass ich Rut [zur Frau] nehmen werde,505

[Zu Rut 4,10] um den Namen des Toten auf seinem Erbteil zu erheben, durch meine Heirat [mit] Rut. Und auch wenn jemand anderes sie geheiratet hätte, wäre der Name des Verstorbenen auf seinem Erbteil ebenso erhoben [worden], aber so wäre der Name des Toten unter seinen Brüdern weggenommen worden, wenn das Erbteil nicht durch die nahen [Verwandten] gelöst worden wäre. Aber so, da nun ich, sein naher [Verwandter], sie heiraten werde, stellt sich heraus,506 [dass an] seinen Namen auf seinem Erbteil zwischen [all] seinen nahen [Verwandten] erinnert wird. Und auch wenn es [des Weiteren so gewesen wäre, dass] ein anderer sie geheiratet hätte, und [dieser] von den nahen [Verwandten] Machlons gewesen wäre, und er seinen Wohnort auf dem Rest der Länder[eien] Jehudas errichtet hätte, wäre es nicht die Ehre des Verstorbenen gewesen, denn er wäre nicht [für] immer weggenommen worden, denn [vielmehr] wäre sein Name von dem Tor seines Ortes weggenommen worden.

[Zu Rut 4,11] Der Ewige gebe dieser Frau – denn: Du und sie, zum Guten habt ihr Euch [miteinander] gewendet. Und wenn du dich sorgst, dass sie eine Übergetretene ist, und eine Moabiterin, sowie ein [fremder] Gast507 [dann denk daran], dass wir alle

505 ‫לכשאקח‬ – wird hier auseinandergezogen und übersetzt als ‫לכך שאקח‬. 506 Im Text steht ‫נמציו‬. Dies wird als ‫ נמצא‬verstanden und mit "es stellt sich heraus" übersetzt. 507 Im Text steht ‫ואכסנאית‬, vgl. dazu Anm. 432.

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selbst nicht [unbedingt als jüdische Menschen auf die Welt] gekommen wären, sondern [dies nur] von dem Übertritt [unserer Stammmutter möglich wurde, durch] Jakob, der kam und die Tochter Labans heiratete, und sie zu ihrem [späteren Wohn-] Ort brachte, und [auch] sie war eine Fremde gewesen. Und [er] tue Großartiges – [dies bezieht sich auf] nichts anderes Großartiges, als auf das Königtum: Und [so] tat Shaul Großartiges; Und Israel tat Großartiges (Num. 24,18); so ist die Erklärung. Und er rufe [den] Namen [aus] – denn du wirst einen Sohn haben,508 und durch ihn wird dein Name ausgerufen werden. Denn [bei] jedem, der einen Sohn hat, dessen Name wird durch seinen Sohn bekannt509 und ausgerufen. Und so ist es auch [mit] jedem Namen, der in der Schrift steht: und ich will Babel [seinen] Namen wegnehmen (Jes. 14,22).

[Zu Rut 4,13] Einen Sohn – und es steht geschrieben: Nachwuchs und Nachkommenschaft (Jes. 14,22), aber mir scheint es nicht [so zu verstehen zu sein]510, sondern als beispielhaft511 [für] die Leute Shems. Wenn du [nun] sagst: Was [hat es damit auf sich], dass Jakob eine Übergetretene und Fremde geheiratet hat? [Dann denk daran, dass] sie [zwar] Töchter von seiner Familie waren, Töchter Labans, der der Bruder seiner Mutter gewesen war. Aber diese Rut ist keine Tochter von seiner Familie. Siehe Tamar, die Frau Jehudas, unseres Urahns, des Vaters Perez‘, unseres Vaters, war auch keine Tochter [aus] der Familie Jehudas. Und [bedenke] außerdem, dass Jakob [zwei leibliche] Schwestern geheiratet hat. Und Jehuda war [Tamars] Schwiegervater. Und dies soll dir [an Beispielen] mehr als genügen.

[Zu Rut 4,14] [Er hat dir] heute einen Löser [gegeben] – denn Rut und ihr Sohn werden es dir gut gehen lassen durch Boaz, deinen Löser.512

Im Text steht ‫שיהיו לך בן‬, wobei hier im Singular übersetzt wird. Im Text steht ‫ניכר‬, was mit "bekannt" übersetzt wird. Im Text steht ‫'ולי לא נרא‬, vgl. dazu Anm. 479. Im Text steht ‫אלא דוגמת אנשי שם‬, was auch übersetzt werden könnte mit "als Beispiel der Menschen [abstammend von] Schem". 512 Hier klingt an, dass Boaz eigentlich der Löser Noomis gewesen wäre, was an die "Ersetzungs-­Theorie" von Noomi durch Rut erinnert. So wird der Sohn Ruts auch der Sohn Noomis genannt, vgl. Rut 4,17. 508 509 510 511

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9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

[Zu Rut 4,15] Und er – ihr Sohn – wird dir zum Trost der Seele werden. Und wenn du sagst, Rut [hat doch] geboren [und] Noomi – was geht sie das an?513 Aber [genau darauf] ist hier Betonung gelegt [indem formuliert wird] denn deine Schwiegertochter, die du lieb hast, hat ihn geboren. Und so lässt es die von dir geliebte dir gut ergehen.514 [Sie ist besser] als sieben Söhne – er [Oved] kann es dir noch besser ergehen lassen, als wenn du sieben515 Söhne hättest.

[Zu Rut 4,17] Noomi ist ein Sohn geboren – zum Gedächtnis daran, dass ihre Schwiegertochter ihn geboren hat (vgl. Rut 4,15). [Sie nannten ihn] Oved – auf [diesen] Namen, [mit dem schon angedeutet wird], dass er Noomi unterstützen516 und sie in ihrem Alter versorgen wird. Er ist der Vater Isais, des Vaters Davids – [Dieser Vers] kommt, um uns mitzuteilen, denn, da [Rut] ihr Volk und ihren Gott verlassen hatte und gekommen war, um im Schatten HaShems517 Zuflucht zu suchen – [In]wie[fern] wurde ihr [da etwas] vollständig vergolten? Sie hatte das Haus ihres Vaters und das Land ihrer Geburt verlassen, und jede [Frau], die von ihrem [Wohn-] Ort weg ins Exil geht, kann nicht verheiratet werden an einen [Mann] vornehmer Herkunft, und [kann auch keine Kinder für ihre Herkunftsfamilie] zeugen [lassen], und [auch keine] Erbteile in Besitz nehmen. Schlage nochmals nach im zweiten [Kapitel].518 513 Übersetzung für ‫ מה אכפת לה‬siehe Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 18. 514 Hier wird im Kommentar zu Rut 1,14 inhaltlich geschlossen, dass es Rut Noomi gut ergehen lassen werde. Vgl. Kommentar zu Rut 1,13, s. o. S. 160 f. 515 Hier als Buchstabe ‫ ז‬im Text dargestellt, daher hier in der Übersetzung ebenfalls als Ziffer wiedergegeben. 516 Der Name "Oved" leitet sich von der Wortwurzel √‫ עבד‬her. Diese könnte ebenfalls übersetzt werden mit "dienen," "als Knecht arbeiten" u. ä., aber da Oved wohl kaum "geknechtet" werden sollte, wird hier in der Übersetztung der schwächere Ausdruck "unterstützen" verwendet. 517 Im Text steht ‫השם‬, was übersetzt "der Name" bedeutet. Dies ist der Platzhalter für den Gottesnamen. 518 Im Text steht ‫בק ֯ף שיני‬ ֯ ‫עיין‬, wobei das zweite Wort nicht sicher zu lesen ist. Im Folgenden wird nochmals Inhaltliches aus Rut 2 wiedergegeben, daher wird dies in der

9.  Übersetzung MS London, British Library, Add. 22,413

183 Fol. 75r

Denn siehe, an dem Ort, wo sie eine Fremde ist, würde sie [eigentlich] niemand Reiches oder von vornehmer Herkunft heiraten. Und so wurde ihr [hier aber] ihr Lohn vollständig vergolten, in [Form] eines vornehmen Sohnes und eines reichen Ehemannes und eines Inhabers [vieler] Erbteile.520 Und das ist noch [nicht genug], denn vielmehr ging von ihr das Königtum Davids hervor (‫שיצא ממנה מלכות‬, vgl. Auslegung zu Rut 1,2). 519

[Zu Rut 4,18] Und dies sind die Generationen Perez‘ – teilt uns mit, wie [sehr] ihr Ehemann Boaz ein vornehmer [Mann] war, und der Ewige vergelte dir dein Werk vollständig und dein Lohn sei dir vollständig vergolten (vgl. Rut 2,12) und ihr vollständig [Erhaltenes ist] von dem Ewigen, dem Gott Israels, die [du] gekommen bist, um unter seinen Flügeln [Schutz zu suchen] (Rut 2,12) – und er ist ein Schild allen, die bei ihm Zuflucht suchen. [So] endet die Buchrolle Rut, [mit der Auslegung von] R. Josef Kara, s[eligen] A[ngedenkens].521

Übersetzung so verwendet, auch wenn es keine Kapiteleinheiten im Haupttext gibt und die Kapiteleinteilungen durch Langton für dieses MS nicht unbedingt vorauszusetzen sind, vgl. Anm. 32, S. 23. 519 Im Text steht ‫במקום גירותה‬, was hier mit "an dem Ort, wo sie eine Fremde ist" übersetzt wird, aber wörtlicher wiedergegeben werden kann als "an dem Ort ihrer Fremdheit", vgl. Anm. 415. 520 Im Text steht zweimal ‫בעל‬, was hier als "Ehemann" und "Inhaber" übersetzt wird: ‫שתלם משכורתה שלימה בבן מיוחס ובעל עשיר ובעל נחלות‬, vgl. Anm. 460. 521 Am Schluss steht ‫ז'ע'ל‬, wobei das ‫ ל‬jedoch undeutlich erscheint.

10. Übersetzung MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157 Fol. 462

Auslegung der fünf Megillot nach Rabbi Josef Kara sel. A. [zum] Buch Rut

[Zu Rut 1] [Zu Rut 1,1] Und es war zu der Zeit als die Richter richteten, und (da) war eine Hungersnot – Diese Hungersnot war eine von zehn Hungersnöten (RutR 1,4), die auf der Welt beschlossen worden waren. Und warum wurde [die Welt] geläutert, [dass] eine Hungersnot in dieser Generation aufkommen [musste]? Weil es [in] Israel [viele] Frevler gab in jener Generation. Und was (hat es damit auf sich), dass (es) Richter [und keine anderen Repräsentanten einer Staatsform] waren? Richter sind geeignet, ihnen [etwas] (an)zutun. [Aber in jener Generation] taten sie (den) Richtern [etwas an, und nicht die Richter ihnen, wie es umgekehrt sein sollte].522 Daher ist gesagt (‫)שפוט השופטים‬ [zur Zeit des] Richtens der Richter, weil sie [selbst] ihre Richter richteten.523 Und dies ist eine von fünf [Bibelstellen,524 wo geschrieben steht (RutR 1,7 zu Rut 1,2)] Und es war zu der Zeit, die Schmerz bereitete.525 [Das war noch] bevor Shaul [als] König regiert[e], als die Generationen durch Richter versorgt worden waren. Und [dies alles geschah] zur Zeit Iwzans. Und (unsere) Lehrer sel. A. sagten: Iwzan, das ist Boaz. Und ein Mann ging – Jede Stelle, an der [„und ein Mann ging,“ wie hier] gesagt wird, [da bedeutet dies, dass] es ein bedeutender Mann in seiner Generation ge-

522 Frühere Überlegung bzgl. Sinn des Satzes ‫היו הם עושים לשופטים‬: Sie (selbst) hatten Richter eingesetzt. 523 Vgl. Ende Proömium RutR 1 und Yalkut Shimoni zu Rut § 596: … ‫אוי לדור ששפטו את‬ ‫שופטיהם‬. 524 Gen. 14,1, Jes. 7,1, Jer. 1,3, Rut 1,1 und Ester 1,1. 525 Im Text steht ‫ויהי בימי שהיו לצער‬, was eigentlich im Plural etwa mit "und es war in den Tagen, die Schmerz bereiteten" zu übersetzen wäre. Aber da ‫ ימי‬Tage als "Zeit" übersetzt wird, wird in der Übersetzung der Singular verwendet.

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wesen war.526 Und dieser [Elimelekh,] war reich, bedeutend527 und ein Versorger seiner Generation (vgl. RutR 1,4).528 Und er zog ins Ausland wegen des Geizes, den er in sich hatte, gegen die Armen, die kamen, um ihn zu bitten. Deshalb wurde er bestraft.

[Zu Rut 1,2] Und der Name des Mannes war Elimelekh529 – Im Midrash Rut haben R. Meir und R. Jehosha Ben Karcha die Namen530 ausgelegt: Elimelekh – [eigentlich wäre] er würdig [gewesen] zu sagen: Zu mir wird das Königtum kommen, denn er war [ja] ein Bedeutender der Generation (vgl. RutR 2,5).531 Noomi – deren532 Taten [waren] angenehm. (‫ )מחלון‬Machlon – dem seine Schuld (√‫מחל‬533) vergeben wurde und dem [später durch seine Frau Rut für (die Erhaltung) seines Namens534] ein männlicher Sohn535 geboren wurde. 526 Vgl. Massorah Gedolah Iuxta Codicem Leningradensem B 19 a. Weil, Gérard E. (Hrsg.). Bd. 1, Catalogi. (Biblia Hebraica Stuttgartensia: Pars 2, Masora magna 200,1). Pontificium Institutum Biblicum: Rom 1971, Nr. 377, mit einziger anderer Stellenangabe Ex. 2,1, wo von Moshes Vater die Rede ist. 527 Übersetzungsalternative: "ein Reicher, Bedeutender". 528 Vgl. RutR 1,4 in Midrash Rabba HaMevoar. Rut. ‫ מדרש רבה המבואר רות אסתר‬Jerusalem: Makhon HaMidrashh HaMewoar 1986 (Hebr.), zu Rut S. 46, bzw. RutR 1,9 (4) (Ed. Lerner). 529 Wörtliche Übersetzung von MS Zürich Or 157 der Schreibung des Namens }‫איל{יא‬ )‫(כ"ל אלימלך‬ ֯ '‫לך‬: "El{iae}lekh (das heißt Elimelekh)", was durch eine Hinzufügung am Rand im MS korrigiert wurde. 530 "Namen" bezieht sich hier auf die in diesem Vers genannten Personen im Buch Rut. 531 Vgl. auch Pesikta Zutara (Lekaḥ Tov) zu Rut 1,2.2. 532 Übersetzt mit "deren" statt "ihren", aufgrund von MSS Vatican 20, Copenhagen 35 und London BL Add. 26924: …‫…שהיו מעשיה‬ 533 Der Name wird hier auf die hebräische Wortwurzel √‫ מחל‬zurückgeführt, was mit "erlassen, verzeihen" übersetzt werden kann. 534 Hinzufügung "für (die Erhaltung) seines Namens" aufgrund MSS Vatican 20 und London BL Add. 26924: Dort wird die Auslegung zu Machlon und Kiljon aber vertauscht: MS Vatican Urb. ebr. 20: ‫כיליון' שנעשה ממנו כלייה מחלון שנמחל לו עון ?? ונולד לו‬ ‫ ;בן זכר‬MS London BL Add. 26924: ‫כליון שנעשה ממנו כליה' מחלון שנמכל לו אותו עון ונולד‬ ‫לשמו בן זכר‬. 535 Da ein "Sohn" immer männlich ist, kann davon ausgegangen werden, dass im hebräischen Text eine Betonung vorliegt. ‫ בן זכר‬wird dennoch als "männlicher Sohn" wiedergegeben.

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(‫ )וכליון‬Und Kiljon – aus dem (‫ )כלייה‬Verderben gemacht wurde. Ephratiter – [als vornehm] Geachtete. Eine andere Erklärung, [die sich] auf den Namen ihres Ortes [bezieht:] Beit Lechem wird Ephrat genannt, dies ist Beit Lechem.536

[Zu Rut 1,3] Und Elimelekh, der Mann Noomis starb – Niemandem [geht der Verlust so nah, wenn] ein Mensch stirbt außer seiner Frau.537 Von hier leitete sich ab: Und niemandem [ist der Verlust so groß, wenn] die Frau stirbt außer ihrem Ehemann,538 wie gesagt ist mir starb Rachel (Gen 48,7).539 Und sie blieb übrig – [sie war nun eine] Witwe, und ihre beiden Söhne – [waren] Waisen.

[Zu Rut 1,4] Und sie verheirateten sich mit moabitischen Frauen – Rav Bibi sagte im Namen Rabbi Meirs: Rut und Orpa [waren] Töchter Eglons, des Königs von Moab, wie gesagt ist: Ich habe das Wort Gottes für dich usf. Und er stand von seinem Thron auf (Ri. 3,20). Der Heilige, gepriesen sei er, sprach: Du bist mir zu Ehren von deinem Thron aufgestanden, siehe [so will] ich Dir einen Sohn erstehen lassen.540

536 Vgl. Sifre Devarim, Parashat WeSot HaBrakha, Psika 352 u. a. 537 ‫אין האיש מת אלא לאשתו‬. Wörtliche Übersetzung: "Nicht stirbt der Mensch, außer für seine Frau." 538 ‫ואין האישה מתה אלא לבעלה‬. Wörtliche Übersetzung: "Und nicht stirbt die Frau, außer für ihren Ehemann." 539 bSan 22b und RutR 2,7; Bibelzitat Gen. 48,7 ebenfalls in bSan 22b und RutR 2,7. 540 Vgl. 1. Kön. 1,13, sowie Yalkut Shimoni zu Rut § 600. An dieser Stelle des Kommentars finden sich Hinzufügungen in MSS Copenhagen 35 und Vatican 20: MS Copenhagen 35 schreibt hier: ‫הרי אני מקים ממך מלך יושב על כסאי והוא שלמה שנ וישב‬ ‫ לא גיירום ולא הטבילום‬/‫ שלמה על כסא ייו ר' מאיר אומ‬was wie folgt übersetzt werden kann: Siehe, ich lasse von dir einen König erstehen, der auf meinem Thron sitzen wird, und dieser ist Shelomo, wie geschrieben steht Und Shelomo saß auf dem Thron des Ewigen. R. Meir sagt: Man hatte sie [Orpa und Rut] noch nicht (zum Judentum) übertreten und [auch] nicht untertauchen lassen. MS Vatican 20 setzt hier noch Weiteres ein: "…von dir wird ein König erstehen, der auf meinem Thron sitzen wird, wie geschrieben steht "und Shelomo saß auf dem Thron des Ewigen" (1. Chr. 29,23). R. Meir sagt: Man hatte sie [noch] nicht (zum Judentum) übertreten lassen und man hatte sie auch nicht [rituell] untertauchen lassen.]

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Man hatte sie [Rut und Orpa damals noch nicht541 (zum Judentum) übertreten und] untertauchen lassen.542 (‫ )ערפה‬Orpa – wandte ihrer Schwiegermutter [den] (‫ )ערף‬Nacken zu (RutR 2,9). (‫ )רות‬Rut [aber] (‫ )ראתה‬sah [ihre Schwiegermutter an.543 Das bedeutet] sie sah deren Worte und verstand sie (RutR 2,9). Und es gibt [Ausleger], die sagen,544 Rut, die 613 Gebote annahm [indem sie sagte]: Wohin du gehen wirst, will ich [auch] hingehen. Wo du übernachten wirst, will ich [auch] übernachten. Dein Volk sei mein Volk und dein Gott sei mein Gott. Wo du sterben wirst, will ich [auch] sterben, und dort will ich [auch] begraben sein (Rut 1,16–17). Und [Rut nahm auch] die Gebote der Leviratsehe [auf sich], siehe [insgesamt sind dies] sieben545 [Ansagen]. Aber [nach] der Berechnung Ruts, siehe, [da sind es insgesamt] 613 [Gebote].546 Orpa, die sich selbst der Unzucht547 hingab. Und [das] heißt:548 541 Hinzufügung von "nicht" aufgrund anderer MSS, vgl. bspw. Varianten in MSS Copenhagen 35; Vatican 20. 542 MS London BL Add. 26924 fügt hier noch hinzu ‫" לכך נענשו‬und deshalb wurden sie [Machlon und Kiljon] bestraft." 543 Rut wandte Noomi also – im Gegensatz zu ‫ ערפה‬Orpa – ihr Gesicht statt ihren (‫)ערף‬ Nacken zu und sieht Noomi an. Hierbei wird der Eigenname ‫ רות‬Rut auf die Wortwurzel √‫ ראה‬zurückgeführt. 544 Im Text MS Zürich Or 157 steht '‫ ;ויש אומ‬interessanterweise steht im Vergleichstext in MS Copenhagen 35 /‫ואני אומ‬, "aber ich sage". Das zeigt, dass die beiden Abschriften des Kommentars hier inhaltlich voneinander abweichen und die folgende Auslegung, die aus der Traditionsliteratur stammt, dem Ausleger zugeschrieben wird (und damit auch Kara, der den gesamten Kommentar verfasst haben soll). In MS Zürich Or 157 wird die Auslegung also nicht dem Midrash, sondern einem einzelnen (Sg.!) Ausleger zugeordnet. 545 Rut verspricht Noomi sechs Dinge: 1) Mit ihr zu gehen; 2) mit ihr zu übernachten; 3) ihr Volk als das ihre zu sehen; 4) denselben Gott wie sie zu haben; 5) dort zu sterben, wo sie auch sterbe; 6) am selben Ort begraben zu sein. Dazu rechnet die rabbinische Auslegung die Gebote der Leviratsehe. Insgesamt sind dies 7 Dinge, die Rut Noomi verspricht. 546 Vgl. Auslegung aufgrund Gematria zu Rut 1,16 ‫ך=עמך‬+‫מ‬+‫ע‬, wonach dieses Wort 613 ergibt: 70+40+500+ 3 (Buchstaben) = 613. 547 Hier mit MS Copenhagen 35 ‫ לזנות‬übersetzt. 548 '‫ ואמ‬ist das letzte Wort auf Seite 463, jedoch nicht abgehoben vom Fließtext und bezieht sich nicht auf die richtige Abfolge der Lagen, da es sich am Ende der Vorderund am Beginn der Rückseite desselben Blattes befindet. Das sich wiederholende Wort ‘‫ ואמ‬ist daher m. E. nicht als "Reklamante" zu bezeichnen. Eine Reklamante ist die "Angabe des ersten Wortes der folgenden Seite oder Lage verso rechts unten zur Kontrolle der richtigen Abfolge. Anderer Begriff: Kustos (eher für neuzeitl. Bücher

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und [so] heißt [es]: Für jede Entblößung [des Mutter-]Mundes. Wie du [auch] sagst „[Schon die Berührung] der Höhle sich selbst [ist strafbar].“550 549

Ungefähr zehn Jahre – oder [etwas] weniger oder ein klein [bisschen] mehr (vgl. RutR 2,9).

[Zu Rut 1,5] Und auch diese beiden [Machlon und Kiljon] starben – Zu Beginn starben ihre Viehbestände, und danach starben sie [selbst]. Und weshalb wurden sie bestraft? Weil sie moabitische Frauen geheiratet hatten. Denn die Halakha war noch nicht erneuert worden [denn in Dt. 23,4551 ist nur] ein (männlicher) Ammoniter und nicht eine Ammoniterin, [und ebenso] ein (männlicher) Moabiter und nicht eine Moabiterin [gemeint] (vgl. RutR 2,9 zu Rut 1,4).552

[Zu Rut 1,6553] Denn sie hatte gehört – von den Hausierern, die von Stadt zu Stadt herumgehen. Und es gibt [Ausleger], die sagen, [dass] sie [es] vom Geist des Heiligtums gehört hatte, [dass der Ewige sich] seines Volkes [angenommen hatte] – Und es steht geschrieben: Denn der Ewige wird sein Volk nicht im Stich lassen um seines Namens willen (1. Sam. 12,22).554 [Dabei] wurden sie [hier] für würdig befunden [dass der Ewige sich ihrer annimmt] um [dessentwillen, dass sie] sein Volk [sind. Aber dort] wurden sie nicht um seines Namens willen für würdig befunden [dass der Ewige sich ihrer annimmt]. Im Land Israel [nimmt er sich ihrer um] seines Volkes (Rut 1,6)

549 550

551 552 553 554

[…])". Siehe Jakobi-­Mirwald: Buchmalerei: Terminologie in der Kunstgeschichte 2008, S. 138. Wiederholung des letzten Wortes auf S. 463. ‫ המערה בעצמו‬/‫ערה פה כמה ֯דאת אמ‬ ֯ ‫ ;לכל‬vgl. bSan 55a. Noch wörtlicher zu übersetzten mit "[schon] die Höhle in sich selbst," Kontext in bSan 55a ist der sexuelle Umgang mit Tieren, der euphemistisch ausgedrückt wird. Dabei wird zwischen unterschiedlichen Stufen des Sexualverkehrs unterschieden, und hier auf die erste, stimulierende Phase Bezug genommen. Die diesbezügliche Vorschrift in Dt. 23,4: Ein Ammoniter und ein Moabiter sollen nicht in die Gemeinde des Ewigen kommen… Vgl. auch bJeb 69a u. a. Vgl. in großen Teilen RutR 2,11. Zitat 1. Sam. 12,22 in RutR 2,11.

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[willen an], außerhalb des Landes [nimmt er sich ihrer] um seines Namens willen [an] (vgl. RutR 2,11).555

[Zu Rut 1,7] Und sie ging weg von dem Ort – und [dies steht so da] weil nicht er von dort weggegangen war, sondern sie. Und ist [das] nicht [sowieso] schon [im vorherigen Kontext] gesagt worden [mit dem vorherigen Vers] Und sie kehrte um von den Gefilden Moabs (Rut 1,6)? [Doch, es steht schon da,] aber [die Formulierung in diesem Vers] lehrt, dass der Auszug eines Gerechten Eindruck macht: Er ist der Glanz der Stadt und ihre Ehre und ihr Lob/Preis. [Wenn] er [aber] von dort auszieht, wendet sich (mit ihm) ihr Glanz ab, es wendet sich (ebenso auch) ihr Lob/Preis und ihre Ehre ab. Und sie gingen auf dem Weg – [Das heißt,] dass sie barfuß gingen.556 Eine andere Auslegung [ist wie folgt]: Und sie gingen auf dem Weg – [Das heißt,] dass der Weg ihnen eng [vorkam]557 und sie in [geistiger] Gemeinsamkeit wandeln und mit den Geboten der Proselyten beschäftigt [waren], wie sie (zum Judentum) übertreten könnten.

[Zu Rut 1,8] Eine [jegliche] Frau zu ihrer Mutter Haus – [Das heißt,] dass ein Nichtjude keinen Vater hat (RutR 2,13).558 Er erweise [euch Gnade; Ḳere ‫]יעש‬ – [Das Wort für] Er erweise ist [Ketiv ‫]יעשה‬ mit einem zusätzlichen He [‫ ה‬am Ende des Wortes] geschrieben, weil sie [es]

555 Dies ist eine möglichst textnahe Übersetzung. Wenn ‫ בעבור‬im Kontext von ‫ עמו‬aber mit "darum, dass" übersetzt wird, ergibt sich folgende "eingängigere" Übersetzung: … [Dabei] wurden sie [hier] für würdig befunden [dass der Ewige sich ihrer annimmt] darum, dass [sie] sein Volk [sind], [aber] für würdig befunden wurden sie [dort] nicht um seines Namens willen. Im Land Israel [nimmt er sich ihrer an] darum, dass sie sein Volk (Rut 1,6) sind, außerhalb des Landes (Israel/Juda) [nimmt er sich ihrer aber] um seines Namens willen [an]. 556 MS Copenhagen 35 fügt hier – wie Pesikta Zutara (Lekaḥ Tov) zu Rut 1,7 – hinzu: "und ihr Körper war mit dem Landesboden in Berührung". 557 Übersetzungsalternative für ‫ הצירה‬ist: "sie machte ihnen den Weg eng". 558 Dank an Stefanie Budmiger für die Rücksprache, wonach es hier keine Übersetzungsalternative gibt zu ‫אין אב לגוי‬.

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fünfmal zwischen [den Aufforderungen ‫ ]לכנה‬Geht! (Rut 1,8) [und ‫ ]שבנה‬Kehrt um! (Rut 1,8) gesagt hatte.559 [Und der Ewige erweise Euch Gnade, wie ihr] den Verstorbenen [erwiesen habt] – weil ihr Euch um sie gekümmert habt, um ihre Leichentücher [als sie gestorben waren], und [wie ihr] mir [Gnade erwiesen habt] – und weil sie [Orpa und Rut] für sie [Noomi] ihre Heiratsverträge weiter (aufrecht) erhalten hatten (vgl. RutR 2,14).560

[Zu Rut 1,9] Der Ewige gebe euch, dass [ihr Ruhe] findet561 – [dies] steht [im Singular562] geschrieben, weil (nur) die eine (von beiden Ruhe) fand (vgl. RutR 2,15). [Zufriedenheit des] Sinnes [gibt es für eine Frau nirgends], außer im Haus ihres Ehemannes.563 (‫ )ותשנה‬Und sie erhoben [ihre Stimmen] – steht [so] geschrieben, (‫ )שתשש‬weil ihre Kraft vom Weinen schwach wurde (vgl. RutR 2,20 zu Rut 1,14).564

[Zu Rut 1,10] Und sie sagten ihr – weil [der Wunsch] in ihren Herzen [war], (zum Judentum) überzutreten.565

559 Hier wird mit dem Zahlenwert des Buchstabens ‫ ה‬He argumentiert, welcher fünf ist. 560 Übersetzungsalternative für den Wortlaut von MSS Oxford 52; Copenhagen 35 und RutR 2,14 für ‫ויתרו‬, hergeleitet von ‫ותר‬: "…weil sie für sie (auf) ihre Heiratsverträge verzichtet hatten"; hier in MS Zürich Or 157 ‫ויותרו‬, herzuleiten von ‫…" יותר‬und weil sie für sie ihre Heiratsverträge weiter (aufrecht) erhalten hatten." 561 Das Wort ָ ‫ מצאן‬erhält nur durch die Punktierung die Pluralform, es steht nicht ‫מצאנה‬ im Bibeltext. 562 Ohne Berücksichtigung der Punktierung des Wortes ‫מצאן‬, das nur durch die Punktierung seine Pluralform erhält; vgl. Anm. ebd. 563 Vgl. Ausführung in RutR 2,14. 564 Diese Erklärung beruht auf Ähnlichkeit der Worte ‫ תשנה‬und ‫תשש‬, einerseits ‫ותשנה‬, mit der Wortwurzel √‫[" נשא‬Stimme] erheben" sowie ‫ תשש‬mit der Wortwurzel √‫תשש‬, "schwach werden". 565 Vgl. Targum: ‫לאתגיירא‬, siehe Levine: The Aramaic Version of Ruth 1973, S. 21.

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[Zu Rut 1,11] Sollte ich (etwa) noch Söhne in meinem Mutterleib haben, welche566 euch (Ehe-) Männer sein könnten, damit sie die Gebote der Leviratsehe erfüllen würden? Und (dies deshalb,) weil ein Mensch die Schwagerehe [an der] Frau seines [kinderlosen] Bruders vollziehe(n soll), wenn er nicht mehr am Leben ist567. [Das Wort] (‫ )העוד‬Sollte (ich etwa) noch (weitere Söhne haben) [ist mit] einem Kamatz punktiert. Und es ist ein Ausdruck für eine rhetorische Frage.568 Wie [im Bibelvers]: Habe ich denn keine Hilfe für mich (Hiob 6,13).569

[Zu Rut 1,12] Kehrt doch um, meine Töchter, geht – R. Hanina [sagte]: „An drei Stellen steht geschrieben (‫ )לכנה‬geht, entsprechend [den] drei Mal, die man den Fremden [der zum Judentum übertreten will] ablehnt. Und wenn er sich noch mehr abmüht, nimmt man ihn [als Proselyten] an (RutR 2,16).“570 Daher ist geschrieben, dass eine [der beiden Schwiegertöchter Noomis, nämlich Orpa, weg-] ging.

566 Statt wie in MT BHQ, wo ‫ והיו‬steht, schreibt MS Zürich Or 157 ‫ ;שהיו‬daher nicht fett gedruckt. 567 Wörtliche Übersetzung hier eigentlich: "…wenn sie nicht mehr in seiner Welt war." Hier aber in Anlehnung an MS Vatican 20 sowie Yalkut Shimoni zur Stelle übersetzt. 568 Wörtliche Übersetzung hier eigentlich: "…ein Ausdruck der Verwunderung…" Jedoch zum Wortlaut bspw. Frank, Yitzḥak, The practical Talmud Dictionary, 2. Aufl., Jerusalem: Ariel, 1994, S. 257: "The term ‫בתמיהה‬, in astonishment, is frequently used by Rashi in his commentary to indicate that a clause should be read as a rhethorical question, while ‫בניחותא‬, gently, indicates that a clause should be read as an indicative statement. See, for example, Rashi's comment on this Talmudic passage …" 569 Weder in MT BHQ noch im Aleppo Codex (www.aleppocodex.org/newsite/index. html) steht ein Kamatz bei ‫העוד‬. Vergleiche aber §100 (m) in Gesenius, Wilhelm / Kautzsch, Emil / Bergsträsser, Gotthelf: Hebräische Grammatik, Teil 1: Wilhelm Gesenius' Hebräische Grammatik völlig umgearbeitet von E. Kautzsch. Reprograph. Nachdr. Ausg. Leipzig 1909 und Leipzig 1918/29, 7. Aufl. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 1995, S. 306. "3) vor Laryngalen, die nicht Qames. oder Chatef.Qames. unter sich haben, Pathach, z.‎B. ‫ ַה ֵאלְֵך‬soll ich gehen?" Vgl. Kapitel "Vergleich MS Berlin 1221 und MS London 22413 sowie MS Zürich Or 157," S. 210. 570 Vgl. auch Pesikta Zutara (Lekaḥ Tov) zu Rut 1,11.

10.  Übersetzung MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157

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Denn ich bin zu alt, um (bei) einem Mann zu sein – dass ich ihn heiraten würde und Söhne gebären würde und ihr ihnen angeheiratet würdet. Denn ihnen wäret ihr nicht verboten,571 weil es nicht so war, [dass] Fol. 465

ihr ihnen [meinen Söhnen], Machlon und Kiljon, [halakhisch einwandfrei] angetraut (worden) wart. Denn [damals] wart ihr noch Fremde [d. h. Nichtjuden] gewesen. Aber jetzt seid ihr gekommen, um (zum Judentum) überzutreten, wie geschrieben steht denn mit dir wollen wir zu deinem Volk zurückkehren (Rut 1,10). Von nun an werden wir [aber gemeinsam] einem einzigen Volk angehören. Denn (selbst wenn) ich sagte – auch [wenn] ich [noch] Hoffnung hätte, einem Mann angeheiratet zu werden und auch [wenn] ich [noch] männliche [Nachkommen] gebären würde:

[Zu Rut 1,13] Wollt ihr etwa darauf warten? – Als rhetorische Frage572 sagt sie dies. (Ist es) etwa möglich, dass ihr nach ihnen Ausschau haltet, bis dass sie [dann] aufgewachsen sind? (‫ )תשברנה‬Wollt ihr [etwa noch weiter] warten? – [Dieses Wort hat dieselbe Wortwurzel] wie [‫„ שברו‬Hoffnung setzen“ in folgender Bibelstelle] [der,] dessen Hoffnung auf den Ewigen, seinen Gott, (gesetzt) ist (Ps. 146,5). (‫[ )תעגינה‬Wollt] ihr euch [noch weiter] zurückhalten? – [‫ תעגינה‬ist] ein Ausdruck für Gefangenschaft [im] Gefängnis, wie: „Er machte ein rundes Loch [und stand darin]“ (mTaan 3,8). Es gibt [Ausleger], die erklären, [dass ‫ ]תעגינה‬ein Ausdruck von (‫ )עיגון‬Verlassenheit ist. (‫ )אל‬Nicht doch, meine Töchter – (d. h. ‫ )אללי‬Wehe, meine Töchter, denn überaus bitter ist es mir [ergangen, bitterer] als [es] euch [ergehen soll], [d. h. als dass das Schicksal] für euch [sei. Denn es ging gegen] mich (selbst), [gegen] meinen Ehemann und meine Söhne, [das sagt sie mit den Worten] denn gegen mich

571 Hier wird auf die Vorschrift der Leviratsehe in Dt. 25 angespielt. Da aber Noomi hier auf ihre evtl. Söhne von einem anderen Mann als Elimelekh anspielt, die eben keine direkten "Levirats-­Kandidaten" und somit keine möglichen Ehemänner für Rut oder Orpa wären, konstatiert der Kommentar hier "Denn ihnen wäret ihr nicht verboten…" 572 S.o., S. 192, Anm. 568 zu Rut 1,11.

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10.  Übersetzung MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157

ist die Hand des Ewigen ausgerückt (vgl. RutR 2,18). [An] jeder Stelle, an der geschrieben ist Hand des Ewigen, [bedeutet] sie Plagen-­Strafschlag. Und [durch die Auslegungsregel eines Binjan] Av [d. h. einer Ableitung von einer Bibelstelle aus, leitet man von dieser Stelle ab,] dass [dies auch] bei allen anderen [Stellen so zu verstehen ist, wie z. B. in folgendem Vers]: Siehe, die Hand des Ewigen fällt auf (etwas) usw. (Ex. 9,3).

[Zu Rut 1,16] Dringe nicht in mich – [ist ein Synonym von] nötige mich nicht!573 Von hier haben sie gesagt: Einen (‫ )גר‬Nichtjuden, der gekommen ist, (um zum Judentum) überzutreten, (dem) tut man einen Teil der Strafen kund574, denn wenn er [wirklich] kam, um umzukehren, [dann] soll er umkehren. Und durch die Worte Ruts lernst du, was Noomi gesagt hatte. Noomi hatte [Folgendes] gesagt: Uns ist [das] Zusammensein [von unverheirateten Frauen und Männern] verboten. [Daraufhin] sagte Rut: Wo du übernachten wirst, will ich (auch) übernachten. Noomi sagte: Unsere Völker werden durch 613 Gebote [voneinander] unterschieden. Rut sagte: Dein Volk (sei) mein Volk. Eine andere Erklärung [diesbezüglich ist folgendermaßen: Das Wort] dein Volk ‫ עמך‬hat in der Gematria (d. h. der Berechnung der Zahlenwerte der einzelnen Buchstaben insgesamt den Zahlenwert von) 610. Und [rechnet man die] 3 Buchstaben aus denen das Wort [‫ עמך‬besteht hinzu], siehe [so ist der gesamte Zahlenwert] 613. Noomi sagte: Uns ist Götzendienst verboten, [darauf] sagte Rut: Und dein Gott (sei) mein Gott. Noomi sagte: Vier Tode(sarten) sind dem Gericht überliefert: {Zwei}575

573 Vgl. synonyme Angaben in Gesenius für √‫ פגע‬und √‫ פצר‬folgendermaßen: ‫…" פגע‬ jem. bittend angehn, in ihn dringen … Rut 1,16", siehe Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 632; ‫" פצר‬in jem. dringen, nötigen", siehe ebd., S. 654. 574 Im Text steht ‫ מודיעין‬von der Wortwurzel √‫ידע‬, was hier als "kundtun" übersetzt wird (vgl. Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 180, dort aber zu Pa.), um diese Formulierung von ‫( מידע‬vgl. Kommentar zu Rut 2,1, dort übersetzt als "Angehöriger") abzugrenzen. 575 Evtl. Schreibfehler in Zürich Or 157, bzw. eine Auslassung des folgenden Teils: Vielleicht wollte der Kopist hier weiter bYeb 47b (am Stück) zitieren, ohne die Dialogform zwischen Noomi und Rut.

10.  Übersetzung MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157

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[Zu Rut 1,17] Rut sagte: Wo du sterben wirst, will ich (auch) sterben. Noomi sagte: Zwei Bestattungsarten werden vom Gericht angeordnet. Rut sagte [ihr]: Und dort will ich begraben sein. Der Ewige tue mir dies an – Wie er begann, mir Übles zuzufügen, meinen Mann zu töten und mich von meinem Besitz zu entfernen. Wenn zwischen dir und mir [etwas] trennen sollte, dann sei es [allein] der Tod.

[Zu Rut 1,18] Und sie hörte auf, auf sie (ein)zureden – Von hier [leitet man ab], dass man [den Fremden, der gekommen ist, zum Judentum überzutreten] nicht [mit Worten und Vorschriften] überhäuft und nicht übermäßig genau mit ihm ist.

[Zu Rut 1,19] Und die beiden gingen – [Dazu] sagte R. Abahu: Komm und sieh, wie beliebt die Nichtjuden sind, vor dem Heiligen, gepriesen sei er, weil er ihr [Rut] die Erkenntnis gegeben hatte, (zum Judentum) überzutreten. [Daher] vergleicht sie die Schrift mit Noomi. (‫ )הזאת‬Ist diese [da] Noomi?! – Das ‫ ה‬He [am Anfang des Wortes] ist [mit einem] Chataph Patach punktiert, weil es [der Hinweis auf] eine rhetorische Frage576 ist. Ist diese [da] Noomi?! – Die[jenige], die es gewöhnt war, in Schönheit577 und auf Maultieren hinauszuziehen. [Die Stadt] erkannte, was es sie [Noomi] gekostet hatte, weil sie ins Ausland hinausgezogen war.

576 Vgl. Anm. 568 zu Rut 1,11. 577 ‫ בצבי‬wird hier "in Schönheit" übersetzt, um so eng wie möglich am Text zu bleiben, da ‫"( בצבים‬bedeckter Wagen", siehe Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 670) aus dem Zitat Jes. 66,20 im Manuskript nicht wörtlich wiedergegeben, sondern als ‫ בצבי‬abgekürzt wird und "in Schönheit" übersetzt werden kann ("Herrlichkeit, Zierde, Stolz", siehe ebd., S. 672). Hierbei könnte dem Schreiber unterstellt werden, dass er genau dies intendierte, da ‫ בצבי‬am Anfang und nicht am Ende der Zeile steht, also kein Platzmangel festzustellen ist.

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10.  Übersetzung MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157

[Zu Rut 1,21] [Noomi sagte:] Ich bin voll [weg]gegangen – [voll] an Reichtum und an Söhnen. Eine andere Erklärung [ist,] dass sie schwanger gewesen war (RutR 3,7).578 [Und der Ewige] sagte gegen mich aus – Er bezeugte aufgrund meiner Bosheit. Eine andere Erklärung [ist folgende]: Er verschärfte Fol. 466

das strenge Recht [gegen] mich, wie [in folgender Bibelstelle] Und der Stolz Israels sagt [gegen sie] aus (Hos. 5,5).

[Zu Rut 1,22] Zu Beginn der Gerstenernte – von der [Darbringung der Opfergabe aus der] Omerernte spricht die Schrift [hier (vgl. Lev. 23,15–16), aber] an der Stelle, [an der] geschrieben ist Weizenernte,579 da spricht die Schrift von [der Opfergabe der] zwei Brote (vgl. Lev. 23,17).

[Rut 2] [Zu Rut 2,1] Und Noomi hatte einen Angehörigen – [das bedeutet] einen nahen [Verwandten]. Unsere Lehrer, sel. A., sagten: Elimelekh und Salmon, der Vater Boaz‘ sowie Ploni Almoni, der Löser und der Vater Noomis waren alle Brüder (gewesen) (vgl. bBB 91a). Aber der Verdienst ihrer Väter nutzte ihnen bei ihrer Auswanderung ins Ausland nichts [d. h. sie starben in Moab, vgl. Rut 1,3.5].

[Zu Rut 2,2] Ich will doch bitte auf dem Feld sammeln gehen – Zu einem von den Feldern der Einwohner der Stadt. Hinter [einem her, in] dessen Augen ich Gunst finden werde – und [der] mich nicht anschreit.

578 RutR 3,7 (Ed. Lerner): ‫ אני‬:‫ [ד"א‬.‫ מלאה בנכסים‬,‫ כא) מלאה בבנים‬:‫[ז] אני מלאה הלכתי (רות א‬ ]‫מלאה הלכתי שהייתי מעוברת‬. Quelle: Responsa Project online (21.11.2012). 579 Vgl. Gen. 30,14; Ex. 34,22; Ri. 15,1; 1. Sam. 6,13; 12,17.

10.  Übersetzung MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157

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[Zu Rut 2,3] Und sie ging und sie kam und sie sammelte – Bisher [war] sie noch nicht weggegangen. Es gibt einen Tanna der [folgendes] lehrt580 [R. Jehuda im Namen R. Simons, vgl. RutR 4,4581]: Aber [dies wird so formuliert,] weil sie ihren Weg bezeichnet [hatte]. Bevor sie das Feld betreten hatte, war sie (schon) gegangen und gekommen und in die Stadt zurückgekehrt, um Zeichen und Markierungen auf dem Weg zu machen, damit sie sich in den Ähren nicht verirren würde, um [nach getaner Arbeit wieder wohlbehalten] zurückzukehren. Und es passierte zufällig – jeder, der sie sah, hatte einen unwillkürlichen Samenerguss.582

[Zu Rut 2,5] Zu wem gehört diese junge Frau? – Und war es [etwa überhaupt] die Art von Boaz, sich nach Frauen zu erkundigen? [Nein, das war eben nicht seine Art!] Sondern „das Auftreten583 [von] Weisheit und Züchtigkeit sah er in ihr: Zwei Ähren[bündel] hatte sie gesammelt, [aber] drei hatte sie nicht gesammelt“ (bShab 113b). Und sie sammelte „[die] stehenden [Ähren] stehend [d. h. im Stehen] und [schon auf dem Boden] liegende [Ähren] sitzend“ (bShab 113b), [d. h. im Sitzen], damit sie sich nicht bücken musste.

[Zu Rut 2,6] (‫ )השבה‬Die, die zurückgekehrt ist – (das Wort ‫ )השבה‬ist mit der Betonung auf der vorletzten Silbe punktiert, beim (Buchstaben) Shin, weil es eine Perfektform ist und kein Verbalsubstantiv ist.

580 Hier wird ‫ אתת‬als ‫ אית תנויי תני‬übersetzt. ‫ אתת‬gilt als Abkürzung für "‫ "אי תניא תניא‬aber auch für "‫"אית תנויי תני‬, vgl. Ashkenazi, Shmuel und Dov Jarden, ‫ בלשון‬.‫אוצר ראשי תבות‬ ‫ובספרות מימי קדם ועד ימינו‬. Jerusalem 1978, S. 62. Vgl. Steinsaltz, Guide, S. 103: "There is a Tanna who teaches. An expression in the Jerusalem Talmud introducing a variant version of the previous Tannaitic source or a parallel Tannaitic source discussing a similar theme." 581 Außerdem zu finden in Yalkut Shimoni zu Rut § 601. 582 ‫ ראה קרי‬kann übersetzt werden mit "Pollution haben," siehe Dalman: Aramäisch-­ Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 390. Wörtlich könnte diese Passage übersetzt werden mit "Und es traf sich zufällig – jeder, der sie sah, der sah ein Ereignis." 583 Im hebräischen Text steht ‫דבר חכמה וצניעות ראה בה‬, wobei hier ‫ דבר‬nicht mit "Sache, Ding, Besitz" oder "Wort" übersetzt wird, sondern mit "Auftreten," da dies besser in den Kontext des Zitats passt.

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10.  Übersetzung MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157

[Zu Rut 2,7] Und ich möchte bei den Garben aufsammeln – das Vergessene der Garben. Sie [gönnte sich in] dem Haus kaum Ruhe – das bedeutet, sie [gönnte] sich wenig Ruhe in ihrem Hause, denn den ganzen Tag war sie mit uns [zusammen gewesen].

[Zu Rut 2,8] Geh nicht [weg], um auf einem anderen Feld zu sammeln – damit du keine anderen Götter haben wirst.584 Und bewege dich auch nicht von diesem [Feld] weg – zum Gedächtnis an Dies ist mein Gott und ich werde ihn preisen (Ex. 15,2). Und so halte dich zu meinen jungen Frauen – zu den Gerechten. Dies ist [die Auslegung des Verses aufgrund] seines Midrash.

[Zu Rut 2,9] Und [wenn] du durstig wirst, dann gehe [zu den Gefäßen] – Wenn du durstig585 sein wirst, [dass Du] trinken [willst, dann] schäme dich nicht davor, zu gehen und von den Wassergefäßen zu trinken, die die jungen Männer schöpfen.

[Zu Rut 2,10] [Mit Ruts Worten im Bibeltext] mich (in dieser Weise) wahrzunehmen – prophezeit sie bei sich selbst, dass [es in] Zukunft [so sein werde, dass er] ihr durch Beischlaf beiwohnen586 [werde].

[Zu Rut 2,11] Und er sagte ihr: (‫ )הגד הוגד‬Es ist mir erzählt [ja wirklich] erzählt worden. – Zweimal [wird das Wort ‫ הגד‬verwendet]. – Weshalb? – [Weil durch die doppelte Nennung von ‫„ הגד‬erzählt“ zwei Dinge ausgedrückt werden sollen: Das erste ‫הוגד‬ soll heißen:] Es wurde mir im Hause erzählt [und das zweite ‫ הוגד‬bedeutet] es wurde mir auf dem Feld erzählt. Alles, was du deiner Schwiegermutter [Gu584 Wörtlicher übersetzt könnte ‫ שלא יהיה לך אלהים אחרים‬auch wie folgt wiedergegeben werden (wobei aber ein Adjektiv eingefügt werden sollte): "…damit dir keine anderen Götter [interessant/attraktiv/reizvol] werden." 585 Hier nicht wie in Zürich Or 157 wörtlich ‫ תמצאי‬übersetzt, was von √‫"( מצא‬finden") "und wenn Du vorfinden wirst" übersetzt werden könnte, stattdessen wie in MS Oxford 52 ‫תצמאי‬, von √‫" צמא‬durstig sein wirst." 586 Zu √‫" נכר‬beiwohnen", vgl. Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 270 und zu ‫" דרך ארץ‬Beischlaf ", ebd., S. 105.

10.  Übersetzung MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157

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tes] getan hast nach dem Tod deines Mannes – und all das, was [Du] auch zu Lebzeiten deines Mannes [getan hast] und [auch,] dass du deinen Vater und deine Mutter verlassen hast – das [bezieht sich auf den] Götzendienst, wie gesagt ist Die, die zum Baum sagen „Du bist mein Vater“ und zum Stein „Du hast mich geboren“ (Jer. 2,27). Und [des Weiteren wurde mir erzählt, dass Du] dein Heimatland [verlassen hast] – deinen Wohnort.

[Zu Rut 2,13] [Aber] ich werde [doch] nicht wie eine deiner Mägde [sein] – [das heißt] ich bin [doch nur so] wichtig, wie eine deiner Mägde.

[Zu Rut 2,14] Und tauche deinen Bissen in Essig – von [dem, was] hier [geschrieben steht, leitet man ab], dass der Essig schön ist für [Erfrischung an Tagen mit Temperaturen von großer] Hitze (vgl. bShab 113b). Und er fasste Geröstetes [Getreide] für sie an [und reichte es ihr dar] – [das bedeutet dasselbe wie] „und er reichte es ihr dar.“587 In der Sprache Fol. 467

der Mishna [wird der Begriff verwendet für die Stelle, an der man das Gefäß anfasst]: „Die Außenseite, die Innenseite und der Henkel“ (mHag 3,1).588

[Zu Rut 2,16] Und ihr sollt auch (‫[ )שול תשולו‬etwas aus den Ährenbündeln] herausziehen, [ja wirklich] herausziehen – [Wie] (‫ )שכח תשכחו‬Vergesst, [ja wirklich] vergesst [es tatsächlich]. Tut [aber] für euch so, als ob ihr es [versehentlich] vergessen würdet.589 Die Ährenbündel – [das sind] kleine Garben. Und [dazu] gibt es [auch] ein Beispiel in der Ausdrucksweise der Mishna: „Findet er ein ‚Bündel‘ oder ‚Gebund‘ “ (mErubim 10,1).

587 Die beiden Begriffe ‫ צבט‬und ‫ ישט‬können mit "darreichen" übersetzt werden. Weiteres zur Stelle im Kapitel "Vergleich der Kommentar-Fassungen zum Buch Rut". 588 Diesbezüglich auch bHag 22b. 589 Das "Vergessen" bezieht sich hier auf das bei der Ernte Vergessene, das für die Armen vorgesehen ist, vgl. jPea 18, bzgl. mPea 5.

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10.  Übersetzung MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157

[Zu Rut 2,19] Dein Bekannter sei (gesegnet). – [Also] der Besitzer des Feldes, der dich begünstigt hat, auf seinem Feld Nachlese zu halten.

[Zu Rut 2,20] [Gesegnet sei er dem Ewigen, der seine Gnade nicht genommen hat, weder von] den Lebenden noch den Toten. – Die Lebenden, die er ernährte, und die Toten, für deren Leichentücher er Sorge trug (vgl. RutR 5,10).

[Zu Rut 3] [Zu Rut 3,2] Unser Angehöriger – [das heißt] ein uns naher [Verwandter]. Und siehe, er worfelt die Spreu heute Nacht. Denn diese Generation war zerbrochen von Diebstahl und Raub und [daher] schlief [Boaz dort], um seine Tenne zu bewachen.590

[Zu Rut 3,3] Und [nun] bade (dich) – von der Beschmutzung [des] Götzendienst[es]. Und salbe (dich) – dies sind die Gebote. Und ziehe deine Kleider an – [dies heißt] Shabbatkleider. Und steige hinab zur Tenne – Und du sollst hinabsteigen, wie geschrieben ist: Mein Verdienst soll mit Dir hinabsteigen. Lass dich [aber bloß] nicht von dem Mann erkennen – [d. h.] von Boaz.

[Zu Rut 3,6] Und sie stieg hinab zur Tenne und tat [dies, wie alles, das ihr ihre Schwiegermutter gesagt hatte] – Sie [Noomi] hatte ihr gesagt und [nun] bade (dich) und salbe (dich) und ziehe deine Kleider591 an und steige [erst] danach hinab zur Tenne. [Aber] sie [Rut] tat das [hinsichtlich der von Noomi verwendeten Reihenfolge] nicht [genau] so [wie diese es aufgeführt hatte]. [Rut] sagte [sich:] „Könnte [es dabei denn nicht passieren, dass] er mich bedrängt, wenn ich so herausgeputzt bin [und] sagen, ‚Sie ist [ja] eine Prostituierte.‘!?“ Deshalb [führt dieser 590 Midrash Tanchuma Parashat Be-­Har 8 (Ed. Buber vgl. Angabe in Edition). 591 Hier wird statt ‫שלמותיך‬, was in MS Zürich Or 157 und MS Oxford 52 wohl ein Schreibfehler ist, ‫ שמלותיך‬übersetzt.

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Vers – anders als Rut 3,3 – die Reihenfolge folgendermaßen aus:] Sie stieg hinab zur Tenne [steht am] Anfang [des Verses] und [erst] danach [steht] und sie tat [dies], wie alles, das ihr ihre Schwiegermutter befohlen hatte (vgl. RutR 5,13). Alles, was du zu mir sagen wirst (Rut 3,5) – zu mir ist [als Ḳere] zu lesen, aber es ist nicht geschrieben (vgl. RutR 5,14). Sie sagte ihr „Vielleicht wird einer von den Hunden kommen und er wird dich erkennen. Aber nichtsdestotrotz [liegt es nun] an mir, diese Angelegenheit zu ordnen.“

[Zu Rut 3,7] Und [Boaz] aß und trank und sein Herz war gut[en Mutes] – [Weil er sich] mit der Tora [beschäftigte]. Und sie kam leise – mit Sanftmut.

[Zu Rut 3,8] Da fuhr der Mann auf [vom Schlaf] – wie meinend, dass es ein böser Geist war und schreien wollte. Und sie hielt ihn fest und umschlang ihn mit ihren Armen. (‫ )וילפת‬Und er umschlang – [das heißt dasselbe wie] und er hielt fest, wie Und Shimshon umschlang (die Säulen) (Ri. 16,29). Und siehe eine Frau – er legte seine Hand auf ihren Kopf und merkte592(dabei), dass sie eine Frau war.

[Zu Rut 3,9] Und breite deine Flügel – den Saum deines Gewandes, um mich mit deinem Gebetsmantel zu bedecken. Und dies ist ein Ausdruck für Eheschließung. Denn ein Löser bist du – um das Erbteil meines [Ehe-]Mannes zu lösen, wie [in folgendem Bibelvers] und so soll sein nah(verwandt)er Löser zu ihm kommen (Lev. 25,25). Und [siehe] meine Schwiegermutter und ich müssen [das Erbteil nun] verkaufen. Und du [bist doch ein Löser, so] liegt es an Dir, [das Erbteil] zu kaufen. Und [so] erwirb [doch] mit [dem Erbteil zusammen] auch mich, damit des Namens des Toten auf seinem Erbteil (Rut 4,5 bzw. Rut 4,10) gedacht wird. Denn wenn ich auf das Feld kommen werde, werden sie sagen „Diese [da,] sie ist die Frau Machlons“.

[Zu Rut 3,10] [Noch mehr] als anfangs – [bezieht sich auf das,] was du an deiner Schwiegermutter [Gutes] getan hast.

592 Eigentlich "erkennen", aber in Rut 3,8 als "merken" übersetzt.

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10.  Übersetzung MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157

[Zu Rut 3,12] Und jetzt, denn gewiss – [das darauf folgende ‫„ ]אם‬wenn“ [ist zwar] geschrieben, wird aber nicht gelesen, das heißt: (‫„ )אם‬wenn“ bedeutet, er bezweifelt, denn [auch wenn er] ein Löser ist, sicherlich gibt es (doch noch) einen Löser, der (dir) näher (steht) als ich. – R. Jehoshua Ben Levi sagte: Salmon und Elimelekh und Tov waren Brüder. Und wie [ist dann aber die Angabe im folgenden Vers zu verstehen:] Das [Feldstück], das unserem Bruder Elimelekh gehört [verkauft Noomi]? (Rut 4,3) Stets nennt ein Mann seinen Onkel (auch) Fol. 458

seinen Bruder, wie bei der Angelegenheit, wo gesagt ist Und Abram hörte, dass sein Bruder [Lot] gefangen weggeführt worden war (Gen. 14,14). Aber war denn Abraham nicht der Onkel von Lot? Und [trotzdem] nennt er ihn Bruder. Tov war [Elimelekh] näher (verwandt), weil er der Bruder seines [Boaz‘] Vaters [war]. Er wird (dir) näher (stehen) als ich – denn er ist ein Bruder, aber ich bin (nur) der Sohn seines Bruders.

[Zu Rut 3,13] Ruhe diese Nacht – [nur noch] diese Nacht ruhst du bei keinem [Ehe-]Mann. „So wahr der Ewige lebt.“ – [Deutet auf folgenden Dialog hin:] (Sie) sagte ihm: „Mit Worten lässt du mich [einfach wieder] wegziehen.“ [Daraufhin] sprang er auf und schwor ihr, dass er sie nicht [einfach und allein] mit Worten wegziehen ließe. Und es gibt [Ausleger], die sagen, er habe [mit diesen Worten] seinem Trieb [ab]geschworen, denn sein Trieb klagte ihn an [folgendermaßen]: Du bist frei und sie ist frei – komm [geh] zu ihr [ein, schlaf mit ihr]. Er schwor [daher], dass er nicht zu ihr [ein]kommen [d. h. mit ihr schlafen] würde, außer [im Fall] einer Eheschließung.

[Zu Rut 3,14] Und sie stand auf, bevor [einer den anderen erkennen konnte] – (‫ )בטרום‬bevor ist [plene, mit Waw] geschrieben; [dies] lehrt, dass sie sechs Stunden zu seinen Füßen gelegen hatte. Es soll [bloß] nicht bekannt werden, dass diese Frau [auf diese Tenne] gekommen ist – Zu wem [sagte er dies]? R. Meir sagte: Zum Verwalter seines Hauses593 [sagte er es] (vgl. RutR 7,1). Eine andere Erklärung [ist 593 Hier übersetzt mit RutR (wörtlichere Alternative: "…zum Sohn seines Hauses"). In Zürich Or 157 steht ‫לבן בתו‬, was wörtlicher mit "Sohn seiner Tochter" wiederzugeben wäre.

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die Folgende]: Er trieb [sie] an, aufzustehen, [denn] er sagte in seinem Herzen: Es [wäre] mir keine Ehre, [wenn jemand weiß,] dass diese Frau [auf] die Tenne gekommen ist (vgl. RutR 7,1).

[Zu Rut 3,15] [Nun sagt er mit femininer Form ‫„ ]הבי‬Gib das Umschlagetuch!“ – (‫„ )הבא‬Komm“ steht [aber in maskuliner Form] geschrieben, [um zu] lehr[en], dass er [vorher] mit ihr in der männlichen Ausdrucksform gesprochen hatte, damit man nicht merke, [dass überhaupt jemand auf die Tenne] gekommen war.594 „Und halte es [auf]!“ Und sie hielt es [auf]. – [Dies] lehrt, dass sie ihre Hüften wie ein Mann umgürtet hatte (vgl. RutR 7,2). [In Rut 4,5 steht statt] „Du erwarbst“ „Ich erwarb mir“595 – das ist [dort so] geschrieben, weil es [auf seine] Zukunft [hindeutet, sie] zu erwerben. Und warum wiederholt [sich der andere mögliche Löser in Rut 4,6 zweimal] zu sagen „denn ich kann nicht lösen“ (Rut 4,6)?! Ein[mal sagt er es] wegen der Verbindung und ein[mal], weil er (schon) eine Frau hatte. Und er maß sechs (‫[ )שעורים‬Maß] der Gerste ab – Es ist unmöglich zu sagen [dass es] sechs (‫ )סאין‬Drittelscheffel Maßeinheiten waren, denn es war nicht ihre Art [von Rut bzw. einer Frau im Allgemeinen, eine] solche Last zu tragen. Aber vielmehr waren es wirklich sechs Maße [die er ihr abmaß]. Und [damit] deutete er ihr an, dass [in] Zukunft ein Sohn von ihr ausgehen [werde], der mit sechs Segnungen gesegnet wird, dieser ist gesalbt, [mit] Geist [des Ewigen], Weisheit und Verstand, Ratschlag und Heldentum, Erkenntnis und Gottesfurcht (Jes. 11,2).

[Zu Rut 3,16] Und [Noomi] sagte [fragend]: Wer bist du, meine Tochter? – Und [sie fragte] nicht [etwa], weil sie sie nicht erkannt hätte. Sondern sie sagte ihr [vielmehr fragend]: „[An] was bist du [nun], bist du [jetzt immer noch] ledig oder die Frau eines Mannes?“ [Rut] antwortete ihr: „Ledig.“

594 Dies ist die Version in MS Zürich Or 157; mit MS Oxford 52, wo ‫ בה‬steht, ist folgende alternative Übersetzung zu nennen: "… damit man sie nicht bemerke." 595 Vgl. MT BHQ Rut 4,5 ‫שׁת־ ַה ֵמּת‬ ֶ ֽ ֵ‫שׂדֶ ה ִמיַּד נָ ֳעמִי ּו ֵמאֵת רּות הַּמֹו ֲא ִביָּה א‬ ּ ָ ‫וַי ֹּאמֶר בֹּעַז ְבּיֹום־קְנֹותְ ָך ַה‬ ‫שׁם־ ַה ֵמּת עַל־נַ ֲחלָתֽ ֹו׃‬ ֵ ‫ ָקנִיתִ י [ ָקנִיתָ ה] ְל ָהקִים‬, zitiert aus Biblia Hebraica Stuttgartensia, BHS (1983) Accordance. Hierzu sind die textkritischen Anmerkungen zu ‫ קנה‬in BHS mit Hinweis auf die schriftliche Vorlage des verwendeten Bibeltextes bemerkenswert.

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10.  Übersetzung MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157

[Zu Rut 3,18] [Dieser Mann wird nicht eher ruhen] bis596 er heute diese Sache zu Ende gebracht hat – [dazu] sagte Rabbi Izḥak: [Bei] den Gerechten [ist es so]: Ihr Ja ist gerecht, und ihr Nein ist (auch) gerecht.

[Zu Rut 4] [Zu Rut 4,1] Ploni Almoni597 – sein Name wird nicht erwähnt. Und „verborgen und geheim“ [heißt dies] in [der aramäischen Fassung der biblischen Bücher der] Propheten [Targum598 zu 2. Kön. 6,8]. „Irgendwer“ [wie das Wort ‫ אלמוני‬übersetzt werden kann, wird auch in 2. Kön. 6,8 verwendet und bedeutet] ohne Namen.599

[Zu Rut 4,5] Und von Rut der Moabiterin – musst du [das Feld] kaufen, aber sie wird nicht einwilligen, außer wenn du sie heiratest.

[Zu Rut 4,6] Dass ich bloß [meinem eigenen Erbteil] keinen Schaden zufüge – (d. h.) einen Makel auf mein Geschlecht zu legen, wie geschrieben steht Kein Ammoniter oder Moabiter darf (in die Gemeinde des Ewigen) kommen (Dt. 23,4). Aber er irrte sich [mit dieser Annahme, denn die genannte Stelle bezieht sich] auf einen (männlichen) Ammoniter, und [es steht] nicht „Ammoniterin“ [dort, und weiter steht da] Moabiter und nicht „Moabiterin.“

[Zu Rut 4,7] [Und dies war früher in Israel] bei der Lösung [üblich] – dies [ist] Verkauf. Bezeugung – Tausch, dies [ist] Austausch. 596 Wörtlichere Übersetzung für "‫ "כי אם‬im Lemma Rut 3,18 wäre "außer, wenn." 597 Siehe Anm. zu MS Berlin 1221 ad loc.: Der zweiteilige Ausdruck ‫ פלוני אלמוני‬ist die Bezeichnung für den alternativen Löser, ohne dass dessen Name genannt wird. Er könnte auch mit "gewisser XY", oder "So-­und-So" wiedergegeben werden. 598 Ed. Sperber, Alexander (Hrsg.), The Bible in Aramaic. The Former Prophets according to Targum Jonathan, 2. Aufl., Leiden [u. a.]: Brill: 1992, S. 284. 599 Vgl. auch inhaltlich MS Hamburg hebr. 32, Fol. 69r, Col. 1 zu Rut 4,1.

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[Zu Rut 4,8] Und er zog seinen Schuh aus. – Dies ist ein Verkauf in der Art, wie [auch] wir mit einem Tuch erwerben. Und die Weisen Israels waren über diesen [Sachverhalt] verschiedener Meinung, [bzgl. folgender Frage:] Wer gab (nun) wem [den Schuh]? – Es gibt [Ausleger], die sagen, man kauft durch das Gewand des Käufers. Und Boaz gab dem Löser [laut dieser Interpretation seinen Schuh]. Und dies ist das (Zeichen der) Bestätigung – das Gesetz der Zeugen[befragung].

[Zu Rut 4,10] Um den Namen des Verstorbenen auf seinem Besitz [weiter] zu erheben – dadurch, dass seine Frau auf dem (Boden-)Erbbesitz hinausgeht und hineinkommt, wird man sagen: „Diese ist sie, die Frau Machlons (ihres verstorbenen Mannes).“ (So wird) seines Namens durch sie gedacht.

[Zu Rut 4,11] Wie Rachel und wie Lea – (beide Stammmütter werden genannt), obwohl sie600 vom Stamme Jehuda sind (und damit allein von Lea abstammen). Aber unter den Söhnen Leas preist man Rachel, weil sie von Haus aus (eigentlich) unfruchtbar gewesen war. Und daher ziehen sie (die Ältesten im Tor) in ihrer Aufzählung Rachel der Lea vor.

[Zu Rut 4,12] Wie das Haus Perez‘ – von dem wir abstammen.

[Zu Rut 4,13] [Und die Frauen sagten zu Noomi: Rut ist besser] als sieben Söhne (Rut 4,15).601 [Und] sie gebar einen Sohn – diesen wird Shemuel für das Königtum salben, welches [im zuvor zitierten Vers Rut 4,15 mit dem Wort] sieben [indirekt] genannt wird.

600 Boaz' und damit Noomis Familie, sowie wahrscheinlich die Ältesten im Tor von Beit Lechem, vgl. hierzu RutR 12,7. 601 Sieben ist auch die Gesamtzahl der aufgezählten Söhne Perez' in Rut 4,18–21, vgl. Erklärung im Folgenden zu Rut 4,13.

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10.  Übersetzung MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157

Eine andere Erklärung [ist wie folgt]: Von sieben Familienhäuptern wird im Weiteren gesprochen: Ozam, der sechste (und) David der siebente (1. Chr. 2,15).602 Eine andere Auslegung: Von sieben Familienhäuptern wird hier gesprochen: Perez, Hazon, Ram, Amidadav, Nachshon, Salmon, Boaz (Rut 4,18–21).

[Zu Rut 4,17] Und sein Name wurde Boaz genannt, [aber im Bibelvers steht] Oved [was übersetzt „Diener“ heißt] wegen seines Vaters und seiner Mutter. [Einerseits wurde er genannt nach dem Namen] seines Vaters, der alt gewesen war und eine Frau aus unselbstsüchtigen Gründen heiratete. Und [daher] wurde er (Oved, also) Diener Gottes genannt. Und so heißt es auch [im Buch Hosea]: Und Israel diente für eine Frau (Hos. 12,13). [Andererseits wurde er genannt nach dem Namen] seiner Mutter, wie geschrieben steht: Und ihr sollt (den Unterschied) sehen zwischen einem Gerechten und einem Bösen, zwischen einem Diener Gottes und einem, (der) ihm nicht dient (Mal 3,18), [und so auch] zwischen Rut und Orpa. Orpa (gehörte) zur [Seite der] Schmähung,603 aber Rut hing [Noomi] an, um [den Ewigen als] einzigen [Gott] zu bekennen, [und auch] daher ist sein Name Oved [übersetzt „Diener [Gottes]“]. [Wenn] ein Gerechter Gerechtigkeit heiratet, ist der Sohn [von beiden] vollends gerecht. Der Heilige – Gepriesen sei Er – erwählte (ihn) sich von Isai, wie geschrieben steht: und er erwählte sich David, seinen Diener (Ps. 78,70).

[Zu Rut 4,18] Und dies sind die Generationen Perez‘, Perez – [dazu] sagte R. Aba: Jeder, der doppelt genannt wird, der hat einen Anteil [daran], an dieser [jetzigen] und an [der] kommenden [Welt] (RutR 8,4).

[Zu Rut 4,21] Und Salmon zeugte usf. – Weshalb [wird er in Rut 4,20] Salmo und nicht Salmon [genannt, wie hier in Rut 4,21]? Bis hierher sind die Stufen [i.S.v. Abstammungslinien] zu den Fürsten ausgeführt. Ab hier und weiter [führen diese] Stufen zu den Königen (vgl. RutR 8,6).

602 Bibelzitat auch in RutR 7,16 und Rut Zuta. 603 Im Text steht ‫לחרפה‬, vgl. Erklärung oben, zu Rut 1,4.

10.  Übersetzung MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157

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Das ist, was die Schrift sagt: Also sagte ich, siehe ich (werde) kommen. In der Buchrolle ist über mich geschrieben (Ps. 40,8) (vgl. RutR 8,7). – Diese [Buchrolle] ist das Buch Rut.

[Zu Rut 4,22] (‫ )ואישי‬Und Isai zeugte David – Weshalb ist in seinem (Namen) ein Aleph geschrieben? Weil (sich) die Lesart des Bibeltextes [in 1. Sam 17,12] auf ihn, auf Isai (bezieht) [und hier hingewiesen wird auf ‫האיש‬, „der Mann“, was im Hebräischen mit Aleph geschrieben wird]: Der Mann kam alt zu den Menschen (1. Sam 17,12). R. Hijja Bar Abba sagte: Alle diese Versanfänge [beginnen mit dem hebräischen Buchstaben] Waw, außer acht Verse, da sich dies an [die Vorschrift der Beschneidung für die] Kinder des Bundes604 anschließt, welche für den achten Tag angeordnet worden war. Und weshalb [werden hier] Waws [für die Versanfänge verwendet]? [W wie] Wehe für die Generation, deren [Anzahl] der Helden abnimmt. R. Seira sagte: Diese [Schrift]Rolle [des Buches Rut] enthält keinerlei Reinheitsvorschriften,] noch [Ausführungen zur] Unreinheit. Und weshalb ist sie [dann] hier [überhaupt] niedergeschrieben worden? – Um dich die Kraft der Barmherzigkeit zu lehren. Und weshalb liest605 man diese Schriftrolle am Shavuot-­Fest?  – Weil diese ganze (Schrift-)Rolle (voll von) Gnade ist. Und die ganze Tora ist (voll von) Gnade, wie geschrieben steht: Milde Unterweisung ist auf ihrer Zunge (Prov. 31,26). Und sie ist an Shavuot gegeben worden. [Hiermit] endet [der Kommentar zum] Buch Rut von R. Josef Kara.

604 I.S.v. Bundesangehörige, könnte auch mit "Teilhaber des Bundes" übersetzt werden, vgl. Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 58. 605 In MS Zürich Or 157, S. 469, Z. 26 steht "‫"קורין‬.

11. Vergleich der Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut 11.1. Vorwort zum Vergleich Durch die Edition und Übersetzung ist die Grundlage für die thematische Analyse gelegt. Insgesamt sind alle drei Kommentar-­Fassungen in sich geschlossen, wobei sie sich jeweils an Lemmata aus dem Bibeltext anschließen. Es kann angenommen werden, dass die Vorstufen der hier behandelten Kommentar-­Fassungen in Form von „Glossenkommentaren“ abgefasst worden waren, d. h. dass der biblische Text mit unzusammenhängenden, meist kurzen Kommentierungen versehen wurde. Damit könnten die Kommentar-­Fassungen auch erst in einer späteren Stufe zu einem fortlaufenden Text zusammengefügt worden sein. Diese Stufen der „Vor-­Formen“ des Kommentars wären dann zeitlich vor den hier bearbeiteten anzusetzen.606 Der inhaltliche Vergleich geht im Folgenden auf die einzelnen kommentierten Stellen ein und versucht, durch die Analyse Themen zu abstrahieren sowie bemerkenswerte Eigenschaften aus dem Kommentar festzuhalten. Dies ist jedoch nur annäherungsweise möglich. Die vorliegende Arbeit kann damit als Ausgangspunkt für die weitere Beschäftigung mit dem Text und die Interpretation des Kommentars dienen.

11.1.1. MS Berlin 1221 MS Berlin 1221 ähnelt MS London 22413 stellenweise, verwendet aber eine andere Argumentation. Die Themenwahl der Auslegung beider Fassungen ist also ähnlich, aber nicht identisch. Das Manuskript weist Parallelen zur Traditionsliteratur vor allem aus Rut Zuta auf. MS Berlin 1221 zitiert Lemmata aus dem Bibeltext länger als MSS London 22413 und Zürich Or 157, z. B. Rut 3,10 f. vollumfänglich.

11.1.2. MS London 22413 MS London 22413 berücksichtigt literarische Aspekte in der Kommentierung. Figuren werden hervorgehoben und stellenweise charakterisiert, z. B. zu Rut 1,8 mit der Darstellung, dass Noomi schon von Beginn an im Herzen etwas sagt

606 Dies lässt sich mit der angenommenen Entstehung des Kommentars als Glossenkommentar in Verbindung bringen, vgl. Kapitel "Sinn und Zweck der Kommentierung," ab S. 361.

210

11.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut

(…‫ …“ …מתחילה אמרה בלבה‬von Beginn an sagte sie in ihrem Herzen…). Somit nimmt der Kommentator die Position eines “allwissenden” Erzählers ein, der die einzelnen Charaktere in der Erzählung genauer zeichnet und mit Eigenschaften versieht. Des Weiteren sind der engere Kontext einer Stelle sowie Beobachtungen der im Bibeltext verwendeten Formulierungen Grundlage der Texterklärung in MS London 22413. Außderdem enthält der Kommentar Parallelen zur Traditionsliteratur. Die Auslegung in MS London 22413 bezieht sich oft auf Stil und Ausdruck des Bibeltextes.

11.1.3. MS Zürich Or 157 MS Zürich Or 157 enthält vor allem Midrash-­Zitate und kann als Zusammenstellung (“Kompilation”) aus Yalkut Shimoni, Rut Rabba und weiterer Traditionsliteratur charakterisiert werden. Teile aus Rut Zuta können als spätere Einfügungen gelten. Für diese chronologische Aussage ist die folgende Datierung zu beachten: Rut Rabba ist zu datieren in die Jahre 500–640 n.d.Z.; Rut Zuta in 900–1000 n.d.Z., Yalkut Shimoni in 1200–1300 n.d.Z.607 Ferner ähneln die Auslegungen stellenweise dem Kommentar Rashis. Für MS Zürich Or 157 passt also die Annahme, Kara hätte Rashis Kommentar als Grundtext verwendet und seinen eigenen Kommentar darin eingetragen. MS Zürich Or 157 weist viele Parallelen zur Traditionsliteratur auf, vor allem aus Rut Rabba.608 Außerdem gibt der Kommentar grammatische Erklärungen wieder.609

11.2. Vergleich MS Berlin 1221 und MS London 22413 sowie MS Zürich Or 157 Auch wenn der Kommentar dem chronologischen Ablauf des Bibeltextes folgt, sind parallele Erklärungen manchmal zu unterschiedlichen Stellen zu finden und können in der Edition derzeit nur mit Verweisen berücksichtigt werden. Die verschiedenen Kommentar-­Versionen enthalten nicht denselben Kommentar. Teile laufen zwar parallel (z. B. zu Rut 2), sind dann aber anders paraphrasiert oder umgestellt. Die Kommentar-­Versionen sind dennoch nicht

607 Siehe Tabelle in Herr, Moshe David: "Midrash". In: Encyclopaedia Judaica 14 (2007), S. 184. 608 Z.B. in MS Zürich Or 157 zu Rut 1,1, wo RutR 1,5 und 1,9 in längerem Fortlauf zitiert wird. 609 Z.B. zu Rut 2,6 legt MS Zürich Or 157 das Wort ‫" השבה‬die, die zurück gekehrt ist" als "Perfektform", ‫ לשון עבר‬und nicht als "Verbalsubstantiv," ‫לשון פועלת‬, aus.

11.2.  Vergleich MS Berlin 1221 und MS London 22413 sowie MS Zürich 211

deckungsgleich, vielmehr ergänzen sie einander, was im vorliegenden Vergleich deutlich wird.610 Der “Vergleich der Kommentar-­Fassungen” ist so gestaltet, dass die einzelnen Auslegungen aller drei vorliegenden Kommentar-­Fassungen erläutert werden, um ein möglichst vollständiges Bild der gesamten Kommentierung zum Buch Rut zu erhalten. An den Stellen, die miteinander in Verbindung stehen und die wörtlich oder inhaltlich miteinander verglichen werden können, wird dies angesprochen. Zur besseren Orientierung im Verlauf des ausgelegten Bibeltextes wurden die besprochenen Versteile als Überschrift über die einzelnen Vers-­Besprechungen gesetzt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um die vollständige Wiedergabe der Übersetzung des biblischen Textes. Die übersetzten Lemmata des hebräischen Textes werden fett, übersetzte Zitate des Bibeltextes werden kursiv gedruckt.

610 Zu einem argumentativen Aufbau, der beim Vergleich der drei Kommentar-­ Fassungen beobachtet werden kann, siehe vor allem die Ausführungen zu Rut 1,21.

12. Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1 Rut 1,1: Und es war zu der Zeit als die Richter richteten, da war eine Hungersnot im Land. Und ein Mann ging… Das Thema des Königtums klingt in allen drei Kommentar-­Fassungen an. “Königtum” in Sinne von “Institution” wird in MS London 22413 konkret erst zu Rut 1,2 genannt (…‫)…יצא ממנה מלכות‬, vorher dient die Aussage in Rut 1,1 “bevor ein König in Israel regierte” als Zeitangabe (…‫)…’לפני מלוך מלך בישר‬. Interessanterweise fügt MS Zürich Or 157 die in MS Berlin 1221 und MS London 22413 vorhandenen Themen “Königtum als Institution” und “Königum als Zeitangabe” zusammen mit der Aussage, Elimelekh sei ein wichtiger Mann gewesen. So enthalten die verschiedenen Fassungen dasselbe Thema in unterschiedlichen Variationen: Elimelekh war zwar bedeutend, verheiratete seine Söhne aber mit moabitischen Frauen. Und dennoch – so konstatiert der Kommentar – wendete sich die ganze Sache mit Rut, der Moabiterin, zum Königtum Israels. Hier findet sich im Kommentar ein impliziter Verweis auf die Ablehnung der Heirat mit Fremden. Dies wird in der Formulierung insofern andeutungsweise dargestellt, als dass auf ein positives Ende verwiesen wird. Dieser Hinweis erfolgt in MS Berlin 1221 zu Rut 1,1 mit der Formulierung …‫…“ …היאך נתגלגל הדבר‬wie sich die Sache wenden kann…” Damit ist angedeutet, dass die erzählte Ausgangsposition, nämlich die Heirat mit moabitischen Frauen, anderes hätte erwarten lassen, und nicht annehmbar gewesen sei, dass diese Verbindung einen wichtigen Vertreter des Königtums hervorbrachte. Doch – so der Kommentar – die Angelegenheit “wendet sich” und so folgt auf die Heirat mit der (später zum Judentum konvertierten) moabitischen Frau Rut das Königtum. Die eigentlich verpönte Heirat mit Fremden611 wendet sich zum positiv konnotierten Königtum, das auf die im Bibeltext vergleichsweise chaotisch dargestellte Richterzeit folgt.612 Damit wird auf den 611 Wie es schon in der Bibel selbst anklingt: Abraham will in Gen. 24,4 eine Frau aus seiner Familie für Isaak; Jakob soll in Gen. 28,2 eine Frau aus der Familie seiner Mutter heiraten u.s.w. bis Ezra 10, wo die bestehenden Ehen mit "fremden Frauen" aufgelöst werden. 612 Dabei finden sich in der Bibel selbst "königskritische Statements", z. B. in Dt. 17; 1. Sam. 8. Die Königszeit wird auch in den Königsbüchern der Bibel bei Weitem nicht nur harmonisch dargestellt. Dieser Sachverhalt, d. h. die Wendung von der negativ konnotierten Heirat einer Fremden, die dann aber Urgroßmutter des positiv

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12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

Widerspruch der “königlichen” Zukunft der judäischen Familie Elimelekhs Bezug genommen, die sich doch mit moabitischen Frauen verheirateten. Gerade diese Heirat mit fremden Frauen, gerade mit Moabiterinnen – man denke an die negative Konnotation Moabs in der Bibel613 – scheint doch auf den ersten Blick keine geeignete Voraussetzung für ein ehrenvolles Königtum zu sein. Doch der Verlauf der Ereignisse im Buch Rut ergibt genau dies: König David wird Urgroßenkel der Moabiterin Rut. Durch die Nennung dieses scheinbaren Widerspruchs (konkret im Text angedeutet durch das Wort “wenden”) und den Hinweis darauf, dass Rut zum Judentum übertrat, relativiert der Kommentar die vorausgesetzte und hier anklingende Ablehnung der Heirat zwischen Israeliten (hier genauer: Bethlehemitern, also Judäern) und Fremden (hier: Moabiterinnen). Anders ist die Auslegung in MS London 22413 zu Rut 1,1. Dort werden die Ereignisse zwar auch auf das Königtum bezogen, aber in anderer Form: Das Königtum wird als zeitliche Epoche verstanden und es wird festgestellt, dass die im Buch Rut geschilderten Ereignisse geschehen, bevor ein König in Israel regiert. Außerdem geht der Kommentar nicht auf Elimelekh, sondern auf seine Hinterbliebenen ein, also auf “Noomi und ihre beiden Söhne”. Es wird festgestellt, dass der biblische Text gar nicht über Elimelekh, sondern über dessen Frau und Söhne berichten wolle. Hier ist also eine andere Richtung der Kommentarabsicht zu erkennen. Dabei zeigt sich eine literarische Orientierung in der Analyse des Textes, wobei auf Themen wie erzählte Zeit, Protagonisten und Gesamtzusammenhänge bzgl. des biblischen Kontextes eingegangen wird. In MS Zürich Or 157 zu Rut 1,1 wird Hungersnot als Strafe verstanden. Diese Interpretation bezieht sich auf den weiteren biblischen Kontext, auch hier wird auf die Richterzeit eingegangen. Es wird kurz an andere zehn Hungersnöte erinnert, von denen in der Bibel berichtet wird, jedoch geht der Kommentar weiter auf die Richterzeit ein. Indirekt klingt in der Erklärung das Verständnis aus der Traditionsliteratur an, wo (ähnlich dem Tun-­Ergehen-Zusammenhang) festgestellt wird,

konnotierten Königs David wird, wird durch den Kommentar indirekt angesprochen. Die negative Konnotation der Heirat mit Fremden und die Gegenüberstellung zum positiv konnotierten Königtum wird deutlich in folgendem in den Kommentar einleitenden Statement aus MS Berlin 1221 zu Rut 1,1, Fol. 259r, Col. 2: ‫מה גרם‬ ‫'שנשאו להם נשים מואביות ועל ידי שנתגיירה רות לשם שמים מה פעל נשתלמה שיצא ממנה מלכות‬ "Was veranlasste [es], dass sie sich mit moabitischen Frauen verheirateten und dass dadurch Rut aus unselbstsüchtigen Beweggründen (zum Judentum) übertrat? Was führte [schlussendlich] dazu, [dass] sie [derart] belohnt wurde, dass aus ihr [später] das Königtum hervorging?" 613 Vgl. Einleitung, S. 29.

12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

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dass ein Handeln immer Konsequenzen hat.614 Im Zusammenhang mit der Richterzeit findet eine spezielle Gemeinschaftsstruktur Erwähnung: das Volk habe die Richter gerichtet, nicht die Richter das Volk. Der Kommentar kann dahingehend interpretiert werden, dass mit Bezug auf das “Richten der Richter durch das Volk” eine (im Richterbuch angesprochene) Umkehrung der Verhältnisse kritisiert wird. Somit klingt im Kommentar eine “Begründung” für die auftretende Hungersnot an, auf die im Buch Rut Bezug genommen wird. Intendiert wird weiterhin, dass die “leitenden Positionen” des im Kommentar angenommenen Gesellschaftssystems die Aufgabe haben, ihre “Untergebenen” zu ernähren. Die angesprochene Königspflicht enthält damit die Auflage der Ernährung einer jeweiligen Generation, in der es besteht. Somit wird auch hier das “Königtum” im Kommentar thematisiert, jedoch in einer anderen Form als in den bisher dargestellten Kommentaren: ein König soll für sein Volk sorgen. Wenn kein König vorhanden ist, gibt es andere leitende Posten innerhalb des vorgestellten “Gesellschaftsystems” (wie z. B. die im Kommentar genannten Richter), die für die Ernährung des Volkes zuständig sind. Somit verweist der Kommentar auch auf einen bestimmten Richter, der zwar als solcher nicht im Buch Rut charakterisiert wird, aber doch als Protagonist auftritt, nämlich Boaz. Der Kommentar setzt Boaz mit dem Richter Iwzan (aus Ri. 12,8) gleich. Das weitere Lemma aus Rut 1,1 ‫ וילך איש‬Und ein Mann ging wird im letzten Teil des Kommentars von MS Zürich Or 157 ausgelegt. Der Kommentar bezieht sich hier auf die Formulierung bzw. die Punktierung des Teilverses und verweist auf andere Stellen, an der die Formulierung auftritt. Bemerkenswert ist dabei, dass es außer Rut 1,1 nur noch eine andere Stelle gibt, die gleich punktiert ist. ‫ וילך איש‬kommt in der Punktierung von Rut 1,1 nur noch in Ex. 2,1 vor.615 Dort ist vom Vater Moshes die Rede. Auch jener war ein bedeutender Mann seiner Generation gewesen. Es folgt die midrashische Interpretation und Charakterisierung, Elimelekh sei mit seiner Familie aus Geiz ins Ausland gegangen, da er seinen (ärmeren) Landesgenossen nichts von seinem Wohlstand abgeben wollte. Daher hätte ihn die Strafe ereilt: er starb. Die Art der Strafe wird so jedoch nicht wortwörtlich im Kommentar konstatiert. Diese Erklärung ist nun nicht allein Kara zuzuschreiben, denn diese Interpretation tritt auch in Rashis Ausführungen zur Stelle auf. Und hierfür ist wohl der Midrash als Quelle der Auslegung auszumachen: RutR 1,4. So zeigt sich im Vergleich der Erklärungen, 614 Zum "Tun-­Ergehen-Zusammenhang" siehe Kommentierung zu Rut 1,21. 615 Vgl. Massorah Gedolah iuxta codicem Leningradensem B 19 a (Biblia Hebraica Stuttgartensia: Pars 2, Masora magna (200,1). Rom: Pont. Inst. Biblicum 1971, Nr. 377. Dort auch der Hinweis ‫ותריי וילך האיש‬, was bedeutet, dass die genannte Wortfolge mit Artikel ‫ ה‬außer in Rut 1,1 noch in Ri. 1,26 und Ri. 17,8 vorkommt.

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12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

dass MSS Berlin 1221 und London 22413 eine elaboriertere Darstellung des in MS Zürich Or 157 ausgeführten Kommentars enthalten. Bzw. umgekehrt: In der Auslegung in MS Zürich Or 157 werden die Themen aus MS Berlin 1221 und MS London 22413 zusammengefasst: Das Thema des Königtums tritt in allen drei Kommentar-­Fassungen auf. Es wird jeweils anders darauf Bezug genommen, jedoch tritt in jeder Fassung eine Variation des Themas unter Verwendung der Wortform ‫ מלך‬melekh “König” auf, obwohl im Bibeltext selbst keinesfalls von Königtum die Rede ist. Im Namen ‫“ אלימלך‬Elimelekh” tritt ‫“ מלך‬melekh” wiederum namentlich erst in Rut 1,2 auf.

Rut 1,2: Und der Name des Mannes war Elimelekh, der Name seiner Frau Noomi und die Namen seiner Söhne Machlon und Kiljon. Sie waren Ephratiter aus Beit Lechem in Jehuda. Und sie kamen in die Gefilde Moabs. Im Kommentar zu Rut 1,2 klingt ein weiteres durchgängiges Thema an, das sich in allen drei Kommentar-­Fassungen wiederfindet: “Ephratiter” wird verwendet als Bezeichnung nach der lokalen Angabe “Ephrat”. Geografisch befindet es sich als Beit Lechem im Land Jehuda. Während sich MS Berlin 1221 lediglich auf die Ausführung zu Ephrat als lokale Angabe beschränkt, thematisiert MS London 22413 darüber hinaus wieder das Thema des Königtums. Dies wird in MS London 22413 jedoch nicht einfach eingefügt, sondern als Ausführung der (in Rut 1,2 vorhandenen) lokalen Angabe der Gefilde Moabs formuliert: Der Weggang (aus Ephrat) ins Ausland Moab und das “Nicht-­Vertrauen” in den Ewigen sei der Grund für die weiteren Ereignisse gewesen. Diese Ereignisse waren z. B. der Tod der männlichen Familienangehörigen, die sich mit nach Moab aufmachten, was aber in dieser Kommentarversion nicht ausdrücklich genannt wird. Bei der Ausführung wird weiter deutlich, dass eine ablehnende Haltung eingenommen wird gegenüber dem Verlassen des Landes Jehuda. Dieser Sachverhalt gestaltet sich in MS London 22413 anders als in MS Berlin 1221, wo später zu Rut 1,3 auf das Thema der nicht unbedingt positiv konnotierten Heirat mit Fremden hingewiesen wird.616 Den Abschluss der Ausführungen zu Rut 1,2 in MS London 22413 bildet der Hinweis auf literarische Eigenschaften des Bibeltextes, wobei eine Redundanz zwischen Rut 1,2 und Rut 1,6 ausgeschlossen wird. Es wird vielmehr darauf hingewiesen, dass

616 "Fremde" bedeutet aus "israelitischer Sicht" Menschen außerhalb des Volkes der Nachkommen Israels. Sie werden also nicht in Bezug zur gegenwärtig lokalen Mehrheitsgesellschaft gesetzt.

12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

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das Ankommen in Moab im Bibeltext zu dem Zweck genannt wird, dass sich die Schilderung des späteren Weggangs aus Moab in Rut 1,6 in den Gesamtkontext der Erzählung einfügt. So wird in MS London 22413 auf den inner-­erzählerischen Aufbau hingewiesen und ausgeschlossen, dass eine unnötige Wiederholung im Bibeltext steht. Weiter wird in MS Zürich Or 157 zu Rut 1,2 wieder (wie zu Rut 1,1) ein Hinweis auf eine midrashische Auslegung gegeben: von R. Meir und R. Jehosha Ben Karcha, die im “Midrash [Rut]”: ‫במדרש רות” ר’ מאיר ור’ יהושע בן‬ ‫ קרחה היו דורשין שמות‬zur Sprache kommen. Die Namen der bisher im Buch Rut aufgetretenen Protagonisten werden erörtert. Hierbei ist anzumerken, dass im Kommentar von den auftretenden Namen auf Charaktereigenschaften geschlossen werden: Noomi – ihre Taten [waren] angenehm. (‫ )מחלון‬Machlon – dem seine Schuld (√‫ )מחל‬vergeben wurde, und dem [später durch seine Frau Rut in seinem Namen] ein männlicher Sohn geboren wurde.617 (‫ )וכליון‬Und Kiljon – aus dem (‫ )כלייה‬Verderben gemacht wurde.618 617 Aus Zürich Or 157 zu Rut 1,2: "Machlon – dem seine Schuld vergeben wurde und dem [später durch seine Frau Rut für (die Erhaltung) seines Namens] ein männlicher Sohn geboren wurde." Machlon wird hier gleich als Vater eines Sohnes eingeführt. Damit wird impliziert, dass Oved unter anderem auch als Sohn Machlons (Ruts verstorbener Ehemann) verstanden wird. Somit wird ein Bezug zu Rut 4 hergestellt. Ein männlicher Sohn ist Weiterträger des Namens. Dies kann hier als Verständnis dafür angesehen werden, dass "Sünde" vergeben wurde. Weiter ist hier eine Verbindung mit Rut festzuhalten, die als Konvertitin zum Judentum symbolisch "für" Israel steht (Noomi ist hier nicht zu nennen, da es um die "Nicht-­Dualität" (Nicht-­ Vertauschbarkeit) der Schwiegertöchter geht, wobei die gute Ruth (später) zu Israel gezählt wird, die "böse" Orpa sich aber "vom Guten" abwendet und zurückkehrt nach Moab. Als sehr zugespitzte und "theologisierte" These könnte dies folgendermaßen ausgedrückt werden: Rut und Orpa als Sinnbild für die Völker, die einen Pro-(Gott-) Israel(s), die anderen Gegen-/Anti-(Gott-)Israel(s). Die "Stellungnahme" der Protagonistinnen findet erst auf dem Wege statt. Sie haben sich zwar entschieden, aber es gibt – wie immer – noch einen Weg zurück. Hier kommt Noomi ins Spiel (Noomi steht selbst für "Ur-"Israel "ohne irgendwelche Konvertiten". Sie selbst will nicht, dass ihre (nicht-­judäischen, sondern moabitischen) Schwiegertöchter – die irgendwie, mit ihrer Familie, aber nur indirekt mit ihr selbst in Verbindung stehen – mit zurück (aus ihrer Perspektive ist es zurück, aus der Perspektive der Schwiegertöchter ist dies ein neuer Ort) nach Beit Lechem – in das Haus des (lebendigen) Brotes – kommen. Jedoch durch Rut, die Konvertitin, kommt der erste positiv konnotierte König der Bibel, David als der Vertreter des Königtums (mit all seinen Mängeln, aber ggf. als "beste aller möglichen Staatsformen") in der 3. Generation zur Welt. 618 Die Darstellungen von Machlon und Kiljon sind in den MSS London BL Add. 26924 und Vatican 20 inhaltlich gleich, jedoch vertauscht: ‫כיליון' שנעשה ממנו כלייה מחלון שנמחל‬

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12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

Zum Abschluss findet sich auch in MS Zürich Or 157 die Erklärung zu Ephrat als lokale Angabe für Beit Lechem. Die Gleichsetzung von “Ephrat” und “Beit Lechem” zieht sich also durch alle drei verglichenen Kommentar-­Fassungen. Ein “stufenweiser Aufbau” der Argumentation kann wie folgt für Rut 1,2 zusammengefasst werden und als Argument für die Diskussion um die relative Chronologie der MSS untereinander aufgeführt werden: MS Berlin 1221 zu Rut 1,2 enthält lediglich die Gleichsetzung Ephrats mit Beit Lechem. MS London 22413 betont mithilfe des Lemmas und sie kamen in die Gefilde Moabs mit Hinweis auf das Wenden einer Sache (das schon zu Rut 1,1 in MS Berlin 1221 anklingt), dass der Weggang der Familie zum Auslöser der weiteren (erzählten) Ereignisse im Buch Rut wird. Schlussendlich sei das Königtum also ein “Erbe” Ruts.

Rut 1,3: Und Elimelekh, der Mann Noomis, starb. Und sie blieb übrig und ihre beiden Söhne. Zu Rut 1,2–3 findet sich in allen untersuchten Kommentaren die Erklärung für “Ephratiter” als lokale Angabe für die Herkunft aus Beit Lechem, Ephrat. Interessanterweise bauen hier die Kommentar-­Fassungen aufeinander auf: MS Berlin 1221 hat hier die kürzeste Lesart und bezieht sich nach der Einleitung ‫ללמדך‬ (“um dich [Folgendes] zu lehren”) auf die postulierte “Nicht-­Erlaubnis” Elimelekhs der Heirat seiner Söhne mit moabitischen Frauen. Dies hätte Elimelekh nicht erlaubt, wäre er noch am Leben gewesen. Ähnlich argumentiert MS London 22413, wobei der biblische Kontext, Rut 1,4, zur Texterklärung herangezogen wird. Weiter geht MS London 22413 auf die Einleitung im biblischen Text Rut 1,2 ein, wo Noomi als Frau Elimelekhs bezeichnet wird. Der Kommentar in MS London 22413 stellt dar, dass die Angabe im gegenwärtigen Vers Rut 1,3 hinzugefügt wurde – indirekt wird also postuliert, dass diese Angabe nicht redundant ist: Elimelekh als der Ehemann, Noomi als seine Ehefrau. Hier kann festgehalten werden, dass Kara Redundanz ausschließen will. Dies lässt sich weiter als Eigenschaft des Kara zugeschriebenen Kommentars in MS London 22413 im Allgemeinen vermerken, nämlich die Hervorhebung des literarischen (Kon-)Textes.619 ‫ 'לו עון ?? ונולד לו בן זכר‬MS Vatican Urb. ebr. 20; ‫כליון שנעשה ממנו כליה' מחלון שנמכל לו‬ ‫ אותו עון ונולד לשמו בן זכר‬London BL Add. 26924. 619 Dazu ähnlich, was Jacobs bzgl. des Kommentars [Version wie London 22413] zu Rut 2,12 ausführt: "Kara was apparently bothered by the question of why Scripture would report the same data twice." Siehe Jacobs: "Rabbi Joseph Kara as an Exegete of Biblical Narrative", S. 83. Andererseits passt auch hier, was ebd. zu Rut 1,1 als "Exposition" aufgeführt wird, vgl. ebd. S. 76 f.

12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

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Weiter findet sich in MS London 22413 eine inhaltlich parallele Argumentation wie in bSan 22b. Diese Talmud-­Stelle bSan 22b wird weiter in MS Zürich Or 157 zitiert. Der Kommentar in MS Zürich Or 157 ist vergleichbar mit dem Rashi zugeschriebenen Kommentar zu Rut 1,3, da er inhaltlich parallel ist und auch dort bSan 22b wiedergegeben wird. Am Schluss der Auslegung in MS Zürich Or 157 zu Rut 1,3 wird der Status der Hinterbliebenen Elimelekhs dargestellt: “sie”, also Noomi als Witwe, “ihre beiden Söhne” als Waisen. Somit wird ein allgemeiner Kontextbezug hergestellt. Zusammengefasst lässt sich der “stufenweise Aufbau” der Argumentation in den drei Kommentar-­Fassungen zu Rut 1,3 wie folgt festhalten: MS Berlin 1221 enthält die Auslegung wie der Kommentarbeginn zur Stelle in MS London 22413. In MS London 22413 gestaltet sich also der Beginn der Auslegung zu Rut 1,3 wie in MS Berlin 1221. Des Weiteren folgt in MS Zürich Or 157 die inhaltlich parallele Argumentation aus bSan 22b. Zum Kommentar in MS Zürich Or 157 ist zu bemerken, dass das aus bSan 22b wiedergegebene Zitat sich gestaltet wie der Rashi zugeschriebene Kommentar zu Rut 1,3.

Rut 1,4: Und sie verheirateten sich mit moabitischen Frauen: Orpa und der Name der zweiten war Rut und sie blieben ungefähr zehn Jahre dort. MS Berlin 1221 enthält zu Rut 1,4–7 keine Kommentierung. Im Vergleich von MS London 22413 mit MS Zürich Or 157 fällt im weiteren Verlauf auf, dass MS London 22413 den Bibeltext nicht so sehr zergliedert wie MS Zürich Or 157. Dies kann von der angenommenen vorherigen Fassung von MS London 22413 als Glossenkommentar herrühren. Durch die Kommentierung des fortlaufenden Bibeltextes in Bezug auf seinen Erzählverlauf ist der Glossenkommentar damit viel zusammenhängender und kontextnaher gestaltet, als ein Kommentar wie Zürich Or 157, der v. a. eine Zusammenstellung von Traditionsliteratur wiedergibt und sich damit weiter vom Zusammenhang des Bibeltextes entfernt. So bleibt MS London 22413 nahe am Verlauf des biblischen Textes und fügt Erklärungen hinzu, die für das Verständnis des Fortlaufs der Erzählung hilfreich sind, sich aber nicht weit vom inhaltlichen Kontext des biblischen Textes wegbewegen. MS London 22413 kommentiert damit auf den Kontext bezogen: ’‫שם השנית רות מזכיר שמותיהם מפני שצריך להם למטה‬ “Und der Name der zweiten war Rut – [der Bibeltext] nennt [hier schon] ihre Namen, weil er sie [weiter] unten braucht.”

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12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

Der Verweis auf “[weiter] unten” zeigt also eine Bezugnahme auf den weiteren Kontext der Erzählung im Buch Rut. Gegenüber MS London 22413 fügt sich der Kommentar in MS Zürich Or 157 nicht direkt in den Textfluss des Buches Rut und der wiedergegebenen Lemmata ein: Der Text wird vielmehr in seine Einzelteile zerlegt.620 So wird beispielswiese zu Rut 1,4 aus Yalkut Shimoni zitiert, wo die Stellungnahme von R. Bibi im Namen R. Meirs wiedergegeben wird. Darin wird des Weiteren Ri. 3,20 herangezogen, um zu erklären, dass Rut und Orpa Eglons Töchter gewesen seien. Dabei kann die thematische Nähe zum Königtum als Verbindung beider Stellen festgehalten werden (obwohl der Begriff “Königtum” nicht explizit genannt wird): In Ri. 3,20 ist nur postuliert, dass sich Eglon von seinem Thron erhob. Hiervon wird nun im Kommentar abgeleitet, dass ihm ein (königlicher) Sohn erstehen werde. Nun ist aber im Kontext von Ri. 3,20 von der Ermordung und keinesfalls von einer männlichen Nachkommenschaft Eglons die Rede. Dies klärt der Kommentar mit Hinweis auf Rut und Orpa als Töchter Eglons (wobei letztere aber nicht Großmutter eines jüdischen Königs wird), über die er indirekt doch einen König als Nachfahren erhält. Hier zeigt sich, dass der Kommentar sehr in sich geschlossen ist: Der Kommentar in MS Zürich Or 157 führt weg vom eigentlichen Erzählfluss im Buch Rut. Sein Sinn lässt sich somit erst über den Kontext der zitierten Stelle erschließen. Diese vom Kontext des ausgelegten Bibelverses wegführende midrashische Eigenart ist nicht allzu verwunderlich, da der Yalkut Shimoni (hier parallel zu RutR 2,9) als Quelle der Auslegung des Kara zugeschriebenen Kommentars in MS Zürich Or 157 ausgemacht werden kann: Gerade im ersten Teil der Auslegung zu Rut 1,4 weist MS Zürich Or 157 im längeren Verlauf den Wortlaut von Yalkut Shimoni auf, Rut Rabba ist nur zu Beginn des Zitates parallel. Hier wird in MS Zürich Or 157 also aus dem Yalkut zitiert, nicht aus Rut Rabba. Weiter wird auf bSan 55a Bezug genommen.621 Die Verbindung zu Orpa ist dabei durch die Charakterisierung Orpas in der rabbinischen Literatur herzuleiten. Sie gilt laut RutR 2,20 u. a. als die Vorfahrin Goliats. Weiter wird im Zusammenhang von RutR 2,20 geschildert, 620 Diese Eigenschaft ist charakteristisch für die Midrash-­Literatur, die den biblischen Text in kleinen Stücken erklärt. Des Weiteren lässt sich diese Eigenschaft der Kommentierung auf die Entstehung als "Glossenkommentar" zurückführen, vgl. Kapitel "Sinn und Zweck der Kommentierung," ab S. 361. 621 Siehe Anm. in der Übersetzung: "Kontext in bSan 55a ist der sexuelle Umgang mit Tieren, der hier euphemistisch ausgedrückt wird. Dabei wird zwischen unterschiedlichen Stufen des Sexualverkehrs unterschieden und hier auf die erste, stimulierende Phase Bezug genommen."

12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

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dass sie mit 100 Philistern Geschlechtsverkehr gehabt habe (mit Verweis auf 1. Sam. 17,13) und mit einem Hund (auf Grundlage der Formulierung in 1. Sam. 17,43).622 Diese midrashische Erklärung kann nun als Hintergrund der Auslegung in MS Zürich Or 157 angenommen werden, da sie sich auch auf sexuellen Verkehr mit Tieren bezieht und daher – wenn auch nur mit zwei Worten – aus bSota 55b zitiert.623

Rut 1,5: Und auch die beiden, Machlon und Kiljon, starben. MS London 22413 zu Rut 1,5 geht auf den Kontext und die zeitliche Abfolge der erzählten Ereignisse ein. Bezugspunkt der Auslegung ist das Wort ‫“ גם‬auch”, womit der Kommentar auf das Ergehen der beiden Brüder Machlon und Kiljon eingeht. Der Kommentar bleibt hier auf der “erzählerischen” Textebene und verweist auf den Tod sowohl Machlons als auch Kiljons. Mit der Verwendung des Wortes “auch” sei auf einen Ausgleich zwischen beiden Brüdern hingewiesen. Hier hebt der Kommentar in MS London 22413 auf die Wortwahl im biblischen Text ab und kann damit als auf den biblischen Erzählzusammenhang bezogen charakterisiert werden. Anders MS Zürich Or 157, das zu Rut 1,5 auf einen anderen Sachverhalt eingeht: Der Tod von Machlon und Kiljon wird hier als Strafe interpretiert. Mit Hinweis auf Dt. 23,4 wird argumentiert, dass weder männliche noch weibliche Moabiter in die Gemeinde aufgenommen werden dürften, was damals noch als Halakha gegolten habe:

622 RutR (Ed. Lerner 2,20): ‫ יד) ותשנה כתי' תשש כחן (מי) מהלכות‬:‫[כ] ותשאן קולן ותבכן (רות א‬ ‫ ארבעים פסיעות הלכה ערפה אחר חמותה ונתלה לבנה ארבעים‬,‫ ר' ברכייה בשם ר' יצחק אמר‬.‫ובוכות‬ ‫ ר' יודן בשם‬.])‫ טז‬:‫ ויתיצב ארבעים יום (ש"א =שמואל א'= יז‬,‫ [שנ' ויגש הפלשתי השכם והערב‬,‫יום‬ ‫ [שנ'] את ארבעת אלה‬,‫ ועמדו ממנה ארבעה גבורים‬,‫ ארבעה מילין הלכה ערפה אחר חמותה‬,‫ר' יצחק‬ ‫ כל אותה הלילה שפירשה ערפ מחמותה‬,‫ אמר ר' יצחק‬,)‫ כב‬:‫יולדו להרפה בגת ([…] שמואל ב' […] כא‬ ‫ והוא מדבר עמם והנה איש הבינים ממערכות‬/‫דכתיב‬/ ‫ הדא היא‬,‫נתערו בה גייס של מאה בני אדם‬ ‫ ר' תנחומא‬.‫ ממאה ערלות שנתערו בה כל אותו הלילה‬,‫ ממערות כתב‬,)‫ כג‬:‫([…] שמואל א' […] יז‬ )‫ מג‬:/‫ שמואל א' י"ז‬/ ‫ [דכת'] ויאמר הפלשתי [אל דוד] הכלב אנכי (שם‬,‫ אף כלב אחד‬,‫אמר‬. Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 15.04.2010). 623 Ich danke Stefanie Budmiger, die mir diesbezüglich mitteilte "Das Wort […] / ‫ערה‬ ‫ ]…[ ערי‬bezeichnet die erste Stufe des Geschlechtsaktes. In bSan 55 wird ja Unzucht mit Tieren abgehandelt und die Rabbinen diskutieren, ab wann, d. h. welcher Intensität des Geschlecht[s]aktes, dies zur Todesstrafe führt. ‫[ ערה‬ist] nicht als das Entblößen der Geschlechtsteile, sondern [als] das Berühren [aufzufassen], was ja zu einer Stimulierung führt." Somit konnte ich das Zitat aus bSan 55b mit RutR 2,20 in Verbindung bringen.

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12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

‫…ומפני מה נענשו על שנשאו נשים מואביות שעדיין לא נתחדשה הלכה עמוני ולא עמונית’ מואבי‬ ‫ולא מואביה‬ …Und weshalb wurden sie bestraft? Weil sie moabitische Frauen geheiratet hatten. Denn die Halakha war noch nicht erneuert worden [und in Dt. 23,4 ist nur] ein (männlicher) Ammoniter und nicht eine Ammoniterin, [und ebenso] ein (männlicher) Moabiter, und nicht eine Moabiterin [gemeint].624

Hier ist auf der Kommentar-­Ebene zu beachten, dass MS Zürich Or 157 auch (im Kontext der Verhandlung am Tor) zu Rut 4,6 feststellt, dass in Dt. 23,4 f. eben nicht von weiblichen Moabitern die Rede sei und dies für den anderen möglichen Löser kein Argument sein könne, Rut nicht zu lösen. In der Argumentation mit Verwendung von Dt. 23,4 f. ist der Kommentar hier also nicht einheitlich. Oder – um den Widerspruch aufzulösen – könnte angenommen werden, dass eben im Verlauf der Erzählung von Rut 1–4 die Halakha erneuert worden sei. Dies würde bedeuten, dass hier (im Kontext von Rut 1) mit dem Hinweis auf Dt. 23,4 f. noch Frauen in der Vorschrift impliziert gewesen waren, sich dies im Kontext von Rut 4 aber zwischenzeitlich geändert hatte und Dt. 23,4 f. dort nur auf männliche Moabiter zu beziehen sei. Diese im Erzählverlauf von Rut angenommene Änderung der Auffassung von Dt. 23,4 f. ist aber weniger wahrscheinlich.

Rut 1,6: Und sie kehrte zurück von den Gefilden Moabs. Denn sie hatte gehört, dass sich (der Ewige seines Volkes) angenommen hatte, ihnen Brot zu geben. MS London 22413 bleibt auf der kontextlichen Ebene, wenn es das Lemma als Betonung dafür erklärt, dass Noomi in Moab war, als sie hörte, “dass (der Ewige sich seines Volkes) angenommen hatte”. Das Interesse der Erklärung ist hier also die lokale Verortung der Protagonistin im Erzähl-­Zusammenhang. Dem biblischen Text wird nicht viel neue Information durch den Kommentar hinzugefügt, vielmehr wird der Bibeltext in seiner Erzählabfolge wiedergegeben und mit Hinweisen auf den literarischen Kontext versehen. Die im Bibeltext beschriebenen Ereignisse werden dabei als Betonung verstanden. Ergebnis der Kommentierung ist, dass eine mögliche Redundanz in der Art des biblischen Wortlauts ausgeschlossen wird. Mit dem Hinweis auf den Wortlaut des Bibeltextes bezieht sich der Kommentar auf die literarische Ebene der Formulierung des Bibeltextes. Dagegen gibt MS Zürich Or 157 hier teilweise paraphrasiert RutR 2,11 wieder, was – wie für die midrashische Auslegungsart wenig verwunderlich – vom biblischen Kontext wegführt. Themen sind die Informationsübermittlung, wie Noomi 624 Vgl. auch RutR 2,9 zu Rut 1,4; bJeb 69a vgl. Dt. 23,4.

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“gehört hatte”, “dass der Ewige sich seines Volkes angenommen hatte” und dass die Hungersnot zu Ende sei (wobei Letzeres im Kommentar nicht wiedergegeben wird). Das Hören bzw. Vernehmen dieser Kunde wird laut Kommentar (mit Rekurs auf RutR 2,11) über die Vermittlung durch Umherziehende von Ort zu Ort möglich. Diese Art der Informationsübermittlung kann als durchaus lebensnahe Interpretation aufgefasst werden.625 Des Weiteren wird die Formulierung “seines Volkes” kommentiert. Dies geschieht in der Auslegung nach der Wiedergabe eines Zitats aus 1. Sam. 12,22, wo ebenfalls “seines Volkes” als Wortlaut auftritt. “Sein Volk” und “sein Name” werden in der Auslegung als zwei Fakten interpretiert, um derentwillen sich das Ergehen des Volkes “zum Positiven” ändert. Das Handeln des Ewigen wird hier als Grund des Geschickes seines Volkes verstanden: Er nimmt sich laut Kommentar “seines Volkes” um “seinetwillen” bzw. “um seines Namens willen” an. Dabei stehen sowohl das Volk als auch der Name des Ewigen direkt miteinander in Verbindung.

Rut 1,7: Und sie ging weg von dem Ort. Und sie gingen auf dem Weg. Zu Rut 1,7 hat MS London 22413 eine kurze Erklärung, die lediglich eine Zusammenstellung zweier Versteile aus Rut 1,7 ist: Und sie gingen auf dem Weg – um in das Land Jehuda zurückzukehren. Dabei ist bemerkenswert, dass hier nur auf Rut 1,7b eingegangen wird. Der erste Versteil wird in MS London 22413 nicht kommentiert. Der eigentliche Wortlaut von Rut 1,7b ist ‫ותלכנה בדרך לשוב אל ארץ‬ ‫“ יהודה‬Und sie gingen auf dem Weg um in das Land Jehuda zurückzukehren”. Interessanterweise wird durch die Wiedergabe des Bibelverses mit Hinzufügung der deutenden Glosse ‫“ כדי‬um” die Tendenz deutlich, das Thema des Landes in den Vordergrund zu stellen. Hier tritt thematisch das Motiv “Land”, genauer: das Land Jehuda in den Vordergrund des Kommentars, worauf auch im Kommentar von MS London 22413 zu Rut 1,8 eingegangen wird. Es kann festgehalten werden, dass der Kommentar den Bibeltext lediglich punktuell erweitert und somit nahe am Textzusammenhang bleibt; dennoch wird dadurch das Thema des Landes Jehuda in den Vordergrund gerückt. Die Erklärung in Zürich Or 157 ähnelt der in RutR 2,12, in Hamburg hebr. 32 ist eine (verkürzte) Ausführung Rashi zugeschrieben. Die Ausführungen Rashis 625 Wobei bemerkenswert ist, dass in jMeg 4,1 ebenfalls in Bezugnahme auf Ezra von Umherreisenden gesprochen wird, die Informationen für israelitische Frauen weitergeben.

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sind in anderen Editionen länger und ausführlicher.626 Dort findet sich auch (wieder) ein Bezug auf Jakob, der Beer Sheva verlässt, was in Rashis Kommentar zitiert wird (Gen. 25,10).627 Auch hier zu Rut 1,7 ist die Erklärung in MS London 22413 textinhärent und argumentiert aufgrund des näheren Kontextes, nämlich Rut 1,6. Mit dem Hinweis auf den Weggang eines Gerechten wird durch die Argumentation des Midrash eine innerbiblische Parallele gezogen: zu Gen. 25,10, worauf wie gerade erwähnt auch Rashi eingeht. Die Abfolge von ‫ שבח‬,‫ זיו‬und ‫ הדר‬ist unterschiedlich im ersten und zweiten Teil der Ausführung zum Vers. In RutR 2,12 ist die Abfolge in beiden Teilen dieselbe.628 Interessanterweise werden daraufhin mehrere alternative Erklärungen zu und sie gingen auf dem Weg aufgeführt. Somit findet sich auch hier in MS Zürich Or 157 eine Akzentuierung des lokalen Ortes, zu dem Noomi und ihre Schwiegertöchter unterwegs sind. Bemerkenswert ist hier, dass sich in MS Zürich Or 157 eine verkürzte Fassung von Pesikta Zutara (Lekaḥ Tov) zu Rut 1,7 findet, die den Begriff ‫ ארץ‬wortwörtlich verwendet (was beispielsweise auch in MS Copenhagen 35 wortwörtlich steht): ‫וגופן נוגע בארץ‬ “und ihr Körper war mit dem Landesboden in Berührung”. Somit ist auch hier in MS Zürich Or 157 das Thema “Land” in die Erklärung mit aufgenommen worden, jedoch in einer anderen Art als mit der Wiedergabe des Bibeltextes. Vielmehr wird das Thema “Land” nur durch die Bezugnahme auf die Traditionsliteratur an den Bibeltext herangetragen. Es ist auch für MS Zürich Or 157 festzuhalten, dass der Kommentar zur Erklärung Traditionsliteratur aufnimmt, damit thematisch jedoch in dieselbe Richtung wie MS London 22413 argumentiert. Hinzu kommt noch ein weiterer Aspekt, nämlich die alternative Erklärung mit Hinweis auf das im Kommentar angenommene Diskussionthema der Frauen auf dem Weg: der Übertritt zum Judentum. Somit wird das Thema des “Landes Jehuda” indirekt – durch die Zusammenstellung der Alternativen zur Erklärung im Kommentar – verbunden mit dem Thema der Konversion zum Judentum. Zusammengefasst könnte als von einer Verbindung von “Land” und “Religion” im Kommentar von MS Zürich Or 157 gesprochen werden.

626 Z.B. in Sefer Tosafot Hashalem. Commentary on the Bible. Five Megillot. Shir HaShirim – Rut. Gellis, Jacob (Hrsg.). Mifal Tosfot haShalem: Jerusalem 2000 (Hebr.), S. 12 [Hebr.]. 627 Siehe ebd. 628 Vgl. Midrash Rabba HaMevoar. Rut 1986, S. 76. Dort findet sich jedoch an zweiter Stelle noch ‫הודה‬, übersetzbar mit "Auszeichnung" bzw. "Majestät".

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Rut 1,8: Und Noomi sagte: “Geht, kehrt um! Eine [jegliche] Frau in ihrer Mutter Haus. Der Ewige erweise euch Gnade, wie ihr den Verstorbenen und mir Gnade erwiesen habt.” Der Kommentar in MS London 22413 zu Rut 1,8 ist länger als in MS Zürich Or 157. MS London 22413 stellt dar, was in der Figur Noomi bzw. in ihren Gedanken vorgeht: Noomi hatte schon von Beginn an die genannten Gedanken “im Herzen”. Somit nimmt der Kommentator die Position eines “allwissenden” Erzählers ein, der die einzelnen Charaktere in der Erzählung genauer zeichnet und mit Eigenschaften versieht. Laut Kommentar rechnet Noomi hier also mit der Umkehr ihrer Schwiegertöchter (aus dem Kontext und zugespitzt ausgedrückt: Sie hofft darauf, dass ihre Schwiegertöchter sie verlassen) “wegen der Schwierigkeiten des Weges”. So geht der Kommentar in MS London 22413 weiter auf die wörtliche Rede ein, genauer: die Aufforderung Noomis an ihre Schwiegertöchter, [nach Moab] umzukehren. Die Worte der Aufforderung “Geht, kehrt um” setzen sich aus denselben Wurzeln wie die in MS London 22413 kommentierten Verben aus Rut 1,7 zusammen. Daher konstatiert der Kommentar, dass diese zu Rut 1,7 hinzugefügt seien, “‫”מוסב על‬. Interessanterweise wird in der Aufforderung Noomis eben gerade nicht die Rückkehr nach Jehuda ausgedrückt, sondern die Rückkehr nach Moab. Der Kommentar führt des Weiteren aus, dass Noomi ihre Gedanken ausspricht, also nicht mehr in ihrem Herzen behält, sondern die Töchter wortwörtlich zum Umkehren auffordert. Der Kommentar zu diesem Teilvers schließt mit der Zusammenfassung ab, dass es sich hierbei um eben den Weg handelt, den sie miteinander gegangen waren. Im Kontext der Erklärung bedeutet dies jedoch nicht den Weg, auf dem sie über die Konversion gesprochen hatten. Die Vorstellung, dass sich Noomi und ihre Schwiegertöchter auf dem Weg über die Übertritts-­Gesetze unterhalten hätten, ist lediglich in der Erklärung von MS Zürich Or 157 zu finden. Das folgende Lemma aus Rut 1,8 wird nun sowohl in MS Berlin 1221629 und MS London 22413 als auch in MS Zürich Or 157 kommentiert. Es bezieht sich auf das Verhalten der Schwiegertöchter gegenüber ihren verstorbenen Ehemännern nach deren Tod. Dabei gibt MS Berlin 1221 das längste Lemma auf Rut 1,8b an: ‫יעשה יי’ עמכם חסד כאשר עשית עם המתים ועמדי‬.630 Jede Kommentar-­Version hebt einen unterschiedlichen Aspekt hervor: 629 In MS Berlin 1221 folgt die Auslegung zu Rut 1,8 auf die Erklärung zu Rut 1,9a. Es folgt daran anschließend die Kommentierung zu Rut 1,9b, die hier nach dem Kommentar zu Rut 1,8 besprochen wird. 630 Dort steht ‫ עשית‬im Sg., statt wie z. B. in MT BHQ im Plural ‫עשיתם‬.

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12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

In MS Berlin 1221 folgt die Auslegung zu Rut 1,8 auf die Erklärung zu Rut 1,9a. Daran schließt sich die Kommentierung zu Rut 1,9b an. Die Zusammenstellung in MS Berlin 1221 macht im Verlauf des Kommentars Sinn, da damit eine “chronologische Abfolge” der im Buch Rut dargestellten Ereignisse mit dem Inhalt des Kommentars (neu) konstruiert wird: Rut 1,9a mit der Aussage, dass der Ewige den Schwiegertöchtern Ruhe als Frau im Hause ihres Mannes verschaffen solle, wird auf eine Heirat im “Heimatland”, d. h. zurück in Moab bezogen, und weiter als Noomis Aussage ausgeführt, dass dies besser sei, als in einem “fremden Land” umherzuwandern. Dieser Kommentarteil wird somit – in der Abfolge von MS Berlin 1221 – zur Voraussetzung für das durch den Kommentar nachgestellte Lemma Der Ewige erweise Euch Gnade… Diese Aussage Noomis rekurriert somit auf das Verhalten der Schwiegertöchter gegenüber Noomi nach dem Tode ihrer Ehemänner: Sie verlassen ihr Heimatland und gehen mit Noomi weg. Hier steht also inhaltlich die Auslegung zu ‫[“ עמדי‬wie ihr den Verstorbenen] und mir” und damit das Verhältnis zwischen Noomi und ihren Schwiegertöchtern im Vordergrund. Damit wird hier nicht auf die Verstorbenen eingegangen (wie in MS London 22413 und Zürich Or 157), sondern auf die Begleitung Noomis und weiter auf das Verlassen des Heimatlandes, was die Schwiegertöchter für Noomi auf sich nehmen. Somit wird durch den Kommentar das Thema Heimatland ‫ ארץ מולדת‬ausgeführt. Dies erfolgt zunächst in der Auslegung zu Rut 1,9a mit der Gegenüberstellung Heimatland und fremdes Land (das ist in diesem Zusammenhang Jehuda für Orpa und Rut), in dem sie sich als Fremdlinge aufhalten würden. Daraufhin wird mit der Auslegung zu Rut 1,8 dargestellt, dass die Schwiegertöchter quasi nichtsdestotrotz ihr Heimatland verlassen und mit Noomi gehen. Die Auslegung zu Rut 1,9b setzt nun im Kommentar unvermittelt fort und schließt sich an Rut 1,8 an, wobei auch der Abschiedskuss thematisiert wird. Von einem Abschiedskuss ist auch im letzten Teil der Erklärung zu Rut 1,9 in MS London 22413 die Rede. Durch die jetzige Anordnung des Kommentars zu Rut 1,8 zwischen Rut 1,9a und Rut 1,9b ergibt sich im Hinblick auf Rut 1,3 für den Textzusammenhang eine verbindende Anordnung paralleler Begriffe: Der Kommentar zu Rut 1,9 endet mit ‫“ נשים נכריות‬fremde Frauen”, parallel dazu endet der Kommentar zu Rut 1,9a mit ‫“ בארץ נכריה‬fremdes Land”. Des Weiteren kommt der Begriff ‫“ ארץ מולדת‬Heimatland” sowohl im ersten Teil der Auslegung zu Rut 1,9 als auch im letzten Teil der Auslegung zu Rut 1,8 vor. Damit könnte die Auslegung von Rut 1,9a zwischen Rut 1,3 und Rut 1,8 mit einem Aufbau erklären, der auf den genannten Begriffen basiert. Anders MS London 22413 zu Rut 1,8. Hier geht der Kommentar zunächst ein auf ‫“ המתים‬die Verstorbenen”, lenkt den Blick des Lesers aber auf deren vo-

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rangegangenes Leben: “als sie noch am Leben waren”. Weiter geht nun auch MS London 22413 ein auf ‫“ ועמדי‬und mir”, und richtet das Augenmerk auf den “Jetztzustand”. Noomi selbst sei gegenwärtig nun alt geworden, gebrechlich und schwerfällig (was mit “und ich kann nicht [mehr einfach] gehen und kommen” ausgedrückt wird: …‫)ולא אוכל לצאת ולבא‬. Der Kommentar zielt somit auf die “diesseitige”, lebendige Welt, mit der Vorortung der Aussage Noomis im Hinblick auf den Gesamt-­Erzähl-Zusammenhang des Buches Rut: “Die Verstorbenen” ‫המתים‬ bezieht sich demnach mit der Erklärung “als sie noch am Leben waren” auf die vergangenen guten Taten der Schwiegertöchter zu Lebzeiten der Söhne Noomis. “Und mir” verweist hingegen auf die im Erzähl-­Zusammenhang gegenwärtige Situation und nicht etwa auf das Verhältnis und Verhalten der Schwiegertöchter gegenüber Noomi zu Lebzeiten der Verstorbenen (Machlon und Kiljon). In MS Zürich Or 157 zu Rut 1,8 klingt mit dem Begriff ‫ בית‬die Thematik “Heimat” an.631 Das Ende von RutR 2,13, genauer: die letzten drei Worte aus diesem Midrash, werden hier wiedergegeben. Damit kann interpretiert werden, dass der davor befindliche Abschnitt aus dem Midrash angedeutet werden soll und diese kurze “Zusammenfassung” als “Catchword” dient. Die Ausführungen zur Erklärung des ‫ה‬-Kohortativ des Ketiv im Gegensatz zum Ḳere erinnern stark an rabbinische Erklärungsweisen. Damit folgt der Kommentar nicht einfach der grammatischen, sondern der traditionellen Erklärung. Diese Erklärung findet sich aber nicht im Midrash RutR. Inhaltlich verweist MS Zürich Or 157 zu Rut 1,8b auf die “Versorgung” der Verstorbenen, genauer: auf “ihre Leichentücher”. Damit bezieht sich der Kommentar auf das Verhalten der Schwiegertöchter nach dem Zeitpunkt des Todes ihrer Ehemänner. Diese Auslegung ist demnach fast gegensätzlich zu der in MS Berlin 1221. Mit der “Aufrechterhaltung der Heiratsverträge” ist in MS Zürich Or 157 eventuell gemeint, dass Rut und Orpa ihre “schwiegertöchterlichen Pflichten”, z. B. die Versorgung der Schwiegermutter auch nach dem Tod – und der damit aufgehobenen Verbindung zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter – aufrechterhalten. Je nach Wortlaut der Ketubba geht der Besitz des verstorbenen Ehemannes in den der Ehefrau über.632 Doch anders verhalten sich Rut und Orpa: Beide wollen 631 ‫ בית‬bedeutet nach Jastrow, Marcus: A Dictionary of the Targumim, the Talmud Babli and Yerushalmi, and the Midrashic Literature, with an index of Scriptural Quotations. [Makor]: [Jerusalem] 1988, S. 167, 1) "house, household, home". 632 Vgl. Schereschewsky, Ben-­Zion: "Widow". In: Elon, Menachem (Hrsg.): The Principles of Jewish Law. Keter Publishing House: Jerusalem 1975, Sp. 399–403, hier v. a. Sp. 402.

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mit Noomi nach Beit Lechem gehen, also ihre Schwiegermutter begleiten. Nun kann aus dem Kontext mit dem Kommentar für den Bibeltext geschlussfolgert werden, dass auch die Schwiegertöchter Noomis einen Ehevertrag hatten, was für die Umweltverhältnisse in Moab eventuell nicht von vornherein vorauszusetzen ist. Somit ist für das Verhalten der Schwiegertöchter in der Erzählung im Buch Rut entweder anzunehmen, dass sie Noomi folgten, obwohl dies für sie “realistisch gesehen” keine gesicherten Verhältnisse nach sich ziehen konnte. Oder aber, dass etwas Vergleichbares wie die “Rückkehr der Witwen in ihres Vaters Hause” für Moab nicht derart galt, wie es aus Gen. 38,11 und Lev. 22,13 für die “israelitische Umwelt” gegolten haben mag. Zurück zum Kommentar in MS Zürich Or 157, wofür allgemein gesprochen Folgendes festgehalten werden kann: Der Bibeltext ist (auch hier) mit den diesbezüglichen Erklärungen verwoben. Verglichen mit RutR 2,14 ist die Auslegung ‫ עם המתים שנטפלתם עמהם בתכריכיהם‬eine Wiedergabe aus RutR. 2,14, wobei darin ‫ עמהם‬hinzugefügt ist. Dies wiederum hat eine verständlichere Erklärung zur Folge, und kann (mit der textkritischen Argumentation “Lectio difficilior probabilior”633) als sekundär hinzugefügt gelten. Die Erklärung – als erweitertes Zitat von RutR 2,14 – gibt den Bibeltext innerhalb der erklärenden Ausführungen wieder. Da die Erklärung zur Stelle aus dem Midrash stammt, dient dies hier nicht direkt als Beispiel der Eigenart von Karas Auslegungen. Es ist jedoch festzuhalten, dass der Kommentar der Auslegung des Midrash folgt, hier RutR 2,14. Dies wiederum bedeutet (indirekt), dass zu Rut 1,8 [in MS Zürich Or 157] keine wirklich alternative Auslegungsart gegenüber der z.Z. Karas als bekannt vorauszusetzenden Erklärungen dargestellt werden soll und darin auf tradierte Überlieferung Bezug genommen wird.

Rut 1,9: “Und der Ewige gebe euch, dass Ihr Ruhe findet und ihr sollt Ruhe finden als Frau im Hause ihres Mannes.” Und sie küsste sie. Und sie erhoben ihre Stimmen. In MS Berlin 1221 folgt die Auslegung zu Rut 1,8 auf die Erklärung zu Rut 1,9a, daran anschließend die Kommentierung zu Rut 1,9b, siehe dazu die Ausführungen zu Rut 1,8. MS London 22413 zu Rut 1,9 hebt nun auf den Inhalt von Rut 1,9a ab, das der Kommentar gleich auf “Ehemann” ‫ בעל‬bezieht. Die Auslegung zur Stelle geht in mehrfacher Form auf die Formulierung ein: Zunächst wird konstatiert,

633 "Die schwierigere Lesart ist die vermutlich ältere Lesart." Siehe Utzschneider / Nitsche: Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung 2001, S. 55.

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dass die Schrift hier eine kurze Lesart bietet und “Ehemann” ‫ בעל‬hinzuzufügen sei. Somit wird weiter argumentiert, dass der Ehepartner der Frau die Voraussetzung für “Ruhe” sei. Es folgt eine mundartliche Glosse, wohl zwei altfranzösische Worte in hebräischen Buchstaben: ‫אטרֹוויר‬ ְ ‫ַאפּוי ִישי ִיש‬.634 Weiter geht der Kommentar in MS London 22413 auf den Stil des Bibeltextes ein und zitiert Prov. 18,22. Dieses Zitat stellt sich als inhaltlich, aber auch aufgrund der Formulierung ‫“ ומצאן‬und ihr sollt finden” als vergleichbar mit Rut 1,9 dar. In beiden Versen tritt die Wortwurzel √‫“ מצא‬finden” auf, wobei eine davon abgeleitete Wortform in Prov. 18,22 für das Finden einer Ehefrau verwendet wird. Beinahe nach gender-­orientierter Gleichberechtigung klingt der Kommentar, wenn es heißt, auch eine Frau finde Gutes mit einem (guten) Ehemann. Als ob eine alternative Abfolge der Verse möglich wäre, fährt der Kommentar zur Formulierung des Bibeltextes fort und stellt fest, dass sich die Aussage in Rut 1,9 auf die in Rut 1,8 beziehe. Es könnte hierin eine Bezugnahme auf die zum Fortlauf des Bibeltextes vertauschte Abfolge der Erklärung in Berlin 1221 zu finden sein. In diesem Teil der Erklärung werden bisher genannte Begriffe zusammengefasst: Einerseits “Haus des Mannes” und “Mutterhaus” gleichsam parallelisiert, indem von einer Hinzufügung die Rede ist. Andererseits wird in einer Konstruierung einer wörtlichen Rede Noomis “mein Land” (also Noomis) und “euer Land” (also das von Orpa und Rut) gegenüber gestellt. Darin wird Bezug genommen auf die vorhandenen Familienverhältnisse, der Begriff “Familie” tritt ebenfalls mit Possessivpronomina in einer Art Gegenüberstellung auf (“nehmt Euch Söhne von euren Familien”, aber ein Mann “in meinem Land” nimmt nur eine Frau “von seiner Familie” ‫ משפחתכם‬sowie ‫)משפחתו‬. Somit wird auch im Kommentar von MS London 22413 eine Gegenüberstellung vorgenommen (wie dies bei der Abfolge der Begriffe in MS Berlin 1221 zu “Heimatland” ‫ ארץ מלדת‬und “fremd” ‫ נכריה‬der Fall ist). Abschließend zu Rut 1,9 geht der Kommentar – ähnlich wie MS Berlin 1221 – auf das Lemma und sie küsste sie ein, was auch hier als Abschiedskuss interpretiert wird. Die Erklärung geht des Weiteren jedoch auf den kontextlichen Zusammenhang ein, nicht auf die “Umgebungssituation” (wie dies etwa MS Berlin 1221 mit dem Hinweis auf einen “Brauch in der Welt” tut). MS Zürich Or 157 zu Rut 1,9 ist eine Zusammenfassung von Auslegungen, die sich auch in Rut Rabba finden, genauer: RutR 2,14–15 und RutR 2,10. Im Allgemeinen ist die Erklärung zu Rut 1,9 stark verkürzt wiedergegeben, wie der Vergleich zu RutR zeigt. Die Erklärung lässt sich in drei Teile aufteilen: Erstens die Ausführung zu ‫ויתן ה’ לכם ומצאן‬, die sich auf die defektive

634 Zur möglichen Interpretation dieser mundartlichen Glosse siehe Kapitel "Le'azim im Kommentar zu Rut 1".

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12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

Schreibweise von ‫“ ומצאן‬und ihr sollt finden” bezieht und trotz der Pluralform des Wortes auf nur eine der angesprochenen Schwiegertöchter, also Rut, bezogen wird.635 An diese Erklärung ist die Erläuterung zu ‫ בית אישה‬angefügt, was jedoch ohne Wiedergabe des Lemmas geschieht und als zweiter Teil der Erklärung genannt werden kann. Im dritten Teil der Auslegung von MS Zürich Or 157 wird auf ‫( ותשנה‬sic) eingegangen. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass im MT ‫ ותשאנה‬steht. Dieser Befund lässt sich wie folgt erklären: Entweder lag den Erklärungen ein Bibeltext zugrunde, der schon in Rut 1,9, also im Bibeltext selbst, ‫ ותשנה‬schrieb. Oder die Erklärungen aus RutR 2,20 zu Rut 1,14 sind an diese Stelle in die Erklärungen zu Rut 1,9 gerückt. Zur Veranschaulichung der Wortlaut von MS Zürich Or 157 zu Rut 1,9: ‫ותשנה‘ כת‘ שתשש כוחן בבכיה‬ “Und sie erhoben (ihre Stimmen) – steht (so) geschrieben, weil ihre Kraft durch Weinen schwach wurde.”636

Hier wird die Wortform des Bibeltextes auf eine andere Wurzel zurückgeführt, als dies beim ersten, kontextuellen Lesen naheliegt: Hergeleitet von der Wortwurzel √‫ תש‬beziehungsweise √‫ תשש‬bedeutet “schwächen”, nicht – wie nach dem Kontext des Bibeltextes anzunehmen – √‫“ נשא‬die (Stimme) erheben”. Dies lässt sich durch die im MS (Zürich; Copenhagen) wiedergegebene Schreibweise ‫ ותשנה‬erklären, wo das Wort ‫ ותשנה‬ohne ‫ א‬geschrieben wird, anders als in MT BHQ “‫”ותשאנה‬, wie oben ausgeführt.

Rut 1,10: Und sie sagten ihr: “Denn vielmehr wollen wir mit dir zu deinem Volk zurückkehren.” Mit Rut 1,10 beginnt – nach dem (Abschieds-)Kuss – ein neuer Part im Dialog zwischen Noomi und ihren Schwiegertöchtern auf dem Weg. Die Erklärung in MS Berlin 1221 zu Rut 1,10 geht auf die Antwort der Schwiegertöchter ein und verwendet in der fortlaufenden Erklärung die Aussage aus Rut 1,9, die das Thema “Volk” aufnimmt (womit das Volk Noomis gemeint ist), 635 Nach Hartmann findet sich die Erklärung in Yalkut Shimoni zur Stelle: "R. Chanina b. Ada: 'Die defektive Schreibung ‫( ומצאן‬anstatt ‫ )ומצאנה‬deutet an, daß nur eine der Schwiegertöchter Ruhe finden soll.' Letzteres wird in LT [Midrash Lekaḥ Tov] von demselben Autor daraus gefolgert, daß ‫ ומצאן‬ohne Aleph (Zahlenwert 'eins') geschrieben sei." Siehe Hartmann, David: Das Buch Ruth in der Midrasch-­Litteratur. Ein Beitrag zur Geschichte der Bibelexegese. J. Kauffmann: Frankfurt am Main 1901, S. 18. 636 Vgl. RutR 2,20 zu Rut 1,14.

12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

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und mit Rut 1,10 ausgeführt wird: Damit setzt der Kommentar die Dialogstruktur fort, die im Bibeltext angelegt ist. Das Thema “Volk” (was als Wort in Rut 1,9 auftritt) wird aufgenommen und mit dem Thema der Heirat verbunden. Der Inhalt von Rut 1,10, wo nur von der “Rückkehr”637 der Schwiegertöchter mit Noomi die Rede ist, wird nun durch den Kontext mit “Heirat” verbunden. Die Töchter wollen laut Kommentar nur an Noomis Volk verheiratet werden. Anders nun die Auslegung in MS London 22413, wo die Ansage der Schwiegertöchter der Aufforderung Noomis gegenübergestellt wird. Hierbei wird die Formulierung “Mutterhaus” aus Rut 1,8 aufgenommen. Der Kommentar verwendet also den näheren Bibelkontext zur Gegenüberstellung der Position Noomis in Rut 1,8 und der Aussage ihrer Schwiegertöchter in Rut 1,10. Zürich Or 157 hingegen führt die Argumentation hin zum Thema der Konversion. Dies findet sich schon im Targum, der das Wort ‫“ לאתגיירא‬um überzutreten” verwendet.638 Der Vergleich mit anderen Texten der Traditionsliteratur wie z. B. Rut Rabba zu dieser Stelle führte bisher zu keinen Übereinstimmungen.639

Rut 1,11: “Kehrt doch um, meine Töchter! Warum solltet ihr mit mir gehen? Habe ich denn etwa noch Söhne in meinem Leib, die euch zu Männern werden könnten?” In MS Berlin 1221 wird das Wort ‫“ עמי‬mit mir” aus dem Bibeltext in der Bedeutung von “mein Volk” aufgenommen, was im Hebräischen dieselbe Wortform hat und im Konsonantenbestand identisch ist. Somit wird in der Auslegung zu Rut 1,11 wieder das Thema “Volk” thematisiert – und das unter Verwendung des Bibeltextes. “Volk” wird im Kommentar wiederum verbunden mit dem ebenfalls schon aufgetretenen Thema “Heirat”. Heirat wird dabei als eine, im Kontext sogar als die einzige, Möglichkeit verstanden, mit der Rut und Orpa in das Volk Noomis aufgenommen werden könnten. Mit ‫שבות עמי‬640 wird argumentiert, dass die beiden durch Heirat das “Geschick meines [also – durch die Einfügung in wörtliche

637 Genau genommen kehrt hier nur Noomi zurück – die Schwiegertöchter kehren inhaltlich gesehen nicht zurück, sondern verlassen ihr Land. 638 "‫"לאתגיירא‬, siehe Levine: The Aramaic Version of Ruth 1973, S. 21. 639 Gellis schreibt diese Erklärung nicht Kara zu, sondern verweist lediglich auf MS Zürich 21 und MS Oxford 322 [sic]. Vgl. Sefer Tosafot Hashalem. Commentary on the Bible. Five Megillot. Shir HaShirim – Rut 2000, S. 16. 640 ‫" שבות עמי‬Geschick meines Volkes" ist das Zitat eines Bibelverses, wobei sich dieser Wortlaut an verschiedenen Stellen findet: Jer. 30,3; Hos. 6,11 und Amos 9,14. In jedem Fall handelt es sich hier um ein Zitat aus den Schriftpropheten.

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Rede – Noomis] Volkes” würden. Indirekt kann hier vermutet werden, dass durch die Verwendung dieses Zitats der jeweilige Stellenwert Ruts (als Urgroßmutter des König Davids) und Orpas (als Moabiterin und in der rabbinischen Literatur hergeleiteten Vorfahrin Goliats) in der rabbinischen Literatur anklingen soll. Passend zu der Zusammenführung der Themen “Volk” und “Heirat” wird im Kommentar weiter auf mögliche Heirats-­Kandidaten für Noomis Schwiegertöchter eingegangen. Laut Noomis Meinung, wie sie der Kommentar wiedergibt, würden sich diese Männer nicht finden lassen. Als hypothetische Möglichkeit wird auf Söhne Noomis eingegangen, die sie in Zukunft noch gebären könnte, die aber dennoch nicht als Ehemänner zur Verfügung stehen könnten. Die Fortführung dieses Sachverhalts findet sich im weiteren Kommentar zu Rut 1,13 und folgende. Zu Beginn deutet MS London 22413 den Bibeltext analog zu MS Berlin 1221 auf die Absage Noomis hin, nämlich dass die “Söhne Israels” die fremden Moabiterinnen Rut und Orpa nicht heiraten wollen würden. Im Folgenden entfernt sich der Kommentar von der Auslegung in MS Berlin 1221, indem nun ein möglicher Widerspruch aus dem Kontext in Form einer rhetorischen Frage entkräftet wird: Diese bezieht sich auf den Gesamtzusammenhang der Erzählung, nämlich dass Kiljon und Machlon die beiden Moabiterinnen sehr wohl geheiratet hätten (obwohl sie genausowenig von ihrem Volk waren). Und so wird hier ebenfalls auf den hypothetischen Fall hingewiesen, dass dies zwar für Noomis weitere Söhne gelte, jedoch nicht für die anderen “Söhne Israels”. Durch die Argumentation der “brüderlichen Verbindung” tritt das Thema der “Leviratsehe” in den Blick. Diese Assoziation wird im Kommentar sofort entkräftet, und zwar aufgrund der Wiedergabe des Lemmas von Rut 1,11b: Dort wird wortwörtlich darauf hingewiesen, dass sich Noomi mit ihrer Aussage nicht auf das Gebot der Leviratsehe bezieht. Es folgt im Kommentar die Argumentation, dass die Voraussetzung für die Realisierung der Leviratsehe das “Beieinanderwohnen” der Brüder sei.641 Impliziert wird damit ein “Ausnahmezustand”, wobei Machlon und Kiljon – wären

641 So wird im Kommentar Dt. 25,5 zitiert und zusätzlich auf die Ausnahme hingewiesen, dass die Gebote der Leviratsehe nicht durchgeführt werden müssen, wenn es bereits beschnittene Söhne als Nachkommen des Verstorbenen gibt. Letzteres scheint aus dem Zusammenhang gerissen und macht inhaltlich nur insofern Sinn, als dass der Verstorbene, der eine Alleinerziehende mit Söhnen hinterlässt, bereits Nachkommen hat und ihm somit keine Nachkommen im Rahmen der Leviratsehe mehr entstehen müssen (dementsprechend würde die Leviratsehe dann in erster Linie zur Entstehung von Nachkommen und nicht zur Sicherung der Witwe dienen). Im weiteren Verlauf der Auslegung wird wieder auf den Erzählzusammenhang eingegangen, indem die Interpretationsmöglichkeit aufgezeigt wird, Noomis Söhne

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sie in Jehuda gewesen – keine moabitischen Frauen geheiratet hätten. In Jehuda fänden keine Söhne von Noomis Volk Gefallen an Rut und Orpa, um sie zu heiraten (weil sie Fremde sind, was im Kommentar jedoch nicht expliziert wird). Das Thema der Heirat zieht sich also auch in MS London 22413 zu Rut 1,11 durch den Kommentar. MS Zürich Or 157 weist nun auf einen anzunehmenden Altersunterschied zwischen möglichen Nachkommen von Noomi als “Levirats-­Kanditaten” für Rut und Orpa hin. Eventuell liegt hier ein Schreibfehler vor: Zürich Or 157, Fol. 464, Zeile 23: ‫אתם מייבם אשת אחיו שלא היתה בעולמו‬ ֯ ‫וכי‬. Möglicherweise sollte hier ‫היה‬ statt ‫ היתה‬stehen. Die Verbform ‫“ היתה‬sie war” ist im Sinn und in der Übersetzung schwer auf ‫“ אשת אחיו‬die Frau seines Bruders” zu beziehen, der Satz könnte dann folgendermaßen wiedergegeben werden: “Und ihr seid von der Leviratsehe (betroffen), einer Frau seines (verstorbenen) Bruders, so dass sie nicht weiter in seiner Welt lebte.” Des Weiteren geht MS Zürich Or 157 auf die Einleitung der Frage Noomis mit ‫“ העוד‬Sollte noch?” ein. Dabei konstatiert der Kommentar, dass dies mit einem Kamatz zu punktieren sei. Hierbei ist aber festzuhalten, dass weder in MT (BHQ) noch im Aleppo Codex642 ein Kamatz in ‫ העוד‬steht. Daher könnte hier auf eine andere Vorlage des punktierten biblischen Textes geschlossen werden: Eventuell hatte jener Bibeltext, mit dem der Kommentar verfasst wurde, ein Kamatz.643 Das Wort wird vielmehr mit Patach geschrieben: ‫הַעֹוד‬. Das ‫ה‬-Interrogativum in Hiob 6,13 ist mit einem Patach versehen: ‫ ַהאִם‬. Möglicherweise hatte jene verwendete Vorlage des Bibeltextes auch hier ein Kamatz. Interessant ist der Verweis auf die Punktierung mit Kamatz insofern, als dass auch an anderen Bibelstellen ‫ העוד‬ohne Kamatz punktiert wird, dort aber ebenso “Erstaunen” ausdrückt.644 Als Erklärung für die Interpretation zu Rut 1,11 mit der notwendigen Punktierung mit einem Kamatz kann festgehalten werden, dass dem Ausleger ein (Machlon und Kiljon) hätten Rut und Orpa geheiratet, da sie selbst in einer fremden Umgebung gewesen seien. 642 Siehe www.aleppocodex.org/newsite/index.html (Zugriffsdatum: 14.11.2013). 643 Die Übersetzung könnte in diesem Fall abgeändert werden zu: "…es ist mit einem Kamatz punktiert", bzw. "… punktiert mit einem Kamatz." 644 Z.B. Gen. 31,14; Gen. 43,6–7,27; Gen. 45,3; Ex. 4,18; 1. Kön. 20,32; Amos 6,10; Hag. 2,19. Bei Gesenius/Kautsch/Bergsträsser findet sich folgender Hinweis auf eine etwaige Punktierung ohne Kamatz: "3) vor Laryngalen, die nicht Qameṣ oder Chaṭef-­Qameṣ unter sich haben, Pathach, z. B. ‫ ַה ֵאלְֵך‬Soll ich gehen?…" Siehe Gesenius-­ Kautzsch-Bergsträsser: Hebräische Grammatik 1909, S. 306 (§100 m). (Leider findet sich bei weiteren Ausführungen ab S. 496 der genannten Grammatik kein Hinweis auf eine etwaige Punktierung mit einem Kamatz und auch keine Bezugnahme zu Rut 1,11).

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Bibeltext vorlag, der ein Kamatz in Hiob 6,13 enthielt. Eine Alternative zur Herleitung der Interpretation könnte sein, dass dort entweder auch oder nur in Rut 1,11 ein Chataf Patach stand, welches abweichend als Kamatz entziffert wurde.645

Rut 1,12: “Kehrt doch um, meine Töchter, geht! Denn ich bin zu alt geworden, um bei einem Mann zu sein. Denn auch wenn ich sagen würde: ‘Ich habe noch Hoffnung, auch wenn ich heute Nacht bei einem Mann wäre und auch wenn ich noch Söhne gebären würde…’ ” Durch die Erklärung zu Rut 1,12 in MS Berlin 1221 wird der Bibeltext in eine konjunktivische Form versetzt. In der Auslegung wird die Formulierung … ‫אם הייתי‬ ‫“ שהייתי יכולה‬wenn ich … wäre, dass ich könnte” verwendet. Die gesamte Aussage wird – wie in der Formulierung des Bibeltextes angelegt – auf die Unmöglichkeit weiterer Söhne Noomis bezogen, und zwar im Kommentar durch Hinweis auf die nicht mehr andauernde Jugend und damit nicht mehr vorhandene “Fruchtbarkeit” Noomis, die jedoch im Bibeltext so nicht formuliert wird. Allgemein ist die im Kommentar dargestellte Argumentation stufenweise aufgebaut: Die Jugend Noomis ist nicht mehr da. Eine Empfängnis Noomis von Söhnen ist zwar noch eine (biologische) Möglichkeit, aber bis diese aufgewachsen seien, dauere es noch viel zu lange.

Rut 1,13: “Wollt ihr etwa darauf warten, bis sie aufgewachsen sind? Wollt ihr euch noch weiter zurückhalten? Nicht doch meine Töchter, denn überaus bitterer ist es mir als euch. Denn gegen mich ist die Hand des Ewigen ausgerückt.” Die sich direkt anschließende Erklärung in MS Berlin 1221 zu Rut 1,13 ist auf die Zukunft bezogen: Hier wird das Ausschau-­Halten der Schwiegertöchter nach möglichen und vor allem für sie “erreichbaren” Ehemännern thematisiert, was sich bei ihrer weiteren Begleitung Noomis – auch mit Blick auf den Kommentar zu Rut 1,11 – ebenfalls als schwierig darstellt, da es realistisch gesehen nicht vie645 Zur Punktierung findet sich auch bei Ibn Ezra keine Stellungnahme. Er geht ad loc. lediglich inhaltlich auf mögliche "Ehemann-­Kanditaten" für Rut und Orpa im Rahmen der Leviratsehe ein: ‫– רבים מחברינו חשבו כי זאת התשובה על‬ ‫(יא) העוד לי בנים‬ ‫ אילו היו‬:‫ רק אמרה להם‬.‫ לא מן האם‬,‫ ולא ידעו כי אבותינו העתיקו כי היבום לאחים מן האב‬,‫המכחישים‬ ‫ לא על דרך יבום‬,‫ הייתי נותנת אותם לכם תחת המתים; וזאת דרך חיבוב‬,‫לי בנים‬. Quelle: Mgketer Application, 1994.

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le weitere “Interessierten” gäbe – außer die durch Verwandtschaft verbundenen Kandidaten. So gerät das Thema Aguna in den Blickpunkt, was konnotativ auf eine voraussichtlich missliche Lage der Schwiegertöchter hindeutet. Dies wird formuliert als rhetorische Frage: “Wollt ihr etwa als Agunot sitzen?” Ähnlich wie MS Berlin 1221 argumentiert London 22413 zu Rut 1,13. Dort wird die Wortform ‫ הלהן‬zunächst als “für Euch” (Schwiegertöchter) hergeleitet, obgleich der biblische Kontext die Bedeutung “auf sie” (die evtl. zukünftigen Söhne Noomis) nahelegt. Somit streitet der Kommentar in London 22413 von Anfang an ab, dass die möglichen Söhne Noomis als mögliche Ehemänner für Rut und Orpa in Frage kämen. Auch hier wird das Thema Aguna in den Kommentar eingetragen, hier mit der Aussage: “Ihr werdet [doch nur] als Agunot sitzen [bleiben].”646 Hierbei ist bemerkenswert, dass die Auslegung sowohl in MS Berlin 1221 als auch in MS London 22413 auf das Thema der Aguna abhebt. Dies lässt sich mit der hier verwendeten Wortwurzel ‫ עגנ‬erklären, woher auch der Begriff Aguna stammt. Doch ist inhaltlich festzuhalten, dass Rut und Orpa keineswegs als “Agunot” zu bezeichnen sind, sondern vielmehr als Witwen. Jedenfalls ist mit dem Hinweis auf den Sachverhalt der Aguna im ersten Teil der Erklärung zu Rut 1,13 in MS London 22413 die Auslegung der rhetorischen Fragen des Bibeltextes zunächst beendet. Der stufenweise Aufbau der Argumentation war in der Erklärung zu Rut 1,12 bisher von der Vergangenheit über die Gegenwart zur Zukunft nachvollziehbar. Zu Rut 1,13 wendet die Erklärung das Augenmerk von der Zukunft der Schwiegertöchter (die laut Bibeltext und Kommentarzusammenhang aus Sicht Noomis in Moab noch heiraten und Kinder bekommen könnten) in die Gegenwart (in der keine reale Möglichkeit besteht, dass die verstorbenen Ehemänner Ruts und Orpas, nämlich Machlon und Kiljon zurückkehren). Daraufhin wird Rut 1,12 zitiert, was die Beendigung der Argumentation Noomis darstellt. Quintessenz davon ist, dass die Schwiegertöchter Noomis von ihr keine weiteren Ehemänner erwarten können, weder gegenwärtig noch zukünftig. Abschluss der ausgelegten Aussage Noomis bildet das Zitat aus Rut 1,13b, in dem betont wird, dass hauptsächlich Noomi von der Hand des Ewigen betroffen ist und eben nicht ihre 646 Zum Begriff Aguna Sg.; Agunot Pl.: Agunot sind gehindert, eine neue Ehe einzugehen. Als Aguna wird eine Frau bezeichnet, die keine neue Ehe eingehen kann, meist weil sie noch als verheiratet gilt, etwa weil ihr Ehemann keine Scheidungsurkunde ausstellen will oder kann. Letzteres beispielsweise, wenn der Ehemann verschollen bzw. nicht nachgewiesen tot ist. Hierzu auch Schereschewsky, Ben-­Zion: "Agunah". In: Elon, Menachem (Hrsg.): The Principles of Jewish Law. Keter Publishing House: Jerusalem 1975, Sp. 409–414.

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Schwiegertöchter. Damit wird die Aufforderung deutlich, dass Rut und Orpa ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen sollten. Nach dem Willen der Schwiegermutter bedeute dies konkreter die Rückkehr von Rut und Orpa nach Moab, was sowohl im Kommentar als auch im Bibeltext anklingt. Zu Rut 1,13 wird in MS London 22413 wie folgt argumentiert: Durch das im Bibeltext konstatierte “bitterer als Euch” bezieht der Kommentar den Text auf einen Vergleich zwischen Noomi und ihren Schwiegertöchtern mit ihren unterschiedlichen Lebensperspektiven und -verhältnissen. Im Kommentar wird dabei die Formulierung ‫“ להטיב‬es gut ergehen lassen” verwendet. Hiermit kann auf den Versorger-­Status geschlossen werden, den Noomi als Schwiegermutter ihren Schwiegertöchtern (aus Altersgründen) nicht bieten kann und der sich vielmehr umkehrt: Die Schwiegertöchter müssten für Noomis Wohlergehen sorgen, würden sie sie begleiten. Zum Abschluss der Erklärung zu Rut 1,13 wird auf den Kontext des Buches Rut verwiesen und festgestellt, dass eben diese Einschätzung eintraf, jedoch in anderer Form, als dies Noomi in Rut 1,13 äußert: Es war Rut, die für Noomis Wohlergehen aufkam, die es Noomi “gut ergehen ließ” (…‫שהטיבה‬ ‫)לה‬. Somit bezieht sich die Erklärung hier in MS Berlin 1221 zu Rut 1,13 auf den Gesamtzusammenhang des Buches, hebt ab auf erzählerische Zusammenhänge und deutet schon auf den Ausgang der Erzählung hin. MS Zürich Or 157 zu Rut 1,12–13 verwendet den Midrash zur Auslegung und geht auf die dreimalige Aufforderung Noomis zur Rückkehr ein. Das Zitat von R. Hanina ist im Midrash eingeleitet mit Hinweis auf andere Rabbinen, die die dargestellte Lehrmeinung in seinem Namen vertreten.647 Am Anfang der Ausführung im Midrash steht jedoch statt ‫ לכנה‬das Wort ‫שבנה‬. Damit stellt sich die Frage, welche eventuelle Midrash-­Vorlage der Verfasser oder aber Schreiber des Kommentars eventuell verwendete, oder ob er selbst es war, der diesen Teil des Lemmas abänderte. Die Aussage bleibt mit beiden Begriffen (‫ לכנה‬und ‫)שובנה‬ dieselbe.648 Dies kann aber als Auslassung interpretiert werden. Auch hier verläuft der Kommentar nicht verschronologisch. Erst in Rut 1,13 geht Orpa (nach Moab) zurück. Hier wird schon vorweggenommen, dass Orpa sich “nicht weiter abmüht”, nachdem Noomi sie nunmehr dreimal aufgefordert hat, zurückzugehen. Interessant ist des Weiteren, dass Noomi nicht wirklich dreimal ‫ לכנה‬sagt, son647 "…‫" "…רבי שמואל בר נחמני בשם רבי יודן ברבי חנינא אמר‬Rabbi Shemuel Bar Nachmani im Namen Rabbi Judans im [Namen] Rabbi Haninas," so RutR 2,16, siehe Midrash Rabba HaMevoar. Rut, S. 81. 648 Die Ausführung der Aussage ist parallel zu der des Midrash, wobei aber nicht ‫ואם‬ ‫ הטריח יותר מכאן מקבלין אותו‬wiedergegeben wird, sondern einfach ‫ואם הטריח יותר מקבלין‬ ‫אותו‬.

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dern in Rut 1,11 ihre beiden Schwiegertöchter mit ‫ תלכנה‬auffordert. In Rut 1,12 verwendet Noomi in MT die Form ַ ‫לכן‬, was ebenfalls nicht der exakte Wortlaut der ausgelegten Aufforderung Noomis zur Rückkehr ihrer Schwiegertöchter ist. Im Gegensatz dazu ist das Wort ‫ שבנה‬dreimal in derselben Form geschrieben und wäre daher für die Auslegung zur Stelle vorzuziehen. Der Kommentar paraphrasiert den Bibeltext, wobei Zitate aus dem ausgelegten Vers aufgenommen, andere Teile des ursprünglichen Verses ausgetauscht und mit neuen Versatzstücken zusammengesetzt werden.649

Rut 1,14: Und sie erhoben ihre Stimmen und weinten weiter. Und Orpa küsste ihre Schwiegermutter, aber Rut blieb anhänglich bei ihr. So wendet sich der Kommentar in MS Berlin 1221 Rut 1,14 zu und bringt zunächst eine “profane”, realitätsnahe Erklärung für das Weinen und Küssen der Schwiegertöchter beim Abschied vor, was als “Verhalten beim Abschied wie es in der Welt üblich sei” erklärt wird. Hier wird das Weinen [wie schon vorher der Verweis auf einen Abschiedskuss in der Erklärung zu Rut 1,9b] als übliches Verhalten in der Welt ausgelegt. Weiter wird auf die Entscheidung der Schwiegertöchter eingegangen, die Aktion ist nun an ihnen. Dies passt zum vorherigen Ablauf der Argumentation Noomis und ihres Appells an die Schwiegertöchter, die jedoch nicht beide der Aufforderung Noomis folgen. Rut bleibt bei Noomi, auch nachdem Orpa ihre Schwiegermutter geküsst hat. Der Kuss bedeutet offensichtlich Abschied von der Schwiegermutter, was im Bibeltext jedoch nicht explizit steht. Dort wird nur dargestellt, dass Orpa ihre Schwiegermutter küsst.650 Auch MS London 22413 zu Rut 1,14 erklärt die Formulierung ‘‫ותשק ערפה‬ ’‫ זו נשיקה של פרישות‬Und Orpa küsste als “Abschiedskuss”. Weiter argumentiert

649 Dies ist beispielsweise in der Auslegung zu Rut 1,12 in Zürich Or 157 deutlich zu sehen: MT BHQ: … ‫[ ּכִי ָאמ ְַרּתִ י יֶׁש־לִי תִ ְקוָה ּגַם ָהי ִיתִ י ַה ַּליְלָה לְאִ יׁש ְוגַם יָלַדְ ּתִ י ָבנִים‬zitiert aus Biblia Hebraica Stuttgartensia, BHS (1983) Accordance]; MS Zürich Or 157: ‫כי‬ ‫[ אמרתי אפי' יש לי תקוה להינשא לאיש וגם ילדתי‬Hervorhebungen durch Verfasserin]. 650 Hier klingt das Thema "Kuss" an, wobei "Abschiedskuss" in die Nähe der Funktion als Motiv tritt. Hierbei könnte thematisiert werden, ob Kuss im biblischen Kontext noch andernorts als "Abschiedskuss" auftritt. Im weiteren Kontext fällt außerdem "Judaskuss" als Motiv ein. Diesbezüglich könnte weiter der Frage nachgegangen werden, ob Letzteres durch die Formulierung "Abschiedskuss" im Kommentar vielleicht extra so anklingen sollte.

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MS London 22413 jedoch in Hinblick auf den Gesamt-­Zusammenhang des Textes, nämlich dass gleich darauf im Bibeltext konstatiert würde, dass “Rut anhänglich bei ihr [also bei Noomi] blieb” ‫ורות דבקה בה‬. Dies stehe so da, eben weil sich Orpa von Noomi trennte. Wieder ist hier auf den Bibeltext hinzuweisen, der lediglich darstellt, dass Orpa Noomi küsste. Erst in Rut 1,15 wird in Noomis wörtlicher Rede auf ihre Rückkehr Bezug genommen. Es ist festzuhalten, dass der Kommentar zu Rut 1,14 auch hier auf die Erzählstruktur eingeht. Diese Art der Kommentierung will womöglich einen Bruch in der Erzählung ausschließen, indem konstatiert wird: ‫ ורות דבקה בה‬/‫“ מפני שזו נפרדה צריך לומ‬Weil diese sich von ihr trennte, muss [im Bibeltext gleich darauf] gesagt werden, und Rut blieb anhänglich bei ihr.”

Rut 1,15: Und sie sagte: “Siehe, deine Schwägerin ist zurückgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott. Kehre zurück, deiner Schwägerin hinterher!” Im Bibeltext schließt sich nun der letzte Einspruch Noomis an, gegen ihre Begleitung durch Rut. MS Berlin 1221 führt mit dem Kommentar zur Stelle lediglich eine parallele Argumentation der beiden biblischen Vers-­Hälften herbei, indem zum Lemma ‫ ותאמר הנה שבה יבמתך אל עמה ואל אלהיה‘ שובי אחרי יבמתי‬hinzugefügt wird ‫“ אל עמך ואל אלקיך‬Und sie sagte: Siehe, deine Schwägerin ist zurückgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott. Kehre zurück, deiner Schwägerin hinterher! – Zu deinem Volk und zu deinem Gott.” Dagegen geht MS London 22413 auf den Kontext des biblischen Textes ein, aber auch auf die dort hineingelesene Konversion Ruts. Voraussetzung der Heirat zwischen den Schwiegertöchtern und Söhnen Noomis war demnach der Übertritt zum Judentum gewesen. Die Heirat wird in MS London 22413 also mit der Zugehörigkeit zur Religion verbunden. Dabei ist zu beachten, dass in MS London 22413 “Heirat” und “Religion” miteinander verbunden werden, zusätzlich zur Argumentation in MS Berlin 1221 zu Rut 1,10, wo “Heirat” mit Zugehörigkeit zum “Volk” in Verbindung gebracht wird. Der Kommentar zu Rut 1,15 in MS London 22413 rekurriert auf die vorausgesetzte Konversion von Orpa und Rut im Rahmen der Heirat mit den Söhnen Elimelekhs und Noomis und schließt daran anknüpfend die Erklärung zu Rut 1,15 ab mit den Worten ‫עמה‬ ֯ ‫ועתה שבה אל‬ ‫ …“ …לגי֯ ותה‬Und jetzt kehrte [nur Orpa] zurück zu ihrem Volk, [das heißt] zu ihrer Eigenschaft als Nichtjüdin.”

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Rut 1,16–17: Und Rut sagte: “Bedränge mich nicht, dich zu verlassen, um hinter dir weg zurückzukehren. Denn wohin du gehen wirst, will [auch] ich hingehen. Und wo du übernachten wirst, will [auch] ich übernachten. Dein Volk sei mein Volk und dein Gott sei mein Gott. Wo du sterben wirst, will ich [auch] sterben, und dort will ich [auch] begraben sein. Der Ewige tue mir dies [und jenes] an, denn [allein] der Tod soll zwischen dir und mir trennen.” Die Erklärungen zu diesen beiden Versen werden in allen Kommentaren zusammengefasst. Dies weist auf die erst spätere Einteilung in Verse hin. MS Berlin 1221 argumentiert hier zum ersten und letzten Versteil auf literarischer Ebene und zwar bezogen auf den Textzusammenhang. Hierfür wird mit dem Wortlaut des Bibeltextes argumentiert und Bezug genommen auf ‫“ לשוב‬zurückzukehren”, was in dieser Wortform in Rut 1,7 und hier in Rut 1,16 vorkommt.651 Dieser Wortlaut wird mit dem Fortlauf des Bibeltextes Rut 1,16 selbst ausgeführt und genauer gefasst: ‫“ לשוב‬zurückkehren” bedeutet demnach aus dem Kontext “hinzugehen, wo [Noomi] hingeht” und “zu übernachten, wo [Noomi] übernachtet”. Hier wird im Kommentar indirekt deutlich, dass “zurückkehren” für Rut nicht dasselbe wie für Noomi bedeutet, sondern “nur”, mit ihr zu gehen, in ein neues Land. Da Rut wohl kaum schon einmal in Beit Lechem gewesen war, kann sie auch nicht dorthin zurückkehren. Im Kommentar zu Rut 1,16 folgt eine inhaltliche Ausführung, wozu ich bisher in der Traditionsliteratur keine Parallele gefunden habe: ‫מוטב ללון עמך כאורח נטה‬ ‫“ ’ללון ‘ולא להשתקע במקומי בפלטין חשובין‬Es ist besser, bei dir zu bleiben, [also lieber] wie ein Umherziehender bleiben, als in bedeutsamen Palästen zu siedeln.” Interessanterweise wird hier mit ‫“ מוטב‬besser” argumentiert und damit in die Form eines Vergleiches gesetzt. Im Hinblick auf die Auslegung in MS London 22413 erinnert dies an die Wortform ‫“ להטיב‬gut ergehen lassen” aus dem Kommentar zu Rut 1,13, das dort ebenfalls in einem Vergleich auftritt: zwischen dem zukünftigen “Wohlergehen” Noomis gegenüber dem ihrer Schwiegertöchter. Weiter argumentiert MS Berlin 1221 literarisch bezogen auf den Textzusammenhang und zitiert hier Rut 1,15. Bezugswort ist nun keine Wortform von √‫שוב‬ (die zwar auch im Zitatvers auftritt), sondern ‫“ עם‬Volk” und ‫“ אלהים‬Gott”. Dabei ist interessant, dass schon in Rut 1,15, also im Bibeltext selbst, eine Distanz zu Orpa 651 Rut 1,7 und 1,16 sind die beiden einzigen Stellen im Buch Rut, wo ‫ לשוב‬in dieser Wortform auftritt.

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aufgebaut (…deine Schwägerin ist zurückgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott), jedoch nicht festgestellt wird, ob Volk und Gott Orpas nun auch Volk und Gott Ruts seien. Dies stellt nun der Kommentar heraus, indem Rut 1,15b und Rut 1,16b als gegenseitige Bezugnahme nebeneinander gestellt werden: “ihr [also Orpas] Gott” [ist nun (wieder) ihr Gott und ein anderer als] “dein [also Noomis] Gott”. Rut entscheidet sich hiermit gewissermaßen (wieder) für “Noomis Gott”. Interessanterweise geht der Kommentar sehr nahe am Bibeltext auf Ruts Aussage “Wo du sterben wirst, will ich [auch] sterben, und dort will ich [auch] begraben sein” ein, und argumentiert auch hier mit dem näheren Kontext, nämlich mit dem “Ende des Verses”. Durch die Zusammenführung beider Versteile aus Rut 1,17 wird die Aussage in anderer Weise zugespitzt, als dies im Bibeltext (mit der dazwischenliegenden Schwurformel, die im Kommentar ausgelassen ist, aber im Wortlaut des Bibeltextes die Aussage ihrerseits verschärft) der Fall ist: Aussage ist, dass Rut in jeder Lebenslage bei Noomi bleiben will. Weiter geht der Kommentar zu Rut 1,17 auf den Bestattungsort Ruts ein, wobei sie annimmt, nach Noomi zu sterben und bei dieser begraben werden will. Gegenüber der Aussage des Bibeltextes wird hier lediglich das Motiv der Liebe eingefügt, die als Grund für Ruts Wunsch angeführt wird. MS Berlin 1221 zu Rut 1,17: ‫ושם אקבר‘ פת’ גם כשאמות אבקש שיקברו אותי אצלך מפני שה’ אהבה שהייתה בינותינו בחיים‬ “Und dort will [auch] ich begraben sein – [Dessen] Erklärung [ist]: Auch wenn ich einstmals sterben werde, will ich [trotzdem noch] bitten, dass man mich bei dir beerdigen möge, wegen der Liebe, die zwischen uns in [unseren] Lebzeiten war.”

Die Erklärung ist bisher also sehr nahe an der Aussage des Bibeltextes und argumentiert aus dem Inhalt des Kontextes, ohne jedoch auf einzelne Bibelstellen einzugehen. Weiter schließt der Kommentar in MS Berlin 1221 zu Rut 1,17 mit einer Beobachtung zum Wort ‫שבה‬. Dabei wird festgestellt, dass ‫ שבה‬in dieser Form nur noch in Rut 1,15 auftritt. An anderen Stellen tritt die Wortwurzel in anderen Wortformen auf, z. B. in Rut 1,6 (hinsichtlich Noomi, die aus Moab zurückkehrt: ‫)וַּתָ ׁשָב‬, und Rut 2,6 (bezüglich Rut, die mit Noomi aus Moab zurückgekehrt ist: ‫ּׁשבָה‬ ָ ‫) ַה‬. Hiermit wird argumentiert, dass Orpa eben nicht nur zu ihrem Volk zurückkehrte, sondern auch zu ihrem Gott. Damit ist klar, dass sie sich an einer anderen “Stelle” befunden haben muss, nämlich zwischenzeitlich eine andere Religion angenommen haben musste (jene von Noomis Familie), da sie sonst nicht zurückkehren könnte. Der Wortlaut des Bibeltextes liefert für diese Argumentation Gründe. Es ist also eine Argumentation inhaltlicher Art mit Hilfe des Wortlautes des Bibeltextes.

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MS London 22413 zu Rut 1,15 geht ebenfalls auf den Wortlaut von ‫ שבה‬ein, wobei hier der Zusammenhang der Rede zum Ereignis in doppeldeutiger Form verstanden wird: einerseits auf der Ebene der “direkten” Aussage des Bibeltextes (nämlich, dass Orpa zurückgekehrt sei), und andererseits, dass Rut nicht damit anfing, ebenfalls zurückzukehren. Die Perfektform von ‫“ שבה‬sie ist zurückgekehrt” hilft bei der Argumentation insofern, als dass diese Formulierung als abgeschlossene Vergangenheit verstanden werden kann. Orpa ist dementsprechend schon zurückgekehrt, während Rut damit keinesfalls begonnen hat. Bei dieser Interpretation wird ’‫ א’כ‬als Abkürzung für ‫ אמר כך‬verstanden. Auch hier im Kommentar von MS London 22413 wird festgestellt, dass Rut und Orpa zum Judentum übergetreten seien, als sie Machlon und Kiljon heirateten. Somit kann MS London 22413 weiter ausführen, dass Orpa, indem sie zu ihrem Volk zurückkehrte, sich auch zum “Nichtjudentum” zurückwandte. Somit ist auch im Kommentar das Verständnis eingetragen, dass Rut und Orpa mit ihrer Heirat die Religion wechselten. Die folgenden Auslegungen beziehen sich auf die Sprache des Bibeltextes, führen eine Argumentation mit dem Textzusammenhang und einzelne Bibelstellen zusammen. Der erste Teil des Bibeltextes wird in seiner Formulierung nicht als Bitte aufgefasst. Der Ausdruck ‫“ אל תפגעי‬Dringe nicht in mich” wird dezidiert nicht als Bitte verstanden, sondern ist laut einer exemplarischen Umformulierung als Aufforderung zu verstehen. Der Beispielsatz in London 22413 zu Rut 1,16 f. unterstreicht dies folgendermaßen: ‫ לו אל תבא עמי‬/‫כעומד לפני חברו ואמ‬ ֯ ‫אל תפגעי אינו אלא לשו' בקשה אלא‬ “Dringe nicht in mich – dies ist aber nichts [anderes als der] Ausdruck einer Bitte, sondern [zu verstehen] wie wenn jemand vor seinem Freund steht und ihm sagt, ‚Komm [bloß] nicht mit mir!‘ “

Durch diese beispielhafte Formulierung mit dem Hinweis auf einen Freund erhält die Interpretation die Eigenschaft einer freundschaftlichen und damit durchweg positiven, wohlmeinenden Aufforderung. Des Weiteren wird mit dem Textzusammenhang argumentiert, indem andere Verse herangezogen werden als in MS Berlin 1221. MS London 22413 zu Rut 1,16: “Denn wenn (‫)כי אם‬, wohin du gehen wirst, will ich [auch] gehen – ist hinzugefügt zu [der vorherigen Stelle] Kehrt um, meine Töchter, geht (Rut 1,12); und wo du übernachten wirst, will ich [auch] übernachten – ist hinzugefügt zu [der vorherigen Stelle] eine jegliche Frau in ihrer Mutter Haus (Rut 1,8), [als] Noomi zu ihr sagte, in das Haus ihrer Mutter zurückzukehren.”

Die Formulierung ‫…“ …מוסב על‬ist hinzugefügt zu” verweist im Kommentar auf den weiteren Kontext in Rut 1. Inhaltlich passende Versteile aus Rut 1,12

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12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

und Rut 1,8 werden angeführt. Dabei müssen dort nicht dieselben Wortwurzeln auftreten. Außerdem enthält MS London 22413 eine inhaltliche Ausführung, in der Heimat und Fremde einander gegenübergestellt werden. Hier geht es insbesondere um den Status des Bürgers im Verhältnis zu seinen Mitbürgern: In seinem Heimatland ist der Einwohner respektiert, im Gegensatz zu den “Stammfremden” die lediglich als “Gast” bezeichnet werden. Damit könnte auf nicht vorhandene Rechte von Fremden angespielt werden. Interessant ist hierbei, dass das Motiv ‫“ ארץ מולדת‬Heimatland” in MS Berlin 1221 zu Rut 1,9 aufgetreten war.652 Im weiteren Verlauf werden Einzelteile aus Rut 1,15–17 in einen engeren dialogischen Zusammenhang gesetzt. Neuer Aspekt dabei ist die Gefühlsform, die Rut durch den Kommentar zugesprochen wird. Es wird angenommen, sie rede hier von ihrer Betrübtheit, was auf eine emotionale Bindung Ruts zu Noomi hinweisen könnte. Bemerkenswert ist zum Abschluss der Kommentierung von Rut 1,16 des Weiteren, dass sich hier eine ähnliche Tendenz wie in MS Berlin 1221 ausmachen lässt. Sowohl hier als auch dort wird der Begriff “Liebe” als Motiv für Ruts Handeln in die Argumentation des Kommentars eingebracht. Es folgt ‫ ְאיי ַאלֹוק' ְמא וֹולִרי ְיא פַרא פודִ יר‬, was eine mehrteilige mundartliche Glosse darstellt.653 Den Abschluss der Kommentierung von Rut 1,17 bildet eine erweiterte Wiedergabe des letzten Versteils, die für sich selbst spricht: ‫כי המות יפריד‘ המות יכול‬ ‫להפריד בינינו אך אחר לא יפריד בינינו‬: Denn [allein] der Tod wird uns trennen – [nur] der Tod kann zwischen uns trennen, aber sonst [kann] nichts zwischen dir und mir trennen. Insgesamt ist der Kommentar in MS London 22413 zu Rut 1,16–17 gut verständlich. MS Zürich Or 157 zu Rut 1,16–17 gibt nach der synonymen Wiedergabe zu Beginn des Verses bJeb 47b wieder: ‫„ אל תפנעי בי אל תפצרי בי‬Dringe nicht in mich – [ist ein Synonym von] nötige mich nicht.”

Rut 1,18: Und sie sah, dass sie sich fest entschlossen hatte, mit ihr zu gehen. Und sie hörte auf, auf sie einzureden. MS Berlin 1221 argumentiert hier mit Bibelstellen aus dem Kontext des Buches Rut. Interessanterweise wird hier ein Vergleich ähnlich eines Wortgefechts zwischen den beiden Protagonistinnen Rut und Noomi dargestellt, wobei ihr Dialog 652 Hier ließe sich weiter auf die Themen "Fremde," "Nokhri" und "Ger" sowie "Fremdheit" eingehen, was im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht, sondern an anderer Stelle ausgeführt werden kann. 653 Zur möglichen Interpretation dieser mundartlichen Glosse vgl. Kapitel "Le'azim im Kommentar zu Rut 1".

12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

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als Diskussion interpretiert wird. Dabei wird im Kommentar dargestellt, dass Ruts Worte stärker sind als die von Noomi. MS Berlin 1221 zu Rut 1,18: .’‫…דברי רות שאמ’ אל תפגעי בי לעזבך’ וגמר’ אמצי על דברי נעמי שאמרה שובי אחרי יבמתך‬ … Die Worte Ruts, die sagte: Dränge mich nicht, dich zu verlassen, um hinter dir [weg] zurückzukehren usf. (Rut 1,16), waren stärker als die Worte Noomis, die gesagt hatte: Kehre zurück, deiner Schwägerin hinterher! (Rut 1,15)

Diese Interpretation einer Kontroverse zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter wird aufgrund der Wortwurzel √‫“ אמצ‬stark” in die Erklärung eingetragen: Die Worte Ruts waren “stärker” als die Noomis. Hierbei lässt sich auf die “Diskussionskultur” aus dem (rabbinischen) Judentum rekurrieren, die strittige Punkte mit Worten und Argumenten ausfocht. Derart gestaltet sich hier der Kommentar mit seiner Argumentation unter Zuhilfenahme von Bibelstellen aus dem näheren Kontext, welche selbst als Argumente in einer Diskussion interpretiert werden. Weiter wird die im Lemma verwendete Wortwurzel √‫“ אמצ‬stark” als Ausgangspunkt der Argumention verwendet. Damit gestaltet sich diese Erklärung als eine Interpretation aufgrund des Wortlautes des biblischen Textes, einerseits mit der Argumentation aufgrund der Wortwurzel √‫“ אמצ‬stark”, die in Rut 1,18 steht, und andererseits aufgrund des Verständnisses eines Wortgefechts zwischen Noomi und Rut, welches durch Zitate aus dem näheren Kontext veranschaulicht wird. Es folgt die Überleitung zum folgenden Vers Rut 1,19, der selbst als Ausführung der Erklärung eingeführt wird: Aus MS Berlin 1221 zu Rut 1,18: ‫וקיבלה עליה להוליכה‬ ‫“ ’עמה כמ’ שמפר‬Und sie [also Noomi] nahm es auf sich, sie [also Rut] mit sich zu führen, wie es [im weiteren Verlauf der Erzählung] ausgeführt ist.” Inhaltlich ist die negative Konnotation bemerkenswert, mit der zum gemeinsamen Weitergang Noomis und Ruts übergeleitet wird. Eventuell soll damit die nicht unbedingt erfreute Reaktion Noomis ausgedrückt werden. MS London 22413 dagegen paraphrasiert in der Erklärung den Bibeltext zunächst. Für die Auslegung des ersten Lemmas wird dabei eine variierte Wortform mit der ebenfalls im Bibeltext auftretenden Wortwurzel √‫ אמצ‬dargestellt: Ein Nitpael, der eine doppelt reflexive Form des Wortes darstellt und somit einerseits die aktive, veranlassende Seite bei Rut ausdrückt, sie durch die Wortform aber gleichzeitig auch als passiven Teil darstellt. Damit wird inhaltlich deutlich, dass Rut sich selbst fest entschlossen habe, aber gleichzeitig auch (von einem externen oder internen Part) zu ihrem Entschluss veranlasst wurde.654 Des Weiteren 654 Diese hier als "passiv" dargestellte Position Ruts kann auch als "nicht-­autonom" ausgedrückt werden. Zu den verschiedenen Aspekten, die im Nitpael vorhanden sind, führt Tobin folgende auf: "The Nitpael – nitKaTeV – 'it was written in the corres-

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12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

wird dargelegt, dass Noomi aufgehört habe, Rut um Rückkehr zu bitten, wobei im Kommentar “Kehre zurück” aus Rut 1,15 aufgenommen wird. Dies lässt sich bis hierher aus dem Bibeltext erschließen, jedoch wird “Kehre zurück” ebenfalls ausgeführt und als Ziel “dein Volk” genannt. So wird auch an dieser Stelle das Thema “Volk” (und damit indirekt das Thema der Religion) in die Erklärung in MS London 22143 zu Rut 1,18 eingetragen. MS Zürich Or 157 zu Rut 1,18 gibt im weiteren Verlauf bJeb 47b als Erklärung zur Stelle wieder.

Rut 1,19: Und die beiden gingen, bis sie nach Beit Lechem kamen. Und die ganze Stadt geriet über sie in Aufregung und sagte: “Ist diese [da nicht etwa] Noomi?!” MS Berlin 1221 argumentiert zu Rut 1,19 mit dem äußerlichen Aussehen Noomis und bezieht dies auf “Not in schlechten Zeiten.” Dabei erinnert die Formulierung von ‫העתים‬ ֯ ‫ צוק‬im Kommentar an Dan. 9,25, wo dies jedoch mit “‫ ”ובצוק העתים‬und in der Not der Zeiten formuliert ist. Der Kontext im Buch Daniel ist dabei die Prophetie des Wiederaufbaus Jerusalems, genauer: der Stadtbefestigung trotz “Zeiten der Not.” MS London 2214 enthält keinen Kommentar zu Rut 1,19. MS Zürich Or 157 legt Rut 1,19 zunächst mit einem Zitat aus RutR 3,5–6 bzw. Yalkut Shimoni zu Rut § 601 aus, wo sich die Aussage von R. Abahu findet. Darauf folgt die Auslegung der Frage “Ist diese [da] Noomi?” Diesbezüglich wird zunächst die Punktierung des ‫ ה‬He am Beginn des Satzes ausgelegt und zwar als rhetorische Frage. Dies ist eine auf den Stil des Kommentars bezogene Auslegung, die mit der Punktierung eines Buchstabens argumentiert:655 Der Buchstabe ‫ה‬ “He” sei mit einem Chataph Patach punktiert.656 Des Weiteren geht MS Zürich pondence' is marked for the three interlocked meanings: objective; non-­autonomous multiple/non-­integral perception of original multiple/non-­integral perception;" siehe Tobin, Yishai: Invariance, Markedness, and Distinctive Feature Analysis. A Contrastive Study of Sign Systems in English and Hebrew (Amsterdam Studies in the Theory and History of linguistic Science. Series IV, Current Issues in Linguistic Theory 111). John Benjamins: Amsterdam 1994, S. 263. 655 Dies kann als typisch für Rashi angemerkt werden, mit Hinweis auf Hag. 1,4; Hiob 8,3 u. a. Ich danke Prof. Dr. Hanna Liss für diese Anmerkung. 656 Anders schreibt hier MS Copenhagen 35, das ‫" ה‬He" sei mit einem Chataph Kamatz punktiert, was der Erklärung in MS Zürich Or 157 zu Rut 1,11 entspricht, s. o. Hier könnte des Weiteren angenommen werden, dass dem Ausleger eine Form des Masoretischen Textes vorlag, wie sie in MT BHQ wiedergegeben ist (als Abschrift des

12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

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Or 157 auf den anzunehmenden Reichtum Noomis (und ihrer Familie) vor deren Auszug aus Beit Lechem nach Moab ein. Mit der Verwendung des Wortes ‫לצאת‬ “hinausziehen” kann einerseits ein Hinweis auf den Auszug der Familie aus Beit Lechem nach Moab in der Erklärung vorhanden sein. Andererseits kann – da von Maultieren die Rede ist, auf denen Noomi hinausgezogen sei – gemeint sein, dass Noomi nicht auf eigenen Füßen ging, bzw. ihre Füße nicht den Boden berührten (und sie die Voraussetzungen mitbrachte, sich diese Eitelkeit zu gönnen). Mit diesem Hinweis auf den Ritt auf Maultieren und der damit herausgelesenen nicht vorhandenen Berührung des Bodens kann im Kommentar selbst ein Hinweis auf die interne Verbindung zur Erklärung in Rut 1,7 vorhanden sein. Dort steht nämlich in Hinblick auf die drei Frauen, die auf dem Wege gingen, dass sie barfuß gingen. MS Copenhagen 35 fügt hinzu, dass sie damit den “Landesboden berührten”.657 Außerdem verweist die Auslegung auf die (vergangene) Schönheit Noomis, was im Vergleich der Kommentar-­Fassungen an die Erklärung des Beginns des Verses von Rut 1,19 in MS Berlin 1221 erinnert, wo vom veränderten Angesicht Noomis die Rede ist. Ob nun interne Verbindung zwischen verschiedenen Teilen des Kommentars oder externe Verbindungen vom Kommentar zu anderen Kommentaren bestehen, festzuhalten ist, dass im letzten Teil der Erklärung zu Rut 1,19 die Thematik des ökonomischen und sonstigen Abstiegs im Ausland in MS Zürich Or 157 zur Sprache gebracht wird. √‫“ יצא‬hinausziehen” kann dabei als Schlüsselwort genannt werden, da dies zweimal auftritt, im letzten Satz in Verbindung mit dem Begriff ‫“ חוצה לארץ‬ins Ausland”.

Codex Leningradensis B19A). Dieser Sachverhalt wäre jedoch an anderer Stelle zu diskutieren. In der Auslegung wird aber nicht auf masoretische Angaben Bezug genommen, wobei sich gerade zu ‫ הזאת‬ein Hinweis diesbezüglich angeboten hätte. Die selbe Punktierung von ‫ הזאת‬in Rut 1,19 kommt fünfmal vor. Die diesbzgl. Angabe im textkritischen Apparat der Biblia Hebraica Stuttgartensia ist mM 2289, siehe dazu Weil, Gérard E. (Hrsg.): Massorah Gedolah Iuxta Codicem Leningradensem B 19 a. Bd. 1, Catalogi. (Biblia Hebraica Stuttgartensia: Pars 2, Masora magna 200,1). Pontificium Institutum Biblicum: Rom 1971, S. 260. Die betreffenden Stellen sind demnach Jes. 23,7, Hiob 20,4, Hiob 35,2, Rut 1,19, Klgl. 2,15. 657 Auf die Bedeutung von "berühren" √‫ נגע‬in Bezug auf das Konzept der (Un-)Reinheit sowie von "Land", das auch mit dem Themenkomplex Reinheit in Verbindung gebracht werden kann, kann an dieser Stelle leider nicht weiter eingegangen werden.

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12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

Rut 1,20: Aber sie sagte zu ihnen: “Nennt mich nicht mehr Noomi! Nennt mich Mara! Denn der Ewige hat es mir sehr bitter ergehen lassen”. MS Berlin 1221 greift in der Erklärung zum in Rut 1,20 genannten Namen “N­oomi” den Referenzvers Hiob 21,13 auf, wo ebenfalls die Wortwurzel von “Noomi” √‫ נעמ‬auftritt. Dort trägt sie die Bedeutung von “angenehm”, und durch die Formulierung “angenehme Tage” bezieht sich inhaltlich auf Noomi als Person, der es eben nicht “gut” geht. Weiter ist in Hiob 21,13, was in der Erklärung aufgegriffen wird, von “Tagen” die Rede, wobei diese Formulierung ebenfalls auf Rut 1,20 bezogen und konstatiert wird “Vorbei sind meine angenehmen Tage.” Es folgt die Aufforderung Noomis, sie zukünftig (und damit ihre Lebensumstände besser beschreibend) “Mara” zu nennen, was übersetzt mit “Bittere” wiedergegeben werden kann. Die Erklärung hierzu konstatiert: “Eine bittere Seele.” MS London 2214 stellt dieselbe Erklärung dar und bezieht “bitter” auf “Seele”, und zwar mit denselben Worten ‫“ נפש מרה‬eine bittere Seele”. Der Argumentation Noomis im Bibeltext folgend wird dies in einen Gegensatz zu √‫נעמ‬, “angenehm” gestellt. Außerdem verläuft der Aufbau der Erklärung zu Rut 1,20 in MS London 22413 wie zum vorherigen Vers, indem im Schlussteil eine Überleitung zum nächsten Vers auftritt.658 MS Zürich Or 157 enthält keinen Kommentar zu Rut 1,20.

Rut 1,21: “Ich bin voll [hier weg] gegangen, und in Leere hat er mich nun zurückkehren lassen. […] Und der Ewige hat gegen mich ausgesagt.” Die Erklärung in MS Berlin 1221 geht ein auf die Bedeutung des Wortes “leer” ‫ ריקם‬und bringt eine allem Anschein nach mundartliche Übersetzung: ‫ויודמט‬, was wohl ebenfalls “leer” bedeutet.659 Anschließend wird eine Bibelstelle zitiert, wobei dieser Wortlaut sowohl in Ex. 23,15 als auch in Ex. 34,20 auftritt. Es folgt eine inhaltliche Erklärung des nächsten Lemmas, indem der Wortlaut umformuliert, jedoch mit Verwendung der Wortwurzel √‫ ענה‬wiedergegeben wird: ‫העיד‬ ‫“ בי‬Er zeugte gegen mich”. Daraufhin wird ein Teil aus Jer. 14,7 wiedergegeben, wo ebenfalls die Wortwurzel √‫ ענה‬verwendet wird. Diese folgt aber im Zitat aus 658 Damit wird auf den folgenden Vers (Rut 1,21) als Auslegung des aktuellen Versteils (Rut 1,20b) hingewiesen. 659 Zur möglichen Interpretation dieser mundartlichen Glosse siehe Kapitel Le'azim im Kommentar zu Rut 1.

12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

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Jeremia auf eine Wortform von √‫עון‬, womit eine wörtliche Ähnlichkeit beider Begriffe dargestellt wird, die jedoch verschiedenen Inhalt haben: ‫ענותי ענו‬660 Meine Missetaten zeugten gegen mich. Aus dem in Rut 1,21 konstatierten Sachverhalt, dass Noomi “leer” zurückgekehrt ist, lässt sich schlussfolgern, dass es sich dabei um “Strafe” handelt. Dies wird mit der Erklärung auf Grundlage der Wiedergabe von Jer. 14,7 impliziert und in den Verstehenshorizont eingebracht. Diese Argumentation erinnert an das Konzept des Tun-­Ergehen-Zusammenhangs, wonach jegliche Handlung eine Konsequenz nach sich zieht, bzw. ein einschneidendes Ereignis immer eine Konsequenz für eine zuvor getane Tat darstellt. Weiter geht der Kommentar in MS Berlin 1221 auf die sprachliche Formulierung im Bibeltext ein, und zwar auf die Wiedergabe der Präposition des Partikels ‫ב‬, der, wenn er im hebräischen Text auf den Begriff ‫“ ענייה‬Antwort” folgt, den gesamten Ausdruck in die Bedeutung einer Zeugenaussage stelle. Dies argumentiert MS Berlin 1221 nach der Wiedergabe einiger Bibelstellen (Gen. 30,33; Ex. 20,16; 1. Sam 12,3 sowie eine etwas variierte Wiedergabe von Neh. 13,21). Weiter führt MS Berlin 1221 aus, dass die hebräische Formulierung, bei der die Präpositon ‫ ב‬nicht in Verbindung mit dem Begriff ‫“ ענייה‬Antwort” auftritt, der Ausdruck für eine Anklage sei, die Belegstelle Hab. 2,11 folgt. Bemerkenswert ist hier, dass sich die inhaltlich gleiche Erklärung ebenfalls in MS London 22413 findet. Dort wird die Erklärung mit der Formulierung ‫“ ומסורת זה תפוש בידך‬Und diese Überlieferung merke dir” eingeleitet, in MS London 22413 hingegen mit ‫זה הכלל‬ ‫“ כל מקום‬dies ist eine allgemeine [Verständnisregel]…” Ein weiterer Unterschied zur Formulierung beider Kommentar-­Fassungen ist, dass MS London 22413 die Erklärung mit der Formulierung ‫’פתר‬, “Erklärung” einleitet, nicht wie MS Berlin 1221 mit ‫“ לשון‬Ausdruck”. Die Auslegung zu Rut 1,21 in MS Berlin 1221 wird mit dem Hinweis auf die Quelle der Erklärung abgeschlossen, die bezeichnet wird mit Maḥberet Dunash (…‫ …“ כך מצאתי במחברת דונש‬So fand ich es im [Werk] Maḥberet Dunash erklärt.”). Dies lässt sich beziehen auf ‫מחברת מנחם‬ Maḥberet Menaḥem, von Menaḥēm Ibn-­Sārûq, wo unter dem Eintrag ‫“ ען‬Strafe” der Hinweis auf das Anführen von Beweisen im Streitfall mit dem Hinweis auf Rut 1,21 belegt wird.661 Weiter finden sich auch in ‫ ספר תשובות דונש בן לברט‬Sefer Teshuvot Dunash ben Labrat unter dem Eintrag ‫ וענה הוא יעיד‬Ausführungen, 660 So MS Berlin 1221, Jer. 14,7 MT BHS schreibt plene ‫עונותי ענו‬. 661 "[…] )‫ וה' ענה בי (רות א כא‬:'‫ "ען […] ובמחלקה הר‬siehe ‫ הוא ספר הראשון אשר‬.‫מחברת מנחם‬ ‫חובר על שרשי לשון אבותינו לשון הקודש‬. Filipowski, Herschell (Hrsg.). (Antiquissimum Linguae Hebraicae et Chaldaicae Lexicon). Filipowski: London 1854, S. [189]. "‫" הר׳‬ wird hier als Abkürzung von ‫ הביא ראיה‬verstanden, vgl. Ashkenazi, Shmuel / Jarden, Dov: Ozar Rashe Tevot. Thesaurus of Hebrew Abbreviations. Rubin Mass: Jerusalem

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12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

in denen mit Hinweis auf Rut 1,21 auf die Formulierung einer Zeugenaussage hingewiesen wird.662 In MS London 22413 beginnt die Auslegung zu Rut 1,21 ähnlich der Auslegung zu MS Zürich Or 157 zur Stelle: Dabei wird √‫“ מלא‬voll” mit “Reichtum” und “Söhnen” erklärt. Dies beinhaltet ökonomische und auf Nachkommen bezogene Fülle, i.a.W. eine “Rundumversicherung” für das leibliche, seelische etc. Wohl. Es folgt eine zu MS Berlin 1221 alternative Erklärung, in der – dem Aufbau jener Argumentation folgend – zunächst für ‫“ ריקם‬leer” wohl eine Übersetzung ins Altfranzösische wiedergegeben wird und die anders als in MS Berlin 1221 ‫אוויידמנט‬ lautet.663 Bemerkenswert ist, dass dabei ‫“ ריקנותי‬meine Leere” nicht als Adjektiv, sondern in Form eines Substantivs dargestellt wird. In diesem Zusammenhang werden die Bibelstellen (Jer. 5,13, Ester 9,23 und Dt. 34,35) zitiert. Hierauf wird hervorgehoben, dass ‫ ריקם‬auch in Rut 1,21 als ‫“ ריקנות‬Leere” zu verstehen sei. Interessanterweise wird hierzu mit denselben Bibelstellen wie in MS Berlin 1221 argumentiert, nämlich mit Ex. 23,15 bzw. 34,20. In MS London 22413 folgt dieselbe Erklärung zu Rut 1,21 wie in MS Berlin 1221, die dort Maḥberet Dunash zugeordnet wird. In MS London 22413 findet sich jedoch keine Quellenangabe.664 Im letzten Teil der Erklärung ist bemerkenswert, dass aus der Ausführung zu Der Ewige antwortet mir die Thematik des “Tun-­Ergehen-Zusammenhangs” aus der Erklärung herausgelesen werden kann. Hier gründet das “Unglück”, das einen Menschen (hier im Kontext Noomi) treffen kann, aber nicht mehr einfach auf Missetat, sondern auf einer – wenn auch unbekannten – Sünde: ‫שפלו[ני] חטא‬.665

1978 (Hebr.), Sp. 185, womit die Ausführung übersetzbar ist als "und im Streitfall sind Beweise zu bringen: Und der Ewige zeugte gegen mich Rut 1,21." 662 "‫ ולא הוא כי אם כמו וענה גאון‬,)‫וי''י ענה בי (רות א כא) כי דמית אלי ענו בכבל רגלו (תלים קה יח‬ ‫ ובי יוכיח וענה שהיא רפה כי אין הוא מלשון עינוי‬,‫ שהוא לשון עדות‬,‫ישראל בפניו‬." Siehe Dukes, Leopold und Raphael Kirchheim (Hgg.), ‫ ספר תשובות דונש בן לברט‬Sefer Teshuvot Dunash ben Labrat, ‫ספר תשובות דונש בן לברט‬. Dukes, Leopold / Kirchheim, Raphael (Hgg.). (Criticae Vocum Recensiones Donasch Ben Librat, Levitae). Herschell Filipowski: London 1855, S. 79 f., hier S. 80 zitiert. 663 Zur möglichen Interpretation dieser mundartlichen Glosse siehe Kapitel "Le'azim im Kommentar zu Rut 1". 664 Zur Argumentation der Auslegung mit Bezug auf Mahberet Dunash siehe oben, MS Berlin 1221 zu Rut 1,21. 665 Durch die Formulierung (‫ )שפלוני חטא‬klingt in der Erklärung die Figur des ‫פלני‬ ‫ אמני‬Peloni Almoni, des "gewissen Irgendwer" an, dessen Name ausdrückt, dass er irgendjemand ist, dessen Name mit Absicht nicht weiter ausgeführt wird, da er als

12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

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Wie bereits erwähnt, beginnt die Erklärung in MS Zürich Or 157 ähnlich wie die in MS London 22413. Es folgt aber eine alternative Erklärung: Noomi sei schwanger gewesen, wie ebenfalls in RutR 3,7 ausgedrückt wird.666 Dabei wird √‫“ מלא‬voll” mit “Reichtum” und “Söhnen” erklärt. Dies beinhaltet also ebenfalls die Auslegung auf viele Lebensbereiche bezogene Fülle. MS Zürich Or 157 zu Rut 1,21: ‫ענה בי’ העיד ברשעתי‬ [Und der Ewige] sagte gegen mich aus – Er bezeugte aufgrund meiner Bosheit.

Hier ist nicht von ‫“ ענייה‬Antwort” die Rede wie in MS Berlin 1221 oder MS London 22413. Wenn man von einer argumentativen Abfolge von MS Berlin 1221 über MS London 22413 zu MS Zürich Or 157 ausgehen will, so kann man hier vorbringen, dass es sich bei der Verwendung des Begriffs “Bosheit” um eine “Auflösung” der Argumentation handelt. Dabei ist dann die “Sünde” nicht mehr – wie noch in MS London 22413 – “unbekannt”, vielmehr ist an deren Stelle der Begriff “Bosheit” getreten. Der Begriff ‫“ חטא‬Sünde” wird in MS Zürich Or 157 dabei nicht verwendet. An dieser Stelle greift eine andere Erklärung: ‫ענה בי’ העיד ברשעתי ד’א’ עינה בי מדת הדין’ כמו וענה גאון ישר‬ [Und der Ewige] sagte gegen mich aus – Er bezeugte aufgrund meiner Bosheit. Eine andere Erklärung [ist folgende]: Er verschärfte das strenge Recht [gegen] mich, wie [in folgender Bibelstelle] Und der Stolz Israels sagt [gegen sie] aus (Hos. 5,5).

Hier ist bemerkenswert, dass der Anfang der Erklärung …‫…“ …ענה בי מדת הדין‬Er verschärfte das strenge Recht [gegen] mich” auch im Midrash RutR 3,7 zu finden ist. Dort wird aber nicht weiter mit Hos. 5,5 argumentiert, wie dies hier der Fall ist. Man könnte diese Argumentation als “Elaboration” rabbinischer Erklärung im vorliegenden Kommentar aus MS Zürich Or 157 verstehen. Interessant für alle drei verglichenen Kommentare ist, dass ‫ מרא‬mit “rebellisch, widerspenstig” übersetzt werden kann.667 Dies passt zum Kontext der Anklage, den die Kommentierung zur Stelle unter Verwendung der Wurzel √‫ מרא‬anstelle des von √‫ מרה‬abgeleitete Nomen Proprium ‫ מרא‬Mara darstellt. Zusammenfassend könnte der Kommentar-­Vergleich zu Rut 1,21 als Beispiel

Löser von der Lösung des Feldes in Rut 4 zurücktritt. Sein Name drückt dabei aus, dass er unbekannt bleibt. 666 Vgl. RutR 3,7 (Ed. Lerner): .‫ מלאה בנכסים‬,‫ כא) מלאה בבנים‬:‫[ז] אני מלאה הלכתי (רות א‬ ]‫ אני מלאה הלכתי שהייתי מעוברת‬:‫[ד"א‬. Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 21.11.2012). 667 Vgl. Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 458.

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12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

für eine argumentative Abfolge von MSS Berlin 1221 über MS London 22413 zu MS Zürich Or 157 gelten.

Rut 1,22: Und [so] kam Noomi zurück und Rut die Moabiterin, ihre Schwiegertochter, war mit ihr. Sie kam zurück von den Feldern Moabs. Und so kamen sie nach Beit Lechem zu Beginn der Gerstenernte. Der Kommentar in MS Berlin 1221 geht darauf ein, dass es zunächst als doppelt dargestellte Information im Bibeltext anmuten kann, dass Noomi und Rut laut Rut 1,19 in Beit Lechem ankamen. Mit der Argumentation soll der evtl. Vorwurf der Redundanz von vornherein entkräftet werden: Es handele sich nämlich um zwei verschiedene Sachverhalte. Eine Ableitungsempfehlung für die ganze Bibel folgt, wobei der Textzusammenhang von Ri. 17 als Beispiel herangezogen wird. Bemerkenswert bei der Argumentation ist, dass die Belegstellen (Ri. 17,3.4) nicht in ihrer chronologischen Abfolge des Bibeltextes wiedergegeben werden und diese somit als Grundlage für den Inhalt der im Kommentar dargelegten Argumentation hinsichtlich a) der Darstellung des Ereignisses und b) der Darstellung der Handlung zu hinterfragen sind. Festzuhalten ist, dass bei sich scheinbar wiederholenden Darstellungen des Erzählvorgangs im Bibeltext erst a) die Handlung (‫ )מעשה‬und dann b) das Ereignis (‫ )אירע‬als Ergebnis oder Resultat der Handlung, genannt wird. Dieses Verständnis mag der Kommentierung zu Rut 2,3 zugrundeliegen, siehe Ausführungen zur Stelle. Die Erklärung in MS London 22413 setzt zunächst wieder ähnlich wie MS Berlin 1221 ein, um den Vorwurf der Redundanz zu dementieren. Die Argumentation verläuft jedoch unterschiedlich zu MS Berlin 1221. MS London 22413 geht genauer auf die erzählerische Abfolge der Ereignisse ein und hebt dabei verschiedene Aspekte aus den genannten Bibelstellen hervor: Rut 1,19 solle ausdrücken, dass Noomi und Rut zunächst gingen; Rut 1,22 hingegen hebt hervor, dass Noomi und Rut gemeinsam ankamen. Des Weiteren geht MS London 22413 auf erzählerische Charakteristiken und formuliert dies mit ‫[“ מחובר כל המקרא ביחד‬Damit] wird diese ganze Bibel(stelle) zusammengebunden […].” Es folgt ein Überblick über den Beginn des zweiten Kapitels im Buch Rut. Im Text steht ‫לפי שפלו’ חטא‬, was hier als Abkürzung von ‫לפי‬ ‫“ שפלוני חטא‬gemäß irgendwelcher [unbekannter] Sünde”668 übersetzt wird. “Unbe­

668 Vgl. Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 458, S. 644 zu ‫פלוני‬.

12.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 1

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kannt” wird hier in Klammern gesetzt und mit “irgendwelcher” ergänzt, um es abzuheben von der Verwendung von “bekannt” im Hinblick auf die Wortwurzel √‫נכר‬, die im Fortlauf des Bibeltextes (z. B. in Rut 2,11) und im Kommentar (zu Rut 4,10 f.) verwendet wird. Beide Erklärungsversionen in MSS Berlin 1221 und London 22413 zu Rut 1,22 gehen also auf die Erzähl-­Abfolge ein, argumentieren aber unterschiedlich. MS Zürich Or 157 hingegen erwähnt diesen im Bibeltext vorhandenen Widerspruch nicht, sondern widmet sich der erzählten Zeit, nämlich dem Beginn der Gerstenernte. In diesem Zusammenhang wird auf die Art der Opfer-­Abgabe eingegangen. Jene Auslegung ist ebenfalls zu finden in RutR 4,2 sowie in Yalkut Shimoni zu Rut § 601. Durch die erkennbaren Zitate aus der rabbinischen Literatur kann MS Zürich Or 157 als Zusammenstellung vor allem aus RutR, aber auch aus Yalkut Shimoni und ggf. weiterer Traditionsliteratur bezeichnet werden. Dabei ist jedoch nicht klar abzugrenzen, ob die Zitate die genannten Texte als Vorlage verwenden oder ob andere Vorlagen als Quelle für die Auslegungen in MS Zürich Or 157 zu veranschlagen sind. Die umgekehrte Annahme, dass RutR, Yalkut Shimoni und andere Traditionsliteratur den Kommentar aus MS Zürich Or 157 als Vorlage verwendeten, oder – wohl wahrscheinlicher – seine Vorformen, kann ebenfalls diskutiert werden. Aufgrund der Quellenlage finden sich für die genannten Ansichten Gründe, jedoch ist wahrscheinlicher, dass die vorliegende Version des Kara zugeschriebenen Kommentars die Traditionsliteratur als Vorlage verwendete und nicht selbst als Quelle für die Traditionsliteratur diente.669

669 Dazu Weiteres im Kapitel "Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar", S. 390 ff.

13. Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2 Rut 2,1: Und Noomi hatte einen Angehörigen von der Seite ihres Mannes her, einen heldenhaft-­großartigen Mann, aus der Familie Elimelekhs… MS Berlin 1221 erklärt das Wort ‫מודע‬670 als ‫“ קרוב‬naher [Verwandter]”, was sich inhaltlich – im Gegensatz zu “Bekannter” – auf ein verwandtschaftliches Verhältnis bezieht. Für die inhaltliche Stützung dieses Verständnisses wird Prov. 7,4 zitiert, wo in Form eines Parallelismus Membrorum die “Weisheit” als “Schwester” dargestellt wird. In diesem Verständnis folgt auch im zweiten Teil des Verses die Darstellung eines familiären Verhältnisses in Proverbien, das dort mit dem Begriff ‫מדע‬671 ausgedrückt wird. So wird es auch in der Übersetzung wiedergegeben: die “Klugheit” als “Angehörige”. Das verwandtschaftliche Verhältnis zwischen Noomi und ihren männlichen Angehörigen ist in MS Zürich Or 157 weiter und konkreter ausgeführt. Einstweilen soll festgehalten werden, dass in der Übersetzung aufgrund des Kommentars in MS Berlin 1221 ‫ מודע‬als verwandtschaftliche Beziehung verstanden und als “Angehörige/r” wiedergegeben wird; ‫ קרוב‬wird hingegen als “naher [Verwandter]” übersetzt. MS Berlin 1221 verwendet ein Bibelzitat zur Argumentation. MS London 22413 stellt ebenfalls die Worte ‫ מודע‬und ‫ קרוב‬einander gegenüber. Beide Worte haben unterschiedliche Wortwurzeln, einerseits bedeutet ‫“ מודע‬Bekannter” (von √‫)ידע‬, was hier durch die parallele Erklärung in MS Berlin 1221 als “Angehöriger” übersetzt wird. √‫ קרב‬bedeutet “nahe”, hier im Sinn von “nahe verwandt”, was die Bedeutung von “vertraut” impliziert, da Verwandte nicht “fern” voneinander, sondern einander “vertraut” sind. Weiter geht MS London 22413 auf die Formulierung im Bibeltext ein, welche im Kommentar verkürzt und nach der Lesart des Ḳere wiedergegeben wird. In der Erklärung heißt es des Weiteren,

670 Die masoretische Angabe zu ‫ מודע‬ist hier bemerkenswert: ‫( מידע‬Ketiv) bzw. ‫מודע‬ (Ḳere). Für ‫ מידע‬wird u. a. die Übersetzung "kinsman" angegeben, vgl. Brown, Francis / Driver, S. R. / Briggs, Charles A.: A Hebrew and English Lexicon of the Old Testament (abridged). Based on A Hebrew and English Lexicon of the Old Testament, Oxford: Clarendon Press, 1907. Elektronische Version von Accordance 8, Oak Tree Software, 2010. ‫ מידע‬bedeutet also auch "Verwandter" bzw. Angehöriger". 671 MT BHQ Prov. 7,4: ‫אֱמ ֹר ַל ָח ְכמָה אֲח ֹתִ י אָּתְ ּומ ֹדָ ע ַלּבִינָה תִ ק ְָרא‬.

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13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

hier klinge bereits an, dass Boaz mit Rut redliche Worte redete und sie “zu einer großartigen Frau wurde,” womit auf Rut 3,11 Bezug genommen wird. Dieser Sachverhalt wird auf eindrückliche Weise eingeleitet: ‫“( משבר האזן‬es zerschmettert dir das Ohr”). Es folgt eine Erklärung, die neben der Beschreibung der Worte als √‫“ נכח‬redlich”672 die Wortwurzel √‫“ כוח‬Kraft, Stärke”673 verwendet. Der Kommentar verwendet die Formulierung ‫דברים נכוחים‬, was “mit redlichen Worten” bedeutet. Dabei kann das Wort ‫ נכוחים‬mit der Wortwurzel √‫ נכח‬auf der Lautebene mit √‫ כוח‬assoziiert und daraufhin inhaltlich mit “‫ ”חיל‬in Verbindung gebracht werden. “Stärke” und “Tapferkeit” (‫ כוח‬und ‫ )חיל‬lassen sich in einem Wortfeld verorten, beide Worte treten im Kommentar in Erscheinung. Boaz wird in Rut 2,1 als “heldenhaft-­großartiger Mann” ‫ איש גבור חיל‬bezeichnet.674 Daran anschließend stellt der Kommentar einen Bezug zu Rut 3,11 her, wo von Rut als ‫ אשת חיל‬die Rede ist.675 Boaz und Rut stehen also durch die im Bibeltext zu ihrer Charakterisierung verwendeten Worte ‫“( חיל‬großartig”) in Verbindung. Diese Verbindung wird durch den Kommentar hervorgehoben und mit der Verwendung der Worte ‫“ כוח‬Kraft, Stärke” bzw. ‫נכח‬, “redlich” verstärkt. Das nächste Lemma ‫ממשפחת אלימלך‬ Aus der Familie Elimelekhs wird auf die konkreten familiären Verbindungen hin 672 √‫" נכח‬redlich," siehe Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 505. 673 √‫כוח‬, "Kraft," siehe Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 340. 674 Die Übersetzung "heldenhaft-­großartiger Mann" für ‫ איש גבור חיל‬habe ich gewählt, damit möglichst viele Konnotationen der einzelnen drei Wortteile aus dem Hebräischen auch in drei Worten im Deutschen wiedergegeben werden: ‫ גבור חיל‬ist besonders aus den Berichten der Chroniken bekannt (vgl. 1. Chr. 7.12.26) und wird gemeinhin verstanden als "tapferer Krieger" (Gesenius, Wilhelm: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament. Rüterswörden, Udo (Mitarb.). Meyer, Rudolf / Donner, Herber (Hgg.). 18. Aufl. 1. Lieferung ‫ג‬-‫א‬. Springer-­Verlag: Berlin 1987, S. 193). In 1. Sam. 16,18 wird auch David als ‫ גבור חיל‬betitelt. ‫ חיל‬weist auch auf "Stärke; Heer". So wurde hier der Begriff "heldenhaft" gewählt. 675 Auch zu Rut 3,11 wird "großartig" in die Übersetzung eingetragen. Mit der wörtlich wohl gewollten Assoziation zu Prov. 31,10 ‫" אשת חיל‬wackere Hausfrau" erscheint mir die Verwendung von "wacker", "tüchtig", "tapfer" etwas altertümlich und wird so zusammengefasst in den Begriff "großartig." Dabei soll der Begriff "großartig" nicht zu allgemein erscheinen, sondern neben den genannten Konnotationen andere möglichen Bedeutungen in sich tragen (z. B. für "wacker" folgende Bedeutungen: "ehrlich," "anständig," "kraftvoll," "voller Tatendrang," "unerschrocken," vgl. Duden. de (Zugriffsdatum: 26.09.2013). Ich danke Cosima Stawenow für diese Anmerkungen). Somit wird hier in der Übersetzung ‫ גיבור חיל‬mit "heldenhaft [‫]גיבור‬-großartig [‫ "]חיל‬wiedergegeben.

13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

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interpretiert, wobei auf den Wortlaut in Rut 4,4 hingewiesen wird, wo von “seinem Bruder” die Rede ist. Die Erklärung wird mit den Worten “wundere dich nicht” eingeleitet und mit einem Zitat aus Rut 4,4 ergänzt. Dort wird aufgrund des vorangegangenen Verses Rut 4,3 mit der Formulierung ‫[ לאחינו‬das Feldstück, das] unserem Bruder [Elimelekh gehört] auf eine brüderliche Verbindung Bezug genommen. Insgesamt ist die Erklärung als ein rhetorisch angenommener Einwand des Rezipienten formuliert. In MS Zürich Or 157 wird das verwandtschaftliche Verhältnis zwischen Elimelekh und dem in Rut 2 auftretenden Boaz sowie des in Rut 4 agierenden “Peloni Almoni” genauer beschrieben. Diese Erklärung ist zu vergleichen mit der Ausführung zur verwandtschaftlichen Beziehung der Familie, wie sie in bBB 91a dargestellt wird, wonach vier Brüder existiert haben sollen: 1) Elimelekh, 2) Salmon (als Vater des Boaz), 3) Peloni Almoni sowie 4) der Vater Noomis (wobei Letzterer nicht mit Namen genannt wird). MS Zürich Or 157 schreibt zu Rut 2,1 dasselbe wie Rashi.676 Dort wird auf ‫“ זכות אבותם‬Verdienst ihrer Väter” verwiesen, womit Bezug auf die Vorfahren genommen wird.677

 ut 2,2: Und Rut, die Moabiterin, sagte zu Noomi: “Ich will R doch bitte auf dem Feld sammeln gehen und in den Ähren Nachlese halten, hinter dem, in dessen Augen ich Gunst finden werde.” MS Berlin 1221 zu Rut 2,2 erklärt die wörtliche Rede Ruts an Noomi, wobei zunächst der gesamte erste Teil (zwei Drittel des Verses) bis zum “Versteiler” Atnach im Kommentar zitiert werden, was ein relativ langes Textstück ist. Dabei formuliert der Kommentar die im Bibeltext vorhandene Aussage Ruts anders und stellt 676 Rashi zu Rut 2,1 in Responsa Project online (Zugriffsdatum: 02.07.2012): ‫רש"י רות‬ ‫– קרוב בן אחיו של אלימלך היה אמרו רבותינו ז"ל אלימלך ושלמון אבי בועז ופלוני‬ ‫פרק ב (א) מודע‬ ‫אלמוני הגואל ואבי נעמי כולם בני נחשון בן עמינדב היו ולא הועילו להם זכות אבותם בצאתם מהארץ‬ ‫לחוצה לארץ‬. 677 Hier liegt die Bezugnahme auf Abraham nahe. Auch an anderer Stelle wird auf den "Verdienst Abrahams" verwiesen, vgl. bspw. Stembergers Ausführung zur Auslegung des Meereslieds (Ex. 14,31), wo Abraham mit ExR 23,5 als "Leiter des Glaubens" charakterisiert wird: "…in ShemR 23:5 where Abraham is called the leader in faith (‫)ראש אמנה‬. […] The Israelites could sing the Song at the Sea only because of the merit of Abraham who had believed in God; they are believers, sons of believers." Siehe Stemberger, Günter: "Gen 15 in Rabbinic and Patristic Interpretation". In: Stemberger, Günter: Judaica Minora I. (Texts and Studies in Ancient Judaism 133). Mohr Siebeck: Tübingen 2010, S. 461.

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13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

sie als wörtliche Rede dar. Thema der Ausführung ist der Usus bei der Nachlese. Die Paraphrase “seine Augen auf [jemanden] richten” wird aus dem Bibeltext aufgenommen und auf einen “nahen [Verwandten],” ‫קרוב‬, bezogen. Im folgenden Teil der Erklärung von MS Berlin 1221 wird eine inhaltliche Differenzierung in Art einer “Abstufung” der Begriffe ‫“ קרוב‬naher [Verwandter]”, ‫“ חבר‬Freund” und ‫“ מכיר‬Bekannter” deutlich. Diese Begriffe werden in den Kontext der Erntegepflogenheiten gestellt, was als “Historischer Ort” bezeichnet werden könnte. Ob hier die angenommenen Zustände in biblischen Zeiten rekonstruiert oder ob damit ein Hinweis auf Erntegepflogenheiten im Mittelalter wiedergegeben werden sollen, wird in dieser Ausführung nicht deutlich und lässt sich nicht abgrenzen. Die im Kommentar verbalisierte Äußerung Ruts ‫(“ אין לי מכיר‬ich [aber] habe) keinen Bekannten” lässt sich als ihre Stellungnahme verstehen, trotz aller Widrigkeiten für den Unterhalt von sich und Noomi aufkommen zu wollen. In MS London 22413 wird lediglich ein kurzer Versteil ausgelegt. Dabei wird zunächst das Lemma ‫“ אחר אשר אמצא חן‬Hinter [einem] her, [bei] dem ich Gunst finden werde” wiedergegeben. Dies wird im erklärenden Teil des Kommentars nochmals erweitert dargelegt, wobei ‫“ אותו‬demjenigen” ergänzt und das im Bibeltext vorhandene ‫“ ביעיניו‬in dessen Augen” hinzugefügt wird. Durch diese Hinzufügungen wird der Zusammenhang des gesamten ausgelegten Versteils zwar deutlicher, jedoch wird seine Bedeutung verschoben. In der Übersetzung wird diese inhaltliche Verlagerung mit der geänderten Wiedergabe des Bibeltextes im Deutschen dargestellt: “Hinter [einem] her, [bei] dem ich Gunst finden werde – Hinter demjenigen her, in dessen Augen ich Gefallen finden werde.” MS Zürich Or 157 spezifiziert zu Rut 2,2, auf welches Feld Rut gehen will, und zwar zu einem Feld, das den Stadteinwohnern gehört. Damit vermittelt der Kommentar, dass Rut in der Nähe der Stadt bleiben und sich zu den Einwohnern der Stadt halten will, was einen kommunalen Aspekt in die Erklärung einbringt. Außerdem stellt der Kommentar in einer Gegenüberstellung zum Lemma “Hinter [einem her, in] dessen Augen ich Gunst finden werde” dar, was sie nicht will (“und [der] mich nicht anschreit”), womit der Kommentar die Interpretation zulässt, dass durchaus mit einem abweisenden Verhalten der Feldbesitzer gerechnet werden könne und es keine Selbstverständlichkeit sei, nicht angefahren zu werden. Somit wird eine – womöglich bei der direkten Lektüre des Bibeltextes herauslesbare – Beschaulichkeit der Lage Ruts ausgeschlossen.

13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

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Rut 2,3: Und sie ging und sie kam und sie hielt Nachlese auf dem Feld hinter den Schnittern her. Und es passierte zufällig… Interessanterweise werden in MS Berlin 1221 die im Kommentar zu Rut 1,22 verwendeten Begriffe ‫“ אירע‬Ereignis” und ‫“ מעשה‬Handlung” in der Erklärung zu Rut 2,3 hintereinander eingesetzt und so miteinander verknüpft: ‫ותלך ותבא פתרונ’ ותלך מאתה’ ותבא ותלקט בשדה אחר הקוצרים’ ויקר מקרה’ כך אירע המעשה‬ ‫שהוקרה לבא בחלקת השדה לבועז‬ Und sie ging und sie kam – [dessen] Erklärung ist: und sie ging von ihr weg. Und sie kam und sie hielt Nachlese auf dem Feld hinter den Schnittern her. Und es passierte zufällig – so ist das Ereignis der Handlung, dass es ihr widerfuhr, auf den Teil des Feldes von Boaz zu kommen.

In der Übersetzung wird dies als “so ist das Ereignis der Handlung” wiedergegeben. Für den Sinn des Kommentars werden nun Ereignis und Handlung zusammengezogen. Die Verbindung von Ereignis und Handlung erfolgt im Hinblick auf Rut 1,22, wo ausgeführt wird, dass die im Bibeltext genannten Begebenheiten durch scheinbar wiederholte Schilderungen keine Redundanz bedeuten, sondern erst ein Ereignis und darauffolgend dessen Handlung darstellen wollen. Durch diese Zusammenstellung wird deutlich, dass der Kommentar die im vorliegenden Vers Rut 2,3 dargestellten Ereignisse nicht als “sich überlappend”, sondern als chronologischen Fortgang auffasst: Rut 2,3a stellt dar, dass Rut ging, kam und hinter den Schnittern her sammelte, was zusammen als eine Abfolge von Handlungen und insgesamt als “Ereignis” verstanden wird. Laut Kommentar wird mit Rut 2,3b das “Ereignis der Handlung,” ‫אירע המעשה‬, sozusagen das Resultat der Handlungen, dargestellt und weiter ausgeführt, dass Rut auf den Teil des Feldes von Boaz kam. Wird in MS Berlin 1221 auf das Ergebnis der dargestellten Begebenheiten im Bibeltext eingegangen, so zeichnet der Kommentar in MS London 22413 die auftretenden Begriffe mit anderen Worten nach. Die Verbformen stehen dabei nicht mehr – wie im Bibeltext – im Imperfekt konsekutiv, sondern sind als Perfektformen aufgeführt. ‫ ובאת‬ist dabei mit einem vorangestelltem Waw-­Kopulativum (“verbindendem ‘und’ ”) versehen. Bemerkenswerterweise wird auch der zweite Teil des Verses umformuliert, so dass Teile aus dem Bibeltext mit Präfixen und Suffixen versehen als Kommentar dargestellt werden, das Lemma jedoch – anders als im Bibeltext – plene statt defektiv steht: MT BHQ Rut 2,3b:

‫ויקר מקרה חלקת השדה לבעז‬

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13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

MS London 22413 zu Rut 2,3:

’‫ויקר מקריה’ הק’ גרם שהקרה מקרה שלה לחלקת בעז‬

Der Kommentar in MS Zürich Or 157 zu Rut 2,1 gibt teilweise dasselbe wieder, wie der Kommentar Rashis zur Stelle.678 Dass Rut auf das Feldstück kam, so wird ausgelegt, sei Veranlassung des Ewigen. Dies geht über das wörtliche Verständnis des Bibeltextes hinaus, denn dort wird ja konstatiert, es sei “zufällig passiert,” dass Rut auf die Parzelle des Boaz gekommen sei. Hier lässt sich also eine “auf Gott bezogene” Konnotation der Interpretation erkennen, im Gegensatz zur wortwörtlichen Lesart, die sich andernorts in Kommentaren der nordfranzösischen Schule zeigt und die hier noch nicht einmal anklingt.

Rut 2,4–5: Und siehe, Boaz kam aus Beit Lechem … Und Boaz sprach zu seinem jungen Mann, der über die Schnitter bestellt war: “Zu wem gehört diese junge Frau?” Die Erklärung in MS Berlin 1221 zitiert von Rut 2,4 nur den ersten Versteil und fährt dann fort mit der Interpretation von Rut 2,5, wovon der ganze Vers als Lemma zitiert wird. Die Auslegung zu Rut 2,5 in MSS Berlin 1221 und London 22413 hat denselben thematischen Inhalt: Es wird darin geschildert, dass nahe Verwandte zur Nachlese berechtigt sind. Diese Darstellung wird in MS London 22413 mit einem Zitat aus Lev. 21,2 erweitert, wobei dieser Vers auf den Kontext der Nachlese im Buch Rut bezogen wird. Es ist zu beachten, dass sich die Stelle aus dem Pentateuch jedoch nicht auf Regularien zur Nachlese bezieht, sondern auf die zu vermeidende Verunreinigung eines Priesters durch einen Toten. Dabei werden die nächsten Verwandten wie Eltern, Kinder oder Bruder von der Bestimmung in Lev. 21,2 ausgenommen. Ein Hinweis auf Realia lässt sich nun aus dem Kommentar herauslesen, wo dargestellt wird, dass nur nahe Verwandte auf einem Feld Nachlese halten dürfen, wobei diese Bezugnahme auf die Lebensumwelt eventuell als “Sitz im Leben” bezeichnet werden könnte. Diese Gepflogenheit wird nun zu Beginn des Kommentars wiedergegeben und in MS Berlin 1221 als ‫“ מנהג העולם‬Brauch [in] der Welt” bezeichnet. Des Weiteren wird Lev. 21,2 auf 678 MS Zürich Or 157, Fol. 466, Zeile 7–11: ‫ותלך ותבא ותלקט' עד כאן לא אזלת אתת' אלא‬ ‫שהיתה מסמנת דרכיה קודם שנכנסה לשדה הלכה ובאה וחזרה לעיר כדי לעשות סימנין וציונין בדרך‬ ‫שלא הטעה בשבילים' לשוב‬. Rashi zu Rut 2,3: ‫– מצינו במדרש רות עד לא‬ ‫(ג) ותבא ותלקט בשדה‬ ‫אזלת אתת שהוא אומר ותבא ואחר ותלקט אלא שהיתה מסמנת הדרכים קודם שנכנסה לשדה והלכה‬ ‫ ותדע לשוב‬/‫בשבילין‬/ ‫ובאה וחזרה לעיר כדי לעשות סימנים וציונים שלא תטעה בשבלים‬: Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 02.07.2012).

13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

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den Vorgang der Ernte im Buch Rut bezogen und in den Dialog zwischen Boaz und dem “jungen Mann, der über die Schnitter bestellt war” eingefügt. Weiter wird im Kommentar einerseits ausgeschlossen, dass sich Boaz für Frauen interessierte, andererseits, dass Boaz den “jungen Mann, der über die Schnitter bestellt war” getadelt habe. Das Wort ‫“ גער‬tadeln” wird dabei zweimal im Kommentar verwendet, einmal als Rückverweis und einmal in einer konjunktivischen Form (eingeleitet mit ‫“ כאילו‬als ob”). MS London 22413 geht genauer auf die Darstellung der Erntegepflogenheiten ein. Die Auffassung, dass nur nahe Verwandte Nachlese auf einem Feld halten dürfen, ist dabei Grundlage der Erklärung. Die Formulierung ‫“ דרך בעלי שדות‬Art der Inhaber der Felder” dient dabei als Einleitung und führt so die Auslegung bezüglich der Erntegepflogenheit anders ein als MS Berlin 1221 (‫מנהג העולם‬ “Brauch in der Welt”). Dabei lässt sich eine Nähe beider Formulierungen679 mit ‫“ דרך ארץ‬wie man sich in der Umwelt zu verhalten hat” feststellen.680 In MS London 22413 wird der Dialog zwischen Boaz und seinem “jungen Mann, der über die Schnitter bestellt war” für das Verständnis im Erzählzusammenhang weiter ausformuliert. Die Nebenfigur des jungen Mannes führt darin Boaz dessen eigene verwandtschaftliche Verhältnisse zu Rut vor Augen. Der Redeabschnitt ist zwar an Boaz gerichtet, weist jedoch auch den Rezipienten des Kommentars auf Boaz’ verwandtschaftliche Verhältnisse hin. Diese Kommentierungsweise in Form eines Dialogs erinnert an die Erzähltechnik, in der Nebenfiguren dafür eingesetzt werden, dem Zuschauer einen bestimmten Sachverhalt zu erklären. Die Worte des jungen Mannes, wie sie in Rut 2,5–7 festgehalten sind, werden als Bericht der Begebenheiten in eine längere wörtliche Rede eingefügt und bilden im Kommentar nur einen Teil seiner Aussage. Im Kontext der Kommentar-­Fassungen von MSS Berlin 1221 und London 22413 ist Nachlese nur für nahe Verwandte eines Feldbesitzers erlaubt. MS Zürich Or 157 enthält ebenfalls keine weiteren Ausführungen zu Rut 2,4. Zu Rut 2,5 wird ein Teil aus bJeb 113b zitiert, wobei darauf eingegangen wird, dass Boaz in Rut ‫“ חכמה וצניעות‬Weisheit und Züchtigkeit” sah. Weiter zitiert der Kommentar ‫“ שתי שבולים לקטה שלש לא לקטה‬Zwei Ähren[bündel] hatte sie gesammelt, [aber] drei hatte sie nicht gesammelt” (bShab 113b). Diese Erklärung kann darauf bezogen werden, dass Rut anstatt drei nur zwei Bündel sammelte, womit 679 MS London 22413: ‫" דרך בעלי שדות‬Art der Inhaber der Felder", MS Berlin 1221: ‫מנהג‬ ‫" העולם‬Brauch in der Welt." 680 "[…] mit dem vieldeutigen Ausdrucke ‫ דרך ארץ‬bezeichneten Kreis der menschlichen Gewohnheiten, der gesellschaftlichen Sitte, des täglichen Lebens." Siehe Bacher: Die exegetische Terminologie der jüdischen Traditionsliteratur 1899, S. 25.

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13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

die Bescheidenheit Ruts veranschaulicht werden soll. Hier lässt sich eine interpretatorische Verbindung zu bShab 113b und Rashis Auslegung zur Stelle festhalten.681 Außerdem stellt MS Zürich Or 157 fest, dass Rut die stehenden Garben im Stehen und die liegenden Garben im Sitzen sammelte. Dies ist ein weiterer Hinweis auf Ruts Sittsamkeit.682 Mit ihrer ganzen Körperhaltung drückt sie diese Sittsamkeit bei der Ernte aus. Somit zeigt sich in MS Zürich Or 157, dass Rut nicht nur durch ihre Worte, sondern allein schon durch ihre Haltung ihre guten Sitten ausdrückt, wobei diese Eigenschaft hier besonders Boaz bewusst wird.

 ut 2,6–7: Und der junge Mann, der über die Schnitter bestellt R war, antwortete: “Sie ist eine moabitische junge Frau, die mit Noomi von dem Feld Moabs zurückgekehrt ist. Und sie sagte: ‘Ich möchte bitte Nachlese sammeln und zwischen den Garben hinter den Schnittern her aufsammeln.’ Und sie kam und stand seit heute Morgen an und bis jetzt und diese gönnte sich im Haus kaum Ruhe.” MS Berlin 1221 fügt dem Lemma, ähnlich wie im letzten Teil der Erklärung zu Rut 2,5, eine neu formulierte wörtliche Rede des jungen Mannes über die Schnitter hinzu. Diese Auffassung wird mit ‫“ כאילו‬als ob” eingeleitet und damit als Umformulierung gekennzeichnet. Weiter geht MS Berlin 1221 zu Rut 2,7 auf die wörtliche Rede des jungen Mannes ein, zitiert stellenweise Bibeltext aus Rut 2,7 und setzt diese Stücke als Teil der wörtlichen Rede mit eigenen Hinzufügungen zusammen, so dass ein längeres Stück wörtliche Rede entsteht. Durch die Worte ‫“ לא לקטה אלא מעט לצורך חמותה שיושבת בבית ומצפה לה‬Und sie sammelte nichts außer ein bisschen für den Bedarf ihrer Schwiegermutter, die zu Hause sitzt und sie erwartet” bindet der Kommentar den Dialog zwischen Boaz und seinem jungen Mann wieder zurück an den allgemeinen Kontext der Erzählung im Buch Rut: Rut sammelt demnach für ihre Schwiegermutter. Somit tritt der Gesamtzusammenhang des Textes in den Vordergrund des Interesses der Kommentierung.683 681 Vgl. auch jPea 5,18d. 682 Der Hinweis auf Ruts Sittsamkeit kann inhaltlich dahingehend weiter interpretiert werden, dass sie sich nicht bückt, somit keinerlei Anstoß durch ihre körperliche Haltung erregt und damit des Weiteren keine – wie auch immer geartete – Entblößung (etwa durch Verrutschen der Kleidung) möglich ist. 683 Hier kann MS London 22413 zu Rut 1,13 assoziiert werden, wo angekündigt wird, dass Rut es Noomi gut ergehen lassen wolle. Jedoch bezieht der Kommentar diesen Wunsch nach Wohlergehen auf die Zeit nach der Heirat Ruts mit Boaz, so MS Lon-

13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

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Weiter sammelt Rut ‫“ מעט‬ein bisschen”, was der Kommentar quantitativ interpretiert und auf die Menge des von ihr Gesammelten bezieht. Dies ist nun eine Alternative zu der Verstehensweise, die ‫“ מעט‬ein bisschen” temporal auffasst und als Zeitspanne versteht, während der Rut Pause machte. Eine andere Erklärung, namentlich bezogen auf R. Menaḥem Bar Ḥelbo, schließt den Kommentar zu Rut 2,7 in MS Berlin 1221 ab. Darin wird ‫ מעט‬auf “ihr Sitzen im Hause” bezogen, womit ein Zeitraum bezeichnet wird: Rut saß demnach wenige Zeit zu Hause, was sich direkt aus der Formulierung des Bibeltexts verstehen lässt. Somit lässt sich R. Menaḥem Bar Ḥelbos Erklärung als Gegensatz zu der vorher dargestellten Interpretation in den Kommentar bezeichnen. Die Wiedergabe dieser Stellungnahme soll eventuell den “Wortlaut des Bibeltextes” unterstreichen. Durch die Darstellung der alternativen Interpretation sollte möglicherweise auch darauf hingewiesen werden, dass sich die vorher aufgeführte Erklärung nicht unbedingt direkt aus dem Bibeltext ergeben muss. Wie bereits angedeutet, stellt MS London 22413 Teile des Verses als Abschnitte eines längeren Dialoges dar. Zu Rut 2,7 gibt der junge Mann nun Boaz Auskunft, wie Rut überhaupt auf das Feld kam und wiederholt darin ihre Worte als wörtliche Rede. Der Dialog wird dabei im Kommentar inhaltlich ausgeschmückt, was eine bessere Verständlichkeit zur Folge hat. Folgende Angaben werden dabei übermittelt: a) Rut will nicht des Diebstahls bezichtigt werden und bittet daher nur um Nachlese hinter den Schnittern her;684 b) Die Tora berechtigt zur Nachlese; c) Boaz solle sich daher nicht ärgern; d) Rut sammelt einerseits für den Bedarf ihrer Schwiegermutter (vgl. MS Berlin 1221 zu Rut 2,7), andererseits aber auch für Boaz; e) Rut ist verwandt mit Boaz (und hat daher die Berechtigung, Nachlese zu halten); schlussendlich weist der über die Schnitter Bestellte darauf hin, dass f) Boaz sich nicht mit dieser Angelegenheit aufhalten solle: ‫“ ואין לך להשים לב לדבר’ ופת’ זה מעט שבתה הבית‬und du musst [doch] nicht auf diese Sache aufpassen. Und [das ist die] Erklärung [von] sie saß wenig im Haus.” Insgesamt ist der Kommentar in MS London 22413 zu Rut 2,6–7 als Einleitung zu den folgenden Erklärungen gestaltet. Teile aus dem Bibeltext werden dabei als “Baustücke” verwendet und in einen weiteren Kontext eingefügt. don 22413 zu Rut 1,13 [Schlussteil]: '‫שהטיבה לה לאחר שנשאת‬ ֯ ‫]…[ ]…[ 'וכן מצי' ברות‬ Und so findet man es auch [im weiteren Verlauf des Buches] betreffend Rut, dass sie es ihr [Noomi] gut ergehen ließ, nachdem sie verheiratet [worden] war. 684 Außerdem wird damit geschildert, dass Rut ihre Nachlese hinter anderen Sammlern oder Nachlesern her sammeln will, statt direkt hinter den Schnittern her zu sammeln. Damit wird die Wirkung der Aussage im Kommentar gesteigert, wenn es heißt, dass der Ertrag ihres Gesammelten groß sei: …'‫… אפי' לקטה לקט הרבה‬auch wenn sie nur Nachlese gehalten hat, so ist [doch das Ausmaß ihrer] Nachlese viel.

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13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

Zu Rut 2,6 geht MS Zürich Or 157 auf das Wort ‫“ השבה‬die, die zurückgekehrt ist” ein und erklärt, dass das Wort eine “Perfektform”, ‫לשון עבר‬, sei. Der Kommentar führt weiter aus, dass ‫ השבה‬nicht die Form eines “Verbalsubstantives,” ‫לשון‬ ‫פועלת‬, habe.685 Somit ist die Erklärung in MS Zürich Or 157 zu Rut 2,6 als eine grammatische Interpretation zu beschreiben, die so nur indirekt auf den Inhalt des Verses eingeht. Weiter wird in MS Zürich Or 157 zusammengefasst, was Rut mit ihrem Wunsch, bei den Garben aufsammeln zu wollen, ausgedrückt habe, nämlich ‫“ שכחה של עמרים‬das Vergessene der Garben”. Es folgt die Erklärung zum Lemma ‫“ זה שבתה הבית מעט‬Sie [gönnte sich in] dem Haus kaum Ruhe, wobei ‫מעט‬ Bezugspunkt der Interpretation ist. An dieser Stelle soll eine Alternative der Übersetzung dargestellt werden, die den Sinn des Textes etwas verändert. MS Zürich Or 157 zu Rut 2,7 wird in der Übersetzung formuliert als: “Sie [gönnte sich in] dem Haus kaum Ruhe – das bedeutet sie [gönnte] sich wenig Ruhe in ihrem Hause, denn den ganzen Tag war sie mit uns [zusammen gewesen].” Alternativ könnte der Text im Deutschen aber auch wie folgt wiedergegeben werden: Sie blieb nur kurz[e Zeit] in dem Hause [Noomis, nachdem sie von Moab zurückgekehrt waren] – das heißt: sie setzte sich nur kurz[e Zeit] in ihrem Hause [ohne etwas zu tun], denn den ganzen Tag war sie [heute schon] mit uns [Ähren sammeln, obwohl sie doch erst vor kurzer Zeit hier in Beit Lechem angekommen war]. Die Übersetzungsalternative versteht ‫“ מעט‬ein bisschen” weiterhin temporal. Jedoch bezieht sie diese Angabe auf einen anderen Zeitraum, womit das inhaltliche Verständnis anders gefasst wird: Die erstgenannte Übersetzung versteht den Hinweis im Ausspruch des Aufsehers über die Schnitter als Kürze einer Pause, also jene Zeit, in der Rut sich ausruhte. Zweitgenannte Übertragung fasst ‫ מעט‬nicht als kurze Pause am momentanen Erntetag auf, sondern als kurzen Zeitraum in Beit Lechem, den Rut sich evtl. genommen hat, um sich an ihrem neuen Wohnort zu “akklimatisieren”. In jedem Fall wird ‫ מעט‬in MS Zürich Or 157 als temporaler Zeitraum verstanden und damit angedeutet, dass Rut sich nicht lange Zeit zum Ausruhen lässt, sondern so schnell und viel wie möglich arbeitet. Außerdem wird dargestellt, dass Rut den ganzen Tag mit den übrigen Schnittern beisammen war. Insgesamt wird mit der Erklärung auf den Midrash Bezug genommen. Dabei ist zu bemerken, dass sich der Verweis in MS Zürich Or 157 zu Rut 2,7 auf die Midrashliteratur nicht bei Rashi findet, sondern RutR 4,11 heranzieht. An dieser Stelle kann davon ausgegangen werden, dass die Verwendung von RutR 4,11 nicht von Rashi (oder seinem Gefolge, welches ihm den Kommentar zuordnete) stammt, sondern erst

685 Aufgefasst als "Verbalsubstantiv" wäre ‫ השבה‬zu übersetzen als "die Zurückgekehrte."

13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

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in einer späteren Phase dem Kommentar Karas hinzugefügt wurde (beispielsweise durch jene, die ihm den Kommentar zuschrieben).

 ut 2,8: Und Boaz sprach zu Rut: “Hast du nicht gehört, meine R Tochter? Gehe nicht, um auf einem anderen Feld [Nachlese] zu sammeln! Und so halte dich zu meinen jungen Frauen.” Die im Bibeltext vorhandene Dialogform zwischen Boaz und Rut wird auch im Kommentar von MS Berlin 1221 wiedergegeben und – wie im vorherigen Dialog mit dem jungen Mann über den Schnittern – zu einem längeren Gespräch ausgeschmückt. Darin tritt das Thema der Nötigung einer Frau auf, was hier auf Vergewaltigung bezogen werden kann. Wahrscheinlich war derartige Bedrängnis weiblicher Personen sowohl in biblischen Zeiten als auch im Mittelalter zur Zeit der Abfassung des Kommentars real. Die Thematisierung im Kommentar muss also nicht allein auf die mittelalterliche Umwelt bezogen werden und ist somit kein konkreter Bezug auf die reale Umwelt oder Realia. Zum Ausdruck des Kommentars sei darauf hingewiesen, dass ein möglicher Einwand des Lesers (oder Zuhörers) schon in der Dialogform im Kommentar selbst aufgenommen wird. Dabei wird eine denkbare Entgegnung des Rezipienten den biblischen Protagonisten in den Mund gelegt, welche mit den Worten ‫ ]…[“ ואם תאמר‬und wenn sie einwenden würde […]” eingeleitet wird. Der im Kommentar wiedergegebene “hypothetische” Dialog, der mit Konjunktiven aneinandergereiht ist, argumentiert mit dem weiteren Kontext des Bibeltextes. Versteile aus Rut 2,9 sowie Rut 2,22 vor Rut 2,21 werden zitiert. Ergebnis dabei ist ein “hypothetischer” Ablauf der Ereignisse, der sich trotz der vertauschten Wiedergabe von Rut 2,22 und Rut 2,21 chronologisch stufenweise gestaltet. MS London 22413 zitiert 1. Kön. 1,11 als Beispiel,686 um gleich darauf auf die Tempusform des Wortes ‫“ שמעת‬du hast gehört” bzw. “du hörst” einzugehen, die sowohl in Rut 2,8 als auch in 1. Kön. 1,11 auftritt. In beiden Bibelstellen des hebräischen Textes ist das Wort ‫ שמעת‬als 2. Sg. Perfekt formuliert (in Rut 2,8 feminin, in 1. Kön. 1,11 maskulin), womit der Konsonantenbestand beider Worte gleich ist. Somit ergibt sich eine Parallele zwischen 1. Kön. 1,11 und Rut 2,8: In den beiden Kontexten hören sowohl Rut als auch David die vom Gesprächspartner ausgesprochene Begebenheit zum ersten Mal. Durch die Bezugnahme auf das in beiden Stellen auftretendene Wort ‫ שמעת‬lässt sich also nachvollziehen, dass der Kommentar

686 1. Kön. 1,11: ‫ הלא שמעת כי מלך ארניהו‬Hörst du denn nicht, dass Adonjahu als König regiert?

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13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

zu Rut 2,8 die Worte ‫( הלא שמעת‬die in beiden Stellen eigentlich übersetzt werden müssten als “Hast du nicht gehört?”) im Präsens (“Hörst du nicht?”) verstanden wissen will. Weiter wird, wie in MS Berlin 1221 (s. o.), der Dialog zwischen Boaz und Rut ausgeweitet und auf evtl. Einwände Ruts (und damit indirekt auf die des Lesers) bezogen. Auch hier ist die Zukunft auf der Erzählebene des Bibeltextes Inhalt der Kommentierung (‫“ מה אעשה לכשתקצור שדה זו‬Was soll ich tun, nachdem dieses Feld abgeerntet ist?”). Boaz fordert Rut darin auf, sich auch weiterhin an seine jungen Mädchen zu halten, auch wenn das Feldstück – auf dem und über das in Rut 2,8 gesprochen wird – abgeerntet sei. Im Kommentar werden Bibeltext und Erklärung miteinander verknüpft. MS Zürich Or 157 geht nun auf ein völlig anderes Thema ein, nämlich auf Fremdgötterei. Der mögliche “lokale” Weggang Ruts von dem Feld Boaz’ hin zu einem anderen Feld ist dabei Grundlage der Erklärung und wird als “geistliche” Ortsveränderung interpretiert. “Feld” wird so als repräsentatives Wort für Gottesdienst verstanden, wobei in diesem Kontext der israelitische oder ein anderer gemeint sein kann. Als Beleg dieser Auslegung wird Ex. 15,2 zitiert: ‫ זה אלי ואנוהוי‬Dies ist mein Gott und ich werde ihn preisen. Weiter interpretiert der Kommentar das in Rut 2,8 auftretende Wort ‫ נערתיי‬meine jungen Frauen als “Gerechte.” Wortwörtlich findet dabei eine Bezugnahme auf den Midrash statt, welche auch als solche gekennzeichnet wird: ‫“ זהו מדרשו‬Dies ist [die Auslegung des Verses aufgrund] seines Midrash.” Diese Erklärung findet sich in RutR 4,11.

Rut 2,9: “Richte deine Augen auf das Feld, das sie abernten werden. Und gehe ihnen hinterher. Habe ich denn nicht meinen jungen Männern befohlen, dich keinesfalls anzugehen? Und [wenn] du durstig bist, dann gehe zu den Gefäßen und trinke von dem, was die jungen Männer schöpfen.” MS Berlin 1221 stellt einen Gegensatz zwischen Rut und anderen Armen her, denen es – anders als ihr – nicht erlaubt sei, von dem zu trinken, “was die jungen Männer schöpfen” (Rut 2,8bβ). Interessanterweise wird im Kommentar nicht wortwörtlich auf das verwandtschaftliche Verhältnis zwischen Rut und Boaz eingegangen oder als Grund benannt, weshalb sie schöpfen dürfe. Noch in der Erklärung zu Rut 2,4–5 wurde die (indirekte) Verwandtschaft zwischen Rut und Boaz als Argument dafür benannt, dass sie Nachlese halten darf. In der Ausführung wird hier jedoch lediglich dargestellt, dass Rut Vorrechte vor anderen Dürftigen bekommt.

13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

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Auch in MS London 22413 wird der Dialog zwischen Rut und Boaz weiter ausgeführt, der auch im Bibeltext als wörtliche Rede formuliert ist. Dabei wird ein “hypothetischer Einwand” mehrerer Rezipienten (2. Pl.) formuliert, die eventuell ihre Bedenken äußern: ‫“ אם תאמרו שמא יגערו ויגעו בך ת’ל‬Wenn ihr [nun] einwenden werdet, ‘Vielleicht werden sie dich anschreien und anbrüllen,’ so lehrt die Schrift…” Interessanterweise wird hierbei die Wortwurzel √‫“ גער‬anschreien” verwendet, die in MS Berlin 1221 schon zu Rut 2,5 vorkommt, wo dargestellt wird, dass Boaz “nur so tat als ob” er den jungen Mann über die Schnitter anschreie. Eventuell soll die Verwendung dieser Wortwurzel auch die Nähe zu der im Bibeltext auftretenden Wortwurzel √‫ נגע‬ausdrücken. Jedenfalls wird Gen. 20,6 zur Fundierung des Verständnisses der Wortwurzel √‫ נגע‬als “berühren” (in der Übersetzung als “anzugehen” wiedergegeben) zitiert, was im Kommentar weiter als “Schaden zufügen” ausformuliert wird. Durch den Kommentar erhält die Wortwurzel √‫“ נגע‬berühren” die Konnotation von “Schaden zufügen.” Dies wiederum erinnert an die Ausführung von MS Berlin 1221 zu Rut 2,8, wo das Thema der [sexuellen] Nötigung angesprochen wird und dabei (mit Bezug auf Rut 2,22) ebenfalls die Wortwurzel √‫ נגע‬verwendet wird.687 Im letzten Teil der Erklärung von MS London 22413 zu Rut 2,9 wird der Vorgang der Wasserverteilung an die Arbeiter auf dem Feld angesprochen, was als Darstellung von Realia interpretiert werden kann.688 Hierbei wird nun ein allgemein verständliches Vorgehen geschildert, das so auch in der Umgebung der Abfassungszeit des Kommentars stattgefunden haben mag. So kann nicht mit Sicherheit entschieden werden, ob diese Darstellung der Wasserausgabe als Erntegepflogenheit auf einer konstruierten Vorstellung der im Bibeltext erzählten Ereignisse gründet, oder ob diese Erklärung aus der realen Welt des Mittelalters in den Kommentar eingetragen wurde. MS Zürich Or 157 zu Rut 2,9 paraphrasiert die Aussage des Bibeltextes und schmückt sie aus. Ergebnis ist dabei sowohl eine Handlungsanweisung an Rut (als

687 MS Berlin 1221 zu Rut 2,8: …‫אל תלכי בתי ללקט בשדה אחר שלא יפגעו בך בשדה אחר שדיבר‬ ‫…'כעור ונוול לאשה כשבחורים נוגעים בה‬ ֯ "…Gehe nicht, meine Tochter, um auf einem anderen Feld [Nachlese] zu sammeln, damit sie dich nicht auf einem anderen Feld angehen, denn er sprach: 'Es ist Hässlichkeit und eine Schande für eine Frau, wenn junge Männer sie berühren.'…" 688 ‫ולפי שדרך הקוצרים לשאוב מים מן הבאר ולי' ולהביאם בשדה והקוצרים צריכים לשתות הרבה מפני‬ ‫" החום והם חסין על המים מליתן לנכרים' אבל את וצמית והלכת אל הכלים ושתית‬Und da es die Art der Schnitter ist, Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen und es auf das Feld zu bringen, und [da] die Schnitter wegen der Hitze viel trinken müssen und sie auf das Wasser hoffen, wird es nicht an Fremde [aus]gegeben. Aber du [für dich gilt dies nicht], und wenn du durstig bist, dann gehe zu den Gefäßen und trinke."

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13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

chronologischer Ablauf, wie sich Rut verhalten soll, wenn sie durstig ist) als auch die Abweisung einer möglichen Zurückhaltung Ruts: ‫וצמית והלכת אם תמצאי לשתות‬ ‫“ אל תכלמי מלכת ולשתות מכלי מים שישאבון הנערי‬Und [wenn] du durstig wirst, dann gehe [zu den Gefäßen] – Wenn du durstig sein wirst, [dass Du] trinken [willst, dann] schäme dich nicht davor, zu gehen und von den Wassergefäßen zu trinken, die die jungen Männer schöpfen.”

Rut 2,10: “Weshalb habe ich Gefallen in deinen Augen gefunden, mich wahrzunehmen, obwohl ich eine Fremde bin?” MS Berlin 1221 bietet nur einen kurzen Kommentar zur Stelle, der bemerkenswerterweise im Bilde der Formulierung des Bibeltextes bleibt.689 Der erste Teil des Lemmas wird zusammengezogen mit den Worten ‫“ ומה ראית‬Und was sahst du”, der Beginn des zweiten Teils des Lemmas ‫“ להכירני‬mich wahrzunehmen” wird im Kommentar nochmals zitiert. Somit wird das Lemma umformuliert und mit drei Worten zusammengefasst: ‫“ ומה ראית להכירני‬Und was sahst du, mich wahrzunehmen?” Der Hinweis Ruts aus Rut 2,10, dass sie “eine Fremde” sei, wird als inhaltliche Komponente nicht aufgenommen. Anders MS London 22413, wo das Konzept des Vorrechts, Nachlese auf einem Feld halten zu dürfen, auf das verwandtschaftliche Verhältnis zum Feldbesitzer bezogen wird. Wie Rut 2,10 ist hier auch der Kommentar als Worte Ruts gestaltet. Sie argumentiert, dass andere Frauen, die auf dem Feld Nachlese halten, mit den “Söhne deines [also Boaz’] Volkes” verwandt seien. Aufgrund dieser Beziehung seien sie natürlich berechtigt, auf dem Feld Nachlese zu halten. Verwandtschaft berechtigt also die angeheirateten Frauen dazu, auf einem bestimmten Feld Nachlese zu halten. Durch die Argumentation Ruts impliziert der Kommentar, dass auch Rut von dieser Regelung gewusst haben musste.690 Somit ist bezüglich des “erzählerischen,” inhaltlichen Zusammenhangs im Buch Rut selbst anzunehmen, dass Rut die rechtlichen Voraussetzungen im Kontext der Ernte kennt, die nur Verwandten die Nachlese erlauben.691 Jedenfalls kann hier festgehalten werden,

689 Rut 2,10: ‫ מדוע מצאתי חן בעיניך להכירני ואנכי נכריה‬Weshalb habe ich Gefallen in deinen Augen gefunden, mich wahrzunehmen, obwohl ich eine Fremde bin? 690 Natürlich befindet sich diese Auslegung im Kontext des vorher ausgeführten Kommentars zu Rut 2,4 ff. So kann vorausgesetzt werden, dass der Rezipient die vorherige Argumentation des jungen Mannes über die Schnitter kennt (vgl. oben, MSS Berlin 1221 und London 22413 zu Rut 2,4–5 f.). 691 Bei Ruts angenommener Kenntnis ihrer Rechte muss noch lange nicht vorausgesetzt werden, dass sie auch den Dialog zwischen Boaz und seinem jungen Mann aus

13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

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dass in den Worten Ruts, die der Kommentar wiedergibt, die Themen des verwandtschaftlichen Verhältnisses sowie der Volkszugehörigkeit zusammengezogen werden. Beides steht so nicht im Bibeltext und kann als inhaltliche Erweiterung gewertet werden. Weiter stellt der Kommentar beiden Sachverhalten (Verwandtschaft und Volkszugehörigkeit) ausdrücklich die Fremdheit Ruts gegenüber. Dabei verwendet er den im Bibeltext sehr wohl auftretenden Begriff ‫“ נכריה‬Fremde”. Im Kommentar wirkt der Unterschied Ruts zu den anderen Nachlesenden damit schroffer als im Bibeltext.692 Ganz anders ist dagegen die Erklärung in MS Zürich Or 157 zu Rut 2,10 verfasst. Dort wird ‫“ להכירני‬mich (in dieser Weise) wahrzunehmen” nicht einfach nur als “bemerken” oder “registrieren” verstanden, sondern mit der Formulierung ‫ להכירה בדרך ארץ‬euphemistisch als “ihr durch Beischlaf beiwohnen” interpretiert.693 Interessanterweise wird im Kommentar mit “Prophezeiung” argumentiert (‫נתנבאת‬ ‫“ בעצמה‬sie prophezeite bei sich selbst”).694 Inhaltlich wird im Kommentar bereits auf eine partnerschaftliche Beziehung zwischen Rut und Boaz angespielt und somit vorgegriffen auf die Heirat beider, wie es in Rut 4,13 geschildert wird.695

Rut 2,11a: Und Boaz antwortete und sprach zu ihr: “Es ist mir erzählt, [ja wirklich] erzählt worden…” In MS Berlin 1221 ist das doppelte Auftreten von √‫ נגד‬im ersten Versteil von Rut 2,11 Ausgangspunkt der Erklärung: ‫“ הגד הוגד‬es ist mir erzählt [ja wirklich] erzählt worden.”696 Der Kommentar geht auf die Abfolge des Erzählten ein und verwendet den zweiten Versteil zur Interpretation: Sowohl a) das Verlassen der

692 693 694 695

696

Rut 2,5 f. kennt, wo gerade im Kommentar zu dieser Stelle die rechtlichen Voraussetzungen konkret dargestellt werden. In Rut 2,10 steht am Versende lediglich ‫" ואנכי נכריה‬und ich bin eine Fremde," was mit Waw-­Kopulativum verbunden ist. Eventuell kann diese Bedeutung der Wortwurzel √‫" נכר‬kennenlernen" über √‫ידע‬ "erkennen" hergeleitet werden (wobei √‫ידע‬, "erkennen", stellenweise mit Beischlaf in Verbindung gebracht wird, beispielsweise in Gen. 4,1). ‫ נתנבאת‬ist dabei ein Nitpael, vgl. MS London 22413 zu Rut 1,18, wo ebenfalls eine Form im Nitpael auftritt: …‫נתאמצה ללכת עמה‬. Laut MS Zürich Or 157 zu Rut 2,10 sagt Rut sich selbst etwas voraus, was dabei nicht direkt auf das Ergehen bzw. Schicksal Israels bezogen wird. Im Kommentar kommt somit ein weiter gefasstes Verständnis von "Prophezeiung" zum Vorschein, als dies etwa im Sinne der klassischen Propheten auftritt. In MT (BHQ) wird dabei – anders als im Zitat des Lemmas aus Rut 2,11 – das zweite Wort defektiv geschrieben: ‫הגד הגד‬.

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13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

Eltern (Rut 2,11bα) als auch b) das Verlassen des Heimatlandes und des eigenen Volkes (Rut 2,11bβ) wird demnach mit der zweifachen Verwendung der Wortwurzel ausgedrückt. Im weiteren Verlauf der Texterklärung wird besonders mit der Formulierung ‫הייתי תולה‬697 argumentiert. Dabei wird eine Interpretation von Ruts Verhalten in Boaz’ Worten wiedergegeben. Der Kommentar ist ausführlich formuliert und dabei selbsterklärend. Festzuhalten ist das Ergebnis der Argumentation im Kommentar, was mit den Worten aus Rut 2,12 wiedergegeben wird: Rut sei gekommen, um sich unter des Ewigen Flügel zu bergen. Somit gibt der Kommentar die Äußerung in Rut 2,12 insgesamt als Abschluss der Ausführung des vorangegangenen Bibelverses wieder und stellt dies als Intention für Ruts Orts-, Familien- und Volkswechsel dar.698 MS London 22413 legt ebenfalls das doppelt auftretende ‫“ הגד הוגד‬es ist mir erzählt [ja wirklich] erzählt worden” aus und bezieht dies einerseits auf das Verlassen der leiblichen Eltern, andererseits auf den Aufbruch zu einem Volk, das Rut nicht kennt. Letzteres wird schon im Bibeltext mit der temporalen Angabe ‫אחרי‬ ‫ מות אישך‬nach dem Tod deines Mannes angegeben. Diese temporale Einordnung wird im Kommentar der im Buch Rut erzählten Vergangenheit gegenübergestellt, als Ruts Ehemann und Schwager in Moab noch am Leben gewesen waren und Rut noch in ihrem Heimatland weilte. Beide Situationen werden aufgeführt, weil diese – aus Sicht des Kommentars – als schlicht nachvollziehbare Verhaltensweisen gelten und nicht mit dem Attribut ‫“ חסד‬rechtschaffen” zu bezeichnen wären. Im Text steht ‫בימות‬, was hier mit femininer Pluralendung als Pluralform von ‫יום‬ übersetzt wird, obwohl dies grammatisch korrekt ‫ בימים‬heißen müsste. Die Interpretation des Wortes als Imperfekt 3. Sg. mask. mit Präfix von √‫“ מות‬tot” wird hier nicht übersetzt, was dann als “[wenn du dies getan hättest, als dein Mann] starb” wiedergegeben werden könnte. Eine lautliche Nähe der Formulierung zu ‫“ מות‬Tod” ist dennoch bemerkenswert. Der Kommentar ist hier zweifach parallel strukturiert: Es werden darin jeweils zwei Alternativen geboten, was wiederum auf die zweifache Formulierung ‫ הגד הגד‬in Rut 2,11 zurückgeführt werden kann und somit das zweifache Auftreten der Wortwurzel √‫ נגד‬für zwei Auslegungsmöglichkeiten steht. Im Fortlauf der Kommentierung geht MS London 22413 sehr “lebensnah” auf das Verhältnis zwischen Schwiegertochter und Schwiegermutter ein, wobei hier das gängige Bild eines “negativ geprägten” Verhältnisses 697 Wortwurzel von ‫ תולה‬ist √‫תלה‬. 698 Eventuell könnte die Auslegung als "auf Gott bezogene" Interpretation (vgl. auch MS London 22413 zu Rut 2,3) charakterisiert werden, da anschließend in Rut 2,12 "…um dich unter seinen [des Ewigen] Flügeln zu bergen" als ausschlaggebend für Ruts Ortswechsel nach Beit Lechem genannt wird.

13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

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zwischen beiden im Kommentar zum Vorschein kommt.699 Rut verhält sich – laut Kommentar – ihrer Schwiegermutter gegenüber wie andere zu ihren leiblichen Müttern. Gleichzeitig verhält sie sich zu ihren eigenen Eltern wie andere ihren Schwiegereltern gegenüber. Der Kommentar betont dieses chiastische Verhältnis. Ruts Wohltat an ihrer Schwiegermutter wird aber ein Stück weit dadurch relativiert, dass sie ihre eigenen Eltern oder zumindest einen Teil ihrer Angehörigen, die wahrscheinlich weiterhin in Moab leben, verlässt.

 ut 2,11b: “…Alles, was du deiner Schwiegermutter [Gutes] R getan hast nach dem Tod deines Mannes und [auch,] dass du deinen Vater und deine Mutter verlassen hast, und dein Heimatland und zu einem Volk gingst, das du vordem [noch] nicht kanntest.” MS Zürich Or 157 geht ebenfalls auf das doppelt auftretende ‫ הגד‬ein, bezieht es aber auf verschiedene Lokalitäten, an denen allgemein Kommunikation stattfindet: im Haus und auf dem Feld. Interessanterweise werden dabei keine weiteren Orte der Kommunikation (wie Gassen oder Märkte) genannt. Möglicherweise hängt dies mit der Formulierung aus Rut 2,7 zusammen, wo im Bibeltext ‫זה שבתה‬ ‫ הבית מעט‬sie saß nur wenig im Hause formuliert wird und im Kommentar quasi auf “dasselbe Haus” Bezug genommen wird. Weiter geht MS Zürich Or 157 auf die temporale Angabe im Bibeltext ein, wo von Ruts guten Taten die Rede ist, formuliert mit ‫ אחרי מות אישך‬nach dem Tod deines Mannes. Diese Zeitangabe wird nun im Kommentar ebenfalls auf den Zeitraum vor dem Tode von Ruts Ehemann bezogen (vgl. MS London 22413). Weiter zitiert MS Zürich Or 157 auch den zweiten Teil von Rut 2,11700 abschnittsweise und nimmt im Vergleich

699 ‫ ויש שמטיבות להם בעוד‬/‫לפי שיש נשים ששונאו' חמותיהן אפי' בחיי בעליהן אבל את עזבת אביך וא‬ ‫" 'החמות רוצ' להיות עמה בביתה שאם הנחת אביך ואמך יושבים בעיר‬Denn es gibt Frauen, die ihre Schwiegermütter hassen, sogar noch zu Lebzeiten ihrer Ehemänner. Aber du hast deinen Vater und [deine] M[utter] verlassen. Und es gibt [auch die Situation] dass [Schwiegertöchter] ihnen Gutes tun, solange die Schwiegermutter mit ihr in ihrem Hause bleiben will. [Aber] wenn Du Deinen Vater und Deine Mutter gelassen hast, wohnen sie [ja noch dort] in [jener] Stadt." Zum negativ geprägten Verhältnis von Schwiegertochter und Schwiegermutter vgl. beispielsweise Holfelder, Ute, Die Schwiegermutter: Formung und Tradierung eines Stereotyps, Göttingen: Waxmann, 2009, S. 9 ff. 700 Daher "Alles, was du deiner Schwiegermutter [Gutes] getan hast nach dem Tod deines Mannes und [auch,] dass du deinen Vater und deine Mutter verlassen hast, sowie

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13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

zu MSS Berlin 1221 und London 22413 einen weiteren Versabsatz in die Erklärung auf. Das Verlassen von Vater und Mutter kann in MS Zürich Or 157 als erste Information bezeichnet werden, die Boaz erzählt worden sei.701 Weiter kann das Verlassen des Heimatlandes als zweiter Sachverhalt verstanden werden, der Boaz berichtet wurde. ‫“ וארץ מולדתך‬dein Heimatland” wird dabei als ‫מקום שכינתך‬ “dein Wohnort” kommentiert. Bemerkenswert bei der Wortwahl ist ‫“ שכינתך‬dein Wohn[ort]”, da diese Formulierung an ‫“ שכינה‬Einwohnung” erinnert, besonders im Zusammenhang mit der Shekhina “Einwohnung Gottes”.702

Rut 2,12: “Der Ewige vergelte dir dein Werk und es werde dir dein Lohn vollständig vergolten … vom Ewigen, dem Gott Israels, da du kamst, um dich unter seine Flügel zu bergen.” In MS Berlin 1221 wird zunächst der erste Teil des Verses ausgelegt, der im weiteren Verlauf des Kommentars nochmals zitiert wird: ‫ישלם יהוה פעלך ותהי משכרתך‬ ‫ שלמה‬der Ewige vergelte dir dein Werk und es werde dir dein Lohn zuteil. Dieser Segenswunsch – in den Worten Boaz’ – wird ausgeführt, nachdem auf Ruts Eigenschaft als alleinstehende Frau in einem fremden Land eingegangen wurde. In dieser Ausführung werden mehrere Aspekte genannt, einerseits das Verlassen des Vaterhauses und des Geburtslandes und andererseits der Fortgang in ein unbekanntes Land. Das Resultat des Wegzugs Ruts aus Moab ist ihr finanziell prekärer Zustand (‫“ מחסרת פרנסתה‬ohne Lebensunterhalt”) sowie das Fehlen eines Ehemannes, der ihr würdig ist (‫)ומחסרת איש הראוי לה‬. Des Weiteren werden die Begriffe Vaterhaus, Geburtsland, Volk sowie Ehemann (alle verbunden mit dem dein Heimatland, und zu einem Volk gingst, das du vordem [noch] nicht kanntest" in der Zwischenüberschrift. 701 Dabei wird das Verlassen von Vater und Mutter in MS Zürich Or 157 als Götzendienst interpretiert. Als Referenz für dieses Verständnis wird Jer. 2,27 zitiert, wo ebenfalls der Begriff ‫" אב‬Vater" verwendet wird. In diesem Vers aus dem Buch Jeremia ergibt sich durch die Verwendung der Worte ‫" אב‬Vater" und ‫" אבן‬Stein" eine lautliche Verbindung. Dies könnte für Jer. 2,27 auf steinerne Mazzeben bezogen werden, soll hier aber nicht weiter thematisiert werden. 702 Auf den Begriff der Shekhina kann in diesem Kontext nicht eingegangen werden, es sei nur kurz Folgendes zitiert: "The notion of the Divine Presence is expressed in the Bible in two different senses: (1) in the corporeal sense, i.e., the actual dwelling (shakhan, ‫ׁשכַן‬ ָ ) of God in His abode; (2) in the abstract sense, i.e., symbolic representation by means of calling or establishing His name (shikken shem, ‫ׁשּכֵן ׁשֵם‬ ִ ) upon the Sanctuary or the people." Siehe Weinfeld, Moshe, "Presence, Divine". In: Encyclopaedia Judaica 16, 2007, S. 481.

13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

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Thema Heirat und Ehe) aufgeführt. Durch die Zusammenstellung der genannten Begriffe wird die Auslegung zum Vers inhaltlich mit anderen Passagen vorheriger Ausführungen verbunden, z. B. zu Rut 1,7–11. Dies passt gut in die inhaltliche Abfolge des Kommentars, da dieser den Dialog zwischen Boaz und Rut abschließt. Eine Zusammenfassung, formuliert als Zuspruch, beendet die Ausführungen zur Stelle. Darin wird geäußert, dass der Ewige alles, was fehlt, vergelten (“auffüllen”) solle. Das Thema des Mangels (‫“ כל מה שחסרת‬alles was dir fehlt,” ist schon in die Erklärung weiter oben eingefügt), sowie der Wunsch des “Vergeltens” (‫ישלם יק‬ der Ewige vergelte aus dem Wortlaut von Rut 2,12) wird durch die Auslegung zusammengefasst und in der Interpretation aufeinander bezogen. So schließt die Erklärung mit positiven Wünschen, die den anfangs erwähnten Entbehrungen (Ermangelung an Lebensunterhalt und würdigem Ehemann) gegenübergestellt sind: ‫“ פרנסה ומנוח‬Unterhalt und Heim” sind die beiden Faktoren, die zum Wohlergehen Ruts (mit Hinweis auf Rut 3,1: ‫ אשר ייטיב לך‬das dir gut sein wird) beitragen sollen. Im Kommentar von MS London 22413 wird zu Rut 2,12 inhaltlich Ähnliches ausgelegt wie in MS Berlin 1221, hier jedoch mit anderen bedeutungsaufgeladenen Begriffen formuliert. So wird ausgeführt, dass “jede Frau, die aus ihrem Vaterhaus verbannt worden ist, keinen [Mann] von vornehmer Herkunft heiraten oder Erbteile in Besitz nehmen kann.”703 Mit der Verwendung des Wortes ‫ הגולה‬wird im Kommentar auf den Wegzug Ruts aus ihres Vaters Haus Bezug genommen.704 Hier ist interessant, dass der Kommentar gerade die Wortwurzel √‫ גלה‬verwendet, die andernorts für Exil und Verbannung steht.705 Weiter hat √‫ גלה‬die Bedeutung von “aufdecken”, was in Lev. 18 für das unzulässige Entblößen von der Scham einer/s Verwandten verwendet wird.706 Kurz nach diesen Ausführungen wird das Wort 703 MS London 22413 zu Rut 2,12: ‫[לפי] שכל אשה הגולה מבית אביה אינה יכלה לינשא למיוחס‬ ‫ולירש נחלות שהרי במקום גירותה לא ישאנה עשי' ומיוחס‬. ֯ Dabei wird ‫עשי‬, das am Ende der Zeile auf Fol. 72v, Zeile 44 [im Kommentar am Rand] steht, als Abkürzung von ‫עשיר‬ verstanden und übersetzt. 704 ‫ הגולה‬als Pu'al, 3. Sg. fem. mit vorangestelltem Artikel ‫ ה‬von √‫" גלה‬auswandern", siehe Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 79, zu √‫גלה‬, Unterpunkt 2. Das moderne Verständnis des Begriffs "in die Verbannung gehen", siehe beispielsweise Lavy: Handwörterbuch Hebräisch-­Deutsch 1975, S. 96, wird hier nicht in der Übersetzung verwendet. 705 Z.B. in Ri. 18,30. Zum Begriff vgl. z. B. Wagner, Thomas: "Exil / Exilszeit". In: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet 2008. http://www.bibelwissenschaft.de/ stichwort/18001 (Zugriffsdatum: 19.06.2013). 706 Die thematische Fülle dieses Wortes sei damit nur kurz angesprochen und kann in einem anderen Zusammenhang weiter ausgeführt werden.

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13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

‫“ יציאה‬Auszug” (‫“ ביציאתך‬bei deinem Auszug”) verwendet, das in einem anderen Kontext auch für den Auszug der Israeliten aus Ägypten (‫ )יציאת מיצרים‬gebraucht wird. Der Kommentar verwendet nun die beiden sinnverwandten Begriffe √‫גלה‬ “auswandern” und √‫“ יצא‬wegziehen” in den Ausführungen zu Rut 2,12. Darin wird zunächst allgemein eine “Auswanderung” aus dem Vaterhaus thematisiert, (‫לפי‬ ‫“ שכל אשה הגולה מבית אביה‬Da jede Frau, die aus ihres Vaters Hause ausgewandert ist”) und daraufhin auf Rut bezogen (mit den Worten ‫“ ביציאתך ממקומך‬bei deinem Wegzug aus deinem [Herkunfts-]Ort”). Im folgenden Teil des Kommentars in MS London 22413 wird das Wort ‫“ משכרתך‬dein Ertrag” inhaltlich auf den Ehemann bezogen. Dieser Ehemann soll folgende Eigenschaften besitzen: Er soll reich, von vornehmer Herkunft und Inhaber des Königtums sein. Diese Eigenschaften beinhalten eine ähnliche Konnotation wie die bereits zuvor genannten Themen “Volk” und “Königtum.” Das Königtum wird im Kommentar wortwörtlich genannt und der Bezug auf eine “vornehme Herkunft” verweist indirekt auf das Thema der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk (bzw. Volksstamm). Die erstgenannte Eigenschaft des (monetären) Besitzes, die auf den Ehemann bezogen wird, lässt sich durch die Formulierung des Bibeltextes erklären: Rut 2,12 verwendet den Begriff “Ertrag” (‫)משכורת‬, der auf Reichtum hindeutet. Diesbezüglich schließt sich der Kommentar sinnreich an die Bedeutung der in Rut 2,12 zweifach auftretenden Wortwurzel √‫“ שלמ‬vergelte”… “vollständig [vergolten]”, also √‫שלמ‬, im Sinn von “voll und ganz” an. All die genannten Eigenschaften für Ruts erwünschten zukünftigen Ehemann als “Lohn” (‫ משכור‬als Abkürzung für ‫ )משכורתך‬werden auf ihr Verlassen des eigenen Volkes bezogen (‫“ מפני שהנחת ועזבת עמך‬weil du dein Volk gelassen und verlassen hast”). Zuletzt wird aus Rut 2,12 zitiert, was sich gleichsam als Höhepunkt und Zusammenfassung des Verses gestaltet. Die wiedergegebenen Worte sind dabei kein reines Zitat aus Rut 2,12, sondern eine Zusammenstellung einzelner Versteile, nämlich Rut 2,12bα und 2,12β. Darin stellt sich Ruts Intention als vollkommen unabhängig von Streben nach Gewinn dar: ‫לחסות ביי’ אלהי ישר‬ “um bei dem Ewigen, dem Gott Israels, Zuflucht zu finden.”

Rut 2,13: “[Aber] ich werde [doch] nicht wie eine deiner Mägde [sein].” Der Bibeltext schildert in Rut 2,13 Ruts Antwort, die inhaltlich im starken Gegensatz zur vorher im Kommentar geäußerten überreichen Zusage und Form von Lohn darstellt. Der Kommentar in MS Berlin 1221 führt Rut 2,13 nicht direkt aus. In MSS London 22413 und Zürich Or 157 findet sich jedoch eine Ausführung zur Stelle, die inhaltlich parallel verläuft: In MS London 22413 wird Ruts Unterwürfigkeit formuliert. Dabei versteht der Kommentar die Imperfektform des Bibeltextes

13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

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als Voluntativ, d. h. als “Willensform”, die ausdrückt, dass Rut gar nichts anderes sein wolle als die Magd Boaz’.707 Dagegen ergänzt MS Zürich Or 157 zu Ruts Aussage das Attribut ‫“ חשובה‬wichtig”, was zur Folge hat, dass Rut sich laut Kommentar zumindest gleichrangig wie die Mägde Boaz’ darstellt, sich also auf eine Ebene mit ihnen und nicht unter sie stellt. Zusammengefasst wird in MS London 22413 inhaltlich darauf hingewiesen, dass Rut sich durch ihren Status als Fremde (wie es der Bibeltext darstellt) eigentlich nicht als über die Mägde Boaz’ gestellt sehen will, in MS Zürich Or 157 stellt sie sich zumindest schon als “[so] wichtig, wie eine deiner [also Boaz’] Mägde” dar.708 Im Vergleich zwischen MS London 22413 und MS Berlin 1221 ist somit eine Steigerung in Ruts Selbsteinschätzung zu erkennen.

Rut 2,14: Und Boaz sagte ihr: “…Und tauche deinen Bissen in Essig.” Und er reichte ihr Geröstetes [Getreide] dar. Und sie aß und wurde satt und ließ [noch etwas] übrig. Bei der Kommentierung von ‫“ ויצבט‬er reichte ihr dar” (von der Wortwurzel √‫)צבט‬ werden in MS Berlin 1221 und MS London 22413 verschiedene Wortformen von √‫ ישט‬zur Erklärung verwendet: In MS Berlin 1221 steht zur Erklärung des Wortes ‫( ויצבט‬Rut 2,14) ‫( הושיט‬Hofal, 3. Sg. Perfekt mask. von √‫)ישט‬. Eine andere Wortform findet sich in MS London 22413, wo ‫ ויושט‬steht (Impf. Konsekutiv 3. Sg. mask. von √‫)ישט‬. So greifen beide Kommentar-­Versionen zur Erklärung von ‫ויצבט‬ auf √‫ ישט‬zurück: Die beiden Wurzeln √‫ צבט‬und ‫ ישט‬können mit “darreichen” wiedergegeben werden.709 Zu Rut 2,14 greifen also beide Kommentar-­Fassungen auf ein synonymes hebräisches Wort zurück. Es folgt sowohl in MS Berlin 1221 als auch in MS London 22313 ein Hinweis auf die Mishna zur Erklärung des “Henkels” (dessen Nennung aus Rut 2,14 hergeleitet wird). MS Berlin 1221 führt das Zitat aus mHag 3,1 dabei länger aus als MS London 22413 und verweist auf die Gemara, vgl. bHag 22b. Weiter sind die Erklärungen in MSS Berlin 1221 und

707 MS London 22413 zu Rut 2,13: ‫" ואנכי לא אהיה' איני רוצה להיות אלא כשפחתך הקטנה‬Aber ich werde nicht sein – ich will [gar] nicht [anders] sein, als wie deine kleine Magd." 708 MS Zürich Or 157 zu Rut 2,13: ‫[ לא אהיה כאחת שפחתך' אני חשובה כאחת שפחתך‬Aber] ich werde [doch] nicht wie eine deiner Mägde [sein] – [das heißt] ich bin [doch nur so] wichtig, wie eine deiner Mägde. 709 Zu Bedeutung von √‫צבט‬: "anfassen, darreichen. Chag. 22b wird ‫ בית הצביטה‬erklärt: ‫ מקום שצובטו‬die Stelle des Gefässes [sic], wo man dasselbe anfasst, um es Anderen [sic] zu reichen." Siehe Levy, Jacob, Wörterbuch über die Talmudim und Midraschim, Bd. 4. ‫ת‬-‫נ‬. Berlin und Wien: Benjamin Harz Verlag 1924, S. 163. ‫" ישט‬darreichen" siehe ebd., Bd. 2. ‫ל‬-‫ח‬, S. 273.

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13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

London 22413 zum Lemma710 vorwiegend parallel gestaltet: Beide verweisen auf den Gesamtzusammenhang der Ereignisse im Buch Rut. MS Berlin 1221 schließt den Kommentar zur Stelle mit der Erklärung ab, Rut 2,18 beziehe sich auf die hier ausgeführte Stelle Rut 2,14. Somit wird ein eventueller Vorwurf der Redundanz der Aussage in Rut 2,18 von vornherein umgangen, indem auf den weiteren Verlauf des Bibeltextes hingewiesen wird. In MS London 22413 wird ausgeführt, was Boaz über die Angaben im Bibeltext hinaus noch zu Rut gesagt haben soll. Der Kommentar legt ihm in den Mund, dass ihm der “Vorfall”711 bekannt gemacht worden sei. Damit könnte möglicherweise eine “nicht real greifbare Informationsübermittlung” gemeint sein, beispielsweise durch Prophetie, die hier gegebenenfalls indirekt angesprochen werden soll. Aber auch eine Informationsübermittlung an Boaz kann hier mit [‫“ הודיעני המקר[ה‬der Vorfall wurde mir bekannt gemacht” gemeint sein. Weiter wird konstatiert, dass diese “Informationsübermittlung” mit der “Zufluchts-­Suche Ruts unter den Flügeln [des Ewigen]” in Verbindung gebracht werden kann. Die überleitenden Worte ‫לפי‬ ‫“ ש‬da” verweisen auf den Sachverhalt, dass Rut namentlich “unter den Flügeln der Shekhina” Zuflucht gesucht habe. Interessanterweise tritt hier wiederum der Begriff Shekhina statt der Verwendung des Gottesnamens auf712 und wird als Ursache für das Gelingen Ruts benannt.713 Weiter leitet der Kommentar zum nächsten Versteil über, wobei er ausführt, dass Rut sich Boaz näherte, nachdem er nun offenbar wusste, dass sie die Frau seines (verstorbenen) Verwandten (gewesen) war.714 So wendet sich Rut keinesfalls “scheu” von Boaz ab (etwa weil sie sich selbst als zu gering betrachtet), sondern setzt sich ohne zu zögern zu Boaz und den anderen Schnittern. Damit räumt die Erklärung auch einen Widerspruch im Textzusammenhang aus, und zwar zwischen Rut 2,13 (wo Rut sich mit den Mägden Boaz vergleicht) und Rut 2,14b (wo sich Rut zu den Schnittern setzt).715 Im Bibeltext selbst wird ledig710 Das zweite zu Rut 2,14 ausgelegte Lemma lautet ‫ תלקט ולא תכלימוה‬Und sie aß und wurde satt und ließ [noch etwas] übrig. 711 [‫" הודיעני המקר[ה‬mir ist der Vorfall bekannt gemacht worden." 712 Zum Begriff Shekhina vgl. Anm. zu Rut 2,11. 713 MS London 22413 zu Rut 2,14: ‫[" השכינה הצליחה‬die] Shekhina, die [es dich] hat gelingen lassen". 714 MS London 22413 weiter zu Rut 2,14: …‫…" 'ומאחר שידע בעז שהיא אשת קרובו קירבה אליו‬ Und nachdem Boaz wusste, dass sie die Frau eines nahen [Verwandten] war, näherte sie sich ihm." 715 Eventuell sind Schnitter in der hier impliziten Hierarchie höher gestellt als Mägde. Jedoch kann eine derartige Vorstellung des Verhältnisses verschiedener Geschlecher oder Gesellschaftsschichten, die dem Kommentar zugrunde gelegen haben mag, hier nicht weiter ausgeführt werden.

13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

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lich dargestellt, dass Rut sich zu den Schnittern setzt. Im Kommentar wird darüber hinausgehend konstatiert, dass Boaz Rut zu sich setzt, was über die im Bibeltext geschilderte Handlung hinausgeht. Der Kommentar bezieht überdies diese dargestellte Art einer “Heraufsetzung” Ruts zur Seite Boaz auf “ihre Ehre” (‫)מפני כבודה‬. Das könnte als Ehrerbietung Boaz’ Rut gegenüber verstanden werden, da er nun – laut Kommentar – weiß, dass Rut eine “Schwiegertochter aus gutem Hause” ist und als Angeheiratete in Elimelekhs Familie (und damit auch Boaz’ eigener Verwandtschaft) einer Art Oberschicht angehört.716 Des Weiteren wird ausgeführt, dass Boaz Rut nicht erlaubt, auf der Erde zu sitzen. Der Kommentar verwendet dafür die Formulierung ‫לישב יחידית על‬ ‫“ הארץ‬alleine auf der Erde zu sitzen.” Die Verwendung des Begriffes ‫“ ארץ‬Erde” erinnert an Rut 1,7, wo ‫ ארץ‬als “Land” Jehuda genauer spezifiziert wird. Somit könnte sich aus dem Kommentar ableiten, dass Rut nicht alleine im Lande Jehuda sitzen solle. Weiter lässt sich mit Verwendung des Wortes ‫ ארץ‬auch der Kommentar in MS Copenhagen 35 zur Stelle anbringen, wo es heißt, Noomi und Rut seien barfuß gegangen.717 Weiter beschäftigt sich MS London 22413 wie MS Berlin 1221 mit ‫“ ויצבט‬und er reichte dar” und kommentiert dies mit den Worten ‫“ ויושט’ כמ’ בית הצביטה‬und er reichte [es ihr] dar, wie “Henkel” (mHag 3,1).”718 Diese Ausführung ist sowohl vergleichbar mit MS Berlin 1221 als auch mit MS Zürich Or 157, jedoch um einiges kürzer gefasst. Als Abschluss des Kommentars in MS London 22413 zu Rut 2,14 wird ein Teil von Rut 2,18 zitiert und damit auf den Erzähl-­Zusammenhang hingewiesen.719 Dabei wird die Formulierung ‫שביר‬ ‫[“ לך האזן‬das verweist] dich [darauf, dass ein folgender Sachverhalt schon hier]

716 Laut MS Berlin 1221 war Elimelekh ein reicher Mann und Ernährer seiner Generation gewesen, vgl. MS Berlin 1221 zu Rut 1,1, wo Elimelekh als Fürst Jehudas dargestellt wird, ebenso wie in MS Zürich Or 157 zu Rut 1,1. 717 Aus MS Copenhagen 35 zu Rut 1,7: ‫" גופן נוגע בארץ‬und ihr Körper war mit dem Landesboden in Berührung." 718 Vgl. dazu die Ausführungen zum Kommentar zur Stelle in MS Berlin 1221 weiter oben. 719 Aus MS London 22413 zu Rut 2,14: ‫שיבר לך האזן מפני שר'ל' למטה ותוצא ותתן לה את אשר‬ ‫" הותירה משבעה‬Und sie aß und wurde satt und ließ [noch etwas] übrig – [das verweist] dich [darauf, dass ein folgender Sachverhalt schon hier] anklingt, weil [die Schrift] unten [noch] sagen will Und sie zog sie heraus und gab es ihr, was sie übrig behalten hatte als sie satt geworden war (Rut 2,18)." Inhaltlich kongruent argumentiert MS London 22413 auch später zu Rut 2,18, wo es einen Rückverweis auf Rut 2,14 gibt, der dort mit ‫" מוסב על‬ist hinzugefügt zu" eingeleitet wird.

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anklingt” verwendet und auf den Kontext des Erzählten bezogen.720 Zu Rut 2,14 verwendet MS London 22413 also den Begriff ‫“ אזן‬Ohr”, welcher mit …‫מפני ש‬ weitergeführt wird.721 Auch wenn diese Formulierung aus der Traditionsliteratur kommt,722 ist bemerkenswert, dass hier auf das hörende Sinnesorgan Bezug genommen wird, da dieser Wortgebrauch auf eine mündliche Rede schließen lässt. Jedoch kann nicht bewiesen werden, ob die genannte Formulierung aus der hergebrachten und bei der Kommentierung verwendeten Literatur stammt, oder ob sie erst auf der Ebene der Kommentierung im Mittelalter selbst (sozusagen als Redewendung) in die Erklärung eingetragen wurde. Auch wenn die Wortwendung nicht als wortwörtliche Bezugnahme auf das “Hören” gedeutet werden sollte, kann dennoch festgehalten werden, dass ein Zusammenhang zwischen der Formulierung und dem Adressaten des Kommentars besteht: Evtl. wurde die Formulierung mit der Verwendung des Sinnesorgans “Ohr” durch ihren Gebrauch im Bereich der mündlichen Rede nach und nach – schon vor ihrer Verwendung im vorliegenden mittelalterlichen Kommentar – zu einem feststehenden Begriff. Als solches könnte diese Formulierung dann im Mittelalter in den Kommentar eingetragen worden sein. MS Zürich Or 157 geht erst später auf die Formulierung ‫ ויצבט לה‬im zweiten Versteil ein. Der Kommentar setzt mit der Auslegung zu Boaz’ Aufforderung im Bibeltext ein ‫“ וטבלת פתך בחומץ‬Und tauche deinen Bissen in Essig”. MS Zürich Or 157 konstatiert zur Stelle: ‫“ וטבלת פתך בחומץ מכן שהחומץ יפה לשרב‬Und tauche deinen Bissen in Essig – von [dem, was] hier [geschrieben steht, leitet man ab], dass der Essig schön ist für [Erfrischung an Tagen mit Temperaturen von großer] Hitze.” Dabei stammt der letzte Teil des Kommentars aus bShab 113b.723 Auch wenn dies ein Zitat aus der rabbinischen Literatur ist, kann dies möglicherweise dennoch als Hinweis auf einen im Mittelalter weiter existierenden

720 Eine wörtlichere Übersetzung für ‫ שיבר לך האזן‬wäre "zerschmettert dir das Ohr", vgl. Berliner: Raschi 1905, Anm. 12, S. 146 (Hebr.). 721 MS London 22413 zu Rut 2,14: …‫[…" …שיבר לך האזן מפני ש‬das verweist] dich [darauf, dass ein folgender Sachverhalt schon hier] anklingt, weil…" Im Vergleich dazu fährt die Erklärung zu Rut 1,22 fort mit ...‫לפי ש‬, so MS London 22413 zu Rut 2,14: …‫[…" …מבקיע לך האזן לפי שרוצה‬Dies wird so dargestellt, damit] es dir das Ohr erklingen lässt da…" Durch die unterschiedlichen Konjunktionen kann kein obligatorischer Zusammenhang zwischen ‫שיבר לך האזן‬/‫ מנקיע‬und …‫ מפני ש‬festgestellt werden. 722 Vgl. bspw. Bacher: Die exegetische Terminologie der jüdischen Traditionsliteratur 1899, S. 4. 723 ‫ מכאן שהחומץ יפה לשרב‬:‫יאוטבלת פתך בחמץ אמר רבי אלעזר‬. Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 29.11.2012).

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Usus interpretiert werden, bei Hitze Essig zu sich zu nehmen. In Rut 2,14 kann dies als Einladung “zu erfrischendem Getränk, in das sie ihren Bissen tauchen soll” gedeutet werden.724 Wie bereits angedeutet, ist im vorliegenden Kommentar aber nicht abzugrenzen, ob dabei von einem mittelalterlichen Genuss die Rede ist. Eventuell könnte hier auch auf einen rein innerbiblischen Verweis geschlossen werden. Beispielsweise wird in Ps. 69,22 auf das Trinken von Essig Bezug genommen: ‫ויתנו בברותי ראש ולצמאי ישקוני חמץ‬: Und sie geben mir zu essen Giftiges, und für meinen Durst lassen sie mich Essig trinken. Dabei lässt die negative Konnotation des Kontextes darauf schließen, dass dabei nicht von einer “guten Tat” die Rede ist.725 Festzuhalten ist jedenfalls, dass der Usus, Essig bei Hitze zumindest verdünnt zu sich zu nehmen, bereits in der Antike bekannt war. Somit kann dies durch bereits überlieferte Texte in den Kommentar zur Stelle Eingang gefunden haben oder aber noch im Mittelalter üblich gewesen sein. Dann wäre die Erklärung als eine aus dem realen Lebenskontext des Verfassers entnommene und als für seine Leser durchaus greifbare Interpretation zu charakterisieren. Insgesamt ist die Argumention zu Rut 2,14b vergleichbar mit der von Rashi.726

724 Siehe Fischer: Rut 2001, S. 182, dort heißt es weiter: "‫ חׂמֶץ‬meint wohl nicht einen Essig, sondern wie Num 6,3 ein vergorenes und damit leicht säuerliches, alkoholisches Getränk." In Num. 6,3 ist dabei von den Vorschriften für einen Nasiräer die Rede, der "keinen gegärten Wein oder gegärtes Getränk trinken soll" ‫חמץ יין וחמץ שכר לא‬ ‫ישתה‬. 725 So auch Hossfeld, Frank-­Lothar / Zenger, Erich: Psalmen. 51–100. (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament). Herder: Freiburg 2000, S. 277: "Was die Feinde dem Beter zu essen geben, ist mit Giftpflanzen vermischt, und was sie ihn trinken lassen, ist purer Essig (davon zu unterscheiden ist der Brauch, Wasser mit etwas Essig zu vermischen und gegen den Durst zu trinken: vgl. Rut 2,9.14)." Zu Ps. 69,22 siehe auch Kraus, Hans-­Joachim: Psalmen. 60–150. 2. Teilband. (Biblischer Kommentar – Altes Testament 15,2). 5. Aufl. Neukirchener Verlag: Neukirchen-­Vluyn 1978, S. 645: "Aber dem todbedrohten Beter gibt man "Gift" und "Essig" – eine Nahrung, die die Qualen nicht lindert, sondern erhöht (vgl. Mt 27,34.48; Joh 19,28 f.)." Wie damit angedeutet, berichtet auch das Neue Testament davon, dass bei der Kreuzigung Jesu Essig gereicht wurde (so die Stellen im Zitat und Mk 15,36). Auch zu dieser Stelle gehen die Meinungen auseinander, ob dies nun als schmerzlindernde oder als schmerzverlängernde Tat zu verstehen ist. 726 Rashi zu Rut 2,14: ‫– ויושט לה ואין‬ ‫ ויצבט לה קלי‬:‫– מכאן שהחומץ יפה לשרב‬ ‫וטבלת פתך בחומץ‬ ‫לו דמיון במקרא אלא בלשון משנה אחוריים ותוך ובית הצביטה‬. Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 19.11.2013).

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Rut 2,15: “Auch zwischen den Garben darf sie [Nachlese] sammeln und ihr sollt sie nicht beschämen.” Das Lemma ‫ גם בין העמרים תלקט‬Auch zwischen den Garben soll sie [Nachlese] sammeln wird in MS Berlin 1221 und in MS London 22413 ähnlich ausgelegt. In MS Berlin 1221 ist dabei eine weniger starke Aussage festzuhalten. Der Kommentar enthält eine praxisbezogene, die festhält, dass bestimmte Vorkehrungen zu treffen sind (in diesem Fall: die “übrigen, die noch auflesen”, sollen nicht zwischen den Garben sammeln), damit die Ähren nicht herausfallen. Anders in MS London 22413 zum ersten Lemma. Dort wird den Schnittern gleichsam unterstellt, Ähren aus den (bereits zusammengebundenen Bündeln) herausziehen zu wollen. Diese Unterstellung mag durch anzunehmende Nahrungsknappheit Realität sowohl zu biblischen Zeiten als auch im Mittelalter gewesen sein. Festzuhalten ist, dass der Kommentar neue Ansichten zur Umgebungssituation an den Bibeltext heranträgt. In gewisser Hinsicht stehen sich Rut und die Schnitter (Boaz’ Knechte) gegenüber, was durch den Kommentar deutlicher wird als im Bibeltext: In Rut 2,15 sind ‫“ נעריו‬seine Knechte” als Adressaten der Aufforderung Boaz’ genannt. Sie könnten Rut zur Gefahr werden, daher werden sie im Bibeltext aufgefordert, sie nicht zu schmähen.727 Der zweite Teil des Kommentars in MS Berlin und MS London 22413 bezieht sich auf das Lemma ‫“ תלקט ולא תכלימוה‬Sie darf [Nachlese] sammeln und ihr sollt sie nicht beschämen”. Inhalt der Erklärung ist der Vergleich der Formulierung von Boaz’ Aufforderung mit anderen Bibelstellen, in denen ebenfalls eine Wortform von √‫“ כלמ‬beschämen” vorkommt. Beide Kommentarversionen laufen parallel, enthalten eine ähnliche Struktur des Aufbaus und verwenden teilweise dieselben Bibelstellen zur Argumentation, wobei die Erklärung jeweils unterschiedlich ausfällt, die Kommentarstruktur jedoch parallel verläuft: Auf das Lemma folgt eine Paraphrase, darauf die Wiedergabe einer mundartlichen Glosse (La’az),728 727 Eindrucksvoll lässt sich diese Gegenüberstellung auch in dem Bild am Anfang des Rut-­Kommentars in MS London 22413 auf Fol. 71r deuten, nämlich in der Figur, die mit einem Vogelkopf versehen ist (rechte Bildhälfte). Dort ist zu erkennen – hat man den Kommentar im Hinterkopf – dass diese Figur Ähren aus einer zusammengebundenen Garbe herauszieht. So lässt sich auch die dritte Figur von links als der "junge Knecht" deuten, zu dem Boaz – laut MS London 22413 – auf der Tenne gesprochen haben soll (vgl. Kommentar MS London 22413 zu Rut 3,14). Die Figur ganz links mit dem "Hundekopf " könnte Orpa darstellen, da sie auf der rechten Bildhälfte Rut (dargestellt in rotem Gewand) gleichsam gegenüber steht. 728 Zur möglichen Interpretation dieser mundartlichen Glosse siehe Kapitel "Le'azim im Kommentar zu Rut 2", S. 417.

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worauf ein erklärender Vers aus einem anderen Buch der Bibel folgt. Zunächst fügt MS London 22413 im Lemma Rut 2,15b ein ‫“ זו‬diese” als kurze erklärende Glosse ein. In MS Berlin 1221 wird das Lemma mit einfachen Worten paraphrasiert; diese Paraphrase tritt in MS London 22413 jedoch nicht auf. Es folgt in beiden MSS ein La’az, welches mit 1. Sam. 25,7 in Verbindung gebracht wird. Beides wird in MS Berlin 1221 zusammen mit Worten aus Koh. 2,10 erklärt, wobei in der Wiedergabe die Verben im Plural wiedergegeben werden, anstatt wie im Bibeltext im Singular. Kohelet wird zitiert, da dort konstatiert wird, dass nichts vorenthalten worden sei, wonach eine inhaltliche Entsprechung zur Aufforderung in Rut 2,15b festgestellt werden kann. Nun wird Kohelet in MS Berlin 1221 wiederum parallelisiert mit Ri. 18,7, wo die Wortwurzel √‫“ כלמ‬beschämen” auftritt, wie in Rut 2,15b. Weiter fasst MS Berlin 1221 zusammen, dass niemand seinem Freund etwas vorenthalte. Der bisherige Teil der Erklärung kann also als Hinweise auf einen “Freundschaftsdienst” gewertet werden. MS Berlin 1221 fährt fort mit einem La’az und nennt als zweiten inhaltlichen Punkt in der Erklärung “Fülle” mit einer Wortform von √‫“ מלא‬voll”.729 Abschließend wird Ri. 18,10 zitiert, wo von Mangellosigkeit die Rede ist. Interessanterweise werden sowohl in MS Ber­ lin 1221 und MS London 22413 jeweils Verse aus Richter herangezogen: Ri. 18,7 sowie Ri. 18,10 in MS Berlin 1221. In MS London 22413 wird hingegen lediglich Ri. 18,7 zitiert (im letzten Drittel der Erklärung zu Rut 2,15b). Zunächst wird in MS London 22413 ein La’az wiedergegeben,730 gefolgt von einer Paraphrasierung der Aufforderung, Rut keinen Schaden zuzufügen. Als Grund dafür wird eine inhaltliche Erklärung angefügt, und zwar dass Rut sich in einem beschämenden Zustand befände, wie “ein Mensch, [der] von seinem Freund einen Gegenstand fordert, aber er ihm [diesen] nicht gibt” ‫כי (כ)שאדם שואל מחברו חפץ ואינו נותן לו‬ ‫נמצא זה‬. Darauf folgt ein La’az,731 worauf sich eine Reflexion über die Art der Argumentation anschließt: Der Zustand Ruts wird als “Ausdruck der Beschämung” ‫ לש’ בושת‬interpretiert. Daraufhin folgt die Wiedergabe von Ri. 18,7 (vgl. MS Berlin 1221), womit inhaltlich auf die Behandlung von Mitmenschen eingegangen wird: Hierbei ist dieses Verszitat modifiziert im Vergleich zu MS Berlin 1221: ‫“ בארץ‬im Land” ist in MS London 22413 ausgelassen, dafür ergänzt mit

729 Aus MS Berlin 1221 zu Rut 2,15: …‫…" …לפי שכולם מליאים ואין בהם אביון‬Denn sie alle haben Fülle und bei ihnen ist kein Armer…" 730 Zur möglichen Interpretation dieser mundartlichen Glosse siehe Kapitel "Le'azim im Kommentar zu Rut 2". 731 Vgl. ebd.

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13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

zwei weiteren Worten aus dem Fortlauf des Bibelverses.732 Dieses Verszitat wird nun aber in MS London 22413 relativiert, da es in den Kontext von Reichtum gesetzt wird. Abgeschlossen wird der Kommentar zu Rut 2,15b in MS London 22413 mit den Worten ‫“ דצידכים כי כולם עשירים ואין זה צריך לזה’ ולא הכל מטם דנכל‬Wie es [dort] auch selbstverständlich war, denn alle [waren] reich. Aber dieser [eine Vers] bezieht sich nicht auf den [anderen], dieser ganze Ausdruck ist etwas anderes.” In beiden Kommentaren sind ähnliche Aspekte vorhanden, jedoch stellt MS Berlin 1221 die Aspekte Beschämung und “Fülle” oder “Reichtum” als gleichwertig dar und verwendet als Ausdruck für Fülle das Wort √‫“ מלא‬voll”. MS London 22413 interpretiert den Vers hauptsächlich als Reaktion auf eine beschämende Lage. Er bezieht sich zwar auch auf “Reichtum” (verwendet zur Argumentation ‫עשיר‬ “reich”), will aber beide Teilbereiche nicht aufeinander beziehen. In der Auslegung zu diesem Vers ist ein Zusammenhang der Auslegungen in beiden MSS festzuhalten, wobei aber nicht mit aller Sicherheit festgestellt werden kann, welche der beiden Argumentationen die andere voraussetzt. MS Zürich Or 157 enthält keinen auf Rut 2,15 bezogenen Kommentar.

Rut 2,16: “Und ihr sollt ihr auch herausziehen, [ja wirklich] von den zusammengebundenen Ähren herausziehen. Und tadelt sie nicht!” Alle drei Kommentar-­Versionen verwenden zur Erklärung mEr 10,1 mit dem Hinweis auf die Bezeichnung “Bündel” oder “Gebund”. Während MS Berlin 1221 die doppelte Verwendung der Wortwurzel √‫“ שלל‬herausziehen” in der Aufforderung Boaz’ mit der zweifachen Verwendung der Wortwurzel √‫“ שלכ‬werfen” wiedergibt, verwendet MS Zürich Or 157 die Wortwurzel √‫“ שול‬vergessen” in ähnlicher Weise (siehe unten). Weiter konkretisiert MS Berlin 1221 die Menge an dem, was an Ähren herausgezogen werden solle: “Ein handvolles Bündel, das ein Mensch zur Zeit der Ernte fassen kann.” Dabei macht der Kommentar nicht deutlich, ob die Gesamtmenge dessen gemeint ist, was Rut zur Verfügung gestellt werden soll oder ob jeweils so viel aus dem Bündel herausgezogen werden solle, wie “ein Mensch zur Zeit der Ernte fassen kann.” Geht man vom Inhalt des Kom732 Wiedergabe von Ri. 18,7 MS Berlin 1221 gegenüber der in MS London 22413: MS Berlin 1221: ‫ ]…[ מקום אשר אין שם מחסור כל דבר אשר בארץ‬niemand wurde [wegen] einer Sache beschämt im Land (Ri. 18,7). MS London 22413: ‫ ואין־מכלים דבר יורש עצר‬und niemand wurde [wegen] einer Sache beschämt, [es gab keinen], der mit Gewalt in Besitz nahm [oder] Unterdrückung (Ri. 18,7).

13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

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mentars davon aus, dass sich Rut an einem Ort aufhalten darf, an dem andere nicht sammeln sollen (vgl. Kommentar in MSS Berlin 1221 und London 22413 zu Rut 2,15a), dann bringt dies zumindest keine Konkurrenz zu anderen Nachlesenden mit sich. Außerdem ist im Bibeltext selbst (in Rut 2,17, der in keiner der drei Kommentar-­Fassungen direkt ausgelegt wird) die Rede davon, dass Rut ‫“ כאיפה שערים‬wie ein Efa Gerste” gesammelt habe. Insgesamt ist die Menge an Gesammeltem in jedem Fall größer als die der anderen, die keine Vorteile von Seiten Boaz’ bekommen. MS London 22143 geht hingegen genauer auf die Vorgehensweise der Garbenbindung ein und stellt eine praxisbezogenere Auslegung dar, die auf das Lemma ‫ מן הצבתים‬aus den [Ähren]bündeln eingeht: ‫מה שאדם תופש‬ ‫“ ביד שמאלו בפעם אחת שהוא קוצר ביד ימינו קרוי צבת‬Was ein Mensch mit seiner linken Hand mit einem Mal ergreift, wenn er mit seiner rechten Hand schneidet, wird Bündel genannt.” Weiter geht MS London 22413 auf Boaz’ Anweisung an die Schnitter ein, Rut nicht zu tadeln: ‫“ ולא תגערו דוגמ’ ויגער בו אביו’ מתרג’ נזף ניה‬Und tadelt sie nicht – [so wird es auch in folgendem] Beispiel [formuliert]: und sein Vater tadelte ihn (Gen. 37,10) von [der aramäischen] Übersetzung ‘er erhielt einen Verweis.’ ” Hierbei wird in der Erklärung Gen. 37,10 zitiert, wo für “tadeln” dieselbe Wortwurzel verwendet wird. In MS Berlin 1221 war schon die Rede von dem Tadel an dem jungen Mann, der über die Schnitter bestellt war. Hierauf wird aber in MS London 22413 nicht eingegangen. Somit kann diese Stelle nur insofern für die Einordnung in eine chronologische Abfolge der Kommentar-­Fassungen einbezogen werden, als dass MS London 22413 die Auslegung in MS Berlin 1221 zu Rut 2,5 nicht in Betracht zieht oder gar nicht kennt. Die aramäische Übersetzung bezieht sich auf Gen. 37,10.733 Bemerkenswerterweise ist in allen drei Auslegungen nicht die Rede davon, dass etwas aus den bereits zusammengebundenen Garben herausgezogen werden solle. Die jeweils genannte Menge an Ähren wurde bereits vor dem Zusammenbinden “[hin]geworfen” (MS Berlin 1221: ‫)השלך השליכו‬, beim Schnitt ergriffen (MS London 22413: …‫אדם תופש…בפעם‬ ‫ – …שהוא קוצר‬und wohl in diesem Arbeitsschritt für Rut zur Verfügung gestellt) oder “vergessen” (MS Zürich Or 157: ‫)שכח תשכחו‬. MS Zürich Or 157 zu Rut 2,16: ‫‬ עמרים קטנים’ ויש דוגמה בלשון‬‪‫‬הצבתי‬‪ ‫‬וגם שול תשול ‬ו שכח תשכחו’ עשו עצמכם כאילו אתם שכחים‬‪ ‫משנה מצאן צבתים או כרוכות‬ Und ihr sollt auch (‫[ )שול תשולו‬etwas aus den Ährenbündeln] herausziehen, [ja wirklich] herausziehen – [Wie] (‫ )שכח תשכחו‬Vergesst, [ja wirklich] vergesst [es tatsächlich]. Tut [aber] für euch so, als ob ihr es [versehentlich] vergessen würdet. Die Ährenbündel –

733 Targum Jonatan zu Gen. 37,10: ‫ואשתעי לאבוי ולאחוי ונזף ביה אבוי ואמר ליה מה חלמא הדין‬ ‫דחלימתא המיתא ניתי אנא ואמך ואחך למגחן לך על ארעא‬: Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 21.06.2013).

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13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

[das sind] kleine Garben. Und [dazu] gibt es [auch] ein Beispiel in der Ausdrucksweise der Mishna: „Findet er ein ‚Bündel‘ oder ‚Gebund‘ “ (mEr 10,1).

Das “Vergessen” bezieht sich hier auf das bei der Ernte Vergessene, das für die Armen vorgesehen ist, vgl. jPea 18, bzgl. mPea 5. Die Ährenbündel werden auf Gebetsriemen bezogen, die als Gebündeltes aufgefunden werden.734 Durch die Bezugnahme auf die Mishna-­Stelle in allen drei Kommentar-­Fassungen kann angenommen werden, dass der Kommentator den Erzählkontext der Ernte in Rut 2 mit religiöser Praxis (hier: des täglichen Gebets mit Gebetsriemen) verbinden will. Im Bibeltext sind dagegen nur wenig Anknüpfungspunkte zur Religionsausübung zu erkennen. Interessanterweise enthält MS Berlin 1221 zu Rut 2,15 Teile der Erklärung, die sowohl in MS London 22413 als auch in MS Zürich Or 157 verwendet werden. Eine zeitliche Abstufung der Kommentar-­ Versionen lässt sich aber von dieser Stelle her nicht unbedingt herleiten, da MS Zürich Or 157 eine andere doppelte Wortwurzel in der Auslegung verwendet, als dies MS Berlin 1221 tut.

Rut 2,18: Und sie nahm, und sie kam [in] die Stadt. Und ihre Schwiegermutter sah, [was] sie übrig behalten hatte, als sie satt geworden war. Weiter werden zu Rut 2,18 unterschiedliche Lemmata aus dem Vers in den Kommentar aufgenommen, wobei MS Berlin 1221 Rut 2,18 nicht ausführt, sondern direkt die Auslegung zum nächsten Vers anschließt. MS London 22413 zitiert zur Texterklärung Rut 2,14 und verweist damit auf den gesamten Verlauf der erzählten Ereignisse im Buch Rut. Dabei wird die Formulierung ‫ מוסב על‬verwendet, das MS London 22413 noch an anderen Stellen verwendet, so zu Rut 1,3.8.9.16; 2,16. MS London 22413 zu Rut 2,18: ’‫…ותראה את חמותה’ הותירה משובעה’ מוסב על ותאכל ותשבע ותותר והשאר נתבה לחמותה‬ …und sie zeigte [es] ihrer Schwiegermutter … [was] sie übrig behalten hatte, als sie satt geworden war – ist hinzugefügt zu [der vorherigen Stelle] und sie aß und sie wurde satt und sie ließ übrig (Rut 2,14) und sie gab den Rest ihrer Schwiegermutter.

‫ מוסב על‬bedeutet also “hinzugefügt zu,” und bezieht sich auf eine Ergänzung oder Spezifizierung im Bibeltext. Ein anderer Vers des näheren Kontextes ist bei dieser Argumentation Bezugspunkt und wird zitiert. Dadurch entsteht ein innerbib734 mErubin 10,1: ‫המוצא תפילין מכניסן זוג זוג רבן גמליאל אומר שנים שנים במה דברים אמורים‬ ‫בישנות אבל בחדשות פטור מצאן צבתים או כריכות מחשיך עליהן ומביאן ובסכנה מכסן והולך לו‬ Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 27.02.2013).

13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

283

lisches Bezugssystem. Inhaltlich wird nun dieser Rest, den Rut übrigbehalten hatte (Rut 2,14), mit dem identifiziert, was sie ihrer Schwiegermutter hier bringt (Rut 2,18). Zur Wiedergabe des Lemmas und der Formulierung des Bibeltextes selbst ist festzuhalten, dass hier zwar die Worte aus Rut 2,18 wiedergegeben sind, jedoch in einer anderen Reihenfolge als MT: Rut 2,18 in BHQ: :‫ותשא ותבוא העיר ותרא חמותה את אשר־לקטה ותוצא ותתן לה את אשר־הותרה משבעה‬

Die Formulierung ‫ ותרא‬kommt genauso auch in Rut 1,18 vor, jedoch ist es dort Noomi, die “sieht.” MS Zürich Or 157 kommentiert Rut 2,18 nicht ausführlich.

Rut 2,19: Und ihre Schwiegermutter fragte sie: “Wo hast du heute gesammelt, und wo hast du [das] gemacht? Dein Bekannter sei gesegnet!” MSS Berlin 1221 und MS London 22413 verwenden beide Dt. 8,17 sowie Gen. 41,47 zur Texterklärung. Jedoch wird in der Erklärung nicht derselbe Wortlaut verwendet. Auch 2. Kön. 12,6 wird sowohl in MS Berlin 1221 als auch in MS London 22413 zur Texterklärung zitiert. In MS Berlin 1221 zu Rut 2,19a ist ein stufenweiser Parallelismus zu erkennen, nämlich die Gleichsetzung der Begriffe, die zur Texterklärung herangezogen werden ‫לשון ריוח ולשון שכר‬, übersetzt mit “ein Ausdruck für Gewinn und [gleichzeitig] ein Ausdruck für Lohn”. Dieses Verständnis als “Ausdruck für Lohn” vorausgesetzt, werden in der Erklärung Dt. 8,17, der Targum Onkelos von Dt. 8,17, sowie Gen. 41,47 und Lev. 25,21 zitiert. In den genannten Bibelzitaten wird jeweils die Wortwurzel √‫ עשה‬verwendet, Inhalt ist dabei immer “materieller” Ertrag. Als Erklärung zu ‫“ שכר‬Lohn” wird Dt. 8,17 ausgeführt. Dort wird gesprochen von der eigenen Hand, die Reichtum bringt, was ausgedrückt wird mit ‫עשה לי החיל הזה‬ “machte735 mir diesen großartigen [Reichtum],” wobei Reichtum jedoch nicht weiter definiert ist als monetärer oder geistiger Reichtum. Der weiter zur Auslegung zitierte Targum Onkelos zu Dt. 8,17 verwendet darüber hinaus die Formulierung ‫“ קנה לי‬kaufte mir.” Dabei ist der Targum eine Interpretation des Bibeltextes und lässt auf einen “Kaufbetrag” schließen, den Parteien beim Kauf wechseln. Somit bedeutet √‫“ עשה‬tun” mit Hinblick auf den Targum736 dasselbe wie √‫“ קנה‬kau735 Zu alternativen Übersetzungsmöglichkeiten vgl. Übersetzung zur Stelle. 736 Targum Onkelos Dt. 8,17: …‫ …קנא לי‬Anderer Wortlaut Targum Jonatan Dt. 8,17: …‫ …קנו לן‬Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 25.06.2013).

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13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

fen”. Weiter zieht der Kommentar Gen. 41,47 zur Erklärung heran, wo ebenfalls √‫ עשה‬verwendet wird, dort in der Bedeutung von “Ertrag machen”737: ‫ותעש הארץ‬ ‫ בשבע שני השבע‬Das Land brachte in den sieben Jahren diesen Überfluss […] hervor (Gen. 41,47). Hier ist also wieder von “materiellem” Ertrag die Rede im Kommentar, was mit der Wortwurzel √‫ עשה‬ausgedrückt wird. – Mit der Auslegung wird nun das Wort ‫“ רויח‬Gewinn” verwendet, was auch zu Beginn der Erklärung von Rut 2,19 im Kommentar verwendet wurde. “Ertrag” ‫ שבע‬in Gen. 41,47 ist also die Konkretisierung von ‫“ רויח‬Gewinn”: …‫…“ …שפתר הרויח’ וכן‬wofür [die] Erklärung [folgende] ist: der Gewinn [des Landes]...” Weiter bezieht der Kommentar nun Lev. 25,21 mit den Worten ‫ ’ועשת התבואה לשלש’ השנים‬Und [das Land] wird den Ertrag für drei Jahre machen738 auf Gen. 41,47. Verbindung ist dabei die Wortwurzel √‫ עשה‬in der Bedeutung von “Ertrag aufbringen”.739 Grund dafür, dass die verschiedenen Bibelstellen zur Erklärung von Rut 2,19 in MS Berlin 1221 herangezogen werden, ist die Formulierung in Rut 2,19 ‫ ואנה עשית‬und wo hast du das gemacht. In allen zitierten Versen wird die Bedeutung der Wortwurzel √‫עשה‬ “machen” im Sinn von “Lohn” bzw. “Ertrag bringen” verwendet. Somit kann der Kommentar festhalten, dass die Formulierung von Noomis Frage in Rut 2,19 mit Verwendung der Wortwurzel √‫“ עשה‬ein Ausdruck für Gewinn und [gleichzeitig] ein Ausdruck für Lohn” ist (“‫)”לשון ריוח ולשון שכר‬. In MS Berlin 1221 folgt ein La’az,740 und darauf die Ausführung des Lemmas zu ‫ יהי מכירך ברוך‬dein Bekannter sei gesegnet. Dazu wird 2. Kön. 12,6 als Vergleichsstelle wiedergegeben, wo ebenfalls die Wurzel √‫ נכר‬im Wort ‫“ מכרו‬sein Bekannter” auftritt. Verbindend für die Nennung beider Verse ist hier also die Wortwurzel √‫נכר‬. Die weitere Ausführung des Lemmas nimmt die Verwendung von ‫“ מכירך‬dein Bekannter” in den Blick und bezieht dies auf die schon vorher genannte Menge an Gesammeltem, das Rut Noomi nach Hause bringt. Diese Menge sei zu groß für eine Nachlese. Dabei wird die Menge wie auch schon in Rut 2,17741 im Kommentar genannt: ‫“ איפה‬ein Efa.” Dies wird verglichen mit dem, wofür ein Mann zehn Tage bräuchte. Somit wird im Kommentar diese Menge in zweifacher Hinsicht charakterisiert: einmal mit der Anzahl von zehn Tagen, einmal mit dem Vergleich zu ‫“ אדם‬Mann” (was 737 Im Sinn von "Ertrag bringen", wörtlich übersetzt: ‫" ותעש‬machte [diesen Überfluss]." 738 Oder auch hier "Ertrag bringen", alternative Übersetzungsmöglichkeit vgl. Übersetzung zur Stelle. 739 Dabei fällt auf, dass im Zitat aus Lev. 25,21 ebenso wie in Gen. 41,47 eine Zeitangabe genannt wird: In Lev. 25,21 ist von sieben, in Gen. 41,47 von drei Jahren die Rede. 740 Zur möglichen Interpretation dieser mundartlichen Glosse siehe Kapitel "Le'azim im Kommentar zu Rut 2". 741 In Rut 2,17 mit den Worten ‫" כאיפה שערים‬wie ein Efa Gerste" ausgedrückt.

13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

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“mehr Stärke” impliziert). Somit wird deutlich, warum Noomi Rut auf den Kopf zusagt, dass diese Menge gar nicht von ihrer eigenen Nachlese kommen könne. Nun wird dies in Noomis Worten gedeutet und auf die eventuell vorliegende verwandtschaftliche Beziehung geschlossen. Hierzu ist bemerkenswert, dass Noomi die Worte ‫“ שמא אצל אחר מקרובינו לקטת היום‬vielleicht hast du bei742 einem unserer nahen [Verwandten] heute Nachlese gesammelt” in den Mund gelegt werden. Damit wird die inhaltliche Ausführung zu dem über die Schnitter gesetzten jungen Mann aufgenommen. Indirekt lässt sich auch mit Hinweis auf den Kommentar zu Rut 2,5 herauslesen, dass ein naher [Verwandter] mehr Nachlese sammeln kann als dies für einen “einfachen Bekannten” der Fall ist. Somit macht es auch Sinn, dass hierfür verschiedene Worte gewählt werden: ‫“ מכירך‬dein Bekannter” gegen ‫“ מקרובינו‬von unseren nahen [Verwandten]”. Bei dieser inhaltlichen Verbindung zu Rut 2,5 erweist sich der Kommentar in MS London 22413 als hilfreich für das Verständnis von MS Berlin 1221: Dort wird ausgeführt, dass nahe [Verwandte] ohne Probleme etwas auf dem Feld bekommen können, Unbekannte jedoch gar nichts.743 Durch den Dialog zwischen Rut und dem jungen Mann über die Schnitter ist sie aber keine gänzlich Unbekannte mehr. Einerseits kann sie nun als “bekannte Fremde” Nachlese sammeln. Andererseits weiß der über die Schnitter bestellte junge Mann über die [schwiegermütterlichen] verwandtschaftlichen Verhältnisse zu Noomi, was Ruts Status einer näheren [Verwandten] erklärt. Mit dieser inhaltlichen Ausführung lässt sich auch argumentieren, dass MS London 22413 die Trennung zwischen “bekannt” und “verwandt” genauer darstellt und MS Berlin 1221 dabei eventuell voraussetzt und ausführen will. Andererseits könnte aber auch Berlin 1221 auf MS London 22413 Bezug nehmen und hier die Erklärung von MS London 22413 zu Rut 2,5 berücksichtigen. MS London 22413 selbst nimmt keinen Bezug auf den Unterschied zwischen “Bekanntem” ‫ מכיר‬und “nahe [Ver-

742 ‫ אצל אחר‬wird übersetzt als ‫אצל אחד‬. 743 MS London 22413 zu Rut 2,5: ‫ויאמר בעז לנערו הנצב למה לנצב ולא לשאר העומרים' לפי שדרך‬ ‫בעלי שדות מפקידים אחד על השדות שישמור שלא יכנס איש נכרי בשדהו' אבל אם בא קרובו אינו‬ ‫חושש אם הנצב על הקוצרים נותן לו עומר או שני עומרים‬ – Und Boaz sprach zu seinem jungen Mann, der [über die Schnitter] bestellt war – Warum [sollte er denn jemanden über die Schnitter] bestellen und [das doch wohl] nicht über den Rest der Garben? [Aber das ist so,] da es die Art der Inhaber der Felder ist. Sie setzen einen [Bestellten] über die Felder ein, der aufpassen soll, dass kein fremder Mensch sein Feld betritt. Aber wenn [jemand] kommt, der ihm nahe [verwandt] ist, dann kümmert er sich nicht darum, wenn der Bestellte über die Schnitter ihm [dem Nahverwandten] eine Garbe oder zwei Garben gibt.

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13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

wandtem]” ‫קרוב‬, zumindest nicht im Kommentar zu Rut 2,19. Abgeschlossen wird der Kommentar in MS Berlin 1221 zur Stelle mit der Wiederholung des Lemmas, das hier quasi als Zusammenfassung fungiert: ‫לפיכך היא אומרת יהי מכירך‬ ‫ ברוך‬Daher sagt sie ihr: Dein Bekannter sei gesegnet. Rut hat – auch laut Chronologie des Bibeltextes – Noomi noch nicht mitgeteilt, dass sie auf Boaz’ Feld Nachlese gesammelt hat. Somit wird deutlich, dass der Kommentar hier dem Bibeltext folgt und somit auch der Innensicht Noomis, die noch nicht weiß, dass es sich wirklich um einen nahen Verwandten handelt. Der Kommentar kann also so zu verstehen sein, dass Noomi mit ihrer Formulierung andeutet “Egal in welchem Verhältnis wir zu diesem Besitzer des Feldes stehen: Da du so viel gesammelt hast, sei der, den du offensichtlich kennengelernt hast – sonst wärst du ja nicht erst auf sein Feld gekommen744 – gesegnet.” MS London 22413 verwendet eine ähnliche Erklärung wie MS Berlin 1221, wobei zunächst auf den ersten Teil des Lemmas eingegangen wird: ‫איפא ליקטת‬ ‫ היום‬Wo hast du heute gesammelt. Die Erklärung formuliert die wörtliche Rede Noomis weiter aus. Dabei wird das Erstaunen Noomis über die vergleichsweise große Menge an Nachlese in Worte gefasst und klargestellt, dass Rut als Frau “erst recht nicht” so viel hätte sammeln können. Die mit ‫“ איפא‬wo” eingeleitete Frage nach der Lokalität wird mit der Vermutung Noomis zusammengeführt: ‫אלא‬ ‫“ במקום טוב באת‬sondern [sicherlich] bist du zu einem guten Platz gekommen.” Dies könnte auch übersetzt werden mit “aber du musst zu einem guten Platz gekommen sein.” Auch MS London 22413 geht auf die bereits zu MS Berlin 1221 besprochene Formulierung ‫ ואנה עשית‬Und wo hast du das gemacht ein. Dabei wird zunächst der Versteil umformuliert und durch eine mundartliche Glosse (La’az) ergänzt.745 Dt. 8,17 sowie Gen. 41,47 werden zur Texterklärung hinzugezogen, was aufgrund der in den Versen verwendeten Wurzel √‫ עשה‬mit der Bedeutung von “[Ertrag] einbringen” geschieht (s. o.). Durch die Parallelität in der Erklärungsstruktur muss der Kommentar in MS London 22413 jedoch nicht unbedingt auf MS Berlin 1221 beruhen. Es kann argumentiert werden, dass die kürzere Fassung in MS London 22413 für sich selbst spricht, also auch ohne MS Berlin 1221 mit seiner längeren Ausführung verständlich ist. Hierzu könnte mit der textkritischen Grundannahme “Lectio brevior – lectio potior,” die kürzere Lesart ist die ursprünglichere Lesart argumentiert werden. Da es andererseits jedoch möglich ist, dass der Wortlaut in MS London 22413 auf dem von MS Berlin 1221 beruht, könnte dagegen argumentiert werden, dass lediglich die beiden Verse aus dem Pentateuch zitiert

744 Nach dem Kommentar zu Rut 2,5 dürfen keinerlei Fremde auf das Feld kommen. 745 Zu dieser mundartlichen Glosse siehe Kapitel "Le'azim im Kommentar zu Rut 2".

13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

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werden, da die Argumentation aufgrund der Wortwurzel schon aus MS Berlin 1221 als bekannt vorausgesetzt werden kann. Eine gegenseitige Bezugnahme kann demnach nicht bewiesen, jedoch auch nicht ausgeschlossen werden. Ergänzt wird in MS London 22413 die Ausführung des Lemmas zu dein Bekannter sei (gesegnet) ‫יהי מכירך‬. Dabei wird wie in MS Berlin 1221 2. Kön. 12,6 zitiert, wo ebenfalls von “einem Bekannten” die Rede ist. Verbindend für die gemeinsame Nennung beider Verse ist hier ebenfalls die Wortwurzel √‫נכר‬. Abgeschlossen wird die Erklärung zu MS London 1221 mit dem Rückbezug auf ‫הרויחה‬, “Gewinn”, mit dem auch schon in MS Berlin 1221 argumentiert wurde. Auch hier wird dies mit der in Rut 2,19 auftretenden Wortwurzel √‫ עשה‬als “Gewinn machen,” bzw. zur Stelle übersetzt als “Gewinn einbringen”, interpretiert. MS Zürich Or 157 zu Rut 2,19: ‫יהי מכירך בעל השדה שנושא לך פנים ללקט בשדהו‬ “[Gesegnet] sei der, der dich wahrgenommen hat. – [Also] der Besitzer des Feldes, der dich begünstigt hat.” MS Zürich Or 157 geht nicht auf Deuteronomium oder andere Stellen aus dem Pentateuch ein, sondern führt inhaltlich einfach ‫יהי מכירך‬ “der, der dich wahrgenommen hat” aus. Dieser wird gleichgesetzt mit ‫בעל השדה‬ ‫“ שנושא לך פנים ללקט בשדהו‬der Besitzer des Feldes, der [Rut] begünstigt hat, auf seinem Feld Nachlese zu halten.” Bei dieser Erklärung ist die Formulierung des Wortlautes zu berücksichtigen: ‫ נ’ פנים‬bedeutet “Rücksicht nehmen, bevorzugen.”746 Damit wird mit ‫ נשא פנים‬zweierlei ausgedrückt, nämlich dass Boaz Rut bevorzugt habe, sie aber auch heiraten könnte – dies deutet auf den inhaltlichen weiteren Fortgang der Ereignisse im Buch Rut hin. Somit erklärt MS Zürich Or 157 die biblische Formulierung einerseits textnah, andererseits bezüglich des Gesamtzusammenhangs im Buch Rut. Interessanterweise wird in keinem Kommentar weiter auf Ruts Antwort in Rut 2,19b eingegangen, wo sie Boaz explizit mit Namen nennt.

Rut 2,20: “[Gesegnet sei er dem Ewigen, der seine Gnade nicht genommen hat, weder von] den Lebenden und den Toten. Nah [verwandt] ist uns dieser Mann … er ist [einer] von unseren Lösern!” Hierzu hat MS Berlin 1221 keinen Kommentar, dafür führt MS London 22413 Rut 2,20 aus: Die Formulierung Noomis ‫[ את החיים ואת המתים‬der, der seine Gnade nicht genommen hat, weder von] den Lebenden und [auch nicht] von den Toten 746 Siehe Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 278. Dort ist besonders Unterpunkt 3 zu beachten, was die bekannte Bedeutung von √‫ נשא‬enthält und "heiraten" bedeutet.

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13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

wird dabei interpretiert als ‫עמי ועמך‬, was übersetzt werden kann mit “mit mir und mit dir”, daher wird in der Übersetzung auch “[gnädig ist]” hinzugefügt, um diese Formulierung in den Kontext zu setzen. Mit diesem Verständnis als “der Ewige, der mit mir und mit dir gnädig ist” wird ein Sinneswandel Noomis deutlich, der konträr ist zum Abschluss von Rut 1.747 In Rut 1,20 wollte Noomi “Mara” genannt werden, mit der Formulierung des Bibeltextes ‫ כי המר שדי לי מאד‬denn der Ewige hat [es] mir sehr bitter ergehen lassen, so auch weiter in MS London 22413 zu Rut 1,20 f. Damit verdeutlicht der Kommentar eine Wendung im Ergehen Noomis beziehungsweise in ihrer Interpretation ihres eigenen Ergehens sowie das ihrer Angehörigen und nennt hier weiter: “die Toten als sie noch am Leben waren.”748 Damit wird Bezug genommen auf Rut 1. MS London 22413 fährt fort mit einem Hinweis auf mAv 1,15: ‫“ ]קרוב’ לנו האיש] שקיבלך בסבר פנים יפות‬der dich mit freundlichem Angesicht angenommen hat.” Ferner werden im Kommentar zu Rut 2,20 die Themen der folgenden Kapitel überblicksartig eingeführt, nämlich 1) die nahe Verwandtschaft, die schon im Kommentar eingeführt wurde, nun aber verbunden mit dem 2) Erbteil (‫נחלתינו‬ “unser Erbteil,”749 im Sinn von “Feldstück”), das 3) gelöst werden soll. Hintergrundinformationen werden im Kommentar zu Rut 2,20 ausgeführt und somit eine “Lücke im Erzählverlauf ” geschlossen, und zwar dergestalt, dass Noomi in den Mund gelegt wird, sie und Elimelekh hätten das Erbteil verkauft, als sie nach Moab auszogen. Somit behandelt der Kommentar in MS London 22413 die Aussage Noomis als Retrospektive auf Rut 1 sowie als Prospektive auf die kommende Erzählung (hauptsächlich im Hinblick auf die Verhandlung am Tor in Rut 4). MS Zürich Or 157 dagegen verwendet zur Texterklärung RutR 5,10: [Gesegnet sei der, der seine Gnade nicht genommen hat, weder von] den Lebenden und [auch nicht von] den Toten. – Die Lebenden, die er ernährte, und die Toten, für deren 747 Wie in der Übersetzung angemerkt, kann ‫ עמי ועמך‬auch mit "mein und dein Volk" übersetzt werden. Dies macht im Zusammenhang jedoch wenig Sinn, denn erstens wird im Kommentar angenommen, dass Rut quasi in Begleitung Noomis nach Beit Lechem zum Volk hinzu kommt und diese Gegenüberstellung nach Rut 1,8 nicht mehr sinnig erscheint. Zweitens wird im Kontext kein anderes Volk (hier: Moab) erwähnt. Daher wird nicht weiter auf die alternative Übersetzungsmöglichkeit von ‫ עמך ועמי‬als "dein Volk und mein Volk" eingegangen. 748 Aus MS London 22413 zu Rut 2,20 ‫ואת המתים בהיותם בחיים‬ – im Akkusativ wörtlicher übersetzt mit "und den Toten als sie noch am Leben waren." 749 ‫ נחלתינו‬wird hier als Sg. mit Suffix verstanden, wobei eigentlich der Wortlaut ‫ נחלתנו‬zu erwarten wäre; ein alternatives Verständnis wäre ‫נחלותינו‬, was mit "unsere Erbteile" wiedergegeben werden könnte. Der Singular-­Form wird aber der Vorzug gegeben, da Boaz in Rut 4 über ein Feldstück verhandelt, das von Noomi zum Verkauf steht.

13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

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Leichentücher er Sorge trug (vgl. RutR 5,10). Hier wird die Auslegung auf den Ewigen bezogen, der sich um die verstorbenen Ehemänner Ruts und Noomis (und auch Orpas) gekümmert hatte. Beides wird also nicht auf Rut und Noomi, sondern auf die Verstorbenen bezogen. Durch die Verwendung von √‫ טפל‬klingt MS Zürich Or 157 zu Rut 1,8 an, wo mit ähnlichen Worten bzgl. der Toten auf die “gütigen” Taten Ruts und ihrer Schwägerin hingewiesen wird: ‫עם המתים שנטפלתם עמהם בתכריכיהם ועמדי ושיותרו לה כתובתן‬ [Und der Ewige erweise Euch Gnade, wie ihr] den Verstorbenen [erwiesen habt] – weil ihr Euch um sie gekümmert habt, um ihre Leichentücher [als sie gestorben waren], und [wie ihr] mir [Gnade erwiesen habt] – und weil sie [Orpa und Rut] für sie [Noomi] ihre Heiratsverträge weiter (aufrecht) erhalten hatten.

Hier wird RutR 2,14 zur Texterklärung verwendet.750

Rut 2,21: Des Weiteren hat er auch zu mir gesagt: “Bleib … bis sie [die Ernte] abgeschlossen haben werden.” MS Berlin 1221 vergleicht den Wortlaut zu ‫“ עד אם‬bis wenn” – grammatisch korrekter übersetzbar als “bis dass” – mit der Formulierung in Jes. 4,4, wo ebenfalls ‫ אם‬verwendet wird. Dabei hält der Kommentar fest, dass ‫“ אם‬wenn” die Bedeutung von ‫“ אשר‬dann, wenn” hat. MS London 22413 interpretiert ‫“ גם‬auch” als Ruts eigene Aussage in Hinblick auf ihren zukünftigen Gewinn, den sie “mit Boaz” haben werde. Dies ist zu verstehen als Hinweis auf die im Buch Rut folgenden Ereignisse. Insgesamt wird dabei bereits indirekt auf eine partnerschaftliche Verbindung angespielt. MS Zürich Or 157 führt zu Rut 2,21 und Rut 2,22 keinen Kommentar aus.

Rut 2,22: “Sie werden dich nicht belästigen.” MS London 22413 liefert als einziger Kommentar eine Erklärung zum Vers, die lediglich ausführt, was ‫“ ולא יפגעו בך‬Und sie werden dich nicht belästigen” bedeutet: ‫“ לא יעמדו נגדך לעכבך‬sie werden nicht gegen dich stehen, um dich zu hindern.” 750 RutR 2,14 (Ed. Lerner): ‫ כאשר‬.‫] יעשה כתיב‬,‫[יד] יעש י"י עמכם חסד [ר' חנינא בריה דר' אחא‬ ,‫ אמר ר' זעירא המגלה הזאת‬.‫ ועמדי שויתרו לה בכתובותיהן‬.‫עשיתם עם המתים שנטפלתם בתכריכיהם‬ ‫ ולא נכתבה אלא ללמדך כמה מתן שכר טוב לגומלי‬,‫ לא איסור ולא היתר‬,‫אין בה לא טומאה ולא טהרה‬ ‫חסדים‬. Ed. Wilna: ‫ ר' חנינא בר אדא אמר יעשה כתיב כאשר עשיתם עם‬,‫[יד] יעשה ה' עמכם חסד‬ ‫ א"ר זעירא מגלה זו אין בה לא טומאה‬,‫המתים שנטפלתם בתכריכיהון ועמדי שויתרו לה כתובותיהן‬ ‫ולא טהרה ולא איסור ולא היתר ולמה נכתבה ללמדך כמה שכר טוב לגומלי חסדים‬. Quelle jeweils: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 28.01.2016).

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13.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2

Dabei wird nicht auf eine sexuelle Nötigung hingewiesen, sondern von einer möglichen Abwehr (beispielsweise auch von dem bestellten jungen Mann über die Schnitter) von Belästigern gesprochen. Damit ist nochmals ausgedrückt, dass Rut mit den ihr zugesprochenen Vorrechten ungestört auf den Feld(ern) Boaz’ Nachlese halten kann und soll.

14. Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3 Zu Rut 3,1: Und Noomi, ihre Schwiegermutter, sprach zu ihr: “Meine Tochter, soll ich dir [denn] nicht eine Ruhe erbitten, damit es dir gut ergehen wird?” In MS Berlin 1221 wird der Dialog zwischen Noomi und Rut weiter ausgeschmückt. Der Kommentar geht auf das Wort ‫“ מנוח‬Ruhe” (Status absolutus, mask. Sg. √‫ )נוח‬ein. Dabei wird mit Verweis auf Rut 1,9 eine innerbiblische Verbindung hergestellt. Dort verwendet Noomi eine Variante des Wortes und zwar die Wortform ‫( מנוחה‬Status absolutus, fem. Sg. √‫)נוח‬, was ebenfalls “Ruhe” bedeutet. Im Folgenden wird das Wort “Ruhe” mit seiner antonymen Bedeutung erklärt: MS Berlin 1221 zu Rut 3,1: ‫…אבל פעמים שהאשה נישאת לאיש והוא בז בה’ ואין זו מנוחה שלימה אבל אבקש לה מנוח אשר ייטב לך‬ …Aber manchmal [kommt es vor,] dass die Frau einem Mann verheiratet wird und er sie gering schätzt. Und dies ist [dann] keine vollkommene Ruhe, aber ich werde dir eine Ruhe erbitten, damit es dir gut ergehen wird.

Hier wird inhaltlich dargestellt, was das Gegenteil einer “vollkommenen Ruhe” bedeuten kann, nämlich die Geringschätzung einer Frau durch ihren Mann. Und genau dies will Noomi für Rut vermeiden, was sich aus der Strukturierung des Kommentars ergibt. Formuliert wird Noomis Ansinnen durch eine Gegenüberstellung, in der zunächst erklärt wird, was keine “vollkommene Ruhe” sei und daraufhin dargestellt wird, dass Noomi für Rut aber sehr wohl eine Ruhe finden will. Die Ausführung endet mit dem Zitat des letzten Teils des Verses aus Rut 3,1, welches mit ‫“ אבל‬aber” mit der Erklärung verbunden wird: …aber ich werde dir eine Ruhe finden, wo du es gut hast. MS London 22413 argumentiert ähnlich wie MS Berlin 1221, indem ‫לבקש לך‬ ‫“ מנוח‬dir eine Ruhe zu erbitten” verbunden wird mit ‫“ ולעסוק שיהיה לך בעל‬und [mich] zu kümmern, dass du einen Ehemann [bekommen] wirst”. Wortwörtlich wird dabei der Begriff ‫“ בעל‬Ehemann” verwendet, wobei in MS Berlin 1221 nur auf ‫“ איש‬Mann” Bezug genommen wurde. Weiter geht MS London 22413 auf die Eigenarten eines möglichen Ehemanns für Rut ein und führt aus, wie ein inadäquater Ehemann beschaffen ist. Dieser wird mit den Attributen ‫“ דל וגאה‬dürftig und stolz” beschrieben. ‫“ דל‬dürftig” bedeutet dabei inhaltlich nicht unbedingt “arm” in finanzieller Hinsicht, sondern “dürftig” in Bezug auf seine Haltung, sei-

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14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

ner Souveränität beziehungweise seines Selbstbewusstseins, in etwa “einfältig”751. Diese Eigenschaften sind es, die hier mit dem Verhalten eines potenziellen Ehemanns in Verbindung gebracht werden, der Rut aufgrund ihres Konvertitenstatus vernachlässige. So wird auch in MS London 22413 ein negatives Bild eines möglichen Ehemannes gezeichnet und als Gegenteil dessen dargestellt, was Noomi für Rut suchen will. Die Eigenschaften des Ehemannes, der eine “Ruhe” darstelle, sind somit gegensätzlich zum Ausformulierten zu verstehen. Schlussfolgerung des Kommentars zum Vers ist, dass sich Rut zu Boaz halten, in Worten von MS London 22413 ihre “Augen” an ihn hängen solle. Diese Formulierung erinnert an den Wortlaut Ruts in Rut 2,2, wo sie hinter demjenigen her sammeln wollte, in dessen “Augen” sie Gefallen finde. Durch diese Formulierung verweist der Kommentar also indirekt auf Rut 2,2 und darauf, dass die dortige Suche Ruts schon (fast) zu ihrem Ende gekommen ist. Dabei ist bemerkenswert, dass hier nun Noomi einen Ehemann “erbitten” will (‫)אבקש לך‬, und nicht Rut selbst auf die Suche gehen soll. Dies lässt darauf schließen, dass der Kommentar von einer Verheiratung durch die Eltern ausgeht, die wiederum in den Bibeltext hineingelesen wird.752 Im Rahmen dieser Annahme nimmt Noomi als Ruts Schwiegermutter die Position der Eltern ein, und zwar im Kontext des Buches Rut im Allgemeinen und im Erzählkontext von Rut 3 im Besonderen. Abgeschlossen wird der Kommentar zu Rut 3,1 mit dem Hinweis darauf, dass Boaz “stark und gut” ‫ חזק וטוב‬sei und damit gewissermaßen als Gegenteil des oben als ungebührlich dargestellten Mannes fungiert. Durch die Formulierung “gut” ‫ טוב‬wird außerdem das Ende von Rut 3,1 in Erinnerung gerufen, wo es heißt “eine Ruhe, damit es dir gut ergehen wird”. Dort ist die Wortwurzel aber √‫“ יטב‬gut sein”, statt √‫“ טוב‬gut”; dennoch können beide zueinander in Verbindung gesetzt werden. MS Zürich Or 157 enthält in diesem Kontext keinen Kommentar zu Rut 3,1.

751 Auch wenn gemeinhin ‫( תם‬von der Wortwurzel √‫ )תממ‬als Begriff für "einfältig" verwendet wird, vgl. etwa Gen. 6,9, das dort positiv konnotiert ist, ist ‫( דל‬von der Wortwurzel √‫ )דלל‬hier eher negativ besetzt. Durch die Verwendung des Attributes ‫" דל‬einfältig" verweist der Kommentar quasi schon auf Rut 3,10, wo dieses Wort das einzige Mal innerhalb des Buches Rut verwendet wird. 752 Vgl. auch MS London 22143 zu Rut 1,3, wo Elimelekh seine Söhne nicht an Moabiterinnen verheiratet hätte.

14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

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Zu Rut 3,2: “Boaz, unser Angehöriger, mit dessen jungen Frauen du [zusammen] warst…” Im Kommentar von MS Berlin 1221 wird auf die Eigenschaften Boaz’ eingegangen, der Rut nicht gering schätzen würde, “da er ein gerechter Mann” (‫שהוא אדם‬ ‫ )צדיק‬sei. Somit wird der Duktus aus Rut 3,1 aufgenommen, wo mit einer möglichen “Geringschätzung” durch einen unpassenden Mann argumentiert wurde. Ferner wird aufgegriffen, um was Noomi im vorhergehenden Vers bittet. Dieses “Erbitten” (‫“ אבקש‬ich will erbitten”) aus Rut 3,1 wird nun inhaltlich auf die Frage nach einem Ehemann bezogen, was in MS Berlin 1221 jedoch nicht wortwörtlich ausgedrückt wird. √‫“ בקש‬erbitten” könnte in diesem Kontext auch als “um die Hand bitten” aufgefasst werden. Jedenfalls ist dies aus Sicht des Kommentars “schandhaft” für eine Frau, besonders wenn eine Frau einen Mann vor seinem Haus frage: …‫ …לבקש איש בביתו בפני בני ביתו‬Mit dem Haus des Mannes ist wohl der versammelte Hausstaat gemeint. Mit ‫“ החשד‬Verdacht” ist offensichtlich ein “Verdacht auf Ehebruch” beziehungsweise eine Mutmaßung irgendwelcher anderen (sexuellen) Verbindungen gemeint. Die Wortwurzel √‫ חשד‬wird nicht in der Bibel verwendet, tritt dafür aber oft in der rabbinischen Literatur in Diskussionen zur Halakha auf.753 Nun weist der Kommentar schon mit Noomis Ansage, dass Boaz auf der Tenne worfelt, darauf hin, dass dies ein Ort sein könnte, wo Boaz (als Ehemann) “erbeten” werden könne, im Gegensatz zu “vor den Angehörigen des Hauses.”754 Mit Hinweis auf Rut 3,7 wird auf ‫“ בלט‬Leichtigkeit” hingewiesen, mit der sich Rut auf die Tenne begeben solle. Diese “Leichtigkeit” könnte im Kontext der vorherigen Erklärung aus MS Berlin 1221 auch als “ohne Publikum” und damit als “ungezwungen” interpretiert werden. MS London 22413 beinhaltet keinen expliziten Kommentar zu Rut 3,2. MS Zürich Or 157 verweist zu Rut 3,2 – ähnlich wie schon zu Rut 2,1 – darauf, dass ‫“ מודעתנו‬unser Angehöriger” ‫“ קרובינו‬unser naher [Verwandter]” bedeute. Dies kann als gekürzte Wiedergabe von RutR 5,10 interpretiert werden, wo eine vergleichbare Auslegung zur Aussage von R. Shemuel Bar Nachman wiederge-

753 Die Recherche ergibt über 1990 Treffer: "Found 1998 Documents," so das Ergebnis von Responsa Project online (Zugriffsdatum: 21.09.2013). 754 In MS London 22413 wird zu Rut 3,14 auf die (dort als unkorrekt dargestellte) Interpretation des Vorhandenseins eines jungen Knechts auf der Tenne bei Boaz hingewiesen. Dieser kann als ein Teil des Hauses Boaz' interpretiert werden. Inhaltlich können die beiden Auslegungen in MSS Berlin 1221 und London 22413 zueinander in Beziehung gesetzt werden und dies als Argument für eine Verbindung beider MSS angeführt werden.

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14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

geben wird.755 Weiter führt MS Zürich Or 157 zu Rut 3,2 aus, dass Boaz ‫ המוץ‬die Spreu worfele, was eine Spezifizierung der Angabe aus dem Bibeltext ist. Somit umreißt der Kommentar das nächtliche Arbeiten im Kommentar genauer. Ferner wird erklärt, dass in jener Generation Diebstahl und Raub herrschten (der Kommentar formuliert dies mit ‫“ הדור פרוץ‬die Generation (war) zerbrochen”) und Boaz daher auf der Tenne übernachtete (wörtlich: ‫“ ישן‬schlief ”), um diese zu bewachen. Eine ähnliche Interpretation findet sich im Midrash Tanchuma und kann als dessen Paraphrase verstanden werden.756

Zu Rut 3,3: “Und [nun] bade (dich), und salbe (dich), und ziehe deine Kleider an, und steige hinab zur Tenne. Lass dich [aber bloß] nicht von dem Mann erkennen…” MS Berlin 1221 macht keine Anmerkungen zu Rut 3,3. MS London 22413 führt aus, was inhaltlich ähnlich schon in MS Berlin 1221 zu Rut 3,1 geäußert wird: Zum Lemma “Lass dich bloß nicht von dem Mann erkennen” wird thematisiert, dass es eine ‫“ גנאי‬Schande” für eine Frau sei, zum Hause eines Mannes zu gehen, wenn seine Hausgenossen dies merken würde. Dabei wird in MS London 22413 mit der Wortwurzel √‫ גנא‬als in der Form eines Nomen argumentiert, wobei in MS Berlin 1221 die Formulierung ‫“ דבר מגינה‬eine schändliche Sache”, also ein Adjektiv von √‫גנה‬, verwendet wird. Beide Wortwurzeln können mit “beschämen” oder “hässlich [verfahren]” übersetzt werden, wobei die Ähnlichkeit der zur Erklärung herangezogenen Wortwurzeln auffällt.757 Vorausgesetzt, es wird eine inhaltliche Beziehung zwischen MS Berlin 1221 und MS London 22413 angenommen, lässt sich einerseits nachvollziehen, dass MS Berlin 1221 keinen Kommentar zu Rut 3,3 enthält und andererseits, dass MS London 22413 keinen Kommentar zu Rut 3,2 aufweist: Beide Kommentar-­ Fassungen argumentieren ähnlich, indem sie darauf verweisen, dass der Besuch einer Frau in eines Mannes Hause “schändlich” sei.

755 MS Zürich Or 157 zu Rut 3,2: ‫מודעתנו' קרובינו‬, vgl. RutR 5,10 (Ed. Lerner): ‫תאמר‬ ‫ והאשה עושה אותה קרובה קרוב‬,‫ בעז גדול הדור‬,‫לה נעמי קרוב לנו האיש אמר ר' שמואל בר נחמן‬ ‫לנו האיש‬. Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 03.12.2012). 756 MS Zürich Or 157 zu Rut 3,2: ‫והנה הוא זורה את המוץ הלילה שהיה הדור פרוץ בגניבה וגזל והיה‬ ‫ישן לשמור גרנו‬, vgl. Midrash Tanchuma (Buber) Parasha Behar 8: ‫אמרה לה חמותה הנה‬ ‫ אלא שהיה דורו‬,‫ והיה זורה בגורן‬,‫ הוא היה נשיא‬,)‫ ג ב‬/‫רות‬/ ‫הוא זורה את גורן השעורים הלילה (שם‬ ‫ ג) ואחר כך וירדת‬/'‫רות ג‬/ ‫ אמרה לה ורחצת וסכת (שם שם‬,‫ והיה יוצא לשמור גרנו‬,‫פרוץ בעריות וגזל‬ )/'‫רות ג‬/ ‫הגורן (שם‬. Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 03.12.2012). 757 Vgl. Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 82 und 83.

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Zum Kommentar in MS Zürich Or 157: Interessanterweise wird das Lemma zunächst im Ḳere zitiert (‫…“ וירדת הגורן‬Und steige [als Ḳere zitiert: ‫ ]וירדת‬hinab zur Tenne”), in der weiteren Ausführung wird jedoch auf den Text im Ketiv Bezug genommen (…‫“ …וירדתי דכת‬Und du sollst hinabsteigen [Ketiv: ‫]וירדתי‬, wie geschrieben ist…”). Die Interpretation kann im Allgemeinen mit Rashi zu Rut 3,3 in Verbindung gebracht werden, wobei auch diese Erklärung im Kontext der Traditionsliteratur zu lesen ist, und zwar mit jPea 8,7 und RutR 5,12, Yalkut Shimoni zu Rut § 604. Als letzter Teil des Verses wird ‫– לבועז‬ ‫ אל תודעי לאיש‬ausgelegt, “Lass dich (bloß) nicht von dem Mann erkennen – (das heißt) von Boaz.” Hier wird das Wort ‫ תיודעי‬mit der Grundform √‫“( ידע‬erkennen”) verwendet.758 Mit der Verwendung der Wortform √‫ ידע‬könnte impliziert sein, dass Rut zwar zu Boaz Kontakt aufnehmen, jedoch nicht mit ihm schlafen solle.

Zu Rut 3,4: “…und decke von seinen Füßen her auf und lege dich hin und er wird dir sagen, was du tun sollst.” MS Berlin 1221 zitiert den letzten Teil von Rut 3,4, worauf der Kommentar mit der Auslegung zu Rut 3,8 fortfährt. Dabei wird der Text im Ḳere zitiert, MT BHQ schreibt ‫מרגלתיו‬, während in MS Berlin 1221 ‫ מרגלותיו‬steht. MS London 22413 führt zur Aussage Noomis ‫“ והוא יגיד לך‬er wird dir sagen” aus, dass Boaz “wichtig und gut” sei: ‫חשוב וטוב הוא‬. Dies kann als ein Rekurs auf den Abschluss der Auslegung zu Rut 3,1 verstanden werden, wo Boaz ebenfalls als “gut” bezeichnet wird.759 Somit kann ‫“ טוב‬gut” als ein Leitwort in der Erklärung von MS London 22413 bezeichnet werden, wobei √‫ טוב‬dreimal im Buch Rut verwendet wird (Rut 2,22; Rut 3,13; Rut 4,15), √‫ יטב‬ebenfalls dreimal (Rut 3,1.7.10). Am Rand der ersten Zeile auf Fol. 73v, die mit der Erklärung zu Rut 3,4 beginnt, steht “‫”כ’ל’ מיוחס‬, was gedeutet werden kann als “das bedeutet: verbindend”. Jedoch ist nicht klar, auf welche Stelle sich diese Randnotiz exakt bezieht. Eventuell wird hier Bezug genommen auf die ebenfalls in jener Zeile stehende Auslegung zu Rut 3,4 oder auf die Auslegung zu Rut 3,5, wobei beide mit der Erklärung zu Rut 3,1 in Verbindung gebracht werden können. MS Zürich Or 157 bietet keine Ausführungen zu Rut 3,5–6.

758 Dies lässt sich als Gegensatz zur Wortwurzel √‫ נכר‬auffassen, was z. B. im Hifil mit "kennenlernen" zu übersetzen ist, siehe Lavy: Handwörterbuch Hebräisch-­Deutsch 1975, S. 369. 759 MS London 22413 Ende zu Rut 3,1: …‫ …" תלי עיניך בבועז הזקן וטוב‬hänge deine Augen an Boaz, den Alten und Guten."

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14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

Zu Rut 3,5: “… Alles, was du mir sagen wirst, werde ich tun.” Während MS Berlin 1221 keinen Kommentar zu Rut 3,5–7 formuliert, geht MS London 22413 inhaltlich auf die Eigenschaft Boaz’ als alten Mann ein, der als ein liebender Partner besser sei als ein “dürftiger stolzer junger [Mann]” (‫כי טוב לי‬ ‫)זקן ויאהב מדל גאה בחור‬. Somit bezieht sich MS London 22413 hier – wie schon zu Rut 3,1 – inhaltlich und wörtlich auf die negativen Charaktereigenschaften eines möglichen Ehemannes, die mit ‫“ דל‬dürftig” und ‫“ גאה‬stolz” bezeichnet werden: …‫ …“ …ואם יהיה לך בעל דל וגאה לא יחשוש בך‬Und wenn du [aber] einen Ehemann [bekommen] wirst, der dürftig oder stolz ist, wird er sich nicht um dich kümmern…” Damit ist eine kommentarinterne Weiterführung der Charakterisierung Boaz’ festzuhalten. Da MS Berlin 1221 an dieser Stelle keinen Kommentar enthält, ist dies insofern erklärbar, als dass MS London 22413 diesen Punkt “zusätzlich” und ausführlicher (sowohl zu Rut 3,1 als auch zu Rut 3,5) formuliert, während in MS Berlin 1221 nichts Derartiges angelegt ist. Es kann angenommen werden, dass MS Berlin 1221 diese Art der Auslegung noch nicht kennt und daher auch keinen Bezug darauf nimmt. Will man diese Beobachtung für die Argumentation einer chronologischen Abfolge verwerten, kann MS Berlin 1221 als älter gelten, da darin die Auslegung aus MS London 22413 noch nicht auftritt. Die Darstellung Boaz’ in MS London 22413 kann damit als zusätzlich hinzugefügt gelten. Somit kann hier die textkritische Regel „Lectio brevior – lectio potior“ die kürzere Lesart ist die ursprünglichere Lesart zur Argumentation herangezogen werden. Da MS London 22413 die längere Lesart aufweist, kann der Kommentar im Vergleich zu MS Berlin 1221 als jünger gelten.

Zu Rut 3,6: … Und sie tat alles, was ihr ihre Schwiegermutter befohlen hatte. MS Berlin 1221 enthält, wie bereits erwähnt, keinen Kommentar zu Rut 3,5–7. Währenddessen geht MS London 22413 weiter auf den Wortlaut des Bibeltextes ein, der inhaltlich auf den folgenden Vers bezogen wird: ‫ותעש כל (כל מיוחס) אשר צותה חמותה’ סותם ואחר כך מפרש כי לאלתר כשאכל בועז וישת ויטב לבו‬ Und sie tat alles, was ihr ihre Schwiegermutter befohlen hatte – [die Worte stehen] unbestimmt da, und später wird es erklärt, denn alsbald war es, dass Boaz aß und trank und sein Herz gut[en Mutes] war (Rut 3,7)

Etwas ausführlicher wird in MS Zürich Or 157 argumentiert, wo auf die explizite Reihenfolge der Ereignisse eingegangen wird, die Rut bis Rut 3,6a nicht so eingehalten habe, wie Noomi es ihr in Rut 3,3 aufgetragen hatte:

14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

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MS Zürich Or 157 zu Rut 3,6: ‫אל תיודעי לאיש לבועז‘ ותרד הגורן ותעש היא אמרה ורחצת וסכת‘ ושמת שלמותיך ואחרכך וירדת‬ ‫הגורן‘ היא לא עשתה כן‘ אמ‘ הפוגע בי כשאני מקושטת אומ‘ זונה היא‘ לפיכך ותרד הגורן‘ תחילה ואחר‬ ‫ לה שמא יבוא אחד מן‬/‫כך ותעש ככל אשר ציותה חמותה‘ כל אשר תאמרי אלי‘ אלי קרי ולא כת אמ‬ ‘‫הכלבים ויודע לך‘ ואעפכ עלי ליישב הדבר‬ Und sie stieg hinab zur Tenne und tat [dies, wie alles, das ihr ihre Schwiegermutter gesagt hatte] – Sie [Noomi] hatte ihr gesagt und [nun] bade (dich) und salbe (dich) und ziehe deine Kleider an und steige [erst] danach hinab zur Tenne. [Aber] sie [Rut] tat das [hinsichtlich der von Noomi verwendeten Reihenfolge] nicht [genau] so [wie diese es aufgeführt hatte]. [Rut] sagte [sich:] „Könnte [es dabei denn nicht passieren, dass] er mich bedrängt, wenn ich so herausgeputzt bin [und] sagen, ‚Sie ist [ja] eine Prostituierte.‘!?“ Deshalb [führt dieser Vers – anders als Rut 3,3 – die Reihenfolge folgendermaßen aus:] Sie stieg hinab zur Tenne [steht am] Anfang [des Verses] und [erst] danach [steht] und sie tat [dies], wie alles, das ihr ihre Schwiegermutter befohlen hatte (vgl. RutR 5,13). Alles, was du zu mir sagen wirst (Rut 3,5) – zu mir ist [als Ḳere] zu lesen, aber es ist nicht geschrieben (vgl. RutR 5,14). Sie sagte ihr „Vielleicht wird einer von den Hunden kommen und er wird dich erkennen. Aber nichtsdestotrotz [liegt es nun] an mir, diese Angelegenheit zu ordnen.“

Dabei werden Ruts sittsame Absichten hervorgehoben: Sie wolle – gekleidet wie von ihrer Schwiegermutter in Rut 3,3 empfohlen – nicht in eine zwielichtige Situation kommen, genauer: von Boaz nicht als Prostituierte wahrgenommen werden. In Rut 3,6b stellt der Bibeltext fest, dass Rut alles “tat, was ihr ihre Schwiegermutter gesagt hatte.” Dies bezieht der Kommentar auf Ruts Befolgung der Anweisung ihrer Schwiegermutter aus Rut 3,3 nach der Ankunft auf der Tenne (siehe Ausführungen zur Stelle für MS London 22413). MS Zürich Or 157 gibt des Weiteren zur Erklärung von Rut 3,6b einen Midrash wieder,760 wo eine sexuelle Konnotation zur Sprache kommt:761 “Alles, was du zu mir sagen wirst (Rut 3,5) – zu mir ist [als Ḳere] zu lesen, aber es ist nicht geschrieben (vgl. RutR 5,14).“762 760 RutR 5,13 (Ed. Lerner): ‫ אמרה‬.‫ ה) [אלי] קרא ולא כתב‬:‫ותאמר אליה כל אשר תאמרי אלי (רות ג‬ ‫ עלי לישב‬,‫ אעפ"כ כל אשר תאמרי אלי אעשה‬,‫ שמא יבא כלב ויזדווג לי‬,‫ הדור הזה שטוף בזמה הוא‬,‫לה‬ )‫ ו‬:‫ ותרד הגרן [ותעש ככל אשר צותה חמותה] (רות ג‬,‫את הדברים‬. Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 06.12.2012). 761 Zur Rezeption und bezüglich der sexuellen Konnotation vgl. beispielsweise Kosman, Admiel: "Ruth und Boas in der Tenne. Verschiedene Interpretationen". In: Freiburger Rundbrief 20, 3, 2013, S. 209–212. 762 Da in MS Zürich Or 157 ‫ קרי‬steht, was mit "Pollution" übersetzt werden kann (siehe Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 390), ergibt sich auch folgende Übersetzungsalternative zur Stelle: "zu mir [bedeutet hier] Pollution, aber es ist nicht [in klaren Worten] geschrieben." So interpretiert hätte die Auslegung zu Rut 3,5 den Inhalt im Sinne von "Alles, was du sagst, führt [Boaz] doch

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14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

Zu Rut 3,7: … Und [Boaz] aß und trank und sein Herz wurde gut[en Mutes]… Weiterhin bringt MS Berlin 1221 keinen Kommentar zu Rut 3,5–7. Die Erklärung zum Ausdruck des “Herzens das guten Mutes ist” liefert MS London 22413. Der Kommentar stellt dar, dass dies “wie ein Mensch [ist], der gutherzig ist: alles, was man von ihm erbittet, [das] tut er” (‫כשאדם שמח כל מה‬ ‫)שמבקשין ממנו הוא עושה‬. Somit rekurriert der Kommentar auf den Wortlaut Noomis im Bibeltext, die für Rut eine Ruhe, das heißt einen Ehemann (siehe Ausführungen oben), erbitten will (Rut 3,1: …‫)…אבקש לך מנוח‬. Im Kommentar wird damit deutlich, dass die “Vorbedingungen” für Ruts Vorhaben geschaffen sind: Die Angabe des Kommentars kann so verstanden werden, dass Boaz gutherzig ist und aufgeschlossen, Ruts Bitte nachzukommen: Rut hat also positive Aussichten auf eine baldige Heirat mit Boaz. Anders MS Zürich Or 157, wo der Grund für Boaz’ gutes Befinden auf die Beschäftigung mit der Tora, also auf das Bibelstudium zurückgeführt wird. Außerdem wird ‫“ ותבא בלט‬und sie kam leise” in Rut 3,7 mit ‫ בנחת‬erklärt, was in der Übersetzung als “mit Sanftmut” wiedergegeben wird. Eine Übersetzungsalternative ist “mit Gemächlichkeit”. Rut soll also ruhig, gemächlich, sanftmütig zu Boaz kommen. Diese Interpretation hat Parallelen in der Traditionsliteratur, die Rashi zur Stelle ebenfalls aufnimmt: Rashi zu Rut 3,7:763 “Und sein Herz war gut[en Mutes] – er beschäftigte sich mit der Tora. Und sie kam leise – mit Sanftmut.” Weiter zum ungewollten Samenerguss." In RutR 5,14 wird die Zeugung Moabs von Lot und seiner Tochter und damit auch die Nachkommenschaft Ruts auf die nächtliche Zusammenkunft Ruts mit Boaz auf der Tenne bezogen. Vgl. dazu auch Malinowitz, Chaim / Danziger, Yehezkel / Danziger, Hillel (Hgg.): The Midrash. Midrash Rabbah. The Five Megillos. Ruth, Esther. (Artscroll Series / Kleinman Edition). Mesorah: ‪New York 2011, Anmerkungen 169 ff. zu RutR 5,17. Weiter lässt sich MS Zürich Or 157 übersetzen mit "Sie sagte ihr 'Vielleicht wird einer von den Hunden kommen und er wird dich erkennen [‫ "…']ויודע‬Das Wort ‫ ויודע‬stammt von √‫ידע‬, das auch mit Beischlaf in Verbindung gebracht werden kann. Dies ist zwar nicht zu übersetzen mit "und [Boaz] wird mit dir schlafen", sondern mit "er wird dich bemerken, weil die Hunde dich durch ihr Bellen verraten". Bemerkenswert ist dennoch, dass hier eine Nähe zur rabbinischen Interpretation bzgl. Orpa assoziiert wird, die laut RutR nach ihrer Rückkehr von "100 Vorhäuten … [und] einem Hund" angefeindet worden sei, womit auch sexuelle Nötigung impliziert sein kann: "…‫ממאה ערלות שנתערו בה כל אותו‬ ‫ אף כלב אחד‬,‫ ר' תנחומא אמר‬.‫ "…הלילה‬Siehe RutR 2,20 (Ed. Lerner) zu Rut 1,4. Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 15.04.2010). 763 Rashi zu Rut 3,7: ‫– בנחת‬ ‫ ותבא בלט‬:‫– עסק בתורה‬ ‫וייטב לבו‬. Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 06.12.2012).

14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

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ist RutR 5,15 als Quelle für den ersten Teil der Auslegung zu nennen, auf den Rashi wohl zurückgriff und der hier als Vorlage für Karas Kommentar betrachtet werden kann.764 RutR 5,15: “Eine andere Auslegung: Warum [steht da] und sein Herz war gut[en Mutes]? Weil er sich mit der Tora beschäftigte, wie geschrieben steht Denn ich gab euch gute Unterweisung (Prov. 4,2).”765

Zu Rut 3,8: Und es war in der Mitte der Nacht, und er fuhr [vom Schlaf] auf und und er beugte sich vor. Und es war, [dass] eine Frau zu seinen Füßen lag. Interessanterweise lautet die einleitende Formulierung in der Auslegung zu Rut 3,8 sowohl in MS Berlin 1221 als auch in London 22413 ‫“ מרק[א] מסור‬Der Vers überliefert [dies so],” die darauffolgenden Erklärungen sind jedoch jeweils unterschiedlich. Der Kommentar in Berlin 1221 bezieht sich auf die Erzählstruktur und stellt fest, dass der Vers in Bezug auf die Abfolge der erzählten Ereignisse umgestellt sei: In Rut 3,8 wird geschildert, dass Boaz (1) vom Schlaf auffährt (“und er fuhr [vom Schlaf] auf ”), (2) sich vorbeugt (‫“ וילפת‬und er beugte sich vor”) und (3) bemerkt, dass eine Frau zu seinen Füßen liegt (‫“ והנה אשה שכבת מרגלתיו‬und es war, dass eine Frau zu seinen Füßen liegt”). Jedoch konstatiert der Kommentar, dass das Aufschrecken Boaz’ der Abschluss seiner Wahrnehmung sei, dass sich Rut zu seinen Füßen befände: Boaz (1) erwacht und streckt seine Hände und Füße aus, (2) merkt dabei, dass eine Frau zu seinen Füßen liegt und (3) fährt deshalb vom Schlaf auf. ‫“ וילפת‬und er beugte sich vor” wird erklärt mit dem Ausstrecken von Armen und Beinen, was im Kommentar wird mit ‫“ ופשט‬und er streckte aus” formuliert wird. Das Vorbeugen (und er beugte sich vor ‫ )וילפת‬wird weiter ausgeführt, wobei ebenfalls der Begriff ‫ פישוט‬verwendet wird. Das Vorbeugen wird dabei als eine Art “Dehnen” verstanden. Weiter wird in Bezug auf die Formulierung ‫ וילפת‬auf Ri. 16,29 verwiesen, wo ebenfalls ‫ וילפת‬steht, im Konsonantenbestand die einzige weitere Stelle in der Bibel, wo dieses Wort auftritt. Eine Übersetzung ins Altfranzösische schließt sich an: ‫אישטודש‬.766 MS London 22413 argumentiert ähnlich wie MS Berlin 1221, wobei der Kommentar dort kürzer gefasst ist und keinen Hinweis auf die grammatische Form bietet. Vielmehr wird das Lemma in gekürzter Form wiedergegeben, so dass es mit den kommentierenden Einschüben zunächst die Form einer glossierten Aufzäh764 Vgl. Poznański: "Die nordfranzösische Exegetenschule", S. 394. 765 RutR 5,15 (Ed. Lerner): ‫ דכתיב כי לקח טוב נתתי לכם‬,‫ למה וייטב לבו? שהיה עסוק בתורה‬:‫ד"א‬ )‫ ב‬:‫(משלי ד‬. Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 06.12.2012). 766 Zu dieser mundartlichen Glosse siehe Kapitel "Le'azim im Kommentar zu Rut 3".

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14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

lung erhält: ‫“ ויחדר האיש‘ מקרא מסור’ וילפת‘ ואחר כך ויחרד‬Und der Mann fuhr [vom Schlaf] auf – die Schrift überliefert und er beugte sich vor. Und [erst] nachdem [gesagt wird] und der Mann fuhr [vom Schlaf] auf [steht da] und er beugte sich vor.” Es folgt die Darstellung einer allgemeinen Gewohnheit, wonach jeder sich (1) erst dehnt (also vorbeugt), bevor er (2) aufsteht. Dabei wird ein La’az, eine mundsprachliche Glosse wiedergegeben: ‫ש ַטנ ְִרילִית‬ ְ .767 Und er beugte sich vor ist weiter beschrieben als eine Krümmung, gefolgt von der Formulierung ‫טורצת‬, was auf ein La’az hindeutet.768 Auch in MS London 22413 folgt das in MS Berlin 1221 verwendete Zitat aus Ri. 16,29. Weiter geht MS London 22413 auf die Abfolge der im Bibeltext dargestellten Ereignisse ein und erklärt, dass die Begebenheit aus Rut 3,8 “der Mann fährt auf ” zum selben Zeitpunkt stattfindet, als sich der Mann (1) vorbeugt, (2) sieht, dass eine Frau zu seinen Füßen liegt und (3) daraufhin vom Schlaf auffährt. Somit gestaltet sich die Abfolge der erzählten Ereignisse in MS London 22413 genauso wie in MS Berlin 1221 und eine inhaltliche Parallele beider Fassungen kann an diesem Punkt festgehalten werden. Zürich Or 157 kommentiert zu Rut 3,8: ‫ויחרד האיש כסבור שיד הוא וביקש לזעוק ואחזתו וליפפתו’ בזרועותיה’ וילפת’ ויאחז’ כמו וילפת‬ ‫דשמשון‬ Da fuhr der Mann auf [vom Schlaf] – wie meinend, dass es ein böser Geist war und schreien wollte. Und sie hielt ihn fest und umschlang ihn mit ihren Armen. Und er umschlang ‫וילפת‬ – [das heißt dasselbe wie] und er hielt fest, wie Und Shimshon umschlang [die Säulen] (Ri. 16,29).

Im Kommentar wird der Wortstamm √‫ אחז‬unterschiedlich verwendet: Zunächst wird ‫ ואחזתו‬in femininer Form aufgeführt womit festgestellt wird “und sie hielt ihn fest.” Dies wird mit ‫“ וליפפתו‬und umschlang ihn” in Verbindung gesetzt, was eine Wortform von √‫ לפפ‬ist.769 Der Kommentar fährt mit Ausführungen zum Wort ‫ וילפת‬fort, wobei dieses Wort eine andere Wurzel als √‫ לפפ‬hat, nämlich √‫לפת‬. Beide Wurzeln sind inhaltlich gleich zu fassen und werden hier mit der jeweiligen Form von “umschlingen” übersetzt. Im Kommentar wird zu den beiden Formen jeweils √‫ אחז‬hinzugefügt und im zweiten Teil als Synonym zu √‫ לפת‬genannt: ‫ויאחז’ כמו‬ ‫ וילפת‬Also werden hier drei Wortformen in Verbindung gesetzt, die graduell die-

767 Zu dieser mundartlichen Glosse siehe Kapitel "Le'azim im Kommentar zu Rut 3". 768 Zur möglichen Interpretation dieser mundartlichen Glosse siehe ebd. 769 √‫לפפ‬ – "h. umschlingen", siehe Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 219.

14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

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selbe inhaltliche Bedeutung haben: √‫לפת‬ – “h. 1. umschlingen; 2. verbinden.”770 √‫לפפ‬ – “h. umschlingen;”771 √‫אחז‬ – “ergreifen, halten, sich bemächtigen.”772 Der Unterschied zwischen √‫ לפפ‬und √‫ לפת‬ist dabei mit der Ermittlung der Wortwurzel verbunden und auf die Frage zurückzuführen, ob es sich um eine Wurzel “Lamed-­Tav” (√‫ )לפת‬oder eine Wurzel mit doppeltem Konsonanten (√‫ )לפפ‬handelt. Der Kommentar stellt hierbei keinen Unterschied fest, sondern verwendet beide kongruent. Auch im modernen Hebräisch werden beide Wortwurzeln mit ähnlicher Bedeutung verwendet, so wird √‫ לפפ‬mit “umwickeln” und “‫ ”לפת‬mit “umschlingen, umklammern” wiedergegeben.773

Zu Rut 3,9: Und er sprach: “Wer bist du?” Und [sie] sprach: “Ich bin Rut, deine Magd. Und breite den Saum deines Gewandes über [deine] Magd, denn ein Löser bist du.” MS Berlin 1221 stellt den im Bibeltext angelegten Dialog zwischen Boaz und Rut auf der Tenne dar. Dabei wird die Frage Boaz’ “Wer bist du?” mit “meine Tochter” ergänzt. Somit wird impliziert, Boaz habe bemerkt, dass sich ihm eine jüngere Frau genähert hat. Weiter geht MS Berlin 1221 nicht auf Boaz’ Wortlaut im Bibeltext ein, sondern stellt dar, was Rut mit ihrer Antwort ausdrückt: Die Heirat sei ihr Ziel, was schon im Bibeltext mit ‫ ופרשת כנפך על אמתך כי גואל אתה‬formuliert wird, wörtlich übersetzt wiedergegeben als “Und breite den Saum deines Gewandes über [deine] Magd, denn ein Löser bist du.”774 Dies kann auch übertragen werden als “nimm mich zur Frau”775, womit ebenfalls das Thema der Heirat im Bibeltext aufgegriffen wird. Dabei spricht sich der Kommentar wortwörtlich und deutlich gegen den möglichen Vorwurf der Prostitution Ruts aus:

770 Siehe Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 219, wo des Weiteren "Pi. würzen" angegeben wird. 771 Siehe Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 219. 772 Siehe Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 13. 773 Für beide Angaben siehe Lavy: Langenscheidts Taschenwörterbuch. Hebräisch-­ Deutsch 1992, S. 173. 774 Ein Löser ist derjenige, der die sogenannte Lösung umsetzt. Vorschriften zur Lösung‬ finden sich in ‪Lev.‬ ‪25,25  ff.‬ und schreiben den ‪Rückkauf‬ ‪eines‬ ‪Grundstücks‬ ‪durch‬ ‪einen‬ nahen Verwandten vor‪,‬ wenn ‪ein‬ ‪Israelit‬ ‪aufgrund‬ ‪von Verarmung ‬sein Landstück ‪verkaufen musste‬. Ziel ist die Erhaltung des Besitzes in der Hand der Familie. Von Heirat ist dort nicht explizit die Rede. 775 Siehe Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 354.

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14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

‫ויאמר אנכי רות אמתך ופרש כנפי‘ על אמת‘ כי גוא‘ אתה‘ כאילו אומרת לא לשם זנות באתי לכאן אלא‬ ’‫להינשא לך כי גואל אתה‬ Und [sie] sprach: Ich bin Rut, deine Magd. Und breite den Saum deines Gewandes über [deine] Magd, denn ein Löser bist du. – Als ob sie sagt: Nicht zwecks Prostitution bin ich hierher gekommen, sondern um dir angeheiratet zu werden, denn ein Löser bist du.

Dabei schließt der Kommentar zu Rut 3,9 mit einem Verweis auf die innerbiblische Verbindung von Rut 3,9 zu Rut 4,5. Das Thema der “Lösung”, das Rut hier in Rut 3,9 mit ‫“ כי גואל אתה‬denn ein Löser bist du” anspricht, wird in Rut 4,5 einer möglichen Heirat Boaz’ mit Rut (und dort mit der Institution der Leviratsehe776) wieder aufgegriffen. Der Kommentar verweist mit der Formulierung ‫ומה שסתום כאן‬ ‫“ מפורש בסוף הספר‬Und das, was hier [noch] unklar ist, wird am Ende des Buches erklärt” auf Rut 4,5, was sogleich zitiert wird. Damit bezieht sich der Kommentar in Rut 4,5 auf die erzählerische Struktur, den Ablauf sowie die Reihenfolge der im Buch Rut geschilderten Ereignisse. MS London 22413 führt Ruts Aussage nicht weiter aus, sondern setzt mit den Erläuterungen zur Aussage Boaz’ ein. Hier wird – wie in MS Berlin 1221 – ‫בתי‬ “meine Tochter” hinzugefügt. Weiter wird ein variiertes Zitat aus Ri. 18,8 wiedergegeben, das als Beispiel für die Frage nach dem Wohlergehen der angesprochenen Personen interpretiert wird: MS London 22413 schreibt ‫ויבא אליהם ויאמר להם‬ ‫אחיהם מה אתם‬, im Bibeltext Ri. 18,8 MT BHS steht ‫ויבאו אל־אחיהם צרעה ואשתאל ויאמרו‬ ‫להם אחיהם מה אתם‬. Die Wiedergabe der Textstelle wird abgeschlossen mit ’‫כ’פ‬, was auch in der Erklärung zu Rut 3,8 verwendet und dort als Abkürzung für ‫כך פרוש‬ übersetzt wird.777 Hier jedoch wird ’‫ כ’פ‬verstanden als ‫ כך פסק‬und übersetzt mit “So [formuliert es der] Vers.” Weiter fährt der Kommentar mit der Abkürzung ’‫ לי נר‬fort, die auch in der Erklärung zu Rut 2,15 und 4,1 auftritt und an die sich eine alternative Erklärung zu der Frage Boaz’ in Rut 3,9 “Wer bist du?” anschließt. ’‫ לי נר‬wird interpretiert als ‫ לי נראה‬und übersetzt als “es scheint mir”. Somit wird im Kommentar ein Gegensatz deutlich zwischen der Auslegung mit Bezug auf eine andere Bibelstelle (hier Ri. 18,8) und der Interpretation des Auslegers, der sich im Kommentar selbst äußert. Durch die Überleitung ’‫“ כ’פ’ ולי נר‬So [formuliert es der] Vers, und mir scheint es” zeigt sich jedoch, dass beide Auffassungen der Äußerung Boaz’ im Kontext von Rut 3,9 als “gleichrangige” Alternativen aufgeführt sind: 776 "Leviratsehe" bedeutet "Schwagerehe" und wird in Dt. 25,5–10 als die Heirat zwischen der verwitweten und kinderlosen Frau und dem Bruder ihres verstorbenen Ehemannes ausgeführt. Ziel ist die Zeugung von Nachkommen, um durch sie den Namen des Verstorbenen zu erhalten. 777 "…‫ כן פוסקין‬,‫ כך פסק‬,‫– פירושו‬ ,‫"כ'פ' כך פרוש‬, siehe Händler, G. H.: Lexikon der Abbreviaturen. In: Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 88.

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Einerseits als Frage, wie es Rut gehe, andererseits als Aussage, dass Boaz Rut nicht erkannt habe. Dabei ist “er erkannte sie nicht” im Text formuliert als ‫ הכירה‬mit der Wortwurzel √‫נכר‬.778 Weiter führt MS London 22413 den Dialog zwischen Rut und Boaz aus. Hierbei wird Ruts Bitte an Boaz – inhaltlich wie in MS Berlin 1221 – wörtlich auf Heirat bezogen. Ferner wird als wörtliche Rede Ruts erörtert, inwiefern Boaz ein Löser ist. Aus MS London 22413 zu Rut 3,9: ‫… כי גואל אתה בעלי היה קרובך וכשמת נשתעברו לי כל הקרקעות לכתובתי ועכשיו’ הם ממושכנים‬ ’‫ונמכרים ואתה קח אותי לאשה ואני אניחן לך לגואלן‬ … Denn ein Löser bist du – mein Ehemann war ein dir nahe [Verwandter], und da er gestorben ist, sind mir alle Bodenstücke übertragen worden, [wie es] in meinem Ehevertrag [steht]. Und jetzt sind sie verpfändet und verkauft. Aber nimm [doch] du mich zur Frau und ich werde dir Gunst erweisen für deine Lösung.

Dabei wird die nahe Verwandtschaft ins Feld geführt, die den verstorbenen Ehemann Ruts mit Boaz verband. In der Ausführung wird mit dem Ehevertrag argumentiert, wonach die Grundstücke Rut überschrieben worden seien. Die Argumentation Ruts fährt dabei fort, dass diese Grundstücke nun gepfändet779 und verkauft seien. Wobei – passend zum Erzählkontext im Buch Rut – diese Formulierung im Präsens auftritt und damit deutlich wird, dass die Grundstücke bereits verkauft sind. Inhaltlich bezieht sich diese Argumentation auf Lev. 25,25, wonach die Lösung erfolgen muss, wenn ein Bruder etwas verkauft. Dies wiederum passt zur Argumentation, die weiter oben im Kommentar ebenfalls in MS London 22413 stattfindet, wonach Noomi darstellt, dass sie und ihr Ehemann den Bodenbesitz verkauften, bevor sie nach Moab gingen. Somit passt die Verbindung zu Lev. 25,25, auch wenn die midrashische Erklärung berücksichtigt wird, Elimelekh sei aus Geiz weggegangen. Zwischenzeitlich kann die Verarmung Noomis und Ruts angenommen werden.780 Somit ist die zeitliche Abfolge nicht genauso 778 Hier wird die Wortwurzel √‫ ידע‬hingegen nicht verwendet, die im biblischen Kontext im Zusammenhang mit Geschlechtsverkehr auftritt. Im Kontext des Buches Rut wird √‫ ידע‬an anderer Stelle auch im Sinn von "wissen" verwendet, vgl. z. B. ‫ מידע‬als Bezeichnung für Boaz als "Angehöriger, Bekannter, Vertrauter" in Rut 2,1 und 3,1 mit Kommentar. 779 Wörtlich: "‫"ממושכנים‬. Plural von ‫" משכן‬pfänden" bezieht sich hier auf die Bodengrundstücke, ‫( קרקעות‬maskulin Plural). 780 Lev. 25,25, MT BHS ‫ כי־ימוך אחיך ומכר מאחזתו ובא גאלו הקרב אליו וגאל את ממכר אחיו׃‬Wenn dein Bruder verarmt und sein Grundstück veräußert, so soll sein nah(verwandt)er Löser zu ihm kommen und lösen, was sein Bruder veräußert hat.

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gegeben wie in Lev. 25,25 dargestellt: Erst Verarmung, dann Verkauf des Grundstücks, sondern unter Berücksichtigung des Midrash (vgl. RutR 1,9) erst Verkauf, dann Verarmung. Im Kommentar von MS London 22413 wird demnach deutlich, dass die “Lösung” des Grundstücks in Verbindung mit einer Heirat die Idee von Rut ist und nicht die von Boaz. Somit zeichnet der Kommentar nach, dass Rut eine aktive und kreative Rolle in der Auslegung eines “Rechtsfalls” übernimmt: Sie gibt Boaz die Informationen zum verkauften Grundstück, das ihr durch den Ehevertrag zusteht (wobei die Frage ist, weshalb das Grundstück noch im Ehevertrag steht, wenn es von Elimelekh und Noomi vor ihrem Weggang aus Moab und somit vor der Heirat von Rut und Machlon verkauft worden war). Außerdem bittet sie Boaz, sie zu heiraten, indem sie ihm “Gunst” in Aussicht stellt, was mit ‫אניחן‬781 formuliert wird. Durch diese Ausführungen einer möglichen Anwendung von Lev. 25,25, die der Kommentar in Ruts Mund legt, wird die Bezugnahme auf die rechtliche Vorschrift der Lösung als Ruts Vorschlag formuliert. Im Bibeltext nimmt Boaz auf die Lösung erst in Rut 4 Bezug. Somit zeigt sich hier ein Zusammenspiel zwischen Kommentar und Bibeltext, wobei der Kommentar Rut mehr Verantwortung für den Verlauf der Ereignisse zuspricht und sie Boaz schon in Rut 3 den Stoff für die Argumentation in Rut 4 liefert. Die Auslegung in MS Zürich Or 157 zu Rut 3,9 ist vergleichbar mit Rashis Auslegung.782 In der Auslegung wird ein Teil des Verses aus Rut 4,5 beziehungsweise

781 Wortwurzel von ‫ אניחן‬kann auf √‫ חנן‬zurückgeführt werden, "Geneigtheit, Gunst, Gnade", siehe Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 243, bzw. "Gunst erweisen, gnädig sein; 2. liebkosen; 3. schenken", siehe Dalman: Aramäisch-­ Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 154. 782 Hier soll auf weitere Stellen der Traditionsliteratur verwiesen werden, die ähnlich argumentieren, was bei dem Suchergebnis mit den Worten ‫ עליך לקנות‬deutlich wird. Rashis Erklärung wird dabei als erste Stelle angegeben, die die Formulierung verwendet: 1.) ‫– לגאול נחלת אישי כמו שנאמר (ויקרא‬ ‫כי גואל אתה‬:‫– … והוא לשון נישואין‬ ‫רש"י רות פרק ג‬ ‫כה) בא גואלו הקרוב אליו וגאל וגומר וחמותי ואני צריכות למכור נחלתנו ועתה עליך לקנות קנה גם‬ ‫– אשר‬ ‫(י) מן הראשון‬:‫אותי עמה שיזכר שם המת על נחלתו כשאבא על השדה יאמרו זאת אשת מחלון‬ ‫– … לגבי יבום שאמרה רות לבועז‬ ‫– ענין ג‬ ‫) דף על הדף יבמות דף מט ע"א‬.2 …:‫עשית עם חמותך‬ :‫ וכתב שם רש"י כי גואל אתה‬,‫(רות ג' ט') אנכי רות אמתיך "ופרשת כנפיך" על אמתך כי גואל אתה‬ ‫ כשאבוא על השדה יאמרו זאת אשת‬,‫ שיזכר שם המת על נחלתו‬,‫ קנה גם אותי עמה‬,‫ועתה עליך לקנות‬ ‫– … ולא היה‬ ‫) פני משה מסכת דמאי פרק ד‬.3 … ‫ וזה ענין היבום שהוא להקים לאחיו‬.‫מחלון ע"כ‬ ‫מאמינו אם עישרן ונפק לגביה וא"ל לא דאנא חשיד לך באתי אצלך לשאול אלא בשביל שכשלקחתי‬ ‫ממך החיטין וראיתי אוכלסא מהרבה ב"א העומדים עליך לקנות וחשבתי שמא מרוב הטרדה שכחת‬ ‫ ואפ"ה לא רצה‬.‫טען מחזקה עלוי‬:‫ אל תחוש כי כבר תקנתי אותם‬.‫מלתקנן והשיב לו זה מתקנן הוויין‬ ‫– … שכו'ל שלפי הנראה אישתמיט מיניה דברי רש"י‬ ‫) עיני דוד הלכות שמיטה ויובל פרק יא‬.4 …

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Rut 4,10 zitiert: ‫שם המת על נחלתו‬.783 Das Lemma ‫“ ופרשת כנפיך‬Und breite deine Flügel” in Rut 3,9 ist geschrieben wie “Ketib apud Occidentales”784 und vielen Manuskripten, was auf eine Vergleichbarkeit zu jenen MSS schließen läßt.785 Hier wird die “Einleitung” in den Dialog nicht angesprochen, die erste Vorstellung Ruts auf der Tenne als Antwort auf Boaz’ Frage “Wer bist du?” wird nicht ausgelegt. Rut nennt sich dort ‫“ אמתך‬deine Magd,” ein anderes Wort als ‫שפחתך‬, das jedoch ebenfalls “deine Magd” bedeutet. In Rut 2,13 verwendet Rut ‫שפחתך‬, wo sie über sich selbst sagt: “Ich bin nicht wie eine deiner Mägde.” ‫“ אמה‬Magd” ist also laut Bibeltext die Selbstbezeichnung, die Rut verwendet. Augenfällig ist die wörtliche Nähe zu ‫אמא‬, Mutter, wobei in der Erklärung die “Erzmuttereigenschaft” auf Rut bezogen wird. In Ruts Äußerung gegenüber Boaz wird hier durch die Verwendung des Wortes ‫“ גאל‬Löser” gleich die “Verhandlungsstrategie” Boaz’ assoziiert:786 Rut beauftragt Boaz angeblich, das Feld zu lösen, das von ihrem verstorbenen Ehemann zu lösen sei. Hier wird also in den Bibeltext hineingelesen, Boaz habe auf der Tenne von Rut den Hinweis bekommen, dass das Feld seines Nahverwandten zu lösen sei. Diese Information verwendet Boaz in Rut 4 bei der Verhandlung am Tor, wo er das Wissen einbringt, welches er (laut Auslegung in Zürich Or 157) von Rut erhalten hat. Es bleibt die Frage, ob Boaz am Tor Rut einfach zitiert und die Verbindung

‫ז"ל שם בפירושו על מגילת רות על פסוק כי גואל אתה וז"ל וחמותי ואני צריכות למכור נחלתינו ועתה‬ ‫עליך לקנות קנה גם אותי עמה (שיזכה) [שיזכר] שם המת על נחלתו וכו' עכ"ל וא"כ מאי קא קשיא‬ – ‫) שו"ת מכתם לדוד חלק חושן משפט סימן כז‬.5 … ‫להו שהרי הדבר מבואר כמ"ש המפרשים ז"ל‬ ‫… ואיכא למימר דמשו' הכי ממש א"ל שמ' לראו' אם חפץ אתה לראותה לך אצל לוי כי גם לו מכרתי‬ ‫בל"ה סו'לדי כלומר אם רצונך לקבל עליך לקנות אותה סחורה עצמה לערך מה שהוא קנה תקנה ואני‬ ‫) שו"ת ציץ אליעזר‬.6 … ‫אהיה פטור ואפי' יהיה בו אונאה יהיה דינך עם לוי משום דינא דגרמי ולא‬ ‫ כי גואל אתה לגאול נחלת אישי כמו שנאמר ובא גואלו‬:‫– … רש"י בפ"ג פסוק ט' וז"ל‬ ‫חלק יז סימן מב‬ ‫הקרוב אליו וגאל וגו' וחמותי ואני צריכות למכור נחלתנו ועתה עליך לקנות קנה גם אותי עמה שיזכר‬ ‫ הרי שביאר רש"י בהדיא שענין‬.‫שם המת על נחלתו כשאבא אל השדה יאמרו זאת אשת מחלון עכ"ל‬ ‫… הקמת‬ Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 10.12.2012). 783 Sowohl in Rut 4,5 als auch in Rut 4,10 tritt diese Formulierung auf: ‫להקים שם המת על‬ ‫" נחלתו‬Um den Namen des Verstorbenen (auf seinem Erbteil) zu erheben." 784 Ketiv bei "occidentalen" Handschriften. 785 So der Textkritische Apparat zu ‫ כנפף‬Rut 3,9, Anmerkung c, siehe Biblia Hebraica Stuttgartensia 1990, ad loc. 786 In Rut 4 verhandelt er zunächst mit dem anderen möglichen Löser über die Lösung des Feldes. Als dieser zustimmt zu lösen, verbindet Boaz die Angelegenheit der Lösung obligatorisch mit der Heirat Ruts. Dies hat den Rücktritt des anderen möglichen Lösers zur Folge und kann als Ziel Boaz interpretiert werden.

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der Lösung des Feldes mit der Heirat Ruts nicht mehr als Verhandlungstaktik verstanden werden kann, sondern nur noch die einfache Wiedergabe dessen ist, was Rut auf der Tenne zu ihm gesagt hatte.787

Zu Rut 3,10: Und er sprach: “Gesegnet seist du, meine Tochter, dem Ewigen, [denn] zuletzt hast du deine Liebenswürdigkeit noch mehr als zuvor bewiesen, denn du bist nicht den jungen Männern nachgelaufen, [egal] ob dürftig oder reich.” Boaz begrüßt, dass Rut nicht anderen jungen Männern nachgelaufen sei. Dabei wird die Formulierung ‫[“ אם דל ואם אשר‬egal] ob dürftig oder reich” verwendet. ‫דל‬, “dürftig,” kann auch mit “arm” wiedergegeben werden, wird aber analog zum Kommentar zu Rut 3,1 und Rut 3,5 hier mit “dürftig” übersetzt. Mit “dürftig” wurden schon an jenen Stellen mögliche Männer für Rut charakterisiert. Diese Charakterisierung ist jedoch negativ konnotiert, wobei die Eigenschaft der “Dürftigkeit” in Verbindung mit Stolz ausgedrückt wird. Interessanterweise wird das “Augen werfen auf ” verschiedentlich auf die Protagonisten bezogen: In MS London 22413 auf Boaz, der seine Augen auf Rut wirft, in MS Berlin 1221 auf Rut, die ihre Augen nicht auf andere potenzielle Ehemänner wirft. In beiden Fällen wird der Übertritt zum Judentum thematisiert, der Vorbedingung für Ruts Heirat ist. In MS London 22413 ist die Konversion die Voraussetzung für die Heirat mit dem Sohn Elimelekhs, in MS Berlin 1221 wird dagegen erklärt, dass der Übertritt nicht im Zusammenhang der Heirat erfolgte, sondern aus unselbstsüchtigen Gründen. MS Berlin 1221 führt aus, was Boaz mit seiner Aussage über das “Hinterherlaufen hinter Männern” meint. Der Kommentar interpretiert hier Boaz’ Annahme, Rut sei nur zum Judentum übergetreten, um einen jungen Mann zu heiraten. Hier wird – wie im Kommentar zu Rut 2,11 – mit der Formulierung ‫“ תולה דבר‬eine Sache abhängig [machen von]” argumentiert und auf den textlichen Zusammen-

787 Im Gesamtkontext und bezogen auf Rut 4 kann Boaz nicht nur als gewiefter Verhandlungsstratege, sondern als jemand gesehen werden, der in der Verhandlung "reagiert," also pokert und letztendlich auch auf seine "letzte Karte" Rut setzt, da der andere mögliche Löser ihm die Verhandlung schwer macht und vielleicht noch nicht weiß, dass Boaz selbst lösen will. In der Verhandlung in Rut 4 sind demzufolge schlussendlich beide "zufrieden:" Der andere mögliche Löser Peloni Almoni hat zunächst eingewilligt, zu lösen (also der Vorschrift von Lev. 25,25 Folge geleistet), tritt dann aber (mit einer vorgeschobenen Ausrede in Hinblick auf die Namenserhaltung) zurück, als er begreift, dass sein "Herausforderer" Boaz selbst lösen will.

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hang bezogen.788 Ruts Übertritt ist demnach nicht auf ihren Wunsch zurückzuführen, einen Mann zu bekommen, sondern geschieht aus “unselbstsüchtigen Beweggründen” ‫לשם שמים‬. Nachdem im Kommentar zu Rut 3,9 Prostitution als möglicher Beweggrund Ruts ausgeschlossen wurde,789 fasst der Kommentar zu Rut 3,10 zusammen, dass Rut aus “unselbstsüchtigen Beweggründen” zum Judentum übergetreten sei. In MS London 22413 wird ähnlich argumentiert, wobei nochmals auf das fortgeschrittene Alter Boaz’ eingegangen wird, der ‫זקן‬, “ein alter Mann,” sei. Rut wird mit anderen Frauen verglichen, die auf der Suche nach einem Ehemann sind, ihrer Wahl dabei aber andere Parameter zugrunde legen: Der mögliche Verkauf von Grundstücken (aus Gründen der Armut) und damit die Erhaltung des Erbteils sei ihnen im Gegensatz zu Geschlechtsverkehr unwichtig. Somit wird in MS London 22413 ausgeführt, was im Bibeltext mit der Gegenüberstellung ‫אם דל ואם עשיר‬ “[egal] ob dürftig oder reich” gemeint sei. Rut dagegen habe sich der Grundstücke angenommen und Interesse an Boaz gezeigt,790 obwohl dieser nicht mehr jung sei. Weiter wird in MS London 22413 auf die Formulierung des Bibeltextes ‫מן הראשון‬ “von Anfang an” eingegangen und auf den Übertritt Ruts im Rahmen ihrer ersten Ehe mit Machlon, dem Sohn Elimelekhs, bezogen. Die Erklärung zu Rut 3,11 ‫ועתה‬ “aber jetzt” schließt sich inhaltlich direkt an die Auslegung zu Rut 3,10 an, wobei ‫“ מן הראשון‬von Anfang an” gegenübergestellt wird zu ‫“ ועתה‬Aber jetzt”.

788 MS Berlin 1221 zu Rut 3,10: ‫עד אשר לא באת אצלי הייתי יכול לתלות הדבר שלכך נתגיירה‬ ‫שהיום שלכך נתגיירה שהיום או למחר תתני עיניך כאחד מן הבחורים ותינשאי לך' שרוצה אשה בבחור‬ ‫[" דל יותר מזקן עשיר אבל עכשיו נתברר הדבר שלא באת להתגייר אלא לשם שמים‬Denn] wenn du nicht zu mir gekommen wärest, hätte ich diese Sache [davon] abhängig machen können, dass du [deshalb] (zum Judentum) übergetreten bist, weil du heute oder morgen deine Augen auf einen der jungen Männer wirfst und dich [mit ihm] vermählen wirst. [Denn es ist doch so,] dass eine Frau [eher ihre Augen wirft] auf einen Jüngling, [der] dürftigerer ist als ein reicher Alter. Aber jetzt klärt sich diese Sache auf, dass du nicht [dafür] gekommen bist, (zum Judentum) überzutreten, sondern aus dem unselbstsüchtigen Beweggrund heraus." 789 Aus MS Berlin 1221 zu Rut 3,9: …‫…" …לא לשם זנות‬nicht zwecks Prostitution…". Dort wird die Intention Ruts mit Verwendung eines Zitats aus Rut 4,5 wiedergegeben: "Und das, was hier [noch] unklar ist, wird am Ende des Buches erklärt: An dem Tag, an dem du den Acker aus der Hand der Noomi erwirbst, erwirbst du auch die Moabiterin Rut, die Frau des Verstorbenen, um den Namen des Verstorbenen auf seinem Erbteil zu erheben" (Rut 4,5). 790 Aus MS London 22413 zu Rut 3,10: …‫…" …ואת חסת על שדות קרוביי ונתת בי עינייך‬Aber du hast dich über die Felder meines nahen [Verwandten] erbarmt und hast deine Augen auf mich geworfen…"

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MS Zürich Or 157 kommentiert nur kurz und konstatiert ‫מן הראשון שעשית‬ ‫[“ את חמותך‬Noch mehr] als anfangs – [bezieht sich auf das,] was du an deiner Schwiegermutter [Gutes] getan hast.” Somit wird der Zeitbezug in MS Zürich Or 157 anders gefasst als in MS London 22413, wo auf die vergangene Zeit der Ehe mit Machlon Bezug genommen wurde. Der Zeitbezug ‫“ מן הראשון‬von Anfang an” wird dabei nicht in MS Berlin 1221, sondern lediglich in MS London 22413 und MS Zürich Or 157 thematisiert: In MS London 22413 wird dies auf die Zeit der Ehe mit Elimelekhs und Noomis Sohn (Machlon) bezogen, in MS Zürich Or 157 insgesamt auf Ruts Verhalten gegenüber ihrer Schwiegermutter (Noomi).

Zu Rut 3,11: “Aber jetzt, meine Tochter, fürchte dich nicht. Alles, was du mir sagen wirst, will ich für dich tun. Denn es weiß jeder [im] Tor meines Volkes, dass du eine großartige Frau bist.” MS Berlin 1221 geht auf das Thema einer möglichen Schande ein, die das Ergebnis einer Heirat mit einem inadäquaten Ehepartner, in diesem Fall der Frau, sein könnte. Aus MS Berlin 1221 zu Rut 3,11: ‫…‬ פתר’ יש אדם שנושא’ אשה ממשפחה בזוייה ובוש ממנה ומתגנה בה מפני משפחתה אבל אני אם אשא‬‪ …‫אותך איני מתגנה בך אלא מתכבד בך’ ומתעטר בך‬ … [Dessen] Erklärung [ist]: Es [mag vorkommen], dass ein Mann eine Frau aus einer gering geschätzten Familie heiratet und sich ihrer schämt und er sich durch sie Schande bereitet wegen ihrer Familie. Aber [nicht so] ich: Wenn ich dich heiraten werde, werde ich mir durch dich keine Schande bereiten, sondern durch dich beehrt werden und mich mit dir krönen…

Dabei wird mit verschiedenen Begriffen hantiert, was in der Übersetzung als “gering schätzen,” “verachten”, “schämen,” sowie “Schande bereiten” wiedergegeben wird. Diese Begriffe stehen in einem inhaltlichen Verhältnis zueinander. Auch eine lautliche Ähnlichkeit ist für √‫ בוז‬und √‫ בוש‬festzuhalten: Die Wortwurzel aus Rut 3,1 √‫“ בוז‬verachten”, hier übersetzt als “gering schätzen” wird im Kommentar wieder aufgenommen und hier auf die Herkunftsfamilie der Frau bezogen. In Rut 3,1 hingegen wurde die Wortwurzel √‫ בוז‬für das “verachtende” Verhalten des Ehemanns gegenüber seiner Frau verwendet. √‫ בוש‬wird als Ausdruck des Schämens gebraucht, √‫ גנה‬als Begriff für “Schande bereiten”791. So wird auch weiter 791 Vgl. Rut 3,2, √‫ גנה‬mit lautlicher Nähe zu √‫( גנא‬s. o.), wo dies als "schandhaftes Verhalten" wiedergegeben wird.

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argumentiert, Boaz würde sich eben keine Schande bereiten (‫…“ איני מתגנה בך‬ ich werde mir durch dich keine Schande bereiten”). Beide Begriffe beziehen sich also auf eine Schande durch (Familien-)Angehörige, zu denen durch Heirat eine Beziehung besteht. Aufgelöst wird die Argumentation zu Scham und Schande mit dem inhaltlichen Gegenteil, nämlich der “Krönung” Boaz’ durch Rut als Ehefrau: ‫…“ …אלא מתכבד בך’ ומתעטר בך‬sondern durch dich [werde ich] beehrt werden und mich mit dir krönen.” Es folgt ein Zitat aus Prov. 12,4, das den Wortlaut “der Krönung des Mannes durch seine Frau” enthält. MS London 22413 stellt zunächst fest, dass Boaz Rut nicht unbedingt heiraten wolle,792 jedoch wolle Boaz alles für Rut tun – und demnach auch Rut heiraten. Dies wird Boaz – wie in Rut 3,1 mit den Worten Noomis formuliert – in den Mund gelegt: “damit es dir gut geht”. Weiter wird in MS London 22413 – ähnlich wie in MS Berlin 1221 – mit √‫ בוש‬und √‫ גנא‬argumentiert. Beide Begriffe werden auf eine mögliche Heirat bezogen. Hier ist jedoch – anders als in MS Berlin 1221 – der Status Ruts als Konvertitin der Grund für Boaz’ mögliches Schämen. Doch trifft dieser Grund nicht auf Boaz zu, da er sich nicht schäme “dass [Rut] eine Übergetretene” sei.793 Weiter führt MS London 22413 aus, dass mit ‫[“ שער עמי‬jeder im] Tor meines Volkes [weiß]” von denjenigen die Rede ist, die “durch das Tor hindurch” kommen. Es sind also nicht nur diejenigen gemeint, die sich bereits im Tor befinden, sondern alle, die das Tor passieren. Inhalt des Wissens der Passanten des Tores ist, ‫“ כי אשת חיל את‬dass du eine großartige Frau bist,” wie es der Bibelvers äußert. Die Charakterisierung als ‫“ אשת חיל‬großartige Frau,”794 wird nun weiter auf die Intention für eine Eheschließung bezogen.795 Eine Heirat mit einer Konvertitin, nur aus Gründen der Schönheit, wird – ähnlich wie in MS Berlin 1221 – als eine mögliche Schande betrachtet. Dagegen ist die “Großartigkeit” kein Grund für

792 Aus MS London 22413 zu Rut 3,11: …‫ שאין בלבי לישאך‬/'‫" אל תיראי לומ‬Fürchte dich nicht – [will] sagen, dass es [zwar] nicht in meinem Herzen ist, dich zu heiraten…" 793 Aus MS London 22413 zu Rut 3,11: ‫…" …כי איני בוש שאת גיורת‬denn ich schäme mich nicht [dafür], dass du eine Übergetretene bist." 794 Zur Übersetzung von ‫ חיל‬mit "großartig" vgl. Ausführungen bezüglich MS London 22413 zu Rut 2,1. 795 Aus MS London 22413 zu Rut 3,11: ‫ מיוחס נושא אשה גיורת לנוי זהו גנאי אבל‬/'‫שאם ממק‬‪…‬ ‫ לפיכך אשיאך‬/'‫…" אם נושא אשת חיל אינו מתגנה למ‬‪Denn wenn die Angelegenheit [der Heirat mit] der übergetretenen Frau [nur] mit Schönheit verbunden ist, ist dies eine Schande. Aber wenn es eine Angelegenheit [der Heirat mit] einer großartigen Frau ist, bereitet [es] keine Schande. [Will] sagen, daher [dass du eine starke Frau bist,] will ich dich heiraten.‬"

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eine mögliche Schande. Diese Argumentation lässt sich mit einem möglichen Gegensatz zwischen “Äußerlichkeit” (in diesem Fall Schönheit) und “guten Charaktereigenschaften” (hier “Großartigkeit” im Sinn von “wacker”) erklären, wobei die “inneren Werte” den “äußeren” vorzuziehen sind. Im hebräischen Text wird bei der Argumentation das Wort ‫ נושא‬verwendet, was in der Übersetzung mit “Angelegenheit” wiedergegeben wird. Durch die Nähe zur Wurzel dieses Wortes √‫נשא‬, die auch für “heiraten” verwendet wird und im inhaltlichen Zusammenhang der Ausführung im Kommentar mitschwingt, wird dieses Wort insgesamt mit “Angelegenheit [der Heirat mit]” übersetzt. Im Kommentar wird nun dargestellt, das die Verbindung von übergetretener Frau (‫ )גיורת‬mit Schönheit (‫)נוי‬ als Schande gelte. Die “Angelegenheit [der Heirat mit] einer großartigen Frau” sei jedoch nicht negativ behaftet und “bereitet keine Schande” (‫)אינו מתגנה‬. Somit stellt der Kommentar hier fest, dass die Heirat mit Rut auf keinen Fall anrüchig sei. Ihr Status als Konvertitin wird damit nicht negativ dargestellt, da Rut darüber hinaus eine “großartige Frau” sei. Weiter wird im Kommentar deutlich, dass Boaz Rut heiraten will, da dadurch sein eigener Ruf nicht beschädigt wird. Es lässt sich daher ableiten, dass Boaz Rut nicht (unbedingt) hätte heiraten wollen, wäre sein Ruf dadurch beschädigt worden. Dieses Augenmerk Boaz’ auf sein “Ansehen” wird auch im Bibeltext deutlich, wo er in Rut 3,14 Vorkehrungen schafft, damit “niemand weiß, dass eine Frau auf die Tenne gekommen ist.” Im Kommentar wird zusammenfassend weiter deutlich, dass nicht Schönheit oder Alter796 die Intention von Rut und Boaz für eine Heirat seien, sondern die Vorschrift der Lösung (Rut 3,12) sowie das Ansehen der neuen Ehefrau Ruts (Rut 3,11 mit Kommentar), das sich in diesem Fall “ehrenvoll”797 gestaltet. MS Zürich Or 157 enthält keine direkte Kommentierung zu Rut 3,11.

Zu Rut 3,12: “Und jetzt, denn gewiss, auch wenn ich ein Löser bin, gibt es (doch noch) einen Löser, der (dir) näher (steht) als ich.” MS Berlin 1221 enthält keinen expliziten Kommentar zu Rut 3,12. MS London 22413 ist an dieser Stelle kurz gehalten und bezieht die Einleitung zur (ausweichenden) Aussage Boaz’ auf die zuvor dargestellte Konstellation zwischen Boaz und Rut, wonach er ein Löser sei. Mit der Formulierung in MS London 22413 ‫ כדברייך‬/’‫“ אמנם כי גואל אני כמ‬Auch wenn ich ein Löser bin – wie deine

796 Vgl. MS Zürich Or 157 zu Rut 3,10. 797 Vgl. MS Berlin 1221 zu Rut 3,11.

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Worte [es darstellen]” wird deutlich, dass es nicht Boaz’ Intention ist, ihn als Löser darzustellen, sondern Ruts Aussage. Somit könnte das Lemma auch mit “Auch wenn ich ein Löser wäre” wiedergegeben werden, da damit der Konjunktiv hervorgehoben wird. Mit ‫“ כדברייך‬wie deine Worte [es darstellen]” wird demnach deutlich, dass es Ruts Anregung war, mit dem Begriff der “Lösung” zu argumentieren, wie dies Boaz später in Rut 4,4 tut. MS Zürich Or 157 nimmt Bezug auf den Wortlaut des Verses, wobei zunächst auf den Partikel ‫“ אם‬wenn” eingegangen wird. Hier wird mit der masoretischen Angabe des Ḳere und Ketiv argumentiert, dass dieses ‫ אם‬nicht (vor)gelesen werde.798 ‫ אם‬ist dabei ein Partikel, das einen Konjunktiv einleitet. So wird in MS Zürich Or 157 angenommen, dass Boaz kritisch hinterfragt, ob er wirklich der einzige mögliche Löser sei: ‫“ ודאי יש גואל קרוב ממני‬sicherlich gibt es (doch noch) einen Löser, der (dir) näher (steht) als ich”. Somit wird klar, dass Boaz sich der gesetzlichen Situation bewusst ist, nach der er einem eventuell näher stehenden Löser den Vortritt lassen muss. Die folgende Auslegung verwendet Rut 4,3 sowie Gen. 14,14 zur Texterklärung und folgt damit dem Midrash (RutR 6,6), der dieselben Bibelstellen zur Texterklärung heranzieht.799 Rashi argumentiert ähnlich zur Stelle, und auch Midrash Lekaḥ Tov enthält vergleichbare Ausführungen.800 Dieses Beispiel bezieht sich im Kontext der Verhandlung am Tor auf die Bezeichnung “Bruder” für einen Neffen bzw. Onkel: Boaz bezieht sich in Rut 4,3 auf einen “Bruder” (wörtlich: ‫ לאחינו‬leAchinu “[das Feld] unseres Bruders”). Wie wir mit Blick auf den Stamm798 Vgl. Randangabe in MT BHQ zu ‫ אם‬in Rut 3,12:  ‘‫  ו' אם כת' ולא ק‬übersetzbar als "‫אם‬ 'wenn' wird geschrieben, aber nicht gelesen." 799 Als Grundlage der Auslegung kann RutR 6,6 genannt werden, wo auf Rut 4,3 Bezug genommen wird. RutR 6,6 (Ed. Lerner): … .‫ סלמון אלימלך בעז אחים‬,‫ סאב‬,‫ר' יהושע בן לוי‬ ‫ אין אדם נמנע מלקרות לדודו‬,‫ ג)? אמר להם‬:‫ והא כתיב אשר לאחינו לאלימלך (רות ד‬,‫התיבון ליה‬ ‫אחיו‬. Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 12.12.2012). 800 Rashi zu Rut 3,12: ‫– אם כתיב ולא קרי כלומר משמע ספק ודאי יש גואל קרוב‬ ‫(יב) ועתה כי אמנם‬ ‫ אמר רבי יהושע בן לוי שלמון ואלימלך וטוב אחים היו ומהו‬,)‫ (ס"א אם משמע ספק והוא ודאי‬,‫ממנו‬ ‫אשר לאחינו לאלימלך לעולם קורא אדם את דודו אחיו כענין שנאמר (בראשית יד) וישמע אברם כי‬ ‫נשבה אחיו והלא אברהם דודו היה כך היה בועז לאלימלך בן אחיו קרובו של מחלון אבל טוב היה קרוב‬ ‫– שהוא אח ואני בן אח‬ ‫ קרוב ממני‬:‫יותר‬: Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 11.12.2012). Pesikta Zutara (Lekaḥ Tov) zu Rut 3,12 (‫(פסיקתא זוטרתא (לקח טוב) רות‬ ‫ כי גואל ודאי יש גואל‬,‫ כלומר אם משמע ספק מי גואל‬,‫ אם כתיב ולא קרי‬.‫פרק ג) (יב) ועתה כי אמנם‬ ‫ לעולם‬,‫ ומהו אשר לאחינו לאלימלך‬,‫ אמר רבי יהושע בן לוי שלמון ואלימלך וטוב אחים היו‬.‫קרוב ממני‬ ‫ והלא אברם דודו‬,‫ יד) וישמע אברם כי נשבה אחיו‬,‫ כענין שנאמר (בראשית יד‬,‫אדם קורא לדודו אחיו‬ ‫ אבל טוב היה קרוב יותר שהיה אחי‬,‫ כך היה בועז בן אחיו של אלימלך קרובו של מחלון‬,‫של לוט היה‬ ‫אביו‬. Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 11.12.2012).

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14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

baum in der Einleitung sehen (der sich auf bBB 91a bezieht), ist Elimelekh streng genommen nicht Boaz’ Bruder, sondern dessen Onkel. Zur Erklärung aufgrund innerbiblischer Auslegung wird Gen. 14,14 zitiert, wo Abrahams Neffe Lot als dessen “Bruder” bezeichnet wird. Dasselbe verwandtschaftliche Verhältnis besteht zwischen Boaz und Elimelekh, sowie indirekt auch zwischen Boaz und dem Löser Peloni Almoni. So nennt auch Boaz Elimelekh, der sein Onkel und der Verwandte von Peloni Almoni ist, “unseren Bruder” (siehe Rut 4,3). Die Bezeichnung “Bruder” kann also als Platzhalter für verwandtschaftliche Beziehung dritten Grades verstanden werden, womit festgehalten werden kann, dass der Begriff “Bruder” im Kontext dieser Kommentierung in einem weiteren Sinn als nur des engen Bruderverhältnisses verwendet werden kann.

Zu Rut 3,13: “Ruhe diese Nacht und es wird am [nächsten] Morgen sein. Wenn er dich lösen wird, gut, [so] soll er lösen. … So wahr der Ewige lebt.” MS Berlin 1221 hebt hervor, dass sich Boaz mit seiner Aussage auf einen eventuell näher stehenden Verwandten bezieht, der Rut lösen könnte, was dann auch “gut” sei. Dies wird nochmals mit einem Teil aus Rut 3,13 unterstrichen. MS London 22413 nimmt hingegen nochmals wörtlich auf das Feld Bezug, welches mit Rut zusammen ebenfalls gelöst würde. Außerdem ist davon die Rede, dass Boaz dazu seine Erlaubnis geben werde, obwohl das rechtmäßig wohl nicht vonnöten ist.801 In MS London 22413 ist also schon angelegt, dass sich der Sachverhalt der Lösung sowohl auf Rut als auch auf das Feldstück bezieht. Damit wird im Kommentar indirekt auf Rut 4 Bezug genommen, wo Boaz die Lösung des Feldes mit der Heirat Ruts verbindet. MS Zürich Or 157 geht nicht auf den bei MS Berlin 1221 und MS London 22413 interpretierten zweiten Teilvers ‫…“ אם יגאלך‬gut, [so] soll er lösen” ein, sondern auf den ersten Teil des Verses sowie das in der Mitte von Rut 3,13b stehende ’‫“ חי יי‬so wahr der Ewige lebt.”802 Die Erklärung deutet darauf hin, weshalb die 801 Eventuell kann diesbezüglich. davon ausgegangen werden, dass Boaz in der Position des Verhandelnden über das Feld seine Erlaubnis erteilen muss. 802 Aus MS Zürich Or 157 zu Rut 3,13: /‫ חי יי' אמ‬.‫ליני֯ הלילה' הלילה הזה את' לנה בלא איש‬ ‫" לו בדברים אתה מוציאי קפץ ונשבע לה שאינו מוציאה בדברים‬Ruhe diese Nacht – [nur noch] diese Nacht ruhst du bei keinem [Ehe-]Mann." Dies impliziert den weiteren Fortlauf im Sinn von "…[aber in einer folgenden Nacht wirst Du dann doch einen Mann haben…", vgl. RutR 6,7 (4)]. So wahr der Ewige lebt – [deutet auf folgenden Dialog hin:] (Sie) sagte ihm: 'Mit Worten lässt Du mich [einfach wieder] wegziehen.'

14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

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Schwurformel im Bibeltext verwendet wird und erläutert, dass Rut Boaz den Schwur abnahm, sie auszulösen. Es wird impliziert, dass Rut Boaz so verstanden haben könnte, sie einfach abwimmeln zu wollen. ’‫“ חי יי‬so wahr der Ewige lebt” wird damit als Boaz’ Äußerung im Zusammenhang mit einem Schwur gedeutet. Dieser Schwur wird mit einem Dialog ausgeführt, wobei Bezug auf den (“bösen”) Trieb genommen wird, der Boaz verführen wollte.

Zu Rut 3,14: Und sie legte sich zu seinen Füßen, bis zum Morgen. Und sie stand auf, bevor ein Mensch seinen Nächsten erkannte. Und er sprach: “Es soll [bloß] nicht bekannt werden, dass diese Frau auf diese Tenne gekommen ist.” MS Berlin 1221 gibt Rut 3,14 zunächst als ganzen Satz wieder. Daraufhin werden Rut 3,14aβ sowie fast der ganze letzte Teil des Verses nochmals zitiert, wobei dazwischen eine kurze, glossenartige Erklärung zwischen die Wiedergabe der beiden Lemmata gestellt wird. MS Berlin 1221 zu Rut 3,14: ‫ותשכב מרגלותיו עד הבוקר‘ ותקם בטרם יכיר איש את רעהו ויאמר אל יוודע כי באה האשה הגורן‬ ‫פתר’ לפיכך שלחה בטרם יכיר איש את רעהו כי אמר אל יוודע כי באה האשה‬ Und sie legte sich zu seinen Füßen, bis zum Morgen. Und sie stand auf, bevor ein Mensch seinen Nächsten erkannte. Und er sprach: Es soll [bloß] nicht bekannt werden, dass diese Frau auf die Tenne gekommen ist. – [Dessen] Erklärung [ist]: daher schickte er sie [weg], bevor ein Mensch seinen Nächsten erkennen konnte, denn er sagte: Es soll [bloß] nicht bekannt werden, dass diese Frau gekommen ist.

Die Wendungen ‫[“ פתר’ לפיכך שלחה‬Dessen] Erklärung [ist]: daher schickte er sie [weg]” sowie ‫“ כי אמר‬denn er sagte” sind jeweils einleitende Worte, die einen Satzteil kausal erklärend einleiten. Durch die Hinzufügung von ‫“ לפיכך‬daher” und ‫כי‬ “denn” wird deutlich, dass die anschließend zitierten Versteile den Sinn des Textes selbst auslegen. Etwas anders kommentiert MS London 22413 zu Rut 3,14, wo auf einen im Bibeltext im ersten Moment widersprüchlichen Sachverhalt hingewiesen wird. Rut 3,14 zufolge wollte Boaz, dass niemand etwas von der nächtlichen Begegnung Ruts und Boaz erfahren solle. Doch wie kann es dann sein, dass der Bibeltextes davon berichtet? Der Kommentar in MS London 22413 interpretiert diesen Hinweis auf Boaz’ Wunsch auf Geheimhaltung als Erinnerung und verwendet Beispielstellen aus Exodus 17 (Ex. 17,14 und Ex. 17,16) zur Texterklärung. [Daraufhin] sprang er auf und schwor ihr, dass er sie nicht [einfach und allein] mit Worten wegziehen ließe.

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14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

Dabei beziehen sich die angeführten Stellen jeweils auf geschriebenen Text, der erzählt, was nicht vergessen werden soll. In der Erklärung wird dies weiter als “Wunsch in Boaz’ Herzen” dargestellt, so dass die Existenz des biblischen Textes wieder ohne Probleme verständlich wird. Somit wird die Aussage des Bibeltextes deutlicher, nach der nun jeder wissen kann, dass Boaz nicht wollte, dass irgendjemand von der Begegnung auf der Tenne erfährt.803 Interessanterweise wird in MS Berlin 1221 sowie in MS London 22413 ‫אל יוודע‬ “Es soll niemand wissen” anders als im MT BHQ plene mit zwei Waw geschrieben. Im Vergleich zu MS Berlin 1221 ist die Erklärung in MS London 22413 außer der Plene-­Schreibweise von ‫ אל יוודע‬nicht parallel. Bei der Ausführung zum Vers wird ‫ אל יוודע‬in MS London 22413 dreimal aufgeführt: Zunächst wird thematisiert, wer der Adressat von Boaz’ Aussage ‫“ אל יוודע‬Es soll niemand wissen” ist. Dies wird aus zwei Sichtweisen dargestellt, wobei Ex. 17,14 und 17,16 zur Untermauerung der Aussage hinzugezogen werden. Zunächst geht die Erklärung auf die Interpretation ein, die aus dem Midrash bekannt ist (und die auch in MS Zürich Or 157 geäußert wird): Demnach habe Boaz mit seiner Aussage seinen Knecht (‫)עבדיו‬ angesprochen. Diese Interpretation wird jedoch im Fortlauf des Kommentars als ’‫“ וטעו‬und falsch[e Interpretation]” dargestellt.804 Durch diese Erklärung ändert sich der Sinn des ursprünglichen Inhalts völlig: Boaz spricht demnach nicht mehr zu seinem Knecht, sondern will vielmehr die Angelegenheit vor seinem Knecht geheim halten. So spricht Boaz – laut Kommentar – “in seinem Herzen,” ‫בלבו‬ worauf im Kommentar zweimal hingewiesen wird. Sowohl in MS Berlin 1221 als auch in MS London 22413 wird konstatiert, dass Boaz Rut weggeschickt habe: MS Berlin 1221 ‫“ לפיכך שלחה‬daher schickte er sie”, MS London 22413 ‫שילח אותה‬ “er schickte sie”. Dies ist schon im Bibeltext angelegt, wobei dort nur dargestellt wird, dass Boaz vor dem Morgengrauen aufsteht (Rut 3,15: …‫… …ותקם בטרם‬und er stand auf bevor…). Des Weiteren wird nun Ex. 17,14 mit Kontext aufgeführt, das die Wortwurzel √‫“ זכר‬erinnern” enthält. Durch die Zusammenstellung im

803 Dieser Sachverhalt erinnert an die Aufforderung in Dt. 25,19, wonach das Andenken [Amaleks] ausgelöscht werden soll. Durch die schriftliche Aufforderung in der Bibel wird dies aber undurchführbar: Das Andenken wird durch den Bibeltext vielmehr weitergetragen und durch die Aufforderung nicht unterbunden, sondern erhalten. Ähnlich wird berichtet, dass Boaz nicht will, dass jemand etwas von der Begegnung auf der Tenne erfährt. Durch den Bericht über Boaz' Wunsch der Verheimlichung wird die Zusammenkunft Ruts und Boaz jedoch allseits bekannt. 804 Aus MS London 22413 zu Rut 3,14: …'‫…יש פותרין כך וטעו' הוא שהרי לא ידעו כה נעריו‬ "Es gibt welche, die legen [es] so aus, aber es ist [eine] falsch[e Interpretation], denn vielmehr sollte sein junger [Knecht] nichts davon wissen."

14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

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Kommentar wird dabei deutlich, dass sich dies auf Boaz’ Wunsch ‫“ אל יוודע‬Es soll niemand wissen” bezieht. Statt des angestrebten “Nicht-­Wissens” wird aber vielmehr die Erinnerung an das Ereignis festgehalten. Ex. 17,14 wird zweimal zitiert, zunächst teilweise aus der ersten Vershälfte und nach der Wiedergabe von Ex. 17,16 noch einmal. Die Abfolge der aus Ex. 17,14 wiedergegebenen Worte variiert dabei. Zunächst wird ‫“ כתוב זאת זכרון בספר‬Schreibe dies zur Erinnerung in ein Buch” wiedergegeben, beim zweiten Mal heißt es ‫“ כתוב זאת זכרון‬Schreibe dies zur Erinnerung [in ein Buch].” In beiden Fällen ist ‫ זאת זכרון‬Teil des zitierten Verses. Damit ist die Niederschrift eines Sachverhalts zum Ziel der Erinnerung gemeint.805 MS Zürich Or 157 gibt eine Erklärung wieder, die sehr nah am Midrash Rut Rabba angelehnt ist und vergleichbar ist zu RutR 7,1.806 Inhaltlich wird in den genannten Midrash-­Stellen einerseits die Plene-­Schreibweise des Bibeltextes mit einer Erklärung aufgrund von Gematria dargestellt, wonach Rut sechs Stunden zu Boaz’ Füßen gelegen habe.807 Außerdem fragt der Midrash, wer der Adressat von Boaz’ Aussage war und beantwortet dies mit der Auslegung,808 Boaz habe zu seinem Hausverwalter gesprochen. Diese Interpretation enthält also den Sachverhalt, auf den sich MS London 22413 bezieht: MS Zürich Or 157 mit Verwendung von RutR 7,1 spricht vom ‫“ בן בתו‬Verwalter des Hauses”, worauf MS London 22413 mit ’‫ …ויאמר אל עבדיו אל יוודע’ יש פותרין כך וטעו‬Bezug nimmt: “Und er sprach – zu seinem Knecht: Es soll niemand wissen. Es gibt welche, die legen [es] so aus, aber

805 Außerdem werden die aus Exodus zitierten Bibelstellen auf die Zeit Shauls, des ersten Königs von Israel bezogen. Damit klingt die Entstehung des Königtums in Israel an, worauf indirekt auch im Buch Rut Bezug genommen wird. 806 RutR 7,1 (Ed. Lerner): .‫ יד) מלמד ששוכבת מרגלותיו‬:‫[א] ותשכב מרגלותיו עד הבקר (רות ג‬ ‫ מלמד שעשת ו' שעות כמנין ו' שוכבת‬.'‫ בטרום כתי‬,‫ותקם בטרם [יכיר אש את רעהו] א"ר ברכיא‬ ‫ לבן ביתו‬,‫ ויאמר אל יודע כי באה האשה למי אמר? ר' מאיר אמר‬.‫ ולא נגע בה‬,‫מרגלותיו‬. Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 14.12.2012). Ähnliches findet sich auch in Pesikta Zutara (Lekaḥ Tov) zu Rut 3,14: :‫(פסיקתא זוטרתא (לקח טוב) רות פרק ג) סימן יד‬ ‫ מלמד‬,‫ אמר רבי ברכיה בטרום כתיב ובטרם קרי‬.‫(יד) ותשכב מרגלותיו עד הבוקר ותקם בטרם יכיר‬ ‫ אמר רבי מאיר לבן‬,‫ למי אמר כן‬.‫ ויאמר אל יודע כי באה האשה‬:‫ששהת ו' שעות שוכבת מרגלותיו‬ ,‫ אמר רב הונא ור' ירמיה בשם ר' שמואל ב"ר יצחק כל אותו הלילה היה בועז שוהה על פניו‬,‫ביתו‬ ‫ יהי רצון מלפניך שלא יודע שלא יתחלל בי שם‬,‫אמר רבונו של עולם גלוי וידוע לפניך שלא נגעתי בה‬ ‫שמים‬. Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 14.12.2012). 807 Grundlage hierfür ist die Schreibweise von ‫" בטרום‬noch bevor" im hebräischen Bibeltext, das andernorts ‫בטרם‬, also ohne ‫ ו‬Waw und nur hier in Rut 3,14 mit Waw geschrieben wird. Der hebräische Buchstabe Waw hat den Zahlenwert sechs. 808 Diese Auslegung wird R. Meir zugeschrieben, der in die "Dritte Generation der Tannaiten (um 130–160 n.Chr.)" einzuordnen ist, "Schüler erst Jischmaels, dann Aqivas. […]" Siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 91.

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14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

es ist [eine] falsch[e Interpretation]…” Doch auch MS Zürich Or 157 liefert eine alternative Interpretation, welche mit ’‫ ד’א‬809 eingeleitet und interpretiert wird, dass Boaz Rut zur Eile angetrieben habe. Hierbei wird auf die Ehre Boaz’ verwiesen, die beschädigt werden könnte, wenn bekannt würde, dass “diese Frau”, also Rut auf seine Tenne gekommen sei. Aus MS Zürich Or 157 zu Rut 3,14: ‫ בליבו אין כבודי האשה הגורן‬/‫… אמ‬ … [denn] er sagte in seinem Herzen: Es [wäre] mir keine Ehre, [wenn jemand weiß,] dass diese Frau [auf] die Tenne gekommen ist.

Hier wird also argumentiert, dass Boaz “in seinem Herzen” gesprochen habe. Da dies auch von MS London 22413 aufgenommen wurde, kann angenommen werden, dass MS Zürich Or 157 vor den Erklärungen in MSS Berlin 1221 und London 22413 entstand. MS Zürich Or 157 zitiert hier Rut Rabba und vor allem aus Midrash Lekaḥ Tov, für dessen Datierung das Jahr 1110 veranschlagt wird.810 Der Midrash Lekaḥ Tov könnte zur Zeit Karas als die aktuellste Zusammenstellung der Auslegungsliteratur gegolten haben.811 MS London 22413 und MS Berlin 1221 können als Darstellungen von Auslegungsalternativen zu MS Zürich Or 157 gesehen werden, die wohl eher auf Kara als “Autor” zurückgehen, als dies für die Midrashim an sich durch nachweisliche Verwendung z. B. der Anthologie Midrash Lekaḥ Tov in erster Instanz gelten kann. Somit enthält MS Zürich Or 157 die Zusammenfassung der Midrashliteratur als Basis für die Auslegung, während MSS London 22413 und Berlin 1221 nur indirekt auf diese Bezug nehmen. MSS Berlin 1221 und London 22413 stellen im Vergleich zu MS Zürich Or 157 eine – wenn auch nicht als ganz unabhängig zu kategorisierende – alternative Auslegung dar, in der Kara als „Verfasser“ eher zu Wort kommt. Dabei ist durchaus möglich, dass Kara im Fall des Kommentars in MS Zürich Or 157 als Kompilator fungierte, der die Zusammenstellung der Midrashim mit seinen eigenen Glossen versah oder aber die bereits von Vorgängern oder Zeitgenossen wie Rashi zusammengestellte Auswahl kommentierte. Somit kann Kara der betrachtete Kommentar in MS Zürich Or 157 ebenfalls zugeschrieben werden.

809 Abkürzung für ‫" דבר אחר‬eine andere Erklärung." 810 Siehe Herr: "Midrash", S. 184. 811 Zu Midrash Lekaḥ Tov vgl. Kapitel "Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar" ab S. 390.

14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

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Zu Rut 3,15: Und er sprach: “Gib das Umschlagtuch, das du anhast. Und halte es [auf]!” Und sie hielt es [auf]. Und er maß sechs [Maß] der Gerste ab und legte [es] auf sie. Sowohl MS Berlin 1221 als auch MS London 22413 nennen zur Erklärung von ‫“ הבי‬Gib!” aufgrund der Wortwurzel √‫ הבה‬dieselbe Stelle aus Ex. 1,10, was dort als Imperativ mit “Wohlan!” übersetzt werden kann. Dabei ist der Wortlaut der Kommentare nicht vollständig parallel; sowohl die Länge des Lemmas als auch der Beginn der Erklärung zu Rut 3,15 ist unterschiedlich. MS Berlin 1221 zu Rut 3,15: ‫ויאמר הבי המטפחת אשר עליך כמו הבה נתחכמה לו וימד שש השעורים וישת עליה‘ שש מידות‬ Und er sprach: ‫( הבי‬Gib) das Umschlagtuch, das du anhast. – Wie ‫הבה‬, lass uns klug gegen ihn vorgehen (Ex. 1,10). Und er maß sechs [Maß] der Gerste ab und legte [sie] auf sie – Sechs [Hohl-]Maßeinheiten.”

MS London 22413 zu Rut 3,15: ’‫הבי הזמיני כמ’ הבה נתחכמה לו שש השעורים‘ שש המידות‬ (Gib) – bereite vor. Wie: ‫( הבה‬Komm), lass uns klug gegen ihn vorgehen (Ex. 1,10). Sechs [Maß] der Gerste – sechs von den [Hohl-]Maßeinheiten.

In der Texterklärung wird v. a. ‫ הבי‬ausgeführt. Es steht in 3. Sg. fem. √‫ הבה‬und kann “als Anrede an mehrere” mit “Wohlan!” aber auch mit “Gib her” übersetzt werden.812 So kommt es zu unterschiedlichen Übersetzungen des Lemmas mit “Gib” und bezüglich der innerbiblischen Parallele zu Ex. 1,10 mit “Wohlan”. Dabei wird in MS London 22413 ‫“ הזמיני‬bereite vor” eingefügt, was als Wiedergabe eines Synonyms verstanden werden kann und sowohl zum Verständnis des Lemmas als auch zur Texterklärung des zitierten Verses Ex. 1,10 passt. Die Erklärung zu “sechs [Maß] an Gerste” als “[Hohl-]Maßeinheiten” ist weitestgehend selbsterklärend. Dabei wird Bezug genommen auf Realia, insofern mit ‫המידות‬813 “die Maße” jene Maßeinheit gemeint ist, das in der Bibel auftritt.814 In Rut 3,15 steht ‫“ מידות‬Maße” nicht, somit handelt es sich um eine Hinzufügung des Kommentars. MS Zürich Or 157 kommentiert die Stelle etwas anders.

812 Siehe Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 172. 813 MS London 22413 fügt ‫ ה‬als Artikel hinzu. 814 Beispielsweise in Ex. 26,2.8; 36,9.15 etc. Insgesamt kommt ‫ מדה‬im Sinn von "Maß[einheit]" 57 Mal vor, vgl. Biblia Hebraica Stuttgartensia, BHS (1983) Accordance.

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14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

Aus MS Zürich Or 157 zu Rut 3,15: ‫הבי המטפחת‘ הבא כת‘ מלמד שהיה מדבר עמה בלשון זכר שלא ירגישו בא‘ ואחזי בה‘ ותאחז בה‘ מלמד‬ …‘‫שחגרה מתניה כזכר‘ קנית‘ קניתי כת‘ לפי שהוא עתיד לקנותה‬ [Nun sagt er mit femininer Form ‫‘ ]הבי‬Gib das Umschlagetuch!’ – (‫‘ )הבא‬Komm’ steht [aber in maskuliner Form] geschrieben, [um zu] lehr[en], dass er [vorher] mit ihr in der männlichen Ausdrucksform gesprochen hatte, damit man nicht merke, [dass überhaupt jemand auf die Tenne] gekommen war. ‘Und halte es [auf]!’ Und sie hielt es [auf]. – [Dies] lehrt, dass sie ihre Hüften wie ein Mann umgürtet hatte. [In Rut 4,5 steht statt] ‘Du erwarbst’ ‘Ich erwarb mir’ – das ist [dort so] geschrieben, weil es [auf seine] Zukunft [hindeutet, sie] zu erwerben…

Der Kommentar erklärt hier zunächst, dass hier eine maskuline Form verwendet wird, da Boaz nicht wollte, dass eine Frau ihn auf der Tenne besucht habe. Diese Form wird im Kommentar als ‫ הבא‬wiedergegeben und somit auf die Wurzel √‫בוא‬ bezogen und als “bring” verstanden.815 MT BHQ schreibt hier jedoch nicht ‫הבא‬, auf das sich der Kommentar bezieht und konstatiert, dass ‫ הבי‬geschrieben sei. Eventuell hatte hier der Schreiber einen anderen Bibeltext vorliegen als den, den BHQ aufgrund des Codex Petropolitanus wiedergibt. Der Kommentar fährt fort: ‫ כי לא אוכל לגאול’ אחת בשביל היחס ואחר שהיה לו אשה‬/‫… ולמה שנה לומ‬ …Und warum wiederholt [sich der andere mögliche Löser in Rut 4,6 zweimal] zu sagen “denn ich kann nicht lösen” (Rut 4,6)?! Ein[mal sagt er es] wegen der Verbindung und ein[mal], weil er (schon) eine Frau hatte.

Diese Formulierung verändert MS Copenhagen 35 zur Stelle, indem statt ‫שהיה לו‬ ‫ אישה‬formuliert wird ‫שלא היה לו אישה‬. Somit wird “weil er (schon) eine Frau hatte” zu “weil er keine Frau hatte.” Letzteres passt insofern besser in den Kontext der Gesamterzählung, als dass Boaz mit der Heirat Ruts keine weitere Frau heiratet und Polygamie die Folge wäre, sondern dass Rut später “einzige Frau” Boaz wird. Weiter führt der Kommentar aus ‫“ אחת בשביל היחס ואחר שהיה לו אשה‬Ein[mal sagt er es] wegen der Verbindung und ein[mal], weil er (schon) eine Frau hatte.” Dabei ist nicht sofort klar, auf was sich ‫ יחס‬bezieht. Es ist anzunehmen, dass dies auf die familiäre Verbindung anspielt, da Peloni Almoni näher verwandt ist, oder auf die bereits im bisherigen Verlauf der Erzählung entstandene Verbindung zwischen Boaz und Rut. Interessanterweise wird zur Texterklärung der in Rut 3,15b angegebenen “sechs [Maß] Gerste” zunächst die Maßeinheit ‫“ סאין‬Drittelscheffel” genannt. Bezogen auf die Anzahl sechs ließe sich eine Gesamtzahl von zwei ganzen Scheffeln errechnen, was je ein Scheffel für Rut und Noomi ergeben würde. Doch diese Angabe wird bezogen auf die Nachkommenschaft eines Sohnes, der mit sechs Segnungen 815 √‫בוא‬, Hifil Imperativ maskulin.

14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

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in Verbindung gebracht wird.816 Auch in Jes. 11,2 werden sechs Eigenschaften genannt, auf die sich der Kommentar als “Segnungen” bezieht und die zur Veranschaulichung der Texterklärung zitiert werden: ‫רוח חכמה ובינה עיצה וגבורה דעת‬ ‫יי‬ ‫ ויראת‬Geist [des Ewigen], Weisheit und Verstand, Ratschlag und Heldentum, Erkenntnis und Gottesfurcht. Auch wenn der genannte Sohn nicht genauer bezeichnet wird, ist doch zu schließen, dass dabei auf David (als zweiter König Israels und erster aus dem Hause Isais) beziehungsweise auf einen der Nachkommen Isais Bezug genommen wird. So wird auch im Kommentar zu Jes. 11,2, den Mikra’ot Gedolot ‘Haketer’ Kara zuschreibt, auf einen “gesalbten König […] aus dem Haus Isais” Bezug genommen.817

Zu Rut 3,16: Und sie kam zu ihrer Schwiegermutter [zurück] und [diese] sagte: “Wer bist du, meine Tochter?” Und sie sagte ihr alles, was der Mann an ihr getan hatte. In MS Berlin 1221 wird die Frage Noomis bei der Rückkehr Ruts thematisiert. Dabei steht vor allem die Formulierung des Bibeltextes in Rut 3,16 ‫ מי את בתי‬Wer bist du, meine Tochter? im Fokus der Auslegung. Dies wird erklärt mit ‫מה מצאת‬ ‫“ בתי‬Was hast du vorgefunden, meine Tochter”. Bemerkenswerterweise wird damit das Fragewort von ‫“ מי‬wer” zu ‫“ מה‬was” geändert und für die Texterklärung

816 Vergleichbar zur Stelle ist die Auslegungen von Rashi zu Rut 3,15: … ‫אמר בלבו אין‬ ‫– אי אפשר לומר שש סאין שאין דרכה של אשה‬ ‫(טו) שש שעורים‬:‫כבודי שיודע כי באה האשה הגורן‬ ‫לשאת כמשאוי זה אלא שש שעורים ממש ורמז לה שעתיד לצאת ממנה בן שמתברך בשש ברכות רוח‬ ‫(יח) כי אם כלה‬:'‫ חכמה ובינה עצה וגבורה רוח דעת ויראת ה‬-… Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 17.12.2012). Hierzu lässt auch nennen Yalkut Shimoni zu 1. Sam. 16 § 125 (‫ ילקוט שמעוני שמואל א רמז קכה יודע נגן‬:‫ … משיחה עדיפא‬:)‫ילקוט שמעוני שמואל א פרק טז‬ ‫ אילימא שש שעורים‬,‫ מאי דכתיב שש השעורים האלה נתן לי‬,‫ דרש בר קפרא‬,‫ א"ר תנחום‬,‫וגבור חיל‬ ?‫ וכי דרכו של בעז ליתן שש שעורים מתנה? אלא שש סאין וכי דרכה של רות ליטול שש סאין‬,‫ממש‬ ‫ …אלא רמז לה שעתידין‬Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 17.12.2012), sowie bSan 93a (‫ ולא מיחה‬,‫– חלק) … שאינן הגונות לכהונה‬ ‫תלמוד בבלי מסכת סנהדרין פרק יא‬ ‫ מאי שש‬.‫ מאי דכתיב יחשש השערים האלה נתן לי‬:‫ דרש בר קפרא בציפורי‬,‫ אמר רבי תנחום‬.‫בהן‬ ‫– וכי דרכו של בועז ליתן מתנה שש שעורים? תלמוד בבלי‬ ‫השערים? אילימא שש שעורים ממש‬ ‫ וכי דרכה של‬.‫ …מסכת סנהדרין דף צג עמוד ב אלא שש סאין‬Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 17.12.2012). 817 ‫ האומות המשולים לסבכי היער‬:‫– מכאן ואילך מדבר במלך המשיח; כלומר‬ ‫ב) ויצא חוטר מגזע ישי‬-‫א‬ ‫ ניכרתו; ועתיד חוטר‬,)‫לד‬-‫לג‬,‫ רמי הקומה ורעננים בפאורותיהן ודליותיהן (ראה יש' י‬,‫ולמבחר שבלבנון‬ ‫ ותנוח עליו‬,‫ ונצר משרשיו יפרה‬,‫ והוא ישא ענף ויעשה פרי והיה לארז אדיר‬,‫אחד לעמוד מבית ישי‬ '‫רוח ה' רוח חכמה ובינה רוח עיצה וגבורה רוח דעת ויראת ה‬. Quelle: Mgketer Application, 1994 zu Jes. 11,1–2.

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14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

Ri. 18,8 aufgeführt, wo der biblische Text …‫ מה אתם‬wörtlich übersetzt wird mit “…Was seid ihr?” Diese Stelle wird auch in MS London 22413 zu Rut 3,9 wiedergegeben. Dort lautet die Frage ‫ מי את‬Wer bist du? die dort von Boaz gestellt wird. Die Erklärung sei ‫“ מה מצאתם‬Was habt ihr vorgefunden?”, was sich auch im Kommentar von Rashi zu Ri. 18,8 findet. Kara kommentiert zu ‫“ מה אתם‬Wer seid ihr?” in Ri. 18,8 ‫“ מה ראיתם‬Was habt ihr gesehen?”818 Interessanterweise gibt nun MS Berlin 1221 das Zitat aus Ri. 18,8 mit ‫“ מי אתם‬Wer seid ihr” wieder, obwohl dort – in MT BHQ – ‫“ מה אתם‬Was seid ihr?” steht. Somit wird das Fragewort ‫מה‬ “was” mit in die Erklärung aufgenommen, obwohl MS Berlin das Zitat aus Ri. 18,8 mit ‫“ מי‬wer” variiert wiedergibt.819 Weiter heißt es, mit ‫ ותגד לה [את] כל אשר עשה לה האיש‬Und sie erzählte ihr alles, was der Mann an ihr getan hatte werde ausdrückt: ‫שהבטיחה לכונסה‬ – “dass er ihr versprochen hatte, sie zur Frau zu nehmen.” Diese Erklärung ist soweit selbsterklärend, jedoch fällt auf, dass hier nicht auf eine eventuelle sexuelle Konnotation der Erzählung eingegangen wird. Die Situation auf der Tenne – insbesondere verbunden mit der Erklärung, Boaz habe Rut versprochen, sie zu ehelichen – könnte auch deutlicher auf den Vollzug von Geschlechtsverkehr hin interpretiert werden. Mit der Formulierung, ‫“ לכונסה‬sie zur Frau zu nehmen” wird jedoch nicht direkt ausgedrückt, dass Boaz und Rut etwa schon auf der Tenne miteinander geschlafen hätten (was als ein Teil der Eheschließung interpretiert werden könnte, etwa als ‫ יחוד‬Jichud, das Alleinsein von Braut und Bräutigam im Rahmen der Trauzeremonie). Auch in MS London 22413 wird auf die Frage Noomis ‫“ מי את בתי‬Wer bist du meine Tochter” eingegangen. Dabei wird auch hier in einer Paraphrase anstatt des Fragepartikels ‫“ מי‬wer” aus dem Bibeltext das Fragewort ‫“ מה‬was” verwendet: ‫“ מה עשית את בתי‬Was hast du gemacht? Du [bist doch] meine Tochter.” Der letzte Teil dieser Paraphrase scheint ein rhetorischer Zusatz zu sein, der einerseits ausdrücken könnte “Du bist doch weiterhin meine Tochter, oder?,” andererseits aber auch als rhetorische Frage zu verstehen sein könnte: “Du bist doch meine Tochter, und daher hast du doch sicherlich nichts Schändliches getan!?” Auch hier wird im Folgenden auf eine mögliche Heirat zwischen Boaz und Rut eingegangen, dies aber nicht wortwörtlich. Stattdessen wird die Formulierung ‫“ לגאלה‬sie zu lösen” verwendet, was laut Lev. 25,25 nicht die Heirat einer Frau be818 Siehe ebd. zu Ri. 18,8. 819 Außerdem wird im textkritischen Apparat zu Ri. 18,8 in MT BHS zur Formulierung ‫" מה אתם‬Was seid ihr?" auf Rut 3,16 hingewiesen: "cf Rt 3,16 ‫"מי את‬, siehe Biblia Hebraica Stuttgartensia 1990, S. 433. Auf eine masoretische Angabe wird dort aber nicht hingewiesen.

14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

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deutet, sondern lediglich den Loskauf eines Feldes für den verarmten Bruder, s. o. In diesem Zusammenhang wird konstatiert, dass ein anderer möglicher näherer Verwandter existiere, der konkretisiert wird als ‫“ דודו או בן דודו‬sein Onkel, oder der Sohn seines Onkels”. Hierbei liegt die Beschreibung des näheren Verwandten ähnlich wie in bBB 92a vor. MS Zürich Or 157 zu Rut 3,16 paraphrasiert die Frage Noomis: ‫ מי את בתי וכי לא היתה מכירה‘ אלא אמרה לה מה את פנויה את או אשת איש אמרה לה פנויה‬/‫ותאמ‬ “Und [Noomi] sagte [fragend]: Wer bist du, meine Tochter? – Und [sie fragte] nicht [etwa], weil sie sie nicht erkannt hätte. Sondern sie sagte ihr [vielmehr fragend]: ‘[An] was bist du [nun], bist du [jetzt immer noch] ledig oder die Frau eines Mannes?’ [Rut] antwortete ihr: ‘Ledig.’ ”

Diese Frage hat die Bedeutung von “Welchen Status hast du jetzt nach der Nacht auf der Tenne?” Rut antwortet, sie sei ledig, was inhaltlich ebenfalls ausdrückt, dass noch kein Geschlechtsverkehr stattgefunden habe. Somit ist diese Erklärung inhaltlich vergleichbar mit der in MS Berlin 1221.

Zu Rut 3,17: Und sie sprach: “Die sechs [Hohl-]Maß Gerste hat er mir gegeben, denn er sagte zu mir: ‘Komme nicht [mit] leer[en Händen] zu deiner Schwiegermutter [zurück].’ ” MS Berlin 1221 geht bezüglich des Dialogs zwischen Rut und Noomi auf den letzten Teil des Verses ein, wo sich die Begründung für die Gabe der sechs Maß Gerste findet. MS Berlin 1221 bezieht sich dabei auf den Erzählverlauf, wobei ein mögliches Gegenargument von vorneherein abgewiesen wird. Der Kommentar interpretiert, Boaz habe Rut gar nichts mitgeben müssen, da ihr – nach einer möglichen Heirat – sowieso all das gehöre, was auch Boaz gehört. Somit formuliert der Kommentar: ‫לכך‬ '‫“ הוצרך לפר‬daher muss [auch im Bibeltext gleich anschließend] erkl[ärt] werden” und bezieht die Gabe Boaz’ wortwörtlich nicht auf ein mögliches Bedürfnis, das Rut benötige, sondern – mit dem Wortlaut des Bibeltextes – darauf, dass Rut nicht mit leeren Händen zu ihrer Schwiegermutter zurückkehren solle. Die Art dieser Erklärung basiert auf einem wortwörtlichen Verständnis des Bibeltextes, das zunächst mit einem möglichen Widerspruch in Verbindung gebracht wird. Dieses eventuell widersprüchliche Verständnis wird mittels des Zitats aus dem letzten Versteils aufgehoben. Die Argumentation der Erklärung erinnert an ein Verständnis aufgrund des Peshat, wenn dies als “wortwörtliches Textverständnis” betrachtet wird. Jedoch wird der Begriff “peshat” hier nicht verwendet. Ähnlich wie MS Berlin 1221 argumentiert auch MS London 22413 und führt aus, dass die Gabe Boaz’ an Rut interpretiert werden könnte als Zurückweisung

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14.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3

Ruts durch Boaz. Hier wird dasselbe Argument wie in MS Berlin 1221 angeführt, dass nämlich die Ehefrau Mitbesitzerin aller Güter ihres Mannes ist. Im Kommentar MS London 22413 wird nun in Ruts Worten ausgeführt, dass Boaz dies mitnichten beabsichtigt hatte, sondern die Bedürftigkeit Noomis ausschlaggebend dafür gewesen sei, weshalb er ihr etwas gab: Wortwörtlich heißt es, dass Rut nicht ohne eine Gabe für Noomi zu ihr zurückkehren sollte. Auch in MS London 22413 wird mit dem Bibeltext argumentiert, und zwar ebenfalls mit dem letzten Versteil, wobei zwischen zwei Teilen des Verses der Ausdruck ‫“ ריקנות‬Leerheit” hinzugefügt wird. Dies erinnert an die Interpretation zu Rut 1,20, wo ebenfalls ‫ ריקנות‬zur Texterklärung verwendet wird. MS Zürich Or 157 enthält keinen Kommentar zu Rut 3,17.

 u Rut 3,18: Und sie sprach: “[Gönne Dir ruhig etwas] Ruhe, Z meine Tochter, bis du weißt, wie diese Sache ausgehen wird, denn er wird nicht [eher] ruhen bis er die Sache heute zu Ende gebracht hat.” MS Berlin 1221 fügt dem Text zunächst eine kurze Glosse hinzu. Im Text steht ‫המתים‬ ‫המתיני‬, wobei hier nur ‫[ המתיני‬sic!] übersetzt wurde. Das zusätzliche Wort ‫המתים‬ könnte übersetzt werden mit “die Toten”, was aber weniger in den Kontext passt. Im Manuskript ist dieses Wort mit doppelten strichförmigen Zeichen versehen und damit möglicherweise als gestrichen markiert. Daraufhin wird das Lemma “Denn der Mann wird nicht [eher] ruhen” ergänzt mit “nachdem er dir doch geschworen hat, die Sache [erledigt an den Nagel] zu hängen.” ‫ לתלות‬wird hier umgangssprachlich mit “hängen” übersetzt, in der Bedeutung von “abschließen”. Die Verwendung der Formulierung ‫ לתלות‬tritt schon vorher in MS Berlin 1221 in der Bedeutung von “auffassen” beziehungsweise “abhängig machen von” auf, z. B. zu Rut 2,11. Der Kommentar in MS London 22413 ist sehr kurz gehalten und schließt an das Lemma aus Rut 3,18 lediglich ‫“ וכן היה‬und so war es [dann] auch” an. Dies kann als Überleitung zum Kommentar zu Rut 4 verstanden werden. Anders argumentiert MS Zürich Or 157, wo ein Zitat aus RutR 7,6 zitiert wird, wonach die Aussage der Gerechten ‫“ צדק‬gerecht” sei: ’‫ ר‬/‫כי אם כלה הדבר היום‘ אמ‬ ]‫צד[ק‬ ֯ ‫[„ יצחק הצדיקים הין שלהם צדק ולאו שלהם‬Dieser Mann wird nicht eher ruhen] bis er heute diese Sache zu Ende gebracht hat – [dazu] sagte Rabbi Izchak: [Bei] den Gerechten [ist es so]: Ihr Ja ist gerecht, und ihr Nein ist (auch) gerecht.”

15. Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 4 Rut 4,1: Und Boaz stieg zum Tor hinauf und setzte sich dort [hin], und siehe, der [andere mögliche] Löser kommt vorbei, über den Boaz geredet hatte. Und [Boaz] sprach: “Komm herzu, setze dich hierher, Peloni Almoni!” Sowohl MS Berlin 1221 als auch MS London 22413 und MS Zürich Or 157 beziehen den Namen Peloni Almonis auf die inhaltliche Bedeutung “verborgen und zugedeckt”.820 Dabei wird der Name verbunden mit der Begebenheit, dass Boaz Peloni Almoni etwas unterbreiten müsse. Diese inhaltliche Verbindung wirkt zunächst nicht ganz schlüssig, jedoch ist dieser Bezug insofern verständlich, als dass Peloni Almoni erst in Rut 4 auftritt und zudem keine Hauptperson, sondern ein – nicht weniger ernst zu nehmendes – Hindernis darstellt. Argumentiert wird in allen drei Kommentar-­Fassungen mit dem Targum zu 2. Kön. 6,8. Dort ist ‫פלוני‬ peloni als “verborgen und zugedeckt”, im Sinn von “undefiniert” zu verstehen.821 ‫ אלם‬wird des Weiteren als “verstummt” interpretiert, wobei dies im Kontext der Erklärung so verstanden werden kann, dass “die Sache mit dem Feld, das Noomi verkauft” nicht weiter besprochen wurde, bis zu dem Zeitpunkt, an dem nun Boaz mit dem anderen möglichen Löser verhandelt. MS London 22413 geht im Vergleich zu MS Berlin 1221 ausführlicher auf Rut 4,1 ein: Zunächst wird die Tatsache, dass der andere mögliche Löser überhaupt am Tor vorbei kommt, bezogen auf ‫“ מזלה‬ihr Schicksal”.822 Weiter wird – ähnlich wie im Kommentar MS London 22413 zu Rut 2,14 – auf die Zuflucht Ruts “im Schatten der Shekhina” eingegangen. Die Shekhina wird als Grund für das “glückliche Schicksal” Ruts genannt, das dafür verantwortlich sei, dass das Dénouement, die “Auflösung des Knotens,”823 in Rut 4 ohne große Umstände 820 Peloni Almoni wird im Folgenden als Eigenname für den anderen möglichen Löser im Tor verwendet und im Weiteren nicht mehr hervor gehoben. 821 Auch der Rashi zugeschriebene Kommentar in MS New York 778 argumentiert wie die hier behandelten Kommentar-­Fassungen. 822 Dies könnte auch als ein "zufälliges Ereignis" interpretiert werden, wie dies z. B. in MS London 22413 zu Rut 2,3 zur Sprache kommt. Dort wird auf ‫" מקרה‬zufällig" Bezug genommen. 823 "Dénouement", dramentheoretischer Begriff, bedeutet "Auflösung des Knotens" kurz vor Schluss eines Dramas oder Erzählung. Ich danke Cosima Stawenow für diesen Hinweis.

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15.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 4

beginnen kann und so wohlgeordnet anmutet: Der andere mögliche Löser Peloni Almoni kommt wie zufällig vorbei, er muss nicht etwa erst noch gesucht werden und auch in Rut 4,2 wird geschildert, dass die Ältesten als Zeugen am Tor sowieso vorhanden sind. Somit sind die formalen Vorbedingungen für die Verhandlung im Tor gegeben und die Verhandlung kann sofort beginnen. Des Weiteren wird auf den biblischen Begriff ‫ סורה‬eingegangen, der hier als “dazukommen” übersetzt wird.824 Andererseits kann √‫ סור‬auch “abweichen” bedeuten, wobei sich dies auf den Weg des Lösers beziehen ließe, den er durch das Tor nimmt und von dem er durch Boaz’ Aufforderung abweicht. Der Name des anderen möglichen Lösers im Tor als “Peloni Almoni” wird in allen drei Kommentar-­Fassungen mit dem Targum zu Dt. 17,8 und 2. Kön 6,8 in Verbindung gebracht. Weiter wird der zweite Teil des Namens “Almoni” sowohl in MS Berlin 1221 als auch in MS London 22413 interpretiert als “ein Ausdruck für ‘stumm’ ”, wobei auch hier die Verwendung der Wortwurzel √‫ אלמ‬Ausgangspunkt der Interpretation darstellt. In MS Berlin 1221 wird darauf eingegangen, dass eine Sache “zum Verstummen und bis heute noch nicht wieder ans Licht gebracht wurde”.825 MS London 22413 geht des Weiteren auf den Wortlaut des Bibeltextes ein, wonach “Komm herzu, setze dich hier [her]” auf einen Akt des Verbergens hinweisen soll, so der Kommentar “damit die [Vorbei-] Gehenden es nicht wissen”. Dies kann nun bezogen werden auf die “Vorbeigehenden am Tor,” oder “diejenigen, die am Feld [vorbei] gehen”, um das im Folgenden verhandelt werden soll.826 In MS Zürich Or 157 wird der Name Peloni Almoni mit der Bedeutung ‫מבלי שם‬ “ohne Namen” gedeutet, wobei dieser Hinweis auch in der Erklärung Rashis zu 2. Kön. 6,8 zu finden ist.827

824 √‫ סור‬kann auch wörtlicher als "hinzutreten" übersetzt werden (siehe Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 540). Hier wird "dazukommen" als diesbezügliches Synonym verwendet, vgl. www.wortschatz.uni-­leipzig.de/abfrage/ (Zugriffsdatum: 27.03.2013). 825 Aus MS Berlin 1221 zu Rut 4,1: …‫אלמוני כמ' אלם שנשתתק הדבר ולא נתגלה עד היום‬. 826 Aus MS London 22413 zu Rut 4,1: ‫אלמוני לש' אילם' ולי נר' סורה שבה פה בנצת ותצנעיו‬ ‫שלא ידעו ההלוכים‬. 827 Aus MS Zürich Or 157 zu Rut 4,1: ‫פלוני אלמוני […] בנביאים אלמוני מבלי שם‬.

15.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 4

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Rut 4,2–4: Und [Boaz] nahm zehn Leute… Und er sprach zu dem Löser: “Das Feldstück … verkauft Noomi. Und ich sagte [mir]: Ich will dir [die Sache] folgendermaßen [zu] Ohren [bringen, und damit] offenbaren: Ich will es [nämlich] wissen, denn es gibt keinen außer dir.” [Und der andere mögliche Löser Peloni Almoni sprach:] “Ich will lösen.” MS Berlin 1221 zitiert aus Rut 4,2–3, um zu Rut 4,4 den Bibeltext auszuformulieren. Die Aussage Boaz “… denn es gibt keinen außer dir” wird fortgeführt mit dem Zweck, auf die Nähe der verwandtschaftlichen Verbindung einzugehen. Im Text der Erklärung wird in Boaz’ Worten formuliert klar, dass er nach Peloni Almoni der nächste Verwandte sei. MS London 22413 geht auf Rut 4,3 ein, nachdem dort zu Rut 4,2 ebenfalls kein expliziter Kommentar mitgeteilt wird. Auch hier wird in den Worten Boaz’ das verwandtschaftliche Verhältnis zu Noomis (verstorbenem) Ehemann dargestellt. Damit kommt die rechtliche Verbindlichkeit und Verpflichtung der erzählinternen Figuren weiter zur Sprache: Entweder Boaz oder der andere mögliche Löser Peloni Almoni muss lösen. Dies wird im Kommentar formuliert mit ‫ועלינו‬ ‫“ לגאול‬und an uns ist es, zu lösen.” Weiter wird Rut 4,4 ausgelegt, zunächst mit der kurzen erklärenden Glosse zu Ich will es [nämlich] wissen als “und ich weiß”. Damit könnte einerseits die präsentische Bedeutung in den Kommentar eingetragen sein, wenn hier ‫“ ואני יודע‬und ich weiß” gelesen wird. Möglicherweise kann MS London 22413 hier aber auch gelesen werden als ‫“ ואני אדע‬und ich werde wissen” beziehungsweise “und ich will wissen,” was inhaltlich denselben Sinn ergibt wie der Kohortativ ‫ואדעה‬, der als Ḳere des Bibeltextes im Kommentar angegeben wird. Weiter erklärt MS London 22413, was von Peloni Almoni missverständlich angenommen worden war und ihn zur Aussage “ich will lösen” veranlasste: ‫היה‬ ‫“ סבור שהיתה רות מנחת לה לו לגאול א’ע’פי שלא היה נושאה‬er meinte, dass Rut [schon anderweitig] eine Ruhe für sich [gefunden] hatte, [und es nun] an ihm war, zu lösen, auch wenn er sie nicht heiratete.” Hier wird das Wort ‫ סבור‬als Hinweis auf die Interpretation des Lösers verwendet.828 Der Kommentar in MS Zürich Or 157 setzt nach der Kommentierung von Rut 4,1 erst wieder mit Ausführungen zu Rut 4,5 ein und enthält zu Rut 4,2–4 keine Ausführungen.

828 ‫סבר‬ – "meinen. pt. pass. ‫ סבור‬meinend; 2. vertrauen. Hi. klar machen […]" Siehe Dalman: Aramäisch-­Neuhebräisches Handwörterbuch 1938, S. 282.

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15.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 4

Rut 4,5: Und [darauf] sprach Boaz: “An dem Tag, an dem du dir das Feld von Noomi und von Rut, der Moabiterin, der Frau des Verstorbenen erwirbst, erwirbst [du es], um den Namen des Verstorbenen [auf seinem Erbteil] zu erheben.” In MS Berlin 1221 werden zu Rut 4,5 zunächst die rechtlichen Voraussetzungen eines möglichen Rückkaufs des Feldes dargestellt, über das Boaz verhandelt. Daraufhin wird die Annahme von Heiratsverträgen formuliert, aufgrund derer die Frauen der verstorbenen Söhne sowie Elimelekhs als rechtmäßige Eigentümerinnen der Grundstücke angenommen werden. Dabei ist die Argumentation des Kommentars nicht sofort verständlich: Boaz stellt fest, dass der andere mögliche Löser nicht die Erlaubnis besitze, das Feld zu lösen, und zwar von dem, der das Feld kaufe. Hierbei wird angenommen, es bestehe die Möglichkeit, dass eine weitere Partei das Feld erwerben könnte. Nun wird der Wortlaut aus dem Bibeltext hinzugefügt, nämlich der Einwand Boaz’ wenn du es nicht zunächst von Noomi und von Rut, der Moabiterin, der Frau des Verstorbenen, kaufst.829 Im Kommentar wird zur Begründung dargestellt, dass “alles, was Elimelekh gehört, und alles, was Kiljon und Machlon gehört”, verpfändet sei und ihren Angetrauten gehöre, was in ihren Heiratsverträgen stehe.830 Weiter wird in MS Berlin 1221 eine fiktive Begebenheit zur Erklärung aufgeführt, in der dargestellt wird, wie die Namenserhaltung konkret stattfinden kann: Dabei wird der Name des Toten durch das mündliche Gespräch weitergegeben. MS London 22413 greift die Darstellungen auf, die teilweise in MS Berlin 1221 und teilweise in MS Zürich Or 157 angesprochen werden. Wie in MS Berlin 1221 und MS Zürich Or 157 wird hier als Bedingung für den Erwerb des Feldes die Heirat mit Rut formuliert. Weiter wird das in MS London 22413 angenommene Sprechen zur Weitergabe der Information über den verstorbenen Machlon als Äußerung des Gedenkens dargestellt, wie dies ebenfalls in MS Berlin 1221 der Fall ist. Somit kann geschlussfolgert werden, dass der Kommentar in MS London 22413 die Kommentierung aus MS Berlin 1221 und aus MS Zürich Or 157 kennt und zusammenfasst. In MS Zürich Or 157 wird die Thematik der Heirat angesprochen.831 Dabei wird das Lemma Und von Rut der Moabiterin ausgelegt, woraufhin im Kommentar eine 829 Rut 4,5: ‫מיד נעמי ומיד רות המואביה אשת המת‬. 830 Aus MS Berlin 1221 zu Rut 4,5: '‫שכל אשר לאלימלך וכל אשר לכליון ולמחלון משועבדי‬ ‫לנשותיהן בכתובתם‬. 831 Aus MS Zürich Or 157 zu Rut 4,5: ‫ומאת רות המואביה אתה צריך לקנות והיא אינה מתרצה‬ ‫" אלא אם כן תשאנה‬Und von Rut der Moabiterin – musst du [das Feld] kaufen, aber sie wird nicht einwilligen, außer wenn du sie heiratest."

15.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 4

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Verbindung zwischen dem Kauf [des Feldes] und der Heirat mit Rut gezogen wird. Beides wird insofern miteinander verbunden, als dass die Einwilligung Ruts für den Kauf des Feldes vorausgesetzt wird, die aber – so der Kommentar – nur gegeben ist, wenn Rut auch vom Käufer des Feldes geheiratet wird. Somit klingt hier an, was bereits der Dialog auf der Tenne im Kommentar von MS London 22413 impliziert, nämlich, dass die Aneignung des Feldes verbunden ist mit der Heirat Ruts.832

Rut 4,6: Und der [andere mögliche] Löser sprach: “Ich werde [es] mir nicht lösen können. Dass ich bloß meinem [eigenen] Erbteil keinen Schaden zufüge.” MS Berlin 1221 gibt als Lemma 4,6a wieder und führt in der Erklärung aus, was es bedeute, dem Erbteil Schaden zuzufügen: Peloni Almoni müsse zunächst sein eigenes Erbteil veräußern,833 um das Erbteil zu lösen, so formuliert es der Kommenter in den Worten Peloni Almonis. Damit lässt sich nachvollziehen, dass der Löser die Summe für das zu lösende Grundstück “aus eigener Tasche” bezahlen muss und somit selbst weniger erhält. Der Ertrag, den ein Löser durch die Lösung eines Feldstücks erzielt, ist insofern noch weniger, als dass der Name seines verstorbenen nahen Verwandten auf dem Feldstück erhoben werden soll. Dies geschieht, indem durch das Grundstück des Verstorbenen gedacht wird, und nicht in erster Linie durch den Löser. Somit kann die Vorschrift der Lösung auch negative Folgen für den Wohlstand eines möglichen Lösers mit sich bringen. Abgeschlossen wird die Ausführung zu Rut 4,6a mit der inhaltlichen Wiedergabe des Lemmas, wobei zwar dieselben Wortwurzeln wie im Bibelvers verwendet werden, jedoch eine Akzentuierung auf den eigenen Wunsch Peloni Almonis gelegt wird, indem er sagt: ‫“ ואיני רוצה להשחית נחלתי כדי לגאול נח’ נחלת אחרים‬Und ich will meinem [eigenen] Erbteil keinen Schaden zufügen, um das Erbteil anderer zu lösen.” Mit der Verwendung der Worte ‫“ ואיני רוצה‬und ich will nicht” wird der Bibeltext in eine inhaltlich andere Richtung gelenkt: Während es in Rut 4,6a heißt ‫לא אוכל‬ ‫ לגאול‬Ich werde es mir nicht lösen können, erhält die Aussage “ich kann nicht” die Bedeutung “ich will nicht.” Dies passt insofern besser in den Kontext der Erzählung des Buches Rut, als dass angenommen werden kann, der andere mögliche Löser verfüge zwar über die finanziellen Mittel für eine Lösung beziehungsweise 832 Siehe oben im Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 3,9, mit Ausführungen zur Idee Ruts, die "Lösung" eines Grundstücks mit einer Heirat mit ihr zu verbinden. 833 D.h. "verkaufen" √‫מכר‬, so wird ihm im Kommentar ‫" אם לא אמכור‬wenn ich nicht verkaufe" in den Mund gelegt.

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15.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 4

den Kauf des Feldes, schädige jedoch gleichzeitig sein eigenes Erbteil. Ihn selbst betrifft die Schädigung in Bezug auf den Erhalt des Namens. Noch stärker betroffen sind seine Nachkommen, die ihren Besitz möglicherweise mit weiteren Verwandten teilen müssen. Ansonsten wäre gegen die Lösung des Feldes aus Sicht des Lösers eigentlich nichts einzuwenden. Hier spricht also vor allem der Wille des möglichen Lösers gegen seine Übernahme der Verantwortung beziehungsweise gegen sein Eintreten als Löser. Dies wird im Kommentar deutlich. Ähnlich wird in MS London 22413 argumentiert: Hier wird das Lösen eines Feldstücks theoretisch damit verbunden, dass ein anderes Feldstück dafür verkauft werden muss. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass der Löser nicht unbedingt viel reicher sein muss als der, dessen Erbstück gelöst werden soll, bzw. nur etwas wenig mehr haben muss, um das Feldstück zu lösen. Wenn also ein anderes Feldstück verkauft werden muss, wäre der mit der Vorschrift verbundene Anspruch, dass der Besitz in der Sippe bleiben soll, entkräftet, da das andere Feldstück dann ja auch nicht weiter in der Familie bleibt. Die Vorschrift aus Lev. 25,25 ff. wäre dann mit einer anderen Begründung zu interpretieren: ‫פן אשחית‬ ‫את נחלתי שאין לי ממון לגאול את השדה אם לא אמכר נחלת אבותיי ובאותן דמים אגאל’ ואין‬ ‫“ רצתי‬Dass ich ja nicht mein Erbteil schädige, denn ich habe kein Vermögen um dieses Feld zu lösen, wenn ich nicht das Erbteil meiner [eigenen] Väter verkaufe und [dann] durch ihren Kaufpreis löse.” Wie in MS Berlin 1221 wird in MS London 22413 weiter auf den Willen von Peloni Almoni eingegangen: ‫ואין רצוני להשחית‬ ‫“ נחלתי למכור כדי לגאול נחלת קרובי‬Und es ist nicht mein Wille, mein [eigenes] Erbteil zu schädigen, [das heißt, es] zu verkaufen, um das Erbteil meines nahen [Verwandten] zu lösen.” Als weiteren Aspekt für die Intention des Rücktritts Peloni Almonis von seinem Vorkaufsrecht nennt MS London 22413, dass er vor allem Rut nicht heiraten wollte. So lässt sich aus dem Kommentar schlussfolgern, dass Peloni Almoni das Feld gelöst hätte, wäre damit nicht die Heirat mit Rut verbunden gewesen. Ein weiterer Hinweis darauf, dass die Ältesten aus diesem Grund “zu Boaz sagten Und dein Haus sei wie das Haus Perez‘ (Rut 4,12)”, ist insofern damit in Verbindung zu bringen, als dass Jehuda Tamar seinen jüngsten Sohn im Rahmen der Leviratsehe verweigert hatte. Der Kommentar in MS Zürich Or 157 läuft parallel zu den Auslegungen Rashis. Die einzigen Auslegungen Rashis, die in MS Zürich Or 157 nicht wiedergegeben werden, sind ein Teil der Auslegung zu Rut 4,6 (der andere Teil der Auslegung zum Vers ist in MS Zürich Or 157 und Rashi wieder vergleichbar): Rashis erster Teil der Auslegung zu Rut 4,6: ’‫– זרעי כמו (תהלים קכז) נחלת ה‬ ‫פן אשחית את נחלתי‬

15.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 4

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‫בנים לתת פגם‬.834 Die Auslegung in MS Zürich Or 157 ist also ähnlich zu der Rashis, wonach der andere mögliche Löser einen möglichen Schaden für sein Erbteil darin sieht, dass er Rut als Moabiterin aufgrund der Vorschrift aus Dt. 23,4 nicht heiraten möchte. So wird im Kommentar argumentiert mit der Aussage des Bibeltextes. Dieses Argument gegen eine Heirat Ruts wird aber entkräftet, indem die Vorschrift aus Dt. 23,4 lediglich auf männliche, nicht aber auf weibliche Ammoniter und Moabiter bezogen wird. Die Argumentation findet sich derart auch in Rut Rabba 7,7. Die Auslegung in MS Zürich Or 157 bezieht sich damit auf die Traditionsliteratur, welche auch in Rashis Kommentar zur Stelle aufgenommen wird.835

 ut 4,7–9: Und dies war früher [so] in Israel im [Rahmen] der R Lösung und im [Rahmen] des Tausches, um jegliche Sache zu bestätigen, die Bezeugung. Und der [andere] Löser sagte zu Boaz: “Kaufe du dir.” Und er zog seinen Schuh aus. Und Boaz sprach zu den Ältesten: “… Denn ich habe gekauft.” Im Kommentar MS Berlin 1221 wird auf die Zeitangabe ‫“ לפנים‬früher” eingegangen, die der Gegenwart gegenübergestellt wird. Diesbezüglich wird von ‫כנף‬ ‫בגדיהם‬, einem “Kauf durch ihren Kleidungszipfel,” gesprochen. Leider konnte bisher nicht eruiert werden, was ein “Kauf durch einen Kleidungszipfel” bedeuten kann. Möglicherweise wurde zur visuellen Darstellung ein Tuch geschwungen, um die Transaktion sichtbar zu machen.836 So wird das Ausziehen des Schuhs als Zeichen des Verkaufs dargestellt, indem ‫לפנים‬, eine “frühere” Handlung, mit der Verfahrensweise von ‫“ עכשיו‬jetzt” in Verbindung gebracht wird:837 Daraus kann 834 Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 19.11.2013). 835 Die Auslegung zu Rut 4,1–12 ist in MS Zürich Or 157 parallel zu der Auslegung, die in Responsa Project online als Rashis Kommentar geführt wird. Nach Rut 4,12 laufen die beiden Auslegungen nicht mehr parallel. 836 Ich danke Anette Adelmann für diese Überlegung. Leider habe ich bisher noch keinen weiteren Hinweis auf ein eventuelles Wedeln des Gewandes als Bestätigung einer Transaktion erhalten können. Insgesamt ist bei diesem Sachverhalt wohl auch von einem Unterschied zwischen beweglichem und unbeweglichem Eigentum auszugehen. Unbewegliches Eigentum kann nicht "übergeben" werden, somit muss stattdessen ein stellvertretendes Objekt zum Zeichen der Übergabe von einer zur anderen Partei verwendet werden. 837 Aus MS Berlin 1221 zu Rut 4,7: ‫מה שדורות הללו קונין עכשיו בקניין בכנף בגדיהם היו דורות‬ ‫" הראשונים קונין על ידי ששלף איש נעלו ונתן לרעהו‬Und dies war früher usf. – Was diese Generationen jetzt beim Kauf durch ihren Kleidungszipfel erwerben, das hatten die

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15.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 4

geschlossen werden, dass auch die Schuhübergabe im Kontext der Bestimmungen zur Leviratsehe in Dt. 25 als Transaktion im Rahmen eines Kaufs verstanden werden könnte. Zur Angabe “Rishonim” ist zu beachten, dass der Kommentar von ‫“ ראשונים‬die Vorderen” spricht, was sich wiederum nicht auf die Gelehrtengeneration vom 12. bis zum 15. Jahrhundert beziehen kann, da das Manuskript in jener Zeit entstand, sondern auf “Altvordere,” also vorangegangene Generationen. Weiter konstatiert MS Berlin 1221, dass Erwerb Zeugenschaft sei, und setzt weiter Zeugenschaft, Bestätigung und Kauf in einen Zusammenhang. Weitere Anwesende bezeugen und bestätigen damit die Transaktion.838 Durch die Transaktion ist die Handlung abgeschlossen und rechtsgültig. So kann der Kommentar auch feststellen: “Nach einem Kauf[akt] ist kein [weiterer] Anspruch mehr zu stellen.” Die Transaktion beziehungsweise der Kauf ist mit der Bestätigung durch die Zeugenschaft abgeschlossen. Vergleichbar kommentiert MS London 22413, verwendet dabei jedoch andere Begriffe: So wird zwar auch die “frühere” Zeit mit der gegenwärtigen verglichen, jedoch wird dazu das Wort ‫“ היום‬heute” verwendet (in MS Berlin 1221 wird ‫עכשיו‬ “jetzt” verwendet). Andererseits wird neben “der Angelegenheit des Kaufs” auch ‫“ מחילה‬Verzeihung” ins Spiel gebracht (wobei dies im Sinn von “Absolution” oder Entschädigung, verstanden werden kann). Weiter wird auch in MS London 22413 mit “Gewand” argumentiert. ‫ כליו של קונה‬wird dabei als “Gewand” übersetzt, da auch in anderen Kommentaren zur Stelle auf einen Zipfel des Gewandes hingewiesen wird, so beispielsweise in MS Hamburg hebr. 32 zur Stelle. Jedenfalls wird hier der “Kauf ” in Verbindung gebracht mit “Gewand des Käufers.”839 Weiter wird im Kommentar ‫“ רבותי‬unsere Lehrer” als Bezugspunkt genannt, anders als in MS Berlin 1221, wo von ‫“ ראשונים‬Rishonim” übersetzt als die “Vorderen” die Rede war. Somit könnte durch die Verwendung des Begriffs ]‫ רבוני[נו‬auch eine aus Autorensicht näherliegende Lehrergeneration gemeint sein. Interessanterweise wird gerade bei der Darstellung der Transaktion deutlich, dass hier auf eine innerjüdische Tradition angespielt wird, derart, dass die Sichtbarmachung Generationen der Vorderen dadurch erworben, dass ein Mann seinen Schuh auszog und seinem Nächsten gab." 838 Diese Funktion der Bestätigung könnte heutzutage mit einer Quittung verglichen werden, die ja den Beleg bzw. die Bescheinigung darstellt, dass ein Käufer das von ihm (zu) empfangen(d)e Objekt gekauft bzw. bezahlt hat. So gilt eine "Quittung" weiter als "Einzahlungsschein, Empfangsbescheinigung, Empfangsbestätigung" vgl. http://wortschatz.uni-­leipzig.de/abfrage/ (Zugriffsdatum: 25.07.2013). 839 So liegt die Frage, wer nun wem den Schuh übergeben habe, nicht fern, die in MS Zürich Or 157 zum folgenden Vers, Rut 4,8, gestellt wird, siehe im weiteren Fortlauf.

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einer Übertragung bzw. Transaktion nicht aus anderem mittelalterlichen Kontext bekannt ist, jedoch auf Kinjan Sudar bezogen werden kann840 und auch in MS Zürich Or 157 zur Stelle anklingt. Im Folgenden werden nun die weiteren Versteile einzeln ausgeführt und damit (fast glossenartig) genauer erklärt: ‫“ גאולה‬Lösung” wird bezogen auf “das Erbteil” eines nahen Verwandten. Somit wird der Bezug auf Lev. 25,25 ff. deutlich. Weiter wird ‫“ תרומה‬Tausch” ausgeführt: ‫הבא להמיר חפץ‬ ‫ נחפץ‬was in der Übersetzung als “[bei dem, der] kommt, um einen begehrten Gegenstand zu tauschen” wiedergegeben wird. Hierbei sind die beiden Erklärungen gleich aufgebaut und beginnen jeweils mit ‫[“ הבא‬bei dem, der] kommt”, und sind eigentlich direkt verständlich, ebenso wie das folgende ‫לקיים כל דבר בין‬ ‫“ איש לרעהו‬Um diese ganze Sache zu bestätigen – zwischen einem Menschen und seinem Genossen.” Weiter gibt der Abschluss der Erklärung zu Rut 4,7 in dem auch schon in MS Berlin 1221 herauszulesenden Verständnis wieder, dass eine Sache durch das Ausziehen des Schuhs bestätigt ist, wobei das “Ausziehen des Schuhs das Zeugnis ist” ‫התעודה‘ שליפת הנעל היא עדות כל דבר קיום‬. Auch MS Zürich Or 157 geht auf den Sachverhalt und die “Art” des Verkaufs ein und bezieht sich dabei auf ein “Tuch”: ‫“ קניין כדרך שאנו קונין בסודר‬Und er zog seinen Schuh aus. – Dies ist ein Verkauf in der Art, wie [auch] wir mit einem Tuch erwerben.” Hier wird also nicht mehr mit “Kleidungszipfel” (‫ )בכנף בגדיהם‬oder “Gewand” (des Verkäufers – ‫ )כליו של קונה‬argumentiert, sondern mit “Tuch” ‫סודר‬, und kann somit auf Kinjan sudar bezogen werden.841 So passt auch die Aussage aus MS Berlin 1221 hierzu, dass nach einem Kaufakt keine weiteren Ansprüche zu stellen seien.842 Hier schließt sich auch die Frage an, die in MS Zürich Or 157 840 Dank an Stefanie Budmiger, die diesen Sachverhalt bestätigte, mit Hinweis auf Cohn, Marcus: "KINJAN (Rechtserwerb)". In: Wörterbuch des Jüdischen Rechts. Neudruck 1980 der im "Jüdischen Lexikon" (1927–1930) erschienenen Beiträge von Marcus Cohn. Online abrufbar: www.juedisches-­recht.de/lexikon.php. Quelle des genannten Artikels: www.juedisches-­recht.de/lex_sac_kinjan.php (Zugriffsdatum: jeweils 21.03.2016). Siehe dort beispielsweise die Angabe zu bBM 46 ff. 841 "The origin of kinyan sudar may be traced to Ruth 4:7. Throughout the tannaitic period it is never expessly mentioned. It is first mentioned at the beginning of the amoraic period in the dispute as to whether […] the sudar must belong to the acquirer, ot to the alienator (BM 47a); the former view prevailed." Siehe Albeck, Shalom: "Acquisition". In: Elon, Menachem: The Principles of Jewish Law. Keter Publishing House: Jerusalem 1975, Sp. 208. 842 "Apparently, because of the simplicity of this mode of aquisition, this kinyan ist not regarded as completed even after the ceremony, as long as the parties are still talking about the deal (BB 114b)." Siehe Albeck, Shalom: "Acquisition". In: Elon, Menachem: The Principles of Jewish Law. Keter Publishing House: Jerusalem 1975, Sp. 208.

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diskutiert wird: Wem gehörte der Schuh, bzw. wer übergab ihn wem? So stellt MS Zürich Or 157 dar, dass Boaz dem Käufer seinen Schuh gegeben habe, da der Verkauf durch ein Kleidungsstück des Käufers angezeigt werde. Daraus lässt sich ableiten, dass Boaz als Käufer seinen Schuh quasi als “Quittung” übergab.843 Ganz eindeutig ist die Frage damit jedoch nicht beantwortet, da in MS Zürich Or 157 zu Rut 4,8 referiert wird, dass es die Ansicht derer gäbe, “die sagen, man kauft durch das Gewand des Käufers. Und Boaz gab dem Löser [laut dieser Interpretation seinen Schuh].” ‫ קונין בכליו שלקונה’ ובועז נתן לגואל‬/‫מי נתן למי יש אומ‬. Für den Sachverhalt, dass die Übergabe des Schuhs eine Bestätigung darstellt, ist jedoch zweitrangig, wer wem den Schuh übergibt. Die Übergabe des Schuhs gilt als eine visuelle Bestätigung, die von Augenzeugen bestätigt werden kann. Die anwesenden zehn Ältesten im Tor, die Boaz in Rut 4,2 herbei holte, fungieren hierbei als Zeugen.

Rut 4,10: “Und auch Rut, die Moabiterin, die Frau Machlons, habe ich mir zur [Ehe-]Frau erworben, um den Namen des Verstorbenen auf seinem Besitz zu erheben und den Namen des Verstorbenen nicht auslöschen zu lassen unter seinen Brüdern und vom Tor seines Ortes.” Der Kommentar in MS Berlin 1221 hat die Nähe der Verwandtschaft eines möglichen Ehemannes von Rut aus dem Volke Israel zum Thema. Dies wird auf die Namenserhaltung des verstorbenen Ehemanns Ruts bezogen. Das Argument der Verwandtschaft und der damit einhergehenden Namenserhaltung bringt Boaz in Rut 4,10 in die Diskussion ein. Davon ausgehend führt der Kommentar die möglichen Konstrukte einer Lösung, verbunden mit einer Heirat Ruts aus. Dabei wird eine Festschreibung im Ehevertrag in die Diskussion mit eingebracht, worin Grundstücke aufgeführt seien. Impliziert können hier verschiedene Eheverträge angesprochen sein: Ein Ehevertrag zwischen (dem verstorbenen) Elimelekh und Noomi sowie Eheverträge zwischen ihren ebenfalls verstorbenen Söhnen Machlon und Kiljon als Erben und deren Frauen Rut und Orpa. Durch den Tod Machlons und Kiljons gehen die Besitztümer – durch die im Kommentar angenommenen Formulierungen und der Verfügung der Grundstücke an die Witwen in den Heiratsverträgen – an Rut. Orpa kommt als Erbin nicht infrage, da sie nach Moab zurückgekehrt ist. Hier wird deutlich, dass Rut, neben Noomi, die Erbin ist, da das Erbe nach dem Tod Elimelekhs, des Ehemanns Noomis, an die 843 Vergleiche die Ausführungen zu MS Berlin 1221 zur Stelle.

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Witwe Noomi und deren Söhne ging. Da nun Machlon und Kiljon verstorben sind, wurde deren Teil des Grundstücks den verwitweten Ehefrauen übertragen, in dem Fall jedoch nur an Rut. Somit kann in diesem Fall des Erbes nicht von einer “Ersetzung Noomis durch Rut” die Rede sein. Allgemein argumentiert der Kommentar, dass die Namenserhaltung auf dem Besitz beziehungsweise dem Grundstück ebenfalls durch die Heirat mit anderen Männern gewährleistet ist, die nicht nahverwandt mit Ruts Ehemann oder Schwiegervater sind. Bei einem entfernter stehenden Verwandten wäre der Name des Verstorbenen jedoch unter seinen Brüdern nicht erhalten worden. “Brüder” und “Tor seines Volkes” wird im Bibeltext genannt. Hierbei enthält MS Berlin 1221 am Schluss der Auslegung zu Rut 4,10 eine andere Satzstellung als MT BHQ. MS Berlin 1221 schreibt: ‫אבל מעם‬ ‫“ אחיו ומשער מקומו היה נכרת שם המת מעם ומשער מקומו‬Aber unter den Brüdern und dem Tor seines Ortes wäre der Name des Verstorbenen ausgelöscht worden, unter [jenen] und dem Tor seines Ortes. Dagegen schreibt MT BHQ Rut 4,10bα: ‫…ולא‬ ‫… יכרת שם המת מעם אחיו ומשער מקומו‬und der Name des Verstorbenen wird nicht ausgelöscht werden unter seinen Brüdern und dem Tor seines Ortes. Eventuell kann durch den Wortlaut in MS Berlin 1221 geschlossen werden, dass der Schreiber ‫ מעם‬nicht als “von” oder “unter” verstand (Präfix ‫ מ‬verbunden mit Konjunktion ‫עִם‬ “mit”), sondern als “von dem Volk” (Präfix ‫ מ‬verbunden mit Nomen ‫“ עַם‬Volk”). Derart wäre der Satz zu übersetzen mit “…Aber unter den Brüdern und dem Tor seines Ortes wäre der Name des Verstorbenen ausgelöscht worden, von dem Volk und dem Tor seines Ortes.” Ähnlich argumentiert MS London 22413, wo Alternativen für eine mögliche Löserschaft dargestellt werden. Beide Möglichkeiten werden in den Mund Boaz’ gelegt, also in erster Person Singular formuliert: Erste Alternative ist die, dass Boaz löst, was mit der Verwendung des Lemmas aus Rut 4,9 und 10 formuliert wird: ‫“ כי קניתי‘ קונה אני עתה לכשאקח את רות’ להקים שם המת על נחלתו בנישואי רות‬Denn ich habe gekauft – ich kaufe jetzt, daher dass ich Rut [zur Frau] nehmen werde, [Zu Rut 4,10] um den Namen des Toten auf seinem Erbteil zu erheben, durch meine Heirat [mit] Rut.” Weiter wird argumentiert, dass dem Namen des Toten ebenfalls gedacht worden wäre, hätte ein entfernterer Verwandter Rut geheiratet. Jedoch “wäre der Name des Verstorbenen … unter seinen Brüdern weggenommen worden” (‫אך היה‬ ‫)שם המת נכרת מעם אחיו‬. So fasst der Kommentar diese Möglichkeit zusammen “[dass an] seinen Namen auf seinem Erbteil zwischen [all] seinen nahen [Verwandten] erinnert wird” (‫)שמו נזכר על נחלתו בין קרוביו‬. Somit werden hier die beiden im Bibeltext genannten Aspekte auf verschiedene Bereiche bezogen: Heirat mit einem Fernverwandten hat zwar das Gedenken des Verstorbenen auf dem Erb-

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teil zur Folge, aber nicht die Erhaltung des Namens unter den Brüdern. Die Heirat mit einem Fernverwandten würde also die Wegnahme des Namens von den Brüdern bedeuten. Durch die Heirat Boaz’ (als Nahverwandtem) mit Rut wird aber beides möglich: Sowohl das Gedenken des Namens des Verstorbenen als auch das Bestehen des Namens unter dessen Brüdern. Somit bezieht sich diese Alternative auf die Heirat eines nahen Verwandten, in diesem Fall Boaz, womit des Namens des Verstorbenen gedacht und dessen Name unter den Brüdern erhalten bleibt. Ein anderer Aspekt aus dem Bibeltext führt zur Darstellung einer zweiten Alternative: Hätte ein anderer Nahverwandter Rut geheiratet, der aber an einem anderen Ort wohnt, wären damit zwar ebenfalls beide Ziele erreicht, jedoch das in Rut 4,10 genannte Gedenken im Tor nicht gewährleistet worden. Bei dieser zweiten Alternative wird der Sachverhalt des Ortes im Kommentar ausgeführt: Durch die Heirat eines anderen nahen Verwandten von einem anderen Ort mit Rut wird zwar beides möglich, sowohl das Gedenken des Namens des Verstorbenen als auch das Bestehen des Namens unter den Brüdern, jedoch nicht der Erhalt [des Namens] im Tor. Somit werden die in Rut 4,10 aufgeführten Aspekte in Bezug auf die Erhebung des Namens des Verstorbenen im Kommentar ausgeführt: 1) Erinnerung an den Namen des Verstorbenen auf seinem Erbteil, 2) Gedenken des Namens des Verstorbenen unter seinen Brüdern, 3) Erhalt des Namens des Verstorbenen im Tor seines Ortes. Diese drei Aspekte werden durch die Heirat mit einem Verwandten aus dem Ort zusammengeführt. Da nun im Kontext der Erzählung der andere mögliche Löser Peloni Almoni von seiner Option der Lösung, verbunden mit der Heirat Ruts, zurücktritt, vereint Boaz als einziger die drei genannten Eigenschaften: 1) Der Name des Verstorbenen auf seinem Erbteil wird erhoben (Rut 4,10: ‫להקים‬ ‫שם המת על נחלתו‬ – was aber sowieso bei der Heirat eines jeglichen Israeliten der Fall gewesen wäre); 2) Des Namens des Verstorbenen unter seinen Brüdern wird gedacht (Rut 4,10: ‫)ולא יכרת שם המת מעם אחיו‬, da Boaz ein nahverwandter Israelit aus Jehuda ist; 3) Erhaltung des Namens des Verstorbenen im Tor seines Ortes ist gewährleistet (Rut 4,10: ‫)ולא יכרת שם המת […] משער מקומו‬, da Boaz aus Beit Lechem kommt. MS Zürich Or 157 geht kürzer darauf ein, wie sich das Gedächtnis des Verstorbenen konkret gestaltet. Es wird damit argumentiert, dass die Frau des Verstorbenen sich auf das Grundstück des Verstorbenen begibt und darüber von dritter Seite geredet wird: ‫“ זו היא אשת מחלון‬Diese ist sie, die Frau Machlons.” Durch das Gerede der Nachbarn wird also der Name des Verstorbenen aus seinem Besitz aufrechterhalten. Mit dieser Erklärung wird indirekt deutlich, dass die Lösung

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des Feldes und die Heirat Ruts miteinander verknüpft sind: durch die Witwe, die auf dem Feld ein- und ausgeht, wird des Namens des Verstorbenen gedacht. Dabei werden die beiden Komponenten, Witwe und Feld, verbunden und so gehören die Witwe des Verstorbenen und das Feld des Verstorbenen zusammen. So wird deutlich, dass in der Verhandlung am Tor über Rut und Feld konferiert wird. Der Kommentar ist ähnlich dem Rashi zugeschriebenen Kommentar in MS New York 778.

Rut 4,11–12: Und sie sagten: “Der Ewige gebe dieser Frau, die zu deinem Haus gekommen ist, wie Rachel und wie Lea, die beide das Haus Israel gebaut haben. … Und dein Haus sei wie das Haus Perez’.” Inhaltlich beginnt die Ausführung in MS Berlin 1221 mit einer Zusammenfassung des bisherigen Verlaufs der Verhandlung im Tor. Dabei werden Bibelzitate wiedergegeben, beispielsweies die Aussagen des anderen möglichen Lösers und Boaz’ Antwort darauf in Rut 4,4–6. Allgemein kann dieser erste Teil als eine Einleitung in die sich anschließende Interpretation der Formulierung des Segens der Ältesten im Tor (aus Rut 4,11) verstanden werden. Dabei wird die Verhandlung noch einmal retrospektiv beleuchtet und die Frage geäußert, “was die Ältesten sahen, um [hier an die beiden, die das Haus Israel bebaut haben] zu erinnern” (… ‫)…מה ראו הזקנים להזכיר‬. Diese Frage wird beantwortet, indem der stufenweise Dialog Boaz’ mit dem anderen möglichen Löser zusammen gefasst wird: Zunächst unterbreitet Boaz dem anderen möglichen Löser die Möglichkeit der Lösung des Grundstücks – der Löser sagt zu (mit Zitat aus Rut 4,4). Daraufhin erklärt Boaz (mit dem Wortlaut aus Rut 4,5), dass Rut zusammen mit dem Feldstück von Noomi erworben werde, damit auch der Name des Verstorbenen auf dessen Erbteil erhoben werde – der Löser weicht aus, da er seinem “Erbteil keinen Schaden” zufügen will (mit dem Wortlaut aus Rut 4,6). Im Kommentar schließt sich nun an, wie die Ältesten im Tor diese Verhandlung verstehen: ‫… הבינו הזקנים שאינו מסרב לגאול מפני רות המואביה שגנאי היה לו לקחתה לפיכ’ אמרו לו הזקנים יתן‬ ‫יי‘ את האשה הבאה אל ביתיך כרחל וכלאה אשר בנו שתיהן את בית ישר‬ … Die Ältesten verstanden, dass er sich [wegen] nichts [sonst] zu lösen weigert[e], außer [vielmehr] wegen Rut der Moabiterin, da es ihm eine Schande war, sie zu nehmen. Daher sagten ihm [Boaz] die Ältesten: Der Ewige gebe dieser Frau, die zu deinem Haus gekommen ist, wie Rachel und wie Lea, die beide das Haus Israel gebaut haben.

Somit wird im Kommentar zu Rut 4,11 zusammengefasst, was aus Sicht der Ältesten im Tor der Grund für die Absage des anderen möglichen Lösers gewesen

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war: einerseits die Verbindung der Lösung des Feldes mit der Heirat Ruts und andererseits Ruts Eigenschaft als Moabiterin, was im Kommentar als (vermeintliche) “Schande” bezeichnet wird: …‫…“ …מפני רות המואביה שגנאי היה לו לקחתה‬wegen Rut der Moabiterin, da es ihm eine Schande war, sie zu nehmen…” Nun geht der Kommentar weiter auf die Annahme ein, es sei schandhaft, die Moabiterin Rut zu heiraten und bringt Gründe vor, weshalb es keineswegs eine “schandhafte Sache” sei, Rut zu heiraten: …‫…“ …אם אתה נושא’ את רות אין אתה מתגנה בה‬Wenn du Rut heiratest, wirst du Dir durch sie keine Schande bereiten…” Einerseits – so der Kommentar – sei Laban, der Vater von Rachel und Lea, Götzendiener gewesen, bevor Jakob Rachel und Lea zum Übertritt zum Judentum veranlasste und sie heiratete. Somit weist der Kommentar indirekt darauf hin, dass die Nachkommen Jakobs auch von Konvertiten abstammten. Andererseits – so der Kommentar weiter – stammte auch der Vorvater Perez und mit ihm die nachfolgenden Generationen von Tamar ab. Dies formuliert der Kommentar mit ‫“ ולא עוד אלא זקינינו פרץ יצא מתמר וכל משפחתינו יצא מתמר‬Und nicht nur [das], sondern [auch] unser Vorvater Perez stammte von Tamar ab und alle unsere Familien stammt[en] von Tamar ab.” Hier wird nicht weiter ausgeführt, was daran eventuell “schandhaft” sei. Doch durch den Kontext der Erzählung Tamars als Schwiegertochter Jehudas, von dem sie schwanger wurde (Gen. 38), ist daraus zu schließen, dass hier auf die Abstammung Perez’ als Sohn von Schwiegertocher (Tamar) und Schwiegervater (Jehuda) abgezielt wird, die laut Lev. 18,15 untersagt ist und der somit doch etwas “Schändliches” anhaftet. Hiermit verbindet der Kommentar in zweifacher Weise die in Genesis genannten Figuren mit dem Bibeltext: Einerseits werden Lea, Rachel und Tamar in Rut 4,11–12 explizit genannt. Andererseits bringt der Kommentar die jeweiligen Kontexte und Charakterisierungen der einzelnen Figuren mit in die Interpretation ein und erweitert so den Verständniszusammenhang. Nicht nur die Nennung Rachels und Leas in Rut 4,11 sowie die Nennung Tamars in Rut 4,12 ist Grundlage der Interpretation, sondern die jeweiligen Kontexte, in denen sie genannt werden, werden für die Auslegung fruchtbar gemacht. Somit kann auch der Aspekt einer (angenommenen) “schandhaften” Sachlage aufgrund der Kontexte in Genesis in den Kommentar zu Rut 4,11–12 eingetragen werden. Im selben Atemzug wird dieser Vorwurf allerdings ausgeräumt: Durch die Abstammung der eventuell auch “schandhaft belasteten” Vorfahren wird der Vorwurf der Schändlichkeit durch die Heirat mit Rut als Moabiterin widerlegt. So wird dieser zweite Teil der Auslegung zu Rut 4,11 abgeschlossen mit der Wiedergabe des Lemmas, das die Ausführungen des zweiten Teils rahmt: ‫ יתן יי‘ את האשה הבאה אל ביתך כרחל וכלאה‬Der Ewige gebe dieser Frau, die zu deinem Haus gekommen ist, wie Rachel und wie Lea.

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Weiter kommentiert MS Berlin 1221 das Lemma ‫“ ועשה חיל באפרתה‬Und tue in Ephrata Großartiges”. ‫( חיל‬hier übersetzt als “Großartiges”) wird dabei auf das Königtum bezogen. So konstatiert der Kommentar selbst ‫שאין חיל האמור כאן אלא‬ ‫“ מלכות‬Denn von nichts [anderem] Großartigen ist [hier] die Rede, außer vom Königtum.” Diese Interpretation wird mit 1. Sam. 14,48 belegt, in dem von den heldenvollen Taten und Siegen des ersten König Israels, Shaul, berichtet wird. Zum Abschluss der Erklärung zu Rut 4,11 wird auf das Lemma ‫וקרא שם בבית‬ ‫“ לחם‬Und er rufe [den] Namen [aus] in Beit Lechem” eingegangen. Im Kommentar tritt dabei dreimal der Begriff ‫“ בן‬Sohn” in Verbindung mit ‫“ שם‬Name” auf. Gleich zu Beginn des Absatzes wird festgestellt, dass die Bedeutung des Segensspruches hier sei, “dass sie einen Sohn gebäre, und sein Name so ausgerufen werde” (‫שתלד‬ ‫)בן ויקרא שמו כך‬. Es folgt eine rhetorische Rückfrage, die mit einem Belegvers untermauert wird: ‫[“ שם האמור כאן הלא בן כמ’ והכרתי לבבל שם ושאר ונין ונכד‬Der] Name, von dem hier gesprochen wird, ist das nicht der Sohn? – Wie [im folgenden Vers:] Von Babel will [ich] Namen und den Übriggebliebenen, Nachwuchs und Nachkommenschaft ausrotten (Jes. 14,22).” Es folgt im Kommentar eine Zusammenfassung dieser Ausführung, hier wiederum mit Bezugnahme auf einen Bibelvers außerhalb von Rut, und zwar auf Gen. 48,16 im Kontext des Segens Josephs durch Israel (das ist Jakob): ‫ששם האמור כאן בכל כ’ד’ ספרים הוא בן ויקרא‬ ‫“ בהם שמי‬Denn [der] Name, von dem hier gesprochen wird, [wird] in allen 24 Büchern [durch] einen Sohn [weitergetragen]. Und durch sie wird mein Name ausgerufen werden (Gen. 48,16).” Durch die Argumentation wird im Kommentar von MS Berlin 1221 also der Begriff “Name” mit “Sohn” verbunden. Dabei ist auffällig, dass der Kommentar hier nicht direkt mit dem Wortlaut des Bibeltextes aus Rut 4,11–12 argumentiert, denn dort kommt der Begriff ‫“ בן‬Sohn” nicht vor. Vielmehr wird unter Zuhilfenahme der Bibelstellen Jes. 14,22 sowie Gen. 48,16 kommentiert, wo sich ähnliche Formulierungen wie in Rut 4,11 finden. Im gesprochenen hebräischen Wortlaut hören sich Teile der zitierten Stellen ählich an: Rut 4,11: Und er rufe [den] Namen [aus] in Beit Lechem

‫וקרא שם בבית לחם‬

Jes. 14,22: ‫והכרתי לבבל שם ושאר ונין ונכד‬ Von Babel will [ich] Namen und den Übriggebliebenen, Nachwuchs und Nachkommenschaft ausrotten.

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15.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 4

Gen. 48,16: Und durch sie wird mein Name ausgerufen werden.

‫ויקרא בהם שמי‬

Mit dem Zitat aus Jes. 14,22 wird das Wort ‫“ שם‬Name” im Sinn von “Erinnerung/ Gedenken [durch Nachkommen]” verwendet. Somit wird durch das Zitat aus Jes. 14,22 “Name” indirekt auf “Nachkommen” bezogen. Dieser Gedanke wird weiter ausgeführt, indem sich der Kommentar auf Gen. 48,16 bezieht, wo “Name” inhaltlich, jedoch nicht wortwörtlich auf die Nachkommen bezogen wird. Außerdem tritt dort die Formulierung “Namen ausrufen” auf. Durch den Bezug beider Stellen wird “Name” (‫)שם‬, “ausrufen” (‫ )קרא‬sowie “Sohn” (‫בן‬ – auch ohne das Auftreten des Begriffs, d. h. nur kontextuell im Sinn von Nachkommen) aufeinander bezogen. Somit wird die Schlussfolgerung des Kommentars verständlich wie folgt: “Denn [der] Name, von dem hier gesprochen wird, [wird] in allen 24 Büchern [durch] einen Sohn [weitergetragen].” Inhaltlich wird auf einen männlichen Nachkommen angespielt.844 In Rut 4,13 ist dann auch die Rede von der Geburt des Sohnes Ruts und Boaz’, so dass die Weitergabe des Namens gewährleistet ist. Ähnlich wie MS Berlin 1221 argumentiert auch MS London 22413. Hier wird aber nicht der “Umweg” über die Rekapitulation des Dialogs zwischen Boaz und dem möglichen Löser genommen, sondern gleich der (möglichen) Sorge Rechnung getragen, dass Rut als Moabiterin den Status eines Gastes habe. Interessanterweise wird der Begriff ‫( אכסנאית‬übersetzt als “[fremder] Gast”) auch im Kommentar zu Rut 1,16–17 verwendet (siehe zur Stelle). Hier wird auch – wie in MS Berlin 1221 – auf den Übertritt “der Tochter Labans” Bezug genommen, die von Jakob zu einem anderen Ort gebracht wurde, wo sie ebenfalls eine Fremde gewesen war (‫אלא מגיורת יעקב הלך ונשא בת לבן והביאה למקומה והיתה נכרית‬ “sondern [dies war nur durch den Übertritt Jakobs möglich], der kam und die Tochter Labans heiratete, und sie zu ihrem [späteren Wohn-] Ort brachte, und sie war dort eine Fremde”). Aus der Argumentation des Kommentars kann somit geschlossen werden, dass auch die Stammmütter (Lea genauso wie Rachel, beide werden im Kommentar aber nicht namentlich genannt) dasselbe Schicksal ereilte, wie es nun auch auf Rut bezogen werden könne. Weiter wird auch in MS London 22413 ‫“ חיל‬Großartiges” auf das Königtum bezogen, wobei auch hier auf den ersten König Israels, Shaul, Bezug genommen wird. Weiter wird im Kommentar Num. 24,18 zitiert, wo ebenfalls der Begriff ‫“ חיל‬Großartiges” Verwendung findet. Auch ‫“ וקרא שם‬Und er rufe [den] Namen [aus]” wird auf 844 Auf diese geschlechterspezifische Einschränkung soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden.

15.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 4

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“Sohn” hin ausgelegt. Hier ist der Wortlaut des Kommentars weitestgehend selbsterklärend: ‫“ שכל מי שיש לו בן שמו ניכר ונקרא על יד בנו‬Denn [bei] jedem, der einen Sohn hat, dessen Name wird durch seinen Sohn bekannt und ausgerufen.”845 Zum Abschluss des Kommentars zu Rut 4,11 wird auch in MS London 22413 ein Teil aus Jes. 14,22 zitiert, wobei die Verbindung zwischen Text und Auslegung hergeleitet werden kann wie oben zu MS Berlin 1221 dargestellt wurde. Im Kommentar von MS London 22413 wird dabei vor allem mit der Wortwurzel √‫ נכר‬argumentiert, welche am Ende der Auslegung des ersten Teils sowie in der Mitte des letzten Teils der Erklärung der Lemmata aus Rut 4,11 auftritt: ‫והיתה‬ ‫“ נכרית‬und [auch] sie war eine Fremde gewesen.” MS Zürich Or 157 geht hingegen auf einen ganz anderen Aspekt ein, nämlich auf die Abfolge der Namensnennung von Rachel vor Lea, was mit Unfruchtbarkeit im Kommentar verbunden wird. Das Thema der Unfruchtbarkeit wird als Grund für die in Rut 4,11 verwendete Abfolge der Aufzählung von Rachel vor Lea genannt, obwohl Lea die ältere der beiden Schwestern war und in diesem Kontext fast noch wichtiger: Die Ältesten nennen Lea, die Stammutter Jehudas, erst an zweiter Stelle. Doch von Lea stammen die Ältesten im Tor bzw. die agierenden Bethlehemiter im Buch Rut wohl ab, da sie dem Stamm Jehudas zuzuordnen sind. Dennoch wird Rachel aufgrund ihrer Unfruchtbarkeit vor ihrer Schwester Lea genannt. Die Erklärung folgt hierbei den Ausführungen in RutR 7,13 und argumentiert hier ähnlich wie Rashi. Namentlich beziehen sich die Erklärungen auf den ‘Stamm’ Jehuda, im Bibeltext ist jedoch nur vom ‘Hause Israel’ die Rede. Es kann festgehalten werden, dass die (erzählerische) Verbindung Rachels und ihrer Söhne aus dem Midrash wörtlich aufgenommen wird. Rachels Schicksal ist thematisch im Kontext des Buches Rut so bedeutungsvoll, dass sie Lea vorgezogen wird. Rachel wird im Bibeltext vor Lea genannt, und zwar – so der Kommentar – aufgrund ihrer zunächst nicht vorhandenen Kinder (beziehungsweise erst späteren Söhne Joseph und Benjamin, die zu Vätern anderer Stämme werden als des Stammes Jehuda, dem die Betlehmiter angehören). Durch den innerbiblischen Bezug auf Rachel und Lea bringt der Kommentar zu Rut das Thema der Unfruchtbarkeit in den Verständniskontext ein.

845 Bezugnehmend auf diese Stelle könnte auf die Namenserhaltung durch einen männlichen Nachkommen, wie dies noch heutzutage in der traditionellen Weitergabe des Nachnamens des Ehemannes vorzufinden ist, eingegangen werden. Diese Ausführungen können andernorts geschehen.

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15.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 4

Rut 4,13: [Und Rut] gebar einen Sohn. Weiter wird in MS London 22413 ‫“ בן‬Sohn” ausgeführt, was ähnlich wie in Berlin 1221 auf ‫“ שם‬Name” bezogen sowie mit einem Zitat aus Jes. 14,22 ergänzt wird. In MS London 22413 folgt hierauf die Ausführung zur Abstammung der Nachkommen Jakobs, was hier bereits zu Rut 4,11 angemerkt wurde. Die Darstellung ist als vermeintliche Frage nach dem Grund für die Heirat Jakobs mit einer Konvertitin formuliert. Die Formulierung der Frage lässt auf eine Kommunikationssituation schließen. Die Antwort nennt Tamar, Jehuda und Perez und geht damit inhaltlich auf Ungereimtheiten in der Familiengeschichte ein, die nicht wirklich “gesetzeskonform” anmuten:846 Es wird konstatiert, dass Rut keine Tochter der Familie Jakobs sei. Dieser Sachverhalt ist vergleichbar mit Tamar, die ebenfalls keine “Tochter” (zu verstehen i.S.v. “Angehörige”) der Familie Jehudas (sic, im Kommentar steht dort ‫“ יהודה‬Jehuda”, nicht ‫“ יעקב‬Jakob”) gewesen sei. Dies lässt sich aus dem in Gen. 38,1–6 genannten Kontext schließen. Tamar wird dort Frau des ersten Sohnes Jehudas (“Er”, gezeugt mit der Kanaaniterin Shua). Aus dem Kontext lässt sich herleiten, dass Tamar Kanaaniterin ist. Konkrete Aussagen über die Herkunft Tamars finden sich dort jedoch nicht.847 Weiter ruft der Kommentar ins Gedächtnis, Jakob habe zwei Schwestern geheiratet. Dies ist laut Lev. 18, nicht zulässig, was aber nicht nochmals konkret geäußert wird. Außerdem wird angesprochen, dass Jehuda der Schwiegervater [Tamars] gewesen war (mit der er Perez und Serach gezeugt hatte). Ein geschlechtliches Verhältnis zwischen Schwiegertochter und Schwiegervater ist laut Lev. 18 ebenfalls nicht zulässig, was aber im Kommentar auch nicht nochmals konkret geäußert wird. Der Kommentar zur Stelle schließt mit der Feststellung ‫“ וזו מותרת לך יותר‬Und dies soll dir [an Beispielen] mehr als genügen.” Somit kann hier festgehalten werden, dass sich diese Auflistung auf 846 Aus MS London 22413 zu Rut 4,13: ‫ואם תאמ' מה שיעקב נשא גיורת ונכרית בנות מפי' משפחתו‬ ‫בנות לבן אחי אמו היה אבל זו רות אינה בת משפחתו' הרי תמר אשת יהודה זקינינו אבי פרץ אבינו‬ ‫" לא היתה בת משפחת יהודה ועוד שיעקב נשא אחיות' ויהודה כלתו' וזו מותרת לך יותר‬Wenn du [nun] sagst: Was [hat es damit auf sich], dass Jakob eine Übergetretene und Fremde geheiratet hat? [Dann denk daran, dass] sie [zwar] Töchter von seiner Familie waren, Töchter Labans, der der Bruder seiner Mutter gewesen war. Aber diese Rut ist keine Tochter von seiner Familie. Siehe Tamar, die Frau Jehudas, unseres Urahns, des Vaters Perez', unseres Vaters, war auch keine Tochter [aus] der Familie Jehudas. Und [bedenke] außerdem, dass Jakob [zwei leibliche] Schwestern geheiratet hat. Und Jehuda war [Tamars] Schwiegervater. Und dies soll dir [an Beispielen] mehr als genügen." 847 Auch in Midrash GenR 85 zu Gen. 38 sind keine konkreten Aussagen genannt.

15.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 4

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die Widersprüchlichkeiten beziehen soll, die sich in der Familiengeschichte der Ältesten im Tor Beit Lechems gegenüber Vorschriften aus dem Pentateuch finden. Dabei dienen die genannten Beispiele als Hinweis darauf, dass bereits die gesamte Konstellation der Vorfahren nicht wirklich “gesetzeskonform” anmutet. Dies wird im Kommentar selbst zwar nicht konstatiert, jedoch anhand von Beispielen aufgeführt. Die Interpretation der Beispiele ist also indirekt gefasst und wird demnach dem Leser des Kommentars überlassen. MS Zürich Or 157 zu Rut 4,13 geht ebenfalls auf das Thema des Königtums ein. Das “Königtum” ‫ מלכות‬wird auf ‫“ בן‬Sohn” bezogen, indem die Aussage aus Rut 4,13 “Und sie gebar einen Sohn” verbunden wird mit dem zuvor zitierten Versteil aus Rut 4,15 ‫“ משבעה בנים‬als sieben Söhne”, was auch mit “von sieben Söhnen” übersetzt werden kann. Mit letzterem Verständnis des Zitats aus Rut 4,15 ist eine inhaltliche Verbindung zu “Wie das Haus Perez” gegeben, sofern man annehmen kann, dass zwischen Perez und Boaz sieben Generationen liegen.848 So gesehen könnte die Erklärung in MS Zürich Or 157 zu Rut 4,12–13 (Anfang) aufgefasst werden wie die in MS Zürich Or 157 auf die direkt anschließende Alternative der Auslegung. Diese kann wie folgt übersetzt werden: “[Zu Rut 4,12] Wie das Haus Perez‘ – von dem wir abstammen. [Zu Rut 4,13] von dem siebten [seiner] Söhnen wird sie einen Sohn gebären – den, den Shemuel zum Königtum salben wird. Dies wird [mit] sieben genannt.” In MS Zürich Or 157 folgt jedoch zunächst, eingeleitet durch den Hinweis “eine andere Erklärung”849 ein Verweis auf 1. Chr. 2,15: ‫“ מז’ ראשי אבות האמורין להלן אוצם הששי דור השביעי‬Eine andere Erklärung [ist wie folgt]: Von sieben Familienhäuptern wird im weiteren gesprochen: Ozam der sechste (und) David der siebte (1. Chr. 2,15).” Die folgende Auslegung, eingeleitet mit ’‫“ ד’א‬eine andere Auslegung” ist selbsterklärend und wurde schon oben angesprochen, insofern sich die Nennung der Zahl “sieben” auf die Anzahl der Generationen von Perez bis Boaz bezieht: ‫ד’א’ מז’ ראשי אבות‬ ‫“ האמורין כאן פרץ חצרון רם עמינדב נחשון שלמון בועז‬Eine andere Auslegung: Von sieben Familienhäuptern wird hier gesprochen: Perez, Hazon, Ram, Amidadav, Nachshon, Salmon, Boaz (Rut 4,18–21).” Es zeigt sich, dass MS Zürich Or 157 hier die Nennung der Zahl Sieben mit dem Königtum und der Generationenfolge verbindet, womit das Thema “Sohn”, das schon vorher in der Auslegung anklang, auch hier in die Erklärung einfließt.

848 Gerechnet mit Perez als erster Generation: 1. Perez, 2. Hezron, 3. Ram, 4. Aminadav, 5. Nachshon, 6. Salmo/Salmon, der Bruder Elimelekhs und Onkel von Noomi (vgl. bBB 91a), 7. Boaz als späterer Ehemann Ruts und Cousin Noomis (vgl. bBB 91a). 849 Abkürzung '‫ פ'א‬als Abkürzung für ‫פירוש אחר‬.

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Rut 4,14: Und die Frauen sprachen zu Noomi: “[Er hat dir] heute einen Löser [gegeben]. Sein Name werde ausgerufen in Israel.” MS Berlin 1221 zu Rut 4,14 gibt zunächst das Lemma in gekürzter Form wieder.850 Der Kommentar bezieht den in Rut 4,14 dargestellten Ausspruch der Frauen auf die Erhaltung des Namens “in der Welt”. Dies wird mit dem Bibelzitat aus Jes. 53,10 untermauert. Interessanterweise wird an dieser Stelle aus Jesaja nicht das Wort ‫“ שם‬Name” verwendet, sondern ‫“ זרע‬Same”, was sich wiederum an den Wortlaut in Rut 4,12 anschließt, wo die Ältesten im Tor denselben Begriff in ihrem Segensspruch verwenden: ‫ויהי ביתך כבית פרץ אשר־ילדה תמר ליהודה מן־הזרע אשר יתן‬ ‫ ה׳ לך מן־הנערה הזאת׃‬Dein Haus sei wie das Haus Perez‘, den Tamar dem Jehuda geboren hat, von dem Samen, den der Ewige dir von dieser jungen Frau geben wird. Somit verbindet der Kommentar die Segenszusagen der Ältesten im Tor mit dem Ausspruch der Frauen, indem die Aussagen jeweils auf die Nachkommen bezogen werden. Hier, zu Rut 4,14, ist die Bezugnahme durch die Formulierung ‫“ ויקרא שמו‬Und sein Name werde ausgerufen” gegeben. Eine ähnliche und damit beide Stellen verbindende Formulierung tritt in Rut 4,11 auf: ‫…וקרא־ שם בבית לחם‬ “… und er rufe [den] Namen [aus] in Beit Lechem.” Dies wird in der Auslegung zur Stelle auf die Nachkommen bezogen und mit einem Vers aus Jesaja verbunden.851 Somit kann festgehalten werden, dass der Kommentar die Begriffe ‫קרא‬ “ausrufen”, ‫“ שם‬Name” (beides aus Rut 4,14) und ‫“ זרע‬Same” im Sinn von “Nachkommen” (Jes. 53,10) in einen Kontext stellt. Damit einher geht im Kommentar zu Rut 4,14 in Verbindung zu Jes. 53,10 der Wunsch des “Bestehens in der Welt.”852 Dies “Bestehenbleiben” wiederum wird als Verlängerung der Tage (vgl. Jes. 53,19) verstanden. Inhaltlich ist dies das Verständnis, das schon im Kommentar von MS Berlin 1221 zu Rut 4,11 angesprochen wurde. Anders geht MS London 22413 auf das Lemma ‫[“ גואל היום‬Er hat dir] heute einen Löser [gegeben]” ein. Dies wird inhaltlich interpretiert im Sinne eines gesicherten Lebensunterhaltes Noomis.853 Der Kommentar spricht hier von ‫גואלך‬

850 ‫ותאמר הנשים ויקרא שמו בישר‬, im Bibeltext (MT BHQ) steht stattdessen ‫ותאמרנה הנשים‬ ‫אל נעמי ברוך ה׳ אשר לא השבית לך גאל היום ויקרא שמו בישראל׃‬. 851 Dieser Bezug auf Jesaja ist auch in MS Berlin 1221 zu Rut 4,11 der Fall. 852 Aus MS Berlin 1221 zu Rut 4,14: ‫" יהי רצון שיתקיים בעולם‬Es sei [Gottes] Wille, dass [der Name] in der Welt bestehe." 853 MS London 22413 zu Rut 4,14: ‫[" גואל היום' כי רות ובנה תיטב לך על ידי בועז גואלך‬Er hat dir] heute einen Löser [gegeben] – denn Rut und ihr Sohn werden es dir gut gehen lassen durch Boaz, deinen Löser."

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“dein Löser”, was nicht an Rut, sondern an Noomi adressiert ist. Damit klingt an, dass Boaz eigentlich der Löser Noomis gewesen wäre. So wird der Sohn Ruts auch der Sohn Noomis genannt, vgl. Rut 4,17. Interessanterweise wird hier mit ‫“ תיטב לך‬es dir gut gehen lassen” argumentiert, was eine Brücke schlägt zu der Auslegung in MS London 22413 zu Rut 1,13, wo die “Versorgerfunktion” Ruts für Noomi im Kommentar zum Vorschein kommt.854 Dabei ist des Weiteren bemerkenswert, dass “Rut und ihr Sohn” als diejenige aufgeführt wird (sic, im Singular), die es Noomi wohl ergehen lassen werde. Dies geschieht also nicht direkt durch Boaz, sondern “durch Boaz, (als) deinen Löser”. Diese Formulierung lässt den Schluss zu, dass – trotz aller Bemühungen Boaz’ um Rut in Kapitel 2 und 4, die auf sein Interesse an Rut schließen lassen und der zurückliegenden nächtlichen Begegnung Ruts mit Boaz – aus Sicht der Frauen in Rut 4,14 von einer “Zweck-­Heirat” gesprochen werden kann, denn Boaz wird nicht als derjenige genannt, der für Noomi sorgen werde, sondern “Rut und ihr Sohn.” Diesbezüglich könnte aber auch geschlossen werden, dass Rut als Frau für den Lebensunterhalt verantwortlich ist, nicht Boaz. Dem widerspricht jedoch, dass neben Rut auch Oved (als männliche Person) genannt wird, der mit Rut zusammen zum Wohlergehen Noomis beitragen soll. Durch die Auslegung wird weiterhin deutlich, dass mit dem Namen Oved, übersetzt als “Diener,” schon hier anklingt, was später auch in der Auslegung von Zürich Or 157 geäußert wird. Diesbezüglich könnte die Auslegung in MS London 22413 als “Zwischenposition” zwischen MS Berlin 1221 (zum des Thema der Verlängerung der Lebenszeit) und MS Zürich Or 157 (wo Oved als Diener dargestellt wird) herangezogen werden.

 ut 4,15: “Und er sei dir zum Trost der Seele und werde zum R Versorger in deinem Alter. Denn deine Schwiegertochter, die du lieb hast, hat ihn geboren. [Sie ist besser] als sieben Söhne.” Im Bibeltext wird weiter Noomi angesprochen, wie dies in Rut 4,14 eingeleitet wurde.855 Diesbezüglich äußert der Kommentar zu Rut 4,15 die Frage, weshalb der Sohn Ruts im Bibeltext ‫“ למשיב נפש‬Trost der Seele” genannt wird. Dabei wird die Frage eines möglichen Rezipienten formuliert, eingeleitet mit ‫“ ואם תאמר‬und wenn du nun sagen willst: Rut gebar ein Kind, aber wie [kann] {ihr Kind} [dann] 854 Vgl. Ausführungen zu Rut 1,13: "Wollt ihr etwa darauf warten, bis sie aufgewachsen sind? Wollt ihr euch noch weiter zurückhalten? Nicht doch meine Töchter, denn überaus bitterer ist es mir als euch. Denn gegen mich ist die Hand des Ewigen ausgerückt", S. 234. 855 Rut 4,14: ‫ …ותאמרנה הנשים אל־נעמי‬Und die Frauen sprachen zu Noomi…

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für Noomi zum Trost der Seele werden?”856 Hier kann auf eine mögliche Kommunikationssituation geschlossen werden, in der oder für die der Kommentar abgefasst wurde. So kann der Kommentar auf eine Lern- oder Lehrsituation bezogen werden. Dabei kann dies niedergeschrieben worden sein a) durch den Schüler, der die Exegese im Unterricht oder Gottesdienst hörte oder b) durch den Lehrer selbst, der die Auslegung für ein wie immer geartetes Publikum (beispielsweise Schülergruppe, Gemeinde oder Leserschaft als Rezipient des niedergeschriebenen Kommentars) konzipiert haben mag. Dieses Verhältnis zwischen Verfasser oder Schreiber und Empfänger des Kommentars ist nicht eindeutig zu bestimmen, denn auch dem heutigen aufmerksamen Leser mag die Frage in den Sinn kommen, weshalb in Rut 4,15 Noomi als Adressatin angesprochen wird, die durch den Sohn Ruts den “Trost der Seele” erhalten solle. Die Antwort des Kommentars in MS Berlin 1221 zur Stelle lautet: ‫“ לכך נאמר אשר אהבתך ילדתו‬Deshalb wird gesagt: Die, die du liebst, hat ihn geboren.” Dies ist keine sehr ausführliche Antwort, sie könnte jedoch andeuten, dass durch die Liebe, die Noomi und Rut verbindet, weniger von einer “Ersetzung” Noomis durch Rut die Rede ist als vielmehr von einer Verbindung. Soll heißen: Durch die Liebe zwischen Noomi und Rut ist die Verbindung zwischen beiden so eng, dass das Wohlergehen der einen das Wohlergehen der anderen zur Folge hat.857 In jedem Fall ist Folgendes festzuhalten: Es ist die Liebe, die Rut und Noomi verbindet (und auf die in Rut 4,15 mit ‫אשר אהבתך‬ “die du liebst” Bezug genommen wird), nicht die Verwandtschaft. Familiär sind Noomi und Rut ja nur indirekt – durch die Schwiegertochter-­SchwiegermutterBeziehung – miteinander verbunden.858 856 MS London 22413 zu Rut 4,15: ‫והיה לך בנה למשיב נפש ואם תאמ' רות ילדה נעמי' מה איכפת‬ ‫לה ונותן טעם כי כלתך אשר אהבתך ילדתו וכן אהובתך ייטיב לך‬. 857 Will man an dieser Stelle den Bibeltext weiter interpretieren, kommt hier auch Rut 1,16–17 in den Sinn, wo sich Rut so stark an Noomi bindet, dass das Ergehen Noomis auch das Ergehen Ruts bedeutet. Daraus könnte der Schluss gezogen werden, dass in Rut 4,15 mit "Die, die du liebst" nicht Rut an Noomi, sondern Noomi an Rut "gebunden" wird. Das Wohlergehen Ruts ist damit auf Noomi zu beziehen und somit kann auch Oved schon fast als Sohn Noomis bezeichnet werden. Davon unabhängig ist Oved nur indirekt Noomis Enkel, jedoch erhält Noomi durch den Sohn ihrer Schwiegertochter einen Enkelsohn. 858 Hierzu ließe sich weiter fragen und in einem anderen Kontext ausführen, ob die Verbindung zwischen Schwiegertochter und Schwiegermutter auch sonst irgendwie rechtlich bestehen bleibt, wenn der Ehemann als Sohn der Schwiegermutter stirbt (z. B. durch Verpflichtung zum Unterhalt etc.). Aus dem Kommentar zu Rut 1,8 in MS Zürich Or 157 kann bspw. die Annahme abgeleitet werden, dass die Verbindung von Schwiegermutter und Schwiegertochter nach dem Tod des Ehemannes nicht

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In dieser Hinsicht kann auch die Erklärung in MS London 22413 verstanden werden, wo der Aspekt der Liebe zwischen Noomi und Rut hervorgehoben wird. Der Kommentar verschließt hier den Bibeltext in gewisser Weise gegen Rückfragen, indem der Riegel mit den Worten “was geht sie das an?” vorgeschoben wird.859 Für den Verlauf oder aber den Wortlaut des Bibeltextes in der Anrede der Frauen an Noomi ist es eben nicht relevant, ob nun Rut oder Noomi selbst einen Sohn geboren hat. Wichtig ist hier vor allem, dass der Nachkomme – ob nun von Rut oder von Noomi – für Noomi (aber damit auch für Rut) “zum Trost der Seele” wird. So wird auch in MS London 22413 die Betonung (sogar wörtlich: ‫נותן טעם‬ “legt [die] Betonung”) verdeutlicht, die im Bibeltext auf Liebe gelegt wird. Der Kommentar zitiert die betreffende Stelle mit Bezug auf die Liebe, die Noomi mit Rut verbindet und sich folgendermaßen äußert: ‫“ כי כלתך אשר אהבתך ילדתו‬denn deine Schwiegertochter, die du lieb hast, hat ihn geboren.” Der Kommentar zu Rut 4,15 schließt ab mit den Worten ‫“ וכן אהובתך ייטיב לך‬Und so lässt es die von dir Geliebte dir gut ergehen.” Ähnlich wie in MS Berlin 1221 wird im Kommentar in MS London 22413 zu Rut 1,14 inhaltlich darauf geschlossen, dass es Rut Noomi gut ergehen lassen werde.860 Auch das Lemma aus Rut 4,15 wird auf das Wohlergehen Noomis durch “ihn” bezogen, hier mit der Begründung, “er [Oved] kann es dir noch besser ergehen lassen, als wenn du sieben Söhne hättest” (’‫הוא יכול להיטיב לך יותר משאילו האלך ז‬ ‫)’בנים‬. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass mit ‫“ הוא‬er” Oved gemeint ist, da der Bibeltext in Form der Aussage der Nachbarinnen über ihn und nicht über Boaz spricht. Dies ist nun, verglichen mit dem Bibeltext selbst, aber auch mit MS Berlin 1221, eine andere Erklärung, da hier geäußert wird, dass “er”, also Oved, es Noomi besser ergehen lassen könne als sieben Söhne. Im Bibeltext war noch Rut das Subjekt, das heißt, dass sie besser sei als sieben Söhne. Nun bezieht

mehr aufrechterhalten bleiben muss. Dies lässt sich schließen aus Gen. 38,11 und Lev. 22,13. Vgl. dazu Cuffari, Anton: "Erbe / Erbrecht (AT)". In: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet 2008. www.bibelwissenschaft.de/de/stichwort/17604 (Zugriffsdatum: 19.03.2016), hier besonders Abschnitt 2. Erbrechtliche Bestimmungen, Abs. (5). 859 Aus MS London 22413 zu Rut 4,15: ‫והיה לך בנה למשיב נפש ואם תאמ' רות ילדה נעמי' מה‬ ‫" איכפת לה ונותן טעם כי כלתך אשר אהבתך ילדתו וכן אהובתך ייטיב לך‬Und er – ihr Sohn – wird dir zum Trost der Seele werden. Und wenn du sagst, Rut [hat doch] geboren [und] Noomi – was geht sie das an? Aber [genau darauf] ist hier Betonung gelegt, denn [es wird gesagt] deine Schwiegertochter, die du lieb hast, hat ihn geboren. Und so lässt es die von dir Geliebte dir gut ergehen." 860 Ähnlich auch der Kommentar in MS London 22413 zu Rut 1,13.

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MS London 22413 “besser als sieben Söhne” auf Oved, der – auch wenn dieser quantitativ nur ein Sohn ist – besser sei als sieben Söhne. Auch hier wird nochmals ‫“ להיטיב לך‬wohlergehen lassen” zur Erklärung verwendet.

Rut 4,17: Und die Nachbarinnen benannten ihn [mit dem] Namen Oved um zu sagen, Noomi ist ein Sohn geboren worden. MS Berlin 1221 geht hier weiter ein auf den Sohn Ruts, der von den Nachbarinnen als Sohn Noomis bezeichnet wird. Auch hier wird zurückgegriffen auf die Formulierung in Rut 4,15, deine Schwiegertochter, die du liebst, hat ihn geboren. Somit wird weitergeführt, was bereits zu Rut 4,15 anklang, nämlich die “Verbindung durch Liebe” zwischen Noomi und Rut, so dass nun der Kommentar zu Rut 4,17 die vorangegangene Aussage aus Rut 4,15 direkt aufeinander beziehen kann: die Nachbarinnen “sagen Noomi ist ein Sohn geboren” (Rut 4,17), denn Rut, deine Schwiegertochter, die du liebst, hat ihn geboren (Rut 4,15). Auch hier wird die Ansicht deutlich, dass Noomi an die Stelle Ruts tritt und umgekehrt. Somit kann Ruts Sohn auch als Noomis Sohn bezeichnet werden. So wird auch im Kommentar die Wahl des Namens für Oved erklärt, nämlich dass Oved ein Diener für Noomi (nicht in erster Linie für Rut) sei und er sie auch im hohen Alter versorgen werde. Oved bedeutet übersetzt Diener und so wird dieses “Dienen” auf das Dienen Noomis im hohen Alter bezogen. Rut wird dabei nicht genannt. Einerseits könnte diese Darstellung des Kommentars wieder darauf zurückgeführt werden, dass Noomi hier an Ruts Stelle tritt. Andererseits kann die Beschränkung des Kommentars auf Noomi damit begründet werden, dass Noomi die ältere der beiden Frauen ist und daher wohl die “erste in der Reihenfolge,” die “im hohen Alter” versorgt werden müsse. Dies verweist auf MS London 22413 zu Rut 1,1, nämlich, dass der biblische Text über seine Frau und Söhne berichten wolle.861 So geht auch MS London 22413 auf die Aussage im Bibeltext ein, dass Noomi ein Sohn geboren worden sei. Hier fällt die Antwort wie in MS Berlin 1221 mit dem (Rück-)Bezug auf Rut 4,15 aus, was in MS London 22413 zu Rut 4,17 jedoch nur paraphrasiert wiedergegeben wird: Der Versteil, der sich auf die Liebe Noomis 861 Dort wird zwar argumentiert, dass der biblische Text gar nicht über Elimelekh, sondern über seine Frau und Söhne berichten wolle, jedoch ist damit ebenfalls (noch) nicht von Rut die Rede. Somit kann festgehalten werden, dass der Text vor allem über Noomi berichten will: ‫הוא ואשתו' מבקיע לך האזן מפני שרוצה לומ' כל הפרש' בנעמי ובשני‬ ‫" בניה‬Er und seine Frau – [das] klingt dir im Ohr, weil der Abschnitt [des Bibeltextes] über Noomi und ihre beiden Söhne reden will."

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zu ihrer Schwiegertochter bezieht, wird hier ausgelassen.862 Somit ist der Kommentar nicht als Rede an Noomi, sondern über Noomi formuliert. Des Weiteren wird nur die Verbindung zwischen Noomi und Rut (also das Verhältnis zwischen Schwiegertochter und Schwiegermutter) als Grund dafür genannt, dass der Bibeltext äußert “Noomi ist ein Sohn geboren.” Im Vergleich zu MS Berlin 1221 ist MS London 22413 hier also ausführlicher, was darauf schließen lässt, dass MS London 22413 den Kommentar aus MS Berlin 1221 kennt und voraussetzt. Somit wäre der Kommentar in MS London 22413 in gewisser Hinsicht abhängig von MS Berlin 1221 und jünger als Letzterer. Weiter wird auch in MS London 22413 auf den Namen Oved als Diener Noomis eingegangen, der sie – in nahezu demselben Wortlaut wie in MS Berlin 1221 – in ihrem Alter versorgen werde. Dies wird in MS Berlin 1221 wiedergegeben mit ‫“ ומכלכל את שיבתו‬und er versorgt [auch im hohen] Alter”, in MS London 22413 formuliert mit ‫ויכלכל את‬ ‫“ שיבתה‬und er wird sie in ihrem Alter versorgen.” In beiden Fällen wird Oved als Diener Noomis interpretiert, der eine Versorger-­Funktion für die ins Alter gekommene Noomi übernehmen soll.863 Weiter geht MS London 22413 ein auf den Versteil ‫ הוא אבי ישי אבי דוד‬Er ist der Vater Isais, des Vaters Davids. Inhaltlich wird weniger auf den wortwörtlichen Teil des Verses eingegangen, sondern vielmehr auf bereits im Kommentar Geäußertes Bezug genommen. So wird der letzte Versteil aus Rut 4,17 als die inhaltliche Umsetzung dessen verstanden, was der Bibeltext selbst schon vorher (in Rut 2,12) mit der vollständigen Vergeltung des Lohnes Ruts angekündigt habe. So ist Rut 4,17b quasi als die Antwort auf den vorangegangen Verlauf der Ereignisse im Buch Rut zu verstehen. Zwischen dem schon fast am Ende von Rut 4 (und damit dem Ende des Buches) angelangten Kommentar und vorangegangenen Teilen wird eine Verbindung hergestellt. Durch den Hinweis auf “Schatten des Ewigen” wird beispielsweise Bezug genommen auf die Auslegung zu Rut 2,11–14, sowie zu Rut 1,2 und Rut 4,1, wo ebenfalls auf den Schatten der Shekhina hingewiesen wird. Zudem ist dies ein Hinweis auf den Wortlaut des Bibeltextes von Rut 2,12. MS London 22413 zu Rut 4,17b verbindet also den Anfang des Kommentars (zu Rut 1,2, wo auch “Schatten der Flügel der Shekhina” vorkommt), und den Mittelteil (Auslegung zu Rut 2,11–14) miteinander. Damit klingt eine literarische Vorgehensweise an, die wir auch heute im Aufbau von schriftlichen Arbeiten kennen (Abfolge von Einleitung, Haupteil und Schluss). Dabei wird der Hauptteil 862 MT BHQ schreibt in Rut 4,15: ‫כי כלתך אשר אהבתך ילדתו‬, MS London 22413 gibt dies wieder mit ‫כי כלתה ילדתו‬. 863 Zu den Namen im Buch Rut vgl. Kapitel "Das Buch Rut in der Hebräischen Bibel," S. 25.

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von Einleitung und Schluss gerahmt, wobei letzterer Teile aus dem Hauptteil aufnimmt und zusammenfasst. So verweist auch MS London 22413 wortwörtlich auf Rut 2 mit den Worten ‫בק ֯ף שיני‬ ֯ ‫“ עיין‬Schlage nochmals nach im zweiten [Kapitel].”864 Bereits im Kommentar zu Rut 2 wurde der “Gewinn” Ruts aufgeführt, den sie durch ihre Taten erhält, obwohl sie eine Fremde ist. Ihr “Lohn” wird hier nochmals genannt: Sie heiratet wider Erwarten einen wohlhabenden Mann und bekommt mit ihm einen Sohn (“Gewinn” in Form von Nachkommen) und Erbteile (“Lohn” in Form von materiellen Gütern). Außerdem stammt von Rut das Königtum ab, was langfristig einen weiteren, eventuell noch größeren Ertrag bedeutet. MS Zürich Or 157 geht ebenfalls auf den Namen Oved mit der Bedeutung “Diener” ein, legt aber anders aus als MSS Berlin 1221 und London 22413. Hier wird der Hauptaugenmerk auf “Vater und Mutter” gelegt und für Boaz und Rut ausgeführt, inwiefern sie als “Diener Gottes” bezeichnet werden können. Dabei geht MS Zürich Or 157 zunächst auf Boaz ein, der alt gewesen sei und aus unselbstsüchtigen Gründen heiratete. Somit kann interpretiert werden, dass Boaz hier als “Diener Gottes” dargestellt werden soll, der außerdem seinen Sohn, der als Folge aus seiner Handlung geboren wurde, Oved nannte. Es folgt ein Zitat aus Hos. 12,13, das auf Jakob rekurriert, der für seine Frau diente. Somit liegt der Vergleich mit Boaz nicht fern: Jakob diente, um seine Frau(en) zu bekommen und Boaz tat dies ebenfalls (indem er sie aus unselbstsüchtigen Gründen heiratete). Boaz als Israelit kann demnach als Diener Gottes bezeichnet werden, und somit passt auch die Verleihung dieses Namens an seinen Sohn. Weiter geht der Kommentar auf “seine Mutter” (Rut) ein. Indem der Kommentar hier das Zitat aus Mal. 3,18 wiedergibt, liegt die Parallelisierung oder Charakterisierung Ruts als “Gerechte” nicht fern. Rut und Orpa werden somit als Gegensätze dargestellt. Weiter wird Rut als diejenige bezeichnet, die sich an den Einzigen [Gott] hing. Somit ist im Kommentar auch die “Charakterisierung” Ruts als die sich zu Gott Bekennende angesprochen. Jedoch scheint ein etwaiger Rekurs auf Rut als Übergetretene zum Judentum nur indirekt durch, “Übertritt” wird hier nicht thematisiert, nur das “Hängen” an dem Einen [Gott]. Zusammenfassend stellt MS Zürich Or 157 fest, dass “[Wenn] ein Gerechter Gerechtigkeit heiratet, ist der Sohn [von 864 Wobei das zweite Wort ‫בק ֯ף‬, ֯ hier eingetragen als "[Kapitel]" nicht sicher zu lesen ist. In MS London 22413 wird im Folgenden nochmals Inhaltliches aus Rut 2 wiedergegeben, daher wird der Hinweis aus dem Kommentar in der Übersetzung als Kapitelangabe wiedergegeben. Zu bedenken ist hierbei jedoch, dass es im Haupttext keine Kapiteleinheiten gibt und die Vers- und Kapiteleinteilungen durch Erzbischof Stephan Langton von Canterbury (ca. 1155–1228, siehe Liss: Tanach. Lehrbuch. 2. Aufl. 2008, S. 7) für dieses MS nicht unbedingt vorauszusetzen sind.

15.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 4

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beiden] vollends gerecht.” Somit kann Oved als Sohn von Boaz und Rut auch als “Gerechter” bezeichnet werden.865 Abgeschlossen werden die Ausführungen über Oved als Name für das Kind zweier Diener Gottes mit einem Zitat aus Ps. 78,70, wo David ebenfalls als “Diener” [Gottes] bezeichnet wird: ‫“ ויבחר בדוד עבדו‬und er erwählte sich David, seinen Diener.”

Rut 4,18: Und dies sind die Generationen Perez’... MS Berlin 1221 schließt den Kommentar zum Buch Rut mit der Auslegung zu Rut 4,18 ab, indem die Frage aufgeworfen wird, weshalb an dieser Stelle die “Generationen” im Sinn von Nachkommen aufgeführt werden. Dies wird beantwortet, indem auf das Ergebnis von Ruts Handeln hingewiesen wird, genauer, auf den Zweck ihres Kommens, “um unter den Fittichen der Shekhina Zuflucht zu suchen” (‫לחסות תחת כנפי השכינה‬, vgl. Rut 2,12). Damit wird die Auswirkung ihres Hinzukommens zum Volk Israel nur sehr mittelbar ausgedrückt. Denn Rut wurde zur Urgroßmutter Davids, des späteren Königs von Israel. Somit resultiert aus Ruts Handeln auch das (spätere) “Königtum”. Im Kommentar wird dies bezeichnet als “Königtum der Gerechtigkeit” (‫)מלכות הצדק‬. Es wird ein Wunsch für die Zukunft geäußert,866 mit dem der Kommentar beendet wird: …‫מלכות הצדק שתפרח בימינו‬ “…das Königtum der Gerechtigkeit möge in unseren Tagen [wieder] aufblühen.” MS London 22413 geht ebenfalls am Ende des Kommentars zu Rut 4,18 auf ‫ ואלה תולדות פרץ‬Und dies sind die Generationen Perez‘ ein. Die Argumentation ist dabei vergleichbar mit MS Berlin 1221, wo inhaltlich die “Schutzsuche unter den Flügeln [des Ewigen]” hervorgehoben wird. Dabei verweist MS London 22413 – wie beim vorausgehenden Vers – auf Rut 2,12 und zitiert diesen in Teilen.867 Somit wird nochmals auf die “Segens-­Ansage” Boaz’ in Rut 2,12 verwiesen, die erfüllt ist, indem Rut Boaz als Ehemann bekommen hat. Interessant ist dabei, dass Boaz nun selbst der Ehemann Ruts ist und damit selbst seinen Segenswunsch in die Tat umsetzt. Der Kommentar endet mit einer verallgemeinernden Aussage. Hier wird die Quintessenz des Buches Rut auf eine breitere Basis gestellt, durch die sich jeglicher Rezipient des Kommentars angesprochen fühlen kann: ‫ומגן הוא לכל‬ …‫…“החוסים בו‬und er [der Ewige] ist ein Schild allen, die bei ihm Zuflucht suchen.” 865 Mit Mal. 3,18 kann auch Rut als Gerechte bezeichnet werden. 866 Wobei diese Zukunft wohl auch aus der Sicht des heutigen Lesers noch nicht angebrochen ist. 867 MT BHQ Rut 2,12: ‫ישלם יי' פעלך ותהי משכרתך שלמה מעם יי' אלהי ישראל אשר באת‬ ‫ לחסות תחת כנפיו‬Aus MS London 22413 zu Rut 4,18: ‫ושילם יי' פעלה ותהי משכורתה‬ ‫שלימה מעם יי' ֯אלהי ישר' אשר באת לחסות תחת כנפיו‬.

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15.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 4

Am Ende des Kommentars in MS London 22413 befindet sich in einem Kollophon der Hinweis, der den Kommentar Kara zuschreibt: ’‫חסלת מגילת רות’ פרישת‬ ‫[“ רבי יוסף קרא ז’ע’ ל‬So] endet die Buchrolle Rut, [mit der Auslegung von] R. Josef Kara, s[eligen] A[ngedenkens].” Die abschließenden Verse Rut 4,18 und 4,21 sind in MS Zürich Or 156 ausführlicher kommentiert. Zu Rut 4,18 wird RutR 8,4 zitiert, wonach jeder, der zweimal genannt wird, einen Anteil an der hiesigen sowie an der kommenden Welt habe. Diese Auslegung bezieht sich formal auf den Wortlaut des Bibeltextes, wo in der Auflistung der Generationen Personen doppelt genannt werden: Ein Name wird zunächst als Name des Sohns aufgeführt und dann nochmals als Name des Vaters des nächsten Sohnes genannt.

Rut 4,21–22: Und Salmon zeugte … Und Isai zeugte David. Hier kommentiert lediglich MS Zürich Or 157. Zunächst wird problematisiert, dass Salmo zunächst “Salmo” (Rut 4,20) und anschließend “Salmon” (Rut 4,21) genannt wird.868 Diese Auslegung basiert auf RutR 8,6 wonach bis Salmo die ‫סולמות‬, “Leitern” (übersetzt als “Stufen”), der Fürsten genannt werden und sich ab Salmon die Abstammungslinien zu den Königen anschließen. Somit wird die Schreibweise der Namen auf den weiteren Kontext der Bibel mit Schilderungen der Fürsten und Könige bezogen. Ein Zitat aus Ps. 40,8 schließt sich an, wo der Psalmist (und König) David sagt, über ihn sei “in der Buchrolle” geschrieben. Dieses Zitat findet sich auch in RutR 8,7. Diese Buchrolle wird nun in MS Zürich Or 157 namentlich bezogen auf das Buch Rut. Weiter geht MS Zürich Or 157 auf die Schreibweise von Namen in Rut 4,22 ein, hier auf die Schreibweise von Isai, das im biblischen Text mit Aleph geschrieben ist. So fragt der Kommentar “Weshalb ist in seinem (Namen) ein Aleph geschrieben?” – und gibt folgende Antwort: Weil (sich) die Lesart des Bibeltextes [in 1. Sam 17,12] auf ihn, auf Isai (bezieht) [und hier hingewiesen wird auf ‫האיש‬, “der Mann”, was im Hebräischen mit Aleph geschrieben wird]: Der Mann kam alt zu den Menschen (1. Sam 17,12).” Somit wird ein innerbiblischer Bezug hergestellt zu 1. Sam. 17,12, wo ein alter Mann auftritt. ‫“ איש‬Mann” wird im Hebräischen mit Aleph geschrieben, was die Argumentation mit Hinzuziehung von 1.Sam.17,12 schlüssig begründet.869 868 Aus MT BHQ Rut 4,20–21: ‫ שלמון הוליד את בעז‬:‫ונחשון הוליד את שלמה‬. 869 Bei der Recherche nach einer möglichen Quelle für diese Interpretation findet sich die Beobachtung, dass Isai in Rut 4,22 mit Aleph geschrieben wird (Formulierung in MS Zürich Or 157 ‫)דכתיב ביה בישי‬, in Responsa Project online nur im Pentateuch-

15.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 4

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Ferner geht MS Zürich Or 157 auf eine andere Eigentümlichkeit in der Schreibweise ein, und zwar bezogen auf das Buch Rut als Ganzes. Dabei wird eine Auslegung aus Midrash Rut Zuta 2,8 und Lekaḥ Tov zu Rut 2,9 wiedergegeben. Mit der Frage, die namentlich R. Ḥiyya bar Abba zugeschrieben wird, wendet sich auch der Kommentar in MS Zürich Or 157 seinem Ende zu, womit ein inhaltlich abgerundeter Abschluss erzielt wird. Dabei wird zunächst festgestellt, dass jeder Vers im Buch Rut mit dem Buchstaben Waw beginne, außer acht Versen, was eine bemerkenswerte Feststellung ist. Als Begründung wird auf “Kinder des Bundes”, d. h. Bundesangehörige Bezug genommen. Im Text ist diesbezüglich zwar nicht von der Beschneidung die Rede, jedoch kann die Zahl Acht in Verbindung mit der Thematik des Bundes gestellt und auf die Beschneidung bezogen werden.870 Somit wird die Zahl der Verse, die eine Ausnahme bilden, verglichen mit der Anzahl der Tage, die bzgl. des Bundes bedeutend sind. Die Erklärung für die Anapher mit dem Buchstaben Waw wird nun nicht mit einem Zahlenwert verbunden, sondern mit dem Wort “[W wie] Wehe für die Generation, deren [Anzahl] der Helden abnimmt”, ‫ויי לדור שגיבורין יורדין‬. Der Kommentar wendet sich weiterhin dem Buch Rut als solchem zu, indem ausgehend vom Inhalt festgestellt wird, dass sich darin keine Vorschriften für Rein- und Unreinheit befänden. So wird die Erörterung R. Seiras wiedergegeben, der danach fragt, weshalb das Buch dann überhaupt niedergeschrieben worden

kommentar des Baal Arbaa Turim. Dies kann aber nicht die Quelle des vorliegenden Kommentar sein, da Jakob ben Asher seinen Kommentar im 19. Jahrhundert schrieb und wohl eher vorliegenden Kommentar zur Grundlage hatte sowie aus ihm zitierte, nicht umgekehrt, vgl. Kupfer, Ephraim / Derovan, David: "Jacob ben Asher". In: Encyclopaedia Judaica 11, 2007, S. 30: "Jacob also wrote a comprehensive commentary on the Pentateuch (Zolkiew, 1806), containing the best expositions of the peshat ("literal meaning") by earlier Bible commentators, such as *Saadiah Gaon, *Rashi, Abraham *Ibn Ezra, David *Kimḥi, and others, in particular abstracting "the straightforward explanations" from the commentary of *Nahmanides and disregarding the kabbalistic ones, since "my soul has not entered its secret" (cf. Gen. 49:6)." [Baal Arbaa Turim d. h. Jakob ben Asher zugeschrieben; ‫– ויחי פרק‬ ‫בעל הטורים בראשית פרשת ויגש‬ ‫ ]מז‬zu Genesis, Parashat Wa-­Yiggash, Gen. 47: ‫ד"א מה יעקב לא הגיע לימי אבותיו אף דוד לא‬ ‫הגיע דכתיב ביה בישי (ש"א יז יב) והאיש בימי שאול זקן בא באנשים‬: Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 09.01.2013). 870 So verweist beispielsweise auch das volkstümliche Lied "‫ "אחד מי יודע‬zur Zahl acht auf die acht Tage der Beschneidung nach der Geburt: "‫…שמונה מי יודע? שמונה אני‬ … ‫ שמונה ימי מילה‬:‫ "יודע‬Der Text ist z. B. auf folgender Website mit musikalischer Darbietung zu finden (-: shironet.mako.co.il/artist?type=lyrics&lang=1&prfid=806 &wrkid=6302, Kurzlink: bit.ly/1VZb0Zr (Zugriffsdatum: 06.02.2016).

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15.  Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 4

sei. Die Antwort fällt dahingehend aus, dass damit “die Kraft der Barmherzigkeit” gelehrt werde (‫)ללמדך כח גמילות חסדים‬. Die Antwort beginnt mit ‫“ ללמדך‬um dich zu lehren”, womit der Rezipient direkt angesprochen wird.871 Abschließend wird danach gefragt, weshalb man diese Rolle zum Shavuot-­Fest lese, woraufhin die Antwort ebenfalls den Begriff ‫ חסד‬aufnimmt, was hier mit “Gnade” übersetzt wird: ‫ולמה קורין מגילה זו בחג שבועות שמגילה זו כולה חסד והתורה‬ ‫“ כולה חסד‬Und weshalb liest man diese Schriftrolle am Shavuot-­Fest? – Weil diese ganze (Schrift-)Rolle (voll von) Gnade ist. Und die ganze Tora ist (voll von) Gnade”. Ergänzt wird diese Aussage mit einem Zitat aus Prov. 31,26. Die Ausführung wird mit der Aussage abgeschlossen, dass sie, d. h. die Tora, “an Shavuot gegeben worden” sei: ‫וניתנה בשבועות‬. In der letzten Zeile von MS Zürich Or 157, Fol. 469 befinden sich zum Abschluss des Kommentars die Worte ‫חסלת ספר רות לר’ יוסף‬ ‫[“ קרא‬Hiermit] endet [der Kommentar zum] Buch Rut von R. Josef Kara,” womit der Kommentar als Ganzes namentlich R. Josef Kara zugeschrieben wird.

871 Vgl. RutR 2,14 (Ed. Lerner): ‫ לא איסור‬,‫ אין בה לא טומאה ולא טהרה‬,‫אמר ר' זעירא המגלה הזאת‬ ‫ ולא נכתבה אלא ללמדך כמה מתן שכר טוב לגומלי חסדים‬,‫ולא היתר‬. Quelle: Responsa Project online (Zugriffsdatum: 15.04.2010).

16. Resümee des Vergleichs der Kommentar-­ Fassungen zum Buch Rut Der ausführliche Vergleich der dargestellten Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut zeigt, dass nicht von einem einzigen Kara-­Kommentar gesprochen werden kann. Alle drei Versionen können Kara zugeschrieben werden.872 Neben unterschiedlichem Textumfang zeigen die verschiedenen Versionen verschiedene Eigenschaften in der Art ihrer Kommentierung: Während der Kommentar in MS Berlin 1221 sehr text-, und kontextnah argumentiert, steht bei der Version in MS London 22413 der Erzählzusammenhang im Vordergrund, auf den hin viele Erklärungen zielen.873 Die Kommentar-­Fasssung in MS Zürich Or 157 wiederum verwendet zur Texterklärung mehr Traditionsliteratur874 als MSS Berlin 1221 und London 22413 und zeigt Parallelen zu dem Kommentar zum Buch Rut auf, der Rashi zugeschrieben wird.

16.1. Zuschreibung an Kara Weshalb wird nun der vorliegende Kommentar Kara zugeschrieben, wenn doch v. a. Traditionsliteratur im Kommentar wiedergegeben wird? Die chronologische Folge der Texte, die bei der Erstellung der Kommentar-­Fassungen als verwendete Texte gelten mögen, stellt sich wie folgt dar: 1) Bibeltext, 2) Targum und Midrashim, 3) Rashi. Was ist “Karas Werk” in dem ihm zugeschriebenen Kommentar? Welche Rückschlüsse lassen sich auf den Zusammenhang dieser unterschiedlichen Ebenen ziehen? Die Überlegung, dass jeweils jene Traditionen im Kara-­Kommentar wiedergegeben werden, die sich sowohl in Rut Rabba als auch in Midrash Lekaḥ Tov bzw. Yalkut Shimoni finden, konnte nicht bestätigt werden. Festgestellt werden kann jedoch, dass Kara auch die Stellen wiedergibt, die in mehreren Quellen zu finden sind, was sich v. a. in der Edition von MS Zürich Or 157 zeigt. Dabei wird deutlich, dass er nicht nur aus Rut Rabba zitiert, sondern auch auf andere Quellen zurückgreifen konnte. Weiter führt dies zur Annahme, dass sein Kommentar jene Stellen aus der Traditionsliteratur wiedergibt,

872 Vgl. Abschnitt "Die drei Kara zugeschriebenen Kommentar-­Fassungen," S. 116. 873 Beispielsweise der Hinweis in MS London 22413 zu Rut 1,13 zu "gut gehen lassen" mit Bezugnahme auf die Zeit der Ehe Ruts und Boaz'. 874 Beispielsweise findet sich Traditionsliteratur gleich zu Beginn des Kommentars zu Rut in MS Zürich Or 157, wo zu Rut 1,1 RutR 1,4 im längeren Fortlauf zitiert wird.

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16.  Resümee des Vergleichs der Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut

die aus seiner Sicht am wichtigsten sind. Letzteres kann für Rashis Kommentar ausgesagt werden.875 Die Frage, warum vor allem MS Zürich Or 157 namentlich Kara zugeschrieben wird, kann mit der Annahme erklärt werden, dass Kara hier in der Tat auf Rashis Kommentar zurückgriff und diesen mit Hinzufügungen versah.876 Die Tatsache, dass der Kara zugeschriebene Kommentar in MS Zürich Or 157 zum Buch Rut viele Parallelitäten mit dem Rashi zugeschriebenen Kommentar aufweist,877 lässt schlussfolgern, dass beide Kommentar-­Texte miteinander in Verbindung stehen. So geht wahrscheinlich Rashis Kommentar dem Karas voraus. Damit könnten sowohl die Differenzen als auch die Gemeinsamkeiten von MSS Zürich Or 157 und New York 778 als Bearbeitungen erklärt werden. Jedoch kann hierbei nicht abschließend geklärt werden, wer derartige Änderungen oder Vereinheitlichungen vornahm: Einerseits könnte Kara (oder eine Gruppe, die ihm den Kommentar zuschrieb) den Kommentar Rashis überarbeitet haben. Andererseits könnte Rashi selbst (oder andere, die ihm den Kommentar zuschrieben) Variationen seines Kommentars erstellt haben. Diese Überarbeitungen als gesamtes Werk könnten dann später in MS Zürich Or 157 Kara zugeschrieben worden sein. So bleibt die Frage, weshalb die explizite Zuschreibung an Kara vorgenommen wurde, dennoch teilweise bestehen, da auch eine andere Urheberschaft verzeichnet hätte werden können. Die Aufnahme von Stellen aus der Traditionsliteratur im Kommentar von MS Zürich Or 157 passt in gewisser Weise zu einer Auslegungsart, die für Kara als charakteristisch gelten kann. Bezüglich Zitaten aus der Midrashliteratur “verwirft” Kara Haggadot in dem ihm zugeschriebenen Kommentar zu Rut eben nicht immer “mit aller Schärfe,”878 sondern verwendet sie selbst als Aussage zu be-

875 Hier wäre dieselbe Frage zu stellen, unter welchen Kriterien Rashi seinen Kommentar als Kompilation aus der Traditionsliteratur zusammenstellte. Dies wiederum kann nicht beantwortet werden, vgl. Kapitel "Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar," ab S. 390. 876 Zur Darstellung, Kara habe in Rashis Kommentar eingeschrieben, siehe beispielsweise Samuel Poznański: "Seinen Kommentaren hat Kara nach Geiger die Raschis zugrunde gelegt und ihnen nur seine eigenen Erklärungen angefügt, wie er überhaupt immerfort auf die Leistungen Rashis Rücksicht nimmt und sich ihnen anschließt. Doch ist auch hier vielleicht die Selbständigkeit Karas zu sehr herabgedrückt." Poznański: "Die nordfranzösische Exegetenschule", S. 393. 877 Vgl. MS Zürich Or 157 im Vergleich zur Abschrift von MS New York 778 im Editionsteil dieser Arbeit. 878 Dies wird beispielsweise von Poznański konstatiert, siehe Poznański: "Die nordfranzösische Exegetenschule", S. 394.

16.1.  Zuschreibung an Kara

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stimmten Stellen.879 Von einer “kritischen” Verwendung kann dabei jedoch nicht unbedingt gesprochen werden.880 Es bleibt festzuhalten, dass die Zuschreibung in MS Zürich Or 157 auf den ersten Blick nicht in das gängige Bild der Exegese aufgrund des wortwörtlichen Textsinnes passt, da darin viel Traditionsliteratur aufgenommen wird. Die Zuschreibung an Kara kann dennoch durch die oben dargestellte Verbindung zum und als Überarbeitungen des Rashi-­Kommentars erklärt werden. Weitere Ausführungen dazu im Kapitel “Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar”, zu Differenzen dieser Kommentare mit Blick auf Publikum, Lese- und Lernverhalten, im Kapitel “Sinn und Zweck der Kommentierung”.

879 Beispielsweise wird zu Rut 1,2 namentlich auf "Midrash Rut" Bezug genommen, wobei ohne Weiteres eine Auslegung von R. Meir und R. Jehosha Ben Karcha zitiert wird. Inwiefern die derartige Verwendung der Midrash-­Literatur aber im Kommentar zum Buch Rut über die Auslegungsart Rashis hinausgeht, ist nicht zu entscheiden, da die Abgrenzung des Kommentars Rashis von dem Karas nicht mit aller Sicherheit vorgenommen werden kann. 880 Anders die Darstellung Poznańskis zur Verwendung der Midrashliteratur bei Kara: "Er nimmt zwar auch Erklärungen des Midrasch auf, ist aber weit von der Harmlosigkeit Raschis, sie neben dem einfachen Peschat bestehen zu lassen, entfernt, hebt vielmehr die Allgemeingültigkeit der natürlichen Auffassung hervor." Siehe Poznański: "Die nordfranzösische Exegetenschule", S. 394.

17. Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur 17.1. Auslegungen in der Bibel und ihren Kommentaren Was für den biblischen Text gilt, gilt erst recht für seine Kommentare. Schon die Bibel legt sich selbst aus, in ihr sind Bezüge zwischen Bibelstellen erkennbar, auch wenn darin verschiedene Textarten aus unterschiedlichen Epochen enthalten sind. Dabei kann eine Unterscheidung zwischen “gesetzlichen” und “erzählenden” Teilen vorgenommen werden. Unterschiedliche Textsorten sind im biblischen Text zusammengeführt, neben Gesetzen und Erzählungen finden sich auch Auslegungen gesetzlicher und erzählender Texte.881 Teile, die im Bibeltext selbst als Auslegungen auftreten, können durch den Prozess der Weitergabe erklärt werden, wodurch der biblische Text anwuchs. Das Buch Rut gehört zu den erzählenden Teilen in der Hebräischen Bibel, kann aber auch als eigene Interpretation von existierenden Bestimmungen verstanden werden. Beispielsweise klingt die Vorschrift der Leviratsehe aus Dt. 25,5–10 sowie die “Lösung” aus Lev. 25,25 ff. in Rut 4,1–10 an. Die Umsetzung wird jedoch anders dargestellt, als im Pentateuch beschrieben. Weiter wird in Rut 4,7 eine Gepflogenheit explizit erklärt, um dem Rezipienten verständlich zu machen, was die Handlung der Protagonisten bedeutet: …‫… …וזאת לפנים בישראל‬und dies war früher in Israel üblich… Somit werden überlieferte Gepflogenheiten im Bibeltext direkt erklärt. Es kann angenommen werden, dass im Prozess der Textüberlieferung neben Erklärungen zum Erzählten auch Aktualisierungen hinzugefügt wurden. Diese Aktualisierungen können dabei verschiedentlich in den Text Eingang gefunden haben, sei es durch innerbiblische Bezüge oder Konkretisierungen dessen, was an einer Stelle steht.882 Ferner 881 Vgl. hierzu bspw. Fishbane: "Inner-­Biblical Exegesis", S. 33–48 incl. Literaturangaben. 882 Zur Darstellung von innerbiblischen Bezügen und Konkretisierungen im Bibeltext folgendes Beispiel aus dem Pentateuch, denn Bezugnahmen und Präzisierungen treten an verschiedenen Stellen der Bibel auf, keinesfalls nur für das Buch Rut: Gott gibt Abram, noch bevor dieser Kinder hat, in Gen. 15,13 bekannt, dass seine Nachkommen 400 Jahre in der Fremde geknechtet werden. Die Anzahl der Jahre wird in Ex. 12,40 mit 430 angegeben. Auch wenn die Zahlenangaben der Jahre variieren, ist festzuhalten, dass in beiden Fällen von mehr als 400 Jahren ‫[שלשים שנה ו]ארבע‬ ‫ מאות שנה‬die Rede ist. Weiter kann die Differenz an dieser Stelle mit anderen biblischen Angaben erklärt werden: Die Angabe aus Gen. 15 mit 400 Jahren kann auf die Knechtschaft, die Angabe 430 als die Gesamtzeit des Verweilens der Nachkommen Is-

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

können Erklärungen, durch einzelne Worte oder längere erklärende Passagen eingefügt worden sein.883 Im Bibeltext treten Übersetzungen auf,884 Rückgriffe auf umgebende Texte bzw. Intertextualität können ebenfalls in den biblischen Text aufgenommen worden sein.885 Ziel dieser Ausprägungen können ein leichteres Verständnis des Textes, Vergegenwärtigung seines Inhaltes oder bestimmte Interessen der Schreiber, z. B. Meinungsbildung und dergleichen gewesen sein.886 All diese Beobachtungen wurden und werden in der bibelwissenschaftlichen Forschung diskutiert.887

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raels in Ägypten bezogen werden: Hierbei lässt sich die Altersangabe aus Gen. 41,46 anführen, die besagt, dass Joseph mit 30 Jahren vor dem Pharao steht. Laut Gen. 45,6 kommen die Brüder Josephs im zweiten Jahr der Hungersnot zu ihm nach Ägypten – also neun Jahre nach der Vorhersage Josephs vor dem Pharao aus Gen. 41 (sieben Jahre des Überflusses und zwei Jahre Hungersnot). Joseph siedelt seine Sippe später, im Alter von ca. 40 Jahren, in Goshen an (vgl. Gen. 46). Nach Josephs Tod in Gen. 50 und der Schilderung in Ex. 1,8 f. mag also die Zeitspanne einer Generation von 30 Jahren hinzugerechnet worden sein. Die Differenz der 30 Jahre (400 in Gen. 15,13 statt 430 in Ex. 12,40) lässt sich damit durch den verschiedentlichen zeitlichen Bezugspunkt der Angaben von Jahresgesamtzahlen erklären. Bspw. wird das Königsgesetz in Dt. 17,14 ff. von Moshe vor dem "Einzug in das Land Kanaan" verkündigt. In 1. Sam. 8,10 ff. werden die Vorrechte des Königs jedoch als Königskritik von Samuel in Rama bekannt gegeben. Beide Ausführungen werden an verschiedenen Punkten der israelitischen Geschichte verankert und jeweils unterschiedlich akzentuiert. Z.B. im Buch Daniel, das Teile auf Hebräisch und Aramäisch enthält. Z.B. in den Prophetenbüchern. "Das Motiv des (assyrischen) Königs als der (zerstörerischen) Waffe der (großen) Götter […] gehört in den Vorstellungrahmen des Handelns der Götter durch den König als deren irdischen Stellvertreter. Die Bezeichnung […] wird bereits Salmanassar I., Tukulti-­Ninurta I., später auch Assurnasirpal II., Salmanassar III. und Asarhaddon beigelegt. […] Yesha'yahu wusste um diese Topoi und hat sie an dieser Stelle bewusst aufgenommen und verfremdet […]" Siehe Liss, Hanna: Die unerhörte Prophetie. Kommunikative Strukturen prophetischer Rede im Buch Yesha'yahu. (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 14). Evangelische Verlagsanstalt: Leipzig 2003, S. 151 f. Weitere Beispiele siehe z. B. Oeming, Manfred: Biblische Hermeneutik: Eine Einführung, 2. Aufl. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 2007, S. 33 ff. Hier sei z. B. nur kurz auf Julius Wellhausen verwiesen (Komposition des Hexateuch 1876–77; Prolegomena zur Geschichte Israels 1878), dessen Annahme und Datierung verschiedener Quellen des Pentateuch u. a. den Ausschlag zur Etablierung etlicher Hypothesen zur Entstehung des Pentateuch und der Bibel als Ganzes gaben. Er vergibt Siglen und Datierungen für verschiedene Quellen: JE "das jehovistische Geschichtsbuch" 10.–9. Jahrhundert v.d.Z.; J ("Jahvequelle"); E ("Elohimquelle")

17.1.  Auslegungen in der Bibel und ihren Kommentaren

359

Nun können diese Beobachtungen auch an den vorliegend behandelten Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut festgemacht werden: Innerbiblische Bezüge treten im Kommentar auf, wo Hinweise auf andere Textstellen gegeben werden, die nicht direkt im ausgelegten Text stehen, jedoch an ihn herangetragen werden können. Diese Verbindungen werden z. B. durch die Bezugnahme auf gleiche oder ähnliche Wortwurzeln an verschiedenen Stellen unabhängig des direkten inhaltlichen Kontextes hergestellt.888 Konkretisierungen dessen, was wortwörtlich im Text steht, werden geäußert.889 Die Kommentare geben Hinweise zum Erzählverlauf und zeigen somit, was eine Bibelstelle in ihrem erzählerischen Zusammenhang 8. Jahrhundert v.d.Z.; D (Deuteronomist) 7. Jahrhundert v.d.Z. sowie P ("Priesterkodex") 6. Jahrhundert als jüngste Quelle, da die Prophetie sie noch nicht kenne. Quellenbezeichnungen siehe Wellhausen, Julius: Prolegomena zur Geschichte Israels. Nachdruck 6. Ausg. von 1927. De Gruyter: Berlin 1927, S. 8, Anm. 2. Für eine Übersicht und Zusammenfassung v. a. der Pentateuchforschung vgl. bspw. Knauf, Ernst Axel, "Audiatur et altera pars. Zur Logik der Pentateuch-­Redaktion". In: Bibel und Kirche 53 (1998), S. 118–126 oder Rendtorff, Rolf: "Directions in Pentateuchal Studies". In: Currents in Research 5, 1997, S. 43–65. Weitere Übersichten finden sich in einleitungswissenschaftlichen Werken, z. B. Gertz, Jan Christian et al.: Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments. 4. Aufl. (UTB 2745: Theologie, Religion). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2010. 888 Vgl. z. B. MS Zürich Or 157 zu Rut 3,8, was aufgrund der Wortwurzel √‫ לפת‬mit Ri. 16,29 in Verbindung gebracht wird. 889 Hierbei lassen sich z. B. Hinweise auf die Lesart nach dem sog. peshat nennen. Z.B. wird der Begriff peshat in der Texterklärung des mit MS Berlin 1221 verglichenen MS Hamburg hebr. 32 zu Rut 1,1 und Rut 2,4 verwendet. In beiden Auslegungen wird jeweils zunächst eine Interpretation aufgeführt, die dann aber als "nicht ‫ פשט‬peshat" gekennzeichnet wird, MS Hamburg hebr. 32 zu Rut 1,1: ‫וילך איש עשיר גדול היה ופרנס‬ ‫הדור ויצא מפני צרת העין שהיתה עינו צרה בעניים הבאים לדוחקו לכך נענש' רבי' שלמ' ואיננו פשט‬ |‫כי לא מפני צרת (ה)עין יצא אלא מפני הרעב' כמ' דתמ' ותשב משד' מוא' כי שמע בשד' מוא' כי פקד יי‬ ‫" את עמ' לתת להם לחם' אלמ' חזינן שמפני הרעב יצא בשדה מואב‬Und ein Mann ging – Er war außerordentlich reich und ein Ernährer der Generation. Und er zog aus Geiz weg, denn er war geizig den Armen gegenüber, die kamen, um ihn zu bitten. Deshalb wurde er bestraft. [Das ist die Erklärung von] R. Shelomo. Aber dies ist nicht ‫ פשט‬peshat [wie der Bibeltext es beschreibt], denn nicht aus Geiz zog er weg, sondern wegen der Hungersnot, wie du [auch anhand des Verses] belegen kannst: Und sie kehrte aus dem Land Moab zurück, denn sie hatte im Feld Moab gehört, dass der Ewige sich seines Volkes angenommen hatte, um ihnen [wieder] Brot zu geben (Rut 1,6). [An dem,] was dort gesagt ist, sehen wir, dass er wegen der Hungersnot gegangen war." MS Hamburg hebr. 32 zu Rut 2,4: ‫ויאמר לקוצרים יי| עמכם׳ מיכן לימדונו רבות' דרך ארץ' ואיננו‬ ‫" ְפשַט‬Und er sprach zu den Schnittern: "Der Ewige [sei] mit euch" – Von hier haben

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

bedeuten kann.890 Kurze erklärende Einschübe, Glossen, werden zur Texterklärung zwischen Lemmata gestellt,891 des Weiteren verwendet die Auslegung des Bibeltextes ebenfalls längere erklärende Abschnitte und gibt Stellungnahmen der Kommentatoren wieder, die nicht direkt auf der Traditionsliteratur gründen.892 Zur Texterklärung wird außerdem auf Übersetzungen des Targum hingewiesen,893 ferner werden Begriffe in die nordfranzösische Sprache transkribiert, wobei es sich um die Aufnahme sog. Le’azim handelt.894 Ferner werden Rückgriffe auf die reale Umwelt geschildert.895

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unsere Lehrer uns den allgemein [üblichen] Brauch gelehrt (bBrachot 54a). Aber dies ist nicht ‫ פשט‬peshat." Zum Begriff peshat vgl. Kapitel "Peshat," S. 386. Hinweise auf den Erzählverlauf z. B. in MS London 22413 zu Rut 1,22 und Rut 2,1–5 mit Einordnung der im Bibeltext geäußerten Sachverhalte in "Handlung" und "Ereignis." Z.B. MS London 22413 zu Rut 3,14: …‫ אל יוודע' שילח אותה בטרם יכיר‬/'‫(פת') בלבו אמ‬ ֯ ‫וכך‬ ‫…" איש וכו‬Und so [ist die Erklärung aber folgendermaßen:] Er sprach in seinem Herzen: Es soll [bloß] nicht bekannt werden. [So] schickte er sie noch bevor ein Mensch [seinen Nächsten] erkennen konnte usw." Z.B. Aufnahme von längeren erklärenden Passagen MS London 22413 zu Rut 1,16–27 oder zu Rut 2,5. MS Berlin 1221 zu Rut 4,1: ‫ובועז עלה השער וישב שם' והנה הגואל עובר אשר דבר בועז‬ ‫ויאמר שובה שבה פה פלוני אלמו' אלמוני פת' יש לי לגלות לך דבר טמון וגלוי' ומכוסה' ודומה לו אל‬ ‫ מקום פלוני אלמוני תחנותי ומתר' ומתרגמינן יתכסי‬Und Boaz stieg zum Tor hinauf und setzte sich dort [hin], und siehe, der [andere mögliche] Löser kommt vorbei, über den Boaz geredet hatte. Und [Boaz] sprach: Komm zurück! Setze dich hierher, Peloni Almoni. ‫( אלמוני‬Almoni) [So-­und-]So  – [Dessen] Erklärung [ist]: Ich muss dir [folgende] Angelegenheit unterbreiten, sie ist verborgen und verdeckt und zugedeckt. Und diesem [Ausdruck] ist ähnlich an einem gewissen Ort einen Hinterhalt [legen] (2. Kön. 6,8). Und man übersetzt es [mit] "zugedeckt". ‫( אלמוני‬Almoni) [So-­und-]So – Wie ‫אלם‬ stumm, dass die Sache zum Verstummen und bis heute noch nicht wieder ans Licht gebracht wurde. Ms Berlin 1221, Fol. 260r, Col. 2, Zeile 7–8, zu Rut 2,19: ‫אשוב דיש‬ ֯ ‫ 'או‬Umschrift evtl. "Où ast guadigné, wo hast du verdient?" Siehe Jellinek: Commentarien zu Esther, Ruth und den Klageliedern 1855, S. 30. [Inhaltlicher Kontext in MS Berlin 1221: ‫אנה‬ ‫" 'עשית או אשוב דיש‬Und [nun sag schon,] wo hast du das gemacht? '‫ או אשוב דיש‬in der Übersetzung."] Vgl. Banitt, Menahem (Hrsg.), Le Glossaire de Leipzig: TEXTE, Bd. 3., Jerusalem: Académie Nationale des Sciences et des Lettres d'Israël 2001, Nr. 20912, S. 1618 f. Hinweise auf Gepflogenheiten oder Bezüge auf die reale Umwelt finden sich z. B. in MS Zürich Or 157 zu Rut 2,14 mit dem Hinweis darauf, "dass der Essig schön ist für [Erfrischung an Tagen mit Temperaturen von großer] Hitze….", vgl. bShab 113b. Weiteres siehe Kapitel "Hinweise auf Realia," S. 423.

17.2.  Sinn und Zweck der Kommentierung

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Die genannten Eigenschaften zeigen die vielfältige Art der Auslegung, wie sie in den Kara zugeschriebenen Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut vorliegt. Sie sollen im Folgenden Teil der Ausführungen sein, wobei zunächst im anschließenden Kapitel auf “Sinn und Zweck der untersuchten Kommentare zum Buch Rut, Publikum etc.” eingegangen wird. Ferner widmen sich die folgenden Kapitel den Themen “Zuschreibung von Kommentaren an andere Autoren” sowie “Kompilation.” Ganz besonders soll in einem weiteren Teil der vorliegenden Arbeit auf den Sachverhalt der “Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar” eingegangen werden. Da gemeinhin die Frage besteht, auf welchen Text der Hebräischen Bibel mittelalterliche Kommentatoren zugreifen konnten, ist dem “Bibeltext und seinen Fassung(en)” ebenfalls ein eigenes Kapitel gewidmet. Wie die Bibel selbst gehen auch ihre Auslegungen auf innerbiblische Bezüge ein und stellen sie in den Kommentaren dar. Diese innerbiblischen Bezüge werden in einem weiteren Abschnitt behandelt. Daran anschließend folgen weitere Ausführungen zu Le’azim, peshat, Targum sowie Hinweise auf Realia zum Inhalt haben.896 Die Eigenheiten mittelalterlicher Exegese werden im Schlussteil zusammengeführt.

17.2. Sinn und Zweck der Kommentierung Im Folgenden wenden wir uns dem möglichen Verwendungszweck der Bibelkommentierung zu, wie sie sich teilweise in den Kommentar-­Fassungen Karas zum Buch Rut zeigen. Daraufhin werden Vermutungen zu möglichen Zielgruppen und der Verwendung der verglichenen Kommentar-­Versionen gezogen. Teil dieses Kapitels sind Ausführungen zum Genre “Glossenkommentar” sowie die direkte Anrede des möglichen Rezipienten. Auch auf Hinweise zur Herangehensweise des Kommentators an den Bibeltext, seine Verwendung und Auslegungsart in den Kommentar-­Fassungen werden beleuchtet. Die Absicht eines mittelalterlichen Kommentars, wie er uns in Form einer Fassung zum Buch Rut vorliegt und Kara zugeschrieben wurde, könnte einerseits die Sammlung und Zusammenstellung von bestehenden Interpretationen der Traditionsliteratur gewesen sein. Das Ziel der Kommentierung liegt hierbei in der Zusammenfassung von Karas gesammelten Ausführungen. Dabei konnte 896 Die jeweils genannte Eigenschaft in der Auslegungsart wird in den betreffenden Kapiteln besprochen. Sofern es sich eignet, wird am Schluss der Darstellungen eine beispielhafte Liste mit Hinweisen auf die jeweilige Eigenschaft der Auslegungsart an einzelnen Stellen des Kommentars gegeben. Ausführungen zu diesen Stellen finden sich im Abschnitt "Vergleich der Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut."

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

Karas Kommentar selbst auf bereits zusammengestellte Literatur zurückgreifen, v. a. der Kommentar Rashis mit dem von ihm verwendeteten Midrashim etc. mag dabei als Grundlage gedient haben. Für die Version des Kommentars in MS Zürich Or 157 ist dies festzuhalten. Damit ist als erstes Ziel seiner Kommentarfassung die Kollektion von Traditionsliteratur als Ausgangspunkt für die Bildung eines Textkorpus festzuhalten. Solch zusammengeführte Auslegungen können später als Quellensammlung dienen, auf die der Kommentar in seiner weiteren Argumentation zurückgreifen kann. Andererseits könnte das Bestreben der Auslegungen auch eine über die Traditionsliteratur hinausgehende selbständige Interpretation des Inhalts des Bibeltextes gewesen sein. Diese Art von Kommentar kann sich der Traditionsliteratur zwar durchaus bewusst sein, muss sie aber nicht zitieren und keinesfalls zu einem Kommentar zusammenstellen, der nichts als Überlieferungen wiedergibt. Vielmehr kann solch eine Auslegung bspw. mit Hinblick auf den Gesamtzusammenhang andere Fragen nach Struktur und Aufbau des kommentierten Textes stellen, als sie etwa die Traditionsliteratur vorgibt. Derartige Erörterungen orientieren sich weniger an der hergebrachten Literatur, vielmehr können sie sich z. B. mit dem Zusammenhang des biblischen und literarischen Kontextes des auszulegenden Textes unmittelbar befassen. Diese Eigenart der Kommentierung findet sich in den Fassungen von MSS Berlin 1221 und London 22413. Während MS Berlin 1221 mehrere Stellen aus der Traditionsliteratur aufführt, kommt MS London 22413 mit weniger Zitaten aus, verweist aber auf den kontextlichen Zusammenhang verschiedener Stellen.897 Die Traditionsliteratur wird dabei als Ausgangspunkt zur Interpretation verwendet. Ausgehend von überlieferten Bibelauslegungen wird im Kommentar argumentiert und weitergedacht.

17.2.1. Zielgruppe und Verwendung der Kommentar-­Fassungen Die Strukturierung der Kommentar-­Fassungen mit Zusammenstellungen von Stücken aus der Traditionsliteratur kann sowohl Ausgangspunkt als auch Bezugspunkt für weitere Diskussionen in der Auslegung sein. Dies zeigt sich beispielsweise in MSS Berlin 1221 und Zürich Or 157. Zwar ist der einzelne Kommentar an und für sich selbst verständlich, für den mittelalterlichen Rezipienten ohne Vorkenntnisse könnte der angebrachte Kommentar jedoch nur mittelbar verständlich sein und sollte daher ausgelegt werden. Als Umgebungssituation der ausführenden Erklärungen kann der mündliche Vortrag angenommen werden. Hier können Gelehrte als Lehrende fungieren, die dem Publikum unklare Zu897 Z.B. MS London 22413 mit Verweis auf Zusammenhang zwischen Rut 2,14 und 2,18.

17.2.  Sinn und Zweck der Kommentierung

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sammenhänge überschaubar darstellen. Die vorliegenden Fassungen der Kara zugeschriebenen Ausführungen zum Buch Rut waren wohl nicht die erste Begegnung der Leser bzw. Rezipienten mit der Kommentarliteratur. Es kann angenommen werden, dass schon andere Kommentare als bekannt vorausgesetzt, ja sogar bekannt sein mussten, um den Kontext der im Kommentar wiedergegebenen Erklärungen v. a. bei kurz gefassten Wiedergaben der Traditionsliteratur in ihrem Kontext zu verorten und gedanklich weiterzuführen. Ohne grundlegende, einleitende Kenntnis biblischer Kontexte (und teilweise auch der Vorgehensweise in der Argumentation der Auslegung) sind Teile des Kommentars weniger leicht nachzuvollziehen. Fehlen beispielsweise Kontextbezüge von Mishna-­Stellen (wie mHag 3,1 in der Erklärung zu Rut 2,14 in MSS Berlin 1221 und London 22313) oder ist der biblische Kontext einer zur Texterklärung herangezogenen Bibelstelle nicht bekannt, sind manche Erklärungen nicht direkt für Einsteiger nachvollziehbar. Ist jedoch eine Grundlage im Umgang und Verständnis der Auslegungsliteratur gelegt, sind die Auslegungen durchaus auch für sich selbst verständlich. Alle drei vorliegenden Kommentar-­Fassungen eignen sich als inhaltliche Zusammenfassung einerseits für Lehrende, andererseits auch für Vorleser (die den Kontext dessen kennen sollten, was sie vorlesen) zur Vorbereitung im gemeindlichen Vortrag. Die Art der Lehre könnte dabei als Predigt oder gemeinschaftliche Textarbeit gestaltet sein. Bei der Textbesprechung könnte auch ein einzelner Passus aus dem Kommentar (etwa zu ausgewählten Bibelstellen) kontextunabhängig referiert werden, ohne dass der gesamte Kommentar zu Rate gezogen werden muss. Diese Möglichkeit der Verwendung von Auszügen könnte gleichsam als Vorzug eines Glossenkommentars898 angesehen werden. Weiter lässt sich auch der Entstehungshintergrund des Kommentars im Lehrbetrieb nachvollziehen, wo er entstanden und erweitert worden sein könnte. Somit können die Kommentar-­ Fassungen sowohl als Erzeugnis als auch als Grundlage für den Unterricht gelten. In keiner der vorliegenden Kommentar-­Versionen werden “apodiktische” Wahrheiten vermittelt (ähnlich von Dogmen oder “Glaubensgrundlagen”). Vielmehr werden durch die wiedergegeben Auslegungen mögliche Arten des Textverständnisses dargestellt. Ein Absolutheitsanspruch kann aus den Auslegungen nicht herausgelesen werden. Somit bekommt der Rezipient durch die Lektüre der jeweiligen Kommentar-­Fassung eine Auswahl von Interpretationen zur weiteren Diskussion über den Text. Derart könnte jede einzelne Kommentar-­Fassung als Lehrbuch oder Leitfaden gedient haben, beispielsweise für eine kompakte Vorbereitung des Textes in einem Lehrvortrag, verwendbar zum Lehren und Lernen in 898 Weitere Ausführungen zur Gattung des Glossenkommentar vgl. S. 364 ff.

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

der Gemeinde, oder für andere interessierte Rezipienten, die etwas mit traditioneller Auslegungsart anfangen können. Als Zielgruppe können dabei Rezipienten gelten, die schon mit Auslegungsliteratur vertraut sind. Keine der behandelten Kommentar-­Versionen eignet sich in erster Linie für das Bibelstudium, das sich lediglich an ein hörendes Publikum richtet. Die Ausführungen können teilweise erst mit Kenntnis des geschriebenen Wortes verstanden werden, v. a. dort, wo es um die Bedeutungsherleitung aufgrund von Wortwurzeln geht. So richten sich die Kommentar-­Fassungen an Rezipienten, die den Text lesen können. Als Rezipienten könnte zunächst ein wie immer gearteter Lehrkörper gelten, der einem (interessierten) Publikum etwas vermittelt. Weiter kann das Publikum als Empfänger der vermittelten Interpretationen durch einen Lehrer ebenfalls zum Rezipienten des Kommentars werden. Die Kommentar-­Fassungen richten sich in erster Linie nicht an Laien, die die überlieferten Zitate evtl. gar nicht kennen, sondern an ein Publikum, das schon teilweise mit Traditionsliteratur vertraut ist. Neben der ortsansässigen Gemeinde könnten jene Besucher, die für den halbjährlichen Markt nach Troyes kamen von den dargestellten Auslegungen profitiert haben. Somit könnten sowohl Rashi als auch Kara neben exegetischer Betätigung899 Lehrer gewesen sein. Hierbei könnte Rashi ggf. als Lehrer der “Fortgeschrittenen”, Kara für die “weniger Fortgeschrittenen” fungiert haben.900 Zusammenfassend können für alle drei Kommentar-­Fassungen also jene Lesende, sowohl Lehrende als auch Lernende, als Zielgruppe benannt werden, die Teile oder einführende Kenntnisse der Traditionsliteratur besaßen.

17.2.2. Entstehung des Kommentars als Glossenkommentar Alle drei Versionen der Kommentare zum Buch Rut sind Kompilationen. Diese Fassungen sind vor dem Hintergrund einer Lehrsituation zu verstehen.901 Dafür 899 Neben ihrem Gelehrtendasein und evtl. auch neben weiteren Berufen, vgl. Kapitel "Hinweise auf Realia," S. 423. 900 Vgl. Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 53 f. Die pädagogische Art in Rashis Kommentierung hebt auch Touitou hervor, vgl. Touitou: "Rashi and his School", S. 249. 901 Vgl. Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 53, sowie Hinweise zur Glossa Ordinaria in Smalley: The Study of the Bible in the Middle Ages 1952, S. 66: "The Gloss was a school book; the glossators were teachers; their practical needs and purpose are too remote for our judgement. The only opinions on the Gloss worth having come from their immediate successors, those masters of the later twelfth century who had to use it as a set text when they lectured to their pupils." Im Bezug auf die vorliegenden Kommentar-­Fassungen sind jedoch keine inhaltlichen, sondern lediglich äußere

17.2.  Sinn und Zweck der Kommentierung

365

spricht, dass der Text des Buches Rut verschronologisch kommentiert wird.902 Im Unterricht ist diese Vorgehensweise einerseits naheliegend, andererseits kann sich der lesende Rezipient des Kommentars leichter im Text orientieren.903 Die verschronologische Auslegung kann auch mit der Gattung des Kommentars als Glossenkommentar erklärt werden.904 Glossen sind meist kurze, erklärende Einschübe, die auch schon bei der Enstehung des biblischen Textes selbst angenom-

Merkmale, wie z. B. die Textanordnung der Kommentierung, für Vergleiche zur Erstellung von Kommentartexten in Manuskripten auf christlicher und jüdischer Seite möglich. 902 Vgl. dazu bspw. Anmerkungen zu MS London 22413 zu Rut 1,4, S. 219. 903 So ist auch eine christliche Glossensammlung "nach der Reihenfolge der biblischen Bücher und innerhalb eines Buches nach den im Text vorkommenden Wörtern geordnet. Auch dieses Werk ist somit nicht als Nachschlagewerk von Fall zu Fall, sondern als offen neben dem Bibeltext aufzugschlagendes Buch angelegt, dessen Erklärungen von Stelle zu Stelle nachzulesen sind." Siehe Germann: "Mittelalterliche Hilfsmittel zum Bibelstudium", S. 143. Zu Vorgaben von Vinzenz von Beauvais (1190–1264) zur Anordnungen von Kommentierungen: "[…] Vincent determined on clear methods of arrangement which would reduce the chances of such textual corruptions. If diverse sententiae pertain to a single materia, a titulus will guide the reader to the right place." Siehe Minnis, Alastair J.: "Late-­Medieval Discussions of compilatio and the Rôle of the compilator". In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 101, 1979, S. 393. 904 Zur Anordnung von Glossen hier die beispielhafte Darstellung der Glossa Ordinaria: "Nach unterschiedlichen Versuchen wurde es bei Abschriften Gilberts und des Lombarden üblich, den Bibeltext einspaltig in großer Schrift mit je einer Leerzeile Zwischenraum und daneben in kleinerer Schrift den Kommentar zu schreiben. War er für eine Spalte zu lang, wurde er in eigens dafür zwischen den Textzeilen freigelassenen Raum eingeschoben, so daß in jeder Spalte Schrift und Kommentar miteinander verbunden waren. Dieses 'System der alternierenden Zeilen' fand dann für alle glossierten biblischen Bücher Anwendung. Der Bibeltext wurde im Zusammenhang in großer Schrift und räumlich so angeordnet geschrieben, daß die Glossen dort, wo es erforderlich war, am Rand und zwischen den Zeilen eingefügt werden konnten. Text und Glosse waren damit aufs engste miteinander verbunden. Jede Glosse konnte genau dem Text zugeordnet werden, den sie erläuterte. Die ganze Buchseite bildete eine graphische und sachliche Einheit. Diese Rationalisierung der Anordnung vollzog sich in Paris während des letzten Viertels des 12. Jh. und wurde verbindliche Übung. Die Glosse hatte ihre feste Zuordnung zum Bibeltext gefunden." Siehe Smalley, Beryl: "Glossa ordinaria". In: Müller, Gerhard (Hrsg.): Theologische Realenzyklopädie 13. Gesellschaft, Gesellschaft und Christentum VI – Gottesbeweise. De Gruyter: Berlin 1984, S. 455.

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

men werden.905 Die Zusammenstellung der einzelnen Kommentarteile, und sei es lediglich die Zusammenführung aus kurzen erklärenden Glossen, lässt sich für hebräische Glossenkommentare kaum nachvollziehen, da sich diese Einfügungen heute v. a. im fortlaufenden Text befinden.906 Liegen uns aber glossierte Bibeln vor,907 handelt es sich bei den dort befindlichen Erklärungen – dies ist hier zumindest in Bezug auf die Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut festzuhalten – dennoch um fortlaufende Texte. Diese Texte müssen nicht die nicht unbedingt “originale” Niederschriften aus dem Unterricht wiedergeben, es kann sich auch um die Wiedergabe anderer Vorlagen oder um Ausführungen handeln, die schon vor der Zusammenstellung zum Gesamtkommentar vorlagen.908 Die Leserschaft hat also betreffend der Erklärungen einen längeren, aus verschiedenen Herkünften stammenden Text vor sich, den es zu erfassen gilt. Auch wenn die einzelnen Lemmata darin gekennzeichnet sind,909 kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass der Kommentar in erster Linie für Lese-­Anfänger gestaltet sein sollte. Für die Verwendung der Erklärungen, die vorgelesen wurden, ist der 905 Vgl. Fischer, Alexander Achilles: Der Text des Alten Testaments. Neubearbeitung der Einführung in die Biblia Hebraica von Ernst Würthwein. Deutsche Bibelgesellschaft: Stuttgart 2009, S. 214 f. 906 "The grammaticus, therefore, is a teacher who reads for (or even in front of) his audience. Glosses become 'written traces of a much fuller reading practice,' especially in public or semi-­public spaces like a 'classroom.' This correlation between glossa and classroom yields interesting insights with regard to the Northern-­French commentary tradition. However, a medievalist dealing with the Hebrew commentary literature is faced with the problem that we have very few glossed biblical manuscripts. As opposed to the extant Latin manuscripts, the Hebrew glossae that have come down to us in manuscripts are later copies from glossed Bibles." Siehe Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 50. 907 "However, there are fortunately several cases for which we have two or more manuscripts with more or less the same commentary, one as an isolated text, the other as glosses to a biblical manuscript. This is the case, for example, in MS Vatican ebr. 18, fol. 336r." Siehe ebd. Außerdem befinden sich auch in MS London 22413 sowie MS Prag XVIII F 6 Kommentare am Rande des Bibeltextes. 908 Gleiches ist auch bzgl. der mise-­en-page des Rashbam zugeordneten Kommentars in MS Wien 220 festzustellen, wo Glossen und fortlaufender Kommentar zu einem fortlaufenden Kommentar zusammengefügt werden: "A literary-­narrative agenda on the one hand and notes written down in the margins of a text on the other do not represent a contradicition in terms." Siehe Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 67. 909 Solche Kennzeichnungen der Lemmata finden sich beispielsweise in London BL Add. 26924 und MS Vatican 20.

17.2.  Sinn und Zweck der Kommentierung

367

vorgelesene Inhalt zwar sicherlich teilweise auch für Nicht-­Leser interessant, kann aber als lediglich gehörter Text ggf. nicht völlig erfasst werden.910 In jedem Fall wird der Rezipient der Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut direkt angesprochen, sei es als Lesender oder als Hörender. Durch die derartige Interaktion zwischen Text und Rezipient lässt sich jedoch keine definitive Kategorisierung der drei Kommentar-­Fassungen vornehmen, etwa als „Glosse“, im Gegensatz zu „Kommentar“ oder einer „eigenständigen Komposition“.911 Bei Verwendung dieser Klassifizierungen sind die vorliegenden Kommentar-­Fassungen sowohl als “Glossen” als auch als “Kommentare” zu bezeichnen, da sich die genannten Eigenschaften in allen Kara zugeschriebenen Kommentaren abzeichnet. Vor allem die vers-­chronologische Anordnung der Interpretationen ist charakteristisch für die genannten Rubriken. Durch derartige Überschneidungen der Begriff können die Kommentar-­Fassungen insgesamt als „Glossenkommentare“ bezeichnet werden. Eine „eigenständige Komposition“ findet sich darin durch die Zusammenstellung ausgewählter Zitate aus der Traditionsliteratur. Für die Interpretation des Textes der Kommentar-­Fassungen selbst, für den Inhalt, den sie in ihrer heutigen Form transportieren, ist die Frage nach der Art ihrer Zusammenstellung nicht vorrangig von Belang. Bezugnehmend auf das 910 Vgl. Reynolds, für die Glossen v. a. auch für "Nichtleser" da sind: "Being able to read in no way implies the capacity to record anything in writing … the kind of reader who would need the information embodied in the glosses, that is to say, grammatical information, is by definition the kind of reader who cannot write: someone who could write would, in terms of the twelfth-­century hierarchy of literate skills, have no need of such glosses." Reynolds, Suzanne: Medieval Reading. Grammar, Rhetoric and the Classical Text. (Cambridge Studies in Medieval Literature 27). Cambridge University Press: Cambridge 1996, S. 28 f. Hierbei ist auf jeden Fall Lesekundigkeit anzunehmen: "The ecclesiastical polemic against Judaism in the Carolingian period reflects the impression made on the environment by the fact that the Jewish householder, who partook in the religious life of the Synagogue, was neccessarily literate." Siehe Liebeschütz: "Relations between Jews and Christians in the Middle Ages", S. 43. Die Alphabetisierung mag von Ort zu Ort unterschiedlich angenommen werden, da Kommunen für die Ausbildung verantwortlich sind, vgl. Graboïs, Aryeh: "Ecoles et Structures sociales des Communautés Juives dans l'occident aux IX–­XII siècles". In: Gli ebrei Nell'alto Medioevo. (Settimane di Studio del Centro Italiano di Studi Sull'alto Medioevo XXVI). Presso la Sede del Centro: Spoleto 1980, S. 938. 911 "With regard to its communicative function, it is important to distinguish between a gloss or scholio-­commentary, and a commentary meant as an independent literary composition." Siehe Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 49. "Interlinear glosses mostly consist of short explanations of words or a mere translation of an idiom." Siehe Anm. 57, ebd.

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

Layout (mise en page) der Kommentarfassungen finden sich in den hier betrachteten Manuskripten keine erklärenden (kurzen) Glossen als optisch abgehobende Hinzufügungen am Rande der Kommentare.912 Der Vergleich des Textes der Kommentar-­Fassungen wurde daher auch so vorgenommen, wie sich die Kommentare als fortlaufende Texte darstellen.

17.2.3. Anrede des Rezipienten In den vorliegenden Kommentar-­Fassungen wird zur Argumentation stellenweise Midrash wiedergegeben, der mitunter als eine Art Antwort auf Fragen fungiert, die indirekt an den Text gestellt werden. Manchmal wird auch auf eventuelle Einsprüche Bezug genommen. Ein derartiger Einwand wird bspw. in MS Berlin 1221 und MS London 22413 mit ‫“ אם תאמר‬wenn du aber sagen willst”913 eingeleitet. Dabei ist die angesprochene Person der Auslegung einerseits der Rezipient des Kommentars,914 andererseits aber auch der im Kommentar auftretende Gesprächspartner in den Dialogen.915 Dabei fungieren die im Kommentar selbst gestellten Fragen als Einleitungen zu Erklärungen, die an Rezipienten gerichtet sein mögen.916 Die Auslegung bezieht sich im Vergleich zu den im Bibeltext auftretenden Aspekten teilweise auf weiterführende Themen. Durch die bereits angesprochene Aufführung des Midrash an anderen Stellen kann dieser gemeinhin als eine Art Antwort auf Fragen verstanden werden. Wie für den Midrash charakteristisch, werden im Kommentar, Lücken im Erzählverlauf gefüllt.917 Somit wird der auszulegende Text komplexer. Hierbei ist festzuhalten, dass im Kommentar lediglich die Inhalte oder die Handlung der midrashischen Darstellung zur Stelle angesprochen werden können und der direkte Erzählverlauf nicht unbedingt als “historische

912 Wie bspw. MS Wien 220, Fol. 15b, siehe vgl. Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 61 f. 913 Z.B. MSS Berlin 1221 und London 22413 zu Rut 2,8, wobei in MS London 22413 auch Pluralformen verwendet werden, ‫ אם תאמרו‬in der Erklärung zu Rut 2,9. 914 Vgl. MS Berlin 1221 zu Rut 3,17 und 4,15; MS London 22413 zu 2,9. 915 In MSS Berlin 1221 und London 22413 zu Rut 2,8 wird Rut von Boaz angesprochen, in MS London 22413 zu Rut 1,11 und 13 wendet sich Noomi an ihre Schwiegertöchter. 916 Vgl. Brin: Studies in the Biblical Exegesis of R. Joseph Qara 1990, S. 23. 917 Zur "Eigenart des rabbinischen Midrasch" vgl. Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrash 2011, S. 262 f. Sowie Deeg, Alexander: Predigt und Derascha: homiletische Textlektüre im Dialog mit dem Judentum. (Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie 48). Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2006, Kapitel "10. Der Kontext des Midrasch", ebd., S. 277 ff.

17.2.  Sinn und Zweck der Kommentierung

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Darstellung” angesehen werden muss.918 Weiter wird auch der Rezipient direkt angesprochen, stellenweise lässt sich durch die Formulierung einleitender Worte, z. B. in MS Zürich Or 157 zu Rut 1,16919 eine “Kommunikation” mit dem Rezipienten der Erklärungen aus den Kommentaren herauslesen.

17.2.4. Herangehensweise an den Bibeltext Die Auslegungsart aller drei Kommentar-­Fassungen kann wie folgt charakterisiert werden: Zum einen kann eine Art “erbauliche Aktualisierung”920 wahrgenommen werden, insofern der Rezipient die dargestellten Ereignisse des Bibeltextes, aber auch Auslegungen im Kommentar auf sich beziehen kann.921 Durch die Auslegung wird ein aktueller Bezug zwischen Leser und Kommentar hergestellt, neue Inhalte werden somit vermittelt. Diese aktualisierten Inhalte können sich auf den Bibeltext beziehen, auf die Zeit der Abfassung oder auf die vorhergehende, z. B. rabbinische Rezeption des biblischen Textes.922 Die Auslegung der mittelalterlichen Kommentar-­Fassungen richtet sich – wie jede andere Auslegung – nach 918 Letzteres ist dann bspw. für die Auslegung Rashbams zu verzeichnen, vgl. Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 184. 919 […] ‫" ומתוך דבריה שלרות אתה למד‬Und durch die Worte Ruts lernst du […]", siehe MS Zürich Or 157, Fol. 465, Zeile 13. 920 Zu "Grundprinzipien, die in 'Reinkultur' selten explizit anzutreffen sind […], die aber doch rabbinische Auslegung auch unausgesprochen bestimmen, selbst dort, wo oberflächlich betrachtet eine rein erbauliche Aktualisierung der Schrift ohne theoretischen Überbau vorliegt." Siehe Stemberger: "Vollkommener Text in vollkommener Sprache. Zum rabbinischen Schriftverständnis", S. 53. 921 Z.B. das Wohlergehen, das Rut verheißen wird, weil sie bei dem Ewigen Zuflucht sucht, vgl. Rut 2,12 mit Kommentar und Aufnahme von Rut 2,12 in MS Berlin 1221 zu Rut 2,11. 922 Z.B. Aussage zum Inhalt des Buches Rut, dass die ganze Tora ‫ חסד‬sei und das Buch daher aufgeschrieben wurde, obwohl es keine Richtlinien zur Reinheit enthält, vgl. Zitat aus MS Zürich Or 157 zu Rut 4,22. Die rabbinische Auslegung hat hier eine andere Fragestellung als die historisch-­kritische Methode oder die Suche nach einer "Intensio Auctoris": "Als von Gott nicht nur für eine bestimmte Zeit, sondern für die gesamte Weltzeit gegebene Offenbarungsurkunde kann die Bibel nicht auf einen bestimmten Augenblick der Geschichte hin gesprochen und formuliert sein. Daher hat auch die Frage nach dem ursprünglichen Sinn eines Textes keine Bedeutung, war dieser doch nur eine Facette des Textes, gleichberechtigt neben den ihm innewohnenden Möglichkeiten, die erst aufgrund späterer Lebensverhältnisse und Probleme relevant werden. Die Bibel ist immer relevant und muß daher nicht aktualisiert werden." Siehe Stemberger: "Vollkommener Text in vollkommener Sprache. Zum rabbinischen Schriftverständnis", S. 59.

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

“Grundprinzipien.”923 Verschiedene Lesweisen werden an den Text herangetragen, indem der Kommentar z. B. grammatische Beobachtungen924 oder innerbiblische Bezüge herstellt.925 Die genannten Eigenschaften stellen sich einerseits als Charakteristika des Midrash dar, wobei die untersuchten Kommentar-­Fassungen v. a. in MSS Berlin 1221 und Zürich Or 157 selbst auf die Midrashliteratur zurückgreifen. Andererseits spiegeln sich in den vorliegenden Kommentar-­Fassungen Aspekte der Hermeneutik wider, dem “Bemühen, die ‘Bedeutung der Worte’ der Bibel zu finden,”926 “die Kunst der Auslegung,”927 die mehr als eine Aussage beinhaltet und “die das Verständnis der Bibelauslegung und das damit zusammenhängende Selbstverständnis der auslegenden Gruppe betrifft.”928 In MS Zürich Or 157 zu Rut 1,16 f. zeigt sich beispielsweise mit der Bezugnahme auf 613 Mitzwot und die Konstruktion von Ruts Übertritt zum Judentum ein stark gruppenbezogener Fokus. Des Weiteren wird durch die Bezugnahme auf Gematria eine erstaunlich neue Bedeutung an das Wort “dein Volk” herangetragen.929 Neben der Verwendung von Midrashim ist als Eigenschaft der untersuchten Kommentar-­Fassungen ein Interesse am Bibeltext als Literatur festzuhalten. Beispielsweise steht für die nordfranzösische Schule v. a. der Wortsinn des biblischen Textes im Vordergrund des Auslegungs-­Interesses, was gegenüber der Traditionsliteratur als eigenständige Herangehensweise interpretiert werden kann.930 Dennoch tragen alle Kommentar-­

923 Für die rabbinische Auslegung ist dies ebenfalls festzuhalten, s. o., Anm. 920. Siehe Stemberger: "Vollkommener Text in vollkommener Sprache. Zum rabbinischen Schriftverständnis", S. 53. 924 Z.B. Erläuterung der Aussage aufgrund der Punktierung des Wortes ‫ השבה‬im Kommentar zu Rut 2,6. 925 Z.B. auf Gen. 48,7 im Kommentar zu Rut 1,3, wo Ephrat mit Beit Lechem identifiziert wird. 926 Siehe Oeming, Manfred. Biblische Hermeneutik: Eine Einführung 2007, S. VII. 927 Siehe Becker, Uwe: Exegese des Alten Testaments. 3. Aufl. Mohr Siebeck: Tübingen 2011, S. 136. 928 Siehe Liss: Tanach. Lehrbuch. 1. Aufl. 2005, S. 16. 929 Zürich Or 157 zu Rut 1,16 stellt dar, wie sich aus dem hebräischen Wort ‫" עמך‬dein Volk" der Zahlwert von 613 erschließen lässt. Ausgehend von Ruts Aussage …dein Volk sei mein Volk…, erfolgt die Berechnung des Zahlenwertes des Wortes ‫ עמך‬mit 613. Die Berechtnung ergibt sich wie folgt: 500≙‫ ך‬,40≙‫ מ‬,70≙‫( ע‬wobei "Kaf Sofit" nicht dem Zahlenwert des Kaf mit 20 entspricht, sondern als Endbuchstabe als 500 gerechnet wird), sowie die drei Buchstaben des Wortes ergibt insgesamt 613 (70+40+500+3=613). 930 Vgl. z. B. Liss, Hanna: "Peshat-­Auslegung und Erzähltheorie am Beispiel Raschbams". In: Krochmalnik, Daniel / Liss, Hanna / Reichman, Ronen (Hrsg.): Raschi und sein

17.2.  Sinn und Zweck der Kommentierung

371

Fassungen Traditionen weiter. Als Beispiel für die Verankerung der Auslegungen in der Tradition kann hier ebenfalls auf die 613 Mizwot hingewiesen werden, in diesem Fall jedoch nicht als Beispiel einer konkreten Auslegung, sondern im Sinne einer Voraussetzung von Bestimmungen, die als “festgesetzt” gelten mögen.931 Im Kommentar selbst werden jedoch keine Verordnungen in Form von Dikta oder ähnlichem geäußert. Des Weiteren ist auch keine antichristliche Polemik erkennbar, obwohl das in Anbetracht der Kreuzzüge im 11. und 12. Jahrhundert durchaus erwartbar wäre. Eventuell kann angenommen werden, dass das Zusammenleben zu jener Zeit in der direkten Umgebung (1100–1180 in Nordfrankreich) ohne bedrohliche Zwischenfälle war, so dass Polemik weniger direkt nahelag. Ggf. sind die Kommentar-­Fassungen Karas vor dem ersten Kreuzzug entstanden.932 Die Bibelauslegung dieser bedrohlichen Zeit könnte jedoch auch als abgeschirmter Bereich gelten, sozusagen als Rückzugsort abgeschottet von besorgniserregenden Ereignissen der Umwelt, als Zuflucht zu der eigenen Tradition und der eigenen Sicht auf die eigene Literatur: die Bibel mit ihren jüdischen Auslegungen. Insgesamt wird der Text sozusagen um seiner selbst willen ausgelegt. Dies lässt sich damit begründen, dass die jährliche Lesung des Buches Rut für das 11./12. Jahrhundert nachweisbar ist.933 Dabei unterscheidet sich die Auslegung zum Buch Rut von der Auslegung zu anderen Teilen der Bibel.934 Rut gehört zu den Megillot, wird zu Shavuot gelesen und ist somit Teil der Lesung in der Gemeinde. In gewisser Weise ist das Buch durch seine alljährliche Rezeption als “Festtagslektüre” auch “lebensnah”. Indem Megillat Rut (jedes Jahr) gelesen wird, entsteht neben Fragen zum Text, die immer wieder neu und an die jeweili-

931 932 933 934

Erbe. (Schriften der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg 10). Winter: Heidelberg 2007, bes. S. 102. Es kann angenommen werden, dass den 613 Mitzwot nicht widersprochen wird. Inwiefern sie als "Dogma" gelten könnten, ist an anderer Stelle zu besprechen. Hierzu zu bedenken ist die angenommene Lebenszeit Karas ca. 1055–1125 und die Datierung des ersten und zweiten Kreuzzuges 1096–1099 und 1147–1149, s. o. S. 36 und S. 45. Vgl. Stemberger: "Die Megillot als Festlesungen der jüdischen Liturgie", S. 245. Die Exegese unterscheidet sich insofern, als dass zum Buch Rut keine halakhischen Grundlagen diskutiert werden. Bspw. der Hinweis auf die Umgangsweise mit Konvertiten in MS Zürich Or 157 (mit Wiedergabe von bJeb 47b) ist weniger konkret. Weiter ist die Instruktion, man weise einen Kandidaten, der zum Judentum übertreten will, zunächst zurück, im Kontext der Kommentar-­Versionen eher theoretischer Art, denn für Handlungsrichtlinien für den Übertritt zum Judentum würde man wohl eher andere, halakhische Texte als die vorliegenden aggadischen Kommentar-­ Fassungen heranziehen.

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

gen Lebensumstände angepasst beantwortet werden wollen, das Bedürfnis nach immer neuen Auslegungen.935 Grundlegend lässt sich zusammenfassen: Die Bibel besitzt als Überlieferung eine vermittelnde Funktion.936 Zum Verständnis des Textes ist Auslegung nötig.937 Auslegung ist Arbeit mit dem Text, mit dessen Inhalt, in der jeweiligen Epoche, wobei Unterschiedliches in den Text hinein- oder aus ihm herausgelesen bzw. durch eine bestimmte Auslegung weitertransportiert wird.938 Durch die derart unterschiedlich entstandenen Textauslegungen, auch wenn sie etwa durch “Auslegungsregeln” begrenzt werden,939 ergibt sich eine Vielfalt an Verständnismöglichkeiten. 935 Über den immerwährenden Wunsch des Publikums nach neuen Geschichten, der Autoren Kopfzerbrechen bereitet vgl. bspw. Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 73 mit dem Hinweis auf den Dichter "Stricker" (ca. 1220–1250), vgl. ebd. 936 Schrift bedeutet dabei a) Schrift als Zeichenfolge; b) Schrift als geschriebener Textkorpus. Beides wird als "Heilige Schrift" tradiert. 937 Hierbei ist zu bedenken, dass Interpretation an vielem hängt, auch an marginal erscheinenden Dingen, z. B. an der Betonung von Worten. Auf die Bibel als Text bezogen könnten hier die Te'amim und Vokalisationen genannt werden, die eine lokale Aussprache festlegen und Sinn festsetzen, statt den Text in seinem Konsonantenbestand als "heiligen Text" zu belassen. Weiter lässt sich fragen, was das Heilige an einem "heiligen Text" sein soll. Etwa der Text als Konsonantenbestand oder hauptsächlich in seiner richtigen Aussprache? Oder das an den Text herangetragene "Heilige," also die Annahme, dass der Text "heilig" ist? Ausgehend von der Tradition als Hintergrund für die Bibel als Heiligen Text bedeutet dies, dass diese Annahme schon gesetzt sein muss, bevor der Text als "heilig" gesehen werden kann. In gewisser Hinsicht mutet dies nach einem Zirkelschluss an, aber hierbei kann Tradition helfen, bzw. die Annahme, in einer gewissen Tradition verortet zu sein und somit an Früheres anschließen zu können. Insgesamt ist dies eine Frage der Hermeneutik. 938 Die Textgestalt beeinflusst dabei den Inhalt, umgekehrt eher weniger ("Textgestalt" bezieht sich hier auf die "Ebene der Zeichen," nicht auf ein Genre). Auch wenn ein Text bei der Analyse bspw. mit der Frage nach Form, Inhalt und Pragmatik bearbeitet und nach all diesen Ebenen befragt wird, bestehen diese Ebenen nicht unabhängig voneinander. Inwiefern die genannten Parameter aufeinander Einfluss nehmen, vgl. z. B. Utzschneider / Nitsche: Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung 2001, S. 61. 939 Bzgl. der "hermeneutischen Regeln" ist festzuhalten, dass sie nicht als ausschließlich mögliche Auslegungslinien zu verstehen sind: "Gesammelt und von der Tradition mit etwa kanonischer Geltung ausgestattet, liegen diese Regeln vor als die '7 Regeln Hillels', die '13 Regeln R.Yishmaels' und die '32 Regeln R. Eliezers, Sohn des R.Yose Hagelili'. Es besteht kein Zweifel daran, daß es diese Regeln gab und daß sie angewendet wurden, als Sammlungen sind sie jedoch eher Fiktion, ein Versuch,

17.3.  Zuschreibung von Kommentaren an Autoren

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17.3. Zuschreibung von Kommentaren an Autoren In den vorliegenden Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut mag es stellenweise scheinen, dass sich Erklärungen nicht so recht in den Rahmen des biblischen Kontexts, in dem sie angebracht werden, einfügen wollen. Jedoch ist immer ein Bezug zwischen Kommentar und Bibeltext auffindbar, sei es durch die Wiedergabe von Traditionsliteratur oder durch eine bestimmte Art der Auslegung, die dem Kommentar in seinem Umfeld Geltung verschafft.940 Durch diese Bezüge verankert sich der Kommentar selbst in seiner (jüdischen) Umwelt. Im Falle der Kommentar-­Versionen Karas zum Buch Rut handelt es sich um Auslegungen zur Bibel. Der Kommentar erhält einen gewissen Stellenwert, indem ihm die Bibel als Heilige Schrift einen anderen Grad an Geltung verleiht. Somit ist der Kommentar etwas anders qualifiziert als Literatur, die nichts mit dem Bibeltext zu tun hat (und an dem sich die Schriftgelehrten wohl auch gar nicht abarbeiten wollten). Zudem erhält der exegetische Text durch die Traditionsliteratur, die er verwendet, seinen Stellenwert als Glied in der Weitergabe der Tradition und damit ebenfalls Autorität.941 Um Autorität zu behaupten, muss sich ein Text auf bereits Hergebrachtes beziehen. Hierbei ist zu bemerken, dass sich der Begriff “Autorität” mit “Auctoritas” in Beziehung setzen lässt,942 wobei “Auctoritas” be-

die vorfindlichen Regeln zu sammeln und zu beschreiben. Sie sind keineswegs ein Kanon der zulässigen Regeln. Tatsächlich wird eine sehr große Anzahl von Regeln verwendet, die niemals definiert wurden, und die wohl nicht einmal im Ansatz erforscht sind." Außerdem ist festzuhalten, dass allein die Anwendung einer Auslegungsregel nichts über die Unanfechtbarkeit der gefolgerten Aussage aussagt: "Es gibt selbstverständlich keinerlei Gewähr dafür, daß in einer MR eine Regel richtig oder zulässig angewendet wurde, so wie ja die Zulässigkeit ohnehin kontrovers sein kann. Sicherlich gibt es auch logisch fehlerhafte Anwendungen und zuweilen heiligt das Dictum die Regel." Siehe Goldberg, Arnold: "Die funktionale Form Midrasch". In: Frankfurter Judaistische Beiträge 10, 1982, S. 11 f. 940 V.a. in MS Zürich Or 157 ist hierbei auf die Verwendung der Midrashim zur Texterklärung hinzuweisen. 941 Vgl. Rouse, Richard H. / Rouse, Mary A.: "Ordinatio and Compilatio Revisited". In: Jordan, Mark D. / Emery, Kent (Hrsg.): Ad litteram. Authoritative Texts and Their Medieval Readers. (Notre Dame Conferences in Medieval Studies 3). University of Notre Dame Press: Notre Dame, IN 1992, S. 116. 942 So bezieht auch der Duden den Begriff "Autoriät" auf Hergebrachtes und definiert die Wortbedeutung wie folgt: "1. auf Leistung oder Tradition beruhender Einfluss einer Person oder Institution und daraus erwachsendes Ansehen 2. Persönlichkeit mit maßgeblichem Einfluss und hohem [fachlichem] Ansehen" und gibt als "Her-

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

sonders im Hochmittelalter als feststehender Begriff bezeichnet werden kann.943 In der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts und zu Beginn des 13. Jahrhunderts tritt der Begriff “Auctores” auf.944 Auch wenn der Inhalt des Bibeltextes durch seinen Kommentar variiert, also geändert und manchmal in seinem Sinngehalt “umgekehrt” scheint,945 ist der Kommentar doch Kommentar zum Bibeltext und damit selbst als Teil der Traditionsliteratur ernstzunehmen. Der Kommentar erhält also Ansehen durch den von ihm ausgelegten Text, durch die Heilige Schrift, auf der er basiert. Dabei wird der Bibeltext nicht als fiktiv betrachtet, sondern als normative Weisung verstanden, die teilweise mit eigenen Maßstäben auslegt wird.946 Dem widerspricht allerdings keinesfalls, die Bibel als Literatur zu verstehen und auch

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kunft" an: "lateinisch auctoritas", siehe www.duden.de/rechtschreibung/Autoritaet (Zugriffsdatum: 14.10.2013). "Auctoritas maßgebl. Ansehen, Autorität, als Beleg zitierter (maßgeblicher) Text u. a. […] In der lat. Dichtung treten seit der 2. Hälfte des 12. Jh. rhythm. Strophen, meist Vagantenstrophen, »mit A.« auf. Die A. ist hier ein Zitat aus einem der →Auctores (gelegentl. auch aus der Bibel), das als letzte Zeile die Strophe schließt (»Zitatgedicht«)." Siehe Bernt, G., "Auctoritas". In: Lexikon des Mittelalters. 10 vols. Verlag J.B. Metzler: Stuttgart [1977]-1999. Vol. 1, col. 1190. In: Brepolis Medieval Encyclopaedias – Lexikon des Mittelalters Online (Zugriffsdatum: 22.03.2016). "Auctores […] (seit 12./13. Jh. auch: actores), Urheber aller Art, Verfasser, Autoren von bes. Ansehen und Beweiskraft […], dann Textbücher, die dem Unterricht zugrundegelegt und vom »lector« (in der Vorlesung) erklärt werden (Grabmann, Scholastik 2, 421). Speziell: Autoren und Texte (bes. poetische), die den Gegenstand des Literaturstudiums (im Rahmen der Grammatik) bilden […]." Siehe Bernt, G. "Auctores". In: Lexikon des Mittelalters. 10 vols. Verlag J.B. Metzler: Stuttgart [1977]1999. Vol. 1, cols 1189–1190. In: Brepolis Medieval Encyclopaedias – Lexikon des Mittelalters Online (Zugriffsdatum: 22.03.2016). "Der Umgang der Rabbinen mit der Bibel mag vielfach willkürlich scheinen, ist jedoch an gewisse Regeln (middot) gebunden, welche die rabb. Tradition im Lauf der Zeit in Gruppen zusammengefasst hat, die sieben Regeln Hillels, die dreizehn Regeln Jischmaels und die 32 Regeln des R. Eliezer (ben Jose ha-­Gelili)." Siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 26 f. Rabbinische Auslegungsregeln vgl. ebd. sowie Anm. 939. Rabbinische Auslegungsregeln werden zur Auslegung des Bibeltextes verwendet, nicht für fiktive Literatur. "Zu einem großen Teil sind die rabb. Schriften aus dem Versuch erwachsen, die Tora als das Lebensgesetz des Judentums den sich wandelnden Lebensverhältnissen anzupassen. Diese Aktualisierung der Tora erfolgt in der 'mündlichen Tora', deren Entwicklung vor allem auch mit der Bibelauslegung verbunden ist, sei es in direkter Ableitung neuer Bestimmungen oder Vorstellungen aus dem Bibeltext oder in nachträglicher Rechtfertigung einer Aussage der Tradition durch eine bestimmte Bibelstelle." Siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 26.

17.3.  Zuschreibung von Kommentaren an Autoren

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als solche auszulegen. Denn der Auslegungshorizont der Bibel als Heilige Schrift muss in diesem Sinne nicht als eingeschränkt verstanden werden. Vielmehr kann sie, als Literatur betrachtet, in ihrem Sinngehalt weiter ausgeschöpft werden.947 Das heißt zusammengefasst ferner nicht “mit der Bibel lässt sich alles machen,” sondern mehr noch, was schon für die frühere rabbinische Auslegung gilt: “In der Bibel steckt schon das alles drin.”948 Damit lässt sich nun weiter erklären, dass in den vorliegenden Kommentar-­Versionen Hinweise auf den Erzählverlauf neben midrashische Auslegungen gestellt werden: Hergebrachte Auslegungsliteratur (zu Autoritätszwecken) wird neben (von Traditionsliteratur unabhängige) Hinweise zum Textverlauf gestellt.949 Somit erzielt der kompiliterte Kommentar als Gesamtwerk einen besonderen Geltungsanspruch. Verschiedene Ziele lassen sich mit dieser Zusammenstellung erreichen: Einerseits ist der Kommentar in der Tradition verankert und beruft sich damit auf Autorität. Andererseits ist dem eigenen Streben nach “Neuem” genüge getan indem die Bibel zwar nicht grundsätzlich auf eine Stufe wie profane Literatur gestellt wird, sondern auch (nicht weniger) wie solche untersucht werden kann.950 947 Dabei ist auf die grundlegende Voraussetzung der rabbinischen Bibelauslegung hinzuweisen, dass "der Text nicht nur einen einzigen Sinn hat. Die eindimensionale Auslegung von Qumran oder NT, die den einzig wahren Sinn eines Bibelverses zu erkennen sucht […] widerspricht der rabbinischen Auffassung des vollkommensten Textes, der die Bibel einmal ist. Zur Vollkommenheit gehört auch die Bedeutungsfülle." Siehe Stemberger, Günter, "Die Schriftauslegung der Rabbinen". In: Stemberger, Günter / Christoph Dohmen (Hgg.): Hermeneutik der Jüdischen Bibel und des Alten Testaments. (Kohlhammer-­Studienbücher Theologie 1,2). Kohlhammer: Stuttgart 1996, S. 81. 948 Auch diese Lesart der Bibel lässt sich in gewisser Weise auf die klassische rabbinische Herangehensweise beziehen, die sich findet in mAvot 5,22: ‫בן בג בג אומר הפוך בה והפוך‬ ‫ …בה דכולה בה‬Quelle: Responsa Project online (06.11.2013.) "Ben Bag Bag sagte: Drehe und wende [die Tora], weil alles in ihr ist…" Vgl. auch Stemberger, Günter: Midrasch. Vom Umgang der Rabbinen mit der Bibel. Einführung – Texte – Erläuterungen. C.H.Beck: München 1989, S. 25. 949 Vgl. z. B. alle drei Kommentar-­Fassungen zu Rut 2,14 mit dem Hinweis auf den in mHag 3,1 genannten Henkel eines Gefäßes. 950 Hier kann also ein Stück weit auch angebracht werden, was sich zu Rashbams Tora-­ Kommentar festhalten lässt, siehe Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 70 f. "Why does one write a biblical commentary? […] In contrast to a scientific approach towards biblical literature, a non-­academic commentary sets for itself a different target. Spiritual or pious exegesis emerges from a sociologically an ideologically well-­defined religious group, while at the same time seeking to provide this audience with further spiritual inspiration. […] In neglecting or occasionally refuting traditional rabbinic

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

Der Begriff “Autor” verbindet sich mit “Autorität”. Der Beginn der Autorenliteratur sowie der Kommentarliteratur lässt sich mit Raschi verbinden.951 Damit kommen wir zum Thema der Verfasserschaft und der Zuschreibung von Kommentaren an Autoren.952 Der Begriff “Verfasserschaft” deutet dabei an, dass wir heute nicht nachweisen können, welcher Textteil wirklich ursprünglich vom Verfasser selbst stammt,953 bzw. einem bestimmten Autoren erst in späterer Zeit zugeschrieben wurde, um sich auf seine Autorität zu berufen. Falls dies nachweisbar wäre, würde sich immer noch die Frage stellen, aus welcher Stufe der Textüberarbeitung eine bestimmte Stellungnahme rührt, ob es sich um eine am Anfang oder am Ende einer Texterarbeitung stehende Aussage handelt. Weiter können auch spätere Generationen, seien es Schüler oder (andere) Gelehrte, als Urheber von Überarbeitungen angenommen werden. Es mag sein, dass Kara seinen Kommentar zum Buch Rut im Lauf seines Lebens verändert hat. Es lässt sich

exegesis and at the same time taking up contemporary literary traditions, these exegetes strove for a rather profane interpretation of biblical texts." 951 "Vor allem mit RaShY beginnt nicht nur die Periode der exegetischen Autorenliteratur, sondern gleichzeitig die eigentliche Kommentarliteratur, bei der der biblische Text fortlaufend ausgelegt und damit bereits in ein Redaktionsverständnis von der Schrift und ihrer textlichen Abfolge vorausgesetzt (oder gar eigens diskutiert) wurde." Siehe Liss, Hanna, „ ‚Schrift ohne Tradition?' – Einige Aspekte zum Verständnis der Bibel im jüdischen Italien des 15. und 16. Jahrhunderts". In: Veltri, Giuseppe / Winkelmann, Annette: An der Schwelle zur Moderne. Juden in der Renaissance. (Studies in European Judaism 7). Brill: Leiden 2003, S. 54. 952 Hierbei lässt sich schon an dieser Stelle auf die Nennung von "Autoritäten" als "Autoren" in den frühen Midrashim hinweisen, wobei jener, der die Midrashim den Urhebern zuweist, eher als "Narrator" fungiert. Frühe Midrashim nennen noch Verfasser, im Gegensatz zu späteren Midrashim, die diese Zuordnung nicht mehr enthalten. Bei diesen "Autorennennungen" können Teile auch Urhebern zugeschrieben werden, denen etwas in den Mund gelegt wird, das sie so nie gesagt hatten. "In form, there is an increase in the type of aggadic work which does not belong to the genre of Midrash at all. This type is not a compilation but a unified work impressed with the seal of the author, who is a narrator but chooses to attribute his words to the ancients and to ascribe to them statements which they never made (see *Tanna de-­Vei Eliyahu). The increase of pseudepigraphic matter can also be seen in authentic Midrashim." Siehe Herr: "Midrash", S. 185. Hiermit zeigt sich die inhaltliche Verbindung zwischen Autor und Autorität. Bzgl. "Autor" weiter im Abschnitt zu "Kompilation," S. 381, weiteres zu Midrashim vgl. Kapitel "Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar," S. 390. 953 "…it is always difficult to ascribe with certainty a commentary to an individual author." Siehe Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 67.

17.3.  Zuschreibung von Kommentaren an Autoren

377

aber auch vermuten, dass ihm (Teile der) vorliegenden Kommentar-­Fassungen zugeschrieben wurden.954 Bei Erklärungen Karas und der Kommentarliteratur der nordfranzösischen Schule im Allgemeinen ist v. a. die Zuschreibung von Glossen an bestimmte Autoren problematisch,955 wobei sich Karas Ausführungen auch in jenen Kommentaren finden können, die anderen Exegeten zugeschrieben werden. Andererseits ist auch von Hinzufügungen anderer Exegeten in Karas Kommentaren auszugehen. So ist hier auch der Einfluss Rashis auf Kara festzustellen, was als Erklärung der Übereinstimmungen in ihrer Exegese genannt werden kann. Jedenfalls kann die Schlussfolgerung, dass Rashis Auslegungen seinen Nachfolgern zugänglich waren auch hierbei festgehalten werden.956 Ein Beispiel einer möglichen Hinzufügung in einer an Kara zugeschriebenen Kommentar-­Fassung zum Buch Rut findet sich in MS Zürich Or 157 zu Rut 2,6–7. Dort wird RutR 4,11 zur Texterklärung herangezogen.957 Hier ist zu bemerken, dass sich das Zitat von RutR 4,11 in MS Zürich Or 157 zu Rut 2,7 nicht im Rashi zugeschriebenen Kommentar in MS New York 778 findet. Weil dieser und andere Rashi zugeschriebene Textzeugen den Abschnitt aufführen, kann davon ausgegangen werden, dass die Verwendung von RutR 4,11 nicht original von Rashis erster Kommentar-­Fassung, sondern von einer späteren Phase der Überarbeitung des Kommentars stammt.958 Das Zitat aus RutR könnte als Überarbeitung des Rashi-­ 954 Auch das Arrangement einer Folienseite in einem Manuskripts ("mise en page") kann darüber Auskunft geben, ob mehrere Schreiber am Werk waren bzw. auf (sekundäre) Hinzufügungen zu schließen ist. Hinzufügungen, etwa in Form von Glossen, müssen aber nicht unbedingt auf den Autor als "Verfasser" der Anmerkungen verweisen. 955 Ausführungen dazu siehe "Entstehung des Kommentars als Glossenkommentar," S. 364. 956 Vgl. Japhet: "The Nature and Distribution of Medieval Compilatory Commentaries in the Light of Rabbi Joseph Kara’s Commentary on the book of Job", S. 101. Des Weiteren sind bspw. Glossen, die als Rashbams gelten evtl. auf Kara zurückzuführen: "Some of those glossae that are ascribed to Rashbam seem quite different from the printed version, and are even ascribed in other sources like to a different exegete like R. Joseph Qara." Siehe Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 61. Dazu ebd., Anm. 29: "See the first example given by Touitou, Exegesis in Perpetual Motion, 189–190 on Gen. 21:7. Here, Touitou argued that this comment was originally Qara’s, and had later been reworked and revised by Rashbam." 957 Ausführungen dazu vgl. "Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu Rut 2," ab S. 253. 958 "Je grösser Raschi's Ansehen war, um so vielfältiger musste er sich Interpolationen gefallen lassen; eine spätere Zeit trug gern ihre Glossen in ihn hinein, um ihnen durch diese Einmischung gleichfalls eine rasche Sanction zu verschaffen. Ein guter Raschitext ist noch immer erst von der Zukunft zu erwarten." Siehe Geiger: Parschandatha 1855, S. 18.

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

Kommentars ggf. von Kara in den Kommentar, den MS Zürich Or 157 wiedergibt, aufgenommen worden sein.959 Schon im 19. Jahrhundert sah man sich mit diesem Problem konfrontiert: Abraham Berliner stellt die Problematik der Zuordnung eines Kommentars an Kara ausführlich dar und nennt die damit verbundenen Schwierigkeiten: “Dukes, Kirchheim, Luzzato, Jellinek, besonders aber Geiger haben mit vielem Fleisse recht wesentliche Beiträge für eine nähere Kenntniss Kara’s und seiner Zeit geliefert. Doch ist eine kritische Sichtung des vorhandenen handschriftlichen Materials, welche erst feststellen wird, was Kara und was Anderen angehört, sie seine Arbeiten interpolirt oder excerpirt haben, noch von der Zukunft zu erwarten.”960 Will man also eine Rekonstruktion von Karas “originalem” Kommentar durchführen oder den “einen und einzigen” Kara-­Kommentar ausfindig machen, könnte dies aller Wahrscheinlichkeit nach zu Zirkelschlüssen führen, da zu viele unbekannte Variablen einzubeziehen sind.961 Festzuhalten bleibt, dass für die Interpretation der Fassungen eines Textes vorrangig ist, was sie in ihrer heutigen Form enthalten und welchen Inhalt sie transportieren. Somit behandeln die in dieser Arbeit dargestellten Beobachtungen den Inhalt des Textes, wie er heute vorliegt.

959 Vgl. hierzu Kapitel "Vergleich MS Berlin 1221 und MS London 22413 sowie MS Zürich Or 157," S. 210 mit dem Hinweis auf die Darstellung von zwei unterschiedlichen Kommentaren Karas zu den Schriften in Grossman: Early Sages of France 2001, S. 315. 960 Siehe Berliner: "Zur Schrift-­Exegese Joseph Kara's", S. 19. Weiter nennt Berliner bspw. die Edition von Hübsch, die nach einem Vergleich mit Jellineks Abschrift Kara zuzuschreiben sei, was dort aber nicht vermerkt werde. "Der Commentar zum Buche Rut bei Hübsch ist, soweit man aus den bei Jellinek unter dem Namen Josephs mitgetheilten Auszügen schliessen darf, Kara zuzuschreiben." Siehe ebd. S. 22. Hiermit bezieht sich Berliner auf die Edition, die auf einem Prager MS basiert. Hierbei ist gut möglich, dass Hübsch MS Prag XVIII F 6 verwendet hat für seine Edition: Hübsch, Adolf (Hrsg.): Die fünf Megilloth nebst dem syrischen Thargum genannt "Peschito," zum ersten Male in hebräischer Quadratschrift mit Interpunktation edirt ferner einem Kommentare zum Texte, aus einem handschriftlichen Pentateuch-­Codex der f.f. Univ. Bibliothekk zu Prag. Senders und Brandeis: Prag 1866. 961 Zu einem ähnlichen Problem bei der Zuschreibung eines Kara zugeschriebenen Kommentars zu Hiob, der evtl. Rashbams sei, vgl. Japhet: "The Nature and Distribution of Medieval Compilatory Commentaries in the Light of Rabbi Joseph Kara’s Commentary on the book of Job", S. 105.

17.4.  Bearbeitungsstufen eines Kommentars

379

17.4. Bearbeitungsstufen eines Kommentars Wie wir sahen, ist die Frage nach dem “Autor” kaum mit aller Sicherheit zu beantworten, da wir heute nur rekonstruieren können, wie die Zusammenstellung der Texte vonstatten ging. Wie auch die Hypothesen zur Entstehung des Pentateuch vielfältig und weiterhin erweiterbar sind,962 wird auch die Suche nach dem Autor des Kommentars nicht von unbedingtem Erfolg gekrönt sein. So lassen sich auch für mittelalterliche Kommentarliteratur eher “Redaktions-” oder “Bearbeitungsschichten” ausmachen, als dass man von “der einen und einzigen Person des Autors” sprechen könnte. Auch im Falle der Zuschreibung der behandelten Kommentar-­Fassungen an Kara kann einerseits davon ausgegangen werden, dass ihm bestimmte Bibel-­Auslegungen (mit verwendeter Traditionsliteratur) vorgelegen haben mögen, die sich auf einer bestimmten Bearbeitungsstufe befanden.963 Andererseits müssen die Kara zugeschriebenen Kommentare nicht aus seiner Feder stammen. Er selbst, seine Rezipienten in Form von Schülern oder anderen Bearbeitern mögen seinen Kommentar überarbeitet haben, womit es zu verschiedenen Fassungen “seines” Kommentars (oder seiner verschiedenen Kommentare) gekommen sein mag.964 Insgesamt kann also von einer nachträglichen Bearbeitung seines Kommentars ausgegangen werden, aber auch von einer nachträglichen Zuschreibung der bearbeiteten Kommentarfassung an Kara. Demnach könnte der Titel “Kara” auch als eine “Kompilationsstufe” bzw. Bezeichnung einer Entwicklungsphase betrachtet werden. Dies wäre eine zusätzliche Eigenschaft, die durch die Nennung Karas als Autor vermittelt wird, wie dies in MS Zürich Or 157

962 Vgl. z. B. Rendtorff, "Directions in Pentateuchal Studies". In: Currents in Research 5 (1997), 43–65. 963 Vgl. Ausführungen zu "Zuschreibung von Kommentaren an Autoren," S. 373 (s. o.). Zur Feststellung, dass Rashis Auslegungen seinen Nachfolgern zugänglich waren, vgl. Japhet: "The Nature and Distribution of Medieval Compilatory Commentaries in the Light of Rabbi Joseph Kara’s Commentary on the book of Job", S. 101. 964 Dies ist auf jeden Fall für den Kompilationskommentar in Hamburg hebr. 32 zu diskutieren. Wer diesen zusammenstellte, kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden. So wird der Kommentar zum Buch Rut in jenem MS z. B. als ein durch Rashi und Rashbam erweiterter Kara-­Kommentar dargestellt, vgl. Japhet: "The Nature and Distribution of Medieval Compilatory Commentaries in the Light of Rabbi Joseph Kara’s Commentary on the book of Job", S. 112 ff. Dabei ist jedoch der "Kommentar Karas" nicht als abschließender Entwicklungsstand anzusehen, sondern könnte weiter ausgeformt worden sein.

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

der Fall ist.965 Die namentliche Zuschreibung an Kara könnte damit einerseits als Autornennung, andererseits als seine (erweiterte) Kompilation von hergebrachter Literatur angesehen werden. Diese Stufe könnte chronologisch etwa als eine auf Rashi folgende Auslegung eingeordnet werden, wobei die Betitelung “Rashi” dabei ebenfalls als Bezeichnung einer Kompilation verstanden werden kann.966 In der vorliegenden Arbeit werden die verschiedenen Kommentar-­Fassungen synchron betrachtet, d. h. verschiedene Bearbeitungsstufen werden nicht voneinander getrennt, sondern so besprochen, wie sie sich in der heutige Form jeweils darstellen – als zusammenhängender Text. Dennoch ist es angebracht, die Problematik verschiedener Bearbeitungsschichten im Hinterkopf zu bewahren.967 Hierzu ist die Vorstellung des Konzepts „Kompilation” weiterführend.

965 MS Zürich Or 157, Fol. 462 und 469, siehe auch "Vergleich der Kommentar-­ Fassungen zum Buch Rut," S. 209 zur Zuschreibung der Kommentar-­Fassungen an Kara. 966 "Rashi's commentary turned into a compilation, and, in a certain sense, into an 'open book', a not yet canonized collection of interpretations that gained its authority not from the interpretation itself, but by the Jewish context given to it by Rashi, who already in his lifetime was a recognized halakhic authority." Siehe dazu auch Kapitel "Rashi as a Hebrew Glossa Ordinaria?" in Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 39–44, hier S. 44. 967 Als Beispiel dazu folgende Stellungnahme zu einer möglichen Vorgehensweise bei der Suche nach Bearbeitungsschichten. Bzgl. der Modelle zur Entstehung des Pentateuch wird hier ebenfalls auf den Unterschied von synchron und diachron hingewiesen, wobei weiter auf Blums Herangehensweise Bezug genommen wird: "The intention is not to 'divide' the texts into supposed earlier parts ('sources' or the like), but to understand their given shape as the result of a deliberate compository work. This shows an interrelation between synchronic and diachronic aspects. Blum is not interested in diachronic analyses as such, but he pays careful attention to the obvious signs of diachronic elements in the texts and he tries to understand the ways in which the text or the elements of tradition have been brought together." Siehe Rendtorff: "Directions in Pentateuchal Studies", S. 51. Ebenso wenig, wie die wichtigsten Säulen der Pentateuchforschung, die mit den Siglen J und P benannten Quellen sind (vgl. ebd., S. 53), soll auch die Zuordnung zu "dem einen Autor" nicht das tragende Fundament der Untersuchung des vorliegenden Kommentars sein. Auch wenn die namentliche Zuordnung an Kara Ausgangspunkt der hier behandelten Kommentar-­ Fassungen ist, soll vorerst weniger der Frage nach einzelnen Entwicklungsstufen nachgegangen werden. Vielmehr soll der Inhalt des Kommentars Priorität haben.

17.4.  Bearbeitungsstufen eines Kommentars

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17.4.1. Kompilation Für die Erstellung von Texten ist Kompilation im 12. Jahrhundert nichts Neues.968 Ein Kompilator stellt Schriften zusammen und bringt seine eigene Meinung nicht ein.969 Hierbei ist jedoch anzumerken, dass ein “Kompilator” schon durch die Art der Zusammenstellung verschiedener Textteile Einfluss auf den somit entstehenden Inhalt nehmen kann. Compilatio ist demnach mehr als “unkritisches Zusammentragen” oder “durch Zusammentragen unverarbeiteten Stoffes entstandene Schrift ohne wissenschaftlichen Wert,”970 was das Wort “Kompilation” heutzutage bedeutet. Ein Kommentator ist dabei vielmehr bestrebt, die Ansichten anderer zu erklären, fügt etwas von sich selbst durch Erklärung hinzu. Im Falle Karas kann 968 "Compilatio was not new: what was new was the degree of sophistication and refinement which the genre attained in the later Middle Ages." Siehe Minnis: "Late-­ Medieval Discussions of compilatio and the Rôle of the compilator", S. 387. Seit dem 9. Jahrhundert gibt es zwei Herangehensweisen für die Produktion von Text-­ Büchern, einerseits eine Hilfe zum Studium von "ausgewählten Extrakten" zu erstellen, oder andererseits eine relativ "unabhängigen Exegese" zu verfassen. Vgl. Smalley: The Study of the Bible in the Middle Ages 1952, S. 51. 969 Im 13. Jahrhundert unterscheidet der Theologe Bonaventura (1221–1274) zwischen "Scriptor" (Schreiber), "Compilator" (Kompilator), "Commentator" (Kommentator) und "Auctor" (Autor): "quadruplex est modus faciendi librum. Aliquis enim scribit aliena, nihil addendo vel mutando; et iste mere dicitur scriptor. Aliquis scribit aliena, addendo sed non de suo; et iste compilator dicitur. Aliquis scribit et aliena et sua, sed aliena tanquam principalia, et sua annexa ad evidentiam; et iste dicitur commentator, non auctor. Aliquis scribit et sua et aliena, sed sua tanquam principalia, aliena tamquam annexa ad confirmationem; et talis debet dice auctor." Siehe Minnis, Alastair J.: "Discussions of 'Authorial Role' and 'Literary Form' in Late-­Medieval Scriptual Exegesis". In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 99, 1977, S. 44. "Auf vier Arten kann ein Buch gemacht werden. Jemand, der nur schreibt und nichts hinzufügt noch ändert – der wird Scriptor (Schreiber) genannt. Jemand, der Fremdes schreibt und [dazu] hinzufügt, was nicht von ihm ist – der wird Compilator (Kompilator) genannt. Jemand, der schreibt und Fremdes und etwas eigenes hinzufügt, aber vor allem nur manchmal und manchmal Eigenes zu den Beweisen hinzufügt – der wird Commentator (Kommentator) genannt, nicht Auctor. Jemand, der etwas schreibt, was sein eigenes ist und fremdes, aber vor allem sein eigenes, und nur selten etwas zur Bestätigung hinzufügt – für den ist es passend, ihn Auctor (Autor) zu nennen." [Übersetzung der Verfasserin]. Der Schreiber soll demnach nur genau abschreiben, ohne den Text zu verändern. Zur inhaltlichen Bedeutung genannten Begriffe "Scriptor", "Compliator", "Commentator" und "Auctor" vgl. ebd. 970 Definitionen siehe Der kleine Duden. Fremdwörterbuch, Mannheim [u. a.]: Dudenverlag, 1991, S. 219.

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

als “Ansichten anderer” sowohl der Bibeltext, als auch dessen Auslegung in der Traditionsliteratur sowie v. a. Rashis Kommentar angeführt werden. Ein Autor schließlich schreibt selbstständig, kann sich bei seiner Bearbeitung aber auch auf den Stoff anderer beziehen, um das zu unterstützen, was er sagt. Die Zusammenstellung tradierter Texte erzeugt also eine neue Sicht der Dinge, eine Erweiterung des Verständnishorizonts.971 Gleichzeitig wird der hergebrachte Inhalt in einem Kommentar neu strukturiert und bearbeitet, also modifiziert wiedergegeben. Im Falle der vorliegenden Kommentar-­Fassungen bedeutet dies einerseits, dass das Lehrprogramm variiert aufbereitet wird.972 Andererseits wird die getroffene Auswahl an Midrashmaterial in einer Weise dargestellt, die Schülern oder anderen Rezipienten die Rationalisierung, Entfaltung, aber auch eine Vereinheitlichung von Bibel- und Midrashliteratur ermöglicht. Die Auslegung vollzieht sich auf der Basis sowohl rabbinischer auctoritas973 als auch ihrer Relation zur ratio des Auslegers, verallgemeinernd ausgedrückt: in Beziehung zum eigenen Verstand.974 Dies passt zum Verständnis des Mittelalters als distanz- und bruchloser Teil eines kulturellen Kontinuums, zu dem auch die Antike gehörte.975 In Bezug auf die vorliegenden 971 S. o., Anm. 968, loc. cit. Minnis: "Late-­Medieval Discussions of compilatio and the Rôle of the compilator", S. 387. 972 Sowohl die angesprochene Erweiterung des Interpretationsraumes einerseits, als auch die Einschränkung auf ein bestimmtes – anderes als das hergebrachte – Verständnis einer Bibelstelle andererseits, gilt im Hinblick auf das im Mittelalter geänderte Verständnis des Begriffs peshat, der von Rashi zu Gen. 3,8 verwendet wird. Hiermit muss der Inhalt der Erklärung aufgrund des peshat (und sei es auch i.S.v. "wortwörtlichem Verständnis") keine neue Herangehensweise der Texterklärung sein, sondern eine andere Sichtweise auf die tradierten Texte. Weiter zum Begriff "peshat" vgl. Kapitel "Peshat", S. 386. 973 Zu erinnern ist hier an namentliche Zuschreibungen an Rabbinen in der Traditionsliteratur. 974 "[Rashi] drew on the Talmud and the midrashim for almost all of his commentaries – these are the auctoritas. He followed a special path, however: first of all he carried out a very strict selection among the homiletic commentaries, a selection based on criteria of literal exegesis – this is the ratio; he later worked on these midrashim in order to extract from them a doctrine that would answer the needs of the time." Siehe Touitou: "Rashi and his School", S. 234. 975 Hier kann nur kurz die Fragestellung zu einem evtl. Kulturbruch bis zum Mittelalter angemerkt werden. Doch für "die Renaissance-­Humanisten war die Antike untergegangen und fern, war 'Alterität' geworden und mußte durch Rekonstruktion wiedergefunden, durch persönliche Anstrengung als ein historisches Gegenüber wiederbelebt und nahegebracht werden." Letzteres wird "Disjunktionsprinzip" genannt. Antike Form und antiker Gehalt sind dabei getrennt und entweder trete christliche

17.4.  Bearbeitungsstufen eines Kommentars

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Kommentar-­Fassungen ist der Stellenwert der rabbinischen Lehre noch unangefochten.976 Das Ziel ihrer Wiedergabe mag in der Aktualisierung der Interpretationmöglichkeiten religiöser Texte durch eine bestimmte Auswahl und ihrer neuen Formation liegen.977 Der kommentierte Bibeltext erhält also einen neuen Sinn durch den Kommentar, in dem neue Erklärungen und Traditionsliteratur zusammengeführt werden. Die Traditionsliteratur wiederum ist selbst ein zusammengestelltes Produkt. Der neue Sinn ergibt sich im Fall der Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut durch a) Rückgriff – mit Bezugnahmen auf Midrashim, die Lücken im Textverlauf füllen,978 b) Fortschreibung – als Erweiterung überlieferter Erklärungen in einem anderen Kontext979 und c) Ergänzung neuer Hinweise – zum Textverlauf als literarisches Gefüge.980 Die Anführung von Erklärungen anderer Exegeten aus dem Midrash981 bringen einen weiteren, teilweise neuen Sinn in das Verständnis des Textes. Durch die Aufführung von Interpretationen verschiedener Rabbinen wird die Vielseitigkeit der Bibelauslegung deutlich, das zeigt sich schon in der herangezogenen Midrashliteratur selbst. Im vorliegenden Fall stellt sich bzgl. des Begriffs der Kompilation weiter die Frage, ob es um zusammenhängende Kommentare oder nur um verschronologisch aufgereihte Erklärungen geht.982

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977 978 979 980 981 982

[oder religiöse] Thematik in antikem Gewand oder antiker Gedankengang in christlicher [religiöser] Aufmachung auf. Vgl. Moos, Peter von: "Das 12. Jahrhundert – eine 'Renaissance' oder ein 'Aufklärungszeitalter'?". In: Mittellateinisches Jahrbuch 23, 1991, S. 8. Es ist anzunehmen, dass sich der Ersteller der Texte dabei seiner Arbeit bewusst ist, was auch für die lateinische Compilatio gilt: "…the writer is conscious both of his special literary activity and of his distinctive literary rôle or stance as compilator. Whereas an auctor was regarded as someone whose writings had considerable auctoritas ('authority') and who bore the full responsibility for what he had written, the compilator roundly disclaimed responsibility for what he had merely reported or repeated (the usual verb is recitare) from his sources, the works of auctores." Siehe Minnis: "Late-­Medieval Discussions of compilatio and the Rôle of the compilator", S. 387. So ist nachzuvollziehen, dass Rashi bzgl. Gen. 3,8 darauf verweist dies oder jenes seien seine eigenen Worte, v. a. bzgl. der Stellen, die keine Erklärung bieten oder nicht mehr in den Kontext der Zeit passen. Vgl. Kapitel "Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar," S. 390. Z.B. MS Zürich Or 157 zu Rut 1,4 mit Bezugnahme auf bSan 55a. Vgl. MS London 22413 mit Darstellung des inhaltlichen Zusammenhangs, bspw. unter der Verwendung von …‫[" מוסב על‬Lemma] ist hinzugefügt zu…" bzgl. Rut 1,3.8.16–17 und 2,18. Z.B. in MSS Berlin 1221 zu Rut 2,7 oder Zürich Or 157 zu Rut 1,12. Vgl. Rouse / Rouse: "Ordinatio and Compilatio Revisited", S. 115.

384

17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

Es kann davon ausgegangen werden, dass es sich um Kompilationskommentare und weniger um strukturierte Sammlungen handelt.983 Weiter werden in den vorliegenden Kommentar-­Fassungen Rabbinen namentlich zitiert, jedoch werden nicht alle Kommentar-­Versionen als Ganzes Kara zugeschrieben, sondern lediglich MSS Zürich Or 157 und London 22413.984 Damit beansprucht zumindest im Fall von MS Berlin 1221 weder ein expliziter Autor noch ein Schreiber Autorität, indem er sich in den Kommentar einträgt. Die Texterklärungen werden allein jenen Exegeten zugeschrieben, die mit Namen genannt werden.985 Für die Entstehungszeit der Bibelkommentare, die mit Kara im 12. Jahrhundert in Verbindung gebracht werden, kann die Niederschrift der Traditionsliteratur also einerseits als eine “Neuerung” gelten (was für die Zusammenstellung von Anthologien986 im 13.–14. Jahrhundert sicherlich der Fall ist), da durch die Zusammenstellung von Texten Neues entsteht. Andererseits muss bzgl. des Bearbeitungsprozesses eines Kommentars als Zusammenstellung nicht unbedingt von “Neuerung” gesprochen werden. Die Sammlung hergebrachter Literaturen steht selbst in der Tradition einer Zusammenstellung von überlieferter Literatur. Kompilation kann in dieser

983 "…whether compilatio is a form, a process, or a principle." Siehe Rouse / Rouse: "Ordinatio and Compilatio Revisited", S. 116. Zum sich hier weiter anschließenden Thema der Midrash-­Anthologien vgl. Kapitel "Zusammenstellung der Midrashim zu Anthologien im Vergleich zu Erstellung eines Bibelkommentars" ab S. 397. 984 Auch im Fall des Kompilationskommentars zum Buch Rut in MS Hamburg hebr. 32 wird weder ein Autor noch ein Schreiber genannt, sondern lediglich die zitierten Ausleger Rashi, Rashbam und Kara. 985 MS Hamburg hebr. 32 betreffend könnte es sein, dass der Kompilator durch die Zusammenstellung der Kommentare etwas Neues aussagen wollte, was er selbst nicht äußern konnte, weil er keine Autorität hatte, oder weil das Neuartige nicht in die Zeit gepasst hätte. Er begibt sich also in den Schatten der Vorderen (Exegeten) und erkennt ihre Autorität voll an, benutzt sie aber eventuell auch, indem er seinen "eigenen" Kompilationskommentar zusammenstellt. "Such an interest in Scriptual compilationes must be related to the fact that the thirteenth century was the age of the compilatio, […]" siehe Minnis: "Discussions of 'Authorial Role' and 'Literary Form' in Late-­Medieval Scriptual Exegesis", S. 47. Weiter sah Nicolas von Lyre die biblischen Bücher Weisheit und Makkabäer als compilationes; außerdem die Psalter, Sprüche und die "Kleinen Propheten" als collections (Sammlungen), vgl. ebd. Wenn nun die Schriften der Bibel selbst als Sammlungen angesehen werden, ist es auch nur folgerichtig, dass im Mittelalter eine kompilationsartige Auslegungsstruktur entstehen musste bzw. schon entstanden war, um die Art der kompilierten Texterstellung überhaupt auf die Bibel anzuwenden. 986 Ausführungen zu Anthologien vgl. v. a. S. 393 ff.

17.4.  Bearbeitungsstufen eines Kommentars

385

Hinsicht als Methode der Erstellung von Traditionsliteratur verstanden werden,987 man denke an die Zusammenstellung von verschiedenen rabbinischen Aussagen, die z. B. im Midrash nebeneinander aufgelistet werden. Dabei ist die Vorgehensweise und das Ergebnis der Kompilation etwa als “Kompilierung” und “Kompiliertes” zu unterscheiden.988 In den vorliegenden Kommentar-­Fassungen haben wir es mit kompiliertem Textmaterial zu tun.989 Der Vorgang dessen Erstellung ist demnach als Kompilierung zu bezeichnen. Kara ist keinesfalls nur Schreiber, eher Kompilator990, auf jeden Fall Kommentator, aber noch nicht unabhängiger Autor.991 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Kara dennoch Teile all dieser Eigenschaften zugeschrieben werden können. In jedem Fall gilt für die vorliegenden Kommentar-­Fassungen ebenfalls, was als Leitgedanke anderer Werke festgehalten werden kann: “Irrtümer verbessern – Überflüssiges heraustrennen – Richtiges einschärfen.”992 So verwendet der “Peshat-­Mann Kara”993 in den hier behandelten Kommentar-­Versionen die Traditionsliteratur und führt sie mit seinen eigenen Überlegungen zusammen. Dem aus der Traditionliteratur stammenden Midrash wollen wir uns im Folgenden zuwenden. 987 Dies kann hier sowohl für die jüdische als auch für die christliche Auslegung gelten. "We do not find, as we did in the Carolinian period, an older generation devoting itself entirely to the task of compilation. The schools of Laon and Paris made a striking advance in both compilation and original work." Siehe Smalley: The Study of the Bible in the Middle Ages 1952, S. 51. 988 Diese Unterscheidung lässt sich vergleichen mit dem Begriff "Tradition" und seiner zweifachen Bedeutung einerseits als Traditio "Überlieferung", und Traditum "das Überlieferte", vgl. z. B. Fishbane: "Inner-­Biblical Exegesis", S. 33 f. 989 Das kompilierte Textmaterial wird in der vorliegenden Arbeit "Kompilation" genannt. 990 Kara bringt jedoch seine eigene Meinung mit ein, s. o., vgl. Minnis: "Discussions of 'Authorial Role' and 'Literary Form' in Late-­Medieval Scriptual Exegesis", S. 44. 991 Zumindest nicht nach Bonaventuras Darstellung, die um mehr als ein Jahrhundert nach Kara anzusetzen ist (Bonaventura, 1221–1274; Kara ca. 1055–1125), und auch nicht nach dem Verständnis eines "Schöpfergeistes," "creative genius," siehe Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 37. Vgl. dort auch zu der Problematik des Vergleichs zwischen hebräischen und lateinischen Literaturen und den eben genannten Bezeichnungen: "Following Leopold Zunz, Abraham Berliner refers to R. Joseph Qara as a 'glossator,' an 'editor,' or an 'exegete.' As far as I could determine, Qara never referred to himself as a 'sofer.‘ ” Siehe ebd., S. 38. 992 Hier bzgl. Habranus Maurus, als Folgerung aus Admonitio generalis. Siehe Heil, Johannes: Kompilation oder Konstruktion? Die Juden in den Pauluskommentaren des 9. Jahrhunderts. Hahnsche Buchhandlung: Hannover 1998, S. 26. 993 Ausführungen zum Begriff "peshat" vgl. Kapitel "Peshat", S. 386 ff.

386

17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

17.5. Peshat In mittelalterlichen Kommentaren, die Rashi oder Kara zugeschrieben werden, tritt stellenweise der Terminus ‫ פשט‬peshat für eine textorientierte, wortwörtliche Auslegung auf. Textorientierte Auslegung kann auch dann vorliegen, wenn der Begriff peshat nicht explizit verwendet wird. Der Begriff peshat ist mehrdeutig. Er bezieht sich auf den primären Sinn bzw. den mehr oder weniger direkten Kontext des Bibeltextes, ohne zwingend Interpretationen aus der Traditionsliteratur zur Erklärung heranzuziehen.994 In den für die Edition verwendeten Grundhandschriften der Kommentar-­Fassungen kommt ein Verweis auf peshat als Terminus zur Auslegung nicht vor. Lediglich in dem mit Berlin 1221 verglichenen MS Hamburg hebr. 32 findet sich ein Hinweis auf eine Auslegung des peshat. In MSS Berlin 1221 und London 22413 wird zwar das Wort ‫ פושט‬zur Texterklärung verwendet, jedoch dort in seiner konkreten Bedeutung (siehe dazu weiter unten). Dennoch sei hier auf die unterschiedliche Bedeutung des Begriffs ‫ פשט‬peshat als Mittel zur Textauslegung in der Antike gegenüber seiner Verwendung im Mittelalter hingewiesen: “Auch der peshat ist in talmudischer Zeit nicht der einfache Wortsinn, sondern vielfach nur eine durch lange Tradition oder Lehrautorität geheiligte Meinung,” so Stembergers Darstellung.995 Im Mittelalter wird peshat zu einer Alternative zu midrashischen Erklärungen, so kann peshat im Kommentar zum Buch Rut in MS Hamburg hebr. 32 als textzentriertes Verständnis des Bibeltextes in seinem Erzählverlauf interpretiert werden.996 Für die Bibelexegese des Mittelalters lässt 994 Zur Definition vgl. u. a. Harris: "Concepts of Scripture in the School of Rashi", S. 104 ff. 995 Siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 259. Bacher verweist auf ‫ פשט‬peshat im Rahmen des Rezitierens in der Liturgie als "das einfache, einmalige Recitieren" im Gegensatz zu ‫ כפל‬als das "doppelte Recitieren." Siehe Bacher: Die exegetische Terminologie der jüdischen Traditionsliteratur 1899, S. 85 f. 996 MS Hamburg hebr. 32 zu Rut 1,1 mit der Kontroverse zwischen Rashis Auslegung und der seines Enkels Rashbam: Manuskript Hamburg hebr. 32 zu Rut 1,1–3. Fol. 83r, Col. 1, Zeile 31 ff. ‫וילך איש עשיר גדול היה ופרנס הדור ויצא מפני צרת‬ ‫העין שהיתה עינו צרה בעניים הבאים לדוחקו לכך נענש' רבי' שלמ' ואיננו פשט כי לא מפני צרת‬ '‫(ה)עין יצא אלא מפני הרעב' כמ' דתמ' ותשב משד' מוא' כי שמע בשד' מוא' כי פקד יי| את עמ‬ ‫( 'לתת להם לחם' אלמ' חזינן שמפני הרעב יצא בשדה מואב‬Rut 1,1) Und ein Mann ging – Er war außerordentlich reich und ein Ernährer der Generation. Und er zog aus Geiz weg, denn er war geizig den Armen gegenüber, die kamen, um ihn zu bitten. Deshalb wurde er bestraft. [Das ist die Erklärung von] R. Shelomo. Aber dies ist nicht ‫ פשט‬peshat [wie der Bibeltext es beschreibt], denn nicht aus Geiz zog er weg, sondern wegen der Hungersnot, wie du [auch anhand des Verses] belegen kannst: Und sie kehrte aus dem Land Moab zurück, denn sie hatte im Feld Moab gehört,

17.5. Peshat

387

sich also der Begriff peshat von seiner Grundbedeutung her als “ausstrecken, geradestrecken” verstehen.997 Die Bedeutung des hebräischen Wortes peshat als “ausstrecken” wird auch in MSS Berlin 1221 und London 22413 verwendet: Dort wird im Zusammenhang mit Rut 3,8 erklärt, dass Boaz beim Aufwachen in der Nacht auf der Tenne seine Arme und Beine ausstreckt, was als allgemeine Gewohnheit dargestellt wird. Durch die Verwendung von ‫“ פושט‬er streckt aus” wird der Begriff (hier natürlich) nicht als Mittel zur Auslegung von Literatur verwendet. Vielmehr bedeutet ‫ פושט‬hier ein ganz praktisch zu verstehendes Ausstrecken der Gliedmaße. Auch wenn hier zur Stelle eine physische Erklärung gegeben wird, ist die Verwendung des Begriffs ‫ פושט‬dennoch erstaunlich. Das Wort wird also auch in seiner konkreten Grundbedeutung verwendet. In der Erklärung zu Rut 3,8 wird auf die konkrete Bedeutung des Wortes “peshat” (√‫ )פשט‬Bezug genommen: ‫“ הוא פושט ידיו ורגליו‬und er streckt seine Arme und Beine aus”. Im Hinblick auf die Auslegung in MSS Berlin 1221 und London 22413 zu Rut 3,8 lässt sich also auf ein textbezogenes Verständis schließen, das den Vers in seinen erzählerischen Kontext, nämlich des Aufwachens von Boaz auf der Tenne stellt. Aus MS Berlin 1221 zu Rut 3,8: ‫וילפת‘ לשון פישוט ידים ורגלים ולשון עיקום כמנהג אדם שניעור משנתו פושט ידיו ורגליו ומניקם לכאן‬ ‘‫ולכאן‬ Und er beugte sich vor – ein Ausdruck [für das] Ausstrecken von Armen und Beinen und ein Ausdruck für Biegen, wie es die Gewohnheit eines Menschen ist, der von seinem Schlaf erwacht: Er streckt seine Arme und Beine aus und beugt [sie] hierhin und dorthin.

Aus MS London 22413 zu Rut 3,8: ’‫וילפת’ כל אדם הניעור משנתו הוא פושט ידיו ורגליו ועוקמן ומושכן אליו ופושטן‬ Und er beugte sich vor. Jeder Mensch, der von seinem Schlaf aufsteht, der streckt seine Arme und Beine aus und krümmt sie und zieht sie an sich, und streckt sie [danach wieder] aus.

dass der Ewige sich seines Volkes angenommen hatte, um ihnen [wieder] Brot zu geben (Rut 1,6). [An dem,] was dort gesagt ist, sehen wir, dass er wegen der Hungersnot gegangen war." Siehe auch Anm. 889, S. 359. Zu Rashis Verwendung des Begriffs peshat s. o., vgl. Anm. 972, S. 382. 997 Derart bezeichnet auch Bacher ‫ פשט‬als "(eig. ausstrecken, geradestrecken), den Bibeltext auslegen, ihn zum Behufe seines Verständnisses durchnehmen. studieren. [sic]" Siehe Bacher: Die exegetische Terminologie der jüdischen Traditionsliteratur 1905, S. 170.

388

17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

Dieser Vers wird somit “zweifach” in seinem wortwörtlichen Sinn des biblischen Zusammenhangs verstanden: 1) als Ausstrecken der Gliedmaßen, 2) als wortwörtliche Bedeutung des Textes. Weiter steht in Rashis Texterklärungen derash neben peshat, wobei derash im Mittelalter in Bezug auf homiletische Auslegung so verstanden werden kann wie peshat in gewisser Weise zu talmudischer Zeit.998 Peshat kann in Bezug auf die antike Herkunft des Begriffs auch als “wieder-­entdeckt” bezeichnet werden.999 Die nordfranzösische Exegese bedient sich einerseits der hergebrachten Literatur und verwendet sie als derash, der sich in erster Linie nicht auf den konkreten Wortsinn bezieht.1000 Daneben sieht sie den Bibeltext “analytisch”. Durch die Verwendung von peshat zur Auslegung anderer Stellen ist der Fokus auf die konkrete Bedeutung des Bibeltextes, der als Literatur betrachtet wird, nachvollziehbar und kann als “rationale” Herangehensweise bezeichnet

998 Zur These, peshat als polemische Interpretationsart zu verstehen vgl. Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 15–21 wonach Polemik nicht der Hauptimpuls für die peshat-­Exegese gewesen ist. Anders bspw. Rosenthal, der peshat als Polemik, d. h. als direkte Antwort auf den christologischen Angriff sieht, dessen Sinngehalt außerdem nicht als "rationalistisch" dargestellt werden solle: "It is well known that the close attention to grammar and lexicography from Gaon Sa'adya onwards enabled medieval Jewish commentators to get at the peshat, the natural, plain, simple meaning of Scripture, not as is sometimes stated, the rationalist meaning. Logical or rational this exposition is, but not rationalistic in the philosophical sense of the term." Siehe Rosenthal, Erwin I.J.: "Anti-­Christian polemic in medieval Bible Commentaries". In: Journal of Jewish Studies 11 (3–4), 1960, S. 115–135, hier S. 117 f. In den vorliegenden Kommentar-­Fassungen lässt sich keine anti-­christliche Polemik ausmachen, daher sei diesbezüglich nur auf die mögliche These verwiesen. 999 Zur Verwendung des Begriffs "peshat" in verschiedenen Epochen vgl. auch Halivni, David Weiss: Peshat & Derash. Plain and Applied Meaning in Rabbinic Exegesis. Oxford University Press, New York – Oxford 1991, S. 79 f. Zum Begriff selbst vgl. Bacher: Die exegetische Terminologie der jüdischen Traditionsliteratur 1905, S. 173; zur Verwendung Rashis und Karas vgl. Gelles, Benjamin J.: Peshat and Derash in the Exegesis of Rashi. Brill: Leiden 1981, S. 118 und S. 19. 1000 Derash bietet dabei die Wortwurzel des Wortes Midrash, vgl. dazu Kapitel "Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar," S. 390. Hervorzuheben ist, dass es sich bei derash in talmudischer Zeit nicht um eine "Auslegungsmethode" handelt. "An sich besagt der Ausduck [derash] nicht eine bestimmte Methode der Bibelauslegung, die der Erhebung des Wortsinns, dem peshat, gegenübergestellt werden könnte, wie dies dann in der mittelalterlichen Exegese der Fall ist." Siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 259.

17.5. Peshat

389

werden.1001 Bezüglich Zitaten aus der Midrashliteratur “verwirft” Kara – in den vorliegenden Fassungen der ihm zuzuschreibenden Kommentaren zu Rut – Haggadot keinesfalls immer “mit aller Schärfe”, wie dies bei der Charakterisierung seiner Auslegungsart dargestellt wird,1002 und aus seiner Stellungnahme zu 1. Sam. 1,17 hergeleitet wird, wo er dezidiert den peshat suchen will.1003 Vielmehr

1001 Als andere Vorläufer und Einflüsse auf die Exegese im Mittelalter ist auch hinzuweisen auf die sog. "Karäer". Die Hinwendung zum peshat als Auslegung wird auch teilweise mit karäischem Einfluss erklärt (vgl. Elman zu Nachmanides): "The Karaite challenge forced would-­be defenders of the faith to turn their attention to peshat. However, since rabbinic (or rabbanite in this context) Halakhah could hardly be defended on that ground alone, R. Saadiah Gaon, perhaps the most influentioal of the anti-­Kartaite polemicists, devised a new strategy, one which further marginalized midrashic exegesis. […] With the rise of "peshat-­oriented" medieval biblical exegesis, first as a response to the Karaite challenge in the Middle East, and leater in France and Spain, as a natural outgrowth of an emphasis on peshat, the challenge of producing a complete, connected commentary could no longer be ignored, and a number of different strategies evolved to account for features of the biblical text which could not comfortably be fitted into the rabbinic scheme." Siehe Elman, Yaakov: „ ‚It Is No Empty Thing': Nahmanides and the Search for Omnisignificance". In: The Torah U‑Madda Journal 4, 1993, S. 6 f. Direkter karäischer Einfluss auf die nordfranzösische Schule um Rashi ist nicht unbedingt nachzuweisen, jedoch können Einwirkungen über Spanien nach Nordfrankreich gelangt sein. Vergleichbare Auslegungen von Kara auf der einen und auf anderen, karäischer, Seite sind anzutreffen. "Sonst wird im Midrasch dem Hitpael gewöhnlich die Bedeutung der Continuität zugeschrieben […] was aber für dieses Verbum ‫ הלך‬auch der Karäer David b. Abraham bemerkt mit Bezug auf das 2. Buch Mos. 21,19, also ganz wie es die neuere Grammatik lehrt […]" Siehe Berliner: "Zur Schrift-­Exegese Joseph Kara's", S. 22 f. Interessant ist in jedem Fall, dass der Name "Kara" von derselben Wortwurzel stammt, wie der Name der Karäer, und neben der Argumentation aufgrund des peshat als Begriff im Bereich der Suche nach dem "wortwörtlichen" Textsinn auftritt. Hierbei kann auch die Überlegung angestellt werden, dass sich die nordfranzösische Schule mit ihrer Art der Exegese nicht (mehr) gegen die karäische Einflussnahme wehren musste, die andernorts vorhanden (gewesen) war. Evtl. wurde gerade durch die Hervorhebung des peshat ein (karäischer) Einfluss mit aufgenommen und neben der traditionellen Auslegung, auf die im 10. Jahrhundert noch Saadja Gaon insistiert hatte, mit in die Erklärung eingetragen (vgl. Elman: „ ‚It Is No Empty Thing‘ ”, S. 6). Damit ließe sich die Veränderung der Bedeutung des Begriffs peshat auch damit erklären, dass es als Hinweis auf karäische Einflußnahme verstanden werden könnte. Dies kann hier nur kurz angesprochen, jedoch nicht abschließend behandelt werden. 1002 Siehe Poznański: "Die nordfranzösische Exegetenschule", S. 394. 1003 Zitat und Übersetzung siehe im Kapitel "R. Josef Ben Shimon Kara," S. 48.

390

17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

ist in Bezug auf die Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut festzustellen, dass Kara z. B. am Beginn des Kommentars in MS Zürich Or 157 Rut Rabba in längerem Fortlauf zitiert. Auch Rashi zitiert aus Rut Rabba (vgl. z. B. MS New York 778 zu Rut 1,1), doch gibt Kara zur Stelle auch die auf dem Midrash basierenden Auslegungen wieder.1004 Hier stellt sich also ein Gegensatz zwischen Auslegungen in den behandelten Fassungen der Kommentare zum Buch Rut und der sonstigen Kara zugeschriebenen Vorgehensweisen bei der Textauslegung dar. Zur Auflösung dieses Problems könnte angebracht werden, dass in den vorliegenden Kommentar-­Fassungen aggadische Erklärungen gar nicht zurückgewiesen werden sollten, sondern midrashisches1005 Material neben textzentrierte Auslegungen gestellt und somit durch die Zusammenstellung miteinander verbunden werden sollten. Insgesamt ist zusammenfassend zum Begriff des peshat im Bezug auf derash festzuhalten, dass sich beide Auslegungsarten nicht ausschließen müssen, sondern nebeneinander bestehen.1006

17.6. Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar Wie bei der Bibel von “erzählenden” und “gesetzlichen” Teilen gesprochen werden kann,1007 ist die Unterteilung ihrer Auslegungen in der Midrash-­Literatur einerseits als “halakhische und haggadische Midraschim”, andererseits als “exegetische und homiletische Midraschim” möglich.1008 Im Folgenden stehen Midrashim der Megillot im Vordergrund der Ausführungen, für deren Ursprungsland Eretz Israel angenommen werden kann, und die später an anderen Orten als Quellen für Zusammenstellungen gedient haben mögen.1009 Hier sei auch auf die begriffliche 1004 Dazu ganz gegenteilig Poznański: "Die nordfranzösische Exegetenschule", S. 394. 1005 V.a. aggadisches, vgl. dazu Kapitel "Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar," S. 390. 1006 Vgl. z. B. Liss: " 'Schrift ohne Tradition?' ", S. 54: "Zwar kannte auch bereits die rabbinische Exegese die Unterscheidung in Peshaṭ und Derash und konnte damit auch zwischen dem einfachen Wortsinn einerseits und der mehrdimensionalen Midrasch-­ Auslegung differenzieren; beide Auslegungsarten standen jedoch nicht in Konkurrenz zueinander, sondern bildeten ihrerseits nur einen Teil der farbigen Palette exegetischer Möglichkeiten." 1007 Vgl. Kapitel "Auslegungen in der Bibel und ihren Kommentaren," S. 357. 1008 Bezeichnung siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 265, zu beachten ist aber in jedem Fall die Problematisierung der Einteilung, ebd., S. 264 f. 1009 "Fast alle Midraschim mit Ausnahme der späten Sammelwerke sind in Palästina entstanden." Siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 265.

17.6.  Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar 391

Trennung zwischen der Kommentierung von Tosafisten mit halakhischem Zugang zur Bibel einerseits sowie „Aggadisten“ als Exegeten, die sich vorrangig haggadische Bibelauslegung zur Geltung brachten, hingewiesen.1010

17.6.1. Definition des Begriffs “Midrash” Der Begriff Midrash bedeutet in rabbinischer Ausdrucksweise “Forschung, Studium” der Bibel.1011 Im Mittelalter gilt “Midrash” jedoch noch nicht als festgefügter Begriff,1012 sondern löst erst später den Begriff “Haggada” oder “Aggada” ab.1013 Derart findet sich bspw. in MS Zürich Or 157 zu Rut 1,2 der namentliche Hinweis auf “Midrash Rut”, wozu andererseits im vergleichbaren Kommentar aus London BL Add. 26924 auf “Aggadat Rut” verwiesen wird.1014 Dabei lässt sich die 1010 Zum Unterschied zwischen Tosafisten und Gelehrten, die sich auf Bibelexegese spezifizierten: "Usually the same scholars are mentioned in the tosafot both to the Talmud and to the Pentateuch. Some scholars, however, devoted themselves exclusively to biblical exegesis, such as Joseph *Bekhor Shor , Joseph *Kara , and others of whom almost nothing except their names is known, and who were apparently mainly aggadists. The chief characteristic of the tosafists to the Pentateuch is their halakhic approach." Siehe Ta-­Shma, Israel Moses: "Tosafot". In: Encyclopaedia Judaica 20, 2007, S. 67–70. 1011 Dabei wird der Begriff abgesetzt von der „ ‚Theorie' vom wichtigeren Tun (maʿase)" und ist derart "synonym mit talmud, das … dem Tun gegenübergestellt wird. […] Speziell wird Midrasch dann auf die Beschäftigung mit der Bibel bezogen: so z. B. in yYom 3,5,40c, wonach sich jede Schriftauslegung (midrash) nach dem Inhalt zu richten hat. […] Konkret bezeichnet Midrasch dann auch das Ergebnis der Auslegung bzw. Schriftwerke, die Bibelauslegung enthalten. Der darshan […] ist der Schriftausleger oder Prediger." Siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 259. 1012 "The term 'midrash' was, in any case, a consciously rehabilitated term, and it is doubtful if it was used in this sense before the Middle Ages." Siehe Elbaum, Jacob: "Yalqut Shim'oni and the Medieval Midrashic Anthology". In: Prooftexts 17 (2), 1997, S. 138. 1013 "… In any case, M. Margolies … notes that the term 'midrash' as a title for midrashim is a late usage that replaces the earlier term 'haggadah' or 'aggadah'." Siehe Elbaum: "Yalqut Shim'oni and the Medieval Midrashic Anthology", S. 149, Anm. 13. 1014 Am Ende des Kommentars zu Rut in MS Zürich Or 157 wird des Weiteren mit RutR 2,14 darauf hingewiesen, dass es in Rut nicht um Rein- oder Unreinheit geht, sondern um ‫חסד‬. – MS Zürich Or 157 zu 4,22: ‫ ר' זעירא המגילה הזו אין בה לא טהרה‬/‫אמ‬ ‫ולא טומאה ולמה נכתבה כאן ללמדך כח גמילות חסדים' ולמה קורין מגילה זו בחג שבועות שמגילה‬ ‫זו כולה חסד והתורה כולה חסד שנ' ותורת חסד על לשונה וניתנה בשבועות' חסלת ספר רות לר' יוסף‬ ‫" קרא‬R. Seira sagte: Diese [Schrift]Rolle [des Buches Rut] enthält keinerlei Reinheitsvorschriften,] noch [Ausführungen zur] Unreinheit. Und weshalb ist sie [dann] hier

392

17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

Haggada einerseits charakterisierten als “schöpferische Geschichtsschreibung” (‫ )דרכי ההיסטוריוגרפיה היוצרת‬mittels Auffüllen von Lücken zwischen den im Text genannten Fakten, andererseits als “schöpferische Philologie” (‫)דרכי הפילולוגיה היוצרת‬, wobei Wiederholungen im Bibeltext und das “Fehlen von Details” erklärt werden.1015 Midrash bezieht sich also auf den Inhalt des ausgelegten Textes der Bibel, wobei der Bibeltext als Kanon vorausgesetzt werden kann.1016 Außerdem kann Midrash als Sammlung homiletischer Interpretationen bezeichnet werden,1017 die nach der Versabfolge des Bibeltextes angeordnet sind. Es liegen verschiedene Midrashim zur Bibel vor, die unterschiedlich gestaltet sind.1018 In gewisser Hinsicht können Midrashim insgesamt als Kommentar zur Bibel aufgefasst werden.1019 Dabei ist jedoch hervorzuheben, dass dieser Begriff nicht mit der Gestalt von Bibelkommentaren anderer Epochen verwechselt werden sollte, wo zwar Midrashim zur

[überhaupt] niedergeschrieben worden? – Um dich die Kraft der Barmherzigkeit zu lehren (RutR 2,14). Und weshalb liest man diese Schriftrolle am Shavuot-­Fest? – Weil diese ganze (Schrift-)Rolle (voll von) Gnade ist. Und die ganze Tora ist (voll von) Gnade, wie geschrieben steht: Milde Unterweisung ist auf ihrer Zunge (Prov. 31,26). Und sie ist an Shavuot gegeben worden. [Hiermit] endet [der Kommentar zum] Buch Rut von R. Josef Kara." – Dies kann qualitativ sowohl auf den Inhalt des gesamten Buches Rut als auch auf seine Interpretationen in Midrashim und Kommentaren bezogen werden, wobei halakhische Themen nicht im Vordergrund der Beobachtungen stehen. "In contrast to the early Midrashim there was also an increase of Midrashim and aggadic works in which the aggadah is connected with halakhah in a variety of forms, some of which are merely transferred from Second Temple literature […] and some are the result of internal development by the sages". Siehe Herr: "Midrash", S. 185. 1015 Vgl. Heinemann, Isaak, Darkhe ha-ʾAgadah, Magnes Press: Jerusalem [5]710 [1949/50] dargestellt von Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 263. 1016 "Midrasch lässt sich nicht genau definieren, eher beschreiben, wie R. Le Déaut 401 betont. G. G. Porton formuliert: 'Rabbinic midrash is an oral or written literature composed by the rabbis that has its starting point in a fixed, canonical biblical law. In midrash, this original text, considered the revealed word of God by the midrash­ ist and his audience, is explicitly cited or clearly alluded to (EMidr 520).' " Siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 259. 1017 Vgl. Elbaum, "Yalkut Shimoni and the Medieval Midrashic Anthology", S. 137 f. 1018 Zur Übersicht siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 257–397. 1019 Vgl. J. Tubi zu Midrash hahefets: Außer Midrash hagadol und Midrash Lamentations werde in den "Yemenitischen Midrashim" das Wort "Midrash" im Sinne eines Kommentars zu den Schriften, vor allem des Pentateuch, verstanden. Vgl. Elbaum: "Yalkut Shimoni and the Medieval Midrashic Anthology", S. 143.

17.6.  Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar 393

Texterklärung herangezogen werden, aber nicht mit ihnen gleichzusetzen sind.1020 Das siebte Jahrhundert gilt als Ende der klassischen Midrash-­Epoche.1021

17.6.2. Yalkutim im Unterschied zu Midrashim Das Mittelalter ist die Zeit der Anthologien. “Anthologien” (Yalkutim) können als Fortführung der klassischen Midrash-­Kompilationen angesehen werden. Dennoch ist eine Unterscheidung zwischen Yalkutim und Midrashim festzuhalten: Die im Yalkut verwendeten Quellen können als bekannt verzeichnet werden, jedoch sind die Quellen der Midrashim (bspw. von GenR) meist anonym.1022 Beide Sammlungen können auf Traditionen zurückgreifen, außerdem kann auf ein sehr frühes Stadium der Zusammenstellung der Midrashim geschlossen werden.1023 Im Folgenden soll der Unterschied zwischen Midrash und Yalkut thematisiert wer1020 "Die Form des Kommentars (Perush), die wirklich punktuelle Auslegung einzelner Lemmata, erscheint in der rabbinischen Literatur erst spät." Goldberg: "Die funktionale Form Midrasch", S. 32. 1021 Vgl. Elbaum: "Yalkut Shimoni and the Medieval Midrashic Anthology", S. 146 und Herr: "Midrash", S. 184. Weiter nennt Geula das 8. Jahrhundert als den Zeitpunkt der Abfassung einiger byzantinischer Midrashim und verweist u. a. auf Yalkut Shimoni als eine Schrift, die ein Zitat aus diesen Midrashim enthält. Für die von ihm untersuchten Midrashim, d. h. für die Edierung der Midrashim in Süditalien, gibt er den Zeitraum 985–988 an. Vgl. zum Ganzen Geula: Lost Aggadic Works Known Only from Ashkenaz 2006, S. XVIII–­XIX. 1022 Weiter können einige Teile aus Midrash Rabba als aus dem Yalkut stammend verifiziert werden. Zum Ganzen vgl. Elbaum: "Yalkut Shimoni and the Medieval Midrashic Anthology", S. 135. Anthologien zeigen die Tendenz, klassisches midrashisches Material zu sammeln, egal, was ihre Quelle oder ihr Genre ist. Manche Anthologien zitieren ihre Quellen wörtlich, andere bearbeiten das ursprüngliche Material, vgl. ebd., S. 138. Eigenheiten für das Genre von Anthologien am Beispiel des Yalkut Shimoni siehe ebd., S. 139. 1023 "It is logical to assume that intensive study and inquiry into the provenance of these and other Midrashim may very well lead to conclusions which point towards an extremely early date of composition, viz. the Tannaic period, and a final editing process no later than the third century CE, which represents a significant departure from what has been heretofore postulated by most scholars." Siehe Lerner, Myron Bialik: "The Works of Aggadic Midrash and the Esther Midrashim". In: Safrai, Shmuel ‫ז"ל‬ / Safrai, Zeev / Schwartz, Joshua / Tomson, Peter J. (Hgg.): The Literature of the Sages. Part 2. Midrash and Targum, Liturgy Poetry, Mysticism, Contracts, Inscriptions, Ancient Science and the Languages of Rabbinic Literature. (Compendia Rerum Iudaicarum ad Novum Testamentum. Sect. 2. The Literature of the Jewish People in the Period of the Second Temple and the Talmud 3b). Royal Van Gorcum: Assen 2006, S. 142.

394

17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

den, da in Teilen beider Schriftwerke Parallelen zu Stellen aus den Kommentar-­ Fassungen zum Buch Rut zu finden sind.1024

17.6.3. Verschronologische Auslegung des Bibeltextes In den vorliegenden Kommentar-­Fassungen wird der Bibeltext verschronologisch ausgelegt.1025 Es finden sich darin Zitate aus der Midrashliteratur, wobei v. a. Rut Rabba1026 und Rut Zuta1027 als “Primärtexte” der Midrashim, sowie Yalkut Shimo1024 Auch Rashi macht einen Unterschied zwischen Anthologie und Midrash: "Rashi, however, called the composition [Yalkut Shimoni?] yesod, which he uses to mean 'book.' Unlike many of his day and later, Rashi distinguished clearly between midrash and what was not midrash." Siehe Elbaum: "Yalkut Shimoni and the Medieval Midrashic Anthology", S. 148. Der Begriff ‫ יסוד‬tritt aber in den Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut nicht auf. 1025 Zum Beginn der "eigentliche[n] Kommentarliteratur" mit Rashi sei hier nochmals verwiese auf Liss: „ ‚Schrift ohne Tradition?‘ ”, S. 54: "Vor allem mit RaShY beginnt nicht nur die Periode der exegetischen Autorenliteratur, sondern gleichzeitig die eigentliche Kommentarliteratur, bei der der biblische Text fortlaufend ausgelegt und damit bereits ein Redaktionsverständnis von der Schrift und ihrer textlichen Abfolge vorausgesetzt (oder sogar eigens diskutiert) wurde." 1026 Rut Rabba, um etwa 500 n.d.Z. zu datieren, ist "angesichts seiner Sprache in Palästina beheimatet," siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 351; keine Angaben in Safrai, The Literature of the Sages 2 (2006). Des Weiteren ist Rut Rabba teilweise mit dem Inhalt des Targum des Buches Rut vergleichbar. Bzgl. der Datierung des Targum Rut ist jedoch unklar, ob das darin befindliche haggadische Material per se älter ist als die vergleichbaren Teile im Midrash Rut Rabba, wo rabbinische Autoritäten des 3.–5. Jahrhundert auftreten. Vgl. Kronholm: "The portrayal of characters in Midrash Ruth Rabbah", S. 17. Weiteres zur Vergleichbarkeit von Midrash und Targum vgl. Kapitel "Verwendung des Targum," S. 401. 1027 Rut Zuta ist ein Teil von "Midrash Zuta," zu datieren 900–1000 n.d.Z., siehe Herr: "Midrash", S. 184, sowie Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 357: "Wohl 10.–11. Jh." Hier fehlt jedoch jeweils die Ortsangabe. Die Datierung lässt sich auch mit der Verwendung von Rut Zuta in Midrash Lekaḥ Tov begründen: "As the author of *Midrash Lekaḥ Tov at the end of the 11th century used this Midrash it was apparently compiled in the tenth century." Siehe Herr, Moshe David: "Midrashim, Smaller". In: Encyclopaedia Judaica 14 (2007), S. 187. Rut Zuta könnte als Quelle Karas gedient haben, weil sich neben Karas Auslegungen auch Zitate aus Rut Zuta in den Kommentar-­Versionen finden, wie z. B. in MS Vatican 18. Hier kann davon ausgegangen werden, dass es sich um Zitate aus Rut Zuta handelt, die durch Kara oder durch eine spätere Bearbeitung in seinen Kommentar aufgenommen wurde. Das bedeutet, dass Rut Zuta zwar als Referenz dienen könnte, auf die Kara zurückgreift, jedoch selbst nicht als Werk Karas gelten kann. Daher wird auch MS St. Pe-

17.6.  Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar 395

ni1028 und Midrash Lekaḥ Tov1029 als Midrash-­Sammlungen zu nennen sind. Bzgl. der Herkunft der von Kara ausgewählten Midrashim ist die Textauswahl mit Blick auf Yalkutim (Midrash-­Anthologien) wie folgt zu bedenken: Es ist anzunehmen, dass Kara dieselben Quellen der Midrashim verwendet, auf die ebenfalls Yalkutim (Anthologien) zurückgreifen. Diese zirkulieren später und sind aus Texten derselben Quellen zusammengesetzt wie Bibelkommentare. Die verwendeten Texte in den behandelten Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut existieren im 13.–14. Jahrhundert schriftlich.1030 Teile der zitierten Texte finden sich bspw. tersburg I 21 nicht als Referenz für die kritische Edition herangezogen, da es Rut Zuta wiedergibt und damit jene Zitate, die Kara in seinen Kommentaren verwendet. Anders ausgedrückt wird davon ausgegangen, dass MS St. Petersburg I 21 nicht Karas Kommentar-­Fassung enthält, sondern lediglich als seine Referenz angesehen werden könnte. Eine Edition von MS Parma de Rossi 541 liegt vor: Buber, Salomon (Hrsg.): "‫ איכה וקהלת‬,‫ רות‬,‫"מדרש זוטא על שיר השירים‬. In: ‫ספרים היוצאים לאור בפעם ראשונה על ידי‬ 10 ‫חברת מקיצי נרדמים‬,‎(1894)‎S. 39–50, vgl. auch Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 357 und Lerner: "The Works of Aggadic Midrash and the Esther Midrashim", S. 168. 1028 Yalkut Shimoni kann als "Sammelwerk und Midrasch genannte Kommentare" kategorisert werden (Einordnung siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 389). Zu datieren ist Yalkut Shimoni in das 12.–13. Jahrhundert, als Verfasser gilt ein gewisser Shimʿon ha-­Darshan, der aus Frankfurt (am Main) stammen soll: "S. I. Rapaport […] und andere lassen diesen Shimʿon ha-­Darshan einen Bruder des Menachem ben Chelbo sein, des Vaters von Josef Qara; demnach müsste er schon in der 2. Hälfte des 11. Jhs. gelebt haben." Diese Annahme wurde durch Abraham Geiger und Abraham Epstein bestritten. Dabei lässt sich auch der Hinweis auf die Verwendung des Yalkut Shimoni "im Umfeld der Disputation von Barcelona 1263" anführen, siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 390. Zur Thematik der Zuordnung des Yalkut Shimoni an Shimon Kara vgl. Kapitel "R. Josef Ben Shimon Kara," S. 45. 1029 Midrash Lekaḥ Tov wird ebenfalls unter "Sammelwerke und Midrasch genannte Kommentare" kategorisiert (vgl. ebd., siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 389), seine Datierung kann mit ca. 1097 angegeben werden, wobei es vom Verfasser Tovia ben Eliezer selbst 1107–1108 überarbeitet wurde. Tovia ben Eliezer ist außerdem mit "Wohnort Kastoria (Griechenland) anzunehmen." Siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 395. Die Herkunft von Tovia ben Eliezer aus Mainz sein späterer Aufenthalt "im Orient" kann angenommen werden, vgl. ebd. 1030 Hierzu ein Hinweis bzgl. der "Mündlichkeit und Schriftlichkeit der Mishna" im Rahmen der Frage, ob die "mündliche Tora" auch schon am Sinai nur mündlich – und nicht schriftlich weitergegeben wurde: Rashi vertrete die Ansicht, dass keine Halakha niedergeschrieben worden sei; weiter: "Dieser Kontrast zwischen der französischen

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

in Yalkutim (1200–1300),1031 die nach biblischer Reihenfolge angeordnet sind.1032 Durch die Datierung des Yalkut in das 13. Jahrhundert und den angenommenen Lebensdaten Karas (ca. 1055–1125) ist der Yalkut selbst nicht als Quelle für die Bibelkommentare Karas auszumachen.1033 Somit ist nicht anzunehmen, dass Kara die Yalkutim als Quellen heranzieht, sondern lediglich dieselben Vorlagen wie die Anthologien gebraucht. Daher sollten die Hinweise auf den Yalkut in der Edition nur insofern als Vergleich herangezogen werden, als dass diese Anthologie denselben Text, ggf. aus derselben Zeit, wiedergibt, wie Kara es tut. Referenzen zu später zu datierenden Werken wie Yalkutim sollten jedoch nicht als Herkunftsangabe verstanden werden. Wollte man sie dennoch als Quellen interpretieren, könnten

Tradition (Raschi) und der spanischen (Maimonides) zeigt sich auch in ISG: Die französische Rezension behauptet mehrmals, in talmudischer Zeit sei nichts niedergeschrieben worden, während die spanische Fassung betont, Rabbi habe seine Mischna niedergeschrieben […] Im 19. Jh. gab es Verfechter beider Thesen […] Vielfach wurde behauptet, die Niederschrift der Halakha oder auch der Haggada sei völlig verboten gewesen. Unabhängig davon galt jedoch weithin die Annahme, dass de facto bei rabb. Material mit langer mündlicher Überlieferung vor seiner Niederschrift zu rechnen ist." Siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 44. Was hier als Beispiel für die Halakha und Haggada dargestellt wird, könnte wie folgt auf eben jene Texte bezogen werden, die in den vorliegenden Kommentar-­Fassungen als Traditionsliteratur ausgewiesen werden können: Aus der Annahme, zu "talmudischer Zeit" sei nichts niedergeschrieben worden, könnte gefolgert werden, dass die Phase bis zur Niederschrift weiter bis zur mittelalterlichen Zeit reichen könnte. Daraufhin könnte weiter argumentiert werden, dass manche dieser mündlich tradierten Texte erst im Mittelalter selbst verschriftlicht wurden. In der vorliegenden Arbeit wird aber davon ausgegangen, dass Texte aus der Traditionsliteratur (wenn wohl auch in geringem Umfang) bereits schriftlich vorlagen, als die Kommentar-­Versionen formiert wurden. Evtl. könnten auch mittelalterliche Kompilationen als eine Form des Midrash interpretiert werden, hierzu zur formgeschichtlicher Fragestellung: "Man könnte z. B. annehmen, daß es am historischen Anfang der Schriftauslegung nur eine (oder zwei oder drei) Formen gab, die man zu Mitteilung von Schriftauslegung verwendete, daß man später unter anderen Bedingungen andere Formen entwickelte, und auch, daß die Formen bei den einzelnen Lehrern stilistisch verändert wurden." Siehe Goldberg: "Die funktionale Form Midrasch", S. 1 f. 1031 "1200–1300," siehe Herr: "Midrash", S. 184. 1032 "The aim of the compiler of the Yalkut was to assimilate the bulk of rabbinical sayings at his disposal, following the order of the verses of the Bible." Siehe Elbaum: "Yalkut Shimoni", S. 275. 1033 Nichtsdestotrotz wurde der Vater von R. Josef Ben Shimon Kara (R. Shimon Kara) mit dem Verfasser bzw. Kompilator des Yalkut Shimoni identifiziert, s. o.

17.6.  Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar 397

sie als sekundäre Einfügungen, etwa als Überarbeitungen oder Einarbeitungen durch eine auf Kara folgenden Generation gewertet werden.

17.6.4. Zusammenstellung der Midrashim zu Anthologien im Vergleich zu Erstellung eines Bibelkommentars Im Folgenden will ich weniger auf die einzelnen Midrashwerke zum Buch Rut (Rut Zuta oder Rut Rabba) und ihrer Zusammenstellung in Sammlungen (z. B. Yalkut Shimoni) als solches eingehen. Vielmehr möchte ich darstellen, dass die Eigenschaften der Zusammensetzung von Auslegungen hergebrachter Midrashim Parallelen zur Auslegungsart in den Kara zugeschriebenen Kommentar-­Fassungen zeigen.1034 Die genannten Eigenschaften der Midrashim können auch insgesamt auf jene Auslegungen bezogen werden, die der Schule Rashis zuzuschreiben sind, schon deshalb, weil Midrashim darin zitiert werden. Einerseits ist es diese Zitation, andererseits die Exegese des Mittelalters, die in der Tradition der rabbinischen Auslegung steht, durch die ein Bibelkommentar Karas (nicht nur durch einen evtl. Rückgriff auf Rashis Kommentar) Charakteristika der für die Midrashim genannten Eigenschaften erhält. Dabei ist die Zusammenstellung von Midrashim in Yalkutim etwas anderes als ihre Zusammenfügung in Bibelkommentaren (sei es mit anderen “zeitgenössischen” Auslegungen des Mittelalters oder ohne diese). Bibelkommentare können, gegenüber der Erstellung von Anthologien, als eigener Zweig der Schriftauslegung bezeichnet werden.1035 Nichtsdestotrotz griffen die Gelehrten in Ashkenas zur Erstellung ihrer Schriften auf Midrashim zurück.1036 Ein konkreter Katalog zur Un1034 Hier sei auf die Möglichkeit verwiesen, Bibelkommentare und Anthologien zur gegenseitigen Betrachtung ins Feld zu führen: "It is possible to use the literature of biblical commentary to illuminate that of the midrashic anthologies, and vice versa." Siehe Elbaum: "Yalkut Shimoni and the Medieval Midrashic Anthology", S. 150, Anm. 19. 1035 Die Zusammenstellung von Midrashsammlungen wie der Yalkutim kann dabei als Argument dafür angeführt werden, dass der Midrash selbst wieder zu seiner vorherigen Ehre gelangen solle, und somit Midrashsammlungen neben Bibelkommentaren entstanden. "The anthologies may also testify to a desire to restore midrash to its former glory, and to return it to its rightful place alongside the literature of biblical commentary. The latter literature had developed as a genre of its own, and thereby distanced the general populance from the classical tradition of midrash." Siehe Elbaum: "Yalkut Shimoni and the Medieval Midrashic Anthology", S. 140 [Hervorhebung durch Verfasserin]. 1036 "The attitude of the sages of Ashkenaz towards Aggada was unique. Unlike the sages of Iraq or Spain, the scholars of Ashkenaz regarded Aggada as an authoritative source – even for determining Halakha. They made extensive and exeptional use

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

terscheidung zwischen Yalkutim und Bibelauslegungen ist hier nicht zu erstellen. Durch Verflechtungen von Parametern (wie die Zitierung von Midrashim) sowohl in Yalkutim als auch in Bibelkommentaren ist eine definitive Unterscheidung problematisch. Ggf. lässt sich dies mit der Aussage zu Midrashim vergleichen: “Midrasch lässt sich nicht genau definieren, sondern nur beschreiben.”1037 So lässt sich auch “Bibelauslegung” nicht genau definieren, sondern eher beschreiben. In der nordfranzösischen Exegese kommt das Interesse am Textverlauf der Erzählung neu zum Tragen. So könnte das Auftreten dieses Blickwinkels in der Auslegung als eine Möglichkeit der Kategorisierung von Bibelkommentaren ins Feld geführt werden. Insgesamt lässt sich festhalten, dass es “die Mischung macht”: Es ist die Kompilation, wie sie sich im behandelten Kommentar darstellt, ggf. unter Verwendung des peshat und der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar, sowie das Auftreten von Targum, innerbiblischen Bezügen in den Kommentaren, die Verwendung von Le’azim sowie die Bezüge auf Realia in der vorliegenden Form, die als “Bibelkommentar” bezeichnet werden können.

17.6.5. Ähnlichkeiten der Auslegungsart in Anthologien und den Kommentaren zum Buch Rut Auch wenn Yalkutim und Bibelkommentare nur schwer zu trennen sind, sollen im Folgenden einige Parameter für beide Gattungen genannt werden. Jedoch gelten nicht alle Kriterien des Yalkut auch für die vorliegenden Kommentar-­ Versionen zum Buch Rut, die Kara zugeschrieben werden und als Bibelkommentare bezeichnet werden können. Daraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass diese Beobachtung für Bibelkommentare insgesamt – etwa für alle Bücher der Bibel – zu verallgemeinern ist. Im Yalkut findet eine Vermischung von halakhischen und aggadischen Aussprüchen statt.1038 Da halakhische Themen in den Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut kaum behandelt werden, ist dieses Kriterium nicht auf sie zu beziehen. Weiter ist eine “ethische” oder “moralische Orientierung des Werkes”1039 in den hier behandelten Kommentar-­Fassungen of midrashim in their commentaries on piyyutim and commentaries on the Torah, copied midrashim and explicated them, and even prepared handbooks and indices of the midrashim, the most famous of which is, of course, Yalkut Shimoni." Siehe Geula: Lost Aggadic Works Known Only from Ashkenaz 2006, S. II–­III. 1037 Siehe Stemberger, mit Verweis auf R. Le Déaut: "A propos d'une définition du midrash". In: Biblica 50 (1969), S. 406, in Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 259. 1038 Vgl. Elbaum: "Yalkut Shimoni and the Medieval Midrashic Anthology", S. 138. 1039 Vgl. ebd.

17.6.  Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar 399

zum Buch Rut nicht auszumachen. Die Motivation für die Zusammenstellung von Anthologien1040 kann ebenfalls für die Zusammenstellung der verwendeten Literatur zur Auslegung des Buches Rut gelten: So mag das Fehlen von Referenzwerken in schriftlicher Form ein Grund für die Niederschrift der Zitate aus der Traditionsliteratur in Kommentaren – nicht nur zum Buch Rut – gewesen sein, auch weil noch nicht auf einen “offiziellen Kanon” der aggadischen Midrashim zurückgegriffen werden konnte.1041 Das Ziel, dem Midrash “wieder zur Ehre zu verhelfen”1042 mag sich auch im Kommentar in MS Zürich Or 157 zu Rut 1,2 und 2,8 widerspiegeln, wo namentlich auf “Midrash” Bezug genommen wird.1043 Außerdem kann für die Zusammenstellung von Yalkutim evtl. eine polemische Motivation vermutet werden.1044 Dies lässt sich im Fall der Kommentare zum Buch Rut bestätigen, da dort keine polemischen Äußerungen auftreten. Sowohl Yalkutim als auch die vorliegenden Kommentar-­Versionen mögen als Quellen für Predigten gedient haben. Motivation kann hier ebenfalls der Wunsch und die Gewohnheit, Traditionen zu sammeln, gewesen sein, sowie das Streben danach, etwas Neues auszusagen bzw. eine neue oder vollständige Verbindung zwischen rabbinischer Tradition und Schrift herzustellen.1045 Dieser Beweggrund zur Er1040 Vgl. zum Ganzen Elbaum: "Yalkut Shimoni and the Medieval Midrashic Anthology", S. 140. 1041 "It is quite clear that the circulation of these works was sporadic and incidental and that there was probably no single collection of all of them in one location at any one time." Siehe Lerner: "The Works of Aggadic Midrash and the Esther Midrashim", S. 136. 1042 Vgl. zum Ganzen Elbaum: "Yalkut Shimoni and the Medieval Midrashic Anthology", S. 140. 1043 MS Zürich Or 157 zu Rut 1,2 bezieht sich auf "Midrash Rut," zu Rut 2,8 lediglich auf "Midrash." Hierbei ist auf den interessanten Aspekt hinzuweisen, dass Rashi ggf. überhaupt als erster "Midrash Rut" derart nennt: "‫השם הנפוץ ביותר למדרש הוא‬ ‫ רש''י הוא ככל הנראה החכם‬.‫ שם זה מופיע בכתבי היד של המדרש וכן בכתבי הראשונים‬.'‫'מדרש רות‬ ‫הראשון שמזכיר שם זה‬." Siehe Reizel, Anat: Introduction to the Midrashic Literature. 2. Aufl. 2013 ‫– מכללת הרצוג‬ ‫ תבונות‬:‫( אלון שבות‬Hebr.), S. 170. 1044 "[…] there may have been a polemical motivation as well. There are reasons to suggest that the return to midrash via the anthological literature (especially what followed the sequence of biblical verses) may have stemmed from the fact that the genre of biblical commentary had distanced itself from this kind of presentation as the result of doctrinal controversy, as with the Karaites." Siehe Elbaum: "Yalkut Shimoni and the Medieval Midrashic Anthology", S. 140. In dieser Arbeit kann ich den evtl. karäischen Einfluss auf die Bibelexegese der Schule um Rashi nicht vertiefen, vgl. Anmerkung im Kapitel "Peshat," S. 389. 1045 Vgl. Elbaum: "Yalkut Shimoni and the Medieval Midrashic Anthology", S. 140.

400

17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

stellung der Yalkutim ist ebenfalls für die behandelten Kommentare zum Buch Rut als wichtiger Faktor festzuhalten. Die Produktion einer Anthologie ist nicht als einfaches technisches Vorgehen einer Sammlung zu deuten.1046 Gleiches gilt für die Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut. So finden sich bspw. Hinzufügungen durch Ersteller von Anthologien, die in gewisser Hinsicht mit Kompilatoren verglichen werden können. So sind Anthologien zwar komplizierte Texte, jedoch sind nicht alle Kompilationen mit denselben Standards zu messen.1047 Bezüglich der Kommentare zum Buch Rut stellt sich – anders als bei den Yalkutim1048 – die Frage nach den Kriterien für die Abfolge der Zitate und Auslegungen der hergebrachten Literatur nicht, da die Vers-­Chronologie die Reihenfolge des Kommentars vorgibt. Jedoch stellt sich die Frage nach der Verbindlichkeit der verwendeten aggadischen und midrashischen Literatur sehr wohl auch im Falle der hier behandelten Kommentar-­Fassungen. So können Aggada und Midrash als “mögliche Interpretationen”1049 herangezogen worden sein, um in die aktuelle Zeit hineinzusprechen. Für den Lebenswandel mussten sie jedoch nicht obligatorisch sein, sondern konnten gleichsam als ideelle Leitsätze dienen. Aktualisierungen von hergebrachten Auslegungen konnten im Falle von Yalkutim durch Hinzufügungen der Kompilatoren unternommen werden. Betreffend der behandelten Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut könnte Kara die Position eines solchen Kompilators eingenommen haben, was wiederum als vergleichbarer Faktor zwischen Yalkut und der Kommentierung zu Rut bezeichnet werden kann. Dabei muss der Midrash als Quelle sowohl für die Zusammenstellung der Anthologien als auch für die Bibelkommentar-­Fassungen im Mittelalter noch als lebendige Tradition angesehen werden.1050 Anthologien greifen auf “lebendige” Midrashim zurück, schließen sie damit aber auch.1051 Der Buchdruck gab u. a. den letzten Schliff für die Zusammenstellung,1052 somit wurde (Hand-)Geschriebenes zu

1046 Vgl. Elbaum: "Yalkut Shimoni and the Medieval Midrashic Anthology", S. 141 f. 1047 Vgl. ebd., S. 142. 1048 Vgl. ebd., S. 143. 1049 Vgl. ebd., S. 144. 1050 Dabei gibt es auch Autoritäten, die sich gegen den Midrash aussprechen, wie z. B. Ibn Ezra, vgl. ebd., S. 144. 1051 Vgl. Elbaum: "Yalkut Shimoni and the Medieval Midrashic Anthology", S. 144 f. Spätestens hier wird deutlich, dass ein Kara wie "Shimon Kara" als Verfasser des Yalkut Shimoni gehandelt wurde (s. o.), u. a. deshalb, weil die genannten Parameter nicht weit entfernt sind von Eigenschaften, die sich in Kommentaren finden, die seinem Sohn zugeschrieben werden. 1052 Vgl. Elbaum: "Yalkut Shimoni and the Medieval Midrashic Anthology", S. 145.

17.7.  Verwendung des Targum

401

festgesetztem Wort. Festzuhalten ist, dass Midrashim und Yalkutim bzgl. ihrer Weitergabe nicht scharf voneinander zu trennen sind.1053 Texte, die sich in den Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut befinden, treten sowohl in Yalkutim als auch in Midrashim auf. Es kann also sein, dass die Kommentar-­Fassungen dasselbe Material verwendeten wie Yalkutim, doch ist ein direkter Zusammenhang zwischen der Auslegung zum Buch Rut und der jeweils verwendeten Interpretation nicht direkt nachzuweisen. Hier wie dort finden sich Zitate, die sich ebenfalls im Midrash Lekaḥ Tov (11. Jahrhundert)1054 finden. Midrash Lekaḥ Tov wiederum enthält Auslegungen aus Rut Zuta (10.–11. Jahrhundert, s. o.). Außerdem treten in den Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut Stücke aus Yalkut Shimoni (12.–13. Jahrhundert)1055 auf, der wiederum Rut Rabba (6. Jahrhundert)1056 beinhaltet. Will man also nicht nur genrebezogen argumentieren, könnte teilweise aufgrund der Datierung darauf geschlossen werden, dass Yalkutim zeitlich auf Bibelkommentare Karas folgen. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass spätere Stufen der Bibelkommentare Teile der Yalkutim enthalten;1057 evtl. kann also doch eine Wechselbeziehung zwischen Yalkutim und Bibelkommentaren angenommen werden. Insgesamt ist ein Unterschied zwischen Anthologien und Bibelkommentaren festzuhalten, wobei die gegenseitige Einflußnahme nicht abschließend geklärt ist, also nicht deutlich ist, welches Werk Teile aus dem jeweils anderen verwendete (Yalkutim die Bibelkommentare oder Bibelkommentare die Yalkutim). So mögen beide auf parallele oder dieselben Vorlagen von Midrashim und anderer Traditionsliteratur zugegriffen haben.

17.7. Verwendung des Targum Bei der Frage nach Quellen, die in den Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut verwendet werden, ist die Überlegung einzubeziehen, ob der Targum, die aramäische Paraphrase und Ausführung des biblischen Textes, als eine mögliche

1053 Vgl. Elbaum: "Yalkut Shimoni and the Medieval Midrashic Anthology", S. 145. 1054 Vgl. Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 395. 1055 Siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 390, sowie Reizel, Anat: Introduction to the Midrashic Literature. 2. Aufl. ‫– מכללת הרצוג‬ ‫ תבונות‬:‫אלון שבות‬ 2013 (Hebr.), Tafel im Anhang (S. 457 f.), wo Yalkut Shimoni ins 13. Jahrhundert gesetzt wird. 1056 "…um etwa 500 anzusetzen." Siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 351. 1057 Vgl. Reizel: Introduction to the Midrashic Literature. 2. Aufl. ‫– מכללת‬ ‫ תבונות‬:‫אלון שבות‬ ‫ הרצוג‬2013 (Hebr.), S. 384 ff.

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

Vorlage verwendet wurde.1058 Hierauf soll in diesem Rahmen aber nur relativ kurz eingegangen werden, da in den Auslegungen nicht ausführlich auf den Targum zum Buch Rut verwiesen wird und sich dieser nur selten als Bezugspunkt herausstellt.1059 Es finden sich an verschiedenen Stellen in einer Kommentar-­Fassung jedoch Hinweise auf den Targum anderer Bibelstellen: In MS Berlin 1221 zu Rut 2,19 wird die Übersetzung des Targum Onkelos von Dt. 8,17 wiedergegeben, in MS London 22413 zu Rut 2,16 auf den Targum von Gen. 37,10 Bezug genommen 1058 Da Rashi zur Bibelinterpretation auf den Targum zurückgriff, ist anzunehmen, dass ebenfalls für Karas Auslegungen, welche teilweise von Rashis Interpretationen ausgehen, der Targum als Quelle gedient haben mag: "Rashi, for example, was well aware of the interpretative and midrashic elements in Onqelos, and he made use of them in his own interpretations of the text." Siehe Bowker, J. W.: "Haggadah in the Targum Onqelos". In: Journal of Semitic Studies 12 (1), 1967, S. 52. Zu Beziehungen zwischen Rashis und Karas Kommentaren vgl. z. B. Kapitel "R. Josef Ben Shimon Kara," S. 45. 1059 Literaturauswahl bzgl. Targum, v. a. zum Buch Rut: Beattie, Derek Robert George: "Ancient Elements in the Targum to Ruth". In: Proceedings of the Ninth World Congress of Jewish Studies, Jerusalem August 4–12, 1985. Division A. The Period of the Bible. World Union of Jewish Studies: Jerusalem 1986, S. 159–165; Beattie, Derek Robert George: "The Targum of Ruth: A Preliminary Edition". In: Flesher, Paul V.M. (Hrsg.): Targum and Scripture. Studies in Aramaic Translations and Interpretation in Memory of Ernest G. Clare. Brill: Leiden 2002, S. 231–290; Bowker, J. W.: "Haggadah in the Targum Onqelos". In: Journal of Semitic Studies 12,1, 1967, S. 51–65; Brady, Christian M. M.: "Eschatological Lists in the Targumim to the Megillot". In: Journal for the Study of Judaism 40,4–5, 2009, S. 493–509; Hengel, Martin: "The Scriptures and their Interpretation in Second Temple Judaism". In: Beattie, Beattie, Derek Robert George / McNamara, Martin J. (Hgg.): The Aramaic Bible. Targums in their Historical Context. (Journal for the Study of the Old Testament. Supplement Series 166). Sheffield Academic Press: Sheffield 1994, S. 158–175; Lasair, Simon: "Current Trends in Targum Research". In: Currents in Biblical Research 10,3, 2012, S. 442–453; Levine, Nachman: "Ten Hungers/Six Barleys: Structure and Redemption in the Targum to Ruth". In: Journal for the Study of Judaism: In the Persian Hellenistic & Roman Period 30,3, 1999, S. 312–324; Shinan, Avigdor: "The Aggadah of the Palestinian Targums of the Pentateuch and Rabbinic Aggadah: Some Methodological Considerations". In: Beattie, Beattie, Derek Robert George / McNamara, Martin J. (Hgg.): The Aramaic Bible. Targums in their Historical Context. (Journal for the Study of the Old Testament. Supplement Series 166). Sheffield Academic Press: Sheffield 1994, S. 203–217; Vermes, Geza: "Haggadah in the Onkelos Targum". In: Journal of Semitic Studies 8,2, 1963, S. 159–169; Vermes, Geza: [Review] "John Bowker The Targums and rabbinic literature : an introduction to Jewish interpretations of Scripture. xxi, 379pp. Cambridge : University Press, 1969. 75s.". In: Bulletin of the School of Oriental and African Studies 34,1, 1971, S. 140–141.

17.7.  Verwendung des Targum

403

und sowohl in MS London 22413 als auch in MS Zürich Or 157 zu Rut 4,1 auf den Targum von 2. Kön. 6,8 verwiesen. Damit lässt sich festhalten, dass zur Texterklärung des Buches Rut nicht nur auf andere, im Kontext weiter entfernte Bibelstellen der Hebräischen Bibel, sondern auch auf ihre Targumim zurückgegriffen wird. Diese eignen sich für die jeweiligen Ausführungen zu Stellen im Buch Rut.1060

17.7.1. Targum zum Buch Rut Im Folgenden soll der Targum zu Rut und dessen Verwendung besprochen werden. Hierbei ist eine Nähe zur Midrash-­Literatur festzustellen. Parallelen zwischen dem Targum zu Rut und der vorliegenden Kommentar-­Fassung zum Buch Rut lassen sich nur indirekt herleiten, wobei dann v. a. die Nähe zu zitierten Midrashim festzuhalten ist. Z.B. wird im Targum zu Rut 1,1 auf zehn Hungersnöte Bezug genommen. Dies kann auf den Gebrauch von RutR 1,4 schließen lassen, was auch für den Bibelkommentar zu Rut in MS Zürich Or 157 festgehalten werden kann. Insgesamt lässt sich der Targum jedoch nicht als direkter Bezugspunkt für die Auslegungen zum Buch Rut festhalten.1061 Grundsätzlich ist vielmehr eine Nähe zwischen Targum und Midrash auszumachen.1062 Das Verhältnis zwischen Mid-

1060 Diese Zitate aus den Targumim sind im Hinblick auf ihren Kontext im Pentateuch und den Prophetenbüchern an anderer Stelle auszuführen. Allgemeine Literaturhinweise s. o. 1061 Daher soll auch nicht weiter der Targum zum Buch Rut als Ganzes referiert werden. Zur inhaltlichen Beschreibung des Targum zu Rut vgl. bspw. Moore, der die Darstellung des Targum zum Buch Rut als "Manifest von ethno-­religiösem Extremismus" versteht. "We could look at many more examples, but these should suffice to make the point. In short, the author of Targum Ruth consistently and deliberately converts one of the Hebrew Bible's most beautiful narratives about diversity and tolerance into a manifesto for ethnoreligious extremism, in direct contrast to the blessing-­offoreigners trajectory in which the narrative is canonically embedded." Dazu Anm. 49: "D. R. G. Beattie ("The Targum of Ruth–­A Sectarian Composition?" JJS 26 [1985] 222–29) backs away from calling Targum Ruth a "sectarian" commentary but does admit that it is often at odds with rabbinic principles. Norman Golb (Who Wrote the Dead Sea Scrolls? The Search for the Secret of Qumran [New York: Scribner, 1995] 64) calls for a much more stringent definition of "sectarian" than is common in contemporary scholarship." Siehe Moore: "Ruth the Moabite and the Blessing of Foreigners", S. 203–218. 1062 Als "midrashisches Element" im Targum lässt sich der Begriff "Memra" im Targum zu Rut 1,4 u. a. nennen. "The targum thrice adds the ‫מימרא‬: once as a paraphrase of the Hebrew [Tetragrammon], and twice as part of incorporated midrashic elements." Siehe Levine: The Aramaic Version of Ruth 1973, S. 10. Weitere Anmerkungen zur

404

17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

rash und Targum ist in Bezug auf die Abhängigkeit oder Abfolge beider jedoch nicht klar zu entscheiden. So ist zu vermerken, “dass viele Elemente vom Targum in den Midrasch kamen und umgekehrt, also keine selbständige Geschichte der beiden literarischen Gattungen anzunehmen ist.”1063 Vom “gemeinsamen Sitz im Leben, der für beide in Schule sowie Synagogenliturgie zu sehen ist,” könnte sich die Verbindung zwischen Midrash und Targum herleiten lassen.1064 Der historische Kontext des Targum, besonders des Targum zu den Schriften (zu denen das Buch Rut gehört), ist nicht eindeutig zu bestimmen.1065 Im Verhältnis zwischen dem Targum zum Buch Rut und Midrash Rut Rabba ist ebenfalls keine sichere Entscheidung über die Chronologie der Entstehung möglich.1066 Rashi bestreitet in seinem Kommentar zu bMeg 21b die Existenz eines Targum zu den Schriften. So können die wenigen Parallelen der Auslegung in den vorliegenden Kommentar-­Fassungen zum Targum des Buches Rut damit begründet werden, dass der Targum zu Rut Rashi bzw. die nordfranzösische Schule erst in einer Phase nach Rashis Stellungnahme in bMeg 21b zur Verfügung gestanden haben mag. So können die Targum-­Verweise auch erst nach Rashi, d. h. möglicherweise durch Kara, in den Kommentar zum Buch Rut eingeflossen sein. Ab dem 16. Jahrhundert wird der Targum in Mikra’ot Gedolot, die sog. “Rabbinerbibel,” aufgenommen und dort gedruckt.1067 Diesbezüglich vertritt Beattie die These, dass MS Nürnberg Verwendung des Begriffs Memra vgl. bspw. auch Beattie: "The Textual Tradition of Targum Ruth," S. 345. 1063 Siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 260. 1064 Siehe Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch 2011, S. 261, dort auch der Hinweis auf die Akzentuierng laut Porton, dass der hier genannte Sitz im Leben keine direkten Rückschlüsse über den tatsächlichen Beginn des rabbinischen Midrashs zulasse: "Besonders für die Frühzeit der rabb. Bewegung haben wir nur sehr wenige Belege, dass Rabbinen in der Synagoge predigten; sie legen biblische Texte gewöhnlich eher im Jüngerkreis oder im Lehrhaus aus." Siehe ebd. 1065 Vgl. Beattie, Derek Robert George: "The Textual Tradition of Targum Ruth". In: Beattie, Derek Robert George / McNamara, Martin J. (Hgg.): The Aramaic Bible: Targums in their Historical Context (Journal for the Study of the Old Testament Supplement-­Series 166). Sheffield Academic Press: Sheffield 1994, S. 340. 1066 Vgl. Kronholm: "The portrayal of characters in Midrash Ruth Rabbah", S. 17. "As is only natural, then, it is in Ruth Rabba we meet a Ruth haggadah in its fully developed and elaborate shape. Much of the haggadic material briefly recorded or merely intimated in the targum to Ruth recurs in Ruth Rabba in extenso." Siehe ebd. 1067 In Venedig wird die erste Ausgabe der Miqra'ot Gedolot von Daniel da Prate (Felix Pratensis) hergestellt und gibt den Text der hebräischen Bibel, Targum u. a. auch Rashis Kommentar wieder. Weiteres zu Miqra'ot Gedolot vgl. bspw. Liss: "Rabbinerbibel / Miqraot Gedolot".

17.8.  Der Bibeltext und seine Fassung(en)

405

Solger 6.2° (1291) die Grundlage für die Targum-­Version des Textus Rezeptus in den Rabbinerbibeln sei.1068 In den Rabbinerbibeln wird der Targum neben Rashis Kommentar gestellt, somit werden beide zum Bezugspunkt für spätere Auslegungen.1069

17.8. Der Bibeltext und seine Fassung(en) Neben dem Problem der Ermittlung von Traditionsliteraturen, von denen anzunehmen ist, dass mittelalterliche Exegeten auf sie zurückgriffen, stellt sich die Frage, welche Textgestalt des hebräischen Bibeltextes ihnen vorgelegen haben mag. Die Bezugnahme der Kommentar-­Fassungen auf verschiedene Schreibweisen lässt darauf schließen, dass in jedem Fall eine schriftliche Form des Masoretischen Textes zugrunde lag. Schon zur Zeit des zweiten Tempels gab es unterschiedliche Fassungen eines Bibeltextes, wenn auch die Varianten darin gering waren und die “Treue der Textüberlieferung der Bibel” sehr beachtlich ist.1070 Der Konsonantenbestand der Hebräischen Bibel wurde seit dem 1. Jahrhundert n.d.Z. zusammengefügt tradiert, im 5.–10. Jahrhundert mit Vokalzeichen, masoretischen und anderen Anmerkungen versehen, so dass im Mittelalter auf einen überlieferten

1068 Vgl. Beattie: "The Textual Tradition of Targum Ruth," S. 342. Bilder von "Codex Solger MS 1–7.2° (Solger) of Nürnberg is three years older than Urb. 1, dated to 1291," finden sich im Internet, siehe z. B. http://targum.info/targumic-texts/targumim-ofthe-megillot/solger-ms-images-of-tgruth/ (Zugriffsdatum: 26.10.2016). 1069 "Halakhic codes, beginning in the thirteenth century, ruled that a person reading the Pentateutch with Rashi's commentary, instead of Targum Onqelos, was consiered to have fullfilled the obligation of reading the weekly portion 'twice Hebrew and once the Targum.' " Siehe Grossman: "School of Literal Jewish Exegesis in Northern France", S. 344. 1070 So Stemberger zu Abweichungen innerhalb der Qumranschriften, die auf "Fehlübersetzungen und Korruption des griechischen Textes" geschoben wurden. "Inzwischen ist aber völlig klar geworden, daß es in der Zeit des Zweiten Tempels nebeneinander verschiedene Rezensionen der Hebräischen Bibel gab, die oft nur minimal (und sei es bloß in der Rechtschreibung), aber doch voneinander abwichen und erst allmählich in einen protomasoretischen Einheitstext mündeten." Der in den Qumran-­Handschriften "bezeugte relativ freie Umgang mit dem Text, der nicht nur die Orthographie, sondern auch die Sprache modernisiert … betont in erster Linie den Inhalt der Offenbarung; ihn gilt es verständlich zu bewahren, nicht primär die äußere Form." Diese Umgangsweise steht jener der Rabbinen gegenüber, für die "die Abgrenzung des Kanons für alle praktischen Belange klar" ist. Siehe zu allem Stemberger: "Vollkommener Text in vollkommener Sprache," S. 54.

406

17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

Korpus zurückgegriffen werden konnte.1071 Inwiefern dieser Textbestand stabil war, auf den die mittelalterlichen Exegeten rekurrierten, muss an anderer Stelle erörtert werden.1072 Nun verwenden die vorliegenden Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut Argumente, die sich auf die Schreibweise des biblischen Textes stützen. Dabei treten Unterschiede zum Text des Codex Petropolitanus B 19 A auf, dem Text der masoretischen Bibel, den die Biblia Hebraica Stuttgartensia (BHS) bzw. die Biblia Hebraica Quinta (BHQ) wiedergeben.1073 Diese Divergenzen sind einmal zu benennen als Wurzelherleitungen, die sich auf ein anderes Wort als BHQ beziehen (vgl. MS Zürich Or 157 zu Rut 1,9), da eine abweichende Wurzel zur Grundlage der Erklärung angenommen wird. Ferner werden Punktierungen besprochen, bei denen BHQ und BHS differieren (siehe MS Zürich Or 157 zu Rut 1,11). Des Weiteren treten Varianten zu BHQ und BHS auf, sei es durch Defektivschreibung statt Pleneschreibweise (so MS Berlin 1221 zu Rut 1,21 mit einem Zitat aus Jer. 14,7, oder zu Rut 2,11, wo ein Teil des Lemmas defektiv wiedergegeben wird), oder umgekehrt: Pleneschreibweise statt Defektivschreibung (in der partiellen Wiedergabe des Lemmas von MS Berlin 1221 zu Rut 2,3; oder die Wiedergabe von ‫ יוודע‬in MSS Berlin 1221 und London 22413 statt ‫ יודע‬wie in BHQ). Außerdem wird auch stellenweise Ḳere statt Ketiv zitiert (z. B. MS Berlin 1221 zu Rut 3,4). Auf Grundlage der Wiedergabe des masoretischen Textes werden Begründungen für ein bestimmtes Verständnis des Textes gegeben, bspw. in MS Zürich Or 157 zu Rut 1,19, wo mit der Punktierung des Wortes ‫“ הזאת‬ist diese [da nicht etwa]” mit Chataph argumentiert wird. Dort wird das He-­Interrogativum durch seine Punktierung mit Chataph Patach als solches festgelegt und als rhetorische Frage interpretiert. Im Hinblick auf die Wiedergabe des biblischen Textes in den mittelalterlichen Kommentaren lassen sich Rückschlüsse auf die den Exegeten evtl. vorliegenden Fassungen des Masoretischen Bibeltextes ziehen.1074 1071 Für die Festsetzung des jetzigen biblischen Kanon ist das 3./4. Jahrhundert zu nennen. Zum Textwachstum siehe bspw. Tov, Emanuel: Textual Criticism of the Hebrew Bible. 2. Aufl. Fortress Press: Minneapolis 2001; Fischer: Der Text des Alten Testaments 2009 u. a. 1072 "…the question of the variety of biblical texts used in the High Middle Ages and of the knowledge of the Masoretic tradition among Northern French exegetes awaits further research…" Siehe Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 60. 1073 Hier werden sowohl BHS als auch BHQ genannt, da noch nicht alle biblischen Bücher in der BHQ erschienen sind und daher stellenweise auf BHS zurückgegriffen werden muss. 1074 Nach dieser Darstellung der variierten Wiedergabe des hebräischen Textes soll jedoch auch festgehalten werden, dass die Aussagekraft von Varianten in der Lesart unter Forschern durchaus relativiert wird. Nach Rücksprache mit Prof. Malachi

17.8.  Der Bibeltext und seine Fassung(en)

407

17.8.1. Beispiele für Varianten der Wiedergabe des Bibeltextes in den behandelten Kommentaren Im Folgenden werden lediglich Varianten in den Grundhandschriften MSS Berlin 1221, London 22413 und Zürich Or 157 aufgeführt. Besprechungen der angegebenen Stellen finden sich in den betreffenden Kapiteln “Vergleich der Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut,” ab S. 209. Die Varianten anderer vergleichbarer Handschriften zur Schreibweise des MT (BHQ) werden in Edition und Abschrift vermerkt.

17.8.1.1. Varianten in den Kommentar-­Fassungen zu Rut 1 Defektivschreibweise in MS Zürich Or 157 zu Rut 1,9 Zürich Or 157 zu Rut 1,9: ‫ ותשנה‬Und sie erhoben (ihre Stimmen) statt MT BHQ ‫ותשאנה‬. MS Zürich Or 157 zu Rut 1,11 – Hinweis auf Punktierung mit Kamatz – anders als in BHQ MS Zürich Or 157 zu Rut 1,11 konstatiert ‫“ העוד‬Sollte noch?” sei mit einem Kamatz zu punktieren sein. Jedoch steht weder in MT (BHQ) noch im Aleppo Codex ein Kamatz in ‫הַעֹוד‬. MS Zürich Or 157 zu Rut 1,19 – Hinweis auf Punktierung mit Chataph Patach wie in BHQ aber anders als MS Copenhagen 35, das auf Chataph Kamatz hinweist MS Zürich Or 157 zu Rut 1,19 argumentiert, der Buchstabe ‫“ ה‬He” sei mit einem Chataph Patach punktiert. Beit-­Arié im Juli 2013 (im Rahmen des Workshops "Hebrew Manuscript Studies: An Introduction," 15.–19.07.2013 in der Staatsbibliothek zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz) sagt bspw. die unterschiedliche Schreibweise von Lemmata nichts über die zugrunde liegenden MSS aus, auch nicht bzgl. der Wiedergabe des Bibeltextes. Die Schreiber hätten auch innerhalb von zusammenhängenden Texten Worte unterschiedlich geschrieben. Dies veranschaulicht eine Abbildung, die nach mündlicher Auskunft MS British Library Harley 150, Margolioth 189, Fol. 9r und 10r zeigt, ein Kohelet-­Kommentar, der Rashi zugeschrieben wird. Dort befindet sich auf zwei aufeinanderfolgenden Folio derselbe (versehentlich doppelt niedergeschiebene und somit als Dittographie zu bezeichnende) Text in unterschiedlicher Schreibweise. Am Ende der zweiten Nennung des Textes äußert sich der Schreiber selbst dazu, vgl. ebd., Fol. 10r, Zeile 12 ff. Demnach muss Plene- und Defektivschreibweise also nicht unbedingt etwas über die Vorlage des Bibeltextes aussagen. M.E. ist dies aber dennoch nicht ausgeschlossen.

408

17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

Defektivscheibweise des Zitats aus Jer. 14,7 in MS Berlin 1221 zu Rut 1,21 Zitat aus Jer. 14,7 wird defektiv wiedergegeben, BHS schreibt ‫עֲֹונֵינּו עָנּו‬.

17.8.1.2. Varianten in den Kommentar-­Fassungen zu Rut 2 Pleneschreibung in MS London 22413 zu Rut 2,3 Teile aus dem Bibeltext werden mit Präfixen und Suffixen versehen, das Lemma wird plene statt defektiv wiedergegeben: MT BHQ Rut 2,3b: ‫ויקר מקרה חלקת השדה לבעז‬

MS London 22413 zu Rut 2,3: ’‫ויקר מקריה’ הק’ גרם שהקרה מקרה שלה לחלקת בעז‬

Defektivschreibweise in MS Berlin 1221 zu Rut 2,11 MT (BHQ) Rut 2,11 schreibt defektiv: ‫הגד הגד‬. MS Berlin 1221 zu Rut 2,11: ‫“ הגד הוגד‬es ist mir erzählt [ja wirklich] erzählt worden.” MS London 22413 zu Rut 2,12 Partikel ‫ ב‬wird bei der Wiedergabe des Lemmas eingefügt: ‫לחסות ביי‘ אלהי ישר‬ “… um bei dem Ewigen, dem Gott Israels, Zuflucht zu finden.”

17.8.1.3. Varianten in den Kommentar-­Fassungen zu Rut 3 MS Berlin 1221 zu Rut 3,4 MS Berlin 1221 zitiert aus Rut 3,4 im Ḳere: ‫מרגלותיו‬, MT BHQ schreibt ‫מרגלתיו‬. Verweis auf Ḳere in MS Zürich Or 157 zu Rut 3,6 MS Zürich Or 157 bezieht sich auf Rut 3,5: ‫כל אשר תאמרי אלי’ אלי קרי ולא כת‬ “… Alles, was du zu mir sagen wirst. – Zu mir ist [als Ḳere] zu lesen, aber es ist nicht geschrieben.” Alle drei Kommentar-­Fassungen zu Rut 3,14 MSS Berlin 1221 und London 22413 zu Rut 3,14 MS Berlin 1221 und MS London 22413 schreiben ‫“ אל יוודע‬Es soll [bloß] nicht bekannt werden” plene mit zwei Waw, MT BHQ schreibt ‫אל יודע‬. MS Zürich Or 157 zu Rut 3,15 Verwendung unterschiedlicher Formen: • Statt ‫ הבה‬schreiben MS Zürich Or 157 ‫ הבא‬und MS Oxford 52 ‫הב‬.

17.9.  Innerbiblische Bezüge

409

• Im Hinweis auf den innerbiblischen Bezug zu Rut 4,5 wird rekurriert mit dem Wortlaut ‫“ קנית’ קניתי‬Du erwarbst”, “Ich erwarb mir” und neben die Wortform, die auch in MT BHQ Rut 4,5 auftritt (‫ קניתי‬im Ketiv, Ḳere wird mit ‫ קניתה‬angegeben), gestellt: Rut 4,5 MT BHQ ‫ ָקנִיתִ י‬Ketiv; ‫ ָקנִיתָ ה‬Ḳere.

17.8.1.4. Varianten im Kommentar zu Rut 4 MS London 22413 zu Rut 4,4 MS London 22413 gibt Zitat aus Rut 4,4 als ‫“ ואני יודע‬und ich weiß” wieder, evtl. zu lesen als ‫“ ואני אדע‬und ich will es wissen.” MT BHQ schreibt ‫ ואדע‬Ketiv; ‫ ואדעה‬Ḳere.

17.9. Innerbiblische Bezüge In den vorliegend behandelten Kommentar-­Fassungen treten Hinweise auf Bibelstellen im und außerhalb des Buches Rut auf. Diese Interdependenzen werden im Folgenden “innerbiblische Bezüge” oder “innerbiblische Interpretation” genannt. Durch “innerbiblische Interpretation” wird der Kontext der aufeinander bezogenen Bibelstellen sinnvoll erweitert, teilweise aber auch in den Hintergrund gerückt. Der direkte Kontext, in dem die betreffende Bibelstelle steht, wird dabei erst in einem zweiten Schritt für die Texterklärung fruchtbar gemacht. Durch die Gegenüberstellung zweier Bibelstellen kann auch der Kontext der verglichenen Bibelstelle als “Verständnishorizont” zur Auslegung herangezogen werden. Die Verbindung zwischen verschiedenen Stellen wird aber nicht unüberlegt vorgenommen. Es werden vielmehr Auslegungsregeln angewandt, um verschiedene Bibelstellen miteinander in Verbindung zu setzen. Zur Argumentation dienen z. B. Wortwurzeln, die in beiden aufeinander bezogenen Stellen vorkommen. Der Bezug verschiedener Stellen aufeinander dient der Erweiterung des Verständnisses eines Textes in seinem direkten Kontext.

17.9.1. Innerbiblische Bezüge zwischen dem Buch Rut und Genesis Da in der vorliegenden Arbeit die Kommentar-­Fassungen zum Buch im Vordergrund der Ausführungen stehen und nicht das Buch Rut selbst, möchte ich hier nur kurz auf innerbiblische Bezüge, die im Buch Rut selbst auftreten, eingehen. Die hier ausgewählten Stellen finden sich im Buch Genesis.1075

1075 Weitere innerbiblische Bezüge siehe bspw. Cohn Eskenazi, Tamara / Frymer-­Kensky Tikva (Hgg.): The JPS Bible Commentary. Ruth ‫רות‬. The Traditional Hebrew Text with the New JPS translation. Jewish Publication Society: Philadelphia, PA. 2011, S. xxiiff.

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

Verbindungen zwischen verschiedenen Personen innerhalb der Bibel lassen sich herstellen, indem sprachliche Parallelen hervorgehoben werden, auch wenn die Kontexte unterschiedlicher Erzählungen weder nahe beieinander stehen noch direkt miteinander verbunden sind. So lassen sich Verbindungen zwischen den beiden biblischen Figuren Rut und Rebekka aufgrund der Verwendung von gleichen Worten in ihren Geschichten darstellen:1076 In Rut 2,3 und Gen. 24,12 tritt die Wortwurzel √‫“ קרה‬zufällig,” “passieren” auf. Diese kann als innerbiblischer Verweis und somit als Verbindung zwischen den beiden Erzählungen um Rut und Rebekka verstanden werden.1077 Weiter wird sowohl in Rut 1,8 als auch in Gen. 24,28 die Formulierung ‫“ בית אמה‬Haus der Mutter” verwendet. Durch die in beiden Erzählzusammenhängen auftretenden maßgeblichen Stichworte lassen sich beide Erzählungen miteinander in Verbindung setzen und in einer möglichen weiteren Auslegung aufeinander beziehen.1078 Sprachliche Parallelen können auch dort als Anhaltspunkt dienen, wo sich die Erzählzusammenhänge inhaltlich anders, evtl. sogar entgegengesetzt entwickeln. Dabei können ebenfalls gleiche, in beiden Kontexten auftretende Wortwurzeln und Handlungsweisen von Personen derselben Herkunft oder ähnlicher familiärer Verhältnisse als Anknüpfungspunkt dienen. Auf das Buch Genesis angewandt, lässt sich dies wie folgt demonstrieren: Die Wurzel √‫ פרד‬wird sowohl bei der Trennung Lots von Abraham (Gen. 13) als auch bei der nicht stattfindenden Trennung Ruts von Noomi in Rut 1,17 in einer wörtlichen Rede verwendet.1079 Weiter wird in Gen. 19 eine nächtliche Verführung Lots durch seine Töchter geschildert, woraufhin der Stammvater des Volkes der Moabiter1080 geboren wird. Rut ist Moabiterin, und so könnte ihre Herkunft mit der Geburtsgeschichte ihres Stammvaters in irgendeiner Weise auf sie bezogen werden. Nun trifft sich auch Rut in Rut 3 nachts mit einem Mann aus einer älteren Generation. Doch obwohl sie sich dort unbemerkt zu seinen Füßen legt, muss diese nächtliche Begegnung nicht unbedingt als sinnliches Zusammenkommen Ruts und Boaz’ bezeichnet werden, schon deshalb nicht, weil nicht ausdrücklich von Geschlechtsverkehr 1076 Vgl. Cohn Eskenazi / Frymer-­Kensky: The JPS Bible Commentary. Ruth 2011, S. xxi. 1077 Hierbei kann auch von einer "Sprache der Zufälligkeit" gesprochen werden: "language of happenstance," siehe Cohn Eskenazi / Frymer-­Kensky: The JPS Bible Commentary. Ruth 2011, S. xxi. 1078 Zu weiteren Bezügen innerhalb der Bibel vgl. Van Wolde, Ellen: "Texts in Dialogue With Texts: Intertextuality in the Ruth and Tamar Narratives". In: Biblical Interpretation: A Journal of Contemporary Approaches 5,1, 1997, S. 1–28. 1079 Vgl. Cohn Eskenazi / Frymer-­Kensky: The JPS Bible Commentary. Ruth 2011, S. xxi. 1080 "Moab," die Wortbedeutung ist herzuleiten von ‫" מאב‬vom Vater."

17.9.  Innerbiblische Bezüge

411

die Rede ist.1081 Weiter enthält Jehuda in Gen. 38 seiner Schwiegertochter Tamar ihr Recht [auf Levirats-] Ehe mit seinen Söhnen vor und wird somit unbewusst zum Vater ihres Sohnes. Dieses Verhalten steht im Gegensatz zu Boaz’ Handlung, der Rut heiratet und mit ihr im Stande der Ehe einen Sohn bekommt.1082 Zusammengefasst lässt sich also festhalten, dass Verknüpfungen zwischen Bibelstellen im Allgemeinen einen Anhaltspunkt haben müssen. Dieser Anhaltspunkt kann auch dann gelten, wenn der Kontext der Ereignisse an den jeweils verglichenen Stellen nicht übereinstimmt.

17.9.2. Innerbiblische Bezüge in den Kommentar-­Fassungen In den Erklärungen zum Buch Rut können folgende innerbiblischen Bezüge festgehalten werden:

17.9.2.1. Innerbiblische Interpretationen zu Rut 1 MS Berlin 1221 und MS London 22413 beziehen sich auf Gen. 35,19 Zu Rut 1,2 findet sich ein innerbiblischer Bezug durch die Bezeichnung der Familie Elimelekhs als Ephratiter, wobei hier Bezug auf die Bezeichnung des Weges nach Ephrat genommen wird, das nach Gen. 35,19 Beit Lechem ist. Dort wurde Rachel begraben. MS Zürich Or 157 zu Rut 1,3 zitiert aus Gen. 48,7 Zu Rut 1,3 findet sich eine namentliche Bezugnahme auf Rachel. Durch die Erklärung von Und Elimelekh, der Mann Noomis starb und die folgende Argumentation mit Bezugnahme auf Gen. 48,7 (…Rachel starb mir…) wird Rachel explizit genannt. Damit wird im Kommentar der Bezug auf die Erzmütter vorweggenommen, der im Buch Rut selbst erst im Segensspruch (Rut 4,11) explizit hergestellt wird.

17.9.2.2. Innerbiblische Interpretationen zu Rut 2 MS Berlin 1221 zu Rut 2,1 zitiert Prov. 7,4 MS Berlin 1221 zu Rut 2,1 bezieht sich auf Prov. 7,4. 1081 Vgl. Cohn Eskenazi / Frymer-­Kensky: The JPS Bible Commentary. Ruth 2011, S. xxi. Auch wenn in beiden Erzählungen weitere Parallelen auftreten (z. B. Trinken vor dem Einschlafen der Männer: Gen. 19,33 und Rut 3,7), ist dies dennoch nicht dieselbe Situation, die geschildert wird. Dazu auch Kosman: "Ruth und Boas in der Tenne. Verschiedene Interpretationen", S. 209–212. 1082 Vgl. Cohn Eskenazi / Frymer-­Kensky: The JPS Bible Commentary. Ruth 2011, S. xxii.

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

MS Berlin 1221 zu Rut 2,15 bezieht sich auf Lev. 25 MS Berlin 1221 zu Rut 2,15 spricht Shmitta an, womit der biblische Bezug zu Lev. 25 hergestellt wird. MS Berlin 1221 und MS London 22413 zu Rut 2,19 nennen Dt. 8,17, Gen. 41,47 und 2. Kön. 12,6 MS Berlin 1221 und MS London 22413 verwenden beide Dt. 8,17 sowie Gen. 41,47 zur Texterklärung. Jedoch verwenden beide MSS nicht denselben Wortlaut zur Texterklärung. Ferner zitieren sowohl MS Berlin 1221 als auch MS London 22413 2. Kön. 12,6.

17.9.2.3. Innerbiblische Interpretationen zu Rut 4 MS Berlin 1221 zu Rut 4,11 nennt 1. Sam. 14,48 MS Berlin 1221 verwendet 1. Sam. 14,48 als Belegvers. MS Berlin 1221 zu Rut 4,11 nennt Jes. 14,22 “[Der] Name, von dem hier gesprochen wird, ist das nicht der Sohn? – Wie [im folgenden Vers:] Von Babel will [ich] Namen und den Übriggebliebenen, Nachwuchs und Nachkommenschaft ausrotten (Jes. 14,22).” MS Berlin 1221 zu Rut 4,11 nennt Gen. 48,16 Außerhalb von Rut, und zwar auf Gen. 48,16 im Kontext des Segen Israels (also Jakobs) an Joseph: …‫…“ …ששם האמור כאן בכל כ’ד’ ספרים הוא בן ויקרא בהם שמי‬Denn [der] Name, von dem hier gesprochen wird, [wird] in allen 24 Büchern [durch] einen Sohn [weitergetragen]. Und durch sie wird mein Name ausgerufen werden (Gen. 48,16).” MS London 22413 zu Rut 4,10–11 mit Verweis auf Töchter Labans (Gen. 29 f.) MS London 22413 zu Rut 4,11 bezieht sich auf die Töchter Labans, die (wie Rut) Konvertitinnen gewesen sein sollen. Evtl. lässt sich hier ein Bezug zu Gen. 29,23 herstellen. MS London 22413 zu Rut 4,10–11 zitiert Num. 24,18 MS London 22413 nennt ‫“ חיל‬Großartiges” und zitiert Num. 24,18, wo ebenfalls der Begriff ‫“ חיל‬Großartiges” verwendet wird. MS Zürich Or 157 zitiert 1. Chr. 2,15 MS Zürich Or 157 verweist auf 1. Chr. 2,15: ‫מז’ ראשי אבות האמורין להלן אוצם הששי‬ ‫“ דור השביעי‬Von sieben Familienhäuptern wird im Weiteren gesprochen: Ozam der sechste (und) David der siebte (1. Chr. 2,15).”

17.10. Le’azim

413

MS Berlin 1221 zu Rut 4,14 zitiert Jes. 53,10 MS Berlin bezieht den in Rut 4,14 dargestellten Ausspruch der Frauen auf die Erhaltung des Namens “in der Welt”. Dies wird mit dem Bibelzitat aus Jes. 53,10 untermauert. MS Zürich Or 157 zu Rut 4,17 zitiert Hos. 12,13 MS Zürich Or 157 zitiert Hos. 12,13 und rekurriert auf Jakob, der für seine Frau diente. MS Zürich Or 157 zu Rut 4,17 zitiert Mal. 3,18 MS Zürich Or 157 gibt ein Zitat aus Mal. 3,18 wieder, was die Charakterisierung Ruts als “Gerechte” andeutet. MS Zürich Or 157 zu Rut 4,17 zitiert aus Ps. 78,70 Die Ausführungen über Oved in MS Zürich Or 157 schließen mit einem Zitat aus Ps. 78,70, wo David ebenfalls als “Diener” [Gottes] bezeichnet wird: ‫ויבחר בדוד‬ ‫“ עבדו‬und er erwählte sich David, seinen Diener.” MS Zürich Or 157 zu Rut 4,21–22 zitiert Ps. 40,8 und Prov. 31,26 In MS Zürich Or 157 wird Ps. 40,8 zitiert, wo David sagt, über ihn sei “in der Buchrolle” geschrieben. Ergänzt wird diese Aussage mit einem Zitat aus Prov. 31,26.

17.10. Le’azim Die vorliegend behandelten Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut sind auf Hebräisch verfasst, enthalten jedoch auch Formulierungen in altfranzösischer Sprache. Es handelt sich dabei um sog. Le’azim (Sg. La’az von √‫“ לעז‬Fremdsprache”),1083 d. h. mundartliche Glossen, die Transkriptionen altfranzösischer Worte sind,1084 welche in hebräischen Schriftzeichen wiedergegeben und oft mit dem Hinweis ‫“ בלעז‬in der 1083 Der Begriff ‫ לעז‬kann auch negativ konnotiert sein, bspw. übersetzt als "unverständlich, barbarisch reden", siehe Gesenius: Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch 1962, S. 388. Dazu auch Stemberger: "Vollkommener Text in vollkommener Sprache," S. 63 f.: "Teilhabe an der Sprache der Offenbarung ist Anteil an der Erlösung […] Die Errettung aus Ägypten, Prototyp jeglicher Erlösung, wird gleichgestellt mit der Befreiung "aus dem Volk mit fremder Sprache", (‫)מעם לועז‬, "aus einem stammelnden Volk", wie man auch übersetzen könnte. Erlösung bedeutet Hineinnahme in eine neue Sprache, die Sprache Gottes, die Sprache der Offenbarung." 1084 In der vorliegenden Arbeit handelt es sich um altfranzösische Formulierungen, in Bibelkommentaren Rashis treten auch Worte aus anderen Gegenden Ashkenas' auf. Hierzu Banitt, Menahem (Hrsg.): Le Glossaire de Bâle. Académie Nationale des Sciences et des Lettres d'Israël: Jerusalem 1972 und Banitt, Menahem (Hrsg.): Le Glossaire

414

17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

Landessprache” versehen werden. Le’azim wurden wohl um ihrer Verständlichkeit willen in den Kommentar aufgenommen, um dem Rezipienten in der Sprache seiner Umwelt – oder gar Muttersprache – beispielsweise Sinngehalte des ausgelegten Textes zu verdeutlichen. Es kann also angenommen werden, dass Gelehrte, Kommentatoren und Tosafisten Nordfrankreichs, die jeweilige Sprache ihrer Umwelt sprachen, dabei aber auch auf Hebräisch diskutierten.1085 Insgesamt ist dies für Gelehrte in Ashkenas wie auch an anderen Orten auf der Welt anzunehmen. Die Verwendung der Le’azim in den Kommentaren trägt zur Verdeutlichung von Sachverhalten bei, die sich auf die Umwelt der Exegeten beziehen. Es handelt sich bei Le’azim jedoch nicht um eine einfache Übersetzung, sondern um eine Übertragung, durch die wiederum ein weiterer Sinngehalt in den ausgelegten Textes hineininterpretiert wird. Dabei muss es nicht um eine quantitative Erweiterung des Verständnisses eines Sachverhalts gehen (etwa dass ein neuer Aspekt an den Text herangetragen wird), sondern es wird eine qualitativ andere, detailliertere Aussage des Textes angestrebt.1086 de Leipzig. TEXTE. Bd. 1–3. Académie Nationale des Sciences et des Lettres d'Israël: Jerusalem 1995–2001. 1085 "Since a large proportion of the male population participated in these studies, the ability to speak Hebrew fluently and naturally must have been quite common in the communities of this period. It was for this reason that the entire literature of these Jews was written exclusively in Hebrew; and that the language of that literature is so clear, so precise and so natural. However, the oral use of this language, even by the scholarly members of the group, was undoubtedly restricted normally to discussions on talmudic subjects. Oral communication on all other subjects, even by scholars, and all conversation of women, children and the unlearned, was carried on in a special tongue, a language that was called laas in the Hebrew of this period." Siehe Agus, Irving A.: "The Languages spoken by ashkenazic Jews in the High Middle Ages". In: Hoenig, Sidney B. / Stitskin, Leon D. (Hrsg.): Joshua Finkel Festschrift. Yeshiva University Press: New York 1974, S. 21. 1086 Evtl. ging der Ausleger auch von der Annahme aus, dass die verschiedenen Sprachen miteinander [phonetisch und damit auch inhaltlich] in [direkter] Verbindung zueinander stehen. So lässt sich auch erklären, weshalb in auf Hebräisch geschriebenen Auslegungs-­Kommentaren auch nicht-­hebräische Worte vorkommen. "A text that needs to be explained is a text that is not understood or is misunderstood, at least in the eyes of the master. It has therefore to be transposed into another language. This operation is metaphrasis. […] The recourse to metaphrasis is imbedded, to my mind, in the belief that the true meaning of the Word of God can be, or rather should be retrieved by searching for its original meaning in any language that offers a like-­ sounding word and which could give a more proper of profound significance to it. […] It follows that, in order to unearth the authenitc truth, […] we have to gather

17.10. Le’azim

415

Die Erforschung der Le’azim lässt Rückschlüsse auf die damals gesprochene Sprache sowie den Herkunftsraum der Kommentare zu. Die in den Kommentar-­ Fassungen auftretenden mundartlichen Glossen sind v. a. altfranzösische Worte, die in hebräischen Schriftzeichen wiedergegeben werden. Anders als in MS Berlin 1221 sind die Glossen in MS London 22413 meist mehrteilig und bleiben leider oft undeutlich. Zudem gibt es für diesen Kommentar weniger Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Manuskripten, womit eine Herleitung ebenfalls erschwert wird. Besonders im Fall der in MS London 22413 genannten Glossen zu Rut 1,9.12 und Rut 1,17 ist dies der Fall. Für nachfolgende Forschungen und weitere mögliche Lesweisen und Interpretationen sei trotzdem zumindest auf das Vorkommen der Le’azim an den genannten Stellen hingewiesen. Im Folgenden werden Interpretationen und Übersetzungen der in den Grundhandschriften vorkommenden Le’azim in der Abfolge des Bibeltexes aufgeführt.1087 Wenn die selbe Bibelstelle anhand von Le’azim ausgelegt wird, wird zunächst MS Berlin 1221 und daraufhin MS London 22413 jeweils mit Kontext und möglicher Umschrift wiedergegeben.

17.10.1. Le’azim im Kommentar zu Rut 1 MS London 22413 zu Rut 1,9 Fol. 71v, Randglosse Zeile 11: ‫ַאפּויִישֵ יִיש אִ טְ רֹווֵיר‬ Der inhaltliche Kontext ist ‫מנוחה‬, d. h. Ruhe im Hause des Ehemanns. Eventuell könnte das La’az interpretiert werden als afuisses i trover ‘du seist fortgelaufen [sie] dort zu erlangen’.1088 Diese Interpretation fügt sich jedoch weniger einfach in den Kontext. as much material as possible from as many languages as possible to get at the real meaning of the words […] that fits the nature and essence of things and notions. […] it is necessary to insist on the fact that the paretymological method applied to other languages than Hebrew, is not matter of fancy or flight of extravagance. It is a deep anchored belief in the primordial unity of all languages." Siehe Banitt, Menahem: "Exegesis or Metaphrasis". In: Uffenheimer, Benjamin / Reventlow, Henning Graf (Hrsg.): Creative Biblical Exegesis. Christian and Jewish Hermeneutics through the Centuries. (Journal for the Study of the Old Testament. Supplement Series 59). Sheffield Academic Press: Sheffield 1988, S. 13–29, hier S. 13; 16 f. und 24. 1087 Dr. Kiwitt, Redaktor des Dictionnaire Étymologique de l'Ancien Français, www.deaf-­ page.de, danke ich für seine Stellungnahmen im Herbst 2014. 1088 Dr. Kiwitt danke ich für diese Interpretation, sowie Hinweise auf Tobler, Adolf / Lommatzsch, Erhard: Altfranzösisches Wörterbuch. Adolf Toblers nachgelassene Materialien. Weitergeführt von Hans Helmut Christmann. Vollendet von Richard Baum, unter Mitwirkung von Brigitte Frey. Insgesamt 12 Bände. Weidmann: Berlin; Steiner:

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

MS London 22413 zu Rut 1,12, Fol. 71v, Randglosse Zeile 38: ּ ‫אנְקְדִ שֻ ישְ א ין‬ ‫כי אמרתי אפי’ אם אמרתי ב’ל אנְקְדִ שֻישְא ין‬ Denn ich sagte, [das heißt], auch wenn ich gesagt hätte. In der Landessprache ‫ין‬ ‫אנְקְדִ שֻישְא‬

Eine eventuelle Interpreation dieser Glosse blieb bisher unklar. MS London 22413 zu Rut 1,17, Fol. 72r, Randglosse Zeile 2–3: ‫אְ יי ַאלֹוק’ מְא וֹולִריְיא פַרא פודִ יר‬ Der inhaltliche Kontext lautet: ‫’ושם אקבר‘ אְיי ַאלֹוק’ מְא וֹולִרי ְיא פַרא פודִ יר‬, diese Worte sind die einzige Auslegung zum Lemma in MS London 22413: ‫ ושם אקבר‬und dort will ich begraben sein. Umgeschrieben kann der Anfang dieses mehrteiligen La’az werden als e aloc me volrei … ‘und dort werde ich mich […] wollen’. Der letzte Teil der Glosse bleibt jedoch vage.1089 MS Berlin 1221 zu Rut 1,21, Fol. 259v, Col. 1, Zeile 10: ‫ויודמט‬ Inhaltlicher Kontext in MS Berlin 1221: ‫אני מלאה הלכתי וקרם‘ ריקם שם דבר הוא ויודמט וכן לא יראו פני ריקם‬ “Ich bin voll [hier weg] gegangen, und [in] Leere [hat er mich nun zurückkehren lassen] – gleichbedeutend mit “Leerheit” ist ‫ ויודמט‬in der Landessprache. Und so auch: Ihr sollt euch nicht leer vor mir zeigen (Ex. 23,15; 34,20).

Die Glosse ‫ ויודמט‬könnte die Übertragung sein für ‹wwydemenṭ› vuidement „Entleerung, Leere“.1090 Die Lesart in MS Hamburg hebr. 32 als ‫ֹווורמטן‬ ְ könnte evtl. als Verschreibung interpretiert werden. Die Bedeutung der Glosse als Wiedergabe des Begriffs “Leere” passt gut in den Kontext des Ausspruchs Noomis, welcher somit in die Landessprache übersetzt wird. Dies passt ebenfalls zum im Kommentar zitierten Belegvers Ex. 23,15, in dessen Kontext die drei Wallfahrtsfeste Stuttgart u. a., 1925–2008. Hier: afüir in Tobler-­Lommatzsch: Altfranzösisches Wörterbuch. 1. A-­B. 1925, Sp. 202–203, v. a. Sp. 202, sowie trover, vgl. Tobler-­Lommatzsch: Altfranzösisches Wörterbuch. 10. T. 1976, Sp. 694–699, v. a. Sp. 695. 1089 voloir vgl. Tobler-­Lommatzsch: Altfranzösisches Wörterbuch. 11. U-­Z. 2002, Sp. 741–758. Mikra'ot Gedolot 'Haketer'. A Revised and Augmented Scientific Edition of 'Mikra'ot Gedolot'. Based on the Aleppo Codex and early Medieval MSS. The Five Scrolls. Cohen, Menachem (Hrsg.). Small edition. Bar-­Ilan University Press: Ramat Gan 2012 (Hebr.) zu Rut 1,21, S. 73 gibt hier die Glossen wie folgt wieder: ‫איי אלוק‬ ‫מא וולריא פרא פוריר‬, sowie ‫ווייה‬. 1090 Dr. Kiwitt danke ich für diese Darlegung sowie den Hinweis auf Godefroy, Frédéric: Dictionnaire de l'ancienne langue française et de tous ses dialectes du IXe au XVe siècle. 8. Traire – Zygaine et erratum général, complément: A – Carrefour. Vieweg: Paris 1895, S. 312–313.

17.10. Le’azim

417

aufgeführt werden (Ex. 23,14–17) und wo anschließend auf die darzubringenden Gaben verwiesen wird (Ex. 23,18–19). MS London 22413 zu Rut 1,21, Randglosse Zeile 13 und 15: ְ‫ אוויִידְ ַמנְט‬und ‫וויְיה‬ Der inhaltliche Kontext findet sich diesbzgl. zu Rut 1,9: ’‫כי המר שדי לי מאד‘ היאך שאני מלאה הלכתי באישי ובבניי י’ ובעושר וריקם‘ שם דבר’ ריקנותי י‬ ’‫אווי ִידְ ַמנְטְ’ כמ’ מדיבר אין בהם’ לי נקם ושילם’ וקבל היהודים’ ואין לפרשו ריקם ווי ְיה’ אלא ריקנות כמ‬ ‫לא יראו פני ריקם ריקנות‬ Denn der Ewige hat [es] mir sehr bitter ergehen lassen. (In)wie(fern)? [Insofern als] dass ich voll [hier weg] gegangen bin, mit meinem Mann und meinen Söhnen, und mit Reichtum. Und [in] Leere [hat er mich nun zurückkehren lassen] – das ist ein Begriff [für] meine Leere ‫ אוויידמנט‬, wie das Wort [Gottes] ist nicht in ihnen (Jer. 5,13); Mir [gehört] die Rache und Heimzahlung (Dt. 34,35); Und die Juden nahmen [es als Brauch] an (Ester 9,23), und dies [hier in Rut 1,21] ist [ebenfalls] nicht als ‘arm’ auszulegen, ‫ווייה‬, sondern [als] Leere, wie Ihr sollt euch nicht [mit] leer[en Händen] vor mir zeigen (Ex. 23,15 bzw. 34,20) [ein Ausdruck für] ‘Leere’ ist.

Die erste mundartliche Glosse in diesem Abschnitt ‫ אווי ִידְ ַמנְ ְט‬kann umschrieben werden als a vuidement ‘zur Entleerung, zur Leere’.1091 Die zweite Glosse könnte sich als vie ‘Leben’1092 lesen lassen, wobei der inhaltliche Bezug nicht direkt gegeben ist. Eventuell könnte dieses Wort als abweichende Lesart von vuide ‘leer’1093 interpetiert werden.

17.10.2. Le’azim im Kommentar zu Rut 2 MS Berlin 1221 zu Rut 2,15, Fol. 260r, Col. 1, Zeile 30 f.: ‫ שקונדיטו‬sowie ‫נאישט‬ ‫נול אלטיר דישקונדישר‬ Inhaltlicher Kontext beider letztgenannter Stellen in MS Berlin 1221: ‫תלקט ולא תכלימוה’ פתרונ לא תשי’ תשיבו פניה ריקם’ ולא שקונדיטו’ בלע” כמו הנערים אשר לך היו‬ ‫עמנו ולא הכלמנום' שפתר' לא אצלנו מהם לא מנענום מכל אשר שאלו ממני' וכן אין מכלים דבר בארץ‬ ‫שפתרונ' אין אדם מונע מחבירו נאישט נול אלטיר דישקונדישר לפי שכולם מליאים ואין בהם אביון כמו‬ ‫מקום אשר אין שם מחסור כל דבר אשר בארץ‬ ֯ '‫שמפו‬ Sie darf [Nachlese] sammeln und ihr sollt sie nicht beschämen – [Dessen] Erklärung [ist]: Wendet euch nicht von ihr ab, dass sie mit leeren Händen [dasteht]. ‘‫ ולא שקונדיטו‬in der Landessprache. Wie: Die jungen Männer die dir [zur Verfügung stehen], waren mit uns,

1091 vuidement, vgl. Godefroy: Dictionnaire de l'ancienne langue française et de tous ses dialectes du IXe au XVe siècle 1895, S. 312–313. 1092 Dr. Kiwitt danke ich für diese Darstellung mit Hinweis auf vie, vgl. Tobler-­ Lommatzsch: Altfranzösisches Wörterbuch. 11. U-­Z. 2002, Sp. 413–419. 1093 vuidement, vgl. Godefroy: Dictionnaire de l'ancienne langue française et de tous ses dialectes du IXe au XVe siècle 1895, S. 312–313.

418

17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

und wir haben sie nicht beschämt (1. Sam. 25,7). Dessen Erklärung ist: Wir haben nicht [etwas] vor ihnen zurückbehalten, wir verweigerten ihnen nichts (vgl. Koh. 2,10) von dem, was sie von mir erbaten. Und so [auch in folgendem Vers]: […] niemand wurde [wegen] einer Sache beschämt im Land (Ri. 18,7). Dessen Erklärung ist: Kein Mensch enthält seinem Freund [etwas] vor, ‫[ נאישט נול אלטיר דישקונדישר‬in der Landessprache]. Denn sie alle haben Fülle und bei ihnen ist kein Armer, wie [auch der Vers] erklärt: Ein Ort, an dem es überhaupt keinen Mangel gibt an dem, was es im Land gibt (Ri.18,10).

Der Kontext, in dem diese Le’azim auftreten, ist die Aufforderung Boas’ an seine Schnitter, Rut die Möglichkeit einzuräumen, etwas von der Ernte übriggebliebenes zu erhalten. Statt Berlin 1221 ‫ שקונדיטו‬schreibt Hamburg Cod. hebr. 32 zur Stelle ‫נְלַׂאשְקונְדְ יטש‬. Das La’az kann gelesen werden als ‹nəlaʾśqwndīṭś›, in geläufiger altfranzösischer Graphie „ne l’ascundiz“ ‘weist sie nicht zurück’.1094 Zurückgeführt auf escondire wäre eine weitere Übersetzungsmöglichkeit “verweigert [es] ihr nicht”.1095 Eine alternative Erklärung wäre die Umschreibung des ersten La’az ‫ נְלַאשְקונְדִ יטש‬nule secondites1096 und könnte derart „[behandelt] sie nicht zweitrangig“ bedeuten.1097 Im Kontext wäre dies ebenfalls passend. Die mehrteilige Glosse ‫ נאישט נול אלטיר דישקונדישר‬könnte eventuell interpretiert werden als n’est nul alter escondisd. Der letzte Buchstabe Resch im Wort ‫דישקונדישר‬ in MS Berlin 1221 könnte hierbei an Stelle von Dalet stehen und sich ebenfalls von escondire herleiten lassen. Somit könnte diese Glosse übersetzt werden als “es ist kein anderer zurückgewiesen”.1098

1094 Hier scheint eine komposite Form mit hebr. Negation und afrz. Verb vorzuliegen. Für diese Ausführung danke ich Dr. Kiwitt. 1095 escondire vgl. Tobler-­Lommatzsch: Altfranzösisches Wörterbuch. 3. E-­F. 1954, Sp. 956–957. 1096 "NUL" ist bei Levy, Raphael: Trésor de la Langue des Juifs Français au Moyen Âge. University of Texas Press: Austin, 1964, S. 164 nachgewiesen und ist hier als Negation zu verstehen (nul bedeutet u. a. "nichtig, ungültig, gegenstandslos"). Das Wort secondites lässt folgendermaßen herleiten: "second 'zweiter' 12. Jh. segond, aus lat. (s e c u n d u s)", siehe Gamillscheg, Ernst: Etymologisches Wörterbuch der französischen Sprache. Bd. 2. Winter: Heidelberg, 1997, S. 800. Levy: Trésor de la Langue des Juifs Français au Moyen Âge 1964, S. 205 weist "SECONT" ebenfalls mit der Bedeutung second nach. 1097 Bei dieser Umschreibung wäre dann der Version von MGK der Vorzug zu geben, da dort eine Trennung des Wortes ‫שקונדיטש‬ ‫נלא‬ vorhanden ist. 1098 Für diese Ausführung danke ich Dr. Kiwitt.

419

17.10. Le’azim

In beiden Glossen zu Rut 2,15 in MS Berlin 1221 kann ein La’az auf escondire zurückgeführt werden. Insgesamt beziehen sich beide Le’azim auf die Aufforderung des Nichtzurückweisens Ruts durch die Schnitter. MS London 22413 zu Rut 2,15, Fol. 72v, Zeile 54 f.: ‫ נַאֱ שְ טונְדיֶס לֵי‬und ‫שְ קַֹונדִ יט‬ Die Rückführung auf escondire im Kommentar zu Rut 2,15 in MS Berlin 1221 ist vergleichbar mit dem La’az ‫שקַֹונדִ יט‬ ְ in MS London 22413 zur Stelle, das im Folgenden thematisiert wird. Der inhaltlicher Kontext lautet: ‫תלקט זו ולא תכלימוה’ נַ ֱאשְטונְדי ֶס לֵי ב’ל’ אל תנזפוה’ כי (כ)שאדם שואל מחברו חפץ ואינו נותן לו‬ ‫שקַֹונדִ יט’ פי’ כך‬ ְ ‫נמצא זה‬ Diese darf [Nachlese] sammeln und ihr sollt sie nicht beschämen – ‫ נַ ֱאשְטונְדי ֶס לֵי‬in der Landessprache. Fügt ihr keinen Schaden zu, denn sie befindet sich [in einem Zustand], wie ein Mensch, [der] von seinem Freund einen Gegenstand fordert, aber er ihm [diesen] nicht gibt ‫שקַֹונדִ יט‬ ְ , so ist [dies] ausgelegt.

Die mehrteilige Glosse ‫ נַ ֱאשְטונְדי ֶס לֵי‬kann als Verschreibung interpretiert werden für ‹neʾśqwndyś laʾ› n’escondis lai ‘weist sie nicht zurück’.1099 ‫שקַֹונדִ יט‬ ְ kann als die gleiche Verbform, bzw. eine Variante von ([e]scondit[s]) interpretiert werden.

Diese Le’azim sind vergleichbar mit jenen in MS Berlin zur Stelle, vgl. Ausführungen zur Glosse in MS Berlin 1221 zu Rut 2,15. Ms Berlin 1221 zu Rut 2,19, Fol. 260r, Col. 2, Zeile 7–8: ‫אשוב דיש‬ ֯ ‫או‬ Inhaltlicher Kontext in MS Berlin 1221: ’‫אנה עשית או אשוב דיש‬ “Und [nun sag schon,] wo hast du das gemacht? ‘‫[ או אשוב דיש‬in der Übersetzung].”

MS Hamburg Cod. hebr. 32 zu Rut 2,19, Fol. 84v, Col. 2, Zeile 3 schreibt zur Stelle ‫או ַאשיט וַודינֵר‬.֗ Le Glossaire de Leipzig gibt zu Rut 2,19 Folgendes an, was zum Zusammenhang der Erklärung passt:1100 ‫איפה‬

‫לג) או‬:‫כמו מי איפה דב' (כז‬

où?

o

Somit ergibt sich die mögliche Umschrift als “Où ast guadigné, wo hast du verdient?”1101

1099 "Die Form des fem. Objektpronomens könnte auf einen lothringischen Ursprung der Glossen hindeuten", vgl. hierzu ausführlicher Kiwitt, Marc: Les gloses françaises du glossaire biblique B.N. hébr. 301. Édition critique partielle et étude linguistique. Winter: Heidelberg 2013 S. 94–95. Diese Ausführung ist Dr. Kiwitt zu verdanken. 1100 Vgl. Banitt: Le Glossaire de Leipzig. Bd. 3. 2001, Nr. 20912, S. 1618 f. 1101 Siehe Jellinek: Commentarien zu Esther, Ruth und den Klageliedern 1855, S. 30.

420

17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

Das französische Wort guerdon – „Entlohnung“ – kommt von dem galloromanischen „widerdonum“,1102 in dessen Nähe die Umschrift ‫ וודינר‬steht und somit auf die Vorform von guadigné bezogen werden kann. Andererseits kann ‫ וודינר‬auch von vedanger hergeleitet werden, was „ernten” bedeutet.1103 Dies käme dem biblischen Inhalt nah, denn Rut hat auf dem Feld gesammelt, also indirekt geerntet.1104 Eine andere Erklärung für das La’az ‫אשוב דיש‬ ֯ ‫ או‬ist, dass es sich um einen Abschreibfehler handelt für ‹ʾwʾśwbryś› o as ovrés ‘wo hast du gearbeitet/wo warst du tätig?’.1105

Beide Interpretationen des mehrteiligen La’az passen in den biblischen Kontext sowie zur Erklärung, im Kontext der Rückfrage Noomis nach Ruts Rückkehr vom Feld. MS London 22413 zu Rut 2,19, Fol. 73r, Zeile 6: ‫ניְיטֶ֯ ריש‬ Der inhaltliche Kontext lautet: '‫נא' הרווחת כל זה' בלע' ני ְי ֶ֯טריש כמ ֯עשה לי את החיל הזה' ותעש הארץ לשבע שני‬ ֯ ‫ואנה עשית’ אנה‬ '‫השבע‬ Und [nun sag schon,] wo hast du das gemacht? – Wo bedeutet “Hast du etwa all das [selbst] eingebracht?” In der Landessprache ‫ני ְי ֶ֯טריש‬. Wie [sowohl in folgendem Vers]: [Du könntest in deinem Herzen sprechen: Meine Kraft und meiner Hände Stärke] brachte mich zu diesem großartigen [Reichtum] (Dt. 8,17) [als auch in diesem Vers] und das Land brachte für sieben Jahre Überfluss […] hervor (Gen. 41,47).

Leider führten die Nachforschungen für diese Schreibweise als ‫ ני ְי ֶ֯טריש‬zu keinem Ergebnis. Eventuell könnte die Wiedergabe des Wortes als nicht korrekte Abschrift interpretiert werden und auf die selbe Form wie in MS Berlin 1221 zurückgeführt werden.

1102 „Eine Kleinigkeit, die man zur Bekräftigung der Annahme einer Schenkung gibt […]; dazu seit dem 11. Jh. die Abl. guerdonner "vergelten"“, vgl. Gamillscheg: Etymologisches Wörterbuch der französischen Sprache. Bd. 1. 1997, S. 505. 1103 Siehe Levy: Trésor de la Langue des Juifs Français au Moyen Âge 1964, S. 230. 1104 "verdanjer, vendanger". Weitere Umschriften könnten "vendanjor, vendangeur", also "Weinleser" oder "vendanjure, vendange", "Weinlese" sein (siehe Levy: Trésor de la Langue des Juifs Français au Moyen Âge 1964, S. 230), was zwar in der nordfranzösischen Umwelt als Weinbaugebiet sicher naheliegt, jedoch im Kontext des Buches Rut keinen direkten Bezug hat, da es sich dort um Getreideernte handelt. 1105 ovrer vgl. Tobler-­Lommatzsch: Altfranzösisches Wörterbuch. 6. Mi-­Ozvale. 1965, Sp. 1452–1458. Auch an dieser Stelle Dank an Dr. Kiwitt.

17.10. Le’azim

421

17.10.3. Le’azim im Kommentar zu Rut 3 MS Berlin 1221 zu Rut 3,8: ‫אישטודש‬ Inhaltlicher Kontext in MS Berlin 1221: ‫וילפת’ לשון פישוט ידים ורגלים ולשון עיקום כמנהג אדם שניעור משבתו פושט ידיו ורגליו ומניקם לכאן‬ ’‫ולכאן’ וכן וילפת שמשון’ אישטודש בלע‬ “Und er beugte sich vor – ein Ausdruck [für das] Ausstrecken von Armen und Beinen und ein Ausdruck für Biegen, wie es die Gewohnheit eines Menschen ist, der von seinem Schlaf erwacht: Er streckt seine Arme und Beine aus und beugt [sie] hierhin und dorthin. Und so [auch] Und Shimshon umschlang [die Säulen] (Ri. 16,29).1106 ‫ אישטודש‬in der Landessprache.”

Le Glossaire de Leipzig gibt zu Rut 3,8 Folgendes an:1107 ‫ אונ' אּומְא‬un' ume ‫ וִינְק‬vink

èfuanbraçés [SIC]

et il était pris dans les bras

‫ְ(ר)צֵייש כמו וילפת שמשון‬ ַ ‫אֵיפּוַאנְב‬ )‫כט‬:‫(שופ' טז‬

‫וילפת‬

MS Hamburg hebr. 32 zu Rut 3,8 schreibt ‫ אֵשטֹורשט‬zur Stelle. Hierbei könntes es sich um die Umschreibung von estorest1108 handeln und „sich herauswinden“ bedeuten. Andererseits könnte ‫ אישטודש‬in MS Berlin 1221 als ‹ʾśṭwrśṭ› e se torst ‘und er drehte sich um’1109 bzw. „und er wand sich“ gelesen werden, mit Dalet für Resh und fehlendem Tet, wie in MS Hamburg hebr. 32 ‫אֵשטֹורשט‬. Wiederum passen beide Interpretationsmöglichkeiten in den Kontext des Kommentars zur Begegnung von Rut und Boaz auf der Tenne. MS London 22413 zu Rut 3,8, Fol. 73v, Zeile 7 f.: ‫ שְ טַ נ ְִרילִית‬und ‫רטורצת‬ Der inhaltliche Kontext für beide Le’azim ist Folgender: ‫ש ַטנ ְִרילִית’ וילפת‬ ְ ’‫וילפת’ כל אדם הניעור משנתו הוא פושט ידיו ורגליו ועוקמן ומושכן אליו ופושטן’ בלע‬ ’‫ויעקם את עצמו רטורצת וילפות שמשון את עמודי התוך וכן פתר‬

1106 Auch bzgl. Ri. 16,29 ist keine weitere vergleichbare und zur Stelle passende Glosse zu finden in Banitt: Le Glossaire de Leipzig. Bd. 1. 1995, vgl. Nr. 5339, S. 411. 1107 Vgl. Banitt: Le Glossaire de Leipzig. Bd. 3. 2001, Nr. 20930, S. 1620 f. 1108 Das Anglo-­Norman Dictionary gibt für estoertre folgende Formen und Nebenformen an: „estordre, esturdre; estortre, estourtre, estuertre, esturtre; estourter, estourtere, esturtere, esturterere; […] estorter, esturter; extorter; turter; p.p.estors, estorsé, esteors“ und übersetzt „v. a. 1 to twist out, withdraw; to twist off, wrench (from); to wrest, deliver (from) 2 to extort 3 to escape from, avoid; to avoid paying; v.n. to escape, avoid doing; to escape responsibility; v. refl. to escape; p.p. as a. forced; sbst. inf. withdrawal“, siehe http://www.anglo-­norman.net (Zugriffsdatum: 17.03.2016). 1109 tordre, vgl. Tobler-­ Lommatzsch: Altfranzösisches Wörterbuch. 10. T. 1976, Sp. 411–413. Dr. Kiwitt danke ich für diese Interpretation.

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17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

Und der Mann fuhr [vom Schlaf] auf – der Vers überliefert und er beugte sich vor. Und [erst] nachdem [gesagt wird], und der Mann fuhr [vom Schlaf] auf, [steht da:] und er beugte sich vor. Jeder Mensch, der von seinem Schlaf aufsteht, der streckt seine Arme und Beine aus und krümmt sie und zieht sie an sich, und streckt sie [danach wieder] aus. In der Landessprache ‘‫ש ַטנ ְִרילִית‬ ְ Und er beugte sich vor – und er krümmte sich.1110 Und Shimshon umschlang die mittleren Säulen (Ri. 16,29). Und so ist die Auslegung: Wann [war es, was geschildert wird mit] und der Mann fuhr [vom Schlaf] auf? Zu dem Zeitpunkt, [der beschrieben wird mit] und er beugte sich vor. Danach [steht also geschrieben], dass er sich vorbeugt. Und siehe eine Frau liegt zu seinen Füßen – und [erst] danach fuhr er [vom Schlaf] auf. So ist die Auslegung.]

In dieser Form ist das Wort ‫ש ַטנ ְִרילִית‬ ְ leider nicht zu aufzuschlüsseln. Das weitere La’az in diesem Abschnitt ist ‫רטורצת‬, welches evtl. stammt von retorcet ‘er verdrehte [sich]’.1111 Transliteriert ist eine Nähe zu “[se] retour[ner]”, “sich umdrehen” festzuhalten. Eine inhaltliche Ähnlichkeit der Auslegungen zur selben Stelle in beiden Manuskripten, MSS Berlin 1221 und London 22413, lässt sich konstatieren. In den Ausführungen zu den Le’azim wird deutlich, dass durch die Erklärung einiger Bibelstellen mit Hilfe (altfranzösischer) Begriffe bestimmte Bedeutungen transportiert und verstärkt werden. Zum einen Teil handelt es sich um eine Wiedergabe des selben Wortes in die Landessprache, was vor allem in den Le’azim in MS Berlin 1221 der Fall ist. Zum anderen Teil erweitern manche mundartlichen Erklärungen den Kontext, indem sie in mehrteiligen Glossen mehr oder weniger leicht variierte Aspekte an den Text herantragen, was vor allem für MS London 22413 festzuhalten ist. Die Verwendung mundartlicher Glossen lässt auf die Tatsache schließen, dass Kara die Sprache seiner Zeitgenossen zu einem besseren Verständnis seiner Text­ erklärungen nutzte. Eventuell könnte angenommen werden, dass das Publikum der Erklärungen zu geringe hebräische Vokabelkenntnisse besaß. Über den gesamten Kommentarteil verteilt treten jedoch relativ wenige derartige Glossen auf, nicht übermäßig viele Stellen werden mit Le’azim erklärt. Somit ist die breite Kenntnis der Traditionsliteratur und deren Verständnis im Publikum anzunehmen. Für MS Berlin 1221 sind fünf Stellen für die Verwendung von Le’azim zu listen, für MS London 22413 werden sieben Stellen teilweise durch mehrere sowie mehrteilige Glossen erklärt. Dabei werden in vier Fällen jeweils die selben Verse in MS Berlin 1221 und 1110 ‫" רטורצת‬drehte sich um." Evtl. ist dies auch ein La'az, hier ggf. mit der Bedeutung "sich umdrehen," wie im Neufranzösischen "se retourner", vgl. Anmerkung 474, S. 173. 1111 retordre vgl. Tobler-­Lommatzsch: Altfranzösisches Wörterbuch. 8. Q-­R. 1971, Sp. 1143–1144, wobei Taw in altfranzösischen Glossen äußerst ungewöhnlich ist und auf einen Abschreibfehler deuten könnte. Für diese Ausführung danke ich Dr. Kiwitt.

17.11.  Hinweise auf Realia

423

MS London 22413 mit Le’azim ausgelegt: Rut 1,21; 2,15; Rut 2,19 sowie Rut 3,8. Dort können die Themen Leere, Zurückweisung, Verdienst, Abwenden herausgelesen werden, die jedoch untereinander durch den jeweiligen Abstand im jeweiligen Kommentar nicht in direkter Verbindung stehen und somit hier nicht weiter aufeinander bezogen werden sollen. Insgesamt kann ein sporadischer Gebrauch von mundartlichen Glossen für die Erklärung des Bibel- bzw. Kommentartextes zu insgesamt elf Bibelversen festgehalten werden. Es ist anzunehmen, dass sich die Verwendung von Le’azim hier vor allem auf den thematischen Inhalt bezieht, welcher zur jeweiligen Stelle durch die mundartlichen Glossen hervorgehoben werden sollte.

17.11. Hinweise auf Realia In den Kommentaren zeigen sich Hinweise auf reale Gepflogenheiten.1112 Dabei ist oftmals schwer einzuschätzen, ob sich diese Hinweise auf Realia des biblischen Textes beziehen, oder aufgrund umgebender Einflüsse zur Abfassungszeit des Kommentars im Mittelalter in den Text aufgenommen wurden.1113 Da der Kommentar sehr textbezogen argumentiert, kann hier nur sporadisch von einer Bezugnahme auf das Lebensumfeld im Mittelalter gesprochen werden.1114 Rut 2 erzählt über Ruts Nachlese bei der Gerstenernte. Somit ist das Thema der Ernte für den Kommentar vorgegeben. Hiervon ausgehend kommen Hinweise auf Realitäten wie Erntegepflogenheiten in allen Kommentar-­Fassungen zu Sprache.1115 1112 Bspw. in MS Berlin 1221 und MS London 22413 zu Rut 2,5 ff. in den Dialogen auf dem Feld bzgl. Erntegepflogenheiten. 1113 Somit könnte einerseits der Bibeltext mit den dargestellten Gepflogenheiten erklärt werden (derart würde der Bibeltext mit Gepflogenheiten der Zeit erklärt), oder andererseits Einflüsse des Mittelalters in den Kommentar eingetragen sein, um diese festzuhalten (so würden Begebenheiten der Abfassungszeit des Kommentars quasi mit Inhalten des Bibeltextes erklärt). 1114 Ein sehr seltener Bezug auf einen realen Lebenskontext ist in der Auslegung von MS London zu Rut 4,7 zu finden. Dort wird bzgl. der Bestätigung eines Kaufs der Hinweis eingetragen ‫" מה שאנו עושין היום‬Was wir heute tun." Dies kann hier explizit als eine Bezugnahme auf die mittelalterliche Umwelt verstanden werden, ist aber im Kommentar allgemein nur singulär zu finden. Andere Bezugnahmen auf die Lebensumwelt lassen sich sowohl auf die biblische als auch auf die mittelalterliche Lebensumwelt beziehen, z. B. die Thematisierung der Nötigung einer Frau in Rut 2,8 mit Kommentar. 1115 Allgemein zu Realia in Rashis Kommentaren mit Hinweisen auf Karas Auslegung mit Schwerpunkt auf der konkreten Bedeutung des Textes vgl. Grossman: Early Sages of France 2001, S. 207 ff. bzw. Grossman: "School of Literal Jewish Exegesis in Northern France", S. 340 f.

424

17.  Ausführungen zur mittelalterlichen Auslegungsliteratur

Dabei ist festzuhalten, dass die Exegeten neben ihrer Gelehrten-­Tätigkeit auch selbst als Winzer (wie Rashi) oder Landwirte (wie Rashbam) arbeiteten und hierdurch bei Auslegungen zu Erntedarstellungen durchaus von ihrer tatsächlichen Umwelt ausgehen konnten, also gewusst haben, wovon sie sprachen.1116 Falls ein Ausleger nicht selbst Bodenbesitzer war oder im Agrarwesen arbeitete (z. B. ist Kara nicht explizit als Landbesitzer bekannt), hatte dieser aber sicherlich zumindest indirekt mit der Bodenbewirtschaftung zu tun, z. B. durch Berichte seiner Zeitgenossen, die in der Agrarwirtschaft tätig waren. Durch Rashis Tätigkeit als Weinbauer erfuhr sein Zeitgenosse Kara höchstwahrscheinlich auch in dieser Beziehung nicht nur etwas über die exegetische, sondern auch über die handwerkliche Arbeit. Hier folgen die Erklärungen der drei behandelten Kommentar-­ Fassungen zum Buch Rut, die Hinweise auf Realia enthalten. Ausführungen dazu sind in den Kapiteln zum Vergleich der Kommentar-­Fassungen zu finden. Stelle

Inhalt

MS Berlin 1221 zu Ernte: "Jeder, der auszieht um Ähren zu sammeln, [da] richtet jeder Rut 2,2 einzelne seine Augen auf das Feld nahe vor sich. Ein jeder ist hinter seinem Bekannten, aber ich habe keinen Bekannten." MSS Berlin 1221 [MS Berlin 1221:] Und Boaz sprach zu seinem über die Schnitter und London 22413 bestellten jungen Mann: Zu wem gehört diese junge Frau? – So ist es zu Rut 2,5 (auch) in der (nicht-­jüdischen) Welt üblich, dass jeder, der (Trauben in) seinem Weinberg liest oder der sein Feld aberntet, einen Vorgesetzten aufstellt, damit er keinen fremden Mensch eintreten lasse, zur Zeit der Ernte sein Feld zu betreten. Rut 2,14

Und tauche deinen Bissen in Essig – Dadurch (weiß man), dass der Essig gut bei Hitze ist.

1116 So lässt sich für das 9. Jahrhundert zu Grundbesitz und dessen Bewirtschaftung durch "Juden im Frankenreich" festhalten "…Sie besaßen nicht nur Land; wenigstens einige unter ihnen bewirtschafteten es auch selbst. Auch der Gelehrte Rashi aus Troyes (1040–1105) ernährte seine Familie wohl zeitweilig vom Weinbau." Siehe Heil: Kompilation oder Konstruktion? Die Juden in den Pauluskommentaren des 9. Jahrhunderts, S. 13.

18. Zusammenfassung Charakteristisch für Kara im Gefolge Rashis und für die nordfranzösische Bibelexegese im Allgemeinen ist die Verwendung von Traditionsliteratur und die Auslegung mit Hervorhebung literarischer Aspekte des Bibeltextes. Beide Aspekte sollen im Folgenden zusammenfassend betrachtet und dabei Rückschlüsse auf die Exegese Karas gezogen werden, wie sie sich in den vorliegenden Kommentar-­ Fassungen darstellt.

18.1. Verwendung der Traditionsliteratur in den Kommentaren der nordfranzösischen Schule im 12. Jahrhundert unter Berücksichtigung literarischer Aspekte Neben dem Verweis auf Verse im weiten biblischen Kontext ist die Verwendung von Targum und anderer hergebrachter Traditionsliteratur zum ausgelegten Text in der mittelalterlichen Exegese charakteristisch. Für die Entstehungszeit der hier behandelten Kommentar-­Fassungen im 12. Jahrhundert ist außerdem eine unabhängige Interpretation der Bibel festzuhalten. Neben dem Interesse an literarischen Aspekten des Bibeltextes ist hierbei auf die Auslegung nach dem peshat hinzuweisen. Der Begriff peshat ist dabei mehrdeutig. Er bezieht sich auf den konkreten Sinn bzw. Kontext des Bibeltextes, ohne dabei sofort Interpretationen aus der Traditionsliteratur zur Erklärung einer Bibelstelle heranzuziehen. Die Hinwendung zu neuen Erklärungsmustern ersetzt die Traditionsliteratur jedoch nicht, vielmehr werden Ergebnisse der literarischen Untersuchung des biblischen Textes im Kommentar neben anderen Interpretationsmöglichkeiten dargestellt. Ein vergleichsweise direkter Zugang zur Bibel als Literatur ist v. a. in MSS Berlin 1221 und London 22413 erkennbar und kann auf die sachlich-­ analytische Sichtweise der nordfranzösischen Schule auf biblische Texte zurückgeführt werden. Dabei werden Erklärungen jedoch nicht zusammenhanglos oder nur aufgrund eigener Überlegungen von den mittelalterlichen Exegeten geäußert, sondern kontextabhängig neben überlieferte Texterklärungen gestellt. Beispielsweise bereichern homiletische Erklärungen die Auslegungen Rashis, Karas sowie der nordfranzöschen Exegetenschule überhaupt.1117 Die zeitliche und lokale Um1117 Homiletische und halakhische Äußerungen werden zur Texterklärung aufgenommen und sind integraler Bestandteil des exegetischen Werks von Kara, wie auch

426

18. Zusammenfassung

gebung Rashis und Karas in Troyes bietet den Hintergrund für ihre Zusammenarbeit, wobei es zur gegenseitigen Übernahme von Texterklärungen gekommen sein mag.1118 So sind auch die Parallelitäten und Ähnlichkeiten in ihren Auslegungen zum biblischen Text erklärbar, wo sie sich bspw. dem wortwörtlichen Sinn und Zusammenhang einer Bibelstelle zuwenden und Bezüge zum engeren Kontext des biblischen Textes herstellen. Daneben kennen und berücksichtigen sie hergebrachte Auslegungen, die sie teilweise wörtlich in ihre Erklärungen aufnehmen.1119 So verwendet die Bibelexegese Rashis Kommentare aus Mishna, Talmud und Midrash, was auch bei Karas Auslegungen der Fall ist.1120 Bei derartigen Parallelen kann angenommen werden, dass nicht nur Rashi als Urheber, sondern auch Kara als Bearbeiter für Aktualisierungen von Rashis Kommentaren in Frage kommt, sowie auch spätere Bearbeiter.1121 Aufgrund der Übereinstimmungen ist ein Vergleich von Karas Auslegungen mit denen Rashis zu unternehmen.1122 Durch die Gegenüberstellung der an beide zugeschriebenen Kommentare zeigen sich die Unterschiede am deutlichsten. Diese Unterschiede lassen auf bearbeitete Stellen schließen, jedoch kann eine Zuordnung an Rashi oder Kara insgesamt nur mittelbar möglich sein.1123 In den vorliegenden, Kara zuzuschreibenden Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut “verwirft” Kara aggadische Erklärungen keinesfalls immer “mit aller Schärfe”, wie dies bei der Charakterisierung seiner

später von Rashbam (ca. 1080–ca. 1160) und R. Josef Bekhor Shor (1130–1200). Zum Ganzen vgl. beispielsweise Ahrend, Moshe: "L’adaptation des commentaires du 'midrash' par Rashi et ses disciples à leur exégèse biblique". In: Revue des Etudes Juives 156 (3–4), 1997, S. 276 f. Weiteres vgl. Kapitel "Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar," S. 390. 1118 Außerdem können Teile ihrer Auslegungen später von sekundärer Hand vom einen zum anderen Kommentar übertragen worden sein. 1119 Wenn mittelalterliche Exegeten zu einer bestimmten Stelle keine andere als die verwendete Auslegung zitieren, muss das nicht bedeuten, dass sie sie nicht gekannt hätten, sondern dass sie sie lediglich – aus welchen Gründen auch immer – nicht zur Texterklärung wiedergaben. 1120 Z.B. alle drei Kommentar-­Fassungen zu Rut 2,16 mit dem Hinweis auf mEr 10,1. 1121 Zu Eintragungen in Rashis Tora-­ Kommentar vgl. Grossman: Early Sages of France 2001, S. 184, bzgl. Kara ebd. S. 315 f. 1122 Daher ist auch der Rashi zugeschriebene Kommentar in MS New York 778 in der Edition vorhanden. 1123 In der vorliegenden Arbeit werden Parallelen zwischen den an Rashi und Kara zugeordneten Stellen nur genannt. Schlüsse auf den "Urheber" der jeweiligen Auslegung können hier nicht mit Sicherheit gezogen werden, wobei darüber jedoch an anderer Stelle weitere Überlegungen angestellt werden könnten.

18.2.  Rashis Kommentar als Grundlage Karas

427

Auslegungsart festgehalten werden kann,1124 und was sich auch von seiner Stellungnahme zu 1. Sam. 1,17 herleiten lässt, wo er peshat dem Midrash vorzieht. In Bezug auf die Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut ist vielmehr festzustellen, dass z. B. am Beginn des Kommentars in MS Zürich Or 157 Rut Rabba in längerem Fortlauf zitiert wird. Auch Rashi zitiert aus Rut Rabba,1125 doch gibt der Kara zugeschriebene Kommentar darüber hinaus die auf dem Midrash basierenden Auslegungen wieder.1126 Zur Lösung dieses Gegensatzes zwischen Auslegungen in den behandelten Fassungen der Kommentare zum Buch Rut und der sonst Kara zugeschriebenen Vorgehensweisen bei der Textauslegung ist anzubringen, dass in den vorliegenden Kommentaren Midrash gar nicht verworfen werden sollte, sondern midrashische1127 Materialien neben wortwörtliche Auslegungen gesetzt und durch die Zusammenstellung miteinander verbunden werden.

18.2. Rashis Kommentar als Grundlage Karas In den Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut, v. a. in MS Zürich Or 157, das die größte Ähnlichkeit zu Rashis Kommentar aufweist, befinden sich Zitate aus der Traditionsliteratur, v. a. aus Midrashim. Die Verwendung der Midrashliteratur ist besonders für Rashis Kommentar zur Bibel charakteristisch, wobei er aus dem Midrash wählt, was in seine Texterklärung passt.1128 Daneben gilt Rashi als der Wegbereiter und Formulierer des peshat, der Methode der wortwörtlichen Auslegung.1129 Beide exegetischen Herangehensweisen schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich als peshat und derash. Was hier für Rashi gilt, kann allgemein festgehalten werden für die nordfranzösische Schule des 11. und 12. Jahrhunderts, die verschiedene Auslegungsarten sammelt und nebeneinander anwen-

1124 Siehe schon Poznański: "Die nordfranzösische Exegetenschule", S. 394. 1125 Vgl. z. B. MS New York 778 zu Rut 1,1. 1126 Dazu anders Poznański, der hier nochmals zitiert werden soll: "Er [Kara] nimmt zwar auch Erklärungen des Midrasch auf, ist aber weit von der Harmlosigkeit Raschis, sie neben dem einfachen Peschat bestehen zu lassen, entfernt, hebt vielmehr die Allgemeingültigkeit der natürlichen Auffassung hervor." Siehe Poznański: "Die nordfranzösische Exegetenschule", S. 394. 1127 V.a. aggadisches, vgl. dazu Kapitel "Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar," S. 390. 1128 "…Rashi's commentary which is firmly anchored in the midrash, selects from it passages that to Rashi were most useful for interpretive and educational purposes." Siehe Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 167. 1129 Vgl. Kapitel "Peshat," S. 386.

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18. Zusammenfassung

det.1130 So kommt es zu verschiedenen Interpretationen der Bibel, die innerhalb eines Kommentars gesammelt und zusammengestellt werden. Das Produkt dieser Zusammenführung ist ein zusammengestellter Kommentar, der als Kompilation bezeichnet werden kann.1131 Rashi kann derart als Kompilateur verstanden werden, indem er zur Texterklärung neben dem peshat Teile aus der Traditionsliteratur, Midrashim und weitere rabbinische Literatur zur Texterklärung heranzieht, zitiert und im Kommentar zusammenführt.1132 Die kompilierende Auslegungsart kann des Weiteren dahingehend erklärt werden, dass die bis dato mündlich, selten schriftlich überlieferten Erklärungen in Kommentaren aufgeschrieben wurden, um sie zu erhalten. Heute ist nicht mehr rekonstruierbar, in welcher Form mittelalterliche Kommentatoren auf überlieferte Auslegungen zum biblischen Text zugreifen konnten,1133 ob ihnen diese Texte etwa in einer Bibliothek bzw. anderweitig in schriftlichen Fassungen vorlagen, oder ob sie sie auswendig kannten. So kann es sein, dass Traditionsliteratur aus dem Gedächtnis wiedergegeben wurde oder nur sporadisch in schriftlichen Werken zur Verfügung stand. Wenn Rashi selbst noch auf keinen “offiziellen” Kanon der aggadischen Midrashim zugreifen konnte, mag er diesen selbst erstellt haben.1134 In dieser Hinsicht ist ein Kommentar Rashis vergleichbar mit Midrash-­Anthologien, die teilweise dasselbe Anliegen wie die nordfranzösische Exegetenschule verfolgt haben mögen, und das auch in der Bewahrung überlieferter Midrashim bestand.1135 Als Ziel kann hier die Zusammenstellung von Lehr- und Lernmaterial gelten, das die überlieferten Midrashim ent- bzw. erhielt. So konnten Rashis Auslegungen und die der nordfranzösischen Schule

1130 Vgl. Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 39–44. 1131 Die Zusammenfügenden dieser Kompilation könnten auch "Kompilateure" genannt werden, daher muss "Rashi" oder "Kara" nicht als eine einzelne Person, sondern als Überbegriff für eine Gruppe verstanden werden, vgl. Kapitel "Kompilation," S. 381. 1132 "As the (Hebrew) 'glossa ordinaria,' Rashi's commentary for the first time had set up a 'canon' of midrashic texts, i.e., a canon of literature required for the proper understanding of the text and for ascertaining its theological meaning. Rashi, thus, condensed in particular the aggadic midrashim on respective motifs and topoi that to him formed the core content of a story. The midrash, thus, became part of the theological heritage of the Jews." Siehe Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 167. Vgl. auch Kapitel "Bearbeitungsstufen eines Kommentars," S. 379. 1133 Vgl. Ta-­Shma, Israel M.: "The Library of the Ashkenaz Sages in the 11th–12th Centuries". In: Kiryat Sefer 60, 1985, 298–309 (Hebr.). 1134 Vgl. Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 43. 1135 Vgl. "Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar," S. 390.

18.2.  Rashis Kommentar als Grundlage Karas

429

selbst Teil eines “offiziellen Kanons” werden.1136 Die Auftretenden (Versatz-)Stücke aus Midrashim (RutR, Rut Zuta, Yalkut Shimoni etc.)1137 können also als Auslese gelten.1138 In den vorliegenden drei Kommentar-­Fassungen Karas zum Buch Rut werden die Midrashim nicht nach Aussagepunkten oder dramaturgischen Richtlinien zusammengestellt, sondern folgen vielmehr der Vers-­Chronologie, was auf die Entstehung als Glossenkommentar zurückgeführt werden kann. Darin wird die Traditionsliteratur zitiert um den Gehalt der Tradition weiterzugeben. Die Kriterien der Auswahl von Zitaten aus überlieferter Literatur bleiben jedoch im Dunkeln.1139 Eventuell wurde die Auswahl von Midrashliteratur aufgrund aktueller Sichtweisen auf bestimmte Aspekte getroffen, wobei die damals zeitgemäße Interpretationsart zu berücksichtigen war, die sich in Form des wortwörtlichen Textverständnisses im Kommentar widerspiegelt.1140 Einwirkungen 1136 Es kann angenommen werden, dass vorher noch nicht auf derartige konstituierte Sammlungen zurückgegriffen werden konnte: "It is quite clear that the circulatio of these works was sporadic and incidental and that there was probably no single collection of all of them in one location at any one time." Siehe Lerner: "The Works of Aggadic Midrash and the Esther Midrashim", S. 136. 1137 Zu Midrashim wie RutR, Rut Zuta und Yalkut Shimoni siehe Kapitel "Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar," S. 390. 1138 Bis zum Mittelalter wuchsen diese Texte schon zu einer Fülle von Auslegungen an. Daher kann auch Rashi als ein Zusammenstellender von (Traditions-) Literatur charakterisiert werden, aus denen er seine "best-­picks" zusammenfügte, siehe Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 40. 1139 Vgl. auch Shereshevsky, Esra: Rashi: The Man and His World. Sepher-­Hermon Press: New York, NY 1982. Dazu auch Goldberg: "Es ist daher fast zwingend anzunehmen, daß aus uns nicht mehr einsichtigen Gründen gerade diese Auswahl und nicht eine andere getroffen wurde. Mit dieser Auswahl war eine Absicht verbunden. Zwar erkennen wir immer wieder assoziative Redaktionsprinzipien, es ist aber eher mit argumentativen Redaktionsprinzipien zu rechnen (und beide können nebeneinander bestehen)." Siehe Goldberg, Arnold: "Entwurf einer formanalytischen Methode für die Exegese der rabbinischen Traditionsliteratur". In: Frankfurter Judaistische Beiträge 5, 1977, S. 5. Was hier zur Formierung des Midrash festgehalten wird, lässt sich auch auf die Auswahl der Traditionsliteratur in Bibelkommentaren Rashis und der nordfranzösischen Schule jener Zeit beziehen. 1140 Vgl. Krochmalnik, Daniel: Im Garten der Schrift. Wie Juden die Bibel lesen. Sankt Ulrich Verlag: Augsburg 2006, v. a. S. 27–49. Ein Vergleich der hier dargestellten Kommentar-­Fassungen mit der "umliegenden" christlichen Bibelexegese eines Hugo oder Vincent von St. Victor wird in der vorliegenden Arbeit nicht geleistet, da direkte Bezüge auf deren Exegesen nicht festgestellt werden können. Vielmehr nimmt der in sich geschlossene Kommentar lediglich auf jüdische Traditionsliteratur Bezug und enthält eng bibeltextbezogene Erklärungen, wie z. B. die Darstel-

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18. Zusammenfassung

durch den Umgang der Umwelt mit Literaturen mögen sich dabei in der Exegese niederschlagen. Direkte Einflüsse christlicher Exegese sind in den vorliegenden Kommentar-­Versionen jedoch nicht festzumachen. Als hermeneutischer Ansatz ist vielmehr ein starkes Interesse an der textbezogenen, literarischen Auslegung der Bibel im 12. Jahrhundert festzuhalten.

18.3. Karas Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut sind durch verschiedene Sichtweisen auf den Text verbunden Die Abgrenzung zwischen Rashis und Karas Kommentar ist teilweise nicht einfach vorzunehmen. Grund dafür sind anzunehmende nachträgliche Bearbeitungen bzw. gleiche Vorlagen, auf denen die Kommentare beider basieren.1141 Übereinstimmungen der Kommentare Rashis und Karas treten auf, z. B. gibt der Kara zugeschriebene Kommentar in MS Zürich Or 157 Traditionsliteratur stellenweise in längeren Ausführungen wieder. Generell kann festgehalten werden, dass Kara hergebrachte Literatur in seinem Kommentar nicht paraphrasiert, sondern zusammenhängend wiedergibt. Daraus kann gefolgert werden, dass Kara, wie Rashi,1142 Traditionsliteratur erhalten will. Karas Auslegung könnte als eine Art der Archivierung verstanden werden, und zwar nicht nur aus dem Grund, dass die Kommentarliteratur über die Zeit hinweg so sehr angewachsen war, dass Kara nur Teile davon verwenden wollte, sondern um gerade die ausgewählten Textteile aus der Traditionsliteratur zu erhalten. Dies geschieht mit der wortwörtlichen, streckenweise ausholenden Zitation des Midrash und nicht durch dessen Wiedergabe in anderen Worten. Diese Eigenschaft der Texterklärung zeigt Ähnlichkeiten zur Weitergabe der Hebräischen Bibel, welche seit dem 3./4. Jahrhundert in ihrer Form fixiert weitergegeben wurde.1143 Derart kann die Wiedergabe des Midrash an manchen Stellen mit ebenjener Frage nach der Genese des biblilung von Verbindungen einzelner Verse im engeren Kontext (mit Verwendung der Formulierung ‫ מבקיע לך האזן‬in MS London 22143 zu Rut 1,22), zum Erzählverlauf des Buches Rut (hierzu ebenfalls MS London 22143 zu Rut 1,22, dort mit Zusammenfassung von Rut 2,1–5 und Unterscheidung von Handlung und Ereignis) oder Hinweise auf das Verständnis und Betonung bestimmter Worte, wie etwa MS London 22143 zu Rut 1,6. 1141 Vgl. Kapitel "Zuschreibung von Kommentaren an Autoren," S. 373. 1142 Dies kann ebenfalls als Motivation für andere Auslegungen, die Midrashim aufführen, angenommen werden, z. B. für Rashi (s. o.) und Yalkutim, vgl. Kapitel "Verwendung der Midrashliteratur im mittelalterlichen Kommentar," S. 390. 1143 Dies bedeutet nicht, dass keine Varianten auftreten können. Vielmehr ist erstaunlich, dass die dem masoretischen Text vorangehenden Versionen des biblischen Textes

18.3.  Karas Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut

431

schen Kanons verglichen werden, da mit der Anführung der Traditionsliteratur zur jeweils betreffenden Bibelstelle ein verbindlicher Auslegungstext geschaffen und weitergegeben wird. Durch die genaue Wiedergabe der Traditionsliteratur und durch die Kompilation bzw. Zusammensetzung von bereits bestehenden und neuen Erklärungen entsteht ein modifizierter Kommentar-­Korpus. Diese Texterarbeitung muss nicht als rückwärtsgewandt bewertet, sondern kann als zukunftsweisend verstanden werden, da die Zusammenstellung von Hergebrachtem etwas Neues ergibt. Im Sinne der Auslegung bedeutet dies, dass bereits bestehende und anerkannte Erklärungen mit neu entwickelten zusammengefügt werden. Dies geschieht durch Hinzuziehung überlieferter Auslegungen sowie deren Verortung in einem zeitgemäßen Auslegungskontext. Der auf diese Weise entstandene Umfang an Auslegungen wird nach seiner Festsetzung selbst zum Maßstab und daraufhin erweitert. In einer darauf folgenden Rezeption kann auf den festgesetzen, formierten Auslegungskorpus Bezug genommen werden, der dadurch wiederum Autorität erhält. Ausgehend von Rashis Kommentar, der als “kanonbildend” charakterisiert werden kann,1144 ergänzt Kara – oder derjenige, der ihm den Kommentar namentlich zuschrieb – mit späteren Auslegungen1145 Rashis Kommentar, indem er eine noch größere Auswahl von Midrashim zitiert als Rashi selbst.1146 Im Vergleich von MS Zürich Or 157 mit MS New York 778 zeigt sich, dass Kara mehr Traditionsliteratur aufführt, als dies Rashi tut. Ein Grund für die Verwendung in MS Zürich Or 157 kann die Verankerung in der Traditionsliteratur sein. Hier hat man es mit einer selbständigen Interpretation zu tun, die ohne Verweis auf überlieferte Auslegungen auskommen will, und die z. B. in MSS Berlin 1221 und untereinander so sehr übereinstimmen. Vgl. bspw. Stemberger: "Vollkommener Text in vollkommener Sprache," S. 54. 1144 "…Rashi established a new collection of 'fixed texts' for the classroom, since the former 'canon' of exegetical literature seemed no longer suitable for the Jewish society of Medieval Northern France." Siehe Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 43. Vgl. auch ebd., S. 167. 1145 V.a. in MS Zürich Or 157 mit der voraussetzbaren Verwendung von Rashis Kommentar. 1146 Dies ist nicht im Sinne eines "Ersatzes" gemeint, eher als Ergänzung. In gewisser, nicht unbedingt qualitativer Hinsicht lässt sich dies mit Rashbams glossae zu Rashis Kommentar vergleichen, vgl. Liss: Creating Fictional Worlds 2011, S. 68: "The glossae represent an additional facet to the Rashi commentary that in one way or the other might have even been meant as a minor modification to Rashi's rabbinic understanding of the text. It was not meant as a replacement of Rashi's commentary, but as an exegetical addition as part of a rabbinic education."

432

18. Zusammenfassung

v. a. MS London 22413 zu finden ist. Dies wiederum zeigt in MS Zürich Or 157 eine Präferenz für überlieferte Auslegungen gegenüber dem Bibeltext. Somit geht es in der Auslegung von MS Zürich Or 157 zwar um den Bibeltext, jedoch auch – und beinahe noch mehr – um den Erhalt der bereits bestehenden Auslegungen zum Bibeltext. Nicht die Erklärung des Bibeltextes mit Zitaten aus der Traditionsliteratur steht demnach in MS Zürich Or 157 im Vordergrund, sondern die Bewahrung bereits bestehender Auslegungen (auch von Rashi) zum Bibeltext.1147 Bezogen auf die Auslegung Rashis und Karas ist dies wie folgt zusammenzufassen: Stücke aus der überlieferten Literatur werden für die Darstellung der eigenen Meinung zunächst wiedergegeben.1148 Teile analytischer Literarbetrachtung sind teilweise schon in der Traditionsliteratur vorhanden, jedoch ist dort das “wortwörtliche” Verständnis noch nicht in der Erklärung eingetragen. Daran schließt die nordfranzösische Exegese mit ihrem Ansatz an, die Literarizität des Bibeltextes in den Vordergrund der Beobachtungen zu stellen. Unabhängig von der Tradition ist die Auslegung des Bibeltextes jedoch nicht vorstellbar und würde wohl auch kaum Gehör finden. So stellen Rashi und Gelehrte in seinem Gefolge wie Kara Traditionen mit neuen Ansichten zusammen. Hierbei können unter1147 An dieser Stelle ist auf den Unterschied zu Midrash-­Anthologien hinzuweisen. Gerade Yalkutim geben die Traditionsliteratur in noch größerem Umfang wieder. Bemerkenswert sind dabei die Parallelen, die in MS Zürich Or 157 zu Yalkut Shimoni vorliegen. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass der Kommentar sowohl Material aus den Anthologien als auch aus Rashis Kommentar mit literaturbezogener Auslegung vereint. Karas Kommentar steht dabei gewissermaßen zwischen Rashis auf der einen und Yalkutim auf der anderen Seite. 1148 Diese Auslegungsweise könnte in gewisser Hinsicht mit "wissenschaftlicher" Argumentationsweise verglichen werden, wobei die eigene Meinung mit Zitaten untermauert und Aussagen auf überlieferte Auslegungen gestützt werden, durch deren Wiedergabe Neues ausgesagt wird. Jedoch ist diese Argumentationsweise für das Mittelalter nicht gänzlich neuartig. Auch manche rabbinische Diskussion wird mit … ‫ ר' פלוני אמר‬eingeleitet, woraufhin eine Entkräftigung der dargestellten Aussage folgt. Erst nach der Widerlegung einer Aussage folgt die Darstellung einer Richtlinie. Eine Bezugnahme auf den Rezipienten wird durch die Formulierung ‫אם תאמר‬ hergestellt. Zur Argumentation wird in den vorliegenden Kommentar-­Fassungen v. a. Midrashliteratur wiedergegeben. Teile daraus dienen stellenweise als eine Art Antwort auf Fragen, welche indirekt an den Text gestellt werden. Weiteres dazu siehe Kapitel "Sinn und Zweck der Kommentierung," S. 361. Indem nicht die eine "richtige" Auslegung bzw. Lesart des Bibeltextes angenommen wird, sondern mehrere Bedeutungen nebeneinandergestellt werden, kann dann auch von einer Art "Revolution" in der Textauslegung gesprochen werden, vgl. Grossman: "School of Literal Jewish Exegesis in Northern France", S. 343.

18.3.  Karas Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut

433

schiedliche Ansätze der Exegese in einen Kommentar aufgenommen werden. Verschiedene Ausleger gehen dabei unterschiedlich weit. Konkret bezogen auf die vorliegenden Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut nimmt MS Zürich Or 157 viel Midrash-­Literatur auf, MS Berlin 1221 gibt im Vergleich dazu weniger und MS London 22413 fast gar keinen Midrash wieder. Umgekehrt sind philologische, auf den Textzusammenhang bezogene Ausführungen in MS London 22413 am meisten, in MS Berlin 1221 weniger und in MS Zürich Or 157 fast gar nicht vorhanden. Für alle Kommentar-­Fassungen lässt sich zusammenfassend eine hermetische, stark textbezogene Art der Auslegung erkennen. Dennoch sind die genannten Eigenschaften der Auslegung eher als Tendenzen zu verstehen, da in allen drei Kommentar-­Fassungen sowohl auf die Traditionsliteratur als auch auf den biblischen Textzusammenhang eingegangen wird. Zur Vorgehensweise der Argumentation innerhalb der mittelalterlichen Kommentare lässt sich durch den Vergleich der betrachteten Auslegungen – unabhängig der Zuschreibung zu einem bestimmten Exegeten – allgemein festhalten, dass Überarbeitungen zu erkennen sind. Bereits zur Zeit der Entstehung können derart verschiedene Fassungen existiert haben, die sich durch die Weitergabe duplizierten und dabei gleichzeitig veränderten. Aus der zitierten Traditionsliteratur wird eine Auswahl getroffen und neben inhaltliche Bezugnahmen auf den Textzusammenhang gestellt. Die Gliederung des Kommentars nach der Vers-­Chronologie der Lemmata des Bibeltextes lässt sich mit der Entstehung des heute als fortlaufenden Kommentars als Glossenkommentar in einer Unterrichtssituation erklären. Hergebrachte Literatur wird für die Auslegung verwendet und zeitgenössische Auslegungen werden aufgenommen. Darin ist das Interesse an der Bibel als Literatur sichtbar, die zum (kritisch) erforschbaren Gegenstand wird. Dies gilt für alle hier behandelten Kara zugeschriebenen Kommentar-­Fassungen. Die Zusammenstellung verschiedener Auslegungsarten ist als Resultat und zugleich als verbindendes Kennzeichen zwischen den drei Kommentar-­Fassungen festzuhalten. Somit stehen alle drei Kommentar-­Fassungen in der Tradition überlieferter Literatur, zeigen Eigenschaften der mittelalterlichen Bibelexegese und können als Beispiel für die Zusammenstellung verschiedener Auslegungsmöglichkeiten in Bibelkommentaren angesehen werden. Das Ergebnis ist eine vielfältige Exegese, die sich fest in der Tradition verankert. Insgesamt sind die Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut von R. Josef Ben Shimon Kara beispielhaft für eine mittelalterliche Beschäftigung mit der Bibel, die das Herz erfreut.1149

1149 Vgl. MS Zürich Or 157 zu Rut 3,7.

19. Glossar 19.1. Definitionen häufig auftretender Begriffe • Auslegung – Erklärung, Exegese, Interpretation. Diese Begriffe werden als Synonyme verwendet, z. B. Bibelauslegung, Bibelexegese, Bibelinterpretation. • Kompilations-­Kommentar/Kompilationskommentar – Kommentar zu einem bestimmten Text, der durch Kompilation entstanden ist. • Lemma – ausgelegter Vers oder Versteil, der erläutert wird. • Literarisch, literartur-­bezogen – Sichtweise auf die Bibel als Literaturwerk, Auslegungen bezogen auf literarische Eigenschaften, im Gegensatz zu z. B. grammatischen oder midrashischen Erklärungen. • Nordfranzösische Schule/Rashis Schule – Rashis Schüler und Kollegen, z. B. Kara, Rashbam u. a., vor allem jene, die selbst kommentierten. • Rabbinische Literatur – Die Begriffe “rabbinische Literatur” und “Traditionsliteratur” werden in der vorliegenden Arbeit nicht stark voneinander abgegrenzt. Als Rabbinische Literatur wird bezeichnet: Midrash, Mishna, Talmudim: ‫משנה‬ Mishna; ‫ תוספתא‬Tosefta; ‫ מסכתות קטנות‬Masekhtot Ketanot; ‫תלמוד‬ ‫ בבלי‬Talmud Bavli; ‫ תלמוד ירושלמי‬Talmud Jerushalmi; ‫ מדרשי הלכה‬Midrashei Halakha; ‫ מדרשי אגדה‬Midrashei Aggada; Anthologien wie Yalkutim. • Rezipient – Person oder Personengruppe, a) an die sich der Kommentar richtet, bzw. für die der Kommentar bestimmt ist, b) Hörer- oder Leserschaft, die in welcher Form auch immer Kenntnis vom Inhalt des Kommentars erhält (z. B. im gemeindlichen Vortrag hört, oder beim Studium liest). c) Durch die Lektüre des Kommentars wird der derzeitige Leser zum Rezipienten. • Traditionsliteratur – überlieferte jüdische Auslegungen, die bereits vorhanden sind und zur Erklärung des Bibeltextes verwendet werden, vgl. “rabbinische Literatur”. • Lemma, Pl. Lemmata – im Kommentar zitierte Teile des im weiteren Fortlauf des Kommentars ausgelegten Bibeltextes (werden bei Wiedergabe des hebräischen Texte fett, in Übersetzung kursiv dargestellt).

19.2. Abkürzungen BHS Biblia Hebraica Stuttgartensia BHQ Biblia Hebraica Quinta IMHM Institute of Microfilmed Hebrew Manuscipts bSan Talmud Bavli, Traktat Sanhedrin

436

19. Glossar

mAv Mishna, Traktat Avot mEr Mishna, Traktat Eruvin MGK Mikra’ot Gedolot HaKeter MS Manuskript MSS Manuskripte MT Masoretischer Bibeltext RutR Rut Rabba

19.2.1. Sonstiges i.S.v. n.d.Z. v. a. v.d.Z.

im Sinne von nach der Zeitrechnung vor allem vor der Zeitrechnung

20. Literaturverzeichnis 20.1. Quellen und Editionen 20.1.1. Manuskripte MS Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Ms.or.fol.1221 MS Copenhagen, The Royal Library, Cod. Heb. 35 MS Florenz, Biblioteca Medicea Laurentiana, Plut. III.8 MS Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Cod. hebr. 32 MS London, British Library Add. 22,413 MS London, British Library, Add. 26,924 MS London, British Library, Harley 150 MS London, British Library, Harley 7621 MS New York, Jewish Theological Seminary Library, Lutzki 778 MS Oxford, Bodleian Library, Opp. Add. Qu. 52 MS Paris, Bibliothèque Nationale, Héb. 162 MS Prag, National Library of the Czech Republic, XVIII F 6 MS Vatican, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. ebr. 18 MS Vatican, Biblioteca Apostolica Vaticana, Urb. ebr. 20 MS Zürich, Zentralbibliothek, Ms Or 157

20.1.2. Bibelausgaben Biblia Hebraica Stuttgartensia. Alt, Albrecht / Kahle, Paul / Kittel, Rudolf et al. 4. und 5. Aufl. Deutsche Bibelgesellschaft: Stuttgart 1990 und 1997. Biblia Hebraica. Quinta editione cum apparatu critico novis curis elaborato. Althann, Robert / Schenker, Adrian (Hgg.). Deutsche Bibelgesellschaft: Stuttgart ab 2004. Biblia Hebraica. Quinta editione cum apparatu critico novis curis elaborato. Althann, Robert / Schenker, Adrian (Hgg.). Proverbs, Introduction and Commentaries on Proverbs. (Biblia Hebraica Quinta 17). Jan de Waard (Bearb.). Deutsche Bibelgesellschaft: Stuttgart 2008. The Bible in Aramaic. Sperber, Alexander (Hrsg.). Vol. 2: The former Prophets according to Targum Jonathan. Brill: Leiden 1992. Die fünf Megilloth nebst dem syrischen Thargum genannt “Peschito,” zum ersten Male in hebräischer Quadratschrift mit Interpunktation edirt ferner einem

438

20. Literaturverzeichnis

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21. Register 21.1. Stellenregister Die folgenden Stellenangaben verweisen auf die angegebenen Stellen. Fettgedruckt sind die Verweise auf die jeweiligen Seitenangaben, auf denen ein ausführlicher Vergleich zwischen den Handschriften-­Versionen beginnt. Markierungen mit Sternchen * geben an, dass es sich um eine Angabe in den Anmerkungen handelt. Wenn Stellen oder Begriffe auf einer Seite sowohl im Haupttext als auch in den Anmerkungen auftreten, werden die Seitenzahlen der Anmerkungen nicht extra ausgezeichnet. Die im Vergleichsteil der Kommentare als eigens behandelte Verse aus dem Buch Rut werden hier nicht eigens gelistet. Verweise in der hebräischen Edition werden hier ebenfalls nicht aufgeführt. 21.1.1. Bibel Gen. 4,1 S. 267* Gen. 6,9 S. 292* Gen. 12,10 S. 29 Gen. 14,1 S. 185* Gen. 14,14 S. 311, 312 Gen. 20,6 S. 265 Gen. 24,4 S. 213 Gen. 25,10 S. 224 Gen. 26,1 S. 29* Gen. 28,2 S. 213 Gen. 30,33 S. 247 Gen. 31,14 S. 233* Gen. 37,10 S. 281 Gen. 38 S. 25, 336 Gen. 38,1–6 S. 340 Gen. 38,11 S. 228, 345* Gen. 41,47 S. 283, 284, 286 Gen. 43,6–7,27 S. 233* Gen. 45,3 S. 233* Gen. 47,4 S. 29* Gen. 48,16 S. 337, 338 Ex. 1,10 S. 317 Ex. 2,1 S. 215

Ex. 4,18 S. 233* Ex. 14,31 S. 255* Ex. 15,2 S. 264 Ex. 17 S. 313 Ex. 17,14 S. 313, 314, 315 Ex. 17,16 S. 313, 314, 315 Ex. 20,16 S. 247 Ex. 23,15 S. 134, 163, 246, 248, 416, 417 Ex. 26,2 S. 317* Ex. 26,8 S. 317* Ex. 34,20 S. 246, 248 Ex. 36,9 S. 317* Ex. 36,15 S. 317* Lev. 18 S. 271, 340 Lev. 18,15 S. 336 Lev. 19,9 S. 33* Lev. 21,2 S. 258 Lev. 22,13 S. 228, 345* Lev. 23,22 S. 33* Lev. 25 S. 32 Lev. 25,21 S. 283, 284 Lev. 25,25 S. 301*, 303, 304, 306*, 320 Lev. 25,25 ff. S. 328, 331

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21. Register

Num. 6,3 S. 277* Num. 22–25,3 S. 31 Num. 22–24 S. 31* Num. 22–25 S. 31 Num. 24,18 S. 338 Num. 25,1–3 S. 31*

1. Sam. 14,48 S. 337 1. Sam. 16,18 S. 254* 1. Sam. 17,12 S. 350 1. Sam. 17,13 S. 221 1. Sam. 17,43 S. 221 1. Sam. 25,7 S. 279

Dt. 8,17 S. 283, 286 Dt. 14 S. 32 Dt. 14,21 S. 30*, 33* Dt. 15,3 S. 30* Dt. 17 S. 213 Dt. 23,3–6 S. 31 Dt. 23,4 S. 32, 221, 222, 329 Dt. 23,21 S. 30* Dt. 24 S. 32 Dt. 24,19 S. 33* Dt. 14,28 f. S. 33* Dt. 25 S. 32, 330 Dt. 25,5 S. 232* Dt. 25,5–10 S. 302* Dt. 25,19 S. 314* Dt. 34,35 S. 248

1. Kön. 1,11 S. 263 1. Kön. 20,32 S. 233* 2. Kön. 8,1–6 S. 29* 2. Kön. 12,6 S. 283, 284, 287

Josua S. 23 Ri. 1,26 S. 215 Ri. 3,20 S. 220 Ri. 10–11 S. 32 Ri. 12,8 S. 215 Ri. 16,29 S. 299, 300 Ri. 17,3.4 S. 250 Ri. 17,8 S. 215 Ri. 18,7 S. 279 Ri. 18,8 S. 302, 320 Ri. 18,10 S. 142, 279 Ri. 18,30 S. 271* 1. Sam. 1,17 S. 48, 389, 427 1. Sam. 8 S. 213 1. Sam. 12,3 S. 247 1. Sam. 12,22 S. 223

Jes. 4,4 S. 289 Jes. 7,1 S. 185* Jes. 11,2 S. 173*, 203, 319 Jes. 14,22 S. 337, 338, 339, 340 Jes. 23,7 S. 245* Jes. 53,10 S. 342 Jes. 53,19 S. 342 Jer. 2,27 Jer. 5,13 Jer. 14,7 Jer. 30,3

S. 270 S. 248 S. 246, 247 S. 231*

Hos. 5,5 S. 196, 249 Hos. 6,11 S. 231* Hos. 12,13 S. 348 Amos 6,10 S. 233* Amos 9,14 S. 231* Hab. 2,11 S. 247 Hag. 1,4 S. 244* Hag. 2,19 S. 233* Mal. 3,18 S. 348 Ps. 40,8 S. 350 Ps. 69,22 S. 277 Ps. 78,70 S. 349 Hiob 6,13 S. 233, 234 Hiob 8,3 S. 244* Hiob 20,4 S. 245*

21.1. Stellenregister

Hiob 21,13 S. 246 Hiob 35,2 S. 245* Prov. 2,4–5 S. 48 Prov. 4,2 S. 299 Prov. 7,4 S. 136, 164*, 411 Prov. 12,4 S. 309 Prov. 18,22 S. 229 Prov. 31,10 S. 254* Prov. 31,26 S. 352 Rut 1,1 S. 23, 29, 185*, 213, 215, 217, 218 Rut 1,2 S. 213, 216, 217, 218, 347 Rut 1,3 S. 216, 218, 219, 226 Rut 1,4 S. 219, 220 Rut 1,5 S. 221 Rut 1,6 S. 216, 217, 222, 224, 240 Rut 1,7 S. 223, 225, 239, 245, 275 Rut 1,8 S. 209, 225, 226, 229, 231, 241, 242 Rut 1,9 S. 226, 228, 229, 230, 237, 242, 291 Rut 1,10 S. 230, 238 Rut 1,11 S. 231, 232, 233, 234, 237, 244 Rut 1,12 S. 234, 235, 241 Rut 1,13 ff. S. 232 Rut 1,13 S. 234, 235, 236, 239 Rut 1,14 S. 29*, 230*, 237, 238 Rut 1,15 S. 238, 239, 240, 241, 243, 244 Rut 1,15–17 S. 242 Rut 1,16–17 S. 239, 242, 338, 344* Rut 1,16 S. 28*, 29*, 239, 240, 242, 243 Rut 1,16 f. S. 241

Rut 1,17 S. 240, 242 Rut 1,18 S. 242, 243, 244 Rut 1,19 S. 243, 244 Rut 1,20 S. 246, 288 Rut 1,21 S. 246 Rut 1,22 S. 250, 257 Rut 2,1 S. 253, 303* Rut 2,2 S. 255, 292 Rut 2,3 S. 250, 257 Rut 2,4–5 S. 258, 266* Rut 2,5 S. 285 Rut 2,6–7 S. 260 Rut 2,6 S. 240 Rut 2,7 S. 260, 269 Rut 2,8 S. 29*, 263 Rut 2,9 S. 263, 264 Rut 2,10 S. 30*, 266 Rut 2,11 S. 251, 267, 306 Rut 2,11–14 S. 347 Rut 2,12 S. 268*, 270, 347, 349 Rut 2,13 S. 272, 305 Rut 2,14 S. 273 Rut 2,15 S. 278 Rut 2,16 S. 280 Rut 2,17 S. 281, 284 Rut 2,18 S. 275, 282 Rut 2,19 S. 30*, 283 Rut 2,20 S. 287 Rut 2,21 S. 29*, 263, 289 Rut 2,22 S. 29*, 263, 265, 289, 295 Rut 2,23 S. 29* Rut 3,1 S. 271, 291, 293, 295, 298, 303*, 306, 308, 309 Rut 3,2 S. 293, 308* Rut 3,3 S. 294, 296 Rut 3,4 S. 295 Rut 3,5 S. 296, 306 Rut 3,6 S. 296 Rut 3,7 S. 293, 295, 296, 298 Rut 3,8 S. 299, 302 Rut 3,9 S. 301, 307

467

468 Rut 3,10 f. S. 209 Rut 3,10 S. 292*, 295, 306 Rut 3,11 S. 254, 308 Rut 3,12 S. 310 Rut 3,13 S. 295, 312 Rut 3,14 S. 30*, 293, 310, 313 Rut 3,15 S. 317 Rut 3,16 S. 319 Rut 3,17 S. 321 Rut 3,18 S. 322 Rut 4 S. 222, 305 Rut 4,1 S. 323, 347 Rut 4,2 S. 324, 332 Rut 4,2–4 S. 325 Rut 4,3 S. 255, 311, 312 Rut 4,4 S. 255, 311, 325, 335 Rut 4,4–6 S. 335 Rut 4,5 S. 302, 304, 307*, 326, 335 Rut 4,6 S. 222, 327, 335 Rut 4,7–9 S. 329 Rut 4,9 S. 333 Rut 4,10 f. S. 251 Rut 4,10 S. 305, 332 Rut 4,11 S. 25, 340, 342 Rut 4,11–12 S. 335 Rut 4,12 S. 328, 341, 342 Rut 4,12–13 S. 341 Rut 4,13 S. 338, 340 Rut 4,14 S. 342, 343 Rut 4,15 S. 295, 341, 343, 346 Rut 4,17 S. 343 Rut 4,17 S. 346 Rut 4,18 S. 349 Rut 4,18–21 S. 341 Rut 4,20 S. 350 Rut 4,21–22 S. 350 Koh. 2,10 S. 279 Klgl. 2,15 S. 245* Ester 1,1 S. 185* Ester 9,23 S. 248, 410

21. Register

Dan. 9,25 S. 244 Ezra 10 S. 213 Neh. 13,21 S. 247 1. Chr. 2,15 S. 341 1. Chr. 7 S. 254* 1. Chr. 12 S. 254* 1. Chr. 26 S. 254* Neues Testament Mk 15,36 S. 277 21.1.2. Targum Targum zu Dt. 17,8 S. 324 Targum zu 2. Kön 6,8 S. 323, 324 21.1.3. Rabbinische Literatur 21.1.3.1. Mishna mAv 1,15 S. 288 mHag 3,1 S. 92*, 141, 169, 199, 273, 275, 363, 375 mEr 10,1 S. 142, 170, 280, 282, 426* mPea 5 S. 282 21.1.3.2. Talmud Bavli bBB 91a S. 255, 341* bBB 92a S. 321 bBB 114b S. 331* bBM 46 S. 331* bBM 47a S. 331* bHag 22b S. 274 bJeb 47b S. 242, 244 bJeb 69a S. 222 bJeb 113b S. 259 bMeg 21b S. 404 bSan n 22b S. 219 bSan n 55a S. 220 bShab 113b S. 259, 276 bSota 55b S. 221

21.1. Stellenregister

21.1.3.3. Talmud Yerushalmi jPea 5,18d S. 260* jPea 8,7 S. 295 jPea 18 S. 282 jMeg 4, 1 S. 223* 21.1.3.4. Yalkut Shimoni Yalkut Shimoni zu 1. Sam 16 § 125 S. 319* Yalkut Shimoni zu Rut § 596 S. 185* Yalkut Shimoni zu Rut § 600 S. 187 Yalkut Shimoni zu Rut § 601 S. 197*, 244, 251 Yalkut Shimoni zu Rut § 604 S. 295 21.1.3.5. Midrash ExR 23,5 S. 255* RutR 1,4 S. 215, 353* RutR 1,9 S. 304 RutR 2,9 S. 220, 222 RutR 2,10 S. 229 RutR 2,11 S. 222 RutR 2,12 S. 223, 224 RutR 2,13 S. 227 RutR 2,14 S. 228, 289, 352* RutR 2,14–15 S. 229 RutR 2,20 S. 220, 221*, 230, 298* RutR 3,5–6 S. 244 RutR 3,7 S. 249 RutR 4,2 S. 251 RutR 4,11 S. 262, 264 RutR 5,10 S. 288, 293

469

RutR 5,12 S. 295 RutR 5,13 S. 297* RutR 5,14 S. 297, 298* RutR 5,15 S. 299 RutR 5,17 S. 298* RutR 6,6 S. 25*, 311 RutR 6,7 S. 312* RutR 7,1 S. 315 RutR 7,6 S. 322 RutR 7,7 S. 329 RutR 7,13 S. 339 RutR 8,4 S. 350 RutR 8,6 S. 350 RutR 8,7 S. 350 Rut Zuta 2,8 S. 351 Pesikta Zutara (Lekaḥ Tov) zu Rut 3,12 S. 311* Lekaḥ Tov zu Rut 2,9 S. 351 21.1.4. Mittelalterliche Kommentatoren Kara zu Rut 2,15 S. 302 Kara zu Rut 4,1 S. 302 Rashi zu Ri. 18,8 S. 320 Rashi zu Rut 2,1 S. 255 Rashi zu Rut 3,3 S. 295 Rashi zu Rut 3,7 S. 298 Rashi zu Rut 3,9 S. 304 Rashi zu Rut 3,12 S. 311* Rashi zu Rut 3,15 S. 319* Rashi zu Rut 4,6 S. 329 Rashi zu Rut 4,10 S. 335 Rashi zu Rut 4,11 S. 339 Rashi zu 2. Kön. 6,8 S. 324

470

21. Register

21.2. Namenregister Im Folgenden werden Personennamen aufgeführt. Dabei werden die biblischen Personen Rut, Boaz und Noomi nicht gelistet, da dies durch ihr häufiges Auftreten im Text nicht sinnvoll ist. Aus dem selben Grund werden auch Rashi und Josef Kara nicht eigens gelistet. Personen werden aufgeführt, wo sie im Text erwähnt werden, ihre Nennung als Verfasser von Sekundärliteratur wird dabei nicht berücksichtigt. Nennungen innerhalb von Zitaten werden nicht berücksichtigt. 21.2.1. Biblische Figuren Abram / Abraham S. 29, 202, 312, 410, 213*, 255*, 357*. Adonjahu S. 166, 263*. Ammon, Ammoniter S. 32, 126*, 127*, 189, 204, 222, 329. Betlehemiter S. 28*, 214, 339. David S. 23, 25, 27, 32*, 182, 183, 206, 207, 214, 217*, 232, 254*, 263, 319, 341, 347, 349, 350, 412, 413. Eglon S. 187, 220. Elimelekh S. 25*, 26, 29, 30*, 32, 95, 129, 149, 150, 156, 164, 175, 186, 187, 193*, 196, 202, 213, 214, 215, 216, 218, 219, 238, 254, 255, 275, 288, 292*, 303, 306, 307, 308, 312, 326, 332, 341*, 346*, 411. Ephratiter S. 129, 155, 187, 216, 218, 411. Goliat S. 220, 232. Isai S. 182, 206, 207, 319, 347, 350, 161. Iwzan S. 185, 215. Jakob S. 25*, 29*, 151, 181, 213*, 224, 336, 337, 338, 340, 348, 413, 412. Jehuda (biblischer Personenname / Stamm) S. 129, 181, 275*, 328, 336, 339, 340, 342.

Joseph S. 337, 339, 358*, 412. Kiljon S. 25*, 26, 133, 149, 156, 160, 168, 186*, 187, 188*, 189, 193, 216, 217, 221, 227, 232, 233*, 241, 326, 332. Laban S. 151, 181, 336, 338, 340*, 412. Lea S. 25*, 151, 205, 336, 338, 339. Lot S. 202, 298*, 312, 410. Machlon (biblisch) S. 25*, 26, 133, 149, 150, 156, 160, 168, 175, 179, 180, 186, 188*, 189, 193, 201, 205, 216, 217, 221, 227, 232, 233*, 235, 241, 304, 307, 308, 326, 332, 334. Mara S. 25*, 31*, 134, 162, 246, 249, 288. Moshe S. 186*, 215. Orpa S. 25*, 26, 127, 131, 133, 132*, 149, 160, 188, 191, 192, 193*, 206, 217*, 219, 220, 226, 227, 229, 231, 233, 234*, 235, 236, 237, 238, 239, 241, 278*, 289, 298*, 332, 348. Oved S. 25*, 27, 32*, 153*, 182, 206, 217*, 343, 344*, 345, 346, 347, 348, 413. Ozam S. 206, 341, 412.

21.2. Namenregister

Perez S. 25, 27, 151, 153, 179, 181, 183, 205*, 206, 335, 336, 340, 341, 342, 349. Rachel S. 25, 32, 151, 187, 205, 335, 336, 338, 339, 411. Salmon, Salmo S. 196, 202, 206, 255, 341, 350. Serach S. 340. Shaul S. 33, 152, 176, 181, 185, 315*, 337, 338. Shemuel S. 205, 341. Shimshon S. 173, 201, 300, 341, 421, 422. Shua S. 340. Tamar S. 25, 31*, 151, 181, 328, 336, 340, 342, 411. 21.2.2. Kommentatoren, Forscher und Gelehrte Abraham Ibn Ezra S. 35*, 42*, 59, 93*, 234*, 351*, 400*. Attia, Elodie S. 79*, 93*, 100*, 106*. Beit-­Arié, Malachi S. 406*. Berliner, Abraham S. 17, 54, 378, 385*. Dunash Ben Labraṭ S. 42, 71. Geiger, Abraham S. 16, 161, 378, 395*. Grossman, Abraham S. 18, 46, 56, 122. Harris, Robert S. 56. Jellinek, Aaron S. 16, 378. Kiwitt, Marc S. 416–422. Liss, Hanna S. 54, 244. Littmann, Martin S. 17. Menahem Bar Ḥelbo S. 45, 46*, 47*, 52, 53*, 71, 117*, 137, 261, 395*. Menahem Ben Jacob Ibn Saruk S. 42, 52. Poznański, Samuel S. 17, 354*.

471

Steinschneider, Moritz S. 17. Stemberger, Günter S. 386, 405. Jehudi Ben Sheshet S. 42*. Juda Ben David Hayyuj S. 42*. Jonah Ibn Janach bzw. Abu al-­Walid Marwan S. 42*. Kimḥi, Joseph S. 42*. Kimḥi, David S. 42*. Kimḥi, Moses S. 42*. Penkower, Jordan S. 54*, 112*. R. Abahu S. 244. R. Bibi S. 220. R. Hiyya bar Abba S. 351. R. Jehosha Ben Karcha S. 186, 217, 355*. R. Meir S. 186, 187, 202, 217, 220, 315*. R. Samuel ben Meir S. 17, 35*, 37*, 43*, 55, 56, 57, 58, 69, 71, 117*, 118, 119*, 366*, 369*, 375*, 377*, 378*, 379*, 384*, 386*, 424, 426*, 431*, 435. R. Seira S. 207, 351, 391*. R. Shemaiah S. 35*. R. Shemuel Bar Nachman S. 236*, 293. Rabbenu Tam S. 35*. R. Josef Bekhor Shor S. 35*, 58*, 426*. Saadja Gaon S. 351, 388, 389. Walfish, Barry D. S. 19, 116, 479. 21.2.3. Orte und Regionen Babel (biblisch) S. 152, 181, 337, 412. Beer Sheva (biblisch) S. 224. Beit Lechem / Ephrat, Ephrata (biblisch) S. 23, 26, 28*, 29, 31*, 32, 129, 133, 134, 135, 137, 152, 155, 163, 166,

472 187, 205*, 214, 216, 217*, 218, 228, 239, 244, 245, 250, 258, 262, 268*, 288*, 334, 337, 339, 341, 342, 370*, 411. Jehuda (biblisch) als Ortsangabe S. 27, 29, 31*, 129, 132, 157, 180, 216, 223, 224, 225, 226, 233, 275, 334. Moab, Moabiter (biblisch) S. 23, 26, 29, 28*, 30*, 31*, 32, 126*, 129, 134, 135,

21. Register

136, 137, 145, 149, 150, 151, 155, 156, 157, 166, 171, 178, 180, 187, 189, 190, 196, 204, 213, 214, 216, 217, 218, 221, 222, 225, 226, 228, 232, 233, 235, 236, 240, 245, 250, 268, 262, 288, 292*, 298*, 303, 304, 307*, 326, 332, 336, 338, 359*, 386*, 410. Provence S. 37*, 42, 46. Troyes S. 15, 36, 37, 46, 51, 59, 364, 426.

21.3. Sachregister

21.3. Sachregister Anthologie S. 316, 384, 393, 394*, 395, 396, 397, 398, 400, 401, 428, 432*, 435. Autor, Autorenenliteratur S. 54, 118*, 316, 373–380, 376, 381*, 384, 385, 394*. Defektivschreibweise S. 102, 116, 229, 257, 267*, 406, 407, 408, 478. Derash S. 18, 48, 388, 390, 427. Haggadot S. 354, 389. Karäer S. 42, 389. Kompilation S. 121, 210, 361, 364, 380, 381, 383, 384, 398, 400, 428, 431, 354*, 380, 381, 385*, 396*, 428*. Kompilationskommentar / Kompilations-­Kommentar S. 71, 117, 379*, 384, 435. Kompilationsstufe S. 379. La’az, Le’azim S. 50, 86, 124, 126, 173*, 278, 284, 286, 300, 360, 361, 413–422. Midrash S. 40*, 43, 48, 52, 55, 56, 57, 82, 119*, 122, 123, 186, 198, 210, 215, 217, 220, 221, 222, 224, 227, 228, 236, 249, 262, 264, 294, 297, 303, 311, 314, 315, 316, 339, 340*, 351, 353, 354, 355*, 361, 362, 368, 370, 373*, 375, 376*, 382, 383, 385, 386, 389, 390, 391–393, 393, 395, 396*, 397, 398, 399, 401, 402*, 403, 404, 426, 427, 428, 429, 430, 431, 433.

Mishna S. 33*, 40*, 199, 273, 282, 363, 395*, 426, 435. Nordfranzösische (Bibel-)Exegese / Schule S. 15, 16, 18*, 35–43, 43, 50, 59, 71, 258, 370, 377, 388, 398, 404, 425, 427, 428, 429* 432, 435. Peshat S. 18*, 38*, 39*, 42*, 48, 49, 50, 52, 56*, 58, 321, 359*, 361, 382*, 385, 386*, 389*, 386–390, 398, 425, 427, 428. Pleneschreibung S. 116, 126, 202, 247*, 257, 314, 315, 406, 407*, 408. Rabbinisch / rabbinische Literatur / rabbinische Interpretation S. 26*, 32, 40*, 52, 57, 126, 127, 188*, 220, 227, 232, 243, 249, 251, 276, 298*, 369, 370*, 374*, 375, 382, 383, 385, 394*, 397, 399, 404*, 428, 432*. Rut Rabba S. 29*, 210, 220, 353, 390, 394, 397, 401, 404, 427. Rut Zuta S. 119, 120*, 206*, 209, 210, 394, 397, 401, 429. Talmud S. 33*, 37, 40*, 41, 47, 51, 97, 219, 382*, 388*, 391*, 396*, 414*, 426, 435. Targum S. 30*, 49, 53, 142, 178, 191*, 204, 231, 281*, 283, 353, 360, 361, 394*, 398, 401–405, 402*, 403*, 404*, 425. Yalkut Shimoni S. 120*, 210, 220, 292.

473

22. Abbildungsverzeichnis MS Berlin 1221 – MS Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Ms. or. fol. 1221 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Ms.or.fol.1221, Fol. 259r....................................................................................... 66 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Ms.or.fol.1221, Fol. 260r....................................................................................... 67 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Orientabteilung, Ms.or.fol.1221, Fol. 261r....................................................................................... 68 MS Hamburg hebr. 32 – MS Hamburg Cod. hebr. 32 Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 83r [arabische Foliierung mit Tinte], heutige Foliierung mit Bleistift: Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 85r................................ 72 Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 83v [arabische Foliierung mit Tinte], heutige Foliierung mit Bleistift: Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 85v............................... 73 Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 84r [arabische Foliierung mit Tinte], heutige Foliierung mit Bleistift: Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 86r................................ 74 Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 84v [arabische Foliierung mit Tinte], heutige Foliierung mit Bleistift: Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 86v............................... 75 Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 69r [arabische Foliierung mit Tinte], heutige Foliierung mit Bleistift: Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 87r............................... 76 Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 69v [arabische Foliierung mit Tinte], heutige Foliierung mit Bleistift: Hamburg Cod. hebr. 32, Fol. 87v............................... 77 MS Vatican 18 – MS Biblioteca Apostolica Vaticana Vat. ebr. 18 Vat.ebr.18, Fol. 336r....................................................................................................... 83 MS London 22413 – MS London, British Library Add. 22,413 (c) The British Library Board Add. 22,413 Fol. 71r.................................................. 88 (c) The British Library Board Add. 22,413 Fol. 75r.................................................. 89 (c) The British Library Board Add. 22,413, Fol. 71r................................................. 90 MS Zürich Or 157 – MS Zentralbibliothek Zürich, Ms Or 157 Zentralbibliothek Zürich, Ms Or 157, Fol. 462......................................................... 98 Zentralbibliothek Zürich, Ms Or 157, Fol. 469......................................................... 99 MS Copenhagen 35 – The Royal Library, Copenhagen, Cod. Heb. 35 The Royal Library, Copenhagen, Cod. Heb. 35, S. 15v........................................... 103 The Royal Library, Copenhagen, Cod. Heb. 35, S. 18v........................................... 104

476

22. Abbildungsverzeichnis

MS Oxford 52 / Ox 52 – MS Oxford, The Bodleian Libraries, University of Oxford, MS. Opp. Add. 4to. 52 The Bodleian Libraries, University of Oxford, MS. Opp. Add. 4to. 52, Fol. 105v................................................................................................................ 106 The Bodleian Libraries, University of Oxford, MS. Opp. Add. 4to. 52, Fol. 105r................................................................................................................ 109 The Bodleian Libraries, University of Oxford, MS. Opp. Add. 4to. 52, Fol. 105v................................................................................................................ 110 The Bodleian Libraries, University of Oxford, MS. Opp. Add. 4to. 52, Fol. 107v................................................................................................................ 111 MS New York 778 – Jewish Theological Seminary Library New York, MS L778 Jewish Theological Seminary Library New York, MS L778, Fol. 87v................... 114 Jewish Theological Seminary Library New York, MS L778, Fol. 88r.................... 115

23. Edition der drei Kommentar-­Fassungen Karas In der Edition wird bei der Wiedergabe der drei Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut davon abgesehen, die abweichenden Stellen zu den jeweils anderen Grundschriften nochmals explizit nebeneinander aufzuführen. Die Unterschiede zwischen den Manuskripten MS Berlin 1221, MS London 22413 sowie MS Zürich Or 157 ergeben sich aus ihren jeweiligen Fassungen. Varianten zum Bibeltext1150 werden nur dort aufgeführt, wo der Wortlaut des Textes unterschiedlich ist. Wenn ein Verszitat im Kommentar nur verkürzt wiedergegeben wird, wird auf diese Auslassung im Apparat nicht hingewiesen.1151 Die Einteilung in Verse ist in den aufgenommenen Manuskripten nicht vorhanden. Dennoch wird die heutige Verseinteilung am Rand der Edition vermerkt.1152 Zitate aus der Traditionsliteratur werden zitiert aus Responsa Project online.1153 Bei Zitaten aus Rut Rabba wird die Edition von Myron Bialik Lerner verwendet, die dort zugänglich ist, da dies die aktuellste Version einer wissenschaftlichen Edition von Rut Rabba ist.1154 Sofern nicht anders angegeben, dient diese online zugängliche Edition als Referenz für Zitate aus Rut Rabba. 1150 Grundlage ist die jeweilige Ausgabe in Biblia Hebraica. Quinta editione cum apparatu critico novis curis elaborato. Althann, Robert / Schenker, Adrian (Hgg.). Deutsche Bibelgesellschaft: Stuttgart ab 2004 (abgekürzt "BHQ"), sowie – falls betreffende Bibelstelle noch nicht in BHQ erschienen ist – Biblia Hebraica Stuttgartensia. Alt, Albrecht / Kahle, Paul / Kittel, Rudolf et al. 4. und 5. Aufl. Deutsche Bibelgesellschaft: Stuttgart 1990 und 1997. Elektronische Version der [Biblia Hebraica Stuttgartensia, BHS (1983) aus Accordance 8, Oak Tree Software, 2010. 1151 Z.B. MS Berlin 1221 zu Rut 3,16 (Wiedergabe im MS Berlin 1221): …[Kommentar folgt] ‫ ותגד לה כל אשר עשה לה האיש‬Dagegen steht in Rut 3,16 MT BHQ noch zusätzlich: ‫[ ותגד לה את כל אשר עשה לה האיש‬Hervorhebung durch Verfasserin]. 1152 Die Verseinteilung von "Erzbischof von Canterbury Stephan Langton (ca. 1155–1228)" ist noch nicht in die Handschrift aufgenommen worden, daher erklärt sich z. B. der "formatlose" Übergang zwischen den Kapiteln. "Langtons Kapitel- und Verseinteilung wurde aufgrund des Buchdrucks auch in den hebräisch gedruckten Bibelausgaben ab dem 16. Jh. üblich." Siehe Liss: Tanach. Lehrbuch. 2. Aufl. 2008, S. 7. 1153 Responsa Project online, Bar-­Ilan University: http://www.responsa.co.il/home.en-­US. aspx (letzter Zugriff am 22.03.2016). 1154 Vgl. dazu Lerner, Myron Bialik: The Book of Ruth in Aggadic Literature and Midrash Ruth Rabba. Thesis Submitted for the Degree Doctor of Philosophy. Submitted to the Senate of the Hebrew University: Jerusalem 1971.

478

23.  Edition der drei Kommentar-­Fassungen Karas

Im textkritischen Apparat der Edition werden keine Spekulationen über mögliche Leswarten wiedergegeben, die der Text evtl. in einer früheren Vorstufe aufgewiesen haben mag (wie dies bspw. im textkritischen Apparat der BHS dargestellt wird und dort v. a. auf verschiedene Sprachen des referenzierten Textes zurückzuführen ist). In Bezug auf den Wortlaut des Bibeltextes, etwa im Hinblick auf plene und defektive Schreibweise von Wörtern, werden lediglich die Unterschiede zu BHQ1155 aufgeführt. Als Grundlage der Recherchen diente der Online-­Katalog des IMHM. Eventuell werden in Zukunft noch andere MSS zum Vorschein kommen, die Kara zugeschrieben werden können: “Dukes, Kirchheim, Luzzato, Jellinek, besonders aber Geiger haben mit vielem Fleisse recht wesentliche Beiträge für eine nähere Kenntniss Kara’s und seiner Zeit geliefert. Doch ist eine kritische Sichtung des vorhandenen handschriftlichen Materials, welche erst feststellen wird, was Kara und was Anderen angehört, sie seine Arbeiten interpolirt oder excerpirt haben, noch von der Zukunft zu erwarten”.1156

23.1. Mikra’ot Gedolot HaKeter (MGK) bietet nur zwei Versionen von Kommentaren zum Buch Rut, die R. Josef Kara zugeschrieben werden Im Jahr 2012 wurden Texte des Kara zugeschriebenen Kommentars zum Buch Rut im Rahmen der Mikra’ot Gedolot HaKeter im Band Megillot in gedruckter Form veröffentlicht. In dieser Edition der Mikra’ot Gedolot HaKeter1157 (MGK), werden jedoch lediglich zwei Versionen als Karas Kommentar (“‫– נוסח א‬ ‫ ” ’יוסף קרא‬sowie “‫– נוסח ב‬ ‫ )” ’יוסף קרא‬wiedergegeben. Die dortige Edition ist jedoch eklektisch und zeichnet keine MSS aus, die als Grundlage ihrer Edition verwendet worden sein mögen. Ohne Verweis auf Unterschiede der verwendeten MSS, die zur Erstellung der Edition beitrugen, kann jene unkritische Version keine Anhaltspunkte für das evtl. Textwachstum bieten. Die Version des Kommentars in MS Zürich Or 157 ist – gegenüber MGK – die weitere Fassung, die als Kara-­Kommentar bezeichnet 1155 BHQ als neueste Bibelausgabe auf Grundlage des Codex Leningradensis; Hinweise auf den Aleppo Codex, den z. B. die Bibelausgabe Keter Yerushalaim zur Grundlage nimmt, werden nur stellenweise aufgeführt. 1156 Siehe Berliner: "Zur Schrift-­Exegese Joseph Kara's", S. 19. 1157 Mikra'ot Gedolot 'Haketer'. A Revised and Augmented Scientific Edition of 'Mikra'ot Gedolot'. Based on the Aleppo Codex and early Medieval MSS. The Five Scrolls. Cohen, Menachem (Hrsg.). Small edition. Bar-­Ilan University Press: Ramat Gan 2012 (Hebr.).

23.2.  MS New York 778

479

werden kann, v. a. weil sie Kara dort namentlich zugeschrieben wird. Neben der Zuschreibung an Kara verzeichnen auch IMHM sowie Walfish andere Kommentare, die Parallelen zu MS Zürich Or 157 aufweisen nicht als Rashis, sondern als Karas Kommentare.

23.2. MS New York 778 Ein Vergleich mit dem Kommentar Rashis gibt Auskunft darüber, welche Teile als Rashis “ursprünglicher” Kommentar und welche als Überarbeitungen gelten können. In der Edition werden v. a. die Kara zugeschriebenen Kommentar-­Versionen dargestellt. Der Vergleich der Kommentar-­Fassungen wird nur zwischen den Versionen, die Kara zugeschrieben werden, ausformuliert.1158 Damit ein Vergleich dieser Fassungen zu Rashis Kommentar dennoch für den hebräischen Text möglich ist, wird im Folgenden auch eine Abschrift des auf Rashi zurückgeführten Kommentars in MS New York 778 abgedruckt. Die Gegenüberstellung der Fassungen des Kara zugeschriebenen Kommentars (MS Berlin 1221, MS London 22413 und MS Zürich Or 157) sowie des Rashi zuzuordnenden Kommentars in MS New York 778 kann als Inspiration und evtl. als Ausgangspunkt für eine weitere Beschäftigung mit dem inhaltlichen Vergleich der Kommentar-­Fassungen von Kara und Rashi dienen.1159

1158 Siehe Kapitel "Vergleich der Kommentar-­Fassungen zum Buch Rut," S. 209. 1159 Weitere Daten zur Zuschreibung der MSS etc. vgl. Kapitel "Handschriftenbeschreibungen," ab S. 61.

480

23.  Edition der drei Kommentar-­Fassungen Karas

23.3. In der Edition verwendete Zeichen MT BHQ MT BHS +

{} () ° ☐ ? ??? ' H32 V18 Cop35 Ox52

Biblia Hebraica. Quinta editione cum apparatu critico novis curis elaborato. Althann, Robert / Schenker, Adrian (Hgg.). Deutsche Bibelgesellschaft: Stuttgart ab 2004. Biblia Hebraica Stuttgartensia. Alt, Albrecht / Kahle, Paul / Kittel, Rudolf et al. 4. und 5. Aufl. Deutsche Bibelgesellschaft: Stuttgart 1990 und 1997. Angegebene Version enthält den nachfolgenden Zusatz Genanntes fehlt in angegebener Version Spatium Streichung Hinzufügung am Rand oder zwischen Zeilen Lesung eines Buchstabens unsicher Lesung eines Buchstabens unsicher Buchstabe nicht lesbar Wort nicht lesbar Abkürzungszeichen MS Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Cod. hebr. 32 MS Vatican, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. ebr. 18 MS Copenhagen, The Royal Library, Cod. Heb. 35 MS Oxford, Bodleian Library, Opp. Add. Qu. 52

LXI

26.  Edition MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157 Ingeborg Lederer-Brüchner

Rut 4,18

MS New York 778

‫ואל' תולד' פר' לפי שייחס את דוד על שמה של רות המואביה חזר‬ :‫סליק‬

5

:‫וייחסו על שם יהוזה‬

10

5

10

MTBHQ ‫ ואל'…פר'[ ואלה תולדות פרץ‬4

15Juli 2016

‫‪LX‬‬

‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪Zürich‬‬ ‫‪Ms Or 157‬‬ ‫‪26. Ingeborg‬‬ ‫‪EditionSolveig‬‬ ‫‪MS New‬‬ ‫‪York, Jewish Theological‬‬ ‫‪Seminary,‬‬ ‫‪Lutzki 778‬‬

‫עבדו‪ '97‬בין רות לערפה' ערפה היתה לחרפה' ורות דבקה לייחוד לפיכך‬ ‫שמו עובד צדיק נשא צדקות הבן צדיק גמור שלישי בחר בו הק'ב'ה' שנ'‬ ‫‪98‬ויבחר בדוד‬ ‫‪Rut 4,18‬‬ ‫‪5‬‬ ‫‪Rut 4,21‬‬

‫עבדו'‪98‬‬

‫ואלה תולדות פרץ פרץ' ‪99‬אמ‪ /‬ר' אבא כל מי שנכפל יש לו חלק בזה‬ ‫ובבא'‪99‬‬

‫‪5‬‬

‫‪100‬ושלמון הוליד וגומ‪ /‬למה שלמה ולא שלמון' עד כאן עשו סולמות‬ ‫לנשיאים מיכן ואילך עשו סולמות למלכים‪ 100‬זהו שאמ‪ /‬הכתו' ‪101‬אז‬ ‫אמרתי הנה באת֯י במגילת֯ ספר כתוב עלי'‪ 101‬זה֯ ספר רות'‬

‫‪Rut 4,22‬‬ ‫‪10‬‬

‫‪15‬‬

‫ואישי הוליד את דוד למה כתב' בו א' דכתי' ביה֯ בישי ‪102‬והאיש זקן בא‬ ‫באנשים'‪103 102‬אמ‪ /‬ר' חייא בר אבא' כל ראשי הפסוקין ווין חוץ מח'‬ ‫פסוקין מפני שנדבקה לבני ברית שניתנה לח' ימים' ולמה ווין ויי לדור‬ ‫שגיבורין‪ //‬יורדין'‪104 103‬אמ‪ /‬ר' זעירא המגילה הזו אין בה לא טהרה‬ ‫ולא טומאה ולמה נכתבה כאן ללמדך כח גמילות חסדים'‪ 104‬ולמה קורין‬ ‫מגילה זו בחג שבועות שמגילה זו כולה חסד והתורה כולה חסד שנ'‬ ‫‪105‬ותורת חסד על לשונה‪ 105‬וניתנה בשבועות' חסלת ספר רות' לר' יוסף‬ ‫קרא‬

‫;‪3 98– 98 Ps. 78,70 4 99–99 RutR 8,4 6 100–100 RutR 8,6 7 101–101 Ps. 40,8‬‬ ‫‪102–102‬‬ ‫‪1.Sam‬‬ ‫‪17,12‬‬ ‫‪cf.‬‬ ‫‪RutR‬‬ ‫‪8,7‬‬ ‫‪9‬‬ ‫‪103–103‬‬ ‫;‪Midrash Zuṭa Rut (Ed. Buber) zu Rut 2,8‬‬ ‫‪10‬‬ ‫‪104–104 RutR 2,14‬‬ ‫‪Pesiḳta Zuṭrata (Lekaḥ Tov) zu Rut 2,9‬‬ ‫‪12‬‬ ‫‪15 105 –105 Prov. 31,26‬‬ ‫‪ 1‬היתה[ הייתה ‪ Ox52‬דבקה[ ‪ +‬בה ‪ Cop35‬לפיכך[ לפי ‪ 2 Cop35‬שמו[ ‪ +‬ו' ‪Ox52‬‬ ‫נשא[ שנשא ‪ Cop35‬צדקות[ צדקת ‪ Ox52 Cop35‬גמור[ ‪ +‬ו' ‪ Ox52‬שלישי[ ‪ +‬לו‬ ‫]‪ ;Ox52 [sic‬לומ‪ /‬לו ‪Cop35‬‬ ‫הק'ב'ה'[‬ ‫בחר…הק'ב'ה'[ בחר ה'ק'ב'ה' בו ‪Cop35‬‬ ‫‪ 4‬ואלה[ אלא ‪Cop35‬‬ ‫‪ 3‬בדוד[ בדור ‪Ox52‬‬ ‫הק' ‪Ox52‬‬ ‫שנכפל[ ‪ +‬שמו ‪Cop35‬‬ ‫‪ 6‬ושלמון[ וחצרון הוליד ועמינדב‬ ‫‪ 5–4‬בזה ובבא'[ בעולם הזה ובעולם הבא ‪Cop35‬‬ ‫וגומ‪ [/‬וגו' ‪Cop35 - ;Ox52‬‬ ‫הוליד ושלמון ‪Cop35‬‬ ‫כאן[‬ ‫ולא[ ולמה ‪Cop35 Ox52‬‬ ‫ ‪ 7 Ox52‬מיכן[ מכאן ‪ Cop35‬זהו[ זה הוא ‪ Cop35‬הכתו'[ הכת ‪Cop35 - ;Ox52‬‬‫אז[ ‪ +‬א' ‪8 Ox52‬באת ֯ י[ באתי ‪ Ox52‬במגילת ֯ [ במגלת ‪ Cop35‬רות'[ ‪ +‬ספר זה‬ ‫שמואל שכחו' ראיתי בבניו לי מלך ועובד הוליד ‪ 9 Cop35‬ואישי[ וישי ‪ Cop35‬כתב'[‬ ‫כת' ‪ Ox52‬בו א'[ כת' בא ‪ Cop35‬דכתי'[ דכת' ‪ Ox52‬והאיש[ ‪ +‬בימי שאול ‪Cop35‬‬ ‫‪ 11‬פסוקין[‬ ‫מח'[ משמנה ‪Cop35‬‬ ‫‪ 10‬הפסוקין[ פסוקים של מגילת רות ‪Cop35‬‬ ‫פסוקים ‪ Cop35‬שנדבקה[ שנדבק'>< >< ד'א' מז' ראשי אבות האמורין כאן‬ ‫מז'[ משבעה ‪Cop35‬‬ ‫‪11‬‬ ‫פרץ חצרון רם עמינדב נחשון שלמון בועז' ‪Ox52‬‬ ‫‪ 12‬האמורין[ ‪ +‬כאן ‪ Ox52‬אוצם[ ‪ Cop35 -‬הששי[ השישי ‪ Ox52‬ד'א'[ א'פ' ‪Cop35‬‬ ‫חצרון…בועז'[ וחצרון ורם ועמינדב ונחשון ושלמון‬ ‫‪ 13‬האמורין[ האמורי' ‪Cop35‬‬ ‫ובועז ‪Cop35‬‬ ‫בועז[‬ ‫‪ 14‬ונקרא[ ותקח נעמי ותקראנה לו ותקראנה ‪Cop35‬‬ ‫‪ 15‬ונקרא[ לפי נקרא ‪Cop35‬‬ ‫ ‪Cop35 Ox52‬‬‫ישר'[‬ ‫אלהים[ ‪ +‬חיים ‪Cop35‬‬ ‫ישרא֯ל ‪ 16 Ox52 Cop35‬אלהים[ א֯להים ‪Ox52‬‬

‫‪14‬‬

‫‪Juli 2016‬‬

‫‪15‬‬

‫‪LVII‬‬

‫‪Ingeborg‬‬ ‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪MS New‬‬ ‫‪York 778‬‬ ‫ ‪26.‬‬ ‫‪Edition‬‬ ‫‪MS Zürich, Zentralbibliothek‬‬ ‫‪Zürich,‬‬ ‫‪Or. 157‬‬

‫ברכות ‪11‬רוח חכמ' ובינה עצה וגבורה דעת ויראת יי'‪:11‬‬

‫‪5‬‬

‫כי אם כלה האיש את הדבר היום‪:‬‬

‫‪Rut 3,18‬‬

‫פלוני אלמוני' לא הזכי' הכת' שמו לפי שלא רצה לגאול' פלו' אלמו'‬

‫‪Rut 4,1‬‬

‫מתורגם בנביאי' ‪12‬כסי‬

‫טמיר'‪12‬‬

‫פלוני' מכוסה ונעלם לשון כי יפלא ממ' היפלא מיי' דבר' אלמוני'‬ ‫‪10‬‬

‫אלמון מבלי שם‪:‬‬

‫‪10‬‬

‫ואדע כי אין זולתך קרוב לגאול'‬

‫‪Rut 4,4‬‬

‫ומאת רות המואביה אתה צריך לקנות והיא אינה מתרצה אלא אם‬

‫‪Rut 4,5‬‬

‫כן תשאנה‪:‬‬ ‫‪15‬‬

‫פן אשחית' לתת פגם בזרעי שנ' ‪ 13‬לא יב' עמוני‬

‫ומואבי' ‪13‬‬

‫וטעה‬

‫‪Rut 4,6‬‬

‫בעמוני ולא עמונית‪:‬‬ ‫על הגאלוה' זו מכירה' תמורה זו חליפין'‬

‫‪Rut 4,7‬‬

‫שלף איש נעלו' זהו קניין' כמו שאנו בסודר במקום נעל' ונחלקו‬ ‫חכמי ישר' בדבר מי נתן למי' יש שאמרן קונין בכליו של קונה ובועז‬ ‫‪20‬‬

‫נתן לגואל ויש שאמ' קונין בכליו של מקנה וגואל נתן לבועז‪:‬‬

‫‪1 11–11 cf. Jes 11,2 5 12–12 2.Kön. 6,8 11 13–13 Dt. 23,4‬‬ ‫‪ 12‬לגאול'[ לגאול ‪Sic, zu lesen als‬‬ ‫‪ 7‬פלוני[ פלני אלמני ‪MTBHQ‬‬ ‫‪ 17‬הגאלוה'[ הגאולה ‪ MTBHQ‬תמורה[ התמורה ‪MTBHQ‬‬

‫‪Juli 2016‬‬ ‫‪13‬‬

‫‪20‬‬

‫‪LVI‬‬

‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪Zürich‬‬ ‫‪Ms Or 157‬‬ ‫‪26. Ingeborg‬‬ ‫‪EditionSolveig‬‬ ‫‪MS New‬‬ ‫‪York, Jewish Theological‬‬ ‫‪Seminary,‬‬ ‫‪Lutzki 778‬‬

‫בשש ברכות' זה משיח ‪ 82‬רוח חכמה ובינה ע֯יצה וגבורה דעת ויראת‬ ‫יי‪81 82'/‬‬

‫‪Rut 3,16‬‬

‫‪83‬ותאמ‪ /‬מי את בתי וכי לא היתה מכירה' אלא אמרה לה מה }?{ את‬ ‫פנויה את או אשת איש אמרה לה‬

‫‪Rut 3,18‬‬

‫פנויה'‪83‬‬

‫כי אם כלה הדבר היום' ‪84‬אמ‪ /‬ר' יצחק הצדיקים הין שלהם צדק ולאו‬

‫‪5‬‬

‫שלהם צד'‬

‫֯ ‪84‬‬

‫‪Rut 4,1‬‬

‫פלוני אלמוני לא הזכיר שמו ‪85‬ותי ‪86‬כסי‬

‫‪87‬אלמוני מבלי‬

‫‪Rut 4,5‬‬

‫וטמיר‪ 86‬בנביאים‪85‬‬

‫שם'‪87‬‬

‫ומאת רות המואביה אתה צריך לקנות והיא אינה מתרצה אלא אם כן‬ ‫תשאנה'‬

‫‪Rut 4,6‬‬

‫‪88‬פן אשחית' לתת פגם בזרעי שנ' ‪ 89‬לא יבא עמוני ומואבי‪ '89‬וטעה‬ ‫בעמוני' ‪90‬ולא עמונית' מואבי ולא‬

‫‪Rut 4,7‬‬

‫מואביה'‪90‬‬

‫על הגאולה זו מכירה' תמורה' חליפין זו חליפין'‬

‫‪82 –82 Jes. 11,2‬‬ ‫‪83–83 RutR 7,4‬‬ ‫‪84– 84 RutR 7,6‬‬ ‫‪1‬‬ ‫‪3‬‬ ‫‪5‬‬ ‫‪7 85–85 Targum Jonatan 2.Kön. 6,8 8 87–87 cf. Rashi zu 2.Kön. 6,8‬‬ ‫‪12 88– 88 Rashi zu 2.Kön. 6,8 | 89–89 Dt. 23,4 13 90– 90 cf. RutR 7,7‬‬

‫‪ 7‬פלוני אלמוני[ פלני אלמני ‪ 17 MTBHQ‬תמורה'[ התמורה ‪MTBHQ‬‬ ‫‪ 1‬בשש ברכות'[ בו' ברכו' ‪ Cop35‬רוח[ רכתי' רוח ‪ Cop35‬ובינה[ ‪ Cop35 -‬ע ֯ יצה[‬ ‫עיינה ‪ 3 Ox52‬ותאמ‪ [/‬ותאמר ‪ ;Ox52‬ותבא אל חמותה ותאמר ‪ Cop35‬מכירה'[ מביתה‬ ‫לה[ ‪Ox52 -‬‬ ‫אמרה[ אמ‪Cop35 /‬‬ ‫]‪Cop35 [sic‬‬ ‫‪ 4‬פנויה[‬ ‫[ מי ‪Cop35‬‬ ‫פנויה'[ פנוייה ‪Cop35‬‬ ‫אמרה[ אמ‪Cop35 /‬‬ ‫את[ ‪Ox52 Cop35 -‬‬ ‫פנוייה ‪Cop35‬‬ ‫‪ 5‬כי[ ותאמר שבי בתי כי לא ישקוט האיש כי ‪ Cop35‬אמ‪ [/‬אמר ‪ Ox52‬ר' יצחק[ ר'‬ ‫הין[ חין ‪Cop35‬‬ ‫שמעון בר' יצחק ‪Cop35‬‬ ‫צד ֯ '[‬ ‫‪ 6‬שלהם[ שלהן ‪Cop35‬‬ ‫צדק ‪ 7 Cop35 Ox52‬לא[ ולא ‪ Cop35‬שמו[ ‪ +‬לפי שלא רצה לגאול ‪ Cop35‬ותי…‬ ‫בנביאים[ פלוני אלמוני מתרג' בנביאי' כסי וטמיר' פלומני אלמוני מכוסה ונעלם לשו' כי‬ ‫יפלא ‪ Cop35‬וטמיר[ ותמיר ‪ 11 Ox52‬אלמוני[ אלמני ‪ 13 Ox52‬ומאת…המואביה[‬ ‫)דן( ויקח בועז עשרה ויאמר לגאול ואני אמרתי ואדעה כי אין זולתך קרוב לגאול >< שלא יהיה לך אלהים אחרים' וגם‬ ‫לא תעבורי מזה' על שם‬

‫‪52‬זה‬

‫אלי‬

‫וכה תדבקין עם נערותיי >< עם‬ ‫‪Rut 2,9‬‬

‫ואנוהוי‪52‬‬

‫הצדיקים'‪51‬‬

‫>< זהו מדרשו'‬

‫וצמית והלכת אם תמצאי לשתות אל תכלמי מלכת ולשתות מכלי מים‬

‫‪5‬‬

‫שישאבון הנערי'‬ ‫‪Rut 2,10‬‬

‫להכירני' נתנבאת בעצמה שעתיד להכירה בדרך ארץ'‬

‫‪Rut 2,11‬‬

‫ויאמר לה הגד הוגד ‪53‬ב' פעמ‪ /‬למה הוגד לי בבית הוגד לי בשדה' כל‬

‫‪10‬‬

‫אשר עשית את חמותך אחרי מות אישך' וכל שכן בחיי אישך' >< לאחד משדות אנשי העיר'‬

‫אחר אשר אמצא חן בעיניו ולא יגע' בי‬

‫‪Rut 2,3‬‬

‫ותלך ותבא ותלקט' ‪48‬עד כאן לא אזלת‬

‫אתת' ‪48‬‬

‫אלא שהיתה מסמנת‬

‫‪5‬‬

‫דרכיה קודם שנכנסת לשדה הלכה ובאה וחזרה לעיר כדי לעשות סימנין‬ ‫וציונין בדרך שלא תטעה בשבילים' לשוב'‬

‫ויקר מקרה' כל מי שהיה רואה אותה היה רואה קרי‬ ‫‪Rut 2,5‬‬

‫למי הנערה הזאת וכי דרכו שלבועז לשאל בנשים אלא דבר חכמה‬ ‫‪49‬‬

‫‪10‬‬

‫וצניעות ראה בה שתי‪ 49‬שבולים לקטה שלש לא לקטה' והיתה מלקטת‬ ‫‪50‬עומרות מעומ ֿ ד ושוכבות מיושב‪ 50‬שלא תשחה'‬ ‫‪Rut 2,6‬‬

‫השבה נקודת הטעם למעלה בשין לפי שהיא לשון עבר ואינה לשון‬ ‫פועלת'‬

‫‪15‬‬ ‫‪Rut 2,7‬‬

‫‪15‬‬

‫ואספתי בעמרים' שכחה שלעמרים'‬ ‫זה שבתה הבית מעט כלומ‪ /‬מעט ישבה לה בביתה שכל היום היתה‬ ‫עמנו'‬

‫‪601‬‬

‫§‬

‫‪48–48‬‬ ‫‪5‬‬ ‫‪RutR‬‬ ‫‪4,4; Yalkut Shimoni zu Rut‬‬ ‫‪10 49– 49 bShab 113b; jPea 5, 18:4 12 50–50 bShab 113b‬‬

‫‪ 1‬לאחד[ אל אחת ‪ 3 Cop35‬יגע'[ יגער ‪ Ox52 Cop35‬בי[ ‪ +‬ואלקטה בשבילם אחר‬ ‫אשר אמצא חן בעינו ‪Cop35‬‬ ‫מסמנת[‬ ‫‪ 5‬אתת'[ ‪ +‬שכת' ותבא' ואב' ותלקט' ‪Cop35‬‬ ‫נו ֯ סמנת ‪ 6 Ox52‬לשדה[ בשדה ‪ Cop35‬סימנין[ סימני' ‪ 7 Cop35‬וציונין[ ‪Cop35 -‬‬ ‫‪ 9‬שהיה[ שהוא ‪Ox52‬‬ ‫בשבילים'[ בשבילין ‪Cop35‬‬ ‫היה[‬ ‫רואה‪ [1‬מריק ‪Cop35‬‬ ‫‪ 10‬למי[ והנה בועז למי ‪Cop35‬‬ ‫היתה ‪Ox52‬‬ ‫דבר[‬ ‫לשאל[ לשאול ‪Cop35‬‬ ‫שלש[‬ ‫‪ 11‬שבולים[ שיבו ֯ לום ‪ ;Ox52‬שבלים ‪Cop35‬‬ ‫ובר ‪ ;Ox52‬בדברי ‪Cop35‬‬ ‫מלקטת[ מתלקטת ‪Cop35‬‬ ‫שלשה ‪Cop35‬‬ ‫ושוכבות[‬ ‫‪ 12‬עומרות[ עומדה ‪Cop35‬‬ ‫‪ 13‬השבה[ ‪ +‬עם נעמי ‪Cop35‬‬ ‫שוכבת ‪Cop35‬‬ ‫שהיא[‬ ‫בשין[ תחת הש' ‪Cop35‬‬ ‫שהיא ‪ Cop35 Ox52‬לשון‪ [1‬לשו' ‪ Cop35‬לשון‪ [2‬לשו' ‪ 16 Cop35‬ואספתי[ ותאמר‬ ‫בליבה אלקטה נא לקט השבלים ואספתי ‪Cop35‬‬ ‫שלעמרים'[ של עמרים ‪Cop35‬‬ ‫‪ 17‬ישבה[ ישב ֯ הישב ֯ ה ‪Ox52‬‬ ‫‪ 18‬עמנו'[ ‪ +‬ויא'' כשתשוב‬ ‫בביתה[ ‪ +‬לפי ‪Cop35‬‬ ‫לביתה מעט דבר הוליכה עמה ויאמר בועז ‪Cop35‬‬

‫‪8‬‬

‫‪Juli 2016‬‬

‫‪XLV‬‬

‫‪Ingeborg‬‬ ‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪MS New‬‬ ‫‪York 778‬‬ ‫ ‪26.‬‬ ‫‪Edition‬‬ ‫‪MS Zürich, Zentralbibliothek‬‬ ‫‪Zürich,‬‬ ‫‪Or. 157‬‬

‫ולנשרפין ואחד לנהרגין ונחנקין' אמרה לה' שם אקבר'‬ ‫כה יעשה לי' כאשר התחיל להרע בי בימי ייו בי להומצה אישי‬ ‫ולירד מנכסיי וכה אסיף' אם יפריד ביני ובינך כי אם המות ‪:‬‬ ‫‪5‬‬

‫]והחדל[ לדבר אליה' מכאן שמרו אין מרבין עליו ואין מדקדקין‬

‫‪Rut 1,18‬‬

‫עליו‪:‬‬

‫‪5‬‬ ‫‪Rut 1,19‬‬

‫הזאת נעמי' ה' נקוד חטף פתח מפני שהוא תמוה'‬ ‫הזאת נעמי שהיתה רגילה לצאת בצבים ובפרדים חזיתם מה עלתה‬ ‫‪10‬‬

‫בה על שיצאת לחוצה לארץ‪:‬‬

‫‪10‬‬

‫מלאה הלכתי' בעושר ובנים‪:‬‬

‫‪Rut 1,21‬‬

‫ענה בי' העיד עלי שהרשעתי‬

‫מודע' קרוב' בן אחיו היה' אמרו רבותינו אלימלך ושלמון אבי בעז‬ ‫ופלוני אלמני הגואל נעמי כולם בני נחשון בן עמינדב היו ולא הועיל‬ ‫להם זכות אבות בצאתם מארץ לחוצה‬

‫‪ 1‬שם[ ושם ‪ 3 MTBHQ Rut 1,17‬וכה…המות[ וכה יסיף כי המות יפריד ביני‬ ‫ובינך ‪ MTBHQ‬אסיף'[ יסיף ‪MTBHQ Rut 1,17‬‬

‫‪7Juli 2016‬‬

‫‪Rut 2,1‬‬

‫‪XLIV‬‬

‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪Zürich‬‬ ‫‪Ms Or 157‬‬ ‫‪26. Ingeborg‬‬ ‫‪EditionSolveig‬‬ ‫‪MS New‬‬ ‫‪York, Jewish Theological‬‬ ‫‪Seminary,‬‬ ‫‪Lutzki 778‬‬

‫אמ‪ /‬רות ושם אקבר'‬ ‫כה' יעשה יי' לי' כאשר התחיל להרע לי להמית אישי‪ //‬ולהוריד)י(ני‬ ‫מנכסיי אם יפריד ביני ובינך' כי אם‬

‫המות‪40‬‬

‫‪Rut 1,18‬‬

‫ותחדל לדבר אליה' מיכן ‪41‬שאין מרבין ואין מדקדקין עליו‬

‫‪Rut 1,19‬‬

‫ותלכנה שתיהן ‪ 42‬אמ‪ /‬ר' אבהו בוא וראה כמה חביבין‪ //‬גרים לפני‬ ‫הקבה" כיון שנתנה דעתה להתגייר השוה אותה בכת'‬

‫‪41‬‬

‫לנעמי'‪42‬‬

‫הזאת נעמי' ה' נקוד חטף פתח שהיא תימה'‬ ‫הזאת נעמי שהיתה רגילה לצאת ‪43‬בצבי ובפרדים'‪ 43‬חזיתה מה עלתה‬ ‫‪10‬‬ ‫‪Rut 1,21‬‬

‫לה לפי שיצאתה חוצה לארץ‬ ‫‪44‬אני‬

‫‪10‬‬

‫מליאה הלכתי בעושר ובבנים' ד'א' שהיתה‬

‫מעוברת'‪44‬‬

‫ענה בי' העיד ברשעתי ד'א' ‪45‬עינה בי מדת הדין' ‪45‬כמו ‪46‬וענה גאון‬

‫‪S. 466‬‬

‫ישר‪46‬‬

‫‪Rut 1,22‬‬ ‫‪15‬‬ ‫‪Rut 2,1‬‬

‫בתחילת קציר שעורים' ‪ 47‬בקצירה העומר הכת' מדבר במקום שנ'‬ ‫קציר חטים בשתי הלחם הכת' מדבר‪'47‬‬

‫‪15‬‬

‫ולנעמי מידע קרוב' אמ‪ /‬ר'ז'ל' אלימלך ושלמון' אבי בועז ופלוני אלמוני‬ ‫הגואל ואבי נעמי כולן אחין היו' >< ולא הועיל להם זכות אבותם‬ ‫בצאתם חוצה לארץ'‬

‫‪bJeb 47b 5 42 –42 RutR 3,5-6; Yalkut Shimoni zu Rut § 601‬‬ ‫‪cf. Jes. 66,20 10 44–44 cf. RutR 3,7 11 45–45 RutR 3,7‬‬ ‫‪46–46 Hos. 5,5 13 47–47 RutR 4,2; Yalkut Shimoni zu Rut § 601‬‬ ‫‪41–41‬‬

‫‪43–43‬‬

‫‪ 3‬יפריד…המות[ כי המות יפריד ביני ובינך ‪MTBHQ‬‬ ‫שתיהם ‪MTBHQ‬‬

‫‪6‬‬

‫‪4‬‬ ‫‪8‬‬

‫ותלכנה שתיהן[ ותלכנה‬

‫‪ 1‬אמ‪ [/‬ענתה ‪ 2 Cop35‬יי' לי'[ לי יי' ‪ Cop35‬אישי‪ [//‬את אישי ‪ Cop35‬ולהורידיני[‬ ‫ולהורידיני ‪ 3 Ox52 Cop35‬ובינך'[ וביניך ‪ Cop35‬המות[ המוות ‪ 4 Cop35‬ותחדל[‬ ‫ותרא כי מתאמצת היא ‪Cop35‬‬ ‫‪ 6‬ותלכנה[‬ ‫מרבין[ מדברין עליו ]‪Cop35 [sic‬‬ ‫ותילכנה ‪ Ox52‬חביבין‪ [//‬חביבין ‪ Ox52‬גרים[ גרי' ‪ 7 Cop35‬הקבה[ הק' ‪Ox52‬‬ ‫‪ 8‬פתח[ קמץ ‪Cop35‬‬ ‫בכת'[ הכת' ‪ ;Ox52‬הכתו' ‪Cop35‬‬ ‫השוה[ השווה ‪Ox52 Cop35‬‬ ‫שהיא[ הוא ‪ ;Ox52‬מפני שהוא ‪ 9 Cop35‬שהיתה[ שהיה ‪ Cop35‬בצבי[ בצבים ‪;Ox52‬‬ ‫ובפרדים'[ וכפרדים ‪Ox52‬‬ ‫בצפים ]‪Cop35 [sic‬‬ ‫‪ 10‬לה[‬ ‫חזיתה[ חזיתם ‪Cop35‬‬ ‫ ‪ Cop35‬שיצאתה[ שיצתה ‪ ;Ox52‬שיצאה ‪ 11 Cop35‬מליאה[ מלאה ‪ Ox52‬שהיתה[‬‫‪ 12‬ענה[ ויי' ענה ‪Cop35‬‬ ‫אני מליאה הלכתי שהייתי ‪Cop35‬‬ ‫מדת[ מידת ‪;Ox52‬‬ ‫ ‪ Cop35‬כמו[ כמ‪ 13 Ox52 Cop35 /‬ישר[ ישראל ‪ ;Ox52‬ובפניו ותשב נעמי ‪Cop35‬‬‫‪ 14‬שעורים'[ שעורי' ‪ Cop35‬בקצירה[ בקצירת ‪ Cop35‬שנ'[ ‪ +‬בו ‪ 15 Cop35‬הכת'[‬ ‫הכתוב ‪Ox52‬‬ ‫ר'ז'ל'[‬ ‫‪ 16‬מידע[ מודע ‪ + ;Ox52 Cop35‬ושמו בועז ‪Cop35‬‬ ‫רבותינו ‪ ;Ox52‬רבותי' ‪ Cop35‬אלימלך[ אבימלך ]‪ 17 Cop35 [sic‬כולן אחין[ כולם‬ ‫אחים ‪ Cop35‬ולא[ אלא ‪ 18 Ox52‬חוצה[ בחוצה ‪ Cop35‬לארץ'[ ותאמר רות ‪Cop35‬‬

‫‪7‬‬

‫‪Juli 2016‬‬

‫‪Ingeborg‬‬ ‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪MS New‬‬ ‫‪York 778‬‬ ‫ ‪26.‬‬ ‫‪Edition‬‬ ‫‪MS Zürich, Zentralbibliothek‬‬ ‫‪Zürich,‬‬ ‫‪Or. 157‬‬

‫‪XLIII‬‬

‫אסור לנו להתייחד נקבה עם זכר אשינו אישה' אמרה לה באשר‬ ‫תליני אלין'‬ ‫עמינו ניני מובר להם משאר עמים בשש מאות ושלש עשרה מצוות'‬ ‫עמך עמי'‬ ‫אסיר לן' ע'ז' ואלהיך אלהי'‬ ‫ארבע מיתות נמסרו לבית דין'‬ ‫באשר תמותי אמות' שני קברות מתוקנין לבית דין }אחר{ לנסקלין‬

‫‪ 1‬באשר[ ובאשר ‪MTBHQ Rut 1,16‬‬ ‫‪ 7‬אסיר[ אסור ‪Sic, zu lesen als‬‬

‫‪4‬‬

‫עמך[ עמך ‪MTBHQ Rut 1,16‬‬

‫‪6Juli 2016‬‬

‫‪Rut 1,17‬‬

‫‪XLII‬‬

‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪Zürich‬‬ ‫‪Ms Or 157‬‬ ‫‪26. Ingeborg‬‬ ‫‪EditionSolveig‬‬ ‫‪MS New‬‬ ‫‪York, Jewish Theological‬‬ ‫‪Seminary,‬‬ ‫‪Lutzki 778‬‬

‫אמ‪ /‬נעמי נאסר לנו ייחוד אמ‪ /‬רות באשר תליני אלין'‬

‫‪5‬‬

‫אמ‪ /‬נעמי עמינו מובדלים בתר'י'ג' מצות אמ‪ /‬רות עמך עמי ד'א' עמך‬ ‫בגימטריא ת'ר'י' וג' אותיות שלתיבה הרי ת'ר'י'ג'‬ ‫אמ‪ /‬נעמי אסור לנו ע"ז אמ‪ /‬רות אלהיך אלהי'‬ ‫אמ‪ /‬נעמי ד' מיתות נמסרו לבית דין }ב'{‬

‫‪Rut 1,17‬‬

‫אמ‪ /‬רות באשר תמותי אמות' אמ‪ /‬נעמי ב' קברות מתוקנים לבית דין‬

‫‪ 5‬מובדלים[ מובדלין ‪ Ox52‬מצות[ מצוות ‪ Ox52‬אמ‪ [2/‬ענתה ‪ Cop35‬ד'א' עמך[‬ ‫‪ 6‬ת'ר'י'[ ‪ +‬הווי ‪Cop35‬‬ ‫ס'א' ‪Cop35‬‬ ‫‪ 7‬לנו[‬ ‫שלתיבה[ שלתוכה ‪Cop35‬‬ ‫‪ +‬לעבוד ‪ Cop35‬אמ‪ [2/‬ענתה ‪ Cop35‬אלהיך[ ואלהיך ‪ ;Ox52‬אלהייך ‪ 8 Cop35‬ד'[‬ ‫ארבע ‪ Cop35‬ב'[ ‪… 9 Ox52 Cop35 -‬דין[ ‪Cop35 -‬‬

‫‪6‬‬

‫‪Juli 2016‬‬

‫‪5‬‬

‫‪XLI‬‬

‫‪Ingeborg‬‬ ‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪MS New‬‬ ‫‪York 778‬‬ ‫ ‪26.‬‬ ‫‪Edition‬‬ ‫‪MS Zürich, Zentralbibliothek‬‬ ‫‪Zürich,‬‬ ‫‪Or. 157‬‬

‫שאינכם אסורות להם לפי שלא היו למחלון וכליון קידושין בכם‬ ‫שנכריות היו ולא נתגיירו ועכשיו הם באות להתגייר כמה שנ' כי‬ ‫אתך נשוב לעמך' מעתה נהיה לעם אחד‪ :‬כי אמרתי יש לי תקוה' כי‬ ‫אפילו אמר לי לבי יש לי תקוה להנשא עוד לאיש וללדת בנים' וגם‬ ‫‪5‬‬

‫הייתי הלילה לאיש' ויותר מיכן אפילו הריתי הלילה זכרים' וגם‬

‫‪5‬‬

‫ילדתי בנים' או אפילו כבר ילדתי בנים'‬ ‫הלהן תשברנה' בתמיה' שמא להן תצפינה עד יגדלו‪:‬‬

‫‪Rut 1,13‬‬

‫תעגינה' לשון איסור כלא' כמו עג עוגה ועמד בתוכה'‬ ‫‪10‬‬

‫ויש פותרין לשון ערגון ולא יתכן שאם כן היה לנקד הנון דגש או‬

‫‪10‬‬

‫לכתוב שני נונין‪:‬‬ ‫הנה שבה יבמתך' זה טעמו למעלה תחת השין֯ לפי שהוא לשון עבר'‬

‫‪Rut 1,15‬‬

‫‪4‬ובבקר היא שבה‪ 4‬טעמו למטה בב' לפי' שהוא לשון הווה וכן כל‬ ‫‪15‬‬

‫כיוצא בהן‪:‬‬

‫‪15‬‬

‫אל תפגעי בי' אל תפצרי בי‪:‬‬

‫‪Rut 1,16‬‬

‫כי אל אשר תלכי וגו' מיכן אמרו גר שבא להתגייר מודיעין אותו‬ ‫מקצת עונשין שאם בא לחזור בו ‪ -‬יחזור'‬ ‫שמתוך דבריה של רות אתה למד מה אמרה לה נעמי'‬ ‫‪20‬‬

‫אסור לנו לצאת חוץ לתחום בשבת' אמרה לה באשר תלכי אלך'‬

‫‪12 4– 4 Ester 2,14‬‬ ‫‪ 9‬תעגינה'[ תעגנה ‪ 20 MTBHQ‬באשר[ אל אשר ‪MTBHQ Rut 1,16‬‬

‫‪5Juli 2016‬‬

‫‪20‬‬

‫‪XL‬‬

‫‪Ingeborg‬‬ ‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪Zürich‬‬ ‫‪Ms Or 157‬‬ ‫ ‪26.‬‬ ‫‪EditionSolveig‬‬ ‫‪MS New‬‬ ‫‪York, Jewish Theological‬‬ ‫‪Seminary,‬‬ ‫‪Lutzki 778‬‬

‫שאינכם אסורות להם' לפי שלא היה להם למחלון וכליון קידושין בכם‬

‫‪S. 465‬‬

‫שהייתם נכריות ועכשיו באתם להתגייר כמו שנ' ‪ 34‬כי אתך נשוב‬ ‫לעמך' ‪34‬‬

‫מעתה נהיה לעם אחד' כי אמרתי אפי' יש לי תקוה להינשא‬

‫לאיש וגם ילדתי זכרים'‬

‫‪Rut 1,13‬‬

‫הלהן” תשברנה בתמיה' >< שמא להם תצפינה עד שיגדלו תשברנה'‬ ‫כמו ‪35‬שברו על יי'‬

‫אלהיו'‪35‬‬

‫תעגינה לשון איסור כלא כמו ‪36‬עג‬ ‫‪10‬‬

‫עוגה'‪36‬‬

‫יש פות' לשון עיגון אל "בנותיי" ‪37‬אללי בנותי כי מאד מר לי מכם‬

‫‪10‬‬

‫בשבי‪-‬לכם בי }יב"{ ובבעלי ובבניי כי יצאה בי יד יי' כל מקום שנ' יד‬ ‫יי'‪ 37‬מכת דבר היא' ואב שבכולן ‪38‬הנה יד יי' הויה'‪ 38‬וגו'‬

‫‪Rut 1,16‬‬

‫אל תפנעי בי אל תפצרי בי'‬ ‫מיכן אמ‪39 /‬גר שבא להתגייר מודיעין לו מקצת עונשין‪ 39‬שאם בא לחזור‬ ‫יחזור‬ ‫‪40‬ומתוך דבריה שלרות אתה למד מה אמרה נעמי‬ ‫‪20‬‬

‫‪20‬‬

‫‪RutR 2,18‬‬

‫‪37–37‬‬

‫‪2 34–34 Rut 1,10 6 35–35 Ps. 146,5 7 36–36 mTaan 3,4 8‬‬ ‫‪10 38– 38 Ex. 9,3 13 39 –39 bJeb 47b 15 40–40 bJeb 47b‬‬

‫קידושין בכם[ בכם‬ ‫קידושין[ קידושי' ‪Cop35‬‬ ‫‪ 1‬שאינכם[ שאיניכם ‪Cop35‬‬ ‫קדושין ‪ 2 Ox52‬כמו[ כמ‪ 3 Ox52 Cop35 /‬אמרתי[ ‪ +‬יש לי תקוה ‪ Cop35‬אפי'[‬ ‫‪ 4‬ילדתי זכרים'[ הייתי הלילה לאיש‬ ‫להינשא[ להנשא ‪Ox52 Cop35‬‬ ‫אפילו ‪Ox52‬‬ ‫והלילההרית ֯ י וילדתי בנים ‪Cop35‬‬ ‫שיגדלו[ אשר‬ ‫‪ 7‬בתמיה'[ בתימה ‪Cop35‬‬ ‫‪ 8‬כמו[ כמ‪Ox52 Cop35 /‬‬ ‫יגדלו ‪Cop35‬‬ ‫‪ 9‬תעגינה[‬ ‫שברו[ סברו ‪Cop35‬‬ ‫כמו[‬ ‫כלא[ כ ֯ לא ‪Ox52‬‬ ‫לשון[ לשו' ‪Cop35‬‬ ‫תעגנה ‪ ;Ox52‬תיעגנה ‪Cop35‬‬ ‫עג[ ‪Cop35 -‬‬ ‫כמ‪Cop35 Ox52 /‬‬ ‫לשון[‬ ‫‪ 10‬פות'[ פותרין ‪ ;Ox52‬פותרי ‪Cop35‬‬ ‫אללי[ אל לי ‪Cop35‬‬ ‫לשו' ‪Cop35‬‬ ‫‪ 11‬בשבי‪-‬לכם[‬ ‫בנותי[ בנותיי ‪Cop35‬‬ ‫כל[‬ ‫כי[ ‪Cop35 -‬‬ ‫ובבניי[ ובניי ‪Cop35‬‬ ‫בי יב[ ‪Ox52 -‬‬ ‫בשבילכם ‪Ox52‬‬ ‫בכל ‪ ;Ox52‬אמר ר' לוי בכל ‪Cop35‬‬ ‫ואב שבכולן[ ובניין אב‬ ‫‪ 12‬ואב[ ואם ‪Ox52‬‬ ‫הויה'[ הוייה במקנך ‪Cop35‬‬ ‫לכולם ‪Cop35‬‬ ‫‪ 16‬בי[ ‪ + ;Ox52 -‬לעזביך ‪Cop35‬‬ ‫‪ 17‬מיכן[ מכאן ‪ Cop35‬אמ‪ [/‬אמרן ‪ Ox52‬בא[ ‪ 19 Cop35 -‬ומתוך[ שמתוך ‪Cop35‬‬ ‫נעמי[ לנעמי אמ‪ /‬נעמי אסור לילך לשבתחוץ ֯ לתחום' >< אמ‪ /‬רות‬ ‫אמרה[ אמ‪Cop35 /‬‬ ‫‪… 1,6–20‬ייחוד[ לרות אמ‪ /‬לה אסור לילך חוץ לתחום‬ ‫באשר תלכי א' אלך' ‪Ox52‬‬ ‫בשבת ענתה רות באשר תליכי אלך אמ' נעמי אסור להתייחד עם איש אם אין אישה ‪Cop35‬‬

‫‪5‬‬

‫‪Juli 2016‬‬

XXXIX

Ingeborg Lederer-Brüchner MS New York 778 26.  Edition MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157

10

Rut 1,12

10

'‫כי זקנתי מהיות לאיש' שאנשא לו ואלד בנים ותנשאו להם‬

4Juli 2016

‫‪Ingeborg‬‬ ‫‪Solveig‬‬ ‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪Zürich‬‬ ‫‪Ms Or 157‬‬ ‫ ‪26.‬‬ ‫‪Edition‬‬ ‫‪MS New‬‬ ‫‪York, Jewish Theological‬‬ ‫‪Seminary,‬‬ ‫‪Lutzki 778 XXXVIII‬‬

‫‪25‬ותלכנה" בדרך שהיו הולכות יחיפות' ד"א ותלכנה בדרך שהצירה‬ ‫עליהן הדרך והולכות בייחוד ועוסקות בהל?כ)ו(ת גרים היאך תהיינה‬ ‫יכולות‬ ‫‪Rut 1,8‬‬ ‫‪5‬‬

‫להתגייר'‪25‬‬

‫אשה לבית אמה' שאין אב‬ ‫‪26‬‬

‫יעש' יעשה כת' ה' יתירה שה'‬

‫פעמ‪ /‬אמרה בין לכנה שבנה' עם המתים ‪ 2 7‬שנטפלתם עמהם‬ ‫בתכריכיהם ועמדי ושיותרו לה‬

‫‪Rut 1,9‬‬

‫לגוי' ‪26‬‬

‫כתובתן'‪27‬‬

‫יתן ה' לכם ומצאן כת' ‪28‬שהאחת מצא' רוח אלא בבית‬ ‫ותשנה' כת'‬

‫‪29‬שתשש‬

‫כוחן‬

‫‪5‬‬

‫בעלה'‪28‬‬

‫בבכיה‪29‬‬

‫‪Rut 1,10‬‬

‫ותאמרנה לה' על שהיה בליבן להתגייר‬

‫‪Rut 1,11‬‬

‫העוד לי בנים במעי שהיו לכם לאנשים שיקימו מצוות ייבום ‪30‬וכי‬

‫‪10‬‬

‫אד ֯ ם מייבם אשת אחיו שלא היתה בעולמו'‪ 30‬העוד נקוד קמץ והוא לשון‬ ‫תמה' כמו ‪31‬האם אין עזרתי‬ ‫‪Rut 1,12‬‬

‫בי'‪31‬‬

‫שבנה בנותי לכנה' ‪32‬אמ‪ /‬ר' חנינא בג' מקומות כת' לכנה כנגד ג' פעמ‪/‬‬ ‫>< ‪33‬שדוחין את הגר ואם הטריח יותר מקבלין אותו'‪ 33‬לכך כת' שאחת‬

‫‪15‬‬

‫הלכה‬

‫‪15‬‬

‫כי זקנתי מהיות לאיש' שאנשא לו ואוליד בנים ותנשאו להם }?{‬ ‫‪RutR 2,13‬‬ ‫‪RutR 2,20‬‬ ‫‪Hiob 6,13‬‬

‫‪26–26‬‬ ‫‪29–29‬‬ ‫‪31–31‬‬

‫‪1 25–25 Pesiḳta Zuṭrata (Lekaḥ Tov) Rut 1,7‬‬ ‫‪4‬‬ ‫‪7 28–28 RutR 2,15‬‬ ‫‪8‬‬ ‫‪5 27–27 RutR 2,14‬‬ ‫‪30–30‬‬ ‫‪Yalkut Shimoni zu Rut § 601‬‬ ‫‪12‬‬ ‫‪10‬‬ ‫‪14 33– 33 RutR 2,16; Pesiḳta Zuṭrata (Lekaḥ Tov) Rut 1,11‬‬

‫‪ 4‬יעש' יעשה[ יעשה ‪ ,MTBHQ Ketiv‬יעש ‪ 8 MTBHQ Ḳere‬ותשנה'[ ותשאנה ‪MTBHQ‬‬ ‫‪ 12‬האם…בי'[ כי מר לי מאד מכם ‪ 13 MTBHQ‬בנותי לכנה'[ בנתי לכן ‪MTBHQ‬‬ ‫‪ 2–1‬בדרך‪… 2‬ועוסקות[ שהוצרה הדרך עליהם‬ ‫‪ 1‬יחיפות'[ ‪ +‬וגופן נוגע באץ ‪Cop35‬‬ ‫והולכו' ביחיד ועוסקו' ‪ 2 Cop35‬בהלכות[ בהילכות ‪ 3 Ox52‬להתגייר'[ ‪ +‬ולהיחשב‬ ‫עיקר ארץ יהודה ותאמר נעמי ‪ 5–4 Cop35‬ה'…שבנה'[ נראה לי כי לכך נכת' בהא' שה'‬ ‫פעמ' אמ' בנה לבנה ‪ Cop35‬יתירה[ יתו ֯ רה ‪ 5 Ox52‬פעמ‪ [/‬פעמים ‪ Ox52‬שנטפלתם[‬ ‫‪ 6‬ושיותרו[ שויתרו ‪Cop35 Ox52‬‬ ‫שנפלתם ‪Cop35‬‬ ‫כתובתן'[ את כתובתם ‪Cop35‬‬ ‫שהאחת[‬ ‫כת'[ כתו' ‪Cop35‬‬ ‫ומצאן[ ‪ +‬ומצאן ‪Cop35‬‬ ‫‪ 7‬ה'[ יי' ‪Cop35 Ox52‬‬ ‫שאחת ‪Cop35‬‬ ‫מצא'[ מצאה אשה לבית אישה מיכאן שאין לאשה קורת ‪ ;Cop35‬מצאה'‬ ‫"אשה לבית אישה" >< 'מיכן נ'־ שאין לאישה קורת ‪ 8 Ox52‬ותשנה'[ ותשנא ‪+ ;Ox52‬‬ ‫‪ 10‬העוד…לכם[ ‪Cop35 -‬‬ ‫בבכיה[ ו' כבכייה' ‪ ;Ox52‬מלבכות ‪Cop35‬‬ ‫קולן ‪Cop35‬‬ ‫במעי[ במיעי'' ‪ Ox52‬שהיו[ שיהיו ‪ Ox52‬שיקימו[ שיקיימו ‪ Ox52‬שיקימו מצוות[‬ ‫לקיים מצות ‪11 Cop35‬אד ֯ ם[ אדם ‪ Ox52‬היתה[ היה ‪ 12–11 Cop35‬לשון תמה'[‬ ‫לשנ' תימה ‪ 12 Cop35‬תמה'[ תימה ‪ Ox52‬כמו[ כמ' ‪ ;Ox52‬ודומה‪ /‬לו ‪ Cop35‬בי'[‬ ‫‪ +‬ומפני שהע' מאותיו אח'' הע' נדחה חטף פתח ממנה ‪ 13 Cop35‬בנותי לכנה'[ בנתי לכן‬ ‫]‪ Cop35 [i.e. MTBHQ‬אמ‪ + [/‬ר' שמואל בר חמא בשם ‪ Cop35‬חנינא[ חנינה ‪Cop35‬‬ ‫מקומות[ מקומו ‪ Cop35‬כת'[ כתו' ‪ Cop35‬לכנה[ שבנה ‪ Cop35‬פעמ‪ [/‬פעמים ‪Ox52‬‬ ‫‪ 14‬שדוחין[ שדוחק ‪ Cop35‬יותר[ וותר ‪ ;Ox52‬מיכאן ‪ Cop35‬לכך[ לכן ‪ Ox52‬כת'[‬ ‫שאחת[ שהאחת ‪Cop35‬‬ ‫כתי)ב( ‪Cop35‬‬ ‫ותנשאו[‬ ‫‪ 16‬ואוליד[ ‪ +‬לו ‪Ox52‬‬ ‫ותנשאן ‪Cop35‬‬

‫‪4‬‬

‫‪Juli 2016‬‬

‫‪XXXVII‬‬

‫‪Ingeborg‬‬ ‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪MS New‬‬ ‫‪York 778‬‬ ‫ ‪26.‬‬ ‫‪Edition‬‬ ‫‪MS Zürich, Zentralbibliothek‬‬ ‫‪Zürich,‬‬ ‫‪Or. 157‬‬

‫‪5‬‬

‫גם שניהם' מהו גם' כתחילה לקו בממונם ומתו גמליהם ומקניהם‬

‫‪Rut 1,5‬‬

‫ואחרכך מתו הם‬

‫‪5‬‬

‫ותצא מן המקום' למה שמ' הרי נאמ' ‪2‬ותשב משדי‬

‫מואב‪2‬‬

‫‪Rut 1,7‬‬

‫ומהיכן תשוב אם לא תצא מן המקום שנ' שהיתה שם‬ ‫אלא מגיד שיציאת צדיק מן המקום נִכ ֵ ר֯ת ועושה רושם פינה זיוה‬ ‫‪15‬‬

‫פינה שבחה פינה הדרה של עיר וכן ‪3‬ויצא יעקב מבאר שבע‪:3‬‬

‫‪Rut 1,6 7 3– 3 Gen. 28,10‬‬

‫‪15‬‬

‫‪4 2–2‬‬

‫‪ 13‬תצא[ ותצא ‪MTBHQ‬‬

‫‪3Juli 2016‬‬

‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪Zürich‬‬ ‫‪Ms Or 157‬‬ ‫‪26. Ingeborg‬‬ ‫‪EditionSolveig‬‬ ‫‪MS New‬‬ ‫‪York, Jewish Theological‬‬ ‫‪Seminary,‬‬ ‫‪Lutzki 778 XXXVI‬‬

‫ערפה ‪ 20‬שהפקירה‬ ‫אמ‪21 /‬המערה‬

‫עצמה ‪20‬‬

‫לזנ ֯ו ֯ת' ואו֯' ואומ' לכל ערה֯ פה כמה ד֯את‬

‫‪S. 464‬‬

‫בעצמו'‪21‬‬

‫כעשר שנים או פחות או יותר מעט'‬ ‫‪Rut 1,5‬‬

‫וימותו גם שניהם' בתחילה מתו מקניהם ואחר כך מתו הם' ומפני מה‬

‫‪5‬‬

‫נענשו על שנשאו נשים מואביות שעדיין לא נתחדשה הלכה עמוני ולא‬

‫‪5‬‬

‫עמונית' מואבי ולא מואביה'‬ ‫‪Rut 1,6‬‬

‫כי שמעה ‪22‬מן הרוכלים המחזרים מעיר לעיר'‪ 22‬ויש אומ‪ /‬מרוח הקודש‬ ‫שמעה את עמו' וכת' ‪23‬כי לא יטוש יי' את עמו בעבור שמו' זכו בעבור‬ ‫עמו לא זכו בעבור שמו' בארץ ישראל את עמו' בחוצה לארץ בעבור‬

‫‪10‬‬ ‫‪Rut 1,7‬‬

‫שמו'‪23‬‬

‫‪10‬‬

‫ותצא מן המקום' וכי לא יצא משם אלא היא והלא כבר נאמ'‬ ‫משדי‬

‫‪24‬ותשב‬

‫מואב‪24‬‬

‫אלא מלמד שיציאת הצדיק עושה רושם הוא זיו העיר והדרה ושבחה'‬ ‫‪15‬‬

‫יצא משם פינה זיוה פינה שבחה והדרה'‬

‫‪RutR 2,11‬‬

‫‪22–22‬‬

‫‪7‬‬

‫‪bSan 55a‬‬

‫‪21–21‬‬

‫‪15‬‬

‫‪1 20 –20 Rashi zu bSota 42b 2‬‬ ‫‪8 23–23 RutR 2,11 11 24–24 Rut 1,6‬‬

‫ערה ֯ [‬ ‫‪ 1‬ואו ֯ ' ואומ'[ ואומ‪ ;Ox52 /‬בשעה שנפרשה מאת חמותה והיתהאומ ֜ ‪Cop35 /‬‬ ‫הערה ‪Cop35‬‬ ‫‪ 2–1‬כמה…בעצמו'[ עד היךאמ ֜ ‪ /‬תמן המעדה‬ ‫כמה[ כמ‪Ox52 /‬‬ ‫בעצמן ‪2–1 Cop35‬ד ֯ את אמ‪ [/‬דאמ‪ 3 Ox52 /‬יותר מעט'[ יתר ‪ 4 Cop35‬ואחר כך[‬ ‫וא'כ' ‪ Cop35‬הם'[ ‪ +‬והנרא )ה( שקדום מת אביהם וא'כ' מתו הם ‪ 5 Cop35‬מואביות[‬ ‫נכריות ‪ Cop35‬שעדיין[ כי עדיין ‪ 6 Cop35‬מואביה'[ מואבי)ת( ‪ 7 Cop35‬כי שמעה[‬ ‫אומ‪ [/‬לומ' ‪Cop35‬‬ ‫המחזרים[ המחרזי ‪Cop35‬‬ ‫ותקם היא וכלותיה כי שמעה ‪Cop35‬‬ ‫הקודש[ הקדש ‪Ox52‬‬ ‫מרוח[ ברוח ‪Cop35‬‬ ‫וכת'[‬ ‫‪ 8‬שמעה[ ‪Cop35 -‬‬ ‫שנ' ‪;Cop35‬ו ֯ וכת' ‪ 9 –8 Ox52‬זכו…שמו'[ הגדול אמ' ר' שמואל בר' נחמע העמי בעבור‬ ‫עמו ופעמ'‪ /‬בעבור שמו זכר' )את( עמו לא זכר בעבור שמו דא' ‪ 9 Cop35‬לא[ ולא ‪Ox52‬‬ ‫בעבור‪ [2‬בעבו' ‪ 11 Cop35‬והלא[ ולא ‪ 14 Cop35‬שיציאת הצדיק[ שיצאת צדיק מן‬ ‫המקו' ‪ Cop35‬רושם[ ‪ +‬כי ‪ Cop35‬והדרה[ וחרד ֯ ה ‪ Ox52‬והדרה ושבחה'[ ושבחה‬ ‫והדרה ‪ 15 Cop35‬יצא…והדרה'[ פינה משם פינה זיוה והדרה ‪Cop35‬‬

‫‪3‬‬

‫‪Juli 2016‬‬

‫ ‪26.‬‬ ‫‪Edition‬‬ ‫‪MS Zürich, Zentralbibliothek‬‬ ‫‪Zürich,‬‬ ‫‪Or. 157‬‬ ‫‪Ingeborg‬‬ ‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪MS New‬‬ ‫‪York 778‬‬ ‫אפרתים' חשובים' וכן בן תחן בן צוף אפרתי' אבגינוס' ראה‬

‫‪XXXV‬‬ ‫‪Rut 1,2‬‬

‫חשיבותם שהרי השיאם עגלון מלך מואב אתבתן דאמ' מר רות בתו‬ ‫של עגלון היתה‪:‬‬ ‫דב֯' אח' אפרתים‪ :‬בית לחם קרוייה אפרת‪:‬‬ ‫‪5‬‬

‫איש נעמי' למה נאמ' מכאן אמרו ‪1‬אין איש מת אלא לאשתו‪:1‬‬

‫‪1 –1‬‬ ‫‪5‬‬ ‫‪Yalkut Shimoni zu Parashat Wa-Yeḥi; Yalkut Shimoni‬‬ ‫‪zu Rut § 600; Rashi zu Rut 1,3‬‬

‫‪2Juli 2016‬‬

‫‪Rut 1,3‬‬

‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪Zürich‬‬ ‫‪Ms Or 157‬‬ ‫‪26. Ingeborg‬‬ ‫‪EditionSolveig‬‬ ‫‪MS New‬‬ ‫‪York, Jewish Theological‬‬ ‫‪Seminary,‬‬ ‫‪Lutzki 778 XXXIV‬‬

‫אפרתים' חשובים' ד'א' על שם מקומם בית לחם קרוי ‪8‬אפרת היא בית‬ ‫לחם‪8‬‬

‫‪Rut 1,3‬‬

‫וימת אלימלך איש נעמי ‪9‬אין ‪ 10‬האיש מת אלא לאשתו מן הכא' ואין‬ ‫האשה מתה אלא לבעלה שנ' ‪11‬מתה עלי רחל'‪10 11 9‬‬

‫‪5‬‬

‫ותשאר היא אלמנה ושני בניה יתומים‬ ‫‪Rut 1,4‬‬

‫וישאו להם נשים מואביות' ‪ 12‬ר' ביבי בשם ר' מאיר אמ' רות וערפה‬ ‫בנות עגלון מלך מואב שנ' ‪1413‬דבר אלהים לי אליך‪ 14‬וגומ' ‪15‬ויקם מעל‬

‫‪10‬‬

‫הכסא'‪15 13‬‬

‫אמ‪ /‬הק'ב'ה' עמדת מעל כסאך לכבודי הריני מעמיד ֯ לך‬

‫בן‪12‬‬

‫‪10‬‬

‫‪16‬הטבילום'‪16‬‬

‫‪17‬ערפה הפכה ערף לחמותה'‬ ‫רות ראתה ראתה דבריה‪ 17‬והבינה'‬ ‫ויש אומ' רות שקיבלה ת'ר'י'ג' מצות' ‪18‬אל אשר תלכי אלך' באשר תליני‬ ‫‪15‬‬

‫אלין עמך עמי' ואלהיך‬

‫אלהי' ‪18‬‬

‫‪19‬באשר תמותי אמות' ושם‬

‫אקבר ‪19‬‬

‫ומצות ייבום הרי ז' וחשבון רות הרי ת'ר'י'ג'‬

‫‪8 –8 cf. Sifre Devarim zu Parashat We-zot ha-Berakha § 352‬‬ ‫‪1‬‬ ‫;‪3 9 –9 bSan 22b; Yalkut Shimoni zur Torah Parashat Wa-Yeḥi § 156‬‬ ‫;‪Yalkut Shimoni zu Rut § 600; cf. RutR 2,7 | 10–10 bSan 22b; RutR 2,7‬‬ ‫‪cf.‬‬ ‫‪auch Yalkut‬‬ ‫‪Shimoni zur Torah Parashat‬‬ ‫‪Wa-Yeḥi‬‬ ‫§‬ ‫;‪156‬‬ ‫‪Yalkut Shimoni zu Rut § 600 4 11– 11 Gen. 48,7 6 12–12 Yalkut Shimoni zu‬‬ ‫‪13–13 RutR 2,9; Yalkut Shimoni zu Rut § 600‬‬ ‫‪Rut § 600‬‬ ‫‪7‬‬ ‫‪14–14 Ri. 3,20a | 15–15 Ri. 3,20b‬‬ ‫‪9 16–16 RutR 2,9 10 17 –17 RutR 2,9‬‬ ‫‪12 18– 18 Rut 1,16 13 19 –19 Rut 1,17‬‬

‫‪ 8‬מואביות'[ מאביות ‪MTBHQ‬‬ ‫‪ 1‬חשובים'[ ‪ Cop35 -‬ד'א'[ טעם אחר ‪ Cop‬מקומם[ ‪ +‬כי ‪ Cop‬אפרת[ ‪ +‬כמ‪/‬‬ ‫שנ' בדרך אפרת ‪ ;Ox52‬אפרתה כמו שנ' בדרך אפרת ‪ 5 Cop35‬האיש מת[ האש )האשה‬ ‫לאשתו[ ‪ +‬וילפת ‪Cop35‬‬ ‫מתה( ‪Cop35‬‬ ‫אמ'[‬ ‫‪ 8‬ר'‪… 1‬בשם[ ‪Cop35 -‬‬ ‫אומ‪ 9 Cop35 Ox52 /‬בנות עגלון[ בנותיו שלעגלון ‪ Cop35‬מואב[ ‪ +‬היו ‪ Cop35‬שנ'[‬ ‫וגומ'[ ‪Cop35 Ox52 -‬‬ ‫אליך[ אלך ‪Cop35‬‬ ‫‪ +‬סתר לי אליך המלך' ויאמר הם ‪Cop35‬‬ ‫‪ 10‬הכסא'[ כסא' ‪Cop35‬‬ ‫הריני[ הרי‬ ‫לכבודי[ ‪ ;Ox52 -‬בעבור כבודי ‪Cop35‬‬ ‫אני ‪ Cop35‬מעמיד ֯ … בן[ מקים ממך מלך יושב על כסאי והוא שלמה שנ' וישב שלמה על‬ ‫בן[ ‪+‬ני ֯ ־שישב על כסאי' >< ר' מאיר‬ ‫כסא ייו' ר'‪ /‬מאיר אומ‪ /‬לא גיירום ולא ‪Cop35‬‬ ‫אומ‪ /‬לאו ֯ גיירום ולא ‪Ox52‬‬ ‫ערף[‬ ‫‪ 12‬הפכה ערף[ על שם שהפכה עורף ‪Cop35‬‬ ‫עורף ‪ 13 Ox52‬ראתה ראתה[ ראתה ‪ 14 Ox52 Cop35‬ויש אומ'[ ואני אומ‪Cop35 /‬‬ ‫אל אשר[ )אשר( אל ‪Cop35‬‬ ‫‪35‬‬

‫‪2‬‬

‫‪35‬‬

‫‪Juli 2016‬‬

‫‪15‬‬

‫‪MS New York 778‬‬

‫‪Ingeborg Lederer-Brüchner‬‬

‫‪26.  Edition MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157‬‬

‫ימי שפט השפטים' לפני מלוך שאול שהיו הדורות מתפרנסין על‬ ‫ידי שפטים' ובימי אבצן הוא שאמרו רבותינו אבצן זה בעז‪:‬‬

‫וילך איש' עשיר גדוך היה ופרנס הדור ויצא מארץ לחוצה לארץ‬ ‫מפני צרות עין שהיתה עינו צרה בעניים הבאים לדוחקו לכך נענש‪:‬‬

‫‪1Juli 2016‬‬

‫‪Rut 1,1‬‬

‫‪XXXIII‬‬

‫‪XXXII‬‬

‫‪26.  Ingeborg‬‬ ‫‪Edition MS‬‬ ‫‪NewLederer-Brüchner‬‬ ‫‪York, Jewish Theological‬‬ ‫‪Seminary,‬‬ ‫‪Lutzki 778‬‬ ‫‪Solveig‬‬ ‫‪Zürich‬‬ ‫‪Ms Or 157‬‬ ‫פירוש מחמש מגילות לרבי יוסף קרא ז'ל' ספר רות‬

‫‪Rut 1,1‬‬

‫‪S. 462‬‬

‫ויהי בימי שפוט השופטים ויהי רעב' ‪ 1‬זה הרעב היה מי' ר ע֯ב ֯ינים‬ ‫שנגזרו בעולם'‪ 1‬ולמה הוזקק רעב לבוא באותו הדור לפי שהיו ישראל‬

‫‪5‬‬

‫רשעים באותו הדור ומה שהיו שופטים שופטים ראויין לעשות להם היו‬

‫‪S. 463‬‬

‫הם עושים לשופטים לכך נאמ‪ /‬שפוט השופטים ששפטו את שופטיו'‬

‫‪5‬‬

‫וזה אחד מחמשה ויהי בימי שהיו לצער לפני מלוך שאול שהיו הדורות‬ ‫מתפרנסים על ידי שופטים' ובימי אבצן' ואמ‪ /‬רבותי' ז"ל אבצן זה בועז‬ ‫‪2‬ו ילך איש כל מקום שנ' איש גדול בדורו היה' וזה היה עשיר גדול‬ ‫ופרנס הדור ויצא חוצה לארץ' מפני צרת העין שבו מן העניים הבאים‬ ‫‪10‬‬

‫‪Rut 1,2‬‬

‫לדוחקו לכך‬

‫נענש'‪2‬‬

‫‪10‬‬

‫‪3‬ושם האיש איל}יא{לך' )כ֯''ל אלימלך( >< במדרש רות" ‪4‬ר' מאיר‬ ‫ור' יהושע בן קרחה היו דורשין שמות אלימלך ראוי לומ‪ /‬אלי תבא'‬ ‫מלכות‪ 4 3‬שהיה גדול הדור'‬

‫‪15‬‬

‫נעמי' ‪5‬מעשיה‬

‫נעמים'‪5‬‬

‫מח֯לון ‪6‬שנמחל לו עון'‪7 6‬ונולד לו בן‬

‫‪15‬‬ ‫זכר'‪7‬‬

‫וכליון שנעשה ממנו כלייה'‬

‫‪1–1‬‬ ‫‪2–2‬‬ ‫‪2‬‬ ‫‪cf. RutR 1,4‬‬ ‫‪8‬‬ ‫)‪cf. RutR 1,9 (4‬‬ ‫‪12 3 –3 cf. Pesiḳta Zuṭrata (Lekaḥ Tov) zu Rut 1,2 | 4–4 RutR 2,5‬‬ ‫‪15 5–5 RutR 2,5 16 6– 6 Panei David, Parashat Shelaḥ 8; cf. Pesiḳta Zuṭrata‬‬ ‫‪(Lekaḥ‬‬ ‫‪Tov) Parashat‬‬ ‫‪Wa-etḥannan; Yalkut‬‬ ‫‪Shimoni zu‬‬ ‫ג ושותפין פרק שלוחין הלכות תעודה צור ‪Parashat Wa-etḥannan | 7–7‬‬

‫‪ 2‬שפוט השופטים[ שפט השפטים ‪MTBHQ‬‬ ‫פירוש…רות[ ספר רות איננו פירוש רשי ‪ ;Ox52‬מי שמוציא >< אסירים לחרוח''|‬ ‫‪1‬‬ ‫יעזריני לכתוב >< פירוש מגילת רות'' ‪Cop35‬‬ ‫מי'[‬ ‫‪ 2‬היה[ ‪ +‬אחד ‪Cop35‬‬ ‫מעשרה ‪ Cop35‬רע ֯ ב ֯ ינים[ רעבונים ‪ 3 Ox52 Cop35‬בעולם'[ ב‪-‬בעולם ‪ Ox52‬רעב‬ ‫באותו[ באותה ‪Cop35‬‬ ‫לבוא[ לבוא הרעב ‪Cop35‬‬ ‫‪ 4–3‬שהיו…ומה[ ‪Cop35 -‬‬ ‫שהיו[ ש‪-‬שהיו ‪Ox52‬‬ ‫‪ 4‬באותו הדור[ ‪Ox52 -‬‬ ‫שופטים שופטים[ השופטים ‪;Ox52‬‬ ‫השופטים מה שהם ‪ Cop35‬ראויין[ ראויים ‪ 5–4 Cop35‬להם…לשופטים[ ה' נעשה‬ ‫להם' ‪Cop35‬‬ ‫ששפטו…שופטיו'[ על פי התחילו לפוט‬ ‫‪ 5‬נאמ‪ [/‬נאמר ‪Ox52‬‬ ‫בשופטים'' ‪ 6 Cop35‬וזה[ ויהי בימי זה ‪ Cop35‬שהיו‪ [1‬שהם ‪ 7 Cop35‬מתפרנסים[‬ ‫אבצן'[ א‪-‬אבצן ‪ + ;Ox52‬היה ‪Cop35‬‬ ‫שופטים'[ השופטים ‪Cop35‬‬ ‫מתפרנסין ‪Cop35‬‬ ‫ואמ‪ /‬רבותי'[ ואמרו רבותינו ‪Ox52‬‬ ‫היה'[‬ ‫זל[ ‪ 8 Ox52 -‬איש‪ + [2‬איש ‪Cop35‬‬ ‫ ‪ 9 Cop35‬העין[ עין ‪ 12 Cop35‬איליאלך'…במדרש[ אלימלך ‪ ; Ox52‬אלימך' ‪Cop35‬‬‫אלימלך[‬ ‫שמות[ שם' ‪Cop35‬‬ ‫‪ 13‬היו[ ‪Cop35 -‬‬ ‫במדרש[ ראיתי בנדרש ‪Cop35‬‬ ‫אלימך ‪ 14 Cop35‬מלכות[ המלכות ‪ Cop35‬הדור'[ ‪ +‬ושופט'' ‪ 15 Cop35‬מעשיה[‬ ‫נעמים'[ נעימים ‪Ox52 Cop35‬‬ ‫שהיו מעשיה ‪Cop35‬‬ ‫‪ 17‬וכליון[ כליון ‪Cop35‬‬ ‫שנעשה…כלייה'[ ש)נ(עשה בן כליה ‪Cop35‬‬

‫‪1‬‬

‫‪Juli 2016‬‬

26. Edition MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157 sowie MS New York, Jewish Theological Seminary, Lutzki 778 Die Edition des Kommentars zum Buch Rut in MS Zürich, Zentralbibliothek Zürich, Or. 157 sowie MS New York, Jewish Theological Seminary, Lutzki 778 befindet sich auf den folgenden Seiten. Darin wird auf die im Kommentar zitierten Stellen durch Ziffern im Anmerkungsteil verwiesen.

‫‪XXVIII‬‬

‫‪25.  Edition‬‬ ‫‪MS London,‬‬ ‫‪British‬‬ ‫‪Add. 22,413‬‬ ‫‪Ingeborg‬‬ ‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪London‬‬ ‫‪- TheLibrary,‬‬ ‫‪British Library‬‬ ‫‪Add.‬‬ ‫עשיר ומיוחס'וז ֯ ו נשתלם משכורתה שלימה בבן מיוחס ובעל עשיר ובעל‬ ‫נחלות ולא עוד אלא שיצא ממנה מלכות דוד'‬

‫‪Rut 4,18‬‬ ‫‪5‬‬

‫ואלה תולדות פרץ הודיענו כמה היה מיוחס בועז בעלה ‪ 61‬ושילם יי'‬ ‫פעלה ותהי משכורתה שלימה‪ 61‬ותמימה ‪62‬מעם יי'א ֯ להי ישר' אשר באת‬ ‫לחסות תחת כנפיו' ‪ 62‬ומגן הוא לכל החוסים בו" חסלת מגילת רות'‬ ‫פרישת' רבי יוסף קרא ז'ע' ל‬

‫‪3 61–61 cf. Rut 2,12 4 62–62 Rut 2,12‬‬

‫‪11‬‬

‫‪Juli 2016‬‬

‫‪5‬‬

‫‪XXVII‬‬

‫‪Ingeborg‬‬ ‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪The British‬‬ ‫‪Library‬‬ ‫‪Add.‬‬ ‫ ‪25.‬‬ ‫‪Edition‬‬ ‫‪MS London,London‬‬ ‫‪British-Library,‬‬ ‫‪Add.‬‬ ‫‪22,413‬‬

‫‪Fol. 74v‬‬

‫כי קניתי' קונה אני עתה לכשאקח את רות'‬

‫‪Rut 4,9‬‬

‫להקים שם המת על נחלתו בנישואי רות' ואם היה אחר נושאה היה‬ ‫מקים כמו כן‬

‫‪Rut 4,10‬‬

‫‪5‬‬

‫שם' המת על נחלתו' אך היה שם המת נכרת מעם אחיו' שלא היתה‬ ‫הנחלה נגאלת על יד קרובים' אבל כשאשאנה אני קרובו נמצא שמו נזכר‬ ‫על נחלתו בין קרוביו' ומ' ואם היה אפי' אחר נושאה והיה מקרובי‬ ‫מחלון והיה מקים מושבו בשאר ארצות של יהודה לא היה כבודו של מת‬ ‫כי לא היה נכר תמיד' כי היה נכרת שמו משער מקומו'‬

‫‪5‬‬

‫‪10‬‬

‫יתן יי' את האשה כי אתה והיא לטובה נתכוונתם' ואם תדאג שהיא‬ ‫גיורת ומואבית ואכסנאית כל עצמ' עצמינו לא באנו ֯ אלא מגיורת יעקב‬ ‫הלך ונשא בת לבן והביאה למקומה והיתה נכרית'‬

‫‪Rut 4,11‬‬

‫ועש' חיל' אין חיל אלא מלכות ויעש שאול חיל' ‪57‬וישר' עושה‬ ‫כ'פ'‬ ‫‪15‬‬

‫‪20‬‬

‫‪25‬‬

‫‪30‬‬ ‫‪Fol. 75r‬‬

‫חיל ‪57‬‬

‫וקרא שם שיהיו לך בן ועלידו יקרא שמך שכל מי שיש לו בן שמו ניכר‬ ‫ונקרא על יד בנו' וכן כל שם שבמקרא' ‪58‬והכרתי לבבל שם'‪58‬‬

‫‪15‬‬

‫בן' וכ'ת' ‪59‬נין ונכד‪ 59‬וכן הרבה' ולי לא נרא' אלא דוגמת אנשי שם ואם‬ ‫תאמ' מה שיעקב נשא גיורת ונכרית בנות מפי' משפחתו בנות לבן אחי‬ ‫אמו היה אבל זו רות אינה בת משפחתו' הרי תמר אשת יהודה זקינינו‬ ‫אבי פרץ אבינו לא היתה בת משפחת יהודה ועוד שיעקב נשא אחיות'‬ ‫ויהודה כלתו' וזו מותרת לך יותר'‬

‫‪Rut 4,13‬‬

‫‪20‬‬

‫גואל היום' כי רות ובנה תיטב לך על ידי בועז גואלך'‬

‫‪Rut 4,14‬‬

‫והיה לך בנה למשיב נפש ואם תאמ' רות ילדה נעמי' מה איכפת לה‬ ‫ונותן טעם כי כלתך אשר אהבתך ילדתו וכן אהובתך ייטיב לך'‬

‫‪Rut 4,15‬‬

‫משבעה בנים' הוא יכול להיטיב לך יותר משאילו האלך ז' בנים'‬

‫‪25‬‬

‫יולד בן לנעמי על שם ‪60‬כי כלתה ילדתו'‪ 60‬עובר על שם שיעבוד את‬ ‫נעמי ויכלכל את שיבתה‬

‫‪Rut 4,17‬‬

‫הוא אבי ישי אבי דוד בא להודיעינו כי לפי שעזבה את עמה ואת‬ ‫א ֯ להיה ובאת לחסות בצל השם' היאך שילם לה' היא עזבה בית אביה‬ ‫ואמה וארץ מולדתה וכל הגולה ממקומה אינה יכולה להינשא למיוחס‬ ‫בק ֯ ף ֯ שיני שהרי במקום גירותה לא ישאנה‬ ‫ולהוליד ולירש נחלות י' עיין‬

‫‪Jes. 14,22‬‬

‫‪59 –59‬‬

‫‪17‬‬

‫‪Jes. 14,22‬‬

‫‪58 –58‬‬

‫‪16‬‬

‫‪13 57–57 Num. 24,18‬‬ ‫‪26 60–60 cf. Rut 4,15‬‬

‫‪ 17‬נין[ ונין ‪ 22 Jes. 14,22 MTBHS‬גואל[ גאל ‪MTBHQ‬‬

‫‪10Juli 2016‬‬

‫‪30‬‬

‫‪XXVI‬‬

‫‪25.  Edition‬‬ ‫‪MS London,‬‬ ‫‪British‬‬ ‫‪Add. 22,413‬‬ ‫‪Ingeborg‬‬ ‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪London‬‬ ‫‪- TheLibrary,‬‬ ‫‪British Library‬‬ ‫‪Add.‬‬ ‫סורה שבה פה' פלוני אלמוני סורה לבא כאן כי יש לי לדבר עמך דבר‬ ‫סתור' ומכוסה'‬ ‫פלוני' כמ' כי יפלא ממך דבר' ‪53‬ארי יתכסי'‪ 53‬כפלוני אלמוני תחנותי'‬ ‫תרג' ‪54‬כסי וטמיר‪} 54‬ל{‬ ‫‪5‬‬

‫אלמוני לש' אילם' ולי נר'‬

‫‪5‬‬

‫סורה שבה פה בנצת ותצנעיו שלא ידעו ההלוכים ???‬ ‫‪Rut 4,3‬‬

‫מכרה נעמי' ואנו קרובי בעלה' ועלינו לגאול'‬

‫‪Rut 4,4‬‬

‫ואדעה ואני יו ֯ דע אנכי אגאל היה סבור שהיתה רות מנחת לה לו לגאול‬ ‫א'ע'פי שלא היה נושאה'‬

‫‪Rut 4,5‬‬

‫ומאת רות המואביה יש לך לקנות ואינה רוצה אלאאנו ֯ כן תישאנה‬ ‫לאשה'‬

‫‪10‬‬

‫להקים שם המת' לכשתקח אותה יאמרו מה לזה בשדה זו משיבו'‬ ‫השומעי' לפי שנשא אשת מחלון' נמצא שם מחלון המת נזכר על נחלתו'‬ ‫‪Rut 4,6‬‬ ‫‪15‬‬

‫‪Rut 4,7‬‬ ‫‪20‬‬

‫לא אוכל לגאול לי' לפי שהייתה גיורת מצא לו עלילה לומר‬ ‫פן אשחית את נחלתי שאין לי ממון לגאול את השדה אם לא אמכר‬ ‫נחלת אבותיי ובאותן דמים אגאל' ואין רצוני להשחית נחלתי למכור כדי‬ ‫לגאול נחלת קרובי' תדע שלא הניח אלא מפני שלא חשק ברות' שהרי‬ ‫אמרו לבועז' ‪55‬ויהי ביתך כבית פרץ'‪55‬‬ ‫וזאת לפנים בישר' מה שאנו עושין היום לקיים דבר הכירה ומחילה‬ ‫ואנו קונין בכליו של קונה מיקנה' כדברי רבותי' היו הן עושין על ידי‬ ‫שליפת נעל'‬ ‫על הגאולה' ‪56‬הבא לגאול נחלת‬

‫‪15‬‬

‫‪20‬‬

‫קרוביו'‪56‬‬

‫ועל התמורה' הבא להמיר חפץ נחפץ'‬ ‫לקיים כל דבר בין איש לרעהו'‬ ‫‪25‬‬ ‫‪Rut 4,8‬‬

‫התעודה' שליפת הנעל היא עדות כל דבר קיום'‬

‫‪25‬‬

‫קנה לך' בשליפת נעל"‬ ‫ויאמר בעז לזקנים >< וגומ'‬

‫‪3 53–53 Rashi zu Dt. 30,11‬‬ ‫;‪4 54 –54 Targum Jonatan zu 2.Kön. 6,8‬‬ ‫‪Rashi zu 2.Kön. 6,8 18 55–55 Rut 4,12 22 56–56 cf. Lev. 25,25‬‬ ‫‪ 8‬ואדעה[ ואדע ‪; Ketiv‬ואדעה ‪MTBHQ Ḳere‬‬ ‫‪8‬יו ֯ דע[ אדע ‪evtl.‬‬

‫‪9‬‬

‫‪Juli 2016‬‬

‫‪XXV‬‬

‫ ‪25.‬‬ ‫‪Edition‬‬ ‫‪MS London, British‬‬ ‫‪Add.‬‬ ‫‪22,413‬‬ ‫‪Ingeborg‬‬ ‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪London Library,‬‬ ‫‪- The British‬‬ ‫‪Library‬‬ ‫‪Add.‬‬ ‫מן הראשון שבאת להתגייר כי מי מתחלה היו הכל סכורי' שנתגיירת‬ ‫כדי שישאך בחור'‬

‫‪5‬‬

‫ועתה הוכיח סופך על תחילתך'‬

‫‪Rut 3,11‬‬

‫אל תיראי לומ'‪ /‬שאין בלבי לישאך אעשה לך גם לישאך אני או אחד‬ ‫‪48‬אשר ייטב לך‪ 48‬כי איני בוש שאת גיורת'‬

‫‪5‬‬

‫כי יודע כל שער עמי' כל באי שער עמי כי אשת חיל את' שאם ממק'‪/‬‬ ‫מיוחס נמ' נושא אשה גיורת לנוי זהו גנאי אבל אם נושא אשת חיל אינו‬ ‫מתגנה לפיכך אשיאך'‬

‫‪10‬‬

‫‪15‬‬

‫אמנם כי גואל אני כדברייך'‬

‫‪Rut 3,12‬‬

‫טוב יגאל' אם ירצה לגאלך עם השדה הרי טוב וגאל גם אני אתן לו‬ ‫רשות'‬

‫‪Rut 3,13‬‬

‫ויאמר אל עבדיו אל יוודע' יש פותרין כך וטעו' הוא שהרי לא ידעו כה‬ ‫נעריו' וכך )פ ֯ ת'( בלבו אמ'‪} /‬ב{אל יוודע' שילח אותה בטרם יכיר‬ ‫איש וכו' למה כי אמר בלבו אל יוודע' ודוגמתו ‪ 49‬כתוב זאת זכרון‬ ‫בספר‪ 49‬כי אמר בי ‪50‬יד על‪ 50‬לבו ‪51‬יה'‪ 51‬לפי שהמלחמה תהיה לימים‬ ‫רחוקים בימי שאול לפיכך ‪52‬כתוב זאת זכרון‪ 52‬שלא תשכח‪:‬‬

‫‪Rut 3,14‬‬

‫הבי הזמיני כמ' הבה נתחכמה לו‬ ‫‪Fol. 74r‬‬

‫‪20‬‬

‫‪25‬‬

‫‪15‬‬

‫‪Rut 3,15‬‬

‫שש השעורים' שש המידות'‬ ‫מי את בתי' מה עשית את בתי'‬

‫‪Rut 3,16‬‬

‫ותגד לה את כל אשר עשה לה האיש' שאמ' לגאלה אם לא יגאלנה‬ ‫הקרוב ממנו' דודו או בן דודו הי'‬

‫‪20‬‬

‫ותאמר שש השעורים' אמרה לה אם לא נתן לך השעורים הייתי‬ ‫אומרת כל אשר יאמר יקיים אלא מאחר שנתן לך מתנה דחה אותך' שאם‬ ‫היה רצונו לישאך לא היה לו ליתן לך כלום שהרי מה שיש לבעל הכל‬ ‫לאשתו' ורות השיבתה גם זה לא היה רוצה ליתן לי' אלא כי אמר אל‬ ‫תבאי ריקם ריקנות אל חמותך‬

‫‪Rut 3,17‬‬

‫‪25‬‬

‫כי לא ישקט וכן היה'‬

‫‪Rut 3,18‬‬

‫ובועז עלה השער וגו' והנה הגואל עובר מזלה גרם על שבאת לחסות‬ ‫בצל שכינה'‬

‫‪Rut 4,1‬‬

‫‪Ex. 17,16‬‬

‫‪51 –51‬‬

‫| ‪Ex. 17,16‬‬

‫‪50–50‬‬

‫‪Ex. 17,14 15‬‬

‫‪49–49‬‬

‫‪5 48–48 Rut 3,1 14‬‬ ‫‪16 52 –52 Ex. 17,14‬‬

‫‪ 9‬אני[ אנכי ‪ 14 MTBHQ‬יוודע'[ יודע ‪ 28 MTBHQ‬עובר[ עבר ‪MTBHQ‬‬

‫‪8Juli 2016‬‬

‫‪XXIV‬‬

‫‪25.  Edition‬‬ ‫‪MS London,‬‬ ‫‪British‬‬ ‫‪Library,‬‬ ‫‪22,413‬‬ ‫‪Ingeborg‬‬ ‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪London‬‬ ‫‪- The‬‬ ‫‪BritishAdd.‬‬ ‫‪Library‬‬ ‫‪Add.‬‬

‫‪Rut 3,1‬‬

‫הלא אבקש לך רצוני לבקש לך מנוח ולעסוק שיהיה לך בעל' ואם יהיה‬ ‫לך בעל דל וגאה לא יחשוש בך כי גיורת את לפיכך אבקש לך בעל טוב‬ ‫לך ויהיה לך מנוח ולא תצטרכי ללכת משדה לשדה עוד' לפיכך תלי‬ ‫עיניך בבועז הזקן וטוב‬

‫‪Rut 3,3‬‬

‫ושמת שמלותייך עלייך שתתייפי בעיניו'‬

‫‪5‬‬

‫אל תאדעי לאיש כי גנאי הוא לאשה היית הולכת אצלו לבית זה היה‬ ‫גנאי והוא מרגישין בני ביתו"‬ ‫‪Rut 3,4‬‬

‫והוא יגיד לך וכו'‬

‫‪Fol. 73v‬‬

‫ייעצך ֯ צ ֯ ה ההוגנת לך'‬ ‫ע‬ ‫והוא יגיד לך כי חשוב וטוב הוא‬ ‫‪Rut 3,5‬‬

‫כל אשר תאמרי אעשה כי טוב לי זקן ויאהב מדל גאה בחור'‬

‫‪Rut 3,6‬‬

‫ותעש כל )כל מיוחס( אשר צותה חמותה' סותם ואחר כך מפרש כי‬ ‫לאלתר כשאכל בועז וישת ויטב לבו' כשאדם שמח כל מה שמבקשין‬ ‫ממנו הוא עושה‪:‬‬

‫‪Rut 3,7‬‬

‫‪Rut 3,8‬‬ ‫‪15‬‬

‫‪10‬‬

‫ויחדר האיש' מקרא מסור' וילפת' ואחר כך ויחרד'‬ ‫וילפת' כל אדם הניעור משנתו הוא פושט ידיו ורגליו ועוקמן ומושכן‬ ‫בלע' ְ ט ַ נְר ִ יל ִית'‬ ‫אליו ופושטן' ש‬

‫‪15‬‬

‫וילפת ויעקם את עצמו רטורצת ‪46‬וילפות שמשון את עמודי התוך‪ 46‬וכן‬ ‫פתר' מתי ויחרד האיש בשעת וילפות' לאחר שוילפות' והנה אשה‬ ‫שוכבת ואחר כך ויחרד כ'פ'‬ ‫‪Rut 3,9‬‬

‫מי את בתי' מה את רוצה בתי דוגמ'‪47 /‬ויבא אליהם ויאמר להם אחיהם‬ ‫מה אתם‪ 47‬כ'פ' ולי נר' מי את' כי בלילה לא הכירה'‬

‫‪20‬‬

‫ופרשת' כנפים לישאני כי גואל אתה בעלי היה קרובך וכשמת‬ ‫נשתעברו לי כל הקרקעות לכתובתי ועכשיו' הם ממושכנים ונמכרים‬ ‫ואתה קח אותי לאשה ואני אניחן לך לגואלן'‬ ‫‪Rut 3,10‬‬

‫היטבת חסדך האחרון שנתת עיניך בי שאני זקן כדי לגאול השדה של‬ ‫קרוביי לפי שנשים אחרות נותנות עיניהם בבחורים אם דל אם עשיר'‬ ‫ואינן חוששות אפי' אם יאבדו בעליהן השדות שלהם בלבד שיהיו להם‬ ‫תשמיש הרבה' ואת חסת על שדות קרוביי ונתת בי עינייך'‬

‫‪17 46– 46 Ri. 16,29 20 47– 47 cf. Ri. 18,8‬‬ ‫‪ 17‬וילפות[‬ ‫‪ 11‬כל‪… 1‬מיוחס[ ככל ‪MTBHQ‬‬ ‫‪ 5‬עלייך[ עליך ‪MTBHQ‬‬ ‫וילפת ‪MTBHQ Ri. 16,29‬‬ ‫‪ 19‬שוכבת[‬ ‫| את‪ + [2‬שני ‪Ri. 16,29 MTBHQ‬‬ ‫ויבא…ויאמר[ ויבאו אל אחיהם צרע ואשתאל‬ ‫‪20‬‬ ‫שכבת ‪MTBHQ‬‬ ‫ויאמרו ‪ 22 MTBHQ Ri. 18,8‬גואל[ גאל ‪MTBHQ‬‬ ‫ייעצך ֯ צ ֯ ה[ ייעניך כמנה ‪evtl.‬‬ ‫ע‬ ‫‪ 8‬והוא…וכו'[ ‪9 Reklamante‬‬

‫‪7‬‬

‫‪Juli 2016‬‬

‫‪25‬‬

‫‪XXIII‬‬

‫ ‪25.‬‬ ‫‪Edition‬‬ ‫‪MS London,London‬‬ ‫‪British- Library,‬‬ ‫‪Add.‬‬ ‫‪22,413‬‬ ‫‪Ingeborg‬‬ ‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪The British‬‬ ‫‪Library‬‬ ‫‪Add.‬‬ ‫ותאכל ותשבע ותותר'� שיבר לך האזן מפני שר'ל' למטה ‪36‬ותוצא‬ ‫ותתן לה את אשר הותירה משבעה'‪36‬‬

‫‪5‬‬

‫‪10‬‬ ‫‪Fol. 73r‬‬

‫‪15‬‬

‫גם בין העומרים מקום שאין מן הקוצרים ליכנס כדי שלא יגנבו ויוציאו‬ ‫מן השבלים‬

‫‪Rut 2,15‬‬

‫תלקט זו ולא תכלימוה'נַא ֱ ש ְ טונְדי ֶס ל ֵי ב'ל' אל תנזפוה' כי )כ(שאדם‬ ‫שואל מחברו חפץ ואינו נותן לו נמצא זהש ְ ק ַ וֹנד ִ יט' פי' כך ולי נר' לש'‬ ‫בושת והוא פי' דוגמ‪37 /‬ואין מכלים דבר יורש עצר‪37‬דציד ֡ כים כי כולם‬ ‫עשירים ואין זה צריך לזה' ולא הכל מטם דנכל'‬

‫‪5‬‬

‫מן הצבתים' מה שאדם תופש ביד שמאלו בפעם אחת שהוא קוצר ביד‬ ‫ימינו קרוי צבת דוגמ'‪38 /‬מצאן כרוכות או צבתים'‪38‬‬

‫‪Rut 2,16‬‬

‫ולא תגערו דוגמ'‪39 /‬ויגער בו אביו'‪ 39‬מתרג' ‪40‬נזף‬

‫‪10‬‬

‫ניה‪40‬‬

‫ותרא' ותראה את חמותה' הותירה משובעה' מוסב על ‪ 41‬ותאכל‬ ‫ותשבע ותותר‪ 41‬והשאר נתבה לחמותה'‬

‫‪Rut 2,18‬‬

‫איפא ליקטת היום' לקט גדול כזה אינו כלקט שאר אנשים וכל שכן‬ ‫לש ֯ ל נשים אין זה אלא במקום טוב באת'‬

‫‪Rut 2,19‬‬ ‫‪15‬‬

‫ואנה עשית' אנהנא ֯ ' הרווחת כל זה' בלע' ני ְיט ֶריש כמ‬ ‫החיל הזה'‪43 42‬ותעש הארץ לשבע שני' השבע'‪43‬‬

‫‪42‬עשה‬

‫לי את‬

‫יהי מכירך' י' האיש אשר הכיר בך' כמ‪44 /‬איש מאת מכרו'‪ 44‬עשתה‬ ‫הרויחה עמו'‬ ‫‪20‬‬

‫את החיים עמי געמך‬

‫‪Rut 2,20‬‬

‫ואת המתים בהיותם בחיים'‬ ‫קרוב' לנו האיש שקיבלך ‪45‬בסבר פנים‬

‫יפות'‪45‬‬

‫מגואלינו הוא' קרוב הוא לנו וראוי לו לגאול את נחלתינו שמכרנו אני‬ ‫ובעלי כלמ' בלכתינו' לשדי מואב'‬ ‫‪25‬‬

‫גם כי אמר אלי וגו' וגם תדיר ארויח עמו ואביא לך‬

‫‪Rut 2,21‬‬

‫ולא יפגעו בך' לא יעמדו נגדך לעכבך'‬

‫‪Rut 2,22‬‬

‫‪36–36 Rut 2,18‬‬ ‫‪37–37 Ri. 18,7‬‬ ‫‪38–38 cf. mEr 10,9‬‬ ‫‪1‬‬ ‫‪7‬‬ ‫‪10‬‬ ‫‪39–39 Gen. 37,10‬‬ ‫‪40–40 Targum Jonatan zu Gen. 37,10‬‬ ‫|‬ ‫‪11‬‬ ‫‪16 42–42 Dt. 8,17‬‬ ‫‪17 43–43 Gen. 41,47‬‬ ‫‪12 41–41 Rut 2,14‬‬ ‫‪18 44 –44 2.Kön. 12,6 22 45–45 cf. mAv 1,15‬‬

‫‪ 3‬העומרים[ העמרים ‪ 7 MTBHQ‬דבר[ ‪ +‬בארץ ‪ 12 Ri. 18,7 MTBHQ‬הותירה[‬ ‫הותרה ‪ | MTBHQ‬משובעה'[ משבעה ‪ 13 MTBHQ‬ותותר[ ותתר ‪Rut 2,14 MTBHQ‬‬ ‫‪ 14‬איפא[ איפה ‪MTBHQ‬‬

‫‪6Juli 2016‬‬

‫‪XXII‬‬

‫‪25.  Edition‬‬ ‫‪MS London,‬‬ ‫‪British‬‬ ‫‪Add. 22,413‬‬ ‫‪Ingeborg‬‬ ‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪London‬‬ ‫‪- TheLibrary,‬‬ ‫‪British Library‬‬ ‫‪Add.‬‬ ‫‪Rut 2,8‬‬

‫‪5‬‬ ‫‪Rut 2,9‬‬

‫‪10‬‬

‫ויאמר אל רות הלא שמעת דוגמ'‪32 /‬הלא שמעת כי מלך ארניהו‪ 32‬לשו'‬ ‫הווה הם' הלא תשמעי לדבריי אל תלכי ללקט בשדה אחר אם תאמרי‬ ‫מה אעשהלכ ֯ שתקצור שדה זו' ת'ל' לא תעבורי מזה' אינך צריכה‬ ‫לעבור מזה אלא תמיד תהיי עם נערותיי שאם יקצר שדה זו יש לי שדות‬ ‫הרבה'‬ ‫ועינייך בכל שדותיי אשר יקצרון' והלכת אחריהן כל ימי הקציר יש‬ ‫לך להיות עם נערותיי' אם תאמרו שמא יגערו ויגעו בך ת'ל' הלא צויתי‬ ‫את נערים לבלתי נגעך' דוגמ' על כן ‪ 33‬לא נתתיך לנגוע אליה ‪33‬‬ ‫מלהזיקך' ולפי שדרך הקוצרים לשאוב מים מן הבאר ולי' ולהביאם‬ ‫בשדה והקוצרים צריכים לשתות הרבה מפני החום והם חסין על המים‬ ‫מליתן לנכרים' אבל את וצמית והלכת אל הכלים ושתית‬

‫‪5‬‬

‫‪10‬‬

‫‪Rut 2,10‬‬

‫להכירכי' אם תכיר נשי קרוביך העניי' זהו ראוי לפי שגם הנשים מבני‬ ‫עמך אבל אני נכריה'‬

‫‪Rut 2,11‬‬ ‫‪15‬‬

‫הגד הוגד לי' כל אשר עשית וגו' הוגד לי שתעזבי אבך ואמך אחרי‬ ‫מות אישך' שאילו עשיתבימ ֯ ות אישך אין זה חסד' אילו עשית עודם‬ ‫בחיים ובעוד הייתבארצ ֯ ך די לך לפי שיש נשים ששונאו' חמותיהן אפי'‬ ‫בחיי בעליהן אבל את עזבת אביך וא‪ /‬ויש שמטיבות להם בעוד החמות‬ ‫רוצ' להיות עמה בביתה שאם הנחת אביך ואמך יושבים בעיר' ובאת‬ ‫ליכנס ולישב בביתה באותה עיר עצמה די לך' אלא ותלכי אל עם אשר‬ ‫לא ידעת‬

‫‪20‬‬

‫‪Rut 2,12‬‬

‫והואיל ועשית כל כך טובה ישלם יי' פעלךי' לפי שכל אשה הגולה‬ ‫מבית אביה אינה יכלה לינשא למיוחסוליר ֯ ש נחלות שהרי במקום‬ ‫גירותה לא ישאנה עשי' ומיוחס והרי לך כל מה שנתחסרת ביציאתך‬ ‫ממקומך' ישולם לךמשכו ֯ ר' שלימה בבעל עשיר ומיוחס ובעל מלכות‬ ‫מפני שהנחת ועזבת עמך ויוא ֯ להיך לחסות ביי'א ֯ להי ישר'‬

‫‪25‬‬

‫‪20‬‬

‫‪25‬‬ ‫‪Rut 2,13‬‬

‫ואנכי לא אהיה' איני רוצה להיות אלא כש פחתך הקטנה'‬

‫‪Rut 2,14‬‬

‫כנפי ‪34‬‬

‫ויאמר לה בעז' וגו' הודיעני המקר' לפי שבאת ‪ 34‬לחסות תחת‬ ‫השכינה הצליחה' ומאחר שידע בעז שהיא אשת קרובו קירבה אליו'‬

‫‪30‬‬

‫מצד הקוצרים הושיבהאצ ֯ לו מפני כבודה ולא נתן לה לישב יחידית על‬ ‫הארץ'‬ ‫ויצבט' ויושט' כמ' ‪35‬בית‬

‫‪Rut 2,12‬‬

‫‪34– 34‬‬

‫‪27‬‬

‫הצביטה‪35‬‬

‫‪Gen. 20,6‬‬

‫‪33–33‬‬

‫‪8‬‬

‫‪32–32 1.Kön. 1,11‬‬ ‫‪1‬‬ ‫‪31 35– 35 mHag 3,1‬‬

‫‪ 1‬הלא‪ [2‬הלוא ‪ 8 1.Kön. 1,11 MTBHS‬לנגוע[ לנגע ‪ 14 Gen. 20,6 MTBHS‬הוגד‪[1‬‬ ‫שתעזבי…‪ 15‬אישך'[ אחרי מות אישך ותעזבי אביך‬ ‫|‬ ‫הגד ‪MTBHQ‬‬ ‫ואמך ‪ 27 MTBHQ Rut 2,10f.‬כנפי[ כנפיו ‪Rut 1,12 MTBHQ‬‬

‫‪5‬‬

‫‪Juli 2016‬‬

‫‪15‬‬

‫‪30‬‬

‫‪XXI‬‬

‫ ‪25.‬‬ ‫‪Edition‬‬ ‫‪MS London,London‬‬ ‫‪British- Library,‬‬ ‫‪Add.‬‬ ‫‪22,413‬‬ ‫‪Ingeborg‬‬ ‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪The British‬‬ ‫‪Library‬‬ ‫‪Add.‬‬ ‫והמה באו בית לחם מחובר כל המקרא ביחד' וכששבה נעמי ורות‬ ‫והמה באו וגו' והיה מעשה כך ‪24‬ולנעמי' מודע‪ 24‬וגו' ורות אמרה בלבה‬ ‫‪25‬אלכה נא בשדה'‪ 26 25‬ותלך ותבא ויקר מקריה' ‪27 26‬והנה בעז'‪ 27‬עד‬ ‫‪28‬ויאמ' בעז‪ 28‬וגו'‬ ‫‪5‬‬

‫בתחילת קציר שעורים' מבקיע לך האזן לפי שרוצה לדבר בשעורים‬ ‫ולומ' לה ‪29‬אל תלכי ללקוט‪ 29‬וגו'‬

‫‪5‬‬

‫מודע' הנקרא בלשו' תלמוד קרוב' נקרא בלשו' פסוק מודע'‬

‫‪Rut 2,1‬‬

‫ולנעמי היה מודע איש גבור חיל' ? משבר האזן לפי שדיבר דברים‬ ‫נכוחים עם רות והיא היתה ‪30‬אשת חיל'‪30‬‬ ‫‪10‬‬

‫ממשפחת אלימלך' ואל תתמה אם יאמ' לאחיו ‪31‬אם תגאל‬

‫גאל‪31‬‬

‫‪10‬‬

‫אחר אשר אמצא חן' אחר אותו אשר אמצא חן בעיניו‬

‫‪Rut 2,2‬‬

‫ותלך ותבא' הלכה ובאת לשדה בועז'‬

‫‪Rut 2,3‬‬

‫ויקר מקריה' הק' גרם שהקרה מקרה שלה לחלקת בעז'‬

‫‪15‬‬

‫‪20‬‬

‫‪Fol. 72v‬‬

‫‪30‬‬

‫והנה בעז בא וגו'‬

‫‪Rut 2,4‬‬

‫ויאמר בעז לנערו הנצב למה לנצב ולא לשאר העומרים' לפי שדרך‬ ‫בעלי שדות מפקידים אחד על השדות שישמור שלא יכנס איש נכרי‬ ‫בשדהו' אבל אם בא קרובו אינו חושש אם הנצב על הקוצרים נותן לו‬ ‫עומר או שני עומרים' אבל רוצה הוא שלא יניח שום נכרי לכנם בשדהו'‬ ‫וכשראה בועז את רות הנכרית באה בשדהו ויאמר לנצב על הקוצרים‬ ‫על שאר האביונים נערים ונערות איני שואל כי קרוביי הם אבל זו‬ ‫הנכריה למה נתתה לבא אפי' ללקט' מוטב שיכנסו קרוביי' והוא השיב‬ ‫לו' גם זאת קרובתך היא שבאה עם נעמי אשת קרובך' ואפי' אם לא‬ ‫היתה קרובתך מה עשיתי הלא אמרה לי איני מבקשת כלום שיתנו לי'‬ ‫אלא אלקטה בעומרים' אלקטה נא במקום שהקוצרים מעמרים' אחרי‬ ‫הקוצ' אחרי הקוצרים ולא אכנס בין הקוצרים שלא יחשדוני בגניבות‬ ‫שבלים בעמרים' ולא עוד אלא אפי' לקטה לקט הרבה' מה לך התורה‬ ‫זכתה לה לקט כל שכן שאין לך לכעוס עלי כי באתה ועמדה מאז הבקר‬ ‫ועד עתה שבתה הבית מעט' וזה מיעונו לקט שבידה לא לצרכה לקטה‬ ‫אלא בביתך והיא קרובתך ואינו אלא מעט' ואין לך להשים לב לדבר'‬ ‫ופת' זה מעט שבתה הבית וכששמע בועז שלא קרובתו מיד‬

‫‪Rut 2,5‬‬

‫‪2 24–24 Rut 2,1 3 25–25 Rut 2,2 | 26 –26 Rut 2,3 | 27– 27 Rut 2,4‬‬ ‫‪4 28 –28 Rut 2,5 6 29–29 Rut 2,8 9 30–30 cf. Rut 3,11 10 31 –31 Rut 4,4‬‬ ‫‪ 8‬ולנעמי…[ ולנעמי מידע לאישה גבור חיל ‪ 28 MTBHQ‬עתה[ ‪ +‬זה ‪MTBHQ‬‬ ‫‪ 24‬אחרי…‪ 25‬הקוצ'[ ‪Reklamante‬‬

‫‪4Juli 2016‬‬

‫‪20‬‬ ‫‪Rut 2,6‬‬ ‫‪Rut 2,7‬‬ ‫‪25‬‬

‫‪30‬‬

‫‪XX‬‬

‫‪Ingeborg‬‬ ‫‪Lederer-Brüchner‬‬ ‫‪London‬‬ ‫‪- TheLibrary,‬‬ ‫‪British Library‬‬ ‫‪Add.‬‬ ‫‪25.  Edition‬‬ ‫‪MS London,‬‬ ‫‪British‬‬ ‫‪Add. 22,413‬‬

‫‪Rut 1,15‬‬

‫‪Rut 1,16-17‬‬ ‫‪5‬‬

‫‪10‬‬

‫הנה שבה יבמתך אל עמה אין אומ‪ /‬שבה אלא א'כ' שלא היה >