Kommentar zum ersten Buch von Xenophons Memorabilien.

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Kommentar zum ersten Buch von Xenophons Memorabilien.

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SCHWEIZERISCHE BEITRAGE ZUR ALTERTUMSWISSENSCHAFT

I N V E R B I N D U N G M I T DE NI S V A N B E R C H E M OLOF G I G O N

WILLY THEILER

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V E R L A G F R I E D R I C H R E I N H A R D T AG BA S E L 1953

KOMMENTAR ZUM ERSTEN BUCH VON XEN O PH O N S MEMORABILIEN VON

O L O F G IG O N

V E RL A G F R I E D R I C H R E I N H A R D T AG B A S E L 1953

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Signet des Titelblattes: Schwan, römisches BronzebeachlAg ans Angat Alle Rechte Vorbehalten Copyright by Friedrich Reinhardt AG., Basel Druck von Friedrich Reinhardt AG., Basel

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Inhaltsverzeichnis Kapitel 1

........................

Kapitel 2

........................ 25

Kapitel 3

........................ 94

Kapitel 4

........................ 118

Kapitel 5

........................ 146

Kapitel 6

........................151

Kapitel 7

........................ 165

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P u b l i z i e r t m it U n t e r s t l it z u n g des S ch w eizerisch en N a t io n a lfo n d t zu r F ö rd e ru n g tier Wissenschaft! ic Ikìu Forschung.

Texte und Literatur (in Auswahl) Xenophon, Opera omnia ree. £. C. Marchant, Oxford 1900 squ. Platon, Opera rec. I. Burnet, Oxford 1905 squ. Diogenes Laertius, vitae ed. R. D. Hicks, London 1925. Die Fragmente der Vorsokratiker v. H. Diels, 6. Aufl. von W. Kranz, Berlin 1952. Stoicorum veterum fragmenta coll. I. ab Arnim, Leipzig 1921 squ. H. von Arnim, Xenophons Memorabilien und Apologie des Sokrates, Kopen­ hagen 1923. H. R. Breitenbach, Historiographische Anschauungsformen Xenophons, Basel 1950. A. Busse, Xenophons Schutzschrift und Apologie, Rhein. Mus. 1930. A. Delatte, L e troisième livre des Souvenirs socratiques de Xénophon, Liège 1933. Th. Deman, L e témoignage d’Aristote sur Socrate, Paris 1942. S. O. Dicker man, De argumentis quibusd&m apud Xenophontem, Platonem, Aristotelem obviis e structura hominis et animalium petitis, Halle 1909. H. Dittmar, Aischines von Sphettos, Berlin 1912. K. von Fritz, Zur Frage der Echtheit der xenophontischen Apologie des Sokrates, Rhein. Mus. 1931. K. von Fritz, Antisthenes und Sokrates in Xenophons Symposion, Rhein. Mus. 1935. O.Gigon, Studien zu Platons Protagoras in: Phyllobolia für P. Von der Mühll, Basel 1945. O.Gigon, Antike Erzählungen über die Berufung zur Philosophie, Mus. Helv. 1946. O. Gigon, Xenophons Apologie des Sokrates I., Mus. Helv. 1946. O. Gigon, Xenophontea, Eranos Rudbergianus 1946. O. Gigon, Sokrates, Bern 1947. F. Heinimann, Nomos und Physis, Basel 1945. R.Hirzel, Polykrates’ Anklage und Lysias’ Verteidigung des Sokrates, Rhein. Mus. 1887. W. Jaeger, Paideia Bd. II, Berlin 1944. K. Joel, Der echte und der xenophontische Sokrates, Berlin 1893 ff. A. Körte, Aufbau und Ziel von Xenophons Symposion, Leipzig 1927. V. de Magalhâes-Vilhena, Le problème de Socrate, Paris 1952. V. de Magalhâes-Vilhena, Socrate et la légende Platonicienne, Paris 1952. H. Maier, Sokrates, sein Werk und seine geschichtliche Stellung, Tübingen 1913. M. Pohlenz, Aus Platos Werdezeit, Berlin 1913. G. Rudberg, Sokrates bei Xenophon, Uppsala 1939. B. Snell, Das früheste Zeugnis Uber Sokrates, Philologu3 1948. J. Stenzel, Sokrates in: Pauly-Wissowa, Realencyclopädie 1927. W. Theiler, Zur Geschichte der teleologischen Naturbetrachtung bis auf Aristoteles, Zürich 1925. U. von Wilamowitz, Platon, Berlin 1919.

VORBEMERKUNG Xenophons sokratische Schriften sind in der Forschung der letzten Jahrzehnte erstaunlich vernachlässigt worden. Wäh­ rend die Arbeit an Platon in kaum übersehbarer Fülle weiter­ schreitet und auch das Verständnis des Aristoteles beinahe jedes Jahr durch neue bedeutende Versuche gefördert wird, findet Xenophon nur dann und wann eine flüchtige Beachtung. Man wird sich kaum täuschen in dem Eindruck, daß um ihn und seine Sokratika eine Atmosphäre der Verlegenheit herrscht. Es ist nicht klar, was man mit ihm anfangen soll. Er scheint so viel zu versprechen und hält so wenig. Er gibt sich als ein Freund des Sokrates, der aus persönlicher Erinnerung berich­ tet; aber wenn man ihn beim Worte nimmt, so bemerkt man zu seiner peinlichen Verwirrung, daß hinter der sorgfältig geord­ neten Reihe ehrbarer Erzählungen nichts, aber auch gar nichts von ursprünglicher philosophischer Bewegtheit zu spüren ist. Wenn man dagegen diesem Eindruck folgt und sich zur An­ nahme gedrängt sieht, daß Xenophon gar nicht beim Worte ge­ nommen werden will: daß er also frei erfindet und daß seine Versicherungen fjtcouda genau so viel oder so wenig bedeuten wie die Beglaubigungen, mit denen Cicero seine philosophi­ schen Schriften versieht, dann kann man wieder an der Fest­ stellung kaum Vorbeigehen, daß seine sokratischen Erzählun­ gen keineswegs jene souveräne Geschlossenheit und innere Konsequenz besitzen, wie man sie von freien Erfindungen der Phantasie erwarten dürfte. Sie erscheinen mühsam und be­ dächtig komponiert. Immer wieder stoßen w ir auf Gedanken­ reihen, die unvollständig zu sein scheinen oder die durch anders­ artige Einlagen ungebührlich zerdehnt oder zerrissen sind. Xenophons Sokratika scheinen weder Augenzeugenberichte noch freie Erfindungen des Schriftstellers zu sein. Was sind sie dann? Au f diese Frage kann mit einiger Sicherheit nur ein Kom­ mentar antworten, der es sich zur Aufgabe macht, dem Kon­

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tinuum des Textes Schritt für Schritt nachzugehen und jeden einzelnen Satz aui seinen Gehalt in sich und auf seine Stellung in diesem Kontinuum zu prüfen. Xenophon ist, oberflächlich gesehen, ein außerordentlich leicht zu verstehender Schrift­ steller. Hier liegt die Gefahr. Die Forschung wird bei Xenophons Sokratika nur dann weiterkommen, wenn sie sich syste­ matisch dazu zwingt, bei jedem Satze innezuhalten und nach seinem Sinn und seiner Funktion zu fragen. Diese Aufgabe versucht der vorliegende Kommentar zu­ nächst einmal für das erste Buch der Memorabilien zu leisten. Er konzentriert sich auf diese Aufgabe. Andere Dinge wurden bewußt zurückgestellt. Von Textkritik ist kaum die Rede; auch wenn anerkannt ist, daß w ir noch längst keine zureichende V o r­ stellung von der Textüberlieferung besitzen, so deutet doch alles darauf hin, daß von dieser Seite für unser Problem we­ sentliche neue Erkenntnisse kaum zu erwarten sind. Ich habe auch darauf verzichtet (so verlockend es immer wieder gewesen wäre), die von Xenophon meist mehr berührten als ausgeführten philosophischen Theoreme geschichtlich einzuordnen. Es wäre reizvoll und wichtig gewesen, in jedem einzelnen Falle den ge­ schichtlichen Ort der von Xenophon aufgegriffenen Dinge in der Entwicklungslinie von der Sophistik über die Sokratik zur hellenistischen Philosophie zu suchen. Und nicht minder wert­ voll wäre es gewesen, den Kontrast zwischen dem xenophontischen und dem platonischen Sokratesbild Punkt für Punkt zu verfolgen und auf seine innere Bedeutung hin zu prüfen. Die maßgebende Literatur zu unserm Texte glaube ich in leidlicher Vollständigkeit zu kennen. Da sie aber meist nur diese oder jene Einzelheit (oft durchaus mit Gewinn) heraus­ greift und nirgends auch nur von weitem jene Intensität des Kommentierens erstrebt, auf die hier alles ankommt, so habe ich nur dort ausdrücklich zitiert, wo es geboten schien. Die Kenntnis der älteren und auch schon weitgehend veralteten Monographien von Karl Joel, Heinrich Maier und Hans von Arnim ist vorausgesetzt. Von bleibendem Nutzen sind die Ma­ terialsammlungen von S. 0. Dickerman (Halle 1909) und die leider nur zu knappen Analysen von W . Theiler (Zürich 1925). Olof Gigon.

K A P IT E L 1 § 1. Der Eingang nennt das Problem, von dem ausgegangen werden soll. Es ist ein daufiamov, und insofern wäre zu erwarten, daß der nachfolgende Text der Erklärung dient, so daß man sich nachher nicht mehr zu wundern braucht. So geht Xenophon selber in Pol. Lak. 1 vor: gegeben ist das Problem, wie das menschen­ arme Sparta so mächtig hat werden können. Die spartanische Staatsverfassung ist die Antwort, und dann ouk£ti ¿daupc£ov. Hier ist das Problem, wie die Athener von den Anklägern haben über­ zeugt werden können, daß Sokrates des Todes schuldig sei. Es müßten also die Gründe dargelegt werden, die zu dieser Ueberzeugung fuhren konnten. Das geschieht aber nicht, ob­ schon Xenophon solche Gründe kennt (s. Mus. Helv. 3, 213ff.). Hier soll vielmehr alles angeführt werden, was die Unschuld des Sokrates beweist und das daufxdmov nur immer größer er­ scheinen läßt. Das Stichwort wird mehrfach wiederholt und verklammert die einzelnen Teile von Xenophons Antwort auf die Anklage untereinander: 1,20; 2,1. In 1,17 wird es etwas anders gewandt: nicht erstaunlich wäre es gewesen, wenn die Richter falsch beur­ teilt hätten, was Sokrates im Verborgenen tat. Wahrhaft erstaun­ lich ist aber ihr Mißgriff bei Dingen, die allgemein bekannt waren. Der Begriff ä£io? davd-rou kehrt wieder am Ende von Kap. 2, wo er zusammen mit seinem Gegenbegriff digto? nurte den letzten Abschnitt umklammert: 2,62 und 2,64. Erst so erhält er seinen vollen Sinn. Den Text der Anklageschrift bietet Xenophon hier und in Apol. 10, ferner Platon Ap. 24 BC und Diog. Laert. 2, 40. Dei Wortlaut ist grundsätzlich überall derselbe, vor allem, was die klare Scheidung zweier Anklagepunkte, Einführung neuer Dai­ monia und Verführung der Jugend, betrifft. Xenophon hält sie auch im nachfolgenden scharf auseinander, während Platon sie in eins verschmilzt und schon darin zeigt, wie gewaltsam er mit dem historischen Tatbestand umgeht.

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I, 1. 2

§ 2. Die zwei Punkte sollen nun nacheinander behandelt werden, der erste in 1,2—20, der zweite in 2,1—8. Die Disposition, die Xenophon für den ersten Teil vorge­ schwebt hat, ist offenbar die folgende: zunächst soll dargestellt werden, wie Sokrates sich in der Oeffentlichkeit benahm, dann wie sein Verhalten im Verborgenen war. Was in der Oeffent­ lichkeit geschah, sondert sich wiederum in Handeln und Reden. Das Handeln endlich ist zweigeteilt, in Opfer und Mantik, das Reden (das ¿v tuj qpaveptli § 10 nimmt das