Kohärenz als unionsrechtliche Determinante der mitgliedstaatlichen Glücksspielregulierung: Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Lotteriemonopols der deutschen Bundesländer [1 ed.] 9783428558285, 9783428158287

Seit einigen Jahren leitet der Europäische Gerichtshof eine Reihe von Vorgaben aus den unionsrechtlichen Grundfreiheiten

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Kohärenz als unionsrechtliche Determinante der mitgliedstaatlichen Glücksspielregulierung: Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Lotteriemonopols der deutschen Bundesländer [1 ed.]
 9783428558285, 9783428158287

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Schriften zum Europäischen Recht Band 192

Kohärenz als unionsrechtliche Determinante der mitgliedstaatlichen Glücksspielregulierung Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Lotteriemonopols der deutschen Bundesländer

Von Maximilian Wormit

Duncker & Humblot · Berlin

MAXIMILIAN WORMIT

Kohärenz als unionsrechtliche Determinante der mitgliedstaatlichen Glücksspielregulierung

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera · Detlef Merten Matthias Niedobitek · Karl-Peter Sommermann

Band 192

Kohärenz als unionsrechtliche Determinante der mitgliedstaatlichen Glücksspielregulierung Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Lotteriemonopols der deutschen Bundesländer

Von Maximilian Wormit

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum hat diese Arbeit im Jahr 2019 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-15828-7 (Print) ISBN 978-3-428-55828-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2019 von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Sie befindet sich im Wesentlichen auf dem Stand ihrer Einreichung im Jahr 2015. Zwischenzeitlich veröffentlichte Literatur und neuere Rechtsentwicklungen konnten punktuell berücksichtigt werden. Herzlichen Dank schulde ich zuvorderst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Stefan Magen, M. A., der mich während der Erstellung dieser Arbeit stets engagiert unterstützt hat. Zu großem Dank verpflichtet bin ich ferner Herrn Prof. Dr. Johann-Christian Pielow für die Zweitbegutachtung der Arbeit, mehr aber noch für die lehrreiche und prägende Zeit, die ich als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an dem von ihm an der Ruhr-Universität Bochum geleiteten Lehrstuhl Recht der Wirtschaft verbringen durfte. Bei der redaktionellen Durchsicht und akribischen Korrektur des Manuskripts haben sich Frau Anne Vadder und Herr Ulf Wormit außerordentlich verdient gemacht – ihnen sei ebenfalls sehr herzlich gedankt. Gedankt sei außer den Vorgenannten allen, die mich in dem Unternehmen „Promotion“ bestärkt und in der Zeitspanne seiner Verwirklichung klaglos ertragen haben. Besonderer Dank gebührt insoweit meiner Familie, allen voran meinen Eltern, Renate und Ulf Wormit, sowie Waltraut und Manfred Pesch, die mich während meiner gesamten juristischen Ausbildung stets in meinen Vorhaben bestärkt haben und mir jede erdenkliche Unterstützung haben zukommen lassen. Der größte Dank gebührt schließlich meiner Ehefrau, Müjde Wormit, für ihr Verständnis in der Zeit der Entstehung dieser Arbeit, aber vor allem auch für ihr Vertrauen in mich und ihre uneingeschränkte Unterstützung in jeder Lebenslage – ihr ist diese Arbeit gewidmet. Essen, im Januar 2020

Maximilian Wormit

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Erster Teil

Kohärenz und Glücksspiel – eine erste Annäherung 

A. Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Glücksspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Synthese aus „Kohärenz“ und „Glücksspiel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Glücksspiel als Gegenstand des Rechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Glücksspiel als konfliktträchtiger Lebenssachverhalt . . . . . . . . . . . . . II. Glücksspiel und Sucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Glücksspiel und Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20 20 20 21 22 23 23 24 25

Zweiter Teil

Die unionsrechtlichen Vorgaben für die mitgliedstaatliche Glücksspielregulierung 

A. Grundannahme: Weitreichende Gestaltungsautonomie der Mitgliedstaaten im Glücksspielbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Schranken der Gestaltungsautonomie: Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Grundfreiheiten im System der EU-Wirtschaftsverfassung . . . . . . . . II. Die Rolle des EuGH bei der Gewährleistung der Grundfreiheiten . . . . . . 1. Der EuGH als Hüter der Unionsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Vorabentscheidungsverfahren – Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Urteilswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit als Prüfungsmaßstäbe in der EuGH-Glücksspielrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dienstleistungsfreiheit (Art.  56 ff. AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Niederlassungsfreiheit (Art.  49 ff. AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geschriebene Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 27 31 31 32 33 33 34 35 36 37 37 39 40 42 42 43

8 Inhaltsverzeichnis 4. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beispiel: Glücksspielmonopole und Konzessionssysteme . . . . . . . . aa) Glücksspielmonopole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konzessionssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Resümee zum zweiten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45 46 47 48 48 51 53

Dritter Teil

Das Gebot der Kohärenz als besondere unionsrechtliche Determinante der mitgliedstaatlichen Glücksspielregulierung 

55

A. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 I. (Unions-)Rechtsnormative Ursprünge der Forderung nach Kohärenz . . . 55 II. Anwendungsfelder und Geltungsgrad im Kontext der Grundfreiheiten . . 57 B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . 58 I. Bestandsaufnahme: EuGH-Glücksspielverfahren mit Kohärenzbezug in ihrer Chronologie (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 1. Rechtssache Zenatti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Rechtssache Gambelli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3. Rechtssache Placanica u. a. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 4. Rechtssache Liga Portuguesa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 5. Rechtssache Ladbrokes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 6. Rechtssache Stoß u. a. und Rechtssache Carmen Media . . . . . . . . . . 66 7. Rechtssache Zeturf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 8. Rechtssache Dickinger/Ömer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 9. Rechtssache OPAP u. a. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 10. Rechtssache Digibet/Albers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 II. Analyse der Bestandsaufnahme: Wesen und Wirkkraft des Kohärenz­ gebots  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Unbedingte Zielbezogenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Funktionaler Ausgangspunkt: Der „Scheinheiligkeitstest“ . . . . . . . . . . 77 3. Methodik der Kohärenzprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 a) Ermittlung inkohärenzstiftender Widersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . 80 b) Einbeziehung der mitgliedstaatlichen Vollzugspolitik . . . . . . . . . . . 82 c) Segmentäre Reichweite der Kohärenzbetrachtung: Vertikale und horizontale Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 aa) EuGH-Rechtsprechung vor 2010: Vertikales Verständnis . . . . 84 bb) EuGH-Rechtsprechung ab 2010: Horizontales Verständnis . . . 85 d) Keine Berücksichtigung föderalstaatlicher Besonderheiten  . . . . . . 87 e) Keine Differenzierung zwischen einzelnen Vertriebskanälen . . . . . 89 4. Zur Schlüsselrolle der nationalen Gerichte bei der Kohärenzprüfung . 90

Inhaltsverzeichnis9 a) Grundsatz: Letztentscheidungskompetenz der nationalen Gerichte  90 b) Ausnahme: Vorentscheidung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5. Rechtsdogmatische Einordnung und prüfungssystematische ­Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Meinungspektrum zur rechtsdogmatischen Rezeption  . . . . . . . . . . 93 b) Meinungsspektrum zum prüfungssystematischen Standort . . . . . . . 96 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 aa) Genetischer Kontext als Ansatzpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 bb) Keine singuläre Zweckausrichtung in der Folgerechtsprechung erkennbar  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 cc) Berücksichtigung legislativer Unzulänglichkeiten . . . . . . . . . . 100 dd) Das Kohärenzgebot als unionales Effektivitätspostulat . . . . . . 101 ee) Folgerungen für den Prüfungsstandort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 6. Typologien inkohärenzstiftender Widersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 a) Art und Zuschnitt (in-)kohärenzrelevanter Konfliktpotenziale . . . . 104 aa) Spielsuchtbekämpfung versus expansive Angebotspolitik . . . . 105 (1) Expansive Angebotspolitik als inkohärenzauslösender Faktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 (2) Inkohärenzauflösende Effekte durch wirksame ­Kanalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 bb) Kriminalitätsbekämpfung versus expansive Angebotspolitik . . 109 cc) Bipolare Regulierungsziele versus expansive Angebotspolitik  110 dd) Divergenzen in der Regulierungsintensität . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b) Finaler Beurteilungsmaßstab der Inkohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 aa) Homogener Bewertungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 bb) Einschlägiger Unwirksamkeitsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (1)  Unschärfe in der EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . 117 (2)  Evidente Funktionsuntauglichkeit als Unwirksamkeitsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 7. Folgen bei Inkohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Anwendungsvorrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 III. Würdigung: Potenziale und Problemhorizonte des Kohärenzgebots . . . . . 125 1. Das Kohärenzgebot als Produkt richterlicher Rechtsfortbildung . . . . . 125 a) Das Kohärenzgebot als gewohnheitsrechtlich anerkanntes Rechtsprinzip? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Mandat und Grenzen der Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 c) Extrahierung des rechtsfortbildenden Schritts . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 d) Folgerungen für die Beurteilung einer Kompetenzübertretung . . . . 131 2. Das Kohärenzgebot und (deutscher) Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Die Koordinierungspflicht und die deutsche Verfassungsidentität . 135 b) Konkrete Reichweite der Abstimmungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . 139 c) Konsequenzen für die Beurteilung einer „Aushöhlung“ . . . . . . . . . 140

10 Inhaltsverzeichnis 3. Das Kohärenzgebot und die Rolle der nationalen Gerichte . . . . . . . . . a) Modus Operandi der Kohärenzprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Praktische Vorbehalte bei der Tatsachenermittlung und Tatsachenwürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gerichtliche Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die vermeintliche Wertungsfreiheit der Kohärenzprüfung . . . . bb) Gerichtliche Wertungsfreiräume in der Kohärenzprüfung . . . . cc) Gefahr eines „freischwebenden“ Richtmaßes . . . . . . . . . . . . . . dd) Kein Verfall des juristischen Nutzwerts . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Resümee zum dritten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

142 142 143 145 146 146 148 149 150

Vierter Teil

Die deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz 

A. Das Glücksspiel im deutschen Regulierungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Marksteine in der jüngeren Entwicklung der deutschen Glücksspiel­ ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Lotteriestaatsvertrag (2004) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Sportwettenurteil des Bundesverfassungsgerichts (2006) . . . . . . . 3. Der Glücksspielstaatsvertrag (2008) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die EuGH-Urteile zur deutschen Glücksspielregulierung (2010) . . . . 5. Der Erste Glücksspieländerungsstaatsvertrag (2012) . . . . . . . . . . . . . . 6. Resümee: Neuordnung in Kontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundzüge der rechtlichen Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriffliche Fixierung des „Glücksspiels“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorwiegende Zufallsabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutende Gewinnchance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erheblicher Einsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dualistische Struktur des deutschen Glücksspielrechts . . . . . . . . . . . . a) Landesrechtliche Glücksspielsektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Lotterien und Ausspielungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sportwetten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Spiel in Spielbanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bundesrechtliche Glücksspielsegmente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gewerbliches Spiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Pferdewetten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besondere Kompetenzfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strafrechtliche Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zivilrechtliche Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Glücksspiel im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

156 156 157 157 159 161 163 164 167 168 169 170 170 171 172 172 174 174 175 177 178 178 179 180 180 181 182

Inhaltsverzeichnis11 4. Materiell-verfassungsrechtliche Maßgaben: Grundrechte . . . . . . . . . . . 183 5. Summarische Bestandsanalyse und aktuelle Tendenzen . . . . . . . . . . . . 185 III. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . 187 B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots . . . . . . . 189 I. Regulierungsprofil des Lotteriemonopols  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 1. Rechtsgrundlage und konkreter Umfang des Monopols . . . . . . . . . . . . 191 a) Das Lotteriemonopol als Grundsatzentscheidung . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Ausnahmen vom Monopolgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2. Vertriebsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 3. Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 II. Kohärenzbezogene Vorprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Beschränkung grundfreiheitlicher Schutzgehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Grundsätzliche Rechtfertigungsfähigkeit – Zieldefinition . . . . . . . . . . 197 III. Kohärenzabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1. Vertikale Kohärenzbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 a) Einschlägiger Bewertungsmaßstab nach der EuGH-Recht­ sprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 b) Wesentliche Regulierungselemente der Angebotsexpansion . . . . . . 202 aa) Normative Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 bb) Anwendungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 c) Wesentliche Regulierungselemente der Spielsuchtprävention . . . . . 205 aa) Normative Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 bb) Anwendungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 d) Bewertung der Ausgewogenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 aa) Expansionsbedingte Überwirkungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 bb) Kanalisierungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (1) Kanalisierungsgegenstand: „Illegales Glücksspielangebot im Internet“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (2) Kanalisierungsgegenstand: „Glücksspiele mit einem höheren ­Suchtgefährdungspotential“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 cc) Folgerungen für die expansionsbedingte Überwirkungsgefahr  221 e) Fazit zur vertikalen Kohärenzbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 2. Horizontale Kohärenzbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 a) Einschlägiger Bewertungsmaßstab nach der EuGH-Recht­ sprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 b) Vergleichssektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 aa) Pferdewetten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 bb) Allgemeine Sportwetten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 cc) Gewerbliches Automatenspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 dd) Spielbanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 c) Fazit zur horizontalen Kohärenzbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 IV. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

12 Inhaltsverzeichnis Fünfter Teil

Gesamtbilanz und Ausblick 

237

A. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 B. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht a. E. am Ende a. F. alte Fassung abgedr. abgedruckt ABl EG Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft ABl EU Amtsblatt der Europäischen Union AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AG Amtsgericht AG GlüStV Ausführungsgesetz Glücksspielstaatsvertrag amtl. amtliche Anl. Anlage AöR Archiv des öffentlichen Rechts ARSP Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Art.  Artikel Aufl. Auflage Az. Aktenzeichen BayVBl Bayrische Verwaltungsblätter BB Betriebsberater Bd.  Band BeckOK Beck’scher Online-Kommentar BeckRS Beck online Rechtsprechung BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl Bundesgesetzsblatt BGH Bundesgerichtshof BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerwG Bundesverwaltungsgericht BW Baden-Württemberg BZgA Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bzw. beziehungsweise ca. circa CMLR Common Market Law Review DÄ Deutsches Ärzteblatt DHS Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen

14 Abkürzungsverzeichnis DLTB

Deutscher Lotto- und Totoblock

DÖV

Die öffentliche Verwaltung

DV

Die Verwaltung

DVBl

Deutsches Verwaltungsblatt

e. V.

eingetragener Verein

EG

Europäische Gemeinschaft

Einl. Einleitung etc.

et cetera

EU

Europäische Union

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Union

EuR Europarecht EUV

Vertrag über die Europäische Union

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EWS

Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht

f. folgende FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

ff. fortfolgend Fn. Fußnote FS Festschrift GA Generalanwalt gem. gemäß GewArch Gewerbearchiv GewO Gewerbeordnung GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

GKL

Gemeinsame Klassenlotterie der Länder

GlüÄndStV

Erster Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland

GlüStV

Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GRUR

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht

GVBl

Gesetz- und Verordnungsblatt

Hrsg. Herausgeber i. S. d.

Im Sinne des

i. V. m.

In Verbindung mit

JA

Juristische Ausbildung

JuS

Juristische Schulung

JZ Juristenzeitung K&R

Kommunikation & Recht

Abkürzungsverzeichnis15 Kap. Kapitel KOM

Dokument der Europäischen Kommission

Lit. Literatur LottStV

Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland

LT-Drs. Landtagsdrucksache m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

MBl Mitteilungsblatt Mio.

Millionen

MMR

MultiMedia und Recht

Mrd.

Milliarden

MV Mecklenburg-Vorpommern Nachw. Nachweise NJOZ

Neue Juristische Online-Zeitschrift

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NKL

Nordwestdeutsche Klassenlotterie

NordÖR

Zeitschrift für Öffentliches Recht in Norddeutschland

Nr. Nummer NRW Nordrhein-Westfalen NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NVwZ-RR

Rechtsprechungs-Report Verwaltungsrecht

NZWiSt

Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmens­ strafrecht

OHG

Offene Handelsgesellschaft

OLG Oberlandesgericht OVG Oberverwaltungsgericht RIW

Recht der Internationalen Wirtschaft

RL Richtlinie Rn. Randnummer Rs. Rechtssache Rspr. Rechtsprechung S. Seite SKL

Süddeutsche Klassenlotterie

Slg.

Sammlung Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union

sog. sogenannt st. ständige StGB Strafgesetzbuch

16 Abkürzungsverzeichnis u. und u. a. und andere UAbs Unterabsatz UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb v. vom VBlBW Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg verb. verbundene VerwArch Verwaltungsarchiv VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof vgl. vergleiche VO Verordnung VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer VwGO Verwaltungsgerichtsordnung wbl wirtschaftsrechtliche blätter WerbRL Werberichtlinie WiVerw Wirtschaft und Verwaltung WRP Wettbewerb in Recht und Praxis z. B. zum Beispiel ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht ZEuS Zeitschrift für Europarechtliche Studien ZfWG Zeitschrift für Wett- und Glücksspielrecht ZG Zeitschrift für Gesetzgebung ZR Zivilrecht ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZWeR Zeitschrift für Wettbewerbsrecht

Einleitung Die Europäisierung nationaler Rechtsstrukturen und Dogmatiken hat mittlerweile ein weit fortgeschrittenes Ausmaß erreicht. Nicht zuletzt mit zunehmender Bestandsdauer der Europäischen Union greift die unionsrechtsförmige Durchwirkung und Überformung mitgliedstaatlicher Lebensbereiche weit um sich und hat inzwischen auch solche Politikfelder erfasst, die wegen ihrer individuellen Bedeutung für die einzelnen Mitgliedstaaten lange Zeit kein Thema im europäischen Integrationsverlauf waren. Angesichts seiner soziokulturell bedingten, von Staat zu Staat unterschiedlich ausfallenden Eigentümlichkeiten galt auch der Sachbereich des Glücksspiels über viele Jahre hinweg als eine dem Unionsrecht fernstehende, vielleicht sogar inte­ grationsresistente Domäne nationalstaatlicher Regulierungsgewalt. Erst Mitte der neunziger Jahre vollzog sich eine veritable Kehrtwende: Wie so oft war es der Europäische Gerichtshof, der Schrittmacherdienste leistete und in den nationalen Glücksspielmärkten ein zusätzliches Integra­ tionspotenzial erkannte; in der Rechtssache Schindler judizierte er im Jahre 1994, dass sich die Gestaltungskompetenz der Mitgliedstaaten auf ihren Glücksspielwesen nur unter Beachtung der europarechtlichen Rahmenvorgaben entfalten könne.1 Diesen Standpunkt hat der Gerichtshof bis heute nicht verlassen. Er hat vielmehr im Zuge einer vielgestaltigen Entscheidungsserie ein komplexes Ensemble einzelner Rechtsgrundsätze entwickelt, nach denen sich die Unionsrechtskonformität nationaler Glücksspielsysteme beurteilt. Als wohl bedeutsamste Frucht dieser Rechtsprechungslinie erwuchs das vom EuGH anno 2003 in der Rechtssache Gambelli aufgestellte Postulat der Kohärenz, welches die Mitgliedstaaten fortan dazu verpflichtete, ihre Glücksspielsektoren einer stimmigen, in sich widerspruchsfreien Regulierungspraxis zu unterwerfen.2 Nach einer ersten Konsolidierungsphase ist das Kohärenzgebot mittlerweile zu einem gefestigten Prüfungselement in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH avanciert und hat gerade in jüngster Zeit beträchtliche Entwicklungsschübe empfangen. Dafür zeichnet insbesondere der Umstand verantwortlich, dass in steigendem Maße vonseiten europaweit operierender Glücksspielunternehmen der Versuch unternommen wird, die oftmals staats1  EuGH, 2  EuGH,

Rs. C-275/92, NJW 1994, S. 2013 (Rn. 25 ff.) – Schindler. Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 67 ff.) – Gambelli.

18 Einleitung

monopolistisch ausgestalteten Regulierungssysteme unter Berufung auf ihre mangelnde Stimmigkeit vor dem Unionsrecht respektive EuGH zu Fall zu bringen, um auf diesem Wege ihr Angebot in die Glücksspielmärkte tragen zu können. Von dieser Entwicklung ist auch die deutsche Regulierungspolitik nicht unverschont geblieben: Veranlasst durch die Klagen zweier Glücksspiel­ anbieter sah sich im Jahr 2010 erstmals die deutsche Glücksspielordnung in den viel beachteten Rechtssachen Stoß u. a. und Carmen Media dem unionsgerichtlichen Härtetest ausgesetzt. Obzwar der EuGH kein abschließendes Kohärenzurteil zur deutschen Glücksspielpolitik fällte, äußerte er doch ernstliche Zweifel an dessen Stimmigkeit.3 In ihrer Tragweite gaben die Entscheidungen allemal eine Initialzündung für einen bis heute andauernden Reformprozess, welcher von der programmatischen und zumeist im Dickicht widerstreitender Interessenslagen diskutierten Frage begleitet wird, ob der eingeschlagene Regulierungspfad den Anforderungen genügt, die der Gerichtshof in Stellvertretung für das Unionsrecht an eine kohärente Glücksspielpolitik stellt. Schon diese wenigen Streiflichter verdeutlichen: Die im Mantel des Unionsrechts erhobene Forderung nach Stimmigkeit zieht weite Kreise nach sich; sie zwingt zu einer Aus- und Zurichtung ganzer Regulierungssysteme auf die schillernde Determinante „Kohärenz“. Doch woraus schöpft das Kohärenzgebot seine systembildende Kraft? Welche Beweggründe stehen hinter seiner Konstituierung? In welchem Maße gebietet das Postulat eine stimmige, in sich widerspruchslose Glücksspielpolitik? Und wie fügen sich derlei Ansprüche in die vielfach über Dekaden hinweg gewachsenen Regulierungsstrukturen der Mitgliedstaaten ein? Bereits dieser Abriss an Erwägungen mag illustrieren, dass sich in der Forderung nach Kohärenz eine Vielzahl von Fragen bündelt, die eine wissenschaftliche Betrachtung herausfordert. Die vorliegende Arbeit stellt sich dieser Aufgabe in vier Teilen: Den Ausgangspunkt der Untersuchung setzen die Schlüsselbegriffe „Kohärenz“ und „Glücksspiel“; ihre Bedeutungsgehalte sind in einem ersten Teil freizulegen. Die Bearbeitung nähert sich ihnen dabei zunächst auf einer semantisch-etymologischen Ebene, ehe sie eine Brücke zwischen den Begrifflichkeiten vor dem Hintergrund ihrer konkreten Rechtshorizonte schlägt. Zudem wird thematisiert, aus welchen Gründen überhaupt ein Bedürfnis besteht, das Glücksspiel regulativ zu umhegen. Im zweiten Teil der Abhandlung gilt es die unionsrechtlichen Anforderungen für die mitgliedstaatliche Regulierung von 3  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 106) – Stoß u. a.; EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 71) – Carmen Media.

Einleitung19

Glücksspieltätigkeit näher zu beleuchten. Den Maßstab dafür bilden die Rechtssätze des europäischen Primärrechts, genauer: die unionalen Grundfreiheiten; sie sind es, die den mitgliedstaatlichen Aktionsraum im Glücksspielbereich vorbestimmen und aus deren Gehalten der EuGH letztlich auch die Forderung nach einer kohärenten Glücksspielpolitik ableitet. Darauf aufbauend sollen im dritten Teil dem Kohärenzpostulat seine entscheidenden Sinngehalte zugeführt werden. Zu diesem Zweck sind in einem ersten Schritt die bislang vor dem EuGH geführten Glücksspielverfahren mit Kohärenzbezug nachzuzeichnen, um sodann auf Basis der Bestandsaufnahme sowie in Auseinandersetzung mit den Stimmen aus der Literatur und Praxis ein dogmatisch tragfähiges Konzept von seiner Funktion, Struktur und Wirkkraft zu entwerfen. Im vierten Teil der Arbeit erfolgt ein Perspektivenwechsel; der Ansatz besteht darin, die herausgearbeiteten Kohärenzmaßstäbe in konkretpraktische Erträge umzusetzen, womit sich der Blick auf das Regulierungssystem für Glücksspieltätigkeit in Deutschland richtet. Das Kernstück des hiesigen Ordnungsrahmens bildet der zwischen den Ländern geschlossene Glücksspieländerungsstaatsvertrag (GlüÄndStV). Das 2012 in Gesetzeskraft erwachsene Vertragswerk fixiert aktuell den zum eisernen Bestand der deutschen Glücksspielpolitik zählenden Staatsvorbehalt der Länder auf die Veranstaltung bestimmter Lotterien. Anhand des Lotteriemonopols will die Bearbeitung exemplarisch aufzeigen, wie sich die unionsrechtliche Forderung nach Kohärenz im konkreten Prüfungsablauf einsetzen lässt. Den Schlussstein der Arbeit bildet ihr fünfter Teil, in dem die gewonnenen Erkenntnisse thesenhaft zusammenzufassen sind und ein Ausblick auf künftige Entwicklungslinien gegeben werden soll.

Erster Teil

Kohärenz und Glücksspiel – eine erste Annäherung In einführender Auseinandersetzung mit der Thematik gilt es kurz zu erörtern, welche Bedeutungsgehalte sich hinter den Topoi „Kohärenz“ und „Glücksspiel“ verbergen und wie sich die beiden Schlüsselbegriffe im Kontext dieser Arbeit inhaltlich zusammenfügen.

A. Begriffsklärung Den Ausgangpunkt der Untersuchung setzt eine semantische Annäherung an das Begriffspaar.

I. Die Kohärenz Der selten ausdrücklich definierte Begriff „Kohärenz“ ist ein eingedeutschter Terminus der lateinischen Sprache. Etymologisch lässt sich das Substantiv auf den lateinischen Wortstamm „cohaerentia“ zurückführen, was in einem konventionell-sprachlichen Verständnis, d. h. abseits aller fachspezifischer Verwendungskontexte, „Zusammenhang“ bedeutet.1 In inhaltlicher Korrespondenz dazu steht die lateinische Verbform „cohaerere“, die mit „zusammenhängen mit anderen Dingen“, „zusammenhalten“, „Verbundensein“ oder „Halt haben“ übersetzt wird.2 Mehr oder minder synonym mit „Kohärenz“ gebraucht werden überdies solche Begriffe wie „Stimmigkeit“, „Einheit“, „Konsistenz“, oder auch „Konsequenz“, um nur eine Auswahl möglicher Konnotationen zu nennen. Das breite Spektrum der sich im Kohärenzbegriff widerspiegelnden Erwägungen macht deutlich, dass der Terminus nicht aus sich selbst heraus operationalisierbar ist, weshalb ihm überwiegend eine rein metaphorisch-programmatische Wortbedeutung beigemessen wird.3 Der Topos Kohärenz schillert 1  Wahrig,

Deutsches Wörterbuch, Stichwort „Kohärenz“. Deutsch-Lateinisches Wörterbuch, Stichwort „Kohärenz“. 3  Alexy, in: Behrends/Dießelhorst/Dreier, Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, S.  95 (95 f.). 2  Stowasser,



A. Begriffsklärung21

kräftig und verweist in seiner invarianten „Sockelbedeutung“ auf eine abstrakte Größe, die nur akzessorisch-relational aufgefasst werden kann. Von „der Kohärenz“ kann nur im Kontext ihrer jeweiligen Bezugsebene gesprochen werden; es gibt nicht „die Kohärenz“ an und für sich, sondern eine je nach Referenzgebiet spezifische Kohärenz. So bezeichnet die Kohärenz in der Physik etwa die Eigenschaft von Wellen, im dynamischen Verlauf einer gemeinsamen festen Regel zu folgen; die Medizin verwendet den Begriff, um eine optimale Synchronisierung der Rhythmen von Herzschlag, Atmung und Blutdruck zu beschreiben; in der Philosophie steht Kohärenz für die Widerspruchsfreiheit einer wissenschaftlichen Aussage.4 Schon diese wenigen Beispiele mögen die enge Verwendungsabhängigkeit des Topos Kohärenz verdeutlichen; die Kohärenz kann mannigfache Aspekte berühren und ist nach ihrem Sinngehalt kein für eine bestimmte Fachdisziplin vorgeprägter Begriff.

II. Das Glücksspiel Ein Spiel ist „jede Tätigkeit, die ohne den Zwang einer Pflicht lediglich aus Freude an ihr selbst ausgeübt wird“5 oder – anders gewendet – „eine Tätigkeit, die ohne bewussten Zweck, aus Vergnügen an der Tätigkeit als solche bzw. an ihrem Gelingen vollzogen wird“6. In einem generellen Verständnis bedeutet das Spiel also unverfängliche Zerstreuung, Unterhaltung – ausgeübt nicht etwa als Mittel zur Verwirklichung eines bestimmten Anliegens, sondern zum Selbstzweck. Treten die Komponenten der Unbeeinflussbarkeit und Unvorhersagbarkeit des Spielverlaufs – kurzum: der Faktor Zufall – hinzu, nimmt das Spiel die wesensmäßige Gestalt eines Glücksspiels an. Das Spiel mit dem Glück ist keine Erfindung der Neuzeit, sondern übt seit alters her eine tiefe Anziehungskraft auf die Menschen aus.7 Ob Kugeln, Spielbretter, Karten oder Würfel – nachweisbare Spuren ausgeprägter Glücksspielleidenschaft lassen sich bis zu 5000 Jahre in die antiken Kulturen der Ägypter, Chinesen oder auch Babylonier zurückverfolgen.8 Heute wie damals haftet dem Glücksspiel mit all seinen Variationen der besondere – für manch einen „unwiderstehliche“ – Reiz an, rasch und ohne große Anstrengung materielle Vorteile zu erlangen. Daneben lässt es den Alltag vergessen nach Hoffmann, Kohärenzbegriffe in der Ethik, S. 7 ff. Enzyklopädie, Bd. 10, Stichwort „Spiel“. 6  Meyers neues Lexikon, Bd. 10, Stichwort „Spiel“. 7  Siehe für einen Überblick zur Entwicklungsgeschichte des Glücksspiels statt vieler Rombach, in: Gebhard/Grüsser-Sinopoli, Glücksspiel in Deutschland, § 23 (Rn.  1 ff.). 8  Meyer/Bachmann, Spielsucht, S. 31. 4  Beispiele

5  Brockhaus

22

1. Teil: Kohärenz und Glücksspiel – eine erste Annäherung

und dient dem „Homo ludens“ als Triebbefriedigung.9 Aufgrund jener universal-zeitlosen Eigenschaften war das Glücksspiel in keiner Epoche der Menschheitsgeschichte aus den kulturellen, alle Gesellschaftskreise umspannenden Lebensverhältnissen wegzudenken und kann für sich insoweit den Charakter eines zivilisatorischen Gemeinguts, einer kulturanthropologischen Konstante menschlichen Daseins reklamieren.10

B. Synthese aus „Kohärenz“ und „Glücksspiel“ Nachdem die Bedeutungsgehalte von „Kohärenz“ und „Glücksspiel“ in ihren Grundzügen nunmehr offen liegen, ist zu klären, wie sich das Begriffspaar im Kontext dieser Arbeit inhaltlich zusammenfügt. Beide Topoi erhalten ihre sachbereichsspezifische Prägung zunächst durch ihre Hinordnung zur Sphäre des Rechts. Unterschiede ergeben sich allerdings im Hinblick auf die konkreten Rechtsebenen: Wie bereits einleitend erwähnt, kommt der Kohärenzbegriff auf der transnationalen Ebene des Europarechts (früher: Gemeinschaftsrecht)11 zum Tragen; dort rechtsmaterialisieren sich seine Bedeutungsinhalte und verbinden sich darüber hinaus mit einem imperativen Moment. Im Gefüge des Europarechts erfährt die globale Idee der Kohärenz also eine rechtlich-imperative Aufladung und transformiert sich auf diese Weise von einer universal-abstrakten Idee zu einem handfesten, justiziablen Rechtsprinzip12 („Kohärenzgebot“), das zur Einhaltung, Wahrung oder Förderung eines bestimmten Zusammenhangs in möglichst hohem Maße verpflichtet.13 Eben an dieser Stelle wird das Tor zur Sachmaterie des Glücksspiels aufgestoßen: Dort gilt es auf Anordnung des Europarechts einen Zusammenhang, ein in sich stimmiges Ganzes zu erzeugen; und weil dieser eingeforderte Zusammenhang im hier betrachteten Kontext rechtsförmiger Prägung ist, betrifft er nicht das Glücksspiel als solches, sondern seine regulative Umhegung, genauer gefasst: die regulative Umhegung durch die einzelnen, dem Europarecht unterworfenen EU-Mitgliedstaaten, die sich somit als 9  Huizinga,

Homo Ludens, S. 16. Ohlmann, WRP 2005, S. 48 (48 f.). 11  Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 01.12.2009 hat sich als Bezeichnung für das Recht der Europäischen Union der Begriff des „Unionsrechts“ etabliert (anstelle für die Wendung „Europäisches Gemeinschaftsrecht“). Regelmäßig ist auch vom „Europarecht“ die Rede. In dieser Arbeit werden „Europarecht“ und „Unionsrecht“ synonym verwendet. 12  Grundlegend zu den Charakteristika von Rechtsprinzipien im europarechtlichen Kontext Alsen, Der Europäische Integrationsauftrag, S. 108 ff. 13  Allg. zur Struktur und Wirkweise von Rechtsprinzipien Larenz, Methodenlehre, S.  362 ff. 10  Ähnlich



C. Glücksspiel als Gegenstand des Rechts23

Adressaten des Kohärenzgebots erweisen. Kurzum, den genetischen Fluchtpunkt findet die Forderung nach Kohärenz im Rechtsgefüge der Europäischen Union, ihren anwendungsbezogenen Schauplatz in der mitgliedstaatlichen Glücksspielregulierung14.

C. Glücksspiel als Gegenstand des Rechts Ist damit ein erstes Schlaglicht auf die im Kontext dieser Arbeit zwischen den Topoi „Kohärenz“ und „Glücksspiel“ bestehenden Sach- und Funktionszusammenhänge geworfen, so gilt es nun zu erläutern, aus welchen Gründen sich überhaupt ein Bedürfnis dafür ergibt, das Glücksspiel einer staatlichen Regulierung zu unterwerfen.

I. Das Glücksspiel als konfliktträchtiger Lebenssachverhalt Ein Grundanliegen des Rechts ist es, tatsächliche Vorgänge in einer Gesellschaft normativ-zeitbezogen abzubilden. Mit diesem wirklichkeitstauglichen Regulierungsanspruch begleitet das Medium Recht vielerlei Lebensbereiche und baut, soweit es nicht Gefahr laufen will, als theoretisches Gebilde zu verkommen, idealtypisch auf ihnen auf.15 Dies gilt insbesondere für solche Lebenswirklichkeiten, hinter denen sich potenziell gesamtgesellschaftlich relevante Konflikte verbergen. Hierzu zählt auch das Glücksspiel: Der Massenphänomenologie wohnt seit alters her das Potenzial inne, zu einer Quelle großer wirtschaftlicher Verluste und sozialer Probleme zu geraten. Das „Hasardspiel“ wurde nicht nur zum stereotypischen Synonym für Glück, Schicksal und Reichtum, sondern im Angesicht überbordender Spielleidenschaft mehr noch für Pech, Elend und Verarmung. Nicht selten ließen – und lassen sich noch dieser Tage – Menschen im Zustand des Spielrauschs dazu verleiten, ihr buchstäblich „letztes Hemd“ zu verspielen. Vor diesem Hintergrund, bisweilen drastisch-moralisierend als lasterhaftes „Spiel des Teufels“ dämonisiert,16 in jedem Fall aber als empfindlicher Stör14  Der Begriff „Regulierung“ wird hier als Normsetzung und Normvollzug verstanden, mithin als den Erlass von Rechtssätzen und ihre Anwendung durch die (mitgliedstaatliche) Verwaltung; näher hierzu Eifert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 19 (Rn. 1 ff.). 15  Vgl. insoweit zum sog. „steuerungstheoretischen Ansatz“ des Rechts Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 1 (Rn. 17 ff.). 16  Siehe zur gewichtigen Rolle der Kirche im gesellschaftlichen Umgang mit dem Glücksspiel Planzer, European Gambling Law, S. 4 f.

24

1. Teil: Kohärenz und Glücksspiel – eine erste Annäherung

faktor der sozialen Ordnung wahrgenommen, hat das ausufernde Treiben um das Glücksspiel die jeweiligen Autoritäten schon früh dazu bewogen, ihm – auch rechtsgeformte – Grenzen zu setzen. Als ein bedeutsamer Beleg hierfür gilt das bereits im 6. Jahrhundert verfasste kaiserlich-römische Dekret „Corpus iuris civilis“, dessen dritter Band dem Glücksspiel ein selbstständiges Kapitel widmete („de aleae Iusu et aleatoribus“).17 Die schon seinerzeit verfolgten Denkansätze zur Notwendigkeit einer besonderen Umhegung des Glücksspiels wirken bis in die Rezeptionen der gegenwärtigen Glücksspielordnungen zahlreicher Staaten hinein. Nach wie vor liefert dort das zweifellos – nicht zuletzt im Lichte technischer Fortentwicklungen (Stichwort: Internetglücksspiel) betrachtet – ungebrochen präsente Bedürfnis nach der Eindämmung und Bekämpfung der mit Glücksspielen verbundenen, unliebsamen Begleiterscheinungen den tragenden Begründungshaushalt dafür, warum das „Spiel“ überhaupt eine – mitunter äußerst restriktive – Regulierung erfährt.18 Die dem Glücksspiel insoweit anhaftenden Gefahren prägen sich dabei in der Entstehung von Spielsucht einerseits und der kriminellen Vereinnahmung des Spiels andererseits aus.

II. Glücksspiel und Sucht Ähnlich wie der gewohnheitsmäßige Konsum von Alkohol kann auch die regelmäßige Teilnahme an Glücksspielen bei einigen Spielern eine Sucht hervorrufen. Bei dieser stoffungebundenen, d. h. tätigkeits- bzw. verhaltensbedingten Suchtform des – auch umgangssprachlich als Synonym für Spielsucht verwendeten – pathologischen Spielens handelt es sich um ein relativ neues Phänomen, das in seinem aktuellen Erscheinungsbild erst in den 1980er Jahren neu in den Blickpunkt der Öffentlichkeit und Forschung geriet.19 Dementsprechend sind Erkenntnisstand und klinische Erfahrungen noch in den Anfängen und damit einstweilen kontrovers. In einem generellen Sinne wird als Glücksspielsucht jedenfalls unstreitig ein unkontrollierbares, exzessives Glücksspielverhalten verstanden, „das die 17  Vgl. Härtel/Kaufmann, Codex Justinianus, S. 83: „Indem Wir für das Wohl Unserer Untertanen sorgen, verordnen Wir durch Gesetz, dass niemand an öffentlichen oder privaten Orten spielen und zusehen darf“. 18  Ihren symptomatischsten Ausdruck findet diese Haltung nicht zuletzt in der Existenz staatsgetragener Glücksspielmonopole, von denen sich die jeweiligen Hoheitsträger ein hohes Maß an Steuerungsfähigkeit der Spieltätigkeit erhoffen. Dass in der Praxis vieler Staaten die Neigung obwalten mag, in staatsgetragenen Glücksspielmonopolen gleichsam eine sprudelnde Einnahmenquelle zugunsten der oftmals klammen Staatskassen zu erblicken, steht auf einem anderen Blatt. 19  Zur genauen suchtmedizinischen Klassifikation und Diagnostik der Glücksspielsucht eingehend Heseler, Glücksspielregulierung, S. 79 ff.



C. Glücksspiel als Gegenstand des Rechts25

Lebensführung der betroffenen Person beherrscht und letzthin zum Verfall der sozialen, beruflichen, materiellen und familiären Werte“20 führt.21 Für die Entstehung von Glücksspielsucht gibt es vielerlei Gründe. In aller Regel führen mitunter hochkomplexe Ursachenzusammenhänge zwischen bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen und dem sozialen Umfeld des Spielers zum Krankheitsbild (sog. multifaktorielles Erklärungsmodell)22. Verstärkt suchtgefährdet sind etwa dem Glücksspiel per se nicht abgeneigte Personen, die sich in einer belastenden Lebenssituation befinden (z. B. Arbeitslosigkeit), aber über wenige Lebensbewältigungs- und Problemlösungsstrategien verfügen.23 Zu den die Suchtgefahr verschärfenden Faktoren zählen nach derzeitigem Erkenntnisstand aber auch die generelle Verfügbarkeit und gewisse Struktureigentümlichkeiten einzelner Glücksspielvarianten, die ganz unterschiedlich beschaffen sein können.24 So gelten Spielformen als besonders suchtgefährdend, die eine hohe Ereignisfrequenz aufweisen, mithin durch ein kurzes zeitliches Intervall zwischen Beginn und Ende einer Spielpartie gekennzeichnet sind und darüber hinaus nur geringe Einsätze erfordern.25 Auch Spielarten, die ein hoher Grad an interaktiver Beteiligung kennzeichnet oder den Eindruck einer gesteigerten Kontrollillusion aufseiten des Spielers vermitteln, werden als überaus suchtfördernd angesehen.26

III. Glücksspiel und Kriminalität Die mit dem Glücksspiel verbundene Gefahr erschöpft sich nicht in der Entstehung pathologischen Spielverhaltens; dies schon vor dem Hintergrund, dass Süchtige ihre Sucht nicht selten durch kriminelle Handlungen finanzieren,27 womit die für das Glücksspiel paradigmatische Begleiterscheinung der (milieubedingten) Beschaffungs-, Begleit- und Folgekriminalität angesprochen ist. 20  Diegmann,

ZRP 2007, S. 126 (126). Ganzen etwa: Meyer/Bachmann, Spielsucht, S. 35 ff.; Hecker, in: Dietlein/ Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 11 GlüStV (Rn. 12 ff.); BVerfG, Az. 1 BvR 1054/ 01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 100). 22  Hierzu BZgA, Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland 2013, S.  21 ff. 23  Vgl. Hautmann, Spielverlust und Europarecht, S. 27. 24  Näher zu den Bewertungsfaktoren des Suchtpotenzials eines Glücksspiels Kramer, WRP 2011, S. 180 (181 ff.). 25  Vgl. dazu Diegmann, ZRP 2007, S. 126 (127); Meyer/Bachmann, Spielsucht, S. 81; Hecker, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 11 GlüStV (Rn. 12). 26  Siehe zu dieser Thematik die zahlreichen Nachweise bei Heseler, Glücksspielregulierung, S.  79 ff. 27  Postel, WRP 2006, S. 703 (727). 21  Zum

26

1. Teil: Kohärenz und Glücksspiel – eine erste Annäherung

Daneben zeichnet sich das Glücksspiel aber auch selbst durch seine hohe Anfälligkeit für eine kriminelle Vereinnahmung aus.28 Das insoweit vom Glücksspiel ausgehende Spektrum an kriminellen Betätigungsfeldern ist überaus breit gefächert: Den „Klassiker“ bildet die Veranstaltung illegalen, d. h. von staatlicher Seite nicht erlaubten, Glücksspiels. Auch die Einschleusung unrechtmäßig erlangten Vermögens in den regulären Wirtschaftskreislauf über den Weg erlaubter Glücksspielangebote, sprich: Geldwäsche, kann als prototypische „Glücksspielstraftat“ angesehen werden. Zuletzt kommen auch Manipulations- und Betrugshandlungen eine gewichtige Bedeutung im Glücksspielkontext zu; hier wird die mitunter nur schwere Durchschau- und Nachvollziehbarkeit einzelner Spielabläufe zum Nachteil der teilnehmenden Spieler ausgenutzt.29 Die besondere Anziehungskraft für strafbares Verhalten verleiht dem Glücksspiel dabei in erster Linie seine hohe Rentabilität: Obgleich mit der Bereithaltung illegaler respektive manipulierter Glücksspielangebote ein gewisser Organisationsaufwand verbunden ist, ermöglicht sie doch die schnelle und unkomplizierte Akquise von großen Geldsummen, von denen nur eine – auf Dauer durchaus kalkulierbare – Marge als Gewinn (unversteuert) ausgezahlt wird.30 Zugleich spielt aber auch der Faktor Mensch für den kriminellen Missbrauch des Glücksspiels eine gewichtige Rolle; denn letztlich ist es die anthropologische Konstante31 des „nicht zu unterdrückenden“32, auf irrationalen Annahmen basierenden Spieltriebs des Menschen, der von Kriminellen ausgenutzt wird und so die Veranstaltung von Glücksspielen – heute wie damals – zu einer schier unversiegbaren Einnahmequelle gedeihen lässt.

dazu auch Ohlmann, WRP 2005, S. 48 (54). zu den typischen „Glücksspielstraftaten“ auch die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, Az. 6 C 2/01, NJW 2001, S. 2648 (2648). 30  Heseler, Glücksspielregulierung, S. 97; siehe zu dieser Thematik auch Fackler, Fernsehen und Glücksspiel, S. 140. 31  Ohlmann, WRP 2005, S. 48 (48). 32  BVerfG, Az. 1 BvR 539/96, NVwZ 2001, S. 790 (Rn. 63). 28  Vgl.

29  Siehe

Zweiter Teil

Die unionsrechtlichen Vorgaben für die mitgliedstaatliche Glücksspielregulierung Die soeben angestellten Überlegungen verweisen auf das grundsätzliche Bedürfnis, also das „Ob“ einer regulativen Umhegung des Glücksspiels. Im hier eingenommenen Betrachtungswinkel steht dabei die Notwendigkeit der Setzung und Durchsetzung von Glücksspielrecht durch die einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Rede. Ihnen bleibt es vor dem Recht der EU weithin unbenommen, ihren Ordnungsrahmen, also das „Wie“, für das Glücksspiel individuell zu setzen (unter A.); insoweit entzieht sich das Unionsrecht einer kleinteiligen Regelung. Die Gestaltungsfreiheit findet allerdings dort ihre Grenzen, wo die „groben“ Determinanten des Europarechts den mitgliedstaatlichen Aktionsraum vorbestimmen; hierzu zählt seit geraumer Zeit auch das Postulat der Kohärenz. Als insoweit konkretisierte Ausformung jener unionsrechtlichen Basisanforderungen gelangt das Kohärenzgebot allerdings nicht losgelöst von ihnen zur Anwendung, sondern ist mit diesen derart verkeilt, dass eine Erörterung nur in der Zusammenschau erfolgen kann. Soll unter Berücksichtigung dessen die dem Kohärenzgebot zugrundeliegende Forderung nach Stimmigkeit in den nationalen Regulierungssystemen des Näheren ermessen und ausgeleuchtet werden, so bedarf es hierfür zunächst einer genaueren Befassung mit eben diesen Rahmenvorgaben (unter B.); erst im unmittelbaren Anschluss daran ist es ergiebig, in einem gesonderten Untersuchungsteil die entscheidenden Charakteristika und Sinngehalte des Kohärenzpostulats herauszustellen.

A. Grundannahme: Weitreichende Gestaltungsautonomie der Mitgliedstaaten im Glücksspielbereich Die als supranationale Organisation und „völkerrechtlich begründeter Herrschaftsverband“1 konzipierte Europäische Union setzt sich gegenwärtig aus 28 souveränen Mitgliedstaaten zusammen.2 Sie existiert nicht zum 1  Voßkuhle,

NVwZ-Beilage 2013, S. 27 (27). zu den einzelnen Entwicklungsstadien der EU etwa di Fabio, in: Ruffert, FS-Schröder, S. 169 (171 ff.); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 23 (Rn. 11 ff.); BVerfG, Az. 2 BvR 2134/92, NJW 1993, S. 3047 (3047 ff.). 2  Siehe

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2. Teil: Die unionsrechtlichen Vorgaben

Selbstzweck, sondern zielt nach ihrer vielfach historisch besetzen Leitidee auf eine möglichst umfassende wirtschaftliche und politische Verschmelzung Europas ab.3 Kaum ein Lebensbereich ist von der sich schrittweise vollziehenden und oftmals mit dem Schlagwort „Integrationsprozess“ etikettierten Entwicklung in irgendeiner Weise unberührt geblieben. Einen wesentlichen Anteil daran hat der Umstand, dass seit Anbeginn des europäischen Vereinigungsprozesses das supranationale Europarecht als eine tragende Steuerungsressource der Integration fungiert.4 Aus ihrer Einbindung in die EU als Rechtsgemeinschaft „sui generis“5 erwächst für die Mitgliedstaaten namentlich unmittelbar die Pflichtstellung, die nationale Rechtsordnung unter den Vorbehalt unionaler Rechtssätze zu stellen,6 wobei das Maß an unionsrechtlicher Bindung je nach Integrationsstadium des konkret zu reglementierenden Politikbereichs erheblich divergieren kann. Bei der Sachmaterie des Glücksspiels handelt es sich um einen Politikbereich, der einen vergleichsweise niedrigen Integrationsstand aufweist. Dem entspricht es, wenn die Vorgaben des Unionsrechts für die Regulierung von Glücksspieltätigkeit auf der Prämisse beruhen, dass den Mitgliedstaaten in diesem Bereich eine weitreichende Gestaltungsautonomie zukommt. Der Grund hierfür erklärt sich aus der besonderen individuellen Bedeutung des Glücksspiels für die einzelnen Mitgliedstaaten. Dieser Sachbereich grenzt sich gegenüber anderen Dienstleistungssektoren durch achtenswerte „sittliche, religiöse und kulturelle Besonderheiten und die sittlich und finanziell schädlichen Folgen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft“7 ab. Deshalb bleibt es Sache der Mitgliedstaaten, mit Rücksicht auf die spezifisch-nationalen Verhältnisse bzw. „ihrer eigenen Wertordnung zu beurteilen, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der betroffenen Interessen ergeben“8. In der Folge bleibt den Mitgliedstaaten die Entscheidung grundsätzlich unbenommen, welches Schutzniveau sie im Glücksspielsektor vorhalten 3  Instruktiv zum Aspekt der Friedenssicherung durch wirtschaftliche Integration Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 3 EUV (Rn. 39); siehe dazu auch Schorkopf, in: Kirchhof/Magen/Schneider, Dogmatik, S. 139 (142). 4  Vgl. nur Grimmel, Europäische Integration, S.  46  ff.; Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 5 (Rn. 30). 5  Grimmel, EuR 2013, S. 146 (165). 6  Siehe nur EuGH, Rs. C-2/88, NJW 1991, S. 2409 (Rn. 16 f.) – Zwarfeld; näher zur Eigenschaft und Bedeutung der EU als Rechtsgemeinschaft Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S.  16 f.; Zuleeg, NJW 1994, S. 545 (545 f.). 7  EuGH, Rs. C-470/11, NVwZ 2012, S. 162 (Rn. 36) – Garkalns. 8  EuGH, Rs. C-470/11, NVwZ 2012, S. 162 (Rn. 36) – Garkalns.



A. Grundannahme29

(sog. „Schutzniveauautonomie“9) und welche glücksspielspezifischen Regulierungsinstrumente im Sinne von „Schutzsystemen“10 sie für notwendig erachten, um dieses Schutzniveau zu realisieren.11 Ihnen eröffnet sich damit das gesamte Spektrum denkbarer Regulierungsmodi. So obliegt den Mitgliedstaaten die Entscheidung, ob sie den nationalen Glücksspielsektor beispielsweise ganz oder teilweise mit einem Totalverbot belegen, ihn monopolitisch ausgestalten oder einem Konzessionsmodell unterwerfen.12 Eines konsensierten Standpunktes aller Mitgliedstaaten, mit welchen Mitteln die einschlägigen Interessen am besten geschützt werden, bedarf es gerade nicht;13 das gewählte Regulierungsmodell wird also vor dem Unionsrecht insbesondere nicht durch Regulierungssysteme in anderen Mitgliedstaaten in Zweifel gezogen. Nicht zuletzt deshalb hat eine vermittels Sekundärrechtsakte14 bewirkte materielle Vereinheitlichung oder zumindest Angleichung der mitgliedstaatlichen Glücksspielregelungen (bislang nicht)15 stattgefunden.16 Im Gegenteil: Potenziell einschlägige Sekundärrechtsbestimmungen klammern das Glücksspiel regelmäßig expressis verbis von ihrem jeweiligen Anwendungsbereich 9  So explizit Kirschner, Grundfreiheiten und Gestaltungsspielräume, S. 144 und Dederer, EuZW 2010, S. 771 (771). 10  So Jarass, DVBl 2016, S. 1 (4). 11  St. Rspr. siehe nur beispielhaft: EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 32) – Digibet/Albers; EuGH, Rs. C-470/11, NVwZ 2012, S. 162 (Rn. 37) – Garkalns; EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 40) – Zeturf. 12  In Konsequenz dessen spielt es für die Beurteilung der Zulassungsfähigkeit eines EU-Glücksspielanbieters in einem nationalen Glücksspielsystem keine Rolle, dass dieser in einem anderen Mitgliedstaat ggf. über eine Erlaubnis zur Veranstaltung von Glücksspielen verfügt. Insoweit negiert der EuGH für den Glücksspielsektor den – das Unionsrecht in vielen Bereichen kennzeichnenden – Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, wonach Dienstleistungen, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig angeboten und erbracht werden, prinzipiell auch in allen anderen Mitgliedstaaten angeboten werden dürfen; dies feststellend EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn.  96 ff.)  – Dickinger/Ömer. 13  Siehe nur aus jüngeren Rspr. mit diversen Nachweisen aus der vorangegangenen Judikatur: EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 28) – OPAP u. a. 14  Zum europäischen Sekundärrecht zählen die von den unionalen Rechtssetzungsorganen eigeninitiativ erlassenen Rechtsakte in Gestalt von unmittelbar geltenden Verordnungen, umsetzungsbedürftigen Richtlinien sowie Beschlüssen, Empfehlungen und Stellungnahmen (vgl. Art. 288 AEUV). 15  Siehe allerdings zur aktuellen Bestrebung der Europäischen Kommission eine Harmonisierung zumindest für den Bereich des Internetglücksspiels herbeizuführen: EU-Kommission, Mitteilung v. 23.10.2012, KOM (2012), S. 596 „Ein umfassender europäischer Rahmen für das Online-Glücksspiel“; EU-Kommission, Berichtsentwurf v. 27.2.2013, „Online-Glücksspiele im Binnenmarkt“, Az. 20122322 2012/2322 (INI). 16  Exemplarisch feststellend: EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 54) – Ladbrokes.

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2. Teil: Die unionsrechtlichen Vorgaben

aus.17 Dies gilt insbesondere für die im Jahr 2006 verabschiedete Dienstleistungsrichtlinie18, deren Art. 2 Abs. 2 lit. h anordnet, dass „Glücksspiele, die einen geldwerten Ersatz verlangen, einschließlich Lotterien, Glücksspiele in Spielkasinos und Wetten“ nicht ihrem Geltungsbereich unterfallen. Besteht somit ein nationaler Gestaltungvorbehalt, ergibt sich zwangsläufig, dass dieser von den einzelnen Mitgliedstaaten auf heterogene Weise ausgefüllt wird. Eingedenk der mannigfachen, den mitgliedstaatlichen Werte- und Rechtsordnungen ihr individuelles Gepräge verleihenden Faktoren – hervorgehoben sind an dieser Stelle nur soziale, historische und geistig-ideologische Faktoren sowie die allgemeine Akzeptanz des Glücksspiels in der Gesellschaft – bricht sich unschwer die Erkenntnis Bahn, dass keine der 28 Glücksspielordnungen der anderen gleicht. Aus der Warte eines gesamteuropäischen Rechtsraums betrachtet herrscht demnach eine durch Rechtspluralismus gekennzeichnete Koexistenz unterschiedlichster Regulierungsmodelle, die nicht selten schon im Hinblick auf ihre regulative Grundausrichtung durch eine extreme Heterogenität gekennzeichnet sind: So folgen einige Staaten, wie beispielsweise Großbritannien und Malta,19 durchweg liberalisierten Ordnungsmustern, während andere Rechtsordnungen, wie etwa die niederländische,20 umfassende Monopole zugunsten staatsnaher Einrichtungen vorsehen. Hinzu treten gemischte Systeme, in denen, wie in Deutschland, Österreich21 oder Frankreich22, gewisse Glücksspielsparten Ausschließlichkeitsrechten unterliegen, andere dagegen Privaten offen stehen. Schon die kurze Umschau auf die Regulierungssysteme anderer Mitgliedstaaten offenbart mithin augenfällige Divergenzen bei der regulativen Erfassung eines an sich identischen Regelungsgegenstandes.

17  Dies gilt für die Richtlinie 2010/13/EU über audiovisuelle Mediendienste (ABl EU 2010, Nr. L 95/1), die Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr (ABl EG 2000, Nr. L 178/1) sowie die Richtlinie 005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken (ABl EG 2006, Nr. L 149/22); zu den Inhalten der Richtlinien im Einzelnen Planzer, European Gambling Law, S. 44 ff. 18  Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen am Binnenmarkt, ABl EG 2006, Nr. L 376/36; siehe dazu instruktiv Pielow, in: Pielow, BeckOK GewO, § 1 (Rn. 54). 19  Vgl. Hilf/Ploeckl, ZfWG 2010, S. 311 (311  ff.); Wortmann/Vlaemminck, in: Gebhard/Grüsser-Sinopoli, Glücksspiel in Deutschland, § 11 (Rn. 38). 20  Vgl. Goudriaan/de Bruin/Koeter, in: Meyer/Hayer/Griffiths, Problem Gambling in Europe, S. 189 (189 ff.). 21  Vgl. Stadler/Aquilina, ecolex 2013, S. 389 (390 ff.). 22  Zur Rechtslage in Frankreich eingehend Heseler, Glücksspielregulierung, S.  245 ff.



B. Schranken der Gestaltungsautonomie: Grundfreiheiten 31

B. Schranken der Gestaltungsautonomie: Grundfreiheiten Aus den zuerkannten Gestaltungsfreiräumen und der damit einhergehenden Ermangelung unionsrechtssekundärrechtlicher Glücksspielvorschriften ist allerdings nicht ohne Weiteres ableitbar, dass die regulative Ausgestaltung der nationalen Glücksspielwesen dem Unionsrecht in Gänze entzogen wäre; denn selbst bei der Regulierung von stark national geprägten, nicht harmonisierten Politikfeldern unterliegen die Mitgliedstaaten den Rahmenvorgaben des EU-Wirtschaftsrechts, welche der Regulierungsautonomie insoweit eine Schranke setzen.

I. Die Grundfreiheiten im System der EU-Wirtschaftsverfassung Unionsrahmenrechtliche Maßstäbe enthalten in erster Linie die zwischen den Mitgliedstaaten geschlossenen – entsprechend ihrer übergeordneten Vorrangstellung in der europäischen Normenhierarchie als Primärrecht bezeichneten – völkerrechtlichen Abkommen, wobei in dieser Hinsicht seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon23 der Vertrag über die Europäische Union (EUV) und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Grundordnung bilden. Den Kodifikationen zugrunde liegt die wirtschaftstheoretische Vorstellung einer privatautonom ausgerichteten, freiheitlichen Wettbewerbswirtschaft, in der Anbieter von Waren, Dienstleistungen, Arbeitskraft und Kapital unter vergleichbaren Bedingungen miteinander konkurrieren.24 Zur Verwirklichung dieses Primats werden die Vertragsparteien – sprich die einzelnen Mitgliedstaaten – ausweislich Art. 3 Abs. 3 EUV i. V. m. Art. 26 Abs. 2 AEUV darauf verpflichtet, „einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist“, zu errichten. Als unionsvertraglicher Schlüssel und Garant zur Herstellung und Bewahrung einer solchen Binnenmarktkonzeption fungieren die aufgrund ihrer fundamentalen Bedeutung für den freien Wirtschaftsverkehr in der Union als „Grundfreiheiten der Verträge“ 23  „Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft“ v. 13.12.2007, ABl EG 2007, Nr. C 306/1. 24  Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der EU, S. 40 ff.; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Kap. 1, § 1 (Rn. 22 ff.); Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 5 (Rn. 95 ff.).

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2. Teil: Die unionsrechtlichen Vorgaben

bezeichneten Marktfreiheiten, bestehend aus der Freiheit des Warenverkehrs (Art. 28 ff. AEUV), der Freiheit des Personenverkehrs (Art. 45 bzw. 49 AEUV), der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs (Art. 56 AEUV) sowie schließlich der Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs (Art. 63 AEUV). Zur Realisierung des Binnenmarktes über die „transnationalen Integrations­ normen“25 der Grundfreiheiten bedient sich das Unionsrecht der Methode der sog. „negativen Integration“.26 Danach richten sich Grundfreiheiten in erster Linie gegen die Mitgliedstaaten (teilweise aber auch gegen Private)27, soweit deren Verhalten geeignet ist, die Verwirklichung des Binnenmarktziels, sprich die Verschmelzung der Märkte zu einem einheitlichen Markt, zu hemmen. Dabei erschöpft sich die Wirkrichtung der Grundfreiheiten nicht nur auf die Ebene des objektiven Rechts; sie generieren gleichfalls subjektiv-öffentliche (Abwehr-)Rechte28 und vermitteln den einzelnen (Binnen-)Marktteilnehmern damit Schutzstandards gegen mitgliedstaatliche Hoheitsakte – einerlei, ob tatsächlicher oder normativer Art. Diese Schutzstandards erlangen dort be­sondere Bedeutung, wo – wie im Glücksspielbereich – keine spezifischen, unionseinheitlichen Direktiven existieren, weshalb sich beispielsweise ein in der Union ansässiger Glücksspielanbieter, der mit seinem Angebot in einen EU-ausländischen Glücksspielmarkt strebt und dort auf etwaige Restriktionen (z. B. in Form eines Staatsmonopols) trifft, auf die grundfreiheitlichen Gewährleistungen berufen kann.

II. Die Rolle des EuGH bei der Gewährleistung der Grundfreiheiten Sieht sich ein in der EU ansässiger Wirtschaftsakteur durch eine mitgliedstaatliche Verhaltensweise an der Ausübung seiner unionsrechtlich gewährten Freiheitsrechte behindert, eröffnet der europäische Mehrebenenverbund dem Betroffenen verschiedene Wege, die mutmaßliche Verletzung gerichtlich klären zu lassen.

25  Kingreen,

in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 36 AEUV (Rn. 17). zu den Integrationsansätzen einerseits der „positiven“ und andererseits der „negativen“ Integration statt vieler Kingreen, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 36 AEUV (Rn.  2 ff.). 27  Sog. „Drittwirkung der Grundfreiheiten“, hierzu grundlegend EuGH, Rs. C-415/93, NJW 1996, S. 505 (Rn. 82 ff.) – Bosman. 28  Vgl. Kingreen, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 36 AEUV (Rn. 9). 26  Siehe



B. Schranken der Gestaltungsautonomie: Grundfreiheiten 33

1. Der EuGH als Hüter der Unionsverträge Soweit eine mögliche Beschneidung grundfreiheitlicher Schutzgehalte zur Diskussion steht, vermittelt, teils in Parallele zu den nationalen Gerichten,29 der Gerichtshof der Europäischen Union30 als Höchstgericht und Garant der Unionsrechtsordnung einschlägigen Rechtsschutz.31 Unter Ausschöpfung seiner aus Art. 19 Abs. 1 EUV folgenden Exklusivkompetenz zur „Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge“ bleibt allein ihm die zentralisierte Ausdeutung unionaler Rechtssätze vorbehalten.32 Weder einem anderen Unionsorgan noch einem Mitgliedstaat steht es zu, sich über die Rechtsüberzeugung des Gerichtshofs hinwegzusetzen. Der im institutionellen Gefüge der Union insoweit die wesensbestimmende Position eines „Hüters der Verträge“ ausfüllende EuGH wird dadurch in den Stand versetzt, über seine auf die Wahrung der Rechtseinheit in der EU gerichtete Rechtsprechungstätigkeit die herrschenden, der Vielfalt der mitgliedstaatlichen Rechtssysteme und -kulturen geschuldeten, einzelstaatlichen Rechtsunterschiede bis zu einem bestimmten Grad hin zu glätten.33 2. Das Vorabentscheidungsverfahren – Grundlagen Da der unmittelbare Zugang zum Europäischen Gerichtshof eng begrenzt ist, erfolgt die gerichtliche Klärung, ob mit der zur Prüfung gestellten Maßnahme womöglich grundfreiheitliche Garantien verletzt werden, nicht nur im Glücksspielkontext,34 zumeist im prozessualen Gewand sog. Vorabentschei29  Die Beeinträchtigung der Grundfreiheiten kann in Deutschland etwa im Rahmen des nationalen Verwaltungsschutzes, z. B. im Wege der Feststellungsklage nach § 43 VwGO, geltend gemacht werden, näher dazu Dörr, DVBl 2010, S. 69 (71). 30  Siehe zur Struktur und Zusammensetzung des Europäischen Gerichtshofs im einzelnen Kirschner, Grundfreiheiten und Gestaltungsspielräume, S. 77  ff. sowie Wegener, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 19 EUV (Rn. 1 ff.). 31  Neben dem EuGH – als ursprünglich alleiniges Rechtsprechungsorgan der EG bzw. EU – sind im Laufe der Zeit ein Gericht erster Instanz („Gericht der Union“) sowie einzelne Fachgerichte für besondere Aufgabenfelder getreten, vgl. insoweit Art. 256 und Art. 257 AEUV. 32  Näher zur unionsgerichtlichen Aufgabe der „Wahrung des Rechts“: Callies, NJW 2005, S. 929 (929 f.); Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 43 ff. 33  Zu diesem Selbstverständnis schon EuGH, Rs. 166/73, NJW 1974, S. 440 (440) – Rheinmühlen Düsseldorf. 34  Nur ein quantitativ sehr geringer Teil von Glücksspieljudikaten markiert den Schlusspunkt sog. Vertragsverletzungsverfahren (vgl. Art. 258 AEUV), welche in der Regel auf Betreiben der Europäischen Kommission als „Hüterin der Verträge“ unter Beteiligung des betroffenen Mitgliedsstaates als Antragsgegner eingeleitet werden

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2. Teil: Die unionsrechtlichen Vorgaben

dungsverfahren. Diese Verfahrensart nimmt im unionalen Rechtsschutzsystem eine überragende Stellung35 ein und ist dadurch charakterisiert, dass nicht der Betroffene selbst, sondern ein mitgliedstaatliches Gericht den EuGH um die Auslegung von Unionsrecht ersucht.36 Was seine grundsätzliche Konzeption anbelangt, so ist das Vorabentscheidungsverfahren keine klassische kontradiktorische, d. h. primär oder gar ausschließlich dem subjektiven Rechtsschutz dienende Klageart, sondern ein von judizieller Kooperation gekennzeichnetes, objektiv-überindividuell gefasstes Konsultationsverfahren – ein „kommunikatives System“37 –, das als prozedurale Schnittstellte zwischen nationalem und unionalem Recht wirkt; hier verbindet sich nicht nur nationales mit unionalem Recht, sondern gleichfalls subjektive Rechtsschutzgarantien mit der objektiven „Wächter­ rolle“38 des EuGH hinsichtlich der Wahrung der Rechtseinheit in der Union. a) Verfahrensablauf Entsprechend seiner eigentümlichen – da gleichermaßen supranationalen wie nationalen – Konstruktion, ist der Ablauf eines Vorabentscheidungsverfahrens arbeitsteiliger Natur: Stellen sich in einem nationalen Gerichtsprozess das Unionsrecht39 betreffende Fragen, deren Beantwortung für die Entscheidung des nationalen Gerichtsverfahrens relevant ist (vgl. Art. 267 Abs. 2 AEUV), eröffnet das Vorabentscheidungsverfahren dem jeweiligen Spruchkörper die Möglichkeit40 den bei ihm anhängigen Prozess auszusetzen – hierzulande durch Beschluss – und dem EuGH eine (oder mehrere) Auslegungs­ und die Frage eines mitgliedstaatlichen Verstoßes gegen das Unionsrechts zum Gegenstand haben; ausführlich hierzu Hautmann, Spielverlust und Europarecht, S. 118 ff. 35  Das Vorabentscheidungsverfahren ist mit einer Anzahl von 428 im Jahr 2014 gestellten Vorabentscheidungsersuchen generell die am häufigsten vorkommende Verfahrensart vor dem EuGH, vgl. Gerichtshof der Europäischen Union, Jahresbericht 2014, S. 100. 36  Instruktiv zu den verfahrensrechtlichen Besonderheiten des Vorabentscheidungsverfahrens: Mächtle, JuS 2015, S. 314 (314 ff.); Latzel/Streinz, NJOZ 2013, S. 97 (97 ff.); Wägenbaur, EuZW 2000, S. 37 (37). 37  Pernice, EuR 1996, S. 27 (38). 38  Pernice, EuR 1996, S. 27 (37). 39  Das Vorabentscheidungsverfahren erstreckt sich lückenlos auf die Auslegung des gesamten primären und sekundären Unionsrechts, vgl. nur Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 267 AEUV (Rn. 20). 40  Unter bestimmten Voraussetzungen treffen die nationalen Gerichte – nicht nur die letztinstanzlichen – sogar eine Verpflichtung zur Vorlage; mit Blick darauf hat das BVerfG den EuGH als gesetzlichen Richter i. S. v. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG anerkannt, vgl. schon BVerfG, Az. 2 BvR 197/83, NJW 1987, S. 577 (578); siehe zur Frage der fakultativen und obligatorischen Vorlage auch Mächtle, JuS 2015, S. 314 (315 f.).



B. Schranken der Gestaltungsautonomie: Grundfreiheiten 35

frage(n) zur konkret verhandelten Rechtssache vorzulegen, so etwa bei spezifischen Fragen zur Geltungskraft der Grundfreiheiten im Themenkomplex Glücksspielrecht.41 Als Konsequenz der geteilten Entscheidungs- und Folgeverantwortung obliegt dem EuGH im weiteren Gang des Verfahrens die Beantwortung der ihm angetragenen und mit Tatsachenerhebungen versehenen Frage(n) – mithin die Auslegung des Unionsrechts –, während die konkrete, auf den nationalen Rechtsrahmen bezogene Anwendung, Subsumtion und – entsprechend dem allgemeinen Grundsatz, dass die Kompetenz für den Vollzug des Unionsrechts bei den Mitgliedstaaten liegt (vgl. Art 291 Abs. 1 AEUV) –42 dezentrale Durchsetzung der getroffenen Auslegungsentscheidung dem vorlegenden Gericht zufällt.43 b) Urteilswirkung Das Verfahren schließt mit einem unmittelbar in Rechtskraft erstarkenden Urteil über die Gültigkeit oder die richtige Auslegung des Unionsrechts auf Basis der konkreten Vorlage ab.44 Formal zeitigt der im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens gefällte Urteilsspruch seine unmittelbare Bindungswirkung ausschließlich gegenüber dem vorlegenden Gericht und nur hinsichtlich der konkret zur Vorabentscheidung gestellten Rechtssache. Bei strikter Beachtung dieser inter-partes-Wirkung erzeugt eine Vorabentscheidung damit an sich keine über den konkreten Ausgangsfall hinausgehende präjudizielle erga-omnes-Wirkung für spätere Verfahren. Diesem Ansatz widerspräche allerdings der Befund, dass der Gerichtshof bei der Interpretation der Vertragstexte im hohen Maße allgemeinverbind­ liche Feststellungen trifft, die er oftmals auch seiner Urteilsfindung in Folgejudikaten zugrunde legt;45 insoweit erinnert die Rechtsfindungsmethodik 41  Siehe als Beispiel etwa die Vorlagefrage des VG Gießen, Az. 10 E 13/07, juris: „Sind die Art. 43 und 49 EGV dahingehend auszulegen, dass sie einem innerstaatlichen Monopol auf bestimmte Glücksspiele wie z. B. Sportwetten entgegenstehen, wenn es in dem betreffenden Mitgliedstaat insgesamt an einer kohärenten und systematischen Politik zur Beschränkung des Glücksspiels fehlt?“. 42  Vgl. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 (Rn. 11). 43  Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 5 (Rn. 81). 44  Mächtle, JuS 2015, S. 314 (317). 45  Eingehend zum Verweis auf frühere Rechtsprechung als Anwendungsfall einer vom EuGH praktizierten systematischen Auslegung des Unionsrechts und generell häufigste Argumentationsform in seiner Rechtsprechung: Dederichs, EuR 2004, S.  345 (346 ff.); Seyr, Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH, S. 52.

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2. Teil: Die unionsrechtlichen Vorgaben

stark an die im Common Law verwendete Arbeitsweise des „case law“.46 Gerade die im Rahmen seiner Glücksspieljudikatur entwickelten Prinzipien und Grundsätze ziehen sich wie ein roter Faden durch die darauffolgenden Entscheidungen.47 Unter Berücksichtigung jenes rechtstatsächlichen Befundes erfasst die Rechtskraftwirkung eines Auslegungsurteils nach gängiger Doktrin deshalb auch solche nationalen Verfahrensgegenstände, die mit den ausgeurteilten Sachlagen zumindest vergleichbar sind (sog. faktische ergaomnes-Wirkung).48

III. Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit als Prüfungsmaßstäbe in der EuGH-Glücksspielrechtsprechung In seiner gut 20 Jahre währenden Rechtsprechungstätigkeit zum Themenkreis Glücksspiel hat sich der Gerichtshof in zahlreichen (Vorabentscheidungs-)Verfahren49 mit Rechtsfragen zu dieser Materie befasst und dabei auf dem Fundament der abstrakten grundfreiheitlichen Maßgaben ein komplexes Ensemble sektorenpezifischer Rechtsgrundsätze entwickelt, nach denen sich die Unionskonformität mitgliedstaatlicher Glücksspielmaßnahmen beurteilt. Die materiellen Anforderungen schöpft der EuGH dabei seit jeher nahezu ausschließlich aus den Gewährleistungen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, während er etwa die Kapital- oder Warenverkehrsfreiheit sowie das europäische Wettbewerbsrecht in der Regel als vernachlässigbar erachtet.50 Vor diesem Hintergrund liegt auch das Hauptaugenmerk der nachstehenden Erörterung auf den genannten Grundfreiheiten. Seiner Überprüfung von mitgliedstaatlichen Maßnahmen am Bewertungsmaßstab der Grundfreiheiten legt der EuGH – als Ausfluss der sog. Konvergenz der Grundfreiheiten – ein homogenes Prüfungsraster zugrunde, weshalb sich auch im Glücksspielkontext drei Teilfragen stellen: Ist der Schutzbereich einer Grundfreiheit berührt, liegt eine Beeinträchtigung dieses Schutzbereichs 46  Kirschner,

Grundfreiheiten und Gestaltungsspielräume, S. 94. Spielverlust und Europarecht, S. 66. 48  Vgl. EuGH, Rs. 66/80, NJW 1982, S. 1205 (Rn. 13) – International Chemical; siehe ferner Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 267 AEUV (Rn.  101 ff.); Hoeller/Bodemann, NJW 2004, S. 122 (124 f.); Mächtle, JuS 2015, S. 314 (317); ausführlich zur sachlichen und personellen Bindung einer Vorabentscheidung Kirschner, Grundfreiheiten und Gestaltungsspielräume, S. 94 ff. 49  Ein guter Überblick über den Inhalt und die jeweiligen Entscheidungsgegenstände findet sich bei Hautmann, Spielverlust und Europarecht, S. 67 ff. 50  Deutlich zur Randständigkeit etwa EuGH, Rs. C-470/11, NVwZ 2012, S. 162 (Rn.  26 ff.)  – Garkalns; EuGH, Rs. C-42/07, NJW 2009, S. 3221 (Rn. 46 ff.) – Liga Portuguesa; siehe hierzu auch Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Kap. 9, § 6 (Rn.  3377 ff.). 47  Hautmann,



B. Schranken der Gestaltungsautonomie: Grundfreiheiten 37

vor, lässt sich diese Beeinträchtigung durch unionsrechtlich anerkannte Interessen rechtfertigen?51 1. Schutzbereiche Die Grundfreiheiten schützen jeweils bestimmte Tätigkeiten bzw. Gegenstände mit einem grenzüberschreitenden52 Bezug („sachlicher Schutzbereich“), soweit es um Personen geht, die in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten fallen („personeller Schutzbereich“). Sowohl die sachlichen als auch die personellen Anwendungsbereiche der Grundfreiheiten sind im Blick auf die zentrale Zielsetzung der EU, die Binnenmarktkonzeption in einem möglichst hohen Maße zu realisieren, generell weit auszulegen.53 Diesem Credo unterliegt freilich auch die Ausdeutung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, deren Schutzgehalte sich im Einzelnen wie folgt charakterisieren lassen. a) Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) Ausweislich der in Art. 57 Abs. 1 AEUV verankerten Legaldefinition erstreckt sich der grundfreiheitliche Schutzraum der Dienstleistungsfreiheit ihrem sachlichen Umfang nach auf „selbstständige Leistungen, die gegen Entgelt erbracht werden“. Darunter fallen, entsprechend den angeführten Regelbeispielen, etwa gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten. Ihr genauer gegenständlicher Schutzbereich erschließt sich weiter über die Abgrenzung zu den anderen Grundfreiheiten: So ist sie im Verhältnis zur Arbeitnehmerfreizügigkeit anhand des Kriteriums der Selbstständigkeit und gegenüber der Warenverkehrsfreiheit durch das Merkmal der Unkörperlichkeit der Leistung abzugrenzen.54 Im Hinblick auf die Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit kommt die Dienstleistungsfreiheit nur dann zum Tragen, wenn es an einer dauerhaften Niederlassung des EU-Wirtschaftsteilnehmers fehlt und der Dienstleistungserbringer nur vorübergehend im Ausland tätig wird.55 Was die Wahrnehmung der Dienstleistungsfreiheit 51  Vor dem Einstieg in die Prüfung ist im Übrigen danach zu fragen, ob im Vergleich zu den Grundfreiheiten speziellere Regelungen („lex specialis“) als Prüfungsmaßstab existieren; dies sind insbesondere sekundärrechtliche und wettbewerbsrechtliche Vorschriften, die allerdings – wie oben gezeigt – im Glücksspielkontext nicht zur Verfügung stehen. 52  Vgl. näher zum Erfordernis des grenzüberschreitenden Sachverhalts Franzen, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV (Rn. 33 f.). 53  Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 3 EUV (Rn. 40). 54  Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Kap. 8, § 2 (Rn. 2200 ff.). 55  EuGH, Rs. C-55/94, NJW 1996, S. 580 (Rn. 26 f.) – Gebhard.

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2. Teil: Die unionsrechtlichen Vorgaben

anbetrifft, so kann diese auf dreierlei Weisen erfolgen: Zum einen aktiv durch eine vorübergehende Erbringung von Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat (vgl. Art. 57 Abs. 3 AEUV).56 Zum anderen – über den Wortlaut des Art. 57 AEUV hinaus und als Kehrseite zur Erbringung – passiv durch die Inanspruchnahme von Leistungen durch den Empfänger in einem anderen Mitgliedstaat.57 Die dritte Ausprägung umfasst Fälle, in denen nur die Dienstleistung selbst die Grenze überschreitet, während die in unterschiedlichen Mitgliedstaaten ansässigen Leistungsempfänger und -erbringer keine Ortsveränderung vornehmen.58 In personeller Hinsicht umgreift der Schutzbereich neben allen Angehörigen eines Mitgliedsstaats über den Verweis in Art. 54 Abs. 2 AEUV alle juristischen Personen, die in der EU ansässig sind und grenzüberschreitende Dienstleistungen erbringen oder empfangen. In den glücksspielrelevanten Verfahren zog der EuGH die Dienstleistungsfreiheit bereits in seiner ersten Glücksspielentscheidung überhaupt, in der Rechtssache Schindler, als einschlägigen Prüfungsmaßstab heran und postulierte darin den Grundsatz, dass die Veranstaltung von Glücksspielen gegen Entgelt, gleich in welcher Form, als wirtschaftliche und vor allem dienstleistende Tätigkeit einzustufen sei.59 Diesen Standpunkt hat der Gerichtshof bis heute nicht verlassen, sondern ihn gegenteilig in einer Serie von Folgeentscheidungen befestigt und weiter ausgereift. So qualifizierte er im Laufe seiner Glücksspieljudikatur beispielweise den Betrieb von Glücksspielautomaten60 oder die Vermittlung, Veranstaltung und Bewerbung von Glücksspielen unter Nutzung technischer Kommunikationsmittel (z.  B. Internet)61 als geschützte Dienstleistungstätigkeiten.62 Da der persönliche Schutzbereich des Art. 56 AEUV bekanntlich beide am Dienstleistungsaustausch Beteiligten erfasst, bleibt der Kreis der Begünstigten zudem nicht auf die Person des Glücksspielanbieters beschränkt; auch die Dienstleistungs56  Sog. aktive Dienstleistungsfreiheit; dazu etwa EuGH, Rs. C-215/01, NJW 2004, S. 436 (Rn. 40) – Schnitzer. 57  Sog. passive Dienstleistungsfreiheit; hierzu grundlegend EuGH, verb. Rs. 286/82 u. a. NJW 1984, S. 1288 (Rn. 9 ff.) – Luisi u. a. 58  Sog. Korrespondenzdienstleistungsfreiheit; vgl. dazu nur EuGH, Rs. C-384/93, NJW 1995, S. 2541 (Rn. 24 ff.) – Alpine Investments. 59  EuGH, Rs. C-275/92, NJW 1994, S. 2013 (31) – Schindler. 60  EuGH, Rs. C-124/97, EuZW 2000, S. 148 (Rn. 18, 29) – Läärä. 61  EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 43) – Placanica u. a.; EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 46) – Gambelli; EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 39) – Carmen Media. 62  Z. B. EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 43) – Placanica u. a.; EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 46) – Gambelli; EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 39) – Carmen Media; siehe dazu auch Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Kap. 9, § 6 (Rn. 3379).



B. Schranken der Gestaltungsautonomie: Grundfreiheiten 39

empfänger, mithin die einzelnen Spieler, kommen als Träger der Grundfreiheit in Betracht.63 b) Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV) Die Gewährleistungsgehalte der Dienstleistungsfreiheit verbinden sich in Glücksspielkonstellationen oftmals mit denen der Niederlassungsfreiheit. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die Niederlassungsfreiheit ebenso wie die Dienstleistungsfreiheit auf den Schutz von selbstständigen, zu Erwerbszwecken ausgeübten Tätigkeiten gerichtet ist, so namentlich auf die „Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeit sowie [auf die] Gründung und Leitung von Unternehmen […] nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen“ (Art. 49 S. 2 AEUV). In Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit gewährleistet die Niederlassungsfreiheit allerdings nur die „mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat“64 erbrachte Wirtschaftstätigkeit, die darüber hinaus in „stabiler und kontinuierlicher Weise“65 erfolgen muss. Im Kern ist für die Unterscheidung danach zu fragen, ob eine stabile Eingliederung des Leistungserbringers in die nationale Volkswirtschaft des Aufnahmestaates erfolgt ist bzw. erstrebt wird.66 Die Niederlassungsfreiheit entfaltet ihre Schutzwirkung sowohl für natürliche als auch für juristische Personen, soweit diese nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründet wurden und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben (Art. 54 Abs. 1 AEUV). Nach Maßgabe der in Art. 51 Abs. 1 AEUV kodifizierten Bereichsausnahme67, die über die Verweisnorm des Art. 62 AEUV auch für die Dienstleistungsfreiheit Geltung einfordert, ist der skizzierte Schutzbereich unanwendbar, soweit die zur unionsrechtlichen Beurteilung gestellte Regelung eine Tätigkeit betrifft, die in einem Mitgliedstaat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden ist. Vor dem Hintergrund, dass in vielen Mitgliedstaaten die Veranstaltung von Glücksspielen durch die öffentliche Hand, z. B. im Gewand von Staatsmonopolen, bereitgehalten wird, stand vereinzelt zur Diskussion, ob in dieser Tätigkeit nicht die AusRs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 51) – Gambelli. Rs. C-53/95, NZA 1997, S. 117 (Rn. 8) – Inasti. 65  EuGH, Rs. C-55/94, NJW 1996, S. 579 (Rn. 25) – Gebhard. 66  Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV (Rn. 17). 67  Nach überwiegend vertretener Ansicht handelt es sich hierbei um eine Bereichsausnahme und nicht um einen Rechtfertigungsgrund, mit der Folge, dass sich die Frage der Rechtfertigung von grundfreiheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr stellt; vgl. m. w. N. Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 62 AEUV (Rn. 5). 63  EuGH, 64  EuGH,

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2. Teil: Die unionsrechtlichen Vorgaben

übung öffentlicher Gewalt liegen könnte.68 Im Ergebnis wird dies jedoch – insbesondere um der äußerst restriktiven und unionsspezifischen Auslegung des Merkmals „öffentliche Gewalt“69 willen – zutreffend abgelehnt. Generell kommt damit eine Berufung auf die Freiheit der Niederlassung in grenzüberschreitenden Glücksspielsachverhalten in Betracht, wenn nicht lediglich die Leistung, d. h. das Glücksspielangebot selbst, mitgliedstaatliche Grenzen überschreitet, sondern eine auf Dauer angelegte Verlagerung der Glücksspielveranstaltungen in einen anderen Mitgliedstaat erfolgen soll. Den einschlägigen EuGH-Entscheidungen lagen etwa Falltypologien zugrunde, in denen ein Glücksspielanbieter seinen Hauptsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlagerte bzw. dort unter Beibehaltung des Hauptsitzes die Gründung einer Tochtergesellschaft oder Vermittlungsagentur bezweckte oder schlicht Spielkasinos70 respektive Wettbüros unterhalten wollte, die wirtschaftlich der Zentrale zuzurechnen waren.71 2. Beeinträchtigung Eine Beeinträchtigung und damit Verkürzung der soeben umrissenen Schutzbereiche kann sich zunächst darin ausprägen, dass der betroffene Grundfreiheitsträger in Wahrnehmung der Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit eine Diskriminierung, d. h. Ungleichbehandlung aufgrund seiner Staatsangehörigkeit zu einem anderen Mitgliedstaat, vonseiten mitgliedstaatlicher Stellen erfährt.72 Eine solche Diskriminierung ist entsprechend der weiten Auslegung des Diskriminierungsbegriffs dadurch charakterisiert, dass das nationale Recht oder der Rechtsanwender einen grenzüberschreitenden dienstleistungs- bzw. niederlassungsspezifischen Vorgang schlechter als einen rein innerstaatlichen Sachverhalt behandelt.73 Diese Schlechterstellung aus Gründen der Staatsangehörigkeit kann sich dabei auf zweierlei Weisen mani68  Vgl. Kolb, Die Veranstaltung von Glücksspielen, S. 155; Korte, Das staatliche Glücksspielwesen, S. 62; Pischel, GRUR 2006, S. 630 (633). 69  Grundlegend zur Auslegung des Begriffs EuGH, Rs. 2/74, NJW 1975, S. 513 (Rn.  33 ff.)  – Reyners. 70  EuGH, Rs. C-64/08, EuZW 2010, S. 821 (Rn. 28) – Engelmann. 71  Vgl. nur EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 47) – Winner Wetten; EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 60) – Stoß u. a.; EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 46) – Gambelli. 72  Vgl. Art. 57 Abs. 3 AEUV und Art. 49 Abs. 2 AEUV sowie den Wortlaut des in Art. 18 AEUV niedergelegten allgemeinen Diskriminierungsverbots; näher zu alledem: Cremer, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 9 (Rn. 31). 73  So die berühmte „Dassonville-Formel“, EuGH, Rs. 8/74, NJW 1975, S. 515 (516) – Dassonville.



B. Schranken der Gestaltungsautonomie: Grundfreiheiten 41

festieren: zum einen offen bzw. unmittelbar, indem sich die Differenzierung zwischen inländischem und grenzüberschreitendem Sachverhalt ausdrücklich aus der einschlägigen nationalen Regelung ergibt und zum anderen – in der ungleich praxisrelevanteren Form – versteckt bzw. mittelbar, indem an von der Staatsangehörigkeit abweichende, scheinbar neutrale Kriterien angeknüpft wird, aber EU-ausländische Staatsangehörige typischerweise stärker betroffen werden.74 Darüber hinaus liegt nach der Rechtsprechung des EuGH eine Beeinträchtigung beider Schutzbereiche immer schon dann vor, wenn eine – auch nichtdiskriminierende, unterschiedslos wirkende – mitgliedstaatliche Maßnahme geeignet ist, die Ausübung der Grundfreiheit „unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“75. Bei dieser zweiten, sehr weitreichenden Gewährleistungsdimension reicht es zur Bejahung der Beschränkungswirkung aus, dass eine nationale Regelung – sei sie rechtlicher oder faktischer Natur – die Ausübung der Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit bloß erschwert bzw. weniger attraktiv macht.76 Im Lichte dessen ist das Spektrum der vom EuGH als Beschränkung qualifizierten Regulierungsformen im Glücksspielsektor überaus breit gefächert, wobei die Bejahung des Vorliegens einer solchen in praktisch allen einschlägigen Verfahren keinen größeren Begründungsaufwand erforderte. Unter den insoweit weitgespannten Beschränkungsbegriff fallen nach der EuGH-Spruchpraxis etwa zweifelsfrei vollständige Verbote bestimmter Glücksspielformen77, ebenso wie Monopol-78 und Konzessionsregelungen79. Auch nationale Bestimmungen, welche die bloße Ausübung eines an sich genehmigten Glücksspielangebots betreffen, so beispielsweise restriktive Werberegelungen80 oder verbindliche Vorschriften zu Mindestabständen zwiBröhmer, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV (Rn. 19). EuGH, Rs. C-55/94, NJW 1996, S. 579 (Rn. 37) – Gebhard; EuGH Rs. C-76/90, NJW 1991, S. 2693 (Rn. 12) – Säger; spezifisch zur Glücksspielregulierung: EuGH, Rs. C-275/92, NJW 1994, S. 2013 (Rn. 43) – Schindler; EuGH, Rs. C-42/07, NJW 2009, S. 3221 (Rn. 46, 48) – Liga Portuguesa; EuGH, Rs. C-203/08, EuZW 2010, S. 503 (Rn. 23) – Sporting Exchange. 76  EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 43 f.) – Placanica u. a.; zur grundsätzlichen Einschränkbarkeit des weiten Beschränkungsverbots nach der – im Glücksspielbereich allerdings nicht zum Tragen kommenden – sog. KeckFormel, siehe EuGH, verb. Rs. C-267/91 u. a., NJW 1994, S. 121 (Rn. 11 ff.) – Keck u. a. 77  EuGH, Rs. C-275/92, NJW 1994, S. 2013 (Rn. 39) – Schindler. 78  EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 31) – OPAP u. a. 79  EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 48) – Gambelli. 80  Siehe zuletzt EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 21) – Digibet/Albers; EuGH, Rs. C-470/11, NVwZ 2012, S. 162 (Rn. 35) – Garkalns. 74  Vgl.

75  Grundlegend:

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2. Teil: Die unionsrechtlichen Vorgaben

schen Wettannahmestellen81, sind als Beschränkungsmodalitäten zu werten.82 Nichts anderes gilt im Hinblick auf die Bewerbung von Glücksspielen oder die Teilnahme an einem solchen mit Verbot oder Sanktion belegenden Strafrechtsnormen.83 Speziell im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit hat der EuGH judiziert, dass nationale Regelungen, die einen Wirtschaftsteilnehmer aufgrund seiner Rechtsform vom Glücksspielsektor ausschließen, als eine Beschränkung zu klassifizieren sind.84 Auch etwaige an Glücksspielanbieter gestellte Präsenzerfordernisse, d. h. Regelungen, welche die Aufnahme der Leistungserbringung an eine physischen Präsenz des Anbieters oder seines Vertreters im Aufnahmestaat knüpfen, besitzen unzweifelhaft Beeinträchtigungscharakter im Hinblick auf die Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit.85 3. Rechtfertigung Bejaht man das tatbestandliche Vorliegen einer Betroffenheit der grundfreiheitlichen Schutzbereiche, lässt dies nicht voraussetzungslos den Schluss auf eine Verletzung des Unionsrechts zu; ebenso wie die anderen Marktzugangsfreiheiten, werden auch die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit nicht schrankenlos gewährleistet, sondern stehen unter verschiedenen Vorbehalten. Letztere lassen sich als Rechtfertigungsgründe interpretieren, bei deren Vorliegen es den Mitgliedstaaten nötigenfalls erlaubt ist, die grundfreiheitlichen Schutzgarantien zu durchbrechen. Dem insoweit zur Legitimierung einer grundfreiheitseinschränkenden Maßnahme vorhandenen Rechtfertigungsregime unterfallen dabei geschriebene, d. h. ausdrücklich im AEUV kodifizierte Rechtfertigungsgründe sowie ungeschriebene, d. h. primärrechtlich nicht fixierte Rechtfertigungsgründe. a) Geschriebene Rechtfertigungsgründe Nach Maßgabe des in Art. 52 Abs. 1 AEUV bzw. Art. 62 AEUV explizit niedergelegten und damit der erstgenannten Kategorie von Rechtfertigungsgründen angehörigen sog. ordre-public-Vorbehalts können diskriminierende Beschränkungen im Anwendungsbereich der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundverb. Rs. C-72/10 u. a., EuZW 2012, S. 275 (Rn. 65) – Costa u. a. Ganzen Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Kap. 9, § 6 (Rn. 3385 ff.). 83  EuGH, Rs. C-447/08, EuZW, 2010, S. 821 (Rn. 33) – Sjöberg/Gerdin; EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (R. 43) – Placanica u. a. 84  EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 64) – Placanica u. a. 85  EuGH, Rs. C-64/08, EuZW 2010, S. 821 (Rn. 32) – Engelmann. 81  EuGH, 82  Zum



B. Schranken der Gestaltungsautonomie: Grundfreiheiten 43

heit gerechtfertigt sein.86 Unter dem Eindruck, dass in den meisten Mitgliedstaaten die Glücksspielregulierung von den benannten Regelungszielen getragen wird, war der Gerichtshof in Einzelfällen auch durchaus geneigt, eine Rechtfertigung für eine grundfreiheitsbeschränkende Glücksspielmaßnahme aus dieser Norm herzuleiten.87 Fallkonkret herangezogen hat der EuGH den ordre-public-Vorbehalt aber letztlich in keiner seiner Entscheidungen. Dies mag damit zusammenhängen, dass die unionsrechtlichen Rahmenbegrifflichkeiten der „öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit“ aufgrund ihres Ausnahmecharakters insoweit eng auszulegen sind, als hierunter lediglich mitgliedstaatliche Interessen von fundamentaler, die Grundinteressen der Gesellschaft oder die innere und äußere Sicherheit berührender,88 Bedeutung zu subsumieren sind und der EuGH die diesbezügliche Schwelle bei glücksspielspezifischen Gefahrenlagen bislang nicht als überschritten angesehen hat. Entscheidend ist zudem, dass eine auf den ordre-public-Vorbehalt gestützte Rechtfertigungsmöglichkeit nur im Falle einer offenen Diskriminierung greift, die Glücksspielregulierung auf mitgliedstaatlicher Ebene aber bislang – von wenigen Ausnahmen abgesehen –89 in nichtdiskriminierender Weise erfolgt.90 b) Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe In seiner Glücksspielrechtsprechung greift der EuGH bei der Rechtfertigungsprüfung von grundfreiheitsbeschränkenden Glücksspielmaßnahmen deshalb ausnahmslos auf die ungeschriebene Schranke der sog. zwingenden Gründe des Allgemeininteresses zurück. Die allgemeine Notwendigkeit dieser zusätzlichen Rechtfertigungsgründe ist unbestritten;91 sie ergibt sich aus 86  Zur Interpretation der Vorschrift als Bereichsausnahme Forsthoff, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 51 AEUV (Rn. 6). 87  Vgl. EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 41, 82) – Dickinger/Ömer. 88  Vgl. EuGH, Rs. C-355/98, EuZW 2000, S. 344 (Rn. 28) – Olazabal; EuGH, Rs. C-348/96, EuZW 1999, S. 345 (Rn. 21) – Calfa; siehe dazu auch Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 51 AEUV (Rn. 14). 89  Als diskriminierend bewertete der EuGH in seiner Glücksspielrechtsprechung lediglich die nationalen Regelungen in den Rs. C-42/02, RIW 2004, S. 320 (Rn. 23) – Lindman und Rs. C-64/08, EuZW 2010, S. 821 (Rn. 32 ff.) – Engelmann. 90  Schließlich sei noch darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der grundfreiheitlichen Rechtfertigungsprüfung vereinzelt die geschriebenen Unionsgrundrechte herangezogen werden. Dabei ist stark umstritten, welcher Rechtfertigungskategorie diese überhaupt zuzuordnen sind; näher dazu Cremer, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 9 (Rn. 42); siehe zur Thematik im Glücksspielkontext erstmals EuGH, Rs. C-390/12, EuZW 2014, S. 597 – Pfleger; Wollenschläger, EuZW 2014, S. 577 (577 ff.). 91  Grundlegend dazu EuGH, Rs. 120/78, NJW 1979, S. 1766 (Rn. 8 ff.) – Cassis de Dijon; siehe auch EuGH, Rs. C-76/90, NJW 1991, S. 2693 (Rn. 15) – Säger;

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2. Teil: Die unionsrechtlichen Vorgaben

der weiten Interpretation der grundfreiheitlichen Schutzgehalte einerseits und dem engen und abschließenden Charakter der vertraglich fixierten Rechtfertigungsgründe andererseits. Aus dieser Sachlage erwächst der Bedarf nach einer zusätzlichen Rechtfertigungsmöglichkeit, da der auf Seiten des grundfreiheitsbeschränkenden Mitgliedstaats verbleibende Gestaltungsspielraum ansonsten zur bloßen Makulatur verkäme. Unter Allgemeininteresse ist „das jeweilige mitgliedstaatliche öffentliche Interesse zu verstehen, das für die jeweils betroffene Branche und den jeweils zu berücksichtigenden Interessenskonflikt in unterschiedlicher Weise zu definieren ist“92. Ein abschließender Katalog anerkannter Allgemeininteressen besteht also gerade nicht.93 Für den Glücksspielsektor hat der Gerichtshof einen bereichsspezifischen Kanon von im Allgemeininteresse liegenden Regulierungsmotiven akzeptiert, die ein Mitgliedstaat zulasten der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit verfolgen kann. Hierzu zählen neben den generellen Interessen des Verbraucherschutzes und dem Schutz der Sozialordnung94 die konkret-systemprägenden Anliegen, die Spiellust innerhalb der Bevölkerung in geordnete Bahnen zu lenken95, Betrug und anderen Straftaten vorzubeugen96, die Spielsucht einzudämmen bzw. zu bekämpfen97, den Jugendschutz zu gewährleisten,98 sowie Anreize für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Glücksspiel zu vermeiden99. Wenngleich unter rechtsformaler Hinsicht diese systemprägenden Einzelanliegen ersichtlich eigenständig nebeneinander stehen, so lassen sie doch – materiell besehen – ihre Entfächerung in die beiden übergeordneten, glücksspielimmanenten Generalanliegen einerseits der Spielsuchtbekämpfung und andererseits der Kriminalitätsabwehr zu.100

EuGH, Rs. C-368/95, EuZW 1997, S. 211 (Rn. 18) – Familiapress; EuGH, Rs. C-212/97, NJW 1999, S. 2027 (Rn. 32) – Centros. 92  So Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Kap. 9, § 5 (Rn. 3313). 93  Vgl. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 (Rn. 55). 94  EuGH, Rs. C-275/92, NJW 1994, S. 2013 (Rn. 58) – Schindler. 95  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 18) – Ladbrokes. 96  EuGH, Rs. C-42/07, NJW 2009, S. 3221 (Rn. 56) – Liga Portuguesa. 97  EuGH, verb. Rs. C-72/10 u.  a., EuZW 2012, S. 275 (Rn. 71) – Costa u. a.; EuGH, Rs. C-470/11, NVwZ 2012, S. 162 (Rn. 39) – Garkalns; EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 102) – Stoß u. a. 98  EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 95) – Carmen Media. 99  EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 46) – Placanica u. a. EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 67) – Gambelli. 100  So auch Pieroth/Kolbe, in: Hartmann/Pieroth, Spielbanken und Spielhallen, S. 9 (66).



B. Schranken der Gestaltungsautonomie: Grundfreiheiten 45

Für sämtliche Grundfreiheiten gilt indes, dass rein fiskalisch-protektionistische Motivationen, wie etwa das Interesse eines Mitgliedstaats, einen heimischen Wirtschaftszweig zu fördern, keine unionslegitimen Belange darstellen und somit von vornherein keine Beschränkung ihrer Schutzgehalte zu rechtfertigen vermögen.101 In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch das mitgliedstaatliche Bestreben, Einnahmen für gemeinnützige und wohl­ tätige Zwecke aus dem (staatlich) veranstalteten Glücksspiel zu generieren, nicht als anerkanntes Allgemeininteresse, sondern vollumfänglich als fiskalisches Regulierungsmotiv zu qualifizieren, das allenfalls „erfreuliche Neben­ folge“102, nicht dagegen Selbstzweck einer grundfreiheitseinschränkenden Glücksspielmaßnahme sein darf.103 4. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Allein die Feststellung, dass sich in einer grundfreiheitsbeschränkenden Maßnahme die Verfolgung unionsrechtlich anerkannter Gemeinwohlinteressen widerspiegeln – für ihre Existenz also ein sachlicher Grund streitet – rechtfertigt den mit ihr verbundenen Eingriff jedoch nicht ipso iure. Die Maßnahmen muss sich vielmehr darüber hinaus an den Anforderungen des als sog. „Schranken-Schranke“ konzipierten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit messen lassen, der – ähnlich wie im deutschen (Verfassungs-) Recht –104 als zentrale Richtschnur für den Ausgleich kollidierender Rechtsgüter dient.105 Im Glücksspielkontext markiert die Verhältnismäßigkeitskon­ trolle den prüfungsdimensionalen Mittelpunkt des Ausgleichs zwischen dem unionalen Interesse an der Wahrung der Ratio der Dienstleistungs- bzw. Niederlassungsfreiheit einerseits und dem Interesse der Mitgliedstaaten an 101  Zum wirtschaftlichen Charakter einzelner Beschränkungsformen ausführlich Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Kap. 4, § 4 (Rn. 589 ff.). 102  Siehe nur aus der neueren Rspr.: EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 53) – Zeturf; EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 104) – Stoß u. a. 103  Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die fragliche Maßnahme diese anerkannten zwingenden Gründe des Allgemeininteresses verfolgt, trägt dabei der grundfreiheitsbeschränkende Mitgliedstaat selbst. Dieser muss auf Grundlage zuverlässiger wissenschaftlicher Daten und Informationen zwar nicht schon vor Erlass der restriktiven Maßnahme, spätestens aber zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung alle Umstände nachweisen, die es dem Gerichtshof ermöglichen, die mitgliedstaatlichen Wertungen und Entscheidungen nachzuvollziehen; vgl dazu erstmals grundlegend EuGH, Rs. C-42/02, RIW 2004, S. 320 (Rn. 25 f.) – Lindman; siehe ferner EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 71) – Stoß u. a. 104  Zu den Parallelen instruktiv Cremer, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 9 (Rn. 44). 105  von Danwitz, EWS 2003, S. 393 (394).

46

2. Teil: Die unionsrechtlichen Vorgaben

der Verwirklichung ihrer individuellen Überzeugungen und Zielvorstellungen im nationalen Glücksspielwesen andererseits.106 Was sein dogmatisches Prüfungsgerüst in der Handhabung durch den EuGH anbelangt, so ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz prinzipiell dreigliedrig strukturiert. In diesem Sinne hält eine Grundfreiheitsbeschränkung den Verhältnismäßigkeitsanforderungen Stand, wenn sie zur Erreichung des mit ihr verfolgten legitimen Ziels als geeignet, erforderlich und nicht unangemessen erscheint107, wobei der unionsgerichtliche Kontrollmaßstab hierbei eine ganze Reihe von Nuancen und Besonderheiten aufweisen kann – so auch im Glücksspielkontext; hier sind diese prüfungssystematischen Spezifika Ausfluss der den Mitgliedstaaten eingeräumten Gestaltungsautonomie („Schutzniveauautonomie“108). Auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung schlägt die zugestandene Regelungsautonomie insoweit durch, als sie die Durchführung einer gerichtlichen Güterabwägung im Sinne einer Kontrolle der Zweck-Mittel-Relation ausschließt.109 Die Verhältnismäßigkeit einer grundfreiheitsbeschränkenden Glücks­ spielmaßnahme ist ausschließlich mit Blickrichtung auf ihre vom Mitgliedstaat autonom erwählten Schutzziele und das anvisierte Schutz­niveau zu würdigen.110 Mit dieser sachbedingten Einschränkung der Kontrolldichte verlagert sich die Prüfung allein auf die Elemente der Geeignetheit und Erforderlichkeit.111 a) Geeignetheit Im Allgemeinen setzt nach der EuGH-Judikatur die Geeignetheit einer grundfreiheitsbeschränkenden Maßnahme voraus, dass sie im Hinblick auf den für sie vorgegebenen Regelungszweck den gewünschten Erfolg zu erreichen imstande ist. Was den konkret eingeforderten Wirkungsgrad an Zieleignung betrifft, so ist der Eignungstest mehr als Ausschluss- denn als Optimierungskriterium zu verstehen, da keine „optimale“, sondern nur eine „miniPlanzer, European Gambling Law, S. 23 ff. mit diversen Nachweisen aus der Lit. und Rspr. Kingreen, in: Callies/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 36 AEUV (Rn. 92 ff.). 108  Kirschner, Grundfreiheiten und Gestaltungsspielräume, S. 144. 109  Frenz/Ehlenz, EuR 2010, S. 490 (514); Ohler, EuR 2010, S. 253 (257); Schmahl, in: Müller-Graff/Schmahl/Skouris, FS-Scheuing, S. 671 (680). 110  EuGH, Rs. C-124/97, EuZW 2000, S. 148 (Rn. 36) – Läärä; siehe dazu auch BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 30). 111  EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 48) – Placanica u. a.; siehe dazu ferner Planzer, European Gambling Law, S. 23 ff.; Kischel, EuR 2000, S. 380 (384); von Danwitz, EWS 2003, S. 393 (395). 106  Vgl.

107  Siehe



B. Schranken der Gestaltungsautonomie: Grundfreiheiten 47

male“ Wirksamkeit abverlangt wird.112 Die getroffene Maßnahme muss das mit ihr angestrebte Ziel nicht in Gänze im Sinne einer „Volleignung“ erreichen;113 es kann auch besser geeignete Mittel geben.114 Insoweit ist auch ein nur unzulängliches Mittel zur Zielverwirklichung grundsätzlich als geeignet zu qualifizieren. Hinter diesem großzügig bemessenen Geeignetheitsmaßstab steht die Erwägung, dass den mitgliedstaatlichen Stellen bei der – naturgemäß in vielerlei Hinsicht mit Prognosen und deshalb Unsicherheiten behafteten – Beurteilung der Tauglichkeit einer oftmals komplex wirkenden Maßnahme eine gewisse Fehlertoleranz zugestanden werden muss.115 In Konsequenz dessen ist die Grenze hin zu einer unionsrechtlich ungeeigneten und damit unverhältnismäßigen Beschränkung grundfreiheitlicher Schutzgehalte nach der EuGH-Judikatur erst dort als überschritten anzusehen, wo die fragliche Regelung mit einer gewissen Evidenz im Hinblick auf das mit ihr anvisierte Ziel „gänzlich untauglich ist“116, also so gut wie überhaupt keine Wirkung entfaltet oder dem angestrebten Ziel sogar schadet.117 b) Erforderlichkeit Eine grundfreiheitsbeschränkende Maßnahme ist generell nur dann als erforderlich zu qualifizieren, wenn sie unter mehreren für die Erreichung des verfolgten Ziels geeignete Maßnahmen diejenige ist, die am wenigsten belastend für das betroffene Interesse wirkt.118 Die gewählte Maßnahme darf also nicht über das zur effektiven Zielerreichung erforderliche Maß hinausgehen.119 Für die ersichtlich im ultima ratio-Gedanken wurzelnde Erforderlichkeitsprüfung ist mithin zwangsläufig die (gerichtliche) Auseinandersetzung mit vorhandenen Alternativmaßnahmen vonnöten.120 112  Koch,

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 207. Rs. C-124/97, EuZW 2000, S. 148 (Rn. 35) – Läärä; EuGH, Rs. C-67/98, EuZW 2000, S. 151 (Rn. 35 f.) – Zenatti; vgl. dazu auch Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 45 AEUV (Rn. 401) und Strassburger, EU-Grundfreiheiten, S. 135. 114  EuGH, Rs. 152/78, NJW 1981, S. 1147 (Rn. 15 ff.) – Kommission/Deutschland. 115  von Danwitz, EWS 2003, S. 393 (396); ausführlich zur Thematik der „Fehlertoleranz“ im Glücksspielkontext Koenig/Ciszewski, ZfWG 2008, S. 397 (398 ff.). 116  Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Kap. 8, § 5 (Rn. 2661). 117  Siehe nur EuGH, Rs. 265/87, Slg. 1989, S. 2237 (Rn. 22) – Schräder; EuGH, Rs. 331/88, EuZW 1991, S. 123 (Rn. 13, 15) – Fedesa; EuGH, Rs. C-22/94, EuZW 1997, S. 693 (Rn. 31) – Irish Farmer Asscociation. 118  EuGH, Rs. C-55/94, NJW 1996, S. 579 (Rn. 37) – Gebhard. 119  EuGH, Rs. C-384/93, NJW 1995, S. 2541 (Rn. 37 ff.) – Alpine Investments. 120  Näher dazu von Danwitz, EWS 2003, 393 (399). 113  EuGH,

48

2. Teil: Die unionsrechtlichen Vorgaben

c) Beispiel: Glücksspielmonopole und Konzessionssysteme Die spezifischen Anforderungen, die das Unionsrecht an die geeignete und erforderliche Ausgestaltung grundfreiheitsbeschränkender Maßnahmen im Glücksspielbereich stellt, sind unauflöslich mit dem konkret gewählten Regulierungsansatz verwoben; eine systemtranszendente Überprüfung findet nicht statt. Unter diesem Blickwinkel fokussieren sich die nachfolgenden Ausführungen auf die in der Spruchpraxis des EuGH den Schwerpunkt der geführten Verfahren bildenden Regulierungsformen „Glücksspielmonopol“ und „Konzessionssystem“. aa) Glücksspielmonopole In einer, der Maßgabe des Art. 3 Abs. 3 EUV entsprechend, auf eine „wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“ ausgerichteten europäischen Wirtschaftsordnung erscheinen Monopolregelungen als Fremdkörper; sie entziehen bestimmte Märkte dem Wettbewerb, indem sie Ausschließlichkeitsrechte zugunsten nur eines Marktteilnehmers statuieren, die nicht das Ergebnis von Wettbewerb und Konkurrenz, sondern staatlicher Marktintervention sind. Dennoch erblickt der EuGH in – zur Kategorie der Dienstleistungsmonopole zählenden –121 öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich getragenen Glücksspielmonopolen eine prinzipiell geeignete Maßnahme, um die beiden übergeordneten Regulierungsanliegen der Spielsucht- und Kriminalitätsbekämpfung zu erreichen. So betont er in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung, dass ein Mitgliedstaat unter Ausfüllung des ihm zuerkannten Gestaltungsspielraums den Standpunkt vertreten darf, dass nur die „Gewährung exklusiver Rechte an eine einzige Einrichtung, die von den Behörden genau überwacht wird, ihm erlaubt, die mit dem Glücksspielsektor verbundenen Gefahren zu beherrschen“122; einschränkend lässt sich die Verleihung von Ausschließlichkeitsrechten aus Sicht des EuGH allerdings nur dann rechtfertigen, wenn mit ihr mitgliedstaatlicherseits tatsächlich und nachweisbar ein besonders hohes Schutzniveau angestrebt wird.123 Den tragenden Legitimationspfeiler der Geeignetheit eines Glücksspielmonopols liefern also einerseits die mit seiner 121  Vgl. Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 57 AEUV (Rn. 113). 122  EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 29) – OPAP u. a. 123  EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 29) – OPAP u. a.; EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 46) – Zeturf; EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 45) – Dickinger/Ömer; EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 83) – Stoß u. a.



B. Schranken der Gestaltungsautonomie: Grundfreiheiten 49

Statuierung einhergehenden, auf den jeweiligen Monopolinhaber konzen­ trierten Überwachungs- und Steuerungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand sowie andererseits die hohe Intensität des erstrebten Schutzniveaus. Berechtigte Zweifel an der Eignung sind im Umkehrschluss dann angebracht, wenn ein Mitgliedstaat eine Monopolstruktur errichtet, die „nur oberflächlich überwacht wird“124 und nicht darauf abzielt, der Spielsucht- oder Kriminalitätsabwehr entschieden entgegenzutreten. Als gänzlich ungeeignet erweist sich demnach schon von vornherein die Statuierung eines Monopolregimes zur Vermeidung erhöhter Kostenlasten oder anderer verwaltungstechnischer Nachteile einer mitgliedstaatlichen Glücksspielaufsicht über lizenzierte Glücksspielanbieter.125 Auch die Verleihung von Exklusivrechten an einen einzigen, der umfassenden Überwachung durch die öffentliche Gewalt unterliegenden Wirtschaftsteilnehmer für den Betrieb eines bestimmten Vertriebskanals – bei dem es sich in der Praxis zumeist um das Medium Internet handelt – erweist sich aus Sicht des Gerichtshofs als durchaus zielführendes und daher geeignetes Mittel, um insbesondere ein hohes Schutzniveau bei der Kriminalitätsbekämpfung sicherzustellen.126 Dabei stehen etwaige Probleme der Verwaltung bei der wirksamen Durchsetzung der entsprechenden Monopolregelungen – diese betreffen namentlich die Schwierigkeit bei der Regulierung des transnationalen, internetbasierten Glücksspiels – einer Eignung des Monopols nach Rechtsauffassung des Gerichtshofs nicht generell entgegen.127 Die sich auf Monopolregelungen erstreckende Erforderlichkeitsprüfung wirft alsdann die Frage auf, ob es andere Regelungen als die Vergabe von Ausschließlichkeitsrechten gibt, welche zwar die gleiche Eignung zur Zielerreichung aufweisen – also gleichermaßen effektiv sind – aber weniger einschneidend wirken. Dazu ist vorerst festzuhalten, dass bei der Suche nach milderen Mitteln der EuGH nicht auf die Glücksspielregulierung anderer Mitgliedstaaten abstellt. Der Umstand, dass sich andere Mitgliedstaaten für mildere Regulierungskonzepte entschieden haben, ist – wie bereits oben verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 35) – OPAP u. a. Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 48) – Zeturf unter Verweis auf die Rs. C‑318/07, EuZW 2009, S. 139 (Rn. 55) – Persche. 126  Maßgebliche Vorgaben setzte der EuGH diesbezüglich erstmals in seiner Urteilsbegründung zur Rechtssache Liga Portuguesa. Darin führte er aus, dass nach seiner Ansicht die über das Internet veranstalteten Glücksspiele schon wegen des fehlenden unmittelbaren Kontakts zwischen dem Verbraucher und dem Anbieter im Vergleich zum herkömmlichen, stationären Glücksspiel, anders geartete und größere Gefahren der Betrugsmöglichkeiten in sich bergen, vgl. EuGH, Rs. C-42/07, NJW 2009, S. 3221 (Rn. 69 ff.) – Liga Portuguesa. 127  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 85) – Stoß u. a. 124  EuGH, 125  EuGH,

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2. Teil: Die unionsrechtlichen Vorgaben

geschildert – für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer Maßnahme wegen der zuerkannten Schutzniveauautonomie ohne jeden Belang.128 Unbeschadet dessen käme als erwägenswertes, milderes Mittel die Zulassung privater Anbieter im Rahmen eines im Vergleich zu einem Monopol­ modell regelmäßig weniger freiheitsbeschränkenden Konzessionsmodells in Betracht; denn im Gegensatz zu Monopolregelungen bleibt der Dienstleistungsmarkt für Glücksspielveranstaltungen in einem Konzessionssystem grundsätzlich dem Wettbewerb geöffnet. Allein die vergleichsweise mildere Belastung der Wirtschaftsteilnehmer durch ein Konzessionsregime vermag freilich nicht die Erforderlichkeit einer Monopolregelung in Abrede zu stellen. Entscheidend ist vielmehr, ob sich ein Konzessionssystem als ein im Verhältnis zum Monopolmodell gleichermaßen geeignetes Mittel zur Zielerreichung darstellt. Diese gleichwertige Eignung wird vom Gerichtshof allerdings deswegen in Zweifel gezogen, weil davon auszugehen sei, dass ein Monopol „gerade so eingerichtet und ausgestaltet wurde, dass [es sein] Ziel wirksamer verfolgt“129, „als es bei der Ausübung der entsprechenden Tätigkeiten durch private Veranstalter in einer Wettbewerbssituation der Fall wäre“130, insbesondere weil die hoheitlichen Kontrollinstanzen gegenüber einem Monopolunternehmen über bessere Beeinflussungs- und Regulierungsmöglichkeiten verfügten als gegenüber im Wettbewerb zueinander stehenden privaten (konzessionierten) Veranstaltern.131 Diese Einsicht kann insofern Plausibilität für sich reklamieren, als das von privater Seite organisierte Glücksspielangebot lediglich mittelbar, im Wege entsprechender Aufsichtsmaßnahmen beherrscht werden kann. Darüber hinaus entspricht es der „marktwirtschaftlichen Naturgesetzlichkeit“132, dass die in einem Wettbewerb zueinander stehenden Anbieter – dem Prinzip der Gewinnmaximierung folgend – die Grenzen ihrer ökonomischen Betätigungsfreiheit üblicherweise auszuweiten suchen, was zu nachteiligen Folgen für das Ziel der Spielsuchtbekämpfung führen kann.133

128  Vgl.

schon oben Teil 2, A. verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 102) – Stoß u. a.; ganz ähnlich EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 67) – Zeturf; EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 66) – Dickinger/Ömer. 130  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 82) – Stoß u. a. 131  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 82) – Stoß u. a. 132  Postel, WRP 2006, S. 703 (728). 133  Kazemi/Leopold, MMR 2004, S.  649 (653); vgl. auch EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 45) – OPAP u. a.; EuGH, Rs. C-203/08, EuZW 2010, S. 503 (Rn. 58) – Sporting Exchange. 129  EuGH,



B. Schranken der Gestaltungsautonomie: Grundfreiheiten 51

Resümierend betrachtet erblickt der EuGH unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit in einem gesetzlich determinierten Glücksspielmonopol also einen geeigneten und erforderlichen Mechanismus, um die zentralen gemeinwohlbezogenen Interessen der Spielsucht- oder Kriminalitätsbekämpfung, jeweils auf Basis eines besonders hoch angesetzten Schutzniveaus, zu verwirklichen. bb) Konzessionssysteme Die vom EuGH ausgeurteilten Begründungsmuster zur grundsätzlichen Eignung von Monopol- und Konzessionsregelungen sind von vergleichbarem Zuschnitt:134 Auch beim Regulierungstypus der Konzession geht es um eine effektive Überwachung und Lenkung des Glücksspielmarktes. Anders als bei Monopolmodellen geschieht dies jedoch nicht über die Einräumung eines Ausschließlichkeitsrechts, sondern vermittels einer (limitierten) Vergabe von Konzessionen zur Veranstaltung von Glücksspielen. Im Vergleich zur Monopolregelung muss der mitgliedstaatliche Glücksspielgesetzgeber dabei indessen kein besonders hoch gestecktes Schutzniveau anstreben; ausreichend ist, dass die Zielsetzung überhaupt effektiv verfolgt wird. Im Fokus der konzessionsbezogenen Erforderlichkeitsprüfung steht zumeist die Frage, ob entsprechende Regelungen an bereits im EU-Ausland konzessionierte Glücksspielveranstalter die gleichen Anforderungen stellen dürfen, wie an nationale Konzessionsempfänger. Denn im Vergleich zu (zusätzlichen) Konzessionsanforderungen bilden äquivalente Erfordernisse im Herkunftsstaat stets mildere Mittel im Aufnahmestaat. Eine solche Anerkennungspflicht lehnt der EuGH – im Gegensatz zu anderen Bereichen –135 für den Glücksspielsektor jedoch generell ab und argumentiert, dass sich schon die Behörden im Herkunftsstaat bei der Beurteilung der „Qualität und der Redlichkeit der Anbieter bei der Ausübung ihres Gewerbes“136 für gewöhnlich großen Schwierigkeiten ausgesetzt sähen.137 Aus dieser Sachlage könn134  Siehe nur EuGH, verb. Rs. C-660/11 u. a., ZfWG 2013, S. 391 (Rn. 24 f.) – Biasci u. a. unter Verweis auf EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 65) – Placanica u. a. 135  Vgl. nur EuGH, Rs. C-58/98, EuZW 2000, S. 763 (Rn. 35) – Corsten; EuGH, Rs. C-369/96, EuZW 2000, S. 88 (Rn. 39) – Arblade; EuGH, Rs. C-3/95, BB 1997, S. 164 (Rn. 28) – Reisebüro Broede. 136  EuGH, Rs. C-42/07, NJW 2009, S. 3221 (Rn. 69 f.) – Liga Portuguesa. 137  EuGH, Rs. C-660/11 u. a., ZfWG 2013, S. 391 (Rn. 40 ff.) – Biasci u. a.; EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 112) – Stoß u. a.; vgl. auch EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 96, 99) – Dickinger/Ömer; siehe zu den möglichen Interpretationsansätzen im Hinblick auf die „Schwierigkeiten“, Heseler, Glücksspielregulierung, S.  203 ff.

52

2. Teil: Die unionsrechtlichen Vorgaben

ten mitgliedstaatliche Stellen bereits folgern, dass ein zur Anerkennung hinreichendes bzw. äquivalentes Schutzniveau „beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts“138 nicht gewährleistet sei. Ungeachtet dessen hat der EuGH ein Bündel von spezifischen Anforderungen an die, dem Prinzip der Erforderlichkeit gerecht werdende, rechtliche und praktische Ausgestaltung von Konzessionsregelungen formuliert.139 So müssen etwa die konzessionserteilenden Stellen gewährleisten können, dass für jede natürliche und juristische Person die Möglichkeit besteht, eine ausgeschriebene Konzession zu erlangen, sofern nicht aufgrund besonders darzulegender Gründe ausnahmsweise die Einschränkung des Kreises möglicher Konzessionsempfänger oder das Absehen von einem Ausschreibungsverfahren geboten ist.140 Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn der Mitgliedstaat beschließt nur eine sehr geringe Anzahl privater Veranstalter, deren Tätigkeiten er durch seine Behörden effektiv überwacht, zu konzessionieren.141 Ein durch die fehlende Transparenz der Eigentümerstruktur begründeter genereller Ausschluss von in- und ausländischen börsennotierten Kapitalgesellschaften im Konzessionsverfahren ließ der Gerichtshof derweil nicht als hinreichenden Grund gelten, da die Aufsichtsbehörden eine effektive Kontrolle auch durch weniger restriktive, aber gleichermaßen wirkungsvolle Maßnahmen, etwa durch Einholung von Informationen über die Vertreter und Anteilseigner der Kapitalgesellschaft, gewährleisten könnten.142 Ebenso wenig erforderlich erscheint aus Sicht des Gerichtshofs der kategorische Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten aus Gründen der Kriminalitätsabwehr, denn auch hier stehen dem Aufnahmestaat mildere Mittel der Kontrolle (z. B. Kontrolle durch externe Buchprüfer und Unterrichtungspflichten) zur Wahl.143 Schließlich muss dem Antragssteller eine dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes genügende Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Verwaltungsentscheidung offen stehen, die nicht weniger günstig ausgestaltet sein darf als für entsprechende Sachverhalte innerstaatlicher Art.144 verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 110) – Stoß u. a. zu den konzessionsbezogenen Vorgaben des EuGH Ennuschat, ZfWG 2015, S. 78 (79 ff.). 140  EuGH, verb. Rs. C-72/10 u. a., EuZW 2012, S. 275 (Rn. 57) – Costa u. a. 141  EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 61 ff.) – Placanica u. a. 142  EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 67, 69) – Dickinger/Ömer. 143  EuGH, Rs. C-64/08, EuZW 2010, S. 821 (Rn. 37 f.) – Engelmann. 144  EuGH, verb. Rs. C-72/10 u. a., EuZW 2012, S. 275 (Rn. 51) – Costa u. a.; EuGH, Rs. C-64/08, EuZW 2010, S. 821 (Rn. 55) – Engelmann; EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 87) – Carmen Media; EuGH, Rs. C-203/08, EuZW 2010, S. 503 (Rn. 50) – Sporting Exchange. 138  EuGH,

139  Ausführlich



C. Resümee zum zweiten Teil53

C. Resümee zum zweiten Teil Resümiert man in einem Zwischenfazit die Anforderungen, die das Unionsrecht an die regulative Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Glücksspielwesen stellt, so bleibt Folgendes zu konstatieren: Die unionsrechtlichen Rahmenvorgaben beruhen auf der Grundannahme, dass die Mitgliedstaaten auf dem Regulierungsfeld des Glücksspiels über eine weitreichende, den achtenswerten soziokulturellen Besonderheiten des jeweiligen Glücksspielwesens Rechnung tragende Gestaltungsautonomie verfügen. Unter Inanspruchnahme jener Regulierungsautonomie bleibt ihnen die Entscheidung vor dem Unionsrecht grundsätzlich unbenommen, welches Schutzniveau sie im Glücksspielsektor vorhalten (sog. „Schutzniveauautonomie“145) und welche glücksspielspezifischen Regulierungsinstrumente sie für notwendig erachten, um dieses Schutzniveau zu realisieren. Nicht zuletzt deshalb unterliegen die nationalen Glücksspielsektoren keiner sekundärrechtlichen Harmonisierung. In ihrer Regelungsautonomie sind die Mitgliedstaaten allerdings insoweit beschränkt, als sie die Garantien der unionsvertraglichen Grundfreiheiten zu beachten haben. Deren glücksspielspezifische Schutzstandards hat der Europäische Gerichtshof unter Inanspruchnahme seiner aus Art. 19 Abs. 1 EUV folgenden Exklusivkompetenz zur „Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge“ in seiner gut 20 Jahre währenden Glücksspielrechtsprechung in zahlreichen Vorabentscheidungsverfahren ausgedeutet. Dabei stellte er frühzeitig klar, dass die grenzüberschreitende Erbringung und Inanspruchnahme von Glücksspielleistungen aufgrund ihres wirtschaftlichen Charakters vom Anwendungsbereich der Grundfreiheiten umschlossen wird. Unter den einzelnen Marktfreiheiten ragen dabei die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit (Art. 56  ff. bzw. Art. 49  ff. AEUV) als diejenigen Grundfreiheiten hervor, welche die mit Abstand größten Bezüge zu Fragen der unionsrechtlichen Beurteilung grenzüberschreitender Glücksspielaktivitäten aufweisen. Zur Bejahung einer Beschränkung dieser Schutzbereiche ist bereits der Befund ausreichend, dass die Ausübung der Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit durch eine nationale Glücksspielmaßnahme – so etwa in Gestalt einer glücksspielbezogenen Straf-, Erlaubnis- oder Werberegelung – bloß erschwert wird. Bejaht man so das Vorliegen einer Beeinträchtigung der Schutzbereiche, lässt dies allerdings nicht voraussetzungslos den Schluss auf die Unionsrechtswidrigkeit der fraglichen Maßnahmen zu; mit der Feststellung wird 145  Kirschner,

Grundfreiheiten und Gestaltungsspielräume, S. 144.

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2. Teil: Die unionsrechtlichen Vorgaben

vielmehr ein Rechtfertigungszwang aufseiten des Mitgliedstaats ausgelöst. Letzterer muss darlegen können, dass für die Grundfreiheitsbeeinträchtigung legitime Gründe streiten. Da der als geschriebener Rechtfertigungsgrund konzipierte ordre-public-Vorbehalt (Art. 52 Abs. 1 AEUV bzw. Art. 62 AEUV) in Glücksspielsachverhalten nicht greift, ist die Grundfreiheitsbeschränkung einer Legitimierung ausschließlich über die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe der sog. zwingenden Gründe des Allgemeininteresses zugänglich. Die vom EuGH im Glücksspielbereich als solche Interessen anerkannten Einzelbelange lassen sich dabei auf die übergeordneten Regulierungsmotive einerseits der Spielsuchtbekämpfung und andererseits der Kriminalitätsbekämpfung herunterbrechen. Allein die Tatsache, dass sich in einer Glücksspielmaßnahme die Verfolgung von derlei Gemeinwohlbelangen widerspiegelt, rechtfertigt den mit ihr verbundenen grundfreiheitlichen Eingriff jedoch nicht ipso iure; die fragliche Maßnahme muss sich zusätzlich an den Anforderungen des unionalen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes („Schranken-Schranke“) messen lassen, d. h. sie muss gemäß dem Geeignetheitskriterium imstande sein, das ihr zugrundeliegende Regulierungsziel zumindest annähernd zu erreichen und im Sinne des Erforderlichkeitskriteriums unter mehreren für die Erreichung des verfolgten Ziels geeigneter Maßnahmen diejenige sein, die am wenigsten belastend für das betroffene Interesse wirkt. Die im Blick auf diese beiden Prüfungskriterien an die verhältnisgerechte Ausgestaltung einer Glücksspielmaßnahme zu stellenden Ansprüche können aufgrund ihrer prüfungstechnischen Anbindung an das jeweilige Regulierungskonzept nicht immer mit letzter Präzision determiniert werden. Nichtsdestoweniger lässt sich der hierbei anzulegende Maßstab auf eine abstrahierte Kurzformel bringen: Je restriktiver die Glücksspielmaßnahme, desto höher muss das verfolgte Schutzniveau sein, um sie – die Maßnahme – im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als geeignet und erforderlich erscheinen zu lassen. Unter Wahrung dieses Grundsatzes erachtet der EuGH selbst die Errichtung eines wettbewerbsfeindlichen Monopols für verhältnisgerecht.

Dritter Teil

Das Gebot der Kohärenz als besondere unionsrechtliche Determinante der mitgliedstaatlichen Glücksspielregulierung In unmittelbarer Anknüpfung an den vorstehenden Befund gilt es nun der Frage nachzugehen, wie sich das Gebot der Kohärenz in die dargelegten Rahmenvorgaben des EU-Wirtschaftsrechts einfügt. Zur Erhellung seiner dahingehenden Stellung und Bedeutung wendet sich der Blick zunächst auf die kohärenzbezogene Glücksspielrechtsprechung des EuGH (unter B. I.), um auf Grundlage der hier getroffenen Aussagen das Bild von der Funktion, Struktur und Wirkkraft des Kohärenzgebots weiter zu verdichten (unter B. II.). Dem werden einführende Bemerkungen zum Kohärenzgebot vorausgeschickt (unter A.). Unter Würdigung seines juristischen Nutzwerts stellt sich im weiteren Fortgang der Erörterung die Frage nach seinen Potenzialen und Problemhorizonten (unter B. III.). Den Schlussstein dieses Untersuchungsteils bildet eine Rekapitulation der gewonnenen Erkenntnisse (unter C.).

A. Vorbemerkungen Um ein angemessenes Vorverständnis für den Hauptteil der nachfolgenden Abhandlung zu schaffen, soll in gebotener Kürze zunächst der Frage nach dem unionsrechtlichen Ursprung der Forderung nach Kohärenz nähergetreten werden, um darauf aufbauend diese Forderung in den hier interessierenden Kontext der mitgliedstaatlichen Glücksspielregulierung einzuordnen.

I. (Unions-)Rechtsnormative Ursprünge der Forderung nach Kohärenz Die rechtsnormativen Ursprünge der unionsrechtlichen Forderung nach Kohärenz wurzeln im geschriebenen Normgefüge der Unionsverträge; dort ist der Terminus als eigenständiger Rechtsbegriff an zahlreichen Stellen positiv-rechtlich niedergelegt, wobei sich – entsprechend dem jeweiligen Normzusammenhang – dessen Sinngehalt als überaus vielschichtig präsentiert. Im unmittelbaren rechtssystematischen bzw. rechtstechnischen Zusammenhang zum Kohärenzbegriff bewegen sich in den Unionsverträgen jeden-

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

falls die Topoi Ein­ heitlichkeit,1 Integrität,2 Effizienz,3 Wirksamkeit4 und 5 6 Kontinuität . Eine leitbildartige Zentrierung erfahren diese Erwägungen in Art. 7 AEUV, dessen Wortlaut es der Union zur Pflicht macht, „die Kohärenz zwischen ihrer Politik und ihren Maßnahmen in den verschiedenen Bereichen“ zu achten und „dabei […] ihren Zielen in ihrer Gesamtheit Rechnung“ zu tragen. Die Bestimmung fixiert das allgemeine Kohärenzgebot der Unionsverträge und zwar im Gewand einer Querschnittsklausel, deren Adressat nach der Neufassung der Verträge die zu einer einheitlichen Rechtspersönlichkeit erstarkte Union ist.7 Wie auch schon unter der Ägide des EU-/EG-Vertrages8 trägt das Kohärenzprinzip dabei den Charakter eines sämtliche Kompetenzsphären und Tätigkeitsfelder der EU umgreifenden Handlungs- und Rechtsgestaltungsprinzips mit objektiv-institutioneller Wirkungsrichtung.9 Aus ihm lässt sich die Verpflichtung herleiten, die Kohärenz als übergeordnetes Leitmotiv im Rahmen unionaler Entscheidungsprozesse zu begreifen und dabei stets – dem Nuancenreichtum an Kompetenzen und Maßnahmen zum Trotze – den Gesamtzusammenhang, das „große Ganze“, nicht aus den Augen zu verlieren.10 Unter diesem politisch-juristischen Blickwinkel zielt das Kohärenzpostulat also auf die Wahrung von Stimmigkeit und – kehrseitig – die Vermeidung zusammenhangsloser Politik auf der Ebene der Union, um dadurch eine an der „Herstellung von Zusammenhängen im Sinne eines harmonischen Gan­ zen“11 orientierte Politik zu ermöglichen.12 1  Art. 26

Abs. 2 UAbs. 2 EUV u. Art. 256 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV. Abs. 3 AEUV. 3  Art. 13 Abs. 1 UAbs. 1 u. Art. 17 Abs. 6 EUV. 4  Art. 26 Abs. 2 UAbs. 2 EUV. 5  Vgl. Art. 13 Abs. 1 UAbs. 1 EUV. 6  Zusammenstellung nach Ennuschat, ZfWG 2012, S. 305 (307). 7  Eine Konkretisierung nach bestimmten Politikbereichen der Union erfährt das allgemeine Kohärenzprinzip unterdessen durch eine Vielzahl spezieller, in den Unionsverträgen niedergelegten Ausprägungen, die zwischen unterschiedlichen Gesichtspunkten der Kohärenz unterscheiden, so z. B. das die Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit betreffende Kohärenzgebot (vgl. insoweit Art. 18 Abs. 4 S. 2, Art. 21 Abs. 3 UAbs. 2 EUV bzw. Art. 208 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 AEUV) oder das sich auf den institutionellen Rahmen der Europäischen Union beziehende Kohärenzgebot (vgl. Art. 13 EUV bzw. Art. 3 Abs. 3 UAbs. 3 AEUV). 8  Das Kohärenzgebot wurde erstmals im Vertrag von Maastricht in Art. 3 EUV berücksichtigt und hat in leicht modifizierter Form durch Art. 7 AEUV Eingang in den Vertrag von Lissabon gefunden, so Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 7 AEUV (Rn. 4). 9  Schorkopf, DÖV 2011, S. 260 (262). 10  Vgl. Schorkopf, in: Kirchhof/Magen/Schneider, Dogmatik, S. 139 (143 ff.). 2  Art. 349



A. Vorbemerkungen57

II. Anwendungsfelder und Geltungsgrad im Kontext der Grundfreiheiten Die expressis verbis in den Unionsverträgen verankerten Kohärenzgebote richten sich indes schon ihrem Normtext nach zuvorderst an die Union als solche, d. h. deren Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen. Zur Klarstellung sei insoweit darauf hingewiesen, dass in konstitutiver Abgrenzung dazu bei dem im Mittelpunkt dieser Arbeit stehenden, glücksspielbezogenen Kohärenzgebot durchgehend die einzelnen Mitgliedstaaten mitsamt ihrer Trabanten zum Kreis der Verpflichtungsadressaten rechnen. In diesem Verständnis ist das Kohärenzerfordernis eine genuine Schöpfung des richterrechtlichen Unionsrechts,13 das seine Geburtsstunde im Rahmen des 2003 zur italienischen Glücksspielregulierung gefällten Gambelli-Urteils14 erlebte. Die vom EuGH erhobene Forderung nach Stimmigkeit in einem mitgliedstaatlichen Regulierungssystem repräsentiert allerdings kein grundstürzendes oder auf den Glücksspielsektor beschränktes Novum; das Gebot der Kohärenz hat prägende Vorläufer15 und findet seit einiger Zeit darüber hinaus auch in unionsgerichtlichen Verfahren außerhalb des Glücksspielkontexts Berücksichtigung, so namentlich insbesondere bei der Überprüfung mitgliedstaatlicher Regelungen aus den Sphären des öffentlichen Gesundheitswesens16 und des Steuerrechts17. Auf das Kohärenzpostulat rekurriert der EuGH vor diesem Hintergrund dann, wenn grundfreiheitsbeschränkende Maßnahmen in Prüfung stehen, die traditionell vom nationalen Verständnis geprägten Regulierungsfeldern ent11  Ruffert,

in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 7 AEUV (Rn. 2). Schorkopf, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 7 AEUV (Rn. 8 ff.); Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 7 AEUV (Rn. 5). 13  Vgl. Pieroth/Kolbe, in: Hartmann/Pieroth, Spielbanken und Spielhallen, S. 9 (69); Schorkopf, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 7 AEUV (Rn. 11). 14  EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 73 ff.) – Gambelli. 15  Kohärenzbezogene Denkfiguren bemühte der EuGH zumindest in Ansätzen beispielsweise in der Cassis-de-Dijon-Entscheidung, EuGH, Rs. 120/78, NJW 1979, S. 1766 (Rn. 8 ff.), darauf hinweisend Petersen, AöR 2013, S. 109 (125). 16  EuGH, verb. Rs. C-159/10 u. a., NVwZ 2011, S. 1249 (Rn. 85) – Fuchs u. a.; EuGH, Rs. C-137/09, EuZW 2011, S. 219 (Rn. 70) – Josemans; EuGH, C-341/08, EuZW 2010, S. 137 (Rn. 53) – Petersen; EuGH, Rs. C-169/07, EuZW 2009, S. 298 (Rn. 55)  – Hartlauer; EuGH, C-171/07, EuZW 2009, S. 409 (Rn. 35) – Apothekenkammer des Saarlandes; EuGH, Rs. C-500/06, EuZW 2008, S. 505 (Rn. 39) – Corporación Dermoestética. 17  EuGH, Rs. C-319/02, EuZW 2005, S. 19 (Rn. 42) – Manninen; EuGH, Rs. 279/93, NJW 1995, S. 1207 (Rn. 40) – Schumacker; EuGH, Rs C-238/89, EuZW 1991, S. 181 (Rn. 28) – Bachmann; siehe zur Funktion und Bedeutung des Kohärenz­ gebots im Steuerrecht aus dem Schrifttum Wernsmann, EuR 1999, S. 754 (754 ff.). 12  Ähnlich

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

stammen. Hier fungiert das Kohärenzgebot als eine Art nivellierender Regulator und Mittler zwischen dem mitgliedstaatlichen Interesse an einem möglichst ausgeprägten Maß an autonomer Gestaltungsfreiheit einerseits und dem unionalen Anspruch an einem möglichst hohen „Input“ des Unionsrechts in die nationalen Rechtsordnungen andererseits. Trotz seiner grundsätzlich sachbereichsübergreifenden Berücksichtigung wird das Kohärenzgebot gleichwohl im hohen Maße durch die spezifische mitgliedstaatliche Regelungsdomäne, in der es jeweils zur Anwendung kommt, geprägt. Die vom EuGH im Zusammenhang der Grundfreiheiten aufgestellte Forderung nach Stimmigkeit kann also nur akzessorisch-relational zum jeweils in Rede stehenden Referenzgebiet aufgefasst werden. Aufgrund dessen würde in der Anlegung sachbereichsübergreifender Kohärenzmaßstäbe eine grobe Verkennung seiner sektorenspezifischen Wirkrichtung liegen. Insofern hervorgehoben sei, dass die vorliegende Arbeit das Kohärenz­ postulat im Grundsatz ausschließlich als unionsrechtliche Determinante der mitgliedstaatlichen Glücksspielregulierung behandelt; erst durch seine Zu­ ordnung zum „sehr spezifischen Markt für Glücksspiele“18 erfährt es seine konkrete Materialisierung. Hier verzeichnet das Kohärenzpostulat die gegenwärtig höchste Präsenz und hat dort mittlerweile den Stellenwert eines Leitprinzips und „Autoritätsarguments“19 inne.20

B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH Wie bereits erwähnt bildet das Kohärenzgebot eine neuere, in rechtsschöpferischer Weise vom EuGH in die grundfreiheitliche Prüfungsdogmatik getragene Rechtsfigur. Seine materiellen Gehalte bezieht das Postulat damit allein aus der Spruchpraxis des Gerichtshofs. Die zu verzeichnenden Urteile markieren dabei Glieder der ein gutes Jahrzehnt andauernden Rechtsprechungskette zu verschiedenen Gesichtspunkten der glücksspielbezogenen Kohärenz. Ein umfassendes Verständnis – soweit man zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon überhaupt sprechen kann – der gerichtlichen Kohärenzmaßstäbe im Themenkomplex Glücksspiel erschließt sich daher erst bei einer detaillierten Betrachtung der einzelnen Entscheidungen, wenn nicht gar erst a posteriori nach einer Extrahierung und reflektierenden Zusammenschau der in den einzelnen Judikaten aufgeführten Urteilsgründe.

Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 31) – Digibet/Albers. EuZW 2014, S. 814 (817). 20  Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Einf. (Rn. 44). 18  EuGH,

19  Hartmann,



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 59

Das nachfolgende Kapitel unternimmt es daher in einem ersten Schritt, die bislang vor dem EuGH in Glücksspielsachen geführten Verfahren in chronologischer Abfolge vorzustellen (unter I.). Hierbei geht es nicht um Vollständigkeit,21 sondern um eine Auswahl derjenigen Entscheidungen, die – gemessen an ihrem Aussagewert – eine Wesentlichkeit für die Fortentwicklung des Kohärenzkriteriums beanspruchen können. Auf Grundlage der im Rahmen der Urteile gefällten Feststellungen sollen im darauffolgenden Abschnitt die gewonnenen Erkenntnisse sodann im Zuge einer resümierenden Analyse nach verschiedentlichen (Kohärenz-)Aspekten geordnet und in Auseinandersetzung mit den Stimmen aus Rechtswissenschaft und -praxis aus einer Art Retrospektive heraus beleuchtet, typologisiert (unter II.) und gewürdigt (unter III.) werden.

I. Bestandsaufnahme: EuGH-Glücksspielverfahren mit Kohärenzbezug in ihrer Chronologie (Auswahl) Die nachfolgende Darstellung umfasst eine knappe Schilderung des dem jeweiligen Verfahren zugrunde liegenden Sachverhalts sowie dessen rechtliche Würdigung durch den Europäischen Gerichtshof. 1. Rechtssache Zenatti Ihren Auftakt nahm die kohärenzbezogene EuGH-Glücksspielrechtsprechung in dem zur italienischen Glücksspielregulierung ergangenen ZenattiUrteil. Im Zuge der in das Jahr 1999 datierenden Entscheidung fand das Kohärenzgebot zwar noch keine explizite Erwähnung, gleichwohl aber der hinter ihm stehende Grundgedanke. Das Verfahren betraf ein Regelungsregime, welches die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten in Italien ausschließlich zwei staatsnahmen Einrichtungen zusprach.22 Letztere konnten wiederum bei Vorliegen bestimm­ ter Kriterien (z. B. Zuverlässigkeitsprüfung) eine limitierte Anzahl von Lizen­ zen an Einzelpersonen vergeben. Der Glücksspielunternehmer Zenatti zählte nicht zum dahingehend privilegierten Veranstalterkreis. Trotzdem vermittelte er für einen in Großbritannien ansässigen und dort lizenzierten Buchmacher Sportwetten an italienische Staatsangehörige. In Anwendung der italienischen Rechtsvorschriften wurde 21  Eine erschöpfende Darstellung sämtlicher bis zum Jahre 2013 vor dem EuGH geführten Glücksspielverfahren findet sich bei Hautmann, Spielverlust und Europarecht, S.  61 ff. 22  Vgl. EuGH, Rs. C-67/98, EuZW 2000, S. 151 (Rn. 3 ff.) – Zenatti.

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

ihm diese Tätigkeit untersagt, wogegen sich Zenatti im Klageweg zur Wehr setzte. Nach Erschöpfung des nationalen Instanzenzuges ersuchte das letztverhandelnde Gericht schließlich den EuGH um Vorabentscheidung zur Frage nach der Gemeinschaftsrechtskonformität des vorgenannten Rechtsregimes. In der Urteilsbegründung führte der Gerichtshof zunächst unter umfassendem Verweis auf seine zeitlich vorangegangene Glücksspielrechtsprechung23 aus, dass die vom italienischen Gesetzgeber ausgewiesenen, insbesondere an das Ziel der Spielsuchtbekämpfung gebundenen, legitimen Regulierungsgründe eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit grundsätzlich zu rechtfertigen vermögen.24 Zugleich ließ er allerdings Zweifel anklingen, ob die inkriminierte Regelung angesichts ihrer von Expansion gekennzeichneten konkreten Anwendungsmodalitäten tatsächlich – wie behauptet – vorrangig dem Schutze der Verbraucher und der Sozialordnung zu dienen bestimmt sei. In Reaktion darauf stellte der EuGH erstmals, wenngleich nur am Rande des Urteils, klar, dass grundfreiheitsbeschränkende Glücksspielmaßnahmen nur dann als gerechtfertigt im Sinne der Grundfreiheitsdogmatik angesehen werden könnten, „wenn sie in erster Linie wirklich dem Ziel dienen, die Gelegenheit zum Spiel zu vermindern“25. Zudem dürfe die Finanzierung sozialer Belange nur eine erfreuliche Nebenfolge, nicht aber der eigentliche Geltungsgrund einer solchen Regelung sein.26 Die konkrete Judiz, ob die verfahrensgegenständliche diesen Anforderungen gerecht wird, überantwortete der EuGH indes dem vorlegendem Gericht.27 2. Rechtssache Gambelli Eine erste strukturelle Modellierung erfuhr das Kohärenzgebot im Zuge des zur italienischen Rechtslage ergangenen Gambelli-Urteils. Etwa vier Jahre nach dem Urteilsspruch in der Rechtssache Zenatti sah sich der EuGH 2003 abermals mit einer Vorabentscheidung zum italienischen Glücksspielrecht konfrontiert. Der Ausgangssachverhalt in der Rechtssache Gambelli war jenem des vorangegangenen Verfahrens recht ähnlich: Wie Herr Zenatti vermittelte auch der italienische Glücksspielunternehmer Gambelli für einen nach britischem Recht lizenzierten Buchmacher Sportwetten an italienische Staatsangehörige, ohne dabei über die von Gesetzes wegen notwendige Konzession 23  Siehe insoweit EuGH, Rs. C-124/97, EuZW 2000, S. 148 (Rn. 33) – Läärä; EuGH, Rs. C-275/92, NJW 1994, S. 2013 (Rn. 58) – Schindler. 24  EuGH, Rs. C-67/98, EuZW 2000, S. 151 (Rn. 33 ff.) – Zenatti. 25  EuGH, Rs. C-67/98, EuZW 2000, S. 151 (Rn. 36) – Zenatti. 26  EuGH, Rs. C-67/98, EuZW 2000, S. 151 (Rn. 36) – Zenatti. 27  EuGH, Rs. C-67/98, EuZW 2000, S. 151 (Rn. 37) – Zenatti.



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 61

zu verfügen.28 Jenes Geschäftsgebaren zog ein Strafverfahren nach sich, in dessen Rahmen das Gericht Zweifel an der Europarechtskonformität der betreffenden Konzessionsregelung hegte; die Zweifel gründeten sich auf die gerichtliche Einschätzung, dass die Vorschrift ersichtlich vom Zweck geleitet würde, eine Gruppe privater Glücksspielunternehmer vor (ausländischer) Konkurrenz zu schützen und nur vordergründig der Wahrung der öffentlichen Ordnung zu dienen bestimmt sei.29 Zudem schilderte das Strafgericht dem EuGH einen offensichtlichen Widerspruch: Die nationalen Regelungen beschränkten einerseits rigoros die Möglichkeit zur Annahme von Sportwetten durch ausländische Unternehmer, erlaubten aber andererseits dem italienischen Staat eine Politik der Angebotsausweitung zu betreiben, um dadurch Einnahmen für die Staatskasse zu erzielen.30 Angesichts dieser Befunde und mit Blickrichtung auf die vom EuGH in der Rechtssache Zenatti eingenommenen Standpunkte vermutete das Strafgericht die Europarechtswidrigkeit der Regelungen und ersuchte den EuGH um eine Vorabentscheidung.31 In seiner Urteilsbegründung wies der Gerichtshof unter Rekurs auf seine vorangegangene Glücksspielrechtsprechung zunächst auf die Rechtfertigungsmöglichkeit von grundfreiheitsbeschränkenden Glücksspielmaßnahmen durch anerkannte Gemeinwohlbelange hin und benannte dabei im Konkreten das Anliegen der Spielsuchteindämmung.32 Zur Frage der verhältnismäßigen Ausgestaltung der inkriminierten Konzessionsregelung führte er jedoch erstmals – wenngleich eher beiläufig – aus, dass derlei Beschränkungen imstande sein müssten, „die Verwirklichung der Ziele in dem Sinne zu gewährleisten, dass sie kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeit beitragen“33. Hierbei nahm der EuGH auf die Schilderung des vorlegenden Gerichts zu den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen Stellung und judizierte, dass sich ein Mitgliedstaat nicht zur Rechtfertigung auf das Ziel der Spielsuchteindämmung berufen könne, wenn seine Behörden gleichzeitig durch offensive Werbekampagnen die Verbraucher zur Teilnahme am Glücksspiel anreizten und ermunterten, um dadurch Einnahmen für die Staatskasse zu erwirtschaften.34 Die konkrete Judiz, ob die fragliche Regelung diesen Anforderungen genügt, stellte der EuGH wiederum in die Entscheidungsgewalt des vorlegenden Gerichts.35 EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 9 ff.) – Gambelli. Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 17 ff.) – Gambelli. 30  EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 21) – Gambelli. 31  EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 19) – Gambelli. 32  EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 66) – Gambelli. 33  EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 67) – Gambelli. 34  EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 67 ff.) – Gambelli. 35  EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 53 ff.) – Gambelli. 28  Vgl.

29  EuGH,

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

3. Rechtssache Placanica u. a. In der wiederholt die italienische Regulierungspraxis betreffenden Rechtssache Placanica u. a. aus dem Jahr 2007 erhielt der EuGH erneut Gelegenheit, sich zum Postulat der Kohärenz zu äußern. Die dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalte entsprachen im Wesentlichen denen der vorangegangen Entscheidungen Gambelli und Zenatti. Auch in der Rechtssache Placanica u. a. hatte sich der EuGH anhand der – weithin unveränderten – Gesetzeslage mit einer Regelung auseinanderzusetzen, welche die Veranstaltung und Vermittlung von Glücksspielen in Italien einem Konzessions- und polizeilichen Genehmigungserfordernis unterwarf und etwaige Verstöße mit einer Freiheitsstrafe sanktionierte. Wegen des Fehlens derartiger Genehmigungen leitete die Staatsanwaltschaft auf Grundlage dieser Bestimmung ein Strafverfahren u.a gegen Herrn Placanica ein, dem vorgeworfen wurde, gesetzeswidrig Wetten an einen britischen Buchmacher vermittelt zu haben.36 Die mit der Angelegenheit befassten italienischen Gerichte gelangten zu der Feststellung, dass der italienische Gesetzgeber seit Jahren eine expansive Glücksspielpolitik verfolgte und mit den Konzessionsregelungen – anders als in der Gesetzesbegründung angeführt – nicht die Eindämmung des Glücksspielangebots und damit der Spielsuchtbekämpfung bezwecke; vielmehr zielten die Regelungen tatsächlich darauf ab, die Wetttätigkeit in kontrollierte Bahnen zu lenken, um ihre Ausbeutung zu kriminellen Zwecken zu verhindern. Aufgrund dieser Sachgegebenheiten hegten die verhandelnden Gerichte Zweifel an der Europarechtskonformität der einschlägigen Rechtsvorschriften und initiierten ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen. In der Urteilsbegründung stellte der EuGH – die Paradigmen seiner vorangegangenen Rechtsprechung rezitierend – zunächst klar, dass die gesetzgeberische Zielsetzung der Spielsuchtbekämpfung eine Beschränkung der Grundfreiheiten prinzipiell zu rechtfertigen vermag, soweit die entsprechende Maßnahme tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, die Gelegenheit „zum Spiel zu vermindern und die Tätigkeiten in diesem Bereich kohärent und systematisch zu begrenzen“37. Dabei betonte er, dass die Rechtfertigungsprüfung gesondert für jedwede Beschränkung durch die nationalen Vorschriften im Hinblick auf das jeweils verfolgte Ziel vorzunehmen sei.38

36  Vgl. EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 3 ff.) – Placanica u. a. 37  EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 53) – Placanica u. a. 38  EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 49) – Placanica u. a.



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 63

Weiter judizierte der EuGH, dass eine expansive Angebotspolitik dem zur Legitimation der grundfreiheitsbeschränkenden Regelung vorgebrachten Ziels der Spielsuchtbekämpfung entgegenstehe. Eine Ausweitung des Glücksspielangebots verwehre es den Mitgliedstaaten dagegen prinzipiell nicht, sich auf das Regulierungsziel der Kriminalitätsbekämpfung zu berufen, welches auch der EuGH als das eigentliche Ziel der italienischen Konzessionsregelungen identifizierte.39 Eine Politik der kontrollierten Expansion der erlaubten Glücksspieltätigkeit könne nämlich die in die Illegalität abgewanderten Spieler dazu veranlassen, das staatlich autorisierte Glücksspielangebot in Anspruch zu nehmen und dadurch die Wetttätigkeit illegaler Anbieter zu verringern. Hierfür könne es auch erforderlich erscheinen, eine verlässliche und zugleich attraktive Alternative bereitzustellen, was „das Angebot von einer breiten Palette von Spielen, einen gewissen Werbeumfang und den Einsatz neuer Vertriebstechniken mich sich bringen“40 könne. 4. Rechtssache Liga Portuguesa Gewisse Impulse zur Konkretisierung der aus dem Kohärenzgebot erwachsenen Anforderungen setzte alsdann die anno 2009 zum portugiesischen Glücksspielrecht gefällte EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Liga Portuguesa. Dem Anlassfall zugrunde lag ein Rechtsstreit zwischen der portugiesischen Fußballiga (Liga Portuguesa) sowie dem in Gibraltar lizenzierten Glücksspielanbieter Bwin einerseits und der staatsnahen und gemeinnützigen Einrichtung Santa Casa andererseits. Allein Letzterer war es auf Grundlage einer Monopolregelung gestattet, Glücksspiele in Portugal zu veranstalten und über das Internet zu vertreiben.41 Davon unbeeindruckt offerierte Bwin – beworben u. a. durch Sponsoringmaßnahmen der portugiesischen Fußballiga – über seine Internetpräsenz den in Portugal ansässigen Verbrauchern eine Vielzahl von Online-Glücksspielen. Da sich Bwin im Rahmen des darauffolgenden nationalen Gerichtsverfahrens zur Rechtfertigung seiner Aktivitäten auf die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts berief, fassten die verhandelnden Gerichte den Entschluss, die Streitsache auszusetzen und ein Vorabentscheidungsersuchen einzuleiten. In der knappen Urteilsbegründung galten die Ausführungen des Gerichthofs im Wesentlichen der grundfreiheitlichen Rechtfertigungsprüfung: Hierzu konstatierte der EuGH zunächst, „dass eine nationale Regelung nur dann verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 56) – Placanica u. a. verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 55) – Placanica u. a. 41  Vgl. EuGH, Rs. C-42/07, NJW 2009, S. 3221 (Rn. 2 ff.) – Liga Portuguesa. 39  EuGH, 40  EuGH,

64

3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

geeignet ist, die Erreichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen“42. Sodann projizierte er diese Anforderung auf die portugiesische Rechtslage und führte dazu aus, dass den portugiesischen Regelungen hauptsächlich das Anliegen der Kriminalprävention zugrunde läge. Weiter existiere im Segment des Internetglücksspiels für die Verbraucher aufgrund der „Höhe der Beträge, die mit ihnen eingenommen werden können, und der Gewinne, die sie den Spielern bieten können, eine erhöhte Gefahr von Betrug und anderen Straftaten“43. Außerdem berge das internetbasierte Glücksspiel im Vergleich zum herkömmlichen Glücksspielmarkt wegen des fehlenden unmittelbaren Kontakts zwischen dem Verbraucher und dem Anbieter anders geartete und größere Gefahren in sich.44 Deshalb erbringe die Verleihung von Ausschließlichkeitsrechten an einen Glücksspielveranstalter den Vorteil, den Spielbetrieb in kontrollierte Bahnen zu lenken und die Gefahren von Betrug und anderen Straftaten auszuschalten.45 Das mit dem Monopol einhergehende Internetverbot werde daher dem Anliegen gerecht, das Ziel der Kriminalitätsbekämpfung in kohärenter Weise zu erreichen.46 5. Rechtssache Ladbrokes Eine Veranlassung, weitere Akzente zur Ausformung des Kohärenzkriteriums zu setzen, bot dem EuGH die im Juni 2010 zum niederländischen Glücksspielrecht ergangene Entscheidung zur Rechtssache Ladbrokes. Im Kern dieses Verfahrens ging es um die Unionsrechtskonformität einer Regelung, die das ausschließliche Recht zur Durchführung von Glücksspielen in den Niederlanden einem einzigen, staatsnahen Anbieter – der als gemeinnützige Stiftung organsierten De Lotto – zusprach und darüber hinaus den Vertrieb von Glücksspieldienstleistungen über das Internet gänzlich ausschloss.47 Dennoch bot Ladbrokes – ein nach britischem Recht lizenzierter Glücksspielanbieter – den in den Niederlanden ansässigen Verbrauchern eine Vielzahl von Glücksspielen über seine Internetpräsenz an.48 Daraufhin erwirkte De Lotto ein entsprechendes Unterlassungsurteil gegen Ladbrokes, welches zum Gegenstand einer Reihe von Berufungsverfahren wurde. Nach Erschöpfung des nationalen Instanzenzuges hielt das letztverhandelnde Rs. C-42/07, NJW 2009, S. 3221 (Rn. 61) – Liga Portuguesa. Rs. C-42/07, NJW 2009, S. 3221 (Rn. 63) – Liga Portuguesa. 44  EuGH, Rs. C-42/07, NJW 2009, S. 3221 (Rn. 70) – Liga Portuguesa. 45  EuGH, Rs. C-42/07, NJW 2009, S. 3221 (Rn. 64) – Liga Portuguesa. 46  EuGH, Rs. C-42/07, NJW 2009, S. 3221 (Rn. 67) – Liga Portuguesa. 47  Vgl. EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 2 ff.) – Ladbrokes. 48  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 10) – Ladbrokes. 42  EuGH, 43  EuGH,



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 65

Gericht die Auslegung von Unionsrecht zur Entscheidungsfindung für unabdingbar, da es unter dem Gesichtspunkt der Kohärenz Zweifel an der Unionsrechtskonformität der verfahrensgegenständlichen Monopolregelung hegte. Die Zweifel gründeten sich auf dem Umstand, dass die Monopolregelung seinem Inhaber De Lotto das Recht verliehen hatte, sein Angebot auf dem Markt durch die Einführung neuer Glücksspiele und vermittels Werbung attraktiver zu machen.49 Unter dieser Fragestellung gelangte der EuGH in seiner Urteilsbegründung zunächst zu der Einsicht, dass mit der betreffenden Monopolregelung sowohl das anerkannte Gemeinwohlziel der Spielsuchtprävention als auch das der Kriminalitätsabwehr verfolgt werde.50 Ungeachtet dessen müsse die Regelung – so der Gerichtshof unter Verweis auf seine vorangegangene Judikatur – aber auch geeignet sein, die deklarierten Anliegen in kohärenter Weise zu verwirklichen.51 Diesbezügliche Zweifel seien insoweit angebracht, als es die Monopolregelung dem Monopolinhaber erlaube, sein Angebot auf dem Markt durch die Einführung neuer Glücksspiele und durch Platzierung von Werbung attraktiver zu machen.52 Zugleich hob der Gerichtshof jedoch – unter Verweis auf seine Placanica-Entscheidung – hervor, dass eine Politik der kontrollierten Expansion im Glücksspielsektor durchaus Ausdruck einer kohärenten Glücksspielregulierung sein könnte, sofern sich in ihr der Gedanke reflektiere, Spieler zum Übergang von illegalen zu erlaubten und geregelten Glücksspielaktivitäten zu veranlassen.53 Zur Erreichung dieses Kanalisierungsziels sei es erforderlich, „dass die zugelassenen Veranstalter eine verlässliche und zugleich attraktive Alternative zur verbotenen Tätigkeit bereitstellen, was als solches das Angebot einer breiten Palette von Spielen, einen gewissen Werbeumfang und den Einsatz neuer Vertriebstechniken mit sich bringen“54 könne. Einschränkend wies der EuGH allerdings darauf hin, dass seine im Urteil Placanica u. a. getroffenen Aussagen zur möglichen Zulässigkeit einer solchen Expansionspolitik nur im Hinblick auf das Ziel der Kriminalitätsbekämpfung Geltung beanspruchen könnten, während die verfahrensgegenständliche, niederländische Regelung ersichtlich auch die Eindämmung der Spielsucht bezweckte.55 Insoweit führte er aus, dass die Zielsetzung der 49  EuGH, 50  EuGH, 51  EuGH, 52  EuGH, 53  EuGH, 54  EuGH, 55  EuGH,

Rs. Rs. Rs. Rs. Rs. Rs. Rs.

C-258/08, C-258/08, C-258/08, C-258/08, C-258/08, C-258/08, C-258/08,

EuZW EuZW EuZW EuZW EuZW EuZW EuZW

2010, 2010, 2010, 2010, 2010, 2010, 2010,

S. 593 S. 593 S. 593 S. 593 S. 593 S. 593 S. 593

(Rn. 14) – (Rn. 23) – (Rn. 21) – (Rn. 23) – (Rn. 25) – (Rn. 25) – (Rn. 26) –

Ladbrokes. Ladbrokes. Ladbrokes. Ladbrokes. Ladbrokes. Ladbrokes. Ladbrokes.

66

3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

Spielsuchtbekämpfung prinzipiell nur schwerlich mit einer expansionistischen Glücksspielpolitik vereinbar sei; eine derartige Politik könne nur dann als kohärent erscheinen, wenn das rechtswidrige Glücksspielangebot einen erheblichen Umfang aufweise und die Expansionspolitik auf die wirksame Kanalisierung der Spiellust in rechtmäßige Bahnen abziele.56 Deshalb müsse „das richtige Gleichgewicht gefunden werden zwischen dem Erfordernis einer, das Glücksspielangebot für die Öffentlichkeit attraktiv zu machenden kontrollierten Expansion und der Notwendigkeit, die Spielsucht der Verbraucher so weit wie möglich zu verringern“57. Eckpunkte dieses eingeforderten – durch die nationalen Gerichte zu prüfenden –58 Ausgleichs seien eine maßvolle Werbung ausgewogenen Inhalts und Maßnahmen zur Eindämmung übermäßiger Teilnahme einzelner Spieler an Glücksspielen.59 Zudem müsse gewährleistet sein, dass die nationalen Behörden die Expansion der Glücksspiele sowohl hinsichtlich des Umfangs der von den Monopolveranstaltern durchgeführten Werbung als auch bezüglich der Schaffung neuer Spiele durch diese Veranstalter wirksam kontrollieren.60 6. Rechtssache Stoß u. a. und Rechtssache Carmen Media Nachhaltige Schübe bei seiner weiteren Konsolidierung erfuhr das Kohärenzgebot im Zuge der erstmals die deutsche Glücksspielregulierung betreffenden, im September 2010 (datumgleich) ergangenen Urteile zu den Rechtssachen Stoß u. a. und Carmen Media. Beiden Entscheidungen lagen weitgehend identische Vorlagefragen zugrunde, weshalb in dieser Hinsicht eine zusammenfassende Darstellung ihrer Aussagegehalte angezeigt ist. Das Ausgangsverfahren der Rechtssache Stoß u. a. betraf einen Rechtsstreit zwischen einerseits in Hessen und Baden-Württemberg ansässigen Betreibern von Geschäftslokalen, in denen für im Ausland niedergelassene Glücksspielanbieter Sportwetten vermittelt wurden, und andererseits den jeweils zuständigen Ordnungsbehörden. Nachdem Letztere den Inhabern, Herrn Stoß eingeschlossen, die Vermittlungstätigkeit wegen des Fehlens entsprechender Erlaubnisse untersagt hatten, erhoben die Wettvermittler Klagen vor den zuständigen Verwaltungsgerichten61.62 Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 29 f.) – Ladbrokes. Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 32) – Ladbrokes. 58  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 26) – Ladbrokes. 59  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 34–35) – Ladbrokes. 60  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 37) – Ladbrokes. 61  VG Stuttgart, Az. 4 K 4435/06, ZfWG 2007, S. 313 (313 ff.); VG Gießen, Az. 10 E 13/07, juris. 62  Vgl. EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, 1409 (Rn. 2 ff.) – Stoß u. a. 56  EuGH, 57  EuGH,



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 67

In dem Vorlagefall Carmen Media ging es dagegen um eine Auseinandersetzung zwischen der Carmen Media Group – einem in Gibraltar lizenzierten Glücksspielunternehmen – und dem Land Schleswig-Holstein. Weil das Unternehmen die Absicht hegte, mit seinem internetbasierten Sportwettenangebot in den deutschen Markt zu streben, beantragte es bei der schleswigholsteinischen Landesverwaltung eine entsprechende Lizenz, die allerdings abschlägig beschieden wurde. Daraufhin begehrte Carmen Media klageweise63 die Feststellung, dass angesichts ihrer in Gibraltar erteilten Lizenz das Anbieten ihrer Wettdienstleistungen via Internet auch in Schleswig-Holstein zulässig sei.64 Sowohl die klagenden Parteien in der Rechtssache Stoß u. a. als auch die Carmen Media Group stützten ihre Anliegen insbesondere auf die – von ihrem Standpunkt aus – inkohärente und damit unionsrechtswidrige Ausgestaltung des seinerzeit in den deutschen Bundesländern zugunsten der jeweiligen Landeslotteriegesellschaften normierten Sportwettenmonopols.65 Auch die mit den jeweiligen Angelegenheiten befassten Verwaltungsgerichte sahen einen diesbezüglichen Klärungsbedarf und wandten sich mit entsprechenden Vorlagebeschlüssen an den EuGH. Ihre Gesuche waren inhaltlich vor allem auf die Klärung der Frage gerichtet, wie sich die Begebenheit auf die Kohärenz des suchtpräventiv grundierten Monopolregimes auswirkt, dass nach deutschem Recht Lotterien und Sportwetten einem unter staatlicher Trägerschaft eingerichteten Monopol unterfallen, während außerhalb des Monopols stehende und mit einem höheren Suchtgefährdungspotenzial behaftete Glücksspiele (z. B. Pferdewetten und das gewerbliche Automatenspiel) von privater Seite veranstaltet werden dürfen. Zudem wollten sie wissen, welche Folgen der Umstand für die dahingehende Kohärenzbeurteilung nach sich zöge, dass die Monopolinhaber, trotz des erklärten Ziels der Spielsuchtbekämpfung, potenzielle Spiele zur Teilnahme an den monopolisierten Glücksspielen durch umfangreiche Werbeaktivitäten ermunterten. In beiden Urteilsbegründungen stellte der EuGH zu den aufgeworfenen Fragen im Sinne seiner bisherigen Diktion zunächst klar, dass eine grundfreiheitsbeschränkende Regelung geeignet sein müsse, das für sie deklarierte Ziel in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen.66 Alsdann wies er 63  Schleswig-Holsteinisches

VG, Az. 12 A 102/06, ZfWG 2008, S. 69 ff. Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 24  ff.) – Carmen Media; Schleswig-Holsteinisches VG, Az. 12 A 102/06, ZfWG 2008, S. 69 ff. 65  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 18) – Stoß u. a.; EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 25) – Carmen Media. 66  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 83) – Stoß u. a.; EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 55) – Carmen Media. 64  EuGH,

68

3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

unter Bezugnahme auf die erste Vorlagefrage darauf hin, dass die verschiedenen Arten von Glücksspielen erhebliche Unterschiede aufweisen könnten, insbesondere was die konkreten Modalitäten ihrer Veranstaltung, die Höhe ihrer Einsätze und Gewinne, die Teilnehmerzahl, die Frequenz und Dauer, die bei den Spielern hervorgerufenen Reaktionen und die Notwendigkeit einer körperlichen Anwesenheit anbelangt.67 Deswegen seien „divergierende rechtliche Regelungen“68 auch prinzipiell zulässig; allein der Umstand, dass von einer Mehrzahl an Glücksspielarten einige einem staatlichen Monopol unterlägen, während andere über ein Erlaubnissystem auch privaten Anbietern offen stünden, könnte für sich genommen nicht die Kohärenz eines Regulierungssystems in Zweifel ziehen.69 Allerdings sei davon nicht durchgehend auszugehen: Eine Monopolregelung könne nämlich nicht dem Zweck der Spielsuchtprävention dienen, wenn die Glücksspielpolitik in den nicht monopolisierten Glücksspielsektoren diesem Anliegen zuwiderlaufe; die Kohärenzbetrachtung müsse auch berücksichtigen, ob die gesetzlichen Regelungen oder die Praxis ihres Vollzugs in anderen Glücksspielzweigen die Verbraucher zur Spielteilnahme anreize und in der Folge auf die Zweckerreichung des Monopols zurückwirke.70 Vor dem Hintergrund seien – so resümierte der EuGH – Zweifel an der kohärenten Verwirklichung des mit einem Monopolregime verfolgten Ziels der Spielsuchtprävention dann angebracht, wenn erstens Werbekampagnen für andere, ebenfalls von dem Monopolinhaber angebotene Glücksspielarten, nicht strikt und maßvoll auf das begrenzt bleiben, was als notwendig erscheint, um die Verbraucher zum legalen Spielangebot zu lenken, sondern den natürlichen Spieltrieb durch eine aktive Ermunterung zum Spiel befördern; wenn zweitens andere Arten von Glücksspielen durch private Veranstalter betrieben werden dürfen und wenn drittens für andere Glücksspiele, die nicht unter das Monopol fallen die zuständigen Behörden eine zur Entwicklung und Stimulation der Spieltätigkeiten geeignete Politik der Angebotserweiterung betreiben.71 Unter Anwendung jener Maßgaben auf das deutsche Monopolsystem gelangte der EuGH zu dem Ergebnis, die vorlegenden Gerichte könnten „berechtigten Anlass“ zu der Schlussfolgerung haben, dass der Staatsvorbe67  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 95) – Stoß EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 62) – Carmen Media. 68  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 96) – Stoß EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 63) – Carmen Media. 69  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 96) – Stoß EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 55) – Carmen Media. 70  EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 69 ff.) – Carmen Media. 71  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 107) – Stoß ähnlich EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 71) – Carmen Media.

u. a.; u. a.; u. a.; u. a.;



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 69

halt „nicht mehr wirksam“ den ihm zugeschriebenen Zweck der Spielsuchtprävention verfolgen könne und damit den Anforderungen an eine kohärente Regulierungspraxis nicht gerecht werde.72 Abschließend widmete sich der EuGH noch der Frage, ob sich aus dem Umstand, dass die gesetzliche Ausgestaltung der verschiedenen Glücksspielbereiche teils den Bundesländern und teils dem Bund überantwortet ist, besondere Problematiken aufwerfen könnten. Hierzu führte er aus, dass eine der Föderalstaatlichkeit Rechnung tragende Zuständigkeitsverteilung im Glücksspielwesen auf die Beurteilung der Kohärenz im Grundsatz keinerlei Einfluss habe, da „sich ein Mitgliedstaat nach ständiger Rechtsprechung nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen kann, um die Nichteinhaltung seiner aus dem Unionsrecht folgenden Verpflichtungen zu rechtfertigen“73. 7. Rechtssache Zeturf Eine inhaltliche Nuancierung erfuhr das Kohärenzgebot – vor allem im Kontext des Internetglücksspiels – im Weiteren durch die im Jahr 2011 ergangene EuGH-Entscheidung zur französischen Rechtssache Zeturf. In dem Vorabentscheidungsverfahren hatte sich der EuGH abermals mit der Frage nach der unionsrechtskonformen Ausgestaltung eines vom gesetzgeberischen Anliegen der Spielsucht- und Kriminalprävention getragenen Glücksspielmonopols zu befassen. Konkret zur Prüfung stand darin das zugunsten des staatlich kontrollierten Interessenverbands der französischen Pferderennvereine bestehende Alleinveranstaltungsrecht von Pferdewetten, welches das ausschließliche Recht zum internetbasierten Vertrieb der Wetten einschloss.74 Diese Bestimmung betrachtete der in Malta lizenzierte, private Glücksspielanbieter Zeturf als europarechtswidrig und beantragte ihre Aufhebung durch den französischen Staat. Da der Antrag letztlich erfolglos blieb, wandte sich Zeturf an das oberste französische Verwaltungsgericht, das für eine sachgerechte Entscheidung die Auslegung von Unionsrecht für notwendig erachtete und deshalb ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen initiierte. In den Entscheidungsgründen bekräftigte der EuGH unter Kohärenzaspekten zunächst seine bisherige Rechtsprechungslinie zur allgemeinen Gestalt und Wirkkraft des Kohärenzgebots. So wies er darauf hin, „dass eine natio72  Zitate: EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 107) – Stoß u. a.; EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 71) – Carmen Media. 73  EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 69 f.) – Carmen Media unter Verweis auf EuGH, Rs. C-417/99, NVwZ 2001, S. 1390 (Rn. 37) – Kommission/Spanien. 74  Vgl. EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 2 ff.) – Zeturf.

70

3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

nale Regelung nur dann geeignet ist, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen“75. Auch im Rahmen seiner Kohärenzüberlegungen zum konkret in Rede stehenden Glücksspielmonopol knüpfte der EuGH im Wesentlichen an die aus den vorhergehenden Entscheidungen bekannten Gesichtspunkte an: Er betonte abermals, dass eine expansive und dynamische Geschäftspolitik eines Monopolinhabers nicht per se im Gegensatz zu den Kohärenzanforderungen stünde, da hiermit die Glücksspieltätigkeiten „zu dem Angebot des Inhabers des staatlichen Monopols gelenkt werden, bei dem davon auszugehen ist, dass es vor kriminellen Elementen geschützt und darauf ausgelegt ist, die Verbraucher besser vor übermäßigen Ausgaben und vor Spielsucht zu bewahren“76. Im Interesse der Erreichung dieses Ziels sei erforderlich, dass die zugelassenen Veranstalter eine verlässliche und zugleich attraktive Alternative zu nicht geregelten Tätigkeiten bereitstellten, „was als solches das Angebot einer breiten Palette von Spielen, einen gewissen Werbeumfang und den Einsatz neuer Vertriebstechniken mit sich bringen“77 könne. Fernerhin warf der Gerichtshof die Frage auf, ob im Rahmen dieser Kohärenzbetrachtung eine Unterscheidung zwischen dem stationären und dem über das Internet transportierten Angebot angezeigt sei oder die Regulierung des Gesamtmarktes Berücksichtigung finden müsse.78 Hierzu stellte er klar, dass das Internet lediglich als ein Vertriebskanal für Glücksspiele zu qualifizieren sei.79 Folglich sollte der Markt für Pferdewetten unter Kohärenz­ aspekten grundsätzlich in seiner Gesamtheit überblickt und gewürdigt werden, mithin vertriebswegübergreifend und somit „unabhängig davon, ob die fraglichen Wetten über die traditionellen Kanäle, d. h. physische Annahmestellen, oder über Internet angeboten werden“80. Eine Einschränkung dieses Grundsatzes sei nur dann angezeigt, wenn sich die fraglichen Distributionskanäle als nicht miteinander vergleichbar erwiesen. Zur Bestimmung der Vergleichbarkeit zog er dabei zunächst den Grad der Austauschbarkeit der verschiedenen Vertriebskanäle aus Sicht des Verbrauchers heran:81 Sollte festgestellt werden, dass die Verbraucher den Abschluss einer bestimmten Glücksspielform über das Internet als Substitut für den Abschluss dieser Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 57) – Zeturf. Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 67) – Zeturf. 77  EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 68) – Zeturf. 78  EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 34) – Zeturf. 79  EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 75) – Zeturf unter Verweis auf EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 100) – Carmen Media. 80  EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 77, 82) – Zeturf. 81  EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 76) – Zeturf. 75  EuGH, 76  EuGH,



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 71

Glücksspielart über die hergebrachten Vertriebskanäle ansähen, spräche dies für eine Austauschbarkeit bzw. Vergleichbarkeit und rechtfertige eine Gesamtbeurteilung des Sektors.82 Anders sei von einer fehlenden Vergleichbarkeit der Kanäle auszugehen, wenn die Nutzung des Internets dazu führe, dass die mit dem Glücksspiel verbundenen Gefahren über diejenigen hinaus „verstärkt“ würden, die mit den über traditionelle Kanäle vertriebenen Spielen einhergehen.83 Die konkrete Judiz, ob und inwieweit diese Voraussetzungen auf die französische Monopolregelung zuträfen und ob die Geschäftspolitik des Monopolinhabers sowohl hinsichtlich des Umfangs der Werbung als auch hinsichtlich der Schaffung neuer Spiele als Teil einer Politik der kontrollierten Expansion im Glücksspielsektor zur wirksamen Lenkung der Spiellust in rechtmäßige Bahnen angesehen werden könne, überantwortete der EuGH – ganz in Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung – der Prüfungskompetenz der nationalen Gerichtsbarkeit.84 8. Rechtssache Dickinger/Ömer Weitere Akzente zur inhaltlichen Ausformung des Kohärenzpostulats setzte der EuGH sodann im Zuge der 2011 zur österreichischen Glücksspielordnung ergangenen Vorabentscheidung in der Rechtssache Dickinger/Ömer. Dem Ausgangssachverhalt zugrunde lag ein gegen Herrn Dickinger und Herrn Ömer geführtes Strafverfahren wegen des Vorwurfs, die von ihnen geführte Gesellschaft hätte, ohne in Österreich Konzessionsinhaberin zu sein, über ihre Internetplattform den in Österreich wohnhaften Personen verschiedene Glücksspiele angeboten.85 Im Gang des Verfahrens hegte das verhandelnde Gericht Zweifel an der Unionsrechtskonformität der die Veranstaltung des unerlaubten Glücksspiels unter Strafe stellenden Bestimmung und initiierte ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen. Die vorgebrachten Bedenken gründeten sich insbesondere auf den Umstand, dass der staatlich beherrschte Inhaber des in Österreich bestehenden Glücksspielmonopols für die von ihm offerierten Glücksspielprodukte offensiv warb, obwohl er und im Übrigen auch der österreichische Gesetzgeber vorgaben, mit dem Monopol die Glücksspielsucht eindämmen zu wollen. In der Urteilsbegründung rekurrierte der EuGH unter Kohärenzgesichtspunkten zunächst auf die bekannte Formel, dass die Wahrung des Kohärenz­ Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 76) – Zeturf. Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 81) – Zeturf. 84  EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 69) – Zeturf. 85  Vgl. EuGH, Rs. C 347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 2 ff.) – Dickinger/Ömer. 82  EuGH, 83  EuGH,

72

3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

gebots verlange, dass die mit der Spielsuchteindämmung verbundene Monopolregelung „tatsächlich dem Anliegen entspricht, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern“86. Für die konkrete Kohärenzbeurteilung – so der EuGH weiter – sei entscheidend, ob „unter Berücksichtigung der Entwicklung des Glücksspielmarkts in Österreich […] die staatlichen Kontrollen über die Tätigkeit des Inhabers des Monopols gewährleisten können, dass dieser tatsächlich in der Lage sein wird, die geltend gemachten Ziele mit einem Angebot, das nach Maßgabe dieser Ziele quantitativ bemessen und qualitativ ausgestaltet ist, in kohärenter und systematischer Weise zu verfolgen“87. Zudem spiele für die Kohärenzbetrachtung ebenso die vom Inhaber des Monopols betriebene Geschäftspolitik eine gewisse Rolle.88 Unter letzterem Aspekt sei das verfolgte Anliegen der Spielsuchtprävention grundsätzlich nur schwerlich mit einer Politik der Expansion von Glücksspielen, die insbesondere die Schaffung neuer Spiele und die Werbung für sie kennzeichne, vereinbar, obgleich der EuGH erneut hervorhob, dass eine solche Politik als kohärent angesehen werden könne, „wenn die rechtswidrigen Tätigkeiten einen erheblichen Umfang haben und die erlassenen Maßnahmen darauf abzielen, die Spiellust der Verbraucher in rechtmäßige Bahnen zu lenken“89. Insoweit zu unterscheiden sei zwischen Strategien des Monopolinhabers, „die nur die potenziellen Kunden über die Existenz der Produkte informieren und durch Lenkung der Spieler in kontrollierte Bahnen einen geordneten Zugang zu Glücksspielen sicherstellen sollen, und Strategien, die zu aktiver Teilnahme an Glücksspielen auffordern und anregen“90. Anders gewendet müsse also differenziert werden „zwischen einer restriktiven Geschäftspolitik, die nur den vorhandenen Markt für den Monopolinhaber gewinnen oder die Kunden an ihn binden soll und einer expansionistischen Geschäftspolitik, die auf das Wachstum des gesamten Marktes für Spieltätigkeiten abzielt“91. Die konkrete Judiz, ob die österreichische Monopolregelung diesen Anforderungen genügt, stellte der EuGH wiederum in die Entscheidungsgewalt des vorlegenden Gerichts.92

86  EuGH, 87  EuGH, 88  EuGH, 89  EuGH, 90  EuGH, 91  EuGH, 92  EuGH,

Rs. Rs. Rs. Rs. Rs. Rs. Rs.

C C C C C C C

347/09, 347/09, 347/09, 347/09, 347/09, 347/09, 347/09,

EuZW EuZW EuZW EuZW EuZW EuZW EuZW

2011, 2011, 2011, 2011, 2011, 2011, 2011,

S. 841 S. 841 S. 841 S. 841 S. 841 S. 841 S. 841

(Rn. 56) – (Rn. 57) – (Rn. 58) – (Rn. 67) – (Rn. 69) – (Rn. 69) – (Rn. 50) –

Dickinger/Ömer. Dickinger/Ömer. Dickinger/Ömer. Dickinger/Ömer. Dickinger/Ömer. Dickinger/Ömer. Dickinger/Ömer.



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 73

9. Rechtssache OPAP u. a. Einen Zugewinn an Klarheit, insbesondere was die praktischen Folgen inkohärenter Regulierungsstrukturen anbetrifft, leistete die am Anfang des Jahres 2013 zur griechischen Rechtslage gefällte Entscheidung OPAP u. a. In dem Verfahren standen erneut Monopolregelungen auf dem Prüfstand des Unionsrechts. Fallkonkret hatte der EuGH sich zur Frage der Europarechtskonformität einer gleichermaßen vom Ziel der Suchtprävention wie Kriminalitätsbekämpfung getragenen Regelung zu äußern, die für einen Zeitraum von 20 Jahren das ausschließliche Recht der Veranstaltung von Sportwetten und weiteren Glücksspielen der OPAP – einem staatlich beherrschten Glücksspielanbieter – zusprach.93 Davon unbeeindruckt stellten einige britische Glücksspielunternehmen Anträge auf die Erteilung von Genehmigungen zur Veranstaltung von Sportwetten in Griechenland. Weil diese mit Hinweis auf das bestehende Monopolregime behördlicherseits abgelehnt wurden, kam es schließlich zu einer gerichtlichen Streitaustragung. Das den Ausgangsrechtsstreit verhandelnde Gericht wandte sich daraufhin unter dem Eindruck der unionsgerichtlichen Glücksspielrechtsprechung mit einem Vorabentscheidungsgesuchen an den EuGH. Es wollte unter anderem wissen, ob das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegenstehe, die das ausschließliche Recht zum Betrieb von Glücksspielen einem einzigen Unternehmen überträgt, selbst wenn dieses eine expansive Geschäftspolitik verfolge.94 Fernerhin begehrte es Antwort auf die Frage, welches Verhalten der nationalen Behörden während einer Übergangszeit von einer unionsrechtswidrigen zu einer unionsrechtskonformen Rechtslage anzeigt sei.95 In seinem Begründungssatz rief der EuGH unter Fortführung und Festschreibung seiner bisherigen Judikatur zunächst die grundsätzliche Zulässigkeit staatlicher Glücksspielmonopole in Erinnerung, hob allerdings mit Blick auf die Anforderungen an die Kohärenz abermals einschränkend hervor, dass ein Monopol in seiner konkreten Ausgestaltung und Anwendung tatsächlich dem Anliegen gerecht werden müsse, die ihm zugrunde liegenden Zielsetzungen in kohärenter und systematischer Weise zu verwirklichen.96 Hierauf aufbauend ließ der Gerichtshof erkennen, dass er vor allem in den, der OPAP eingeräumten Werbeprivilegien einen inkohärenzbegründenden Faktor erblickt.97 Ähnliche Begründungserwägungen bezog der EuGH auf das Fehlen EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 2 ff.) – OPAP u. a. verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 19) – OPAP u. a. 95  EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 19) – OPAP u. a. 96  EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 31) – OPAP u. a. 97  EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 32, 35) – OPAP u. a. 93  Vgl.

94  EuGH,

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

von Begrenzungen für die Höchsteinsätze der Spieler sowie die – nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts – nur oberflächliche Überwachung der OPAP durch die griechische Regierung.98 Weiter thematisierte der EuGH die Konsequenzen für eine als inkohärent qualifizierte Monopolregelung: In einem solchen Fall stünden dem Mitgliedstaat prinzipiell zwei Handlungsalternativen zu Verfügung, namentlich entweder die konkreten Modalitäten des Monopols anhand der vorgenannten Erfordernisse zu reformieren oder den betreffenden Markt unter Beachtung der Grundsätze der Nichtdiskriminierung, Gleichbehandlung und Transparenz in liberalisierte Verhältnisse zu überführen.99 In diesem Zusammenhang führte er unter Verweis auf den Grundsatz vom Anwendungsvorrang des Unionsrechts aus, dass eine für europarechtswidrig befundene Regelung nicht einmal für eine Übergangsphase behördlicherseits herangezogen werden dürfe.100 Die nationalen Instanzen könnten demzufolge während einer Reform oder gar Auswechslung des Regulierungsmodells nicht davon ab­sehen, Anträge auf Erteilung von Genehmigungen von bisher den Monopolregelungen unterfallenden Glücksspielen zu prüfen.101 Gleichwohl habe dies nicht zur Folge, dass all diesen Anträgen ungeprüft entsprochen werden müsse, weil das entgegenstehende Recht nicht länger anwendbar sei. Den nationalen Behörden obliege vielmehr die Aufgabe, etwaige Anträge einzelfallabhängig unter Berücksichtigung des künftigen Regulierungsmodells „im Hinblick auf das von ihnen angestrebte Niveau des Schutzes der Verbraucher und der Sozialordnung“102 zu beurteilen und dabei objektive und diskriminierungsfreie Kriterien zugrunde zu legen.103 10. Rechtssache Digibet/Albers Speziell zum Inhalt und zu den Grenzen des Kohärenzgebots in föderal organisierten Mitgliedstaaten äußerte sich der EuGH schließlich Mitte 2014 in der abermals die deutsche Glücksspielregulierung betreffenden Entscheidung Digibet/Albers. Dem Anlassfall zugrunde lag ein zuletzt vor dem Bundesgerichtshof (BGH) ausgetragener Rechtsstreit104 zwischen dem in Gibraltar ansässigen verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 33, 35) – OPAP u. a. verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 46 f.) – OPAP u. a. 100  EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 39) – OPAP u. a. unter Verweis auf EuGH, Rs. C-409/06, NVwZ 2010, S. 1419 (Rn. 69) – Winner Wetten. 101  EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 39) – OPAP u. a. 102  EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 48) – OPAP u. a. 103  EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 48) – OPAP u. a. 104  BGH, Az. I ZR 171/10, ZfWG 2013, S. 101 (Rn. 1 ff.). 98  EuGH, 99  EuGH,



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 75

und lizenzierten Glücksspielunternehmen Digibet mitsamt seinem Direktor Herrn Albers und der vom Land Nordrhein-Westfalen getragenen Westdeutschen Lotterie.105 Die Lotteriegesellschaft nahm Digibet und Albers dahingehend in Anspruch, es zu unterlassen, den in Deutschland wohnhaften Personen die Möglichkeit anzubieten, über ihre deutschsprachige Internetpräsenz www.digibet.com an Glücksspielen teilzunehmen.106 Dies ist vor dem Hintergrund zu betrachten, dass die seinerzeitige Rechtslage ein striktes Verbot von internetbasierten Glücksspielangeboten statuierte. Der BGH hegte allerdings seinerseits Zweifel an der Unionsrechtskonformität der betreffenden Vorschrift; die Skepsis wurzelte im Befund eines nicht bundesweit harmonisierten Regulierungszustandes im deutschen Glücksspielwesen, namentlich hervorgerufen durch einen vom Land Schleswig-Holstein zeitweilig beschrittenen Sonderweg:107 Während in allen übrigen deutschen Bundesländern mit Wirkung zum 1. Juli 2012 ein neuer Glücksspielstaatsvertrag – der „Glücksspieländerungsstaatsvertrag“ (GlüÄndStV) – in Kraft trat, verfolgte die schleswig-holsteinische Landesregierung einen weitaus wirtschaftsliberaleren Regulierungsansatz, der mit Beginn des Jahres 2012 in die Verabschiedung eines eigenständigen Landesglücksspielgesetzes mündete. Obzwar das Bundesland Anfang 2013 sein – gerade kein generelles Verbot des Internetglücksspiels statuierendes – Gesetzeswerk nach gut einjähriger Geltung wieder außer Kraft setzte und zeitgleich den Beitritt zum GlüÄndStV vollzog, konnte aus Sicht des BGH nicht ausgeschlossen werden, dass jenes Regulierungsintermezzo die Kohärenz des deutschen Glücksspielregimes in Zweifel rückte, zumal die bereits auf Grundlage des schleswig-holsteinischen Glücksspielgesetzes erteilten Lizenzen für die Veranstaltung von Internet-Glücksspielen für eine mehrjährige Übergangsfrist fortgälten.108 Vor diesem Hintergrund fasste der BGH einen Aussetzungsbeschluss und wandte sich mit der vorstehenden Fragestellung im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH. In seiner Urteilsbegründung hob der EuGH unter Verweis auf das Kohärenzerfordernis zunächst hervor, dass hierdurch die Verteilung der Regelungskompetenzen zwischen den deutschen Ländern nicht infrage gestellt werde, da sie unter dem Schutz des Art. 4 Abs. 2 EUV stünde, der die Union darauf verpflichte, die jeweilige nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten.109 Gleichwohl könne die Kohärenz und damit die Eignung der inkriminierten Bestimmung zum Internet-Glücksspiel grundsätzlich durch „die EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 2 ff.) – Digibet/Albers. Az. I ZR 171/10, ZfWG 2013, S. 101 (Rn. 3). 107  Näher dazu unten 4. Teil, A., I., 5. 108  Vgl. BGH, Az. I ZR 171/10, ZfWG 2013, S. 101 (Rn. 9, 30). 109  EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 34) – Digibet/Albers. 105  Vgl.

106  BGH,

76

3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

Regelung eines Bundeslands, die weniger streng ist als die in den anderen Bundesländern geltende, beeinträchtigt werden“110. Weil aber im Kontext des Vorlagefalls eine Beeinträchtigung in zeitlich wie räumlicher Hinsicht auf das einzelne Bundesland Schleswig-Holstein begrenzt geblieben sei, ließe sich nicht die Auffassung vertreten, die Eignung der in den anderen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels zur Erreichung der mit ihnen definierten legitimen Ziele sei „erheblich beeinträchtigt“ worden.111 Eine solche, insbesondere nur temporär bestehende Regulierungsinhomogenität auf gesamtstaatlicher Ebene, sei unionsrechtlich unbedenklich, soweit die gemeinsamen Regelungen der übrigen Länder „den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit genügt, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat“112.

II. Analyse der Bestandsaufnahme: Wesen und Wirkkraft des Kohärenzgebots Die im Vorstehenden gelieferte Bestandsaufnahme an Judikaten lässt erkennen, dass die sich aus dem Gebot der Kohärenz ergebenden Anforderungen auf eine Vielzahl von Aspekten erstrecken. Ebenso augenfällig ist, dass die Entscheidungsgründe weitgehend aufeinander aufbauen und sich gegenseitig bedingen. Auf Grundlage jener Rechtsprechungslinie sollen nachfolgend die materiellen Gehalte des Kohärenzgebots systematisierend unter übergreifenden Leitgesichtspunkten herausgearbeitet werden, um hierdurch Erkenntniswerte zu seinem Wesen und seiner Wirkkraft gewinnen zu können. 1. Unbedingte Zielbezogenheit Unbeschadet der Frage nach ihren exakten Maßstäben kommt in der einschlägigen EuGH-Rechtsprechung zunächst sichtbar zum Ausdruck, dass die Kohärenzprüfung in einem unlösbaren Verbund mit der vom mitgliedstaatlichen Gesetzgeber für eine Glücksspielregelung vorgebrachten Zielsetzung steht. Bereits im Rahmen des Gambelli-Urteils judizierte der EuGH, dass grundfreiheitsbeschränkende Glücksspielmaßnahmen imstande sein müssten, „die Verwirklichung der Ziele in dem Sinne zu gewährleisten, dass sie kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeit beitragen“113. In den dar110  EuGH,

Rs. Rs. 112  EuGH, Rs. 113  EuGH, Rs. 111  EuGH,

C-156/13, C-156/13, C-156/13, C-243/01,

ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 36) – Digibet/Albers. ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 36) – Digibet/Albers. ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 41) – Digibet/Albers. NJW 2004, S. 139 (Rn. 67) – Gambelli.



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 77

auffolgenden Urteilen hat diese Wertung dann insofern eine Verallgemeinerung erfahren, als der EuGH nicht mehr nur eine kohärente Verwirklichung in Bezug auf das Ziel der Begrenzung der Wetttätigkeit einforderte, sondern – generell – eine kohärente Realisierung „des geltend gemachten Ziels“114 bzw. „festgelegten Ziels“115 verlangte. Aus diesen Urteilsformeln lässt sich schon eine erste (abstrakte) Minimalanforderung an das Kohärenzgebot ziehen: Zwischen der zu beurteilenden Maßnahme und der hinter ihr stehenden Zielsetzung muss eine gewisse Begründungsrelation bestehen. Das Kohärenzgebot verlangt, dass die an ihm zu messende Glücksspielmaßnahme im Hinblick auf jedwedes, für sie vorgebrachtes Anliegen in einer kohärenten Weise ausgestaltet ist. Damit bezieht es seinen Kontrollmaßstab allein aus der, durch den nationalen Gesetzgeber für die fragliche Maßnahme definierten Zielsetzung, wobei der Normgeber durch die Festlegung eines spezifischen Regulierungsmotivs den Prüfungsmaßstab in Ausfüllung seiner „Definitionsmacht“116 selbst setzt, sich hieran aber auch messen lassen muss.117 Aus dieser Ausrichtung des Kohärenzgedankens an die jeweilige Zielverfolgung ergibt sich, dass jeder Kohärenzkontrolle eine Definition der Zielsetzung der auf das Kohärenzgebot hin zu überprüfenden einzelnen118 Regelung vorausgehen muss. 2. Funktionaler Ausgangspunkt: Der „Scheinheiligkeitstest“ Dem Vorstehenden lässt sich die zwingende Zieldefiniertheit der Kohärenz­ prüfung entnehmen. Sofern eine in die Kohärenzkontrolle eingespannte Glücksspielmaßnahme ihr definiertes Ziel nicht in kohärenter Weise erreicht, zwischen ihr und dem für sie ausgewiesenen Ziel also keine hinreichende Begründungsrelation besteht, geht der EuGH von einer inkohärenten Zielverwirklichung aus. Aus einem derartigen Befund folgert er wiederum regelmäßig, dass ein Mitgliedstaat die zur Legitimation der Grundfreiheits­ 114  Erstmals in EuGH, Rs. C-42/07, NJW 2009, S. 3221 (Rn. 61) – Liga Portuguesa; in der Folgejudikatur etwa in EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 57)  – Zeturf; EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 27) – OPAP u. a.; zuletzt EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 26) – Digibet/Albers. 115  EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 58) – Zeturf. 116  Brüning, NVwZ 2013, S. 23 (26). 117  Dederer, NJW 2010, S. 198 (199 f.); Frenz, EUR 2012, S. 344 (348 f.); Kirschner, Grundfreiheiten und Gestaltungsspielräume, S. 180; Koenig/Bovelet-Schober, GewArch 2013, S. 59 (61); Rossi, VerwArch 2013, S. 283 (303); Pieroth/Kolbe, in: Hartmann/Pieroth, Spielbanken und Spielhallen, S. 9 (70 f.); Schorkopf, DÖV 2011, S. 260 (261). 118  EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 49) – Placanica u. a.

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

beschränkung an sich tauglichen Zielsetzungen nicht „wirklich“119, „tatsächlich“120 bzw. „in erster Linie“121 zu verfolgen versucht, sondern sich bei seinen gesetzgeberischen Entscheidungen – entgegen der zur Schau gestellten legitimen Belange – von „eigentlich“122 anderen Anliegen hat leiten lassen. Unter diesem Blickwinkel zielt die Kohärenzkontrolle von ihrer leitmotivischen Grundvorstellung her darauf ab, etwaige unter dem „Deckmantel“123 legitimer Gemeinwohlbelange gekleideten, anderweitigen und für sich genommen nicht zur Rechtfertigung einer Grundfreiheitbeeinträchtigung tauglichen Regulierungsziele zu enthüllen.124 Insofern erfolgt eine Art – plakativ mit den Umschreibungen „Scheinheiligkeitstest“125 bzw. „Wahr­haftig­ keits­test“126 eingefangene – Missbrauchskontrolle127 dahingehend, ob die vorgebrachten Regulierungsziele tatsächlich kohärent verwirklicht werden oder nur eine von den tatsächlichen Motiven abweichende „heuchlerische“ Scheinbegründung erzeugen. Funktional besehen steht die Kohärenzprüfung damit unter dem Credo, Prototypen binnenmarkt- und integrationsfeindlicher Beweggründe, wie etwa die Befriedigung fiskalischer Interessen oder die Abschottung heimischer Wirtschaftszweige, durch einen auf die inkohärente Zielrealisierung gestützten Befund zu entschleiern und auf diese Weise den

119  Etwa EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 53) – Placanica; EuGH, Rs. C-67/98, EuZW 2000, S. 151 (Rn. 36) – Zenatti. 120  Siehe z. B. die jüngeren Entscheidungen EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 24) – Digibet/Albers; EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 31)  – OPAP u. a.; EuGH, Rs. C 347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 56) – Dickinger/Ömer. 121  EuGH, Rs. C-67/98, EuZW 2000, S. 151 (Rn. 36) – Zenatti. 122  EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 52) – Zeturf; EuGH, Rs. C-67/98, EuZW 2000, S. 151 (Rn. 36) – Zenatti. 123  So Generalanwalt Fennelly, Schlussanträge v. 20.05.1999, Rs. C-67/98, Slg. 1999, I-7291 (Rn. 32) – Zenatti: „Meines Erachtens darf sich ein Mitgliedstaat nicht darauf einlassen […] offiziell organisiertes Glücksspiel aktiv zu fördern, um unter dem Deckmantel einer moralisch gerechtfertigten Politik der Glücksspielkontrolle in erster Linie soziale Tätigkeiten, auch wenn sie wertvoll sind, zu finanzieren“. 124  In diesem Sinne z. B. BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 32); Dederer, NJW 2010, S. 198 (199); Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Einf. (Rn. 32); Dörr, DVBl 2010, S. 69 (74); Krause, GewArch 2010, S. 428 (428); Makswit, ZfWG 2014, S. 169 (169 f.); Pieroth/Kolbe, in: Hartmann/Pieroth, Spielbanken und Spielhallen, S. 9 (70 f.); Ossenbühl, DVBl 2003, S. 881 (891); Schmahl, in: Müller-Graff/Schmahl/Skouris, FS-Scheuing, S. 671 (680). 125  GA Mengozzi („hypocrisy test“), Schlussanträge v. 04.03.2010 zu EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., ZfWG 2010, S. 236 (Rn. 70) – Stoß u. a. 126  Schorkopf, DÖV 2011, S. 260 (261). 127  So Talos/Strass, wbl 2013, S. 482 (484).



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 79

mit der angegriffenen Glücksspielmaßnahme verbundenen Eingriff in die Grundfreiheiten zu delegimitieren.128 Vor diesem Hintergrund ist die besondere Anziehungskraft für den Einsatz des Kohärenzgebots auf den mitgliedstaatlichen Glücksspielsektoren nicht zufällig; seine Aktivierung liegt hier deswegen besonders nahe, weil sich die öffentliche Hand in diesem Umfeld nur selten auf die Rolle einer die Marktprozesse lenkenden und überwachenden Instanz beschränkt; vielmehr ist sie als „Mitspieler“ im umsatzträchtigen (Glücksspiel-)Marktgeschehen – z. B. über die Unterhaltung staatsgetragener Glücksspielmonopole – phänotypisch stark involviert. Dies kann der mitgliedstaatlichen Versuchung Vorschub leisten, unter dem Banner der Wahrung des Gemeinwohls unionsrechtlich unlautere Regulierungsabsichten zu verfolgen. Historisch betrachtet legte der EuGH das gedankliche Fundament für den „Scheinheiligkeitstest“ schon im Rahmen des Zenatti-Urteils und zwar mit der Erwägung, die zur Entscheidung gestellte Regelung müsse „wirklich dem Ziel dienen, die Gelegenheit zum Spiel zu vermindern“129. Hiermit war zwar noch nicht expressis verbis das Kohärenzgebot als solches angesprochen, wohl aber sein tragender Leitgedanke. Denn mit dem Erfordernis der „wirklichen Zielverfolgung“ hat der EuGH erstmalig ein sich an der Kategorie von „Wahrheit“ orientierendes Prüfungskriterium in die Rechtfertigungsprüfung hineingetragen, welches nicht nur die formalen zur Legitimation der grundfreiheitlichen Beschränkung angeführten Regulierungsziele mustert, sondern darüber hinaus nach dem faktischen, sich hinter einer Glücksspielmaßnahme verbergenden Kalkül fragt. Da diese Erforschung des „Wirklichen“ letztlich darauf abzielt, unlautere, insbesondere fiskalisch gefärbte Regulierungsmotive zum Vorschein zu bringen, präsentiert sich das Erfordernis gewissermaßen als ein „Geburtshelfer“ des Kohärenzgebots.130 Einen Hauptgrund dafür, warum das Kriterium des „Wirklichen“ in der EuGH-Rechtsprechung schon bald durch das Erfordernis der Kohärenz abgelöst wurde, wird man derweil in der nur schwach ausgeprägten Justiziabilität des „Wirklichkeitsgebots“ zu suchen haben, markierte die Frage nach dem „wirklichen Regulierungswillen“ im Sinne des tatsächlichen Vorliegens einer Motivation in den einschlägigen Fallgestaltungen doch gerade den Kristallisationskern.131 So gesehen war den nationalen Gerichten mit dem bloßen Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Kap. 9, § 5 (Rn. 3341). Rs. C-67/98, EuZW 2000, S. 151 (Rn. 36) – Zenatti; siehe hierzu auch Ossenbühl, DVBl 2003, S. 881 (891). 130  In diesem Sinne Haltern, Gemeinschaftsrechtliche Aspekte des Glücksspiels, S.  34 ff. 131  Vgl. Haltern, Gemeinschaftsrechtliche Aspekte des Glücksspiels, S. 35; Hautmann, Spielverlust und Europarecht, S. 70; Heseler, Glücksspielregulierung, S. 179. 128  Vgl.

129  EuGH,

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

Auftrag, eine Maßnahme auf ihre wirkliche Zieldienlichkeit hin zu überprüfen, ohne dabei gleichsam ein methodisch-greifbares Rüstzeug zur Ermittlung des „Wirklichen“ an die Hand gegeben zu bekommen, nur wenig geholfen.132 3. Methodik der Kohärenzprüfung In Reaktion auf den in der „Wirklichkeitsprüfung“ aufscheinenden rechts­ pragmatischen Leerlauf erfuhr die im Zenatti-Urteil eingeführte Figur des „Wirklichkeitsgebots“ im zeitlich darauffolgenden Gambelli-Urteil eine Schärfung ihrer methodisch-praktischen Konturen.133 Denn darin stellte der EuGH erstmalig klar, dass zur Beurteilung der Rechtfertigungsfähigkeit von grundfreiheitsbeschränkenden Glücksspielmaßnahmen nicht allein auf die explizit vom mitgliedstaatlichen Gesetzgeber zur Legitimation der Beeinträchtigung vorgebrachten Zielsetzungen abzustellen sei; vielmehr sei darüber hinaus zwingend zu berücksichtigen, ob die für eine Glücksspielmaßnahme deklarierten Regulierungsmotive in der Praxis kohärent „gelebt“ würden. a) Ermittlung inkohärenzstiftender Widersprüche Zur Feststellung, ob ein Mitgliedstaat die der inkriminierten Glücksspielmaßnahme zugrundeliegende Zielsetzung kohärent „lebt“, betrachtet der EuGH das regulatorische Umfeld, in dem sich die Maßnahme aufhält; er fragt danach, ob sie und ihr Umfeld in einem stimmigen Verhältnis zueinander stehen, wobei die Stimmigkeitsbeurteilung ihren Fluchtpunkt in der für die Maßnahme ausgewiesene Zielsetzung findet. Von jener zielbezogenen Widerspruchsfreiheit zieht der Gerichtshof den Rückschluss auf eine kohärente und damit gleichfalls „aufrichtige“134 Regulierungsabsicht. Anders gewendet deutet in der Sicht des EuGH eine „greifbare“135 Widersprüchlichkeit auf eine inkohärente und deshalb scheinhaftige Zielverfolgung hin. In methodischer Hinsicht erzeugte die unternommene Weiterentwicklung des „Wirklichkeitsgebots“ oder „Ehrlichkeitsgebots“136 hin zum Kohärenzgebot den Mehrwert, dass sich die vorlegenden Gerichte, anstatt den wirklichen Willen eines Mitgliedstaats zu mutmaßen, nunmehr auf die Suche nach in den mitgliedstaatlichen Glücksspielordnungen angesiedelten Widersprüchen 132  Haltern,

Gemeinschaftsrechtliche Aspekte des Glücksspiels, S. 35. Haltern, Gemeinschaftsrechtliche Aspekte des Glücksspiels, S. 35. 134  Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 776. 135  Streinz, ZfWG 2012, S. 305 (308). 136  Mailänder, ZfWG 2012, S. 314 (315). 133  So



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 81

zu begeben hatten, aus denen sie prima vista die durchschlagende Regulierungsabsicht des Gesetzgebers ableiten und diesbezüglichen Spekulationen die Spitzen nehmen konnten.137 Insofern hat der EuGH mit der Etablierung des Kohärenzkriteriums eine programmatisch-intersubjektive Verrechtlichung des „Wirklichkeitsgebots“ herbeigeführt und seine Überprüfung in methodisch handhabbare, da rechtsoperationale, Formen gegossen.138 Die Kohä­ renzprüfung lässt sich demzufolge als Mechanismus einsetzen, anhand sachlich objektiv-nachprüfbarer Anhaltspunkte justiziable Schlussfolgerungen auf die hinter einer Glücksspielregelung stehenden Motivationen zu ziehen. Widersprüche, aus deren Existenz der EuGH eine inkohärente und daher scheinheilige Zielverfolgung ableitet, stellen sich dann ein, wenn die Zielsetzung der in Prüfung stehenden Glücksspielmaßnahme durch eine andere Glücksspielmaßnahme solcherart vereitelt oder, anders ausgedrückt, „konter­ kariert“139 wird, dass sie ihr intendiertes Anliegen de facto „nicht mehr wirksam“140 gewährleisten kann;141 insoweit liegt der Kohärenzprüfung eine durchweg wirkungsorientierte Betrachtungsweise zugrunde.142 Unter dem Kohärenzgebot verweben sich also Aspekte der subjektiven Regelungsintention mit denen der objektiven Zweckerreichbarkeit. In einfach gelagerten Fällen können sich derlei Widersprüche – deren Art und Qualität im Folgenden noch näher spezifiziert werden –143 förmlich aufdrängen. Ein Paradebeispiel hierfür liefert der Sachverhalt in der Rechtssache Gambelli: Im Verfahren führte der italienische Gesetzgeber zur unionsrechtlichen Rechtfertigung der restriktiven Sportwettenregelung das Ziel der Spielsuchtbekämpfung an, verfolgte aber zugleich eine auf Expansion angelegte Angebotspolitik in Bezug auf Sportwetten, wodurch das selbst gesetzte Regulierungsziel im hohen Maße konterkariert wurde.144 Jene durch eine 137  Haltern, Gemeinschaftsrechtliche Aspekte des Glücksspiels, S. 35; Heseler, Glücksspielregulierung, S. 179. 138  Ähnlich Schorkopf, DÖV 2011, S. 260 (262). 139  So z.  B. die Terminologie des Bundesverwaltungsgerichts, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 32). 140  EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 68) – Carmen Media; ganz ähnlich EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 106) – Stoß u. a. 141  Vgl. auch Dederer, NJW 2010, 198 (200): „Nicht konsistent verhält sich der Staat umgekehrt dann, wenn er Maßnahmen ergreift, die dem legitimen Ziel […] konsequent zuwiderlaufen“; ähnlich Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 777; Makswit, ZfWG 2014, S. 169 (170); Windoffer, GewArch 2012, S. 388 (388 f.). 142  Allg. zur Wirkungs- und Folgeorientierung des Rechts Voßkuhle, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 1 (Rn.  32 ff.). 143  Unten Teil 3, B., II., 6. 144  Vgl. EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 67 ff.) – Gambelli.

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

konterkarierende Angebotsexpansion ausgelöste Inkongruenz zwischen der proklamierten Zielsetzung und der tatsächlichen Zielverwirklichung, schürte wiederum den Verdacht, dass die Restriktionen in Wahrheit mit fiskalischen Motiven belastet waren („damit der Staatskasse […] Einnahmen zufließen“145). In dieser funktionellen Verklammerung zwischen definierter Zielsetzung und faktischer Zielrealisierung tritt unzweideutig zutage, dass die Prüfung der Wahrhaftigkeit der Zielverfolgung einer Maßnahme aufs Engste mit der Überprüfung ihrer wahrhaftigen Zielerreichbarkeit verknüpft ist. Insoweit sei – zunächst nur als Merkposten – bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass diese wechselbezügliche Symbiose letztlich zu einer Herausbildung einer über den „Scheinheiligkeitstest“ hinausgehenden Funktion des Kohärenzgebots im Sinne eines eigenständigen Konterkarierungsverbots geführt hat. b) Einbeziehung der mitgliedstaatlichen Vollzugspolitik Wie der EuGH in ständiger Rechtsprechung betont, ist für die Beurteilung der Kohärenz einer Glücksspielmaßnahme nicht allein die Schlüssigkeit ihres normativen Rahmens relevant, sondern darüber hinaus auch die faktische Stimmigkeit der auf sie gerichteten Vollzugspolitik; für die Kohärenzbeurteilung bedeutsam ist also nicht nur die Setzung, sondern gleichfalls die Durchsetzung des Glücksspielrechts, sprich die mitgliedstaatliche Regulierungspraxis in Gänze.146 In diesem Zusammenhang spricht der Gerichtshof davon, dass die Kohärenz in „rechtlicher und tatsächlicher“147 Hinsicht zu wahren sei. Der vom Gerichtshof insoweit vertretene Ansatz einer praktischen oder „tatsächlichen Kohärenz“148 erscheint deshalb sachnotwendig, weil nur durch die Einbeziehung der konkreten Anwendungsmodalitäten sicher gestellt werden kann, dass ein Mitgliedstaat nicht einen, in normativer Hinsicht stimmigen, Regelungsrahmen durch die widersprüchliche Vollzugspolitik der Administrative unterläuft.149 Folglich erstreckt sich die Suche nach inkohärenzstiftenden Widersprüchen nicht nur auf das formale, rechtsförmige Regime eines Mitgliedstaats, sondern gleichfalls auf den Vollzug desselben. EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 69) – Gambelli. Regulierungsbegriff eingehend Eifert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 19 (Rn. 1 ff.). 147  Z. B. EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 107) – Stoß u. a.; siehe auch EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 33 f.) – OPAP u. a.; EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, 674 (Rn. 62) – Zeturf; EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 65) – Carmen Media; EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 69) – Gambelli. 148  So Hambach, K&R 2014, S. 570 (574). 149  Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Einf. (Rn. 46). 145  Vgl.

146  Zum



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 83

Dies betrifft zum einen das Vollzugsverhalten der Behörden der Glücksspielaufsicht und zum anderen das Marktverhalten der als öffentliche Unternehmen150 eines Mitgliedstaats fungierenden Glücksspielanbieter.151 Dementsprechend ist etwa der Umstand, dass eine expansive Angebotspolitik vom Mitgliedstaat vermittels einschlägiger Rechtsakte selbst ausgeht oder dem Vollzugsverhalten seiner Behörden respektive Glücksspielunternehmen geschuldet ist, für die Beurteilung eines kohärenzbezogenen Widerspruchs ohne Relevanz.152 Keine Rolle für die Kohärenzbeurteilung spielt dabei gleichfalls, ob die erzeugte kontraproduktive Wirkung durch Untätigkeit oder aktives Tun eingetreten ist. So verlangt der EuGH beispielhaft, dass im Rahmen eines, auf die Interessen und Bedürfnisse eines suchtpräventiv ausgerichteten Regulierungskonzepts, die vorgesehenen administrativen Kontrollen, vor allem über die Geschäftstätigkeit eines Monopolinhabers,153 in der Praxis nachhaltig umgesetzt werden.154 c) Segmentäre Reichweite der Kohärenzbetrachtung: Vertikale und horizontale Kohärenz Die soeben beschriebene Methodik, Inkohärenzen im Wege der Offenlegungen von Widersprüchen, die in einem mitgliedstaatlichen Regulierungssystem situiert sind, festzumachen, impliziert, dass eine komparative Betrachtung verschiedener Untersuchungsgegenstände stattfindet. Es gilt zu ermitteln, ob sich diese Gegenstände dergestalt zusammenfügen, dass sie ein stimmiges oder eben widerpruchshaltiges Bild zutage fördern.155 Unter diesem Aspekt muss in Vorgriff auf die eigentliche Kohärenzkontrolle geklärt werden, auf welche Gegenstände sich überhaupt die mitgliedstaatliche Pflicht erstreckt, sie in einen kohärenten Zusammenhang zu bringen. 150  Die unionsrechtliche Begrifflichkeit „öffentliches Unternehmen“ bezeichnet eine handelnde Einheit beliebiger Rechtsform, auf deren Geschäftsplanung oder Tätigkeit öffentliche Hoheitsträger über Eigentum, Beteiligungsverhältnisse, Stimmrechte oder auf sonstige Weise mittelbar oder unmittelbar bestimmenden Einfluss ausüben können, so Jung, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 106 AEUV (Rn. 13); dazu instruktiv auch Storr, Der Staat als Unternehmer, S. 270 ff. und Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 7 (Rn. 2 ff.). 151  Vgl. Ennuschat, ZfWG 2011, S. 153 (157 ff.). 152  EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 47 ff.) – Zeturf; EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 37) – Ladbrokes; EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 69) – Gambelli. 153  Z. B. EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 69) – Dickinger/Ömer. 154  EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 65) – Carmen Media; ähnlich EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 65, 70) – Zeturf. 155  Heseler, Glücksspielregulierung, S. 181.

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

Für eine Kohärenzuntersuchung anhand von grundfreiheitsbeschränkenden Maßnahmen, die auf dem Gebiet der mitgliedstaatlichen Glücksspielregulierung ergriffen wurden, erhebt sich aus diesen Erwägungen die Fragestellung, ob in den Kohärenzvergleich lediglich Maßnahmen aus demselben Glücksspielsegment (z. B. Sportwettensektor) einzubeziehen sind, oder ob hingegen ebenfalls – im Sinne eines Quervergleichs – die Betrachtung von Maßnahmen aus verschiedenen Teilbereichen (z. B. Sportwetten- und Lotteriesektor) angezeigt ist. Wie weit darf also der mit „Kohärenzkontext“156 apostrophierte Seitenblick zur Beurteilung der Stimmigkeit einer Glücksspielmaßnahme reichen? Der Gerichtshof selbst hat diesbezüglich, gerade in der früheren Phase seiner Glücksspieljudikatur, eher Signale ambivalenten Charakters ausgesendet und ausgesprochen zögerlich zur Erhellung dieser Frage beigetragen. aa) EuGH-Rechtsprechung vor 2010: Vertikales Verständnis Wendet man unter dieser Fragegestellung den Blick vorerst auf die Aussagegehalte der zeitlich in die erste Hälfte der kohärenzbezogenen Glücksspielrechtsprechung, d. h. auf die zwischen den Jahren 2003 bis 2009 ergangenen Urteile, so lässt diese eine Grundtendenz dahingehend erkennen, in der Kohärenzbetrachtung nur solche Maßnahmen einzubeziehen, die demselben Glücksspielsegment entstammen (sog. vertikale [oder Einzel-]Kohärenz)157. So projizierte der EuGH – gleichwohl unter Vermeidung der vorgenannten Termini – schon in seiner Gambelli-Entscheidung das Kohärenzerfordernis lediglich auf einen Teilbereich des (italienischen) Glücksspielswesens, namentlich auf den der Sportwetten: Grundfreiheitsbeschränkende Maßnahmen müssten – so die Urteilspassage – geeignet sein, das mit ihnen verfolgte Anliegen „in dem Sinne zu gewährleisten, dass sie kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beitragen“158. Der EuGH verlangte also lediglich eine kohärente Begrenzung der im Sportwettensegment ausgeübten „Wetttätigkeit“ und nicht der Glücksspieltätigkeit im Allgemeinen. Dementsprechend hat der Gerichtshof bei der Bildung des kohärenzbezogenen Vergleichsmaßstabs ausschließlich an das sportwettenbezogene Regulierungsverhalten angeknüpft, so namentlich an die restriktiven Konzessionsregelungen einerseits und an die hierauf bezogene Expansionspolitik andererseits.159 156  Der Begriff wird geprägt in Anlehnung an den bei Dederer vorgefundenen Begriff „Konsistenzkontext“, NJW 2010, S. 198 (200). 157  Koenig/Bovelet, ZfWG 2011, S. 236 (236) sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer „innere[n]“ Kohärenz. 158  EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 67) – Gambelli. 159  So z. B. auch GA Mengozzi, Schlussanträge v. 04.03.2010, EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., ZfWG 2010, S. 236 (Rn. 69) – Stoß u. a.; Wortmann/Vlaemminck, in:



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 85

Auf die Maßgeblichkeit einer rein sektoralen Betrachtungsweise lassen ferner die Ausführungen in der Urteilsbegründung zur darauffolgenden Rechtssache Placanica u. a. schließen; dort hob der Gerichtshof in aller Klarheit hervor, dass die Kohärenz mit Blick auf die den einzelnen Mitgliedstaaten im Glücksspielbereich zuerkannte Gestaltungsautonomie („Schutzniveau­autonomie“160) „gesondert für jede mit den nationalen Rechtsvorschriften auferlegte Beschränkung“161 zu überprüfen sei. In der Folge thematisierte der EuGH lediglich das Regulierungsregime des zur Prüfung gestellten Sportwettensektors. Nicht zuletzt diese Auslassung sektorenübergreifender Kohärenzerwägungen und ihre berechtigte Deutung als „beredtes Schweigen“ hat die Annahme einer rein sektorenspezifischen Betrachtungsweise weiter befeuert.162 Zu demselben Auslegungsergebnis gelangt man indes bei Betrachtung der einschlägigen Urteilspassagen in den darauffolgenden Entscheidungen Liga Portuguesa und Ladbrokes, in denen ebenfalls keine anderen als die konkret zur Kohärenzbeurteilung gestellten Glücksspielsektoren Erwähnung finden.163 Resümierend lässt sich mithin festhalten, dass der EuGH bei der Auslegung des Kohärenzkontexts in der ersten Phase seiner kohärenzbezogenen Rechtsprechung – insoweit ließe sich von einer Konstituierungsphase sprechen – die Kohärenzkontrolle ausschließlich auf solche Maßnahmen erstreckt hat, die demselben Glücksspielsegment entstammen. bb) EuGH-Rechtsprechung ab 2010: Horizontales Verständnis Die judizielle Zäsur in dieser Entwicklung markierte das zur deutschen Rechtslage gefällte Urteil in der Rechtssache Stoß u. a. Darin begrenzte der EuGH erstmals die Kohärenzprüfung nicht mehr nur auf einen rein segmentären Betrachtungswinkel, sondern verschob die maßstäblichen Prüfungsgrenze in die Horizontale zugunsten einer sektorenübergreifenden Betrachtungsweise (sog. horizontale [oder Gesamt-]Kohärenz)164.165 Gebhard/Grüsser-Sinopoli, Glücksspiel in Deutschland, § 11 (Rn. 48); a.  A. wohl ­Koenig/Ciszewski, WiVerw 2008, S. 103 (108 f.). 160  Dederer, EuZW 2010, S. 771 (771). 161  EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 49) – Placanica u. a.; vgl. dazu auch Schmahl, in: Müller-Graff/Schmahl/Skouris, FS-Scheuing, S. 671 (686). 162  Noll-Ehlers, EuZW 2008, S. 522 (523). 163  Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Mailänder, ZfWG 2009, S. 334 (334). 164  Koenig/Bovelet, ZfWG 2011, S. 236 (236) sprechen in diesem Kontext auch von einer „äußere[n] Kohärenz“. 165  So auch die gängige Interpretation in der Literatur und nationalen Rechtsprechung; siehe als Belege dafür nur exemplarisch: BGH, Az. III ZR 196/11, NJW 2013, S. 168 (Rn. 18); BVerwG, Az. 8 C 13/09, NVwZ 2011, S. 549 (Rn. 82); Brüning,

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

In diesem Sinne führte der Gerichtshof – gleichwohl wiederum unter Vermeidung der Termini – in seiner Urteilsbegründung aus, dass Zweifel an der Kohärenz einer auf die Suchtprävention programmierten Monopolregelung berechtigt seien, sofern vonseiten der Monopolinhaber – so wörtlich – „für andere […] Arten von Glücksspielen“ animierende Werbemaßnahmen durchführt würden, „andere Arten von Glücksspielen von privaten Veranstaltern […] betrieben werden“ dürften und für „andere Arten von Glücksspielen“ behördlicherseits eine Politik der Angebotserweiterung betrieben oder sehenden Auges geduldet würde.166 Mit diesen Folgerungen hat der EuGH den auf regulative Widersprüche hin zu untersuchenden Bereich – den besagten Kohärenzkontext – im Gegensatz zu seiner bis dato praktizierten Judikatur implizit ausgedehnt und die Kohärenzprüfung nicht mehr nur auf die konkret zur Prüfung gestellte Glücksspielform und das hierauf bezogene Regularium erstreckt, sondern darüber hinaus die Regulierungspolitiken anderweitiger Glücksspielarten fokussiert. Dass diese Positionsveränderung gerade mit dem Urteil Stoß u. a. zusammenfallen sollte, erschien angesichts der Schlussanträge des für einen rein sektoralen Betrachtungswinkel plädierenden Generalanwalts Mengozzi167 sowie bei genauer Lektüre des ersten Komplexes der Urteilsbegründung indes keinesfalls von vornherein klar; denn im Urteilssatz griff der Gerichtshof zunächst seine zum Urteil Placanica u. a. ergangene Rechtsprechung auf, die – wie vorstehend aufgezeigt – tendenziell eher gegen eine Gesamtkohärenz spricht, und stellte zudem die zwischen den verschiedenen Glücksspielformen bestehenden „erheblichen Unterschiede“168 heraus, die ein Nebeneinander von Monopol- und Konzessionsregelungen rechtfertigen könnten, ohne dabei die Eignung des Monopols an sich in Zweifel zu ziehen. NVwZ 2013, S. 23 (28); Grzeszick, WiVerw 2016, S. 181 (196); Klöck/Klein, NVwZ 2011, S. 22 (23 f.); Krause, GewArch 2010, S. 428 (430); Krewer/Wagner, ZfWG 2011, S. 90 (90); Pagenkopf, NVwZ 2011, S. 513 (516); Papier/Krönke, Sportwetten, S.  25 f.; Lippert, EuR 2012, S. 90 (96); Schmahl, in: Müller-Graff/Schmahl/Skouris, FS-Scheuing, S. 671 (680); Talos/Strass, wbl 2013, S. 482 (585 f.); Unterreitmeier, NJW 2013, S. 127 (128). Demgegenüber sehen Dörr und Janich, K&R 2010, S. 1 (18 f.) sowie Schorkopf, DÖV 2011, S. 260 (261) in den Entscheidungen tendenziell wohl eher ein vertikales Kohärenzverständnis bestätigt. 166  Alle Zitate EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 107) – Stoß u. a.; im Übrigen ganz ähnlich EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 71) – Carmen Media. 167  GA Mengozzi, Schlussanträge v. 04.03.2010 zu EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., ZfWG 2010, S. 236 (Rn. 72) – Stoß u. a. 168  Vgl. EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 94 ff.) – Stoß u. a.



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 87

Erst im zweiten Urteilskomplex brachte der EuGH alsdann in instruktiver Form seine neuere, von einem horizontalen Verständnis beherrschte Denkweise zum Ausdruck, wenngleich er auch keine klare dogmatische Begründung für die Abkehr vom sektoralen Kohärenzansatz lieferte; vielmehr griff er die fallkonkret seitens des vorlegenden Verwaltungsgerichts169 sowie der Europäischen Kommission170 geübten Kritiken an wesentlichen Elementen der deutschen Glücksspielregulierung auf und machte sich diese in weiten Teilen zu eigen. Da sich die aufgeworfenen Zweifel in erster Linie auf das im deutschen Glücksspielsystem zwischen den einzelnen Glücksspielsparten vorhandene Regulierungsgefälle bezogen, mithin gerade die Gesamtkohärenz betrafen, erschien ein judizieller Mittelweg zwischen vertikaler und horizontaler Kohärenz für den Gerichtshof nicht gangbar.171 Von daher brachte die Zustimmung des EuGH zum Vorbringen der für eine sektorenübergreifende Betrachtungsweise eintretenden Parteien eine Etablierung der horizontalen Kohärenzprüfung zwangläufig mit sich. Diese prüfungsdimensionale Grundausrichtung in die Horizontale hat der Gerichtshof bis heute nicht verlassen, sondern gegenteilig aus verschiedentlichen Blickwinkeln weiter zementiert. Insoweit beispielgebend ist die Urteilsbegründung zur Rechtssache Digibet/Albers, wo der EuGH judizierte, dass sich „nicht die Auffassung vertreten [lässt], dass die abweichende Rechtslage in einem Bundesland die Eignung der in den anderen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels zur Erreichung der mit ihnen verfolgten legitimen Ziele des Allgemeinwohls erheblich beeinträchtigt“172. d) Keine Berücksichtigung föderalstaatlicher Besonderheiten Die Tragweite des vorbeschriebenen Paradigmenwechsels tritt besonders augenfällig in der zweiten „deutschen“ Glücksspielentscheidung, im zur Rechtssache Carmen Media gefällten Urteil, zutage: Gewissermaßen im Kielwasser der im Urteil Stoß u. a. erhobenen Forderung nach Gesamtkohärenz erfuhr der ganzheitliche Kohärenzansatz mit der unter Betrachtung der deutschen Rechtslage getroffenen Feststellung, dass innerstaatliche Kompetenzverteilungen in einem föderal strukturierten Mitgliedstaat ohne Belang für die Kohärenzbeurteilung einer grundfreiheitsbeschränkenden Glücksspielmaßnahmen seien,173 eine Art Abrundung. 169  VG

Stuttgart, Az. 4 K 4435/06, ZfWG 2007, S. 313 (Rn. 33 ff.). Kommission, Schriftsatz an den EuGH v. 10.12.2007 zur verb. Rs. C-316/07 u. a., ZfWG 2008, S. 94 (Rn. 39 ff.) – Stoß u. a. 171  Heseler, Glücksspielregulierung, S. 186. 172  EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 36) – Digibet/Albers. 173  EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 71) – Carmen Media. 170  Europäische

88

3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

Obzwar aus der Sicht des EuGH die föderale Kompetenzverteilung eines Mitgliedstaats im Glücksspielbereich „nicht in Frage gestellt werden [kann], da sie unter dem Schutz von Art. 4 Abs. 2 EUV steht“174, kann sich ein Mitgliedstaat „nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen“175, um die „Nichteinhaltung seiner aus dem Unionsrecht folgenden Verpflichtungen zu rechtfertigen“176. Seinem zwischenstaatlichen Auftrag folgend, unternimmt der EuGH die Kohärenzbetrachtung mithin aus einer zentralstaatlichen Perspektive heraus, die keine Rücksicht darauf nimmt, ob die Regulierung einzelner Glücksspielsektoren womöglich subnationalen Normsetzungsebenen zufällt;177 auf dem innerstaatlichen Auge ist das Unionsrecht also im Prinzip blind.178 Diese Haltung überrascht insoweit nicht, als nach den Gründungsverträgen ausschließlich die Mitgliedstaaten selbst, nicht aber ihre einzelnen Gliedstaaten, Provinzen oder Departements Rechtssubjekte repräsentieren;179 einen Mitgliedstaat treffen die unionsvertraglichen Pflichten mithin als Einheit, als „Mitgliedsgesamtstaat“180. Mit dem Befund einer im Glücksspielwesen unter Umständen geteilten Zuständigkeitsordnung zwischen „Gesamtstaat“ und „Gliedstaaten“ sind mithin keine Abstriche an die Reichweite der Kohärenzprüfung verbunden.181 Damit erfährt der ganzheitliche Kohärenzansatz letztlich eine Doppelung: Der EuGH verlangt eine Gesamtkohärenz im Sinne einer „regionalübergreifend-horizontalen“182 oder, anders gewendet, „interregional-horizontalen“183 Kohärenz, die sowohl die Regulierung der verschiedenen Glücksspielformen als solche, als auch – in Konsequenz dessen – die Regulierungsarbeit der innerhalb eines Mitgliedstaates ggf. verschiedentlich zuständigen Normgeber umgreift.184

EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 34) – Digibet/Albers. Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 64) – Carmen Media. 176  EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 64) – Carmen Media. 177  Vgl. Dörr, DVBl 2010, S. 69 (75); Brüning, NVwZ 2013, S. 23 (27). 178  Vgl. zur „Landesblindheit“ des Unionsrechts Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der EU, S. 229. 179  Vgl. EuGH, Rs. 77/69, Slg. 1970, 237 (Rn. 15 f.) – Kommission/Belgien; daran inhaltlich anknüpfend EuGH, Rs. C-302/97, NVwZ 2000, S. 303 (Rn. 62) – Konle. 180  So die Formulierung bei Koenig/Meyer, ZfWG 2013, S. 153 (155 f.). 181  Siehe näher zur Thematik sogleich unten Teil 4, A., II., 2. 182  Dietlein/Peters, ZfWG 2013, S. 229 (229). 183  Schneider, WiVerw 2014, S. 165 (177). 184  Vgl. Koenig/Meyer, ZfWG 2013, S. 153 (158); Reichert, in: Höfling/Horst/ Nolte, Sportwetten in Deutschland, S. 67 (82 f.). 174  Vgl.

175  EuGH,



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 89

e) Keine Differenzierung zwischen einzelnen Vertriebskanälen Nicht nur finden bei der Kohärenzprüfung föderalstaatliche Besonderheiten keine Berücksichtigung; ebenfalls im Grundsatz irrelevant für die Reichweite der Kohärenzkontrolle ist der Umstand, auf welchem Wege die fragliche Glücksspielregelung ihr Glücksspielangebot transportiert. Entsprechend der vom EuGH eingenommenen Grundposition, dass ein bestimmter Distributionskanal nichts an der „materiellen Qualität“ des mit ihm vertriebenen Spielformats ändert oder – mit anderen Worten – nicht den Rang eines eigenständigen Glücksspielsektors bekleidet,185 ist unter Kohärenzaspekten im Grundsatz keine separate Bewertung der einzelnen Vertriebskanäle angezeigt; vielmehr ist der gesamte, hinter einem bestimmten Distributionskanal stehende, Glücksspielsektor in die Kohärenzbetrachtung einzubeziehen.186 Dies gilt insbesondere für solche Glücksspielregelungen, die sich des Vertriebskanals „Internet“ bedienen.187 Eine Ausnahme vom Grundsatz einer vertriebskanalübergreifenden Kohärenzbetrachtung hält der Gerichtshof nur dann für angezeigt, wenn es an einer Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Vertriebskanäle, derer sich die jeweiligen Glücksspielarten bedienen, mangelt. Die fehlende Vergleichssituation kann sich darin ausprägen, dass aus Sicht der Verbraucher die einschlägigen Kanäle als nicht austauschbar erscheinen oder ein bestimmter Kanal eine die (Sucht-)Gefährdungslage „verstärkende“ Besonderheit aufweist. Nur in diesen Fällen unterscheidet der Gerichtshof insbesondere zwischen der Inanspruchnahme eines Spielangebots via Internet sowie den traditionellen, stationären Zugängen und lässt infolgedessen das Erfordernis einer vertriebskanalübergreifenden Kohärenzprüfung entfallen. Zu der Frage, unter welcher Sachbedingung von einer Substituierbarkeit auszugehen ist oder die besonderen Merkmale des Online-Glücksspiels eine „Verstärkerwirkung“ hinsichtlich der glücksspielspezifischen Gefahren entfalten, hat sich der EuGH allerdings bislang nicht geäußert.

185  In diesem Sinne erstmals deutlich EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 100) – Carmen Media. 186  EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 77) – Zeturf. 187  EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 77) – Zeturf.

90

3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

4. Zur Schlüsselrolle der nationalen Gerichte bei der Kohärenzprüfung Die nationalen Gerichte bekleiden bei der judiziellen Kontrolle, ob eine mitgliedstaatliche Glücksspielmaßnahme den Anforderungen des Kohärenzgebots gerecht wird, eine zentrale Schlüsselstellung, die sich mitnichten darin erschöpft, dem EuGH im Sinne eines „Zulieferers“ kohärenzbezogene Auslegungsfragen im Wege von Vorabentscheidungsersuchen anzutragen. a) Grundsatz: Letztentscheidungskompetenz der nationalen Gerichte In den oben skizzierten Verfahren greift der EuGH stetig und geradezu stereotypisch auf die Urteilsformel zurück, dass es „Sache des vorlegenden Gerichts“188 sei, sich zu vergewissern, ob das für die streitbefangene Glücksspielmaßnahme geltend gemachte Ziel in kohärenter und systematischer Weise verwirklicht werde.189 Nachdem sich der Gerichtshof im Zuge eines Vorabentscheidungsverfahrens zur Geltung und Wirkkraft des Kohärenzgebots im Kontext des ihm angetragenen Fallmaterials in abstrakter Weise geäußert hat, spielt er also – bildhaft gesprochen – den Ball wieder in das Feld des vorlegenden Gerichts zurück und weist ihm sowohl die Ermittlung der kohärenzrelevanten Tatsachen als auch deren Subsumtion und finale Würdigung im Lichte der Auslegungsentscheidung zu. Mit der so vollzogenen (Rück-)Delegierung trägt der Gerichtshof dem Grundsatz Rechnung, dass nach Maßgabe der zwischen dem EuGH und dem Vorlagegericht bestehenden Arbeitsteilung (Entscheidungs- und Folgeverantwortung) sowie im Übrigen auch nach überkommener Übung, die auf grundfreiheitsbeschränkende Maßnahmen gerichtete Verhältnismäßigkeitsüberprüfung prinzipiell den nationalen Gerichten zufällt.190 Aufgrund der im Wege EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 36) – OPAP u. a. ähnlicher Formulierungen bediente sich der Gerichtshof z. B. in den Entscheidungen: EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 41) – Digibet/Albers; EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 51) – Dickinger/Ömer; EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 78) – Stoß u. a.; EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 56) – Placanica u. a.; EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 75) – Gambelli. Vgl. nur beispielhaft EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 36) – OPAP u. a.; EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 62) – Zeturf; EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 56) – Placanica u. a.; EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 75) – Gambelli. 190  Haltern, Gemeinschaftsrechtliche Aspekte des Glücksspiels, S. 22. 188  Z. B.

189  Ganz



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 91

einer Vorabentscheidung freigesetzten (tatsächlichen) erga-omnes-Wirkung,191 trifft dieser Prüfungsauftrag nicht nur das jeweils vorlegende Gericht, sondern alle nationalen Gerichte – und im Übrigen alle sonstigen mitgliedstaatlichen Organe –192, die sich mit Fragen zur kohärenten Ausgestaltung einer Glücksspielregelung befassen. Im Regelfall, der auch das Gros der glücksspielbezogenen Rechtsprechungspraxis des EuGH ausmacht, liegt die letztverbindliche Judiz, ob die inkriminierte Maßnahme gemessen an den im einschlägigen Urteil aufgestellten Direktiven als inkohärent und somit grundfreiheitswidrig zu qualifizieren ist, mithin allein bei den nationalen Gerichten. Damit bekleiden sie als erstes und letztes Glied der „Kohärenzprüfungskette“ eine tragende Schlüsselposition, die eingedenk der Fülle an seitens des Gerichtshofs formulierter Kohärenzanforderungen je nach Fallmaterial ein breit gefächertes Prüfungsspektrum mit sich bringen kann.193 Darüber hinaus kommt den nationalen Gerichten gerade dort, wo der EuGH deutungsoffene bis ambivalente Urteilspassagen hinterlässt, die Aufgabe zu, im Wege einer gerichtlichen Aufbereitung und Nachverdichtung die Kohärenzmaßstäbe bis zu einen bestimmten Grad – nämlich innerhalb des unionsgerichtlich gesteckten Interpretationsrahmens – zu präzisieren. b) Ausnahme: Vorentscheidung durch den EuGH Etwas anders können die Dinge hingegen liegen, wenn das vorlegende Gericht die zur Beurteilung der Kohärenz maßgeblichen Sachverhaltselemente dezidiert im Vorlageersuchen aufführt und sie damit zum potenziell unmittelbar justiziablen Gegenstand der Vorlagefragen macht.194 Denn obwohl die grundfreiheitliche Verhältnismäßigkeitsprüfung in der Verfahrens­ praxis für gewöhnlich den nationalen Gerichten zufällt, existiert kein allgemeinverbindliches Prinzip über diese Gepflogenheit.195 So kommt es vor, 191  Dazu

schon oben Teil 2, B., II., 2., b). Kirschner, Grundfreiheiten und Gestaltungsspielräume, S. 95. 193  Beispielhaft seien an dieser Stelle nur die einem nationalen Gericht überantworteten Aufgaben erwähnt, „zu untersuchen, ob die rechtswidrigen Spieltätigkeiten […] ein Problem darstellen können und ob eine Ausweitung der zugelassenen und regulierten Tätigkeiten geeignet wäre, diesem Problem abzuhelfen“, EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 72) – Zeturf oder „sich im Licht insbesondere der konkreten Anwendungsmodalitäten der betreffenden restriktiven Regelung zu vergewissern, dass sie tatsächlich dem Anliegen entspricht, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern“, EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 98) – Stoß u. a.; näher dazu sogleich unten Teil 3, B. III., 3., b). 194  So von Danwitz, in: Ruffert, FS-Schröder, S. 155 (159). 195  Vgl. Hautmann, Spielverlust und Europarecht, S. 78. 192  Vgl.

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

dass der EuGH den vorlegenden Gerichten bisweilen deutliche Hinweise darauf gibt, ob und inwieweit die von ihnen geschilderte Tatsachenlage dem Kohärenzerfordernis genügt: In diesem Sinne führte der EuGH beispielsweise in den Rechtssachen Stoß u. a. aus, dass „die vorlegenden Gerichte auf der Grundlage der von ihnen getroffenen […] Feststellungen berechtigten Anlass zu der Schlussfolgerung haben“196 könnten, dass das deutsche Sportwettenmonopol nicht mit dem Gebot der Kohärenz vereinbar sei. In seltenen Fällen – in neuerer Zeit jedoch immer öfter –197 nimmt der EuGH die abschließende Bewertung, ob die verfahrensgegenständliche Glücksspielregelung den Anforderungen des Kohärenzgebots genügt, faktisch selbst, d. h. ohne Rückdelegation an das vorlegende Gericht, wahr. So führte er etwa im Verfahren Digibet/Albers unter kohärenzbezogenen Gesichtspunkten aus, „dass sich somit nicht die Auffassung vertreten [lässt], dass die abweichende Rechtslage in einem Bundesland die Eignung der in den anderen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels zur Erreichung der mit ihnen verfolgten legitimen Ziele des Allgemeinwohls erheblich beeinträchtigt“198. Noch einen Schritt weiter ging der EuGH in der Rechtssache Liga Portuguesa, in der er nämlich die portugiesische Monopolregelung für mit dem Kohärenzgebot als unzweifelhaft vereinbar erklärte: Das Monopol könne „durch das Ziel der Bekämpfung von Betrug und anderen Straftaten [als] gerechtfertigt angesehen werden“199. Als aufschlussreiche Indikatoren dafür, in welchem Umfang der Gerichtshof eine selbständige Beurteilung zum fallkonkreten Vorliegen der aus dem Kohärenzgebot resultierenden Anforderungen vornimmt, haben sich in der Vergangenheit indes neben der Konkretheit der Vorlagefragen auch die Tendenz der jeweiligen Gesuche erwiesen: Je ausführlicher das vonseiten des vorlegenden Gerichts beigebrachte Rechts- und Tatsachenmaterial war und je deutlicher das Gericht seine Überzeugung zur Einhaltung oder Nichteinhaltung des Kohärenzgebots in eine bestimmte Richtung gelenkt hat, umso wahrscheinlicher war es, dass der Gerichthof den ihm vorgelegten Fall ohne Rückdeligierung entschied.200 196  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 106) – Stoß u. a.; ganz ähnlich EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 73) – Carmen Media. 197  Auf diese Tendenz aufmerksam machen Dietlein/Hüsken, in: Dietlein/Hecker/ Ruttig, Glücksspielrecht, § 1 GlüStV (Rn. 7). 198  EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 36) – Digibet/Albers. 199  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 72) – Liga Portuguesa. 200  Heseler, Glücksspielregulierung, S. 225 ff.; in diese Richtung auch Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 803 und van den Bogaert/Cuyvers, CMLR 2011, S. 1175 (1203 f.).



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 93

Der maßgebliche Gewinn einer stellenweise oder gar vollständig in Eigenregie gefällten Entscheidung liegt darin, dass das Auslegungsergebnis einen vergleichsweise sehr geringen Abstraktionsgrad aufweist und den vorlegenden Gerichten damit einen auf die Vorlagefragen passgenau zugeschnittenen Antwortenkatalog liefert, womit ein großes Maß an Rechtssicherheit und Akzeptanz freigesetzt wird.201 Auf der anderen Seite bedingt diese Verfahrensweise, dass den nationalen Gerichten kaum mehr Wertungs- und Entscheidungsspielräume belassen werden; damit läuft der Gerichtshof womöglich Gefahr, seine in Art. 267 AEUV niedergelegten Vorabentscheidungskompetenzen zu überschreiten.202 5. Rechtsdogmatische Einordnung und prüfungssystematische Verortung Aufbauend auf die bis hierher dargelegten Kohärenzmaßstäbe stellt sich im Weiteren die Frage nach der dogmatischen Einpassung des Kohärenzgebots in das grundfreiheitliche Strukturgerüst; daraus erhebt sich wiederum ein Klärungsbedarf nach seinem genauen prüfungssystematischen Standort. a) Meinungspektrum zur rechtsdogmatischen Rezeption Als eine in rechtsschöpferischer Weise vom EuGH in die grundfreiheitliche Prüfungsdogmatik getragene Rechtsfigur „ist die dogmatische Einordnung des Kohärenzprinzips noch offen“203. Dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass seine Maßstäbe – wie soeben dargelegt – judikativ geprägten Wandlungen unterworfen sind; mehr noch aber erklärt sich seine dogmatische Unausgegorenheit aus den variablen Ausdeutungsmöglichkeiten, welche der EuGH mit seiner verwandten Entscheidungsformel – eine nationale Glücksspielregelung sei „nur dann geeignet […], die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen“204 – hinterlässt; der Gerichtshof liefert hiermit eine Vielzahl möglicher grundfreiheitHeseler, Glücksspielregulierung, S. 225 ff. explizit hinweisend Generalanwalt Colomer, Schlussanträge v. 16.05.2006 zu EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., Slg. 2007, I-1891 (Fn. 20) – Placanica u. a.; vgl. dazu auch Grzeszick, VVDStRL 2012 (Bd. 71), S. 44 (75); von Danwitz, in: Ruffert, FS-Schröder, S. 155 (162 ff.). 203  So explizit Rossi, VerwArch 2013, S. 283 (304); zu einem ähnlichen Befund gelangend Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Kap. 9, § 6 (Rn. 3405); ders./Ehlenz, EuR 2010, S. 490 (514); Hartmann, EuZW 2014, S. 814 (819); Hecker, DVBl 2011, S. 1130 (1133); Frenz/Ehlenz, EuR 2010, S. 490 (514). 204  Z. B. EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 57) – Zeturf. 201  Vgl.

202  Darauf

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

dogmatischer Anknüpfungspunkte, was zu einer Gemengelage an diesbezüglichen Einordnungsversuchen geführt hat. Sondiert man das in würdigender Auseinandersetzung mit der einschlägigen EuGH-Judikatur in der Rechtswissenschaft und der Forensik vertretene Meinungsspektrum zur dogmatischen Einordnung des Kohärenzgebots, so dürfte jedenfalls prinzipielle Einigkeit darüber bestehen, dass sich seine Leitfunktion im Kontext des Glücksspielrechts darauf bezieht, im Sinne des oben beschriebenen „Scheinheiligkeits-“ bzw. „Wahrhaftigkeitstests“ die missbräuchliche Verfolgung unlauterer Anliegen durch einen Mitgliedstaat zu entlarven.205 Stimmen, welche diese Funktion in Gänze leugnen, finden sich allenfalls vereinzelt.206 Mit dieser Überlegung ist freilich noch nicht allzu viel gewonnen, lässt sich ihr doch lediglich eine motiverklärende, nicht jedoch eine dogmatisch-konstruktive Bedeutungszuschreibung abgewinnen. Einen weiteren Baustein zum dogmatisch-konzeptionellen Gerüst des Kohärenzgebots liefert allerdings die ebenfalls bereits oben geschilderte „Universalmethodik“, derer sich die Kohärenzprüfung zum Zwecke der Offenlegung einer unlauteren Zielverfolgung bedient: So folgert der EuGH namentlich Inkohärenzen aus regulativen Widersprüchen, die aus der Sachlage resultieren, dass die vorgebliche Zielsetzung der zu untersuchenden Glücksspielmaßnahme durch eine andere Glücksspielregelung solchermaßen konterkariert wird, dass – so judizierte der EuGH aus einem horizontalen Kohärenzblickwinkel – die mit ihr bezweckte Zielsetzung „nicht mehr wirksam verfolgt werden kann“207 bzw. dass – so entschied der EuGH aus einer rein vertikalen Kohärenzperspektive – die fragliche Maßnahme nicht mehr „wirksam zur Erreichung dieser Ziele beiträgt“208.209 In konsequenter Zusammenführung des die Kohärenzprüfung einerseits tragenden (motiverklärenden) Leitgedankens („Scheinheiligkeitstest“) und der ihr andererseits zugrunde liegenden „Universal-Methodik“ („Konter­karierungs­ 205  So u. a. Dederer, NJW 2010, S. 198 (199); Dörr, DVBl 2010, S. 69 (74); GA Mengozzi, Schlussanträge v. 04.03.2010, EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., ZfWG 2010, S. 236 (Rn. 70) – Stoß u. a.; Krause, GewArch 2010, S. 428 (428); Lippert, EuR 2012, S. 90 (91); Pieroth/Kolbe, in: Hartmann/Pieroth, Spielbanken und Spielhallen, S. 9 (70 f.); Schmahl, in: Müller-Graff/Schmahl/Skouris, FS-Scheuing, S. 671 (680). 206  Vgl. Windoffer, GewArch 2012, S. 388 (389) und wohl auch Streinz, ZfWG 2013, S. 305 (309 f.). 207  EuGH Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 68) – Carmen Media. 208  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 37) – Ladbrokes; gleichsinnig EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 62, 69, 72) – Zeturf; EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 61) – Dickinger/Ömer. 209  Vgl. zur Methodik nur Dederer, NJW 2010, S. 198 (200); Makswit, ZfWG 2014, S. 169 (170); Windoffer, GewArch 2012, S. 388 (388 f.).



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 95

test“) könnten zu einem unionsrechtlichen Inkohärenzurteil von vornherein nur solche Widerspruchstypen führen, die – gegebenenfalls gestützt auf etwaige Erfahrungssätze oder Beweislastregelungen – geeignet sind, zumindest das Misstrauen an der Redlichkeit bzw. Lauterkeit des mitgliedstaatlichen Beschränkungsmotivs zu stärken.210 Teilt man einstweilen diesen Ausgangspunkt und denkt ihn fort, ließen sich Widersprüche, die zwar aus miteinander konfligierenden Maßnahmen resultieren, aber nicht zwangsläufig den Schluss einer unlauteren Motivation implizieren – weil sie sich unter diesem Gesichtspunkt schlichtweg neutral verhalten – nicht ohne Weiteres als möglicher Verstoß gegen das Kohärenzgebot qualifizieren. Unter dieser Annahme erführe das Kohärenzgebot also eine Art teleologische Relativierung. Sowohl ein Großteil der Autorenschaft als auch die nationale Rechtsprechung fügen sich allerdings – sei es expressis verbis oder auch nur implizit – nicht in diesen Gedankengang und stellen ein mögliches Inkohärenzurteil nicht unter die Bedingung, dass die ermittelnden Widersprüche auf die Verfolgung illegitimer Anliegen schließen lassen müssen. Für das Verdikt einer Inkohärenz ausreichend ist nach diesem, das Kohärenzgebot vom Gedanken einer „Missbrauchskontrolle“ partiell entkleidenden Kohärenzansatz, dass aufgrund des vorgefundenen Widerspruchs die Eignung zur Zielerreichbarkeit der fraglichen Glücksspielmaßnahme nachhaltig geschmälert wird, wobei die Mehrheit der Stimmen sich diesbezüglich unter einem rein horizontalen Kohärenzansatz äußert.211 Während mithin unter Zugrundelegung eines engen, strikt an die Leitfunktion des Kohärenzgebots gekoppelten Kohärenzverständnisses, die Prüfung, ob die inkriminierte Maßnahme durch andere, gegenläufige Maßnahmen konterkariert wird, lediglich eine, in das Gerüst der Kohärenzprüfung eingebettete, heteronom-supplementäre Stütze liefert, bildet sie nach der letztgenannten, weiten Konzeption eine eigenständige, von der Leitfunktion emanzipierte Prüfungsgrundlage für ein (In-)Kohärenzurteil;212 im Gegensatz zum erstgenannten, engeren Kohärenzansatz können danach auch solche Regelungen für inkohärent erklärt werden, denen augenscheinlich legitime Zwecksetzungen zugrunde liegen. 210  Haltern,

Gemeinschaftsrechtliche Aspekte des Glücksspiels, S. 36. aus der Literatur: Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Einf. (Rn.  44 ff.); Frenz, EuR 2012, S. 344 (349); Streinz, ZfWG 2013, S. 305 (309 f.); Hecker, DVBl 2011, S. 1130 (1132); Windoffer, GewArch 2012, S. 388 (389); siehe zu diesem Aspekt die aus der nationalen Instanzenrechtsprechung ergangenen Urteile: BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG S. 2013, 396 (Rn. 32); BVerwG, Az. 8 C 5/10, ZfWG 2011, S. 332 (Rn. 35); OVG NRW, Az. 13 A 2018/11, ZfWG 2014, S. 209 (218). 212  Oftmals wird auch nur der horizontalen Kohärenzprüfung eine Konterkarierungskomponente zugeschrieben, vgl. insoweit Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Einf. (Rn. 44 ff.). 211  Siehe

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

b) Meinungsspektrum zum prüfungssystematischen Standort Die Frage nach der prüfungssystematischen Verortung des Kohärenzgebots korrespondiert mit der Frage nach seiner rechtsdogmatischen Einordnung, die – wie soeben geschildert – nicht unumstritten ist. Einmütigkeit besteht zumindest darin, dass die Kohärenzüberprüfung im Zuge der Rechtfertigungskontrolle grundfreiheitsbeschränkender Maßnahmen zur Geltung kommt. Unter Akzentuierung ihrer Leitfunktion als „Scheinheiligkeitstest“ situiert ein Teil des Schrifttums die Kohärenzprüfung dabei schon auf der Prüfungsstufe der Ziellegitimität; auf dieser Ebene wird entsprechend der grundfreiheitlichen Prüfungsdogmatik bekanntlich die Frage aufgeworfen, ob sich in den verfolgten Regulierungsanliegen die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses widerspiegeln.213 Allein in dieser funktionalen Standortbestimmung – so wird plausibilisiert – käme hinreichend zum Ausdruck, dass der Nachweis des angeführten unionslegitimen Ziels bei widersprüchlichem Verhalten nicht erbracht werden könne.214 Andere dagegen orientieren sich bei der prüfungssystematischen Zuordnung des Kohärenzgebots zwar ebenfalls an seiner Leitfunktion, ordnen es allerdings einer weiteren, der Rechtfertigungsprüfung nachgelagerten Ebene zu und erblicken in ihm eine „spezifisch unionsrechtliche SchrankenSchranke“215; denn im Gegensatz zur Verhältnismäßigkeitsprüfung, die sich zwingend auf nur eine isolierte Maßnahme erstrecke, müsse sich die Kohärenzprüfung auf mindestens zwei verschiedene Glücksspielmaßnahmen beziehen, um auf diese Weise überhaupt erst Einsichten zur Widersprüchlichkeit gewinnen zu können.216 Die Mehrheit der Stimmen in der Literatur217 sowie auch die nationale Rechtsprechung218 begreift das Kohärenzerfordernis demgegenüber als Ele213  Hierzu

schon oben Teil 2, III., 3., b). NJW 2010, S. 198 (200); ähnlich Pieroth/Kolbe, in: Hartmann/Pieroth, Spielbanken und Spielhallen, S. 9 (77 f.); Ossenbühl, DVBl 2003, S. 881 (891). 215  So die Interpretation von Lippert, EuR 2012, S. 90 (92 f.). 216  Lippert, EuR 2012, S. 90 (92 f.). 217  Vgl. nur Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 763; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 45 EUV (Rn. 402); Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Kap. 9, § 5 (Rn. 3339); Hartmann, EuZW 2014, S. 814 (817); Kirschner, Grundfreiheiten und Gestaltungsspielräume, S. 180; Mellein, in: Schwarze, Das Verhältnis von nationalem Recht und Europarecht, S. 100 (103); Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 56 AEUV (Rn. 110); Schmahl, in: MüllerGraff/Schmahl/Skouris, FS-Scheuing, S. 671 (681); Stein, ZfWG 2010, S. 353 (354); Talos/Strass, wbl 2013, S. 481 (482). 218  BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 32); BVerwG, ZfWG 2011, S. 332 (Rn. 35); BVerwG, Az. 8 C 5/10, ZfWG 2011, S. 332 (Rn. 35). 214  Dederer,



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 97

ment der grundfreiheitlichen Verhältnismäßigkeitskontrolle und bringt es dort im Konkreten beim Gebot der Zieleignung zur Geltung. Einher geht diese Einordnung insbesondere mit der Annahme, ein Verstoß gegen das Kohärenz­ verbot könne auch dann vorliegen, wenn die Eignung der streitgegenständ­ lichen Regelung durch anderweitige, sie konterkarierende Maßnahmen beeinträchtigt werde; denn dann bilde die kohärente Zielverwirklichung die Grundlage bzw. „konstitutive Voraussetzung“219 für die wirksame Verfolgung eines Ziels.220 c) Stellungnahme Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die dogmatische Ein- und prüfungstechnische Zuordnung des Kohärenzgebots letztlich von der Beantwortung der insoweit weichenstellenden Frage abhängt, ob das Kohärenzerfordernis eine von seiner Leitfunktion abgekoppelte, mit einem Eigenstand versehene Wirkungsebene besitzt, die es erlaubt, Maßnahmen als inkohärent einzustufen, selbst wenn der durch sie erzeugte Widerspruch nicht auf die Verfolgung unionsillegitimer Anliegen hindeutet. aa) Genetischer Kontext als Ansatzpunkt Gegen diese Position streitet zunächst der genetische Kontext, dem das Gebot der Kohärenz entstammt: ursprünglich speist sich der Kohärenzgedanke in Glücksspielsachen – wie im Vorigen illustriert –221 aus der Moti­ vation heraus, unlauteren Regulierungsabsichten der Mitgliedstaaten beizukommen. Dieses Ansinnen lässt sich schon an den im Gambelli-Urteil getroffenen Aussagen ablesen: Grundfreiheitsbeschränkende Glücksspielmaßnahmen müssen „wirklich dem Ziel dienen, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern, und die Finanzierung sozialer Aktivitäten mit Hilfe einer Abgabe auf die Einnahmen aus genehmigten Spielen darf nur eine nützliche Nebenfolge, nicht aber der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven Politik sein“222. Mit dieser Entscheidungsformel, die sich im Übrigen auch in den neueren, ganz überwiegend zu Monopolregelungen ergangenen Urteilen in gleicher oder ähn219  So

S. 35.

prononciert Haltern, Gemeinschaftsrechtliche Aspekte des Glücksspiels,

220  Frenz, EuR 2012, S. 344 (349); ähnlich Dörr, DVBl 2010, S. 69 (74 f.); Hartmann, EuZW 2014, S. 814 (817); Streinz, ZfWG 2013, S. 305 (309); Windoffer, GewArch 2012, S. 388 (389). 221  Siehe dazu oben Teil 3, B., II., 2. 222  EuGH, Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 62) – Gambelli.

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

licher Form wiederfindet,223 signalisiert der EuGH, dass er mit der Kohärenzprüfung im Sinne eines „Scheinheiligkeitstests“ in erster Linie die „wirkliche“ bzw. „wahrhaftige Zielverfolgung“ und nicht die „wahrhaftige Zielerreichbarkeit“ einer Maßnahme zu erforschen bezweckt und die Erkenntnis über letztere lediglich als methodischen, impliziten Prüfungsbaustein heranzieht. bb) Keine singuläre Zweckausrichtung in der Folgerechtsprechung erkennbar Dieser Befund nötigt allerdings nicht zu der Annahme, der Gerichtshof habe seine Meinungsbildung dahingehend abgeschlossen, dass sich die Funktion der Kohärenzkontrolle per se in der Erforschung der wahrhaftigen Zielverfolgung erschöpft. Reflektiert man nämlich unter diesem Gesichtspunkt die vom EuGH in seiner jüngeren Glücksspieljudikatur getroffenen Aussagen, legen diese den Schluss nahe, dass der Gerichtshof inzwischen der dem Kohärenzgebot zweifelsohne innewohnende Konterkarierungskomponente eine von der Scheinheiligkeitskomponente entkoppelte, mit einer Selbstzweckhaftigkeit versehene Bedeutung zumisst. So traf er im Urteil zum Verfahren Carmen Media die aufschlussreiche Feststellung, dass Zweifel an der Kohärenz einer Monopolregelung dann angebracht seien, wenn die zuständigen Behörden in Bezug auf andere Glücksspiele (Automatenglücksspiele) als die einem staatlichen Monopol unterliegenden Glücksspiele (Sportwetten), eine Politik verfolgen, die vordringlich darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Spielgelegenheiten zu verringern.224 Hier führte der Gerichtshof einen widerspruchsbegründenden bzw. inkohärenzstiftenden Umstand ins Feld, der nicht ohne Weiteres die Wahrhaftigkeit der Zielverfolgung der Monopolregelung infrage stellte, sondern vordringlich die Wahrhaftigkeit ihrer Zielerreichbarkeit in Bezug nahm; denn die expansive Politik betraf gerade nicht die unter Umständen fiskalisch oder protektionistisch motivierte Monopolregelung, sondern den prinzipiell allen EU-Wirtschaftsteilnehmern offen stehenden und allenfalls mittelbar fiskalisch geprägten Sektor des Automatenglücksspiels.225 223  Vgl. insoweit EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 34, 59) – Zeturf; EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 104) – Stoß u. a.; EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 66) – Carmen Media; EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 54) – Placanica u. a.; in diese Richtung je­ denfalls auch EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 36) – OPAP u. a. 224  EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 68) – Carmen Media; ähnlich EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 106) – Stoß u. a. 225  Zum sog. gewerblichen Automatenspielsektor in Deutschland eingehend unten Teil 4, A., II., b), aa).



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 99

Schon damit lässt der EuGH erkennen, dass er der Konterkarierungskomponente des Kohärenzpostulats eine von der Scheinheiligkeitskomponente unabhängige Wirkkraft zuspricht. Die Wirkkraft dieser Komponente erstreckt sich – unabhängig von ihrer Funktion als Prüfungsbaustein für die Vollführung des „Scheinheiligkeitstests“ – darauf, die tatsächliche Wirksamkeit der streitbefangenen Maßnahme zu beleuchten und bezweckt damit letztlich die Offenlegung defektiver gesetzgeberischer Gefahreneinschätzungen. Dieser Eindruck verfestigt sich, reflektiert man die vom EuGH im Kontext zur Forderung nach einer „regionalübergreifend-horizontalen Kohä­renz“226 statuierten Koordinierungspflicht: Die an die jeweiligen Normgeber eines Mitgliedstaats – bezogen auf die Bundesrepublik also zuvörderst die Bundesund die Landesgesetzgeber – adressierte Abstimmungspflicht soll allein verhindern, dass sich die aus einem gesamtstaatlichen Blickwinkel unter Umständen ergebenen divergierenden Regulierungskonzeptionen derart miteinander konfligieren, dass ihre jeweilige Zielerreichbarkeit durch einander widersprechende Regelungen praktisch aufgehoben wird. In besonderer Weise lässt sich dieses, im Effektivitätsdenken verhaftetete Anliegen in der Entscheidung betreffend die Rechtssache Digibet ablesen, wenn der EuGH ausführt, dass sich mit Blick auf die deutsche Glücksspielregulierung nicht die Auffassung vertreten lässt, „dass die abweichende Rechtslage in einem Bundesland die Eignung der in den anderen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels zur Erreichung der mit ihnen verfolgten legitimen Ziele des Allgemeinwohls erheblich beeinträchtigt“227. Die Koordinierungspflicht zielt eben genau auf die Vermeidung solcher, die Wahrhaftigkeit der Erreichbarkeit der an sich „legitimen Ziele des Allgemeinwohls“ in Zweifel ziehenden Beeinträchtigungen; die Vermeidung relevanter Konflikte bezogen auf die Wahrhaftigkeit der Zielverfolgung unterfällt demgegenüber gerade nicht ihrem Schutzzweck. Dies erscheint auch sachlogisch, da Widersprüche im Kontext des „Scheinheiligkeitstests“ sich schon strukturell erst dann einstellen können, wenn innerhalb einer „Gesetzgebungszone“ – etwa innerhalb eines Bundeslandes – divergierende Regulierungskonzepte verfolgt werden;228 erst dann kann sich ein auf die Verfolgung unionsillegitimer Motive hindeutender Widerspruch offenbaren. Exogene, nicht durch den Gliedstaat beeinflussbare Umstände, wie die abweichende Zielrichtung der Regulierung in anderen Gliedstaaten, können nicht auf dessen Regulierungsintention durchschlagen und damit ebenso wenig die Wahrhaftigkeit der Zielverfolgung infrage stellen.229 226  So Dietlein/Peters, ZfWG 2013, S. 229 (229); ähnlich Koenig/Meyer, ZfWG 2013, S. 153 (158). 227  Vgl. EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 36) – Digibet/Albers. 228  Dietlein/Peters, ZfWG 2013, S. 229 (232).

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

All dies spricht für eine, die unverfälschte Effektivität und Effizienz im Sinne einer „Erfolgseignung“230 grundfreiheitlicher Beeinträchtigungen besichernde, prüfungstechnisch homogene Geltung der dem Kohärenzgebot inhärenten Konterkarierungskomponente. cc) Berücksichtigung legislativer Unzulänglichkeiten Ungeachtet der vorgenannten Gesichtspunkte erweist sich ferner die funktionelle Einengung des Kohärenzgebots auf einen, sich an Kategorien von Wahrheit und Bösgläubigkeit messenden, reinen „Scheinheiligkeitstest“ deswegen als unbefriedigend, weil Inkohärenzen nicht umstandslos zur belastbaren Annahme einer unlauteren Zielverfolgung zwingen. Sie können – selbst im Kontext „staatsfreundlicher“ Monopolregelungen – vielmehr auch das bloße Produkt des in einem demokratischen Gemeinwesen unausweichlich kompromissbehafteten Entscheidungsprozesses sein, der unter dem Zwang einer Konsensfindung sich im Einzelfall mehr an einem Ausgleich divergierender Standpunkte als an der Wahrung von Kohärenz in den gesetzlichen Strukturen orientiert.231 Zudem: Ein mitgliedstaatlicher Gesetzgeber ist nie unfehlbar; selbst bei einem „guten“, d. h. nicht von unlauteren Motiven gekennzeichnetem Willen, lassen sich legislative, die Stringenz einer Regulierung infrage stellende, Fehlgriffe wegen der hohen Technizität und Komplexität eines Rechtsgefüges nicht per se ausschließen.232 Insofern erscheint schon die mit einer schematischen Gleichung zwischen Inkohärenz und unlauterer Zielverfolgung operierende Deduktionskette zum „Scheinheiligkeitstest“ unter Anerkennung einer gewissen, dem Gesetzgeber zuzugestehenden Fehlertoleranz recht zweifelhaft.233 Obgleich hinsichtlich solch neu­ traler, offenkundig von keiner unlauteren Intention getragener Widersprüche unter Umständen Abstufungen bezüglich des auf sie konkret anzuwendenden Kohärenzmaßstabes vorzunehmen sind, so erscheinen sie doch ebenso aufdeckungs- und ahndenswert wie unlauter motivierte Widersprüche. Die Enthüllung solcher Widersprüche kann nur unter Anerkennung einer prüfungstechnisch mit einem Eigenwert ausgestatteten Konterkarierungskomponente geschehen.234 229  Dietlein/Peters,

ZfWG 2013, S. 229 (232). Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 763. 231  Vgl. Petersen, AöR 2013, S. 109 (130 f.); in die Richtung auch Windoffer, GewArch 2012, S. 388 (389). 232  Siehe allg. zur Bedeutung von legislativen Verfehlungen im Kontext des Kohärenzgebots Postel, EuR 2007, S. 317 (329). 233  Ähnlich Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 762 f., 795 f. 234  Ferner dürfte für die Einordnung des Kohärenzpostulats als Effektivitätspostulat und damit gleichsam für eine selbständige Geltung der Konterkarierungskompo230  Dieterich,



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 101

dd) Das Kohärenzgebot als unionales Effektivitätspostulat Der im Vorstehenden zum Ausdruck kommende Zugang zum Kohärenzverständnis fügt sich bruch- und zwanglos in das, die gesamte Unionsrechtsordnung durchdringende, effet utile-Prinzip,235 welches seine Motivation daraus bezieht, die einheitliche Geltung und Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten und ihm „nützliche Wirkung“ oder „praktische Wirksamkeit“ zu verleihen.236 Im hier referierten Kontext bringt diese Interpretationsdirektive eine einfache Aussage mit sich: Wenn schon die Grundfreiheiten beschränkt werden, dann nur effektiv, um das mit der Beschränkung verbundene Ziel praktisch möglichst effektiv zu erreichen; wenn es ohnehin nicht wirksam erreicht wird, bedarf es auch keiner, der Ratio des Binnenmarktes zuwiderlaufenden, Beschränkung grundfreiheitlicher Schutzgehalte.237 So verstanden, werden in struktureller Hinsicht auffällige Verbindungsstränge des Kohärenzgebots zum tradierten Prinzip der Geeignetheit deutlich,238 dessen Erkenntnisziel sich ebenfalls auf die Erreichbarkeit des mit einer grundfreiheitsbeschränkenden Maßnahme verfolgten Regelungszwecks richtet.239 Vor diesem Hintergrund mag man an dieser Stelle dazu geneigt sein, die Zwischenfrage einzuwerfen, ob das Kohärenzerfordernis von seinem methodologischen Ansatz her nicht ebenso gut als ein „verkapptes“ Geeignetheitsgebot anzusehen ist und deshalb nach konventionellen Prüfungsmustern behandelt werden kann. Dagegen spricht allerdings schon die Spezialität der Rechtsfigur: Selbst unter der berechtigten Annahme, das Kohärenzgebot wurzele im allgemeinenente sein normativer Ursprung fruchtbar zu machen sein, der bekanntlich im europäischen Primärrecht wurzelt. In diesem Kontext verlangt das zentral in Art. 7 AEUV kodifizierte Gebot – wie bereits oben ausgeführt – ein inhaltlich aufeinander abgestimmtes, systematisches Verhalten der einzelnen Unionsorgane. Mit dieser Forderung soll letztlich auch die Effektivität bzw. Zweckerreichbarkeit der einzelnen, von der Union ausgehenden Maßnahmen gewährleistet werden. Dieses Anliegen findet ebenfalls im hier gegebenen Zusammenhang („Konterkarierungsverbot“) sein Spiegelbild, so dass auch eingedenk dieser Parallelwertung dem Kohärenzgebot eine eigeständige Funktion als Konterkarierungsverbot zuzuschreiben ist. 235  Hierzu schon in grundlegender Weise EuGH, Rs. 48/75, NJW 1976, S. 2065 (Rn. 69, 73) – Royer. 236  Kirschner, Grundfreiheiten und Gestaltungsspielräume, S. 72; umfassende Behandlung der Thematik bei Seyr, Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH, S.  94 ff. 237  Schorkopf, DÖV 2011, S. 260 (261); ähnlich Hecker, DVBl 2011, S. 1130 (1130 f.). 238  In diesem Sinne Dietlein/Peters, ZfWG 2013, S. 229 (234). 239  Vgl. hierzu von Danwitz, EWS 2003, S. 393 (395).

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

ren Kriterium der Geeignetheit, würde dies keine ergiebigen Erkenntniswerte zu seiner dogmatischen Rezeption liefern, weil das Kohärenzgebot im hohen Maße durch den spezifischen Sachbereich, in dem es zur Anwendung gelangt – eben den „sehr spezifischen Markt für Glücksspiele“240 – geprägt wird. Insoweit erfährt es seine konkrete Materialisierung durch seine Zuordnung zu der Agenda und Sachwelt des Glücksspiels. Zudem sind die „materiellen“ Ähnlichkeiten nur oberflächlicher Natur: Beide Rechtsfiguren treffen sich zwar in der Idee einer Effektivitätskontrolle; sowohl die Kohärenz- als auch die Geeignetheitsprüfung sollen letzten Endes sicherstellen, dass eine grundfreiheitseinschränkende Maßnahme ihr Ziel wirksam verfolgt. Während sich bei der Geeignetheitsprüfung in ihrer „traditionellen“ Ausformung dieser Wirksamkeitstest im Wesentlichen allein mit Blick auf die fragliche „Einzelmaßnahme“241 und ihr angestrebtes Ziel beurteilt, vollführt die Kohärenzkontrolle jene Effektivitätsanalyse ohne diese perspektivische Verengung im Wege eines die kontraproduktiven Folgewirkungen anderer Maßnahmen musternden „Rundumschlags“.242 Hierin manifestiert sich gerade die der Kohärenzprüfung prüfungsdimensional genuin innewohnende Konterkarierungskomponente. Das Kohärenzpostulat verschärft das Geeignetheitskriterium also „in die Breite“243. Beide Rechtsinstitute konvergieren in ihrer Zielausrichtung, sind aber in der näheren Ausgestaltung doch abweichend. Unter Bedachtnahme dieser Relation ließe sich feinsinnigerweise das Kohärenzgebot – bei aller gebotenen Vorsicht im Hinblick auf eine vorschnelle Vereinfachung und Pauschalisierung – als ein kraft unionsgerichtlicher Rechtsfortbildung entwickeltes, spezifizierendes Unterprinzip244 des Geeignetheitsgebots interpretieren.245 Eine schlichte Parallelisierung beider Figuren hilft dennoch, trotz ihrer strukturellen Verbandelung und funktionaler Äquivalenz, bei der dogmatischen Ergründung des Kohärenzgebots nur in begrenztem Ausmaß – namentlich ergänzend – weiter.

240  Zuletzt EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 31) – Digibet/Albers und EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 45) – OPAP u. a. 241  Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 776. 242  In diese Richtung auch Englisch, in: FS-Lang, S. 167 (219). 243  Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 815. 244  Allg. zur Struktur und Wirkweise von Unterprinzipien, Larenz, Methodenlehre, S.  362 ff. 245  So jedenfalls tendenziell auch Trstenjak/Beysen, EuR 2012, S. 265 (271); vgl. zum rechtsfortbildenden Schritt im Einzelnen die Ausführungen unten Teil 3, B., III., 1., c).



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 103

ee) Folgerungen für den Prüfungsstandort Im Spiegel der angeführten Implikationen streitet auch Überwiegendes dafür, die Entfaltung der Kohärenzprüfung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf der Stufe der Geeignetheit zu verorten. Der Umstand, dass das Kohärenzerfordernis ebenfalls eine Scheinheiligkeitsdimension besitzen mag – in diesem Zusammenhang dürfte der Kohärenzkontrolle wohl die Funktion eines die allgemeinen Prüfungsmaßstäbe der Ziellegitimität („ungeschriebene Rechtfertigungsgründe des Allgemeininteresses“) nahverdichtenden Instruments beizumessen sein –, ist für diese prüfungssystematische Einordnung insoweit unschädlich, als selbst bei einer, auf die Enthüllung von unlauteren Zielverfolgungen gerichteten Kohärenzprüfung, der maßgebliche Prüfungsschritt darin besteht, Inkohärenzen anhand von Widersprüchen festzumachen, die aus regulativen Spannungslagen resultieren. In jener methodischen Herangehensweise liegt gerade der Mehrwert begründet, der eine Erhebung des – nicht mehr als ein widerlegbares Indiz lieferndes – „Wirklichkeitsgebots“ zum Kohärenzgebot erst plausibilisiert; dies ist der Punkt, an dem sich Scheinheiligkeits- und Konterkarierungskomponente in jedem Fall kreuzen und prüfungstechnisch ineinandergreifen. Derlei Erwägungen bringt der EuGH in seiner Prüfungsdogmatik nicht auf der Stufe der Ziellegitimität, sondern unter dem Aspekt der Geeignetheitsprüfung zur Entfaltung. ff) Ergebnis Nach den vorangegangenen Überlegungen lässt sich systematisierend Folgendes festhalten: Die spezifische Funktion des Kohärenzgebots erschöpft sich keineswegs (mehr) nur darin, die Wahrhaftigkeit der Zielverfolgung einer Maßnahme offenzulegen, sondern erstreckt sich primär auf die Erforschung der Wahrhaftigkeit der Erreichbarkeit des mitgliedstaatlicherseits erklärten Ziels; die Konterkarierungskomponente kann nunmehr als „Nukleus“ des Kohärenzgebots angesehen werden. Wenngleich mitgliedstaatliche Verstöße gegen das Kohärenzpostulat aufgrund der spezifischen Vorfindlichkeiten in der glücksspielrechtlichen Infrastruktur regelmäßig „im Bewusstsein der Entwertung des Rechtfertigungs­ belangs“246 erfolgen und das Kohärenzgebot damit – gerade im Prüfungskontext von staatsmonopolistischen Bestimmungen – eine gewisse Schlagseite zur Funktion einer „Motivkontrolle“247 oder „Missbrauchskontrolle“248 enthält, so kann doch ein Inkohärenzurteil – und zwar sowohl aus einer vertika246  Dieterich,

Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 814. Makswit, ZfWG 2014, S. 169 (169). 248  So Talos/Strass, wbl 2013, S. 482 (484). 247  So

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

len als auch einer horizontalen Kohärenzperspektive – allein auf die fehlende Zieleignung der auf dem Prüfstand befindlichen Maßnahme gestützt werden, ohne dass es hierzu eines gesonderten Befundes über ihre unlautere Zielverfolgung bedürfte. Seinem Wesenszug und seiner Funktion nach kann das Kohärenzgebot daher ohne Probleme als ein Konterkarierungs- oder Vereitelungsverbot im Gewand eines Subprinzips des tradierten Geeignetheitskriteriums interpretiert werden, in dem sich seinerseits letztlich das europarechtliche Effektivitätsprinzip („effet utile“) widerspiegelt. Beim Kohärenzgebot im Bezugsfeld Glücksspiel geht es also weniger um idealistische oder rationale Argumente als vielmehr um die Gewährleistung von Effektivität und Effizienz; seine Kennzeichnung als „Kohärenz der Wirkungen“249 trifft daher den typusbestimmenden Kern der Sache. 6. Typologien inkohärenzstiftender Widersprüche Nachdem die Funktion, Methodik und Reichweite des Kohärenzgebots ausgelotet wurden, gilt es nun zu untersuchen, wie die inkohärenzstiftenden Beziehungen im Glücksspielbereich konkret zu charakterisieren sind, d. h. welche Faktoren diese Widersprüche genau auslösen und welche Qualität diese letzthin erreichen müssen, um den Vorwurf einer europarechtlichen Inkohärenz zu begründen. Lässt sich anhand der einschlägigen Urteile eine greifbare Trennlinie zwischen einer kohärenten und einer inkohärenten Glücksspielregulierung markieren und die Faktoren, welche ihre Grenzziehung beeinflussen, präzise ermitteln? Ausgehend von der oben gewonnenen Erkenntnis, dass inkohärenzschürende Widersprüche aus miteinander konfligierenden Glücksspielmaßnahmen erwachsen, bietet es sich zum Zwecke einer möglichst genauen Determination der Maßstäbe an, bei ihrer Erörterung zunächst eine typisierende Fallgruppenbildung nach solchen Umständen vorzunehmen, die überhaupt geeignet sind, ein kohärenzrelevantes Konfliktpotenzial auszulösen. Im Anschluss daran ist zu klären, welche Qualität die hervorgerufenen Widersprüche letzten Endes erreichen müssen, um das Verdikt der Inkohärenz zu begründen. a) Art und Zuschnitt (in-)kohärenzrelevanter Konfliktpotenziale Im Versuch einer systematischen Auffächerung lassen sich zunächst die folgenden Kategorien von regulativen Widersprüchen ausmachen, in denen die EuGH-Rechtsprechung und – regelmäßig in Auseinandersetzung mit die249  Möschel, NJW 2013, S. 253 (253); ähnlich: Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 814; Windoffer, GewArch 2012, S. 388 (389).



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 105

ser Judikatur – das Schrifttum ein (in-)kohärenzrelevantes Konfliktpotenzial erblicken. aa) Spielsuchtbekämpfung versus expansive Angebotspolitik Ein die Kohärenz grundfreiheitsbeschränkender Glücksspielmaßnahmen infrage stellendes Konfliktpotenzial kann sich zunächst in dem Umstand ausprägen, dass ein Mitgliedstaat mit derlei Maßnahmen vorgeblich die Bekämpfung der Spielsucht bezweckt, zugleich aber eine in das Wirkungsfeld dieser Maßnahme fallende expansive Angebotspolitik betreibt oder zumindest duldet. (1)  Expansive Angebotspolitik als inkohärenzauslösender Faktor Dass ein solcher Befund die Kohärenz der mitgliedstaatlicherseits proklamierten Zielrichtung in ernstliche Zweifel rückt, judizierte der EuGH erstmals – aus einer rein sektoralen Perspektive – im Zuge seiner GambelliEntscheidung. Konkret zur Prüfung standen hierbei bekanntlich die vorgeblich dem Anliegen der Spielsuchtbekämpfung verpflichteten restriktiven Sportwettenregelungen Italiens, deren Kohärenz durch eine auf den Sportwettensektor bezogene expansive, die Erreichbarkeit des Ziels der Spielsuchtprävention in ihrem Wirkungsgrad senkende, Angebotspolitik infrage gestellt wurde.250 Durch die mit der Entscheidung Stoß u. a. zusammengefallene Anerkennung eines sektorenübergreifenden Kohärenzmaßstabes erfuhr der zur Offen­ legung solcher Widersprüchlichkeiten einnehmbare Betrachtungswinkel bekanntlich eine Erweiterung. Der im Urteil statuierte horizontale Kohärenz­ zugang gestattet es mittlerweile, den Befund der inkohärenten Zielverwirk­ lichung nicht mehr nur auf die Angebotspolitik der konkret in Betracht stehenden Glücksspielform zu stützen, sondern gleichfalls die Angebotspolitik anderer Glücksspielbereiche zu mustern: Rechtfertigt ein Mitgliedstaat sein monopolisiertes Glücksspielangebot mit dem Anliegen der Spielsuchtbekämpfung, steht die Erreichbarkeit dieses Ziels unter den Vorgaben des Kohärenzgebots auch dann in Gefahr, wenn die mitgliedstaatlichen Behörden „in Bezug auf andere Glücksspiele […] eine Politik betreiben oder dulden, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu

250  EuGH,

Rs. C-243/01, NJW 2004, S. 139 (Rn. 67 ff.) – Gambelli.

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

begrenzen“251. Es geht also um Fallkonstellationen, in denen die expansionistische Angebotspolitik in einem anderen Bereich auf die Zielverwirklichung im sektoralen-monopolisierten Bereich gewissermaßen zurückwirkt252 und zwar dergestalt, dass sie ein Ausweichverhalten („Wanderbewegung“253) der Spieler vom monopolisierten Glücksspielangebot hin zu weniger streng regulierten Glücksspielformen zu bewirken droht.254 In vorsichtiger Anlehnung an die Terminologie der Volkswirtschaftslehre ließe sich insoweit von, das Ziel der inkriminierten Glücksspielregelung konterkarierenden, „Spillover-Effekten“255 sprechen. Die, einerlei, ob aus einer vertikalen oder horizontalen Prüfungsperspektive entsprungene Feststellung, dass ein Mitgliedstaat im – plastisch gesprochen – „Bannkreis“ einer vorgeblich die Spielbekämpfung intendierenden Glücksspielmaßnahme – bei der es sich typischerweise um eine Monopolregelung handeln wird – eine Angebotsausweitung vornimmt oder duldet, erweckt schon deshalb den Verdacht der Inkohärenz, weil sich als gewissermaßen idealtypisches Verhalten zur Verfolgung der genannten Zwecksetzung prinzipiell die Reduktion des jeweiligen Glücksspielangebots und nicht dessen Ausweitung aufdrängt.256 (2)  Inkohärenzauflösende Effekte durch wirksame Kanalisierung In dieser Pauschalität teilt der EuGH diese Einschätzung aber nicht vollends, hat er doch mittlerweile anerkannt, dass eine Angebotsausweitung der Kohärenz einer mit dem Ziel der Spielsuchtprävention verbundenen Maßnahme nicht per se entgegensteht, „sondern eine auf Expansion ausgerichtete Geschäftstätigkeit unter bestimmten Voraussetzungen diesem Ziel sogar zuträglich sein kann“257. Diese Einsicht wurzelt in der Überlegung, dass selbst einem der Bekämpfung pathologischen Spielverhaltens verpflichteten 251  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 106) – Stoß u. a.; ganz ähnlich EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 106) – Carmen Media. 252  Vgl. BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 53); Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 754. 253  So das BVerwG, Az. 8 B 91/11, BeckRS 2012, 59766. 254  In diesem Sinne BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 57); näher dazu sogleich unten Teil 3) B., II., 6., a), dd). 255  Vgl. hierzu Woll, Wirtschaftslexikon, Stichwort „Spillover-Effekt“. 256  Zum Wirkungszusammenhang zwischen einer Angebotsausweitung und der Spielsuchtentstehung Diegmann/Hoffmann/Ohlmann, Praxishandbuch Spielrecht, S. 122. 257  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 102) – Stoß u. a.; ganz ähnlich EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 76) – Zeturf; EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 63) – Dickinger/Ömer; beipflichtend auch GA



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 107

Regulierungskonzept die Notwendigkeit innewohnt, die Spieler hin zum staatlich autorisierten Angebot zu lenken, das mit seinen gesetzlichen Schutzmechanismen auf die Spielsucht eingeht und dadurch einem Attraktivitätsgefälle zugunsten des illegalen, mit unzureichenden Spielerschutzmechanismen ausgestatteten Angebots, entgegenwirkt.258 Damit ist die Funktion der Angebotspolitik als regulative Steuerungsressource umschrieben, welche die mitgliedstaatlichen Aufgabenträger in die Lage versetzt, dem unautorisierten Glücksspielmarkt das Wasser abzugraben; denn: Gelingt es den staatlichen Aufgabenträgern schon nicht, die Spielinteressierten auf eine regulierte Spielplattform zu hieven, so können sie das Ziel der Suchtprävention schon von vornherein nicht wirksam realisieren, weil – salopp gesprochen – niemand da ist, der seinem Ordnungsmodell folgen könnte und die Staatsgewalt sich damit gewissermaßen in der Rolle eines „Hirten ohne Herde“ wiederfände.259 Das Anliegen der Spielsuchtprävention ist also in einem gewissen Umfang mit der Verfolgung einer expansiven Angebotspolitik funktional verklammert. Von dieser Betrachtungsweise her rechtfertigt der so aufscheinende Kanalisierungsgedanke eine „kontrollierte Expansion“ des entsprechenden Glücksspielangebots, die insbesondere auch einen „gewissen Werbeumfang“ mit sich bringen kann.260 Der zwischen den Regulierungskoordinaten Spielsuchtbekämpfung und Expansionstätigkeit durchscheinenden Ambivalenz begegnet der EuGH mit seiner dahingehenden Forderung, das richtige Gleichgewicht zu finden, um dem legalen Glücksspielangebot einerseits Attraktivität zu verleihen und andererseits die Spielsucht der Verbraucher so weit wie möglich zu verringern.261 Der Kanalisierungszweck „heiligt“ mithin nicht per se das zur Zielerreichung eingesetzte Mittel der Expansion. Das insoweit zusätzlich eingeforderte – sozusagen kompatibilisierende Wirkung entfaltende – rechte Verhältnis kennzeichnet sich vor allem durch eine maßvolle Werbung ausgewogenen Inhalts, die nicht darauf abzielt den natürlichen Spieltrieb der Verbraucher dadurch zu fördern, dass sie zur aktiven Teilnahme am Spiel über Bedarf anreizt, etwa indem das Spiel verharmlost oder ihm ein positives Image verliehen wird. Beispielsweise kann dies durch den Hinweis auf eine gemeinnützige Verwendung der generierten Erlöse („Spiel mit und tue Mengozzi, Schlussanträge v. 04.03.2010, EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., ZfWG 2010, S. 236 (Rn. 61) – Stoß u. a. 258  Vgl. Planzer, European Gambling Law, S. 174 ff. 259  Vgl. zu diesem Ansatz Dietlein/Hüsken, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 1 GlüStV (Rn. 13); Hartmann, in: Hartmann/Pieroth, Spielbanken und Spielhallen, S. 95 (125 f.). 260  EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 76) – Zeturf; EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 101) – Stoß u. a. 261  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 32) – Ladbrokes.

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

Gutes“) geschehen.262 Der EuGH differenziert insofern zwischen einer legitimen nachfragegelenkten und einer inkohärenzstiftenden ungezügelten wachstumsorientierten Politik (sog. „Strategien, die zu aktiver Teilnahme an Glücksspielen auffordern und anregen“263).264 Adressaten der Werbung dürfen nur diejenigen Spieler sein, deren Spieltriebe bereits „aktiviert“ sind, nicht dagegen die bisherigen Nichtspieler.265 Grob gesagt: Werbemaßnahmen dürfen den Kunden aus der Illegalität in die Legalität locken, aber nicht zum Glücksspiel verlocken.266 Insgesamt nimmt die Inkohärenz einer expansiven Angebotspolitik daher nur in dem Maße ab, wie das von ihr erfasste Kanalisierungsanliegen eine beachtenswerte Wirkung freisetzt, also nach einer Art „Schaden-NutzenAnalyse“ eine tatsächliche Lenkung der im Kontext illegaler Glücksspiele entfalteten Spieltätigkeit hin zum regulierten Angebot bewirkt, ohne dabei auf der „Schadensseite“ den Spieltrieb bisheriger Nichtspieler zu aktivieren. Diesem Erfordernis eines realen Steuerungserfolgs in Gestalt spürbarer Kanalisierungseffekte verleiht der EuGH dadurch Ausdruck, dass er von einer „wirksame[n] Kanalisierung der Spiellust“267 oder „wirksamen Lenkung der Spiellust in rechtmäßige Bahnen“268 spricht. Hierfür letztlich entscheidend sind die jeweiligen Umstände einer wechselseitigen Substituierbarkeit der mit dem Kanalisierungsanliegen in Bezug genommenen Glücksspiele (z. B. Kundengenre, Ereignisfrequenz, Auszahlungsintervall, Grad der Interaktivität).269 In Praxi bringt dieser Standpunkt für die nationalen Gerichte den Arbeitsauftrag mit sich, im Rahmen der Kohärenzbeurteilung anhand – im Grundsatz mitgliedstaatlicherseits beizubringender270 – detaillierter empirischer verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 103) – Stoß u. a. Rs. C 347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 69) – Dickinger/Ömer. 264  Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Einf. (Rn. 41). 265  So Ennuschat, ZfWG 2011, S. 153 (154); siehe auch EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 69) – Dickinger/Ömer; BVerwG, Az. 8 C 17/12, NVwZ-RR 2014, S. 182 (Rn. 47); Krewer/Wagner, ZfWG 2011, S. 90 (93). 266  Streinz, ZfWG 2013, S. 305 (310). 267  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 27) – Ladbrokes. 268  EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 69) – Zeturf. 269  In diesem Sinne auch Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 788; Frenz, EuR 2012, S. 344 (350); Hecker, DVBl 2011, S. 1130 (1134). 270  Insoweit fordert der EuGH, dass ein grundfreiheitsbeschränkender Mitgliedstaat im gerichtlichen Verfahren „alle Umstände vorlegen muss, anhand deren dieses Gericht sich vergewissern kann, dass die Maßnahme tatsächlich den sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebenen Anforderungen genügt“ (EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010 [Rn. 71] – Stoß u. a.); vgl. hierzu auch Dederer, EuZW 2010, S. 771 (773); Hecker, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 11 262  EuGH, 263  EuGH,



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 109

und analytischer Daten festzustellen und zu würdigen, ob de facto ein kanalisierungsfähiges Problem mit rechtswidriger Spieltätigkeit existiert, dem mit einer Angebotsausweitung des legalen Spiels Einhalt geboten werden kann.271 Sofern sich der Nachweis hinsichtlich der behaupteten Gefahr erfolgreich führen lässt, gilt es im Weiteren zu eruieren, ob mit der Angebotsausweitung Kanalisierungseffekte spürbar nachhaltigen Ausmaßes einhergehen, so dass von einer „wirksamen Lenkung der Spiellust in rechtmäßige Bahnen“272 die Rede sein kann. bb) Kriminalitätsbekämpfung versus expansive Angebotspolitik Verfolgt ein Mitgliedstaat mit einer Glücksspielmaßnahme einzig das Anliegen der Kriminalitätsbekämpfung, drängt sich zur Realisierung dieser Zielsetzung prinzipiell nicht die Reduktion des betreffenden Glücksspielangebots, sondern gerade dessen Ausweitung als kohärentes Regulierungsmuster auf, versetzt eine expansive Angebotspolitik die mitgliedstaatlichen Autoritäten doch in den Stand, die Glücksspieltätigkeit in legale Bahnen zu lenken und dadurch ihre Ausbeutung zu kriminellen Zwecken zu verhindern. Schon vor dem Hintergrund, dass – wie soeben erläutert – der EuGH im Wirkungsgefüge einer auf die Interessen der Suchtprävention hin angelegte Maßnahme eine moderate und planvolle Marktausdehnung für zulässig erachtet, erscheint die Kompatibilität einer solchen Politik zum Kohärenzerfordernis in Bezug auf eine kriminalpräventiv motivierte Regelung nur folgerichtig. Die EuGH-Rechtsprechung fügt sich vom Ansatz her in diesen – erstmals in der verbundenen Rechtssache Placanica u. a. judizierten – Zugang,273 stellt aber zugleich Anforderungen an den konkreten Zuschnitt der Expansionspolitik: Letztere muss stets unter der Leitmaxime der Kanalisierung stehen, d. h. mit der erkennbaren Maßgabe erfolgen, eine im Vergleich zu verbotenen Spielnetzwerken verlässliche und attraktive Alternative zu schaffen. Insofern bedarf es unter Kohärenzaspekten auch hier zunächst – ebenso wie in bei der vorgenannten Fallgruppe inkohärenzstiftender Widersprüche – eines, auf der faktischen Entwicklung des Glücksspielmarktes gründenden, Befundes darüber, dass die mit dem Glücksspiel verbundenen kriminellen und betrügerischen Machenschaften ein tatsächliches – empirisch messbares – Problem im betroffenen Mitgliedstaat darstellen, dem mit einer AusweiGlüStV, (Rn.  1 ff.); Mellein, in: Schwarze, Das Verhältnis von nationalem Recht und Europarecht, S. 100 (107). 271  Vgl. EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 26) – Ladbrokes. 272  EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 69) – Zeturf. 273  EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 55) – Placanica u. a.

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

tung der zugelassenen und regulierten Tätigkeiten beizukommen wäre.274 Mit der so „im Licht der Entwicklung des Glücksspielmarkts auf nationaler Ebene“275 eruierten Tatsachenbasis korrespondieren Art und Umfang der zulässigen Angebotsausweitung: Gibt der Befund darüber Aufschluss, dass ein Großteil der in einem Mitgliedsstaat ansässigen Spieler auf das illegale Spielangebot zurückgreift, kann dies für den nationalen Gesetzgeber und seine Stelle die Notwendigkeit bedingen, eine durchaus intensive Angebotspolitik zu betreiben, die insbesondere auch „das Angebot einer breiten Palette von Spielen, einen gewissen Werbeumfang und den Einsatz neuer Vertriebstechniken mit sich bringen kann“276. Führt die Untersuchung hingegen zu dem Ergebnis, dass faktisch nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Spieler sich des illegalen Spielangebots bedient, erscheint die Verfolgung des Ziels „Kriminalitätsbekämpfung“ in dem beschriebenen Maße als widerspruchshaltig und damit inkohärent. Losgelöst von der Frage nach dem konkreten Umfang der Angebotsausweitung gilt auch hier im Übrigen, dass sie in ihrer Wirkung ausschließlich die bereits aktiven Spieler treffen und von einer behördlichen Kontrolle („kontrollierte Expansion“) begleitet werden muss.277 cc) Bipolare Regulierungsziele versus expansive Angebotspolitik Steht eine grundfreiheitsbeschränkende Glücksspielmaßnahme unter dem Siegel sowohl der Spielsucht- als auch der Kriminalitätsbekämpfung, so verfolgt ein mitgliedstaatlicher Gesetzgeber „dualistische“, „multifinale“278 oder „bipolare“279 Regulierungsziele. Dass sich auch in der Kombination der benannten Anliegen prinzipiell eine kohärente Glücksspielpolitik widerspiegeln mag, judizierte der EuGH paradigmatisch in seinem Urteil zur Rechtssache Ladbrokes280 und verfestigte bzw. spezifizierte diesen Standpunkt in seiner Folgejudikatur281. Insoweit führte er aus, dass durch die kombinatoriRs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 72) – Zeturf. verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 33) – OPAP u. a. 276  EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 55) – Placanica u. a. 277  Vgl. EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 55) – Placanica u. a. 278  Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 798. 279  Der Begriff wird geprägt in Anlehnung an den bei Dietlein vorgefundenen Begriff „multipolare Regulierungsziele“, vgl. Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Einf. (Rn. 42). 280  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 32) – Ladbrokes. 281  Siehe insbesondere EuGH, verb. Rs. C-316/07 u.  a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 101)  – Stoß u. a.; EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 76) – Zeturf; 274  EuGH, 275  EuGH,



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 111

sche Verfolgung beider Zielsetzungen die Spielinteressierten zum legalen Angebot gelenkt werden könnten, bei dem davon auszugehen sei, „dass es frei von kriminellen Elementen“282 ist und darüber hinaus darauf ausgelegt sei, „die Verbraucher besser vor übermäßigen Ausgaben und vor Spielsucht zu schützen“283. Die unionsgerichtliche Billigung einer auf beiden Zielsetzungen fußenden Regulierungsstrategie ist insoweit konsequent, als der Gerichtshof selbst eine, dem Wirkungsfeld einer ausschließlich suchtpräventiv ausgerichteten Glücksspielmaßnahme unterfallende, Angebotsausweitung für prinzipiell kompatibel mit dem Kohärenzgebot erachtet. Was die Vereinbarkeit eines kriminalpräventiv ausgerichteten Reglements mit einer expansionistischen Politik anbelangt, bejaht der EuGH deren kohärente Zielrichtung ohnehin schon seit längerem.284 Wenn beide Anliegen für sich genommen unter den skizzierten Voraussetzungen eine kontrollierte Ausdehnung des entsprechenden Marktes rechtfertigen, muss dies a fortiori auch für deren kombinierte Verfolgung gelten. Gleichwohl wird in der Literatur einer zieldualistischen Regulierungspolitik bisweilen angelastet, per se im Verdacht einer inkohärenten Zielverwirklichung zu stehen, da sich die beiden – in ihren regulatorischen Konsequenzen scheinbar widersinnig gegenüberstehenden – Anliegen unter Kohärenzaspekten nur äußerst schwerlich miteinander vereinbaren ließen.285 Gegen eine regulative Kongruenz wird vor allem das Argument ins Feld geführt, eine auf die Eindämmung von Spielgelegenheiten abzielende Glücksspielpolitik unterläge von vornherein gänzlich anderen Handlungsdirektiven als eine, auf Kanalisierung angelegte Regulierungspraxis (Stichwort: Angebotsreduktion vs. Angebotsausweitung). Obgleich sich dieser Erwägung einige Stichhaltigkeit abgewinnen lässt, greift sie jedoch insofern zu kurz, als mit ihr den zwischen beiden Regulierungsanliegen wechselseitig bestehenden Fernwirkungen und Konnexitäten nicht hinreichend Rechnung getragen wird, denn: Ein zu restriktives Angebot an Glücksspielen wird einen intensiven Anreiz für die Spielwilligen darbieten, auf den attraktiveren, aber unreglementierten Markt auszuweichen und dort der unkontrollierbaren Spieltätigkeit nachzugehen; für die Bekämpfung der Spielsucht ist dies ebenso abträglich wie für die Kriminalitätspräven­ EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 63) – Dickinger/Ömer; EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 25) – OPAP u. a. 282  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 101) – Stoß u. a. 283  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 101) – Stoß u. a. 284  EuGH, verb. Rs. C-338/04 u. a., NJW 2007, S. 1515 (Rn. 56) – Placanica u. a. 285  Vgl. mit diversen Nachweisen Fischer, Das Recht der Glücksspiele, S. 209 f. und Horn JZ 2007, S. 736 (736).

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

tion.286 Die Annahme eines pauschalen Zielkonflikts wird dieser mehrdimensionalen, zwischen beiden Anliegen bestehenden Verflechtungsdichte, daher nicht gerecht und kann mittlerweile als überwunden gelten.287 Das in der Verfolgung beider Zielsetzungen nichtsdestoweniger hervortretende Spannungsverhältnis verarbeitet der EuGH mit seiner dahingehenden Forderung, dass „das richtige Gleichgewicht gefunden werden [müsse] zwischen dem Erfordernis einer kontrollierten Expansion der zugelassenen Glücksspiele, um das Glücksspielangebot für die Öffentlichkeit attraktiv zu machen, und der Notwendigkeit, die Spielsucht der Verbraucher so weit wie möglich zu verringern“288. Den insofern eingeforderten „goldenen Mittelweg“ kennzeichnet also eine Art Regulierungsmix, bestehend sowohl aus Elementen der Angebotsexpansion als auch solchen der Spielsuchtprävention; entscheidender Bewertungsfaktor vor den Anforderungen des Kohärenz­ postulats ist, dass sie in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen. Ein wesentlicher Schlüssel zur Beurteilung, ob mit der Regulierung das abverlangte Gleichgewicht gefunden und damit ein „schonender Ausgleich“289 zwischen Expansion und Suchtprävention hergestellt wurde, liegt dabei letzten Endes wiederum – in Anlehnung an die zu den beiden vorgenannten Fallgruppen getroffenen Feststellungen – unabdingbar in der Eruierung des Ausmaßes der illegalen Spieltätigkeit einerseits und der Suchtproblematik im jeweiligen Mitgliedstaat andererseits.290 Insoweit muss auch hierbei die betriebene Angebotspolitik auf einer zutreffenden, empirisch-belegbaren Tatsachenbasis fußen.291 Hieran orientieren sich Art und Umfang einer dem Kohärenzgebot gerecht werdenden Angebotspolitik. dd) Divergenzen in der Regulierungsintensität Ein weiteres Konfliktpotenzial, das die Kohärenz einer restriktiven Glücksspielregelung in unionsrechtliche Zweifel zu rücken vermag, kann schließlich aus der Gegebenheit resultieren, dass ein Mitgliedstaat verschiedene Glücksspielformen bzw. -sektoren einer divergierenden Regulierungsintensität unterwirft, die sich in der Diktion des EuGH vor allem dadurch kennzeich286  Haltern,

Gemeinschaftsrechtliche Aspekte des Glücksspiels, S. 42. auch Dietlein/Hüsken, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 1 GlüStV (Rn. 13). 288  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 32) – Ladbrokes; ganz ähnlich EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 63) – Dickinger/Ömer. 289  Keber, ZfWG 2011, S. 83 (88). 290  Vgl. insoweit EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 29) – Ladbrokes; EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 66) – Dickinger/Ömer. 291  Vgl. EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 37) – Ladbrokes. 287  So



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 113

net, dass die Veranstaltung bestimmter Glücksspielarten privaten Spielveranstaltern offensteht, während andere Sektoren einem staatlich getragenen Monopol unterfallen. In den Urteilen Stoß u. a. und Carmen Media brachte der EuGH diesen Gedanken deutlich zum Ausdruck: Zweifel an der Kohärenz einer der Spielsuchtbekämpfung dienenden Monopolregelung seien dann angebracht, wenn zugleich „andere Arten von Glücksspielen von privaten Veranstaltern, die über eine Erlaubnis verfügen, betrieben werden dürfen“292. Fallkonkret in Bezug nahm der Gerichtshof dabei einerseits das zugunsten der deutschen Länder festgeschriebene Sportwettenmonopol und andererseits den privaten Glücksspielveranstaltern zugänglichen Sektor der Pferdewetten bzw. die Sparte des gewerblichen Automatenspiels.293 In Abgrenzung zu den vorgenannten Fallgruppen, bei denen sich das inkohärenzstiftende Konfliktpotenzial in einer vertikal oder horizontal wirkenden Expansionspolitik ausprägt, ist der hier interessierenden Fallgruppe schon ihrem Wesen nach stets ein horizontales Moment, also eine sektorenübergreifende Betrachtungsweise, zu eigen; eine vertikale Wirkdimension besitzt sie nicht. Zudem kann hier nicht erst eine dem Regulierungsziel der in Betracht gezogenen Maßnahmen zuwiderlaufende Expansionspolitik die Inkohärenz auslösen, sondern schon der Befund, dass der mitgliedstaatliche Gesetzgeber die vorhandenen Glücksspielsektoren unterschiedlichen Regulierungsintensitäten unterwirft. Allein eine solche Regulierungsinhomogenität weckt freilich schon aufgrund der anerkannten Verschiedenartigkeit einzelner Glücksspielformen „für sich genommen“294 nicht den Verdacht einer inkohärenten Zielrealisierung, denn „derart divergierende rechtliche Regelungen ändern nämlich als solche nichts an der Eignung eines […] Monopols zur Verwirklichung des mit seiner Errichtung verfolgten Ziels“295. Ausschlaggebender Gesichtspunkt ist, dass die vorgefundenen Regulierungsdivergenzen das Potenzial in sich bergen, auf die Zieleignung der konkret in die Kohärenzprüfung eingespannten Glücksspielmaßnahme – bei der es sich typischerweise um eine Monopolregelung handelt – konterkarierend durchzuschlagen, und zwar dergestalt, dass sie – ganz ähnlich wie die in einem anderen Glücksspielsegment unternommene Angebotsexpansion – ein Ausweichverhalten („Wanderbewegung“296) 292  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 107) – Stoß u. a.; EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 71) – Carmen Media. 293  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 107); EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 67) – Carmen Media. 294  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 96) – Stoß u. a.; EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 63) – Carmen Media. 295  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 96) – Stoß u. a.; ebenso EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 36) – Digibet/Albers. 296  So das BVerwG, Az. 8 B 91/11, BeckRS 2012, 59766.

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

der Spieler vom monopolisierten Glücksspielangebot hin zu weniger streng regulierten Glücksspielformen freizusetzen droht.297 Dieser Vorgang wirkt auf die mit einer Monopolregelung intendierten Zielsetzung insoweit konterkarierend, als bei einem Monopol „davon auszugehen ist, dass es gerade so eingerichtet und ausgestaltet ist, dass [es sein] Ziel wirksamer verfolgt“298 als in Glücksspielsegmenten, in denen Private als Glücksspielveranstalter operieren. Die in einer „Regulierungsschieflage“ wurzelnde Gefährdung der Zielerreichbarkeit einer Monopolregelung ist unter Kohärenzgesichtspunkten demnach eng gekoppelt an Art und Umfang des tatsächlichen, von einem den Monopolsektor (vermeintlich) konterkarierenden Glücksspielsektor ausgehenden „Migrationspotenzials“. Insoweit sind im Rahmen dieser sektorenvergleichenden299 Kohärenzbetrachtung empirisch-belegbare Befunde – insbesondere betreffend die Entwicklungen auf dem Glücksspielmarkt – vonseiten der nationalen Gerichte heranzuziehen, welche sicheren Aufschluss darüber geben können, ob und bejahendenfalls in welchem Umfang eine „monopolschädlich[e]“300 Gefährdungslage tatsächlich besteht. In würdigender Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Verhältnissen kann hierbei etwa auf die vergleichsweise schwache Gefährdung einer monopolbezogenen Zielerreichbarkeit wegen der geringen Bedeutung eines weniger streng regulierten und die Zweckerreichung des Monopols mutmaßlich konterkarierenden Glücksspielsektors abgestellt werden.301 Gleiches gilt – so judizierte der EuGH explizit – für den Fall, dass ein weniger intensiv regulierter Glücksspielsektor in zeitlicher und räumlicher Hinsicht nur vorübergehend Bestand hatte.302 Von gesteigerter Bedeutung für die Freisetzung etwaiger „Wander297  Vgl. BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 57); Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Einf. (Rn. 41); Hecker, DVBl 2011, S. 1130 (1131); ders., WRP 2012, S. 523 (525 f.); Peren/Clement, Spieler und Konsumentenschutz, S.  55 f. 298  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 102) – Stoß u. a.; ganz ähnlich EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 67) – Zeturf; EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 66) – Dickinger/Ömer. 299  Im Blick auf das Merkmal der „Vergleichbarkeit“ ist es verständlich (aber letztlich nicht ausschlaggebend), wenn einige Stimmen in der Literatur dem Kohärenzpostulat auch einen Wirkhorizont als spezifisches Gleichheitsgebot zusprechen wollen, wie etwa Koenig/Meyer, ZfWG 2013, S. 153 (155 f.); Pieroth/Kolbe, in: Hartmann/Pieroth, Spielbanken und Spielhallen, S. 9 (77); Schorkopf, DÖV 2011, Streinz, ZfWG 2013, S. 305 (305). Lippert, EuR 2012, 90 (92) stellt sich indes mit guten Gründen explizit gegen die Einordnung des Kohärenzgebots als „verkapptes, grundrechtsähnliches Gleichheitsgebot“. 300  Hecker, DVBl 2011, S. 1131 (1133). 301  Siehe BGH, Az. I ZR 92/09, GRUR 2012, S. 193 (Rn. 60 ff.). 302  EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 36) – Digibet/Albers.



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 115

bewegungen“ und damit gleichfalls Bedingung für den Eintritt einer Gefährdungslage ist zudem die Frage, ob die in den Kohärenzvergleich eingestellten Glücksspielformen in einem Verhältnis der wechselseitigen Substitution zueinander stehen, also aus Sicht der nachfragenden Spieler überhaupt austauschbar sind.303 b) Finaler Beurteilungsmaßstab der Inkohärenz Aufbauend auf die vorstehend gelieferte Bestandsaufnahme der in der EuGH-Judikatur behandelten Widerspruchstypologien stellt sich im Weiteren die Frage, welche – wie auch immer beschaffene – Schwelle ein den bloßen Verdacht der inkohärenten Zielverwirklichung schürender Widerspruch überschreiten muss, damit dieser Verdacht zu einem „handfesten“ Inkohärenzurteil erstarkt. aa) Homogener Bewertungsmaßstab Die soeben angestellten Ausführungen haben deutlich werden lassen, dass Art und Zuschnitt der mit einem (in-)kohärenzrelevanten Konfliktpotenzial behafteten Widersprüche je nach inkohärenzauslösenden Faktoren (expansive Angebotspolitik, Regulierungsstrenge) und Beurteilungsperspektive (horizontal, vertikal) verschieden kategorisiert sein können. Dieser Befund schärft den Blick für die Frage nach einem homogen-finalen Bewertungsmaßstab: Lassen sich die vorstehenden Widerspruchsstypen trotz ihrer Variabilität unter Anwendung einer einheitlichen Bewertungsgrundlage mit einer gewissen Zwangsläufigkeit als ein Verstoß gegen das Kohärenzgebot qualifizieren? Dieser Aspekt ist von der EuGH-Rechtsprechung bislang nicht thematisiert bzw. vorkonstruiert worden; es spricht allerdings vieles für diese Annahme: Als durchgängiges Moment ist namentlich zu konstatieren, dass die mögliche (In-)Kompatibilität aller Widerspruchsstypen mit Kohärenzerfordernis letztlich aus einer Gegenüberstellung von Regelungsziel(en) und Regelungswirkung herrührt; insoweit sei nochmals auf die einheitliche Handhabung zur Aufdeckung der inkohärenzrelevanten Widersprüche hinzuweisen: Widersprüche, aus deren Existenz der EuGH namentlich eine inkohärente Zielverfolgung ableitet, stellen sich immer dann ein, wenn die Zielsetzung der in Prüfung stehenden Glücksspielmaßnahme durch eine andere Glücksspielmaßnahme solcherart konterkariert wird, dass sie ihr intendiertes Anliegen 303  Vgl. Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 788; Becker, ZfWG 2012, S. 229 (236); Hecker, DVBl 2011, S. 1130 (1134); Mailänder, ZfWG 2009, S. 334 (335).

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

„nicht mehr wirksam“304 gewährleisten kann. Diese Methodik beansprucht unabhängig davon Geltung, ob einer Glücksspielregelung das Ziel der Spielsuchtprävention oder Kriminalitätsbekämpfung zugrunde liegt oder sie beide Anliegen parallel verfolgt. Dies gilt auch losgelöst davon, ob diese Zielverfolgung durch eine vertikal oder horizontal ausgelöste Expansionspolitik oder durch ein Regulierungsgefälle konterkariert wird. Prüfungstechnischer Fluchtpunkt des Kohärenzgebots bleibt, entsprechend seiner Prägung und Funktion als ein dem „Grundsatz der Effektivität“305 verpflichtetes Konterkarierungsverbot („Kohärenz der Wirkungen“306), stets die Wirksamkeit einer Maßnahme. Die Anlegung eines nach bestimmten Widerspruchskategorien und Beurteilungsperspektiven differenzierenden (Un-)Wirksamkeitsmaßstabes verbietet sich auch deswegen, weil die vorstehenden Widerspruchskategorien nicht als abschließende Aufzählung zu verstehen sind; ein diesbezüglicher Numerus clausus kann angesichts der Fülle an denkbaren und vom EuGH bisher noch nicht behandelten Regulierungsstrategien nicht angenommen werden, weshalb – gerade auch im Interesse der Rechtsklarheit – eine Homogenität in der Bewertung von Inkohärenzen sachnotwendig ist. bb) Einschlägiger Unwirksamkeitsmaßstab Kann somit festgehalten werden, dass nach dem hier vertretenen Verständnis der finalen Inkohärenzbeurteilung ein homogenes Bewertungsraster in Gestalt eines (abstrakten) Unwirksamkeitsmaßstabs zugrunde liegt, lenkt dies unmittelbar auf die Fragestellung, welches konkrete Gewicht eine in der mitgliedstaatlichen Glücksspielregulierung vorfindliche Widersprüchlichkeit aufweisen muss – welchen Grad307 an Unwirksamkeit ein Widerspruch also letztlich erzeugen muss – damit die „rote Linie“ von einem (bloßen) regulativen Konfliktpotenzial zum Verdikt der Inkohärenz als unwiderlegbar übertreten angesehen werden kann.

304  Z. B. EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 68) – Carmen Media; gleichsinnig: EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 36) – Digibet/Albers; EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 37) – Ladbrokes; EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 62, 69, 72) – Zeturf; EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 61) – Dickinger/Ömer. 305  Schorkopf, DÖV 2011, S. 260 (261). 306  Möschel, NJW 2013, S. 253 (253). 307  Zur Maßgeblichkeit der Widerspruchsqualität (und nicht Widerspruchsquantität) siehe nur Makswit, ZfWG 2014, S. 169 (172); Mellein, in: Schwarze, Das Verhältnis von nationalem Recht und Europarecht, S. 100 (106); Heseler, Glücksspielregulierung, S. 435; Stein, ZfWG 2010, S. 353 (354).



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 117

(1)  Unschärfe in der EuGH-Rechtsprechung Die Frage nach dem anzulegenden Unwirksamkeitsmaßstab verlangt also nach einer weiteren Binnendifferenzierung nicht kategorialer, sondern graduell-quantitativer Art. Die einschlägige EuGH-Rechtsprechung vermittelt unter diesem Gesichtspunkt nur wenig Aufschluss;308 ihr lässt sich zumindest präzisierend entnehmen, dass für die Annahme einer horizontalen Inkohärenz ein Widerspruch „zur Folge“ haben muss, dass die Zielsetzung der konkret in die Kohärenzprüfung eingespannten Glücksspielmaßnahme „nicht mehr wirksam verfolgt werden kann“.309 Insoweit bedarf es einer „Folgeabschät­ zung“310 bzw. „Folgebetrachtung“311. Hiernach obliegt es den nationalen Gerichten „im Licht der Entwicklung des Glücksspielmarkts auf nationaler Ebene“312 darüber zu judizieren, ob die widerspruchsbedingten, durch Parallel- und Wechselwirkungen erzeugten Beeinträchtigungen der fraglichen Maßnahmen in ihrer qualitativen Folgewirkung dazu führen, dass das mit ihr verfolgte Ziel deshalb praktisch nicht mehr wirksam zu realisieren ist. Im Rahmen dieser prospektivisch-wertenden Abwägung haben sie unter Beachtung der vom EuGH entwickelten und im vorbehandelten Abschnitt näher thematisierten Anforderungen,313 die für die Beurteilung der Kohärenz bestimmter Regulierungsstrategien maßgeblichen Faktoren zu berücksichtigen und gewichten. Welchen Grad an praktischer „Folgeunwirksamkeit“ die auf den Prüfstand der Kohärenz gestellte Maßnahme in dieser Hinsicht letztlich aufweisen muss, um das Verdikt der Inkohärenz auszulösen, bleibt in der EuGH-Rechtsprechung aber nebulös. Abhilfe schafft in dieser Hinsicht auch nicht die vom Gerichtshof erst kürzlich im Urteil Digibet/Albers getroffene Feststellung, für die Annahme einer inkohärenten Zielverwirklichung müsse die Zieleignung der fraglichen

308  Ebenso darauf hinweisend Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Kap. 9, § 6 (Rn. 3407). 309  Zitate: EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 106) – Stoß u. a.; EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 68) – Carmen Media; vgl. zur „tatsächlichen Wirksamkeit“ auch EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 33) – OPAP u. a. 310  So – in Bezug auf eine horizontale Kohärenzbetrachtung – Hecker, DVBl 2011, S. 1130 (1132); spezifizierend ders., ZfWG 2013, S. 91 (93); beipflichtend Unterreitmeier, NJW 2013, S. 127 (130). 311  So das BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 53) unter Verweis auf EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 106) – Stoß u. a. und EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 68) – Carmen Media; ganz ähnlich Ennuschat, ZfWG 2013, S. 87 (91). 312  EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 33) – OPAP u. a. 313  Siehe dazu im Einzelnen oben Teil 3, B., II., 6.

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

Glücksspielregelung „erheblich beeinträchtigt“314 werden. Diese Feststellung ist insoweit nur von begrenztem Erkenntniswert, als sich ihr doch nur eine Aussage zum erforderlichen Grad der zu einer Unwirksamkeit der Maßnahme führenden Beeinträchtigung abgewinnen lässt (wird die Zieleignung der fraglichen Maßnahme widerspruchsbedingt „erheblich“ beeinträchtigt, so verliert die Glücksspielmaßnahme ihre Wirksamkeit) nicht dagegen zum einschlägigen Grad der inkohärenzbegründenden Unwirksamkeit als solche.315 (2)  Evidente Funktionsuntauglichkeit als Unwirksamkeitsmaßstab Der EuGH überlässt also – ob beabsichtigt oder unbewusst – die Ausdeutung des kohärenzbezogenen (Un-)Wirksamkeitsmaßstabes der mitgliedstaatlichen Jurisprudenz. Vor diesem Hintergrund lassen sich verschiedene Argumente dafür ausmachen, einen strengen (Un-)Wirksamkeitsmaßstab anzulegen und im Anschluss an den Großteil der – sich in ihren Äußerungen mehrheitlich auf eine rein horizontale Kohärenzbetrachtung beziehenden – Stimmen aus der Literatur und nationalen Rechtsprechung ein Inkohärenz­ urteil auf solche Konfliktkonstellationen zu beschränken, in denen die am Kohärenzgebot zu messende Maßnahme ihr Ziel nachgewiesenermaßen „schlechterdings“316 nicht mehr erreichen kann, so dass ihre „Eignung zur Zielerreichung aufgehoben wird“317 und sie letzthin einer evidenten „Funk­ tions­untauglichkeit“318 im Sinne eines zielbezogenen „Leerlaufs“319 verfällt.320 Zunächst wird ein auf evidente Zweckverfehlung limitierter Unwirksamkeitsmaßstab dem Umstand gerecht, dass parallel in Geltung stehenden Legislativakten gewisse Wechselwirkungen und Friktionen, die selbstredend auch auf die Zielerreichbarkeit einer Regelung zurückwirken können, stets immanent sind. Die in regulativen Korrelationen wurzelnden Effektivitätseinbußen sind nicht selten Ausdruck der politischen Entscheidungsfindung in einem demokratisch verfassten Staat, in welchem der Erlass von Normen ein von divergierenden politischen Überzeugungen begleiteter und damit kompromissbehafteter Prozess vorangeht, der nicht zuletzt auch Ausfluss einer Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 36) – Digibet/Albers. Talos/Strass, wbl 2013, S. 481 (488). 316  So Dietlein/Peters, ZfWG 2013, S. 229 (232). 317  BVerwG, Az. 8 C 5/10, ZfWG 2011, S. 332 (Rn. 35). 318  Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Einf. (Rn. 41). 319  BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 57). 320  Ganz ähnlich BGH, Az. I ZR 171/10, ZfWG 2013, S. 101 (Rn. 28); Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 808 f.; Ennuschat, WRP 2014, S. 642 (649); a. A. wohl Bumke, Der Staat 2010, S. 79 (99). 314  EuGH,

315  Ähnlich



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 119

herrschenden Parteienpluralität ist.321 Gewisse Brüche und Widersprüche sind einer oft vielschichtigen, demokratischen – insoweit also zwangsläufig mit diversen Inkohärenzen vorbelasteten – Normgebung ebenso wie deren Vollziehung geradezu inhärent.322 Schon vor diesen pragmatischen Hintergründen wäre es daher illusorisch, unter Überbetonung der Systemkohärenz den legislativen Entscheidungsträgern eine, geradezu auf die Herstellung von „Systemreinheit“ gerichtete und damit einem legislativen, quasi hellseherisch gefärbten Perfektionismus gleichkommende, Gesetzgebungsarbeit abzuverlangen. Weiterhin ist auf die Geltungszeitlichkeit des Rechts hinzuweisen: „dynamische Entwicklung von Gerechtigkeitsvorstellungen, unterschiedliche gesellschaftliche Wichtigkeit und Einsatz knapper Gesetzgebungsressourcen, politische Durchsetzungskraft und institutionelle Strukturen sorgen dafür, dass Rechtsordnungen bei hinreichend globaler Betrachtung stets hinter dem Ideal vollständiger Kohärenz und Systematik zurückbleiben werden“323. Ferner gilt es unter dem Gesichtspunkt des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums in Rechnung zu stellen, dass Entscheidungen der Legislativ­ organe auf dem Glücksspielsektor häufig mit Prognosen zur künftigen Marktentwicklung, also mit der Setzung eines Wahrscheinlichkeitsmaßstabes, verbunden sind. Die Ermittlung des Wahrscheinlichkeitsgrades für den Eintritt bestimmter Ereignisse auf dem Glücksspielmarkt bedingt wiederum Kenntnisse des Gesetzgebers über gegenwärtige oder zukünftige Kausalverläufe, die jedoch – gerade in der noch jungen Disziplin der Glücksspielforschung –324 oftmals nicht vorhanden sind, weil schlichtweg entsprechende Erfahrungswerte fehlen oder lineare Modellverläufe die Komplexität der Materie nicht hinreichend abbilden.325 Unter letztgenanntem Aspekt zu berücksichtigen ist insbesondere, dass dem mitgliedstaatlichen Gesetzgeber bei der Verfolgung einer bipolaren, d. h. sowohl auf dem Ziel der Spielsuchtprävention als auch der Kriminalitätsbekämpfung fußenden Regulierungsstrategie, ein diffiziler Spagat zwischen „dem Erfordernis einer kontrollierten Expansion der zugelassenen Glücksspiele, um das Glücksspielangebot für die Öffentlichkeit attraktiv zu machen, und der Notwendigkeit, die Spielsucht dazu auch Dann, Der Staat 2010, S. 631 (640 ff.). ZfWG 2012, S. 305 (308). 323  So Glöckner, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, Einl., B. (Rn. 41). 324  Zur wissenschaftlichen Unzulänglichkeit wissenschaftlicher Studien im Glücksspielbereich ausführlich Peren, ZfWG 2015, S. 111 (111 ff.). 325  Vgl. Bickenbach, Die Einschätzungprärogative des Gesetzgebers, S. 292; siehe zur Gesetzesfolgeabschätzung auch Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 1 (Rn. 34 f.). 321  Vgl.

322  Ennuschat,

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

der Verbraucher so weit wie möglich zu verringern“326, abverlangt wird. Ein zu strenger Unwirksamkeitsmaßstab würde einem solchen Regulierungsansatz, dem gewisse, auf die Zielerreichbarkeit und damit Wirksamkeit einer Glücksspielregelung durchschlagende Korrelationen geradezu inhärent sind, schlichtweg nicht gerecht.327 Nicht zuletzt im Blick auf diese vielschichtigen, häufig mit einem Prognosecharakter besetzten, Implikationen wird dem mitgliedstaatlichen Gesetzgeber bei der Umsetzung seines Regulierungskonzepts im Glücksspielbereich „wegen der beachtliche[n] Schwierigkeiten dieser Einschätzung[en] ein weiter Ermessensspielraum zugestanden“328.329 Einen Widerhall findet diese Wertung obendrein im schriftlich fixierten Primärrecht, im Konkreten in der Formulierung des Art. 349 Abs. 3 AEUV: Hiernach dürfen die dort näher bezeichneten Maßnahmen die Kohärenz der Unionsrechtsordnung nicht „aushöhlen“. Die Bestimmung geht also von einem Zustand der Inkohärenz erst dann aus, sobald die – äußerst beträchtliche – Schwelle zur „Aushöhlung“ der Rechtsordnung als überschritten anzusehen ist.330 Auch insoweit tritt wieder der Ansatz einer zu fordernden inkohärenzbedingten Funktionsuntauglichkeit des Systems in den Vordergrund. Dieser Gedanke lässt sich – zumindest in einem gewissen Maße – auch für das hier in Rede stehende grundfreiheitliche Kohärenzgebot fruchtbar machen,331 wurde letzteres doch in Anlehnung an das primärrechtlich fixierte Kohärenzverständnis entwickelt. Letztlich streitet für einen hochschwelligen, auf den Befund einer evidenten Zweckverfehlung beschränkten Unwirksamkeitsmaßstab auch die prüfungsdogmatische Einordnung und Deutung des Kohärenzgebots als Unterprinzip des Geeignetheitskriteriums: So verliert nach den Prüfungsmaßstäben seines „Mutterprinzips“ eine grundfreiheitsbeschränkende Maßnahme die Eignung für das mit ihr verfolgte Ziel erst dann, wenn sie das Ziel mit einer gewissen Evidenz nicht mehr wirksam realisieren kann.332 Der Verlauf der Geeignet326  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 32) – Ladbrokes; ganz ähnlich EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 63) – Dickinger/Ömer. 327  Ähnlich Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 798. 328  GA Bot, Schlussanträge v. 17.12.2009, Rs. 258/08, Slg. 2010, I-4698 (Rn. 80) – Ladbrokes. 329  In diese Richtung auch Axer, in: ders./Grzeszick/Kahl/Mager/Reimer, Europäische Verwaltungsrecht in der Konsolidierungsphase, S. 123 (139, 141 f.); Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 45 AEUV (Rn. 402 ff.); ­Grzeszick, VVDStRL, 2012 (Bd. 71), S. 44 (75). 330  Vgl. Jaeckel, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 349 AEUV (Rn. 7). 331  So auch Ennuschat, ZfWG 2011, S. 153 (157); Schmahl, in: Müller-Graff/ Schmahl/Skouris, FS-Scheuing, S. 671 (688). 332  Siehe hierzu schon die Ausführungen oben Teil 2, B., III., 4., a).



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 121

heitsprüfung ist also nicht auf den Nachweis der wirkungsträchtigsten, bestmöglichsten Zielerreichung angelegt;333 das Erkenntnisinteresse gilt vielmehr der Frage, ob die Verwirklichung der angestrebten Zielsetzungen nicht schon von vornherein ausgeschlossen ist.334 In gebotener und konsequenter Übertragung jener Anforderungen auf die Kohärenzprüfung und den ihr zugrunde zu legenden Unwirksamkeitsmaßstab ist auch hierbei zu fordern, dass die Zielverwirklichung der inkriminierten Glücksspielregelung von vornherein im Sinne einer „wesentlichen Effektivitätseinbuße“335 mit einer spürbaren Nachhaltigkeit und gewisser Evidenz ausgeschlossen wird und der Regulierungszweck damit praktisch leerläuft und „nicht mehr umgesetzt werden kann“336.337 Schließlich gilt es transjuristisch in Rechnung zu stellen, dass die unionsrechtlichen Anforderungen an eine nationale Glücksspielpolitik unter dem Vorbehalt der praktischen Realisierbarkeit zu stehen haben,338 so dass allzu hoch geschraubte Anforderungen an die Wirksamkeit einer Glücksspielregelung – gerade auch in Ansehung der komplexen, vielfach historisch gewachsenen Strukturen der mitgliedstaatlicher Glücksspielsysteme – unangemessen erscheinen. Nach alledem bleibt festzuhalten: ein zum Vorwurf der inkohärenten Zielverwirklichung führender Widerspruch – gleich welcher „Inkohärenzquelle“ er entspringt – muss sich von einem durch (gewöhnliche) regulative Korrelationen erzeugten Widerspruch – unter diesem Aspekt ließe sich prononcierter von einer bloßen regulativen „Disharmonie“ oder „Insuffizienz“ sprechen – dergestalt abheben, dass er zur Folge hat, dass die in Prüfung stehende Glücksspielmaßnahme das ihr zugrunde liegende Ziel nicht mehr wirksam verfolgen kann. Die Grenze von einer wirksamen zu einer unwirksamen Zielerreichung ist dabei erst dann als überschritten anzusehen, wenn die fragliche Maßnahme evident ihrer Funktionstauglichkeit beraubt wird.339 333  Dietlein/Peters, ZfWG 2013, S. 229 (234); BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 32). 334  Vgl. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 207; von Danwitz, EWS 2003, S. 393 (395). 335  BGH, Az. I ZR 171/10, ZfWG 2013, S. 101 (Rn. 18). 336  Hecker, DVBl 2011, S. 1130 (1132). 337  In diesem Sinne auch BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 57); siehe dazu auch Makswit, ZfWG 2014, S. 169 (173). 338  Vgl. Dietlein/Peters, ZfWG 2013, S. 229 (232). 339  Steht bei dieser kohärenzbezogenen Unwirksamkeitskontrolle eine den Mitgliedstaat begünstigende Monopolregelung auf dem Prüfstand, kann angesichts der vorerwähnten Schlagseite der Kohärenzprüfung zur Funktion einer „Motivkontrolle“ (Makswit, ZfWG 2014, S. 169 [169]) bei Übertretung der Unwirksamkeitsschwelle im Übrigen nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die mit dem Monopol generierten Einnahmen nicht bloß „erfreuliche Nebenfolge“ (EuGH, Rs. C-212/08, EuZW

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

7. Folgen bei Inkohärenz Der Befund eines auf die vorgenannten Kohärenzmaßstäbe gestützten Inkohärenzurteils stößt das Tor zur Anschlussfrage auf, welche europarechtlichen Folgen daran geknüpft sind. Ist festgestellt, dass eine restriktive Glücksspielregelung dem kohärenzspezifischen Anforderungsprofil im vorgenannten Sinne nicht standhält, führt dies von selbst und unausweichlich zur Konsequenz, dass der hiermit verbundene Eingriff in grundfreiheitliche Schutzgehalte als gleichermaßen ungeeignet, unverhältnismäßig wie rechtfertigungsfähig zu qualifizieren ist. In der Folge verstößt der beschränkende Mitgliedstaat gegen seine ihm aus Art. 4 Abs. 3 S. 3 EUV obliegende Pflicht, das Unionsrecht, inbegriffen die Grundfreiheiten, zu „wahren“. Mit einem Verstoß gegen das Kohärenzgebot ist damit immer zugleich auch ein Verstoß gegen das Unionsrecht gegeben. a) Anwendungsvorrang In praktischer Konsequenz dessen ist nach Maßgabe des aus der EuGHRechtsprechung ableitbaren Grundsatzes vom Anwendungsvorrang des Unionsrechts die gegen das Kohärenzgebot verstoßende – und insoweit mit dem Unionsrecht in Kollision tretende – nationale Glücksspielnorm nicht nur unmittelbar zu beseitigen,340 sondern gleichfalls, ohne dass bestimmte Umstände hinzutreten müssen, außer Anwendung zu lassen.341 Die dann greifende Nichtanwendungspflicht hat unverzüglich zu erfolgen und trifft alle mitgliedstaatlichen Instanzen mitsamt den Gerichten und – zumindest bei offensichtlicher Unionsrechtswidrigkeit342 – die Verwaltungsbehörden.343 2011, S. 674 [Rn. 53] – Zeturf) sind, sondern die Unterhaltung des Monopols von primär fiskalisch-protektionistischen Motiven getragen wird. 340  Das schriftlich fixierte Unionsrecht enthält keinen unmittelbaren Hinweis darauf, wie der Geltungs- und Anwendungsmodus des Unionsrechts im Verhältnis zum nationalen Recht ausgestaltet ist. Insoweit oblag es dem EuGH, dieser Frage einer Klärung zuzuführen; vgl. die insoweit grundlegenden Entscheidungen: EuGH, Rs. 6/64, NJW 1964, S. 2371 (Rn. 19 ff.) – ENEL; EuGH, Rs. C-213/89 u. a., EuZW 1990, S. 578 (Rn. 18 ff.) – Factortame u. a. 341  Dieser Vorrang ist indes ein Anwendungsvorrang und kein Geltungsvorrang, d. h. im Kollisionsfall zwischen nationalem Recht und Unionsrecht bleibt die Existenz des widersprechenden, nationalen Rechts unberührt, es wird lediglich verdrängt und unangewendet gelassen, vgl. insoweit auch Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der EU, S. 90 ff. und BVerfG, Az. 2 BvR 687/85, NJW 1988, S. 1459 (1462). 342  Ein offensichtlicher Fall ist etwa unproblematisch dann gegeben, wenn der EuGH die Unionsrechtswidrigkeit bereits explizit judiziert hat, vgl. nur m. w. N. ­Streinz/Kruis, NJW 2010, S. 3745 (3749). 343  EuGH, Rs. C-103/88, NVwZ 1990, S. 649 (Rn. 31) – Fratelli Costanzo; siehe hierzu auch Dederer, EuZW 2010, S. 771 (773); Mellein, in: Schwarze, Das Verhält-



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 123

Der Anwendungsvorrang bezieht seine Legitimationsbasis aus der Überlegung, dass zum Erhalt der Funktionstauglichkeit der Union die von ihr ausgehenden Rechtssätze notwendigerweise einheitlich und unmittelbar in sämtlichen Mitgliedstaaten gelten müssen.344 Die unter Umständen prekären rechtstatsächlichen Binnenfolgen jener rigorosen Verwerfungspflicht bürdet das Unionsrecht dem jeweiligen Mitgliedstaat auf; so gesehen ist das Postulat des Anwendungsvorrangs auch im Sinne einer Quasi-Disziplinierung bzw. Quasi-Sanktionierung für die Nichteinhaltung des Unionsrechts zu verstehen, die auf ein unionsrechtskonformes Verhalten hinwirken soll.345 Wie weit die aus der Nichtanwendung inkohärenter und damit unionsrechtswidriger Glücksspielregelungen zu ziehenden Folgerungen reichen, hat der EuGH recht ausführlich im Verfahren zur verbundenen Rechtssache OPAP u. a. dargelegt: Danach bleibt es einem Mitgliedstaat selbst verwehrt, die entsprechende Norm auch nur vorübergehend, während einer „Schonfrist“, also bis zur Behebung der unionsrechtswidrigen Rechtslage, aufrechtzuerhalten.346 Eine auch bloß temporäre Suspendierung des Anwendungsvorrangs lehnt der EuGH angesichts der unmittelbaren Durchgriffswirkung des Unionsrechts mithin in Gänze ab.347 Für die nationalen Gerichte folgt daraus, dass sie einen Rechtsstreit selbst während einer Interimsphase unter Außerachtlassung des widerstreitenden nationalen Rechts zu entscheiden haben. Auch den Verwaltungsbehörden bleibt es verwehrt in einer solchen Übergangsphase eine – freilich nationalgerichtlicherseits – für inkohärent befundene Regelung ihren Entscheidungen zugrunde zu legen. Sie können einerseits nicht Anträge Privater auf Erteilung von Genehmigungen von bisher den als inkohärent eingestuften Monopolregelungen unterfallenden Glücksspielen bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts ungeprüft und automatisch abschlägig bescheiden.348 Andererseits führt dies nicht zwangsläufig dazu, dass diesen Anträgen unbesehen, ohne eine materielle Prüfung vorzunehmen, entsprochen werden muss. Vielmehr gesteht der EuGH den mitgliedstaatlichen Behörden zu, bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts die dort vorgesehenen Beschränkungen anzuwenden und damit das angestrebte künftige Schutzniveau zu sichern.349 Dies bedeunis von nationalem Recht und Europarecht, S. 100 (111); Streinz/Kruis, NJW 2010, S. 3745 (3749). 344  Vgl. Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der EU, S. 258. 345  Schorkopf, DÖV 2011, S. 260 (266). 346  EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 38) – OPAP u. a. unter Verweis auf EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 69) – Winner Wetten. 347  Schmahl, in: Müller-Graff/Schmahl/Skouris, FS-Scheuing, S. 671 (688). 348  Ennuschat, ZfWG 2013, S. 87 (91) unter Bezugnahme auf EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 46) – OPAP u. a. 349  EuGH, verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 46 f.) – OPAP u. a.

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

tet: Sofern mit einer Ablehnung der Anträge das Recht des bisherigen unionsrechtswidrigen Monopols verteidigt werden soll, darf es nicht mehr angewendet werden; anders liegt es dagegen, wenn nur die Option eines künftigen, unionsrechtskonformen Monopols verteidigt werden soll: In diesem Fall kann das geltende Recht weiter Anwendung finden.350 b) Staatshaftung Neben der Nichtanwendbarkeit der für inkohärent deklarierten Glücksspielmaßnahme kann ihre Unionsrechtswidrigkeit – je nach Einzelfall – prinzipiell ebenfalls dazu führen, dass sich der regulierende Mitgliedstaat – neben einem spezifisch-nationalstaatlichen –351 einem gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch ausgesetzt sieht. Seit der Entscheidung des EuGH betreffend die Rechtssache Francovich ist allseitig anerkannt, dass die Mitgliedstaaten für Schäden haften, die Einzelne dadurch erleiden, dass ein Träger mitgliedstaatlicher Gewalt (Legislative, Exekutive oder Judikative) seiner Pflicht zur Wahrung des Unionsrechts nicht nachgekommen ist.352 Das gilt nicht nur für Defizite in der Umsetzung von Richtlinien, sondern auch und gerade für die fehlerhafte Anwendung unmittelbar geltenden Primärrechts und vor allem der Grundfreiheiten.353 Für die Begründung eines Entschädigungsanspruchs ist im Einzelnen notwendig, dass die Rechtsnorm, gegen die verstoßen worden ist, dem Anspruchssteller subjektive Rechte verleiht, der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und zwischen dem Verstoß und die dem Staat zufallende Verpflichtung und dem den Geschädigten entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht.354 Transponiert man diese Anspruchsvoraussetzung auf Fallgestaltungen, in denen sich grundfreiheitsbeschränkende Glücksspielmaßnahmen als inkohärent erweisen, ist allerdings höchst fraglich, ob dies tatsächlich eine Haftung des Mitgliedstaats nach sich ziehen kann: Zwar verleihen Grundfreiheiten, gegen die mit einer inkohärenten Regulierung bekanntlich verstoßen wird, subjektive Rechte;355 von einem 350  Ennuschat, ZfWG 2013, S. 87 (89); Hecker, ZfWG 2013, S. 91 (95); Streinz, ZfWG 2013, S. 305 (313); Stadler/Aquilina, ecolex 2013, S. 389 (390). 351  Siehe insoweit zur deutschen (Haftungs-)Rechtslage BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 18 ff.). 352  EuGH, Rs. C-6/90, NJW 1992, S. 165 (Rn. 288 ff.) – Francovich. 353  Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Kap. 2, § 2 (Rn. 105 ff.). 354  EuGH, verb. Rs. C-46/93 u. a., NJW 1996, S. 1267 (Rn. 51) – Brasserie du pêcheur u. a.; siehe zu den haftungsbegründenden EuGH-Vorgaben ausführlich Tietjen, Gemeinschaftsrechtliches Staatshaftungsrecht, S. 154 ff. 355  EuGH, verb. C-46/93 u. a., NJW 1996, S. 1267 (Rn. 54) – Brasserie du pêcheur u. a.



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 125

zureichend qualifizierten Verstoß ist jedoch erst dann auszugehen, wenn die verletzte Norm nach ihrem Maß an Klarheit und Genauigkeit das Verhalten so eindeutig aufgibt, dass „kein vernünftiger Zweifel über das erlaubte und unerlaubte mitgliedstaatliche Verhaltensspektrum mehr besteht“356. Der EuGH setzt damit eine hohe Hürde für die Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen. Obzwar der Gerichtshof die aus dem Kohärenzpostulat erwachsenen Anforderungen im Rahmen seiner Urteilsserie der Sache nach judizierte, so sind die darin getroffenen Aussagen doch – wie insbesondere die nachstehende Erörterung vertiefend aufzeigen wird – im hohen Maße wertungsbedürftig bzw. systemakzessorisch357 und im Ergebnis daher stark einzelfallabhängig. Auch die große Anzahl von Vorabentscheidungsersuchen zu Fragen an das Kohärenzgebot offenbart, dass nach wie vor ein Bedürfnis nach Präzisierung besteht. Im Spiegel dieser einerseits (noch) recht jungen sowie verhältnismäßig unausgefeilten Kohärenz-Rechtsprechung und der andererseits sehr restriktiven Leitlinien zur Annahme einer offenkundigen Verletzung des Unionsrechts, erscheint es damit nicht angemessen, ohne das Hinzutreten weiterer Umstände Verstöße gegen das Kohärenzerfordernis als hinreichend qualifiziert anzusehen.358

III. Würdigung: Potenziale und Problemhorizonte des Kohärenzgebots Die vorangestellten Abschnitte dürften Methodik und Maßstäbe des Kohärenzgebots zureichend erhellt haben. Um den juristischen Nutzwert des Postulats hinlänglich erfassen zu können, stellt sich nunmehr im Rahmen einer das Kapitel abschließenden Würdigung die Frage nach seinen Potenzialen und Schwachstellen oder – anders gewendet – nach seinem Reiz und Risiko. 1. Das Kohärenzgebot als Produkt richterlicher Rechtsfortbildung Was seine Rechtsnatur angeht, so verkörpert das Kohärenzerfordernis bekanntlich ein in die grundfreiheitliche Prüfungsdogmatik, genauer: in die Verhältnismäßigkeitsbeurteilung grundfreiheitsbeschränkender Glücksspiel356  LG Hannover, Az. 14 O 57/10, BeckRS 2010, 32727; siehe auch EuGH, Rs. C-224/01, EuZW 2003, S. 718 (Rn. 55) – Köbler; siehe dazu auch Hilf/Salomon, EuR 2013, S. 549 (554). 357  Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Einf. (Rn. 41). 358  So im Ergebnis auch: Streinz/Kruis, NJW 2010, S. 3745 (3749); Unterreitmeier, NJW 2013, S. 127 (129); BGH, Az. III ZR 196/11, EuZW 2013, S. 194 (Rn. 27); VG Bremen, Az. 5 K 4084/08, juris (Rn. 63).

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

maßnahmen, überführtes Produkt unionsgerichtlicher Rechtsfortbildung. Da Richterrecht immer auch ein Stück weit punktuelle Rechtssetzungstätigkeit einschließt,359 ließe sich infrage stellen, ob der insoweit rechtschöpferisch operierende Europäische Gerichtshof mit der Postulierung des Gebots „nach Maßgabe der ihm in den Verträgen zugewiesenen Befugnissen“360 gehandelt oder womöglich seine aus Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV folgende Legitimation zur „Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge“ übertreten und damit seine Kompetenzen – unter Durchbrechung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung361 – auf Kosten jener der Mitgliedstaaten, welche die Träger der Union und „Herren der Verträge“362 sind, in unzulässiger Weise ausgedehnt hat. a) Das Kohärenzgebot als gewohnheitsrechtlich anerkanntes Rechtsprinzip? Der Frage, ob der EuGH mit der Statuierung des Kohärenzgebots den Rahmen zulässiger Rechtsfortbildung womöglich überschritten hat, ist die Frage vorauszugehen, ob das Postulat nicht schon den Status eines gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtsinstituts gewonnen hat; denn ebenso wie das nationale Recht kennt auch das Unionsrecht der Sache nach neben dem Vertragsrecht und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen das Gewohnheitsrecht als geltende Rechtssätze.363 In diesem Falle käme es auf die Frage, ob eine dahingehende Rechtfortbildung des EuGH ursprünglich unzulässig gewesen ist, nicht mehr an.364 Voraussetzung für die Entstehung von (völkerrechtlichem) Gewohnheitsrecht ist, dass über einen gewissen Zeitraum eine ständige oder allgemeine Übung („longa iuris“) mit einer entsprechenden allgemeinen Rechtsüberzeugung vorherrscht („opinion iuris“).365 Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist festzustellen, dass das Kohärenz­ postulat mittlerweile auf breite Akzeptanz in der mitgliedstaatlichen Judikatur stößt. So haben sich die nationalen (Höchst-)Gerichte bereits in zahlreichen Verfahren unter verschiedentlichen Gesichtspunkten mit Fragen der Kohärenz in der nationalen Glücksspielregulierung auseinandergesetzt, sich also insbesondere nicht über die unionsgerichtlichen Vorgaben hinweggeallgemein dazu Scholz, ZG 2013, S. 105 (112). Art. 13 Abs. 2 S. 1 EUV. 361  Vgl. Art. 5 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 2 S. 1 EUV. 362  Zum Begriff der „Herren der Verträge“ BVerfG, Az. 2 BvR 2134/92, NJW 1993, S. 3047 (3054). 363  Bleckmann, NVwZ 1993, S. 824 (827). 364  Tietjen, Gemeinschaftsrechtliches Staatshaftungsrecht, S. 136. 365  Bleckmann, NVwZ 1993, S. 824 (827). 359  Ganz 360  Vgl.



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 127

setzt.366 Zwar sieht sich der EuGH auch weiterhin mit Vorlageersuchen zum Themenkreis Kohärenz konfrontiert; diese neuerlichen Vorabentscheidungsersuche betreffen allerdings in der Regel Detailfragen.367 Insoweit ein gutes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit liefert der Vorlagebeschluss des BGH in der Rs. Digibet/Albers: Dort standen nicht die generellen Wirkhorizonte des Kohärenzpostulats in Rede, sondern im Konkreten dessen Geltung und Wirkkraft in föderal verfassten Mitgliedstaaten.368 Die prinzipielle Daseinsberechtigung der Rechtsfigur wird also gerade nicht in Zweifel gezogen; eine gewohnheitsrechtliche Verfestigung der glücksspielbezogenen Kohärenzjudikatur ist also prinzipiell nicht ausgeschlossen. Letztlich kann die Frage, ob sich in Bezug auf das Kohärenzerfordernis eine allgemeine, Gewohnheitsrecht generierende Rechtsüberzeugung in den Mitgliedstaaten herausgebildet hat, offen bleiben. Denn unabhängig von diesem Gesichtspunkt fehlt es im hiesigen Kontext an der für die Entstehung von Gewohnheitsrecht notwendige zeitliche Komponente: Seit der EuGHEntscheidung in der Rechtssache Gambelli, in der das glücksspielbezogene Kohärenzgebot bekanntlich erstmals zur Sprache kam, sind zwar mittlerweile gut 12 Jahre vergangen; das Kohärenzpostulat hat jedoch in der Folgejudikatur eine erhebliche Präzisierung erfahren und war überdies judikativen Wandlungen unterworfen. Insoweit beispielhaft hervorgehoben sei nur die vom EuGH im Urteil Stoß u. a. vollzogene Maßstabsverschiebung der Kohärenzprüfung zugunsten einer sektorenübergreifenden Betrachtungsweise („Ge­ samtkohärenz“).369 Derart fundamentale Rechtsentwicklungen können nicht unberücksichtigt für die Bewertung einer gewohnheitsrechtlichen Erstarkung bleiben.370 Darüber hinaus ist anzunehmen, dass der Gerichtshof auch künftig im Blick auf die noch ungeklärten Kohärenzaspekte weitere Präzisierungsarbeiten leisten wird, die das Entstehen von Gewohnheitsrecht hemmen. Im Lichte dessen erschiene die Qualifizierung des Kohärenzgebots als eine gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtsfigur verfehlt, weshalb sich die Zulässigkeit ihrer Schöpfung uneingeschränkt am Maßstab des Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV messen lassen muss.

366  Siehe nur beispielhaft aus der jüngeren Judikatur BGH, Az. I ZR 171/10, ZfWG 2013, S. 101 (Rn. 13 ff.); BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 10 ff.); BVerwG, Az. 8 C 13/09, NVwZ 2011, S. 549 (Rn. 20 ff.). 367  Siehe etwa den kürzlich ergangenen Vorlagebeschluss des AG Sonthofen, Az. 1 Ds 400 Js 17155/11, BeckRS 2014, 05708 (Rn. 289). 368  BGH, Az. I ZR 171/10, ZfWG 2013, S. 101 (Rn. 26 ff.); siehe insoweit die Antwort des EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 34 ff.) – Digibet/Albers. 369  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 107) – Stoß u. a.; dazu schon oben Teil 3, B., II., 3., c) bb). 370  In diesem Sinne Tietjen, Gemeinschaftsrechtliches Staatshaftungsrecht, S. 137.

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

b) Mandat und Grenzen der Rechtsfortbildung Zum Zwecke der „Wahrung des Rechts“ i. S. d. Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV ist der EuGH vornehmlich damit mandatiert, die Handlungen der Unionsorgane und die der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Einhaltung der ihnen zugewiesenen Kompetenzen, der Verfahrensvorschriften sowie des Unionsrechts einschließlich aller bestehenden Rechtsprinzipien zu überprüfen.371 Hermeneutisch deutet die Begrifflichkeit „Wahrung“ darauf hin, dass das normative Rechtsmaterial in den Unionsverträgen und ihren Ableitungen bereits vorhanden ist; insoweit fällt dem EuGH jedenfalls die Aufgabe zu, die existente Rechtslage herauszuarbeiten und zu konkretisieren.372 Vor diesem normtextlichen Hintergrund könnte eine unbefangene Lektüre der Vertragsvorschrift an der daraus abzuleitenden Kompetenz zur Fortbildung des Unionsrechts zweifeln lassen. Nach ganz herrschender Leseart beinhaltet der unionsgerichtliche Auftrag zur „Wahrung des Rechts“ allerdings nicht nur ein „konservierendes“, sondern gleichfalls ein „fortentwickelndes“ Element.373 In der Folge umschließt die dem EuGH aus Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV zuwachsende Legitimation neben der bloßen Ausdeutung des bestehenden Unionsrechts ebenso dessen konkretisierende Fortbildung;374 die Rechtsfortbildung ist – gewissermaßen als ihr „Anbau“375 – wesensmäßig mit der Auslegungskompetenz des EuGH verbunden. Denn die prinzipielle Wahrnehmung jener weitmaschigen Zuständigkeitsbefugnis – also das „Ob“ – entspricht zum einen der organisatorischen Architektur des europäischen Gewaltensystems, das Konflikte zwischen den Mitgliedstaaten und der Union notfalls über die Auslegung und Fortbildung der, oftmals rudimentären, teils in unbestimmten Rechtsbegriffen gehaltenen Quellen des Unionsrechts, durch das rechtsprechende Organ löst. Zum anderen entspricht die weitgespannte Zuständigkeitsbefugnis dem methodischen Selbstverständnis des EuGH, der sich – mit höchster Autorität versehen – in langer Rechtsprechungstradition über die Rolle eines nationalen Gerichts hinaus zur Überwindung von bestehenden Regelungslücken durch Richterrecht berufen fühlt und so kraft des ihm vielfach zugeschriebenen Funktionsauftrags als „Motor der europäischen Integration“376 respektive 371  Wegener,

in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 19 EUV (Rn. 3). Grundfreiheiten und Gestaltungsspielräume, S. 67. 373  So explizit Seyr, Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH, S. 29. 374  Insoweit schon anerkennend BVerfG, Az. 2 BvR 687/85, NJW 1988, S. 1459 (1461); siehe ferner Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 19 EUV (Rn. 30). 375  Callies, NJW 2005, S. 929 (930). 376  Siehe zu diesem Begriff Huber, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 19 AEUV (Rn. 25); Mächtle, JuS 2015, S. 314 (314); Pielow, in: Landmann/Rohmer, Bd. 1, GewO, Einl. EU (Rn. 9). 372  Kirschner,



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 129

„Kon­stitutionalisierungsakteur“377 im Verlauf seiner Judikatur durch zahlreiche integrationsbefördernde Leitprinzipien die Wesenszüge der Unionsverfassung nachhaltig ausgeformt hat.378 Was die maßstäbliche Reichweite – das zulässige „Wieviel“ – der schöpferischen Rechtsprechungstätigkeit anlangt, zeichnet sich indessen ein recht unscharfes, mit schwierigen Grenzziehungen behaftetes Bild, welches nicht zuletzt dadurch vernebelt wird, dass sowohl die verschiedenen (Verfassungs-) Rechtsordnungen379 der Mitgliedstaaten als auch die Unionsverträge selbst der rechtsfortbildenden EuGH-Judikatur unübersteigbare Schranken setzten.380 Vorbehalte und Grenzen, und zwar sowohl aus der Perspektive des Unionsrechts als auch der des mitgliedstaatlichen Rechts, findet die Befugnis zur „Auslegung und Anwendung“ in qualitativer Hinsicht jedenfalls dort, wo der Gerichtshof im Sinne eines „quasi religiösen Schöpfungsaktes“381 geltendes Recht nicht bloß fortentwickelt, sondern neues Recht im Sinne eines „rigorosen Gesetzespositivismus“382 erzeugt. c) Extrahierung des rechtsfortbildenden Schritts Zur Klärung, ob es sich bei der Statuierung des Kohärenzgebots an sich, d. h. ungeachtet seiner judizierten Reichweite,383 unter Zugrundelegung des Kriteriums eines „rigorosen Gesetzespositivismus“, um einen Akt illegitimer Kompetenzanmaßung – „praeter legem“ bzw. „ultra-vires“ – handelt, gilt es deshalb zunächst den vom EuGH vollzogenen rechtsfortbildenden Schritt zu extrahieren: Die sich auf das Verhältnis zwischen EU und Mitgliedstaaten beziehende „vertikale Rechtsfortbildung“384 liegt hier in der inhaltlichen 377  Franzius,

Gewährleistungen des Rechts, S. 211. dazu BVerfG, Az. 2 BvR 687/85, NJW 1988, S. 1459 (1461 f.); Grimmel, EuR 2013, S. 146 (149 ff.); Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 19 EUV (Rn. 25); von Danwitz, in: Ruffert, FS- Schröder, S. 155 (157 ff.). 379  Siehe dazu allg. Grimmel, EuR 2013, S. 146 (162 ff.); Pernice, EuR 1996, S. 27 (35 ff.); siehe im Besonderen zur sog. „ultra-vires-Kontrolle“ des Bundesverfassungsgerichts: BVerfG, Az. 2 BvR 2661/06, EuZW 2010, S. 828 (Rn. 61 ff.); BVerfG, Az. 2 BvR 2134/92 u. a., NJW 1993, S. 3047 (3057). 380  Vgl. hierzu im einzelnen Wegener, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 19 EUV (Rn. 17 ff.); siehe zum Vorschlag der Einrichtung eines neben dem EuGH stehenden, unabhängigen Kompetenzabgrenzungsgerichts zur Sicherstellung der Einhaltung der Kompetenzgrenzen und Integrationsschranken Kirschner, Grundfreiheiten und Gestaltungsspielräume, S. 299 ff. 381  Grimmel, Europäische Integration, S. 17. 382  So die Umschreibung nach Callies, NJW 2005, S. 929 (930). 383  Zur Frage nach einer Kompetenzüberschreitung im Angesicht der statuierten „regionalübergreifend-horizontalen Kohärenz“ sogleich unten Teil 3, B., III., 2., a). 384  So der Terminus bei Callies, NJW 2005, S. 929 (930). 378  Vgl.

130

3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

Verfeinerung der grundfreiheitlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Das Kohärenzgebot ist also keinesfalls aus einem „Nichts“, sondern aus etwas schon Bestehendem hervorgegangen. Im Konkreten setzt das Kohärenzerfordernis – wie im Verlauf dieser Untersuchung schon mehrfach beleuchtet – bei der Frage an, ob eine restriktive Glücksspielmaßnahme unter Berücksichtigung ihres regulatorischen Kontexts das ihr zugrunde liegende Ziel gewährleisten kann und weist damit vielfältige Überschneidungen mit dem etablierten Prinzip der Geeignetheit auf; diese Parallelen rechtfertigen es, das Kohärenzgebot als Subprinzip des Geeignetheitskriteriums zu qualifizieren. Denn: Sowohl das Erkenntnisziel der Geeignetheits- als auch das der Kohärenzprüfung ist auf die Frage gerichtet, ob die streitbefangene Maßnahme imstande ist, ihr Anliegen wirksam zu erreichen; sofern das mit ihr anvisierte Ziel ohnehin nicht wirksam verfolgt werden kann, bedarf es auch nicht des mit ihr verbundenen Eingriffs in grundfreiheitliche Gewährleistungen.385 Hier wie dort geht es also um die Effektuierung grundfreiheitlicher Schutzgehalte. Im Gegensatz zum Postulat der Eignung steht bei der Kohärenzkontrolle allerdings nicht die Effektivität der Maßnahmen als solche (isoliert) im Mittelpunkt der Beurteilung, sondern deren Wirksamkeit unter spezieller Berücksichtigung der Parallel- und Wechselwirkungen ihres regulatorischen Umfelds. Im Zusammenspiel beider Gebote ergibt sich damit folgender Prüfungsmodus: Zunächst ist auf der tradierten Stufe der Geeignetheit zu verlangen, dass die in Rede stehende Maßnahme einen beliebigen Beitrag zur Erreichung des für sie ausgewiesenen Ziels leistet; auf dieser Prüfungsebene werden etwa tatsächliche Umstände wie eine „faktische Unmöglichkeit“ der Zweckerreichung verarbeitet.386 Das Kohärenzpostulat qualifiziert und erweitert diese Anforderung „zusätzlich“387 „in die Breite“388, indem es seinen Bezugspunkt der Zweckerreichungsbeurteilung im Zusammenspiel der inkriminierten Maßnahmen mit anderen Maßnahmen findet.389 In jener prüfungsdimensionalen Loslösung von einem, auf die konkret zur Untersuchung stehenden Glücksspielmaßnahme verengten, „Tunnelblick“ zu einem kontextuellen „Panoramablick“ manifestiert sich der rechtsfortbildende Schritt vom tradierten Geeignetheits- hin zum Kohärenzgebot; an die Stelle eines monoperspektivischen Prüfungsmaßstabs tritt ein multiperspektivischer. Die so vorgenommene Ergänzung – und gleichfalls Verschärfung – des unter Geeignetheitsgesichtspunkten abzuspulenden Prüfungsprogramms zwingt 385  Schorkopf,

DÖV 2011, S. 260 (261). Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 815. 387  BVerwG, Az. 8 C 5/10, ZfWG 2011, S. 332 (Rn. 35). 388  Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 815. 389  Ähnlich Windoffer, GewArch 2012, S. 388 (389). 386  So



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 131

den Mitgliedstaat damit zu einer Art „Regulierungsfolgeabschätzung“390. Dies erscheint auch als überaus sinnvoll, da die überkommene Geeignetheitsprüfung zu stark auf die einzelne Maßnahme fokussiert; insoweit hat der EuGH gerade mit Etablierung des sektorenübergreifenden Kohärenzansatzes das Leistungsprofil des Gebots sachangemessen flexibilisiert und es sohin auf eine wirkungsmächtige Ebene gehoben, auf der es seine konzeptionelle Valenz und Durchschlagskraft generieren kann. Insgesamt betrachtet wird mit der Kohärenzprüfung daher eine offene Flanke des Grundfreiheitsschutzes abgedeckt.391 d) Folgerungen für die Beurteilung einer Kompetenzübertretung Rücksichtlich jenes Befundes kann von einer Kompetenzübertretung keine Rede sein: Indem Art. 19 EUV textlich über den „Vertrag“ hinaus auch das „Recht“ erwähnt, wird zunächst deutlich, dass die Zuständigkeit des EuGH zur Rechtsfortbildung über das geschriebene Normgefüge der Unionsverträge hinausragt und gleichfalls den ungeschriebenen Normbestand der Unionsrechtsordnung erfasst; zu diesem ungeschriebenen Normbestand rechnen freilich auch die anerkannten Rechtsgrundsätze des Unionsrecht, mithin gerade auch das hergebrachte Rechtsinstitut des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.392 Der Einwand, einer die Scheidelinie zur befugniswidrigen Rechtserzeugung überspielenden und damit unzulässigen Rechtsfortbildung wird dadurch entkräftet, dass der Gerichtshof mit der Kreierung des Postulats keine gänzlich neue Rechtsfigur in die Prüfungsdogmatik der Grundfreiheit überführt, sondern hierbei unmittelbar an tradierte Direktiven, namentlich den unionalen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit respektive das Kriterium der Geeignetheit, und damit an bekannte Muster anknüpft. Die Kohärenzkontrolle folgt also keinesfalls einem neuartigen Prüfungsschema, sondern wirkt in die gleiche Richtung („Effektivitätsanalyse“). Eine die Grenzen des gesteckten Kompetenzrahmens verlassende Rechtserzeugung in Urteilsform oder gar ein „rigoroser Gesetzespositivismus“ ist in jener bloßen Aktualisierung der Verhältnismäßigkeitsanforderungen, präziser: der sinnvollen Anpassung der Anforderung an die Geeignetheit einer Maßnahme an die spezifischen Verhältnisse im Glücksspielwesen, keinesfalls zu erblicken. Letztlich interpretiert und aktualisiert der EuGH in seiner „rechtsschöpferischen Gestaltungsfunktion“393 mit der Entfaltung des Kohärenzgebots die 390  Heseler,

Glücksspielregulierung, S. 241. Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 774. 392  Vgl. Callies, NJW 2005, S. 929 (930); Grimmel, EuR 2013, S. 146 (163); Wegener, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 19 EUV (Rn. 9 ff.). 393  Grosche, Rechtsfortbildung im Unionsrecht, S. 3. 391  Dieterich,

132

3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

grundfreiheitlichen Verpflichtungsinhalte. Deren richterrechtliche, teleologisch-systematische394 Ausdeutung, Spezifizierung und Weiterentwicklung im Lichte und Einklang der Vertragsziele kann als genuiner, sich kontinuierlich aktualisierender Handlungsauftrag395 der Unionsgerichtsbarkeit begriffen werden, kraft dessen Hilfe der EuGH die Herausforderungen – hier in Gestalt der neueren Entwicklungen und Sachbegebenheiten auf dem „sehr spezifischen Markt für Glücksspiele“396 – im Angesicht der besonderen Charakteristik eines supranationalen Mehrebenensystems bewältigt.397 Die Crux bei einer rechtsschöpferisch konstruierten Rechtsfigur liegt freilich darin, dass sie sich der, dem geschriebenen Recht innewohnenden, normativ-anleitenden Steuerungskraft entzieht; ihr Gehalt wird sachbedingt ausschließlich kasuistisch, in Bezug auf eine ganz bestimmte Ausgangslage, im Rahmen einer überdies oft nur tastend-schrittweise voranschreitenden und nur selten auf einer generell-abstrakten Ebene vollzogenen Rechtsprechung ausgeformt; so verhält es sich auch mit dem Kohärenzgebot: Aufschluss liefert in dieser Hinsicht einzig die (vergangene) Spruchpraxis des EuGH; sie allein verleiht dem Kohärenzgebot durch die allmähliche, sich in aufeinanderfolgenden Stufen vollziehende Herausbildung abstrahierender und generalisierender Falltypologien seine Konturen. Dies hat auf der einen Seite für die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber zur Folge, dass sie nur unter verhältnismäßig hoher Ungewissheit erkennen können, ob die von ihnen verfolgten Regulierungsmodelle den Kohärenzerfordernissen genügen. Auf der anderen Seite – und in ein positives Lichte gewendet – hält der Verzicht auf die Formulierung gleichermaßen abstrakter wie durchgebildeter Kohärenzanforderungen das Gebot dynamisch und entwicklungsoffen für künftige, womöglich einen Korrekturbedarf hinsichtlich der einstmals aufgestellten Maßstäbe auslösende, Problemstellungen und ausweitende Erfahrungen, wie etwa die neuerliche Hinwendung des EuGH zum vertikalen Kohärenzverständnis belegt.

394  Strassburger,

EU-Grundfreiheiten, S. 31 ff. verdienen die folgenden, einen rechtsfortbildenden Charakter aufweisenden Entscheidungen im Kontext der Grundfreiheiten besondere Hervorhebung: EuGH, Rs. 8/74, NJW 1975, S. 515 (516) – Dassonville; EuGH, verb. Rs. C-267/91 u. a., NJW 1994, S. 121 (Rn. 6 ff.) – Keck u. a.; EuGH, Rs. C-55/94, NJW 1996, S. 579 (Rn. 19 ff.) – Gebhard; EuGH, Rs. C-415/93, NJW 1996, S. 505 (Rn. 52 ff.) – Bosman; EuGH, verb. Rs. C-46/9 u. a., NJW 1996, S. 1267 (Rn. 16 ff.) – Brasserie du Prêcheur u. a.; siehe ergänzend die Nachweise bei Schwarze, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 19 AEUV (Rn. 14 ff.) und Streinz, ZEuS 2004, S. 387 (413). 396  EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 31) – Digibet/Albers. 397  Eingehend zur Thematik Kirschner, Grundfreiheiten und Gestaltungsspielräume, S.  250 ff. 395  Insoweit



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 133

Jene Sachgesetzlichkeiten sind im Übrigen keine Spezifika des Kohärenzgebots, sondern betreffen nahezu alle, aus der rechtsfortbildendenden Feder des „interpretatorischen Motors“ EuGH entsprossenen Rechtsinstitute.398 Unter diesem Blickwinkel sind sie angesichts des dynamisch-fortschreitenden Integrationsprozesses unvermeidbar und nicht zuletzt der Rechtsnatur der Europäischen Union geschuldet, die mangels originärer Rechtssetzungsmacht („Kompetenz-Kompetenz“) nur im Wege richterlicher Aus- bzw. Fortbildung der vorhandenen Rechtssätze durch ihre Rechtsprechungsorgane thematisch angemessen auf aktuelle Entwicklungen reagieren kann. Vorrangige Aufgabe des Gerichtshofs ist es dabei, die ihm konkret – oftmals im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens – angetragenen Rechtsfragen zu beantworten, nicht aber abstrakt und ohne Fallbezug in eine extensive Befassung mit konzeptionellen Grundfragen zu etwaigen Rechtsprinzipien, wie dem Kohärenzgebot, einzutreten. Dies bleibt Stärke und Schwachstelle des Kohärenzgebots zugleich. Unter Bedachtnahme der vorstehenden Aspekte erschiene die Konstruktion des Kohärenzgebots nur insoweit angreifbar, als die einschlägige EuGHRechtsprechung auf Dauer kein praktikables, d. h. insbesondere lückenhaftes oder mehrdeutiges Anwendungsprofil hervorbrächte und seine Exegese durch mitgliedstaatliche Stellen zu einem aufs Geratewohl hinauslaufenden, unkalkulierbaren Prozess geränne. Davon ist im referierten Kontext jedoch nicht auszugehen:399 Die Rechtsprechung des EuGH vermittelt ein recht geschlossenes Bild von seiner Struktur, Funktionsweise, Reichweite und Wirkkraft im Sachkomplex Glücksspiel. Obgleich sich die Judikatur nicht immer durch vollkommene Stringenz auszeichnet, hat der Gerichtshof doch – wie die obige Zusammentragung der inkohärenzstiftenden Faktoren erhellt – auf Basis des ihm angetragenen Fallmaterials schon eine ganze Reihe von über die bloße Einzelfalldezision hinausgehenden abstraktionsfähigen Maßstäben entwickelt, nach denen sich kohärente Regulierungsmuster nachzeichnen lassen. Die Urteile enthalten ebenso Generalisierungen wie Typisierungen und liefern den mitgliedstaatlichen Gesetzgebern einen Kanon von wichtigen – rechtspraktische Unsicherheiten bei der Ausdeutung des Kriteriums entschärfenden – Orientierungsmarken und Wertungsraster, die ein rationaldogmatisches Argumentieren und Subsumieren durchaus gestatten. Allein das Faktum, dass es sich bei dem Kohärenzerfordernis um ein Produkt judizieller Rechtsschöpfung handelt, markiert demnach keinen durch398  Vgl. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S.  43 ff. 399  A. A. wohl Streinz, ZfWG 2013, S. 305 (314), der davon spricht, dass die Prognose, was noch als kohärent gebilligt werde und was nicht, in gewisser Weise selbst ein Glücksspiel sei.

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

schlagenden Angriffspunkt, der die Legitimität und Konzeption des Kohärenzgebots ernsthaft in Zweifel zu rücken vermag. 2. Das Kohärenzgebot und (deutscher) Föderalismus Wie der EuGH erstmalig in seiner Entscheidung Carmen Media in aller Deutlichkeit hervorhob, sind – gewissermaßen als notwenige Konsequenz der Forderung nach Gesamtkohärenz – innerstaatliche Kompetenzverteilungen in einem Mitgliedstaat für die Beurteilung der Kohärenz einer Glücksspielmaßnahme dem Grunde nach ohne Belang.400 Diese Aussage nimmt insoweit kein Wunder, als nach gefestigter EuGH-Rechtsprechung dem jeweiligen Mitgliedstaat als Einheit – als „Zentralstaat“ oder „Mitgliedsgesamt­ staat“401 – die Verpflichtung zur Erfüllung der unionsvertraglichen Vorgaben obliegt.402 Aus der europarechtlichen Perspektive repräsentieren die Mitgliedstaaten – und nicht etwa ihre einzelnen Gliedstaaten, Provinzen oder Departements – einheitliche Bindungsadressaten der Grundfreiheiten und damit zugleich des Kohärenzgebots.403 Diese unionsrechtliche Föderalismus- oder Länderblindheit erscheint deshalb unabdingbar, weil der mitgliedstaatliche Normgeber andernfalls verleitet sein könnte, sich im Wege einer missbräuchlichen Kompetenzzuweisung, z. B. an seine gliedstaatlichen Trabanten, seiner unionsrechtlichen Verantwortung zu entledigen und in der Konsequenz ein unberechtigtes, den grundfreiheitlichen Individualschutz partiell vereitelndes und mit dem Wesenselement des Unionsrechts, dem Grundsatz des „effet utile“,404 nur schwerlich zu vereinbarendes „Verpflichtungsvakuum“405 erzeugte.406 Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 69 f.) – Carmen Media. die Formulierung bei Koenig/Meyer, ZfWG 2013, S. 153 (155 f.). 402  Zu diesem Ergebnis gelangte der EuGH bereits im Jahr 1970 auf dem Gebiet des Staatshaftungsrechts, indem er entschied, dass die Verpflichtungen aus den Verträgen „den Staaten als solchen“ obliegen und die Verantwortlichkeit eines Mitgliedstaates unabhängig davon bestehe, „welches Staatsorgan durch sein Handeln oder Unterlassen den Verstoß verursacht hat, selbst wenn es sich um ein verfassungsgemäß unabhängiges Organ handelt“, vgl. EuGH, Rs. 77/69, Slg. 1970, 237 (Rn. 15 f.) – Kommission/Belgien; daran inhaltlich anknüpfend EuGH, Rs. C-302/97, NVwZ 2000, S. 303 (Rn. 62) – Konle. 403  Siehe insoweit auch die Ausführungen des GA Mengozzi zur Rs. C-46/08, Slg. 2010, I-8154 (Rn. 57 ff.) – Carmen Media. 404  Hierzu ausführlich Seyr, Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH, S.  94 ff. 405  Koenig/Meyer, ZfWG 2013, S. 153 (155). 406  Vgl. Ahlhaus/Mayer, GewArch 2013, S. 207 (208); Koenig/Meyer, ZfWG 2013, 153 (155); Mayer/Schulte-Braucks, GRUR 2013, S. 527 (531). 400  EuGH, 401  So



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 135

Dass die Feststellung der Unbeachtlichkeit des spezifischen Staatsaufbaus in föderal organisierten Gemeinwesen, in denen namentlich die hoheitlichen Aufgaben und Befugnisse einerseits auf den Gesamtstaat – in der Bundes­ republik Deutschland repräsentiert durch den Bund – und andererseits die Gliedstaaten – hierzulande den sechzehn Ländern – verteilt sind und in denen darüber hinaus die insoweit bestehende doppelte Staatlichkeit („föderales duplex regimen“407) einen mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtswert bildet, gleichwohl einige Problemfelder eröffnet, liegt auf der Hand. An Brisanz gewinnt die Einschätzung gerade im Hinblick auf die in Deutschland föderal bedingte Zuständigkeitsverteilung bei der Ausgestaltung des Glücksspielsektors zwischen dem Bund und den Ländern („duale Glücksspiel­ ordnung“)408. Dabei verdient vor allem die seitens des Gerichtshofs im Gefolge des Verlangens nach „regionalübergreifend-horizontaler Kohärenz“409 an die deutschen Normgeber adressierte Verpflichtung, sich – sozusagen über die Grenzen der föderalistischen Kompetenzordnung hinweg – über ihr regulatorisches Vorgehen im Glücksspielbereich abzustimmen, erhöhte Aufmerksamkeit, könnte man in ihr doch ein Einfallstor für die „Gefahr einer Europäisierung durch Kohärenz“410 erblicken.411 a) Die Koordinierungspflicht und die deutsche Verfassungsidentität In föderal verfassten Mitgliedstaaten wie der Bundesrepublik aktiviert die eingeforderte Kooperations- bzw. Koordinationspflicht in ihrer Wirkrichtung namentlich das Kohärenzgebot als eine Kompetenzausübungsschranke412: In dem Maße, wie sich dieses Abstimmungserfordernis zu einer Homogenitätsoder gar Uniformitätspflicht der vonseiten der Länder und des Bundes verfolgten Glücksspielpolitiken verdichtet, je mehr sich also die Kompetenzträger der Länder untereinander oder im Dialog mit dem Bund zur Vermeidung von Inkohärenzen auf eine gemeinsame Regulierungsstrategie zu einigen haben, desto stärker gerät das Abstimmungsgebot in ein Spannungsverhältnis mit dem, die Eigenständigkeit der Verfassungsräume – insbesondere die jeweiligen Gesetzgebungshoheiten – von Bund und Ländern besichernden Bundesstaatsprinzip.413 407  Uhle,

in: Maunz/Dürig, GG, Art. 70 (Rn. 3). näher unten 4. Teil, A., II., 2. 409  So Dietlein/Peters, ZfWG 2013, S. 229 (229); ähnlich Koenig/Meyer, ZfWG 2013, S. 153 (158). 410  Grzeszick, VVDStRL, 2012 (Bd. 71), S. 44 (75). 411  Vgl. zu diesem Aspekt auch Axer, in: ders./Grzeszick/Kahl/Mager/Reimer, Europäische Verwaltungsrecht in der Konsolidierungsphase, S. 123 (139, 141 f.). 412  Näher zur Begrifflichkeit BVerfG, Az. 2 BvG 1/00, NVwZ 2002, S. 591 (592). 413  Dörr/Janich, K&R 2012, Beihefter 1, S. 1 (12). 408  Hierzu

136

3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

Ihren tiefer liegenden Ausgangspunkt nimmt die skizzierte Konfliktlage dabei in der aus bundesverfassungsrechtlicher Sicht die Unionsgewalt legitimierenden Integrationsnorm des Art. 23 Abs. 1 GG, nach deren Maßgabe der Bund durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte an die Europäische Union übertragen kann.414 Die so im Zuge der europäischen Integration vollzogene Delegierung von obrigkeitlichen Befugnissen auf die Union und ihre Organe bewirkt zwar eine breite Öffnung der staatlichen Souveränität der Bundesrepublik Deutschland; die Legitimität einer solchen Kompetenzverlagerung auf europäischer Ebene findet nach der Verfassungsgerichtsjudikatur allerdings dort ihre ­Grenzen, wo die „Identität der geltenden Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland“415 zum Gegenstand der Kompetenzübertragung gemacht wird.416 Das Bundesverfassungsgericht subsumiert nach seinen Definitionsansätzen zum Identitätskonzept417 neben Art. 1 GG die in Art. 20 GG konstitutionell verbürgten Staatsstrukturprinzipien – die „Essentialia der deutschen Staatlichkeit“418 – unter den integrationsfesten Kern der Verfassung.419 Diese Positionierung erfolgt mit Blickrichtung auf die in Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegte „Ewigkeitsgarantieklausel“, die ihre Schutzwirkung auch zugunsten des in Art. 20 Abs. 1 GG festgeschriebenen Bundesstaatsprinzips entfaltet und damit aus Sicht des Gerichts den föderalstaatlichen Charakter der Bundesrepublik als „unantastbaren Kerngehalt der Verfassungsidentität“420 nicht zur unionalen Disposition stellt.421 Unter diesem Gesichtspunkt verlangt das BVerfG, dass die verfassungsrechtlich fundierten Kerngehalte durch die Kompetenzübertragung an die Union nicht „ausgehöhlt“422 werden. dazu di Fabio, in: Ruffert, FS-Schröder, S. 171 (171 ff.). Az. 2 BvR 197/83, NJW 1987, S. 577 (580). 416  Zuletzt BVerfG, Az. 2 BvE 2/08 u. a., EuR-Beilage 2010, S. 212 (Rn. 218, 239, 240); siehe bereits BVerfG, Az. 2 BvR 2134/92 u. a., NJW 1993, S. 3047 (3056); BVerfG, Az. 2 BvL 52/71, NJW 1974, S. 1697 (1697 f.); siehe dazu auch Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der EU, S. 97 ff. 417  Näher dazu Polzin, Der Staat 2014, S. 61 (89 ff.); Walter, ZaöRV 2012, S. 177 (179 ff.). 418  Nettesheim, NJW 2009, S. 2867 (2868). 419  Vgl. insoweit BVerfG, Az. 2 BvE 2/08 u.  a., EuR-Beilage 2010, S. 212 (Rn. 218); siehe dazu auch Walter, ZaöRV 2012, S. 177 (177 ff.) mit dem Hinweis, dass sich in der Rechtsprechung des BVerfG insbesondere eine Verbindung zwischen Verfassungsidentität und Demokratieprinzip reflektiert. 420  BVerfG, Az. 2 BvE 2/08 u. a., EuR-Beilage 2010, S. 212 (Rn. 240). 421  Vgl. Härtel, in: Handbuch Föderalismus, Bd. 1, § 16 (Rn. 67  ff.); Herzog/ Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 (Rn. 13 ff.). 422  BVerfG, Az. 2 BvE 2/08 u.  a., EuR-Beilage 2010, S. 212 (Rn. 218, 244); BVerfG, Az. 2 BvR 197/83, NJW 1987, S. 577 (280); ganz ähnlich auch Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 197. 414  Vgl.

415  BVerfG,



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 137

Spannt man im Spiegel dieser Implikationen den Bogen zur vorthematisierten Legitimität des EuGH zur (rechtsfortbildenden) Statuierung des Kohärenzgebots423 – an der, was die grundsätzliche Befugnis betrifft, entsprechend der obigen Ausführungen ja keinerlei Zweifel besteht – ließe sich hinterfragen, ob die vom Gerichtshof erhobene Forderung nach kohärenzbezogener Binnenkoordinierung imstande ist, eine dahingehende Aushöhlung der deutschen Verfassungsordnung zu bewirken; denn eine solche Entkernung verfassungsrechtlicher Gehalte markiert ein klare Schranke der aus Art. 19 Abs. 1 EUV prinzipiell folgenden Kompetenz des Gerichtshofs zur Rechtsfortbildung, deren Übersteigung als befugniswidriger Akt „ultra-vires“ einzuordnen wäre.424 In concreto gilt es deshalb zu klären, ob die abverlangte Koordinierungspflicht geeignet ist, eine Aushöhlung des Bundesstaatsprinzips herbeizuführen und als Folge dessen den normalerweise geltenden Anwendungsvorrang des Unionsrechts derogiert.425 Eine solche Annahme erschiene am ehesten haltbar, wenn die Abstimmungspflicht letztlich auf ein Gebot der konzeptionell gleichförmigen Regulierung von landes- wie bundesrechtlichen Glücksspielsektoren hinausliefe. Dadurch würde den deutschen Gesetzgebern evident ein wesentlicher Teil ihrer nach Maßgabe der grundgesetzlichen Kompetenzordnung zugestandenen regulatorischen Autonomie genommen. Richtet man unter diesem Gesichtspunkt den Blick auf die Gesamtheit der zu dieser Thematik vom Gerichtshof in den – konkret auf die deutsche Rechtslage gemünzten – Urteilen Carmen Media und Digibet verlautbarten Aussagen, erscheint eine solch pauschale Einschätzung jedoch verfehlt. So betonte der EuGH im Rahmen seiner Digibet-Entscheidung, dass die Kompetenzverteilung zwischen den Ländern im Glücksspielbereich „nicht in Frage gestellt werden (kann), da sie unter dem Schutz von Art. 4 Abs. 2 EUV steht, nach dem die Union verpflichtet ist, die jeweilige nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der lokalen und regionalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt“426. Dem angeführten Begründungssatz lässt sich entnehmen, dass der EuGH explizit die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern für die Glücksspielmaterie erkennt und auch anerkennt. Eine ge423  Siehe

insoweit schon die Ausführungen oben Teil 3, B., III., 1., b). Pernice, EuR 1996, S. 27 (35 ff.) und im Besonderen zur „ultra-viresKontrolle“ BVerfG, Az. 2 BvR 2661/06, EuZW 2010, 828 (Rn. 61 ff.); BVerfG, Az. 2 BvR 2134/92 u. a., NJW 1993, S. 3047 (3057). 425  Zum grundsätzlichen Konflikt zwischen mitgliedstaatlicher (Verfassungs-)Souveränität und grundfreiheitlichen Gewährleistungen: EuGH, verb. Rs. C-159/10, EuZW 2011, S. 767 (Rn. 96) – Fuchs u. a.; EuGH, Rs. C-428/07, Slg. 2009, I-6355 (Rn.  50 ff.)  – Horrath; BVerfG, Az. 2 BvR 2661/06, EuZW 2010, S. 828 (Rn. 49 ff.). 426  Vgl. EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 34) – Digibet/Albers. 424  Vgl.

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

teilte, autonome Kompetenz umschließt auch immer die Möglichkeit, sie in unterschiedlicher Weise, d. h. insbesondere unter Verfolgung divergierender Regulierungskonzepte auszuüben. Mit der europarechtlichen Berücksichtigung einer föderalen Glücksspielordnung ist mithin auch das Zugeständnis an die vor dem Kohärenzgebot grundsätzlich unbedenkliche Verfolgung verschiedener Regelungskonzepte auf gesamtstaatlicher Ebene verbunden. Auf demselben Argumentationspfad bewegen sich die im Urteil Carmen Media angestellten Erwägungen: dort wies der EuGH nämlich wortwörtlich darauf hin, dass „das Unionsrecht einer internen Zuständigkeitsverteilung, nach der für bestimmte Glücksspiele die Länder zuständig sind und für andere der Bund, nicht entgegensteht“427. Hinzu kommt, dass der Gerichtshof in der Entscheidung das „regionale staatliche Monopol auf Sportwetten“428 expressis verbis als eigenständigen Prüfungsgegenstand heranzog. Diese Handhabung wäre nicht denkbar, wenn der EuGH bereits aus der reinen Existenz unterschiedlicher Regulierungskonzepte inkohärenzindizierende Beweiszeichen gefolgert hätte.429 Bekräftigt wird die These von einer gerade nicht geforderten konzeptuellen Gleichförmigkeit überdies aus einer dogmatischen Perspektive heraus, da sich in ihr Konstanz und Konsequenz der bisherigen EuGH-Rechtsprechung zu zwar nicht glücksspielspezifischen Verfahren, aber zu durchaus vergleichund übertragbaren Problemfeldern, widerspiegeln. Dahingehend in Anspruch nehmen ließe sich beispielhaft430 die Entscheidung in der Rechtssache Rüffert, welche die Unionsrechtskonformität vergabespezifischer Mindestlöhne betraf; darin entschied der EuGH, dass die in Disput stehende Lohnhöhe nicht schon deshalb als unionsrechtswidrig einzustufen sei, weil diese nicht flächendeckend in allen Bundesländern eingeführt wurde.431 In eine ähnliche Kerbe schlug die Feststellung des Gerichtshofs in der Rechtssache Fuchs u. a., wonach Regelungsansätze „von Region zu Region, hier von Land zu Land unterschiedlich sein (können) um regionale Besonderheiten zu berücksichtigen“432. Ein konzeptueller Gleichklang von Bund- und Länderpolitiken erscheint aus Sicht des EuGH damit weder in Bezug auf den Glücksspielbereich noch hinsichtlich anderer Sektoren geboten.433 Auf diese Folie projiziert, kann Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 70) – Carmen Media. Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 70) – Carmen Media. 429  So auch Dietlein/Peters, ZfWG 2013, S. 229 (231). 430  Beispiele nach Dietlein/Peters, ZfWG 2013, S. 229 (231). 431  EuGH, Rs. C-346/06, EuZW 2008, S. 306 (Rn. 38) – Rüffert. 432  EuGH, verb. Rs. C-159/10 u. a., NVwZ 2011, S. 1249 (Rn. 96) – Fuchs u. a. 433  Vgl. BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 52); OVG NRW, Az. 13 A 2018/11, ZfWG 2014, S. 209 (219). 427  EuGH, 428  EuGH,



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 139

nicht per se davon ausgegangen werden, dass das hier in Rede stehende kohärenzspezifische Abstimmungserfordernis eine dahingehende Homogenitätsverpflichtung erzwingt und damit nicht evident zu einer Aushöhlung der bundesstaatlichen Identität Deutschlands beiträgt.434 b) Konkrete Reichweite der Abstimmungspflicht Wie weit das zu fordernde Abstimmungsniveau zwischen den Ländern, aber auch im Verhältnis zum Bund, letzten Endes reicht, geht – ungeachtet der zuletzt wiedergegebenen Hinweise des EuGH – aus der einschlägigen Rechtsprechung zwar nicht im Detail hervor; die Ausführungen des Gerichtshofs zur Rechtssache Digibet geben allerdings sicheren Aufschluss über den maßgebenden Bemessungsparameter: Dort judizierte der Gerichtshof im Hinblick auf die deutsche Glücksspielregulierung sowie unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den regulativen Sonderweg Schleswig-Holsteins, dass sich nicht die Auffassung vertreten lässt, „dass die abweichende Rechtslage in einem Bundesland die Eignung der in den anderen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels zur Erreichung der mit ihnen verfolgten legitimen Ziele des Allgemeinwohls erheblich beeinträchtigt“435. Die Koordinierungspflicht zielt also – wie bereits an anderer Stelle thematisiert –436 auf die Vermeidung von erheblichen Beeinträchtigungen der vom Landes- oder Bundesgesetzgeber mit ihrem jeweiligen Glücksspielregime definierten Anliegen. Damit schlägt der EuGH den Bogen zur Ratio des Kohärenzgebots: Wie schon mehrfach hervorgehoben verkörpert das Kohärenzpostulat als Unterprinzip des Geeignetheitskriteriums in seinen Grundfesten ein Wirksamkeitsgebot; es gebietet, dass die mit der in Prüfung stehenden Maßnahme verfolgte Zielsetzung nicht durch andere Regelungsmechanismen in dem Maße konterkariert wird, dass sie das mit ihr bezweckte Anliegen de facto nicht mehr effektiv gewährleisten kann. Diese Kernanforderung projiziert der Gerichtshof schlüssigerweise auf den besonderen Fall divergierender innerstaatlicher Regulierungskonzepte im Glücksspielwesen. Demnach dürfen die Regulierungspolitiken der Länder oder des Bundes unter den Vorgaben des Kohärenzpostulats nicht zu dem Befund führen, dass sie sich wechselseitig in ihrer Zielerreichung konterkarieren oder – mit den Worten des EuGH – „erheblich beeinträchtigen“437. 434  So im Ergebnis auch Dietlein/Peters, ZfWG 2013, S. 229 (231); Hartmann, EuZW 2014, S. 814 (818); Koenig/Meyer, ZfWG 2013, S. 153 (158); Rossi, Verw­ Arch 2013, S. 283 (296 f.). 435  Vgl. EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 36) – Digibet/Albers. 436  Oben Teil 3, B., II., 5., c), bb). 437  Vgl. EuGH, Rs. C-156/13, ZfWG 2014, S. 193 (Rn. 36) – Digibet/Albers.

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

Was die Voraussetzungen anbelangen, unter denen eine solche Beeinträchtigung als „erheblich“ zu qualifizieren ist, so erscheint es nur folgerichtig an die bereits im vorangegangenen Abschnitt erläuterten (allgemeinen) Kohärenzmaßstäbe als Bezugsgröße respektive Wertmesser anzuknüpfen. Denn letztlich bildet die hier zur Diskussion gestellte Kohärenzkonstellation lediglich einen, um die ausgewiesene Kompetenzproblematik angereicherten, Fall horizontaler Kohärenzprüfung, dessen inhaltlicher Beurteilungsmaßstab auf den vorbehandelten Kategorien kohärenzrelevanter Widersprüche fußt. Zweifel an einer kohärenten Zielverfolgung vermögen somit erst dann auf das Inkohärenzurteil durchschlagen, wenn – quasi in Analogie zu den generellen Maßstäben – nach einer wertenden Folgebetrachtung feststeht, dass durch korrelierende innerstaatliche Regulierungskonzepte die jeweiligen Regulierungsziele in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht „nicht mehr wirksam“438 verfolgt werden können, ihre praktische Zielerreichbarkeit mithin nachhaltig – im Sinne einer „Funktionsuntauglichkeit“439 – aufgehoben wird.440 c) Konsequenzen für die Beurteilung einer „Aushöhlung“ Das einzufordernde Maß an Rechts- und Verwaltungskoordination unter den Ländern sowie im Verhältnis zum Bund kann damit spiegelbildlich nur so weit reichen, wie es der Vermeidung der beschriebenen „funktionsuntauglichen“ Regulierungszustände auf gesamtstaatlicher Ebene dient. Eine darüberhinausgehende Verpflichtung, sämtliche, unter diese qualitative Demarkationslinie fallenden Reibungsflächen im Wege einer präventiven Abstimmung auszuschließen, kann aus dem Koordinationsgebot gerade nicht hergeleitet werden. Unter Bedachtnahme jener vergleichsweise hoch gesteckten inkohärenzauslösenden Erheblichkeitsschwelle erstreckt sich der Kooperations- und Koordinationsbedarf – als quasi kleinster gemeinsamer Nenner – allenfalls auf die jeweils verfolgten Zielsetzungen, keineswegs jedoch auf die zur Zielerreichung eingesetzten Mittel. Und selbst im Hinblick auf die gebotene Zielabstimmung verlangt das Abstimmungerfordernis bei praxisnaher Betrachtung lediglich eine auf die Vermeidung von regulativen „Konfronta­ tionskursen“ gerichtete Herstellung eines Mindestmaßes an Stimmigkeit, dessen Niveau Bund wie Ländern einen breiten Raum autonomer Gestaltungsfreiheit auf dem Gebiet des Glücksspielwesens belässt.

438  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 106) – Stoß u. a.; EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 68) – Carmen Media. 439  Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Einf. (Rn. 41). 440  So im Ergebnis wohl auch BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 55).



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 141

Angesichts dieser Befunde erscheint das Koordinationsgebot im Lichte der verfassungsrechtlich fundierten bundesstaatlichen Souveränitätsteilung als geradezu harmlos, zumal die erhobene Forderung nach Abstimmung unter den verschiedenen Normgebern ebenfalls der deutschen Rechtsordnung nicht gänzlich fremd ist. Das Verfassungsgericht hält eine solche Form des kooperativen Föderalismus441 – in Sonderheit unter Rückgriff auf das Gebot der Bundestreue442, welches nicht nur das Kooperationsverhältnis zwischen dem Bund und den Ländern, sondern auch der Länder untereinander kennzeichnet443 – sogar für unerlässlich, soweit er „für ein funktionierendes System erforderlich ist“444 oder der Vermeidung von gegenläufigen Regelungen dient.445 Da sich gleichfalls in der hier erörterten kohärenzspezifischen Abstimmungspflicht solcherart Anliegen reflektieren, läuft die bundesstaatliche Identität Deutschlands auch unter Berücksichtigung dieser Wertung sowie des zuvor thematisierten Abstimmungsniveaus insgesamt nicht Gefahr durch die statuierte Kooperationsflicht eine unverhältnismäßig starke Überwölbung, geschweige denn Aushöhlung, zu erfahren;446 Anlass für die Aktivierung des verfassungsrechtlichen Identitätsvorbehalts gibt die Kooperationspflicht nicht. Von der „Gefahr einer Europäisierung durch Kohärenz“447 kann unter diesem Gesichtspunkt nicht die Rede sein. Einher mit dieser Erkenntnis geht, dass der EuGH mit seiner Forderung nach Koordinierung zweifellos nicht die Grenzen seines durch Art. 19 Abs. 1 EUV gesteckten Kompetenzrahmens zur „Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge“ ultra-vires verlassen hat.

hierzu Zacher, BayVBl 1971, S. 375 (378). zur spezifischen Bedeutung des Prinzips der Bundestreue in der hier gegebenen Thematik Rossi, VerwArch 2013, S. 283 (296 f.) und Gundel, ZUM 2010, S. 955 (957). 443  Vgl. zur Kooperationspflicht der Länder auf dem Gebiet des Rundfunkrechts etwa BVerfG, Az. 1 BvF 1/84, NJW 1987, S. 239 (249 f.). 444  BVerfG, Az. 1 BvF 1/84, NJW 1987, S. 239 (249). 445  BVerfG, Az. 2 BvR 1876/91, NJW 1998, S. 2346 (2349); BVerfG, Az. 2 BvR 1991/95, NJW 1998, S. 2341 (2343); siehe zum allgemeinen „Gebot der Kooperation“ auch BVerfG, Az. 2 BvE 1/00, NVwZ 2001, S. 667 (668). 446  So im Ergebnis auch BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 58 f.); Dietlein/Peters, ZfWG 2013, S. 229 (231); Hartmann, EuZW 2014, S. 814 (818); Koenig/Meyer, ZfWG 2013, S. 153 (158); Rossi, VerwArch 2013, S. 283 (296 f.); a. A. wohl Hecker, DVBl 2011, S. 1130 (1136); Pagenkopf, NJW 2012, S. 2918 (2923). 447  Grzeszick, VVDStRL, 2012 (Bd. 71), S. 44 (75). 441  Grundlegend

442  Siehe

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

3. Das Kohärenzgebot und die Rolle der nationalen Gerichte Diskussionswürdig erscheint schließlich die von den nationalen Gerichten bei der Kohärenzkontrolle eingenommene Rolle. Wie schon die vorstehenden Ausführungen zeigten, wächst ihnen die verantwortungsträchtige Aufgabe zu, nach Maßgabe der vom EuGH in den einschlägigen Verfahren formulierten Direktiven über die Inkohärenz und damit Grundfreiheitswidrigkeit der konkret zur Prüfung stehenden Maßnahme zu befinden. In der „Kohärenzprüfungskette“ besetzen die nationalen Gerichte so eine tragende Schlüsselposition, die sich – wie die nachfolgende Erörterung illustrieren wird – als Quelle einiger Problemhorizonte erweisen kann. a) Modus Operandi der Kohärenzprüfung Um jene Problemfelder sachangemessen beleuchten zu können, lohnt zunächst eine nähere Betrachtung des Modus Operandi der von den nationalen Gerichten zu vollführenden Kohärenzprüfung, wobei diese freilich je nach mitgliedstaatlichem Justizsystem und geltendem Verfahrensrecht im Detail variieren kann. Ohne letzte Feinheiten bei der Prüfungssequenz abzuschöpfen, lässt sich ihre Abfolge im groben Raster in drei Verfahrensschritte gliedern: In einem ersten Schritt hat das Gericht – quasi als Vorstufe der eigentlichen Prüfung – zu klären, ob die angegriffene Glücksspielregelung überhaupt als rechtfertigungsbedürftige Beschränkung grundfreiheitlicher Schutzdimensionen zu qualifizieren ist. Wird damit die grundsätzliche Durchführbarkeit der Kohärenzprüfung bejaht, sind auf einer zweiten Operationsstufe im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die vom EuGH aufgestellten Kohärenzanforderungen unter Auswertung des vorhandenen Rechtsprechungsmaterials zu ermitteln und auf den tatsächlichen Bezugsrahmen, d. h. auf das jeweilige mitgliedstaatliche Glücksspielregime, anzuwenden. In concreto hat das prüfende Gericht dabei insbesondere die mit der fraglichen Regelung verfolgte Zielsetzung aufzuklären sowie etwaige aus der EuGH-Judikatur ableitbaren Konfliktpotenziale in Form inkohärenzstiftender Widersprüche zu eruieren und deren Geltungskraft für den angetragenen Sachverhalt zu untersuchen. Den Schlussstein und gewissermaßen das „Herzstück“ der Prüfung bildet schließlich eine Abwägung, in deren Rahmen das Gericht abzuschätzen hat, ob die festgestellten Widersprüche zu einem Wegfall der Erreichbarkeit des mit der inkriminierten Glücksspielmaßnahme verfolgten Ziels führen.



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 143

b) Praktische Vorbehalte bei der Tatsachenermittlung und Tatsachenwürdigung Die seitens des berufenen Gerichts durchzuführende Kohärenzbeurteilung verweist auf ein weites Feld der Tatsachenbeobachtungen und -würdigungen. Dies betrifft zunächst die auf der ersten bzw. zweiten Prüfungsebene zu vollbringende Analyse der vom EuGH aufgestellten Kohärenzmaßstäbe und setzt sich in der Auslotung des konkreten mitgliedstaatlichen Bezugsrahmens fort. Während das erstgenannte Aufgabenfeld mit keinen durchgreifenden rechtspraktischen Problematiken belastet ist, stellt die Ermittlung des regulativen Rahmens das Gericht vor einige – wenngleich auch nicht unlösbare – Herausforderungen. So werden sich in einem komplexen, auf mehreren Normund Kompetenzebenen beruhenden, Glücksspielsystem etwaige inkohärenzstiftende Konfliktpotenziale nicht ohne weiteres feststellen lassen. Dies gilt umso mehr, als sich der zur Erforschung von Widersprüchen vorgezeichnete Aktionsradius mit der vom EuGH unternommenen Ausdehnung des Kohärenzgebotes auf eine sektorenübergreifende Gesamtkohärenz erheblich verbreitert hat. Auf die größten Schwierigkeiten in der praktischen Handhabe der Kohärenzkontrolle stößt ein nationales Gericht wohl im Zuge der auf der dritten Prüfungsebene angesiedelten Kohärenzabwägung. In deren Rahmen obliegt es dem Gericht bekanntlich „im Licht der Entwicklung des Glücksspielmarkts auf nationaler Ebene“448 darüber zu judizieren, ob die am Kohärenzgebot zu messende Glücksspielmaßnahme ihr Ziel aufgrund der auf sie einwirkenden Parallel- und Wechselwirkungen „schlechterdings“449 nicht mehr erreichen kann, so dass ihre „Eignung zur Zielerreichung aufgehoben wird“450 und sie letztlich einer evidenten „Funktionsuntauglichkeit“451 verfällt.452 Im Rahmen dieses Abwägungsvorgangs sind – freilich zunächst auf Grundlage des ihm vonseiten mitgliedstaatlicher Stellen beigebrachten Materials –453 alle Einzelumstände zusammenzutragen, zu tarieren und gegeneinander abzuwägen, die geeignet sind, die praktische Zielerreichbarkeit der streitbefangenen Glücksspielregelung vor dem Kohärenzgebot zu stärken oder eben zu relativieren: Insoweit zu eruieren und würdigen sind insbesondere – wie verb. Rs. C-186/11 u. a., ZfWG 2013, S. 95 (Rn. 33) – OPAP u. a. ZfWG 2013, S. 229 (232). 450  BVerwG, Az. 8 C 5/10, ZfWG 2011, S. 332 (Rn. 35). 451  Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Einf. (Rn. 41). 452  Siehe hierzu schon die Ausführungen oben Teil 3, B., II., 6., b), bb). 453  Vgl. zum Umfang der Beweislast der Mitgliedstaaten im Glücksspielbereich nur EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, 1409 (Rn. 71) – Stoß u. a.; siehe dazu auch Kirschner, Grundfreiheiten und Gestaltungsspielräume, S. 207. 448  EuGH,

449  Dietlein/Peters,

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

bereits oben dargelegt –454 die Art und das Ausmaß der in bestimmten Glücksspielsektoren betriebenen Expansionspolitik und ihre Auswirkung auf die Zielerreichbarkeit der zur Prüfung gestellten Glücksspielregelung. Dabei haben die Gerichte insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kanalisierungsgedanke eine „kontrollierte Expansion“ des entsprechenden Glücksspiel­ angebots zu legitimieren vermag.455 In der Praxis bringt diese Position für die Gerichte den Arbeitsauftrag mit sich, anhand empirischer Daten zu beurteilen, ob de facto ein kanalisierungsfähiges Problem mit rechtswidriger Spieltätigkeit existiert, dem mit einer ausgewogenen Angebotsausweitung („kontrollierte Expansion“) des legalen Spiels Einhalt geboten werden kann.456 Sofern dies bejaht wird, haben sie weiter im Rahmen einer Art „Schaden-Nutzen-Analyse“ zu klären, ob mit der Angebotsausweitung Kanalisierungseffekte spürbar nachhaltigen Ausmaßes einhergehen, so dass von einer „wirksamen Lenkung der Spiellust in rechtmäßige Bahnen“457 die Rede sein kann. Hierfür letztlich entscheidend sind die jeweiligen und vonseiten der Gerichte zu eruierenden Umstände einer wechselseitigen Substituierbarkeit der mit dem Kanalisierungsanliegen in Bezug genommenen Glücksspiele (z. B. Kundengenre, Ereignisfrequenz, Auszahlungsintervall, Grad der Inter­ aktivität).458 Es gehört wenig Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass in der Eruierung der entscheidungsrelevanten Abwägungsparameter sowie in der Analyse der faktischen Auswirkungen ein zeit- und arbeitsintensiver Informationsaufwand von nicht zu unterschätzender Komplexität geborgen liegt.459 Diese Schwierigkeiten potenzieren sich, stellt man in Rechnung, dass nicht nur der normative Rahmen, sondern gleichfalls die aus bestimmten Anwendungsmodalitäten resultierenden Auswirkungen in die Betrachtung einzufließen haben. Angesichts dieser praktischen Erwägungen läuft das berufene Gericht – insbesondere eingedenk des herrschenden Zeitdrucks bei der Urteilsfindung sowie der in sachlicher Hinsicht gesteckten Kapazitätsgrenzen – Gefahr, seine Entscheidung auf eine zu schmale Tatsachenbasis zu stellen und daraus unzutreffende Schlüsse für die Kohärenzbeurteilung zu ziehen. Hinzu kommt schließlich, dass eine adäquate Kohärenzüberprüfung die Neubetrachtung der einmal gefundenen Ergebnisse in sinnvollen Zeitabstän454  Siehe

dazu schon oben Teil 3, B., II., 6., a). nur EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 76) – Zeturf; EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 101) – Stoß u. a. 456  Vgl. EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 26) – Ladbrokes. 457  EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 69) – Zeturf. 458  Vgl. Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 788; Frenz, EuR 2012, S. 344 (350); Hecker, DVBl 2011, S. 1130 (1134). 459  Pagenkopf, NVwZ 2011, S. 513 (518). 455  Vgl.



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 145

den erfordert, unterliegt doch der glücksspielbezogene Regulierungsrahmen – wie nicht zuletzt das deutsche Glücksspielregime eindrucksvoll demons­ triert – naturgemäß einem tiefgreifenden und beständig-temporalen Wandel, der notwendigerweise Einfluss auf die Beurteilung der objektiven Ziel­ erreichbarkeit hat und im Übrigen auch die Gefahr einer unreflektierten Übernahme der einmal herangezogenen Bewertungsgrundlage mit sich bringt. Die „grobe Keule“ des Vorwurfs, dass die Aufgabenbewältigung, und dabei insbesondere die Eruierung der faktischen Zustände, den nationalen Gerichten möglicherweise Mühsal bereitet, stellt freilich kein haltbares Argument dar, das Kohärenzerfordernis oder die Modalität seiner Prüfung an sich infrage zu stellen. Vor allem stoßen die Gerichte mit einer zu vollführenden Kohärenzbeurteilung nicht auf praktisch unüberwindbare Hindernisse oder gar an die Grenzen ihrer Möglichkeiten.460 Denn es gehört schon zum Wesenszug einer rationalen Rechtsanwendung, ggf. unter empirisch-analytischer Aufarbeitung des tatsächlichen Sachverhalts – sei dieser noch so umfassend – alle relevanten Abwägungsposten in die Entscheidung mit einzubeziehen; dieser Vorgang ist kein Spezifikum der Kohärenzprüfung, sondern Gemeingut richterlicher Praxis. Eine Abschwächung erfahren jene rechtspraktischen Hemmnisse überdies durch zu erwartende, gewisse Leit- und damit Vereinheitlichungswirkungen entfaltende Grundsatzjudikate der nach den jeweiligen Rechtsordnungen zur Letztentscheidung berufenen Instanzen;461 wohlbegründete, mit Leitlinien und -kriterien ausgestattete, Entscheidungen der mitgliedstaatlichen Höchstgerichte vermögen wichtige Hilfestellungen für die unteren Gerichtsinstanzen zu liefern, zumal unterstellt werden kann, dass die entsprechenden Spruchkörper über ausreichende Ressourcen und Sachkunde verfügen, um eine hohe Ermittlungstiefe zu gewährleisten und dadurch Rechtssicherheit herausbildende (Leit-)Entscheidungen zu treffen. c) Gerichtliche Wertungen In einem auf Bändigung und Mäßigung von Staatsgewalt ausgerichteten gewaltengegliederten System wie der Bundesrepublik obliegt es – in Abgrenzung zur Judikative ebenso wie zur Exekutive – dem durch Wahlen demokratisch legitimierten einfachen Gesetzgeber darüber zu befinden, welche rechtspolitischen Zielsetzungen mit welchen Mitteln verfolgt werden.462 Zum wohl Unterreitmeier, NJW 2013, S. 127 (130). beispielhaft das wohl den Charakter einer Leitentscheidung tragende Urteil des BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 ff. 462  Zum Ganzen instruktiv Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 (Rn. 29 ff.). 460  A. A. 461  Vgl.

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

Reservat der rechtsprechenden Gewalt zählt in der Funktionsordnung der deutschen Verfassung demgegenüber die einzelfallbezogene Anwendung und Auslegung der von den gesetzgebenden Körperschaften rechtsgeformten Entscheidungen.463 aa) Die vermeintliche Wertungsfreiheit der Kohärenzprüfung Bei unbefangener Betrachtung erweckt das Kohärenzgebot unter diesem staatstheoretischen Blickpunkt den Eindruck eines überaus subtilen judikativen Kontrollinstrumentariums, weil das erkennende Gericht bei Vornahme der Kohärenzprüfung scheinbar keine eigene Wertung, also subjektive Überzeugungen, an die Stelle der rechtspolitischen Einschätzung des mitgliedstaatlichen Normgebers setzt: Die Kohärenzkontrolle fragt nicht nach der Tauglichkeit der zur Zielverwirklichung einer Maßnahme eingesetzten Mittel oder gar nach Alternativmaßnahmen; das Erkenntnisinteresse gilt ausschließlich der Zieltauglichkeit einer Glücksspielmaßnahme als solcher.464 Insoweit übernimmt das nationale Gericht keine Gestaltungs-, sondern eine Ergebniskontrolle. Kraft dieser Prüfungsmethodik erhebt das Gericht allein die Wertungen des Gesetzgebers zum Maßstab der Prüfung und entzieht sich – nach einem vordergründig geweckten Eindruck – dem Verdacht, seine Kompetenz auf Kosten des Gesetzgebers zu erweitern und damit – in die Extreme fortgedacht – in der Rolle eines Ersatzgesetzgebers, als „politischer Richter“, die Balance zwischen Legislative und Judikative zu seinen Gunsten zu verschieben.465 Aus dieser judikativen Wertungsfreiheit schöpft das Kohärenzgebot prima vista seine Attraktivität und großen Vorzug z. B. gegenüber dem Erforderlichkeitskriterium, bei dem es schließlich auch um die judizielle Suche nach gesetzgeberischen Alternativmitteln geht. bb) Gerichtliche Wertungsfreiräume in der Kohärenzprüfung So einfach liegt die Sache jedoch nicht. Eine nähere Betrachtung der vorstehend umrissenen Prüfungssequenzen offenbart, dass diese in nicht unerheblichem Maße gerichtliche Wertungen umschließen. Während sich die Entscheidung auf der ersten und zweiten Kohärenzprüfungsebene mit Blick auf die weitgehend determinierten – da in hohem Maße unionsgerichtlich vorkonstruierten – Direktiven über die generelle Anwendbarkeit des Kohä463  Umfassende Behandlung der Thematik bei Scholz, ZG 2013, S. 105 (105 ff.) und Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der EU, S. 157 ff. 464  Ähnlich Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 798. 465  Vgl. Petersen, AöR 2013, S. 109 (132); ähnlich Dann, Der Staat 2010, S. 631 (638).



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 147

renzgebots noch als relativ wertneutral darstellt, eröffnet sich den nationalen Gerichten auf der dritten Prüfungsebene ein weites Feld von Wertungsfragen: Hier hat das Gericht bekanntlich im Rahmen einer (Folge-)Abwägung abzuschätzen, ob die fragliche Regelung in der Lage ist, das ihr zugrundeliegende Ziel, trotz der auf sie einwirkenden Parallel- und Wechselwirkungen, in praktischer Hinsicht wirksam zu verfolgen. Dabei gilt es eine Entscheidung wertenden Charakters darüber zu treffen, welche Anforderungen an die praktische (Un-)Wirksamkeit („nicht mehr wirksam“466) einer grundfreiheitsbeschränkenden Glücksspielregelung zu stellen sind; denn wie oben erläutert, bleibt der zu fordernde inkohärenzauslösende Grad an praktischer Unwirksamkeit in der Rechtsprechung des EuGH recht schemenhaft, was nicht zuletzt darauf beruht, dass sich die maßstäbliche Scheidelinie zur Inkohärenz aufgrund der Systemgebundenheit des Kohärenzpostulats nicht starr und gleichbleibend fixieren lässt. Selbst wenn das Gericht seiner Entscheidung den hier vertretenen Maßstab zugrunde läge, wonach die inkriminierte Glücksspielmaßnahme zur Annahme einer Inkohärenz letztlich einer zielbezogenen „Funktionsuntauglichkeit“467 verfallen muss,468 stellt sich im Weiteren die Frage nach deren Messgröße bzw. genereller Messbarkeit. Ließe sich beispielsweise die Funktionsuntauglichkeit einer der Prävention pathologischen Spielverhaltens dienenden Monopolregelung schlichtweg mit einer anwachsenden Zahl von pathologischen Spielern über einen bestimmten Zeitraum im monopolisierten Segment begründen? Und bejahendenfalls, wo genau verläuft die wertmäßige Grenze zwischen Funktionstauglichkeit und Funktionsuntauglichkeit, mit deren Überschreiten sich ein Mitgliedstaat in letzter Konsequenz auf die Ebene der unionsrechtswidrigen Normgebung begibt? Wann steht also fest, dass die erwarteten Folgen einer Glücksspielregelung nicht mehr eintreten werden und die gesetzgeberische Prognose damit als verfehlt beurteilt werden müsste?469 Dieser Korridor an Deutungsmustern mag zwar dadurch relativiert werden, dass derlei Beurteilungen zum Teil auf empirisch-wissenschaftliche Studien sowie darauf aufbauende verallgemeinerungsfähige Entscheidungsstandards gestützt werden können; die aus wissenschaftlichen Expertisen – deren Ergebnisse im Übrigen gerade im Glücksspielbereich nicht selten variieren470 466  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 107) – Stoß u. a.; EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 71) – Carmen Media. 467  Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Einf. (Rn. 41). 468  Siehe hierzu bereits oben Teil 3, B., II., 6., b), bb). 469  Zu dieser Thematik allg. Bickenbach, Die Einschätzungprärogative des Gesetzgebers, S.  503 ff. 470  Beispielhaft sei hier nur die Tatsache erwähnt, dass die Anzahl pathologischer Spieler in Deutschland je nach Studie auf 100.000 bis zu 290.000 Personen geschätzt wird und die Bewertungsmaßstäbe zur Feststellung von Glücksspielsucht noch kontro-

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

und ihrerseits nicht selten auf Werturteilen beruhen471 – zu ziehenden Schlüsse, z. B. in Bezug auf die Erwünschtheit eines Regulierungszustandes, bleiben jedoch den Gerichten vorbehalten. Nach alledem tritt als Ergebnis mithin klar hervor, dass die Kohärenzprüfung, entgegen dem ersten Anschein nach, in beachtlichem Maße von Elementen wertender Dezision geprägt wird. In diesem Lichte betrachtet, trügt – oder zumindest verblasst – der Glanz des Kohärenzgebots als gänzlich wertneutrales Prüfungskriterium. cc) Gefahr eines „freischwebenden“ Richtmaßes Da Wertungen stets das Risiko ihrer Überdehnung in sich bergen, laufen die Konturen des Kohärenzgebots potenziell Gefahr, durch eine zu sehr individuell geprägte Aufladung seiner ideologischen Programmatik zu verschwimmen und dadurch der Entfaltung eines Eigenlebens Vorschub zu leisten.472 Als Folge dessen wohnt dem Kohärenzgebot – zumindest potenziell – die Gefahr inne, zu einem, die Rationalität der Rechtsanwendung verzerrenden, „freischwebenden“ Richtmaß zu verkommen.473 Auf Grund seines nicht normativ zugemessenen und daher prinzipiell beliebig auffüllbaren Blankett-Gehalts474 ist das Kohärenzgebot – etwas zugespitzt formuliert – imstande sich im Gewand einer Leerformel zum leicht instrumentalisierbaren, vermeintlich omnipotenten Heilsbringer hochzustilisieren und auf diese Art weitere Unsicherheiten in das ohnehin schon unwegsame Terrain der Glücksspielregulierung zu tragen. Die aufgezeigten Wertungsfreiräume öffnen den nationalen Gerichten das Tor zu den der Legislative vorbehaltenen Aktionsfeldern; dadurch kann ein Gericht verleitet sein – einerlei ob beabsichtigt oder unbewusst – zulasten des Gewaltenteilungsgrundsatzes in die vers sind, vgl. Erbas/Bucher, DÄ 2012, 173 (175); zu den wissenschaftlichen Unzulänglichkeiten mancher Studien im Glücksspielbereich Peren, ZfWG 2015, S. 111 (111 ff.). 471  Näher dazu Lassahn, ARSP 2013, S. 323 (342); siehe zu den Schwierigkeiten einer auf Grundlage von Studien vorgenommenen Realbereichsanalyse Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, § 1 (Rn. 30). 472  Allg. zur Akzeptanz deutungsoffener Argumentationsfiguren Felix, Einheit der Rechtsordnung, S.  5 ff. 473  So tendenziell auch: Bickenbach, Die Einschätzungprärogative des Gesetzgebers, S. 423; Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 766; Ennuschat, ZfWG 2012, S. 305 (309); Lippert, EuR 2012, S. 90 (93); Payandeh, AöR 2011, S. 578 (613); Unterreitmeier, NJW 2013, S. 127 (130). 474  Insoweit kritisch zur ausbleibenden Konkretisierung der Kohärenzchiffres Pagenkopf, NVwZ 2011, S. 513 (515); Noll-Ehlers, EuZW 2008, S. 522 (522 f.); Liese, GewArch 2011, S. 199 (201).



B. Das Kohärenzgebot in der Glücksspielrechtsprechung des EuGH 149

Rolle eines Ersatzgesetzgebers zu schlüpfen und auf diese Weise das Kohärenzerfordernis als Instrument zu missbrauchen, seine eigenen Vorstellungen von Kohärenz über diejenigen des EuGH zu stellen und damit legitime Gestaltungsansprüche der Legislativorgane zu untergraben. dd) Kein Verfall des juristischen Nutzwerts Die aufgezeigten Schwächen bei der Operationalisierbarkeit der Kohärenz­ chiffres führen freilich nicht zu einem Verfall ihrer juristischen Nutzwerte. Die Wahrnehmung der letztverbindlichen Kohärenzkontrolle durch die na­tionalen Gerichte erscheint sogar insoweit geboten, als die verbleibenden kohärenzbezogenen Wertungsspielräume, oder besser: Wertungslücken, vermittels der nationalen Rechtsprechungstätigkeit mit Blick auf die größere Nähe zu den spezifischen mitgliedstaatlichen Verhältnissen deutlich sachgerechter ausgefüllt werden können als vom EuGH selbst. Zudem wirkt das nationale Gericht in dieser Hinsicht nicht in dem Maße gestaltend wie der nationale Gesetzgeber und konstituiert insbesondere keine gänzlich autonomen Kohärenzmaßstäbe; eine das Entscheidungsprimat des nationalen Gesetzgebers unterlaufende Wirkung und eine damit verbundene Erschütterung der Gewaltbalance zwischen Legislative und Judikative ist vom Kohärenzgebot nicht zu befürchten. Der Gesetzgeber kann wertungslastige Entscheidungen vielmehr im Sinne eines Steins des Anstoßes rezipieren und seine Regulierungsstrategie bei Bedarf entsprechend anpassen. Die grundsätzliche Anerkennungswürdigkeit respektive Sinnfälligkeit des Kohärenzgebots sehen sich durch solche verfassungsrechtlichen Implikationen nicht infrage gestellt. Hinzu tritt schließlich, dass die mit Auslegungs-, Prognose- und Wertungsfragen verbundene Klärung von juristischen Zweifelsfragen keine Neuigkeit ist, sondern ein in der Natur der Sache liegender Wesenskern der judiziellen Überprüfungspraxis.475 So besehen schlummert in jeder wertenden, die gesetzgeberische Unvollkommenheit quasi überwindenden, Gerichtsentscheidung eine Gewaltenteilungsproblematik. In Anbetracht dessen erscheint die Vornahme von Wertentscheidungen also unvermeidbar, obgleich sie zu einer, die Direktionskraft des Kohärenzgebots verstärkenden, rationalitäts- und akzeptanzstiftenden Präzisierung und Vereinheitlichung der Bewertungsmethodik – vor allem im Hinblick auf mögliche Wertungsmaßstäbe – durch den EuGH anregt, welche funktionell imstande wäre das Richtmaß vor einem möglichen „Verfließen“ aufzufangen. Da der EuGH eine solche Konkretisierungsleistung indes (noch) nicht erbracht hat, erscheint eine gewisse Behutsamkeit der Gerichte im Umgang mit dem Kohärenzgebot sachgerecht, die 475  Vgl.

dazu auch Petersen, AöR 2013, S. 109 (133).

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

fallweise insbesondere auch die freiwillige Nichtausschöpfung der vollen judiziellen Kontrollkompetenzen („judical self-restraint“)476 einschließen kann.

C. Resümee zum dritten Teil Das Kohärenzgebot verkörpert eine neuere Direktive, die das Unionsrecht an die regulative Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Glücksspielsektoren stellt. Als eine vom Europäischen Gerichtshof im Wege richterlicher Rechtsfortbildung in die grundfreiheitliche Prüfungsdogmatik überführte Rechts­ figur gelangt das Kohärenzerfordernis seit der anno 2003 gefällten GambelliEntscheidung bei der Frage zur Anwendung, ob die mit einer nationalen Glücksspielmaßnahme verbundene Beschränkung von grundfreiheitlichen Schutzgehalten einer Rechtfertigung zugänglich ist. Innerhalb des Kontinuums der tradierten Rechtfertigungsanforderungen findet das Kohärenzgebot seine prüfungsdimensionale Anbindung am unionalen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dort markiert es wiederum als Unterprinzip des Geeignetheits­ kriteriums eine Trennlinie, jenseits derer sich ein Mitgliedstaat nicht mehr auf die zur Legitimierung der Grundfreiheitsbeschränkung vorgebrachten Gemeinwohlinteressen berufen kann und fungiert somit als Gegengewicht zur weitgreifenden Gestaltungsautonomie der Mitgliedstaaten im Glücksspielbereich. Von ihrer genetisch, judikativ-besetzen Leitidee zielt die Kohärenzprüfung auf die Erkenntnis, ob ein Mitgliedstaat die zur Legitimation der Grundfreiheitsbeschränkung angeführte Zielsetzung wirklich zu realisieren versucht oder sich bei seinen regulativen Entscheidungen von illegitimen, d. h. rechtfertigungsuntauglichen Motiven – insbesondere wirtschaftsprotektionistischer oder fiskalpolitischer Art – hat leiten lassen. In den Wendungen „Scheinheiligkeitstest“ und „Wahrhaftigkeitstest“ gelangt diese Funktion semantisch zum Ausdruck. Mittlerweile ist die funktionale Einengung der Kohärenzkontrolle auf eine reine Missbrauchskontrolle jedoch nicht mehr tragfähig; das Kohärenzgebot hat sich von seinem funktional-gedanklichen Ausgangspunkt gelöst. Eine analytische Befassung mit seinem konzeptionellen Gehalt hat zutage gefördert, dass es bei der Kohärenzkontrolle in der Rechtsprechung des EuGH nicht mehr nur darum geht, Einsichten hinsichtlich der (subjekti476  Der dem anglo-amerikanischen Rechtsraum entstammende Begriff „judical self-restraint“ beschreibt an sich die bewusste Selbstbeschränkung der Gerichte bei der Rechtsfortbildung auf der Grundlage neuerer moralischer und politischer Vorstellungen, vgl. nur Schuppert, DVBl 1988, S. 1191 (1191) und Bickenbach, Die Einschätzungprärogative des Gesetzgebers, S. 508 f.; im vorliegendem Kontext wird der Begriff wertfrei als „richterliche Zurückhaltung“ verstanden.



C. Resümee zum dritten Teil151

ven) Regulierungsintention – der Wahrhaftigkeit der Zielverfolgung – zu gewinnen, sondern vorrangig die (objektive) Zielerreichbarkeit der Glücksspielmaßnahme – die Wahrhaftigkeit der Effektivität – zu erforschen. Eben hierin liegt nunmehr die funktionale Essenz des Kohärenzgebots. Seinem Wesenszug und seiner Funktion nach kann das Kohärenzgebot daher ohne Probleme als ein Konterkarierungs- oder Vereitelungsverbot aufgefasst werden, in dem sich seinerseits letztlich das europarechtliche Effektivitätsprinzip („effet utile“) widerspiegelt. So gesehen ließe sich von einer Emanzipation oder – wenngleich auch mit einiger Reserve – Umprägung der Kohärenzprüfung von einem reinen „Scheinheiligkeitstest“ hin zu einem „Wirksamkeitstest“ sprechen. Denn: Der „Scheinheiligkeitstest“ und der „Wirksamkeitstest“ besitzen einen gemeinsamen Nexus; der methodische Ausgangspunkt und Schlüssel zur Erkenntnisfindung liegt nach beiden „Kohärenzspielarten“ in der Offenlegung von in der mitgliedstaatlichen Regulierungspolitik situierten Widersprüchen, die aus einer komparativen Betrachtung zwischen der zur Prüfung gestellten Glücksspielmaßnahme und ihrem regulatorischen Umfeld herrühren. Beide Kohärenzansätze fragen danach, ob die inkriminierte Maßnahme unter Berücksichtigung des angestellten Vergleichs noch geeignet erscheint, das mit ihr bezweckte Anliegen wirksam zu erreichen. In der praktischen Konsequenz entbindet dieser Befund von der Notwendigkeit der Feststellung, dass die Widersprüchlichkeit in der Verfolgung unlauterer bzw. unionsillegitimer Anliegen wurzelt. Die Erreichbarkeit des mit einer restriktiven Glücksspielregelung intendierten Ziels steht unter den Vorgaben des Kohärenzgebots immer dann in Gefahr, wenn es durch die Ergreifung, Erleichterung oder Duldung gegenläufiger Maßnahmen – einerlei ob tatsächlicher oder normativer Art – solchermaßen konterkariert wird, dass eine wirksame Zielerreichung praktisch nicht mehr gewährleistet ist. Im Blick auf dieses Erkenntnisziel weist das Kohärenzerfordernis große strukturelle Anleihen beim tradierten Kriterium der Geeignetheit auf, dessen Klärungsaufgabe ebenfalls die Zieleeffektivität einer grundfreiheitsbeschränkenden Maßnahme umgreift; das Kohärenzpostulat qualifiziert und erweitert die überkommenen Geeignetheitsmaßstäbe „in die Breite“, indem es seinen Bezugspunkt der zielbezogenen Wirksamkeitsbeurteilung im Zusammenspiel der inkriminierten Maßnahmen mit anderen Maßnahmen findet. In jener prüfungsdimensionalen Loslösung von einem, auf die konkret zur Untersuchung stehenden Glücksspielmaßnahme verengten, „Tunnelblick“ zu einem kontextuellen „Panoramablick“ manifestiert sich der sinnvollerweise eine offene Flanke des Grundfreiheitsschutzes abdeckende rechtsfortbildende Schritt vom tradierten Geeignetheits- hin zum Kohärenzgebot. Unter diesem dogmatischen Blickwinkel ist das Kohärenzerfordernis als ein Unterprinzip des Geeignetheitskriteriums zu interpretieren

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

und damit prüfungssystematisch innerhalb des Gefüges der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf der Ebene seines „Mutterprinzips“ zu entfalten. Etwaige, in die Kohärenzbetrachtung einzustellende Glücksspielmaßnahmen müssen nicht (mehr) unbedingt demselben Marktsegment entstammen. In Abkehr von seiner früheren Rechtsprechungspraxis verfolgt der EuGH inzwischen einen ganzheitlichen Kohärenzansatz; der Gerichtshof hat den auf regulative Widersprüche hin zu untersuchenden Bereich – den sog. Kohärenzkontext – mit dem anno 2010 gefällten Urteil Stoß u. a. in die Horizontale ausgedehnt. In der Folge kann zur Beurteilung der kohärenzspezifischen Wirksamkeit einer Glücksspielmaßnahme nunmehr auch die in Bezug auf andere Glücksspielsektoren verfolgte Regulierungspraxis herangezogen werden. Das Erfordernis der Kohärenz besitzt nach der neueren Sichtweise des Gerichtshofs ergo sowohl eine vertikale („Einzelkohärenz“) als auch horizontale („Gesamtkohärenz“) Wirkungsdimension, wodurch die „Kohärenz-Messlatte“ für grundfreiheitseinschränkende Glücksspielmaßnahmen deutlich höher gelegt worden ist. In Entsprechung zur prüfungsdimensional ganzheitlichen Kohärenzkonzeption ist die Frage, auf welchen mitgliedstaatlichen Normsetzungsebenen die jeweils in den Kohärenzvergleich eingestellten Maßnahmen angesiedelt sind, ohne Belang. Obzwar der Gerichtshof im Blick auf Art. 4 Abs. 2 EUV die einem föderalen Staatsaufbau geschuldete Verteilung der Regelungskompetenzen zwischen glied- und gesamtstaatlichen Glücksspielgesetzgebern explizit anerkennt, sind mit ihr keine wesentlichen Abstriche an die Reichweite der Kohärenzprüfung verbunden. Damit verlangt der Gerichtshof letztlich eine doppelte Gesamtkohärenz, die sich im Sinne einer „regionalübergreifend-horizontalen Kohärenz“ sowohl auf die unterschiedlichen Glücksspielsegmente, wie auch auf die Regulierungsarbeit der innerhalb eines Mitgliedstaats ggf. verschiedentlich zuständigen Gesetzgeber erstreckt. Die im Zuge der bisherigen EuGH-Glücksspieljudikatur getroffenen Feststellungen lassen eine nach bestimmten Regulierungsvarianten geordnete Systematisierung von inkohärenzstiftenden Widerspruchstypen zu. Insoweit kann grob unterschieden werden zunächst zwischen inkohärenzschürenden Widersprüchen, deren Entstehung in der Verfolgung einer expansionistischen Glücksspielpolitik wurzeln, und solchen Widersprüchen, die aus der Gegebenheit resultieren, dass ein Mitgliedstaat verschiedene Glücksspielsektoren einer divergierenden Regulierungsintensität unterwirft. Seine deutlichste Ausprägung findet ein zur erstgenannten Kategorie zählender Widerspruch in der Gestalt einer am Ziel der Spielsuchtprävention orientierten Glücksspielmaßnahme – prototypisch einer Monopolregelung –, in deren Wirkungskreis eine, vor allem durch umfangreiche Werbemaßnahmen und eine Angebotsvergrößerung charakterisierte, expansionistische



C. Resümee zum dritten Teil153

Glücksspielpolitik seitens mitgliedstaatlicher Stellen verfolgt oder zumindest geduldet wird. Prinzipiell gleichfalls eine widerspruchsbegründende Wirkung kann eine expansive Angebotspolitik dann freisetzen, wenn sie in Bezug auf solche Glücksspielmaßnahmen verfolgt wird, die auf dem Bestreben der Kriminalitätsbekämpfung gründen oder beide Anliegen parallel verfolgen (sog. „bipolare Regulierungsziele“). Allen expansionistischen Regulierungsansätzen ist allerdings gemein, dass ein sie tragender Kanalisierungsgedanke eine die Widersprüchlichkeit auflösende Legitimationswirkung zu entfalten vermag. Eine solche Kanalisierungspolitik manifestiert sich dabei in einer auf die faktischen Entwicklungen des nationalen Glücksspielmarktes fußenden Expansionspolitik. Von zentraler Bedeutung für die Beurteilung ihrer Kohärenzadäquanz ist die Frage, ob und inwieweit ein kanalisierungsfähiges Problem mit rechtswidriger Spieltätigkeit im betroffenen Mitgliedstaat überhaupt existiert, dem mit einer Angebotsausweitung des legalen Spiels in nachhaltigspürbarer Weise begegnet werden kann. Insgesamt nimmt die Inkohärenz einer expansiven Angebotspolitik daher nur in dem Maße ab, wie das von ihr erfasste Kanalisierungsanliegen eine beachtenswerte Wirkung freisetzt, also nach einer Art „Schaden-Nutzen-Analyse“ eine tatsächliche Lenkung der im Kontext illegaler Glücksspiele entfalteten Spieltätigkeit hin zum staatlichen autorisierten Angebot bewirkt, ohne dabei auf der „Schadensseite“ den Spieltrieb bisheriger Nichtspieler in einem wesentlichen Umfang zu aktivieren. Inkohärenzstiftende Widersprüchen, die aus dem Umstand resultieren, dass ein Mitgliedstaat verschiedene Glücksspielsektoren einer divergierenden Regulierungsintensität unterwirft, zeichnen sich in der Diktion des EuGH vor allem dadurch aus, dass die Veranstaltung bestimmter Glücksspielarten privatwirtschaftlichen Glücksspielanbietern offen steht, während andere Sektoren einem Monopolregime unterfallen. Die so erzeugten Regulierungsgefälle stellen sich vor dem Kohärenzgebot allerdings nur dann als problematisch dar, wenn sie das Potenzial besitzen, auf die Zieleignung der Monopolregelung konterkarierend durchzuschlagen und zwar dergestalt, dass sie ein spürbares Ausweichverhalten („Wanderbewegung“) der Spieler vom monopolisierten Glücksspielangebot hin zu weniger streng regulierten Glücksspielformen freizusetzen drohen. Die Beurteilung, ob die inkriminierte Glücksspielmaßnahme dem Anforderungsprofil des Kohärenzgebots standhält, folgt nach hier vertretener Auffassung letztlich einem homogenen Bewertungsmaßstab qualitativ-gradueller Prägung: Danach muss zumindest einer der angeführten Widersprüche – also eine expansive Angebotspolitik und/oder ein Regulierungsgefälle – zur Folge haben, dass die in Betracht gezogene Maßnahme nicht mehr in der Lage ist, das mit ihr intendierte Anliegen praktisch wirksam zu realisieren. Obzwar der inkohärenzbegründende Grad an praktischer „Folgeunwirksamkeit“ in der EuGH-Rechtsprechung weithin nebulös bleibt, spricht vieles dafür, die

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3. Teil: Das Gebot der Kohärenz

diesbezügliche Schwelle erst dann als überschritten anzusehen, wenn die fragliche Glücksspielmaßnahme evident ihrer Funktionstauglichkeit beraubt wird. Dieser Unwirksamkeitsmaßstab trägt nicht nur dem Umstand Rechnung, dass legislative Entscheidungen im Glücksspielbereich in aller Regel mit vielschichtigen Prognosen verbunden sind; er schafft letztlich auch einen abgewogenen Kompromiss zwischen den Interessen der Mitgliedstaaten an der Bewahrung einer möglichst ausgeprägten Gestaltungsautonomie einerseits und dem Interesse der Union an einem möglichst umfassenden Geltungshorizont der grundfreiheitlichen Schutzgehalte andererseits. Gelangt ein nationales Gericht zu der Schlussfolgerung, dass eine Glücksspielmaßnahme unumstößlich mit dem Makel der Inkohärenz belastetet ist, erweist sich die fragliche Maßnahme als ungeeignete, unverhältnismäßige, rechtfertigungsuntaugliche und – in letzter Konsequenz – als unionsrechtswidrige Beschränkung grundfreiheitlicher Schutzgehalte. Entsprechend dem Grundsatz vom Vorrang des Unionsrechts ist die betreffende Regelung nicht nur unmittelbar zu beseitigen, sondern gleichfalls ipso iure außer Anwendung zu lassen. Der unionsrechtliche Geltungsanspruch verwehrt es dabei einem Mitgliedstaat selbst während einer Übergangsphase zwischen unionsrechtswidriger und unionsrechtskonformer Regulierung die einschlägige Norm weiterhin aufrechtzuerhalten. Unter Würdigung seiner Potenziale und Problemhorizonte gibt das Kohärenzerfordernis nur wenig Raum, seine Konzeption oder gar Daseinsberechtigung in ernsthafte Zweifel zu rücken: Weder im Hinblick auf kompetenzielle noch rechtspragmatische Gesichtspunkte markiert die Eigenschaft des Kohärenzgebots als Produkt judizieller Rechtsschöpfung einen durchschlagenden Angriffspunkt. Der sich mit der Kreierung des Postulats im Kompetenzrahmen zulässiger und darüber hinaus sinnvoller Rechtsfortbildung bewegende EuGH hat im Zuge seiner Glücksspieljudikatur eine ganze Reihe von abstraktions- und subsumtionsfähige Kohärenzmaßstäbe entwickelt, nach denen sich kohärente Regulierungsstrategien über weite Strecken nachzeichnen lassen und damit die Operabilität des Kohärenzkriteriums absichern. Mit der vom EuGH im Zusammenhang mit der Forderung nach gesamtstaatlicher Kohärenz an die deutschen Normgeber – sprich die Länder und den Bund – adressierte Verpflichtung, sich über die Grenzen der föderalistischen Kompetenzordnung hinweg über ihr regulatorisches Vorgehen auf dem Glücksspielsektor abzustimmen, werden zwar verfassungsrechtlich fundierte Kernaspekte nationalstaatlicher Souveränität berührt; das unionsgerichtlich konkret abverlangte Maß an Rechts- und Verwaltungskoordination reicht allerdings nur so weit, wie es der Vermeidung regulativer „Konfrontationskurse“ auf gesamtstaatlicher Ebene dient und belässt Bund wie Ländern somit einen breiten Raum autonomer Gestaltungsfreiheit. Verfassungsrecht­



C. Resümee zum dritten Teil155

liche Substanzverluste im Sinne einer Entwertung oder gar Aushöhlung der bundesstaatlichen Identität (Art. 20 Abs. 1 GG) Deutschlands sind mit dem statuierten Koordinationsgebot nicht verbunden. Letztlich liegt es in den Händen der nationalen Gerichte zu judizieren, ob die angegriffene Glücksspielregelung unter Zugrundelegung der unionsgerichtlichen Beurteilungsdirektiven dem Kohärenzerfordernis genügt. Das mit dem konkreten Prüfungsablauf verwobene Aufgabenprogramm verweist dabei auf ein weites Feld komplexer Tatsachenfeststellungen und -würdigungen, das die Gerichte allerdings – insbesondere mit Blick auf zu erwartende Leitentscheidungen der über ausreichende Ermittlungsressourcen verfügenden Höchstgerichte – nicht vor praktisch unüberwindbare Hindernisse stellt. Als ungleich problematischer erscheint demgegenüber die Wertungslastigkeit der Kohärenzprüfung, die sich vor allem in der wertenden Frage ausprägt, unter welcher Prämisse eine nationale Glücksspielregelung als „nicht mehr wirksam“ respektive „funktionsuntauglich“ und damit inkohärenzbegründend zu qualifizieren ist. Dieser Umstand kann die praktische Gefahr provozieren, das Kohärenzgebot mit, die Rationalität der Rechtsanwendung verzerrenden, judikativ-individuellen Kohärenzvorstellungen, zu überfrachten und damit legislatorische Gestaltungsansprüche aufzuweichen. Ebenjene wertungsmäßige „Blankettnatur“ gebietet eine gewisse Behutsamkeit in der national­ gerichtlichen Umhegung der – gemessen an ihrer Funktion, Methodik und Jus­tiziabilität – ansonsten fruchtbaren Kohärenzkonzeption.

Vierter Teil

Die deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz Nach der unionsrechtlichen Basislegung im allgemeinen Bezugsrahmen erfolgt nun die Untersuchung in einem besonderen Teil. Dessen Ansatz besteht darin, die herausgearbeiteten Kohärenzmaßstäbe in konkret-praktische Erträge umzusetzen, womit sich das Augenmerk auf den geltenden Regulierungsrahmen für Glücksspieltätigkeit in Deutschland richtet (unter A.). Hier ist unterdessen nicht der Raum, den gesamten Bestand des deutschen Regulierungsprogramms auf seine Vereinbarkeit hin mit dem Kohärenz­ erfordernis zu überprüfen. Nicht nur das Anliegen der Untersuchung und die Fülle des Materials stehen dem entgegen; darüber hinaus bieten viele Bestimmungen schon keinerlei Anhaltspunkte dafür, sie vor dem Kohärenzgebot in europarechtliche Zweifel zu rücken. Aus der Fülle der vorhandenen Rechtssätze sollen deshalb nur diejenigen Glücksspielregelungen – gewissermaßen als „Anschauungsobjekte“ einer Kohärenzprüfung – herausgegriffen werden, die in der aktuell geführten Auseinandersetzung als „causes célèbres“ gelten. Vor diesem Hintergrund verdient das zugunsten der deutschen Länder seit langer Zeit festgeschriebene Monopol auf die Veranstaltung bestimmter Lotterieformate besondere Aufmerksamkeit (unter B.).

A. Das Glücksspiel im deutschen Regulierungssystem Ebenso wie in den meisten anderen Staaten bildet auch in Deutschland das Glücksspiel kein gewöhnliches Marktgut, dessen Schicksal der „unsichtbaren Hand“ der Marktkräfte anvertraut wird. Gegenteilig rechnet das Glücksspielwesen hierzulande zu den traditionell am restriktivsten reglementierten Sektoren überhaupt: Monopolstrukturen gehören zu den festen Glaubenssätzen im Regulierungsverständnis; umfassende Verbote und Restriktionen bei der Veranstaltung, Vermittlung oder Bewerbung von Glücksspielen markieren eher die Regel als die Ausnahme. Wie sich der Status Quo des geltenden Regulierungsrahmens, der auch das Produkt einer noch andauernden und bislang eine gute Dekade umspannenden Entwicklungsphase ist (unter I.), darstellt (unter II.) und welchen ökonomischen und gesellschaftlichen Stellenwert das Glücksspiel hierzulade einnimmt (unter III.), soll im Folgenden aufgezeigt werden.



A. Das Glücksspiel im deutschen Regulierungssystem157

I. Marksteine in der jüngeren Entwicklung der deutschen Glücksspielordnung Aufgrund diverser Faktoren sieht sich die deutsche Glücksspielordnung seit einigen Jahren einem fortwährenden Veränderungs- und Anpassungsdruck ausgesetzt, womit eine bemerkenswerte, primär auf Landesebene angesiedelte, Gesetzgebungstätigkeit einherging. Der entwicklungsgeschichtliche Spannungsbogen lässt sich normativ betrachtet in zunächst drei zentralen Ereignissen verankern: die Verabschiedung des Lotteriestaatsvertrages (LottStV) anno 2004, seine in das Jahr 2008 fallende Ablösung durch den Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) und schließlich die das letztgenannte Regelwerk suspendierende Inkrafttretung des aktuell geltenden Glücksspiel­ änderungsstaatsvertages (GlüÄndStV) im Jahr 2012. In enger Verknüpfung zur In- und Außerkraftsetzung der Staatsverträge steht dabei die nationale wie supranationale Rechtsprechungstätigkeit. 1. Der Lotteriestaatsvertrag (2004) Die jüngere Entwicklungsgeschichte hebt an mit dem im Jahre 2004 von allen sechzehn Bundesländern verabschiedeten Staatsvertrag zum Lotteriewesen (LottStV)1.2 Nachdem sich die normsetzenden Hoheitsträger sowohl auf Bundes- als auch Länderebene in langjähriger Regelungsabstinenz auf 1  „Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland – Lotteriestaatsvertrag“ v. 01.06.2004, abgedr. z.B im GVBl NRW 2004, S. 315 ff. 2  Exkurs: In einem föderativen Staatsgefüge, wie dem der Bundesrepublik Deutsch­ land, markiert das Modell einer unter einzelnen oder allen Gliedstaaten – hierzulande repräsentiert durch die sechzehn Bundesländer – getroffenen staatsvertraglichen Vereinbarungen eine gängige Option der intraföderalen Zusammenarbeit (eine ausführ­ liche Zusammenstellung der zwischen den einzelnen Bundesländern geschlossenen Staatsverträge bis 1996 findet sich bei Vedder, Staatsverträge, S. 397 ff.). Die Beweggründe für ihren Abschluss sind mannigfaltig. Vielfach steht das Bedürfnis einer Angleichung oder Vereinheitlichung der Rechts- und Lebensverhältnisse im Vordergrund, ohne dabei die Kernbereiche der länderautonomen Gestaltungsfreiräume über Gebühr auszuhöhlen. Als unterzeichnende Vertragsparteien fungieren dabei die entsprechenden Landesregierungen. Zur Transformation der staatsvertraglichen Regelungsgehalte von einer bloßen Ländervereinbarung hin zu innerstaatlichem Landesrecht bedarf es deshalb im Zuge eines weiteren Verfahrensschritts eines gesetzgeberischen Legitimationsaktes in Gestalt eines parlamentarischen Zustimmungsgesetzes (dazu grundlegend BVerfG, Az. 1 BvL 30/88, NJW 1994, S. 1942 [1943]). Inhaltlich beschränken sich derlei Gesetze im Regelfall auf die Zustimmung zum Staatsvertrag sowie Vorschriften zum In- und Außerkrafttreten. Streng zu trennen sind jene Zustimmungsgesetze unterdessen von den, die staatsvertraglichen Bestimmungen präzisierenden, Ausführungsgesetzen. Siehe im Einzelnen zum Themenkreis intraföderaler Staatsverträge statt vieler Bortnikov, JuS 2017, S. 27 ff.

158 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

dem Glücksspielsektor geübt hatten, mehrten sich mit Beginn des letzten Jahrhundertwechsels Stimmen aus allen Fachkreisen, die aufgrund diverser Faktoren einen unabweisbaren Novellierungsbedarf für die Domäne erkannten und den Ruf nach einer Reform laut werden ließen. Mit Blick auf den privilegierten Zugriff der Länder auf die Gesetzgebungsgewalt in Fragen des „genuinen“ Glücksspielrechts,3 konzentrierten sich die Reformbemühungen schon früh auf den dort vorgefundenen, über Dekaden hinweg gediehenen, Wildwuchs an glücksspielbezogenen Rechtssätzen, den man nun mit der Schaffung harmonisierender Rechtsstrukturen zu stutzen gedachte.4 Zusätzliche Dringlichkeit gewann die Debatte um einen glücksspielrechtlichen Konsolidierungsbedarf auch durch die damals einsetzende Entwicklung auf dem deutschen Glücksspielmarkt: Während sich noch bis Mitte der 1990er Jahre die Leistungen kommerzieller Anbieter auf das Betätigungsfeld der sog. gewerblichen Spielvermittlung, also auf die bloße Vermittlung staatlicher Glücksspieldienstleistungen, beschränkt hatten, drängten gegen Ende des auslaufenden Jahrtausends immer mehr private, zum Großteil ausländische,5 Unternehmen in der Rolle von Veranstaltern staatlich unautorisierter Glücksspiele auf den Markt.6 Vor allem das zu jener Zeit aufkeimende Medium Internet erwies sich dabei als wegweisendes Instrumen­ tarium, den in Deutschland ansässigen Spielerinteressenten einen unkomplizierten Zugriff auf das virtuelle Glücksspielangebot zu verschaffen. Unter dem so entstandenen Eindruck von sich abzeichnenden Kontrollverlusten erkannte man nunmehr die Notwendigkeit die deutsche Glücksspielregulierung den Anforderungen einer modernen Mediengesellschaft anzupassen. Zur rechtsgeformten Umsetzung und Bündelung der besagten Anliegen wurde bereits im Jahr 2001 eine Reform der deutschen Glücksspielpolitik eingeleitet, die schließlich im Inkrafttreten des LottStV zum 1. Juli 2004 mündete. Obgleich sich das Vertragswerk einem kleinteiligen Regelungsregime entzog, fixierte es doch erstmalig in der Historie der Bundesrepublik vereinheitlichte Rahmenvorgaben für die jeweiligen Glücksspielwesen der 3  Näher

dazu sogleich unten Teil 4, A., II., 2. prägte sich etwa die rechtliche Behandlung von Lotterien in einer Vielzahl landespezifisch-divergierender, teils noch als präkonstitutionelles Recht in die bestehenden Glücksspielordnungen eingegangenen, Rechtsquellen aus; hierzu im Einzelnen Ruttig, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 12 GlüStV (Rn. 1 ff.); eine Zusammenstellung der jeweiligen Landesgesetze bis 1999 findet sich bei Tettinger/ Ennuschat, Lotterierecht, S. 63 ff. Allgemein zur damaligen Rechtslage statt vieler Jahndorf, VerwArch 2004, S. 359 (363 ff.). 5  Siehe etwa FAZ Nr. 252 v. 30.10.2002, S. 22. 6  Vgl. Kazemi/Leopold, MMR 2004, S. 649 (649); Voßkuhle, VerwArch 1996, S. 395 (426, 429). 4  So



A. Das Glücksspiel im deutschen Regulierungssystem159

Länder.7 Inhaltlich beschränkte sich der weithin bereichsspezifisch konzipierte Staatsvertrag auf detaillierte Vorgaben für die Veranstaltung von Lotterien und Ausspielungen sowie auf – gleichwohl äußerst rudimentäre – Bestimmungen zu Sportwetten. Insoweit prägende Direktiven für das Lotteriesegment lieferten § 7 und 8 des LottStV: Nach Maßgabe der in § 5 Abs. 1 LottStV statuierten Grundzuständigkeit der Länder, im Rahmen der staatsvertraglichen Maximen für ein „ausreichendes Glücksspielangebot“ zu sorgen, blieb der Kreis anderer Lotterieveranstalter als die der Länder auf Institutionen beschränkt, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken dienten und deren Spielplan insbesondere keinen planmäßigen Jackpot vorsahen. Mit diesen Direktiven errichtete das Vertragswerk ein – teils von Gesetzes wegen teils faktisch begründetes – Ländermonopol auf die Veranstaltung der ebenso populären wie umsatzträchtigen „Jackpotlotterien“8. Auf der Grundlage einer ähnlich konstruierten Landesmonopolbestimmung (§ 5 Abs. 2 u. 4 LottStV) erfolgte schließlich gleichsam der Ausschluss staatsunabhängiger Glücksspielveranstalter vom Sportwettenmarkt. 2. Das Sportwettenurteil des Bundesverfassungsgerichts (2006) Im glücksspielpolitischen Reformdiskurs9 markierte die im LottStV statuierte Monopolstruktur unterdessen einen neuralgischen Punkt, denn: Obzwar die föderalen Normgeber und Verwaltung die vermeintlich rein ordnungsrechtliche Ausrichtung des Vertrages stets betonten,10 ließ sich die protektionistisch-fiskalische Wirkung des Vertragswerkes – schon in Anbetracht der von ihm formulierten Zwecksetzung „Einnahmen für öffentliche Zwecke zu generieren“11 – zugunsten des unter staatlicher Trägerschaft veranstalteten Glücksspiels nur schwerlich übersehen.12 Dieser Umstand hatte nicht unerheblichen Anteil an der nächsten Wendung oder gar nächsten „Evolutionsphase“13 der deutschen Glücksspielordnung, welche durch das im 7  Eine Präzisierung erfuhren die rahmartige Vorgaben des LottStV indes durch länderspezifische Ausführungsgesetze, siehe z. B. „Gesetz zur Ausführung des Staatsvertrages im Lotteriewesen in Deutschland für Berlin“ v. 07.09.2005, GVBl Berlin 2005, S.  469 ff. 8  Vgl. § 7 Abs. 2 LottStV; zur beschriebenen Lotteriekategorie zählt etwa das populäre Zahlenlotto „6 aus 49“. 9  Siehe dazu Horn, NJW 2004, S. 2047 (2048 ff.); Schmidt, WRP 2004, S. 1145 (1145 f.); Janz, NJW 2003, S. 1694 (1697). 10  Vgl. insoweit m.w.N Diegmann, NJW 2004, S. 2642 (2643). 11  Vgl. § 1 LottStV. 12  Fackler, Fernsehen und Glücksspiel, S. 140. 13  Unterreitmeier, NJW 2013, S. 127 (128).

160 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

Jahr 2006 vom Bundesverfassungsgericht gefällte sog. Sportwettenurteil14 eingeläutet wurde. Auf Grundlage der Verfassungsbeschwerde einer im Freistaat Bayern ansässigen Buchmacherin, der behördlicherseits eine Konzession für die Vermittlung von Sportwetten an Unternehmer im Ausland abschlägig beschieden wurde, erachtete das Bundesverfassungsgericht das im Bayrischen Staatslotteriegesetz unter Bezugnahme auf den Lotteriestaatsvertrag fundierte Sportwettenmonopol15 zugunsten staatsgebundener Glücksspielanbieter mit der in Art. 12 Abs. 1 GG verbürgten Berufsfreiheit als unvereinbar und damit verfassungswidrig. Nach Rechtsauffassung des Gerichts sei der Ausschluss kommerzieller Wettangebote vom Glücksspielmarkt zwar ein gleichermaßen geeignetes wie erforderliches Mittel, um die legitimen Gemeinwohlziele der Suchtprävention und Kriminalitätsbekämpfung zu erreichen;16 in seiner konkreten Ausgestaltung leide das Monopol jedoch evident an rechtspraktischen Schwächen, da es nicht konsequent und konsistent auf die von der Legislative selbst gesetzten Ziele ausgerichtet sei.17 Die eine Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs in die berufsfreiheitlichen Schutzgehalte nach sich ziehende Inkonsequenz bzw. Inkonsistenz des Monopols, ergebe sich vor allem – so monierte das Verfassungsgericht – aus dem Mangel an Regelungen, welche aktive Maßnahmen zur strukturierten Suchtbekämpfung, ausreichende Vorkehrungen zum Jugendschutz sowie die Begrenzung von Werbung und Vertriebswegen gewährleisten, wobei hierbei vor allem das internetbasierte Glücksspielangebot der staatlichen Monopol­ anbieter in die Kritik gezogen wurde.18 Überdies warf das Gericht den Anbietern der öffentlichen Hand vor, mit der Einführung des monopolisierten Sportwettenangebots „ODDSET“ eingedenk der offensiven Werbe- und Vertriebspraktiken, überwiegend fiskalische Interessen verfolgt zu haben, die in einem nur schwerlich auflösbaren Spannungsverhältnis zu den erklärten, suchtpräventiven Zielsetzungen stünden.19 Obzwar das Verfassungsgericht die streitbefangenen Monopolvorschriften als verfassungswidrig verwarf, judiziert es nicht deren Nichtigkeit, sondern 14  BVerfG, Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (1261 ff.); vgl. dazu nur einige der zahlreichen Urteilsrezensionen: Bethge, DVBl 2007, S. 917 (917 ff.); Ennuschat, ZfWG 2006, S. 31 (31 ff.); Pestalozza, NJW 2006, S. 1711 (S. 1711 ff.). 15  In Art. 2 des BayStaatslotterieG (GVBl Bayern 1999, S. 226 ff.) wurde das alleinige Veranstaltungsrecht für Sportwetten (hier: Oddset-Wetten) zugunsten des Freistaats Bayern festgeschrieben. 16  BVerfG, Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 113, 118). 17  BVerfG, Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 119). 18  BVerfG, Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 119). 19  BVerfG, Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 127).



A. Das Glücksspiel im deutschen Regulierungssystem161

verband sein Verdikt mit einem Neuordnungsauftrag der Sach- und Rechtslage im Segment der Sportwetten bis Ende 2007, weshalb die Beschwerde in der Sache erfolglos blieb: Optional könne sowohl der Bundes- als auch Landesgesetzgeber bei konsequenter Ausrichtung am Ziel der Suchtbekämpfung das Wettmonopol fortführen oder eine kontrollierte Zulassung privater Wettanbieter normieren.20 Für die Übergangszeit bis zur Neuordnung forderte das Gericht die Länder auf, nach Maßgaben der Urteilsbegründung ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen den Zielen des Monopols und seiner tatsächlichen Ausgestaltung herbeizuführen.21 3. Der Glücksspielstaatsvertrag (2008) Auf dem Hintergrund des Sportwettenurteils verständigten sich die Landesregierungen schnell darauf, die vom BVerfG zur Wahl gestellte Regulierungsoption der kontrollierten Liberalisierung des Wettmarktes zu verwerfen und stattdessen das Sportwettenmonopol entsprechend den Anforderungen des Judikats neu auszurichten.22 Unter diesem Ansatz schlossen die Länder den „Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland“ (GlüStV)23, der mit Wirkung zum 1. Januar 2008 in allen sechzehn Bundesländern in Kraft trat und den bis dato gültigen Lotteriestaatsvertrag ersetzte. Als erste Konsequenz des Sportwettendiktums wurde die noch im LottStV proklamierte Zielstellung, finanzielle Mittel aus dem Glücksspiel zugunsten öffentlicher und gemeinnütziger Zwecke abzuschöpfen, ersatzlos gestrichen. Kernstück des GlüStV markierte die Fortführung des länderbezogenen Veranstaltungsmonopols für die dort nun als „Lotterien mit besonderem Gefährdungs­potential“24 bezeichneten Jackpotlotterien und Sportwetten (§ 10 Abs. 1 u. 2). Zu den eminenten Neuerungen zählte hingegen das in § 4 GlüStV fixierte Totalverbot für den internetbasierten Glücksspielvertrieb, welches durch umfangreiche Werberestriktionen flankiert wurde (§ 5 Abs. 1 GlüStV). Schließlich setzten die Länder im GlüStV dessen grundsätzlich befristete Geltung auf vier Jahre – also bis zum Jahresende 2011 – fest und ordneten eine Evaluierung seiner Auswirkungen an (§§ 27, 28 Abs. 1 GlüStV). 20  BVerfG,

Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 148, 155). Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 157); zu den während der Übergangszeit ergriffenen Maßnahmen siehe etwa Scheidler/Büttner, GewArch 2006, S. 401 (406). 22  Vgl. Diegmann/Hoffmann/Ohlmann, Praxishandbuch Spielrecht, S. 32. 23  „Staatsvertrag der Länder zum Glücksspielwesen in Deutschland“ v. 01.01.2008, abgedr. z. B. im GVBl NRW 2007, S. 445 ff. 24  Vgl. § 22 GlüStV. 21  BVerfG,

162 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

In der rechtspolitischen Debatte über den Erfolg und Nutzwert der staatsvertraglichen Neujustierung fiel das Meinungsbild indes erwartungsgemäß zwiegespalten aus:25 Während ein Teil die Transformation der im Sportwettenurteil aufgestellten Direktiven im neuen Regelwerk zumindest passabel verwirklicht sah, rügte ein anderer Teil die aus ihrer Sicht nur äußerst halbherzige und darüber hinaus – einer Grundsatzkritik an der deutschen Glücksspielregulierung folgend – fiskalisch eingefärbten Realisierung der vom BVerfG aufgestellten Maßstäbe.26 Im Hinblick auf die in § 1 Nr. 2 GlüStV verankerten Zielsetzung, „ein Ausweichen auf nicht erlaubte Glücksspiele zu verhindern“, blieb der Vertrag in seinem praktischen Ertrag jedenfalls gering: Obgleich für die privatwirtschaftlichen Wettbewerber die Veranstaltung der umsatzträchtigen Sportwetten und Jackpotlotterien weiterhin unzulässig blieb, mussten die Staatsmonopolisten ihre Stellung am Glücksspielmarkt in den aktualisierten (Wettbewerbs-)Grenzen des GlüStV fortan neu organisieren, womit sich diese in der Rückschau nicht leicht taten: Der über das Regulierungsinstrument des Monopols bezweckte Kanalisierungseffekt konnte sich nicht zuletzt deshalb als wirksame Bremse für die Ausdehnung des Schwarzmarktes erweisen, weil vor allem aus dem Ausland operierende Glücksspielanbieter ihren – bedingt durch den staatsvertraglich angeordneten Wegfall internetbasierter Spielangebote der an die Länder rückgekoppelten Veranstalter – neu gewonnen Wettbewerbsvorteil durch expansive Tätigkeit im interaktiven Aktionsfeld zu nutzen wussten und dadurch den Monopolinhabern ihrer marktspezifischen Steuerungsressourcen beraubten.27 Insoweit offenbarten sich schon kurz nach Inkrafttreten des GlüStV gewaltige Vollzugshindernisse bei der praktischen Durchsetzung der Monopole,28 die – ähnlich wie schon im Kontext des LottStV – ambivalente Ausgangbedingungen für den Erfolg des Vertragswerks hinterließen und die Schere zwischen staatsvertraglichem Anspruch und tatsächlicher Marktentwicklung weiter auseinanderriss. 25  Vgl. nur beispielhaft Dederer, NJW 2010, S. 198 (198 ff.); Dörr, DVBl 2010, S.  69 (69 ff.); Ennuschat, GewArch 2010, S. 425 (425 ff.); Haltern, Gemeinschaftsrechtliche Aspekte des Glücksspiels, S. 52 ff. 26  Das BVerfG bezog seinerseits indes keine eindeutige Position zu den aufgeworfenen Streitfragen. Im Geltungszeitraum des GlüStV stellte das Gericht im Zuge eines sog. Nichtannahmebeschlusses lediglich sehr generalisierend fest, dass bei summarischer Prüfung, d. h. unter dem Vorbehalt einer eingehenden Prüfung, die neue Rechts- und Tatsachenlage unter Berücksichtigung der im Sportwettenurteil judizierten Vorgaben nicht mehr an den dort diagnostizierten Defiziten leide, vgl. BVerfG, Az. 1 BvR 928/08, NVwZ 2008, S. 1338 (Rn. 26 ff.). 27  Vgl. insoweit zur Marktentwicklung im Zeitraum unter Geltung des GlüStV Nolte, in: Schmittmann, Auf dem Weg zum Glücksspielstaatsvertrag 2012, S. 15 (20 ff.). 28  Vgl. dazu Koenig/Bovelet-Schober, GewArch 2013, S. 59 (60); Reichert, in: Höfling/Horst/Nolte, Sportwetten in Deutschland, S. 67 (73 f.).



A. Das Glücksspiel im deutschen Regulierungssystem163

4. Die EuGH-Urteile zur deutschen Glücksspielregulierung (2010) Richtungsweisende Impulse für seine Fortentwicklung empfing die deutsche Glücksspielordnung spätestens 2010 durch das Unionsrecht, ergingen in jenem Jahr doch die – bereits im vorangegangen Teil der Arbeit ausführlich erörterten –29 Vorabentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen Stoß u. a. und Carmen Media.30 In den hierauf bezogenen Urteilsgründen bemerkte der Gerichtshof bekanntlich, die vorlegenden Verwaltungsgerichte könnten „berechtigten Anlass“ zu der Schlussfolgerung haben, dass die staatsvertraglichen abgesicherten Monopolregelungen im Lotterie- und Sportwettensegment sowohl aus einem rein sektoralen als sektorenübergreifenden Betrachtungswinkel nicht den Anforderungen an eine kohärente und damit grundfreiheitsadäquate Regulierungspraxis gerecht werden.31 In der sich unmittelbar an die EuGH-Entscheidungen anschließenden Debatte zur Unionsrechtskonformität der deutschen Glücksspielreglementierung haben die Verdikte indessen eine uneinheitliche Aufnahme gefunden,32 was angesichts der Mehrdeutigkeit der vom EuGH gewählten Entscheidungsformel („berechtigte Zweifel“33) sowie ihrer glücksspielpolitischen Brisanz freilich nicht überraschen konnte. Obgleich in der deutschen Jurisdiktion die Vereinbarkeit der staatsvertraglichen Monopolregelungen mit dem Europarecht teils „nachhaltig infrage“34 gestellt wurde, brachte die Mehrzahl der deutschen Gerichte die inkriminierten Vorschriften in der Folgezeit – im Übrigen auch in Übereinstimmung mit der ordnungsrechtlichen Handhabung35 – weiterhin zur Anwendung.36 Diese Spruchpraxis wandelte sich erst gegen Ende der vierjährigen Staatsvertragslaufzeit, als eine Reihe von Oberverwaltungsgerichten dazu überging, die jeweiligen Sportwettenmonopole der Länder als europarechtswidrig zu verwerfen und in Konsequenz dessen 29  Siehe

dazu oben Teil 3, B., I., 6. verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 ff. – Stoß u. a.; EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 ff. – Carmen Media. 31  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 107) – Stoß u. a.; EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 71) – Carmen Media. 32  Vgl. dazu nur Ennuschat, GewArch 2010, S. 425 (425 ff.). 33  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 107) – Stoß u. a.; EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 71) – Carmen Media. 34  OVG Rheinland-Pfalz, Az. 6 B 11013/10, NVwZ-RR 2011, S. 195 (195). 35  Siehe hierzu Heeg/Levermann, MMR 2012, S. 20 (21 f.). 36  So etwa OVG Münster, Az. 4 B 733/10, BeckRS 2010, 55983; OVG Lüneburg, Az. 11 MC 429/10, BeckRS 2010, 55860; OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 1 S 227/10, BeckRS 2011, 45088; OVG Braunschweig, Az. 5 B 178/10, BeckRS 2010, 54510. 30  EuGH,

164 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

etwaige, auf die staatsvertraglichen Monopolregime gestützte Untersagungsverfügungen gegen private Sportwettenanbieter als rechtswidrig zu behandeln.37 5. Der Erste Glücksspieländerungsstaatsvertrag (2012) In Anbetracht des planmäßigen Auslaufens des GlüStV zum Jahresende 2011, der praktischen Schwierigkeiten bei der Umsetzbarkeit seiner Zielvorgaben und nicht zuletzt auch im Spiegel der „deutschen“ EuGH-Urteile, fassten die Regierungschefs der Länder bereits im Oktober 2010 den Entschluss, wichtige Teile des deutschen Glücksspielwesens auf eine neue staatsvertragliche Basis zu heben. Obzwar zunächst Konsens darüber bestand, auch künftig ländereinheitlich vorzugehen, traten im Laufe der Diskussion zunehmend Differenzen zwischen der Mehrheit von 15 Bundesländern einerseits und dem Land Schleswig-Holstein andererseits im Hinblick auf die konzeptionelle Grundausrichtung der geplanten Neuordnung zutage: Während sich die meisten Bundesländer für die Beibehaltung eines restriktiv ausgerichteten Regulierungsmodells aussprachen, favorisierte SchleswigHolstein einen weitaus liberaleren Ansatz, der neben dem umfassenden Abbau internetspezifischer Beschränkungen insbesondere eine unbegrenzte Marktöffnung für private Sportwettenanbieter einschloss. Die scheinbar unüberbrückbare Kontroverse führte letztlich dazu, dass Schleswig-Holstein einen – gleichwohl zeitlich begrenzten – normativen Sonderweg beschritt, der im Erlass eines eigenständigen Glücksspielgesetzes mündete, das Anfang 2012 in Kraft trat, jedoch Anfang 2013 schon wieder abgesetzt wurde.38 Unterdessen verständigten sich die übrigen Länderregierungen einvernehmlich auf den Entwurf39 eines novellierten Glücksspielstaatsvertrages, den sie in der ersten Jahreshälfte 2012 zum Ratifizierungsverfahren in ihre Parlamente trugen. Das dort erfolgreich in Landesrecht überführte sowie von 37  Zur Unionsrechtswidrigkeit des Sportwettenmonopols in Bayern unter Geltung des GlüStV: VGH München, Az. 10 BV 10/2505, GewArch 2012, S. 445 (Rn. 30 ff.); zur Unionsrechtswidrigkeit des Sportwettenmonopols unter Geltung des GlüStV in NRW: OVG Münster, Az. 4 A 17/08, DÖV 2012, S. 161 (Rn. 48 ff.); siehe allgemein zur Entwicklung der nationalen Rechtsprechung nach den EuGH-Urteilen v. 08.09.2010: Ennuschat, WRP 2014, S. 642 (645 f.); Marberth-Kubicki/HambachBerberich, K&R 2012, S. 27 (27 ff.); Uwer, in: Schmittmann, Auf dem Weg zum Glücksspielstaatsvertrag 2012, S. 29 (32 ff.). 38  „Gesetz zur Neuordnung des Glücksspiels“ v. 20.10.2011, GVBl SchleswigHolstein 2011, S. 280 ff.; zu dessen Entstehungsgeschichte Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Einf. (Rn. 7); Heeg/Levermann, MMR 2012, S. 20 (20 ff.); Willenbruch, NordÖR 2012, S. 224 (224 ff.). 39  Hierzu Hecker, ZfWG 2012, S. 167 (170).



A. Das Glücksspiel im deutschen Regulierungssystem165

entsprechenden Ausführungsgesetzen40 flankierte Regelwerk trat unter der Bezeichnung „Erster Glücksspieländerungsstaatsvertrag“41 (GlüÄnStV) mit Wirkung zum 1. Juli 2012 in Kraft und derogierte den bis dato in Geltung stehenden GlüStV – anders als seine Benennung als „Änderungsstaatsvertag“ suggerieren mag –42 vollständig. Ein gutes Jahr später vollzog dann ebenfalls Schleswig-Holstein den Beitritt zum GlüÄnStV, wodurch die Glücksspielreglementierung auf Länderebene in die jüngste Phase ihrer Entwicklungsgeschichte eintrat. Wie in seiner Benennung als „Änderungsstaatsvertrag“ schon mitschwingt, stellt das aktuelle Vertragswerk die deutsche Glücksspielordnung in kein gänzlich neues Koordinatensystem, sondern hält am hergebrachten, „traditionellen Regulierungsansatz“43 fest. Auch wenn hierdurch systemprägende Gehalte seines Vorläuferstaatsvertrages – wie etwa die Fortführung des Ländermonopols auf Jackpotlotterien demonstrieren – nicht verloren gehen, beschränkt sich der novellierte Regelungsrahmen allerdings keineswegs auf nur marginale Modifikationen. Eine bemerkenswerte Neuerung betrifft schon den staatsvertraglichen Anwendungsbereich, der sich neben den tradierten Regelungsfeldern der Sportwetten und Lotterien nunmehr ebenfalls auf die Glücksspieleinrichtung der Spielhalle (§ 24 GlüÄndStV) und das Glücksspielformat der Pferdewetten (§ 27 GlüÄnStV) erstreckt. Herzstück des Vertrages bildet die Einführung eines Konzessionsmodells im Sportwettensegment, rechtstechnisch vermittelt auf Basis einer sog. Experimentierklausel (§ 10a GlüÄndStV). Die als Ausnahmeregelung formulierte Bestimmung räumt den Ländern nunmehr die Möglichkeit ein, bis zu 20 private Veranstalter von Sportwetten zeitlich befristet für den bundesweiten Sportwettenmarkt zu konzessionieren und dadurch den zu ihren Gunsten als Regelfall fortgeschriebenen Staatsvorbehalt in diesem Bereich (§ 10 Abs. 6 GlüÄnStV) fakultativ zu durchbrechen.44 Mit dem optionalen Modellwechsel geht eine moderate und glücksspiel­ spartenübergreifende Liberalisierung der Vertriebs- und Werbemöglichkeiten 40  Siehe nur beispielhaft das nordrhein-westfälische „Gesetz zur Ausführung des Glücksspielstaatsvertrages“ v. 13.11.2012, GVBl NRW 2012, S. 523 ff.; eine ausführliche Zusammenstellung über die in den einzelnen Ländern geltenden Ausführungsgesetze findet sich bei Mock, VBlBW 2013, S. 131 (131). 41  „Gesetz zum Ersten Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (Erster Glücksspieländerungsstaatsvertrag – Erster GlüÄndStV)“, abgedr. z. B. im GVBl NRW 2012, S. 523 ff. 42  Vgl. dazu Postel, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Art. 2 GlüStV (Rn. 3). 43  Amtl. Erläuterung zum GlüÄndStV, LT-Drs. BW 15/1570, S. 52. 44  Dazu eingehend Gersdorf, WiVerw 2016, S. 155 (155 ff.) und Grzeszick, WiVerw 2016, S. 181 (181 ff.).

166 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

einher: Anders als noch unter Geltung des GlüStV steht den Veranstaltern beim Absatz ihrer Glücksspielprodukte nunmehr unter bestimmten Voraussetzungen (§ 4 Abs. 5 GlüÄnStV) der Zugriff auf den Distributionsweg Internet offen. An die Stelle des restriktiven und stark vom Gebot der Sachlichkeit geprägten Werberegimes seiner Vorgängerfassung setzt das neue Regelwerk einen weitaus anbieterfreundlicheren Ansatz, der insbesondere die Bewerbung von Glücksspielen im Internet und Rundfunk erlaubt (§ 5 Abs. 3 GlüÄndStV). Die auf verschiedentlichen Reflexionsebenen im fachöffentlichen Diskurs geführte Aufarbeitung und Bewertung des GlüÄnStV ist nach wie vor in Gange. Dementsprechend fällt das Bild des gegenwärtigen Meinungsstandes ebenso konträr wie fragmentarisch aus, sodass ein Stand der Diskussion zu „dem“ GlüÄnStV nicht zu erheben ist. Bestenfalls wäre eine Vielzahl von „Ständen“ zu diversen Einzelfragen zu konstatieren. Das Spektrum der diesbezüglich in Wissenschaft und – auch gerichtlichen – Praxis anzutreffenden Diagnosen reicht hierbei von Zuspruch45 über neutral gehaltene Reaktionen46 bis hin zu teils mit Vehemenz geäußerten Fundamentalkritiken47. Im Fokus der rechtspolitischen Überlegungen steht jedenfalls insbesondere die programmatische und mittlerweile zur Nagelprobe avancierte Frage, ob das neue Regelwerk den unionsgerichtlich judizierten Anforderungen an eine systematische und kohärente Glücksspielregulierung gerecht wird oder eine erneute Reform angezeigt ist.48 Den Diskurs beherrschende Determinanten für kritische Anfragen an die Verwirklichung des Kohärenzgebots markieren dabei zuvörderst die im GlüÄnStV verankerten monopolsichernden Vorschriften. In thematischer Hinsicht aufgestoßen wird unter diesem Blickwinkel das Tor zum nachfolgenden Kapitel,49 in dessen Zentrum die Frage steht, ob der lotteriebezogene Staatsvorbehalt der Länder den Vorgaben des Kohärenzgebots genügt.

45  In diesem Sinne Windoffer, GewArch 2012, S. 388 (390 f.); OVG NRW, Az. 13 A 2018/11, ZfWG 2014, S. 209 (Rn. 126 ff.). 46  Vgl. Europäische Kommission, abschließende Mitteilung – SG (2012) D/50777 – zum Notifizierungsverfahren 2011/0188/D betreffend den GlüÄndStV, ZfWG 2012, S. 171 (172 f.). 47  Vgl. etwa Frenz, GewArch 2014, S. 465 (470), („inkohärent“); Koenig/BoveletSchober, GewArch 2013, S. 59 (60 ff.) („unionsrechtswidrig“); Odenthal, GewArch 2012, S. 345 (349), („enttäuschende Leistung des Gesetzgebers“); Pieroth/Kolbe, in: Hartmann/Pieroth, Spielbanken und Spielhallen, S. 9 (85) („kein Glanzstück der Gesetzgebung“). 48  Vgl. nur Heeg/Levermann, MMR 2012, S. 726 (729  f.); Schneider, WiVerw 2014, S. 165 (171 ff.); Windoffer, GewArch 2012, S. 388 (389). 49  Unten Teil 4, B.



A. Das Glücksspiel im deutschen Regulierungssystem167

6. Resümee: Neuordnung in Kontinuität Der kurze Rückblick auf die jüngere Genese zur deutschen Glücksspielordnung hat insgesamt gezeigt, dass sich ihr Hauptschauplatz auf die Ebene des Landesrechts konzentrierte und dabei sowohl von Elementen der Kontinuität als auch von solchen des Wandels geprägt war. Im Zeichen der Kontinuität stand – und steht freilich noch in der Gegenwart – das seit Anbeginn der gezeichneten Entwicklungslinie zu konstatierende, rein praktische Bedürfnis nach einer länderübergreifenden Rechtsharmonisierung, als deren kodifikationstechnischer Vermittler seither das Instrumentarium des Staatsvertrages fungiert. Über einen Zeitraum von acht Jahren hinweg haben die Länder insgesamt drei glücksspielspezifische Staatsverträge ins Werk gesetzt, namentlich den im Jahre 2004 verabschiedeten LottStV sowie den zwischen 2008 und 2011 geltenden GlüStV und schließlich den seit Mitte 2012 als aktuelles Vertragswerk in Kraft stehenden GlüÄnStV. Als verlässliche Konstanten in den staatsvertraglichen Entwicklungszyklen begegnen in diesem Kontext gleichfalls diejenigen Faktoren, welche den mehrfachen Konsolidierungsbedarf nach sich gezogen haben. Eine zentrale Rolle spielte in dieser Hinsicht zunächst die rechtsprechende Gewalt, und zwar auf nationaler ebenso wie auf supranationaler Ebene: Während das im Jahr 2006 vom Bundesverfassungsgericht gefällte „Sportwettenurteil“ unmittelbarer für die Fortentwicklung des LottStV zum GlüStV verantwortlich zeichnete, lieferten die im Jahr 2010 ergangenen EuGH-Judikate zur deutschen Rechtslage zumindest entscheidende Schübe und Weichenstellungen für die staatsvertragliche Neukonzeption in Gestalt des GlüÄndStV. In enger Verwandtschaft dazu stehen auch die von beiden Höchstgerichten – fast einmütig – aufgegriffenen Kritikpunkte an der deutschen Glücksspielordnung. In den jeweiligen Urteilsgründen monierten sowohl das BVerfG als auch der EuGH unter Geltung des LottStV respektive des GlüStV einen Mangel an Stimmigkeit im deutschen Regulierungssystem und richteten ihre diesbezüglichen Vorbehalte beidseitig in erster Linie gegen die – aus verfassungsrechtlicher Sicht inkonsistente bzw. aus unionsrechtlicher Perspektive inkohärente – Expansionspolitik der an die Länder rückgekoppelten Monopolinhaber im Sportwettensegment. Als auffälliger und darüber hinaus die staatsvertragliche Entwicklungshistorie beständig durchziehender Motivationsparameter für die jeweiligen Neuordnungsunterfangen hat sich ferner die tatsächliche Marktentwicklung erwiesen. Vor allem bedingt durch das über Jahre hinweg ungeschmälertdynamische Wachstum des unregulierten Internet-Glücksspielmarktes sahen sich die deutschen Aufsichtsinstanzen unter dem Reglement des LottStV wie auch dem des GlüStV gleichsam stetig mit Kontrollverlusten konfrontiert,

168 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

was die verstärkte Einbeziehung des praktisch-faktischen Nutzwertes der staatsvertraglichen Bestimmungen in die Reformbewegungen notwendig machte. Neben den vorskizzierten Elementen der Kontinuität lassen sich aus der nachgezeichneten Genese gleichwohl auch solche des Wandels herausfiltern. Diese Entwicklungsbrüche betreffen im Wesentlichen die normativ-inhaltlichen, staatsvertraglich geformten Reaktionen auf die vorbeschriebenen Reformfaktoren. Insoweit trägt die regulative Antwort auf das Sportwettenurteil von 2006 und den tatsächlichen Realitäten am Markt zunächst äußerst restriktive Züge. Davon legen insbesondere das mit dem GlüStV im Jahr 2008 eingeführte Totalverbot für den internetbasierten Glücksspielvertrieb wie auch die staatsvertragliche Beschneidung der Werbemöglichkeiten Zeugnis ab. Im Vergleich dazu eher wirtschaftsliberal fielen demgegenüber die aus der Marktentwicklung unter dem GlüStV sowie den EuGH-Urteilen von 2010 gezogenen normativen Konsequenzen aus. In beispielhafter Weise anschaulich wird dieser Ansatz schon durch die mit Inkrafttreten des GlüÄndStV vollzogene Lockerung der Vertriebs- und Werbebedingungen sowie durch die Einführung eines (optionalen) Konzessionsmodells im Sportwettenbereich. Ungeachtet dessen ist unter diesem Gesichtspunkt gleichwohl ein bemerkenswertes Streben nach Verbindungslinien zur staatsvertraglichen Vergangenheit auszumachen, was sich etwa symptomatisch in der Fortschreibung des staatlichen Monopols im Lotteriesegment manifestiert. Nach alledem lässt sich die jüngere Entwicklungsgeschichte der deutschen Glücksspielordnung daher insgesamt mit der Wendung „Neuordnung in Kontinuität“ charakterisieren.

II. Grundzüge der rechtlichen Rahmenbedingungen Der vorthematisierte GlüÄndStV bildet zwar das „Herzstück“, aber keinesfalls das einzige Regelwerk der deutschen Glücksspielordnung. Der einfachgesetzliche Ordnungsrahmen speist sich vielmehr aus einem Konglomerat unterschiedlichster Rechtsquellen, die sowohl Gesetzen des Bundes als auch solchen der Länder entspringen und ihrerseits zum Teil sehr heterogen ausgestaltet sind; darunter finden sich ebenso verwaltungsrechtliche, wie zivil- und strafrechtliche Rechtsvorschriften; es herrscht somit eine gewisse Rechtszersplitterung und regelungstechnische Heterogenität. In welchen Ursachen jene Normlage wurzelt und wie sich letztere im Einzelnen darstellt, soll im nachstehenden Abschnitt überblicksweise beleuchtet werden, wohingegen eine detaillierte Erörterung ausgewählter Rechtsstrukturen an späterer Stelle dieser Arbeit erfolgt.50 50  Unten

Teil 4, B., I.



A. Das Glücksspiel im deutschen Regulierungssystem169

1. Begriffliche Fixierung des „Glücksspiels“ Zum Zwecke der Aufhellung des Rechtsrahmens ist es unverzichtbar, im ersten Zugriff das formaljuristische Konstrukt des Glücksspielbegriffs näher zu fixieren, legt doch das Vorliegen eines Glücksspiels im Rechtssinn erst den Grundstein für die Anwendbarkeit des einschlägigen Normbestandes. Was also versteht die deutsche Rechtsordnung – womöglich abseits des landläufigen, nicht rechtsbezogenen Sprachgebrauchs – unter einem Glücksspiel? Als historisch-normativer Zugang zur begrifflichen Erfassung des Glücksspiels dient gemeinhin das bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts in Geltung stehende und insofern zum eisernen Bestand der deutschen Glücksspielreglementierung gehörende strafrechtliche Glücksspielverbot des §  284 Abs. 1 StGB, nach dessen Maßgabe das Veranstalten öffentlicher Glücksspiele ohne behördliche Erlaubnis mit Geld- oder Freiheitsstrafe bedroht wird.51 Da sich die Norm einer gesetzestextlichen Definition vom Glücksspiel entzieht, erfuhr der Begriff über Jahrzehnte hinweg eine ihn inhaltlich näher eingrenzende Konturierung durch das juristische Schrifttum und zahlreiche, insbesondere der Strafgerichtsbarkeit entstammenden, höchstrichterliche Entscheidungen. Daraus erwuchs die Ausdeutung des Glücksspiels als einer Unterart des Spiels52, dessen alleiniger oder hauptsächlicher Zweck die vorwiegend zufallsabhängige Erzielung eines Gewinns in Form eines nicht unerheblichen Vermögenswertes ist.53 Auf eine Kurzformel54 gebracht liegt ein Glücksspiel im Rechtssinn immer dann vor, wenn die folgenden Parameter gegeben sind: Zufallsentscheid + Gewinnchance + erheblicher Einsatz + Öffentlichkeit = Glücksspiel.55 51  Zum entwicklungsgeschichtlichen Hintergrund der Vorschrift Ohlmann, WRP 2005, S. 48 (52 f.); Voßkuhle, VerwArch 1996, S. 395 (400). 52  Zum Begriff des Spiels siehe schon oben Teil 1, II. 53  Vgl. m. w. N. aus der Rspr. und Lit. nur BGH, Az. 4 StR 260/02, NStZ 2003, S. 372 (Rn. 5); Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, § 284 (Rn. 5). 54  In Anlehnung an Benert/Reeckmann, ZfWG 2013, S. 23 (24). 55  Bis vor Kurzem war indes umstritten, ob von einer inhaltlichen Deckungsgleichheit zwischen dem strafrechtlichen und ordnungsrechtlichen Glücksspielbegriff auszugehen ist; die vor allem im Schrifttum kontrovers geführte Diskussion – siehe etwa Benert/Reeckmann, ZfWG 2013, S. 23 (23 ff.); Hecker, WRP 2012, S. 523 (527); Blaue, ZUM 2011, S. 119 (122) – fand ihren Kristallisationspunkt letztlich in der Frage, ob das zu § 284 StGB entwickelte, den Glücksspielbegriff eingrenzende Attribut des „erheblichen Einsatzes“, dem Entgeltkriterium des § 3 Abs. 1 GlüÄndStV entspricht, mithin auch die grundsätzlich hierunter subsumtionsfähigen Spielformen eine gewisse entgeltbezogene Bagatellgrenze zur Annahme ihrer Glücksspieleigenschaft überschreiten müssen. Dieser Streit dürfte sich mittlerweile erledigt haben, nachdem das BVerwG unlängst die Feststellung aufgriff, dass der staatsvertragliche Entgeltbegriff nicht anders auszulegen sei als der strafrechtliche Einsatzbegriff, vgl. insoweit BVerwG, Az. 8 C 21/12, GewArch 2014, S. 121 (Rn. 22 ff.).

170 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

a) Vorwiegende Zufallsabhängigkeit Den Wesenskern, wenn man so will das Proprium, eines Glücksspiels markiert sein aleatorisches Moment: die Zufallsbezogenheit des Spielerfolgs. Erforderlich ist stets, dass die Entscheidung über Gewinn und Verlust nicht wesentlich von den Fähigkeiten, den Kenntnissen und der Aufmerksamkeit der teilnehmenden Spieler abhängt, sondern allein oder hauptsächlich vom Zufall.56 Zufall ist demnach das Wirken unberechenbarer, dem Einfluss der Spielbeteiligten entzogener Ursachen. Das Zufallsmoment steht vor allem im Dienste der Abgrenzung des Glücksspiels zur Spielform des Geschicklichkeitsspiels, bei dem sich der Spielausgang – anders gewendet – weitgehend durch menschliche Fähigkeiten und Kenntnisse beherrschen lässt. Sind beide Elemente notwendige Erfolgsbedingungen für ein Spiel (sog. gemischte Spiele), hängt die Einordnung als Glücks- oder Geschicklichkeitsspiel vom das Spiel überwiegend bestimmenden Faktor ab.57 Zu dessen Feststellung bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung, in deren Rahmen die Bedeutung der Glücks- und Geschicklichkeitskomponente für den Spielausgang zu ermitteln ist.58 Als Maßstab dieser Betrachtung dienen die Fähigkeiten und Erfahrungen eines durchschnittlichen, d. h. nicht besonders geübten oder versierten, sondern eher unbedarften, Spielers.59 Dabei gilt verkürzt formuliert: Je geringer sich die Einflussmöglichkeiten (Geschicklichkeit) bei dem Durchschnitt der Spieler – zumeist des allgemeinen Publikums – in Bezug auf die Spielbedingungen eines konkreten Spieles darstellen, desto eher erscheint das Spiel als Glücksspiel.60 b) Bedeutende Gewinnchance Ein unverzichtbares Substrat zur Modellierung des Glücksspielbegriffs knüpft an die Erwartungshaltung der Spielteilnahme an: Die Glücksspiel­ eigenschaft eines Spiels ist nur dann gegeben, wenn der in Aussicht gestellte Gewinn einen nicht ganz unbedeutenden Vermögenswert aufweist.61 Nicht 56  Vgl.

BGH, Az. 4 StR 260/02, NStZ 2003, S. 372 (Rn. 5). hierzu Glöckner/Towfigh, JZ 2010, S. 1027 (1029). 58  Zu den einzelnen Schritten dieser Gesamtbetrachtung ausführlich Dickersbach, GewArch 1998, S. 265 (267); siehe dazu ferner Diegmann/Hoffmann/Ohlmann, Praxishandbuch Spielrecht, S. 4. 59  BGH, Az. I ZR 93/10, GRUR 2012, S. 201 (Rn. 81); Heine, in: Schönke/ Schröder, StGB, § 284 (Rn. 5). 60  In diesem Zusammenhang wird die Glücksspieleigenschaft eines Spiels nach verbreiteter Rechtsauffassung bejaht, soweit seine Teilnehmer im statistischen Durchschnitt in mehr als der Hälfte der Einzelspiele verlieren, vgl. nur BVerwG, Az. 6 C 1/01, NVwZ 2002, S. 862 (863). 57  Ausführlich



A. Das Glücksspiel im deutschen Regulierungssystem171

unter die Glücksspieldefinition fügt sich daher der lediglich auf einen unbedeutenden Vermögenswert als Gewinn gerichtete Spieltypus des sogenannten Unterhalts- oder Zufallsspiels. Das Entgelt wird hierbei nicht als Einsatz für die Gewinnchance entrichtet, sondern als Gegenleistung für das Spielvergnügen, den gebotenen Zeitvertreib.62 Ob der Gewinn als (un)bedeutend anzusehen ist, beurteilt sich indes nach dem jeweiligen Spielumfeld und der allgemeinen Verkehrsanschauung, weshalb hier abstrakte Aussagen kaum möglich sind.63 Zweifellos als Unterhaltungsspiele einzustufen sind jedenfalls etwa Tombolas auf Schulfesten oder Spiele auf Jahrmärkten mit nur symbolischen Gewinnen.64 Zufall und Glück können demnach – zumindest aus rechtlicher Sicht – zwei verschiedenen Kategorien angehören;65 nicht jedes Spiel, bei dem der Gewinn oder Verlust vom Zufall abhängt, ist seiner Rechtsnatur nach ein Glücksspiel. c) Erheblicher Einsatz Fernerhin ist zur Annahme eines Glücksspiels – und zugleich wiederum in Abgrenzung zum bloßen Unterhaltungs- oder Zufallsspiel – die Hingabe eines gewissen Einsatzes seitens der beteiligten Spieler erforderlich. Unter dem Begriff des Einsatzes verstanden wird jede, nicht gänzlich unwesentliche Vermögensleistung, welche der Spieler in der Hoffnung erbringt, im Falle eines Gewinns eine gleiche oder höherwertige Leistung zu erhalten, und in der Befürchtung, dass sie im Falle des Verlierens dem Gegenspieler oder Veranstalter zufällt.66 Spiegelbildlich zum erwarteten Gewinn muss also auch der eingesetzte Vermögenswert finanziell ins Gewicht fallen und eine gewisse entgeltbezogene Bagatellgrenze überschreiten. Die Frage, wann diese Erheblichkeitsschwelle als durchbrochen anzusehen ist, wird in der Rechtsprechung und Rechtslehre indessen uneinheitlich beantwortet und hat zu einer umfangreichen Kasuistik geführt. Umstritten ist schon, ob zur Bestimmung des Schwellenwerts lediglich auf die Verkehrsanschauung oder darüber hinaus auf die persönlichen Vermögensverhältnisse des Spielers abzustellen ist.67 Die herrschende Meinung legt der Beurteilung jedenfalls – insbesondere aus Gründen der Rechtsklarheit – einen objektiven Erheblich61  Vgl. BVerwG, Az. 6 C 1/01, NVwZ 2002, S. 862 (864); Ennuschat, in: Pielow, BeckOK GewO, § 33h (Rn. 25). 62  Vgl. Reeckmann, ZfWG 2010, S. 229 (229). 63  Darauf schon hinweisend OLG Köln, Az. Ss 417/56, NJW 1957, S. 721 (721 f.). 64  Voßkuhle, VerwArch 1996, S. 395 (401). 65  Kummer, GewArch 1988, S. 264 (267). 66  BVerwG, Az. 8 C 21/12, GewArch 2014, S. 121 (Rn. 25). 67  Vgl. hierzu statt vieler Benert/Reeckmann, ZfWG 2013, S. 23 (24 f.).

172 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

keitsmaßstab zugrunde, der ausschließlich auf die allgemeinen gesellschaftlichen Anschauungen und damit auf einen unveränderlichen absoluten Wert rekurriert.68 Die betragsmäßige Bezifferung reicht hier von 0,50 EUR bis zumeist 5 EUR, vereinzelt auch bis zu 20 EUR.69 d) Öffentlichkeit Schließlich setzt ein Glücksspiel im Rechtssinne die Öffentlichkeit seiner Veranstaltung voraus. Dieses Merkmal liegt vor, wenn die Beteiligung am Glücksspiel nach außen erkennbar grundsätzlich jedermann offen steht und nicht lediglich einem geschlossenen Personenkreis vorbehalten bleibt.70 Ausschlaggebend ist somit nicht die Öffentlichkeit des Ortes, an dem das Spiel veranstaltet wird, sondern der Umstand, dass es dem Publikum freisteht, sich am Spiel zu beteiligen.71 In Vereinen oder Privatzirkeln veranstaltete Glücksspiele fallen mangels Schutzbedürftigkeit der Teilnehmer daher nicht unter den rechtsrelevanten Glücksspielbegriff, sondern sind der privaten Freizeitgestaltung zuzurechnen. 2. Dualistische Struktur des deutschen Glücksspielrechts Wie schon vorstehend angeklungen, findet das glücksspielbezogene Rechtsregime hierzulande seinen Niederschlag in zahlreichen Regelungsansätzen verschiedenster Provenienz. Die so im Glücksspielwesen bestehende Koexistenz unterschiedlicher Gesetzeswerke ist Ausfluss einer historisch begründeten Aufspaltung der legislatorischen Kompetenzradien im Glücksspielrecht, aus denen die gesetzgebenden Körperschaften Bund wie Länder gleichermaßen Regelungsaufträge generieren können. Die Ursache dieser – treffend mit „dualer Glücksspielordnung“72 apostrophierten – Zweiteilung der Regelungszuständigkeiten wurzelt im deutschen Verfassungsrecht, genauer seiner Kompetenzordnung. Letztere weist dem Glücksspielrecht oder seinen Teilbereichen keine homogene Gesetzgebungszuständigkeit zu,73 son68  Siehe nur Kleinschmidt, MMR 2004, S. 654 (656 f.); Kolb, Die Veranstaltung von Glücksspielen, S. 53. 69  Überblick bei Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, § 284 (Rn. 8). 70  Horn, NJW 2004, S. 2047 (2048); Kleinschmidt, MMR 2004, S. 654 (655). 71  Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, § 284 (Rn. 12). 72  Vgl. Höfling, GewArch 1987, S. 222 (223); ähnlich Ennuschat, in: Pielow, BeckOK GewO, § 33h (Rn. 1). 73  Ausdrücklich Erwähnung findet das Glücksspiel im Grundgesetz nur in der Regelung des Art. 106 Abs. 2 Nr. 5 GG, der die alleinige Steuerhoheit der Länder für die von den Spielbanken geleisteten Abgaben festschreibt.



A. Das Glücksspiel im deutschen Regulierungssystem173

dern hält die Regulierungsmaterie für die allgemeinen Kompetenzmaßstäbe der Art. 70 ff. GG weithin offen.74 Dementsprechend sind gemäß der in Art. 30, 70 Abs. 1 GG fundierten Regelbefunde prinzipiell die Länder normsetzungsbefugt, soweit das Grundgesetz den Bund nicht ausdrücklich zur Rechtssetzung ermächtigt. Eine solche Befugniszuweisung zugunsten des Bundes könnte man für den Bereich des Glücksspiels aufgrund seines wirtschaftlichen Einschlags im Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG „Recht der Wirtschaft“ erblicken, umgreift dieser doch neben den dort beispielhaft erwähnten Regelungsfeldern „auch alle anderen das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung als solche regelnden Normen“75. Andererseits ließe sich eine Regelungskompetenz der Sachmaterie unter Akzentuierung ihrer gefahrenabwehrrechtlichen Dimension (Spielsuchtbekämpfung, Kriminalitätsvorbeuge) auf die allgemeine Zuständigkeitsnorm des Art. 70 Abs. 1 GG stützen, welche seit jeher den Ländern ein originäres Kompetenzterritorium für die Rechtssetzung des Polizei- und Ordnungsrechts vermittelt. Die Frage nach der Gesetzgebungszuständigkeit im Glücksspielbereich nimmt also ihren tieferen Ausgangspunkt in der Grundsatzdiskussion,76 ob man der Reglementierung des Glücksspiels entweder eine ordnungsrechtliche oder eine wirtschaftsrechtliche Zielausrichtung zuschreiben möchte. Wie schon aus der bloßen Existenz bundes- und landesrechtlicher Regelungen klar erkennbar wird, fällt die Antwort auf diese Frage in der Sicht der Entscheidungsautoritäten nicht eindeutig aus, sondern variiert, und zwar regelmäßig nach dem konkret zu regulierenden Glücksspielsektor. Kompetenzrechtlich bewegt sich das deutsche Glücksspielrecht damit insgesamt im spannungsgeladenen Schnittstellenbereich zwischen den Polen „Ordnung“ und „Wirtschaft“. Die aus dieser Sachlage erwachsene kompetenzielle Schneidigkeit und Grundspannung hat immer wieder engagierte Auseinandersetzungen in Literatur77 und Rechtsprechung78 über die genaue Zugehörigkeit der Rechtsmaterie hervorgerufen. Ungeachtet der im Hintergrund 74  Siehe allgemein zur Prüfung der Zuordnung einer bestimmten Regelung zu einer Kompetenznorm beispielhaft BVerfG, Az. 2 BvF 4/03, NVwZ 2008, S. 658 (Rn.  80 ff.). 75  BVerfG, Az. 1 BvL 4/00, NJW 2007, S. 51 (Rn. 57). 76  Instruktiv dazu Korte, JA 2004, S. 770 (770 ff.); Ohlmann, ZRP 2002, S. 354 (355 f.). 77  Vgl. etwa Degenhart, DVBl 2014, S. 416 (419 ff.); Hecker, DÖV 2005, S. 943 (946); Krewer/Wagner, ZfWG 2011, S. 90 (90 f.); Scholz/Weidemann, WiVerw 2007, S.  105 (112 ff.); Voßkuhle, VerwArch 1996, S. 395 (398 f.); Willenbruch, NordÖR 2012, S. 224 (224). 78  Siehe nur BVerfG, Az. 1 BvR 928/08, NVwZ 2008, S. 1338 (Rn. 25); BVerfG, Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 96 ff.).

174 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

schwelenden Grundsatzfragen und insbesondere des aus ihnen angewachsenen „Kompetenzwirrwarrs“79 stellt sich die faktische Zuständigkeitsverteilung auf dem Glücksspielsektor im Einzelnen – de lege lata – jedenfalls wie im Folgenden erläutert dar. a) Landesrechtliche Glücksspielsektoren Die rechtliche Ausgestaltung des Lotterie-, Sportwetten- und Spielbankensektors – den Kernbereichen des deutschen Glücksspielwesens – ist der Regelungshoheit der Bundesländer vorbehalten; ihnen kommt das Übergewicht im Bereich der Glücksspielgesetzgebung zu. Diese auf Art. 70 Abs. 1 GG fußende Kompetenzzuweisung zugunsten der Landesgesetzgebungsgewalt beruht auf der – rechtspolitisch nicht unumstrittenen –80 aber in langer Rechtstradition anerkannten – Prämisse, dass bei den genannten Glücksspielformen wesenhaft die Abwehr glücksspieltypischer Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Vordergrund steht.81 Die einfachgesetzliche Regulierung der einzelnen Glücksspielsegmente prägt sich gegenwärtig auf Landesebene im Wesentlichen durch zwei sich normhierarchisch gleichrangig gegenüberstehende82 Regelungsquellen aus. Dabei handelt es sich zum einen um den bereits vorthematisierten GlüÄndStV sowie zum anderen um dessen Ausführungsgesetze, welche in Korrespondenz und Ergänzung der im Staatsvertrag einheitlich niedergelegten Vorgaben länderspezifische Regelungen treffen, deren Gehalte je nach Bundesland durchaus variieren können.83 aa) Lotterien und Ausspielungen Mit dem Oberbegriff der Lotterie lassen sich in Deutschland jene Spiel­ arten charakterisieren, bei denen einem Personenkreis vertragsgemäß die 79  Dietlein,

in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Einf. (Rn. 8). ordnet etwa ein Großteil der literarischen Stimmen das Sportwettenrecht als „Recht der Wirtschaft“ i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes zu; siehe dazu nur Pagenkopf, NVwZ 2011, S. 513 (518 f.); Scholz/Weidemann, WiVerw 2007, S. 105 (112 ff.). 81  Vgl. BVerwG, Az. 1 C 18/91, NVwZ 1995, S. 475 (476); BVerfG, Az. 1 BvR 539/96, NVwZ 2001, S. 790 (793); Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Einf. (Rn. 8 ff.); Tettinger, DVBl 2000, S. 868 (868); Ohlmann, WRP 1998, S.  1043 (1044 f.). 82  Papier/Krönke, Sportwetten, S. 14. 83  Vgl. etwa das „Gesetz zur Ausführung des Glücksspielstaatsvertrages (Ausführungsgesetz NRW Glücksspielstaatsvertrag – AG GlüStV NRW)“ v. 13.12.2012, GVBl NRW 2012, S. 523 ff. 80  So



A. Das Glücksspiel im deutschen Regulierungssystem175

Möglichkeit eröffnet wird, nach Maßgabe eines bestimmten Plans gegen ein Entgelt die Chance auf einen Geldgewinn zu erlangen.84 Als konstituierendes Unterscheidungsmerkmal für eine Abgrenzung aller in Deutschland veranstalteten Lotterien gegenüber anderen Glücksspielformen fungiert der vom Lotterie- oder Ausspielungsveranstalter einseitig bestimmte und bei Spielbeginn feststehende Spielplan, welcher die möglichen Gewinne und Verluste nach Zahl und Höhe sowie deren Verteilung an die Mitspieler regelt.85 Lotterien bilden in Deutschland die am häufigsten genutzten Glücksspiele.86 Aus dem breiten Spektrum der spielbaren Lotterievarianten87 ragen die hierzulande den größten Bekanntheitsgrad genießenden Zahlenlotterien „Lotto 6 aus 49“, „Spiel 77“ oder „Super 6“ hervor, welche unter der Monopolregie der im deutschen Lotto- und Totoblock88 zusammengeschlossenen 16 Lotterieunternehmen der Länder veranstaltet werden.89 Die Höhe der Einzelgewinnauszahlung richtet sich dabei gemäß dem einer Zahlenlotterie typischerweise zugrunde liegenden Totalisatorprinzip nach der Teilnehmeranzahl sowie der Häufigkeit der richtigen Tipps. Weiterhin kennzeichnet derlei Lotterieformen das sog. „Jackpot-Prinzip“, dem zufolge nicht ausgeschüttete Höchstgewinne in den Topf der nächsten Ziehung zurückfließen; damit zeichnen Lotterien sich durch die Möglichkeit des Gewinns hoher Geldbeträge aus, so klein die Chance dafür auch sein mag.90 Den Lotterien wesensverwandt sind sog. Ausspielungen, die vorliegen, wenn anstelle von Geld Sachen oder andere geldwerte Vorteile den Gewinn ausmachen.91 bb) Sportwetten Die Sportwette lässt sich gemeinhin als ein Glücksspielformat definieren, bei dem der Wettende eine entgeltliche Prognose auf den Ausgang eines künftigen Sportereignisses abgibt und bei Eintritt der Vorhersage ein Vielfaches seines Einsatzes als Geldgewinn zurückerhält.92 Die in der Praxis dominierende und relevanteste Wettform bildet die sog. Buchmacher-Wette; 84  Vgl. nur die in § 3 Abs. 3 GlüÄndStV festgeschriebene Legaldefinition; siehe ferner Diegmann/Hoffmann/Ohlmann, Praxishandbuch Spielrecht, S. 10 ff. 85  Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, § 287 (Rn. 3); Marcks, in: Landmann/ Rohmer, GewO, Bd. 1, § 6 (Rn. 69); siehe auch schon OLG Braunschweig, Az. Ss 128/54, NJW 1954, S. 1778 (1778). 86  Amtl. Erläuterung zum GlüÄndStV, LT-Drs. BW 15/1570, S. 53. 87  Näher dazu unten Teil 4, B., I., 1. 88  Instruktiv dazu Ohlmann, WRP 1998, S. 1043 (1050). 89  Allg. hierzu Meyer/Bachmann, Spielsucht, S. 22 f. 90  Adams/Tolkemitt, ZRP 2001, S. 511 (513). 91  Vgl. § 3 Abs. 3 S. 2 GlüÄndStV. 92  Vgl. § 3 Abs. 1 GlüÄndStV.

176 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

diese – in Anlehnung an die englische Bezeichnung für gesetzte („set“) Quoten („odds“) – vielfach auch mit „Oddset-Wette“ umschriebene Wettform kennzeichnet sich dadurch aus, dass der Veranstalter den Teilnehmern eine im Voraus festgelegte Gewinnquote93 anbietet, die dem Spieler im Falle des Eintritts seiner Vorhersage in jedem Fall auszuzahlen ist. Die Art des vorherzusagenden Ereignisses variiert dabei stark nach dem jeweiligen Wettangebot und reicht im Fußballbereich etwa von Endergebnissen über Teilergebnisse bis hin zu Anzahlen der Ecken oder Elfmeter.94 Über die rechtliche Klassifizierung der Sportwette besteht im juristischen Diskurs unterdessen mittlerweile ein gefestigter Konsens: Unstreitig stellt die Sportwette – der begrifflichen Implizierung zum Trotze – keine „Wette“ im rechtstechnischen Sinne dar, weil das Interesse des Wettenden primär auf die Erzielung eines Gewinns und nicht auf die Bekräftigung eines Meinungsdisputs über den Ausgang eines Sportereignisses gerichtet ist.95 Vielmehr unterfällt die Wette der rechtlichen Kategorie des Spiels.96 Hieran anknüpfend subsumierten einige Stimmen aus dem Schrifttum97 und ein kleiner Teil der Rechtsprechung98 lange Zeit die Sportwette jedoch nicht unter den Glücksspielbegriff, sondern klassifizierten sie – mit der Begründung, der entscheidende Faktor des Gewinnererfolgs sei nicht der Zufall, sondern das sportartbezogene Fachwissen – als Geschicklichkeitsspiel. Eine solche Einschätzung dürfte mittlerweile jedoch sehr zu Recht als überholt angesehen werden; denn unter Zugrundelegung der nunmehr vorherrschenden Sichtweise in Rechtsprechung99 und Literatur100 kommt dem Zufallselement innerhalb der Spielstruktur einer Sportwette auf Grund der zahlreichen unwägbaren, d. h. der Einflusssphäre des Wettenden entzogenen Faktoren101 93  Die Gewinnquote zeigt an, um welchen Faktor sich der Gewinneinsatz bei Richtigkeit der Voraussage erhöht. Die Quote ist umso höher, je unwahrscheinlicher der Eintritt des Ergebnisses ist, auf welches gewettet wird; hierzu ausführlich Janz, NJW 2003, S. 1694 (1695). 94  Zu den wesentlichen Wettarten innerhalb der Oddset-Wette, siehe Volkwein, Die Rechtsproblematik der Sportwette, S. 7 ff. 95  Siehe statt vieler Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, § 284 (Rn. 4 ff.). 96  Vgl. nur Volkwein, Die Rechtsproblematik der Sportwette, S. 26 f. 97  Z. B. Lesch, GewArch 2003, S. 321 (332 ff.). 98  LG Bochum, Az. 22 KLs 10 Js 121/01 I 49/01, NStZ-RR 2002, S. 170 (170 f.). 99  BVerfG, Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 88 ff.); BGH, Az. 4 StR 260/02, NStZ 2003, S. 372 (Rn. 5); BVerwG, Az. 6 C 19/06, NVwZ 2006, S. 1175 (Rn. 44). 100  Siehe nur: Ennuschat, in: Tettinger/Wank/Ennuschat, GewO, § 33d (Rn. 9); Haltern, ZfWG 2011, S. 13 (16); Rossen-Stadtfeld, ZUM 2006, S. 793 (798); Walz, EuZW 2004, S. 523 (523). 101  Z. B. Trainingszustand, Gesundheit, und emotionale Verfassung der Sportler, Beschaffenheit der Sportanlage, Unterstützung des Publikums.



A. Das Glücksspiel im deutschen Regulierungssystem177

gegenüber den vom durchschnittlichen Spieler zu beherrschbaren Umständen ein deutliches Übergewicht zu. Das Veranstaltungsrecht hinsichtlich Sportwetten unterfiel lange Zeit einem „Residualmonopol“102 der Länder, welche sich ihrerseits zum Vertrieb des Angebots der im staatsgetragenen Lotto- und Totoblock integrierten „ODDSET Kooperationsgemeinschaft“ bedienten. Mit Ratifizierung des GlüÄndStV ist – wie bereits oben erwähnt – die Austragung von Sportwetten nunmehr auch einer begrenzten Anzahl von privatwirtschaftlichen Konzessionären gestattet (vgl. § 10a GlüÄndStV). cc) Das Spiel in Spielbanken Der Begriff der Spielbank – nicht dagegen „Spielhalle“103 oder „Spielothek“ –104 bezeichnet eine auf Rechtsgrundlage der jeweiligen Landesspielbankengesetze105 errichtete Einrichtung, in der eine breite Palette einzelner Glücksspielformen angeboten wird. Hierzu zählen typischerweise solche Spiele wie Roulette, Black Jack, Poker, aber auch das Spiel an Automaten, sog. Slot-Maschinen.106 Die Veranstaltung der erstgenannten klassischen Glücksspielarten findet an Spieltischen unter Beteiligung eines Kasinoangestellten („Croupier“) statt und fällt unter die Begrifflichkeit des „Großen Spiels“. Das Automatenspiel wird demgegenüber in räumlich separierten Bereichen oder eigenen Dependancen ohne unmittelbaren Einfluss des Kasino-Personals auf den Spielablauf angeboten. Aufgrund der vergleichsweise niedrigen Einsätze und Gewinne hat sich hierfür die Bezeichnung „Kleines Spiel“ eingebürgert. Das Recht zum Betrieb einer Spielbank bleibt in vielen Ländern der öffentlichen Hand vorbehalten („Spielbankenmonopol“107), wie etwa § 2 Abs. 1 102  Koenig/Bovelet,

ZfWG 2011, S. 236 (236). Spielhalle gilt gem. § 3 Abs. 7 GlüÄndStV ein Unternehmen oder Teil eines Unternehmens, das ausschließlich oder überwiegend der Aufstellung von Spiel­ geräten im Sinne des § 33c Abs. 1 S. 1 GewO, der Veranstaltung anderer Spiele im Sinne des § 33d GewO oder der gewerbsmäßigen Aufstellung von Unterhaltungsspielen ohne Gewinnmöglichkeit dient; diese Legaldefinition entspricht im Wesentlichen der Vorschrift des § 33i GewO. 104  Vgl. zur Abgrenzung auch Dietlein/Hüsken, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 2 GlüStV (Rn. 12); Peters, ZRP 2011, S. 134 (134). 105  Siehe etwa das „Gesetz über die Zulassung öffentlicher Spielbanken im Land Nordrhein-Westfalen“ v. 13.11.2012, GVBl NRW 2012, S. 524 ff. 106  Vgl. VGH München, Az. 22 B 94/3315, NVwZ-RR 1996, S. 21 (21 f.); siehe zu den einzelnen Varianten der in Spielbanken beheimateten Glücksspiele ausführlich Meyer/Bachmann, Spielsucht, S. 13 ff. 107  Vgl. BVerfG, Az. 1 BvR 2228/02, GewArch 2007, S. 242 (Rn. 1 ff.). 103  Als

178 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

Spielbankgesetz NRW dokumentiert. In den übrigen Ländern – wie z. B. Mecklenburg-Vorpommern108 – ist es auch (wenigen) Privaten, zumeist auf Grundlage einer Konzession, gestattet, derlei Einrichtungen zu betreiben.109 b) Bundesrechtliche Glücksspielsegmente Dass die Glücksspielregulierung prägend gefahrenabwehrrechtliche Momente enthält, rechtfertigt nicht ihre kompetenzielle Überführung in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder en bloc. Vielmehr obliegt dem Bund unter Inanspruchnahme des Kompetenztitels für das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) die normative Ausgestaltung des sog. gewerblichen Spielwesens ebenso wie die des Pferdewettensektors. Diese kompetenziellen Zuweisungen fußen auf der Einschätzung, dass die regulative Zielrichtung der vorbezeichneten Segmente mehr vom Gedanken der sich in § 1 GewO ausprägenden erwerbswirtschaftlichen Betätigungsfreiheit als von der Abwehr glücksspielbedingter Gefahren getragen wird.110 aa) Gewerbliches Spiel Der Begriff des „gewerblichen Spiels“ entstammt dem Gewerberecht und umschreibt das in Gaststätten, Beherbergungsbetrieben und Spielhallen111 angebotene Glücksspiel an sog. „Spielgeräten mit Gewinnmöglichkeit“ (vgl. § 33c GewO). Ihr auf dem Markt anzutreffender Formenreichtum ist ausgesprochen breit gefächert; zumeist handelt es sich um per Computer oder – seltener – mechanisch betriebene Geräte, die durch Eingabe von Geldmünzen oder Wertmarken das Recht zu spielen ebenso gewähren wie die Möglichkeit, Geld- oder Warengewinne über die Höhe des Einsatzes hinaus zu erhalten. Das Spielergebnis – mithin die Entscheidung über Gewinn oder Verlust – hängt hierbei ausschließlich oder maßgeblich von einem technisch bzw. elektronisch gesteuerten „Zufallsgenerator“ ab.112 Weiterhin kennzeichnen derlei Automaten schnelle, aufeinander folgende Spielpartien, welche durch optische und akustische Signale untermalt werden. In Abgrenzung zu den in 108  Vgl. § 2 „Spielbankgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern“ v. 17.12. 2009, GVBl MV 2009, S. 721 ff., zuletzt geändert durch Art. 2 G zur Änderung glücksspielrechtlicher Vorschriften v. 22.6.2012 (GVBl MV 2012, S. 232 ff.). 109  Näher zu den Regulierungsmodellen Ennuschat, ZfWG 2015, S. 78 (78); Hartmann, in: Hartmann/Pieroth, Spielbanken und Spielhallen, S. 95 (103 f.). 110  Vgl. Kummer, GewArch 1988, S. 264 (267); Ennuschat/Klestil, GewArch 2012, S. 417 (417 f.). 111  Vgl. insoweit die Legaldefinitionen in § 33i GewO und § 3 Abs. 7 GlüÄndStV. 112  Siehe schon BVerwG, Az. I C 137/57, NJW 1960, S. 1684 (1685).



A. Das Glücksspiel im deutschen Regulierungssystem179

Spielbanken platzierten Automaten, deren Gewinn- und Verlusthöhe im Prinzip unbegrenzt ist, sind gewerbliche Spielautomaten auf bestimmte Einsatz-, Gewinn- und Verlustgrenzen hin programmiert. Während früher das gewerbliche Automatenspiel eher als Unterhaltungsspiel verstanden wurde, bei dem die Geschicklichkeit des Spielers für das Spielergebnis ausschlaggebend sein sollte („Zu gewinnen war hier nichts außer Spielspaß“)113, ist seine Einordnung als Glücksspiel inzwischen weithin unstreitig.114 Als „Institution des Gewerberechts“115 findet das gewerbliche Automatenglücksspiel seinen Rechtsrahmen in den gewerberechtlichen Vorschriften der §§ 33c ff. GewO. Ausweislich § 33c GewO ist für die Aufstellung von Geldspielgeräten eine – als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgestaltete –116 gewerberechtliche Erlaubnis einzuholen, die jedermann erhalten kann, sofern – neben der Zuverlässigkeit des Antragstellers – bestimmte Vorgaben eingehalten werden.117 Solche weitergehenden Direktiven (z. B. zur technischen Beschaffenheit der Automaten) enthält vor allem die auf der Grundlage von § 33f Abs. 1 GewO ergangene und erst kürzlich novellierte Spielverordnung (SpielV).118 bb) Pferdewetten Ein historisch gewachsenes Sondersegment des deutschen Sportwettensektors bilden die sich ihrer Bezeichnung nach auf den Ausgang von Pferderennen beziehenden Pferdewetten.119 Die zu den traditionsreichsten Glücksspielarten in Deutschland zählenden – dieser Tage allerdings eher wenig verbreiteten – Pferdewetten haben ihre Ursprünge in der Leistungsprüfung von Rennpferden und werden in Form der von amtlichen Wettstellen auf Pferderennplätzen angebotenen Totalisatorwetten oder in Gestalt fester Gewinnquoten von sog. Buchmachern angeboten.120 113  Reeckmann,

ZfWG 2010, S. 229 (229). nur Hahn, GewArch 2007, S. 89 (90); Krewer/Wagner, ZfWG 2011, S. 90 (90); Peters, ZRP 2011, S. 134 (134 f.). 115  Kummer, GewArch 1988, 264 (267); zur (norm-)geschichtlichen Entwicklung des gewerblichen Spielrechts Weidemann/Krappel, NVwZ 2013, S. 673 (674 ff.). 116  Tettinger/Ennuschat, Grundstrukturen des deutschen Lotterierechts, S. 47. 117  Vgl. zu den Erlaubnisvoraussetzungen im Einzelnen Meßerschmidt, in: Pielow, BeckOK GewO, § 33c (Rn. 3 ff.). 118  „Verordnung über Spielgeräte und andere Spiele mit Gewinnmöglichkeit“ v. 11.12.1985, BGBl 1985 I, S. 2245 ff., zuletzt geändert durch die „Sechste Verordnung zur Änderung der Spielverordnung“ v. 04.11.2014, BGBl 2014 I, S. 1678 ff. 119  Näher dazu Diegmann/Hoffmann/Ohlmann, Praxishandbuch Spielrecht, S. 15 ff. 120  BVerwG, Az. 8 C 5/10, ZfWG 2011, S. 332 (Rn. 37); näher dazu Wernsmann/ Loscher, DVBl 2014, S. 211 (212 ff.); Voßkuhle, VerwArch 1996, S. 395 (400). 114  Siehe

180 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

Ihre normative Basis findet die Materie seit alters her im Rennwett- und Lotteriegesetz121 (RennwLottG) sowie in den dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen122. Das als vorkonstitutionelles Reichsgesetz bereits im Jahr 1922 erlassene Gesetz enthält neben steuer- und strafrechtlichen Vorschriften insbesondere gewerbeähnliche Erlaubnistatbestände für die Veranstaltung und Vermittlung von Pferdewetten, wobei zwischen der Erlaubnis für Totalisatoren (§ 1 RennwLottG) und der Erlaubnis für Buchmacher (§ 2 RennwLottG) unterschieden wird.123 Die Zulassungs- bzw. Erlaubnisfähigkeit beider Anbietertypen setzt indes nach wie vor nicht ihre Trägerschaft durch die öffentliche Hand voraus, weshalb der Pferdewettensektor privaten Anbietern weithin offen steht. Letztlich hat an diesem Grundmodell auch die mit der Verabschiedung des GlüÄndStV verbundene teilweise Überführung dieser Materie in die Regelungszuständigkeit der Länder (vgl. § 25 Abs. 3 RennwLottG) und der damit einhergehenden „ordnungsrechtlichen Anreiche­rung“124 nichts geändert. 3. Besondere Kompetenzfelder Jenseits der soeben umrissenen, an die einzelnen Glücksspielsegmente rückgekoppelten Rechtsquellen, enthält die deutsche Rechtsordnung eine Reihe von glücksspielbezogenen Rechtssätzen, die sektorenübergreifende Vorgaben statuieren, mithin das Glücksspiel in seiner Gesamtheit betreffen. a) Strafrechtliche Normen Einen strafrechtlichen Niederschlag findet die Glücksspielmaterie auf Bundesebene primär in den bereits oben behandelten und kompetenziell in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG fundierten Regelungen der §§ 284 ff. des Strafgesetzbuches, die als tradierter Kernbestand und „Basisvorgaben“125 des glücksspielrechtlichen Sanktionssystems fungieren. Nach Maßgabe des § 284 StGB ist das Veranstalten öffentlicher Glücksspiele ohne (inländische) behördliche Erlaubnis sowie die Bereitstellung einer Einrichtung hierzu verboten und mit Geld- oder Freiheitsstrafe bedroht. Bei der Rechtsvorschrift 121  „Rennwett- und Lotteriegesetz“ v. 08.04.1922 (RGBl 1922 I, S. 335 ff.) zuletzt geändert durch das „Gesetz zur Besteuerung von Sportwetten“ v. 29.06.2012 (BGBl 2012 I, S. 1424 ff.). 122  „Ausführungsbestimmungen zum Rennwett- und Lotteriegesetz“ v. 16.06.1922, zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes v. 29.05.2012 (BGBl 2012 I, S. 1424 ff.). 123  Näher dazu Wernsmann/Loscher, DVBl 2014, S. 211 (212 f.). 124  Ennuschat/Klestil, GewArch 2012, S. 417 (418). 125  Ohlmann, WRP 2005, S. 48 (54).



A. Das Glücksspiel im deutschen Regulierungssystem181

handelt es sich um eine verwaltungsakzessorische Bestimmung, die bei Vorliegen einer behördlichen Genehmigung schon tatbestandlich keine Sanktionswirkung an die Veranstaltung des Glücksspiels knüpft.126 Zur Effektivierung der Verbote ist ebenfalls jede Werbung in Deutschland für ein öffentliches Glücksspiel (§§ 284 Abs. 4, 287 Abs. 2 StGB) und schließlich die Beteiligung an einem solchen (§ 285 StGB) strafbewehrt. Diese durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechtes127 im Jahr 1998 in das Strafgesetzbuch eingefügten Sanktionsnormen verfolgen nach wohl herrschender, aber keineswegs unumstrittener Auffassung den Zweck, einen ordnungsgemäßen Spielbetrieb und damit den Schutz des Einzelnen vor Manipulationsgefahren beim Glücksspiel zum Schaden seines Vermögens zu gewährleisten.128 b) Zivilrechtliche Normen Die rechtliche Ordnung von Glücksspieltätigkeit ist zwar vornehmliche, aber nicht exklusive Aufgabe des öffentlichen Rechts. Auch das Zivilrecht errichtet mit den in § 762 und § 763 BGB niedergelegten – und daher ebenfalls auf die Rechtssetzungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützten – Regelungen wichtige bundesrechtliche Vorgaben für das Glücksspielwesen. Im Konkreten negiert § 762 BGB Abs. 1 S. 1 die Verbindlichkeit bzw. Einklagbarkeit von Spiel- und Wettvereinbarungen. § 762 BGB Abs. 1 S. 2 versagt einer rechtlichen Rückforderbarkeit darüber hinaus des auf einen solchen Vertrag Geleisteten. Im Ergebnis begründet eine Spiel- oder Wettvereinbarung mithin keinen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die Erfüllung von „Spielschulden“.129 Zugleich ausgeschlossen ist allerdings die Rückforderbarkeit der aufgrund solcher Absprachen zuvor geleisteten Wettoder Spieleinsätze. Insoweit wird die Norm maßgeblich von der Intention getragen, den Vertragspartner vor den unkalkulierbaren und in mancherlei Hinsicht existenzbedrohenden Gefahren solcher aleatorischer Verträge zu schützen.130 Eine Einschränkung erfährt der Geltungsbereich des § 762 BGB durch die Vorschrift des § 763 BGB. Danach sind abweichend von § 762 BGB Lotterie- oder Ausspielungsverträge vollwirksam und konstituieren 126  Näher

dazu Horn, NJW 2004, S. 2047 (2048 ff.). Gesetz zur Reform des Strafrechts“ v. 26.01.1998 (BGBl 1998 I,

127  „Sechstes

S.  164 ff.). 128  Siehe m. w. N. nur Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, § 284 (Rn. 1). 129  Fackler, Fernsehen und Glücksspiel, S. 29. 130  Sprau, in: Palandt, BGB, § 762 (Rn. 1).

182 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

somit durchsetzbare Verbindlichkeiten, soweit die Lotterie oder Ausspielung staatlich genehmigt ist. Über den Wortlaut hinaus greift die Bestimmung nicht nur bei den genannten Glücksspielformen, sondern ganz allgemein bei jedweder Art staatlich genehmigten Glücksspiels.131 Unbeschadet dieser Vorschriften können solche Vereinbarungen über nicht lizenzierte Glücksspielleistungen ferner nach Maßgabe des § 134 BGB, etwa wegen eines Verstoßes gegen § 284 StGB, nicht nur unvollkommen, sondern häufig nichtig sein.132 c) Glücksspiel im Internet Der fortschreitende Ausbau moderner Informationstechnologien macht den Zugriff des Verbrauchers auf herkömmliche Inhalte des Glücksspielmarktes zunehmend obsolet. Vor allem die anwachsende Nutzung des Internets in Wirtschaft und Freizeit als virtueller „Raum ohne Grenzen“ nimmt bei dieser Entwicklung eine tragende Rolle ein. Das über die digitale Plattform Internet transportierte Glücksspielangebot bildet jedoch kein eigenständiges Glücksspielformat, sondern fungiert vielmehr – ebenso wie eine Lotto-Annahmestelle – als (elektronischer) Distributionskanal für selbiges.133 Dementsprechend liefert das internetbasierte Glücksspielangebot lediglich ein virtuelles Abbild der auch über den stationären Vertrieb zugänglichen Glücksspielvarianten, obgleich es sich freilich durch eine ganze Reihe von strukturellen Besonderheiten gegenüber seinem konventionellen Pendant auszeichnet. Diese Spezialitäten betreffen nicht etwa Abweichungen hinsichtlich der Regeln oder Modi der Online-Spiele, sondern sind vielmehr auf die Eigenheiten des Internets selbst zurückzuführen.134 So ist das Spielen per Internet durch ein hohes Maß an Bequemlichkeit, eine allzeitige und ubiquitäre Verfügbarkeit und leichte Zugänglichkeit des Angebots sowie durch das Fehlen unmittelbarer Kommunikation zwischen Spieler und Veranstalter und den daraus fließenden Mangel an sozialer Kontrolle geprägt.135 Diese Faktoren sind dazu geeignet, das virtuelle Glücksspiel in der Wahrnehmung des Spielers aus seinem Bedeutungszusammenhang herauszulösen und insbesondere die Tatsache des Einsatzes – und möglichen Verlustes – von Geld in den Hintergrund treten zu lassen.136 131  Vgl.

nur BGH, Az. XI ZR 334-97, NJW 1999, S. 54 (54). Az. VII ZR 28/61, NJW 1962, S. 1671 (1672). 133  EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 75) – Zeturf; Ennuschat, in: Tettinger/Wank/Ennuschat, GewO, § 33d (Rn. 3); siehe zu den technischen Abläufen und Rahmenbedingungen ausführlich Hoeren, ZfWG 2008, S. 229 (229 ff.). 134  Heseler, Glücksspielregulierung, S. 38. 135  Vgl. BVerwG, Az. 8 C 5/10, ZfWG 2011, S. 332 (Rn. 34). 136  VGH Mannheim, Az. 6 S 3335/11, BeckRS 2013, 45412. 132  BGH,



A. Das Glücksspiel im deutschen Regulierungssystem183

Die Rechtssetzungsbefugnis im Bereich des Internetglücksspiels korrespondiert – soweit nicht seine technische, sondern inhaltliche Seite in Rede steht – angesichts seines vorerwähnten Charakters als bloßer „virtueller Abglanz“ des herkömmlichen Angebots mit der Gesetzgebungszuständigkeit der jeweils konkret zu regulierenden Glücksspielform. So wird beispielsweise der Rechtsrahmen für die – bekanntlich in der Dispositionsbefugnis der Länder stehenden – Veranstaltung von Lotterien und Sportwetten im Internet durch § 4 Abs. 5 des GlüÄndStV und den zu ihm ergangenen Ausführungsdekreten gezogen. 4. Materiell-verfassungsrechtliche Maßgaben: Grundrechte Der vorstehend skizzierte einfach- und untergesetzliche Regelungsbestand findet seinen verfassungsrechtlichen Überbau in den Direktiven des Grundgesetzes. Insoweit muss sich der Gesetzgeber bei der Ausnormierung des Glücksspielswesens – neben der bereits zuvor behandelten Kompetenzordnung der Verfassung – an den unverbrüchlichen, das gesamte deutsche Rechtsgefüge durchdringenden Bindungen der Grundrechte messen lassen, die nach ihrer klassisch-liberalen Sinngebung subjektive Abwehrrechte („status negativus“) gegenüber staatlich verantworteter Gewalt verkörpern.137 Die grundrechtlichen Freiheitsverbürgungen, die für den Gesetzgeber einen Rahmen des Zulässigen hinsichtlich der Normierung des Glücksspielsektors setzen, wirken in vielfältiger Art und Weise.138 Im Zentrum der Vorgaben – und nicht zuletzt auch im Mittelpunkt der glücksspielpolitischen Diskussion139 – stehen dabei vor allem die in Art. 12 GG verankerten Gewährleistungsgehalte der Berufsfreiheit. Dies erklärt sich daraus, dass Art. 12 GG als zentrales Wirtschaftsgrundrecht seine Schutzgehalte unproblematisch zugunsten der unternehmerischen Freiheit privater in- und EU-ausländischer Glücksspielanbieter entfaltet,140 denen die öffentliche Hand im Glücksspielsegment zumeist 137  Vgl. BVerfG, Az. 1 BvR 400/57, NJW 1958, S. 257 (257); BVerfG, Az. 1 BvR 289/56, NJW 1957, S. 1065 (1065); zu den weiteren der in Verfassungsrechtsprechung und Staatsrechtslehre entwickelten Grundrechtsfunktionen ausführlich Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 (Rn. 13 ff.). 138  Ein guter Überblick über die Betroffenheit der Grundrechte im Glücksspielkontext findet sich bei Scholz/Weidemann, WiVerw 2007, S. 105 (117 ff.). 139  Siehe dazu prägnant Windoffer, GewArch 2012, S. 388 (390 f.). 140  Dass die Bereithaltung von Glücksspielangeboten durch Private eine – ggf. in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG und Art. 18 AEUV – nach Art. 12 GG geschützte Rechtsposition darstellt, steht mittlerweile außer Frage, siehe nur BVerwG, Az. 1 C 19/91, GewArch 1995, S. 24 (Rn. 23 ff.); BVerfG, Az. 1 BvR 539/96, NVwZ 2001, S. 790 (Rn. 67); BVerfG, Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 80 ff.); zu den genauen Maßgaben der Berufsfreiheit im Glücksspielbereich siehe auch Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Einf. (Rn. 15 ff.); Gassner, NVwZ 1995,

184 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

in Form der Eingriffsverwaltung – sei es etwa in Form von Erlaubnisvorbehalten oder Staatsvorbehalten – gegenübertritt. Freilich sind Vorschriften, die in Kollision mit den beruflichen Freiheitssphären privater Glücksspielanbieter geraten, nicht per se als Verletzungen des Art. 12 Abs. 1 GG zu werten; Einschränkungen der Berufsfreiheit können gerechtfertigt und damit verfassungsgemäß sein, soweit die betreffende Norm durch hinreichende, der Art der betroffenen wirtschaftlichen Betätigung und der Intensität des jeweiligen Eingriffs Rechnung tragende Gemeinwohlbe­ lange legitimiert wird und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.141 Auf dieser Grundlage hat das Verfassungsgericht die den Gesetzgeber im Rahmen der Glücksspielregulierung treffende Rechtfertigungslast – im Übrigen teils in inhaltlicher Parallele zum Europäischen Gerichtshof –142 bereichsspezifisch ausgeformt und näher konturiert: Als legitimierende Gemeinwohlziele hat das BVerfG etwa die Bekämpfung der Spielsucht und Kriminalität anerkannt.143 Demgegenüber scheiden fiskalische Regulierungsmotive144 ebenso wie privates Gewinnstreben beim Angebot von Glücksspielen als Rechtfertigung von vornherein aus.145 Eine Abschöpfung von beispielsweise mithilfe eines Staatsmonopols generierter Mittel ist quasi nur als Nebenfolge eines öffentlichen Monopolsystems zulässig, nicht dagegen als selbstständiges Ziel.146 Erweist sich das Regulierungsziel nach dem Vorgesagten als legitim, wird auch im Glücksspielkontext die weitere Grenze der Einschränkbarkeit unternehmerischer Freiheit maßgeblich durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprägt. Dessen allgemeinem Prüfungsprogramm folgend muss sich der einschlägige Normbestand zur Erreichung des legitimen Zwecks – namentlich der Spiel- oder Kriminalitätsbekämpfung – als geeignet, erforderlich und angemessen erweisen.147 Besonderheiten bei der Wahrung dieser Kriterien ergeben sich im Glücksspielbereich dadurch, dass dem Gesetzgeber wegen S.  449 (449 f.); Pieroth/Kolbe, in: Hartmann/Pieroth, Spielbanken und Spielhallen, S.  9 (22 ff.). 141  BVerfG, Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 94). 142  Siehe dazu nur Pagenkopf, NVwZ 2011, S. 513 (515). 143  BVerfG, Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 105). 144  Unter fiskalischer Tätigkeit wird die Teilnahme der öffentlichen Hand am wettbewerblichen Wirtschafts- und Erwerbsleben zwecks Erhaltung und Vermehrung des Finanz- und Verwaltungsvermögens und Beschaffung der dafür benötigten Leistungen verstanden, vgl. OLG Karlsruhe, Az. 6 U 237/73, WRP 1977, S. 502 (505) und Ohlmann, WRP 2005, S. 48 (57). 145  BVerfG, Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 105, 110). 146  BVerfG, Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 109). 147  Vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 (Rn. 107 ff.); BVerfG, Az. 2 BvR 2236/04, NJW 2005, S. 2289 (2291 f.).



A. Das Glücksspiel im deutschen Regulierungssystem185

der „atypischen Besonderheiten“148 der Spielrechtsmaterie im Hinblick auf die von ihm für notwendig erachteten Maßnahmen ein weiter Einschätzungsund Gestaltungsfreiraum zur Verfügung steht.149 Jener Freiraum findet erst dort seine Schranken, wo die legislatorischen Begründungserwägungen „so offensichtlich fehlsam sind, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für gesetzgeberische Maßnahmen abgeben können“150. Eine solcherart offenkundige Fehlsamkeit kann nach der jüngeren Verfassungsrechtsprechung insbesondere daher rühren, dass die konkrete Ausgestaltung einer Glücksspielregelung nicht konsequent an der ihr zugrunde liegenden Zielsetzung ausgerichtet ist.151 So kann beispielsweise die Konsequenz oder – in der Terminologie des BVerfG – die Konsistenz152 eines auf die Spielsuchtprävention zielenden Glücksspielmonopols zweifelhaft sein, wenn zugleich Regelungen getroffen werden, die dem Monopolinhaber die Durchführung einer, dem Ziel der Spielsuchtbekämpfung zuwiderlaufenden, expansiven Angebotspolitik gestatten.153 5. Summarische Bestandsanalyse und aktuelle Tendenzen Wie der abrissartig unternommene Streifzug über den derzeitigen Ordnungsrahmen des deutschen Glücksspielwesens zeigt, prägt die Materie hierzulande ein normatives „Mixtum Compositum“ zahlreicher Regelungsansätze unterschiedlicher Provenienz. Die relevanten einfachgesetzlichen Bestimmungen sind – dem Querschnittscharakter dieser Rechtsmaterie ent148  BVerfG, 149  Vgl.

S. 96.

Az. 1 BvR 539/96, NVwZ 2001, S. 790 (793). dazu auch Bickenbach, Die Einschätzungprärogative des Gesetzgebers,

150  BVerfG, Az. 1 BvR 1086/82, NJW 1988, S. 1195 (1196); vgl. insoweit konkretisierend BVerfG, Az. 1 BvR 928/08, NVwZ 2008, 1338 (Rn. 44 ff.). 151  Siehe dazu auch oben Teil 4, A., I., 2. 152  BVerfG, Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 157); siehe zur Bedeutung des Konsistenzgebots im Kontext der Entscheidung statt vieler Schneider, ­WiVerw 2014, S. 165 (167 f.). Das Konsistenzgebot weist unterdessen vielfältige Berührungspunkte mit anderen Prinzipien des deutschen Verfassungsrechts auf; im Grundsatz vergleichbare Anforderungen enthält etwa das vom BVerfG aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) hergeleitete Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, wonach alle rechtssetzenden Organe des Bundes und der Länder [verpflichtet werden], die Regelungen jeweils so aufeinander abzustimmen, dass den Normadressaten nicht gegenläufige Regelungen erreichen, die die Rechtsordnung widersprüchlich machen“, so das BVerfG, Az. 2 BvR 1991-95 u. 2004-95, NJW 1998, S. 2341 (2342). Inhaltliche Übereinstimmungen weist das Konsistenzgebot ferner mit dem aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Gebot der Folgerichtigkeit auf, vgl. hierzu mit diversen Nachweisen aus der Verfassungsrechtsprechung Dann, Der Staat 2010, S. 630 (632 ff.). 153  Vgl. BVerfG, Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 124, 131, 136).

186 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

sprechend – im Verwaltungsrecht ebenso wie im Straf- und Zivilrecht sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene angesiedelt. In jener Gemengelage reflektiert sich die kategoriale Dichotomie der deutschen Glücksspielordnung, welche auf der vorthematisierten Kompetenzverteilung der Materie fußt. Eine normative Umwölbung erfährt der einfachgesetzliche Normbestand schließlich durch die in materieller Hinsicht vor allem durch Art. 12 GG geprägten Direktiven des Grundgesetzes. Nicht erst neuerdings, wohl aber zunehmend sehen sich diese vielfach ineinander verzahnten und an historisches Herkommen anknüpfenden Strukturen deutlich wahrnehmbaren und aus unterschiedlichen Stoßrichtungen herrührenden Aufweichungen ausgesetzt. So ist einerseits im juristischen Fachdiskurs das überkommene Paradigma, bei der Glücksspielregulierung handele es sich nach seiner konzeptionellen Grundrichtung um eine in den Bannkreis ordnungsrechtlicher Regelungskompetenz fallende Aufgabe, die nur ausnahmsweise in wenigen Bereichen wirtschaftsregulativ belegt sei, immer mehr im Schwinden. In neuerer Zeit wird die Materie in der Rechtslehre namentlich eher beim Wirtschafts- als beim Ordnungsrecht ressortiert.154 Eine judikative Abstützung erfährt diese Sichtweise obendrein in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welches anno 2006 ausdrücklich anerkannte, dass neben den Ländern auch der Bund unter Inanspruchnahmen des Gesetzgebungstitels „Recht der Wirtschaft“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) zur Reglementierung des Sportwettensektors berufen sei.155 Andererseits brachte die ebenfalls in das Jahr 2006 datierende sog. Föderalismusreform I156 eine Modifikation der grundgesetzlichen Kompetenzordnung dergestalt mit sich, dass das Recht der Spielhallen aus dem „Recht der Wirtschaft“ und so aus der Legislativkompetenz des Bundes wortwörtlich157 herausgelöst wurde und seither der ordnungsrechtlichen Regelungszuständigkeit der Länder nach Art. 70 Abs. 1 GG untersteht.158 Die Erosion traditionsbehafteter Trennlinien, kompetenzielle Grenzverschiebungen und die damit gegebene Überlappung legislativer Rechtssetzungsbefugnis führte in neuerer Zeit zu einer partiellen Verschmelzung von statt vieler Schmidt, WRP 2004, S. 576 (589 ff.). Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 155). 156  „Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes“ v. 28.08.2006 (BGBl 2006 I, S.  2034 ff.). 157  Art. 74 Nr. 11 GG: „ohne das Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen“. 158  Die Länderkompetenz umfasst nach fast einhelliger Rechtsauffassung allerdings nicht das gerätebezogene Automatenrecht, sondern vor allem die baurechtliche Seite der Spielhallen; vgl. dazu Degenhart, DVBl 2014, S. 416 (421); Schneider, Das Recht der Spielhallen, S. 7 ff. 154  Siehe

155  BVerfG,



A. Das Glücksspiel im deutschen Regulierungssystem187

sicherheits- und wirtschaftsrechtlichen Regelungsdomänen, wie etwa ein Blick in das Rennwett- und Lotteriegesetz dokumentiert: Letzteres wurde namentlich im Jahr 2012 um eine Öffnungsklausel (§ 25 Abs. 3 RennwLottG) zugunsten des Landesrechts erweitert, welche die Landesgesetzgeber nutzten, um die eigentlich der wirtschaftsbezogenen Normgebungsbefugnis des Bundes unterstehenden Pferdewetten teilweise in das ordnungsrechtlich ausgerichtete Gesetzeswerk des GlüÄndStV einzubeziehen.159

III. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen Ein jeder Rechtssatz bildet sich vor dem Hintergrund bestimmter Rahmenbedingungen ab. Zu den maßgeblichen Rahmenbedingungen aus Sicht der deutschen Glücksspielordnung zählen vor allem der ökonomische und gesellschaftliche Kontext, in den sie eingebettet ist. Obzwar das Glücksspiel hierzulande wohl den Charakter eines demeritorischen, d. h. nach gesellschaftlich-soziologischer Anschauung nicht verdienstvollen, unerwünschten Gutes („Ungut“) trägt,160 hat es sich doch vor allem in den letzten Jahrzenten zu einem überaus lukrativen Wirtschaftszweig entwickelt. Von der wirtschaftlichen Bedeutung legen auch die folgenden Kennzahlen Zeugnis ab: Die Gesamtumsätze – gemessen an den Spieleinsätzen – auf dem legalen, in staatlich autorisierten Bahnen verlaufenden deutschen Glücksspielmarkt haben sich im Verlauf der vergangenen 20 Jahre von knapp 15 Mrd. Euro auf rund 33 Mrd. Euro mehr als verdoppelt.161 Im Jahr 2012 entfielen davon 58 % auf das gewerbliche Automatenglücksspiel, 19,4 % auf die Lotterie- und Sportwettensparte („Lotto-Toto“), 17,9 % auf den Spielbankensektor und 0,2 % auf das Pferdewettensegment. Die übrigen Anteile am Marktvolumen machten mit rund 4 % die Fernseh- und Klassenlotterien sowie das Prämien- und Gewinnsparen aus.162 Die größten Zuwachsraten konnte in den zurückliegenden Jahren das gewerbliche Automatenspiel verzeichnen; beliefen sich die an den Automaten hierzu Wernsmann/Loscher, DVBl 2014, S. 211 (213). BVerfG, Az. 1 BvR 539/96, NVwZ 2001, S. 790 (793); deutlich auch BVerfG, Az. 1 BvR 928/08, NVwZ 2008, S. 1338 (Rn. 57): „Das staatliche Glücksspielangebot soll lediglich der Kanalisierung des menschlichen Spieltriebs dienen, nicht jedoch einen förderungs- und ausbauwürdigen Wirtschaftszweig darstellen“. 161  Dieser Wert erschließt sich aus einem Vergleich zwischen dem bei Tolkemitt (Die deutsche Glücksspielindustrie, S. 28) für das Jahr 1992 ausgewiesenen Gesamtumsatz in Höhe von rund 14,7 Mrd. Euro und dem von Meyer (in: DHS e. V., Jahrbuch Sucht 2014, S. 124 [126]) für das Jahr 2012 ermittelten Marktvolumen in Höhe von 33 Mrd. Euro. 162  Vgl. das Schaubild bei Meyer, in: DHS e. V., Jahrbuch Sucht 2014, S. 124 (128). 159  Vgl. 160  Vgl.

188 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

generierten Umsätze im Jahr 2002 noch auf 5,7 Mrd. Euro, so erreichten sie im Jahr 2012 bereits ein Umsatzvolumen von über 19,2 Mrd. Euro, was einer Zuwachsrate von rund 237 % entspricht.163 Einen stark rückläufigen Anteil am Gesamtumsatz des deutschen Glücksspielmarktes weisen demgegenüber die Spielbanken auf; die hier erwirtschafteten Umsätze halbierten sich zwischen 2002 und 2012 fast von rund 10,9 Mrd. Euro auf 5,9 Mrd. Euro.164 Die erlittenen Umsatzrückgänge der Spielbankenbranche sind nicht zuletzt auch das Ergebnis einer anhaltenden Expansionstätigkeit der – von „harten“ Statistiken nicht erfassten –165 unregulierten, zum Großteil aus dem (EU-)Ausland via Internet operierenden Marktteilnehmer.166 Das auf dem „Graumarkt“167 und damit dem Einfluss deutscher Stellen entzogene, illegale168 Glücksspiel konzentriert sich dabei vorwiegend auf das über das Internet transportierte, kaum überschaubare Angebot von Sportwetten und Online-Kasinospielen (z. B. virtuelles Poker oder Roulette). Nach aktuellen Schätzungen belief sich im Jahr 2012 der mit illegalen Online-Sportwetten erzielte Umsatz in Deutschland auf ca. 3,2 Mrd. Euro.169 Unter Zugrunde­ legung eines siebenjährigen Vergleichszeitraums entspricht dieser Wert einer Umsatzsteigerung von 48  %. Durch das Bereitstellen von unregulierten Online-Spielen sollen demgegenüber im Jahr 2012 sogar Spieleinsätze in Gesamthöhe von etwa 7,1 Mrd. Euro generiert worden sein, wobei dies auf Basis eines siebenjährigen Vergleichszeitraums einer Umsatzsteigerung von mehr als 50 % entspricht.170 Die wirtschaftliche Relevanz der Glücksspielwirtschaft ist freilich nur die eine Seite der Medaille; den stattlichen ökonomischen Kennzahlen des Glücksspielmarktes treten kehrseitig erhebliche gesellschaftspolitische Auswirkungen entgegen. Obgleich die Mehrheit der Spieler in Deutschland – 163  Vgl.

das Schaubild bei Meyer, in: DHS e. V., Jahrbuch Sucht 2014, S. 124

164  Vgl.

das Schaubild bei Meyer, in: DHS e. V., Jahrbuch Sucht 2014, S. 124

(127). (127).

165  Zu den Schwierigkeiten der wissenschaftlich fundierten Erfassung dieser Daten Peren, ZfWG 2015, S. 111 (111 ff.). 166  Siehe zur aktuellen Entwicklung des Glücksspielmarktes auch Bardt, Markt kontra Monopol, S. 7 ff. 167  Vgl. zum Begriff „Graumarkt“: Europäische Kommission, Grünbuch OnlineGlücksspiel im Binnenmarkt, KOM (2011) 128, S. 3. 168  Siehe zum Begriff „illegales Glücksspiel“ eingehend Reeckmann, ZfWG 2015, S. 106 (106 ff.) und Duesberg/Buchkolz, NZWiSt 2015, S. 16 (16 ff.). 169  Siehe die Statistik bei Barth, Der deutsche Glücksspiel- und Sportwettenmarkt, S. 21. 170  Siehe die Statistik bei Barth, Der deutsche Glücksspiel- und Sportwettenmarkt, S. 29.



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 189

über 99 % –171 nur gelegentlich, in ihrer Freizeit sowie unter Einsatz nur geringer Beträge Glücksspielangebote in Anspruch nimmt,172 gelten je nach Studie rund 100.000 bis 290.000 Personen in Deutschland als behandlungsbedürftige pathologische Spieler, was einem Anteil von 0,2–0,6 % an der Gesamtbevölkerung entspricht.173 Zum Vergleich: Als alkoholsüchtig gelten in Deutschland rund 1,6 Mio. Personen.174

B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots Sind damit die Grundstrukturen der deutschen Glücksspielordnung, ihre jüngere Genese sowie der wirtschaftliche und gesellschaftliche Kontext skizziert, gilt es nun auf dieser Basis zu demonstrieren, wie sich die Kohärenzprüfung praktisch einsetzen lässt. Insoweit als „Anschauungsobjekt“ exemplarisch auf den Prüfstand der Kohärenz zu stellen ist hier das zugunsten der Länder seit langer Zeit festgeschriebene Exklusivrecht zur Veranstaltung von Jackpotlotterien. Die Wahl fällt deswegen auf das Lotteriemonopol, weil es – nachdem der sportwettenbezogene Staatsvorbehalt mit der Einführung eines Konzessionsmodells nunmehr gefallen ist –175 neben dem in einigen Bundesländern noch vorfindlichen Spielbankenmonopol176 eine der letzten Bastionen (landes-) staatlicher Monopolrechte überhaupt bildet. Unter Ausschöpfung der ihnen seit Errichtung der Bundesrepublik für das Lotteriewesen zufallenden – und oftmals mit der Wendung „Lotteriehoheit“177 umschriebene – RechtssetPeren, ZfWG 2015, S. 111 (117). 80 % der 16 bis 65-jährigen Bevölkerung in Deutschland haben irgendwann im Leben schon einmal an einem Glücksspiel teilgenommen, BZgA, Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland 2013, S. 9. 173  Vgl. die Nachweise und die einzelnen Studienergebnisse bei Erbas/Bucher, DÄ 2012, S. 173 (175); mit dieser Prävalenzrate rangiert Deutschland im europäischen Vergleich am unteren Ende der Skala, vgl. Kramer, WRP 2011, S. 180 (188). 174  Siehe die Daten bei Freyer-Adam, in: DHS e. V., Jahrbuch Sucht 2014, S. 37 (37 ff.). 175  Vgl. allerdings zu den praktischen Schwierigkeiten im Vergabeverfahren: VG Wiesbaden, Az. 5 K 1431/14, WiVerw 2016, S. 223 (223 ff.); Ennuschat, ZfWG 2015, S. 77 (77); Schwanke, ZfWG 2015, Sonderbeilage 2, S. 9 (10). 176  BVerfG, Az. 1 BvR 2228/02, GewArch 2007, S. 242 (Rn. 1 ff.). 177  BVerfG, Az. 1 BvR 1896/99, NVwZ 2007, S. 1297 (1299); OLG Düsseldorf, Az. VI-U (Kart) 10/12, U (Kart) 10/12, ZfWG 2014, S. 327 (Rn. 4); Dietlein/Peters, ZfWG 2013, S. 229 (229); Tettinger/Ennuschat, Grundstrukturen des deutschen Lotterierechts, S. 14; Ohlmann, WRP 1998, S. 1043 (1043 ff.); Pönicke, WRP 1998, S. 830 (830). 171  Vgl.

172  Rund

190 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

zungs- und Verwaltungskompetenz haben die Bundesländer schon früh damit begonnen diesen Regulierungssektor staatsmonopolistisch auszugestalten.178 Dies hat zu einer bis heute von den Ländern im Lotteriesegment eingenommenen Rollenvielfalt geführt, die sich darin ausprägt, dass sie dort nicht bloß als Aufsichts- und Regelinstanzen fungieren, sondern zugleich – gewissermaßen janusartig – selbst mittelbar oder unmittelbar als Monopolveranstalter auftreten. Inwieweit sich diese Sachlage als Quelle kohärenzbezogener Problemhorizonte erweist, soll in diesem Kapital geklärt werden. Die anzustellende Kohärenzprüfung bringt im Einzelnen – und im Übrigen spiegelbildlich zur bereits oben abstrakt skizzierten Prüfungsagenda –179 das folgende Arbeitsprogramm mit sich: Nach einer näheren Befassung mit seinem Regulierungsprofil (unter I.) ist aufzuzeigen, dass mit dem Lotteriemonopol unzweifelhaft eine Beschneidung grundfreiheitlicher Schutzgehalte einhergeht, die aber einer grundsätzlichen Rechtfertigung zugänglich ist (unter II.). Sind damit die Grundvoraussetzungen zur Entfaltung der Kohärenzkontrolle erfüllt, gilt es unter Fruchtbarmachung der im vorangegangenen Teil entwickelten Bewertungsmaßstäbe in die Kohärenzabwägung – das „Herzstück“ der Kohärenzkontrolle – einzutreten: Sowohl aus einem horizontal-sektorenspezifischen (unter III. 1.) als auch vertikal-sektorenübergreifenden (unter III. 2.) Betrachtungswinkel soll untersucht werden, ob das Lotteriemonopol den Anforderungen des Kohärenzgebots standhält. In einem das Kapitel abschließenden Fazit sind die so gewonnenen Erkenntnisse zusammenzuführen (unter IV.).

I. Regulierungsprofil des Lotteriemonopols Seit Mitte des Jahres 2012 erfahren Lotterien ihre normtextliche Umgehung im Schwerpunkt durch den GlüÄndStV sowie die hierzu beschlossenen Ausführungsgesetze180 der Länder.

178  Instruktiv zu den lotteriegeschichtlichen Zusammenhängen in Deutschland Ohlmann, ZfWG 2007, S. 201 (201 ff.); Rombach, in: Gebhard/Grüsser-Sinopoli, Glücksspiel in Deutschland, § 23 (Rn. 16 ff.). 179  Siehe dazu oben Teil 3, B., III., 3., a). 180  Da sich die 16 Gesetzestexte im Lotteriebereich nicht wesentlich unterscheiden, soll im Folgenden exemplarisch das nordrhein-westfälische Ausführungsdekret zur Untersuchung herangezogen werden: „Gesetz zur Ausführung des Glücksspielstaatsvertrages (Ausführungsgesetz NRW Glücksspielstaatsvertrag – AG GlüStV NRW)“ v. 13.12.2012, GVBl NRW 2012, S. 523 ff.



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 191

1. Rechtsgrundlage und konkreter Umfang des Monopols Zum vergleichsweise engmaschigen Netz der lotteriebezogenen Ausnormierung rechnet zunächst die weichenstellende und bereits in den Vorläuferstaatsverträgen fixierte181 Zentralvorschrift des § 10 Abs. 1 S. 1 GlüÄnStV, wonach die Länder zur Erreichung der staatsvertraglichen Ziele ein ausreichendes Glücksspielangebot sicherzustellen haben. Hierin manifestiert sich die Grundsatzentscheidung zugunsten eines auf der Ebene aller 16 Länder182 angesiedelten Staatsvorbehalts – und nicht etwa eines „Bundesstaatsvorbehalts“ – für die Veranstaltung bestimmter Glücksspielarten.183 a) Das Lotteriemonopol als Grundsatzentscheidung Dass als Grundregel auch die Durchführung von Lotterieveranstaltungen diesem Staatsvorbehalt unterfällt, erschließt sich weiter aus den zum GlüÄndStV ergangenen Ausführungsdekreten, wie exemplarisch § 2 Abs. 1 AG GlüStV NRW illustriert: „Das Land Nordrhein-Westfalen ist zur Sicherstellung eines ausreichenden Glücksspielangebots befugt, innerhalb seines Staatsgebietes Lotterien und Sportwetten gemäß § 10 Absatz 1 Glücksspielstaatsvertrag zu veranstalten und durchzuführen“.184 Ausweislich § 10 Abs. 2 GlüÄndStV können die Länder „diese öffentliche Aufgabe selbst, durch eine von allen Vertragsländern gemeinsam geführte öffentliche Anstalt, durch juristische Personen des öffentlichen Rechts oder durch privatrechtliche Gesellschaften, an denen juristische Personen des öffentlichen Rechts unmittelbar oder mittelbar maßgeblich beteiligt sind, erfüllen“. In der Staatspraxis unterhalten die Länder zu diesem Zwecke mit wenigen Ausnahmen Gesellschaften des Privatrechts185, deren Anteile unmittelbar oder mittelbar – z. B.

181  Vgl.

§ 5 LottStV und § 10 GlüStV. einem bundesstaatlichen Blickwinkel ließe sich insofern eher von einem Oligopol sprechen; nach h. M. im Schrifttum handelt es sich bei den Staatsvorbehalten um Verwaltungsmonopole und nicht um Finanzmonopole der Länder, vgl. Jahndorf, VerwArch 2004, S. 359 (365 ff.). 183  Dietlein/Postel, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, §  10 GlüStV (Rn. 1). 184  Zu den gleichsinnigen – und zum Teil gleichlautenden – Parallelvorschriften in den übrigen Bundesländern siehe die Zusammenstellung bei Dietlein/Postel, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 10 GlüStV. 185  Die einzelnen Landesgesellschaften haben ganz überwiegend die Rechtsform der GmbH gewählt; siehe insoweit die Auflistung bei Salaw-Hanslmaier/Brunner, ZfWG 2012, S. 240 (242). Allein das Land Berlin hält sein Lotterieangebot im Gewand einer Anstalt des öffentlichen Rechts („Deutsche Klassenlotterie Berlin“) bereit. Im Freistaat Bayern liegt die Veranstaltung und Organisation von Lotterien bei der im 182  Aus

192 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

über Landesbanken – im Eigentum der Länder stehen.186 Das auf diese Weise monopolisierte Produktportfolio ist breit gestreut und erfasst eine Fülle von Einzelspielvarianten, von denen „Lotto 6 aus 49“, „Super 6“, „Spiel 77“ oder die „Glücksspirale“ nur die prominentesten Spielformen bilden.187 Weil sich die Hoheitsgewalt der Bundesländer mitsamt ihrer Monopolinhaber und insbesondere deren Vertriebsbereiche naturgemäß auf das eigene Hoheitsterritorium begrenzt („Regionalitätsprinzip“188), haben sich die Lottounternehmen aller 16 Bundesländer auf Grundlage des sog. Blockvertrages im Deutschen Lotto- und Totoblock (DLTB) institutionalisiert. Die als BGBGesellschaft verfasste Poolgemeinschaft ist Ausdruck eines kooperativen Lotterieföderalismus189 und gewährleistet vor allem länderübergreifend homogene Veranstaltungsmodalitäten sowie eine gemeinsame Jackpot- und Quotenbildung.190 Damit wird zwar ein bundeseinheitliches Spielangebot der monopolisierten Landeslotterien geschaffen, jedoch kein „Bundeslotto“191; Veranstalter bleiben allein die jeweiligen Landesinstitutionen.192 Die vom DLTB aus Spieleinsätzen generierten Einnahmen fließen nach gewissen Abzügen auf Basis staatsvertraglicher Vereinbarungen193 den jeweiligen Landeslotteriegesellschaften zu, die ihrerseits verpflichtet sind, in nicht unerheblichem Umfang Konzessions- und Zweckabgaben194 an ihre Trägerländer abzuführen. Eine althergebrachte Sonderstellung innerhalb des monopolisierten Lotteriesegments genießen unterdessen die gemäß § 10 Abs. 3 GlüÄndStV ebenfalls im Grundsatz einem veranstaltungsbezogenen Ausschließlichkeitsrecht der Länder unterfallenden Klassenlotterien195. Als Veranstalter operiert hier seit Inkrafttreten des GlüÄndStV (vgl. § 31 Abs. 2 GlüÄndStV) vor allem Geschäftsbereich des bayrischen Finanzministeriums angesiedelten staatlichen Lotterieverwaltung. 186  Der Übersicht halber werden diese Einrichtungen nachfolgend einheitlich als „Monopolinhaber“ oder „Lotteriegesellschaften“ bezeichnet. 187  Siehe zu den Spielmodalitäten der angebotenen Lotterievarianten im Einzelnen Westdeutsche Lotterie GmbH & Co. OHG, Geschäftsbericht 2013, S. 48 ff. 188  Dazu instruktiv Uwer, NJW 2006, S. 3257 (3257 ff.). 189  Vgl. hierzu Zacher, BayVBl 1971, S. 375 (378). 190  Ausführlich zum Ganzen Jarass ZfWG 2013, S. 1 (1 ff.); Ohlmann, WRP 1998, S.  1043 (1050 ff.). 191  OLG Stuttgart, Az. 2 Ss 583/61, ZfWG 2007, S. 17 (17). 192  Vgl. hierzu eingehend Ohlmann, ZRP 2002, S. 354 (355). 193  Siehe hierzu den „Staatsvertrag über die Regionalisierung von Teilen der von den Unternehmen des Deutschen Lotto- und Totoblocks erzielten Einnahmen“ v. 18.12.2003, GVBl NRW 2003, S. 315 ff. 194  Vgl. zu Art und Umfang der Konzessions- und Zweckabgaben beispielhaft Westdeutsche Lotterie GmbH & Co. OHG, Geschäftsbericht 2013, S. 45. 195  Hierzu instruktiv Rombach, in: Gebhard/Grüsser-Sinopoli, Glücksspiel in Deutschland, § 23 (Rn. 1 ff.).



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 193

die von allen Ländern getragene und auf der Rechtsgrundlage eines gesonderten Staatsvertrages196 errichtete Anstalt „Gemeinsame Klassenlotterie der Länder“ (GKL). b) Ausnahmen vom Monopolgrundsatz Wie soeben angeklungen führt das Monopolregime nicht dazu, dass der Lotteriesektor privaten Marktteilnehmern in Gänze entzogen wäre. In Rekurs auf seinen Vorgänger überlässt auch das neue Vertragswerk privaten Wettbewerbern ein beschränktes Tätigkeitsfeld. So können die Bundesländer in partieller Durchbrechung ihrer Monopolstellung unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 6 i. V. m. §§ 12 ff. GlüÄndStV Erlaubnisse zur Veranstaltung sog. Lotterien mit geringem Gefährdungspotenzial an private, insbesondere gemeinnützige Zwecke verfolgende (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 GlüÄndStV) Lotterieanbieter erteilen. Wie sich aus einem Umkehrschluss aus § 13 und § 22 GlüÄnStV ergibt, handelt es sich bei dieser Untergattung um solche Lotterien, die keine planmäßige Jackpotbildung vorsehen, deren Gewinn die Grenze von 2 Mio. Euro nicht übersteigt und die nicht häufiger als zweimal wöchentlich veranstaltet werden. Zur Kategorie der geringgefährlichen Lotterien rechnen in der Praxis insbesondere Soziallotterien (z. B. die Klassenlotterie „Aktion Mensch“) sowie Lotterie- oder Gewinnsparen bei Banken oder Versicherungen.197 Auch in Bezug auf sog. Kleine Lotterien sind die Länder § 18 GlüÄndStV zufolge befugt, eine umfassende Marktfreigabe zu beschließen. Nach Maßgabe des in § 14 AG GlüStV NRW verankerten Zulassungstatbestandes kann etwa die Erlaubnis zur Durchführung einer Kleinlotterie in Nordrhein-Westfalen für solche Veranstaltungen erteilt werden, „1. die sich nicht über das Gebiet einer kreisfreien Stadt oder eines Kreises hinaus erstrecken, 2. bei denen der Gesamtpreis der Lose den Wert von 40 000 Euro nicht übersteigt und 3. bei denen der Losverkauf die Dauer von drei Monaten nicht überschreitet“. Gemeint sind hiermit vor allem auf lokaler oder regionaler Ebene angesiedelte gemeinnützige Lotterien, wofür die Veranstaltung einer Tombola durch die Kirchengemeinde zwecks Gelderaquise für die Kirchturmsanierung beispielgebend ist.198 Außerhalb der vorgetragenen Sondergruppen – das sei nochmals klargestellt – bleibt die Durchführung von Lotteriever­ anstaltungen ausschließlich den Ländern vorbehalten. 196  „Staatsvertrag über die Gründung der GKL Gemeinsame Klassenlotterie der Länder“ v. 15.12.2011, abgedr. z. B. im GVBl NRW 2012, S. 386; Das Vertragswerk bestimmt insbesondere die – bereits vollzogene – Fusion der „Nordwestdeutsche Klassenlotterie“ (NKL) und „Süddeutsche Klassenlotterie“ (SKL) zur GKL. 197  Vgl. Schneider, WiVerw 2014, S. 165 (171). 198  So Ennuschat, ZfWG 2008, S. 83 (85).

194 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

2. Vertriebsstruktur Was die Vertriebsmöglichkeiten hinsichtlich der unter den staatsvertraglichen Anwendungsbereich fallenden Glücksspiele anbetrifft, so folgt der GlüÄndStV – darauf wurde bereits oben hingewiesen – generell einem im Vergleich zur Konzeption des Vorgängerstaatsvertrages liberaleren Regulierungsansatz, der sich im Besonderen auch auf die Absatzmodalitäten der monopolisierten Lotterieangebote auswirkt. Die vollzogene Akzentverschiebung manifestiert sich anschaulich in den Bestimmungen zum internetbasierten Vertrieb von Lotterieprodukten, der zwar als Regelfall gem. § 4 Abs. 4 GlüÄndStV verboten bleibt, aber ausnahmsweise kraft behördlicher Genehmigung einer Erlaubnisfähigkeit zugänglich ist. Namentlich § 4 Abs. 5 GlüÄndStV gestattet den Ländern den Eigenvertrieb von Lotterien über das Medium Internet, wobei die Erlaubniserteilung unter dem Vorbehalt des Nichtvorliegens der allgemeinen Versagungsgründe des § 4 Abs. 2 GlüÄndStV (Unvereinbarkeit mit den staatsvertraglichen Zielsetzungen des § 1) sowie unter der Bedingung der Erfüllung einer Reihe spezifischer Erteilungsvoraussetzungen zu Art und Zuschnitt des Internetangebots nach § 4 Abs. 5 GlüÄndStV steht. Über die neu eingeräumte Nutzungsmöglichkeit der Vertriebsplattform Internet hinaus können die Landeslotterieveranstalter zum Absatz ihrer Lotterieprodukte auf ein engmaschiges Netz von stationären, zum Großteil in Sortimentgeschäften (z. B. Tabak- und Schreibwarengeschäfte) angesiedelten Annahmestellen einerseits sowie auf sog. Lotterieeinnehmer andererseits zurückgreifen. Gemäß § 3 Abs. 5 GlüÄndStV sind Annahmestellen und Lotterieeinnehmer durch privatrechtliche Verträge199 in die Vertriebsorganisation der Landeslotterieveranstalter eingegliederte Vermittler, wobei sich – wie § 6 Abs. 2 AG GlüStV NRW exemplarisch bestimmt – die Vermittlungstätigkeit der Lotterieeinnehmer auf den Vertrieb der Produkte der Gemeinsamen Klassenlotterie der Länder beschränkt.200 Eine letzte Säule im Vertriebssystem der Monopolinhaber bildet schließlich die sog. gewerbliche Spielvermittlung. Eine solche betreibt per definitio­ nem des § 3 Abs. 6 GlüÄndStV, „wer, ohne Annahmestelle, Lotterieeinnehmer oder Wettvermittlungsstelle zu sein, 1. einzelne Spielverträge an einen Veranstalter vermittelt oder 2. Spielinteressenten zu Spielgemeinschaften zusammenführt und deren Spielbeteiligung dem Veranstalter – selbst oder über Dritte – vermittelt, sofern dies jeweils in der Absicht geschieht, durch 199  Vgl. zum Rechtsverhältnis im Einzelnen Salaw-Hanslmaier/Brunner, ZfWG 2012, S. 240 (241 ff.). 200  Hierzu Rombach, in: Gebhard/Grüsser-Sinopoli, Glücksspiel in Deutschland, § 23 (Rn. 28 ff.).



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 195

diese Tätigkeit nachhaltig Gewinn zu erzielen“.201 Dementsprechend leiten gewerbliche Spielvermittler – wofür die FABER Lotto Verwaltungs GmbH mit Sitz in Bochum beispielgebend ist – gegen eine Provision die von ihnen – auch via Internet202 – akquirierten Spielverträge an die jeweiligen Lottounternehmen der Länder weiter. In grundlegender Abgrenzung zu den Annahmestellen und Lotterieeinnehmern sind gewerbliche Spielvermittler also nicht in die Vertriebsorganisation der Monopolveranstalter eingebunden, sondern agieren weitgehend selbstständig.203 Nicht zuletzt aufgrund dieser wirtschaftlichen Autonomie statuiert der GlüÄndStV in seinem §  19 GlüÄndStV spezifische Anforderungen an ihre – im Übrigen freilich nach § 19 Abs. 1 i. V. m. § 4 GlüÄndStV erlaubnisbedürftige204 – Geschäftstätigkeit. So verpflichtet etwa § 19 Abs. 1 Nr. 2 GlüÄndStV die gewerblichen Spielvermittler dazu, bei jeder Spielteilnahme dem Veranstalter die Vermittlung offen zu legen, während § 19 Abs. 1 Nr. 3 GlüÄndStV beispielsweise anordnet, dass von Spielern nicht eingeforderte Gewinne an den Veranstalter zurückzuzahlen sind. 3. Werbung Die Maßstäbe und Grenzen des zulässigen Werbeverhaltens erschließen sich für die Monopolanbieter ebenso wie für deren Vermittler aus § 5 GlüÄndStV. Dessen Abs. 1 gebietet Art und Umfang der Werbung an den staatsvertraglichen Zielen des § 1 GlüÄndStV auszurichten. Ausnahmslos verboten bleibt nach § 5 Abs. 2 GlüÄndStV eine irreführende oder Minderjährige bzw. andere gefährdete Gruppen adressierende Werbung. Für die Reichweite und Grenzen des zulässigen Werbeverhaltens im Internet gilt ein ähnliches Regulierungsmuster wie im Kontext des Internetvertriebs: Die Bewerbung des Lotterieangebots im Internet bleibt – ebenso wie im Fernsehen – nach § 5 Abs. 3 S. 1 GlüÄndStV im Grundsatz verboten, doch sind die Länder ausweislich der in § 5 Abs. 3 S. 2 GlüÄndStV verankerten und als Ausnahmentatbestand konzipierten Öffnungsklausel ermächtigt, ihren Monopolakteuren – sowie im Übrigen auch gewerblichen Spiel201  Näher zu den Eigenschaften eines gewerblichen Spielvermittlers OVG Koblenz, Az. 6 A 10562/14, DÖV 2015, S. 165 (Rn. 35 ff.). 202  Die grundsätzliche Erlaubnisfähigkeit des internetbasierten Lotterievertriebs ergibt sich für gewerbliche Spielvermittler aus §§ 19 Abs. 1 i.  V.  m. § 4 Abs. 5 GlüÄndStV i. V. m. den jeweiligen ausführungsgesetzlichen Vorschriften der Länder (z. B. § 7 GlüStV NRW). 203  Siehe näher dazu Dietlein/Hüsken, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 3 GlüStV (Rn. 20); Dörr, DVBl 2010, S. 69 (69 ff.). 204  Zur konkreten Ausgestaltung der „Grunderlaubnis“ sowie der „Interneterlaubnis“ Jarass, ZfWG 2013, S. 1 (2 ff.).

196 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

vermittlern (vgl. Art. 19 Abs. 1 i. V. m. § 5 Abs. 3 S. 2 GlüÄndStV) – zur „besseren Erreichung der Ziele des § 1 GlüÄndStV“ die Nutzung der Werbekanäle Internet und Fernsehen einzuräumen. Im Blick auf die allgemein bis unbestimmt gehaltene Form der staatsvertraglichen Werberegelungen enthält eine auf Grundlage des § 5 Abs. 4 GlüÄndStV im Jahr 2013 durch das neu konstituierte Glücksspielkollegium der Länder (§ 9a Abs. 6 GlüÄndStV) erlassene Werberichtlinie (WerbRL)205 präzisierende Direktiven zu Art und Umfang zulässiger Werbepraxis.206 So normiert etwa § 5 S. 1 WerbRL, dass der werbende (Lotterie-)Veranstalter unter „Berücksichtigung des spezifischen Gefährdungspotenzials des beworbenen Glücksspielprodukts auf das Spielangebot aufmerksam machen und das Glücksspiel so attraktiv anbieten [darf], dass es nach Art und Ausgestaltung geeignet ist, die Teilnehmer von unerlaubten Angeboten fernzuhalten“. Darauf aufbauend ordnet § 5 S. 1 Nr. 1 WerbRL näher an, dass hierbei zu differenzieren ist zwischen „Lotterien, die nicht häufiger als zweimal wöchentlich veranstaltet werden und Lotterien im Sinne des Dritten Abschnitts des Glücksspielstaatsvertrages“, also solchen mit geringem Gefährdungspotenzial. Weiter heißt es wörtlich: „Für Lotterien, die nicht häufiger als zweimal wöchentlich veranstaltet werden, sowie für Lotterien im Sinne des Dritten Abschnitts des Glücksspielstaatsvertrages darf nach Maßgabe der §§ 3 und 4 im für eine gesicherte Wahrnehmung notwendigen Umfang attraktiv geworben werden. Bei der Werbung kann der gemeinnützige Charakter der Lotterien im Sinne des Dritten Abschnitts des Glücksspielstaatsvertrages in den Vordergrund gestellt werden“.

II. Kohärenzbezogene Vorprüfung Nachdem im Ausgangspunkt der Kohärenzuntersuchung das wesentliche Regulierungsterrain des Betrachtungsgegenstandes vermessen wurde, gilt es nun in einem nächsten Schritt auszuleuchten, ob die Vorbedingungen zur Vollführung der Kohärenzkontrolle erfüllt sind. Denn, wie schon im vorhergehenden Teil dieser Arbeit mehrfach referiert,207 verkörpert das Kohärenzerfordernis ein in das Gefüge der grundfreiheitlichen Rechtfertigungsprüfung einzuspannendes Unionsgebot, das im Konkreten bei der Frage nach der Verhältnismäßigkeit der beschränkenden Glücksspielmaßnahme zur Anwendung gelangt. Aufgestoßen wird das Tor zur Kohärenzbetrachtung somit nur 205  „Werberichtlinie gemäß § 5 Abs. 4 S. 1 GlüStV“ v. 07.12.2012, abgedr. etwa im MBl NRW 2013, S. 37 ff. 206  Siehe im Einzelnen zur Werberichtlinie Becker, ZfWG 2012, S. 229 (237); Fried, MMR 2013, S. 483 (483 ff.); Viniol /Hofmann, MMR 2013, S. 434 (434 ff.). 207  Vgl. schon die Ausführungen oben Teil 3, B., II., 5.



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 197

unter der Prämisse, dass die einer Kohärenzprüfung vorausliegenden Punkte auf der grundfreiheitlichen Prüfungsagenda abgearbeitet sind. 1. Beschränkung grundfreiheitlicher Schutzgehalte Hierzu bedarf es zunächst der kurzen Erläuterung, ob und inwieweit mit der angegriffenen Glücksspielmaßnahme eine Beschränkung grundfreiheitlicher Schutzgehalte einhergeht. Vorliegend statuiert § 10 Abs. 1 GlüÄndStV – formal gesehen in Verbindung mit den das Vertragswerk ratifizierenden Landesgesetzen – ein Ausschließlichkeitsrecht der Länder zur Durchführung der vorgenannten Lotterieveranstaltungen. Allen anderen Marktteilnehmern – einschließlich der in anderen Mitgliedstaaten ansässigen – ist es folglich gleichermaßen untersagt, im Hoheitsgebiet der Bundesländer die einschlägigen Lotterien zu veranstalten. Da die Veranstaltung von Lotterien bekanntlich vollauf als wirtschaftliche und insbesondere dienstleistende Tätigkeit im Sinne der Grundfreiheitsdogmatik anzusehen ist,208 entfalten die – wegen ihres unterschiedslosen Geltungsanspruchs sowohl für Inländer als auch EUAusländer209 – insoweit nichtdiskriminierenden Monopolvorschriften210 gegenüber EU-Wirtschaftsteilnehmern zweifelsohne eine beschränkende Wirkung, die je nach Sachverhaltskonstellation entweder das Schutzregime der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV ff.) oder das der Dienstleistungsfreiheit (Art. 57 ff. EUV) aktiviert.211 2. Grundsätzliche Rechtfertigungsfähigkeit – Zieldefinition Im weiteren Gang der grundfreiheitlichen Prüfungsabfolge begegnet bekanntermaßen die Frage nach der prinzipiellen Rechtfertigungsfähigkeit der mit einer Monopolbestimmung verbundenen Grundfreiheitsbeschränkung. Wie bereits an anderer Stelle eingehend dargelegt,212 hat der EuGH für den Glücksspielbereich eine Fülle eingriffslegitimierender, von einem Mitgliedstaat zulasten der Grundfreiheiten verfolgbarer Regulierungsmotive im Sinne der „zwingenden Gründen des Allgemeinwohls“ akzeptiert, die sich zu schon EuGH, Rs. C-275/92, NJW 1994, S. 2013 (Rn. 31) – Schindler. deutsche Glücksspielregulierung erfolgte im Übrigen bislang stets – wie auch in allen anderen Mitgliedstaaten – in nichtdiskriminierender Weise, vgl. Schmahl, in: Müller-Graff/Schmahl/Skouris, FS-Scheuing, S. 671 (680). 210  Vgl. zur anerkannten Beschränkungsform des Glücksspielmonopols schon oben Teil 2, B., III., 4., c), aa). 211  Siehe konkret zur Beschränkungsqualität von Monopolvorschriften auf dem Lotteriesektor EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 16) – Ladbrokes. 212  Vgl. dazu die Ausführungen oben Teil 2, B., III., 3., b). 208  So

209  Die

198 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

den übergeordneten Hauptanliegen einerseits der Spielsuchtbekämpfung und andererseits der Kriminalitätsabwehr pauschalieren lassen. Zu klären gilt es damit, von welchen gesetzgeberischen Intentionen die lotteriebezogenen Monopolvorschriften getragen werden und ob sich in ihnen unionslegitime Regulierungsinteressen widerspiegeln. Als Regelungsgegenstand des GlüÄndStV respektive seiner Ausführungsdekrete untersteht auch das Lotterieveranstaltungsmonopol dem in § 1 GlüÄndStV normierten Zielkatalog.213 Nach Maßgabe der Bestimmung verfolgen die Landesgesetzgeber mit dem Lotteriestaatsvorbehalt also die – im neuen Staatsvertag erstmals explizit als „gleichrangig“ bezeichneten – Zielsetzungen „1. das Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht zu verhindern und die Voraussetzungen für eine wirksame Spielsuchtbekämpfung zu schaffen, 2. durch ein begrenztes, eine geeignete Alternative zum nicht erlaubten Glücksspiel darstellendes Glücksspielangebot den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken sowie der Entwicklung und Ausbreitung von unerlaubten Glücksspielen in Schwarzmärkten entgegenzuwirken, 3. den Jugend- und den Spielerschutz zu gewährleisten, 4. sicherzustellen, dass Glücksspiele ordnungsgemäß durchgeführt, die Spieler vor betrügerischen Machenschaften geschützt und die mit Glücksspielen verbundene Folge- und Begleitkriminalität einschließlich der Geldwäsche abgewehrt werden, 5. den Gefahren für die Integrität des sportlichen Wettbewerbs bei der Veranstaltung und dem Vertrieb von Sportwetten vorzubeugen sowie 6. einen sicheren und transparenten Spielbetrieb zu gewährleisten“.214 Dem Lotteriemonopol zugrunde liegt vor dem Hintergrund des § 1 GlüÄndStV damit nicht nur ein einzelnes Anliegen, sondern ein aus insgesamt fünf Einzelanliegen modelliertes Zielkonglomerat.215 Wenngleich unter rechtsformaler Hinsicht die staatsvertraglichen Zielsetzungen ersichtlich eigenständig nebeneinander stehen, so lassen sie doch – materiell besehen – ihre Entfächerung in zwei übergeordnete Generalanliegen zu. In concreto handelt es sich dabei um das Globalziel der Spielsuchtbekämpfung einerseits und das der Kriminalitätsbekämpfung andererseits. 213  Die identischen Zielbestimmungen finden sich im Übrigen sämtlichst in den jeweiligen Ausführungsgesetzen der Länder, vgl. nur § 1 AG GlüStV NRW. 214  Im Vergleich zum GlüStV unterscheiden sich diese Zielsetzungen nur dadurch, dass nunmehr zusätzlich die Bekämpfung des Schwarzmarktes (§ 1 Nr. 2 a.  E. GlüÄndStV) sowie – insbesondere als eine Reaktion auf die einschlägigen Wettskandale – der Schutz der Integrität des Sports (§ 1 Nr. 5 GlüÄndStV) aufgenommen wurde, wobei letzteres Anliegen für die Kohärenzbeurteilung des Lotteriemonopols naturgemäß nicht relevant ist. 215  Vgl. amtl. Erläuterung zum GlüÄndStV, LT-Drs. BW 15/1570, S. 62.



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 199

Dem letztgenannten Fundamentalanliegen unterfallen insoweit die in § 1 Nr. 4, 5 und 6 GlüÄndStV definierten Zielsetzungen, welche unter Benennung möglicher Einzelausprägungen („betrügerische Machenschaften“, „Geldwäsche“) die dem Glücksspiel inhärenten Kriminalitätsgefahren lediglich illustrieren.216 Dem Grundanliegen der Spielsuchtbekämpfung – wie es in genereller Form durch § 1 Nr. 1 GlüÄndStV zum Ausdruck gelangt – zuordbar sind demgegenüber die in § 1 Nr. 2 und 3 GlüÄndStV formulierten Zielbestimmungen; denn während sich in § 1 Nr. 2 GlüÄndStV die essenziellen Mittel zur Realisierung der Spielsuchtprävention – namentlich die Begrenzung und Kanalisierung217 des Glücksspielangebots – widerspiegeln,218 adressiert § 1 Nr. 2 GlüÄndStV letztlich nur besondere Gruppen des Präventionsziels. Ausgehend von der EuGH-Glücksspieljudikatur passieren – und zwar sowohl für sich betrachtet als auch in ihrer Gesamtheit gewürdigt – im Ergebnis somit alle die das Lotteriemonopol kumulativ sucht- wie kriminalpräventiv tragenden Einzelanliegen zweifelsohne den Test der „zwingenden Gründe des Allgemeinwohls“,219 wodurch der mit dem Staatsvorbehalt verbundene Grundfreiheitseingriff seinerseits einer Rechtfertigung über die Verhältnismäßigkeitsprüfung zugänglich ist.

III. Kohärenzabwägung Als Bestandteil der Verhältnismäßigkeitsprüfung, genauer: als Subprinzip des Geeignetheitsgebots, markiert der funktionale Primärbezugspunkt des Kohärenzpostulats bekanntermaßen die Erforschung der zielbezogenen Wirksamkeit einer grundfreiheitsbeschränkenden Glücksspielregelung und zwar mittels der Vollführung eines sowohl aus der vertikalen als auch der horizontalen Perspektive vorgenommenen „Panoramablicks“ auf den regulativen Kontext der Maßnahme. Um den dahingehenden Kohärenzanforderungen gerecht zu werden, muss die fragliche Regelung in der Lage sein, den ihr zugeschriebenen Zweck trotz der auf sie einwirkenden Parallel- und Wechselwirkungen wirksam zu verfolgen. Der Bruchpunkt zur praktischen Unwirksamkeit – und damit gleichsam zum Verdikt der Inkohärenz – ist 216  So zutreffend auch Hartmann, in: Hartmann/Pieroth, Spielbanken und Spielhallen, S. 95 (127). 217  Die Kanalisierung kann freilich ohne Problem auch als Mittel zur Verwirk­ lichung der Kriminalitätsprävention aufgefasst werden. 218  Vgl. Dietlein/Hüsken, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 1 GlüStV (Rn. 12). 219  Vgl. nur Heseler, Glücksspielregulierung, S. 411  f.; Rossi, VerwArch 2013, S. 283 (305).

200 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

nach dem zuvor Gesagten erst dann als übertreten anzusehen, wenn die inkriminierte Glücksspielnorm durch ihr normativ-faktisches Umfeld in ihrer Zielverwirklichung solchermaßen konterkariert wird, dass sie einer praktischen Funktionstauglichkeit verfällt; unter Berücksichtigung dessen mündet die Kohärenzanalyse letztlich in der Frage, ob die angegriffene Regelung mit einer gewissen Nachhaltigkeit und Evidenz nicht mehr dazu beitragen kann, ihr anvisiertes Ziel zu verwirklichen. In Anwendung dieser Maßstäbe auf das hier konkret in die Kohärenzbeurteilung eingespannte Lotteriemonopol gilt es mithin im Rahmen einer Abwägung zu untersuchen, ob der Staatsvorbehalt mit Blick auf sein engeres („vertikale Einzelkohärenz“) und weiteres („horizontale Gesamtkohärenz“) normativ-faktisches Umfeld seiner Tauglichkeit zur Erreichung der mit ihm angestrebten Zielsetzungen – so namentlich der Spielsuchtprävention und Kriminalitätsbekämpfung – evident beraubt wird. Die Abwägungsfrage, ob und inwieweit das Lotteriemonopol imstande ist, die von ihm verfolgten Ziele tauglich, d. h. praktisch wirksam, zu realisieren, ist unterdessen im Wesentlichen auf Basis einer weit ausgreifenden, empirischen Wirkungsanalyse zu beantworten, die insbesondere eine retroperspektivische Aufarbeitung der tatsächlichen Entwicklung auf dem Glücksspielmarkt („retrospektive Gesetzesfolgenabschätzung“220) – vor allem die Lotteriesparte betreffend – seit Inkrafttreten des GlüÄndStV Mitte des Jahres 2012 notwendig macht.221 Im Folgenden kann es nicht darum gehen, ein abschließendes Votum über die Kohärenz bzw. Inkohärenz der Monopolregelungen zu fällen. Wohl aber können unter Heranziehung anderweitiger Marktdaten und auf Grundlage einer Wirklichkeitsbetrachtung kohärenzbezogene Angriffspunkte in Gestalt möglicher Funktionsdefizite benannt werden, die vorsichtige Prognosen zur unionsrechtskonformen Ausgestaltung des lotteriebezogenen Staatsvorbehalts erlauben. 1. Vertikale Kohärenzbetrachtung Den perspektivischen Anknüpfungspunkt für kritische Anfragen an die kohärenzspezifische Wirksamkeit des Lotteriemonopols („Kohärenzkontext“) markiert zunächst ein vertikaler, also ein ausschließlich das lotteriebezogene Regulierungsprogramm fokussierender Blickwinkel.

220  Thiel, 221  Vgl.

in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 32 GlüStV (Rn. 1). hierzu Seckelmann, ZfWG 2018, 523 ff.



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 201

a) Einschlägiger Bewertungsmaßstab nach der EuGH-Rechtsprechung Verfolgt ein (Landes-)Gesetzgeber mit der Unterhaltung eines Glücksspielmonopols – so wie mit dem hier interessierenden Lotteriemonopol – ebenso das Anliegen der Spielsuchtprävention wie auch das Ziel der Kriminalitätsbekämpfung („Zieldualität“), so trägt – entsprechend der oben vorgenommenen Kategorisierung nach bestimmten Widerspruchstypen – aus Sicht des EuGH die mit dem Monopol verbundene Regulierung zu einer kohärenten und damit tauglichen Zielverwirklichung bei, soweit „das richtige Gleichgewicht gefunden [wird] zwischen dem Erfordernis einer kontrollierten Expansion der zugelassenen Glücksspiele, um das Glücksspielangebot für die Öffentlichkeit attraktiv zu machen, und der Notwendigkeit, die Spielsucht der Verbraucher so weit wie möglich zu verringern“222. Kennzeichnend für den insofern eingeforderten „goldenen Mittelweg“ ist also die Herstellung eines möglichst „schonenden Ausgleichs“223 der unterschiedlichen Belange, der sich in der Praxis in einem sowohl aus Elementen der Angebotsexpansion als auch solchen der Spielsuchtprävention224 bestehenden Regulierungsmix ausprägt. Der Schlüssel zur Kohärenz des Lotteriemonopols liegt mit anderen Worten darin, dass die hierauf bezogenen Regulierungselemente einerseits mit expansionistischer und andererseits mit suchtpräventiver Prägung in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Bei der Vornahme der insoweit gebotenen Gesamtbetrachtung225 lässt sich indes zwischen den Betrachtungsebenen einerseits des normativen Rahmens und andererseits der hierauf bezogenen Anwendungspraxis unterscheiden.226 Denn wie in dieser Arbeit bereits mehrfach hervorgehoben wurde, übt nicht nur das normative System entscheidenden Einfluss auf die kohärenzbezogene Funktionstauglichkeit eines Glücksspielmonopols aus; ein weiterer Fluchtpunkt der (vertikalen) Kohärenzbetrachtung markiert unter dem Aspekt der „tatsächlichen Kohärenz“227 gleichfalls die auf dem vorhandenen Regularium fußenden „konkreten Anwendungsmodalitäten“228, womit das faktische Ver222  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 32) – Ladbrokes; ganz ähnlich EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 63) – Dickinger/Ömer. 223  So Keber, ZfWG 2011, S. 83 (88). 224  Der Begriff „Spielsuchtprävention“ soll hier in einem inhaltlich umfassenden Sinne verstanden werden und erfasst neben dem (präventiven) Bemühen um die Vermeidung der Entstehung von Spielsucht auch das (repressive) Bemühen um die Eindämmung und Bekämpfung bereits bestehender Spielsucht. 225  Ennuschat, ZfWG 2011, S. 153 (157). 226  Vgl. hierzu die Ausführungen oben Teil 3, B., II., 3). 227  Hambach, K&R 2014, S. 570 (574). 228  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 98) – Stoß u. a.; EuGH, Rs. C-46/08, NVwZ 2010, S. 1422 (Rn. 65) – Carmen Media.

202 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

halten der staatlichen Glücksspielakteure am Markt in Bezug genommen wird. Im hiesigen Kontext betrifft dies zum einen die Tätigkeit der im Verständnis des EU-Rechts als öffentliche Unternehmen der öffentlichen Hand zurechenbaren229 Lotterie-Monopolinhaber der Länder230 – ihrerseits gesamtstaatlich repräsentiert durch den Deutschen Lotto- und Totoblock (DLTB) – und zum anderen das auf die Monopolinhaber bezogene Vollzugsverhalten der Glücksspielaufsicht.231 b) Wesentliche Regulierungselemente der Angebotsexpansion Aus der oben gelieferten Bestandsaufnahme zum lotteriebezogenen Regulierungsprofil lassen sich im Einzelnen die folgenden Elemente mit expansionistischer Prägung herausfiltern. aa) Normative Ebene Auf normativer Ebene rechnet hierzu zunächst die auf Grundlage des § 22 Abs. 1 S. 3 GlüÄndStV zugunsten der Monopolinhaber neu geschaffene Möglichkeit, Lotterien mit einem planmäßigen Jackpot auch grenzüberschreitend in Kooperation mit ausländischen Anbietern zu veranstalten („Eurojackpot“). Ebenfalls im Zeichen einer expansiven Angebotspolitik steht die mit Inkrafttreten des GlüÄndStV vollzogene (Wieder-)Öffnung des Internets für den Eigenvertrieb der Monopolakteure (§ 4 Abs. 5 GlüÄndStV) bzw. deren Vermittler. Mit diesem expansionistischen Distributionsansatz korrespondiert das novellierte Werberegime: An die Stelle des noch im Vorläuferstaatsvertrag fixierten strikten Internet- und Fernsehwerbeverbots setzt das neue Vertragswerk eine Öffnungsklausel, die den Inhabern des Monopols den Zugriff auf das Werbemedium Internet ermöglicht (§  5 Abs.  3 GlüÄndStV). Auch die von einem rigiden Gebot der Sachlichkeit geprägten Werberestriktionen des GlüStV, nach deren Maßgaben sich Werbung lediglich auf Information und Aufklärung zu beschränken hatte,232 wurden im 229  Aufgrund ihrer unmittelbaren oder mittelbaren Beherrschung durch die Länder ist das Verhalten der Monopolinhaber den Ländern als Monopolträger und aus Sicht des Unionsrecht dem „Mitgliedsgesamtstaat“ zurechenbar, vgl. Reichert, in: Höfling/ Horst/Nolte, Sportwetten in Deutschland, S. 67 (76). 230  Vgl. nur EuGH, Rs. C 347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 58) – Dickinger/Ömer. 231  Vgl. Ennuschat, ZfWG 2011, S. 153 (160); EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 37) – Ladbrokes. 232  Vgl. § 5 GlüStV: „Werbung für öffentliches Glücksspiel hat sich zur Vermeidung eines Aufforderungscharakters bei Wahrung des Ziels, legale Glücksspielmöglichkeiten anzubieten, auf eine Information und Aufklärung über die Möglichkeit zum Glücksspiel zu beschränken“.



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 203

neuen Vertragswerk nicht fortgeführt. Zuletzt tragen auch die lotteriebezogenen Regelungsteile der auf Grundlage des § 5 Abs. 4 GlüÄndStV neu geschaffenen Werberichtlinie unverkennbar expansionistische Züge, wofür etwa § 5 S. 1 WerbRL ein Beispiel liefert, wenn dieser bestimmt, dass der werbende (Lotterie-)Veranstalter unter „Berücksichtigung des spezifischen Gefährdungspotenzials des beworbenen Glücksspielprodukts auf das Spiel­ angebot aufmerksam machen und das Glücksspiel so attraktiv anbieten [darf], dass es nach Art und Ausgestaltung geeignet ist, […] die Teilnehmer von unerlaubten Angeboten fernzuhalten“. bb) Anwendungspraxis Was die Umsetzung des expansionistischen Normprogramms in der administrativen und (glücksspiel-)unternehmerischen Praxis anbelangt, so ist zunächst zu konstatieren, dass auf Grundlage des § 22 Abs. 1 S. 3 GlüÄndStV und vor dem Hintergrund des § 9 Abs. 5 GlüÄndStV die Einführung des neuen Lotterieformats „Eurojackpot“ von den Aufsichtsbehörden aller Länder mit der Auflage genehmigt worden ist, deren Auswirkungen wissenschaftlich zu evaluieren. Unter dem Dach des DLTB bieten die Lotteriegesellschaften der Länder den „Eurojackpot“ mittlerweile seit März 2012 an.233 In seiner näheren Ausgestaltung handelt es sich beim „Eurojackpot“ um eine Zahlenlotterie, die in Kooperation mit in mehreren europäischen Staaten ansässigen Glücksspielanbietern angeboten wird und bei der in wöchentlichen Ziehungen jeweils ein gemeinsamer Jackpot in Höhe von mindestens 10 Mio. Euro ausgespielt wird. Nachdem die staatlichen Lotteriegesellschaften Tschechiens und Ungarns im Oktober 2014 zum Beteiligtenkreis hinzugetreten sind, umfasst diese Kooperation nunmehr 16 Veranstalter aus 16 europäi­schen Staaten.234 Im Unterschied zur traditionellen Lotterievariante „6 aus 49“ – an deren Veranstaltung und Vertrieb freilich nur die Monopolveranstalter der 16 Bundesländer beteiligt sind – kann der Eurojackpot mit fünf „Richtigen“ aus einem Feld von 50 Zahlen und zusätzlich zwei richtigen „Eurozahlen“ (2 aus 8) „geknackt“ werden. Die Gewinnwahrscheinlichkeit ist mit ca. 1 zu 59 Mio. hier wesentlich höher als bei „Lotto 6 aus 49“, wo diese bei ca. 1 zu 140 Mio. liegt.235

233  Vgl. hierzu Westdeutsche Lotterie GmbH & Co. OHG, Geschäftsbericht 2013, S. 10, 54. 234  Im Einzelnen handelt es sich um Veranstalter aus den folgenden Staaten: Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Island, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Niederlande, Norwegen, Schweden, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn. 235  Vgl. BZgA, Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland 2013, S. 131.

204 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

Weiterhin zu registrieren ist, dass die Aufsichtsbehörden sämtlicher Länder auf Grundlage des § 4 Abs. 5 GlüÄndStV den jeweiligen Lotteriegesellschaften im Erlaubniswege den internetbasierten Eigen- bzw. Direktvertrieb gestattet haben. Darauf gestützt unterhalten die Monopolinhaber jeweils eigenständige Internetpräsenzen – zum Teil auch Mobile-Apps für mobile Endgeräte („Smartphones“)236 – auf denen sie ausgewählte Lotterieprodukte – insbesondere die Lotterievarianten „6 aus 49“, „Eurojackpot“ und „Glücks­spirale“ – anbieten. Daneben betreiben die Lottogesellschaften aller Bundesländer gemeinschaftlich eine internetbasierte Vertriebsplattform („www.lotto.de“), die Spielinteressenten im gesamten Bundesgebiet eine zentrale, einheitlich gestaltete Anlaufstation zur Platzierung ihrer Spielaufträge bietet.237 Auf stationärer Vertriebsebene hinzu kommen bundesweit rund 26.000 Annahmestellen,238 wo die einschlägigen Lotterieprodukte erhältlich sind. Schließlich vertreiben gegenwärtig insgesamt 23 zugelassene Unternehmen in ihrer Eigenschaft als gewerbliche Spielvermittler (§ 3 Abs. 6 GlüÄndStV) unter teilweiser Inanspruchnahme von internetbasierten Vertriebserlaubnissen239 entsprechende DLTB-Produkte auf dem Markt.240 In puncto Werbung hat die für die länderübergreifende Erlaubniserteilung zentral zuständige Bezirksregierung Düsseldorf auf Grundlage des § 5 Abs. 3 GlüÄndStV i. V. m. § 14 WerbeRL den DLTB sowie im Übrigen alle einzelnen Monopolinhaber mit zur Durchführung von Fernseh- und Internetwerbung berechtigende Werbeerlaubnisse ausgestattet.241 Darauf gestützt haben die Landeslotteriegesellschaften unter Koordination des DLTB242 (sog. „Dachmarkenstrategie“)243 ihre Werbeaktivitäten seit Inkrafttreten des GlüÄndStV neu ausgerichtet. Wie zuletzt unter Geltung des LottStV – also noch vor dem Jahre 2008 – werden seit Anfang des Jahres 2013 wieder TVWerbespots des DLTB ausgestrahlt, die im Schwerpunkt das Produkt „Lotto 236  Vgl. etwa LOTTO Hamburg GmbH, Geschäftsbericht 2013, Anl. 4, S. 2 und Staatliche Toto-Lotto GmbH Baden-Württemberg, Geschäftsbericht 2013, S. 26. 237  Vgl. Fuchs, ZWeR 2013, S. 234 (237 f.). 238  Vgl. AG Sonthofen, Az. 1 Ds 400 Js 17155/11, BeckRS 2014, 05708 (Rn. 289). 239  Siehe etwa die Internetauftritte der Lotto24 AG (www.lotto24.de) oder der FABER Lotto Verwaltungs GmbH (www.faber.de) (letzter Abruf: 01.12.2019). 240  Eine Liste der 16 Erlaubnisinhaber mit Stand vom 07.02.2019 findet sich auf der Internetpräsenz des niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport (www. mi.niedersachsen.de) unter der Rubrik „Glücksspiel“ (letzter Abruf: 01.12.2019). 241  Eine vollständige Übersicht der zurzeit insgesamt 75 Erlaubnisinhaber mit Stand vom 17.09.2019 findet sich auf der Internetpräsenz der Bezirksregierung Düsseldorf (www.brd.nrw.de) unter der Rubrik „Ordnung und Gefahrenabwehr“, „Glücksspielrecht“ (letzter Abruf: 01.12.2019). 242  Vgl. VG Ansbach, Az. AN 4 K 12.01406, MMR 2014, S. 853 (855). 243  BVerwG, Az. 8 C 17.12, NVwZ-RR 2014, S. 182 (Rn. 40).



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 205

6 aus 49“, vor allem unter Hinweis auf die Höhe des bei der nächsten Ausspielung zu erwarteten Jackpots (sog. Jackpotwerbung)244, bewerben.245 Hinzu treten Werbeschaltungen im Internet, die einerseits unmittelbar auf den Internetpräsenzen der einzelnen Landeslotteriegesellschaften erfolgen sowie andererseits auf der gemeinsamen Vertriebsplattform „www.lotto.de“ platziert sind. Daneben bedient sich der DLTB der internetbasierten Bannerwerbung, die dadurch kennzeichnet ist, dass die virtuellen Werbegrafiken in die Internetpräsenzen Dritter eingebunden werden und als Hyperlink auf den Internetauftritt des Werbenden – im hiesigen Kontext also auf „www.lotto. de“ – verweisen. Inhaltlich unterscheiden sich die Werbebotschaften nicht wesentlich; in aller Regel handelt es sich um Hinweise auf die aktuelle Jackpothöhe, vor allem unter Bezugnahme auf die Lotterieformate „6 aus 49“ und „Eurojackpot“.246 Gleiches gilt für die von den Lotteriegesellschaften im stationären Vertrieb eingesetzten Werbemittel, wie etwa die vor LottoAnnahmestellen platzierten Werbetafeln, die sich inhaltlich zumeist ebenfalls in einer Ankündigung der Jackpothöhe im Zusammenhang mit den Lotterien „6 aus 49“ und „Eurojackpot“ erschöpfen. c) Wesentliche Regulierungselemente der Spielsuchtprävention Neben den vorbeschriebenen Regulierungsdeterminanten mit expansionistischer Prägung werden im monopolbezogenen Rechtsregime gleichfalls solche Elemente sichtbar, die klar unter dem Siegel der Spielsuchtprävention stehen. aa) Normative Ebene Dazu rechnet in rein normativer Hinsicht zunächst einmal die den Inhabern des Monopols im Kontext der Erlaubnisvoraussetzungen zum internetbasierten Eigenvertrieb auferlegten Restriktionen. Namentlich der Katalog des § 4 Abs. 5 Nr. 1–5 GlüÄndStV stellt die Erlaubniserteilung unter der Bedingung des Vorhandenseins einer ganzen Reihe typischer, dem internetspezifischen Spielerschutz dienender Mechanismen: So muss zum Ausschluss minderjähriger Spieler eine Identifizierung und Authentifizierung der auf das Internetangebot zugreifenden Spieler gewährleistet sein (Nr. 1); der Höchsteinsatz je Spieler darf grundsätzlich einen Betrag von 1.000 Euro pro Monat nicht übersteigen (Nr. 2); besondere Suchtanreize durch schnelle Wiederho244  Dazu

BGH, Az. I ZR 149/08, MMR 2011, S. 535 (Rn. 11 ff.). Westdeutsche Lotterie GmbH & Co. OHG, Geschäftsbericht 2013, S. 40. 246  Vgl. Westdeutsche Lotterie GmbH & Co. OHG, Geschäftsbericht 2013, S. 40. 245  Vgl.

206 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

lung müssen ausgeschlossen werden, d. h., die Lotterie darf keine hohe Ereignisfrequenz aufweisen (Nr. 3); ein an die besonderen Bedingungen des Internets angepasstes Sozialkonzept ist zu entwickeln, einzusetzen und wissenschaftlich zu evaluieren (Nr. 4); schließlich darf das Lotterieangebot weder über dieselbe Internetdomain vertrieben werden wie das Angebot der Monopolinhaber im Sportwettenbereich, noch darf auf letzteres verwiesen werden oder eine Verlinkung stattfinden (Nr. 5). Aber auch im Hinblick auf die vorbesagten „traditionellen“ Distributionskanäle enthält das neue Vertragswerk klar auf die Spielsuchtprävention hin programmierte Vorgaben, wie der den Ländern mit § 10 Abs. 4 GlüÄndStV auferlegte Handlungsauftrag zur Begrenzung der Zahl der in die Vertriebsorganisation der Monopolinhaber eingegliederten stationären Annahmestellen illustriert. Ähnlich wie die expansionistischen Regulierungskomponenten zum internetbasierten Eigenvertrieb der Monopolinhaber in Korrespondenz zu den expansionsorientierten Werbereglungen stehen, so greifen auch die hier interessierenden spielsuchtpräventiven Elemente der Vertriebsregulierung mit Teilen des Werberegulariums ineinander: Sofern den Inhabern des Monopols der Zugriff auf das Werbemedium Internet oder Fernsehen gestattet ist, haben sie ihr internetbezogenes – wie im Übrigen auch ihr sonstiges – Werbeverhalten gemäß § 5 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 GlüÄndStV an den Zielen des § 1 GlüÄndStV – zu denen bekanntlich auch die Spielsuchtprävention rechnet – auszurichten. Gleichermaßen vom Gedanken der Spielsuchteindämmung getragen wird das – anders als noch unter Geltung des GlüStV – nunmehr allein gestellte Verbot einer Zielgruppenwerbung (§ 5 Abs. 2 GlüÄndStV), die „Minderjährige oder vergleichbar gefährdete Gruppen, insbesondere auch Glücksspielsüchtige oder suchtgefährdete Personen“247 adressiert. Dem Anliegen der Suchtprävention Rechnung tragen im Werbekontext auch einige lotteriespezifische ebenso wie allgemeinere Regelungsteile der sich ausweislich § 5 Abs. 4 GlüÄndStV auf „wissenschaftliche Erkenntnisse zur Wirkung von Werbung auf Jugendliche sowie problematische und pathologische Spieler“ stützenden Werberichtlinie: So sind beispielsweise Werbegestaltungen, die primär Minderjährige ansprechen, unzulässig (§ 6 WerbRL), Werbung für Glücksspiel ist bei öffentlichen Filmveranstaltungen erst nach 18.00 Uhr zulässig (§ 9 WerbRL), bei Werbung unter Hinweis auf mögliche Höchstgewinne hat eine Aufklärung über die Wahrscheinlichkeit von Gewinn und Verlust zu erfolgen (§ 13 WerbRL). Über diese vertriebs- und werbespezifischen Direktiven hinaus finden sich vor allem in den §§ 6 bis 8 GlüÄndStV allgemeinere Regelungssätze, die in 247  Amtl.

Erläuterung zum GlüÄndStV, LT-Drs. BW 15/1570, S. 76.



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 207

ihrer Substanz ebenfalls unmittelbar suchtpräventiv grundiert sind. Nach Maßgabe des § 6 S. 1 GlüÄndStV trifft die Glücksspielanbieter – und damit freilich auch die Träger des Lotteriemonopols – sowie deren Vermittler die generelle Verpflichtung, „die Spieler zu verantwortungsbewusstem Spiel anzuhalten und der Entstehung von Glücksspielsucht vorzubeugen“. Dafür müssen sie im Konkreten ihr Personal schulen sowie unter Berücksichtigung der dem GlüÄndStV angehängten „Richtlinien zur Vermeidung und Bekämpfung von Glücksspielsucht“ (§ 6 S. 2 GlüÄndStV) ein Sozialkonzept mit geeigneten Präventionsmaßnahmen ausarbeiten. Zudem obliegt es ihnen nach § 7 GlüÄndStV, über Gewinnwahrscheinlichkeiten, über die Suchtgefahren, über das Teilnahmeverbot für Minderjährige und über Hilfsmöglichkeiten aufzuklären und Lose, Spielscheine und Quittungen mit entsprechenden Hinweisen zu versehen. Ferner ordnet § 8 GlüÄndStV als „zentrale Maßnahme des Spielerschutzes“248 die Konstituierung eines übergreifenden Sperrsystems für die von den Gefahren des Glücksspiels betroffenen Personenkreise an, wobei die Sperrpflicht insbesondere ausweislich § 8 Abs. 2 GlüÄndStV die Veranstalter von Lotterien mit besonderem Gefährdungspotenzial – also gerade die hier in Bezug genommenen Inhaber des Lotteriemonopols – trifft.249 Möglich sind Selbstsperren auf Initiative des Spielers, aber auch die Fremdsperre, wenn sich aus der Wahrnehmung des eigenen Personals, aus Hinweisen Dritter oder aus sonstigen Tatsachen ergibt, dass die betroffene Person gefährdet ist. Die Sperre währt mindestens ein Jahr und kann auf Antrag des gesperrten Spielers aufgehoben werden (§  8 Abs.  3 u. 5 GlüÄndStV), wobei eine Registrierung der spielerbezogenen Daten in einer zentral verwalteten Sperrdatei erfolgt (§ 8 Abs. 4 i. V. m. § 23 GlüÄndStV). Im Dienste der Spielsuchtvorbeugung stehen schließlich eine Reihe von Bestimmungen, die Aussagen darüber enthalten, wie die Länder ihre Glücksspielaufsicht – freilich einschließlich gegenüber ihren jeweiligen Monopolinhabern – wahrzunehmen haben und welche sonstigen, suchtpräventiv angeleiteten Aufgaben ihnen überantwortet sind. Unter glücksspielaufsichtsrechtlichen Gesichtspunkten verleiht § 9 Abs. 1 S. 3 GlüÄndStV den zuständigen Landesbehörden250 insbesondere die Befugnis, von den Anbietern Auskünfte und Unterlagen anzufordern (Nr. 1), ihnen Auflagen zu erteilen (Nr. 2) oder 248  Schmitt,

in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 8 GlüStV (Rn. 4). Beispiel für eine ausführungsgesetzliche Bestimmung zu § 8 GlüÄndStV möge die Vorschrift des § 12 Abs. 1 AG GlüStV NRW dienen: „Die Veranstalter von Glücksspielen nach § 3 Absatz 1 in Nordrhein-Westfalen sind verpflichtet, Spielersperren im Sinne des § 8 Glücksspielstaatsvertrag sowie deren Änderungen und Aufhebungen unverzüglich zur Aufnahme in die Sperrdatei nach § 23 Absatz 1 Satz 1 Glücksspielstaatsvertrag zu übermitteln“. 250  Zu der sachlichen und örtlichen Zuständigkeitsverteilung näher Oldag, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 9 GlüStV (Rn. 9). 249  Als

208 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

bei Verstößen gegen das staatsvertragliche bzw. ausführungsgesetzliche Regularium entsprechende Untersagungsverfügungen zu erlassen (Nr. 3). Fernerhin sind sie ermächtigt, gegenüber Banken und Finanzdienstleistern Maßnahmen zu ergreifen, die im Sinne eines „Financial Blocking“251 den Geldfluss zu illegalen Glücksspielanbietern unterbinden (Nr. 4). Eine maßgebliche Neuerung gegenüber der alten Rechtslage besteht darin, dass zur Vermeidung einer Zersplitterung der Aufsichtsstrukturen252 die Glücksspielaufsicht für bestimmte Sachgebiete (z.  B. Internet, Zahlungsströme) zentral und länderübergreifend eine Behörde,253 teils unter Einbeziehung eines neu eingerichteten Glücksspielkollegiums (§  9a Abs.  5–8 GlüÄndStV)254, wahrnimmt. Gemäß § 9a Abs. 3 GlüÄndStV kann die jeweils zuständige Behörde dabei „die erforderlichen Anordnungen im Einzelfall erlassen und nach ihrem jeweiligen Landesrecht vollstrecken sowie dazu Amtshandlungen in anderen Ländern vornehmen“. Neben der Aufsichtstätigkeit normiert der GlüÄndStV weitere klar im Gedanken der Spielsuchtprävention wurzelnde Aufgaben der Länder. Ihnen macht es § 10 Abs. 1 S. 2 GlüÄndStV zur Pflicht, sich bei ihren Entscheidungen durch einen aus Experten in der Bekämpfung pathologischen Spielverhaltens zusammensetzenden Fachbeirat beraten zu lassen. Das Gremium ist kein in die Behördenorganisation der Glücksspielaufsicht implementiertes Organ, sondern erfüllt die Funktion eines unabhängigen, amtlichen Sachverständigen.255 Weiterhin haben die Länder ausweislich § 11 GlüÄndStV „die wissenschaftliche Forschung zur Vermeidung und Abwehr von Suchtgefahren durch Glücksspiele“ sicherzustellen. Dies schließt gemäß §  9 Abs.  5 GlüÄndStV im Besonderen die Verpflichtung der Länder mit ein, die Erlaubnis zur Einführung neuer Glücksspielangebote oder Vertriebswege im Vorfeld von einer Untersuchung und Bewertung durch den Fachbeirat (Nr. 1) und im Nachhinein von einem Bericht des (Monopol-)Anbieters zu den Auswirkungen der vorgenommenen Angebotsausweitung (Nr. 2) abhängig zu machen. Schließlich fordert die Mehrzahl der Ausführungsgesetze die Länder über 251  Eingehend hierzu Brugger, Abbruch der Zahlungsströme, S. 139 ff. und Wild, ZfWG 2013, S. 236 (236 ff.). 252  Amtl. Erläuterung zum GlüÄndStV, LT-Drs. BW 15/1570, S. 81. 253  So entscheidet etwa die Glücksspielbehörde des Landes NRW – also die Bezirksregierung Düsseldorf – gem. § 9a Abs. 2 Nr. Nr. 1 GlüÄndStV für alle Länder zentral über die Ausnahmegenehmigungen zur Werbung im Sinne von § 5 Abs. 3 GlüÄndStV. 254  Wie aus § 9 Abs. 6 GlüÄndStV folgt, besteht das Glücksspielkollegium „aus 16 Mitgliedern. Jedes Land benennt durch seine oberste Glücksspielaufsichtsbehörde je ein Mitglied sowie dessen Vertreter für den Fall der Verhinderung“; näher hierzu: Gebhardt/Postel, ZfWG 2012, S. 1 (7 f.); Pagenkopf, NJW 2012, S. 2918 (2920). 255  Oldag, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 9 GlüStV (Rn. 59).



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 209

den staatsvertraglichen Verpflichtungsinhalt hinaus dazu auf, Maßnahmen zur Suchtprävention und Suchthilfe zu unterstützen. In § 8 AG GlüStV NRW heißt es beispielsweise: „Das Land beteiligt sich an der Finanzierung von Beratungsstellen zur Vermeidung und Bekämpfung der Glücksspielsucht und zur fachlichen Beratung und Unterstützung der Glücksspielaufsicht“. bb) Anwendungspraxis Im Blick auf die praktische Realisierung des mit dem Anliegen der Spielsuchtprävention verbundenen Normprogramms ist zunächst zu konstatieren, dass – wie bereits besprochen – neben dem DLTB sämtliche Träger der Lotteriemonopole Erlaubnisse zum internetbasierten Eigenvertrieb innehaben. Mit diesem Befund geht die Erkenntnis einher, dass die unterhaltenen Vertriebspräsenzen die im Kriterienkatalog des § 4 Abs. 5 Nr. 1–5 GlüÄndStV niedergelegten (Erlaubnis-)Voraussetzungen auch in tatsächlicher Hinsicht erfüllen. Selbiges gilt für die Vertriebssysteme der insoweit behördlicherseits lizenzierten gewerblichen Spielvermittler. Was die praktische Umsetzung des die Landesgesetzgeber treffenden Handlungsauftrags zur Begrenzung der Zahl der Annahmestellen (§ 10 Abs. 4 GlüÄndStV) anbetrifft, so haben die Länder ausführungsgesetzliche, zum Teil genaue quantitative Vorgaben enthaltene Regelungskonzepte256 entworfen, die ihrerseits – soweit ersichtlich – durch die jeweiligen Lotteriegesellschaften umgesetzt wurden.257 Daneben bestimmen einige Ausführungsdekrete recht allgemein, wie § 5 Abs. 5 AG GlüStV NRW exemplifiziert, dass „nicht mehr Annahmestellen unterhalten werden [dürfen], als zur Sicherstellung eines ausreichenden Glücksspielangebotes im Sinne von § 10 Absatz 1 Glücksspielstaatsvertrag […] erforderlich sind“.258

256  Vgl. hierzu im Einzelnen Dietlein/Postel, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 10 GlüStV (Rn. 26). 257  Siehe etwa den Hinweis der Staatlichen Toto-Lotto GmbH Baden-Württemberg, Geschäftsbericht 2013, S. 41: „Die mit Wirkung ab 1. Juli 2013 neu festgelegte Begrenzung der Anzahl der Annahmestellen auf maximal 3.300 wurde umgesetzt“; bemerkenswert ist dabei, dass die Anzahl der Annahmestellen in Baden-Württemberg im Jahr 2008 noch rund 3.600 betrug, vgl. VG Freiburg, Az. 1 K 547/07, BeckRS 2008, 37835 (Rn. 2). 258  Vgl. auch die gesetzgeberische Erwägung zu § 5 AG GlüÄndStV NRW: „Das Gesetz beinhaltet selbst keine zahlenmäßige Begrenzung der Annahmestellen. Vielmehr bleibt dies einer nach § 22 Absatz 1 Nr. 2 vom für Inneres zuständigen Ministerium zu erlassenden Rechtsverordnung vorbehalten, wobei die Festlegung der Anzahl und der Einzugsgebiete der Annahmestellen unter Berücksichtigung der Einwohnerzahlen im Umkreis des jeweiligen Geschäftsraumes zu erfolgen hat“ (LT-Drs. NRW 16/17, S. 36).

210 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

In der Frage, ob die Werbepraxis der Monopolinhaber respektive die des DLTB den allgemeinen Vorgaben des § 5 GlüÄndStV sowie den speziellen Anforderungen der Werberichtlinie genügt, lässt sich keine pauschale Aussage treffen, da jede einzelne Werbemaßnahme für sich den vorbenannten Maßstäben genügen muss. Als aufschlussreicher Indikator dafür, dass die Grenzen zulässiger Werbung von den Monopolinhabern in praxi eingehalten werden, erweist sich unabhängig davon gleichwohl die aktuelle wettbewerbsrechtliche Judikatur zum Themenkreis Glücksspielrecht: Denn während die Monopolinhaber aufgrund ihrer im Geltungszeitraum des GlüStV praktizierten Werbung259 noch in zahlreichen, vonseiten privater Glücksspielanbieter initiierten wettbewerbsrechtlichen Gerichtsverfahren zur Unterlassung von unzulässiger Werbung i. S. d. § 5 GlüStV verurteilt worden waren,260 ist das auf der neuen Rechtslage fußende Werbeverhalten der Monopolinhaber – soweit ersichtlich – bislang nicht Gegenstand solcher Wettbewerbsstreitigkeiten geworden. Aus diesem Umstand lässt sich einerseits die – obgleich vor dem Hintergrund der vergleichsweise noch kurzen Bestandsdauer des GlüÄndStV – vorsichtige Schlussfolgerung ziehen, dass die Werbeaktivitäten der Monopolinhaber nach ihrem Inhalt und ihrer äußeren Erscheinungsform in rechtskonformen Bahnen verlaufen und/oder andererseits, dass sie in der Praxis einer effektiven präventiven und repressiven Aufsicht (§ 9 GlüÄndStV) durch die Glücksspielbehörden unterliegen.261 Im Hinblick auf die praktische Realisierung der in § 6 und § 7 GlüÄndStV niedergelegten Verpflichtungen ist festzustellen, dass sämtliche Monopolinhaber auf dem Hintergrund der sie treffenden Grundpflicht des § 6 S. 1 GlüÄndStV entsprechende Sozialkonzepte262 entwickelt haben (§ 6 S. 2 GlüÄndStV), die eine ganze Reihe konkreter Präventionsmaßnahmen vorsehen, zu denen etwa Aufklärungs- und Informationsarbeit, Hinweise zur Möglichkeit der Spielesperre, effektive Schulung des Personals sowie Begrenzung des Angebots, der Werbung und der Gewinne rechnen.263 In Ergänzung hierzu haben einige Lotteriegesellschaften überdies „Präventionsbeiräte“ konstituiert, welche u. a. die Weiterentwicklung der Sozialkonzepte unterstüt259  Werbemaßnahmen aus der Zeit vor Inkrafttreten des GlüÄndStV müssen für die Beurteilung am Maßstab des § 5 GlüÄndStV außer Betracht bleiben, in diesem Sinne auch Ennuschat, ZfWG 2011, S. 153 (160). 260  Siehe etwa OLG München, Az. 29 W 1209/10, GRUR-RR 2011, S. 32 (33) sowie die Nachw. bei Ennuschat/Klestil, ZfWG 2010, S. 153 (175 f.) und Uwer, NVwZ 2014, S. 1585 (1585). 261  Ähnlich Schwanke, ZfWG 2015, Sonderbeilage 2, S. 9 (10 f.). 262  Siehe beispielhaft das Sozialkonzept von Lotto Bayern, abrufbar auf der Internetpräsenz der Landesstelle Glücksspielsucht Bayern (www.lsgbayern.de) unter der Rubrik „Information“ (letzter Abruf: 01.12.2019). 263  Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 6 GlüStV (Rn. 5).



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 211

zen sollen.264 Ebenso ist davon auszugehen, dass die Monopolinhaber der ihnen nach § 6 S. 2 GlüÄndStV überantworteten Schulungspflicht nachkommen, und zwar gerade auch in Bezug auf die in den stationären Annahmestellen beschäftigten Mitarbeiter.265 Gleiches gilt in Ermangelung gegenteiliger Anhaltspunkte für die Wahrnehmung der in § 7 GlüÄndStV fixierten Aufklärungspflichten.266 Unter dem Gesichtspunkt der in § 8 Abs. 1 GlüÄndStV verankerten Pflicht zur Unterhaltung eines Sperrsystems ist zu registrieren, dass die bis zum Inkrafttreten des GlüÄndStV von den Spielbanken und Monopolinhabern mitsamt ihrer Vermittler separat geführten Sperrdateien zu einem einheit­ lichen übergreifenden Sperrsystem zusammengeführt wurden.267 Verwaltet wird die Datei – anders als noch unter Geltung des GlüStV – überdies nicht mehr von den Monopolinhabern selbst, sondern allein von der Glücksspielaufsichtsbehörde des Landes Hessen (§ 23 Abs. S. 1 GlüÄndStV). Im internetbasierten Eigenvertrieb realisieren die Lotteriegesellschaften den Ausschluss gesperrter Spieler von der Spielteilnahme über den nach § 4 Abs. 5 Nr. 1 GlüÄndStV zu erbringenden Identitätsnachweis. Im stationären Vertrieb wird die Identitätskontrolle durch die Verwendung von Kundenkarten gewährleistet. Bezogen auf die in den stationären Annahmestellen vorfindlichen Lotterieprodukte erschöpft sich die Sperrmöglichkeit – gleich ob Fremd- oder Selbstsperre – unterdessen in der Teilnahme an den Lotterieformaten „Keno“ und „Toto“.268 Auf Grund des ihnen aus Sicht des Gesetzgebers nur geringfügig innewohnenden Gefährdungspotenzials unterliegen insbesondere die Lotterievarianten „6 aus 49“ und „Eurojackpot“ keinem Teilnahmeverbot; an diesen Lotterien können also auch gesperrte Personen teilnehmen.269 Was die in § 9 GlüÄndStV umschriebene Aufsichtstätigkeit der zuständigen Landesbehörden über die Geschäftstätigkeit der Monopolinhaber und ihrer Vermittler anbelangt, so liegen prima vista – wie schon eben in Bezug auf den Vollzug des Werberegulariums festgestellt – keinerlei Anhaltspunkte vor, die geeignet wären, die Effektivität oder gar Rechtmäßigkeit der Aufga264  Vgl. etwa Staatliche Toto-Lotto GmbH Baden-Württemberg, Geschäftsbericht 2013, S. 25. 265  Siehe etwa Westdeutsche Lotterie GmbH & Co. OHG, Geschäftsbericht 2013, S. 41; NordwestLotto Schleswig-Holstein GmbH & Co. KG, Responsible Gaming Report 2013, S. 7 f. 266  Vgl. zu den konkret getroffenen Maßnahmen NordwestLotto Schleswig-Holstein GmbH & Co. KG, Responsible Gaming Report 2013, S. 5. 267  Vgl. Schmitt, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 8 GlüStV (Rn. 7). 268  Westdeutsche Lotterie GmbH & Co. OHG, Responsible Gaming Report 2013, S. 24. 269  Schmitt, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 8 GlüStV (Rn. 18).

212 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

benerfüllung in ernstliche Zweifel zu rücken.270 Vielmehr ist gerade angesichts der zu verzeichnenden Gerichtsverfahren, welche seitens der Aufsichtsbehörden gegen die Monopolinhaber respektive deren Annahmestellenbetreiber angestrengt wurden,271 davon auszugehen, dass die Glücksspielaufsichtsbehörden mithilfe der ihnen zur Hand stehenden Ex-Ante- und Ex-Post-Instrumente ihren Verpflichtungen auf breiter Linie nachkommen.272 Nicht anders liegen die Dinge mit Blick auf die Tätigkeit des in § 10 Abs. 1 S. 2 GlüÄndStV erwähnten Fachbeirats. In der Praxis war und ist das Expertengremium z. B. über zwingend durchzuführende Fachbeiratsverfahren273 in zahlreiche Entscheidungsprozesse zu Fragen einer auf den staatsvertraglichen Zielsetzungen fußenden Glücksspielregulierung involviert, so beispielsweise im Kontext der Einführung des neuen Lotterieformats „Eurojackpot“.274 Für eine gewissenhaft-effektive Aufgabenerfüllung spricht nicht zuletzt auch der Umstand, dass der Fachbeirat seine Beteiligungsrechte in der Vergangenheit auch über den Rechtsweg versucht hat, zur Geltung zu bringen.275 Weiterhin erfährt der in § 11 GlüÄndStV fixierte Länderauftrag zur kontinuierlich-wissenschaftlichen Suchtforschung seine praktische Umsetzung in zahlreichen Projekten der Länder,276 die sich ihrerseits – im Großteil ausführungsgesetzlich – dazu verpflichtet haben, entsprechende finanzielle Mittel hierfür bereitzuhalten.277 auch der Tenor bei Schwanke, ZfWG 2015, Sonderbeilage 2, S. 9 (11 f.). etwa VG Berlin, Az. VG 23 L 209/14, BeckRS 2014, 51806; OVG Lüneburg, Az. 11 ME 476/07, NJW 2009, S. 538; VG Hannover, Az. 10 B 3140/07, BeckRS 2007, 28329. 272  Siehe auch den Hinweis der Westdeutschen Lotterie GmbH & Co. OHG (Responsible Gaming Report 2013, S. 15.): „In diesem Zusammenhang unterziehen sie [= die Aufsichtsbehörden] die WestLotto-Annahmestellen häufigen und intensiven Kontrollen im Hinblick auf die Umsetzung des Jugend- und Spielerschutzes“. 273  Näher dazu Oldag, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 9 GlüStV (Rn. 9). 274  Vgl. Westdeutsche Lotterie GmbH & Co. OHG, Responsible Gaming Report 2013, S. 35. 275  Siehe insoweit VG Wiesbaden, Az. 5 L 719/10, BeckRS 2010, 51277. 276  Siehe im Einzelnen hierzu Hecker, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 9 GlüStV (Rn. 13). 277  Siehe exemplarisch § 9 Abs. 1 AG GlüStV NRW: „Das Land finanziert Projekte zur Erforschung der Glücksspielsucht. Zur Erfüllung dieser Aufgabe kann das Land mit anderen Ländern gemeinsame Projekte fördern“; ergänzend zu den auf Länderebene ergriffenen Maßnahmen hat im Übrigen der DLTB einen Kooperationsvertrag mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zum Zwecke der Erforschung der Glücksspielsucht geschlossen, siehe insoweit BZgA, Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland 2013, S. 25. 270  So

271  Vgl.



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 213

Selbiges ist schließlich in Bezug auf die – exemplarisch in § 8 AG GlüStV NRW kodifizierte – rein ausführungsgesetzliche Verpflichtung der Länder zur Finanzierung von Beratungsstellen zur Vermeidung und Bekämpfung der Glücksspielsucht zu konstatieren.278 So unterhält das Land NRW etwa ein Netz von Suchtberatungsstellen, als deren fachliche Koordinierungs- und Steuerungsstelle die „Landeskoordinierungsstelle Glücksspielsucht NRW“ fungiert.279 d) Bewertung der Ausgewogenheit Im Anschluss an die im Kontext des Lotteriemonopols vorgenommene Gegenüberstellung einerseits der expansionistischen und andererseits der suchtpräventiven Regulierungselemente ist nunmehr der übergeordneten Abwägungsfrage nachzugehen, ob sich in jenem „Mixtum compositum“ das vor dem Kohärenzgebot unionsgerichtlicherseits abverlangte „richtige Gleichgewicht […] zwischen dem Erfordernis einer kontrollierten Expansion der zugelassenen Glücksspiele […] und der Notwendigkeit, die Spielsucht der Verbraucher so weit wie möglich zu verringern“280, reflektiert. Die Bewertung hat dabei insbesondere vor dem Hintergrund der mit dem Lotteriemonopol verbundenen Zielsetzungen sowie der auf dem Glücksspielmarkt auszumachenden Realitäten zu erfolgen. aa) Expansionsbedingte Überwirkungsgefahr Unabhängig vom derzeit vorherrschenden Mangel an „hartem“ Datenmaterial lassen sich nichtsdestoweniger die folgenden Erwägungen anstellen: Die maßgebliche Gefahr, die in Ansehung des Kohärenzpostulats von einer zwischen den Polen „Expansion“ und „Suchtprävention“ verlaufenden Glücksspielpolitik ausgeht, besteht darin, dass die eingeforderte Balance durch ein einseitig-regulatives Übergewicht an expansionistischer Wirkkraft entfällt, weil die expansionistischen Regulierungskomponenten die suchtpräventiven Elemente quasi überwirken. Bilanziert man unter dem Aspekt der solcherart beschaffenen Überwirkungsgefahr zunächst das den Monopolinhabern vonseiten der Landesgesetzgeber zur Verfügung gestellte expansionistische Regulierungsprogramm, so setzt sich dieses im Wesentlichen aus drei Schlüsselelementen zusammen: 278  Vgl. die Begründung zum Gesetzesentwurf des AG GlüÄndStV NRW v. 01.06.2012, LT-Drs. NRW, 16/17, S. 38. 279  Siehe für Einzelheiten den Internetauftritt der Stelle: www.gluecksspielsuchtnrw.de (letzter Abruf: 01.12.2019). 280  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 32) – Ladbrokes.

214 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

zum Ersten aus dem zugebilligten Veranstaltungsrecht von Jackpotlotterien in Kooperation mit ausländischen Anbietern, praktisch umgesetzt durch die Einführung des Lotterieformats „Eurojackpot“; zum Zweiten aus dem Zugriffsrecht auf das Distributionsmedium Internet, in der Praxis realisiert durch die Unterhaltung entsprechender Vertriebsplattformen, und zum Dritten aus einem liberalisierten Werberegime, das sich in der Praxis in der Schaltung von Fernseh- und Internetwerbung ausprägt. Mit diesem Konglomerat aus vielfach funktional ineinander verklammerten Regulierungsbausteinen, welche sich die Monopolinhaber in praxi sämtlich erschlossen haben, legt der Gesetzgeber eine Programmatik in die Waagschale, deren expansive Treibkraft zweifelsohne kaum zu unterschätzen ist. Die beträchtliche Wirkungsmacht der so vollzogenen Expansion lässt sich im Besonderen an der Umsatzentwicklung des DLTB-Spielangebots zwischen den Jahren 2012 und 2013 ablesen: Generierten die 16 Monopolinhaber der Länder aus ihrem Lotterieangebot im Jahr 2012 noch insgesamt rund 6,4 Mrd. EUR,281 so stieg das Umsatzvolumen im Jahr 2013 auf über 7 Mrd. EUR.282 Damit konnten sie entgegen dem allgemeinen Trend der vorangegangenen Jahre283 unter Inanspruchnahme der ihnen mit Inkrafttreten des GlüÄndStV neu eingeräumten Aktionsradien eine Zuwachsrate von rund 10 % erzielen.284 bb) Kanalisierungsauftrag Allein aus diesem Umstand ist freilich nicht ohne Weiteres ein Übergewicht an expansionistischer Wirkkraft deduzierbar, wird doch aus Sicht des Gesetzgebers mit dem novellierten Regulierungsrahmen dem in der einschlägigen EuGH-Urteilsformel benannten „Erfordernis einer kontrollierten Expansion“285 „zur wirksamen Kanalisierung der Spiellust“286 Geltung verschafft. Dieses legislative Grundanliegen reflektiert sich schon in § 1 Nr. 2 GlüÄnStV, wenn es dort heißt, ein Ziel des Staatsvertrages sei „durch ein begrenztes, eine geeignete Alternative zum nicht erlaubten Glücksspiel darstellendes Glücksspielangebot den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in die Statistik bei Meyer, in: DHS e. V., Jahrbuch Sucht 2014, S. 124 (127). GmbH, Pressemitteilung v. 06.01.2014 „DLTB-Jahresbilanz 2013“, abrufbar unter www.saartoto.de unter der Rubrik „Presse“ (letzter Abruf: 01.12.2019). 283  Vgl. die Statistik bei Meyer, in: DHS e. V., Jahrbuch Sucht 2014, S. 124 (127). 284  Auch der DLTP führt die Umsatzsteigerung maßgeblich auf das novellierte Regime des GlüÄndStV zurück, vgl. Saarland-Sporttoto GmbH, Pressemitteilung v. 06.01.2014 „DLTB-Jahresbilanz 2013“, abrufbar unter www.saartoto.de unter der Rubrik „Presse“ (letzter Abruf: 01.12.2019). 285  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 32) – Ladbrokes. 286  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 27) – Ladbrokes. 281  Vgl.

282  Saarland-Sporttoto



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 215

geordnete und überwachte Bahnen zu lenken sowie der Entwicklung und Ausbreitung von unerlaubten Glücksspielen in Schwarzmärkten entgegenzuwirken“ und erfährt seine Präzisierung in der amtlichen Erläuterung zum GlüÄnStV. Im Einzelnen soll namentlich gleichermaßen „den illegalen Glücksspielangeboten im Internet eine legale, sichere und den Spieler- und Jugendschutz gewährleistende Alternative gegenüber gestellt“287 wie auch die Verschiebungen der Glücksspieltätigkeit „zu Glücksspielen mit einem höheren Suchtgefährdungspotential“288 vermieden werden. Die auf Expansion programmierten Regulierungssätze sind demzufolge sämtlich mit dem legitimen Zweck verknüpft, sie dahingehend zu instrumentalisieren, einerseits den illegalen Spielbetrieb im Internet und andererseits die im Umfeld von suchtgefährlichen Glücksspielformaten ausgeübte Spieltätigkeit hin zum staatlich autorisierten und für das Suchtpräventionsziel weniger gefährlichere Lotterieangebot der Monopolinhaber zu lenken. Ebenso verfehlt wie die Annahme, allein eine beträchtliche Wirkungsmacht der Expansion ließe auf ein Übergewicht an expansionistischer Wirkkraft schließen, wäre gleichwohl die Einschätzung, die im Gefolge einer Angebotsausweitung auszumachende Überwirkungsgefahr sei per se durch den „höheren Zweck“ der Kanalisierung quasi „neutralisiert“; denn jene Gefahrenlage nimmt nur in dem Maße ab, wie das mit einer Expansionspolitik verbundene Kanalisierungsunterfangen auch tatsächlich eine spürbare Wirkung entfaltet,289 wie dies im gegebenen Zusammenhang also eine nachhaltige Überführung des Spielbetriebs zum monopolisierten Lotterieangebot und damit kehrseitig einen Nachfragerückgang nach illegalen respektive mit einem signifikanten Suchtgefährdungspotenzial behafteten Spielangeboten bedeutet. (1)  Kanalisierungsgegenstand: „Illegales Glücksspielangebot im Internet“ Außer Frage steht gewiss, dass in Deutschland tatsächlich „die rechtswidrigen Spieltätigkeiten ein Problem darstellen“290; denn obgleich „klare Angaben zu Art und Ausmaß des illegalen Glücksspiels bislang fehlen“291, werden – wie bereits oben näher dargestellt –292 auf dem unautorisierten, inter287  Amtl.

Erläuterung zum GlüÄndStV, LT-Drs. BW 15/1570, S. 54. Erläuterung zum GlüÄndStV, LT-Drs. BW 15/1570, S. 87. 289  Vgl. nur EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 27) – Ladbrokes: „als Teil einer Politik der kontrollierten Expansion im Glücksspielsektor zur wirksamen Kanalisierung der Spiellust.“ 290  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 38) – Ladbrokes; ganz ähnlich EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 72) – Zeturf. 291  Reeckmann, ZfWG 2015, S. 106 (106). 292  Siehe oben Teil 4, A., III. 288  Amtl.

216 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

netbasierten Glücksspielmarkt in Deutschland – und das mit steigernder Tendenz – immense Umsätze generiert. Mit dieser Feststellung ist die Vorbedingung der grundsätzlichen Zulässigkeit einer im Interesse der Kanalisierung betriebenen Expansionspolitik erfüllt. Die Legitimität einer solchen Regulierungspolitik steht vor den Anforderungen des Kohärenzgebots allerdings unter der weiteren Voraussetzung, dass diesem Zustand tatsächlich „eine Expansion der zugelassenen und regulierten Tätigkeiten abhelfen kann“293. Bedenken gegen den so abverlangten Eintritt von spürbaren Kanalisierungseffekten können sich im Blick auf den anvisierten Kanalisierungsgegenstand „illegales Glücksspielangebot im Internet“ deshalb einstellen, weil sich das in Deutschland via Internet illegal abrufbare Glücksspielangebot nahezu ausschließlich auf die Marktsegmente Online-Sportwetten und Online-Kasinospiele, einschließlich Online-Poker, konzentriert.294 Ein virtueller – und im Übrigen auch terrestrischer – Schwarzmarkt für Lotterieprodukte existiert aufgrund der Struktureigentümlichkeiten dieser Glücksspielform295 (Stichwort: Jackpotbildung) in keinem nennenswerten Umfang. Aus dieser Sachlage folgt, dass die erhoffte Kanalisierungswirkung von vornherein nur solche Glücksspielformen erfassen kann, die über das Internet auch de facto nachgefragt werden, zu deren Kreis Lotterien aber ja gerade nicht zählen. In Konsequenz dessen steht eine effektive Kanalisierung hier also unter der unverzichtbaren Funktionsbedingung, dass die unternommene Angebotsexpansion in der Lage ist, eine sektorenübergreifende Migrationsbewegung der Nutzer weg von über das Internet illegal abrufbarer Sportwetten- und Kasinoangebote hin zum Lotterieangebot der Monopolinhaber freizusetzten. Wenn somit die Notwendigkeit der Entfaltung einer intersektoralen Migrationsbewegung gegeben ist, schließt sich daran die Frage an, ob – als entscheidende Grundvoraussetzung zur Erzielung von Kanalisierungseffekten – die angesprochenen Glücksspielprodukte in einem Verhältnis der wechselseitigen Substitution zueinander stehen,296 ob also in concreto die Lotteriepro293  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 38) – Ladbrokes; ganz ähnlich EuGH, Rs. C-212/08, EuZW 2011, S. 674 (Rn. 72) – Zeturf. 294  Vgl. die Nachweise bei Meyer, in: DHS e. V., Jahrbuch Sucht 2014, S. 124 (129); siehe auch Reeckmann, ZfWG 2015, S. 106 (109) und die Ergebnisse der dort im Einzelnen aufgeführten Studien. 295  Dazu Dörr/Janich, K&R 2010, Beihefter 3, S. 1 (17); Haltern, ZfWG 2011, 77 (79 f.). 296  In diesem Sinne: Becker, ZfWG 2012, S. 229 (236); Gundel, ZUM 2010, S. 955 (956); Schmahl, in: Müller-Graff/Schmahl/Skouris, FS-Scheuing, S. 671 (687), die insoweit prägnant von einer „ökonomische[n] Substituierbarkeit“ spricht.



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 217

dukte der Monopolinhaber aus Sicht der nachfragenden Spieler potenzielle Surrogate für das illegale Sportwetten- und Kasinoangebot im Internet repräsentieren.297 Zwar ist das tatsächliche Bestehen von derlei Austauschbeziehungen zwischen Glücksspielprodukten aus dem monopolisierten Lotteriesegment einerseits und solchen aus dem internetbasierten Kasino- und Sportwettensektor andererseits in statistischer Weise bislang weder für richtig befunden noch falsifiziert worden;298 ihr Vorliegen erscheint allerdings äußerst zweifelhaft: Zu viele Disparitäten weisen sie in ihren spielstrukturellen und spielsituativen Merkmalen auf und adressieren deshalb grundverschiedene Spielertypen. Exemplarisch zum Ausdruck gelangen jene Inhomogenitäten in den stark divergierenden Ereignisfrequenzen – also die zeitlichen Abstände zwischen dem Beginn eines Spiels, seinem Ende und dem anschließenden Beginn eines neuen Spiels – sowie den unterschiedlich ausgeprägten Auszahlungsintervallen, womit der Abstand zwischen einem Spielausgang und der Auszahlung des Gewinns gemeint ist. So kennzeichnet namentlich die von den Monopolinhabern veranstalteten Lotterien eine geringe Ereignisfrequenz und ein großes Auszahlungsintervall: Die unter dem Dach des DLTP organisierten Ziehungen finden in der Regel nur einmal (z.B „Eurojackpot“) bis zweimal (z. B. „Lotto 6 aus 49“) die Woche statt; im Gewinnfall werden zwischen der Ziehung und der Auszahlung Tage vergehen.299 Demgegenüber weisen die über Internet abrufbaren Kasinospiele und Sportwetten eine hohe bis sehr hohe Ereignisfrequenz und ein äußerst niedriges Auszahlungsintervall auf: Ein Kasinospiel kann wenige Sekunden dauern (z. B. virtuelles Roulette), weitere Spielpartien schließen sich unmittelbar an und Gewinne werden sofort ausgezahlt, begreift man als Auszahlung die Gutschrift auf das Spielerkonto.300 Nahezu analog liegen die Dinge bei Online-Sportwetten, welche den Spielern etwa in Gestalt sog. „Live-Wetten“ nicht nur die Möglichkeit der Platzierung von Wetten auf den Ausgang eines Sportereignisses in Gänze, sondern gleichfalls das Wetten auf einzelne Ereignisse während einer laufenden Sportveranstaltung (z. B. auf Verwandlung eines Elfmeters) einräumen. Losgelöst von diesen Gesichtspunkten bestehen zwischen den DLTB-Produkten und den internetbasierten Sportwetten- und Kasinospielangeboten prägende Unterschiede in puncto Grad der Interaktivität301, sozialer Kon297  Becker,

ZfWG 2012, S. 229 (236). Tolkemitt, Die deutsche Glücksspielindustrie, S. 72 ff. 299  Meyer/Bachmann, Spielsucht, S. 18. 300  Heseler, Glücksspielregulierung, S. 80. 301  Vgl. hierzu Meyer/Bachmann, Spielsucht, S. 67; eine gewichtige Rolle spielt unter dem Aspekt der Interaktivität sicherlich auch der Umstand, dass rund 87 % der Spielteilnahmen an Lotterien des DLTB über Lotto-Annahmestellen und nur etwa 298  Vgl.

218 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

text302 sowie Einsatz und Gewinnstruktur.303 Dem entspricht es, wenn die in der Wissenschaft wohl vorherrschende Meinung304 nennenswerte Substitutionsbeziehungen allein zwischen den verschiedenen Lotterievarianten – mithin einzig innerhalb des Lotteriesektors – annimmt. All dies rechtfertigt den Schluss, dass die internetbasierten Sportwettenund Kasinospieleangebote gänzlich andere Spielbedürfnisse befriedigen als das vorhandene Lotterieangebot der Monopolinhaber, weshalb in dieser Hinsicht das Bestehen von Substitutionsbeziehungen mit guten Gründen verneint werden kann. Damit einher geht die Erkenntnis, dass die im Gedanken der Kanalisierung wurzelnde Expansionspolitik auf dem Lotteriesektor wohl nicht imstande ist, eine spürbare, sektorenübergreifende Migrationsbewegung der Konsumenten von illegalen Online-Glücksspielen hin zum monopolisierten Lotterieangebot der Monopolinhaber freizusetzen. Im Ergebnis ist daher höchst fraglich, ob – der gesetzgeberischen Zielsetzung entsprechend – dem virtuellen Schwarzmarkt im Wege einer Angebotsexpansion im Lotteriesegment begegnet werden kann. (2) Kanalisierungsgegenstand: „Glücksspiele mit einem höheren ­Suchtgefährdungspotential“ Wie bereits oben dargelegt, zielt der den Monopolinhabern mit den expansionistischen Regulierungskomponenten des GlüÄndStV auferlegte Kanalisierungsauftrag nicht allein auf das „illegale Glücksspielangebot im Internet“305, sondern gleichfalls auf solche Glücksspielformen, die auf dem deutschen Markt zwar legal angeboten werden, aber im Vergleich zu Lotterien „mit einem höheren Suchtgefährdungspotential“306 behaftet sind. Den gedanklichen Ausgangpunkt für die Einbindung letztgenannter Glücksspieltypen in das Kanalisierungsprogramm bildet der Tatbestand, dass bezogen auf ihr Suchtgefährdungspotenzial zwischen den in Deutschland verfügbaren Glücksspielformen beträchtliche Unterschiede herrschen. Dies erkennt auch der Gesetzgeber an, wenn er eine „Glücksspielregulierung mit differenzierten

13 % über das Internet erfolgen, vgl. BZgA, Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland 2013, S. 12. 302  Vgl. Heseler, Glücksspielregulierung, S. 82. 303  So im Ergebnis auch Schmahl, in: Müller-Graff/Schmahl/Skouris, FS-Scheuing, S. 617 (687). 304  Vgl. zur Thematik mit weiterführenden Nachweisen Becker, ZfWG 2012, S.  229 (236 f.). 305  Amtl. Erläuterung zum GlüÄndStV, LT-Drs. BW 15/1570, S. 54. 306  Amtl. Erläuterung zum GlüÄndStV, LT-Drs. BW 15/1570, S. 87.



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 219

Maßnahmen für die einzelnen Glücksspielarten“ verlangt, „um deren spezifischen Suchtgefahren […] Rechnung zu tragen“.307 Insoweit mit großem Abstand an der Spitze der Suchtgefährdungspyramide steht nach mittlerweile gesicherten Erkenntnissen das Spiel an gewerblichen Geldspielautomaten.308 Rund 85 % der in Deutschland als spielsüchtig geltenden Personen sind an den in Gastronomiebetrieben und Spielhallen platzierten Spielgeräten vorzufinden.309 Auf der Suchtgefährdungsskala eine Stufe darunter befinden sich die in Spielbanken offerierten Glücksspielarten,310 dicht gefolgt von Sportwettenprodukten311. Der Anteil am bundesdeutschen Gesamtaufkommen pathologischer Spieler fällt bei den letztgenannten Marktsegmenten – jedenfalls absolut betrachtet – mit zusammen etwa 10 % deutlich geringer aus.312 Unter den in der Bundesrepublik legal verfügbaren Glücksspielformen, die für das Entstehen von Glücksspielsucht in die niedrigste „Gefährdungsklasse“313 eingestuft werden, gelten demgegenüber die Lotterieprodukte der Monopolinhaber.314 Damit korrespondiert der unterdurchschnittliche Anteil pathologischer Lottospieler am Gesamtaufkommen spielsüchtiger Personen, der trotz des großen Popularitäts- und Verbreitungsgrades der angebotenen Lotterievarianten – sie stellen in Deutschland bekanntlich die am häufigsten genutzten Glücksspiele dar –315 wohl weniger als 3 % beträgt.316 Eben auf dem Hintergrund der vorskizzierten suchtwissenschaftlichen Risikobewertungen fußt das gesetzgeberische Anliegen, im Wege einer 307  Beide

Zitate amtl. Erläuterung zum GlüÄndStV, LT-Drs. BW 15/1570, S. 6 f. nur Becker, ZfWG 2009, S. 1 (2); Fischer, Das Recht der Glücksspiele, S. 33; Meyer, in: DHS e. V., Jahrbuch Sucht 2014, S. 124 (132); Pagenkopf, NJW 2012, S. 2918 (2921); Peters, ZRP 2011, S. 134 (134); Windoffer, DÖV 2012, S. 257 (258); siehe auch BVerfG, Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 100). 309  Amtl. Erläuterung zum GlüÄndStV, LT-Drs. BW 15/1570, S. 88. 310  Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht 2012, §  20 GlüStV (Rn. 3). 311  Vgl. BVerfG, Az. 1 BvR 1054/01, NJW 2006, S. 1261 (Rn. 100). 312  Meyer, in: DHS e. V., Jahrbuch Sucht 2014, S. 124 (129). 313  Wissenschaftliches Forum Glücksspiel, ZfWG 2008, S. 6 (11). 314  Vgl. Bumke, Der Staat 2010, S. 79 (83 ff.); Koenig/Ciszewski, ZfWG 2008, S.  397 (399 f.); Peren/Clement, Spieler- und Konsumentenschutz, S. 62 f.; Peters, ZRP 2011, S. 134 (134); Wissenschaftliches Forum Glücksspiel, ZfWG 2010, S, 305 (310); siehe auch die Ausführungen des VG Regensburg, Az. RO 5 K 11/616, BeckRS 2012, 57866: „Nach einer […] Studie von Prof. Dr. Tilmann Becker können 500 bis maximal 5.000 Personen in der erwachsenen deutschen Bevölkerung immerhin als „pathologische Lottospieler“ bezeichnet werden“. 315  Vgl. amtl. Erläuterung zum GlüÄndStV, LT-Drs. BW15/1570, S. 53; VG Regensburg, Az. RO 5 K 11/616, BeckRS 2012, 57866. 316  BZgA, Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland 2013, S. 11. 308  Vgl.

220 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

Angebotsexpansion die im Umfeld der gewerblichen Geldspielautomaten, Kasinos und Sportwetten entfaltete Spieltätigkeit hin zum monopolisierten Lotterieangebot zu lenken. Allein der „fromme Wunsch“ des Gesetzgebers nach Kanalisierung beinhaltet indes mitnichten – darauf wurde bereits oben hingewiesen – eine immanente Legitimation zur Verfolgung einer expansiven Angebotspolitik. Entscheidend ist letztlich, ob und inwieweit das mit der Expansionspolitik verbundene Kanalisierungsunterfangen eine spürbar nachhaltige Wirkung entfaltet, im hier interessierenden Kontext also de facto imstande ist, eine Überführung der sich im Kontext der gewerblichen Geldspielautomaten, Kasinos und Sportwetten ausprägenden Spieltätigkeit hin zum Lotterieangebot der Monopolinhaber zu bewirken. Der faktische Eintritt von derlei Kanalisierungseffekten wäre in praxi vor allem daran abzulesen, dass Personen das risikoreiche Glücksspiel nicht mehr oder seltener und bzw. oder mit geringeren Einsätzen konsumieren.317 Diesbezüglich liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings (noch) keine belastbaren Daten vor.318 Ungeachtet dessen kann unter diesem Blickwinkel auf die zuvor zum Kanalisierungsgegenstand „illegales Glücksspiel im Internet“ herausgearbeiteten Erwägungen rekurriert werden. Nach dem Vorgesagten prägt die generelle Steuerungsfähigkeit, genauer: Kanalisierungsfähigkeit der in Bezug auf bestimmte Glücksspielformen ausgeübten Spielaktivitäten das spezifische Momentum der Substituierbarkeit, womit im hier betrachteten Zusammenhang die Frage ins Zentrum der Überlegungen rückt, ob aus Sicht der Konsumenten die Lotterieprodukte der Monopolinhaber in einer Substitutionsbeziehung zu den angesprochenen, „mit einem höheren Suchtgefährdungspotential“319 behafteten Glücksspielarten stehen. Gegen die Annahme derartiger Austauschbeziehungen sprechen jedoch wiederum die Heterogenität und Inkommensurabilität der vom Kanalisierungsauftrag in Bezug genommenen Glücksspielsegmente; im Vergleich zum Lotteriesektor weisen Automatenspiele, Sportwetten und Kasinospiele im Einzelnen zu viele Unterschiede in ihren spielstrukturellen und spielsituativen Parametern auf und adressieren deshalb verschiedene Spielertypen.320 Diesen Mangel an Substituierbarkeit stellen auch empirische Untersuchungen unter Beweis. Ihnen zufolge bestehen in der Nachfrage der Spieler auf der einen Seite enge Substitutionsbeziehungen unter den verschiedenen Lotterie317  BZgA, Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland 2013, S.  139 f.; Peren/Clement, Spieler- und Konsumentenschutz, S. 55. 318  Vgl. Peren/Clement, Spieler- und Konsumentenschutz, S. 61; BZgA, Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland 2013, S. 139. 319  Amtl. Erläuterung zum GlüÄndStV, LT-Drs. BW 15/1570, S. 87. 320  Dazu Schweizerisches Institut für Rechtsvergleichung, Analyse des Glücksspielwesens, Teil II, S. 32 ff.



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 221

produkten der Monopolinhaber.321 So repräsentiert die Lotterievariante „6 aus 49“ ein Substitut für die „Glücksspirale“.322 Auf der anderen Seite stehen Automatenspiele, Sportwetten und Kasinospiele untereinander in einer Substitutionsbeziehung.323 Ein Kasinospieler neigt beispielsweise generell dazu, auch an gewerblichen Geldspielautomaten zu spielen.324 Werden folglich intersektorale Substitutionsbeziehungen zwischen Lotterien und anderen Glücksspielformaten gerade nicht angenommen,325 so hat dies zur Konsequenz, dass eine Angebotsexpansion im Lotteriesegment wohl nicht in der Lage ist, eine spürbare Kanalisierung des im Kontext von Automatenspielen, Sportwetten und Kasinospielen – eben den Glücksspielen „mit einem höheren Suchtgefährdungspotential“326 – entfalteten Spielbetriebs hin zum Lotterieangebot der Monopolinhaber freizusetzen. cc) Folgerungen für die expansionsbedingte Überwirkungsgefahr Welche konkreten Schlussfolgerungen lassen sich nun aus den vorstehenden Überlegungen ziehen? Zur kurzen Standortvergewisserung: In Klärung steht, ob die bezogen auf das Lotteriemonopol einzufordernde Ausgewogenheit zwischen expansionistischen und suchtpräventiven Regulierungskomponenten Gefahr läuft, durch ein regulativ-faktisches „Zuviel“ an expansionistischer Wirkkraft zu entfallen (expansionsbedingte Überwirkungsgefahr). Unter dieser Fragestellung wurde oben herausgestellt, dass die Landesgesetzgeber kraft der den Monopolinhabern im GlüÄndStV eingeräumten Angebotserweiterungs-, Vertriebs- und Werberechten ein expansionistisches Regulierungsprogramm von hoher qualitativer und quantitativer Intensität in die Waagschale gelegt haben. Wie jedoch ebenfalls oben thematisiert, ist allein aus diesem Befund noch kein Übergewicht an expansionistischer Wirkkraft deduzierbar, steht hinter dem im Lotteriesegment ausgestoßenen expansiven „Output“ doch die legitime, gesetzgeberisch induzierte Erwartung nach der Erzielung von Kanalisierungseffekten. Eine nähere Befassung mit dem konkreten Kanalisierungspotenzial hat jedoch zutage gefördert, dass der Eintritt signifikanter Kanalisierungseffekte 321  Vgl. die Auswertung bei BZgA, Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland 2013, S. 142 f. 322  Becker, ZfWG 2012, S. 229 (237). 323  Becker, Überlegungen zur Zukunft des Glücksspielwesens, S. 4; siehe ferner VG Berlin, Az. 35 A 247/06, BeckRS 2010, 45816. 324  Becker, ZfWG 2012, S. 229 (237). 325  So im Ergebnis auch BZgA, Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland 2013, S. 143. 326  Amtl. Erläuterung zum GlüÄndStV, LT-Drs. BW 15/1570, S. 87.

222 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

wegen des Nichtbestehens von Substitutionsbeziehungen zwischen den in Bezug genommenen Kanalisierungsgegenständen nicht zu erwarten ist. Insoweit geht der Gesetzgeber von der unzutreffenden – da zu pauschalen – Prämisse aus, eine erfolgversprechende Kanalisierung der Spieltätigkeit hin zum monopolisierten Lotterieangebot hänge im Wesentlichen von der bloßen Intensität der Angebotsexpansion im Lotteriesektor ab. Diese Fehlannahme hat zur Konsequenz, dass die expansionsbedingte Überwirkungsgefahr von dieser Seite her keinerlei Entlastung erfährt. Im Gegenteil: Zu befürchten steht, dass die im Kontext des Lotteriesektors verfolgte Expansionspolitik mehr Schaden anrichtet, als sie an Nutzen über – ohnehin nur schwerlich annehmbare – Kanalisierungseffekte für das Präventionsziel einträgt, indem sie namentlich auch diejenigen Spieler adressiert, deren Spieltriebe bislang überhaupt nicht oder zumindest in keinem nennenswerten Umfang aktiviert waren. Unter diesem Aspekt besonders „verdächtig“ erscheint die im Jahr 2012 neu eingeführte Lotterieform „Eurojackpot“. So lassen aktuelle Untersuchungen erkennen, dass mindestens ein Drittel der am „Eurojackpot“ teilnehmenden Spieler vor Einführung dieses Glücksspiels noch nie an einem Glücksspiel teilgenommen haben.327 Damit tritt die unternommene Angebotsausweitung in ein empfindliches Spannungsverhältnis zum unionsgerichtlicherseits formulierten Grundsatz, wonach die Expansionstätigkeit eines Monopolinhabers von vornherein nur bereits zur Teilnahme an Glücksspielen Entschlossene erfassen darf (sog. „Strategien, die zu aktiver Teilnahme an Glücksspielen auffordern und anregen“328),329 und verstärkt als Folge dessen die hier in Rede stehende Überwirkungsgefahr erheblich. In Anbetracht dieses Befundes kommt es für die Beurteilung der vor dem Kohärenzgebot abverlangten lotteriemonopolspezifischen Ausgewogenheit nunmehr maßgeblich auf die Frage an, ob die oben aufgezeigten suchtpräventiven Regulierungskomponenten imstande sind, die beträchtliche Wirkkraft des expansionistischen Regulierungsprogramms aufzufangen oder – anderes gewendet – ihm ein ausreichendes Gegengewicht entgegenzustellen. Im ersten Zugriff und Spiegel dieser Anforderung präsentiert sich das dem Zweck der Spielsuchtprävention zuordbare Regularium als inhaltlich ausge327  BZgA, Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland 2013, S. 138; als Gründe für diesen Umstand werden in der Studie indes vor allem die außerordentliche Gewinnhöhe des Jackpots, eine im Vergleich zu Lotto „6 aus 49“ als höher beurteilte Gewinnchance und die allgemeine Neugier, einmal ein neues Glücksspiel auszuprobieren, angeführt; siehe zu diesen Gesichtspunkten auch Schneider, WiVerw 2014, S. 165 (173). 328  EuGH, Rs. C 347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 69) – Dickinger/Ömer. 329  Vgl. hierzu auch BVerwG, Az. 8 C 17.12, NVwZ-RR 2014, S. 182 (Rn. 46); Ennuschat, ZfWG 2011, S. 153 (154); Krewer/Wagner, ZfWG 2011, S. 90 (93).



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 223

sprochen breit gefächerte und vielschichtige Regelungskonzeption; in Gestalt unterschiedlicher Instrumentarien sowie auf unterschiedlichen Wirkebenen gelangt das Präventionsanliegen hier zur Geltung. Insoweit genannt seien an dieser Stelle nur die oben im Einzelnen näher thematisierten internetspezifischen Schutzmechanismen (§ 4 Abs. 5 GlüÄndStV), die werberechtlichen Vorbehalte (§ 5 Abs. 3 GlüÄndStV u. §§ 3 ff. WerbRL) sowie die den Landesgesetzgebern respektive ihren Monopolveranstaltern auferlegten vielfältigen Handlungsaufträge (z. B. § 10 Abs. 4 GlüÄndStV) und sonstigen Verpflichtungen (z. B. §§ 6–8 GlüÄndStV). Allen Regelungssätzen ist dabei gemein, dass sie – auch dies wurde bereits oben herausgestellt – nicht bloß im Gesetzestext formuliert sind, sondern ihre rechtskonforme Umsetzung auch in der Praxis erfahren. Bei näherer Betrachtung wird überdies augenfällig, dass die Instrumentarien nicht beziehungslos nebeneinander, sondern oftmals in einem Verhältnis der wechselseitigen Ergänzung und Korrespondenz zueinander stehen, wie etwa die – vielfach vor dem Hintergrund der Angebotsexpansion novellierten – Direktiven zum Vertriebs- und Werbeverhalten der Monopolinhaber zeigen, die ihren gemeinsamen Fluchtpunkt in der Vereinbarkeit mit den Zielsetzungen aus § 1 GlüÄndStV finden. Gewissermaßen Hand in Hand gehen in diesem Kontext auch diejenigen Schutzkonzepte, welche in ihrer Wirkung auf einer personell-individuellen Ebene unmittelbar am pathologischen Spieler bzw. dessen Teilnahme am monopolisierten Glücksspielangebot ansetzen: Das bestehende Sperrsystem (§ 4 Abs. 5 u. § 8 GlüÄndStV) hindert die als pathologische Spieler identifizierten Konsumenten daran ihrer Sucht nachzugehen, trägt aber zur eigentlichen „Linderung“ der Spielsucht nichts bei. Hier greift dann allerdings als „repressives Spielsuchtkonzept“330 die den Ländern auferlegte Pflicht zur Unterhaltung von Suchtberatungsstellen (z. B. § 8 AG GlüStV NRW). Schließlich gilt es unter dem Gesichtspunkt der administrativen Verwirklichung der Spielsuchtprävention in Rechnung zu stellen, dass die organisatorischen Strukturen der Glücksspielaufsicht im Sinne einer Zuständigkeitenkonzentration (z. B. § 23 GlüÄndStV), aber auch gänzlichen Neukonstituierung von Aufsichtsträgern (z. B. Errichtung eines Glücksspielkollegiums, § 9a Abs. 5 GlüÄndStV) mit Umsetzung der staatsvertraglichen Regelungsinhalte neu geordnet worden sind, was der Effektivität der Aufsichtstätigkeit über die Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen äußerst zuträglich sein dürfte.331 In diesem Zusammenhang ebenfalls zu Buche schlägt, dass den Glücksspielaufsichtsbehörden in materieller Hinsicht mit den ihnen aus § 9 GlüÄndStV zufallenden Befugnissen geeignete Aufsichtsinstrumentarien zur 330  In diesem Sinne Hartmann, in: Hartmann/Pieroth, Spielbanken und Spielhallen, S. 95 (137). 331  So auch Schwanke, ZfWG 2015, Sonderbeilage 2, S. 9 (11 f.).

224 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

Verfügung stehen, welche sie in die Lage versetzen, die Einhaltung der betreffenden Vorschriften im Kontext des Lotteriemonopols effektiv zu gewährleisten und dies in der Praxis auch de facto tun. Insofern sei nochmals darauf hingewiesen, dass keine Anhaltspunkte dahingehend vorliegen, dass die Behörden der Vorwurf einer „strukturellen Duldung von Verstößen gegen diese Vorschriften“332 träfe, wodurch dem kohärenzbezogenen Teilerfordernis der Gewährleistung einer ausreichenden „staatlichen Kontrolle[n] über die Tätigkeit des Inhabers des Monopols“333 wohl genüge getan ist. In der Zusammenschau betrachtet verdichten sich die konstituierten Regulierungsbausteine zu einer spielsuchtpräventionsbezogenen Gesamtkonzeption mit ausgeprägter Durchschlagskraft; ein qualitatives wie auch quantitatives „Mehr“ an sinnvollen Präventionsmaßnahmen erscheint im Lotteriesegment fast nicht denkbar, eine dahingehende „Aufrüstung“ auch nicht geboten. Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund des erwiesenermaßen niedrigen Suchtgefährdungspotenzials der monopolisierten Lotterieprodukte spricht deshalb vieles dafür, dass das mit dem Zweck der Spielsuchtprävention bzw. -eindämmung verknüpfte Regulierungsprogramm in der Lage ist, die expansionsbedingte Überwirkungsgefahr im Lotteriesektor aufzufangen und damit die geforderte Ausgewogenheit zwischen expansionistischen und suchtpräventiven Regulierungskomponenten zu gewährleisten. e) Fazit zur vertikalen Kohärenzbetrachtung Im Zentrum der vorstehenden Ausführungen stand die Frage, ob das lotteriebezogene Veranstaltungsmonopol der Länder den Anforderungen genügt, die das Kohärenzgebot an eine unionsrechtskonforme Monopolregulierung stellt. Insoweit galt es im Rahmen einer rein vertikalen Kohärenzbetrachtung („Einzelkohärenz“) zu untersuchen, ob der Staatsvorbehalt in seiner normativen wie auch faktischen Ausgestaltung in der Lage ist, die ihm zugeschriebenen Zwecke einerseits der Spielsuchtprävention und andererseits der Kriminalitätsbekämpfung wirksam zu realisieren. Als dahingehender, der dualistischen Zielverfolgung Rechnung tragendender Prüfungs- und zugleich Abwägungsmaßstab fungiert in der Rechtsprechung des EuGH die Formel, dass „das richtige Gleichgewicht […] zwischen dem Erfordernis einer kontrollierten Expansion der zugelassenen Glücksspiele […] und der Notwendigkeit, die Spielsucht der Verbraucher so weit wie möglich zu verringern“334 gefunden werden muss. 332  VGH München, Az. 10 BV 09/2259, BeckRS 2012, 56215 (Rn. 78); vgl. hierzu auch BVerwG, Az. 8 C 36/12, NVwZ 2014, S. 1583 (1583). 333  Z. B. EuGH, Rs. C-347/09, EuZW 2011, S. 841 (Rn. 69) – Dickinger/Ömer. 334  EuGH, Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 32) – Ladbrokes.



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 225

In Anwendung jenes Abwägungsmaßstabes hat sich unter Betrachtung einer gelieferten Bestandsaufnahme zu den expansionistischen und suchtpräventiven Regulierungselementen herausgestellt, dass die entscheidende Gefahr für die vor dem Kohärenzpostulat eingeforderte Ausgewogenheit des Monopolregimes darin besteht, durch ein regulatives Übergewicht an expansionistischer Wirkkraft zu entfallen („expansionsbedingte Überwirkungsgefahr“). Eine dahingehende Besorgnis ist insoweit begründet, als die Landesgesetzgeber vermittels der den Monopolinhaber mit Inkrafttreten des GlüÄndStV eingeräumten Angebotserweiterungs-, Vertriebs- und Werberechten ein Regulierungsprogramm von hoher expansiver Treibkraft in die Waagschale gelegt haben, was sich nicht zuletzt in der bemerkenswerten Umsatzentwicklung des DLTB-Spielangebots zwischen den Jahren 2012 und 2013 widerspiegelt. Eine Art Neutralisierung im Sinne einer Aufwiegung erfährt die expansionsbedingte Überwirkungsgefahr dabei nicht schon durch den legislativ induzierten Kanalisierungsgedanken; als insofern maßgeblicher „Hemmschuh“ einer erfolgsversprechenden Kanalisierung wurde die fehlende Kanalisierungsfähigkeit der mit der Expansionspolitik in Bezug genommenen Kanalisierungsgegenstände identifiziert: Weder hinsichtlich des anvisierten Kanalisierungsgegenstands „illegales Glücksspiel im Internet“ noch in Bezug auf die Kanalisierungsobjekte „Glücksspielspiele mit einem höheren Suchtgefährdungspotential“ steht in Ermangelung des Bestehens diesbezüglicher Substitutionsbeziehungen der Eintritt spürbarer Kanalisierungseffekte zu erwarten. Soweit also mit dem Monopol die Kanalisierung illegaler sowie im Umfeld suchtgefährlicher Glücksspiele ausgeübter Spieltätigkeit verfolgt wird, leidet das Monopol – als Teilaspekte der beiden Generalziele Kriminalitätsbekämpfung335 und Spielsuchtprävention – an einer Funktionsuntauglichkeit. Infolgedessen erfährt die auf dem Lotteriesektor entfaltete expansive Treibkraft aus dieser Kompensationsrichtung keinerlei Entlastung, sondern wird gegenteilig durch das neu eingeführte, in nicht unerheblichem Umfang auch bisherige Nichtspieler ansprechende Lotterieformat „Eurojackpot“ noch verstärkt oder zumindest perpetuiert. Trotz alledem konnte aufgezeigt werden, dass mit den spielsuchtpräventiv ausgerichteten Regulierungselementen dem expansionistischen Regulierungsprogramm ein Gesamtkonzept von hoher Wirkungsintensität entgegengestellt wurde. Auf vielfältigen Wirkebenen trägt das einschlägige Regularium wie auch das auf ihm fußende Verhalten der entscheidenden Marktakteure (Monopolinhaber, Glücksspielaufsicht) dem Anliegen der Spielsuchtpräven335  Zum Ziel des Schutzes vor Manipulationen als weiteren Teilaspekt der Kriminalitätsbekämpfung Ennuschat, ZfWG 2014, S. 642 (647 f.).

226 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

tion effektiv und in einem für den Lotteriesektor adäquaten Maße Rechnung. Von daher erscheint die Annahme gerechtfertigt, dass die suchtpräventiven Regulierungselemente imstande sind, die beträchtliche Wirkkraft der expansionistischen Regulierungsagenda zu kompensieren. Insgesamt kann dem (Landes-)Gesetzgeber daher attestiert werden, mit seiner in Bezug auf das Lotteriemonopol verfolgten Regulierungsstrategie das – gleichwohl recht fragile – „richtige Gleichgewicht […] zwischen dem Erfordernis einer kontrollierten Expansion der zugelassenen Glücksspiele […] und der Notwendigkeit, die Spielsucht der Verbraucher so weit wie möglich zu verringern“336, gefunden zu haben. Das Lotteriemonopol wird nicht evident über den Bruchprunkt zur Inkohärenz hinaus seiner Wirksamkeit bzw. Funktionstauglichkeit beraubt und kann für sich daher den Anspruch reklamieren, die ihm zugeschriebenen Globalziele der Spielsuchtprävention und Kriminalitätsbekämpfung insgesamt kohärent zu verwirklichen. 2. Horizontale Kohärenzbetrachtung Die auf das Lotteriemonopol gerichtete Kohärenzbetrachtung erfährt nun eine Vervollständigung durch ihre perspektivische Ausdehnung in die Horizontale; hatte die vorangegangene, rein vertikale Kohärenzuntersuchung ihren ausschließlichen Fluchtpunkt im lotteriebezogenen Regulierungsprogramm („Einzelkohärenz“), blickt sie im Folgenden gewissermaßen eine Systemebene höher und fragt nach der kohärenten und damit wirksamen Zielverwirklichung des Monopols unter Berücksichtigung der deutschen Glücksspielregulierung insgesamt („Gesamtkohärenz“). a) Einschlägiger Bewertungsmaßstab nach der EuGH-Rechtsprechung Für die Beurteilung einer Monopolregelung am Maßstab eines horizontalen Kohärenzansatzes liefert der EuGH in seiner Rechtsprechung – entsprechend der oben vorgenommenen Kategorisierung nach bestimmten Widerspruchstypen – genau genommen zweierlei Anknüpfungspunkte: Zum einen kann die kohärente Zielverwirklichung einer Monopolregelung dann in Zweifel stehen, wenn die mitgliedstaatlichen Stellen „in Bezug auf andere Glücksspiele […] eine Politik betreiben oder dulden, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern“337; es geht also um den Fall, dass die expansionistische Angebotspolitik in einem anderen Glücksspielsektor auf die Zielverwirklichung im sektoralen-monopolisierten Lotteriebereich zu336  EuGH, 337  EuGH,

Rs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 32) – Ladbrokes. verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 106) – Stoß u. a.



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 227

rückwirkt.338 Zum anderen kann die kohärente Zielrealisierung einer Monopolregelung Bedenken ausgesetzt sein, wenn „andere Arten von Glücksspielen von privaten Veranstaltern, die über eine Erlaubnis verfügen, betrieben werden dürfen […]“339; gemeint sind hiermit bekanntermaßen solche Regulierungskonstellationen, in denen ein mitgliedstaatlicher Normgeber bestimmte Glücksspielformen einer im Verhältnis zum monopolisierten Spiel­ angebot schwächeren Regulierungsintensität unterwirft. Beiden, potenziell eine Inkohärenz stiftenden Widersprüchen wohnt indes dasselbe die wirksame Zielverwirklichung einer Monopolregelung unter Umständen konterkarierende Moment inne; es besteht namentlich in der Freisetzung einer „Wanderbewegung“340 der im Kontext des monopolisierten Glücksspielangebots ausgeübten Spieltätigkeit hin zu weniger streng regulierten und damit weniger auf die Globalziele der Spielsucht- und Kriminalprävention eingehenden Glücksspielsektoren – einerlei, ob sie durch eine expansive Angebotspolitik in anderen Glücksspielsegmenten oder durch ein Regulierungsgefälle ausgelöst wird.341 Eine wie vorliegend auf ein Monopol bezogene horizontale Kohärenzprüfung ist also stets an den Befund gekoppelt, dass die nicht monopolisierten Vergleichssektoren aufgrund ihres niedrigen Regulierungsniveaus und/oder wegen der in Bezug auf sie verfolgten expansiven Angebotspolitik das Potenzial bieten, eine „Wanderbewegung“ nachhaltig-spürbaren Ausmaßes zu entfalten.342 Kann dies bejaht werden, ist abzuwägen, ob dadurch die Monopolregelung evident über den Bruchpunkt zur Inkohärenz hinaus ihrer zielbezogenen Funktionstauglichkeit beraubt wird.343 b) Vergleichssektoren Da nach dem soeben Ausgeführten bereits eine im nationalen Glücksspielsystem vorhandene „Regulierungsschieflage“ – und nicht erst eine expansive Glücksspielpolitik – unter zusätzlichen Voraussetzungen potenziell geeignet ist, eine, die kohärente Zielverwirklichung des Lotteriemonopols vereitelnde „Wanderbewegung“, freizusetzen, kommen als in die Kohärenzuntersuchung Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, S. 754. verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 107) – Stoß u. a. 340  So BVerwG, Az. 8 B 91/11, BeckRS 2012, 59766. 341  Vgl. BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 57); Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Einf. (Rn. 41); Hecker, DVBl 2011, S. 1130 (1131); Hecker, WRP 2012, S. 523 (525 f.); Peren/Clement, Spieler und Konsumentenschutz, S.  55 f. 342  Vgl. hierzu schon die Ausführungen oben Teil 3, B., II., 6., dd). 343  Vgl. BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 53). 338  Vgl.

339  EuGH,

228 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

einzustellende Vergleichssektoren grundsätzlich sämtliche nicht-monopolisierten Glücksspielsemente und – im Blick auf den Status quo der Regulierungslage in Deutschland – damit alle anderen Glücksspielsektoren in Betracht. aa) Pferdewetten Ein erstes Vergleichssegment bildet der Pferdewettensektor. Das Recht der Pferdewetten ist „im Kern gewerberechtsähnlich ausgestaltet“344; es gilt – mit gewissen Einschränkungen – bekanntlich die Gewerbefreiheit. Erfüllt ein Antragsteller die in den §§ 1 ff. RennwLottG niedergelegten Voraussetzungen, folgt daraus ein Anspruch auf Erteilung einer Totalisatoren- oder Buchmachererlaubnis.345 Die Glücksspielsparte der Pferdewetten steht einer Bewirtschaftung durch Private also weithin offen und begründet damit eine augenfällige Regelungsasymmetrie im Verhältnis zum monopolisierten Lotteriesegment. Ob darüber hinaus in Bezug auf diese Glücksspielsparte seitens des Gesetzgebers oder sonstiger staatlicher Stellen eine expansionistische Politik betrieben wird, erscheint indes höchst fraglich: Zwar ist es den Erlaubnisinhabern seit Verabschiedung des GlüÄndStV entgegen früherem Recht346 gestattet, auf Grundlage einer zusätzlichen Erlaubnis, Pferdewetten auch über das Internet zu offerieren (vgl. § 27 Abs. 2 S. 2 GlüÄndStV); zugleich aber erhebt das neue Vertragswerk mit seinem § 27 Abs. 1 die in § 4 Abs. 2 S. 1 u. Abs. 3 GlüÄndStV aufgestellten, repressiv geprägten Anforderungen zu den zentralen Maßstäben und Grenzen bei der Beurteilung der Erlaubnisfähigkeit von Totalisatoren und Buchmachern i. S. d. § 1 bzw. § 2 RennwLottG, wodurch das expansionistische Moment gewissermaßen eine Art Relativierung erfährt. Gegen die Verfolgung oder zumindest Duldung einer expansiven Glücksspielpolitik im Pferdewettensegment spricht nicht zuletzt auch die dort zu verzeichnende Umsatzentwicklung, die seit Jahren eher durch Stagnation und Einbußen als durch Steigerung gekennzeichnet ist.347 Letztlich kann die Frage nach einer expansiven Glücksspielpolitik auch dahinstehen und zwar deswegen, weil nur verhältnismäßig wenige Spieler im Bereich der Pferderennen aktiv sind; ihr Anteil am deutschen Glücksspielmarkt beträgt – gemessen an verausgabten Wetteinsätzen – weniger als 344  Ennuschat/Klestil, 345  Vgl.

GewArch 2012, S. 417 (423). Ennuschat, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 1 RennwLottG

(Rn. 6). 346  Näher hierzu BVerwG, NVwZ 2011, S. 1319 (Rn. 37); BGH, ZfWG 2012, S. 23 (Rn. 59); Klöck/Klein, NVwZ 2011, S. 22 (25). 347  Vgl. die Statistik bei Meyer, in: DHS e. V., Jahrbuch Sucht 2014, S. 124 (127).



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 229

0,5 Prozent348. Dies zeigt, dass es sich bei Pferderennen um keine dem Breitensport zurechenbare Aktivität handelt, die – wenn überhaupt – nur eine äußerst geringe (intersektorale) Strahlkraft besitzt; die in diesem Segment agierenden Spielertypen bilden eine sehr spezielle und homogene Gruppe.349 Im Lichte dessen kann nicht angenommen werden, dass die Regulierungspraxis in diesem Bereich nur ansatzweise imstande wäre, eine spürbare, „monopolschädlich[e]“350 Migrationsbewegung der im Kontext des monopolisierten Lotteriesektors entfalteten Spieltätigkeit hin zum Pferdewettensektor freizusetzen und hierdurch die wirksame Zweckerreichung des Monopols überhaupt nur zu tangieren.351 bb) Allgemeine Sportwetten Im Gegensatz zum Veranstaltungsrecht von Pferdewetten unterlag das Recht zur Austragung aller sonstigen Sportwetten lange Zeit einem „Residualmonopol“352 der Länder. Erst die Ratifizierung des GlüÄndStV im Jahr 2012 brachte bekanntlich eine – wenngleich moderate –Marktliberalisierung mit sich: Mit der Einführung einer Experimentierklausel in das Glücksspielrecht der Länder (§ 10a Abs. 1 i. V. m. § 4a Abs. 1 GlüÄndStV) ist es nunmehr auch Privaten gestattet, auf Basis einer Konzession für einen Erprobungszeitraum von sieben Jahren bundesweit Sportwetten zu veranstalten.353 Die Anzahl der maximal zu erteilenden Konzessionen ist dabei zunächst auf 20 begrenzt (§ 10a Abs. 3 GlüÄndStV), kann allerdings ausweislich § 4a Abs. 3 S. 2 GlüÄndStV künftig entsprechend der während der Erprobungsphase gewonnenen Erkenntnisse gesenkt oder erhöht werden. Das so beschaffene Konzessionssystem ist zwar „weit von der Gewerbefreiheit entfernt“354, weist aber trotz seines oligopolischen Gepräges ein im Vergleich zur monopolisierten Lotteriesparte niedrigeres Regulierungsniveau auf und erzeugt damit ein horizontales Regulierungsgefälle.

die Statistik bei Meyer, in: DHS e. V., Jahrbuch Sucht 2014, S. 124 (128). diese Richtung BGH, Az. I ZR 92/09, GRUR 2012, S. 193 (Rn. 61). 350  Hecker, DVBl 2011, S. 1131 (1133). 351  So auch BGH, Az. I ZR 92/09, GRUR 2012, S. 193 (Rn. 60 ff.); BVerwG, Az. 8 C 5/10, ZfWG 2011, S. 332 (Rn. 35); OVG Münster, Az. 4 B 733/10, ZfWG 2011, S. 47 (Rn. 52); VGH Mannheim, Az. 6 S 110/07, ZfWG 2010, S. 24 (Rn. 39). 352  Koenig/Bovelet, ZfWG 2011, S. 236 (236). 353  Näher hierzu Gebhardt, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 10a GlüStV (Rn.  16 ff.). 354  Ennuschat, WRP 2014, S. 642 (647). 348  Vgl. 349  In

230 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

Obgleich mit dem Modellwechsel im Sportwettenbereich schwerpunktmäßig das Ziel der „Bekämpfung des entstandenen Schwarzmarktes“355 verfolgt wird, soll in diesem Segment nach dem Willen der Normgeber – wie er in der Begründung zum GlüÄndStV zum Ausdruck gelangt – „eine Expansion des Angebots in Anbetracht der […] Ziele des Staatsvertrages […] vermieden werden“356. Dennoch trägt das neue Regularium unverkennbar expansionistische Züge; am deutlichsten gelangt dies in den novellierten Vertriebs- und Werbedirektiven zum Ausdruck: Anders als noch unter Geltung des GlüStV steht den (konzessionierten) Sportwettenveranstaltern unter bestimmten Voraussetzungen der Zugriff auf den Vertriebskanal Internet offen (§ 4 Abs. 5 GlüÄnStV). An die Stelle des noch im Vorläuferstaatsvertrag verankerten strikten Internet- und Fernsehwerbeverbots setzt das neue Vertragswerk eine Öffnungsklausel, auf deren Grundlage den Veranstaltern die Schaltung von Internetund Fernsehwerbung erlaubt werden kann (§ 5 Abs. 3 GlüÄndStV). Die Frage nach den marktmäßigen Auswirkungen des expansionistischen Normprogramms und dabei insbesondere die Subfrage nach Inhalt und Umfang einer Marktausweitung lässt sich indes derzeit nicht sachgerecht beantwortetet, da die tatsächliche Entscheidung über die Vergabe der 20 Sportwettenkonzessionen – und damit zugleich die faktische Entscheidung für eine Liberalisierung des Sportwettensektors – bislang nicht gefallen ist.357 Nichtsdestotrotz lassen sich zu der für die hiesige Kohärenzbeurteilung entscheidende Fragestellung, ob dem noch jungen, liberalisierten Sportwettensektor das Potenzial inne wohnt, eine „Wanderbewegung“ der Konsumenten zulasten des monopolisierten Lotteriesektors freizusetzen, die folgenden Erwägungen anstellen: Schon im Blick auf die vollzogene Novellierung und die große Popularität von Sportwettenangeboten dürfte der novellierte Sportwettensektor sicherlich einige intersektorale Strahlkraft besitzen, die ebenfalls ein gewisses Kontingent an auf dem Lotteriesektor agierenden Spieler erfassen könnte. Ob ein eventuell darauf einsetzender Migrationsprozess allerdings zu einer solcherart eminenten Marktanteilsverschiebung führt, dass hierdurch die wirksame Zweckerreichung des Lotteriemonopols über den Bruchpunkt zur Funktionsuntauglichkeit hinaus konterkariert wird, erscheint aber äußerst zweifelhaft. Dies vor dem Hintergrund, dass der entscheidende Faktor für die Freisetzung intersektoraler Spielerstrombewegungen die wechselseitige Substituierbarkeit der unterschiedlichen Glücksspielsegmente bildet. Die Ingangsetzung einer spürbaren „Wanderbewegung“ der Spielkreise vom Lotterie- hin zum Sportwettensektor steht also unter der Prämisse, dass 355  Amtl.

Erläuterung zum GlüÄndStV, LT-Drs. BW 15/1570, S. 58. Erläuterung zum GlüÄndStV, LT-Drs. BW 15/1570, S. 58. 357  Siehe hierzu Kirchhof, NVwZ 2016, 124 ff. m. w. N. aus der Rspr. 356  Amtl.



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 231

die jeweiligen Lotterie- und Sportwettenprodukte in einem Verhältnis der Substitution zueinander stehen, für die Spieler also weithin austauschbar sind. Davon ist im vorliegenden Zusammenhang allerdings nicht auszugehen; insoweit kann auf die obigen Erwägungen zum realen Kanalisierungspotenzial der monopolisierten Lotterieprodukte rekurriert werden, die sozusagen spiegelbildlich – „Hinwanderung“ als Kehrseite zur „Abwanderung“ – im vorliegenden Kontext gleichermaßen Geltung beanspruchen. Dort wurde festgehalten, dass in der Nachfrage der Spieler enge Substitutionsbeziehungen ausschließlich binnensektoral zwischen den verschiedenen Lotterieprodukten der Monopolinhaber bestehen, nicht dagegen intersektoral zwischen Lotterieprodukten einerseits und sonstigen Glücksspielprodukten andererseits.358 Unter Berücksichtigung dessen steht der Eintritt beachtenswerter Abwanderungsbewegungen vom monopolisierten Lotteriesektor hin zum Sportwettensektor nicht zu erwarten, weshalb von einer (drohenden) Funktionsuntauglichkeit des Lotteriemonopols keine Rede sein kann. cc) Gewerbliches Automatenspiel Das vorrangig in Spielhallen, aber auch in gastronomischen Betrieben veranstaltete Automatenglücksspiel ist nach gefestigter Tradition gewerberechtlich geordnet („Institution des Gewerberechts“359).360 Unter dem Eindruck der Gewerbefreiheit steht es bei Erfüllung der Erlaubnisvoraussetzungen361 des § 33c GewO und weiteren Vorgaben jedermann frei, entsprechende „Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit“ aufzustellen. Auch diese Glücksspielsparte kennzeichnet damit ein im Vergleich zum monopolisierten Lotteriesektor erheblich niedrigeres Regulierungsniveau. Was die Frage angeht, ob in diesem Bereich eine vonseiten der staatlichen Aufgabenträger ausgehende expansive Glücksspielpolitik verfolgt oder zumindest geduldet wird, so zeigt sich ein recht ambivalentes Bild: Einerseits verzeichnet der gewerbliche Automatenspielsektor mit zuletzt stark steigender Tendenz seit Jahren konstante Zuwachsraten; diese Entwicklung hat dazu geführt, dass die Geräte mittlerweile die mit Abstand größten Umsatzträger legaler Spielangebote in Deutschland sind.362 Andererseits ist der Gesetzgem. w. N. nur Becker, ZfWG 2012, S. 229 (236 f.). GewArch 1988, S. 264 (267). 360  Degenhart, DVBl 2014, S. 416 (417). 361  Vgl. zu den Erlaubnisvoraussetzungen im Einzelnen Meßerschmidt, in: Pielow, BeckOK GewO, § 33c (Rn. 3). 362  Vgl. die Statistik bei Meyer, in: DHS e. V., Jahrbuch Sucht 2014, S. 124 (127); darauf hinweisend VGH München, Az. 10 BV 10/2505, GewArch 2012, S. 445 (Rn. 38). 358  Vgl.

359  Kummer,

232 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

ber in neuerer Zeit363 und erklärtermaßen364 sichtlich darum bemüht, einer weiteren Expansion des Automatengewerbes entgegenzuwirken. Davon zeugt schon die Einbeziehung des in Spielhallen veranstalteten Automatenglücksspiels in die restriktiven Regelungsteile des glücksspielstaatsvertraglichen Regimes:365 Gemäß § 24 Abs. 1 GlüÄndStV bedürfen Errichtung und Betrieb von Spielhallen nunmehr einer gesonderten, landesrechtlichen Erlaubnis, deren Erteilung sich an den ordnungsrechtlich geprägten Zielen des § 1 GlüÄndStV ausrichtet.366 In den zum GlüÄndStV ergangenen Ausführungsdekreten und in landesspezifischen Spielhallengesetzen werden zudem die den Landesgesetzgebern zur spezifischen Ausgestaltung überlassenen materiellen Vorgaben des Vertragswerks deutlich restriktiv gefasst, so etwa die Abstandsregelungen des § 25 Abs. 1 GlüÄndStV.367 Auch die im Jahr 2014 vollzogene Änderung der die gerätebezogene Seite des Automatenspiels reglementierenden, Spielverordnung368 steht sichtbar im Zeichen der Angebotsreduktion.369 So führen die neu gefassten Vorschriften zu einer – vom Verordnungsgeber intendierten370 – Begrenzung der vom Automatenspiel ausgehenden Spielanreize sowie der hier bestehenden Gewinn- und Verlustmöglichkeiten; außerdem wird die Höchstzahl der in der Gastronomie zulässigen Geräte auf zwei kontingentiert (Art. 5 der ÄnderungsVO). Letzten Endes kann allerdings auch hier die Frage nach dem genauen Inhalt und Ausmaß sowie nach dem praktischen Ertrag der verfolgten Regulierungsstrategie unter Verweis auf die obigen Überlegungen zu den im deutschen Glücksspielwesen bestehenden Substitutionszusammenhänge offen bleiben. Denen zufolge bestehen aus Sicht der Lotteriespieler enge Austauschbeziehungen allein unter den verschiedenen Lotterievarianten. Deshalb liegt es „jedenfalls nicht auf der Hand, dass durch die Entwicklung im Automatenspiel eine nennenswerte Zahl von […] Lotto-Spielern zu den Automa363  Zu den Regulierungsstrategien des Gesetzgebers aus einem entwicklungsgeschichtlichen Blickwinkel Weidemann/Krappel, NVwZ 2013, S. 673 (675 f.). 364  Vgl. amtl. Erläuterung zum GlüÄndStV, LT-Drs. BW 15/1570, S. 60. 365  Zum Streit um die Gesetzgebungszuständigkeit im Schnittfeld zwischen Automaten- und Spielhallenrecht nach der Föderalismusreform Degenhart, DVBl 2014, S.  416 (416 ff.); Weidemann/Krappel, NVwZ 2013, S. 673 (673 ff.). 366  Pagenkopf, NJW 2012, S. 2918 (2922). 367  Siehe die Zusammenstellungen bei Hufen, Die Einschränkung des gewerblichen Geld-Gewinnspiels, S. 14 ff. und Schneider, WiVerw 2014, S. 165 (178 ff.); vgl. hierzu auch Frenz, GewArch 2014, S. 465 (465 ff.). 368  Geändert durch die „Sechste Verordnung zur Änderung der Spielverordnung“ v. 04.11.2014, BGBl 2014 I, S. 1678 ff. 369  Instruktiv hierzu Odenthal, GewArch 2015, S. 49 (49 ff.). 370  Amtl. Erläuterung zur Sechsten Verordnung zur Änderung der Spielverordnung, BR-Drs. 437/13, S. 1 ff.



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 233

tenspielen abwandert“371 und damit die wirksame Zweckerreichung bzw. Funktionstauglichkeit des Lotteriemonopols entfallen lässt.372 dd) Spielbanken Aus einem gesamtstaatlich-bundesrepublikanischen Blickwinkel betrachtet herrscht auf dem deutschen Spielbankensektor eine Koexistenz zweier Regulierungskonzeptionen vor: In einigen Ländern bleibt das Recht zum Betrieb einer Spielbank der öffentlichen Hand vorbehalten, in anderen Ländern ist es auch Privaten gestattet, zumeist auf Basis einer Konzession Spielbanken zu betreiben.373 Jedenfalls in den Regierungssystemen letztgenannter Bundesländer erzeugt diese Begebenheit ein kohärenzrelevantes Regulierungsgefälle zwischen dem konzessionierten Spielebankensektor und der monopolisierten Lotteriesparte. Ob und in welchem Maße der (konzessionierte) Spielbankensektor darüber hinaus einer Politik der Angebotsexpansion unterliegt – wogegen prima vista die dort zu verzeichnenden Umsatzrückgänge374 sprechen –375 kann unterdessen abermals dahinstehen: Wie im Vorstehenden bereits mehrfach herausgestellt wurde, vermögen die individuellen Affinitäten der Lotteriespieler und der damit bestehende Mangel an intersektoralen Substitutionsbeziehungen die auf einer Regulierungasymmetrie oder Angebotspolitik zurückführbare Annahme beachtenswerter Wanderbewegungen vom Lotteriesektor hin zum Spielbankensegment ohnehin nicht zu tragen, weshalb von einer (drohenden) Funktionsuntauglichkeit des Lotteriemonopols nicht die Rede sein kann. c) Fazit zur horizontalen Kohärenzbetrachtung Die sich aus einem horizontalen Blickwinkel speisende Kohärenzbetrachtung auf den lotteriebezogenen Staatsvorbehalt der Länder hat ergeben, dass der kohärenten Zielverwirklichung des Monopols keine durchgreifenden Bedenken entgegenstehen. Weder der Umstand, dass staatliche Stellen 371  Hecker,

DVBl 2011, S. 1131 (1134). ähnlich BVerwG, Az. 8 C 10/12, ZfWG 2013, S. 396 (Rn. 51). 373  Siehe dazu im Einzelnen Ennuschat, ZfWG 2015, S. 78 (78); Hartmann, in: Hartmann/Pieroth, Spielbanken und Spielhallen, S. 95 (103 f.). 374  Vgl. die Statistik bei Meyer, in: DHS e. V., Jahrbuch Sucht 2014, S. 124 (127); vgl. zur Entwicklung auf dem Spielbankensektor auch Kramer, WRP 2011, S. 180 (180 f.) und Schneider, WiVerw 2014, S. 165 (174 ff.). 375  So explizit auch das OVG Münster, Az. 4 B 733/10, ZfWG 2011, S. 47 (Rn. 119). 372  Ganz

234 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

womöglich „in Bezug auf andere Glücksspiele […] eine Politik betreiben oder dulden, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern“376, noch die Tatsache, dass im Gegensatz zu den monopolisierten Lotterievarianten „andere Arten von Glücksspielen von privaten Veranstaltern, die über eine Erlaubnis verfügen, betrieben werden dürfen“377 vermögen die Annahme zu stützen, das Lotteriemonopol würde als Folge dessen über den Bruchpunkt zur Inkohärenz hinaus evident seiner Funktionstauglichkeit beraubt. Denn: Eine Gefahr für die kohärente Verwirklichung der mit einer Monopolregelung verbundenen Zielsetzung geht von derlei Regulierungskonstellationen immer nur dann aus, wenn sie imstande sind, eine nachhaltige „Migrationsbewegung“ der im Kontext des monopolisierten Sektors entfalteten Spieltätigkeit hin zu einem weniger streng regulierten, respektive einer Angebotsexpansion unterliegenden Glücksspielsektor freizusetzen. Diese Gefahrenlage besteht im hiesigen Zusammenhang schon nicht, weil als entscheidender Mittler derlei intersektoraler „Wanderbewegungen“ das Moment der Substituierbarkeit fungiert, die monopolisierten Lotterieprodukte aber aufgrund ihrer charakteristischen Eigenarten in keinem Verhältnis der Substitution zu den übrigen in Deutschland vorfindlichen Glücksspielformen – namentlich Pferdewetten, allgemeinen Sportwetten, gewerblichen Automatenspielen und Spielbankenspielen – stehen. Aus Sicht des Lotteriemonopols besteht also vor dem Kohärenzgebot kein dahingehender Handlungsbedarf, eine eventuell in anderen Glücksspielsektoren verfolgte Expansionspolitik zurückzufahren oder das im deutschen Glücksspielwesen vorhandenen Regulierungsgefälle einzuebnen.

IV. Resümee Im Zentrum der vorstehenden Abhandlung stand die Frage, ob das lotteriebezogene Veranstaltungsmonopol der Länder den Anforderungen genügt, die das Gebot der Kohärenz an eine unionsrechtskonforme Monopolregulierung stellt. Insoweit galt es im Rahmen einer Kohärenzabwägung zu untersuchen, ob der Staatsvorbehalt in seiner normativen wie faktischen Ausgestaltung in der Lage ist, die ihm zugeschriebenen Fundamentalziele einerseits der Spielsuchtprävention und andererseits der Kriminalitätsbekämpfung wirksam zu realisieren. Den perspektivischen Anknüpfungspunkt für kritische Anfragen an die kohärenzspezifische Wirksamkeit des Monopols markierte dabei zunächst ein 376  EuGH, 377  EuGH,

verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 106) – Stoß u. a. verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 107) – Stoß u. a.



B. Beurteilung des Lotteriemonopols am Maßstab des Kohärenzgebots 235

vertikaler, also ein ausschließlich das lotteriebezogene Regulierungsprogramm fokussierender Blickwinkel („Einzelkohärenz)“. Unter Zugrundelegung der maßgeblichen Abwägungsfrage, ob mit der Monopolregulierung „das richtige Gleichgewicht […] zwischen dem Erfordernis einer kontrollierten Expansion der zugelassenen Glücksspiele […] und der Notwendigkeit, die Spielsucht der Verbraucher so weit wie möglich zu verringern“378 gefunden wurde, konnte festgestellt werden, dass die entscheidende Gefahr für die insoweit eingeforderte Ausgewogenheit eines Monopolregimes darin besteht, durch ein regulatives Übergewicht an expansionistischer Wirkkraft zu entfallen („expansionsbedingte Überwirkungsgefahr“). Eine dahingehende Besorgnis ist insofern begründet, als die Landesgesetzgeber kraft der den Monopolinhabern mit Verabschiedung des GlüÄndStV eingeräumten Angebotserweiterungs-, Vertriebs- und Werberechten ein Regulierungsprogramm von hoher expansiver Treibkraft in die Waagschale gelegt haben, wobei die expansionsbedingte Überwirkungsgefahr nicht schon durch den legislativ induzierten Kanalisierungsgedanken eine Entlastung erfährt; als maßgeblicher „Hemmschuh“ einer erfolgsversprechenden Kanalisierung konnte das Nichtbestehen von Substitutionsbeziehung zwischen dem Lotteriesektor einerseits und den mit der Expansionspolitik in Bezug genommenen Kanalisierungsgegenständen andererseits („illegales Glücksspiel im Internet“ und „Glücksspielspiele mit einem höheren Suchtgefährdungspotential“) identifiziert werden. Nichtsdestotrotz hat die Bearbeitung aufgezeigt, dass der Gesetzgeber mit den spielsuchtpräventiv ausgerichteten Regulierungselementen dem expansionistischen Regulierungsprogramm ein Gesamtkonzept von hoher, den Bedürfnissen auf dem Lotteriesektor adäquat Rechnung tragender Wirkungsintensität entgegengestellt hat, das im Gesamturteil imstande ist die beträchtliche Wirkkraft der expansionistischen Regulierungsagenda aufzufangen und damit das eingeforderte „richtige Gleichgewicht“ herzustellen. Als problematisch für die kohärenzspezifische Wirksamkeit des Monopols hat sich demgegenüber weder der Umstand erwiesen, dass aus der Perspektive des monopolisierten Lotteriesektors in Bezug auf andere in Deutschland verfügbare Glücksspielformate gegebenenfalls (!) eine Politik betrieben oder geduldet wird „die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Gelegenheit zum Spiel zu verringern“379 noch die Tatsache, dass im Gegensatz zu den monopolisierten Lotterievarianten in Deutschland „andere Arten von Glücksspielen von privaten Veranstaltern, die über eine Erlaubnis verfügen, betrieben werden dürfen“380. Die insofern aus einem vertikalen Betrachtungswinkel unternommene KohärenzRs. C-258/08, EuZW 2010, S. 593 (Rn. 32) – Ladbrokes. verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 106) – Stoß u. a. 380  EuGH, verb. Rs. C-316/07 u. a., NVwZ 2010, S. 1409 (Rn. 107) – Stoß u. a. 378  EuGH, 379  EuGH,

236 4. Teil: Deutsche Glücksspielregulierung auf dem Prüfstand der Kohärenz

beurteilung („Gesamtkohärenz“) hat namentlich ergeben, dass die aufgeführten Umstände keine spürbare „Migrationsbewegung“ der im Kontext des monopolisierten Sektors entfalteten Spieltätigkeit hin zu einem weniger streng regulierten respektive einer Angebotsexpansion unterliegendem Glücksspielsektor bewirken und damit sicher nicht über den Bruchpunkt zur Inkohärenz hinaus auf Zielerreichbarkeit des Monopols durchschlagen können. Der Grund hierfür liegt wiederum in den charakteristischen Eigenarten der monopolisierten Lotterieprodukte begründet, die in keinem Verhältnis der (intersektoralen) Substitution zu den übrigen in Deutschland verfügbaren Glücksspielformen stehen.

Fünfter Teil

Gesamtbilanz und Ausblick Abschließend sollen im Folgenden die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit thesenartig zusammengefasst und ein Ausblick gegeben werden.

A. Zusammenfassung (1)  Das Glücksspiel übt in all seinen Variationen seit Jahrhunderten eine tiefe Anziehungskraft auf die Menschen aus und kann für sich den Charakter eines zivilisatorischen Gemeinguts beanspruchen. In einem legalen Umfeld und zur bloßen Unterhaltung ausgeübt, erscheint das Glücksspiel als eine unbedenkliche Freizeitbeschäftigung. Wenn aber das spielerische vom monetären Element verdrängt wird, kann sich das Glücksspiel als Quelle großer Probleme erweisen, weshalb es von jeher als eine für die Sozialordnung gefährliche Aktivität betrachtet worden ist. Das vom Glücksspiel insoweit ausgehende Gefahrenpotenzial besteht einerseits in der – mitunter existenzbedrohenden – Entstehung von Spielsucht und andererseits in der kriminellen Vereinnahmung des Spiels; beim Glücksspiel handelt es sich also um einen konfliktträchtigen, mit gesellschaftsschädlichen Implikationen behafteten Lebenssachverhalt, der einen Regulierungsbedarf nach sich zieht. (2) Aus der im Kontext dieser Arbeit eingenommenen Perspektive steht die Notwendigkeit der regulativen Umhegung des Glücksspiels durch die einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Rede. Aus ihrer Einbindung in den Rechtskreis der EU erwächst für sie unmittelbar die Pflichtstellung, die nationalen Glücksspielordnungen unter den Vorbehalt unionaler Rechtssätze zu stellen; die Regulierungssysteme sind aufgrund der fortschreitenden europäischen Integration mithin einer ausschließlich an nationalen Rechtsmaßstäben ausgerichteten Betrachtungsweise entzogen. (3)  Die Anforderungen, die das Unionsrecht an die regulative Ausgestaltung der nationalen Glücksspielwesen stellt, beruhen auf der Prämisse, dass den Mitgliedstaaten in diesem Bereich eine weitreichende Gestaltungsautonomie zukommt; dies spiegelt sich nicht zuletzt im Fehlen sekundärrechtlicher Glücksspielregelungen wider. Dahinter steht die Einsicht, dass sich der Glücksspielsektor gegenüber anderen Dienstleistungssektoren durch achtenswerte sittliche, religiöse und kulturelle Besonderheiten abgrenzt. Deshalb

238

5. Teil: Gesamtbilanz und Ausblick

bleibt es vor dem Unionsrecht Sache der Mitgliedstaaten mit Rücksicht auf die spezifisch-nationalen Verhältnisse zu beurteilen, welches Schutzniveau sie im Glücksspielbereich vorhalten (sog. „Schutzniveauautonomie“) und welche glücksspielspezifischen Regulierungsinstrumente (z. B. Totalverbot, Monopol- oder Konzessionssystem) sie für notwendig erachten, um dieses Schutzniveau zu realisieren. (4)  Allein die Tatsache, dass es im Glücksspielbereich zwischen den Mitgliedstaaten sittliche, religiöse und kulturelle Unterschiede gibt, liefert den nationalen Staatsautoritäten keinen „Freibrief“ dafür, bei der regulativen Ausfüllung ihrer Gestaltungsfreiräume die rahmenrechtlichen Vorgaben der EU-Wirtschaftsverfassung außer Betracht zu lassen. In ihrer prinzipiell weit bemessenen Regulierungsautonomie sind die Mitgliedstaaten namentlich insoweit beschränkt, als sie die Schutzgehalte der unionsvertraglichen Grundfreiheiten zu berücksichtigen haben. Deren glücksspielspezifische Wirkhorizonte hat der Europäische Gerichtshof unter Inanspruchnahme seiner aus Art. 19 Abs. 1 EUV folgenden Exklusivkompetenz zur „Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge“ in seiner gut 20 Jahre währenden Glücksspielrechtsprechung in zahlreichen (Vorabentscheidungs-)Verfahren ausgedeutet. Dabei stellte er frühzeitig klar, dass die grenzüberschreitende Erbringung und Inanspruchnahme von Glücksspielleistungen aufgrund ihres wirtschaftlichen Charakters vom Schutzbereich der Grundfreiheiten umschlossen wird. Unter den einzelnen Marktfreiheiten ragen dabei die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit (Art.  56  ff. bzw. Art.  49  ff. AEUV) als diejenigen Grundfreiheiten hervor, welche die mit Abstand größten Bezüge zu Fragen der unionsrechtlichen Beurteilung grenzüberschreitender Glücksspielaktivitäten aufweisen. (5) Ist mit einer nationalen Glücksspielmaßnahme die Beeinträchtigung grundfreiheitlicher Schutzgehalte verbunden, so löst dies einen Rechtfertigungszwang aufseiten des verantwortlichen Mitgliedstaats aus. Letzterer muss darlegen können, dass für die Grundfreiheitsbeeinträchtigung als legitim anerkannte Gründe streiten. Da der als geschriebener Rechtfertigungsgrund konzipierte ordre-public-Vorbehalt (Art. 52 AEUV bzw. Art. 62 AEUV) in Glücksspielsachverhalten nicht greift, ist die Grundfreiheitsbeschränkung einer Legitimierung ausschließlich über die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe („Schranke“) der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses zugänglich. Die vom EuGH im Glücksspielbereich als solche Allgemeininteressen anerkannten Einzelbelange lassen sich dabei auf die übergeordneten Regulierungsmotive einerseits der Spielsuchtbekämpfung und andererseits der Kriminalitätsbekämpfung herunterbrechen. (6) Dass sich in einer Glücksspielmaßnahme die Verfolgung legitimer Gemeinwohlbelange widerspiegelt, rechtfertigt den mit ihr verbundenen



A. Zusammenfassung239

Grundrechteingriff jedoch nicht ipso iure; die fragliche Maßnahme muss sich zusätzlich an den Anforderungen des aus den Teilgeboten der Geeignetheit und Erforderlichkeit bestehenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes („Schranken-Schranke“) messen lassen, d. h. sie muss geeignet sein, das ihr zugrundeliegende Regulierungsziel zumindest annähernd zu erreichen und sie muss im Sinne des Erforderlichkeitskriteriums unter mehreren, für die Erreichung des verfolgten Ziels geeigneter Maßnahmen diejenige sein, die am wenigsten belastend für das betroffene Interesse wirkt. Die im Blick auf diese beiden Prüfungskriterien an die verhältnisgerechte Ausgestaltung einer Glücksspielmaßnahme zu stellenden Ansprüche können aufgrund ihrer prüfungstechnischen Anbindung an das jeweilige Regulierungskonzept nicht immer mit letzter Präzision determiniert werden. Nichtsdestoweniger lässt sich der hierbei anzulegende Maßstab auf eine abstrahierte Kurzformel bringen: Je restriktiver die Glücksspielmaßnahme, desto höher muss das verfolgte Schutzniveau sein, um sie – die Maßnahmen – im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als geeignet und erforderlich erscheinen zu lassen. Unter Wahrung dieses Grundsatzes erachtet der EuGH selbst die Errichtung eines wettbewerbsfeindlichen Monopols für verhältnisgerecht. (7)  Mittlerweile genügt die Bejahung der Eignung und Erforderlichkeit – im „klassischen“ Verständnis – allerdings nicht mehr den Anforderungen, die das Unionsrecht an die verhältnismäßige Ausgestaltung einer grundfreiheitsbeschränkenden Glücksspielmaßnahme stellt. Seit geraumer Zeit muss sich eine solche Regelung unter Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit zusätzlich der Prüfung stellen, ob sie das ihr zugeschriebene Anliegen in „kohärenter und systematischer“ Weise realisiert. Das so aufgestellte Gebot der Kohärenz hat seine gedanklichen Ursprünge im geschriebenen Primärrecht (vgl. Art. 7 AEUV), ist aber eine genuine Schöpfung des richterechtlichen Unionsrechts. Als eine im Wege judikativer Rechtsfortbildung vom Europäischen Gerichtshof in die grundfreiheitliche Prüfungsdogmatik überführte Rechtsfigur gelangt es seit der im Jahr 2003 gefällten Gambelli-Entscheidung stetig bei der Frage zur Anwendung, ob eine grundfreiheitsbeschränkende Glücksspielmaßnahme unter Berücksichtigung ihres regulativen Kontexts imstande ist, die ihr zugedachte Zielsetzung wirksam zu gewährleisten. Die Erreichbarkeit des mit einer Glücksspielmaßnahme intendierten Ziels steht unter den Vorgaben des Kohärenzgebots immer dann in Gefahr, wenn es durch die Ergreifung, Erleichterung oder Duldung gegenläufiger Maßnahmen – gleich ob tatsächlicher oder normativer Art – solchermaßen konterkariert wird, dass eine wirksame Zielerreichung praktisch nicht mehr gewährleistet ist. (8) Von ihrer ursprünglichen Leitidee her zielt die Kohärenzprüfung auf die Erkenntnis, ob ein Mitgliedstaat die zur Legitimation der Grundfreiheitsbeschränkung angeführte Zielsetzung wirklich zu realisieren versucht oder sich bei seinen regulativen Entscheidungen von unionsillegitimen und damit

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5. Teil: Gesamtbilanz und Ausblick

einer Rechtfertigung nicht zugänglichen Motiven – insbesondere wirtschaftsprotektionistischer oder fiskalpolitischer Art – hat leiten lassen. In den Wendungen „Scheinheiligkeitstest“ und „Wahrhaftigkeitstest“ gelangt diese Funktion semantisch zum Ausdruck. Mittlerweile ist die funktionale Einengung der Kohärenzkontrolle auf eine reine Missbrauchskontrolle jedoch nicht mehr tragfähig. Eine analytische Befassung mit ihrem konzeptionellen Gehalt hat zutage gefördert, dass es bei der Kohärenzprüfung in der EuGH-Rechtsprechung nicht mehr nur darum geht, Einsichten hinsichtlich der (subjektiven) Regulierungsintention – der Wahrhaftigkeit der Zielverfolgung – zu gewinnen, sondern vorrangig die (objektive) Zielerreichbarkeit der Glücksspielmaßnahme – die Wahrhaftigkeit der Effektivität – zu erforschen. Eben hierin liegt die funktionale Essenz des Kohärenzgebots; denn der methodische Ausgangspunkt und Schlüssel zur Erkenntnisfindung liegt sowohl nach dem „Scheinheiligkeitstest“ als auch nach dem „Wirksamkeitstest“ in der Aufdeckung regulativer Widersprüche, die aus einer komparativen Betrachtung zwischen der zur Prüfung gestellten Glücksspielmaßnahme und ihrem regulatorischen Umfeld herrühren. Beide Kohärenzansätze fragen danach, ob die inkriminierte Maßnahme unter Berücksichtigung des angestellten Vergleichs noch geeignet erscheint, das mit ihr bezweckte Anliegen wirksam zu erreichen. Seinem Wesenszug und seiner Funktion nach kann das Kohärenzgebot daher ohne Probleme als ein Konterkarierungs- oder Vereitelungsverbot aufgefasst werden, in dem sich seinerseits letztlich das europarechtliche Effektivitätsprinzip („effet utile“) widerspiegelt. In der praktischen Konsequenz entbindet dieser Befund von der Notwendigkeit der Feststellung, dass die Widersprüchlichkeit in der Verfolgung unlauterer Anliegen wurzelt. (9)  Im Blick auf sein prüfungstechnisches Erkenntnisziel weist das Kohärenzerfordernis in strukturdogmatischer Hinsicht große Anleihen beim tradierten Kriterium der Geeignetheit auf, dessen Klärungsaufgabe ebenfalls die Zieleeffektivität einer grundfreiheitsbeschränkenden Maßnahme umgreift; das Kohärenzpostulat qualifiziert und erweitert die überkommenen Geeig­ netheitsmaßstäbe „in die Breite“, indem es seinen Bezugspunkt der zielbezogenen Wirksamkeitsbeurteilung im Zusammenspiel der inkriminierten Maßnahmen mit anderen Maßnahmen findet. In jener prüfungsdimensionalen Loslösung von einem verengten „Tunnelblick“ zu einem kontextuellen „Panorama­ blick“ im Rahmen der konkret zur Untersuchung stehenden Glücksspielmaßnahme manifestiert sich der – sinnvollerweise eine offene Flanke des Grundfreiheitsschutzes abdeckende – rechtsfortbildende Schritt vom tradierten Geeignetheits- hin zum Kohärenzgebot. Unter diesem Blickwinkel ist das Kohärenzerfordernis als ein Unterprinzip des Geeignetheitsgebots zu interpretieren und damit prüfungssystematisch innerhalb des Gefüges der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf der Ebene seines „Mutterprinzips“, dem Geeignetheitskriterium, zu entfalten. Damit liegt dem Kohärenzgebot ebenso



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wie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz an sich das Anliegen zugrunde, das Spannungsverhältnis zwischen der Verwirklichung des unionalen Binnenmarkts einerseits und der Bewahrung der den Mitgliedstaaten (im Glücksspielbereich) zugestandene Gestaltungsautonomie andererseits zu entschärfen. (10) Das Erfordernis der Kohärenz besitzt nach der neueren Sichtweise des Gerichtshofs sowohl eine vertikale („Einzelkohärenz“) als auch horizontale („Gesamtkohärenz“) Wirkungsdimension. So hat der EuGH den auf regulative Widersprüche hin zu untersuchenden Bereich – den sog. Kohärenz­ kontext – mit dem anno 2010 gefällten Urteil Stoß u. a. in die Horizontale ausgedehnt, weshalb etwaige, in die Kohärenzbetrachtung einzustellende Glücksspielmaßnahmen nicht unbedingt demselben Marktsegment entstammen müssen. In der Folge kann zur Beurteilung der kohärenzspezifischen Wirksamkeit einer Glücksspielmaßnahme nunmehr auch auf die in Bezug auf andere Glücksspielsektoren verfolgte Regulierungspraxis rekurriert werden, wodurch die „Kohärenz-Messlatte“ für grundfreiheitseinschränkende Glücksspielmaßnahmen deutlich höher gelegt worden ist. In Entsprechung zur prüfungsdimensional ganzheitlichen Kohärenzkonzeption ist die Frage, auf welchen mitgliedstaatlichen Normsetzungsebenen die jeweils in den Kohärenzvergleich eingestellten Maßnahmen angesiedelt sind, ohne Belang. Obzwar der Gerichtshof im Blick auf Art. 4 Abs. 2 EUV die einem föderalen Staatsaufbau geschuldete Verteilung der Regelungskompetenzen zwischen glied- und gesamtstaatlichen Glücksspielgesetzgebern explizit anerkennt, sind mit ihr keine wesentlichen Abstriche an die Reichweite der Kohärenzprüfung verbunden. Damit verlangt der Gerichtshof letztlich eine doppelte Gesamtkohärenz, die sich im Sinne einer „regionalübergreifend-horizontalen Kohärenz“ sowohl auf die unterschiedlichen Glücksspielsegmente, wie auch auf die Regulierungsarbeit der innerhalb eines Mitgliedstaats ggf. verschiedentlich zuständigen Gesetzgeber erstreckt. (11)  Die im Zuge der bisherigen EuGH-Glücksspieljudikatur getroffenen Feststellungen lassen eine nach bestimmten Regulierungsvarianten geordnete Systematisierung von inkohärenzstiftenden Widerspruchstypen zu. Insoweit grob unterschieden werden kann zunächst zwischen inkohärenzschürenden Widersprüchen, deren Entstehung in der Verfolgung einer expansionistischen Glücksspielpolitik wurzeln, und solchen Widersprüchen, die aus der Gegebenheit resultieren, dass ein Mitgliedstaat verschiedene Glücksspielsektoren einer divergierenden Regulierungsintensität unterwirft. (12)  Seine deutlichste Ausprägung findet ein zur erstgenannten Kategorie zählender Widerspruch in der Gestalt einer am Ziel der Spielsuchtprävention orientierten Glücksspielmaßnahme – prototypisch einer Monopolregelung –, in dessen Wirkungskreis eine vor allem durch umfangreiche Werbemaßnah-

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men und eine Angebotsvergrößerung charakterisierte, expansionistische Glücksspielpolitik seitens mitgliedstaatlicher Stellen verfolgt oder zumindest geduldet wird. Eine widerspruchsbegründende Wirkung kann prinzipiell gleichfalls eine expansive Angebotspolitik dann freisetzen, wenn sie in Bezug auf solche Glücksspielmaßnahmen verfolgt wird, die auf dem Bestreben der Kriminalitätsbekämpfung gründen oder beide Anliegen parallel verfolgen (sog. „bipolare Regulierungsziele“). Allen expansionistischen Regulierungsansätzen ist allerdings gemein, dass ein sie tragender Kanalisierungsgedanke eine die Widersprüchlichkeit auflösende Legitimationswirkung zu entfalten vermag. Eine solche Kanalisierungspolitik manifestiert sich dabei in einer auf den faktischen Entwicklungen des nationalen Glücksspielmarktes fußenden Expansionspolitik. Von zentraler Bedeutung für die Beurteilung ihrer Kohärenzadäquanz ist die Frage, ob und inwieweit ein kanalisierungsfähiges Problem mit rechtswidriger Spieltätigkeit im betroffenen Mitgliedstaat überhaupt existiert, dem mit einer Angebotsausweitung des legalen Spiels in nachhaltig spürbarer Weise begegnet werden kann. Insgesamt nimmt die Inkohärenz einer expansiven Angebotspolitik daher nur in dem Maße ab, wie das von ihr erfasste Kanalisierungsanliegen eine beachtenswerte Wirkung freisetzt, also nach einer Art „Schaden-Nutzen-Analyse“ eine faktische Lenkung der im Kontext illegaler Glücksspiele entfalteten Spieltätigkeit hin zum staatlich autorisierten Angebot bewirkt, ohne dabei auf der „Schadensseite“ den Spieltrieb bisheriger Nichtspieler in einem wesentlichen Umfang zu aktivieren. (13) Inkohärenzstiftende Widersprüche, die aus der Sachlage resultieren, dass ein Mitgliedstaat verschiedene Glücksspielsektoren einer divergierenden Regulierungsintensität unterwirft, zeichnen sich in der Diktion des EuGH vor allem dadurch aus, dass die Veranstaltung bestimmter Glücksspielarten privatwirtschaftlichen Glücksspielanbietern offen steht, während andere Sektoren einem Monopolregime unterfallen. Die so erzeugten Regulierungsgefälle stellen sich unter Kohärenzgesichtspunkten allerdings nur dann als problematisch dar, wenn sie das Potenzial besitzen, auf die Zieleignung der Monopolregelung konterkarierend durchzuschlagen, und zwar dergestalt, dass sie ein spürbares Ausweichverhalten („Wanderbewegung“) der Spieler vom monopolisierten Glücksspielangebot hin zu weniger streng regulierten Glücksspielformen freizusetzen drohen. (14) Die Beurteilung, ob die inkriminierte Glücksspielmaßnahme dem Anforderungsprofil des Kohärenzgebots standhält, folgt nach dem hier vertretenen Verständnis letztlich einem homogenen Bewertungsmaßstab qualitativ-gradueller Prägung: Danach muss zumindest einer der angeführten Widersprüche – also eine expansive Angebotspolitik und/oder ein Regulierungsgefälle – zur Folge haben, dass die in Betracht gezogene Maßnahme nicht mehr in der Lage ist, das mit ihr intendierte Anliegen praktisch wirk-



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sam zu realisieren. Obzwar der inkohärenzbegründende Grad an praktischer „Folgeunwirksamkeit“ in der EuGH-Rechtsprechung weithin nebulös bleibt, spricht vieles dafür, die diesbezügliche Schwelle erst dann als überschritten anzusehen, wenn die fragliche Glücksspielmaßnahme evident ihrer Funktionstauglichkeit beraubt wird. Dieser Unwirksamkeitsmaßstab trägt nicht nur dem Umstand Rechnung, dass legislative Entscheidungen im Glücksspielbereich in der Regel mit vielschichtigen Prognosen verbunden sind; er schafft auch einen abgewogenen Kompromiss zwischen den Interessen der Mitgliedstaaten an der Bewahrung einer möglichst ausgeprägten Gestaltungsautonomie einerseits und dem Interesse der Union an einem möglichst umfassenden, letztlich das übergeordnete Integrationsziel befördernden Geltungshorizont der grundfreiheitlichen Schutzgehalte andererseits. (15) Gelangt ein nationales Gericht zu dem Schluss, dass eine Glücksspielmaßnahme unumstößlich mit dem Makel der Inkohärenz belastetet ist, erweist sich die fragliche Maßnahme als ungeeignete, unverhältnismäßige, rechtfertigungsuntaugliche und – in letzter Konsequenz – als unionsrechtswidrige Beschränkung grundfreiheitlicher Schutzgehalte. Entsprechend dem Grundsatz vom Vorrang des Unionsrechts ist die betreffende Regelung nicht nur unmittelbar zu beseitigen, sondern gleichfalls ipso iure außer Anwendung zu lassen. Der unionsrechtliche Geltungsanspruch verwehrt es dabei einem Mitgliedstaat selbst während einer Übergangsphase zwischen unionsrechtswidriger und -konformer Regulierung die einschlägige Norm weiterhin aufrechtzuerhalten. (16) Unter Würdigung seiner Potenziale und Problemhorizonte gibt das Kohärenzerfordernis nur wenig Raum, seine Konzeption in ernsthafte Zweifel zu rücken: Weder im Hinblick auf kompetenzielle noch rechtspragmatische Gesichtspunkte markiert die Eigenschaft des Kohärenzgebots als Produkt judizieller Rechtsschöpfung einen durchschlagenden Angriffspunkt. Der sich mit der Kreierung des Postulats im Kompetenzrahmen zulässiger und darüber hinaus sinnfälliger Rechtsfortbildung bewegende EuGH hat im Zuge seiner Glücksspieljudikatur eine ganze Reihe von abstraktions- und subsumtionsfähigen Kohärenzmaßstäben entwickelt, nach denen sich kohärente Regulierungsstrategien über weite Strecken hinweg nachzeichnen lassen und damit die Operabilität des Kohärenzkriteriums absichern. (17) Durch die vom EuGH im Zusammenhang mit der Forderung nach gesamtstaatlicher Kohärenz an die deutschen Normgeber – sprich die Länder und den Bund – adressierte Verpflichtung, sich über die Grenzen der föderalistischen Kompetenzordnung hinweg über ihr regulatorisches Vorgehen auf dem Glücksspielsektor abzustimmen, werden zwar verfassungsrechtlich fundierte Kernaspekte nationalstaatlicher Souveränität berührt; das unionsgerichtlich konkret abverlangte Maß an Rechts- und Verwaltungskoordination

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reicht allerdings nur so weit, wie es der Vermeidung regulativer „Konfrontationskurse“ auf gesamtstaatlicher Ebene dient und belässt Bund wie Ländern somit einen breiten Raum autonomer Gestaltungsfreiheit. Verfassungsrechtliche Substanzverluste im Sinne einer Entwertung oder gar Aushöhlung der in Art. 20 Abs. 1 GG garantierten bundesstaatlichen Identität Deutschlands sind mit dem statuierten Koordinationsgebot nicht verbunden. (18)  Letztlich liegt es in den Händen der nationalen Gerichte zu judizieren, ob die angegriffene Glücksspielregelung unter Zugrundelegung der unionsgerichtlichen Beurteilungsdirektive dem Kohärenzerfordernis genügt. Das mit dem konkreten Prüfungsablauf verwobene Aufgabenprogramm verweist dabei auf ein weites Feld komplexer Tatsachenfeststellungen und -würdigungen, das die Gerichte allerdings – insbesondere mit Blick auf zu erwartende Leitentscheidungen der Höchstgerichte – nicht vor praktisch unüberwindbare Hindernisse stellt. Als ungleich problematischer erscheint demgegenüber die Wertungslastigkeit der Kohärenzprüfung, die sich vor allem in der wertenden Frage ausprägt, unter welcher Prämisse eine nationale Glücksspielregelung als „nicht mehr wirksam“ respektive „funktionsuntauglich“ und damit inkohärenzbegründend zu qualifizieren ist. Dieser Umstand kann die praktische Gefahr provozieren, das Kohärenzgebot mit die Rationalität der Rechtsanwendung verzerrenden, judikativ-individuellen Kohärenzvorstellungen zu überfrachten und damit legislatorische Gestaltungsansprüche aufzuweichen. Eben jene wertungsmäßige „Blankettnatur“ gebietet eine gewisse Behutsamkeit in der nationalgerichtlichen Umhegung („judical self-restraint“) der – gemessen an ihrer Funktion, Methodik und Justiziabilität – ansonsten fruchtbaren Kohärenzkonzeption. (19)  Mit der deutschen Glücksspielordnung trifft das Gebot der Kohärenz auf ein Regulierungssystem, das im hohen Maße durch eine, dem föderalen Staatsaufbau der Bundesrepublik geschuldete Aufspaltung der legislatorischen Kompetenzradien im Glücksspielbereich geprägt wird, aus denen sowohl der Bund als auch die Länder Regelungsaufträge schöpfen können („duale Glücksspielordnung“). Die rechtliche Ausgestaltung des Lotterie-, Sportwetten- und Spielbankensektors bleibt – gestützt auf Art. 70 Abs. 1 GG – der gefahrenabwehrrechtlich grundierten Regelungshoheit der Bundesländer vorbehalten; ihnen kommt damit das Übergewicht im Bereich der Glücksspielgesetzgebung zu. Dem Bund obliegt demgegenüber unter Inanspruchnahme des Kompetenztitels für das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) die regulative Ausgestaltung des gewerblichen (Automaten-)Spielwesens sowie des Pferdewettensektors. Daneben ist dem Bundesgesetzgeber die Kompetenz zur Statuierung sektorenübergreifender straf- und zivilrechtlicher Vorgaben überantwortet (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG). In der Folge prägt den deutschen Ordnungsrahmen ein aus verwaltungs-, straf-, und zivilrechtlichen Bestimmungen modelliertes Konglomerat, das zudem eine



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normative Umwölbung durch die in materieller Hinsicht vor allem durch Art. 12 GG geprägten Direktiven des Grundgesetzes erfährt. (20)  Seit einigen Jahren sieht sich die deutsche Glücksspielordnung einem fortwährenden Veränderungs- und Anpassungsdruck ausgesetzt, womit eine bemerkenswerte, primär auf Landesebene angesiedelte, Gesetzgebungstätigkeit einherging; davon zeugt nicht zuletzt die Verabschiedung dreier, unter den Ländern geschlossener Glücksspielstaatsverträge (LottStV 2004, GlüStV 2008, GlüÄndStV 2012) innerhalb eines Zeitraumes von weniger als zehn Jahren. Entscheidenden Anteil am Novellierungsbedarf hatte dabei gleichermaßen die nationale wie supranationale Rechtsprechungstätigkeit und zwar in konkreter Gestalt einerseits des im Jahr 2006 ergangenen Sportwetten­ urteils des Bundesverfassungsgerichts und andererseits der anno 2010 gefällten „deutschen“ EuGH-Entscheidungen in den Rechtssachen Stoß u. a. und Carmen Media. In den jeweiligen Urteilsgründen monierte sowohl das BVerfG als auch der EuGH einen Mangel an Konsistenz bzw. Kohärenz im deutschen Regulierungssystem. (21)  Will man demonstrieren, wie sich die Kohärenzprüfung am Beispiel der gegenwärtigen Glücksspielordnung konkret einsetzen lässt, so bietet es sich an, das trotz aller Umbrüche seit Jahrzehnten zugunsten der Länder festgeschriebene Exklusivrecht zur Veranstaltung von „Jackpotlotterien“ als Anschauungsobjekt heranzuziehen. Nicht nur zählen derlei Lotterien (z. B. „6 aus 49“, „Eurojackpot“, „Glücksspirale“) in Deutschland zu den am häufigsten genutzten Glücksspielformen; der Staatsvorbehalt bildet überdies neben dem in einigen Bundesländern noch vorfindlichen Spielbankenmonopol eine der letzten Bastionen (landes-)staatlicher Monopolrechte überhaupt. Auf Grundlage ihrer Monopolrechtsstellung (§ 10 GlüÄndStV) unterhalten die Länder seit jeher fast ausnahmslos landeseigene Lotteriegesellschaften, die unter dem organisatorischen Dach des Deutschen Lotto- und Totoblocks als eigenständige Monopolveranstalter am Glücksspielmarkt auftreten. (22)  Hinsichtlich der Fragestellung, ob der lotteriebezogene Staatsvorbehalt den Anforderungen genügt, die das Kohärenzgebot an eine unionsrechtskonforme Monopolregulierung stellt, hat sich ergeben, dass einem insgesamt positiven Kohärenzurteil keine durchgreifenden Bedenken entgegenstehen: Unter horizontalen Kohärenzgesichtspunkten („Einzelkohärenz“) kann den Landesgesetzgebern attestiert werden, mit der Ausgestaltung des Staatsvorbehalts das vom EuGH zur Bejahung einer kohärenten Monopolregulierung eingeforderte richtige Gleichgewicht zwischen dem Erfordernis einer kon­ trollierten Expansion der zugelassenen Glücksspiele – sprich die monopolisierten Lotterieprodukte – und der Notwendigkeit, die Spielsucht der Verbraucher so weit wie möglich zu verringern, gefunden zu haben. Obzwar im Blick auf die beträchtliche Expansionstätigkeit der Monopolinhaber dieses

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Gleichgewicht als recht fragil erscheint, wird das Lotteriemonopol bislang nicht evident über den Bruchpunkt zur Inkohärenz hinaus um seine Wirksamkeit beraubt und kann für sich daher den Anspruch reklamieren, die ihm zugeschriebenen Globalziele der Spielsuchtprävention und Kriminalitätsbekämpfung insgesamt kohärent zu verwirklichen. Weitaus eindeutiger fällt demgegenüber der aus einer horizontalen Perspektive („Gesamtkohärenz“) gewonnene Kohärenzbefund aus: Als problematisch für die kohärenzspezifische Zielwirksamkeit des Lotteriemonopols hat sich weder der nach der EuGH-Judikatur für die horizontale Kohärenzbeurteilung maßgebliche Umstand erwiesen, dass von der Warte des monopolisierten Lotteriesektors betrachtet in Bezug auf andere, in Deutschland verfügbare Glücksspielarten gegebenenfalls eine Politik betrieben oder geduldet wird, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern, noch die für die Kohärenzabwägung gleichermaßen relevante Tatsache, dass im Gegensatz zu den monopolisierten Lotterievarianten in Deutschland andere Arten von Glücksspielen von privaten Veranstaltern, die über eine Erlaubnis verfügen, betrieben werden dürfen. Aus Sicht des Lotteriemonopols besteht also vor dem Kohärenzgebot zum gegenwärtigen Erkenntnisstand kein dahingehender Handlungsbedarf, eine in Bezug auf den monopolisierten Lotteriesektor oder andere Glücksspielsparten betriebene Expansionspolitik zurückzufahren oder das im deutschen Glücksspielwesen vorhandene Regulierungsgefälle einzuebnen.

B. Ausblick Mit der erhobenen Forderung nach Kohärenz hat der Europäische Gerichtshof zweifelsohne eine unionsrechtliche Determinante von systemändernder, vielleicht sogar systembildender Wirkkraft für die Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Glücksspielregulierung konstituiert. Obzwar das Kohärenzpostulat nach seinem derzeitigen Entwicklungsstand den „Bauplan“ einer kohärenten Regulierungspolitik über weite Strecken hinweg vorzeichnet, kann sein Konsolidierungsprozess dennoch mitnichten als abgeschlossen betrachtet werden. Dabei harren weniger grundlegende Fragestellungen als vielmehr – gleichwohl wichtige – Detailaspekte einer unionsgerichtlichen Klärung. An Gelegenheiten, eine solche Feinjustierung auf Grundlage künftiger Vorabentscheidungsverfahren vorzunehmen, dürfte es dem EuGH allerdings nicht mangeln, wofür sich im Wesentlichen drei Gründe identifizieren lassen: Zum ersten gibt es bei der Regulierung des Glücksspiels kein definierbares Optimum an Kohärenz; die Suche nach einer solchen „Patentlösung“ gleicht der Quadratur des Kreises, weil die Prävention und Bekämpfung der mit dem Glücksspiel verbundenen Gefahren prinzipiell unterschiedlichen Regulie-



B. Ausblick247

rungsmustern folgt: Die Eindämmung von Glücksspielsucht gebietet tendenziell eine restriktive Glücksspielpolitik, wohingegen die Kriminalitätsbekämpfung eher einen expansiven Regulierungsansatz bedingt. Aus dieser, einem jeden Glücksspielregime quasi inhärenten, Ambivalenz werden auch in Zukunft zahlreiche neue kohärenzrelevante Fallkonstellationen und Frik­ tionen erwachsen, deren unionsrechtliche Bewertung angesichts der mit Nachdruck verfolgten Interessen der beteiligten Glücksspielakteure letztlich auch den EuGH auf den Plan rufen wird. Zum zweiten dürfte nicht zuletzt unter dem Eindruck der europäischen Finanz- und Schuldenkrise in vielen Mitgliedstaaten weiterhin die Neigung vorherrschen, in staatsgetragenen Glücksspielmonopolen eher eine attraktive Einnahmenquelle für die Staatshaushalte, als ein ordnungsrechtliches Steuerungsinstrumentarium zu erblicken. Dies wird auch in Zukunft der mitgliedstaatlichen Versuchung Vorschub leisten, im Wege einer expansiven Angebotspolitik, die bekanntlich prägenden Einfluss auf die Beurteilung der kohärenzbezogenen Tauglichkeit eines Staatsvorbehalts nimmt, ihre Monopolerträge zu steigern oder – gerade auch angesichts der gegenwärtig zu verzeichnenden Abwanderungsbewegungen großer Spielerströme hin zum illegalen Internetglücksspiel – wenigstens abzusichern. In der praktischen Folge ist damit zu rechnen, dass einige Mitgliedstaaten die Grenzen des vom Kohärenzgebot für die Verfolgung einer Expansionspolitik gesteckten Handlungsrahmens weiter austesten werden, was mit einer gewissen Zwangsläufigkeit in nationalgerichtliche Vorlageersuche münden dürfte. Zum dritten dürfte schließlich die Aufrechterhaltung nationaler Traditionsbindungen einen maßgeblichen Anteil daran haben, dass der Klärungsbedarf an kohärenzbezogenen Vorlagefragen nicht allzu bald abreißt. Gerade die von wirtschaftlichen Interessen aufgeladenen Beharrungskräfte machen es den Mitgliedstaaten nicht leicht, sich von überkommenen, vielfach über Dekaden hinweg gewachsenen, Regulierungsstrukturen zu lösen; die daraus erwachsene Hemmung, die vom Unionsrecht empfangenen Vorgaben konsequent in den Status quo der nationalen Glücksspielordnungen einzupflegen, dürfte den EuGH gewiss auch künftig zu urteilsgeformten „Weckrufen“ für eine unionsrechtliche Sensibilisierung veranlassen. Ein phänotypisches Beispiel für diese Haltung gab in der Vergangenheit nicht zuletzt die deutsche Glücksspielpolitik: Hier bedurfte es erst der „Paukenschläge“ in Form der 2010 zur deutschen Regulierungslage ergangenen EuGH-Judikate, bevor sich die legislativen Entscheidungsträger ernsthaft mit den Anforderungen des Kohärenzgebots auseinandersetzten. All das mag man als Indiz dafür werten, dass die EuGH-Rechtsprechung als Rechtsquelle an ihre Grenzen stößt. Insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit erhebt sich aus dieser Sachlage die Frage nach Alternativen.

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5. Teil: Gesamtbilanz und Ausblick

Ein klassischer Lösungsansatz bestünde darin, dem Kohärenzgebot vermittels einschlägiger Sekundärrechtsakte ein legislativ abgesichertes Gewand zu geben. Aber schon die aus einer Rechtsharmonisierung folgende Konsequenz einer Sperrwirkung mitgliedstaatlicher Regelungskompetenz, dürfte dieses Vorhaben perspektivisch vor nahezu unüberwindbare Hindernisse stellen. Die achtenswerten Besonderheiten der nationalen Glücksspielwesen bedingen, dass den Mitgliedstaaten bei der regulativen Erfassung des Glücksspiels eine weitreichende – und von den Unionsorganen im Übrigen respektierte – Gestaltungsfreiheit zugestanden werden muss. Eine sekundärrechtliche „Glücksspielkodifikation“, welche auch die Vorgaben des Kohärenzgebots mitverarbeitet, würde den nachhaltig großen Disparitäten zwischen den Glücksspielordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten und – damit korrespondierend – der Fülle an vorhandenen Regulierungsmodi nicht gerecht. Die weitere Konsolidierung der Kohärenzchiffres wird daher auch in Zukunft maßgeblich der Entscheidungsgewalt des EuGH zufallen. Unter den Mitgliedstaaten werden Harmonisierungen nur auf dem Wege der gegenseitigen Überzeugungsbildung erfolgen können und dem diskursiven Wettstreit der unterschiedlichen Glücksspielsysteme um die „kohärenteste“ Lösung einen breiten Raum überlassen. Ob sich das deutsche Modell der Glücksspielregulierung in diesem Wettstreit behaupten kann, wird maßgeblich von seiner an der tatsächlichen Marktentwicklung zu messenden Steuerungsleistung abhängen. Gesteigerte Bedeutung wird dabei der Frage zukommen, inwieweit der novellierte Ordnungsrahmen dazu beiträgt, das gesetzgeberische Ziel der Verringerung oder zumindest Kanalisierung illegaler und suchtgefährlicher (Internet-)Glücksspielaktivitäten zu realisieren; von diesem Befund dürfte auch nicht unwesentlich die künftige Daseinsberechtigung des Lotteriemonopols abhängen. Um der eingeschlagenen Regulierungsstrategie dahingehend zu einem veritablen Erfolg zu verhelfen, besteht die Aufgabe der legislativen Entscheidungsträger in Zukunft insbesondere darin, ein bereichsspezifisches Regulierungsdenken zugunsten einer ganzheitlichen und realitätsgetreuen Querschnittsbetrachtung auf die Glücksspielmaterie zu überwinden. Ob den „Glücksspielgesetzgebern“ dieses Kunststück vor dem Hintergrund der föderalen Glücksspielordnung Deutschlands gelingen wird, bleibt abzuwarten.

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Sachwortverzeichnis Automatenspiel, gewerbliches  178, 231, 244 Bundesstaatsprinzip  135 Bundesverfassungsgericht  159, 183 Deutscher Lotto- und Totoblock  192 Dienstleistungsfreiheit  37 − Beeinträchtigung  40 − Bereichsausnahme  39 − geschriebene Rechtfertigungsgründe  42 − Rechtfertigung  42 − Schutzbereich  37 − ungeschriebene Rechtfertigungs­ gründe  43 − Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  45 − zwingende Gründe des Allgemein­ interesses  43 Einzelkohärenz  152, 200, 224, 226, 235, 241 EuGH-Glücksspielrechtsprechung  59 − Rs. Carmen Media  66, 163 − Rs. Dickinger/Ömer  71 − Rs. Digibet/Albers  74 − Rs. Gambelli  60 − Rs. Ladbrokes  64 − Rs. Liga Portuguesa  63 − Rs. OPAP  73 − Rs. Placanica  62 − Rs. Stoß  66, 163 − Rs. Zenatti  59 − Rs. Zeturf  69 Eurojackpot  202, 211, 225 Europäische Kommission  87 Föderalismus  87, 134

Gerichtshof der Europäischen Union, EuGH  32 − Aufgaben  33 − Glücksspielrechtsprechung  36, 59 − Kohärenzpostulat, Kohärenzgebot  57 − Kompetenzübertretung  131 − Rechtsfortbildung  125 − Vorabentscheidungsverfahren  33 Gesamtkohärenz  86, 127, 134, 143, 152, 200, 226 Geschicklichkeitsspiel  170, 176 Glücksspiel − Abgrenzung zum Geschicklichkeitsspiel  170 − als demeritorisches Gut  187 − Begriff  21, 169 − Dienstleistungscharakter  37 − Erscheinungsformen  174 − Geschichte  21 − gesellschaftlicher Rahmen  187 − Internet  182, 188, 216, 217 − Kanalisierung  65, 106, 144, 153, 162, 214, 224, 242 − Kriminalität  25, 180 − Schwarzmarkt  188 − Strafrecht  180 − Substitutionsbeziehungen  216, 227 − Sucht  24, 105, 188, 216 − Suchtforschung  212 − Vertriebskanäle  89 − Wettbewerbsrecht  36, 210 − wirtschaftlicher Rahmen  187 − Zivilrecht  181 Glücksspieländerungsstaatsvertrag (2012) − Evaluation  206 − rechtspolitischer Hintergrund  164

264 Sachwortverzeichnis − Regelungsziele  197 − Werbung  195 Glücksspielaufsicht  49, 83, 167, 202 Glücksspielkollegium  196, 208, 223 Glücksspielmarkt  187 Glücksspielmonopol  48, 189 − Funktionsuntauglichkeit  115, 136, 143, 225, 230 − Grundfreiheiten  48 − Lotteriemonopol  174, 189 Glücksspielregulierung − als Ordnungsrecht  173 − Angebotsexpansion  83, 105, 110, 144, 162, 202 − Aufsicht  49, 83, 167, 202 − bipolare Regulierungsziele  110 − Definition  23 − Entwicklung  157 − Gesetzgebungskompetenz  172 − Gestaltungsautonomie  27, 31, 53 − im EU-Ausland  30 − in Deutschland  156, 172 − Kanalisierung  65, 106, 144, 153, 162, 214, 224, 242 − Reformen  157, 167 − Schwarzmarkt  187, 215 − Spielsuchtbekämpfung  105 − Verfassungsrecht  160, 183 − Vollzugsdefizite  162 − Wettbewerbsrecht  36, 210 Glücksspielstaatsvertrag (2008) 161 Glücksspielsucht  24, 105, 188, 216 Grundfreiheiten  31 − Beeinträchtigungen  40 − Dienstleistungsfreiheit  37 − Kohärenzgebot  57 − Niederlassungsfreiheit  39 − Rolle des EuGH  32 − Schutzbereiche  37 Illegales Glücksspiel  188, 215 Inkohärenzen − Beurteilungsmaßstab  115

− Folgen  122 − Typologie von Widersprüchen  104 − Unwirksamkeitsmaßstab  116 Internet  182, 188, 216, 217 Jugendschutz  44, 160, 198, 205, 215 Kohärenz − Begriff  20 − expansive Angebotspolitik  105 − Föderalismus  87 − horizontale Betrachtung  86, 127, 134, 143, 152, 200, 226 − Inkohärenz  104, 115, 122 − Kanalisierung  106, 214 − Konfliktpotenziale  104 − praktische  82 − Prüfung  80 − unionsrechtlicher Ursprung  55 − vertikale Betrachtung  84, 152, 200, 224, 226, 235, 241 Kohärenzgebot, Kohärenzpostulat − Abstimmungspflicht zwischen den Ländern  135, 139 − als Effektivitätspostulat  101 − Anwendungsfelder  57 − deutsche Glücksspielregulierung  156 − deutsche Verfassungsidentität  135, 140 − EuGH-Glücksspielrechtsprechung  58 − Föderalismus  87, 134 − Funktion  77, 103 − gerichtliche Wertungen  145 − Kritik  125 − Potenziale  125 − Probleme  125 − Prüfungsstandort  96, 103 − rechtsdogmatische Einordnung  93 − Rechtsfortbildung  102, 125, 128 − Rolle nationaler Gerichte  90, 142 − Scheinheiligkeitstest  77, 99 − Wahrhaftigkeitstest  78, 94 − Wesen  76

Sachwortverzeichnis265 − Widersprüche (Typologie) 104 − Würdigung  125 − Zielbezogenheit  76 Kohärenzprüfung − Föderalismus  87 − Gerichtliche Wertungen  145 − horizontale  86, 127, 134, 143, 152, 200, 226 − Methodik  80, 142 − Rolle nationaler Gerichte  90, 142 − Tatsachenermittlung  143 − vertikale  84, 152, 200, 224, 226, 235, 241 − Vertriebskanäle  89 − Vollzugspolitik  82, 167, 202 − Vorprüfung  196 Konzessionssystem  41, 51 Kriminalitätsbekämpfung  109 Lotteriemonopol  174, 189 − Angebotsexpansion  202 − Anwendungspraxis  203 − Ausnahmen  193 − Grundfreiheiten  197 − horizontale Kohärenzbetrachtung  226 − Kanalisierung  214 − Kohärenz  198, 196, 199 − Kohärenzabwägung  199 − Rechtfertigung, unionsrechtliche  192 − Regulierungsprofil  190 − unionsrechtliche Bewertung  189 − vertikale Kohärenzbetrachtung  200 − Vertriebsstruktur  194 − Werbung  210 − Ziele  197 Lotterien − Erscheinungsformen  193 − Markt  192 − Monopol  190

− Rechtsrahmen in Deutschland  174 Lotteriestaatsvertrag (2004) 157 Markfreiheiten, unionsrechtliche  32 Niederlassungsfreiheit  39 − Beeinträchtigung  40 − Bereichsausnahme  39 − geschriebene Rechtfertigungsgründe  42 − Rechtfertigung  42 − Schutzbereich  39 − ungeschriebene Rechtfertigungs­ gründe  43 − Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  45 − zwingende Gründe des Allgemein­ interesses  43 Online-Glücksspiel  182, 188, 216, 217 Pferdewetten  179, 228 Spielbank  177, 188, 233 Spielerschutz  44, 107, 160, 105, 198 Spielhallen  178 Spielvermittler, gewerbliche  194 Sportwetten  175, 217, 229 Staatshaftung  124 Staatsvertrag  157 Verfassungsrecht  169, 183 − Berufsfreiheit  160, 183 − deutsche Verfassungsidentität  135 − Konsistenzgebot  185 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, ­unionsrechtlicher  45 − Geeignetheit  46 − Erforderlichkeit  47 Vorabentscheidungsverfahren  33 Werbung  195, 203, 206, 210