Kirchen als Freunde des Lebens: Die ökumenische Entwicklung von Bioethik 3846902288, 9783846902271, 9783846902288

Das Baumsterben, die allgemeine ökologische Katastrophe, Konflikte um Gesetzgebung zur Abtreibung, Diskussionen um In-vi

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Kirchen als Freunde des Lebens: Die ökumenische Entwicklung von Bioethik
 3846902288, 9783846902271, 9783846902288

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
1 Herausforderung für die Positionierung der Kirchen: Zur ethischen Problemkumulation in der späten Bonner Republik
2 Vorerfahrungen der evangelischen Kirche in ihren ethischen und politischen Positionierungen der 60er Jahre
3 Globale und ökumenische Bemühungen. Vorarbeiten evangelischer und kirchlicher Bioethik
4 „Gott ist ein Freund des Lebens“ als ökumenische Bioethik
5 Zusammenfassung und Ausblick
6 Anhang
Register

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Edition Ethik Herausgegeben von Reiner Anselm und Ulrich H. J. Körtner

Band 17

Ole Großjohann Kirchen als Freunde des Lebens Die ökumenische Entwicklung von Bioethik

Inh. Dr. Reinhilde Ruprecht e.K.

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www.fsc.org

MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen

FSC® C083411

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Eine eBook-Ausgabe ist erhältlich unter DOI 10.2364/3846902288. © Edition Ruprecht Inh. Dr. R. Ruprecht e.K., Postfach 17 16, 37007 Göttingen – 2015 www.edition-ruprecht.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Diese ist auch erforderlich bei einer Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke nach § 52a UrhG. Satz: Ole Großjohann Layout: mm interaktiv, Dortmund Umschlaggestaltung: klartext GmbH, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach ISBN: 978-3-8469-0227-1 (Print), 978-3-8469-0228-8 (eBook)

Meiner Familie

Inhaltsverzeichnis Vorwort ............................................................................................... 11 Einleitung .............................................................................................. 13 Die gemeinsame Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens‘‘ als Untersuchungsgegenstand und ihre Kontextualisierung in der Zeitgeschichte .......................................................................... 15 Kirchliche Bioethik „avant la lettre‘‘ ................................................... 17 Vorgehen ........................................................................................... 21 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.2 1.2.1 1.2.2

1.2.3 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3

1.4

2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3

Herausforderung für die Positionierung der Kirchen: Zur ethischen Problemkumulation in der späten Bonner Republik .. 24 Fortdauernde Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch .............. 24 Streitpunkte der Gesetzesnovelle ....................................................... 25 Rechtliche Grundlage der 1980er Jahre ............................................. 28 Entwicklungen in Fortpflanzungsmedizin und Gentechnik ................. 30 Problembestimmung und Zeitbetrachtung ......................................... 30 Bericht der gemeinsamen Arbeitsgruppe des Bundesministers für Forschung und Technologie und des Bundesministers der Justiz (sog. Benda-Kommission)................................................................... 34 Enquetekommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie‘‘ ...... 36 Veränderungen in der Wahrnehmung der Umwelt .............................. 41 „Waldsterben‘‘ als sichtbares Zeichen eines Umweltproblems............. 42 Umweltthemen in der Politik: die Partei „Bündnis 90/Die Grünen‘‘ .... 45 „Bewahrung der Schöpfung‘‘ als Staatsziel: Protestantische Kritik an der Verwendung religiöser Semantik als Kennzeichen innertheologischer Probleme ............................................................. 49 Resultierende Herausforderungen für die evangelische Kirche Zur Notwendigkeit einer kirchlichen Ortsbestimmung........................ 55 Vorerfahrungen der evangelischen Kirche in ihren ethischen und politischen Positionierungen der 60er Jahre ......................... 57 Kirche und Politik............................................................................... 57 Konfessionelle Differenzen in der kirchlichen Parteipolitik ................. 58 Katholisch geprägte Politik ................................................................. 63 Gruppierung von Protestanten auf politischer Ebene .......................... 64

8

Inhaltsverzeichnis

2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.3 2.3.1 2.3.2 2.4

Entwicklung öffentlicher Stellungnahmen in der EKD ........................ 67 Situation und Selbstwahrnehmung der Nachkriegskirche ................... 68 Ausbildung einer konsequenten Öffentlichkeitsarbeit in der EKD ....... 73 Weiterentwicklung des „Wortes‘‘ zur „Denkschrift‘‘ ............................ 79 Wandel im Religionsjournalismus ....................................................... 89 Entwicklung von gemeinsamen Publikationen .................................... 92 Die „Kirchenkrise‘‘ als Anlass kirchlichen Umdenkens ..................... 101 Problembestimmung Kirchenkrise ................................................... 101 Mitgliedschaftsforschung.................................................................. 106 Verbindung der Vorerfahrungen evangelischer Kirche für die Bearbeitung der neuen Herausforderungen der 1980er Jahre ........... 116

3

Globale und ökumenische Bemühungen Vorarbeiten evangelischer und kirchlicher Bioethik ................... 119 Erste thematische Integration........................................................... 119 Der konziliare Prozess zu „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung‘‘ ................................................................................ 119 Motive in der DDR: Frieden und Ökologie ......................................... 121 Motive in der BRD: Frieden, globale Gerechtigkeit und Ökologie ...... 125 ACK: Die Erklärung von Stuttgart ..................................................... 127 Resümee: Der konziliare Prozess als Integrationspunkt .................... 129 Entwicklung gemeinsamer Stellungnahmen ..................................... 130 „Grundwerte und Gottes Gebot‘‘ 1979 ............................................. 130 „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung‘‘ 1985 ................... 134

3.1

3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.2 3.2.1 3.2.2 4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.2 4.2.1 4.2.2 4.3

„Gott ist ein Freund des Lebens‘‘ als ökumenische Bioethik ........ 141 Anbahnung einer neuen gemeinsamen Erklärung durch die Deutsche Bischofskonferenz ............................................. 141 Aktivitäten der katholischen „Arbeitsgruppe § 218 StGB‘‘ ................ 141 Aktivitäten im und um den „Kontaktgesprächskreis zwischen Vertretern der DBK und des Rates der EKD‘‘...................... 145 Konkrete Zusammensetzung der gemeinsamen Kommission............ 151 Findung der Kommissionsmitglieder ................................................ 151 Beteiligung der ACK ......................................................................... 153 Rahmenbedingungen der Gremienarbeit.......................................... 154

Inhaltsverzeichnis

4.3.1 4.3.2

9

4.5.2 4.5.3 4.5.4

Das pastorale Wort „Für das Leben“ von der DBK 1986 .................... 156 Die Instruktion „Über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und der Würde der Fortpflanzung“ 1987 („Donum Vitae“) .............................................................................. 158 Von der Würde werdenden Lebens: Handreichung des Rates der EKD 1985 .................................................................................. 162 Achtung vor dem Leben: Abschlussbericht der EKD-Synode 1987 .... 164 Systematische Grundentscheidungen der gemeinsamen Erklärung .. 167 Inhaltsübersicht „Gott ist ein Freund des Lebens“ ............................ 167 „Leben“ als Integrationsbegriff materialethisch vielfältiger Themenbereiche und die biologische Argumentationsweise der Schrift ......... 176 Akzentsetzungen der Schrift und Akzentverschiebungen zu traditionellen kirchlichen Standpunkten ...................................... 186 Genese der gemeinsamen Erklärung ................................................ 197 Vorgehen der Arbeitsgruppe und Fokussierung auf die Lebensthematik .................................................................... 197 Inhaltliche Diskussionen und behandelte Themen ............................ 202 Anfertigungsprozesse und Verschriftlichung eines Gesamttextes...... 220 Zustimmung der Mitglieds- und Gastkirchen der ACK (West) ........... 223

5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.2

Zusammenfassung und Ausblick .............................................. 225 Zusammenfassung der Ergebnisse .................................................... 225 Eine zeitgemäße Form ethischer Positionierung ............................... 225 Kirchliche Bioethik „avant la lettre”.................................................. 228 Rezeption und Ausblick .................................................................... 230

6 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2

Anhang .................................................................................. 233 Abkürzungen.................................................................................... 233 Literaturverzeichnis ......................................................................... 233 Unveröffentlichte Quellen ................................................................ 233 Veröffentlichte Quellen und Literatur............................................... 233

4.3.3 4.3.4 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.5 4.5.1

Register .............................................................................................. 251 Personenregister .............................................................................................. 251 Sachregister ..................................................................................................... 252

Vorwort Auf die Frage, „was haben die ökologische Katastrophe, die Abtreibungskonflikte und Sterbehilfe gemeinsam?“ kann der heutige Ethiker gelassen antworten: „Alle Bereiche sind Probleme der Bioethik.“ Was aber soll man antworten, wenn es die Bioethik als Disziplin noch gar nicht gibt? Das ist, kurz gefasst, der Gegenstand dieser Untersuchung. Die Bioethik entwickelte sich als eigenständige Disziplin aus der Medizinethik. Ihr Ursprung liegt in der Kumulation ethischer Problemstellungen, die in Deutschland in Gestalt der Diskussion um die Ökologische Katastrophe, der Abtreibungskonflikte, der Genomanalyse und -therapie und der Sterbehilfe auftraten. Mit der gemeinsamen Erklärung zwischen evangelischer und katholischer Kirche „Gott ist ein Freund des Lebens“ legen die beiden Kirchenorganisationen 1989 eine umfassende Schrift vor, die einen theologischen Zugang zu den ethischen Problemen ermöglicht und hierzu den Lebensbegriff heranzieht. Eine Schrift, die aus heutiger Sicht der Bioethik zuzuordnen ist. Sie tun dies jedoch zu einer Zeit, in der es einen „bioethischen“ Zugriff auf die ethischen Debatten noch nicht gegeben hat: Die Disziplin der Bioethik entwickelt sich in Deutschland erst in den 90er Jahren. Warum rückte Anfang der 1980er Jahre der „Schutz des Lebens“ derart prominent in den Mittelpunkt des Interesses der evangelischen und der katholischen Kirche? Wie kam es dazu, dass im ethischen Bereich zusammengearbeitet wurde, und was ist unter „Schutz des Lebens“ eigentlich verstanden worden? Zur Untersuchung des beschriebenen Themenkomplexes wurde ein diskursanalytischer Ansatz gewählt und so zum einen die maßgeblichen Linien herausgearbeitet, die im Hintergrund der ethischen Debatten gestanden haben, zum anderen wurde klassische Quellenarbeit betrieben: Mittels einer Ausnahmegenehmigung war es erstmalig möglich die Aktenbestände der Gemeinsamen Kommission „Gott ist ein Freund des Lebens“ einzusehen: Die Akten, die von evangelischer Seite geführt wurden und im Evangelischen Zentralarchiv in Berlin aufbewahrt werden, und auch die Akten, die von der katholischen Seite angefertigt wurden und im Historischen Archiv des Erzbistums Köln liegen. Alle Archivalien sind in dieser Untersuchung zum ersten Mal ausgewertet worden. Sie ermöglichen einen tiefen Einblick in die Zeitgeschichte der ökumenischen Bioethik und ihrer Genese. Diese Arbeit ist im Bereich der Ethikforschung angesiedelt. In der Mischung aus Ethik einerseits und Zeitgeschichtsforschung andererseits stellt sie die Frage nach dem Einfluss von ethischen Theorien und moralischen Normen auf die Wertedebatten einer Gesellschaft. Sie macht den ethischen Diskurs selbst zum Thema und erforscht die Genese ethischer Aussagen im Hinblick auf ihre Geltung. Die vorliegende Untersuchung ist die für den Druck leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die unter dem Titel „Evangelische Kirche auf dem Weg zur Bioethik. Die gemeinsame Erklärung ‚Gott ist ein Freund des Lebens‘ als kirchliche

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Vorwort

Antwort auf die Herausforderungen der Bioethik‘‘ im Dezember 2013 an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen eingereicht und angenommen wurde. Die mündliche Verteidigung der Arbeit fand am 30. April 2014 in Göttingen statt. Viele Menschen haben mich bei der Entstehung der Arbeit begleitet, ermutigt und so unterstützt, dafür bin ich sehr dankbar. An erster Stelle gilt mein Dank meinem Doktorvater Professor Dr. Reiner Anselm: Er hat mir bereits im Studium die Tür zur Theologischen Ethik geöffnet und mir die Möglichkeit einer langjährigen und engen Mitarbeit am Lehrstuhl für Ethik gegeben. In seiner Mischung aus fachlichem Rat, fröhlicher Ermunterung und persönlichem Einsatz hat er mich herausragend gut betreut. Mein Dank gilt auch Professor Dr. Thomas Kaufmann, sowie Professor Dr. Martin Laube die ebenfalls am Promotionsverfahren beteiligt waren und inhaltliche Hilfe gegeben haben. In dankenswerter Weise unterstützt haben mich auch das Kirchenamt der EKD und die Katholische Bischofskonferenz, die mir mittels Ausnahmegenehmigungen die Türen zu den Akten in den Zentralarchiven in Berlin und Köln geöffnet haben. Für einen namhaften Druckkostenzuschuss danke ich der Landeskirche Hannovers, wie auch der VELKD und der ACK. An die enge Zusammenarbeit an der Göttinger Theologischen Fakultät mit Dr. Stefan Dietzel, Dr. Stephan Schleissing, Meike Christian, Ulrike Butz, Christina Ernst und Dr. Frank Schleritt denke ich gern und dankbar zurück. Für tausende von gescannten Seiten Papier und stetige Hilfsbereitschaft danke ich meiner studentischen Hilfskraft Jan Holzendorf. Besonders froh bin ich, dass mir meine Doktorbrüder Lars Röser und Yorick Schulz-Wackerbarth stets zur Seite standen. Halt und Ermutigung habe ich, wie in allen anderen Phasen meines Lebens, durch meine Familie erfahren. Ihr ist dieses Buch gewidmet. Besonderer Dank gilt jedoch meiner Frau Anne, die mich in den belastenden Phasen des Schreibens und Suchens stets ermutigt und hin und wieder auch für die erforderliche Distanz zum Schreibtisch gesorgt hat. Hannover, im Juli 2015

Ole Großjohann

Einleitung In den 80er Jahren kommt es aufgrund des technischen Fortschritts zu einer Kumulation ethischer Problemstellungen, die durch die offensichtliche Verwobenheit untereinander die ethischen Akteure vor eine Situation stellt, die sie nicht kennen: Die zuvor voneinander materialethisch geschiedenen Bereiche der Medizinethik, der Umweltethik und auch der Technikethik verschmelzen zu einem großen Themenkomplex, nämlich dem, was wir heute unter dem Begriff Bioethik verstehen. In den 80er Jahren jedoch stand diese Kategorie nicht zur Verfügung, sie bildet die genannte Integrationsleistung erst resultativ ab.1 Der Zeitraum, der für diese Entwicklungen wichtig ist, ist die „späte Bonner Republik“. Hierunter versteht man zeitlich wie gesellschaftlich den Raum, der sich in Westdeutschland im Schutze politisch wie auch wirtschaftlich stabiler Verhältnisse entwickelt hatte. Die „späte Bonner Republik“ ist nach hinten durch den Mauerfall 1989 deutlich abgegrenzt, während die zeitliche Zäsur nach vorne wohl in der gesellschaftlichen Aufnahme der Strukturbrüche der 70er Jahre zu sehen ist. Im Auge des Betrachters ist also ein weitgefasster Zeitraum der 1980er Jahre.2 In den 1980er Jahren entwickelt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) als institutionelle Sprecherin evangelischer Ethik ihr traditionelles Kommunikationsverhalten weiter, um letztlich zusammen mit der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) eine Zusammenarbeit in ethischen Stellungnahmen zu beginnen, die heute dem Bereich der Bioethik zugeordnet werden. Wichtigstes Zeugnis dieser Zusammenarbeit ist die gemeinsame Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“. Die forschungsleitende Annahme war, dass die Evangelische Kirche in Deutschland ihr Kommunikationsverhalten und die Art und Weise ihres Vorgehens sowohl planend-strategisch als auch intuitiv-reagierend an die Anforderungen der Zeit anpasst und dabei auf Erfahrungen in ethischen Stellungnahmen zurückgreift: Die sich seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland veränderte Selbstpositionierung der evangelischen Kirche im öffentlichen Raum führte nach verschiedenen Rückschlägen und den daraus resultierenden Lernprozessen zu einer strategischen Zusammenarbeit in Fragen der ethischen Bewertung des Lebensschutzes mit der katholischen Kirche. Dieses Zusammenwirken soll an entscheidenden Wegmarken nachgewiesen werden und mündet in eine Analyse der gemeinsamen Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“. Die genannte Zusammenarbeit von evangelischer und katholischer Kirche transformiert die in den 60er Jahren gemachten Erfahrungen der Evangelischen Kirche in Deutschland im Bereich öffentlicher Stellungnah1

2

Eine gute Übersicht der Herausbildung der Bioethik und ihrer Aufgabengebiete bietet Marcus Düwell/Klaus Steigleder, Bioethik, Bedeutung und Aufgaben, in: Marcus Düwell/Klaus Steigleder (Hrsg.), Bioethik. Eine Einführung, Frankfurt 2003, S. 12–37. Vgl. zur zeitlichen Eingrenzung Axel Schildt, Abschied vom Westen? Zur Debatte um die Historisierung der „Bonner Republik“, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 45 (2000), S. 1207–1218, H. 10. und auch Axel Schildt, Zeitgeschichte der „Berliner Republik“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte: APuZ 62 (2012), S. 3–8, 1–3.

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Einleitung

men und ermöglicht ihr, im Feld der ethischen Herausforderungen der 80er Jahre zu bestehen. Die 1989 veröffentlichte Gemeinsame Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ ist gleichsam Resultat und Zeugnis dieses Prozesses. Sie kann als kirchliche Bioethik verstanden werden. Die kirchliche Stellungnahme erfolgt in einem komplexen Geflecht von politischen und kirchlichen Akteuren. Der Schwerpunkt der Studie liegt auf den innerkirchlichen Klärungsprozessen und ihren handlungsleitenden Impulsen. Die evangelische und die katholische Kirche sind in der Bonner Republik unzweifelhaft wichtige Akteure in der Gesellschaftsgestaltung gewesen. Den von den Kirchen veröffentlichten ethischen Stellungnahmen kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Ihre Wirkkraft ist jedoch kaum Gegenstand von Forschung gewesen. Lediglich einzelne Studien haben jeweils unterschiedliche Fragmente dieses Themenkomplexes untersucht, sodass die Forschungslage zu den ethischen Einflüssen des Protestantismus dünn ist. Einige Beiträge in diesem Bereich können von der DFGForschergruppe „Der Protestantismus in den ethischen Debatten der Bundesrepublik Deutschland 1949–1989“ erwartet werden, die im Sommer 2013 ihre Arbeit aufgenommen hat. Aufbauen kann diese Untersuchung auf einzelne Studien, unter denen die wesentlichen kurz benannt werden sollen. Wichtig sind die Ergebnisse von Hartwig von Schubert, der in seinem Werk „Evangelische Ethik und Biotechnologie“ bereits zu einem frühen Zeitpunkt eine systematische Analyse evangelischer Beiträge zum Umgang mit der aufkommenden Biotechnologie vorlegt.3 Er setzt sich dabei aus theologisch-ethischer Perspektive mit den von ihm zusammengetragenen Stellungnahmen auseinander und untersucht sie auf ihre Prinzipienbildung. Eine Verknüpfung mit politischer Rezeption der Beiträge leistet er noch nicht. Die Lücke in der Verbindung von protestantischer Ethik und ihrer Rezeption in der Gesetzgebung schließt Reiner Anselm, der in seiner Untersuchung „Jüngstes Gericht und irdische Gerechtigkeit“ die Einflüsse protestantischer Ethik auf die deutsche Strafrechtsreform in der Bonner Republik aufzeigt und unter anderem eine Korrelation von ethischer Theoriebildung und normativer Gesetzgebung nachweisen kann.4 Den größten ethischen Diskurs, der vor allem zwischen den beiden großen Kirchen in Deutschland für Verwerfungen gesorgt hat, bildet die Frage der ethischen Legitimität des Schwangerschaftsabbruchs. Hierzu ist auf die umfangreiche Studie von Simone Mantei zu verweisen, die in ihrer Dissertation „Nein und Ja zur Abtreibung“ die innerkirchliche Diskussion in der Reformdebatte des § 218 im Zeitraum 1970–

3

4

Hartwig von Schubert, Evangelische Ethik und Biotechnologie. Argumentationsmuster evangelischer Ethik im Bereich technologischer Entwicklungen in der Mikro- und Molekularbiologie ausführlich dargelegt am Beispiel der Humangenetik, Universitäts-Dissertation Heidelberg 1989. Überarbeitet dann auch erschienen unter Hartwig von Schubert, Evangelische Ethik und Biotechnologie, Frankfurt/Main 1991. Reiner Anselm, Jüngstes Gericht und irdische Gerechtigkeit. Protestantische Ethik und die deutsche Strafrechtsreform, Stuttgart 1994.

Einleitung

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1976 untersucht hat.5 Sie weist einen innerkirchlichen Strukturwandel in der Einstellung zum Schwangerschaftsabbruch nach. Ein detailliertes Bild der zeitgeschichtlichen Situation der 80er Jahre zeichnet Katharina Kunter in ihrer Habilitationsschrift „Erfüllte Hoffnungen und zerbrochene Träume“, indem sie die gesellschaftspolitischen Fragestellungen des konziliaren Prozesses und ihre ökumenischen Implikationen aufzeigt.6 Vorarbeiter dieser Forschung jedoch ist Wolfgang Huber, der in seiner Habilitationsschrift „Kirche und Öffentlichkeit“ die Verhältnisbestimmungen der beiden im Titel genannten Bereiche umfassend untersucht hat.7 Eine Untersuchung, die strukturelle Erfahrungen kirchlich-ethischer Stellungnahmen beleuchtet und diese auf die letzte große Herausforderung bezieht, die der evangelischen Kirche in Deutschland in Gestalt der entstehenden Probleme der Bioethik entgegengetreten ist, fehlt in der Forschungslandschaft. Dies ist umso bemerkenswerter, als die resultierenden Stellungnahmen wesentlicher Bestandteil des deutschen Protestantismus sind. Die vorliegende Arbeit soll dazu beitragen, die Forschungslücke zu schließen.

Die gemeinsame Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ als Untersuchungsgegenstand und ihre Kontextualisierung in der Zeitgeschichte Am 30. November 1989 luden der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann, und der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Martin Kruse, zu einer gemeinsamen Pressekonferenz in Bonn. Auf dieser Pressekonferenz wurde eine Erklärung vorgestellt, die in einer ökumenisch besetzten Arbeitsgruppe über einen Arbeitszeitraum von knapp drei Jahren entstanden war. Das Dokument, welches mit dem Titel „Gott ist ein Freund des Lebens. Herausforderungen und Aufgaben beim Schutz des Lebens“ überschrieben ist, eignet sich aus mindestens drei Gründen dazu Gegenstand der Ethikforschung zu sein. Diese drei Gründe sind im einzelnen 1.) die große ökumenische Übereinstimmung, 2.) die Vielzahl und Zusammenstellung der in der Erklärung behandelten Themen und 3.) die Tatsache, dass der Begriff „Leben“ in dieser Form bis dahin noch nie in einer kirchlichen Erklärung als Leitbegriff herangezogen war. 1. Große ökumenische Übereinstimmung: Die als „gemeinsame Erklärung“ deklarierte Schrift ist, so ist es der Publikation zu entnehmen, in Zusammenarbeit zwischen dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz entstanden. Bewusst wurde die Schrift sowohl hinsichtlich ihrer inhaltlich-ökumenischen Konzeption als auch in 5 6 7

Simone Mantei, Nein und Ja zur Abtreibung. Die evangelische Kirche in der Reformdebatte um § 218 StGB (1970–1976), Göttingen 2004. Katharina Kunter, Erfüllte Hoffnungen und zerbrochene Träume. Evangelische Kirchen in Deutschland im Spannungsfeld von Demokratie und Sozialismus (1980–1993), Göttingen 2006. Wolfgang Huber, Kirche und Öffentlichkeit, Stuttgart 1973.

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Einleitung

der konkreten Organisation der Zusammenarbeit in die Tradition der bereits zuvor von beiden Kirchen zusammen erstellten gemeinsamen Erklärungen gestellt. Schon die Zusammensetzung der die Schrift konzeptionierenden Arbeitsgruppe ist interessant. Weder von katholischer noch von evangelischer Seite wurden bereits bestehende Arbeitsgruppen mit vorhandener Fachkompetenz herangezogen, sondern es wurde eine neue Arbeitsgruppe zur Konzeptionierung der Schrift gebildet. Dieser Arbeitsgruppe gehörten jeweils prominente Vertreter an: Beide Kirchen entsandten die Geschäftsführer der jeweiligen Kirchenbüros und beauftragten darüber hinaus bedeutende Theologen, sie in der Arbeitsgruppe zu vertreten. Es wäre auf evangelischer Seite alternativ auch denkbar gewesen, die vorhandene Kammer für öffentliche Verantwortung zur Mitarbeit zu bestimmen oder wenigstens in die Beratungen mit einzubeziehen. Auch auf katholischer Seite wurde keine der bestehenden bischöflichen Kommissionen mit einbezogen. Auf der Ebene der zusammenarbeitenden Kirchen liegt der zweite wichtige Punkt, der den ökumenischen Wert des Papieres bestimmt. Die Publikation weist aus, dass sie „in Verbindung mit den übrigen Mitglieds- und Gastkirchen der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West)“ herausgegeben worden ist (ACK).8 Das bedeutet im Detail, dass, nachdem die beiden großen Kirchenorganisationen in Deutschland sich auf die Schrift verständigt hatten, die anderen Kirchen der ACK sich inhaltlich dem Papier angeschlossen haben. Zum Publikationszeitpunkt waren dies die GriechischOrthodoxe Metropolie von Deutschland, der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland, die Evangelisch-methodistische Kirche, das Katholische Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland, die Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden, die Europäisch-Festländische Brüder-Unität (Herrnhuter Brüdergemeine), die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien in der BRD, die Evangelisch-altreformierte Kirche in Niedersachsen, der Bund Freier evangelischer Gemeinden in Deutschland, die Religiöse Gesellschaft der Freunde (Quäker), die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche, der Christliche Gemeinschaftsverband Mülheim/Ruhr GmbH und die Heilsarmee in Deutschland. Eine derartig große inhaltliche Abstimmung hatte es zuvor in einer kirchlichen Stellungnahme noch nicht gegeben. 2. Vielzahl und Zusammenstellung der behandelten Themen Die in der gemeinsamen Erklärung behandelten Themenbereiche sind zahlreich. Obwohl beide Kirchen unabhängig voneinander bereits in den Jahren vor Erstellung der gemeinsamen Schrift relativ viele Stellungnahmen zu den bioethischen 8

Siehe Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz, Gott ist ein Freund des Lebens. Herausforderungen und Aufgaben beim Schutz des Lebens; gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz in Verbindung mit den übrigen Mitglieds- und Gastkirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West), Gütersloh 1989, S. 3.

Einleitung

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Debatten ihrer Zeit publiziert und zu den diversen neuen, menschliches Leben beeinflussenden technischen Entwicklungen Stellung bezogen hatten, wurden in „Gott ist ein Freund des Lebens“ die bereits behandelten Themenbereiche erneut aufgegriffen und unter theologischen Gesichtspunkten untersucht. Die Ökologiedebatte, die Diskussion um die Würde des Menschen und die sich daran anschließende theologische Beurteilung des Schutzes menschlichen Lebens an den verschiedenen Stationen seines Auftretens und in potentiellen Konfliktfällen werden in der Schrift erneut aufgegriffen und nun aufeinander bezogen. Vor „Gott ist ein Freund des Lebens“ bezog man lediglich zu Einzelthemen Stellung und behandelte diese losgelöst von anderen Debatten. Dass die beiden großen Kirchen sich so umfangreich zu den technischen Herausforderungen ihrer Zeit äußerten, war neu. Von der Seitenzahl her ist die Schrift fast doppelt so umfangreich wie die zuvor ebenfalls gemeinsam erarbeitete Stellungnahme „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung“ oder alle anderen seitdem erstellten gemeinsamen Erklärungen. Die über 110 Seiten starke Schrift ist bis heute das umfangreichste schriftliche Zeugnis ökumenischer Zusammenarbeit der beiden großen Kirchen in Deutschland. 3. Fokussierung auf den Lebensbegriff Die Vielzahl der behandelten Bereiche des Lebensschutzes führte zu einer neuen und bis dahin noch nicht dagewesenen Verknüpfung der das Leben betreffenden Bereiche. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe stellten heraus, dass alle Stationen, an denen Leben betroffen ist – ob menschliches, tierisches oder pflanzliches – aus theologischer Sicht geschützt werden müssen. Hierzu wurde der Schöpfungsbegriff erweitert und mit dem Lebensbegriff verknüpft. Mensch und Natur müssten geschützt werden, weil sie Ausdrucksweisen eines das Leben bejahenden Gottes sind. Hinsichtlich einer von partiellen Konfliktfällen absehenden und die anstehenden Problemstellungen verbindenden Argumentationsweise ist „Gott ist ein Freund des Lebens“ wegen der Zusammenschau mit den übrigen gemeinsamen Erklärungen einzigartig.

Kirchliche Bioethik „avant la lettre“ Wie aber kam es dazu, dass sich die beiden großen christlichen Kirchenorganisationen in Deutschland zu einer so hoch angesetzten Zusammenarbeit entschlossen und die oben bereits kurz dargestellte thematische Herangehensweise für die Formulierung der gemeinsamen Erklärung wählten? Wie für die meisten anderen Ereignisse der Zeitgeschichte können hierfür keine direkten Handlungsauslöser, aber wichtige Indizien genannt werden. Anzuschauen sind dabei der zeitliche Kontext der Schrift und die Erfahrungen, die beide Kirchen in der Positionierung zu den ethischen Debatten der 60er Jahre gesammelt hatten. Beides ergibt dann ein Bild der Zeit, in welcher sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe befunden haben.

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Einleitung

Die starke Konzentrierung auf den Lebensbegriff in der gemeinsamen Erklärung ist der Tatsache geschuldet, dass der Integrationsbegriff „Bioethik“, der heute im deutschen Sprachraum für die Aufeinanderbeziehung der materialethischen Themen genutzt wird, damals noch nicht zur Verfügung stand. Die Entscheidung, den Lebensbegriff auszuweiten und als Integrationsbegriff zu verwenden, ist damit die Geburtsurkunde eines kirchlichen Zugangs zur Bioethik. Aus heutiger Sicht enthält der damals in der gemeinsamen Erklärung genutzte Lebensbegriff die Inhalte des Begriffs der heutigen Bioethik: „Der Begriff Bioethik weist auf einen neuen ethischen Problemzusammenhang, der die zur Sicherung und Entfaltung menschlichen Daseins im Begriff Leben implizierten Voraussetzungen und Bedingungen zum Ausgangspunkt normativer Betrachtung nimmt. Dieses Verständnis von Bioethik geht damit bereits in entscheidenden Aspekten über die angloamerikanische Verwendung des Begriffs bioethics als eines nahezu synonymen Terminus für unseren traditionellen Begriff der Medizinischen Ethik hinaus. Der Gegenstandsbereich Bioethik ist grundsätzlich weiter gefasst. Er umschliesst näherhin die Teilbereiche Medizinische Ethik, Humanökologische Ethik, Umweltethik. Damit orientiert sich die Bioethik in je unterschiedlichen Gewichtungen an der individuellen, an der sozialen und an der natürlichen Lebenswelt des Menschen. Hiermit bestimmt sie drei Dimensionen eines in sich verschränkten Systemganzen, drei Koeffizienten eines umfassenden ethischen Handlungsraumes, der in seiner Gesamtheit das unter neuzeitlichen Prämissen stehende Handeln des Menschen gegenüber dem ihn ermöglichenden Bios umfasst.“9

Oder anders und kurz gesagt: „Unter Bioethik wird […] die ethische Reflexion jener Sachverhalte verstanden, die den verantwortlichen Umgang des Menschen mit Leben betreffen.“10 Diese heute im deutschen Sprachkontext allgemein angenommene Definition einer „Bioethik“ ist somit das Resultat eines Anfang der 70er Jahre beschrittenen und bis zum Ende der 80er Jahre zu Ende gegangenen Erkenntniswegs in den oben angeführten wissenschaftlichen Bereichen Medizinethik, Humanökologie und Umweltethik. Gegen Ende der 80er Jahre war deutlich geworden, dass die zuvor vornehmlich unabhängig voneinander behandelten materialethischen Themenstellungen der Medizinethik, Umweltethik und Humanökologie hochkomplexe Wechselwirkungen aufwiesen, die es nötig machten, die angrenzenden Bereichsethiken nun jeweils mit 9

Paul Mikat/Lutwin Beck/Wilhelm Korff, Vorwort, in: Wilhelm Korff/Lutwin Beck/Paul Mikat/ Ludger Honnefelder (Hrsg.), Lexikon der Bioethik, Gütersloh 2000, S. 5–6, hier S. 5. 10 „Bioethik umfasst dann aber zum einen die Probleme der klassischen ärztlichen Berufsethik und der modernen medizinischen Ethik ebenso wie die Probleme der heutigen Humanökologie mit ihren vielfältigen psychologischen, psycho-sozialen und bio-sozialen Aspekten, und zum anderen die noch elementarer ansetzenden und darin gleichsam fächerübergreifenden Problemstellungen der modernen Biotechnologien bis hin zu den explizit auf das außermenschliche Leben gerichteten klassischen Fragen des Naturschutzes und des Tierschutzes sowie die übergreifenden Fragestellungen heutiger Umweltethik.“ Wilhelm Korff, Einführung in das Projekt Bioethik, in: Lexikon der Bioethik, Gütersloh 2000, S. 7–16, hier S. 7.

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zu berücksichtigen. Es ist hierbei vor allem der technische Fortschritt gewesen, der neue und bis daher nicht gekannte Problemstellungen hervorbrachte und somit auch neue Betrachtungsweisen und Bearbeitungsmuster von den Akteuren forderte, was zum Aufbrechen der traditionellen Ordnung der ethischen Betrachtungsbereiche führte.11 Hier sind vor allem die technischen Neuerungen zu nennen, die eine Einwirkung des Menschen auf die Natur oder den Menschen selbst möglich machten. Da diese Einwirkungen oftmals kaum rückgängig zu machen waren, erhöhten sich die Sensibilität und das Nachdenken darüber, ob die neu gewonnenen technischen Möglichkeiten überhaupt vom Stadium eines gelungenen wissenschaftlichen Versuches in eine alltagstaugliche Technologie überführt werden sollten: Es wurde deutlich, dass einmal ausgesetzte genmanipulierte Pflanzen in der freien Natur sich unkontrolliert verbreiten würden, ohne dass die Folgen auf die übrige Umwelt absehbar waren. Ebenso war unmöglich vorauszusehen, ob Menschen mit transplantierten Organen nicht in der menschlichen Fortpflanzungskette schädliche Folgen für ihre Nachkommen haben könnten. Spätestens mit dem ersten im Reagenzglas gezeugten Kind 1978 wurden durch die damit verbundene plötzliche Sichtbarmachung des erreichten technischen Fortschritts Probleme aufgeworfen, die vorher noch nicht diskutiert worden waren.12 Wie weit sollte der Mensch seine gewachsenen Möglichkeiten, die Natur zu beeinflussen, ausreizen? Diese Frage stellte sich dabei nicht nur auf dem Gebiet der Fortpflanzungsmedizin. Während die schnell fortschreitende Weiterentwicklung der künstlichen Befruchtung und die Etablierung dieser medizinischen Möglichkeiten in deutschen Krankenhäusern eine gesellschaftliche Debatte um die ethischen Grenzen des Machbaren hervorriefen, entwickelte sich die gleiche Frage an den Grenzen des Einsatzes der Gentechnologie, die ebenfalls große Fortschritte machte. Die Auswirkungen des Eingreifens der Menschen in die Natur führten zu einer verstärkten Wahrnehmung der Umwelt. Gleichzeitig etablierte sich eine Diskussion um die Ausnutzung der natürlichen Ressourcen der Erde, um den Lebensstandard zu halten und zu erhöhen.13 11 Siehe auch Rehmann-Sutter: „Die neuartigen Möglichkeiten der Gentechnik, Transplantationsmedizin, in-vitro-Fertilisation, Embryonenforschung und die ökologische Krise warfen eine Reihe neuartiger Probleme auf, die mit Hilfe des traditionellen Theorierepertoires der Ethik nicht lösbar schienen.“ Christoph Rehmann-Sutter, Bioethik, in: Marcus Düwell/Christoph Hübenthal/Micha H. Werner (Hrsg.), Handbuch Ethik, Stuttgart 2006, S. 247–253, hier S. 247ff. Siehe hier auch für die weiteren Informationen zur Genese des Begriffs „Bioethik“. Korff benennt ebenfalls die einzelnen neuen Bereiche explizit: „Über die klassischen medizinisch-ethischen Fragen wie Abtreibung, Geburtenregelung, Sterbehilfe, Sozialmedizin etc. hinaus geht es also nunmehr auch um Probleme der Organtransplantation und der Verpflanzung von Hirngewebe, der Reproduktionsmedizin, der pränatalen Diagnostik bis hin zur Humangenetik.“ Korff, Einführung, in: Lexikon der Bioethik, S. 7. 12 Vgl. hierzu Manfred Stauber, Infertilität/Sterilität, in: Lexikon der Bioethik, Gütersloh 2000, S. 301–307, hier S. 304. und auch S. 305. 13 Die akademische Auseinandersetzung mit der anstehenden Thematik führte zu zahlreichen Publikationen. Siehe hierzu zum Wandel des Naturverständnis: Carl Friedrich Weizsäcker, Die Einheit

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All diese Themen schienen zusammenzuhängen und so wurden die neuen technischen Möglichkeiten plötzlich politisiert, um Themen wie Bevölkerungspolitik, Wohlstandssicherung oder gar Friedenssicherung zu diskutieren. Die Politisierung der bioethischen Bereiche führte dazu, dass die großen Kirchen in Deutschland verstärkt gedrängt wurden, ebenfalls Äußerungen und Stellungnahmen zu den technischen Möglichkeiten abzugeben. Doch diese standen, wie auch die Politiker, vor der Frage, wie überhaupt mit den neuen technischen Möglichkeiten umzugehen sei. Immer kürzer wurden die Abstände, in denen die Kirchen zu Äußerungen gedrängt wurden.14 Die Frage des politischen Friedens wurde im deutschen Kontext natürlich als eine Frage des politischen Systems wahrgenommen – und somit war sie immer auch die Frage, welches System das gerechtere sei. Die hohen Rüstungsausgaben standen dabei im deutlich messbaren Gegensatz zu den Ausgaben, die für den Umweltschutz getätigt wurden, und boten somit eine Folie, auf der die Diskussion um gerechten oder „guten“ Umgang mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen abgebildet werden konnte. Zusätzlich traten erste globale Gesichtspunkte auf, die die eigenen Lebensbedingungen im Vergleich zu denen vieler anderer weltweit als ungerecht deuteten.15 der Natur. Studien, München 1972. Clemens Burrichter/Rüdiger Inhetveen/Rudolf Kötter (Hrsg.), Zum Wandel des Naturverständnisses, Paderborn 1987; Georg Picht, Der Begriff der Natur und seine Geschichte. Mit einer Einführung von Carl Friedrich von Weizsäcker, Stuttgart 1989. Aus theologischer Warte siehe Gerhard Rau/Adolf Martin Ritter/Hermann Timm (Hrsg.), Frieden in der Schöpfung. Das Naturverständnis protestantischer Theologie, Gütersloh 1987. Traugott Koch, Das göttliche Gesetz der Natur. Zur Geschichte des neuzeitlichen Naturverständnisses und zu einer gegenwärtigen theologischen Lehre von der Schöpfung, Zürich 1991. Die ökologische Krise nahmen unmittelbar zum Ausgangspunkt Oswald Bayer, Schöpfung als Anrede. Zu einer Hermeneutik der Schöpfung, Tübingen 1986. Sowie Günter Altner (Hrsg.), Ökologische Theologie. Perspektiven zur Orientierung, Stuttgart 1989. Jürgen Moltmann, Gott in der Schöpfung. Ökologische Schöpfungslehre, München 1985. Eine Auseinandersetzung mit der Gentechnik lieferte bereits sehr früh der Sammelband Stephan Wehowsky (Hrsg.), Schöpfer Mensch? Gen-Technik, Verantwortung und unsere Zukunft, Gütersloh 1985. Hierzu siehe auch die thematisch schon sehr frühe Monographie Jürgen Hübner, Die neue Verantwortung für das Leben. Ethik im Zeitalter von Gentechnologie und Umweltkrise, München 1986. 14 Teilweise schlossen sich wegen der Ausbleibenden kirchlichen Stellungnahmen Privatpersonen aus der kirchlichen Öffentlichkeit zusammen, um diese Lücke zu füllen. Siehe z.B. Günter Altner/Gerhard Liedke/Klaus M. Meyer-Abich/Klaus Müller/Udo E. Simonis, Manifest zur Versöhnung mit der Natur. Die Pflicht der Kirchen in der Umweltkrise, Neukirchen-Vluyn 1984, S. 34. Darin u.A. mahnend auf dem Klappentext: „Noch immer fehlt ein entscheidendes Wort der Landeskirchen und der EKD angesichts der gefährlich wachsenden Umweltzerstörung.“ 15 Die Themen Umweltschutz – Frieden – Rüstung – Gerechtigkeit wurden ganz selbstverständlich verbunden. In einem Mahnschreiben, welches unter Anderen von dem Theologen Günther Altner herausgegeben wurde und die ausstehenden Taten zur Beseitigung der „Umweltkrise“ kritisiert, wird die Problematik globaler Gerechtigkeit im Zusammenhang der Rüstungsausgaben gesehen, ohne dass dies tiefergehend expliziert wird. „Die Industriegesellschaften tun für die Erhaltung der Umwelt höchstens so viel, daß man nicht sagen kann, sie täten gar nichts. Für die Rüstung aber ist Geld da, 500 Milliarden US Dollar im Jahr 1980. […] Schon der fünfhundertste Teil dieses Waffenberges kostet soviel wie hunderttausend Paar Zugochsen samt Zuggeschirr und Pflügen, Millionen

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Im Hintergrund der Diskussionen der 80er Jahre stand ferner die diffuse, aber wahrnehmbare Angst vor dem missbräuchlichen Einsatz neuer Technik, wie sie in Gestalt der Atomkraft deutlich wurde. In der ethischen Bewertung von neuer Technik stand die Erfahrung aus den Möglichkeiten, die im Umgang mit der Atomkraft entstanden waren, allen deutlich vor Augen: Man konnte die atomare Energie nutzen, um umweltschonend ganze Städte mit Energie zu versorgen, durch etwas Unachtsamkeit im Umgang mit ihr allerdings auch ganze Städte auslöschen, wie die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 zeigte. Hier ist von militärischer Nutzung der Atomkraft noch gar nicht gesprochen. Die große Sorge, dass die neuen Möglichkeiten der Gentechnik außer den Versprechungen, medizinischen Fortschritt zu erlangen, eine ganz andere Seite der Medaille haben könnten, bildete den Gegenstand der Beratungen und Diskussionen. Die Synode der EKD setzte in einer frühen Kundgebung die Atomkraft und die Gentechnik gleich, was die Sprengkraft der Diskussion aufzeigt: „Das vom Menschen in der Atomtechnik geschaffene ungeheure Vernichtungspotential findet seine Parallele in der von der Gentechnik ermöglichten enormen Fähigkeit zur Manipulation sowohl des Menschen selbst wie der übrigen Schöpfung. Der Mensch errichtet damit eine Herrschaft seiner eigenen wissenschaftlichen Möglichkeiten – schwer durchschaubar, aber von größter Tragweite auch für kommende Generationen. Damit wird Kontrolle immer schwieriger.“16

Vorgehen Um den Besonderheiten der Zeitgeschichtsforschung gerecht werden zu können, wird in dieser Arbeit nicht rein chronologisch vorgegangen. Einzelne Problemfäden überlagern sich oder laufen nebeneinander – manchmal verstärken sie sich so gegenseitig: Aber erst wenn diese sich verknoten, werden sie in der Rückschau sichtbar. Es wird daher darauf geachtet, diese einzelnen Problemfäden zu identifizieren landwirtschaftlicher Handgeräte wie Hacke und Schaufeln oder die Hälfte der Weizeneinfuhren Afrikas. […] Im Gegensatz zur Wachstumsdiskussion der frühen siebziger Jahre, die noch weitestgehend apolitisch war, hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, daß wir uns in einer vielschichtigen weltpolitischen Krise befinden.“ ebenda, S. 8. Diese weltpolitische Krise sei, so die Argumentationsfigur, zu vermindern, wenn eine globale Abrüstung erfolge, die durch die dadurch freiwerdenden friedenfreundlichen Impulse nicht nur Gerechtigkeit unter den Völkern entstehen ließe, sondern eben auch die finanziellen Mittel freisetzen würde um umweltschonender zu produzieren. Dieser, aus heutiger Sicht etwas naiv anmutende, Vorschlag prallte auf die politische Linie des Systemkampfes und des deutschen Herbstes und musste den etablierten politischen Akteuren, die sich für Wirtschaftswachstum innerhalb gesicherter Grenzlinien einsetzten, wie ein Vorschlag aus einer anderen Welt vorkommen. Von ostdeutscher Seite aus hatte Heino Falke bereits 1981 auf die Verbindung zwischen Frieden, Gerechtigkeit („der Kluft von Armen und Reichen“) und Umweltschutz hingewiesen. Siehe Heino Falcke, „Verlaßt eine gute Welt“, in: Monatsblatt der evangelisch-reformierten Kirche in Sachsen 36 (1981), H. 2, S. 2–9. 16 Zur Achtung vor dem Leben. Maßstäbe für Genetik und Fortpflanzungsmedizin, Hannover 1987, S. 3.

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um sie dann, so getrennt voneinander wie möglich, zu beschreiben und zurückzuverfolgen. Innerhalb der einzelnen identifizierten Problembereiche wird dann wiederum chronologisch vorgegangen. Gerade in der Rekonstruktion geschichtlicher Ereignisse wäre es falsch, eine lineare Entwicklung anzunehmen, die sich auf einfache „Ursache-Wirkung“ Mechanismen zurückführen ließe. Es sind unzählige Faktoren, die zu Entscheidungen von Personen oder Begebenheiten in der Geschichte führen. Die Wichtigsten von ihnen herauszugreifen, bildet die Schwierigkeit auch dieser Untersuchung. Im ersten Kapitel soll zunächst die Aufgabe beschrieben werden, der sich die evangelische Kirche in der späten Bonner Republik gegenübergestellt sah. Dazu werden die großen ethischen Probleme der 80er Jahre und die daran angrenzenden Themengebiete behandelt. Die Debatten um den Schwangerschaftsabbruch, die Entwicklungen in der Gentechnik und die Umweltdiskussion bündelten sich in diesem Zeitraum zu einem Gesamtproblem, dem die Kirche aus ethischer Perspektive wenig gegenüberzustellen hatte. Gleichzeitig gerieten die althergebrachten Möglichkeiten theologischer Ausdrucksweise an ihre Grenzen, was an der protestantischen Kritik am Gebrauch des Terminus „Bewahrung der Schöpfung“ dargestellt wird. Im zweiten Kapitel werden die strukturellen Vorerfahrungen beleuchtet, die die evangelische Kirche auf dem komplexen Feld der Verhältnisbestimmungen von Kirche und Politik, öffentlicher Kommunikation und der sogenannten Kirchenkrise in der Bonner Republik gesammelt hat und die damit als Erfahrungsschatz für die Reaktion auf die im ersten Kapitel dargestellten Herausforderungen zur Verfügung standen. Hierzu ist es nötig, die Verhältnisse zu benennen, die den Protestantismus im Gegensatz zum Katholizismus zunächst hinderten, politisch Einfluss zu nehmen. Ebenfalls wird die Entwicklung der protestantischen Öffentlichkeitsarbeit nachvollzogen bis zur Entwicklung des ersten ökumenischen Positionspapieres. Der dritte Teil dieses Kapitels spürt der Hinwendung der Kirchenleitungen zu den individuellen Kirchenmitgliedern nach und zeigt auf, wie sich durch die Ergebnisse der systematischen Erforschung der Kirchenmitgliedschaft auch das Engagement der Kirchenleitungen erhöht, verständlicher und weniger exklusiv zu kommunizieren. Diese Vorerfahrungen bilden den Hintergrund für das dritte Kapitel, nämlich die Darstellung der zeitgleich ablaufenden kirchlichen Diskussionen und damit der innerkirchlichen Meinungsbildung und Entwicklung von Vorgehensweisen. Als maßgebliche Diskussion werden der konziliare Prozess für „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ sowie die Entwicklung gemeinsamer Stellungnahmen zwischen EKD und DBK angesehen. Der konziliare Prozess bewirkte zum einen die Einsicht, dass die Themen dieses Prozesses nicht unabhängig voneinander betrachtet werden konnten. Eine diese Problembereiche integrierende Einsicht wurde in der Entwicklung der kirchlichen Bioethik später aufgenommen. Zum anderen wurden durch die Diskussionen, die im Kontext des Bereichs „Bewahrung der Schöpfung“ geführt wurden, bereits Klärungen bewirkt, auf die ebenfalls später

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zurückgegriffen werden konnte. Parallel zum konziliaren Prozess begannen die EKD und die DBK in gemeinsamen Stellungnahmen die Aufnahme gesellschaftlich relevanter Themen aus dem Bereich der Ethik. Sie nahmen dabei die Themen der damals aktuellen politischen Diskussion auf, indem sie die Grundwertedebatte und die Ökologische Krise zum Thema ihrer Erklärungen machten. Das vierte Kapitel ist der detaillierten Aufarbeitung der gemeinsamen Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ gewidmet, in dem aufgezeigt werden kann, wie die beschriebenen strukturellen Erfahrungen eine Veränderung ethischer Stellungnahme zur Folge hatten. Zunächst wird anhand der Aktenbestände der „Arbeitsgruppe § 218“ der Bischofskonferenz der Ausgangspunkt und das Interesse rekonstruiert, welches in der Anfrage, der DBK an die EKD eine gemeinsame Stellungnahme zu entwickeln, vorherrschte. Durch die Verbindung der Aktenbestände des Kirchenamtes der EKD werden dann die Verflechtungen von politischen und kirchlichen Interessen herausgearbeitet. Im zweiten Unterabschnitt wird die konkrete Personenkonstellation der Arbeitsgruppe betrachtet, sowie die Einbindung der ACK. Während der Erarbeitungsphase von „Gott ist ein Freund des Lebens“ brachten beide Kirchen Positionspapiere heraus, die inhaltlich die Arbeit der die gemeinsame Erklärung erstellenden Arbeitsgruppe beeinflussten. Diese Positionspapiere werden daher in einem dritten Unterkapitel ebenfalls behandelt. Bevor die Genese der Erklärung anhand einzelner Themenbereiche im fünften Unterkapitel nachvollzogen wird, werden die systematischen Grundentscheidungen der gemeinsamen Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ im Kontext der dadurch entstehenden Akzentverschiebungen zu vorherigen Stellungnahmen in einem vierten Unterkapitel vorgestellt. Dieses anachronistische Vorgehen ermöglicht dem Leser die Diskussionen der Arbeitsgruppe im Wissen um das Resultat zu lesen, um so die Positionsverschiebungen deutlicher wahrnehmen zu können. Im fünften Kapitel werden eine Zusammenschau der Ergebnisse und ein kurzer Ausblick auf die erfolgten Veränderungen der ethischen Diskussion gegeben.

1 Herausforderung für die Positionierung der Kirchen: Zur ethischen Problemkumulation in der späten Bonner Republik Will man verstehen, welchen neuen Herausforderungen protestantische Ethik in den 1980er Jahren ausgesetzt war, so muss man sich wenigstens schlaglichtartig die Problemstellungen der Zeit vor Augen führen. Die für die 1970er Jahre prägende ethische Diskussion zum Umgang mit dem Schwangerschaftsabbruch war nach Erreichen einer rechtlichen Regelung für die ethischen Akteure bei Weitem nicht erledigt und dauerte auch in den 1980er Jahren weiter an. Durch die Nähe zu den technischen Entwicklungen der 1980er Jahre in den Bereichen Fortpflanzungsmedizin und in der Gentechnik flammte gleichzeitig, neben einer eigenen ethischen Diskussion zu ihrem Umgang und ihrer Regelung durch Gesetze, auch die Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch wieder auf. Begleitet von einer seit den 70er Jahren sich verändernden Sicht auf die Umwelt und den daraus resultierenden Umstellungen der politischen Landschaft, ergab sich eine ungewohnt breite Problemkonstellation, dere Einzelaspekte untereinander eng verzahnt waren. Die evangelische Kirche war als Teil des ethischen Diskurses gezwungen, sich in diesem Feld zu positionieren, war aber aufgrund der Neuartigkeit der Problemstellungen dazu nur schwer in der Lage. Um jenes Feld der Herausforderung abzustecken, wird im Folgenden zunächst die Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch beleuchtet, anschließend werden die technischen Entwicklungen in den Bereichen Fortpflanzungsmedizin und Gentechnik angesehen. Die Diskussion um die Umsetzbarkeit dieser Möglichkeiten und Regelung durch Gesetze wird anhand der beiden politischen Kommissionen aufgezeigt, die den Rahmen für die ihnen nachfolgenden Gesetze erarbeiteten. An diesen politischen Kommissionen waren auch die Kirchen partiell beteiligt. Die zeitgleich stattfindende Veränderung in der Bewertung der Umwelt und ihre gesellschaftspolitische Brisanz kann anhand der Debatte um das „Waldsterben“ verdeutlicht werden. Im vierten und letzten Teil dieses Kapitels wird dann, unter Zusammenschau der einzelnen Themen die Herausforderung deutlich, vor der die evangelische Kirche in den 1980er Jahren stand.

1.1 Fortdauernde Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch Am 18. Mai 1976 trat die Novelle des § 218 StGB in Kraft, um die zuvor kräftig diskursiv gerungen wurde und die die deutsche Gesellschaft mit ihren Institutionen vielfach beschäftigt hatte. Der § 218 blieb in dieser Form bis zu seiner erneuten Novellierung am 15. Juni 1992 gültig und bildet damit die Rechtsgrundlage des straffreien Schwangerschaftsabbruches der 1980er Jahre. Nach der Verabschiedung des überarbeiteten § 218 StGB durch den Bundestag im Mai 1976 waren die gesellschaftlichen Debatten zu den ethischen Problemen des Schwangerschaftsab-

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bruchs nicht beendet, sondern dauerten weiter an. Erwartungsgemäß hatte die gesetzliche Neuregelung des Abtreibungsparagraphen zwar nun für rechtliche Sicherheit für die betroffenen Frauen und auch für das medizinische Personal gesorgt, jedoch waren die in der Debatte um die Neuausrichtung des Paragraphen diskutierten ethischen Konflikte um den Lebensschutz weiter offen. Die Kirchen waren durch die Beratungspraxis unmittelbar involviert. Um die sich an die Novellierung anschließenden Diskussionen um den Schwangerschaftsabbruch in den 80er Jahren verstehen zu können, muss auf die komplexe Genese der Gesetzesnovelle in aller Kürze zurückgeblickt werden.1 Nur so wird verständlich, auf welchem Boden die Debatten in den 1980er Jahren geführt wurden und wie sich die beiden Kirchen und die etablierten Parteien in dieser Debatte positioniert hatten. 1.1.1 Streitpunkte der Gesetzesnovelle Der Streitpunkt, um den es in den 1970er Jahren bei der Neugestaltung des § 218 ging, war die Konkurrenzsituation von Selbstbestimmungsrechten der Frauen einerseits und Schutzrechten für den Embryo anderseits. Sollte die rechtliche Konstruktion des Gesetzes zum Schwangerschaftsabbruch von einem generellen Lebensschutz ausgehen, der zu keinem Zeitpunkt Ausnahmen dieses Schutzes vorsah, oder sollten Zeiträume definiert werden, innerhalb derer ein Abbruch legal wäre? Zur Regelung von Konfliktfällen wären im ersten Fall medizinische Indikationen leitend gewesen, die einen legalen Abbruch ermöglicht hätten, im zweiten Fall wären medizinische Maßnahmen nur innerhalb der definierten Fristen legal gewesen. Letztlich bot nur die zweite Variante den schwangeren Frauen die Möglichkeit, selbst über die Fortführung der Schwangerschaft zu entscheiden, da in der anderen Alternative der Abbruch als eine rein medizinisch indizierte Maßnahme zur Rettung des Lebens der Schwangeren definiert war.2 In die deutsche Rechtstradition war erst seit der Weimarer Republik eine Rechtsprechung aufgenommen worden, die in besonders schwierigen Fällen, nämlich wenn das Leben der Mutter auf dem Spiel stand, einen Schwangerschaftsabbruch nicht bestrafte.3 Dieses blieb auch in der Diskussion um die Neuregelung unstrittig, 1

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Die Diskussion um die Novelle des § 218 ist gut erforscht, daher wird hier nur zusammenfassend dargestellt, wie sich die Akteure hinsichtlich ihrer Positionen in den 70er Jahren verhalten haben. Siehe hierzu vor allem: Mantei, Nein und Ja, 2004. Und Michael W. Lippold, Schwangerschaftsabbruch in der Bundesrepublik Deutschland. Sachstandsbericht und kritische Würdigung aus theologisch-ethischer Perspektive, Leipzig 2000. Für die katholische Kirche Sabine Demel, Abtreibung zwischen Straffreiheit und Exkommunikation. Weltliches und kirchliches Strafrecht auf dem Prüfstand, Stuttgart, Berlin, Köln 1995. Und Manfred Spieker, Kirche und Abtreibung in Deutschland. Ursachen und Verlauf eines Konfliktes, Paderborn 2008. Vgl. hierzu Demel, Abtreibung zwischen Straffreiheit, 1995, S. 118. Mit einer reichsrichterlichen Entscheidung vom 11. März 1927 kam es in Deutschland erstmals zu einer Veränderung in der Rechtsprechung zum Schwangerschaftsabbruch. Unter Berufung auf die Güterabwägungstheorie wurde in Deutschland ein medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbruch anerkannt. Vgl. Mantei, Nein und Ja, 2004, S. 30.

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die überwiegende Zahl derer, die in der Diskussion um eine Gesetzesnovelle beteiligt waren, wollte dieses auch so beibehalten. Kontrovers war hingegen, wie diese Fälle eines erlaubten oder straffreien Schwangerschaftsabbruches im Gesetz festgehalten werden konnten, denn je nach Formulierung und Herangehensweise wurden die Weichen für die zukünftige Abtreibungspraxis gestellt. Vertreter einer liberalen Abtreibungspolitik sahen sich den konservativen Diskussionspartnern gegenüber, die das bestehende Recht beibehalten wollten. Ein politischer Aspekt dieser Problemlage ist der deutsch-deutsche Dialog, der die Einschätzung des Schwangerschaftsabbruches vor dem Hintergrund der Bewertung politischer Systeme betrachtete. Während im benachbarten deutschen Staat im März 1972 eine liberale Abtreibungspraxis, basierend auf einer Fristenlösung, etabliert worden war, war in der rechtlichen Neuordnung nach 1945 in der Bundesrepublik der Schwangerschaftsabbruch kaum an die Gegebenheiten einer modernen Gesellschaft angepasst worden.4 Nun sah sich der in der eigenen Interpretation „freie Westen“ gezwungen, Antwort darauf zu geben, warum im „unfreien“ und als rückständig beurteilen Osten des geteilten Landes Regelungen in Kraft waren, die zeitgleich von vielen Westdeutschen gefordert wurden. Politisch musste also eine Lösung gefunden werden, die den selbst empfundenen moralischen Primat des Westens nicht infrage stellte, jedoch gleichzeitig eine rechtliche Regelung ermöglichte, die die demokratischen Verhältnisse im Land wiederspiegelte. In den diskutierten Lösungsansätzen ging es generell darum, ob es einen zu definierenden Zeitraum geben könne, in der es straffrei bliebe, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen bzw. durchführen zu lassen, oder ob der Schutz des ungeborenen Lebens nicht unbedingt gültig sei und es demnach auch keinen solchen Zeitraum geben könne, in der eine Abtreibung erlaubt sei. Kurz gesagt: Entwickelt sich der Lebensschutz aufsteigend, oder gilt er von Anfang an. Die Position der Befürworter eines definierten Zeitraumes des straffreien Schwangerschaftsabbruchs wurde unter dem Begriff „Fristenlösung“ zusammengefasst. Die Gegner einer solchen „Fristenlösung“ machten sich für eine anlassbezogene Beurteilung der Straffreiheit eines Schwangerschaftsabbruches stark. Die sogenannten Anhänger einer „Indikationenlösung“ führten an, dass auf diese Weise der generelle Lebensschutz durch das Gesetz gesichert würde, in Einzelfällen jedoch von einer Strafe abgesehen werden müsse. Welches ein Anlass sein könnte, einen Schwangerschaftsabbruch ungestraft zu lassen, war innerhalb dieser Gruppe der Befürworter einer „Indikationenregelung“ wiederum strittig. Die Bandbreite der Positionen um die zu definierenden Indikationen war groß. Im Streit um die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchsparagraphen waren auch die Kirchen beteiligt, die jeweils mit ihrer christlichen Tradition und den daraus resultierenden ethischen Einschätzungen in der öffentlichen Diskussion Berücksichtigung ihrer Standpunkte einforderten. Ein wesentlicher Streitpunkt 4

Für die rechtlichen Regelungen in der DDR und die Erfahrungen mit der dort praktizierten Fristenlösung siehe Lippold, Schwangerschaftsabbruch, 2000, S. 187–226.

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war dabei auch die Grundsatzfrage, ob sich moralische Werturteile im verabschiedeten Gesetz abbilden müssten, ob also das ethische Gesetz Grundlage für das Strafgesetz werden müsste, oder nicht. Die evangelische Kirche vertrat im Wesentlichen die Position, dass Recht und Moral in der Frage um den Schwangerschaftsabbruch nicht mehr unbedingt deckungsgleich sein müssten.5 Generell trat sie dafür ein, dass, sofern es eine indikationengestützte Gesetzesreform geben würde, diese „umsichtig“ erfolgen müsse. Eine Fristenlösung wollte die EKD hingegen nicht umgesetzt sehen.6 Die katholische Kirche wollte weiterhin ihre moralischen Vorstellungen im Strafrecht der Bundesrepublik abgebildet sehen und verschloss sich bei der Mitarbeit um eine Gesetzesnovelle eventuellen Kompromissregelungen. Eine Fristenregelung kam somit für die katholische Kirche nicht infrage, wie auch eine Indikationenlösung nicht akzeptabel war, sofern sie über den Status quo hinausging.7 Im parlamentarischen Prozess setzte sich 1974 schließlich ein Fristenmodell durch und wurde als Gesetz im Bundestag beschlossen. Dieses Gesetz trat jedoch nie in Kraft, da sich eine sofortige Klage der CDU/CSU Fraktion vor dem Bundesverfassungsgericht anschloss, um das Gesetz zu Fall zu bringen.8 Strittig sei, so die Klageführer, ob nicht der im Grundgesetz garantierte Lebensschutz höher zu bewerten sei, als es durch die neue Fristenregelung zum Ausdruck komme.9 Schließlich gäbe es so einen definierten Zeitraum, in dem der Schutz des Lebens nicht gelte. Das Bundesverfassungsgericht gab den Klägern recht und begründete: Durch die im vorhandenen Gesetz abgefassten Formulierungen könne der Eindruck entstehen, dass innerhalb der definierten Frist von zwölf Wochen ab der Empfängnis der Schwangerschaftsabbruch erlaubt sei. Dieses sei jedoch nicht der Fall, da der im Grundgesetz garantierte Lebensschutz auch für den Fötus gelte. Vom Bundesverfassungsgericht wurde daraufhin eine Übergangsregelung eingesetzt, welche ein indikationengestütztes Verfahren vorsah. Dieses sollte gelten, bis der Gesetzgeber indizierte und nicht indizierte Schwangerschaftsabbrüche voneinander abgegrenzt 5

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Die Hinwendung evangelischer Kirche zur letztlich kantischen Differenz von „innerem und äußerem Gesetzgeber“ in der Schwangerschaftsabbruchdiskussion ist auch der Erkenntnis eines modernen Gesellschaftsbildes geschuldet. Diesem konnte sich die evangelische Kirche schneller öffnen als die katholische. Dass äußeres Recht den Rahmen für das Miteinander verschiedener Ansichten und Auffassungen bildet und inneres Recht dann darüberhinausgehend engere Maßstäbe setzen kann, ist Kennzeichen eines zeitgenössischen Protestantismus geworden. Vgl. für eine differenzierte Darstellung Mantei, Nein und Ja, 2004, S. 53. Generell galt jedoch: „Der vielstimmige Chor, der sich […] aus den verschiedenen evangelischen Voten zusammensetzte, brachte ein breites Spektrum der im deutschen Protestantismus zur Abtreibungsfrage vertretenen Auffassungen zu Gehör.“ ebenda, S. 146. Vgl. ebenda, S. 52. Vgl. ebenda, S. 421. Bundespräsident Heinemann hatte, obwohl er selbst Gegner der Fristenlösung war, das Gesetz fristgerecht am 18. Juni 1974 unterschrieben und im Bundesgesetzblatt abdrucken lassen. Vgl. ebd. Siehe zum Normenkontrollverfahren der CDU/CSU 1974/75 Michael Gante, § 218 in der Diskussion. Meinungs- und Willensbildung 1945–1976, Düsseldorf 1991, S. 166–179.

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habe. Das Bundesverfassungsgericht beendete damit also die Debatte, wie die gesetzliche Regelung über straffreie Schwangerschaftsabbrüche zu gestalten sei, und forderte eine Überarbeitung des Gesetzes hinsichtlich einer Indikationenlösung.10 1.1.2 Rechtliche Grundlage der 1980er Jahre Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes folgend, wurde am 18. Mai 1976 ein neues Gesetz im Bundestag verabschiedet, welches nun Indikationen definierte, die in einem bestimmten Zeitraum gestellt, den sonst generell strafbaren Schwangerschaftsabbruch straffrei ließen.11 Ungestraft sollte nun ein Schwangerschaftsabbruch bleiben, wenn 1.) eine medizinische Konfliktsituation gegeben sei, die die Schwangere in Lebensgefahr oder in Gefahr für ihr weiteres Leben brächte, 2.) das ungeborene Kind eine derartige Gesundheitsschädigung erleiden würde, dass die Fortsetzung für die Schwangere unzumutbar wäre und der Schwangerschaftsabbruch innerhalb von 22 Wochen nach der Empfängnis erfolgte, 3.) die Schwangerschaft Folge einer kriminellen Tat war und der Schwangerschaftsabbruch innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durchgeführt wurde, 4.) die Schwangere aus einer nicht abwendbaren Notlage heraus nicht zumutbar das Kind gebären könne. Diese Indikation hatte innerhalb der ersten drei Monate zu erfolgen. Man spricht hierbei von folgenden Indikationen: 1.) medizinisch-soziale, 2.) eugenische, 3.) kriminologische und 4.) einer Notlagenindikation.12 In allen Fällen hatte eine Beratung der Schwangeren durch einen im Gesetz definierten Berater stattzufinden.13 Besonders die „Notlagenindikation“ schien den Gegnern einer Indikationenlösung zu interpretativ und zu offen zu sein, um wirksam gegen „unrechtmäßige“ Schwangerschaftsabbrüche vorzugehen. Hier wurde ein Einfallstor vermutet, dass letztlich doch den betroffenen Frauen selbst die Definition einer „Notlage“ ermöglichte und so – ohne tatsächliche medizinische Begründung – Abbrüche legitimieren konnte. Nachdem durch die rechtskräftig gewordene Gesetzesnovelle die Diskussion auf politischer Ebene abebbte, war die Diskussion um die ethische Einschätzung des Schwangerschaftsabbruches weiterhin ein umstrittenes Thema. Die evangelische Kirche opponierte dabei nicht mehr öffentlich gegen die Gesetzesnovelle und berief 10 Die katholische Kirche versuchte letztlich noch einmal Einfluss zu nehmen und rief durch die Kongregation für die Glaubenslehre in einer hierfür erstellten „Erklärung über den Schwangerschaftsabbruch“ die Leitlinie der katholischen Kirche in Erinnerung und argumentierte, dass es nicht rechtens sei, die Frau dem zu entziehen, was die Natur [sic!] von ihr fordere. Vgl. Mantei, Nein und Ja, 2004, S. 425. 11 Sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche hatten hinter den Kulissen unabhängig voneinander mit großem Aufwand versucht Einfluss auf die Formulierung des Gesetzestextes zu nehmen. Siehe hierzu ebenda, S. 424ff. 12 Vgl. Demel, Abtreibung zwischen Straffreiheit, 1995, S. 125. 13 Mit der Ausnahme von dem Fall, dass Gefahr für Leib und Leben der Schwangeren bestanden und die Beratung durch den Handlungsdruck nicht drei Tage zuvor hatte durchgeführt werden können.

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sich auf die im individuellen Gewissen zu prüfende Einschätzung jedes Christen, während die katholische Kirche sich mit der neuen Regelung keinesfalls abgeben wollte.14 Für diese war durch die gesetzliche Regelung eine unzufriedenstellende Situation eingetreten, da nun weltliches Gesetz anders lautete als die katholische ethische Beurteilung vorsah.15 Da dies für das Selbstverständnis katholischer Theologie unannehmbar schien, arbeitete die katholische Kirche, unter Beteiligung der in der Opposition befindlichen CDU/CSU, weiter daran, erneut eine Gesetzesänderung herbeizuführen, auch wenn dies zunächst aussichtslos erschien.16 Es bleibt festzustellen, dass der Umgang mit dem Schwangerschaftsabbruch nicht nur die Parteien, sondern auch beide Kirchen hinsichtlich ihrer Ziele in dieser sensiblem Thematik gründlich ‚aufgemischt‘ hatte: In den jeweils eigenen Reihen fanden sich konservativere und liberalere Vertreter, was durchaus zu Zerwürfnissen auf beiden Seiten führte.

14 Der Rat der EKD veröffentliche eine Erklärung, die anstatt Kritik am Gesetz zu üben, eher die Herausforderungen betonte, die dieses für die Ärzte und Frauen mit sich brächte. „Das neue Recht stellt den Verantwortlichen in Kirche, Staat und Gesellschaft die doppelte Aufgabe, ungeborenes Leben zu schützen und Frauen, die durch Schwangerschaft in Bedrängnis geraten sind, zu helfen. Es ist nicht leicht; in vielen Fällen sogar unmöglich, beides miteinander in Einklang zu bringen. Daran wird deutlich, wie wenig ein Strafgesetz auszurichten vermag.“ Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland anläßlich des Inkrafttretens der neuen strafrechtlichen Bestimmung zum Schwangerschaftsabbruch. Vom 10. Juli 1976, in: Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ehe, Familie, Sexualität, Jugend, Gütersloh 1981, S. 238–240, hier S. 238. Diese moderate Erklärung brachte dem Rat einige Kritik von Kirchenmitgliedern sowie von der katholischen Presse ein. Siehe dazu Mantei, Nein und Ja, 2004, S. 538f. Von katholischer Seite wurde unterdessen versucht über das sog. „Weigerungsrecht“ das Gesetz zu hintertreiben. „[D]ie Reform des § 218 StGB belastete das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und der sozial-liberalen Bundesregierung unterdessen bis an die Grenze der Zerrüttung.“ ebenda, S. 546. 15 Für das katholische Kirchenrecht bleibt sowohl vor als auch nach der Revision des Kanonischen Rechtes (CIC) die Tatsünde der automatischen Exkommunikation bei Schwangerschaftsabbruch bestehen. (Sowohl das CIC von 1917 can. 2350 als auch das CIC von 1983 can. 1398 sehen die Exkommunikation vor.) 16 Nachdem 1982 die Regierungsübernahme der CDU erfolgte, setzte dann besonders für die katholische Kirche eine Enttäuschung ein, wie der Katholik Manfred Spieker festhält: „Die große Enttäuschung aller, die sich innerhalb wie außerhalb der Kirche für eine Verbesserung des Lebensschutzes einsetzten, kam nach dem Regierungswechsel im Oktober 1982. Die neue christlich-liberale Bundesregierung unternahm keine ernsthaften Anstrengungen, um die von CDU und CSU in der Opposition gemachte Ankündigung, den § 218 und insbesondere die Notlagenindikation wieder zu reformieren, umzusetzen. Bis zur Wiedervereinigung 1990 wurde am § 218 nichts geändert.“ Spieker, Kirche und Abtreibung, 2008, S. 41.

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1.2 Entwicklungen in Fortpflanzungsmedizin und Gentechnik 1.2.1 Problembestimmung und Zeitbetrachtung „Die Nachrichten aus dem Bereich der Fortpflanzungsmedizin wurden immer spektakulärer: Louise Brown war als extrakorporal erzeugtes Kind 1978 in England geboren worden; in Australien lag Baby Zoe als in-vitro-erzeugter Embryo zunächst zwei Monate in der Tiefkühltruhe, ehe er der Mutter transferiert und das Kind im Frühjahr 1984 geboren wurde […]. Was geschah hinter den Türen der gynäkologischen Praxen, was in den Laboratorien?“17

Die einleitenden Worte zum grundlegenden Kommentar zum 1990 verabschiedeten Embryonenschutzgesetz erfassen die Situation der 80er Jahre präzise. Spätestens mit der Geburt von Louise Brown waren die neuen Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin sicht- und greifbar geworden. Nun waren die neuen Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin nicht mehr nur als Theorie in der Welt, sondern als Person in Fleisch und Blut und als solche Grund für Diskussionen um die Möglichkeiten und Grenzen der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Auch wenn die mythischen Vorstellungen des Umkreises von Zeugung und Beseelungsleere vergangener Zeiten lange schon nicht mehr Grundlage schulischer Bildung waren, waren die Vorstellungen einiger von Zeugung und Fortpflanzung auf diese Weise nachhaltig entzaubert worden. Die 80er Jahre bildeten das Plenum, in dem die Diskussion um den erwünschten medizinischen Fortschritt, abwägend zu den unerwünschten Nebenfolgen neuer Möglichkeiten, entbrannte. In der Diskussion um die Fortpflanzungsmedizin und die Gentechnik wurden in der Debatte zwei Bereiche vermischt, die nicht notwendigerweise miteinander verbunden hätten sein müssen, jedoch gleichzeitig auf der Tagesordnung landeten. Nur wer wirklich fachlich auf der Höhe war und die komplizierten biologischen Zusammenhänge der beiden eigentlich unterschiedlichen Forschungsbereiche differenzierend nachvollzog, konnte in der Debatte etwas beitragen. In der Fortpflanzungsmedizin war die Möglichkeit geschaffen worden, außerhalb des Körpers der Frau eine zuvor entnommene weibliche Eizelle mit den Spermien eines Mannes zu befruchten und die so gewonnene Zygote einer Frau wieder einzusetzen. Dieses Verfahren der künstlichen Befruchtung sollte bei Paaren durchgeführt werden, die Schwierigkeiten hatten, auf natürlichem Wege ein Kind zu bekommen. Diese Methode der künstlichen Befruchtung warf jedoch durch die gestiegenen Kombinationsmöglichkeiten der beteiligten Personen ethische Fragen auf, denn die derartig extrakorporal befruchtete Eizelle musste nicht zwangsläufig auch der Frau wieder eingepflanzt werden, der sie entnommen worden war. Technisch konnte im Falle der größten Kombinationsvielfalt der beteiligten Personen ein 17 Hans-Ludwig Günther/Peter Kaiser/Rolf Keller, Embryonenschutzgesetz. Kommentar zum Embryonenschutzgesetz, Stuttgart, Berlin, Köln 1992, S. 66.

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Kind entstehen, welches nicht nur drei Mütter, sondern auch zwei Väter hatte: Die Frau, die die Eizelle bereitgestellt hatte, die Frau, der die befruchtete Zygote eingepflanzt und die das Kind ausgetragen und geboren hatte (Leihmutterschaft) und die Frau, die die Mutterschaft über das geborene Kind übernahm (soziale Mutterschaft). Gleiches gilt für die beiden Väter: Der Vater, durch dessen Sperma die Eizelle befruchtet wurde (leiblicher Vater) und der Vater, der das Kind annahm und großzog (sozialer Vater). Eine derartige Durchmischung der Familienkonstellationen war für die 80er Jahre undenkbar und die bloße Möglichkeit solcher Familienverhältnisse erregte Aufsehen.18 Auf dem Gebiet der Gentechnologie war der Kenntnisstand über die in den „Genomen“ gespeicherten Erbgutinformationen derartig angewachsen, dass aufgrund einer Erbgutanalyse erste Aussagen über Aussehen oder Fähigkeiten der potenziell aus dem Erbgut entstehenden Lebewesen getroffen werden konnten. Es schien sogar möglich, einzelne Gene gezielt zu manipulieren und somit Pflanzen, Tieren oder sogar Menschen gezielte Veränderungen zuzufügen. Eine vollständige Kartierung der menschlichen Gene wurde in den 80er Jahren begonnen. Das anfangs sehr hohe Forschungstempo führte dazu, dass die Gentechnologie mit ihrem damaligen Potenzial maßlos überschätzt wurde. Die in den 80er Jahren sich aneinanderreihenden publikumswirksamen Publikationen erhofften Erfolge, die bis heute, also über 30 Jahre später, nicht verwirklicht werden konnten. Die Ausrottung von Erbkrankheiten oder der Sieg über die neu in den 80er Jahren entdeckte Immunschwäche AIDS stand den Forschern vor den geistigen Augen. Zwar wurden auf dem Gebiet der Genforschung in den 70er und 80er Jahren große Erkenntnisfortschritte gemacht, jedoch blieben die Erkenntnisse in den 90er Jahren auf dem Gebiet der Einsatzmöglichkeiten beim Menschen dann hinter den Erwartungen zurück.19 18 So ist es nicht verwunderlich, dass die medizinische Fachliteratur zur künstlichen Befruchtung eine ethische Bewertung zu ihrer Zulässigkeit teilweise direkt mit der Ehe verband und ihre ethische Bewertung daran ausrichtete. Sie entsprach somit der Rechtslage. Siehe hierzu exemplarisch den Sammelband von Ernst T. Rippmann (Hrsg.), Die Ehefremde künstliche Befruchtung der Frau, Bern 1974. Die Desiderate der deutschen Rechtsprechung gegenüber den neuen Herausforderungen der Biotechnologie fasste als Zeitgenosse und Beteiligter der hierzu eingesetzten Enquetekommission Johannes Reiter zusammen: „Die Leihmutter soll das Kind austragen und nach der Geburt vertragsgemäß den Eheleuten übergeben. Für eine solche leihweise Bereitstellung der Gebärmutter erhält die Leihmutter in der Bundesrepublik derzeit ein Entgelt von 25 000 bis 30 000 Mark. Die Vermittlungsgebühren betragen noch einmal soviel. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch gibt es Nutzungs- und Mitbenutzungsrecht an Sachen, etwa an einem Grundstuck oder an einer Wohnung. Das Nutzungsrecht für Organe lebender Menschen ist noch keine rechtliche Kategorie. Sichtbar wird darin die bestehende Rechtsunsicherheit in der Bundesrepublik in Bezug auf neue Methoden der Biotechnik.“ Johannes Reiter, Ethische Überlegungen zu „Leihmüttern“, in: Lebendiges Zeugnis 40 (1985), S. 49–50, H. 1, hier S. 49. 19 Auf dem Gebiet der Tierversuche wurden derweil Fakten geschaffen, die der Öffentlichkeit, gleichsam der Geburt von Louise Brown, die neuen Möglichkeiten vor Augen führten: 1984 kombinierten englische Wissenschaftler das Erbgut eines Schafes und einer Ziege und schufen so publikumswirksam die „Schiege“. Vgl. Richard Strenz, Nichts ist unmöglich… Jeremy Rifkin,

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Diese beiden Forschungsbereiche, Fortpflanzungsmedizin und Gentechnik, wurden in der gesellschaftlichen Diskussion oft vermengt. Dies lag zu einem Teil in der Unkenntnis über die tatsächlichen Verfahren und Begriffsinhalte. Die fortpflanzungsmedizinischen Fortschritte waren größtenteils eine Weiterentwicklung aus der Tierzucht und führten dazu, dass manche Teile der Bevölkerung befürchteten, dass nun nicht nur die Verfahren der Tierzucht, sondern auch ihre Zielsetzungen, nämlich die Verbesserung einer Art, beim Menschen Anwendung finden würden: Die scheinbar nun zu erwartende Zucht eines neuen, genveränderten Menschen aus der Petrischale stand ihnen augenscheinlich bevor. Zu einem anderen Teil war tatsächlich die Verbindung beider Themen naheliegend: Wenn es möglich war, extrakorporal Embryonen zu erzeugen und diese dann ohne Aufwand auf genetisch bedingte Krankheiten zu untersuchen, warum sollte man dann nicht nur die gesunden Embryonen einpflanzen oder sie gleich genetisch „verbessern“? Es liegt auf der Hand, dass die Suche nach einer möglichen genetischen Selektion ihre eigenen ethischen Fragen aufwirft. Für die 80er Jahre ist ein großes Interesse in der Bevölkerung für die gentechnischen Möglichkeiten festzustellen. Zudem war die kirchliche Öffentlichkeit alarmiert und brachte sich durch zahlreiche Publikationen in die Debatte ein.20 Ein Kulminationspunkt der Debatte in der evangelischen Öffentlichkeit war dabei der 21. Deutsche Evangelische Kirchentag in Düsseldorf. Obwohl die Organisatoren mit erhöhter Aufmerksamkeit gerechnet hatten, waren sie dann von der Größe der Beteiligung an den Diskussionen überrascht.21 In guter Tradition hatten die Organisatoren des Kirchentages Diskussionsforen mit prominenter Besetzung organisiert. Die Personen, die auf den öffentlichen Podien diskutierten, waren diejenigen, die in den politischen Gremien die neuen Gesetze vorbereiteten bzw. die Regierung berieten. Die auf dem Kirchentag geführten Diskussionen sind daher ein hervorragendes Zeugnis der diskutierten Fragen, die in der Öffentlichkeit geführt wurden.22 Eine Gentechnik-Experte aus den USA, warnt im BUNTE-Interview vor Affenmenschen, Pflanzen, die Plastik produzieren – und davor, daß Frauen überflüssig werden, in: BUNTE (1998), S. 30–34, H. 43. 20 Dies geschah freilich nicht immer auf Höhe der wissenschaftlichen Debatten. Siehe z.B. die apokalyptischen Szenarien in Gerhard Röckle, Es frommt nicht alles – wenn’s ums Leben geht. Bio- und Gentechnologie, Stuttgart 1988. 21 „Bemerkenswert und für viele erstaunlich war die hartnäckige Aufmerksamkeit, mit der viele Kirchentagsbesucher die Auseinandersetzungen um die Gentechnologie verfolgten. Die Halle […] war ständig mit ca. 8000 meist jüngeren Teilnehmern voll besetzt. Zeitweise musste die Halle wegen Überfüllung geschlossen und die Diskussion mit Lautsprechern auf das Freigelände übertragen werden.“ Konrad von Bonin, Vorwort, in: Günter Altner/Ernst Benda/Fülgraff Georges/Konrad von Bonin (Hrsg.), Menschenzüchtung. Ethische Diskussion über die Gentechnik, Stuttgart 1985, S. 7–8, hier S. 7. 22 Siehe z.B. Günter Altner, Der Mensch als Geschöpf. Theologische Überlegungen und ethische Bewertungen zur Entwicklung der Gentechnologie, in: Menschenzüchtung, 1985, S. 55–72. oder auch Ernst Benda, Der Mensch als Objekt? Rechtliche Grenzen der Gentechnologie, in: ebenda S. 41–54. Benda befand sich zum Zeitpunkt des Kirchentages in der Abschlussphase der „BendaKommission“ (siehe unten) und war daher bestmöglich informiert.

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generell skeptische Sicht der gentechnischen Forschung und auch der Fortpflanzungsmedizin ist für die Debatten des Kirchentags auszumachen. Die Unsicherheit, wie diese neuartigen Verfahren zu bewerten seien, gründete sich in dem Fehlen von Kriterien, die eine Bewertung ermöglichen konnten. Sowohl die Möglichkeiten in der Fortpflanzungsmedizin als auch in der Gentechnologie waren so neu, dass allgemein ethische Kriterien fehlten, um die aktuellen und noch zukünftig zu erwartenden Möglichkeiten bewerten zu können. Die Mehrheit der akademischen Vertreter der Ethik hatten sich bisher noch zu wenig mit den Herausforderungen der Zeit beschäftigt, um adäquat reagieren zu können. Die mangelnde akademische, aber auch kirchliche Diskussion führte dazu, dass die Überlegungen für eine gesetzliche Regelung in den Kinderschuhen stecken blieb. Ein gesetzlicher Rahmen fehlte zudem und somit war unklar, was gesetzlich zukünftig erlaubt werden sollte oder wie die einzelnen Möglichkeiten moralisch zu bewerten waren.23 Um eine gesetzliche Regelung herbeizuführen, wurden zwei Kommissionen ins Leben gerufen, die Vorschläge für ein zukünftiges Embryonenschutzgesetz entwickeln und die ethischen Problembereiche der Anwendungsmöglichkeiten der Gentechnik definieren sollten. Zum einen arbeitete die Regierung an einem Gesetzesentwurf, für den sie eine Arbeitsgruppe berief, zum anderen setzte zeitgleich der Bundestag eine Enquetekommission ein, die ebenfalls auf diesem Gebiet Einschätzungen der Thematik liefern sollte. Während die Arbeitsgruppe der Regierung sich mit der Fortpflanzungsmedizin und der Gentechnik befasste, wurden von der Enquetekommission „nur“ die „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ betrachtet.24 Um die Detailfragen und Kontroversen der Zeit aufzuzeigen, findet im Folgenden eine Rekonstruktion der beiden Kommissionen statt, die die Diskussionen der Zeit widerspiegeln, aber auch die rechtlichen Entwicklungen maßgeblich geprägt haben.25 23 Resultativ wurde 1991 dann das Embryonenschutzgesetz verabschiedet. „Mit dem Erlass des Embryonenschutzgesetzes […] reagierte der Gesetzgeber auf die rasanten Fortschritte, die sowohl die Fortpflanzungsmedizin als auch die Humangenetik in den späten 70er Jahren und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts verzeichnen konnten und die neben neuartigen Möglichkeiten und Chancen für Medizin und Wissenschaft zugleich mit Risiken und Gefahren verbunden waren: Die Reproduktionsmedizin, die innovative Methoden zur Behandlung der ungewollten Kinderlosigkeit bereitstellte, eröffnete erstmals den unmittelbaren Zugriff auf extrakorporal erzeugte Embryonen als Objekte medizinischer und wissenschaftlicher Tätigkeit.“ Hans-Ludwig Günther/Jochen Taupitz/ Peter Kaiser (Hrsg.), Embryonenschutzgesetz. Juristischer Kommentar mit medizinisch-naturwissenschaftlichen Einführungen, Stuttgart 2008, S. 80. 24 So auch der Titel der gleichnamigen Kommission. Abgedruckt in: Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ des 10. Deutschen Bundestages/Wolf-Michael Catenhusen/Hanna Neumeister, Chancen und Risiken der Gentechnologie. Dokumentation des Berichts an den Deutschen Bundestag, München 1987. 25 So auch die Einschätzung von Günther et al., Embryonenschutzgesetz, 2008, S. 81. „[…] basiert das heutige Embryonenschutzgesetz (mit seiner impliziten grundsätzlichen Erlaubnis der künstlichen Befruchtung) größtenteils auf den Bericht der sog. Benda-Kommission (Arbeitsgruppe InVitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie) […]. Nicht unerheblichen Einfluss hatte auch

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1.2.2 Bericht der gemeinsamen Arbeitsgruppe des Bundesministers für Forschung und Technologie und des Bundesministers der Justiz (sog. Benda-Kommission) Im September 1983 fand ein vom damaligen Bundesminister für Forschung und Technologie, Heinz Riesenhuber, einberufenes Fachgespräch über ethische und rechtliche Probleme in der Anwendung zellbiologischer und gentechnischer Methoden am Menschen statt. Dort wurden von 51 Vertretern u.a. der „Max PlanckGesellschaft, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der verschiedenen genetischen, medizinischen, philosophischen Verbände, der Bundesärztekammer, der beiden Kirchen, der Justiz sowie Mitgliedern der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit“26 und Mitglieder der im Bundestag vertretenden Parteien Einschätzungen zu den Bereichen 1.) In-vitro-Fertilisation und Embryotransfer, 2.) Genomanalyse und 3.) Gentherapie in somatischen und Keimbahnzellen vorgestellt und diskutiert. Festgelegtes Ziel war es, einen „Überblick über den augenblicklichen Stand der Anwendung dieser Methoden und ihre möglichen zukünftigen Entwicklungen zu erhalten“27 sowie die sich ergebenden ethischen und rechtlichen Probleme zu identifizieren und zu diskutieren.28 Nachdem dort detailliert die benannten Verfahren vorgestellt wurden, schloss das Fachgespräch mit dem Ergebnis ab, dass eine nun zu gründende Arbeitsgruppe Empfehlungen für die anstehenden Beurteilungen der Maßnahmen und deren rechtlicher Regelungen anfertigen sollte. Diese Arbeitsgruppe wiederum wurde knapp ein halbes Jahr später im Mai 1984 von dem Ministerium für Forschung und Technologie sowie dem Ministerium für die Justiz eingesetzt. Ihr gehörten nun 19 Mitglieder an, die im Wesentlichen die Arbeitsfelder der Beteiligten des oben genannten Fachgesprächs abdeckten. Geleitet wurde sie vom frisch pensionierten Ernst Benda, der bis Dezember 1983 noch Präsident des Bundesverfassungsgerichts gewesen war. Die Arbeitsgruppe legte schließlich im April 1985 einen ersten Entwurf für ihren Bericht vor, der in überarbeiteter Fassung am 25. November von Bundesminister Riesenhuber der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die Arbeitsgruppe hatte in ihren neun Sitzungen detailliert die Bereiche In-Vitro-Fertilisation (IVF), Genomanalyse und Gentherapie auf ihre je spezifischen Probleme hin untersucht.

der Abschlussbericht der Enquete-Kommission ‚Chancen und Risiken der Gentechnologie‘ des deutschen Bundestages vom Januar 1987 […].“ 26 Der Bundesminister für Forschung und Technologie, Ethische und rechtliche Probleme der Anwendung zellbiologischer und gentechnischer Methoden am Menschen. Dokumentation eines Fachgesprächs im Bundesministerium für Forschung und Technologie, München 1984, S. 1. 27 ebenda. 28 Unter den Teilnehmern waren u.A. von evangelischer Seite: Martin Honecker (Professor für Systematische Theologie, Bonn) und Ulrich Eibach (Systematischer Theologe, Bonn), von katholischer Seite Bernhard Fraling (Professor für Moraltheologie, Würzburg) und Heiner Lendermann (Katholisches Büro, Bonn). Siehe zur vollständigen Teilnehmerliste ebenda, S. 7ff.

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a) Für den Bereich der In-vitro-Fertilisation sah die Kommission im Bereich der homologen IVF keine Einwände,29 stellte jedoch heraus, dass es jedem Arzt freigestellt sein müsse, sich bei einer derartigen Lebensschaffung zu beteiligen.30 Die IVF sei bei nicht verheirateten Paaren nur bei begründeten Ausnahmefällen zulässig, ledigen Frauen wiederum zu versagen.31 Die Kryokonservierung wird nur zu dem Zwecke für förderlich gehalten, insofern so befruchteten Eizellen im Zwei- bis Achtzell-Stadium relativ unbeschadet eingefroren werden können, um sie anschließend zu einem für die Befruchtung günstigeren Zyklus einsetzen zu können. Problematisch wird allein die Möglichkeit gesehen, dass zwischen Konservierung und Verpflanzung ein zu großer Zeitraum vergehen und somit der Embryo in seinen „natürlichen“ Familienbeziehungen gestört sein könnte: Zwischen Zeugung und Geburt lägen potenziell Jahre („Generationensprung“). Überraschend unkritisch wird allerdings positiv hervorgehoben, dass kryokonservierte Embryonen vor einem Transfer pränatal untersucht werden könnten.32 Über die daraus resultierenden Probleme der Selektion von zu transferierenden Embryonen werden interessanterweise dann keine Aussagen mehr getroffen. b) Ebenfalls differenziert werden die Möglichkeiten der Genomenanalyse dargestellt. Dabei wird das Potenzial der Genomenanalyse gemessen an den heute realisierten Möglichkeiten generell deutlich überschätzt. Als problematisch wird der Umgang mit dem Wissenszuwachs beurteilt, der durch die sehr frühzeitige Diag33 nose von schwerwiegenden Krankheiten entstehen könnte. Ein Wissen um in der Zukunft womöglich zu erwartende Krankheitssymptome könnte schon zu gesunden Zeiten die betreffende Person resignieren lassen. Erstaunlich positiv wird 29 In einem Sondervotum wurde von Prof. Dr. med. Peter Peterson jedoch festgehalten, dass er sich entgegen den anderen Kommissionsmitgliedern nicht für eine homologe IVF einsetzen könne. Die Seele bliebe „auf der Strecke“, bei diesem mechanischem, aus der Tierzucht übernommenen Verfahren. ebenda, S. 56. 30 Bemerkenswert ist hier, dass scheinbar beiläufig der Arzt auch die Rolle des Beziehungsberaters einnehmen soll und neben biologischen Gesichtspunkten auch gleich die sozialen, familientherapeutischen Aspekte der Familienplanung des Paares berücksichtigen soll: „[Es scheint] geboten, vor Durchführung einer extrakorporalen Befruchtung die ärztliche Beratung des Ehepaares auch auf Faktoren zu erstrecken, die für die Entwicklung des zukünftigen Kindes bestimmend sein können. Insbesondere wird sich der Arzt die Frage zu stellen haben, ob die In-Vitro-Fertilisation tatsächlich zur Erfüllung eines gemeinsamen Kinderwunsches und nicht nur der Herstellung des Selbstwertgefühls des sterilen Partners dienen soll.“ ebenda, S. 7. Die Kommission teilte damit dem medizinischen Helfer bei den biologischen Vorgängen auch eine Gutachterposition zu, die die soziale Komponente der Familienplanung bewerten sollte. Damit lud die Kommission die Arzt-Position moralisch auf, da dieser nun auch über die Kindesentstehung entscheiden solle. 31 Diese Ausnahmen werden leider nicht ausgeführt. Es zeigt sich die normative Präsenz der Moralvorstellungen der Zeit: Kinder haben ihren legitimen Ort nur in der Ehe. 32 „Schließlich könnte die Konservierung dazu dienen, vor einem Embryonentransfer pränatale Diagnosen zu stellen.“ ebenda, S. 31. 33 „Für den betroffenen Menschen kann das Wissen, an einer unheilbaren, wenn auch erst nach Jahrzehnten auftretenden tödlichen Krankheit zu leiden, zu einer Belastung werden, die ihn von Anfang an resignieren läßt. Andererseits ist auch nicht auszuschließen, dass ihn sein Wissen bis zum Auftreten seiner Erkrankung zu einem besonders intensiven Leben motiviert; auch kann ihn das Wissen davor bewahren, seine Erbanlagen an eine nächste Generation weiterzugeben.“ ebenda, S. 38.

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jedoch der zu erwartende Rückgang von Schwangerschaftsabbrüchen beurteilt. Wer frühzeitig weiß, dass ein erhöhtes Risiko zu einem monogenen Erbleiden vorliege, könne entsprechend reagieren: Entweder würde dem Elternpaar durch genetische Beratung die Sicherheit gegeben, dass die Schädigung nicht zu erwarten sei oder aber im Vorhinein die Möglichkeit gegeben die Schwangerschaft zu vermeiden. Dabei werden die Vorteile günstiger dargestellt als die Nachteile des Wissens um eine Schädigung. Es führe zu einer Entlastung des Paares, einen Schwangerschaftsabbruch nicht vornehmen zu lassen, sofern eine günstige Prognose durch die Genanalyse vorläge. Eine negative Bestimmung dieses Vorganges jedoch bleibt aus. Kritischer als zu Lebensbeginn wird die Genomanalyse jedoch bei erwachsenen Menschen beurteilt, da auch hier die Möglichkeiten des Verfahrens deutlich überschätzt wurden. Durch eine Genomanalyse den kompletten Menschen bloßgestellt zu sehen, seine Charaktereigenschaften, Krankheitsanfälligkeit und Erbanlagen offen zu legen, wurde für die nahe Zukunft erwartet. Gefahren wurden für die Menschen darin gesehen, dass Krankenkassen verschiedene Beiträge erheben könnten und Arbeitgeber von ihren Angestellten gengestützte Gesundheitszeugnisse einfordern würden und diese zur Grundlage ihrer Einstellungskri34 terien machen könnten. Daher wird festgehalten, dass eine Genanalyse nur mit Zustimmung des zu Untersuchenden durchzuführen sei und dabei auch kein moralischer Druck bestehen dürfe. c) Eine Gen-Therapie hingegen wird, sofern sie in somatischen Zellen vorgenommen werden würde, als unbedenklich eingestuft. Sie sei vergleichbar mit den Problemen einer Organtransplantation. Der Gentransfer in Keimbahnzellen hingegen wird für problematisch gehalten, da noch keine Erkenntnisse vorlägen, die eine Unbedenklichkeit versichern könnten. Die Kommission hielt jedoch fest, dass, selbst wenn der Stand der Technik unbedenklich wäre und funktionierte, ethische Bedenken gegen das Verfahren angemeldet werden müssten: Wie könne sichergestellt werden, dass das Verfahren nur bei schwerwiegenden Gesundheitsschäden angewandt würde und nicht auch bei geringen „Veränderungen“ genutzt würde? Die Grenze zwischen Therapie und eugenischen Maßnahmen sei 35 schwer zu definieren.

1.2.3 Enquetekommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ Am 25. April 1984 stellte die Fraktion der SPD beim Deutschen Bundestag den Antrag, eine Enquetekommission „Gesellschaftliche Folgen der Gentechnologie“ zur Vorbereitung künftiger Entscheidungen des Deutschen Bundestages im Zusammenhang mit der Entwicklung der Gentechnologie und ihrer Nutzung einzuset34 Implizit wird dabei die normative Annahme gemacht, dass eine ungleiche Beitragszahlung schlecht sei, während eine gleiche Beitragszahlung gerecht sei; ob dies jedoch zutrifft, wird unberücksichtigt gelassen. Die unterschiedliche Kassenbeitragszahlung ist in den 80er Jahren zudem nicht ernsthaft diskutiert worden. 35 Vgl. ebenda, S. 46.

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zen.36 Diese Kommission sollte die Aufgabe haben, Chancen und Risiken der Gentechnologie und neuer biotechnologischer Methoden unter ökologischen, ökonomischen, rechtlichen, gesellschaftlichen und Sicherheits-Gesichtspunkten darzustellen sowie Empfehlungen für entsprechende Entscheidungen zu erarbeiten.37 Wenige Tage danach, am 2. Mai 1984, beantragte die Fraktion „Die Grünen“ beim Deutschen Bundestag ebenfalls eine Enquetekommission mit dem Titel „Gen-Technik“ zu den ökologischen, ethischen und sozialen Problemen als Folge der Gen-Technik einzurichten.38 Im Unterschied zum Antrag der Fraktion der SPD sollte diese Kommission die Aufgabe haben, einen Katalog von Maßnahmen zu erarbeiten, die zur Unterbindung gentechnischer Experimente, Untersuchungs- und Produktionsverfahren auf allen Ebenen führen sollten. Daneben sollte eine Positivliste von Experimenten erstellt werden, die ausnahmsweise und widerruflich erlaubt werden könnten. In der Sitzung des Deutschen Bundestages am 25. Mai 1984 wurde über die beiden Anträge zur Einsetzung einer Enquetekommission der beiden antragstellenden Parteien beraten. In der formellen Aussprache wurden die Begründungen über den jeweils gestellten Antrag und die unterschiedlichen Zielsetzungen in den Anträgen ausgetauscht. Dabei sind aus der parlamentarischen Diskussion einige Beiträge herauszugreifen, da sie den Umgang mit der Thematik erläutern. Der SPD-Abgeordnete Wolf-Michael Catenhusen (Bonn) legte in der Begründung seines Antrags den Schwerpunkt auf die gesellschaftlichen Folgen, die die Gentechnologie mit sich bringen würde.39 Neben der Würdigung der Chancen, mittels der Gentechnologie Umweltprobleme im Land lösen zu können, die Krankheitsbekämpfung zu verbessern und die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern, sieht er Probleme im Umgang mit dieser Technologie hinsichtlich der Einsatzbereiche beim Menschen. Als problematisch beschreibt er die Möglichkeit von gentechnischen Testverfahren an Arbeitnehmern40, den Verlust an Würde, der beim Wegfall des menschlichen Zeugungsaktes zur „bloßen Frage von Technik und 36 Vgl. im Folgenden und hierzu den Bericht der Enquetekommission. Abgedruckt in: EnqueteKommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ des 10. Deutschen Bundestages et al., Chancen und Risiken, 1987, S. 1. 37 Deutscher Bundestag, Antrag: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Gentechnologie“. 10/1353, in: Bundestagsdrucksache 10/1353 (1984), S. 1–2, hier S. 1. 38 Deutscher Bundestag, Antrag. Einsetzung einer Enquete-Kommission „Gen-Technik“. 10/1388, in: Bundestagsdrucksache 10/1388 (1984), S. 1–2, hier S. 1. 39 Der protestantische SPD-Politiker Wolf-Michael Catenhusen ist seit 1980 Mitglied des Bundestages. Im 10. Bundestag war er Vorsitzender der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gen-Technologie“, im 11. und 12. Bundestag sodann Vorsitzender des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung. Er tritt erkennbar als Mitglied der evangelischen Kirche auf und ist seit 1999 Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages. 40 Catenhusen:„Genetische Testverfahren an Arbeitnehmern, wie sie von großen Chemiekonzernen in den USA schon angewandt werden, können in der Hand der Arbeitgeber ein Instrument der Diskriminierung werden.“ Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll. Stenographischer Bericht der 72. Sitzung der 10 Wahlperiode, in: Bundestagsdrucksache, S. 5083–5167, 72/10, hier S. 5116.

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Geschäft verkommen“ würde und schließlich generell die Frage: „Wird sich der Mensch letztendlich zum Schöpfer der Natur und seiner selbst aufschwingen können?“41 Diese gesellschaftlichen Folgen müssten demnach auch gesamtgesellschaftlich diskutiert werden, und so wies er darauf hin, dass durch eine Enquetekommission, nach Vorbild der Diskussionskultur des amerikanischen Kongresses, ein gesamtgesellschaftlicher Diskussionsprozess angestoßen werden könnte. Dies sei nötig, um einen gesellschaftlichen Konsens darüber zu erreichen, wie der Umgang mit den neuen Gentechnologien zu regeln sei. Als Beteiligte in diesen Diskussionsprozess hob er als besonders wichtige Gruppierungen hervor: „die Kirchen, die Wissenschaftler und Gewerkschaften“.42 Auffällig ist beim Beitrag Catenhusens, dass die Folgen der gentechnologischen Verfahren hinsichtlich ihrer Kontrollierbarkeit kaum kritisiert werden, nur die Einsatzgebiete könnten moralische Probleme mit sich bringen. Um den Umgang mit der Technik ethisch abzusichern, war ihm wichtig, „die Kirchen“ zu beteiligen, da diese, so scheint es ihm, als moralische Instanz die ethische Reflexion leisten könnten. Aus seiner Sicht waren diese auch für den Umgang mit der Schöpfung zuständig. Der Begriff „Schöpfung“ ist hier durchaus religiös zu deuten. Durch den sich anschließenden Diskussionsbeitrag der Abgeordneten der CDU/CSU Fraktion Hanna Neumeister (Bonn) wurde der Nutzen der Gentechnologie argumentativ vor die Gefährdungspotenziale gestellt. Sie legte den Fokus auf eine detaillierte Vorrechnung, wie die Ernährungssituation der Menschheit durch modifizierte Pflanzen und dadurch durch vollwertigere Nahrung entlastet werden könnte. Eine mögliche Gefahr wurde von ihr kaum angesprochen. Neu brachte sie in die Debatte die Befürchtung ein, dass durch zu langsame Forschungstätigkeit in der BRD der Wirtschaftsstandort Deutschland benachteiligt würde: „Während in den USA, in Japan und anderen Ländern der volkswirtschaftliche Nutzen dieser Technologien erkannt und ihre Entwicklung gefördert wurde, hemmen bei uns künstlich erzeugte Ängste den Technologietransfer ähnlich wie bei der Kernenergie und der Mikroelektronik.“43

In Deutschland würden manche „Kritiker vor diesem Eingriff in die natürliche Evolution“44 warnen. Durch bestehende Sicherungsmechanismen sei eine Gefährdung jedoch relativ gering. Eine religiöse Semantik, wie z.B. der Begriff „Schöpfung“, fehlt in der Rede der Christdemokratin vollkommen. Zwar ist ihr gewählter Begriff „natürliche Evolution“ nicht als programmatischer Gegensatz zum Schöpfungsglauben zu sehen, doch ist es bemerkenswert, wenn die Rednerin der Christlich 41 ebenda. 42 Catenhusen: „Wir sind deshalb als Gesetzgeber in besonderer Weise gefordert, gemeinsam mit wichtigen gesellschaftlichen Gruppen – insbesondere den Kirchen, den Wissenschaftlern und den Gewerkschaften – diesen Diskussionsprozeß zu organisieren.“ ebenda, S. 5117. 43 ebenda, S. 5118. 44 ebenda.

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Demokratischen Union die einzige ist, die weder religiöse Semantik verwendet, noch ethische Probleme aufzeigt. Sie verwies auf Hans Jonas, der im Bezug zu den neuen Techniken der Auffassung sei, dass diesen nur mit einer „neuen Ethik“ zu begegnen wäre.45 Die Vertreter der beiden anderen Parteien nutzten hingegen sehr wohl eine christlich gefärbte Sprache und die Schöpfungssemantik in ihren Reden. Sowohl die Abgeordnete der Grünen, Erika Hickel (Bonn), verwies in ihrem Beitrag auf den „Respekt vor der Schöpfung“46 wie auch der Abgeordnete der FDP, Karl-Hans Laermann (Bonn). Er bezog sich sogar explizit auf bestehende religiöse Vorbehalte: „Neben die Sicherheitsfragen […] treten mit der Gentechnologie eindeutig ethischmoralische Probleme. Es geht um Fragen, die die menschliche Existenz berühren. Es geht um zutiefst religiöse Einstellungen. […] Es stellt sich die Frage, ob solche Eingriffe [in den Schöpfungsakt künstlich einzugreifen] unter ethischen Aspekten aus Achtung vor der göttlichen Schöpfung, aus Achtung vor der Würde des Menschen überhaupt zulässig sind. Ich verneine diese Frage für mich, bei aller Hochachtung vor dem Vermögen menschlichen Geistes, in die Geheimnisse des Lebens immer tiefer einzudringen.“47

Laermann verwies auf die von der Regierung eingesetzte Arbeitsgruppe zur Erforschung der Gentechnologie und schloss nicht ohne Pathos: „Aber, meine Damen und Herren, die Einsetzung einer Arbeitsgruppe bei der Regierung [sog. „Benda-Kommission“ (Anm. OG)] kann und darf das Parlament nicht davon abhalten, sich seinerseits frühzeitig mit sachkundiger Unterstützung und unabhängig von der Exekutive politisch mit den Chancen und den Risiken der Gentechnologie umfassend auseinanderzusetzen, bevor eine beunruhigte Öffentlichkeit uns, das Parlament, auf unsere Verpflichtung hinweisen muß.“48

Die Mitglieder des Ausschusses für Forschung und Technologie Karl-Hans Laermann (Bonn, FDP), Hanna Neumeister (Bonn, CDU), Wolf-Michael Catenhusen (Bonn, SPD), Roland Kohn (Bonn, FDP), Erika Hickel (Bonn, Grüne) legten am 7. Juni dem Bundestag eine Beschlussempfehlung vor49, der dann in der Sitzung des Bundestages am 29. Juni 1984 bei wenigen Enthaltungen Folge geleistet wurde.50

45 ebenda. 46 Erika Hickel: „Wer immer mit dem Begriff ,Respekt vor der Schöpfung‘ etwas verbindet, muß hier alarmiert sein.“ ebenda, S. 5120. 47 ebenda, S. 5121. 48 ebenda, S. 5122. 49 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Forschung und Technologie (18. Ausschuss), in: Bundestagsdrucksache (1984), S. 1–4, 10/1581, hier S. 3–4. 50 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll. Stenographischer Bericht der 78. Sitzung der 10 Wahlperiode, in: Bundestagsdrucksache, S. 5769–5776, 78/10, hier S. 5776.

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Erneut wurde dabei von Wolf-Michael Catenhusen die Mitarbeit von „den Kirchen“ eingefordert.51 Die tatsächlichen Mitglieder der Enquetekommission waren gemäß der Geschäftsordnung des Bundestages zum einen Vertreter der Parteien, zum anderen eigens berufene Sachverständige. Für die CDU/CSU-Fraktion beteiligten sich Hermann Fellner (Amberg), Hanna Neumeister (Bonn), Heinrich Seesing (Kleve) und Hans-Peter Voigt (Northeim). Für die SPD-Fraktion nahmen teil Wolf-Michael Catenhusen (Bonn), Michael Müller (Düsseldorf), Hans de With (bis 26. März 1985, Bamberg) und Ludwig Stiegler (ab 26. März 1985, Weiden). Der Präsident des Deutschen Bundestages berief auf Vorschlag der Fraktionen als sachverständige Kommissionsmitglieder: Wolfgang van den Daele von der Universität Bielefeld (Vertreter der Wissenschaftsforschung), Erwin Deutsch von der Universität Göttingen (Vertreter des Rechts), Gisela Nass-Hennig von der Universität Freiburg (Vertreter der Molekularen Genetik), Erwin Odenbach (Köln) als Vertreter der Bundesärztekammer, Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger der BASF AG Ludwigshafen (als Industrievertreter), Johannes Reiter von der Universität Mainz (Vertreter der Moraltheologie), Jürgen Walter von der IG Chemie-Papier-Keramik Hannover (Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes) und Ernst-Ludwig Winnacker der Universität München (Vertreter der Biochemie).52 Auffällig ist dabei, dass, obwohl der Antragsteller Wolf-Michael Catenhusen mehrfach die Beteiligung „der Kirchen“ in seinen Bundestagsreden zu dieser Kommission gefordert hatte, nur ein Vertreter der katholischen Kirche, Johannes Reiter, anwesend war. Johannes Reiter wurde gemäß des Vorschlagrechtes §56 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages von der CDU für die Kommissionsarbeit in der Enquetekommission benannt.53 Es ist leider ungeklärt, ob dieser als Vertreter der akademischen Moraltheologie, als Vertreter der katholischen Kirche oder gar als Vertreter „der Kirchen“ in der Kommission saß. Festzuhalten ist, dass die evangelische Kirche keinen eigenen Vertreter in die Kommission zu bringen vermocht hatte.54

51 Catenhusen: „Wir Sozialdemokraten möchten die Öffentlichkeit, die Kirchen, die Gewerkschaften, die Wissenschaftler und Wissenschaftsorganisationen ausdrücklich ermuntern, in die Arbeit der Enquetekommission mit Stellungnahmen und kritischen Fragen einzugreifen und so den Prozeß politischer Willensbildung aktiv zu beeinflussen.“ ebenda, S. 5770. 52 Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ des 10. Deutschen Bundestages et al., Chancen und Risiken, 1987, S. 2. 53 Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ des 10. Deutschen Bundestages, Vorschlagsliste der CDU, PA-DBT EK 10/GEN,3. 54 Denkbar ist dabei, dass Catenhusen sich selbst als „protestantischen Vertreter“ jenseits kirchlicher Bindung gesehen hatte.

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1.3 Veränderungen in der Wahrnehmung der Umwelt Mit der Veröffentlichung der durch den Club of Rome in Auftrag gegebenen Studie „Die Grenzen des Wachstums“ im Jahre 1972, setzt man allgemein den Beginn eines umfangreichen gesellschaftlichen Nachdenkens über den Umgang mit den natürlichen Ressourcen der Erde.55 Die Studie nahm ihren Ausgangspunkt in der Berechnung des zukünftigen Weltwirtschaftswachstums in Korrelation zum Verbrauch der natürlichen Ressourcen. Sie legte mehrere Entwicklungs- und Verbrauchsszenarien zugrunde und sollte so aufzeigen, welche Probleme in der Zukunft für die wirtschaftliche Entwicklung zu erwarten wären. Wie allgemein bekannt, prognostizierte die Studie ein Zukunftsszenario, welches nach Ablauf eines Zeitraums von ca. 100 Jahren die Erschöpfung der weltweiten Rohstoffvorkommen beinhaltete. Um dieses Szenario zu verhindern, müssten 1.) sowohl weniger Rohstoffe verbraucht, als auch 2.) aktiv eine Verbesserung der Umweltbedingungen erreicht werden, um die regenerativen Kräfte der Natur zu unterstützen. Die Diskussion um die Ergebnisse der Studie wurde international geführt und feuerte in einigen Ländern die bis dato nur schwach ausgeprägte Umweltbewegung deutlich an. Für den westdeutschen Kontext bedeutete dies, dass sich ein starkes Bewusstsein für den Natur- und Umweltschutz herausbildete. Zahlreiche Bürgerinitiativen setzten sich zunächst nur regional, dann aber auch landes- und bundesweit für Umweltbelange ein. Für den westdeutschen Kontext sollen zwei Aspekte der Umweltdiskussion genauer angesprochen werden, die in Wechselwirkung zueinander die Umweltdiskussion in den 1980er Jahren maßgeblich beeinflusst haben: Zunächst als prominente Diskussion der 1980er Jahre die Debatte um das „Waldsterben“, welche als medial fast omnipräsentes Thema in Westdeutschland als der negative Indikator einer gesunden Umwelt schlechthin wahrgenommen und daher und in fast allen Stellungnahmen von Politik und Kirchen in dieser Zeit aufgenommen wurde. Das Waldsterben wurde oftmals als Ausgangspunkt des jeweils als nötig empfundenen umweltpolitischen Handelns benannt. Des Weiteren muss die Veränderung der politischen Verhältnisse betrachtet werden, die im Kontext der Umweltpolitik erfolgte. Aus einer sensibilisierten 55 In den Kirchen beginnt ebenfalls erst nach der Veröffentlichung des Berichtes durch den Club of Rome eine Beschäftigung mit den Fragen der Ökologie. Siehe zur Datierung des kirchlichen Beginns ökologischer Diskussion Gerfried W. Hunold (Hrsg.), Ökologische Theologie und Ethik, Graz 1999, S. 13. Hierin findet sich auch weiterführende Literatur. Ein wichtiger Anlass kirchlicher Beschäftigung mit der Ökologiedebatte war das Bemühen den Vorwurf abzuwenden, die ökologische Krise sei eine Folge des Christentums. In Europa wurde diese These von Carl Amery publik gemacht. Sie ging u.A. davon aus, dass der an den Menschen ergangene Herrschaftsauftrag und die zu große Fokussierung auf den Menschen im biblischen Weltbild die Zerstörung der Natur begünstigt hätten. Siehe Carl Amery, Das Ende der Vorsehung. Die gnadenlosen Folgen der Christentums, Reinbek bei Hamburg 1972. Die Studie des Club of Rome wurde wie folgt veröffentlicht und ist seitdem in einer Vielzahl von Auflagen erschienen: Donella H. Meadows/Dennis L. Meadows (Hrsg.), The limits to growth. A report for the Club of Rome's project on the predicament of mankind, New York 1972.

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Wahrnehmung der Umweltthematiken heraus hatte sich die Partei „die Grünen“ gegründet, die als politische Kraft diese Umweltthemen sodann in die bundespolitischen Diskussionen einspielen konnte. Dies hatte wiederum Einfluss auf die Kirchen, da das eingespielte Zusammenwirken von Parteien und Kirchen hinsichtlich der Umwelthemen durcheinandergebracht wurde. 1.3.1 „Waldsterben“ als sichtbares Zeichen eines Umweltproblems Für die 1980er Jahre ist im deutschen Kontext eine gesellschaftliche Stimmung festzustellen, die sich für Themen der Ökologie und des Umweltschutzes besonders sensibel zeigt.56 Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts, bis hin zur Mitte der 70er Jahre, der Umweltschutzbegriff noch kaum bekannt war oder gar eine gesamtgesellschaftliche Relevanz hatte und man den wirtschaftlichen Aufschwung auf Kosten der Natur als reguläres Ziel gesetzt hatte, gilt für die nachfolgende Zeit, vornehmlich die 1980er Jahre, eine andere Einschätzung. Der Beginn der Umweltschutzdebatte in Deutschland ist auf ein Zusammenwirken von verschiedenen Faktoren zurückzuführen.57 Hier interessiert, welche Folgen diese Wahrnehmungsverschiebung der Umwelt für die Bewertung im Umgang mit ihr hatte.58 Besonders gut kann man den Wandel, der dabei in der Wahrnehmung der Natur und damit auch in der Beurteilung von die Natur betreffenden Handlungsweisen vor sich ging, am Beispiel des sogenannten „Waldsterbens“ zeigen. Martin Bemmann beschreibt in seiner Dissertation den Diskussionsverlauf um die Deutungsweisen der Beurteilung der Waldgesundheit in Deutschland. Er weist nach, dass sich die Bedeutung der Waldgesundheit von einer finanziellen Sichtweise hin zu einer ökologischen trans-

56 Joachim Radkau weist nach, dass der Beginn eines globalen Umweltbewusstseins in den 50er Jahren zu verorten ist. Siehe hierzu Joachim Radkau, Natur und Macht. Eine Weltgeschichte der Umwelt, München 2000, S. 306f. Eine in den 80er Jahren sich verstärkende Sensibilisierung der Umwelt gegenüber geschieht auch in anderen Ländern, wie sich auch eine generelle Hinwendung der akademischen Ethik gegenüber der Natur verzeichnen lässt. Vgl. dazu insbesondere Laurence H. Tribe, Was spricht gegen Plastikbäume?, in: Dieter Birnbacher (Hrsg.), Ökologie und Ethik, Stuttgart 1980, S. 20–71. 57 Wie es zum Aufkommen der Umweltschutzdiskussion in Deutschland kam, zeigt Martin Bemmann in seiner Dissertation auf. Martin Bemmann, Beschädigte Vegetation und sterbender Wald. Zur Entstehung eines Umweltproblems in Deutschland 1893–1970, Göttingen 2012. 58 Auch die allgemein anerkannten Zeichen des industriellen Fortschritts und damit der Wohlstandssicherung der Nachkriegszeit unterlaufen in den 70er und 80er Jahren einer Umdeutung und eine Veränderung in der öffentlichen Wahrnehmung. Während noch bis in die 60er Jahre rauchende Industrieschornsteine als Zeichen des wohlstandssichernden industriellen Fortschritts positiv besetzt waren, galten diese Insignien der Industrie ab dem Ende der 70er Jahre als Kennzeichen fortdauernder Umweltverschmutzung. Durch die Brille eines gesteigerten Umweltbewusstseins gesehen waren rauchende Industrieschornsteine plötzlich nicht mehr populär. Siehe dazu Hans Maier, Fortschrittsoptimismus oder Kulturpessimismus? Die Bundesrepublik Deutschland in den 70er und 80er Jahren, in: VfZ 56 (2008), S. 1–17, hier S. 3–4.

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formiert. Gegen Ende der 1990er Jahre galt dann die Gesundheit der deutschen Wälder als „der“ Indikator einer gesunden Umwelt. 59 Durch regelmäßige Berichte der Forstbetriebe werden seit Bestehen des organisierten Forstwesens in Deutschland die Waldbestände auf ihre Größe, Dichte und Gesundheit hin beurteilt und sind somit seit langem Gegenstand eines regelmäßigen Berichtswesens. Seit Beginn der Industrialisierung in Deutschland und insbesondere während der Reindustrialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg, die durch technischen Fortschritt ganz andere Anforderungen an die Entsorgung von Industrieabfällen stellte als zuvor, ist den regelmäßigen Berichten der Forstbetriebe zu entnehmen, dass die „Gesundheit der Wälder“ eine negative Entwicklung nahm: An der Dichte der Baumkronen und der Entwicklung des Wachstums der Wälder las man ab, dass sich die Wälder weniger gut entwickelten, als dies in den Jahren zuvor der Fall gewesen zu sein schien. In der forstwirtschaftlichen Fachpresse wurde die fehlende Waldgesundheit bis in die späten 1970er Jahre vornehmlich als finanzieller Wertverlust der Waldbesitzer und somit als deren wirtschaftlicher Schaden gedeutet. Eine Wahrnehmung im ökologischen Kontext oder gar eine „Umweltdebatte“ blieb dabei aus. Aus der Perspektive der Waldbesitzer und der den Wald bestellenden Forstbetriebe war die sinkende Zahl der Produktionsmittel vornehmlich ein finanzieller Schaden, der durch die Industrialisierung entstanden war. Rufe wurden laut, dass die an die Wälder angrenzenden Industriebetriebe Ausgleichszahlungen an die benachbarten Waldbesitzer für die entstandenen Waldschäden entrichten sollten.60 Als jedoch in den 1970er Jahren die Diskussion um die Waldgesundheit eine öffentliche Dimension erreichte, wurden die Schäden in den Wäldern nicht mehr nur als Problem fehlenden fortwirtschaftlichen Kapitals bewertet, sondern als gesamtgesellschaftliches Umweltproblem. Zu Beginn der 1980er Jahre entwickelte sich schließlich eine regelrechte Hysterie um die Waldgesundheit, an der man mittlerweile exemplarisch ablesen zu können meinte, wie es um die Umweltsysteme in Deutschland generell bestellt sei. Viele Menschen befürchteten zudem, dass die deutschen Böden durch die fortschreitende Industrialisierung vergiftet seien und diese Giftstoffe letztlich auch über die Nahrung aufgenommen werden würden. Ein Gang durch den Wald und der Blick auf kranke Bäume hatte dabei gesamtgesellschaftlich eine große Überzeugungskraft – war doch so auch ein eigenes Urteil ohne abstrakte Fachkenntnisse intuitiv für den einzelnen Spaziergänger möglich – während andere politische De59 Letztlich speist sich der Gedanke, am gesunden Wald eine gesunden Umwelt ablesen zu können, auch aus den Wurzeln der Hochzeit des Nationalismus. Der „gesunde deutsche Wald“ ist in Deutschland seit dem 16. Jahrhundert Zeichen einer „gesunden Nation“ gewesen. Siehe die Zusammenhänge von Nationalismus und mythisch verklärter Waldromantik in Deutschland in: Radkau, Natur und Macht, 2000, S. 249 und 260–273. 60 Vgl. Bemmann, Beschädigte Vegetation, 2012, S. 13f. Die Forderung von Waldbesitzern, durch den Bund finanziell für die augenscheinlich durch die Abgasemissionen verursachten Schäden im Wald entschädigt zu werden, wurde erst 1998 durch ein Urteil des Bundesverfassungsgericht beendet und negativ entschieden. Vgl. ebenda, S. 446.

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batten abstrakt und die Gegenstände ihrer Verhandlungen unsichtbar waren, wie sich an der Bewertung der Atomkraft zeigte. Die politische Debatte, die in den 1970er Jahren um das Waldsterben in Deutschland entstand, unterschied sich von der zeitgleich ablaufenden Diskussion um die Nutzung der Atomkraft zwecks Stromproduktion wesentlich dadurch, dass in der Frage um den – auch gesetzlich – zu implementierenden Umweltschutz über die Parteigrenzen hinweg große Einigkeit bestand, während die Fragen um die atomare Nutzung die Parteien weniger einte.61 Die Debatte um das Waldsterben in Deutschland wies ihren Höhepunkt in den 1980er Jahren auf, als schließlich, auch als Folge des massenmedialen Drucks, das Waldsterben in der Bundespolitik behandelt wurde.62 Damit entstanden dann auch politische Gremien, die den Umweltschutz zum Ziel hatten.63 Exemplarisch lässt sich hier nennen, dass die Umweltministerien der Länder schließlich eine bundesweite Kommission beriefen, die ab 1982 regelmäßige „Waldschadensberichte“ veröffentlichte – und gleichsam so die öffentliche Diskussion mit Nahrung versorgte.64 Es bedurfte jedoch erst der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986, die dazu führte, dass schließlich auch auf Bundesebene ein Umweltministerium eingeführt wurde. Dieses vereinte die verstreuten Kompetenzen verschiedener Ministerien und hatte die oberste Aufsicht über die Reaktorsicherheit in Deutschland. Allgemein war man in der bundesrepublikanischen Gesellschaft der Auffassung, dass die Umweltschäden deutlich wahrnehmbar seien und eine rasche Änderung der die Umweltgesundheit beeinflussenden Verhaltensweisen die Folge sein müsse.65 61 Nur die tatsächliche Ausgestaltung des Umweltschutzes wiederum warf dann – naturgemäß politischer Debatten – Diskussionen auf. Vgl. ebenda, S. 14. 62 Publikumswirksam inszenierte die Partei der „Grünen“, wie wichtig ihnen das Thema war und gleichsam wie wenig die etablierten Parteien sich dem Waldsterben zuvor angenommen hatten: Als am 29. März 1983 Helmut Kohl seinen Amtseid als neuer Bundeskanzler ablegte, gratulierten die Vertreter aller im Bundestag vertretenden Parteien, mit Ausnahme der Grünen. Diese waren aus Protest der Zeremonie sämtlich bis auf eine Ausnahme ferngeblieben: Die Grüne Marieluise BeckObersdorf überreichte Helmut Kohl – ohne zu gratulieren – einen Tannenzweig um ihrer Sorge um die Waldgesundheit und das Waldsterben Ausdruck zu verleihen. Siehe hierzu Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 10/2. Stenographischer Bericht 2. Sitzung Bonn, Dienstag, den 29. März 1983, in: Bundestagsdrucksache (1983), S. 25–27, hier S. 26. Joachim Radkau ist der Auffassung, dass die deutsche Ökobewegung der 80er Jahre das Waldsterben bewusst in Verbindung mit der alten deutschen Waldromantik in Verbindung brachte, um ihre Anhängerschaft zu vergrößern. Siehe hierzu Radkau, Natur und Macht, 2000, S. 311. 63 Vgl. Bemmann, Beschädigte Vegetation, 2012, S. 19f. 64 Vgl. Roderich von Detten, Umweltpolitik und Unsicherheit. Zum Zusammenspiel von Wissenschaft und Umweltpolitik in der Debatte um das Waldsterben der 1980er Jahre, in: Archiv für Sozialgeschichte 50 (2010), S. 217–270, hier S. 237. 65 In den zeitgleich entstehenden „Umweltethiken“ ist das Waldsterben ebenfalls prominent angeführt. Vgl. z.B.: „Zahlreiche Menschen tun zwar immer noch so, als gäbe es keine Luftverschmutzung, kein Waldsterben, keine Gefahr für Gesundheit und Leben, aber es wird für sie Tag für Tag schwerer, ihre Illusion aufrechtzuerhalten. Das Sterben der Umwelt hat sie sichtbar selbst erfaßt.“ Philipp Schmitz, Ist die Schöpfung noch zu retten? Umweltkrise und christliche Verantwortung, Würzburg 1985, S. 15.

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Aus heutiger Sicht sind die damaligen Einschätzungen des Phänomens „Waldsterben“ weit weniger alarmierend anzusehen und damals wohl auch in Teilen übertrieben dargestellt worden.66 Gleichwohl hat die Diskussion um das deutsche Waldsterben die Umweltschutzentwicklungen in Deutschland maßgeblich beeinflusst und befördert. Der Debatte um das „Waldsterben“ ist zudem eine wichtige soziologische Komponente zuzumessen: Ihre Funktion für die bundesrepublikanische Gesellschaft ist eben in der parteiübergreifenden und die sozialen Schichten durchbrechenden – und damit einenden – Kraft zu sehen.67 Letztlich war es dadurch auch möglich, politisch neue Konstellationen zu schaffen. 1.3.2 Umweltthemen in der Politik: die Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ Die etablierten Parteien in der Bundesrepublik griffen die Umweltbelange zunächst nur wenig auf und es blieb einigen wenigen Politikern überlassen, die Umweltthematik auf die Tagesordnung zu setzen.68 Diese bestehende politische Lücke führte in Westdeutschland dazu, dass sich das sich bis dahin im Wesentlichen auf drei Parteien stützende politische System der Etablierung einer vierten, zunehmend an Einfluss gewinnenden Partei gegenübersah: der Partei „Die Grünen“.69 In der grünen Partei fanden sich damit nicht nur ausschließlich Umweltaktivisten, sondern es sammelten sich aus den diversen Bürgerinitiativen auch diejenigen, die in den anderen Parteien nicht genügend Gehör fanden.70 Zwar führte dies dazu, die Grünen 66 Detten betrachtet die Debatte um das Waldsterben als „kulturelles Konstrukt“. „Dass der Wald in Deutschland, dem noch zu Beginn der 1980er Jahre ein baldiger Tod vorausgesagt wurde, nicht gestorben und das Phänomen des Waldsterbens als kulturelles Konstrukt zu betrachten ist, ist die eine Sache.“ Und weiter: „Dass der Wald nicht gestorben ist, zeigt ein Blick aus dem Fenster.“ Detten, Umweltpolitik und Unsicherheit, 2010, S. 217. 67 Vgl. zur Debatte um das Waldsterben in Deutschland und seiner integrativen Funktion für die Gesellschaft den gesamten Artikel von ebenda, besonders S. 218. Siehe zur Klärung der Funktion der Waldsterbendiskussion für die Gesellschaft auch den Artikel von Jens Ivo Engels, „Inkorporierung“ und „Normalisierung“ einer Protestbewegung am Beispiel der westdeutschen Umweltproteste in den 1980er Jahren, in: Institut für Soziale Bewegungen (2008), S. 81–100, H. 40. Die Debatte um das Waldsterben sieht Jens Ivo Engels als Beispiel für einen „konsensualen Protest“, dessen Kennzeichen es sei, dass die Polarisierung zwischen links und rechts fehle. Gerade dieses sei aber ein Kennzeichen der gesellschaftlichen Debatten der 60er und 70er Jahre gewesen. 68 Vgl. hierzu Lothar Probst, Bündnis 90/Die Grünen (Grüne), in: Frank Decker/Viola Neu (Hrsg.), Handbuch der deutschen Parteien, Wiesbaden 2013, S. 166–179, hier S. 166. Herbert Gruhl z.B. griff diese Themen auf und wurde so zu einem der wenigen Politiker, die sich mit Umwelthemen politisch einbrachten. Er spaltete sich 1987 schließlich von der CDU ab und wurde zur Triebfeder der Parteigründung der Grünen, deren Bundesvorstandsprecher er schließlich 1979 wurde. Vgl. ebenda, S. 167. 69 Decker weist als Gründungsgrund zudem auf die Gegensätze von Materialismus – Postmaterialimus hin, der die „bestehenden kulturellen und ökonomischen Konfliktlinien“ anhand der Umweltthemas aufbrechen ließ. Frank Decker, Parteidemokratie im Wandel, in: Frank Decker/Viola Neu (Hrsg.), Handbuch der deutschen Parteien, Wiesbaden 2013, S. 21–60, hier S. 27. 70 Der Politikwissenschaftler Lothar Probst beschreibt die Wählerschaft der Grünen folgendermaßen:„Die Grünen konnten in ihrer Gründungsphase vor allem jene Wähler für sich gewinnen, die

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als „Protestpartei“ zu etikettieren, das Umweltanliegen blieb jedoch ihr Hauptthema. Das fehlende Engagement der anderen Parteien, sich dem Umweltthema zu widmen, begünstigte dabei die Wachstumsprozesse der Partei.71 Politische Wirkkraft entfaltete die grüne Bewegung in Westdeutschland schließlich mit ihrer Parteigründung 1980 und ihrer Teilnahme an den Bundestagswahlen im selben Jahr.72 1983 zogen sie dann in den Bundestag ein und brachten die Umweltthemen auf das bundesdeutsche Politiktableau und machten es damit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich.73 Programmatisch für die von der Partei in den 1980er Jahren vertretenen Inhalte ist das 1980 auf dem Gründungsparteitag verabschiedete Bundesprogramm. So sah sich die Partei in ihrem Selbstverständnis als „grundlegende Alternative zu allen anderen Parteien“, zum anderen formuliert es vier grundlegende Eigenschaften der Partei: ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei.74

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sich mit ihren Forderungen nach Umweltschutz, Gleichberechtigung und politischer Partizipation von den bestehenden Parteien nicht mehr repräsentiert fühlten. Ihre stärkste elektorale Unterstützung in den achtziger Jahren haben die Grünen unter jüngeren und gebildeten Wählern, in Universitätsstädten und in großstädtischen Milieus erfahren. Im ländlichen Raum und in kleineren Städten schnitten sie nur dort überdurchschnittlich gut ab, wo sich im Rahmen von lokalen oder regionalen Konflikten (wie z.B. dem Bau von Atomanlagen) ein Unterstützernetzwerk aus Bürgerinitiativen gebildet hatte. Sozialstrukturell war die überwiegende Anzahl der grünen Wähler in dieser Zeit in den sogenannten ‚neuen Mittelschichten’ verankert, während die Partei unter Arbeitern, Selbständigen und Wählern über 60 Jahre nur geringe Stimmenanteile verbuchen konnte. Ihrem Selbstverständnis nach bezeichneten sich die meisten Anhänger der Grünen als ‚links‘, obwohl die Partei in der Gründungsphase zunächst auch wertkonservative und bürgerliche Wähler angesprochen hatte.“ Probst, Bündnis 90, 2013, in: Handbuch, 2013, S. 172. Vgl. Decker, Parteidemokratie im Wandel, 2013, in: Handbuch, 2013, S. 27f. Hier auch: „Als Katalysator für die Umweltbewegung erwies sich die Wirtschaftspolitik des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, die ganz dem traditionellen Wachstumsdenken verpflichtet blieb. Ob eine ökologisch aufgeschlossenere SPD das Aufkommen der Grünen hatte verhindern können, ist jedoch fraglich. Dagegen spricht nicht nur der habituelle und ideologische Graben, der beide Seiten damals trennte, sondern auch der Umstand, dass grüne Parteien zeitgleich in vielen anderen westeuropäischen Ländern entstanden.“ Für die politische Entwicklung in Ostdeutschland bleibt festzuhalten, dass durch die repressive SED-Diktatur in der DDR die Möglichkeit einer Entwicklung von Bürgerinitiativen, die auf die Regierung einwirkten – oder gar der Entwicklung neuer Parteien – natürlich nicht bestanden hatte. Kritik im Umgang mit der Umwelt wurde in der DDR gleichwohl von Personen des öffentlichen Lebens aufgegriffen, dann aber unter dem Deckmantel der weltweiten Umweltpolitik formuliert. Siehe exemplarisch hierzu – als Kirchenvertreter – Heino Falcke, Christliche Verantwortung für Umwelt und Überleben in einer sozialistischen Gesellschaft. Eine Gastvorlesung in Basel 1977, in: Heino Falcke (Hrsg.), Mit Gott Schritt halten. Reden und Aufsätze eines Theologen in der DDR aus zwanzig Jahren, Berlin 1986, S. 144–156. Vgl. Probst, Bündnis 90, 2013, in: Handbuch, 2013, S. 167. und Vgl. auch Oskar Niedermayer, Die Entwicklung des bundesdeutschen Parteiensystems, in: Frank Decker/Viola Neu (Hrsg.), Handbuch der deutschen Parteien, Wiesbaden 2013, S. 111–132, hier S. 119f. Kurz darauf kam es 1985 schließlich zur ersten landesweiten Koalition mit Regierungsbeteiligung mit der SPD in Hessen. Siehe hierzu Decker, Parteidemokratie im Wandel, 2013, in: Decker/Neu (Hrsg.), Decker et al., Handbuch der deutschen, 2013, S. 28. Siehe zum Parteiprogramm Probst, Bündnis 90, 2013, in: Decker/Neu (Hrsg.), Decker et al., Handbuch der deutschen, 2013, S. 174. Diese vier grundlegenden Eigenschaften sind inhaltlich bemerkenswert nah an den Inhalten des konziliaren Prozesses (Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung

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Eine derartige Selbstzuschreibung als ökologische Partei war in der Parteienlandschaft singulär. 75 In den bundespolitisch geführten Debatten um Umweltthemen, Themen des Lebensschutzes oder der Fragen um den Schwangerschaftsabbruch waren es oftmals Politiker der Grünen, die die traditionellen politischen Sichtweisen durchbrachen und Handlungsalternativen aufzeigten. Wenn auch die Initiativen der grünen Bundespolitiker selten von den etablierten Parteien aufgegriffen wurden, so zeigten die Grünen durch zahlreiche Anfragen an die Bundesregierung doch manche Schwachstelle etablierter Parteipolitik auf.76 Dadurch, dass die grüne Partei nun die ökologischen Themen besetzte, was in diesem Ausmaß von den anderen Parteien zuvor nicht geschehen war, wurden die Parteienlandschaft neu geordnet, dies jedoch erst, nachdem man gewahr wurde, dass die grüne Partei längerfristig im Parteiensystem bleiben würde.77 Zunächst der Schöpfung), der auf kirchlicher Ebene gleichzeitig ähnliche Themen verhandelte. Siehe Gliederungspunkt 3.1 dieser Arbeit. Ähnliches, nur nicht auf die kirchliche Bewegung übertragen, beobachtet auch Probst, wenn er die Zeit der Parteigründung in den Kontext der „Hochphase der westdeutschen Friedensbewegung“ stellt. Siehe hierzu ebenda, S. 167. 75 Die heutige Partei Bündnis 90/Die Grünen fußt zum einen auf der westdeutschen Ökologiebewegung, die sich seit den siebziger Jahren in der Bundesrepublik etabliert hatte und zum anderen auf den ostdeutschen, in den letzten Tagen der DDR gegründeten Bürgerinitiativen: Nach dem Mauerfall hatten sich in Ostdeutschland zunächst Bürgerbewegungen gebildet, die auch, da sie im Kontext der „Ökumenischen Versammlung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung in der DDR“ agierten, politisch zugelassen wurden. Zur Wahl der (letzten) Volkskammer der DDR am 18. März 1990 schlossen sich einige Bürgerbewegungen zu einem Wahlbündnis zusammen: das „Neue Forum“ (NF), „Demokratie Jetzt“ (DJ) und die „Initiative Frieden und Menschenrechte“ (IFM) schlossen sich zum „Bündnis 90“ zusammen um politische Wirkkraft zu erzielen. In der Wählerschaft des „Bündnis 90“ dominierten jüngere, überdurchschnittlich gebildete und politisch interessierte DDR-Bürger, Mitarbeiter der Kirche sowie Künstler. Schließlich schloss sich zur ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl im August 1990 erstmalig dieses Bündnis 90 mit den westdeutschen „Grünen“ zu einem Wahlbündnis zusammen, bevor dann 1993 dauerhaft fusioniert wurde und die Partei Bündnis 90/Die Grünen entstand. Die inhaltlichen Anliegen der ostdeutschen Bürgerbewegungen traten dabei immer mehr in den Hintergrund der parteipolitischen Zielsetzungen. Vgl. Lothar Probst, Bündnis 90 (Bü. 90), in: Handbuch, 2013, S. 163–166, hier S. 164. und Probst, Bündnis 90/Die Grünen, 2013, in: ebenda, S. 166. 76 Bemerkenswerterweise fanden sich sowohl Vertreter politisch liberaler als auch sehr konservativer Richtungen ihren Weg in die grüne Partei. Petra Kelly, die maßgeblich für die Gründung der Partei mitverantwortlich war, erinnert sich daran, wie sie durch die Bearbeitung ihrer zunächst traditionellen katholische Erziehung konservativer Prägung zu den Themen der Partei kam. Die christlichen Vorbilder, die auch für Umweltthemen im Ausland standen, fehlten ihrer Meinung nach in Deutschland, so dass letztlich die Partei diese Rolle einnahm. Vgl. Petra K. Kelly, Religiöse Erfahrung und politisches Engagement, in: Gunter Hesse/Hans-Hermann Wiebe (Hrsg.), Die Grünen und die Religion, Frankfurt am Main 1988, S. 23–42. 77 David Seeber hat das Verhältnis der Grünen zur katholischen Kirche (und umgekehrt) untersucht. „[…] man hat die Grünen als politische Kraft überhaupt lange nicht ernstgenommen. Man nahm wohl zur Kenntnis, daß sich da aus der Umweltbewegung heraus eine neue Parteiformation entwickelte. Aber man sah das eher als eine vorübergehende Erscheinung an: Bewegungen kommen und gehen wieder, vor allem Protestbewegungen, wenn der Gegenstand des Protests entfällt – aber danach sieht die ökologische Seite unseres Daseins nicht aus – oder wenn die anderen Parteien de-

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wanderten dabei hauptsächlich Wähler von der SPD zu den „Grünen“. Die CDU sah sich trotzdem einer Konkurrenz gegenüber. Diese nominell ja christliche Partei musste nun noch mehr als zuvor darlegen, warum ihre politischen Maßnahmen einen christlichen Hintergrund hatten. Intuitiv war vielen Bundesbürgern die grüne Partei mit ihren ökologischen Zielsetzungen näher an christlichen Idealen, als diese dies wohl selbst behauptet hätte. Über die Verknüpfung christlicher Ideale und deren Implementierung in der Parteipolitik der „Grünen“ wurde in den Medien immer wieder kontrovers berichtet. Aus heutiger Sicht steht fest, dass der größere Teil der Grünen sich weniger als religiöse Partei verstanden hat, jedoch einige Gruppierungen in ihr ihre Motivation für parteipolitisches Engagement tatsächlich auch aus einer christlich-religiösen Zielsetzung gezogen haben, indem sie die umweltpolitischen Ziele der Partei als deckungsgleich mit christlichen Anliegen empfunden haben. Diese Strömungen haben es geschafft, ihre Anliegen prominent in die Medien zu bringen. Die 1984 gegründete „Bundesarbeitsgemeinschaft Christen bei den Grünen“ (BAG Christen) sieht sich als Sprecher der christlichen Strömung in den Grünen an.78 Innerhalb der beiden großen Kirchen war man zwiegespalten, was man von den Grünen und ihren Zielen (wohl auch wegen ihres äußerlichen Auftretens) halten sollte. Während man sich auf evangelischer Seite auf die protestantische Freiheit berief, sich nicht an eine Partei binden zu müssen und eher einzelnen Parteizielen als einer ganzen Partei nahestand, hatte die katholische Kirche größere Probleme die Grünen zu akzeptieren. Dies ist erstaunlich, da aufgrund der im Grunde konservativen Ausrichtung beider Gruppierungen Zielüberschneidungen bestanden. Die konsequenten Forderungen der Grünen, den § 218 abzuschaffen – und daraufhin auf katholischer Seite die Äußerung Kardinal Höffners, dass die Grünen „unwählbar“ seien – trugen jedoch weniger zu einer Annäherung bei und so nahm man sich gegenseitig eher als Feinde, denn als Streitpartner wahr.79 ren Grundanliegen durch eigene Politik zu besetzen verstehen – was sich inzwischen eher abzeichnet.“ David A. Seeber, Katholische Kirche – Grüne. Gründe und Hintergründe eines Konflikts, in: Gunter Hesse/Hans-Hermann Wiebe (Hrsg.), Die Grünen und die Religion, Frankfurt am Main 1988, S. 224–243, hier S. 230. 78 „Unübersehbar ist, daß ein Teil der Partei tatsächlich um das ‚C‘ mit der Union konkurriert und offen vertritt, daß christliche Wertvorstellungen bei den Grünen politisch weit glaubwürdiger umgesetzt werden als bei der CDU/CSU […]“ Wigbert Tocha, Ist Gott ein Grüner? Bei der Öko-Partei gewinnen religiöse Strömungen an Boden, in: Publik-Forum: Zeitung kritischer Christen 17 (1988), S. 15–16, H. 7, hier S. 15. 79 Dies sieht auch Seeber und schreibt zum Verhältnis der katholischen Kirche und den Grünen: „In allem, was Bewahrungsstrategie ist, sind konservative Katholiken und Grüne tendenziell einander sehr viel näher, als man wegen des Streits in anderen Punkten wahrhaben will. Das überrascht auch keineswegs, wenn man voraussetzt, daß es sich bei den Grünen in wesentlichen Zweigen und hinsichtlich zentraler Auffassungen um eine zutiefst konservative Bewegung handelt – allerdings um eine nachchristlichen und postmodernen Zuschnitts –, die von hoher Subjektivität und einem libertären Flair gekennzeichnet ist – Eigenschaften, die gerade von einem katholischen (christlichen) Standpunkt aus Schwierigkeiten machen.“ Seeber, Katholische Kirche – Grüne, 1988, in: Die Grünen, 1988, S. 224. „…dann gibt es doch zwischen Positionen (der Katholiken [OG]) und

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1.3.3 „Bewahrung der Schöpfung“ als Staatsziel: Protestantische Kritik an der Verwendung religiöser Semantik als Kennzeichen innertheologischer Probleme Unter den im Bundestag vertretenen Parteien etablierte sich in den 80er Jahren die Diskussion, ob nicht dem Umweltschutz eine höhergelegene Priorität zugestanden werden müsse. Nachdem der bayerische Landtag 1984 als erster den Umweltschutz in eine Landesverfassung aufgenommen hatte, war in einigen Bundesländern die Forderung aufgekommen, Umweltschutz im Grundgesetz zu verankern und damit als „Staatsziel“ festzulegen. Unter den eingebrachten Vorschlägen für die entsprechenden Gesetzesänderungen hatte sich in der Politik dabei der Terminus „Bewahrung der Schöpfung“ etabliert, dabei waren die theologischen Implikationen des Schöpfungsbegriffes nicht unbedingt gemeint, vielmehr war der Terminus „Bewahrung der Schöpfung“ gleichbedeutend mit dem Begriff „Umweltschutz“ geworden.80 Dieser inadäquaten Verwendung des Schöpfungsbegriffes durch die Politiker ging bereits die aus dogmatischer Sicht fragwürdige Verwendung des Schöpfungsbegriffes durch die Kirchen selbst voraus. Die sprachliche Vermischung von ökologischen Interessen und religiösen Begriffen wurde von Kritik begleitet. Wie und mit welchen Argumenten dabei von protestantischer Seite vorgegangen wurde, kann an der prominenten Figur Trutz Rendtorffs veranschaulicht werden. Er kritisierte dabei nicht nur die unbedachte terminologische Verwendung, sondern auch, dass von kirchlicher Seite diese eher vorangetrieben wurde, als Kritik daran zu üben. Er trat für eine Entkoppelung des theologischen Schöpfungsbegriffs von der vorherrschenden Umweltschutzdebatte ein und begleitete den Prozess der Aufnahme des Begriffs „Bewahrung der Schöpfung“ als Staatsziel kritisch (1.3.3.1). Aus der Rückschau stellt Friedrich Wilhelm Graf die dogmatische Verschiebung, die durch die Verwendung des Schöpfungsbegriffes als moralischer Imperativ geschieht, zusammen und überprüft sie auf ihre Gefahren (1.3.3.2). Losgelöst von ihrem Zeitkontext wird aus heutiger Sicht deutlich, dass die zu recht geäußerte Kritik Kennzeichen einer theologischen und auch kirchlichen Sprachlosigkeit war, da adäquate Verstehensmodelle der komplexer gewordenen Gesellschaft nicht zur Verfügung standen. Somit fehlten auch die Begriffe, die ein theologisch-legitimes Sprechen

denen der Grünen eine Menge gemeinsamer Anliegen und gerade bei den Urthemen der Grünen – Erhaltung der Schöpfung, Schutz der Umwelt, Ehrfurcht vor dem Leben – vor allem in letzter Zeit eine Menge Annäherungen.“ ebenda. 80 Als prominentes Beispiel kann dabei die CDU-Regierungserklärung gelten, die von Helmut Kohl 1987 im Bundestag abgegeben wurde. Gleich nach der Begrüßung beginnt er: „Unsere Mitbürger wollen, daß wir Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit sichern. Sie wollen, daß wir die uns anvertraute Schöpfung bewahren und gemeinsam die Zukunft gewinnen.“ Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll. Stenographischer Bericht der 4. Sitzung der 11. Wahlperiode, in: Bundestagsdrucksache (1987), S. 51, 4/11. Bewahrung der Schöpfung war gleichgesetzt mit dem Begriff des Umweltschutzes. Gleichzeitig stellt er sich, durch die Aufnahme der Themen „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ rhetorisch in die Nähe des kirchlich verorteten konziliaren Prozesses.

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möglich machten. Die theologische Ethik vermochte die Integration von Umweltschutz und christlicher Verantwortung nicht recht zu kommunizieren. 1.3.3.1 Zeitgenössische Kritik Trutz Rendtorffs Die Folgen zivilisatorischen Fortschritts, so Rendtorff, hätten dazu geführt, dass an den Grenzen dieses als selbstverständlich wahrgenommenen Nutzens sich die Sorge eingenistet habe, dass die langfristigen Folgen des Fortschritts den Nutzen wiederum dementieren – und somit geradezu Zerstörung anrichten könnten.81 „Für die Gesamtheit der Phänomene, die dabei heute die Aufmerksamkeit unseres öffentlichen Bewußtseins beanspruchen, hat sich als Kurzform in der Kritik die Parole Zerstörung der Schöpfung eingestellt. Ihr antwortet die Zielbestimmung ‚Bewahrung der Schöpfung‘, der nunmehr auch die Aufnahme in die Verfassungsnorm, das Grundgesetz, zugedacht ist.“82 „‚Schöpfung‘ assoziiert heute sofort ‚Bewahrung‘, die einem ethischen Imperativ folgt, der sich aus ‚Bedrohung‘ herleitet.“83 Rendtorff sieht bei Beibehaltung dieser Vorgehensweise die christliche Religion bald herabgestuft zur „stationären Naturbewahrungsreligion“, da der Schöpfungsbegriff weit mehr umfasse als die nichtmenschliche Natur.84 Rendtorff kritisiert, dass nicht nur die Politik zur Abstumpfung des Schöpfungsbegriffes beigetragen habe, sondern auch die Kirchenleitung die Verwendung des Schöpfungsbegriffes in den wissenschaftlichen Diskursen vielmehr vorantrieben hat, anstatt zu einem bewussteren Umgang zu gelangen: „Signifikant ist nun, daß die Repräsentanten der Kirchen in Bonn, als Kompetenzträger für religiöse Topoi, die Einführung des Begriffs ‚Bewahrung der Schöpfung‘ befürworten. Sie tun das mit dem Argument, es sei doch gut, wenn ein unzweifelhaft biblischer Ausdruck in das Selbstverständnis des Staates Aufnahme fände. Und es sei vor allem auch zu begrüßen, daß damit implizit ein Bekenntnis dazu stattfände, daß der Mensch nicht der letzte Maßstab sei, wie das doch bei der Verwendung des Ausdruckes ‚natürliche Umwelt des Menschen‘ immer noch vorausgesetzt sei.“85

Rendtorff sieht dabei einen Zusammenhang mit dem Konziliaren Prozess, der die Terminologie ebenfalls im Sinne eines allgemeinen Umweltschutzappells verwende: „Und so ist es eine keineswegs zufällige Parallele, daß in dem gegenwärtigen sogenannten konziliaren Prozeß in den Kirchen die Trias lautet ‚Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.‘“86 Der Begriff ‚Bewahrung der Schöpfung‘ werde 81 Vgl. Trutz Rendtorff, Vertrauenskrise? Bemerkungen zum Gebrauch des Topos „Bewahrung der Schöpfung“, in: ZEE 32 (1988), S. 245–249, hier S. 245. 82 ebenda. 83 Trutz Rendtorff, Der achte Tag der Schöpfung, in: ZEE 31 (1987), S. 245–249, hier S. 245. 84 ebenda, S. 247. 85 Rendtorff, Vertrauenskrise?, 1988, S. 246. 86 ebenda, S. 245.

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dabei als „Globalformel“ für die Wahrnehmung der Krisenphänomene genutzt, ohne die theologischen Inhalte hinreichend zu berücksichtigen.87 Die Tatsache, dass plötzlich religiöse Termini größere Verwendung finden, könne nicht als alleiniger Wert in sich gesehen werden, führe der so eingeübte Umgang damit doch zu einer Verwischung der Ursprungsbedeutung und stelle Aussagen nebeneinander, die kaum mehr etwas miteinander zu tun hätten.88 Die wissenschaftliche Theologie, als deren Vertreter er sich sieht, müsse dieser Verwendung jedoch mit Widerspruch begegnen und als Wächter fungieren. Er stellt dabei heraus, dass „die ‚Bewahrung der Schöpfung‘ […] in der Theologie als Lehre von der ‚Conservatio mundi‘ eine Aussage über Gott und nicht eine Aussage über die Fähigkeiten des Menschen ist, die Schöpfung entweder zu erhalten und zu bewahren oder eben zu zerstören. Diesem Sachverhalt ist angesichts des sich verwirrenden Sprachgebrauchs Aufmerksamkeit zuzuwenden.“89

Er kommt zu dem Schluss, dass in der gegenwärtigen Verwendung des Schöpfungsbegriffs Gott entmachtet werde: „Denn das muß ja klar sein: ‚Zerstörung der Schöpfung‘ als Deutungskategorie für die Risiken der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation besagt in der Konsequenz, daß jedenfalls Gott im Blick auf die Schöpfung zur Machtlosigkeit verurteilt wird. Die Vermutung, daß die Gottlosigkeit von Menschen die Ursache für die Krisenphänomene sei, führt unter der Hand zur Proklamation der Gottlosigkeit der Welt, der

87 Vgl. ebenda, S. 246. 88 Um die Auswüchse der sprachliche Vermischung von „Umweltschutz“ und „Bewahrung der Schöpfung“ zu illustrieren und aufzuzeigen, welche schriftlichen Erzeugnisse daraus aufkamen, mag dieses Untergangszenario unter Aufnahme religiöser Elemente dienen: „Die furchtbare Macht der Natur, die von jeher die Frommen dazu getrieben hat, die transzendente Macht Gottes anzuflehen, kann jetzt mittels menschlicher Technik weitgehend gebändigt und genutzt werden. Aber selbst in ihrer Schwäche zerstört die Natur durch bloßes Gewähren allmählich die menschliche Macht, die sich ihrer bemächtigt hat. Konkret: Die Ausbeutung nicht-regenerierbarer Naturressourcen – Öl, Kohle, Metalle, Minerale durch den Menschen vollzieht sich in einem Tempo, das in einem Zeitraum von etwa 30 bis 200 Jahren zur völligen Erschöpfung der bekannten Reserven führen wird. Die Produktion neuer chemischer Präparate, die nicht auf natürliche Weise abgebaut werden können – wie Pestizide, Kunststoffe etc. –, belastet die Erde mit Stoffen, die sie auf eine bis jetzt noch unkalkulierbare Weise vergiften können. Die Umweltverschmutzung als Folgeerscheinung einer leistungsstarken Industrie- und Landwirtschaftsproduktion bewirkt ebenfalls irreversible Veränderungen auf der Erde, im Wasser und möglicherweise in der Luft. Neue Medikamente oder Stimulanzien erzeugen eine endlose Kette von unvorhergesehenen Nebenwirkungen. Die Nutzbarmachung der Atomenergie läuft Gefahr, künftige Generationen für Tausende von Jahren einem steigenden Strahlungsniveau auszusetzen.“ Charles C. West, Gott–Mensch–Schöpfung. Einige kritische Anmerkungen zu einer Ethik der Beziehungen (Relationsethik), in: ZEE 25 (1981), S. 180– 196, hier S. 180f. Vgl. hierzu auch den inhaltlich sehr nahen Aufsatz Charles C. West, Verantwortung für die Schöpfung. Vortrag im Rahmen der Jahrestagung der Academie Internationale des Sciences Religieuses im April 1982, in: ZEE 29 (1985), S. 147–159. 89 Rendtorff, Vertrauenskrise?, 1988, S. 247.

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Herausforderung für die Positionierung der Kirchen Ohnmacht Gottes und damit zur Verkündigung des Atheismus der Welt.‘‘90 „Die kritische Funktion der wissenschaftlichen Theologie muß es sein zu prüfen, ob die kirchliche Rede von der Schöpfung, wie sie in den vielen Erklärungen, Beschlüssen und Appellen erscheint, gehaltvoll ist […], ob sie also in dem Maße in einer eigenständigen theologisch durchdachten Lehrmeinung fundiert ist, die sich bei näherem Zusehen auch argumentativ halten läßt.‘‘91

Er gibt darauf eine Einschätzung: „Davon sind wir noch weit entfernt. Der allgemeine Beifall, unter dem heute der kirchliche Sprachgebrauch mutiert und der kritische Rückfragen als störend empfinden läßt, sollte darüber nicht hinwegtäuschen.‘‘92 Er ist davon überzeugt, dass die Kirchen in der Beteiligung in der Umweltdiskussion es sich zu einfach gemacht haben: „Die Schöpfungsterminologie ist zu schnell zu handlich geworden.‘‘93 Rendtorff ist der Auffassung, dass die Theologie nur sehr umsichtig in die naturwissenschaftliche Debatte einsteigen sollte, da sie sonst Gefahr laufe, aufgrund mangelnder Fachkenntnis unpräzise zu formulieren. Besonders bei wissensabhängigen Deutungen auf naturwissenschaftliche Phänomene müsse man sich aus theologischer Warte heraus, aufgrund der mangelnden Kompetenz, zurückhalten.94 Er schlägt vor, dass es, anstatt von „Bewahrung der Schöpfung‘‘ zu reden, „redlicher und zutreffender wäre […], wenn man sich entschließen könnte von den Gefahren für die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit zu sprechen.‘‘95 1.3.3.2 Zur späteren dogmatischen Kritik F. W. Grafs Friedrich Wilhelm Graf machte die Probleme der Verwendung des Schöpfungsbegriffes hinsichtlich ökologischer Appelle aus dogmatischen Überlegungen heraus zum Gegenstand eines Aufsatzes, in dem er die Verwendung des Schöpfungsbegriffes in der Neuzeit dogmatisch untersuchte. Dass der dogmatische Locus „De creatione‘‘ als Container diene um eigene theologische Inhalte zu transportieren, sei in den 80er Jahren kein erstmalig auftretendes Ereignis. Er stellte fest: „Die Geschichte neuzeitlicher Theologie lässt erkennen: kaum ein anderer Gehalt theologischer

90 ebenda. 91 Trutz Rendtorff, Wessen Krise? Zur Diskussion über „Bewahrung der Schöpfung‘‘, in: ZEE 33 (1989), S. 235----237, hier S. 236. 92 ebenda. 93 ebenda. 94 „Unsere Abhängigkeit von wissenschaftlichen Experten oder ‚Technokraten‘ gilt ja gerade auch für unser Wissen um die Summe der Gefährdungen, die zu öffentlich relevanten Reaktionen fuhren. Das Ozonloch z. B. hat niemand gesehen außer auf dem Bildschirm. Wenn es also darum geht, für die Sorte von Gefährdungen Lösungen zu finden, von denen wir primär wissensabhängig, also durch Expertenkulturen informiert sind, dann handelt es sich jedenfalls um ein Wissen, für das ich keine vorrangige religiöse Kompetenz erkennen kann.‘‘ ebenda. 95 ebenda, S. 236f.

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Dogmatik ist so ideologieanfällig wie der der Schöpfung.“96 Besonders unter modernen Bedingungen träten nun aber Defizite des Schöpfungsverständnisses der altprotestantischen Orthodoxie zu Tage, denn die sprachlichen Möglichkeiten der Theologie seien in der Neuzeit durch das verstärkt naturwissenschaftlich geprägte Weltbild eingeschränkt worden. „So wird am Thema Schöpfung nur exemplarisch deutlich, was für die theologische Weltdeutung unter modernen Bedingungen gilt: Zwar beansprucht dogmatische Theologie weiterhin eine universale Auslegungskompetenz für den Gesamtzusammenhang des Wirklichen. Sie kann diese intendierte Universalität aber nur noch postulatorisch zur Geltung bringen, weil ihr keine Sprache mit allgemeinem Gültigkeitsstatus mehr zur Verfügung steht.“97

Der Begriff der Schöpfung verliere dabei seine dogmatischen Implikationen: „Je weniger sich die neue szientifisch-technische Naturaneignung als erfahrungstheologischer Deutung unfähig erweist, desto mehr beschwört man ein alternatives Naturverhältnis, dessen kulturelle Plausibilität sich jedoch bestenfalls auf die Idylle des 98 eigenen Gartens erstreckt.“

Die Anfang des 19Jh. entwickelte Lehre von den „Schöpfungsordnungen“ leistete dem Wandel im Verständnis des Schöpfungsbegriff bereits Vorschub, indem sie letztlich nur dazu dienten, die sich auflösenden Gesellschaftsstrukturen zu bewahren: „Ihr Interesse gilt dabei der Sicherung von Ordnungsstrukturen, die der Verfügungsgewalt des Menschen prinzipiell entzogen sein und seinen Herrschaftsansprüchen Grenzen setzen sollen.“99 Gerade der Rekurs auf die Schöpfung in den 80er Jahren diente ja dazu, ein Gebiet abzustecken, welche eben dem Zugriff des Menschen entzogen werden sollte. Graf beschreibt den Vorgang folgendermaßen: „Erneut bildet die Beschwörung einer elementaren Grundlagenkrise der modernen Kultur nur die Negativfolie für die Forderung nach einem epochalen Bewußtseinswandel. […] Dieses autonomiekritische Grundinteresse steht auch hinter der Wiederbelebung eines alternativen Naturverhältnisses, in dem die cartesianisch neuzeitliche Subjekt-Objekt-Spaltung überwunden sei und der Mensch sein elementares Eingebundensein in den Organismus des Ganzen der Wirklichkeit annehmen soll.“100

96 Friedrich Wilhelm Graf, Von der creatio ex nihilo zur „Bewahrung der Schöpfung“. Dogmatische Erwägungen zur Frage nach einer möglichen ethischen Relevanz der Schöpfungslehre, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 87 (1990), S. 206–223, hier S. 206. 97 ebenda, S. 213. 98 ebenda, S. 215. 99 ebenda, S. 216. 100 ebenda, S. 219.

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Die Instrumentalisierung des Schöpfungsbegriffes dekonstruiere den bemühten Begriff jedoch selbst: „Problematisch sind solche Formeln [‚Bewahrung der Schöpfung‘ (Anm. OG)] nicht nur deshalb, weil Schöpfungsfrömmigkeit nun zum Ort von Auslegung und Verstärkung apokalyptischer Ängste wird und Schöpfungstheologie gerade nicht mehr das elementare, selbst von der Destruktivität menschlicher Sünde nicht prinzipiell zerstörbare Gutsein der Welt, sondern deren bald nahenden Untergang thematisiert. Theologisch sehr viel gravierender ist die hier konsequent vollzogene Vertauschung der Subjektivität Gottes mit der des Menschen. Via negationis wird unterstellt, daß der neuzeitliche Mensch die Macht gewonnen habe, die Schöpfung sowohl zu zerstören als auch zu bewahren.“101 Graf fasst das einhergehende theologische Problem zusammen und knüpft an Rendtorff an, wenn er feststellt: „Denn nicht mehr Gott erscheint hier als Subjekt der creatio continua, sondern der fromme Mensch.“102

Die Kirche stehe vor der Gefahr, durch die verstärkte öffentliche Verwendung des Schöpfungsbegriffes einen Pyrrhussieg zu erlangen, der letztlich den Versuch offenbare, kirchlich verlorene Macht wiederzuerlangen. „Die Kirche wird zu jenem starken gesellschaftlichen Handlungssubjekt stilisiert, das durch die theologische Deutung der Welt als Schöpfung allein imstande sei, den gebotenen tiefgreifenden Bewußtseinswandel zu initiieren und so den drohenden Untergang von Welt und Mensch, die Zerstörung der Schöpfung, zu verhindern. Jede Ekklesiologie, die der Kirche einen prinzipiellen ethischen Avantgardeanspruch gegenüber dem Staat bzw. anderen gesellschaftlichen Handlungssubjekten zuerkennt, ist jedoch selbst einem spezifisch neuzeitlichen Herrschaftsverständnis verpflichtet.“103

Der theologischen Ethik, wie sie vonseiten der Kirchen durch die Aufnahme des Begriffs „Bewahrung der Schöpfung“ als moralischen Imperativ vertreten wurde, wirft er vor, den Schöpfungsbegriff dogmatisch zu entwerten: „Protestantische Theologen sollten so aufrichtig sein, zuzugestehen, daß eine dogmatisch verantwortliche Auslegung der traditionellen Gehalte der Schöpfungslehre vor enorme Probleme stellt, die sich durch das Pathos von Bekenntnis und religiöser Überzeugtheit nicht kompensieren lassen.“104

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ebenda, S. 220. ebenda, S. 221. ebenda. ebenda, S. 223.

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1.4 Resultierende Herausforderungen für die evangelische Kirche Zur Notwendigkeit einer kirchlichen Ortsbestimmung Die Sensibilisierung großer Teile der bundesrepublikanischen Bevölkerung für den Schutz der natürlichen Umwelt, die für viele Menschen kaum zu überschauenden neuen Möglichkeiten in der Fortpflanzungsmedizin und der Gentechnik, sowie die öffentlichen Streitigkeiten im Umgang mit dem ungeborenen Leben, stellten in den 80er Jahren die evangelische (wie auch die katholische) Kirche vor die Aufgabe, sich zu den jeweiligen Themenbereichen zu positionieren. Die semantische Verbindung des Umweltschutzbegriffes mit dem Terminus „Bewahrung der Schöpfung“ stellte eine Nähe zum kirchlichen Verantwortungsbereich her, dem sich die Kirchen kaum entziehen konnten. Gleichzeitig konnte sie die Verwendung des Schöpfungsbegriffs in ökologischen Kontexten aus theologischen Gründen nicht guten Gewissens verantworten. Es mangelte an einer modernen theologischen Ethik, die die neuen komplexen Herausforderungen handhabbar machte. Was war aber nun die Position „der Kirche“ zum Umweltschutz? Inwiefern durfte der nur durch fortschreitende Industrialisierung erreichte Wohlstand in der Bundesrepublik weiter vorangetriebenen werden, wenn er doch zeitgleich die Grundlage des Lebens, nämlich die Umwelt, zerstört? Wie war es theologisch zu bewerten, dass Fortpflanzungsmediziner immer größere Teile der menschlichen Zeugung beeinflussen konnten und scheinbar kurz davor standen, auch Charaktereigenschaften und Aussehen von Menschen zu manipulieren? Waren dies nicht Bereiche, auf die der Mensch besser keinen Zugriff haben sollte? Auf alle diese Fragen wurden nicht nur von Kirchenmitgliedern Antworten erwartet. Auch von politischer Seite wurde gefordert, dass eine ethische Bewertung und damit auch eine Positionierung durch die Kirchenleitung erfolgte: Kirchenvertreter saßen in den politischen Gremien und Kommissionen, die über die gesetzlichen Rahmenbedingungen dieser Fragen nachzudenken und zu entscheiden hatten. In den Rhythmus des schnellen politischen Geschehens gedrängt, waren die Kirchenleitungen somit gezwungen, sich schneller als noch in den 60er Jahren, in die öffentlichen Debatten einzubringen.105 105 Siehe die zahlreichen Veröffentlichungen aus dem Raum der EKD: Von der Würde werdenden Lebens. Extrakorporale Befruchtung, Fremdschwangerschaft und genetische Beratung. Eine Handreichung der Evangelischen Kirche in Deutschland zur ethischen Urteilsbildung, Hannover 1985; Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Frieden wahren, fördern und erneuern. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland. Frieden, Menschenrechte, Weltverantwortung, Gütersloh, S. 15–110; Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Friedensdiskussion im Herbst 1983, in: Denkschriften, S. 119–127; Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum gegenwärtigen Stand der Auseinandersetzung über Fragen des Schwangerschaftsabbruchs. Vom 5. April 1973, in: Denkschriften. Ehe, Familie, Sexualität, Jugend, Gütersloh 1981, S. 233–237; Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wort des Rates, 1981, in: Denkschriften, 1981; Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zu den Rechtsfragen des Schwangerschaftsabbruchs. Vom 17. März 1972, in: Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.), Stellungnahmen zum Thema Schwanger-

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Mit Aufkommen der Partei der Grünen hatte sich im Bereich der Politik auch das Gefüge zwischen Parteien und Kirche verändert: Die Rolle, die die Kirchen zuvor als mahnende Stimme einnehmen und damit z.B. aus einiger Entfernung heraus Kritik an der Umweltschutzpolitik äußern konnten, wurde nun von der jungen politischen grünen Partei eingenommen. Diese mahnte nicht nur Veränderungen an, sondern brachte auch konkrete politische Forderungen in die Tagespolitik zur Veränderung der angemahnten Missstände ein. Die Kirchen mussten hier zunächst auch zu einer neuen Positionsbestimmung der Politik gegenüber kommen. Die offenen Fragen zum Umgang mit den neuen Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin berührten sich mit den Diskussionen zum Schwangerschaftsabbruch: In beiden Bereichen stellt sich die Frage, wie mit dem menschlichen Leben umgegangen werden soll. Die Frage nach dem Umweltschutz weitet diese Frage noch aus, da sie letztlich die Grundlage des menschlichen Lebens bildet. Nur in der Zusammenschau all dieser Problembereiche in einem großen Themenkomplex „Umgang mit dem Leben“ konnte die Lösung des Problems gefunden werden. Um nun aber verstehen zu können, wie die EKD, als institutionelle Sprecherin evangelischer Kirche in Deutschland, auf die Herausforderungen der 1980er Jahre reagierte, muss im nächsten Kapitel betrachtet werden, auf welche Vorerfahrungen die EKD in der ethischen Positionierung aus den 1960er Jahren zurückblicken konnte. So kann das kommunikative Verhalten verständlich werden, welches als Bewältigungsstrategie der Herausforderungen der 1980er Jahre entwickelt wurde und im dritten und vierten Kapitel dargelegt wird.

schaftsabbruch, Hannover 1986a, S. 3–7; Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Schwangerschaftsabbruch von 1980, in: Stellungnahmen zum Thema Schwangerschaftsabbruch, Hannover 1986b, S. 9–11; Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung. Stellungnahme des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Initiative für ein „Konzil des Friedens“ und zum „Konziliaren Prozeß gegenseitiger Verpflichtung für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung“, Hannover 1986. Dazu kamen Stellungnahmen der VELKD wie hier exemplarisch Texte aus der VELKD, „Du hast mich gebildet im Mutterleibe“. Biotechnologie als Herausforderung an die Verantwortung des Menschen. Arbeitsergebnisse der Klausurtagung der Bischofskonferenz der VELKD auf dem Hessenkopf, Hannover 1986. Zahlreiche Landessynoden beschäftigten sich zudem mir den neuen Techniken und brachten ebenfalls eigene Stellungnahmen heraus. Da die in den Gremien sitzenden Wissenschaftler oftmals an gleich mehreren Stellungnahmen mitarbeiteten – für die eigene Landeskirche und dann noch in EKD Ausschüssen – waren die wenigen, für die komplexen Themen zur Verfügung stehenden Personen stark beansprucht.

2 Vorerfahrungen der evangelischen Kirche in ihren ethischen und politischen Positionierungen der 60er Jahre Für das Handeln der EKD gilt dasselbe, was für andere große Institutionen und Organisationen in Deutschland gilt: Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die bundesrepublikanische Ordnung grundlegend verändert und durchlief zudem in den 1960er Jahren einen ebenso grundlegenden Modernisierungsschub, der erneut die Strukturen von Organisation und inhaltlicher Ausrichtung aufbrach. Will man verstehen, wovon die strukturellen Kommunikationsentscheidungen der evangelischen Kirche in den 1980er Jahren geprägt waren, so muss man sich ihre Vorgeschichte in Erinnerung rufen. Es sind hierbei drei sich jeweils überschneidende Bereiche zu betrachten: 1.) Das Verhältnis von kirchlicher Einflussnahme auf die Politik, 2.) die Entwicklung kirchlicher Stellungnahmen und 3.) die Erfahrungen der Kirchenkrise. Diese drei Bereiche werden zunächst getrennt voneinander untersucht. In einem letzten Kapitel wird dann die Verzahnung der drei Bereiche unter einer Zusammensicht verdeutlicht.

2.1 Kirche und Politik Ein wichtiger Teil der Gesellschaftsgestaltung in einem demokratischen System kommt den Parteien zu; parteilich zugeordnet, lassen gewählte Volksvertreter ihre politischen Vorstellungen in gesetzliche Vorgaben fließen. Die Parteien sind darauf angewiesen, dass sie eine Mehrheit um sich versammeln, die sie in ihren politischen Vorhaben unterstützt. Gleichzeitig ist es den Wählern möglich über Gruppen oder Verbände, selbst politische Vorstellungen in die Parteien einzubringen, damit diese als parteipolitische Ziele weiter verfolgt werden können. Die Kirchen sind in Deutschland eine wichtige Größe in diesem Gefüge, da ihre Institutionen sehr große Bevölkerungsteile auf sich vereinen. Im Folgenden wird das Verhältnis zwischen den beiden christlichen Kirchen und den beiden großen Volksparteien genauer betrachtet. Auf diesem Hintergrund können kirchliche Zielsetzungen und das damit verbundene Handeln genauer verstanden und bewertet werden. Zunächst wird auf die konfessionellen Differenzen im Umgang mit den Parteien eingegangen, um die Mentalitätsunterschiede im Handeln zwischen Kirchen und Politik zu erklären (2.1.1). Danach wird deutlich gemacht, inwiefern die katholische Kirche in den 1950er Jahren Einfluss auf politische Grundentscheidungen im Bereich der Sittlichkeit hat nehmen können, während dies der evangelischen Kirche weniger gelungen ist (2.1.2). Anschließend zeige ich protestantische Varianten der politischen Einflussnahme, nämlich nicht die institutionell verortete, an eine Kir-

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che rückgebundene Lobbyarbeit, sondern die systematische Gruppierung protestantischer Persönlichkeiten auf politischer Ebene (2.1.3). 2.1.1 Konfessionelle Differenzen in der kirchlichen Parteipolitik Die Parteienlandschaft in Deutschland war nach dem Krieg neugeordnet: Die NSDAP war verboten worden und generell konnten die national orientierten Parteien kaum mehr Mehrheiten um sich versammeln. Die die Nachkriegspolitik maßgeblich bestimmenden Parteien waren die aus der katholischen Zentrumspartei erwachsene und neu gegründete „Christlich Demokratische Union“ (CDU), die wieder gegründete „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (SPD), die „Freie Demokratische Partei“ (FDP) sowie die „Kommunistische Partei Deutschlands“ (KPD). Nach und nach wurden von den Besatzungsmächten auch andere Parteien wieder zugelassen, spielten aber im Wettstreit um die Meinungsführerschaft keine wesentliche Rolle mehr.1 Die beiden großen Kirchen mussten nun, sofern sie Einfluss auf die Politik nehmen wollten, auf diese politischen Größen einwirken. Die beiden Kirchen starteten zu Gründungsbeginn der Bundesrepublik Deutschland mit unterschiedlichen Auffassungen von politischer Einflussnahme. Generell standen den Kirchen die gleichen Mittel zur politischen Einflussnahme zu wie anderen Gruppierungen auch. Mittel hierzu waren und sind z.B. die Partnerschaft mit einer politischen Partei, die „Bearbeitung“ von Parlamentariern und schließlich Einflussnahme durch Beeinflussung der öffentlichen Meinung.2 Die katholische Kirche blickte auf eine erfolgreiche politische Einflussnahme zurück, die sie in der Weimarer Republik durch die Zentrumspartei ausgeübt hatte. Durch sie hatte sie deutliche Akzente in der Politik setzen können. Die Protestanten besaßen wiederum keine derartige Tradition der politischen Partizipation und hatten in den Sphären der politischen Einflussnahme deutlich weniger Erfahrung als die Katholiken.3 1

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Zum Verhältnis der evangelischen Kirche zur SPD siehe weiterführend die Studie von Martin Möller: Martin Möller, Evangelische Kirche und Sozialdemokratische Partei in den Jahren 1945–1950. Grundlagen der Verständigung und Beginn des Dialogs, Göttingen 1984. Die gleiche Thematik, nur für den katholischen Part, beschreibt: Thomas Brehm, SPD und Katholizismus – 1957 bis 1966. Jahre der Annäherung, Frankfurt a.M. 1989. Wie sich insgesamt die beiden großen Kirchen in Deutschland zur politischen Landschaft verhielten, beschreibt ausführlich: Frederic Spotts, Kirchen und Politik in Deutschland, Stuttgart 1976. Wie sich, losgelöst von den Kirchen, Katholiken und Protestanten in der Wiederaufbaugesellschaft verhalten, ist in dem Sammelband von Thomas Sauer beschrieben: Thomas Sauer (Hrsg.), Katholiken und Protestanten in den Aufbaujahren der Bundesrepublik, Stuttgart 2000. Vgl. Spotts, Kirchen und Politik, 1976, S. 107. Im Nachsatz urteilt Spotts zudem: „Die evangelische Kirche hat auch keine echte ‚Machtbasis‘, denn das protestantische Gruppenbewusstsein ist schwach.“ Michael Klein skizziert in seiner Monographie den Weg des Protestantismus und seine Einwirkungen auf die Parteienlandschaft nach 1945. Er ist der Auffassung, dass sich durch eine grundsätzliche „Antiparteienmentalität“, die im Protestantismus vorherrsche, die Begeisterungsfähigkeit, sich einer Partei zugehörig zu fühlen, abgängig war. Er zieht zur Erklärung seiner These die Zeit vor

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In der evangelischen Kirche war es strittig, ob durch die Einmischung in die Politik nicht eine Grenze überschritten wurde, deren Begehung der Kirche nicht zustand. Auf dem Gründungstreffen der EKD 1945 in Treysa war, nicht zuletzt aus den Erfahrungen der jüngsten deutschen Geschichte, explizit die Neutralität gegenüber den politischen Parteien in der Grundordnung festgehalten worden und so verhielt sich die evangelische Kirche in der politischen Parteinahme deutlich zurückhaltender als die katholische Kirche.4 Diese unterstützte offensiv die CDU. Die CDU war als überkonfessionelle Partei der Nachfolger der katholischen Zentrumspartei und wollte nach eigenem Anspruch die Wähler versammeln und vertreten, die eine christlich fundierte Politik wünschten. Im Gegensatz zur Zentrumspartei, die rein katholisch orientiert war, sollten sich nun beide Konfessionen vertreten fühlen. Nur durch die Beteiligung der Protestanten sahen die Parteigründer die Möglichkeit, so viel Stimmkraft auf sich zu vereinen, um tatsächlich relevant in der Politik tätig werden zu können. Dass die katholische Kirche auch dem Nachfolger der Zentrumspartei die Treue hielt, war somit weniger eine Überraschung als vielmehr eine Entscheidung, die in Kontinuität zum vorherigen Verhalten stand. In den ersten zwei bis drei Jahren ihrer Entwicklung war die CDU allerdings weniger interkonfessionell ausgerichtet, als ihr Name dies versprach. In katholischen Gegenden war sie folglich besonders stark vertreten, hinsichtlich ihres Führungspersonals und ihrer Wählerschaft war sie letztlich eine rein katholische Partei. Frederic Spotts, der die Beziehungen zwischen Kirchen und Politik in der Nachkriegszeit untersucht hat, weist einen Zusammenhang zwischen der katholischen Kirche und der katholischen Wählerschaft der CDU nach. „Dies beruhte darauf, daß der Episkopat nach 1945 wie vor 1933 eine Lenkung ausübte, so daß ein Großteil der Katholiken politisch als Block auftrat und jetzt lediglich seine Unterstützung vom Zentrum auf die CDU verlagerte.“5 Während die Katholiken überwiegend die CDU wählten, taten sich die protestantischen Wähler wiederum mit der Entscheidung schwer, welcher Partei Sie ihre Stimme geben sollten: Die CDU, die als „Christliche Partei“ die Interessen beider Konfessionen vertreten wollte, hatte den Ruf, eigentlich eine rein katholische Partei zu sein, die gegen die Interessen der Protestanten arbeitete. Vielen protestantischen Wählern fiel es daher schwer, eine letztlich doch katholische Politik zu unterstützen. Die SPD galt als dezidiert antiklerikal und mar-

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1933 heran, in der der Protestantismus sich durch entsprechende Einflussnahme auf die Politik auch ohne Parteibindung vertreten sah. Siehe hierzu Michael Klein, Westdeutscher Protestantismus und politische Parteien. Anti-Parteien-Mentalität und parteipolitisches Engagement von 1945 bis 1963, Tübingen 2005, S. 4–20. „Nr. 6.: Die Kirche ist ihrem Wesen nach nie Partei, sondern tut ihren Dienst an allen politischen und sozialen Gruppen mit gleicher Liebe. Sie darf sich weder mit den Zielen und dem taktischen Vorgehen einer einzigen Partei gleichsetzen, noch vollends sich von den Interessen einer Partei überhaupt bestimmen lassen.“ Abgedruckt in: Kirchenkonferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kundgebung zur Verantwortung der Kirche für das öffentliche Leben. Treysa – August 1945, in: Friedrich Merzyn (Hrsg.), Kundgebungen. Worte und Erklärungen der Evangelischen Kirche in Deutschland 1945–59, Bd. 1, Hannover 1959, S. 3–4, hier S. 4. Spotts, Kirchen und Politik, 1976, S. 265.

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xistisch, was unter den protestantischen Wählern die Wahlbereitschaft nicht verstärkte.6 Während die katholische Kirche offen die CDU unterstütze, verhielt sich die evangelische Kirche unparteiisch und sah im Gegensatz zu den Katholiken zu Wahlaufrufen zugunsten der CDU ab.7 „Im Gegensatz zu den Katholiken“, so hält Spotts fest, „wählten die Protestanten die Partei, die ihren wirtschaftlichen und sozialen Interessen am besten zu dienen schien.“8 So wählten die Protestanten eine Vielfalt von Parteien, was wiederum dazu führte, dass die CDU ihre katholische Prägung behielt, da die protestantischen Stimmen durch die breite Verteilung auf verschiedene Parteien an Wirkkraft verloren. Die Stimmen der Protestanten wurden daher zum umkämpften Gut, da sie eine große Gruppe an Wählern vereinte. „Sie [die Protestanten] ließen sich nicht verlocken, den Katholiken in die CDU zu folgen, um eine ‚christliche Front‘ gegen die anderen Parteien zu bilden; sie ließen sich aber auch nicht von der SPD anwerben um die ‚katholische Politik‘ der CDU zu bekämpfen.“9

Spotts sieht darin einen Regelmechanismus, der letztlich die beiden Parteien in ihrer Ausrichtung milderte: „Damit zwangen sie die SPD zu ideologischer und die CDU zu konfessioneller Neutralität. […] Dies wiederum verengte den ohnehin begrenzten Spielraum der politischen Rolle der evangelischen Kirchen selbst.“10

Erst spät reagierte die SPD auf die sich seit Verabschiedung des letzten Parteiprogramms 1925 vollzogenen gesellschaftlichen Änderungen und richtete sich 1959 auf einem außerordentlichen Parteitag in Bad Godesberg inhaltlich neu als eine Partei aus, die nun für fast alle Gesellschaftsschichten wählbar wurde. Nötig war dies geworden, da sich nicht nur die Zusammensetzung der Gesellschaft, die sich von einer Gesellschaft von Facharbeitern zu einer Gesellschaft von Angestellten 6 7

Vgl. ebenda, S. 123. „Fast 20 Jahre lang hegte die katholische Kirche nach dem Krieg Argwohn und Feindseligkeit gegenüber der SPD. […] Der Episkopat beschränkte sich nicht darauf die CDU zu unterstützen, sondern bekämpfte die SPD aktiv. Vor den Wahlen war in Hirtenbriefen der Bischöfe die Empfehlung, die CDU zu wählen, mit dem Hinweis verknüpft, daß die SPD keine Partei sei, die ein Katholik nach seinem Gewissen unterstützen könne.“ ebenda, S. 285f. Beispielsweise stellte der münsteraner Bischof Michael Keller (1896–1961) auf einer Kundgebung der Katholischen ArbeitnehmerBewegung (KAB) vor der Bundestagswahl 1957 fest, dass ein gläubiger Katholik „nicht sozialdemokratisch wählen könne.“ Vgl. Rainer Hering, Die Kirchen als Schlüssel zur politischen Macht? Katholizismus, Protestantismus und Sozialdemokratie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Archiv für Sozialgeschichte (2011), S. 237–266, H. 51, hier S. 243. 8 Spotts, Kirchen und Politik, 1976, S. 119. 9 ebenda, S. 125f. 10 ebenda.

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entwickelte, sondern auch die Erwartung an die politische Entwicklung weg von einem „sozialistischen Staat“ hin zu einem „Staat mit sozialer Marktwirtschaft“ entwickelt hatte.11 Das Verhältnis zwischen Sozialdemokratie und Kirchen war in der Vergangenheit aus zwei Richtungen kommend – und damit doppelt – belastet, da die Kirchen einen Teil des „alten Reiches“ repräsentierten, der die sozialdemokratische Entwicklung systematisch zu verhindern suchte. Besonders die protestantischen Kirchen hatten als staatstreue preußische Vereinigung vollkommen auf der Seite des alten Obrigkeitstaates gestanden.12 Religion wiederum war aus sozialdemokratischer Sicht nur in marxistischer Lesart wahrgenommen – und daher abgelehnt worden. Eine neue inhaltliche Bestimmung der Verhältnisse zwischen SPD und Kirchen war somit dringend nötig geworden. In dem auf dem Parteitag verabschiedeten Programm wurde daher in einem eigenen Absatz die Veränderung der Ausrichtung der Partei zu Religion und Kirchen festgehalten.13 Die darin enthaltene Absage an den Sozialismus als Religionsersatz ist als deutliche Öffnung zu verstehen und ermöglichte, den schon vor dem Parteitag begonnenen Öffnungsprozess künftig geordnet fortzuführen.14

11 „Die deutsche Gesellschaft war nicht mehr wie im Kaiserreich von Facharbeitern, sondern vor allem von Angestellten geprägt, die seit den 1920er Jahren auch innerhalb der SPD nach und nach immer stärker vertreten waren, während der Anteil der Arbeiter zurückging. Die Partei musste auf diese veränderte Situation reagieren, um nicht an politischer Bedeutung zu verlieren“ Hering, Die Kirchen, 2011, S. 246. 12 „Die evangelischen Landeskirchen waren sehr eng mit dem Staat verbunden und unterstützten die insbesondere während der Geltungsdauer des ‚Sozialistengesetzes‘ erfolgte Verfolgung der Sozialdemokraten weitgehend mit. Sie wurden daher von der SPD und der Arbeiterbewegung auch in ihrem sozialen Wirken als Teil des obrigkeitsstaatlichen Repressionsapparats wahrgenommen.“ ebenda, S. 239. 13 „Religion und Kirche: Nur eine gegenseitige Toleranz, die im Andersglaubenden und Andersdenkenden den Mitmenschen gleicher Würde achtet, bietet eine tragfähige Grundlage für das menschlich und politisch fruchtbare Zusammenleben. Der Sozialismus ist kein Religionsersatz. Die Sozialdemokratische Partei achtet die Kirchen und die Religionsgemeinschaften, ihren besonderen Auftrag und ihre Eigenständigkeit. Sie bejaht ihren öffentlich-rechtlichen Schutz. Zur Zusammenarbeit mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften im Sinne einer freien Partnerschaft ist sie stets bereit. Sie begrüßt es, daß Menschen aus ihrer religiösen Bindung heraus eine Verpflichtung zum sozialen Handeln und zur Verantwortung in der Gesellschaft bejahen. Freiheit des Denkens, des Glaubens und des Gewissens und Freiheit der Verkündigung sind zu sichern. Eine religiöse oder weltanschauliche Verkündigung darf nicht parteipolitisch oder zu antidemokratischen Zwecken mißbraucht werden.“ Abgedruckt in: Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Beschlossen vom außerordentlichen Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Bad Godesberg vom 13. bis 15. November 1959, Bonn 1959, S. 8. 14 Dabei gab es schon vor 1959 vereinzelte Bestrebungen protestantischer Persönlichkeiten, die Sozialdemokratie zu unterstützen. „Während der Weimarer Republik, vereinzelt auch schon in früheren Jahren, signalisierten jedoch Teile der evangelischen Kirche ihre Bereitschaft zum Dialog mit der Sozialdemokratie, als die SPD von namhaften Theologen wie Karl Barth (1886–1968) und Paul Tillich (1886–1965), letzterer gehörte dem 1921 gegründeten ‚Bund religiöser Sozialisten Deutschlands‘ an, unterstützt wurde.“ Hering, Die Kirchen, 2011, S. 240.

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Die schon erwähnte Polarisierung zwischen den Konfessionen blieb gegenüber der SPD dabei bestehen. Die katholische Kirche stand dem neuen Programm der SPD lautstark mit Argwohn gegenüber und verbot noch auf längere Zeit hin ihren Mitgliedern in Hirtenbriefen das Wählen der SPD.15 Auf die folgende Bundestagswahl hatte das veränderte Programm somit nur bei den protestantischen Wählerstimmen Erfolg.16 Das Godesberger Programm gilt allgemein als die Zäsur, die die Öffnung der SPD zu den Kirchen begründete und den Christen wiederum das Wählen der SPD ermöglichte. Nach und nach traten protestantische Persönlichkeiten in die SPD ein und zogen so immer mehr protestantische Wählerstimmen nach sich.17 Frederic Spotts fasst den Umschwung der inhaltlichen Ausrichtung zusammen: „Zur gleichen Zeit kam es zwischen der SPD und der evangelischen Kirche zu einer bemerkenswerten Meinungsgleichheit in wichtigen innenpolitischen und verteidigungspolitischen Fragen. Wenn die SPD und die CDU uneins waren, stand die evangelische Kirche auf Seite der Sozialdemokraten. Wenn die beiden Kirchen verschie18 dener Ansicht waren, stand die SPD gewöhnlich auf Seite der Protestanten.“

Das enge Verhältnis zwischen katholischer Kirche und den Politikern der CDU geriet dann jedoch gegen Ende der 1950er Jahre in eine Krise, als die engen Bindungen zwischen katholischer Kirche und Partei an Durchsetzungskraft verloren. „Um die Mitte der fünfziger Jahre interessierten sich jedenfalls die meisten katholischen Politiker und Laien nicht mehr für katholische Enzykliken, hatten die Berührung mit den politischen Ansichten der Kirche verloren und waren allgemein nicht mehr willens, in der öffentlichen Sphäre für die Ziele der Kirche zu kämpfen.“19

Dies löste zwar nicht das Verhältnis zwischen CDU und Katholiken, lockerte es jedoch derartig auf, dass auch die katholische Kirche immer mehr Mühe hatte, ihre Vorstellungen politisch umgesetzt zu bekommen.

15 „In vielen Veröffentlichungen wurde behauptet, dass die dort festgeschriebene Wandlung nur vorgetäuscht und die Partei weiterhin ‚antireligiös‘ sei.“ ebenda, S. 248. Frederic Spotts vermutet, dass die fehlende Kompromissbereitschaft der katholische Kirche, auf beide politische Seiten einzugehen, vornehmlich der Tatsache geschuldet sei, dass sie nicht auf ihren letzten großen weltlichen Feind verzichten wollten. Sie hatte die katholischen Kirchenführer und die Laienbewegung zuvor zu stark allein auf die CDU eingeschworen und die SPD zum Christenfeind stilisiert. Vgl. Spotts, Kirchen und Politik, 1976, S. 296. 16 „[Es] empfahlen anlässlich der Bundestagswahl im September 1961 die deutschen Bischöfe in einem Hirtenwort implizit nach wie vor, CDU oder CSU zu wählen […] Wie 1949 gaben nur 26% der katholischen Wählerinnen und Wähler der SPD ihre Stimme, 62% wählten die Unionsparteien.“ Hering, Die Kirchen als, 2011, S. 248. 17 Von der akademischen Theologie aus war man wiederum eher zurückhaltend mit einer Einmischung in die Tagespolitik. Siehe hierzu auch Spotts, Kirchen und Politik, 1976, S. 107ff. 18 ebenda, S. 284. 19 ebenda, S. 272.

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2.1.2 Katholisch geprägte Politik Trotz der von der CDU angestrebten Lossagung konfessionell gebundener Politik, hatte der katholische Flügel in der CDU deutlich größeren Erfolg, seine politischen Vorstellungen durchzusetzen, als der kleinere Flügel der Protestanten. So kam es in den 1950er Jahren zu einer bemerkbaren Katholisierung der Politik. Die katholische Soziallehre stand für die Ausrichtung der Gesetze Pate: „Kernpunkt der meisten CDU-Programme war die Wirtschafts- und Sozialpolitik, und diese beruhte meist auf der katholischen Soziallehre und wurde in katholischer Terminologie ausgedrückt.“20 Diese Tendenzen bemerkend, untersuchte Helmut Simon die Zusammenhänge zwischen katholischem Rechtsdenken und der damaligen Rechtsprechung, die sich auffallend deckungsgleich verhielten. In seiner Studie „Katholisierung des Rechts“ zeigt er Zusammenhänge zwischen der katholischen Auffassung von Sittlichkeit und deren Niederschlag in öffentlicher Rechtsprechung in den Bereichen: Privateigentum, Erziehung und Schulwesen, Stichentscheid des Vaters, Eherecht, Feiertagsheiligung und Wehrgesetzgebung auf.21 Das katholische Rechtsdenken, so stellt er fest, sei daran interessiert, die konfessionell bestimmten Auffassungen von Sittlichkeit in Deckung mit dem staatlich bestimmten Recht zu bringen. Dabei würden die Argumente vornehmlich naturrechtlich begründet.22 Simon benennt dabei auch die möglichen Gefahren, die bei diesem Vorgehen für den Rechtsstaat auftreten können: „Höchst problematisch wird die Lage überall dort, wo das Naturrecht in intolerantperfektionistischer Verabsolutierung auftritt, und vor allem dort, wo einseitige Forderungen des Kirchenrechts durchgesetzt werden sollen.“23

Gerade diese Konfliktfälle waren später in den 1960er Jahren, besonders im Streit um die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs, dann die Punkte, an denen die katholischen Vorstellungen einer naturrechtlichen Ausrichtung auf Schwierigkeiten stießen. Protestantische Einflüsse auf die Rechtsprechung kann er zu diesem Zeitpunkt wiederum nicht auffinden.24 20 ebenda, S. 267. 21 Helmut Simon, Katholisierung des Rechtes? Zum Einfluß katholischen Rechstdenkens auf die gegenwärtige deutsche Gesetzgebung und Rechtsprechung, Göttingen 1962. 22 Simon resümiert: „[Die Untersuchung] bestätigt einerseits den beträchtlichen Einfluß katholischen Rechtsdenkens auf Gesetzgebung und Rechtsprechung der Bundesrepublik. Sie beweist aber doch wohl auch, daß allein deswegen noch kein Grund besteht, in Kulturkampf-Stimmung auszubrechen, da bislang übersteigerte Forderungen in der Regel schon von der Gesetzgebung und nicht zuletzt durch die Rechtsprechung korrigiert wurden. Man wird auch zugeben müssen, daß manche Erkenntnis dieses Rechtsdenkens eine wertvolle Hilfe für die Errichtung einer brauchbaren Rechtsordnung und auch für Andersdenkende annehmbar ist.“ ebenda, S. 50. 23 ebenda. 24 Vgl. ebenda, S. 21ff.

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Auf protestantischer Seite vermehrte die Wahrnehmung einer Katholisierung des Rechts die Vorbehalte gegenüber der CDU und hielt das Bewusstsein wach, mit den verlorenen Ostgebieten vornehmlich die protestantisch geprägten Gebiete verloren zu haben – und somit die Hauptlast im konfessionellen Vergleich der Kriegsfolgen zu tragen.25 In den frühen Jahren der Bundesrepublik kamen die Rufe nach Wiedervereinigung eher von protestantischer Seite: Sie fürchtete, zusätzlich zur Katholisierung des Rechts eine Katholisierung der Republik erleben zu müssen.26 Abgesehen von innenpolitischen Fragestellungen ist auch die Einschätzung der Westorientierung der Adenauerpolitik von protestantischer Seite interessant: Thomas Sauer, der die Westorientierung des deutschen Protestantismus untersucht hat, kommt zum Schluss, dass von anfänglicher Ablehnung einer politischen Öffnung zum Westen auf protestantischer Seite ein merklicher Umschwung stattgefunden hat. Dem Katholizismus schien die Öffnung zu den westlichen Werten und Gesellschaftsvorstellungen einfacher zu fallen als den Protestanten. Sauer sieht dies in der Tradition des konfessionellen Selbstverständnisses begründet: Während die Protestanten landeskirchlich organisiert und in ihren Vorstellungen daher enger dem Nationalen verhaftet waren, konnten die Katholiken die Fremdheitsbefürchtungen eher abschütteln und sich der europäischen Idee verschreiben: Sie nahmen sich im Selbstverständnis sowieso immer nur als Teil, nämlich der „katholischen“ weltumspannenden Kirche, war.27 2.1.3 Gruppierung von Protestanten auf politischer Ebene Wie bereits deutlich wurde, konnte der Katholizismus seine politischen Vorstellungen u.A. aufgrund einer großen parteipolitischen Erfahrung deutlich besser als der Protestantismus zur Durchsetzung bringen. Sich politisch zu engagieren war den Protestanten fremd und so führte dies zu einer Unterrepräsentation von protestantischen Einflüssen in der eigentlich ja überkonfessionell ausgerichteten christlichen Partei. Der deutsche Protestantismus reagierte darauf auf zwei Ebenen: Zum einen wurde innerhalb der CDU eine protestantische Gruppierung geschaffen (Evangelischer Arbeitskreis der CDU/CSU), zum anderen gruppierten sich einige protestan-

25 „Zudem verfügte der traditionell landeskirchlich organisierte Protestantismus kaum über gewachsene Auslandsbeziehungen, während den Katholiken das Bewußtsein, einer weltumspannenden kirchlichen Gemeinschaft anzugehören, vertraut war und […] für die Popularisierung der Europaidee nutzen ließen. Die Katholiken waren daher eher bereit, die neuen Konstellationen und die Teilung des Landes zu akzeptieren und sich in die veränderten Gegebenheiten einzufinden.“ Thomas Sauer, Einleitung des Herausgebers, in: Thomas Sauer (Hrsg.), Katholiken und Protestanten in den Aufbaujahren der Bundesrepublik, Stuttgart 2000, S. 9–18, hier S. 9. 26 Vgl. Thomas Sauer, Westorientierung im deutschen Protestantismus? Vorstellungen und Tätigkeit des Kronberger Kreises, München 1999, S. 47. 27 Vgl. ebenda, S. 288ff.

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tische intellektuelle Persönlichkeiten im „Kronberger Kreis“ privat, um aus protestantischer Perspektive Lobbyarbeit zu leisten.28 2.1.3.1 Evangelischer Arbeitskreis (EAK) Der Evangelische Arbeitskreis (EAK) der CDU/CSU wurde 1952 in Siegen als Zusammenschluss der Protestanten in den Unionsparteien gegründet. Hintergrund waren unter anderem die konfessionellen Auseinandersetzungen in der CDU um die Fragen der Westintegration und der Wiederbewaffnungspolitik der Bundesregierung. Solche weniger inhaltlich als vielmehr konfessionell begründeten Streitigkeiten waren für die Partei als ganze jedoch gefährlich, da die CDU permanent dem Vorwurf ausgesetzt war, als bloße Kopie der Zentrumspartei, also als politischer Katholizismus zu agieren. So ist die Gründung eines evangelischen Arbeitskreises in der CDU durchaus strategisch dahin gehend zu verstehen, die öffentliche Wahrnehmung der in der CDU beheimateten Protestanten zu stärken.29 Die CDUFührung befürwortete daher die konfessionelle Gruppierung der Protestanten, um genau diesen Vorwürfen entgegen zu wirken und den Protestanten mehr Aufmerksamkeit zu ermöglichen.30 Dadurch, dass die Protestanten in der CDU nun einen Ort hatten, an dem Diskussionen fokussiert geführt werden konnten, wuchs der Zusammenhalt der Protestanten in der Partei – und holte das ein, was die Katholiken von Anfang an gehabt hatten: Das Selbstbewusstsein, aus konfessioneller Perspektive Politik betreiben zu können.31 Die Arbeit des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU wirkte in den Anfangsjahren vornehmlich daraufhin, den Vorwürfen, die CDU sei eine katholische Partei, entgegen zu wirken. In den Arbeitskreis wurden mehrfach prominente Theologen als Referenten eingeladen, um die politischen Grundfragen mit den Kirchen rückzubinden.32 Namentlich waren das u.A. Walter Künneth und Helmuth Thielicke; aber auch der Philosoph Arnold Gehlen war Gast. Im März 1953 erschien erstmalig die seitdem monatlich aufgelegte und kostenlos verteilte Publikation „Evangelische Verantwortung“, die zunächst Mitteilungsorgan des Evangelischen Arbeitskreises war, sich dann aber von einem Parteiblatt zu einem überparteilichen Protestantismusmagazin entwickelte. In ihren besten Zeiten 28 Wie und mit welchen Intentionen sich die Gruppierungen bildeten ist beschrieben in: ebenda. und Peter Egen, Die Entstehung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, Bochum 1971. 29 „Das primäre Ziel des EAK war es, für die Unionsparteien Wählerstimmen im evangelischen Lager zu gewinnen. […] Zum einen galt es in der CDU/CSU Präsenz zu zeigen und sichtbaren Einfluss zu demonstrieren […] Zum Andren sollte direkt die evangelische Öffentlichkeit angesprochen werden und auch auf die Amtskirche Einfluss genommen werden.“ Torsten Oppelland, Der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU, 1952–1969, in: HPM 5 (1998), S. 105–144, hier S. 121. 30 Vgl. Sauer, Westorientierung, 1999, S. 272. und Egen, Entstehung, 1971, S. 66. 31 Vgl. Spotts, Kirchen und Politik, 1976, S. 269f. 32 Vgl. hierzu und auch weiterführend Torsten Oppeland, Politik aus christlicher Verantwortung. Der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU in der Ära Adenauer, in: Thomas Sauer (Hrsg.), Katholiken und Protestanten in den Aufbaujahren der Bundesrepublik, Stuttgart 2000, S. 35–64, hier S. 47.

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wurden Auflagen von bis zu 35.000 Stück erreicht, was für eine Parteizeitung außerordentlich viel gewesen ist.33 Der Evangelische Arbeitskreis griff während des Bundestagswahlkampfs 1953 mehrfach in die Debatte um die von der Opposition aus wahlstrategischen Gründen geschürten Vorwürfe um die konfessionelle Ausrichtung der Partei ein. Er versuchte damit nachhaltig deutlich zu machen, dass die CDU eine überkonfessionelle Partei sein wollte.34 Der EAK ist als Organisation berechtigt auf den Parteiversammlungen Anträge zu stellen, was ihm ermöglicht, öffentlich Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.35 2.1.3.2 Der Kronberger Kreis Der Mitbegründer des Kronberger Kreises, Eberhard Müller, sah es als historisch begründete institutionelle Schwäche des Protestantismus an, dass er über keine festen Organisationen verfüge, in der sich Gleichgesinnte in ihren Interessen unterstützen würden. Diese Erkenntnis lag der Entscheidung zugrunde, einen informellen Kreis protestantischer Männer zu gründen, die sich in eben solchen Fragen gegenseitig Schützenhilfe geben wollten. Sie sollten dem Protestantismus in politischen und gesellschaftlichen Debatten mehr Gewicht verleihen.36 Der Kronberger Kreis wurde 1951 als Zusammenschluss vornehmlich konservativer Protestanten gegründet, darunter Kirchenvertreter, evangelische CDU Politiker, Bundes- und Landesminister sowie Wirtschaftsfachleute und Zeitungsredakteure.37 Die späteren „Kronberger“ konnten in den Aufbaujahren der Bundesrepublik auf die Unterstützung der Besatzungsmächte, insbesondere der USA bauen, da sie aufgrund ihrer Vergangenheit als Angehörige der Bekennenden Kirche vertrauenswürdig waren und zugleich über internationale Erfahrung verfügten, sie waren der englischen Sprache mächtig und meist antikommunistisch eingestellt. Dadurch waren sie die ideale Zielgruppe für das Ideologieangebot der Westmächte, die ja gerade versuchten, die neuen deutschen Strukturen derartig zu beeinflussen, 33 Vgl. Egen, Entstehung, 1971, S. 135ff. 34 Siehe hierzu ebenda, S. 188f. 35 Die Katholiken verzichteten bezeichnenderweise auf einen eigenen Arbeitskreis, der die katholischen Belange vertreten sollte. Dies schien aufgrund der Mehrheitsverhältnisse schlicht nicht nötig. Siehe hierzu Hans Maier, Die Kirchen, in: Richard Löwenthal/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Die zweite Republik. 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland – eine Bilanz, Stuttgart 1974, S. 494–515, hier S. 501. 1997 gründete sich der Kardinal-Höffner-Kreis, der noch am ähnlichsten ein Pendant zum EAK darstellt. Jüngst gründete sich 2009 auch der AEK (Arbeitskreis Engagierter Katholiken) der innerhalb der CDU die katholische Stimme sein möchte. Ihm ist jedoch ein offizieller Status in der CDU nicht zugestanden worden. 36 Vgl. Thomas Sauer, Der Kronberger Kreis. Christlich-Konservativer Positionen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Thomas Sauer (Hrsg.), Katholiken und Protestanten in den Aufbaujahren der Bundesrepublik, Stuttgart 2000, S. 121–147, hier S. 121. Siehe zudem Sauer, Westorientierung im deutschen, 1999. 37 Zu den Gründungsmitgliedern zählen Hans Lilje, Eberhard Müller und Reinold von Thadden.

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dass eine inhaltliche Verknüpfung zu den West-Werten entstand, um im Kampf gegen den Kommunismus den jungen deutschen Staat in die westliche Staatengemeinschaft zu integrieren.38 Ziele des Kronberger Kreises waren, das Gewicht des Protestantismus in Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik zu stärken und evangelisches Nachwuchspersonal für höchste Ämter in Politik und Wirtschaft gezielt zu fördern.39 Thomas Sauer weist nach, dass die Mitglieder des Kronberger Kreises – obwohl mehrheitlich konservative Protestanten – entschlossen waren, die politische, wirtschaftliche und militärische Integration der Bundesrepublik in die westliche Staatengemeinschaft zu unterstützen.40

2.2 Entwicklung öffentlicher Stellungnahmen in der EKD „Als kirchliche Denkschriften bezeichnet man gegenwärtig die kontinuierlich seit 1962 in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) erarbeiteten und in Form von Studien, Gutachten oder Thesenreihen veröffentlichten Stellungnahmen zu je aktuell umstrittenen gesellschaftlich-politischen Themen.“41

So leitet Christian Albrecht den Artikel in der RGG4 ein und weist damit schon implizit auf die Schwierigkeit einer Klassifizierung dieses Textgenus hin. Die als „Denkschriften“ vom Rat der EKD verabschiedeten Texte haben unterschiedliche Formen und jeweils auch eine andere Entstehungsgeschichte hinter sich. Gemein ist ihnen, dass sie das Medium sind, mit dem und durch welches die Kirchenleitung der EKD, speziell der Rat der EKD, sich zu bestimmten zeitgeschichtlichen Geschehnissen äußert. Was vom Rat der EKD als geschäftsführendem Gremium verabschiedet wird, wird bis heute in Deutschland als „evangelische Position“ in Differenz zur katholischen Position wahrgenommen. Damit hat der Rat der EKD eine Position inne, die öffentlichkeitswirksam mächtiger wahrgenommen wird, als ihre Position tatsächlich Verbindlichkeit für Ihre Mitglieder hat. Diese Wahrnehmung nährt sich von dem scheinbaren Pendant der katholischen lehramtlichen Äußerung: Man scheint auf den ersten Blick von der EKD die „gültige“ evangelische Position angeboten zu bekommen. Doch gerade weil evangelische Position nicht lehramtlich sein kann, ist eine Vergleichbarkeit der beiden großen deutschen Kirchen in ihren Veröffentlichungen zu gesellschaftlichen diskursiven Themen nicht gegeben. Die EKD hat somit eine schwierige Position, da sie als Dachorganisation für ihre Gliedkirchen 38 39 40 41

Vgl. ebenda, S. 284ff. Vgl. ebenda, S. 18–19. Sauer, Der Kronberger Kreis, 2000, in: Sauer (Hrsg.), Katholiken und Protestanten, 2000, S. 125. Christian Albrecht, Denkschriften, in: Hans Dieter Betz/Don S. Browning/Bernd Janowski/Eberhard Jüngel (Hrsg.), Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, Bd. 2 1999, S. 664–666, hier S. 664.

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die wichtige Mittlerrolle innehat, in der deutschen Gesellschaft die evangelische Stimme zu sein, die vom katholischen Gegenpart genuin von der Deutschen Bischofskonferenz eingenommen wird. Eine evangelische Position zu einem strittigen ethischen Thema aber kann nicht allgemeingültig sein, sondern muss individuell vom konkreten Individuum in eigener Verantwortung Gott gegenüber bezogen werden. Somit ergibt sich für die EKD das schwierige Problem, die Aufgabe zu haben, die evangelische Stimme in der Zeit zu sein, die es eigentlich gar nicht geben kann. In den folgenden Teilkapiteln wird die innerhalb der EKD erfolgte Herausbildung dieses mittlerweile als prominentes Kennzeichen protestantischen Diskussionskultur etablierten Mediums schrittweise bis zur Entwicklung gemeinsamer Stellungnahmen zwischen evangelischer und katholischer Kirche nachvollzogen. Dazu wird im Einzelnen ein Rückblick auf die Situation der Nachkriegskirche und der dabei an Prägekraft gewinnenden Selbstwahrnehmung der EKD geworfen (2.2.1), die zur Ausbildung einer konsequenten Öffentlichkeitsarbeit führte (2.2.2). Sodann wird die Weiterentwicklung der autoritativen kirchlichen „Worte“ zum argumentativeren Stil der „Denkschriften“ verfolgt (2.2.3), der Wandel im Religionsjournalismus beschrieben, der die Kommunikationsarbeit in den Kirchen beeinflusste (2.2.4.) und letztlich der Weg zu den gemeinsamen Publikationen zwischen evangelischer und katholischer Kirche dargestellt (2.2.5). 2.2.1 Situation und Selbstwahrnehmung der Nachkriegskirche Die Besatzungsmächte verfolgten nach der Kapitulation Deutschlands jeweils eine sich von der der anderen Besatzungsmächte unterscheidende Kirchenpolitik. Dieses lässt sich aus den differierenden Grundannahmen von Religion und Kirche erklären.42 Die Briten waren an einer Umerziehung der Deutschen interessiert, die sich darin ausdrücken sollte, dass Nationalismus sowie Militarismus beseitigt werden sollten. Dieses erschien den Briten aus Ihrer Kolonialerfahrung am besten durchsetzbar, indem eine indirekte Herrschaft (indirect rule) verfolgt werden sollte. Dieses Prinzip, welches u.a. in Indien und Afrika erfolgreich war, sollte nun auch in Deutschland angewendet werden. Einzelne Personen aus der deutschen Gesellschaft sollten als Führungsgestalten dienen. Sie sollten einerseits für bestimmte Bereiche exakte Anweisungen bekommen, im Übrigen aber wollte man sie gewähren lassen. Grundlage einer Umerziehung zur Demokratie sollte ein christliches Staatsverständnis sein, welches sich nach britischem Vorbild ausrichten sollte. Da nach britischem Verständnis Staat und Kirche eine nicht aufspaltbare Einheit bildeten, sah auch die in Deutschland verfolgte Kirchenpolitik Ähnliches vor. Der Staat 42 Im Folgenden zu den Positionen der Besatzungsmächte nach Martin Greschat, Die evangelische Christenheit und die deutsche Geschichte nach 1945. Weichenstellungen in der Nachkriegszeit, Stuttgart 2002, S. 30f.

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sollte als dezidiert christlicher agieren. Dieses anglikanische Verständnis traf dann zunächst auf Widerstand, da die Luther zugeschriebene Lehre von zwei getrennten Reichen in Deutschland tief verankert war. Obrigkeit und Kirche waren aufeinander angewiesen, aber vermischten sich nicht. In England war z.B. die Kritik Niemöllers an der Kirchenpolitik der Nationalsozialisten immer auch als politische Systemkritik, also als Widerstand gegen den Staat wahrgenommen worden und begründete z.T. seine dortige Beliebtheit. Die Engländer sahen also in einer – von den Nationalsozialisten bereinigten – Kirche die ideale Grundlage zur Schaffung einer nach britischem Verständnis ausgerichteten Demokratie: Von den christlichen Keimzellen in den Gemeinden sollte sich das Prinzip des demokratisch ausgerichteten Staates auf die Gesellschaft hin auswirken und so demokratiestärkend wirken. In den amerikanischen Besatzungszonen waren die Bemühungen eher von einem didaktischen Prinzip bestimmt. Aus amerikanischer Sicht sah man die „Heilung des Deutschen Charakters“ in einer „reeducation“, die auf der Vermittlung ihrer eigenen Schuld abzielte.43 Wenn diese erst einmal verstanden worden sei, würde sich der demokratische Gedanke geradezu automatisch durchsetzen. Im amerikanischen Demokratieverständnis wiederum ist zwar eine strikte Trennung von Staat und Kirche vorgesehen, doch ist auch deutlich, dass immer ein christlicher Staat gemeint ist, der sich zwar christlichen Werten zuwendet, sich selbst jedoch hierin keiner Denomination zuordnet. Der Entwicklung geistlicher und damit gleichbedeutend auch christlicher Werte wurde demnach ein großer Raum gegeben und hatte in der Förderung einen großen Stellenwert.44 Indem man den Kirchen Freiräume gab, stellte man sicher, dass sich aufgrund der christlichen Werte, die vorher vom Nationalsozialismus verdrängt wurden, der Charakter der Deutschen wieder zu einem friedlichen umänderte. Die Bemühungen Frankreichs waren wiederum andere. Der nun schon so oft gefährliche Nachbarstaat sollte auf Dauer klein gehalten werden. Statt eine Änderung des „Nationalcharakters“ anzustreben oder durch Bildung die Herausbildung eines Demokratieverständnisses zu fördern, sah man die Zukunft Deutschlands in der Stärkung von kleineren politischen Einheiten (z.B. das Rheinland als eigene politische Größe) um die potenziellen Gegner klein zu halten. Die Zersplitterung in Kleinstaaten erschien somit attraktiv. Den Kirchen dachte man darin keine besondere Rolle zu, war aber froh, dass diese scheinbar eine Beruhigung des Volkes sicherstellten.45 Die von der sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) kontrollierten Gebiete verfuhren in ihrer Kirchenpolitik unterschiedlich und waren wohl weniger stark intentional von der zentralen Politik bestimmt, wie in den restlichen deutschen Gebieten. In einigen von den Sowjets kontrollierten Gebieten gab es große Freiräume für die dortigen Gemeinden, anderswo wiederum strikte Aufla43 Vgl. ebenda, S. 35f. 44 ebenda, S. 36f. 45 ebenda, S. 47f.

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gen.46 Seidel differenziert vier Gründe, die die freundliche Haltung der Sowjets der Kirche gegenüber erklären: „1.) Die Sowjetische Militärverwaltung sah in ‚der Kirche‘ eine Widerstandskraft gegen den Nationalsozialismus. 2.) Die Sowjets würdigten den Einsatz von Geistlichen für die kampffreie Übergabe von Städten und Gemeinden an die rote Armee gegenüber den Nationalsozialisten. 3.) Die anfängliche Offenheit sowjetischer Offiziere gegenüber kirchlicher Betätigung lässt auf eine Taktik zur möglichst problemlosen Übernahme schließen. 4.) Schließlich muss auf die religiöse Einstellung eines Teils der sowjetischen Bevölkerung (und damit einiger der Soldaten und Offiziere) hingewiesen werden.“47

Der Umgang der jeweiligen Besatzer mit den Kirchen war demnach im Grunde friedvoll. Diese respektvolle Behandlung der Kirchen und ihrer Beschäftigten wiederum wirkte auch auf die deutsche Bevölkerung. In der öffentlichen Wahrnehmung wurde das gute Verhältnis von Besatzern und Kirche wahrgenommen. „Das freundliche Entgegenkommen oder doch zumindest höfliche Respektierung der Geistlichen beider Konfessionen durch die Soldaten und Offiziere aller vier Alliierten hob natürlich das Ansehen der Pfarrer in der Bevölkerung. […] Viele Pfarrer hatten schließlich die Möglichkeit, Gespräche mit den lokalen Vertretern der Militärregierung zu führen und dabei in gewissen Grenzen zwischen der Besatzungsmacht und Bevölkerung zu vermitteln.“48

Die Kirchenvertreter kamen so in eine Position, die das Verhandeln um individuelle Lösungen von Notlagen vor Ort möglich machte. Die Besatzer wiederum hatten auf diese Weise Ansprechpartner im Volk und nutzen diese Strukturen um z.B. auch Hilfslieferungen zu verteilen. Die Kirchenvertreter wiederum konnten den Besatzern die im Volk aufgekommenen Wünsche und Drängnisse vorbringen. Die Kirchen, ja ganz konkret auch die Kirchengebäude und die Pfarrhäuser, fungierten in den Jahren nach dem Krieg als Sammelpunkt und auch als Anlaufstelle für die vielen Vertriebenen und Heimatlosen in Deutschland. Hier wurde nach Vermissten gesucht und gefragt, hier fand man Hilfe bei Krankheit und in Armut: Und man kann sagen, dass fast alle Menschen in Deutschland wenigstens einen dieser Gründe hatten, die Kirchen aufzusuchen.49 In den folgenden 1950er Jahren stiegen so zunächst die Kircheneintrittszahlen und die Kirchen spürten geradezu ihren Aufwind. Hierbei spielte aber wohl nicht nur die konkrete Hilfe zum Leben eine Rolle,

46 Zur sowjetischen Kirchenpolitik in den besetzten Gebieten siehe vor allem J. Jürgen Seidel, „Neubeginn“ in der Kirche? Die evangelischen Landes- und Provinzialkirchen in der SBZ/DDR im gesellschaftspolitischen Kontext der Nachkriegszeit (1945–1953), Göttingen 1989, S. 68–69. 47 ebenda, S. 78–81. 48 Greschat, Christenheit, 2002, S. 64. 49 Eine anschauliche Beschreibung der Verhältnisse findet sich bei ebenda, S. 53–63.

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sondern auch die soziale Rolle, die die Kirchen im Dialog mit den Alliierten übernahmen. Wolf-Dieter Hauschild beschreibt die Situation so: „Das auffälligste Merkmal der westdeutschen Nachkriegsgeschichte ist die neue Rolle der Kirche im öffentlichen Leben. Diese erklärt sich zum einem erheblichen Teil aus der Umbruchsituation von 1945. In den ersten Monaten nach der Kapitulation bildete die Kirche, da die politisch diskreditierten DC-Führer geräuschlos und plötzlich in der Versenkung verschwanden, ein Element der Stabilität und Kontinuität und war damit für die Besatzungsmächte ein bevorzugter Ansprechpartner beim Wiederaufbau. Die Kirchen wurden um Rat gefragt bei der Auswahl der Bürgermeister in Städten und Dörfern, der Ministerpräsidenten und Minister, und es war bezeichnend, daß ein Mann wie Theophil Wurm von den Amerikanern als Leiter einer provisorischen Regierung in Nordwürtemberg ins Auge gefasst wurde.“50

Generell schien das Vertrauen der Besatzer institutionell, wie aber auch personell zu sein. Die Kirchenvertreter waren so vertrauenswürdig, dass die Geistlichen nicht selten „zur Mitarbeit in öffentlichen Behörden aufgefordert worden sind.“51 Die Kirchen schienen demnach also eine spürbare Hilfe anbieten zu können: Waren die Kirchen zwar vor dem Krieg auch schon auf katholischer Seite mit der Caritas und auf evangelischer Seite mit der Inneren Mission darauf ausgerichtet, konkrete Hilfe anzubieten und als kirchliches Hilfswerk nicht nur seelischen, sondern auch körperlichen Schmerz zu lindern, wurde diese Seite des kirchlichen Engagements nun deutlicher. Dies alles führte allgemein zu einem breit wahrgenommenen, sehr positiv besetzten öffentlichen Kirchenbild. Die Veränderungen, die in der öffentlichen Wahrnehmung der Kirchen stattgefunden hatte, der institutionelle Neubeginn evangelischer Kirche in der EKD und die Verbesserung der allgemeinen Wirtschaftslage führten dazu, dass innerhalb der evangelischen Kirchen ein Ausgangspunkt gesehen wurde, von dem aus eine weitere Expansion stattfinden würde: Waren die während der NS-Zeit geschwächten kirchlichen Strukturen wieder repariert und neu gestaltet, sollte in den Augen der Kirchenoberen die Kirche in der Zukunft eine größere Rolle in der Öffentlichkeit spielen als zuvor. In den Jahren der Weimarer Republik oder dann auch in der NSZeit hatte sich die Kirche aus dem gesellschaftlichen Leben vornehmlich herausgehalten. Das sollte nun geändert werden, las man doch aus dem Erstarken der Kirchen geradezu eine Bestätigung des kirchlichen Auftrags heraus. Die Gesellschaft sollte durch den Einfluss der Kirchen verändert werden: sie sollte wieder christlich werden. Die Rechristianisierungserwartungen innerhalb der evangelischen Kirche hat Martin Greschat untersucht:

50 Wolf-Dieter Hauschild, Die Kirchenversammlung von Treysa 1945, in: Vorlagen 32/33 (1985), S. 5–37, hier S. 11f. 51 Seidel, „Neubeginn“ in der, 1989, S. 79.

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„Aus dem Wissen um die Wahrheit Gottes erwuchs bei den kirchlichen Eliten der Wille, auf dieser Grundlage nicht nur das persönliche Leben des einzelnen Christen zu gestalten, sondern ebenso dasjenige der Gemeinden, der Kirche und schließlich der gesamten Gesellschaft. In der Forderung der Umkehr des Volkes zu Gott wurde diese Vorstellung zusammengefasst. Sie erschien als die zwingende Konsequenz aus dem, was man erlebt hatte: Nur die Beugung des Menschen und der gesamten Bevölkerung unter seine Ordnungen und Gebote bot jetzt noch eine Alternative. Dabei existierten nach der Überzeugung der kirchlichen Eliten gegenwärtig in Deutschland die besten Voraussetzungen, um die nominell christliche Bevölkerung wirklich mit dem Geist des Christentums zu durchdringen. In diesem Sinn war dann von der Rechristianisierung des deutschen Volkes die Rede: Jeder einzelne Deutsche und alle zusammen sollten einsehen, daß sämtliche Ideologien und alle darauf basierenden irdischen Werte und Ideale offenkundig zerbrochen seien, während die Kirche und das Christentum unübersehbar weiter bestanden.“52

Generell schien eine Aufbruchsstimmung vorzuherrschen, die, bestimmt von dem Eindruck, dass nun die alte NS-Zeit sich als überkommen erwiesen hatte und nun das Zeitalter der Kirche anbrechen würde, sich der dialektischen Auffassung verstand, dass entweder eine Christianisierung der Gesellschaft anstehe oder die totale Säkularisierung sich durchsetzen würde.53 Die privilegierte Situation der Kirchen verführte in der Nachkriegszeit manch kirchlichen Repräsentanten dazu, die eigenen Kräfte maßlos zu überschätzen und zu unrealistischen und illusionären Zielsetzungen hinsichtlich einer vollständigen Rechristianisierung Deutschlands zu kommen.54 Geradezu beispielhaft für Selbstverständnis und Wahrnehmung der eigenen Position zur damaligen Zeit kann man eine Rede von Martin Niemöller betrachten. Auf dem Gründungstreffen in Treysa spricht er zur neuen Stellung der Kirche in der Gesellschaft, wie diese in Zukunft ihren Platz in der Öffentlichkeit einnehmen müsse. „Unser Volk wartet auf Wegweisung, die Völker warten auf die Stimme der Kirche in Deutschland, weil alle wissen: es geht nun darum, daß Neues werde und daß die Kirche, die allein noch etwas in dieser Richtung sagen und beginnen könnte, ihren Mund auftut.“55

Es ist nicht übertrieben, wenn man davon ausgeht, dass der Anspruch, nur die Kirche könne noch Sinnvolles für die Gemeinschaft leisten, ernst gemeint war. Das Volk war durch die Nationalsozialisten verwirrt worden (eine Erklärungsfigur, die noch einige Zeit Verwendung finden sollte, um nicht zu deutlich die eigene Schuld 52 53 54 55

Greschat, Christenheit, 2002, S. 310. Siehe hierzu auch die Nachweise bei ebenda, S. 310f. Vgl. ebenda, S. 313–314. Abgedruckt bei Joachim Beckmann, Neuordnung und Wiederaufbau der evangelischen Kirche in Deutschland 1945–1948, in: Joachim Beckmann (Hrsg.), Kirchliches Jahrbuch für die Evangelische Kirche in Deutschland. 1945–1948, Gütersloh 1950, S. 1–107, hier S. 15.

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bekennen zu müssen) und sucht nun neue, diesmal aber verlässliche Führung. Und diese sollte von der Kirche kommen. Sie bereitete sich darauf vor, in Zukunft Wegweisung zu geben, moralisch wie auch politisch Einfluss zu nehmen.56 2.2.2 Ausbildung einer konsequenten Öffentlichkeitsarbeit in der EKD Die EKD hat seit Einsetzung eines „Rates der EKD“ 194557 und ihrer weitergehenden institutionellen Verfasstheit durch Verabschiedung der Grundordnung durch die versammelten Bevollmächtigten auf der Kirchenversammlung in Eisenach 1948 die öffentliche Vertretung der evangelischen Kirchen in Deutschland gegenüber anderen Institutionen und der Politik übernommen.58 Bereits auf dem Gründungstreffen der EKD, also dem Treffen der kirchlichen Vertreter im August 1945 in Treysa, wurde aufgrund des eigenen moralischen Führungsanspruchs schon sehr früh eine konsequente öffentliche Kommunikationsstrategie beschlossen, der die EKD dann auch folgte. In Zukunft sollte die Kirche stärker auf die Gesellschaft einwirken als zuvor. Die in Treysa sich versammelnden Kirchenvertreter hatten sich nach diversen Diskussionen letztlich auf das anschließend veröffentlichte Dokument „Das Wort der Kirchenversammlung von Treysa über die Verantwortung der Kirche für das öffentliche Leben“ geeinigt.59 Darin wurde eine konsequente Lobbyarbeit beschlossen, die das Handeln von Protestanten öffentlicher machen und die EKD als Sprecher der Kirchen sichtbarer machen sollte. Das zukünftige Vorgehen sollte sich auf zwei Säulen stützen: Einerseits auf individuell sichtbar-agierende Protestanten (2.2.2.1), andererseits auf Veröffentlichungen der EKDKirchenleitung und ihrer Kammern (2.2.2.2).60

56 Auf politischer Ebene stärkte dieses Verhalten die neu gegründete CDU, wie Oppeland festhält: „Das Christentum schien in der damaligen Lage vielen Menschen, die sich nicht zum sozialistischen Lager zählten, das einzige nicht diskreditierte Fundament zu bieten.“ Oppeland, Politik, 2000, in: Sauer (Hrsg.), Sauer, Katholiken und Protestanten, 2000, S. 35f. 57 Siehe hierzu Wolf-Dieter Hauschild, Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 2 1999, S. 1713–1717. 58 Vgl. hierzu u.A. die Beschreibung und Quellen in Joachim Beckmann, Neuordnung und Wiederaufbau der evangelischen Kirche in Deutschland 1945–1948, in: KJ 1950, Bd. 2, Gütersloh 1950, S. 1–316. 59 Abgedruckt in Kirchenkonferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kundgebung zur Verantwortung, 1959, in: Merzyn (Hrsg.), Kundgebungen, 1959. 60 In einem Bericht der Kammer für publizistische Arbeit in der EKiD hält Bischof Lilje 1955 in der Rückschau auf die bisher geleistete Arbeit fest: „Eine bewußte Öffentlichkeitsarbeit der Kirche in der Presse, Rundfunk und Fernsehen ist in ihrer Breitenwirkung kaum zu überschätzen. Sie wirkt bis in die Gesetzgebung, die Parlamente, die Erziehung und in die Schulen hinein. Was in der sorgfältigen Arbeit der Evangelischen Akademien oder in dem breitangelegten missionarischen Vorstoß der Kirchentage geschieht, kann von der publizistischen Arbeit der Kirche gar nicht getrennt werden; hier findet es Vorbereitung, Bestätigung und Ergänzung.“ Hans Lilje, Die Publizistische Verantwortung der Kirche. Bericht 1949–1955 der Kammer für publizistische Arbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland 1955, S. 8.

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2.2.2.1 Sichtbare Protestanten Nicht nur in den Gremien der öffentlichen Verwaltungen, sondern auch in jeder Partei sollten Laien sich für die „Wahrung der christlichen Lebensordnung“ engagieren.61 Selbst sollte die Kirche dabei aber nicht Partei werden; auch wenn sich eine politische Partei, die sich auf christliche Grundsätze verpflichten würde, gründete, könne sie diese zwar wohlwollend aufnehmen, aber keine direkte Unterstützung leisten.62 Die Beeinflussung der Politik sollte damit eben nicht institutionell an die Kirche – und damit ja auch an die Kirchenleitung – rückgebunden werden, sondern durch individuelle protestantische Personen erfolgen. Um solche protestantischen Laien in die Gremien und Parteien einzuschleusen, müsse man sie jedoch auch inhaltlich befähigen, wozu ein didaktisches Programm erstellt wurde. In Laienarbeitskreisen sollten diese Laien versammelt werden, um ihre christlichprotestantische Sachkunde zu stärken. Man sei, so war man der Auffassung, gerade auf die Laien angewiesen, da diese auch fachlich im öffentlichen Leben die christlichen Belange vertreten können: Nicht aus theologischer Warte, sondern weil man sich von den Laien Kompetenz gerade in den praktischen Lebensfragen erhoffte. Auch publizistisch müsse man geschickter vorgehen als zuvor. Der „christliche Geist“ müsse in die Presse eindringen. Man war sich einig, dass sich Christen stärker als zuvor in der Öffentlichkeit zur Gestaltung des öffentlichen Lebens engagieren müssten.63 Ein wichtiger Schritt im bundesdeutschen Protestantismus stellt dann die Gründung der Akademien dar, auf die hier leider weniger eingegangen werden kann.64 Feststeht, dass damit dezidiert ein Ort geschaffen wurde, um Kontakt zu den Laien herzustellen, die dann in der Gesellschaft das Christentum vertreten könnten. Aber auch der Situationsbezug christlicher Verkündigung sollte neu entwickelt, die soziale und politische Verantwortung des Glaubens öffentlich wahrgenommen und der Kontakt zu Gruppen und Personen, die sich der Kirche entfremdet hatten, gesucht werden. Die Akademien sollten darüber hinaus Ort des

61 Kirchenkonferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kundgebung zur Verantwortung, 1959, in: Kundgebungen, 1959, S. 3–4. 62 Im Abschnitt Nr. 6 wurde daher festgehalten: „Die Kirche ist ihrem Wesen nach nie Partei, sondern tut ihren Dienst an allen politischen und sozialen Gruppen mit gleicher Liebe. Sie darf sich weder mit den Zielen und dem taktischen Vorgehen einer einzigen Partei gleichsetzen, noch vollends sich von den Interessen einer Partei überhaupt bestimmen lassen.“ Abgedruckt in ebenda, S. 4. 63 Siehe hierzu Hauschild, Kirchenversammlung, 1985, S. 32–33. 64 Einen Vorschlag zur Akademiegründung legt Thielicke bereits 1943 vor. Helmut Thielicke, Communio sanctorum. Denkschrift vom Oktober 1942 zur Planung einer Evangelischen Akademie, in: Hermann Boventer (Hrsg.), Evangelische und katholische Akademien. Gründerzeit und Auftrag heute, Paderborn 1983, S. 32–34. Weitere Literatur zur Erforschung der Akademien findet sich Rulf J. Treidel, Evangelische Akademien im Nachkriegsdeutschland. Gesellschaftspolitisches Engagement in kirchlicher Öffentlichkeitsverantwortung 2001. Und Thomas Mittmann, Kirchliche Akademien in der Bundesrepublik. Gesellschaftliche, politische und religiöse Selbstverortungen, Göttingen 2011.

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betroffenen Nachdenkens über den Krieg werden sowie über die Aufgaben des kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Handelns öffentlich nachdenken.65 Das Augenmerk fiel damit auch auf die einzelnen Individuen, die insgesamt ab den 1960er Jahren stärker in den Blick genommen werden sollten, als sie zuvor nur als Kollektiv wahrgenommen wurden. Es wurde überlegt, „welchen Beitrag die einzelnen Christen und die ganze Kirche zur geistigen Erneuerung unseres Volkes und zu einer neuen inneren Ordnung unserer Gesellschaft leisten können.“66 Abgesehen von der politischen Einmischung wurde auch das soziale Engagement der Kirchen gesteigert. Die Diakonie wurde massiv ausgeweitet und so ein sichtbarer christlicher Teil in der Gesellschaft. Interessant erscheint dabei, dass dies in der medialen Öffentlichkeit kaum reflektiert wurde.67 2.2.2.2 Das kirchliche „Wort“ „In Erfüllung ihrer Aufgaben kann die Evangelische Kirche in Deutschland Ansprachen und Kundgebungen ergehen lassen, die leitenden Stellen der Gliedkirchen zu Besprechungen versammeln und von ihnen Auskunft oder Stellungnahme einholen.“68

So lautet die rechtliche Grundlage der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland, die Veröffentlichungen der EKD legitimiert und auf der bereits erwähnten Versammlung in Treysa beschlossen wurde. Zwecks Wahrnehmung dieses Auftrages hat sie diverse Veröffentlichungen getätigt und sich in vielen gesellschaftspolitischen Debatten zum Anwalt des protestantischen Christentums gemacht. Am Anfang der Publikationsstätigkeit der EKD war das „Wort“ oder die „Kundgebung“ vorherrschendes Publikationsmedium.69 In der Zeit von 1945 bis 1966 hat sich die Evangelische Kirche in Deutschland mit 124 „Worten“ an die Öffentlichkeit gerichtet. Über die Hälfte davon erschienen dabei in der zweiten Hälfte der 50er Jahre. In der direkten Nachkriegszeit bestimmten dabei inhaltlich die unmittelbaren Fragen der Kriegsfolgen die behandelten Themen, zu denen sich der Rat der 65 Vgl. Der Auftrag Evangelischer Akademien. Ein Memorandum, Bad Boll 1979, S. 15. 66 Eberhard Müller, Der Auftrag der Evangelischen Akademien, in: Werner Haehnle/Paul Rieger/Hans Weißgerber (Hrsg.), Evangelische Akademien in der Bundesrepublik Deutschland, Bad Boll 1965, S. 9–16, hier S. 9. 67 „Die historisch einmalige Ausweitung des sozialen Protestantismus und Katholizismus, die sich vor allem an der bis dato beispiellosen Expansion von Diakonie und Caritas ablesen lässt, blieb […] in der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt.“ Nicolai Hannig, Die Religion der Öffentlichkeit. Kirche, Religion und Medien in der Bundesrepublik 1945–1980, Göttingen 2010, S. 19. 68 Siehe Art. 20 Abs. 1 der Grundordnung der EKD: Evangelische Kirche Deutschland, Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland, S. Art.20 Abs. 1. 69 Abgedruckt finden sich diese für den Zeitraum von 1945–1954 in: Günter Heidtmann (Hrsg.), Hat die Kirche geschwiegen? Das öffentliche Wort der Evangelischen Kirche aus den Jahren 1945 – 1954, Berlin 1954.

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EKD zu Äußerungen genötigt sah. Hauptsächlich wurden Themen der deutschen Einheit und der Wiedervereinigung in den Veröffentlichungen aufgegriffen.70 Wolfgang Huber, der die Öffentlichkeitsstruktur der Kirche untersucht hat, beschreibt mit der nüchternen Aufzählung der Inhalte der „Kirchlichen Worte“ implizit die mangelnde inhaltliche Ausrichtung der „Worte“: „Man hat errechnet, dass von 124 ‚Worten‘ der EKD zwischen 1945 und 1966 23, also ein Fünftel, der deutschen Spaltung und der Wiedervereinigung gewidmet sind; 24 beziehen sich auf die politischen Verhältnisse der ‚Ostzone‘– von den Landtagswahlen im Herbst 1946 bis hin zu den Methoden bei der Sozialisierung der Landwirtschaft. Eine weitere Gruppe von 14 Worten gilt dem Problem des Friedens und der Wiederaufrüstung, der Atomfrage und der Obrigkeitsdebatte. Daneben steht eine Vielzahl von Worten zu anderen politischen Themen, die ausgehend von der Aufforderung zur Einsicht in die Schuld am deutschen Zusammenbruch, zu Buße und zu Neuanfang sich Einzelfragen des politischen ‚Wiederaufbaus‘ zuwenden. Speziell kirchliche Themen behandeln nur 15 Worte.“71

Es ist also festzustellen, dass die kirchlichen Äußerungen sich vornehmlich dem politischen Leben der Nachkriegszeit zugewendet haben, während die kirchlichen Worte weniger genutzt wurden, um innerkirchliche Klärung herbeizuführen.72 Den „kirchlichen Worten“ hafteten ab den 1950er Jahren zwei immer größer werdende Problempunkte an, die erst aus der heutigen Rückschau deutlich werden. Äußere und innere Kommunikationsform waren zunehmend nicht mehr zeitgemäß: a.) Der Kommunikationsstil der „kirchlichen Worte“ passte zunehmend weniger in die Zeit und b.) die behandelten Fragestellungen wurden durch die komplexer werdenden Lebenssituationen immer unübersichtlicher.

70 „In einer Liste von 124 ‚Worten‘ der Evangelischen Kirche in Deutschland […] sind insgesamt 61, also knapp die Hälfte […] dem gesamtdeutschen Thema zugewandt. Den anderen großen Block der ‚Worte‘ bildet den Ruf zur Einsicht in die Schuld, zur Buße, Vergebung, Neuanfang aus Vertrauen auf Gott.“ Karl-Alfred Odin, Die Denkschriften der EKD. Texte und Kommentar, Neukirchen-Vluyn 1966, S. 13. Vgl. auch Huber, Kirche und Öffentlichkeit, 1973, S. 580. Überdies ist festzuhalten, dass sich keine Publikationen finden, die auf eine Zusammenarbeit der beiden großen Kirchen schließen lassen. Weder inhaltliche Absprachen zu gesellschaftlich relevanten Themen wurden schriftlich fixiert, noch wurden gar gemeinsame Veröffentlichung erstellt. 71 ebenda. 72 Der Einfachheit halber sind die vielen seit 1945 getätigten Veröffentlichungen im Folgenden unter dem Begriff „kirchliche Worte“ zusammengefasst. Obwohl das „kirchliche Wort“ die meist genutzte Form war, sticht die Diversität der Textgattungen hervor, unter denen sich jedoch kein Muster, welches zu ihrer Benennung geführt haben könnte, ablesen lässt. Es finden sich unter anderem „Ansprachen“, „Schreiben, „Hirtenbriefe“, „Kanzelerklärungen“, „Aufrufe“, „Rufe“, „Botschaften“, „Briefe“, „Entschließungen“, „Worte“, „Kundgebungen“, „Handreichungen“, „Orientierungshilfen“ und schließlich „Denkschriften“.

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a) Zum Kommunikationsstil Die kirchlichen „Worte“ waren inhaltlich wie formell zumeist ähnlich aufgebaut: Ein aktueller politischer Vorgang wurde zum Anlass genommen, diesen kurz zu erklären und anschließend die kirchliche Sicht dazu darzustellen. Wie diese Sicht zustande gekommen war, blieb dabei unbehandelt; dass eine protestantische Stimme immer nur eine von mehreren Möglichen ist, blieb unberücksichtigt. Ein durchschnittliches „Wort“ hatte die Länge einer Din A5 Seite, was allein platztechnisch wenig Raum für Komplexes bietet. Vornehmlich muteten den kirchlichen Worten, die maßgeblich bis 1958 vom Rat der EKD veröffentlicht wurden, ein pastoraler, ja fast kirchenamtlicher Charakter an, der die Leser zur Annahme bewegen wollte, indem an das Bekenntnis zur Kirche angeknüpft wurde.73 Martin Greschat sieht einen Zusammenhang zwischen der Form der kirchlichen Äußerungen und dem Selbstverständnis der Kirche mit ihrem moralischen Führungsanspruch: „Die Konzentration aller dieser kirchlichen Äußerungen auf die Haltung und Einstellung des Einzelnen wird freilich erst wirklich verständlich, wenn man sie im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Leitbild der evangelischen Kirche in jener Zeit sieht. Dieses läßt sich als Programm der ‚Rechristianisierung‘ bzw. der Aufrichtung und Durchsetzung einer umfassenden christlichen Gesellschaftsordnung umreißen. […] Jenes Rechristianisierungsprogramm zehrte in einem erheblichen Ausmaß von der Tradition des alten Obrigkeitsstaates und einer dementsprechend gegliederten Gesellschaft, wo Staat und Kirche zusammen die Untertanen regierten.“74

Anstatt verschiedene Argumente gegeneinander abzuwägen, wurden in den Stellungnahmen eher „die kirchlichen Standpunkte“ veröffentlicht. b) Zu den komplexer werdenden Fragestellungen Die „kirchlichen Worte“ wendeten sich dem politischen Leben zu, wie etwa dem Umgang mit der deutschen Spaltung, den Verhältnissen in Mitteldeutschland oder der Diskussion um die atomare Wiederbewaffnung. Zu den Fragestellungen der unmittelbaren Nachkriegszeit gesellten sich jedoch ab den frühen 60er Jahren u.a. durch den Wirtschaftsaufschwung und der Feminismusdebatte andere gesellschaftspolitische Themen, denen die EKD durch kirchliche „Worte“ nicht mehr gerecht werden konn-

73 Vgl. ebenda, S. 581. Schärfer interpretiert Odin: „[Es] atmet aus dem kirchlichen Wort zu öffentlichen Fragen noch etwas von dem Geist der obrigkeitlichen Kundmachung an das Volk […].“ Odin, Denkschriften, 1966, S. 6. Eine Auswahl der wichtigsten veröffentlichten „Worte“ von 1945 bis 1954, also der Hochzeit dieser Textgattung, findet sich in: Heidtmann, Kirche, 1954. Vollständig abgedruckt sind diese in den beiden Bänden: Friedrich Merzyn (Hrsg.), Kundgebungen. Worte und Erklärungen der Evangelischen Kirche in Deutschland 1945–1959, Hannover 1993. und Joachim E. Christoph (Hrsg.), Kundgebungen. Worte Erklärungen und Dokumente der Evangelischen Kirche in Deutschland 1945–1969, Hannover 1994. 74 Martin Greschat, Die Evangelische Kirche, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Die Bundesrepublik Deutschland. Geschichte in 3 Bd, Bd. 2, Frankfurt am Main 1983, S. 265–296, hier S. 273.

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te.75 Die zunehmend komplexer werdenden Fragestellungen forderten komplexere Antworten, diese konnten durch die Ratsmitglieder der EKD jedoch zunehmend weniger adäquat gegeben werden.76 So wurden die Veröffentlichungen zunehmend infrage gestellt, da strittig war, inwiefern die Ratsmitglieder überhaupt kompetent waren, zu den Themen Stellung zu nehmen. Da keine Transparenz hinsichtlich der Entscheidungswege bestand, die zu ihrer Entstehung geführt hatten, wurde die Wahrnehmung der kirchlichen Worte als veraltetes Medium noch verstärkt. Es war unklar, ob die Autoren der Publikationen, die ja allesamt eine theologische Ausbildung besaßen, überhaupt über die entsprechende Sachkenntnis verfügten, um sich qualifiziert zu den immer komplexer werdenden Fragen, wie der atomaren Nachrüstung oder der Neuausrichtung des Wirtschaftssystems zu äußern. Immer mehr verhallten die kirchlichen „Worte“ in der Öffentlichkeit. Der Kirchenredakteur der FAZ und frühe Sammler und Herausgeber der Denkschriften der EKD, Alfred Odin, fasst 1966 die sich abzeichnende Entwicklung der kirchlichen Publizistik in seinem Vorwort zur Textsammlung der Denkschriften der EKD kritisch zusammen: „Über die Autorität [einer Aussage (Anm. OG)] entscheidet nicht die rechtliche Vollmacht des Urhebers, sondern allein die innere Kraft des „Wortes“. Es ist darum nicht zu verwundern, daß die meisten „Worte“ des Rates und der Kirchenkonferenz der EKD in der Zeit innerer Bewegung in der evangelischen Kirche in Deutschland geschrieben wurden, als die Kirche etwas zu sagen wusste. […] Seitdem ist es stiller geworden. Nach 1958 hat der Rat der EKD nur noch acht „Worte“ und öffentliche Stellungnahmen herausgebracht: 1961 und 1963 je zwei, 1964 drei und 1965 eine.“77

Odin beschreibt seinerzeit damit die abnehmende Zahl der „Worte“ als Zeichen eines abnehmenden und schwächer werdenden Einflusses der EKD. Er sieht einerseits richtig, dass die „Worte“ an Einfluss verloren, berücksichtigt jedoch nicht, dass sich bereits ab 1962 eine andere Form kirchlicher Kommunikation Bahn brach: die Denkschriften der EKD.

75 Fast vollständig abgedruckt sind die kirchlichen Worte in: Christoph, Kundgebungen, 1994. 76 Ähnlich urteilt Greschat: „Verlautbarungen zu praktisch sämtlichen brennenden Themen der Nachkriegszeit, bis hin zu Fragen der Bodenreform oder der wirtschaftlichen Neuordnung. Durchmustert man diese Aussagen, mutet ihr konstruktiver Beitrag allerdings recht bescheiden an. Am guten Willen mangelte es sicher nicht – wohl aber an Sachkenntnis. Man analysierte nicht, sondern proklamierte.“ Greschat, Die Evangelische Kirche, 1983, in: Benz (Hrsg.), Benz, Die Bundesrepublik Deutschland, 1983, S. 272. 77 Odin, Denkschriften, 1966, S. 14.

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2.2.3 Weiterentwicklung des „Wortes“ zur „Denkschrift“ 2.2.3.1 Entstehung der Denkschriften In den 1960er Jahren gelingt es der evangelischen Kirche, eine moderne Form der öffentlichen Kommunikation zu entwickeln und in den eigenen Strukturen zu etablieren. Sowohl der Kommunikationsstil als auch die strukturelle Vorgehensweise in der öffentlichen Kommunikation wurden an die Gegebenheiten einer modernen Gesellschaft angepasst. Dies wurde auch im Titel der kirchlichen Schriften deutlich, indem man an eine frühere Form der kirchlichen Kommunikation aufnahm und fortan keine „Worte“ mehr publizierte, sondern „Denkschriften.“78 Diese „Denkschriften“ zeichnen sich durch ihren argumentativen Stil aus, der verschiedene Standpunkte einer Problematik darlegt und trotzdem eine theologische Sichtweise entwickelt. Schon 1959 kam mit den „Heidelberger Thesen“, einem Versuch, die Diskussion zwischen Pazifisten und Befürworten der Abschreckungspolitik zu ermöglichen, und dem „Tübinger Memorandum“ von 1961, welches eine Privatschrift einiger protestantischer Intellektueller war und die Atom- und Ostpolitik der Bundesregierung betraf, eine andere Form der öffentlichen Diskussion auf.79 Diese Texte formten nicht nur semantisch, sondern auch inhaltlich einen neuen Stil. Indem Abstand vom pastoralen Ton der kirchenamtlichen Verlautbarungen genommen wurde, war durch die thesenartige Schreibweise der beiden oben angeführten Texte eine andere Sachlichkeit eingeführt.80 Diese Textformen bilden die Vorläufer der seit 1962 die kirchliche Öffentlichkeit prägenden Denkschriften. Der kommunikative Wandel, der durch die Denkschriften in den kirchlichen Stellungnahmen Einzug gefunden hat, erklärt sich rückblickend in der Zusammensicht verschiedener Punkte: 1.) Die komplexer gewordenen Fragestellungen benötigten ein anderes publizistisches Format, um in der durch den zeitgeschichtlichen Wandel sich veränderten Diskussionskultur adäquat als Antwort bestehen und wahrgenommen werden zu können. 2.) Sowohl in den kirchlichen Gremien als auch in den Gemeinden hatte sich ein Personenwechsel vollzogen, der eine veränderte Einstellung zur Kirche und ihrem Umgang mit der Gemeinde zur Folge hatte. 3.) Der allgemeine Wandel der Medienwelt zog auch Veränderungen in der kirchlichen Publizistik nach sich. 78 Mit dem Namen „Denkschrift“ knüpfte man bewusst an die „Denkschrift der zweiten vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 28. Mai 1936“ an, in der im einzelnen die Ausschaltung der Kirche und im generellen die staatliche Kirchenpolitik im Nationalsozialismus stark kritisiert wurde. Die Denkschrift ist abgedruckt in Martin Greschat (Hrsg.), Zwischen Widerspruch und Widerstand. Texte zur Denkschrift der Bekennenden Kirche an Hitler (1936), München 1987, S. 152–160. Siehe auch die weiterführenden Beiträge im Band. 79 Siehe hier Huber, der diese beiden nicht kirchenamtlichen Dokumente als Vorläufer der Denkschriften betrachtet. Huber, Kirche und Öffentlichkeit, 1973, S. 881. 80 Vgl. ebenda, S. 581.

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1.) Ein verändertes publizistisches Format Die evangelische Kirche sah sich in den 1960er Jahren Fragen gegenübergestellt, denen sie mit einfachen Antworten nicht mehr begegnen konnte. Diese Fragen waren z.B. der Umgang mit der friedlich genutzten Kernenergie oder ob und wie man Frauen besser in der Arbeitswelt beheimaten kann. Es wurde deutlich, dass einfache Antworten die Kirchenglieder nicht mehr zufriedenstellten. Die Loslösung von der Kommunikationsform „Wort“ erfolgte also als Reaktion auf den zeitgeschichtlichen Wandel insofern, als dass die Kirchenvertreter bemerkten, dass durch die alten Kommunikationsstrukturen keine enge Bindung mehr an die Kirchenglieder erreicht wurde.81 Die Kirchenglieder wollten von der Institution eine Bewertung der sich stellenden Fragen vorgenommen wissen, die sich auch zuvor in die Debatten eingemischt hatte. Karl-Alfred Odin beschreibt den Wandel folgendermaßen: „Das neu aufgebrochene Fragen nötigt die Kirche, von Kanzel, Altar und den Emporen der Obrigkeit zu den Menschen herunterzusteigen. Sie muss sich Fragen zu den vielfältigsten Sachgebieten anhören. Der Maßstab für die Antworten ist nicht, dass sie fromm, sondern dass sie sachgerecht sind. Schnelle Antworten sind damit 82 ausgeschlossen.“

Allein im Umfang wuchsen die Denkschriften um ein Vielfaches an, denn es ist verständlich, dass allein die Darstellung der in den Denkschriften behandelten Problemstellungen nicht mit wenigen Sätzen erfolgen konnte. Die Darstellung der Probleme wurde zudem nicht mehr allein aus einer Perspektive vorgenommen, sondern es wurde versucht, sich möglichst aller relevanten Sichtweisen eines Problems anzunehmen. Vermehrt wurden also Sachargumente in die Denkschriften aufgenommen, die die kirchlichen Bewertungen erklärten. Gegenüber den „Worten“, die gar nicht argumentativ vorgingen, ist damit ein deutlicher Unterschied zu bemerken. Das Neue am Typus „Denkschrift“ war zudem, dass die Kammern der EKD vermehrt in den Vordergrund traten. Die Kammern, die sich zuvor auf eine Beratung des Rates beschränkt hatten, wurden nun selbst zu Autoren der Denkschriften. Anschließend machte sich in den meisten Fällen der Rat die Denkschrift zu eigen. Durch die Beteiligung der jeweilig zuständigen Kammern der EKD trat die „Sachautorität einer Gruppe von Experten tendenziell an die Stelle der Amtsautorität kirchenleitender Gremien.“83 In den Kammern waren eben nicht nur Theologen 81 Odin hält fest: „In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre ist das Wort der evangelischen Kirche in Deutschland zu öffentlichen Angelegenheiten entbehrlich geworden.“ Odin, Denkschriften, 1966, S. 6. 82 ebenda, S. 12–13. Oder auch weiter unten: „Die kirchlichen ‚Worte‘ können diesen Dienst nicht leisten. Sie gehören zu der Sprechweise der Kirche ‚von oben‘, als Autorität, nicht als gleichrangige Gesprächspartnerin, die statt Glaubensgehorsam zu fordern, überzeugende Gründe vorbringen muss. Das kirchliche ‚Wort ist nicht Diskussionsbeitrag sondern Kundmachung‘.“ 83 Huber, Kirche und Öffentlichkeit, 1973, S. 583.

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vertreten, sondern Fachleute aus den entsprechenden Fachgebieten.84 Dies hatte natürlich auch sprachliche Folgen: „ein argumentativer Stil“, so Wolfgang Huber, „löst jedenfalls prinzipiell die bekenntnishaft-pastorale Sprache ab; anstatt zur Annahme von Glaubensüberzeugungen wird zum kritischen Prüfen von Argumenten aufgefordert.“85 Anstatt also eine christliche Position zu proklamieren, die von den evangelischen Christen übernommen werden sollte, wurden die verschiedenen Argumente eines Streitthemas benannt, sachlich betrachtet und Perspektiven aufgezeigt, die im Umgang mit dem Thema möglich waren. Die Denkschriften wurden dann vornehmlich als ein Diskussionsbeitrag unter anderen verstanden. 2.) Personenwechsel in der Kirche Gleichzeitig mit den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen hatten sich auch die konkreten Akteure kirchlicher Kommunikation verändert.86 Diese waren theologisch anders geprägt als die Vorgängergeneration. Innerhalb des Jahres 1961 traten die sich in kirchlichen Diensten befindlichen Geburtenjahrgänge 1893-1898 in den Ruhestand, also häufig wilhelminisch geprägte Kriegsteilnehmer. Diese machten aber nur bedingt einer inhaltlichen Neuorientierung Platz. „Wesentliche Teile [der Generation (Anm. OG)] waren irgendwie durch den Kirchenkampf 19331945 geprägt worden. Dies wirkte sich in einer Grundorientierung aus, die an einer Offenbarungs-(Wort-Gottes) Theologie und einer Betonung des kirchlichen Propriums ausgerichtet war. Während auch die nachfolgenden Führungsgestalten der Kirche eher eine Kontinuität der kirchlichen Mentalität demonstrierten, gilt diese Feststellung auf Gemeindeebene und Universität kaum.“87 Die auf Leitungsebene inhaltlich eher kontinuitätsorientierten Theologen sahen sich also einer inhaltlich veränderten Gruppe von Kirchenmitgliedern gegenüber. Dass auch die Mitglieder der Kammern eher den nachrückenden Generationen angehörten, führte ebenfalls dazu, dass eine Veränderung in der kirchlichen öffentlichen Kommunikation einsetzte. 3.) Wandel in der Medienwelt Diese Wandlungsprozesse der kirchlichen Kommunikationsform, die von einer „Verlautbarung“, also dem kirchlichen Wort, hin zur argumentativen Form der Denkschriften führten, sind auf dem Hintergrund des generellen Wandels der Medienwelt zu betrachten. Nicolai Hannig, der den Wandel in der Medienwelt und im 84 In der Besetzung der Kammern, die den Rat der EKD beraten sollten, wurde zunehmend die Partizipation von Akademikern oder anders fachlich qualifizierten protestantischen Persönlichkeiten bedacht. 85 ebenda. 86 In diesem Punkt beziehe ich mich auf die Beobachtungen von Wolf-Dieter Hauschild, Evangelische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1961 und 1979, in: Siegfried Hermle/Claudia Lepp/Harry Oelke (Hrsg.), Umbrüche. Der deutsche Protestantismus und die sozialen Bewegungen in den 1960er und 70er Jahren, Göttingen 2006, S. 51–90, hier S. 61–62. 87 ebenda.

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Religionsjournalismus untersucht hat, extrahiert die durchzogene Entwicklung kirchlicher Stellungnahme, indem er sowohl die technischen Voraussetzungen, aber auch die beginnenden globalen Einflüsse des Journalismus auf den Religionsjournalismus betrachtet.88 Er sieht eine Wechselbeziehung: Die Medien erfahren mit der Entwicklung des Fernsehens einen Umbruch, gleichzeitig geht das Christentum stärker auf die Medien zu. Beispielsweise hätte sich das Zweite Vatikanum auf die Öffentlichkeitsarbeit der katholischen Kirche ausgewirkt, während die evangelischen Kirchen sich zunehmend dem „Dienst an der Welt“ verschrieben und u.a. zahlreiche Bildungsinstitutionen und diakonische Einrichtungen eröffneten.89 Nicolai Hannig beschreibt die Auswirkungen, die die veränderte Medienlandschaft in den 60er Jahren auf die Kirchen und auf die Religion in der westdeutschen Gesellschaft hatte, als religionsjournalistische Umbruchsituation.90 „Insbesondere in der Zeit zwischen 1958 und 1963 […] verdichteten sich die Anzeichen für einen fundamentalen Wandel in der medialen Fremddeutung von Religion und Kirche.“91 Dem Verlust der Deutungshoheit konnte nur entgegengesteuert werden, indem klare und überzeugende Deutungsangebote seitens der Kirchen gemacht wurden. Schließlich müssen noch zwei Beobachtungen angesprochen werden. Zum einen die Adressaten der Denkschriften und die Zusammensetzung der die Denkschriften erstellenden Kammern und zum anderen die durch die Denkschriften erfolgte Abgrenzung zum Katholizismus. Die Adressaten der Denkschriften waren nunmehr nicht nur die Kirchenmitglieder, sondern die ganze die Denkschriften rezipierende gesellschaftliche Öffentlichkeit. Obwohl die Denkschriften sich selbst als unparteiischer Diskussionsbeitrag verstanden, der keinen partikularen Interessen dienen und somit zur Versachlichung der Diskussion beitragen sollte, haftete ihnen doch immer ein Malus an: Sie waren in ihrer textlichen Endgestalt bereits immer selbst Teil eines Kompromisses der in den Kammern vertretenden Mitgliedern und ihren Interessen.92 Dies ist nicht weiter verwunderlich, da in den Kammern der EKD ja bereits darauf geachtet wurde, dass die Zusammensetzung der Mitglieder die breite Gesellschaft repräsentierte, damit keine einseitigen Parteinahmen vonstattengehen konnten. Dadurch aber wurden die Denkschriften hinsichtlich ihrer Positionierung immer auch Ausdruck der in den Kammern vorherrschenden Mehrheitsverhältnisse. 88 Der journalistische Wandel wurde u.A. auch vom Einfluss ausländischer Medienformate beschleunigt: „[Es] etablierte sich eine stärker kritikorientierte Öffentlichkeit, deren Protagonisten an angelsächsische Journalismus-Traditionen anknüpften und sich stärker als gesellschaftliche Kontrollinstanzen verstanden.“ Hannig, Religion, 2010, S. 11. Im nächsten Kapitel wird noch besonders auf den Wandel im Religionsjournalismus Bezug genommen. Die Einflüsse müssen zur Darstellung der Gesamtsicht jedoch hier schon in Auszügen angesprochen werden. 89 Vgl. ebenda, S. 10–11. 90 ebenda, S. 103–145. 91 ebenda, S. 103. 92 Diese Beobachtung entnehme ich Wolfgang Hubers Habilitationsschrift, die zur Standardliteratur der Untersuchungen zur kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit geworden ist: Huber, Kirche und Öffentlichkeit, 1973, S. 590.

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Gleichzeitig wurden so eindeutige Positionierungen verhindert, die manches Kirchenmitglied sich wiederum gewünscht hätte. Dadurch, dass im Felde der protestantischen kirchlichen Kommunikation nun ein offener, diskursiver Stil in den öffentlichen Stellungnahmen gepflegt wurde, konnte sich die evangelische Kirche als Vertreterin einer Konfession positionieren, die augenscheinlich nicht dem moralischen Gehorsam einer Obrigkeit verpflichtet war. Indem die Entwicklung einer eigenen Meinung durch das vorgelebte Abwägen von Argumenten mehr Gewicht bekam, trat auch ein wichtiger Aspekt reformatorischer Lehre wieder in den Vordergrund: das eigene Urteil, das auch selbst zu verantworten war. Damit traf die evangelische Kirche einen Punkt, der ab den 60er Jahren immer wichtiger werden und auch traditionelle Katholiken auf die Probe stellen sollte. Ein eigenes Urteil in ethischen Konflikten zu treffen, wurde letztlich im Streit um den Schwangerschaftsabbruch besonders wichtig.93 Zusammenfassend kann man daher festhalten, dass die Form der kirchlichen Publikationen zeitlich etwas verzögert zu den sich in der westdeutschen Gesellschaft etablierenden Kommunikationsgewohnheiten geändert, ja sogar angepasst wurde.94 Zunächst sollen nun zwei prominente Beispiele der Denkschriften vorgestellt werden, um die Art und Weise der protestantischen Kommunikationskultur aufzuzeigen. 2.2.3.2 Von der Ostdenkschrift bis zur Denkschriften Denkschrift Ob und wie sich die EKD überhaupt zu zeitgeschichtlichen politischen Debatten äußern, sich vielleicht sogar in die Tagespolitik einmischen sollte, ist zu Beginn der 1960er Jahre innerhalb der EKD umstritten gewesen. Die prominent gewordene „Ost-Denkschrift“ ist dafür zum Beispiel geworden, wie eine kirchliche Position auf die Politik und auch auf die gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozesse einwirken kann. Auch heute gilt noch, was Wolfgang Huber bereits feststellte: Die Ostdenk93 Die Leichtigkeit der evangelischen Kirche, Stellungnahmen abgeben zu können und sich ggf. auch von vorherigen Stellungnahmen zu distanzieren, trat in deutlicher Distanz zur katholischen Form kirchlicher Kommunikation. Dies wurde von katholischer Seite auch wahrgenommen: „Eine Stärke der evangelischen Kirche liegt darin, sowohl in theologischen Stellungnahmen wie auch in offiziellen Denkschriften schneller auf eine jeweilige Situation reagieren zu können, als die katholische Kirche dieses vermag mit ihrer stärkeren Rückbindung an größere internationale Zusammenhänge, konkret ihrer Rückbindung an Rom und ihrer stärkeren Bindung an die ihr eigene Tradition, die theologisch in ihr ein anderes Gewicht besitzt als in der evangelischen Kirche.“ Bernhard Fraling, Gemeinsame ethische Probleme, in: Hans Jörg Urban/Harald Wagner (Hrsg.), Handbuch der Ökumenik, Paderborn 1987, S. 179–194, hier S. 191. 94 So wie sich die Kommunikation der Kirche ändert, ändern sich gegen Ende der 60er Jahre die Arbeitsweisen des Kirchentags insofern, dass sich organisatorisch vom „Frontalunterricht“ wie er in Kundgebungen und Vortragsveranstaltungen vorherrschend war, entfernt wird, und zu unterhaltenden Formen übergegangen wurde. Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen mit Partizipationscharakter wurden vermehrt eingeführt. Siehe dazu Harald Schroeter-Wittke, Der Deutsche Evangelische Kirchentag in den 1960er und 70er Jahren – eine soziale Bewegung?, in: Umbrüche, 2006, S. 213–225, hier S. 217.

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schrift ist unter den Denkschriften diejenige, die am meisten Resonanz erfahren hat und daher, wegen der sie umgebenen Diskussion, für eine Verdeutlichung der Denkschriftenkultur besonders geeignet.95 Ins Zentrum medialer Betrachtung stellte sich die EKD 1965 durch die Veröffentlichung der Denkschrift „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis der Deutschen zu ihren östlichen Nachbarn“, die medienwirksam und politisch kontrovers rezipiert wurde. Inhaltlich wägt sie die Probleme im Umgang mit den Vertriebenen und den im Osten verloren gegangenen Gebieten ab und bewertet letztlich die Option, die Ostgebiete evtl. aufzugeben und deren Wiedererlangung nicht weiter anzustreben, als legitim.96 „Die Diskussion aus Anlaß der Vertriebenendenkschrift gewann ihre Schärfe durch den Umstand, daß die Kirche hier nicht im Bereich politischer Neutralität verblieb, sondern, vom Gedanken der Versöhnung ausgehend, bestimmte Gesichtspunkte entwickelte, die festgelegten Verbandsmeinungen und -interessen deutlich entgegen97 standen.“

Obwohl eine Wiedererlangung der Ostgebiete von kaum einer der großen Parteien mehr ernsthaft angestrebt wurde, war ein eventueller Verzicht darauf zuvor nicht öffentlich formuliert worden. Die Vorgeschichte der Denkschrift zeigt bereits, ganz im Gegensatz zum einseitig-postulierenden Ton der Kirchenleitung noch zu Zeiten der 1950er Jahre, wie abwägend und umsichtig in der Positionierung der Kirche vorgegangen wurde: Um ihre Gespräche mit Parteipolitikern reflektierter durchführen zu können, hatten acht protestantische Persönlichkeiten bereits 1961 einen Text verfasst, der intern als „Tübinger Memorandum“ behandelt wurde.98 Dieses Memorandum wurde an den Deutschen Bundestag gerichtet und forderte auf, in der Wiederbewaffnung der Bundeswehr auf Atomwaffen zu verzichten, sowie die von den Besatzungsmächten postulierte Oder-Neiße-Grenze anzuerkennen. Besonders die Passagen, die um die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze handelten, warfen die meisten Diskussionen auf, sodass die EKD im Herbst 1962 beschloss, zu diesen Fragen, also der Frage 95 „Die Vertriebenendenkschrift ist ein Beispiel für eine neue Form öffentlicher Äußerungen der evangelischen Kirche – und zwar das Beispiel das das größte Maß an öffentlicher Resonanz erfahren hat.“ Huber, Kirche und Öffentlichkeit, 1973, S. 381. 96 „Besonders charakteristisch für die Denkschrift ist es, daß sie ein innergesellschaftliches Problem – die Eingliederung der Vertriebenen in die Gesellschaft der Bundesrepublik – mit einem Problem der internationalen Politik – dem Verhältnis Deutschlands zu seinen östlichen Nachbarn – verknüpft.“ ebenda. 97 ebenda, S. 382. 98 Zu den Autoren gehörten Hellmut Becker (Berlin), Joachim Beckmann (Düsseldorf), Klaus von Bismark (Köln), Werner Heisenberg (München), Günter Howe (Heidelberg), Georg Picht (Heidelberg), Ludwig Raiser (Tübingen), Carl Friedrich von Weizsäcker (Hamburg) Vgl. ebenda, S. 389. und Vgl. Martin Greschat, Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn (1965). Eine Einführung, in: Denkschriften 2002.

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über den Umgang mit den im Zweiten Weltkrieg verlorenen deutschen Gebieten und dem künftig zuzuerkennenden Rechtsstatus, öffentlich Stellung nehmen zu müssen.99 Geplant war zunächst eine Veröffentlichung mit dem Arbeitstitel „Recht auf Heimat“. Um nun aber eine Stellungnahme der EKD nicht nur auf diese Gruppe von Autoren zu stützen, da hier eventuell andere kirchenpolitische Stimmen untergehen könnten, wurde die Kammer für öffentliche Verantwortung im Herbst 1963 eingeschaltet und beauftragt, sich der Thematik anzunehmen. Obwohl einige Mitglieder der Kammer z.T. dem Unterzeichnerkreis des Tübinger Memorandum angehörten, war die Diskussion in der Kammer keinesfalls einseitig, da streng darauf geachtet wurde, dass in ihr auch andere kirchenpolitische Stimmen vertreten waren.100 Die Argumentation des Tübinger Memorandum floss trotzdem zu großen Teilen in die Texte der Arbeitsgruppe ein. Während der in der Kammer für öffentliche Verantwortung erfolgten Arbeit gingen die öffentliche und auch die kirchliche Diskussion um die Anerkennung der Ostgebiete weiter. Innerhalb der EKD manifestierten sich zwei gegensätzlichen Überzeugungen, die sowohl theologischer und politischer Natur waren. Beide mündeten in zwei Thesenreihen, die auch Eingang in die Denkschrift fanden.101 Die erste umfasste 19 Sätze und stammte vom Bielefelder Arbeitskreis der Kirchlichen Bruderschaften. Die Verfasser definierten auf dem Boden des Evangeliums „Recht“ im Licht von Nächstenliebe und Versöhnung und so ergab sich für sie zwingend „die Preisgabe des deutschen Anspruchs auf die verlorenen Ostgebiete“.102 Gegen diese Position wandten sich die 17 „Lübecker Thesen“ des Ostkirchenausschusses. Sie bestritten die Möglichkeit, aus dem Evangelium direkte soziale oder politische Folgerungen ableiten zu können. Ihre Antwort lautete dann: Es gebe nicht nur ein gottgewolltes „Recht auf Heimat“, sondern es sei „vom Evangelium her sogar geboten, dass wir gegen eine voreilige Verzichterklärung […] warnend unsere Stimme erheben“.103 In der 1965 schließlich publizierten Denkschrift stellt die Kammer – und dann auch der Rat der EKD – im sechsten Kapitel „Theologische und ethische Erwägungen“ heraus, dass die Theologie zur Frage der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze eher keine direkte Antwort geben könne. Vielmehr würden beide Betrachtungswei-

99 Vgl. Huber, Kirche und Öffentlichkeit, 1973, S. 391. 100 Ludwig Raiser hatte sogar den Vorsitz der Kammer für öffentliche Verantwortung inne, sein Angebot den Vorsitz niederzulegen, wurde jedoch von den Mitgliedern der Kammer und auch vom Rat nicht angenommen, da diese keine Probleme im Hinblick auf die Abfassung einer Stellungnahme sahen. Siehe und vgl. dazu ebenda, S. 392. 101 Vgl. ebenda, S. 393f. 102 Siehe Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD, Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn. Eine evangelische Denkschrift, in: Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1978, S. 81–123, hier S. 116. 103 Siehe ebenda, S. 115. Vgl. dazu auch Greschat, Die Lage der Vertriebenen, in: Denkschriften, 2002.

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sen die Leistungsfähigkeit der Theologie für den politischen Rat und die politische Entscheidung falsch einschätzen. „Die Theologie wird ähnlich wie das Völkerrecht nur einen Teilbeitrag zur Lösung der anstehenden politischen Fragen leisten können. Ihr politisches Mitreden betrifft weniger die Oberschicht der konkreten politischen Entscheidung als vielmehr die Tiefenschicht der inneren Voraussetzungen, des realistischen Urteils und der wirklichen Bereitschaft zur Versöhnung.“104

Beide Positionen hätten demnach zwar gute evangelische Gründe ihrer Positionierung benannt, aber ein eindeutiges Entscheidungskriterium lieferten sie nicht, da die Theologie eben zu einer solchen vom Evangelium losgelösten Frage eher einen Beitrag zur Reflexion der eigenen Positionierung und Meinungsbildung beitragen kann, als eindeutige Antworten zu liefern. Indirekt ist damit das Feld theologischer Ethik benannt, die individuelle Antworten und Positionierungen nicht beurteilt, doch ihren Weg zur Entscheidung untersucht. In der Bundesrepublik leistete die Ostdenkschrift durch die dadurch ausgelösten öffentlichen Diskussionen einen wesentlichen Beitrag zur Durchsetzung der neuen Ostpolitik der sozialliberalen Koalition unter Brandt und Scheel.105 Nicht zuletzt durch die Kontroverse um die Ostdenkschrift angetrieben, inwiefern kirchliche öffentliche Äußerungen auf politische und damit ja auch gesellschaftliche Prozesse einwirken dürfen, setzte gegen Ende der 60er Jahre ein vertief104 Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD, Die Lage der Vertriebenen, 1978, in: Denkschriften, 1978, S. 119. 105 Vgl. Greschat, Die Lage der Vertriebenen, in: Denkschriften, 2002, S. 1–2. Er hat auch die politischen Folgewirkungen der Denkschrift aufgezeigt. Am 7. Dezember 1970, dem Tag der Unterzeichnung des Warschauer Vertrages, der die Normalisierung des Verhältnisses zwischen den beiden Staaten fixierte, erhielt Ludwig Raiser ein Telegramm, welches die politische Wirkkraft der Denkschrift herausstellt: „Verehrter Herr Professor, an diesem Tage erinnere ich mich dankbar der Pionierarbeit, die Sie und Ihre Freunde durch die Denkschrift geleistet haben. Mit herzlichen Grüßen Ihr Willi Brandt.“ Zitiert nach ebenda. Gleichzeitig ebnete die Ostdenkschrift der EKD den Weg zu einem veränderten Demokratieverständnis, wie Antje Roggenkamp-Kaufmann herausarbeitet: „Ähnliche Beobachtungen zum Verhältnis von Protestantismus und Gesellschaft lassen sich auch den kirchlichen Denkschriften entnehmen. Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass sich gerade bei einer genaueren Analyse der zentralen Denkschriften – der Ost-, aber auch der Demokratiedenkschrift der EKD – nicht nur das Verhältnis zwischen Kirche und der sie umgebenden Gesellschaft wandelt, sondern auch die Funktion von Kirche. Während die Ostdenkschrift von 1965 im Sinne eines genitivus subjectivus auf die von Willy Brandt vorangetriebene Ostpolitik einwirkte, setzte die Demokratiedenkschrift von 1985 den Einfluss einer demokratischen Entwicklung der bundesrepublikanischen Gesellschaft sowie eine eigenständige Positionierung der evangelischen Kirche in der alten Bundesrepublik voraus. In diesem Sinne kann die Ostdenkschrift als eine wichtige Etappe auf dem Weg hin zu einem protestantischen Demokratieverständnis bewertet werden, die durch die Einleitung eines faktischen Entspannungs-Prozesses die Abwehr von demokratiefeindlichen Positionen allererst ermöglichte.“ Antje Roggenkamp-Kaufmann, Foren der Politisierung des Protestantismus. Zur Einführung, in: Die Politisierung des Protestantismus. Entwicklungen in der Bundesrepublik während der 1960er und 70er Jahre, Göttingen 2011, S. 57–60, hier S. 58.

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tes Nachdenken über die Aufgaben und Grenzen kirchlicher Äußerungen zu gesellschaftlichen Fragen in der EKD ein, das 1970 in eine gleichnamige Denkschrift mündete.106 Diese im Volksmund daher auch „Denkschriften-Denkschrift“ genannte Publikation der Kammer für öffentliche Verantwortung geht im Grunde der systematischen Frage nach, inwiefern die „Zwei-Reiche-Lehre einerseits (und) die Lehre von der Königsherrschaft Christi andererseits“ im Hinblick auf die Verständigung politisch-ethischer Grundaussagen vereinbar seien.107 Sie befragt also die Kirche nach Ihren Befugnissen und Aufgaben.108 Im Vorwort zur Denkschrift fasst der damalige stellvertretende Vorsitzende des Rates der EKD, Kurt Scharf, zusammen: „Kaum jemand bestreitet, daß es in besonderen Fällen eine Aufgabe der Kirche ist, das Gewissen eines Volkes wachzurufen. Niemand in der Kirche behauptet, daß der Kirche eine Entscheidungsbefugnis in öffentlichen Angelegenheiten zukommt oder daß sie zu jeder öffentlichen Angelegenheit ihre Stimme erheben soll. Wie aber sind Ziel und Grenze, Zeitpunkt und Vollmacht eines kirchlichen Redens zu gesellschaftlich bedeutsamen Fragen zu beurteilen? Wer ist dabei der Redende? Wer sind die jeweils Angesprochenen?“109

Damit sind die wesentlichen Fragen benannt, denen im Selbstklärungsprozess nachgekommen werden musste. Der Frage „Wer spricht“ kommt in Kapitel zwei der Denkschrift eine Antwort zu, die gleichzeitig das Reden als „kirchliches“ ausweist, wenn es dem Inhalt kirchlich, und nicht dem Amte nach einer kirchlichen Institution zugeordnet werden kann: 106 Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD, Aufgaben und Grenzen kirchlicher Äußerungen zu gesellschaftlichen Fragen (1970). Eine Denkschrift der Kammer für soziale Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1978, S. 45–76. 107 Wolfgang Huber, Aufgaben und Grenzen kirchlicher Äußerungen zu gesellschaftlichen Fragen (1970). Einführung, in: Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland 1962–2002. Hannover 2002, hier S. 1. 108 Diese Debatte, inwiefern Kirche Akteur in den beiden Reichen sein kann, oder ob nicht die Königsherrschaft Christi in den Vordergrund kirchlichen Selbstverständnisses treten sollte, kann hier nicht geführt werden. Verwiesen sei weiterführend auf die Position von Ernst-Wilhelm Wendebourg, Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Lehre von den zwei Reichen. Die theologischen Grundsatzüberlegungen der sozialethischen Denkschriften und Voten der EKD aus den Jahren 1962 bis 1990 im Spiegel der reformatorischen Unterscheidung der zwei Regimente, Neuendettelsau 1994. Siehe besonders S. 7: Hier wird die Position vertreten, dass Kirche sich eher zurückhalten müsse im politischen Diskurs. Siehe gegenteilig argumentierend die Position Raisers in: Ludwig Raiser, Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland als Wahrnehmung des Öffentlichkeitsauftrages der Kirche, in: Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland, 1/1, Gütersloh 1978, S. 7–39. S. 25. 109 Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD, Aufgaben und Grenzen, 1978, in: Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland, Denkschriften, 1978, S. 45.

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„Für legitimes kirchliches Reden ist immer entscheidend, daß in ihm der Auftrag der Kirche, die Verkündigung des Willens Gottes in der jeweiligen Zeit zum Ausdruck kommt. Die geistliche Legitimität kirchlichen Redens kann deswegen nicht in erster Linie von der verbandsrechtlichen Bevollmächtigung der Redenden abhängig sein. Nicht selten haben sich in der Kirchengeschichte einzelne Menschen ohne jeden amtlichen Auftrag als die eigentlich legitimen Sprecher der Kirche erwiesen. Daher ist es bei kirchlichem Reden erforderlich, immer zuerst nach dem rechten Inhalt des Gesagten und nicht nach der amtlichen Legitimation der Redenden zu fragen.“110

Kritisch muss hierbei die Passage „Willen Gottes in der jeweiligen Zeit“ gesehen werden. Wird in einer solchen Äußerung tatsächlich der Wille Gottes geäußert? Dies scheint doch sehr viel schwieriger herauszufinden zu sein, als die Aussage suggeriert. Der Nachsatz „in der jeweiligen Zeit“ wiederum zeigt die Kontextgebundenheit der Stellungnahmen auf, was ja auch gerade das Spezifikum evangelischer ethischer Betrachtungen ist, dass sie relativ zur Person und Zeit gelten müssen und nicht durch ein Lehramt Geltung haben, was erst durch eine erneute Verlautbarung eine ältere außer Kraft setzen kann. Wolfgang Huber hält zur Bedeutung dieser Denkschrift fest: „Besonders bemerkenswert ist, dass sie [die Denkschrift „Aufgaben und Grenzen kirchlicher Äußerungen gesellschaftlichen Fragen“ (Anm. OG)] die Bedeutung von Denkschriften für den innerkirchlichen Verständigungsprozess höher einschätzt, als das in den vorangehenden Denkschriften erkennbar gemacht worden war. Damit hat die Denkschrift einen realistischen Zugang zur Wirkungsweise von Denkschriften eröffnet. Sie sind in erheblichem Umfang Instrumente der innerkirchlichen Meinungs- und Willensbildung.“111

Huber setzt den Fokus besonders auf den innerkirchlichen Einigungsprozess und kann dabei auf die vielen anlässlich dieser Denkschrift stattgefundenen Diskussionsveranstaltungen in den Gemeinden verweisen.112 In der Tat stellt diese Wirkweise im Gegensatz zur „Außenwirkung“ der vorhergehenden Denkschriften einen neuen Stil dar. Die innerkirchliche Partizipation am Diskussionsprozess ist für die inhaltliche Rezeption der Schrift ein wichtiger Wegbereiter gewesen. 110 ebenda, S. 57. 111 Huber, Aufgaben und Grenzen, 2002, in: Denkschriften, 2002. 112 Bemerkenswerterweise wurde in der zwei Jahre später (1972) durchgeführten religionssoziologischen Untersuchung von Gerhard Schmidtchen deutlich, dass zwar die Kirche eine hohe gesellschaftliche Verantwortung habe, jedoch in der Tagespolitik nicht mitmischen solle. Die Themen „Frieden“ oder „Gerechtigkeit“ standen auf der Liste, was in einer guten Predigt vorkommen möge, ganz oben, jedoch anscheinend nur auf einer abstrakten Ebene, denn Schmitdchen konstatiert: „Eine große Mehrheit lehnt die Behandlung politischer Tagesfragen in der Predigt ab“, und an anderer Stelle: „Überraschenderweise sagt sogar die Mehrheit der politisch interessierten, dass Politik in der Kirche nichts zu suchen habe.“ Vgl. Gerhard Schmidtchen/Manfred Seitz (Hrsg.), Gottesdienst in einer rationalen Welt. Religionssoziologische Untersuchungen im Bereich der VELKD, Stuttgart 1973, S. 96ff.

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Die sogenannte Denkschriften-Denkschrift arbeitet heraus, inwiefern Kirche sich zu öffentlichen Themen äußern soll und welche Wirkung dabei angestrebt wird.113 Diese Stringenz wurde in der Publikation von Denkschriften eingehalten und vervollständigt, bis von rein evangelischen Publikationen am Anfang der 70er Jahre abgewichen und erste Versuche der ökumenischen Zusammenarbeit gemacht wurden. Die klare Form des ergebnisoffenen Diskutierens bis hin zum Finden einer theologischen Position wich dabei zunächst wieder einer kirchlich festgesetzten Entscheidung, um im ökumenischen Formulieren gemeinsamer Stellungnahmen handlungsfähig zu werden.114 2.2.4 Wandel im Religionsjournalismus In der westdeutschen Medienlandschaft der 1950er Jahre hatte sich in der allgemeinen Medienlandschaft, wie dann auch speziell im Bereich des Religionsjournalismus, ein sogenannter „Konsensjournalismus“ etabliert. Dieses drückte sich in einer vornehmlich unkritischen und wenig reflektierenden Text- und Bildberichterstattung über Religion und Kirche aus. Die kirchlich normierte Religiosität und die Stellung der Kirchen in der Bundesrepublik, so Nicolai Hannig, wurden weder hinterfragt noch herausgefordert, stattdessen wurde ihre moralische Integrität hervorgehoben.115 Tragischerweise wurden sie dadurch erst in die entsprechende Fallhöhe gehoben, die sie in der Folgezeit, in der breite Gesellschaftsschichten sich von kirchlich normierter Religiosität abkehren würden, wieder herabstürzen musste. Religion wurde dabei vorwiegend durch die Abbildung kirchlicher Autoritäten dargestellt und teilweise gezielt zur Auflagensteigerung eingesetzt.116 Nachdem sich in Deutschland nach US-Amerikanischem Vorbild langsam die Medienformate änderten und tendenziell zum „Konfliktjournalismus“ wandelten, wirkten sich diese veränderten Umgangsformen der Medien auch gegenüber den Kirchen aus.117 Die Berichterstattung wurde zunehmend kritischer. Wie auch im politischen Journalismus, so verstanden sich die Journalisten nun nicht mehr als getreue Berichterstatter eines 113 „In einer sehr klaren und übersichtlichen Argumentation fragt die Denkschrift, warum die Kirche sich äußert, wer sich äußert, zu wem gesprochen wird, wann das geschehen soll, was bei der Erarbeitung kirchlicher Stellungnahmen zu berücksichtigen ist und was im Blick auf die Aufnahme und Auswirkung solcher Texte in der Öffentlichkeit zu bedenken ist. Missverständnisse und Einwände werden jeweils aufgegriffen, zurechtgerückt oder widerlegt.“ Huber, Aufgaben und Grenzen, in: Denkschriften, 2002, S. 1. 114 Siehe unten „Entwicklung von gemeinsamen Stellungnahmen“ in Gliederungspunkt 3.2. 115 Vgl. hierzu und im Folgenden Nicolai Hannig/Benjamin Städter, Die kommunizierte Krise. Kirche und Religion in der Medienöffentlichkeit der 1950er und 60er Jahre, in: SZRKG 101 (2007), S. 151–183, hier S. 160. 116 Vgl. ebenda. 117 Eine Beschreibung der in der Medienlandschaft ablaufenden Umbrüche in der Zeit von 1945– 1973 findet sich bei Christina von Hodenberg, Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945–1973, Göttingen 2006, S. 87–100. Speziell hierzu vgl. ebenda, S. 183–228.

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ablaufenden Prozesses, sondern sahen sich selbst als gesellschaftliche Kontrollinstanz, die der Gesellschaft als Wächteramt gegenüber den etablierten Institutionen gestellt war.118 Als eine dieser zu kontrollierenden Institutionen wurden somit auch die Kirchen wahrgenommen.119 Es kam daher zu Anfang der 1960er Jahre in Westdeutschland zu einem Wandel im journalistischen Selbstverständnis gegenüber den Kirchen.120 Leider wurde in der Berichterstattung die Differenzierung zwischen katholischer und evangelischer Kirche dabei nicht so stark herausgearbeitet, wie es der Sache nach angemessen gewesen wäre. Dies führte zu einer zunehmend undifferenzierten Wahrnehmung der konfessionellen Unterschiede auch in der Bevölkerung. Als einen exemplarischen Wendepunkt der religiös orientierten Berichterstattung benennt Christina von Hodenberg das Jahr 1962, indem die Zeitschrift Stern von der konsensorientierten Berichterstattung der 1950er Jahre abweicht und einen anschließend breit diskutierten Artikel veröffentlichte, der das vermeintliche Machtstreben der katholischen Kirche herausstellte. Der Artikel war überschrieben „Brennt in der Hölle wirklich ein Feuer?“ und zog Vergleiche zwischen den Machtbestrebungserwartungen, die der Autor persönlich an das beginnende katholische Konzil stellte und das in der Bundesrepublik durch die katholische Kirche „stark fundamentalistisch durchsetzte Ehe- und Scheidungsrecht“.121 Der Artikel weitete sich zu einem politischen Eklat aus, da der Stern Verleger Gerd Bucerius, der den Artikel verantwortete, schließlich aus der CDU austrat, die im Kontext der kritischen Berichterstattung öffentlich auf Distanz zur Zeitschrift gegangen war. Berichterstattung und politische Identifikation fielen hier auseinander. Im Zuge der sich verändernden Art der Berichterstattung wurden nun auch die Inhalte der von den Kirchen vertretenden Religion und, je nach Ausgestaltung, auch der Konfession zunehmend kritischer beäugt. Die zunächst von den Kirchen erwünschte breite Diskussion theologischer Inhalte in der Öffentlichkeit wurde in den Massenmedien dabei jedoch vornehmlich kritisch behandelt. Nicolai Hannig beschreibt die Situation so: „Große Medienhäuser wie der Springer-Konzern und prominente Blätter wie Rudolf Augsteins Nachrichtenmagazin Der Spiegel oder die Illustrierte Stern um ihren Chefredakteur Henri Nannen schwangen sich zu populären Religionsdeutern auf. […] Das politische, soziale und ethische Feld gewann für eine immer stärker werdende Gruppe von Kirchenreformern theologisch an Bedeutung. Dementsprechend öffnete sich das gesamte Fach auch für Journalisten, die wiederum Analogien zur Jugend- und 118 Die Radikalisierung der journalistischen Kritik an der Politik für die Zeit von 1965 bis ca. 1973 ist ausführlich beschrieben in ebenda, S. 361–439. 119 Vgl. Hannig, Religion, 2010, S. 11. 120 Hannig sieht als Anfangszeitraum des medialen Wandels „(i)nsbesondere (die) Zeit zwischen 1958 und 1963. (Hier) verdichteten sich die Anzeichen für einen fundamentalen Wandel in der medialen Fremddeutung von Religion und Kirche.“ ebenda, S. 103. Über die Entwicklungen des Religionsjournalismus siehe ebenda. Für die Rolles des Religionsjournalismus in der „Kirchenkrise“: Hannig et al., Die kommunizierte Krise, 2007. 121 Vgl. auch im Folgenden ebenda, S. 164ff.

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Studentenbewegung oder ganz allgemein zum gesellschaftlichen Mentalitätswandel auszumachen begannen.“122

Er sieht zudem auch eine Verschiebung von inhaltlichen Diskussionspunkten. „Ebenen der Politik fielen mit Ebenen der Religion zusammen, etwa in dem sich seit 1964/65 entwickelnden christlich-marxistischen Dialog. Allerdings war es in der medialen Debatte doch eher die Politik, die für die Religion an Bedeutung gewann und nicht umgekehrt.“123

Insgesamt ließen sich, so Hannig, drei charakteristische Veränderungen ausmachen, die das mediale Bild des theologischen Wandels bestimmten: Erstens schien das Transzendente für die meisten Journalisten aus dem Zentrum des christlichen Glaubens herauszurücken und in den Hintergrund zu treten; zweitens schien die historisch-kritische Exegese immer mehr die Autorität der Heiligen Schrift zu untergraben und so das reformatorische Bibelverständnis abzulösen; und drittens schließlich schien ein humanistisch-aufklärerisches Menschenbild die Erbsünde zu verdrängen und damit an die Stelle der Rechtfertigung des Sünders durch die Heilstat Jesu zu treten. Hannig resümiert: „Zweifelsohne begannen jedoch im Ausgang der 1960er Jahre jene ethisch-politischen Fragen stärker als zuvor die traditionellen dogmatischen Probleme zu überlagern.“124 Generell, so kann man sagen, wurden die dogmatischen Themen von den ethischen Fragestellungen überrannt. Es wurde für die Publizistik interessanter, was die Kirche zu ethischen Problemstellungen, und damit ja zu konkreten Problemen, zu sagen hatte, als wie sich die genaue inhaltliche Bestimmung z.B. der Leuenberger Konkordie für das Abendmahlverständnis auswirkte, dessen Problematik auf theoretischer Ebene für die mediale Öffentlichkeit ohne Auswirkungen blieb. Es veränderte sich also nicht nur die Art und Weise, wie der Journalismus auf die Themen der Religionsberichterstattung reagierte, sondern auch das Interesse an den Themen, denen sich die Berichterstattung zuwendete. Die Zuwendung von Medien wiederum zu einem bestimmten Thema löst wiederum eine Art Automatismus aus – was in den Medien behandelt wird, wird von der sie rezipierenden Öffentlichkeit gelesen und wiederum diskutiert. Diese Diskussionen werden dann wieder Gegenstand von Berichterstattung. Man kann daher sagen, dass der gewandelte Religionsjournalismus zum einen den Wandel eines traditionellen Kirchenbildes beschleunigte, da erst durch die Berichterstattung das Forum geschaffen wurde, in welchem öffentlich über kirchliche Angelegenheiten diskutiert werden konnte, und zum anderen die Kirchen immer mehr dazu gedrängt hat, öffentlich zu ethischen Fragestellungen Position zu beziehen. 122 Nicolai Hannig, Axel Springer, Rudolf Augstein und die mediale Politisierung der Religion, in: Politisierung, 2011, S. 198–220, hier S. 198–199. 123 ebenda. 124 ebenda.

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2.2.5 Entwicklung von gemeinsamen Publikationen 2.2.5.1 Konkrete Möglichkeiten der neuen Ökumene Im Nachklang des zweiten Vatikanums und damit gegen Ende der 1960er Jahre kann man eine in kirchlichen Kreisen sich entwickelnde ökumenische Begeisterung feststellen. In diesem Kontext lassen sich erste Spuren einer institutionellen Zusammenarbeit zwischen dem Rat der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz nachweisen.125 Erst gegen Ende der 1960er Jahre kommen auch Schriftstücke auf, die das Zusammenleben zwischen den beiden Konfessionen klären und die auch an der Findung einer gemeinsamen Position zu Sachfragen interessiert sind.126 Vornehmlich werden dabei dogmatische Probleme diskutiert. Ethische Fragestellungen werden in der Anfangsphase noch ausgeklammert.127 Warum die beiden großen Kirchen in Deutschland erst so spät anfangen, zusammen zu arbeiten und beginnen, auch zusammen publizistisch tätig zu werden, erklärt sich auch aus dem Umstand, dass zuvor die formale Grundlage für eine solche Zusammenarbeit fehlte: Erst das zweite Vatikanische Konzil schaffte die notwendigen Strukturen innerhalb der katholischen Kirche. Das Zweite Vatikanische Konzil hatte im Dekret ‚Christus Dominus‘ den nationalen Bischofskonferenzen zum ersten Mal einen formellen Status verliehen, den sie zuvor so nicht hatten. Die bisherige Fuldaer Bischofskonfe-

125 Die ökumenische Zusammenarbeit lässt sich z.B. an der Gründung des ökumenischen Arbeitskreises (ÖAK) 1968 festmachen, aus dem dann die Studie „Lehrverurteilungen – Kirchentrennend?“ entstand und die theologischen Verwerfungen alter Zeiten aufarbeitete. Zur Geschichte des Ökumenischen Arbeitskreises siehe weiterführend: Barbara Schwahn, Der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen von 1946 bis 1975, Göttingen 1996. Sie weist nach, dass die zuvor inoffiziell existierenden ökumenischen Arbeitskreise evangelischer und katholischer Theologen große Vorarbeit auf dem Weg der Zusammenarbeit leisteten. Diese hatten jedoch vor den 70er Jahren vermieden, schriftliche Stücke zu hinterlassen: „Beide Kreise verzichteten auch auf Pressenotizen und eigene Berichte in Zeitungen, weil jede Seite befürchtete, auf einen Artikel in der eigenen kirchlichen Presse könne die der anderen Konfession ihrerseits mit einem möglicherweise unsachgemäßen Bericht reagieren. Erst aus den 70er Jahren liegen Pressenotizen des epd vor.“ ebenda, S. 57. Der ÖAK bekam erst nach einem Leitungswechsel größere Aufmerksamkeit, als bewusst auch Schriftstücke publiziert wurden, die öffentlich diskutiert werden konnte. „Zu einer größeren Veränderung in der Arbeitsweise des ÖAK kam es erst, als Karl Lehmann und später Wolfhart Pannenberg die wissenschaftliche Leitung übernahmen. Waren die anderen leitenden Persönlichkeiten mit Ausnahme von Schlink im Hinblick auf eine Angleichung der Arbeit an die neue Situation nach dem II. Vatikanum sehr zurückhaltend, so sahen jene in der Fortsetzung der Gespräche nur noch einen Sinn, wenn man stärker auf Ergebnisse hinarbeite und diese auch veröffentliche. Pannenberg setzte sich schließlich auch für die Einbeziehung reformierter Gesprächspartner ein, um eine breitere Rezeption innerhalb der EKD zu erreichen.“ ebenda, S. 39. 126 Weiterführend zur Entwicklung des ökumenischen Gedankens siehe Reinhard Frieling/Manfred Jacobs, Der Weg des ökumenischen Gedankens. Eine Ökumenekunde, Göttingen 1992. 127 Vordringlich war beiden Kirchen zu klären, inwiefern eine gemeinsame Kommunion möglich sei oder wie das Amtsverständnis gegenseitig aufzufassen sei. Siehe hierzu Reinhard Frieling, Ökumenische Worte in Deutschland, in: MdKI 27 (1976), S. 26–27, H. 2.

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renz konstituierte sich im März 1966 als „Deutsche Bischofskonferenz“ neu.128 Die zuvor schon auf inoffiziellen Wegen und somit kaum Wirkkraft erlangenden Gespräche in der ethischen Zusammenarbeit konnten nun auf neue Füße gestellt werden. Auch wurden öffentliche gemeinsame Treffen abgehalten, um die neue Zusammenarbeit zu erproben und zu demonstrieren.129 Es ist festzuhalten, dass die neue ökumenische Zusammenarbeit nach einer Zeit beginnt, die von großen Differenzen zwischen den beiden Kirchen in der Bewertung kontrazeptiver Mittel und des Schwangerschaftsabbruches geprägt war.130 Diese Differenzen waren auch öffentlich medial ausgetragen worden, sodass die nun beginnende Zusammenarbeit eine Neuordnung der Beziehungen zwischen den Kirchen darstellt, gleichzeitig aber auch von großem Misstrauen begleitet wurde. Während die Klärung ethischer Fragen, wie die Verwendung kontrazeptiver Mittel oder der Schwangerschaftsabbruch, erst nach und nach und dann mit großem Vermittlungsaufwand betrieben wurden, gelang den beiden Kirchen auf anderen Feldern eine überraschend schnelle Einigung. In der Frage der „Mischehen“, also der konfessionsverschiedenen Paare, die heiraten wollten, kam es in den 1970er Jahren sehr schnell zur Lösung eines Jahrhunderte alten Problems. Dadurch, dass in den 1960er Jahren vermehrt konfessionsverschiedene Paare selbst von der aufgekommenen Ökumene, die vom Zweiten Vatikanum ausging, profitieren wollten, und sich über die Konfessionsgrenzen hinweggesetzt und so zwischenmenschliche Ökumene gelebt und geheiratet hatten, sahen sich beide Kirchen gedrängt, eine kirchenkonforme Lösung zu finden. Beide Kirchen wurden sich bewusst, dass sie eine Einigung im Umgang mit konfessionsverschiedenen Paaren herbeiführen mussten, da diese Ehen sonst zukünftig weiter ohne die Beteiligung der Kirchen geschlossen – und somit die Kirchen Stück für Stück aus dem Alltagsleben gedrängt wurden. Da die beiden Kirchen ihre Mitglieder nicht zu Beginn einer Ehe verlieren wollten und keine ethischen oder dogmatischen Fragen auf dem Spiel standen, wurde bereits 1971 ein „Gemeinsames Wort“ erstellt, was die Zusammenarbeit in der Seelsorge an konfessionsverschiedenen Paaren regelt. Dem folgend wurden 1974 „Gemeinsame kirchliche Empfehlungen für die Ehevorbereitung 128 Vgl. Karl Gabriel, Zwischen Aufbruch und Absturz in die Moderne. Die katholische Kirche in den 60er Jahren, in: Axel Schildt/Detlef Siegfried/Karl Christian Lammers (Hrsg.), Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000, S. 528–543, hier S. 532f. 129 1971 kommt es zur ersten gemeinsamen – ökumenischen – Veranstaltung zwischen EKD und DBK, dem Ökumenischen Pfingsttreffen in Augsburg, also einem Ökumenischen Kirchentag. Das Treffen dauerte nur zwei Tage und wurde weniger von Kirchenmitgliedern, sondern vorwiegend von Delegierten besucht, deren Diskussionen nicht offen, sondern im Ergebnis schon vorweggenommen erschienen. Von den 20 katholischen Bischöfen nahmen nur vier am Treffen teil, die politischen Amtsträger blieben vornehmlich gleich ganz fern. Nicht umsonst übertitelte DIE ZEIT die Veranstaltung: „Die Augsburger Konfusion“. Siehe hierzu Schroeter-Wittke, Kirchentag, 2006, in: Umbrüche, 2006, S. 219f. 130 Siehe zur Diskussion des Schwangerschaftsabbruchs der 60er Jahre Gante, § 218 in der Diskussion, 1991.

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konfessionsverschiedener Partner“ entwickelt und für die alltägliche Ökumene bereitgestellt. Da es sich um eine Ordnung handelte, in der keine der Kirchen ihr jeweiliges Proprium aufgeben musste, gelangen diese Ordnungen schnell und unauffällig.131 Besonders der Besuch von Papst Johannes Paul II. 1980 in Deutschland und die erfolgten Begegnungen zwischen ihm und Vertretern der EKD aber hoben dann für die folgenden Jahre die ökumenische Zusammenarbeit zwischen der EKD und DBK, aber auch der Kirchen im ACK auf eine neue Stufe.132 Eine direkte Folge des Papstbesuches war die Einrichtung der ‚Ökumenischen Kommission‘, hierdurch wurden die Kontakte zwischen EKD und DBK enger und die anstehenden Fragen der Ökumene konnten direkter besprochen werden.133 Die anstehenden Fragen waren nicht nur die Regelungen der ökumenischen Gottesdienste, sondern auch die Frage nach einer gastweisen Zulassung zur Eucharistie und einer weiteren Frage zur Regelung der Mischehen.134 Eine ganz eigene Schwierigkeit stellte jedoch die Zusammenarbeit in ethischen Stellungnahmen dar. 131 Das gemeinsame Wort ist abgedruckt in: Walter Schöpsdau, Konfessionsverschiedene Ehe. Ein Handbuch, Göttingen 1984, S. 89–92. Die gemeinsamen kirchlichen Empfehlungen finden sich in ebenda, S. 93–105. Weiterführend zur Konfessionsverschiedenen Ehe siehe Silvia Hell, Die konfessionsverschiedene Ehe. Vom Problemfall zum verbindenden Modell, Freiburg im Breisgau 1998. 132 „Die Gemeinsame ökumenische Kommission, deren Bildung in Mainz beschlossen wurde, ist im Mai in München und im September zu einer zweiten Beratung in Loccum zusammengetreten. Sie hat ihre Arbeit damit begonnen, daß sie eine Erklärung verabschiedete, in der der ökumenischen Bedeutung des gemeinsamen Glaubensbekenntnisses gedacht wurde, das vor 1600 Jahren auf dem Konzil von Konstantinopel bis heute für die Kirchen in aller Welt verbindliche Gestalt gefunden hat. Zu unserer Freude haben sich nicht nur die katholische Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland diese Erklärung zu eigen gemacht, sondern es haben sich ihr auch die Leitungen aller Kirchen angeschlossen, die der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen angehören.“ EKD-Ratsvorsitzender D. Eduard Lohse zum Evangelisch-Katholischen Verhältnis. vom 2. November 1981 (Auszug), in: KJ 1981, Gütersloh 1985, S. 136–139, hier S. 137. 133 „Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und die Deutsche Bischofskonferenz haben nach gegenseitiger Absprache jetzt die Mitglieder der Ökumenischen Kommission berufen, die während der Begegnung zwischen dem Rat der EKD und Papst Johannes Paul II. am 17.November 1980 in Mainz vereinbart worden ist. Die Kommission hat zehn Mitglieder, die je zur Hälfte vom Rat bzw. von der Bischofskonferenz benannt worden sind. […] Die Ökumenische Kommission soll die bestehenden regelmäßigen Kontakte zwischen dem Rat der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz nicht ersetzen. Von der Deutschen Bischofskonferenz gehören der Kommission Kardinal Hermann Volk, Kardinal Joseph Ratzinger, Bischof Dr. Friedrich Wetter, Bischof Dr. Paul-Werner Scheele, Prälat Alois Klein (Mitglied des vatikanischen Sekretariats für die Einheit der Christen) an. Die vom Rat der EKD benannten evangelischen Mitglieder sind: Landesbischof D. Eduard Lohse (Vorsitzender des Rates der EKD), Landesbischof Dr. Gerhard Heintze, Bischof Dr. Martin Kruse, Bischof D. Hans-Heinrich Harms, Moderator Dr. Helmut Esser.“ Joachim Lell, Innerdeutsche Ökumene: Katholizismus-Protestantismus-Orthodoxie-Judentum. Überblick, in: KJ 1981, Gütersloh 1985, S. 125–168, hier S. 143. 134 Wieder erwies sich die Frage zur Seelsorge an den Mischehen als die leichteste, sodass in kurzer Zeit sowohl die gemeinsame Kommission ein Papier und anschließend auch die Mischehenkommission eine Erklärung herausbrachten. Die Mischehenkommission hatte an ihrer Erklärung be-

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2.2.5.2 Eine erste gemeinsame ethische Position: „Das Gesetz des Staates und die sittliche Ordnung“ – Die sogenannte „Orange Schrift“ Um verstehen zu können, welchen schwierigen Weg die Entwicklung gemeinsamer ethischer Stellungnahmen zu Beginn hatte und welche Fehler zukünftig zu vermeiden versucht wurden, soll der Weg der ersten gemeinsamen ethischen Schrift der EKD und der DBK genauer angesehen werden. Im Zuge der Strafrechtsreform zu Beginn der 1970er Jahre wurden die beiden großen Kirchen aufgefordert, ihre Positionen zur Reform des § 218 dem Justizministerium vorzulegen, damit diese bei der Überarbeitung berücksichtigt werden könnten.135 Die zum Zweck der Formulierung einer Position gegründete Strafrechtskommission der EKD trat am 18. September 1970 zur konstituierenden Sitzung zusammen und sah sich aufgrund des engen Zeitplans unter Druck gesetzt, da, abgesehen von der anstehenden Formulierung der Position, noch nicht klar war, was sie für einen Inhalt haben sollte.136 Die Positionen innerhalb der EKD schwankten vom konservativen Festhalten am absoluten Tötungsverbot bis hin zur liberaleren Position, nämlich der Relativierung des Tötungsverbotes durch das Liebesgebot, welches nicht erlaube, dass ungeliebte Kinder auf die Welt kämen.137 Im Juli 1970 wurde im Rat der EKD angeregt, man „möge losgelöst von der Fachdiskussion in den Kommissionen einmal ganz grundlegende Erwägungen zum Verhältnis zwischen Gesetz des Staates und der sittlichen Ordnung anstellen.“138 Zu diesem Zweck wurde ein Unterausschuss einberufen, der allerdings keinen förmlichen Auftrag erhielt, sondern der Initiative der beiden Initiatoren Hermann Kunst (Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesregierung, Bonn) und Erwin Wilkens (Referent für Öffentlichkeitsarbeit in der Kirchenkanzlei der EKD, Hannover) überlassen blieb.139 Die beiden griffen die früher bereits verworfene Idee auf, eine überkonfessionelle Zusammenarbeit in Fragen des Strafrechts anzustreben und fragten bei der DBK an, die sich interessiert zeigte, zu dieser generellen Frage gemeinsam Stellung zu nehmen. Am 29. September trafen sich die beiden EKD-Vertreter Hermann Kunst und Erwin Wilkens mit den DBK-Vertretern Karl Forster (Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn) Johannes Niemeyer (Leiter des katholischen Büros in Bonn) sowie Wilhelm Wöste

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reits 5 Jahre gearbeitet und die Erklärung aus den 70er Jahren weiterentwickelt, jedoch erst der Papstbesuch 1980 ermöglichte es ihr, schneller zu einem Ergebnis zu kommen. Siehe Gemeinsame Ökumenische Kommission, Erklärung: Ja zur Ehe. 6/15. Oktober 1981, in: KJ 1981, Gütersloh 1985, S. 144–147. und Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz/Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gemeinsame kirchliche Empfehlungen für die Seelsorge an konfessionsverschiedenen Ehen und Familien, Bonn 1981. Der Einfluss des Protestantismus auf die Reform ist aufgearbeitet in: Anselm, Jüngstes Gericht, 1994. Vgl. Mantei, Nein und Ja, 2004, S. 60. Vgl. dort FN Nr. 61. Vgl. ebenda. Vgl. auch dort FN 63. ebenda, S. 62. Vgl. ebenda, S. 62f.

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(Leiter des Kommissariats der Deutschen Bischöfe, Bonn).140 Die maßgeblich von Erwin Wilkens ausgearbeiteten Passagen wurden dann in mehreren Sitzungen überarbeitet und abschließend formuliert.141 Der Titel der Schrift weist bereits auf die inhaltlichen Schwerpunkte hin: „Das Gesetz des Staates und die sittliche Ordnung. Zur öffentlichen Diskussion über die Reform des Eherechts und des Strafrechts.“ Inhaltlich wird darin in einem ersten Kapitel zum Verhältnis von Recht, Moral und Ethik eine Position bezogen, in einem zweiten Kapitel Äußerungen zur Reform des Ehescheidungsrechtes getätigt, um dann im dritten Kapitel die Themen Pornographie und Jugendschutz zu behandeln und im vierten Kapitel dem Schwangerschaftsabbruch ein eigenes Kapitel zu widmen. Inhaltlich werden dabei durchgängig konservative Positionen vertreten, liberale Formulierungen oder Öffnungsklauseln fehlen durchgängig. Ein abwägender, diskursiver Stil, der in den evangelischen Denkschriften entwickelt worden war, fehlt in der Schrift ganz. Zur Frage des Schwangerschaftsabbruches etwa wird festgehalten: „Schwangerschaftsabbruch ist vorsätzliche Abtötung werdenden Lebens bzw. die vorzeitige Entfernung der noch nicht für sich lebensfähigen Frucht aus dem Mutterleib. Es geht hier also nicht um die Verhinderung der Entstehung menschlichen Lebens, sondern um die Frage, ob werdendes Leben getötet werden darf.“142

Die Frage nach dem Leid der werdenden Mutter oder den sich hinter dem Abbruch verbergenden Konfliktszenarien wird nicht gestellt, die Sichtweise Andersdenkender nicht aufgenommen. Ursprünglich sollte diese Schrift unter den Namen der Autoren, also dezidiert nicht als Schrift des Rates der EKD oder der DBK veröffentlicht werden, jedoch wurde sie auf Bitten von Erwin Wilkens vom Ratsvorsitzenden Hermann Dietzfelbinger mit einem inhaltsschweren Vorwort versehen, welches auch vom katholischen Pendant Julius Kardinal Döpfner unterzeichnet wurde und unter dem Namen „Das Gesetz des Staates und die sittliche Ordnung“ herausgegeben. Zusätzlich erlangte sie im Druck eine optische Gestaltung, die eine Unterscheidung von anderen öffentlichen Dokumenten des Rates der EKD unmöglich machte.143 Durch die pro140 Siehe ebenda, S. 63f. Mantei weist nach, dass in der Arbeitsgruppe ein katholisches Übergewicht bestand. Um jedoch der Öffentlichkeit nicht durch das Ungleichgewicht zwischen den Konfessionen Anlass zur Kritik zu geben, wurde Johannes Niemeyer später nicht mehr zu den Autoren gezählt. Gegen Ende des Abfassungszeitraumes wurden noch Karl Horst Wrage, der Vorsitzenden der evangelischen Kommission für sexualethische Fragen und Paul Mikat, Bundestagsabgeordneter und ehemaliger Kultusminister von Nordrhein-Westfalen in die Arbeitsgruppe geholt, die jedoch nur noch wenig Einfluss auf die Formulierungen nehmen und somit vornehmlich als Unterzeichner dienen konnten. Vgl. ebenda. 141 Genauer bei ebenda, S. 64–66. 142 Julius Doepfner/Hermann Dietzfelbinger, Das Gesetz des Staates und die sittliche Ordnung. Zur öffentlichen Diskussion über die Reform des Eherechts und des Strafrechts, Gütersloh 1970, S. 28. 143 Wegen der orangen Färbung des Umschlages wurde sie ab dort die „Orange Schrift“ genannt.

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minenten Autoren des Vorworts und der optischen Gestaltung musste der Eindruck entstehen, dass hier eine Schrift vorlag, die von beiden Kirchenleitungen gemeinsam herausgegeben worden war. Dieser Eindruck wurde dadurch verstärkt, dass sie sehr großflächig verbreitet wurde: Alle Mitglieder des Bundestages, sämtliche evangelische und katholische Pfarrämter in Deutschland, die Mitglieder der EKDKammern, die Mitglieder der EKD-Synode sowie die Mitarbeiter der großen Presse-, Radio- und Fernsehredaktionen bekamen ein Exemplar zugestellt, was für eine evangelische Stellungnahme sehr unüblich gewesen ist.144 Für eine Schrift, die eher private Positionen transportieren sollte, warfen die äußere Form, die große Verbreitung und der dadurch implizierte Anspruch, öffentliche Stellungnahme beider Kirchen zu sein, Fragen auf und zogen von evangelischer Seite einige Kritik nach sich. Wolfgang Huber hält in seiner Bewertung der Vorgänge zur „Orangen Schrift“ fest: „Bei der Ausarbeitung wurden die zuständigen Kommissionen der EKD nicht zu Rate gezogen; der Veröffentlichung in der äußeren Gestalt einer Denkschrift ging kein entsprechender Beschluss des Rats der EKD voraus. So muss schon das formelle Verfahren, das zu dieser Publikation geführt hat, als fehlerhaft betrachtet werden. An seinem Inhalt zeigt sich, daß die Diskussion zwischen Sachverständigen, die der Publikation der anderen Denkschriften vorausging, hier nicht im ausreichenden Maß stattgefunden hat. Deshalb stellt diese kirchliche Veröffentlichung keinen Beitrag zur ‚Versachlichung der Diskussion‘ sondern den Versuch der Durchsetzung partikularer kirchlicher Interessen dar.“145

Hubers Vorwurf, dass hier partikulare kirchliche Interessen durchgesetzt werden sollten, scheint nicht unbegründet zu sein. Reiner Anselm stellt in der inhaltlichen Untersuchung der Orangenen Schrift heraus, dass die in ihr angelegten Verhältnisbestimmungen von Staat und Kirche sich vornehmlich an einem paternalistischen Staats- und Kirchenbild orientieren.146 Er weist nach, dass diese Vorstellungen jedoch keineswegs „den protestantischen Bemühungen um eine differenzierte Sicht von Staat, Recht und Moral“ entsprachen.147 Es scheint daher, dass die Mitglieder der Arbeitsgruppe, bzw. die evangelischen Beteiligten, tatsächlich auf diese Weise ihre Vorstellungen im Verhältnis von Staat und sittlicher Ordnung transportieren wollten und dies aufgrund des formell fehlerhaften Verfahrens und der Nichtbeachtung gegenteiliger Stimmen auch durchsetzten konnten. Reiner Anselm fasst zusammen:

144 Simone Mantei weist nach, dass die Schrift sogar in eigens dafür übersetzter Form Papst Johannes Paul II vorgelegt wurde. Siehe Mantei, Nein und Ja, 2004, S. 76. dort FN 91. 145 Huber, Kirche und Öffentlichkeit, 1973, S. 585. 146 Vgl. Anselm, Jüngstes Gericht, 1994, S. 151f. 147 Anselm verweist hierbei auf die Position der Strafrechtskommission der Evangelischen Studiengemeinschaft. Siehe ebenda, S. 152.

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„Das für die Denkschriften charakteristische Prinzip ‚tendenziell die Sachautorität von Expertengremien an die Stelle der Amtsautorität kirchlicher Leitungsorgane […]‘ zu setzen,148 mußte hier als preisgegeben erscheinen. Denn die Verfasser stützten ihre Argumentation gerade nicht auf die entsprechenden Fachgremien, die in beiden Kirchen gebildet worden waren. Vielmehr nahmen die beiden Herausgeber in ihrem Vorwort für den Autorenkreis selbst in Anspruch, in ihm sei ‚neben der Sachkompetenz auch ein breiter Bereich kirchlichen Auftrages für Fragen der Gesellschaft und der Öffentlichkeit vertreten‘ gewesen. Genau dies wurde aber sowohl in protestantischen, als auch in katholischen Reaktionen mit guten Gründen verneint, denn die einschlägigen Erklärungen beratender Fachgremien waren in die gemeinsame Erklärung nicht eingegangen.“149

So sehr man der Kritik an den formellen und auch inhaltlichen Gegebenheiten der Orangenen Schrift zustimmen muss, ist in der protestantischen Rezeption ein trotzdem vorhandenes positives Moment der Erarbeitung der „Orangenen Schrift“ zu kurz gekommen: Diese ökumenische Verlautbarung stellte ein herausragendes Novum in der kirchlichen Zusammenarbeit dar.150 So konservativ sie in inhaltlicher und argumentativer Hinsicht auch sein mag, so progressiv erscheint sie unter dem Blickwinkel der Geschichte der gemeinsamen Stellungnahmen beider Kirchen. Immerhin hatte im Gegensatz zur zuvor gepflegten Vorgehensweise eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Kirchen stattgefunden – und das unter Beteiligung der höchsten Repräsentanten evangelischer und katholischer Kirche in Deutschland. In der katholischen Rezeption ist ihr ökumenisches Moment deutlich positiver gewürdigt worden als von evangelischer Seite. Von katholischer Warte aus wurden die formellen und inhaltlichen Gegebenheiten deutlich weniger kritisiert. Der katholische Sozialwissenschaftler Manfred Spieker hält fest: „Auch wenn [der] gemeinsamen Denkschrift der beiden Kirchen vom 10. Dezember 1970 […] keine große Aufmerksamkeit zuteil wurde, so verdient sie doch das Prädikat ‚historisch‘: Sie eröffnete eine Reihe von ökumenischen Initiativen und Erklärungen der katholischen und der evangelischen Kirche zu politischen, sozialen und ethischen Fragen im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts.“151

Der großen Kritik an dieser Schrift, ihren Positionen und auch ihrer Diktion folgte auf evangelischer Seite eine innerkonfessionelle Auseinandersetzung, die darin 148 Anselm verweist für die Formulierung auf Wolfgang Huber: Wolfgang Huber, Kirchliche Sozialethik und gesellschaftliche Interessen, in: Yorick Spiegel (Hrsg.), Kirche und Klassenbindung. Studien zur Situation der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt (am Main) 1974, S. 190–203, hier S. 192. 149 Anselm, Jüngstes Gericht, 1994, S. 153. 150 Obwohl meiner Ansicht nach diese Neubewertung offensichtlich legitim und auch notwendig ist, existiert hierzu leider keine Sekundärliteratur aus dem evangelischen Raum, die diese Ansicht stützt. Dies ist jedoch wohl weniger fehlender Zustimmung, als vielmehr der Tatsache geschuldet, dass die Orange Schrift heute kaum rezipiert wird. 151 Spieker, Kirche und Abtreibung, 2008, S. 21.

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resultierte, dass die breite evangelische Mehrheit sich einer eher liberaleren Sexualethik zuwendete, als sie in der „Orangenen Schrift“ propagiert wurde. Die bereits vor Veröffentlichung der „Orangenen Schrift“ fertiggestellte Denkschrift zu Fragen der Sexualethik wurde vom Rat der EKD überaschenderweise schließlich doch freigegeben und veröffentlicht: Darin herrschte ein völlig anderer Ton, vorsichtig wurde darin eine sehr liberale Position eingenommen: Nidationshemmer wurden als probates Mittel der Empfängnisverhütung vorgestellt und auch verschiedene Indikationen zur Schwangerschaftsunterbrechung waren Gegenstand der Diskussion anstatt der Verdammung. Zwar wurde die Denkschrift in den Medien quantitativ weniger behandelt als die „Orangene Schrift“, aber sie wurde medial deutlich wahrnehmbar wohlwollend beurteilt. 2.2.5.3 Erste gemeinsame Stellungnahme An die Erfahrungen in der ökumenischen Zusammenarbeit knüpften der Rat der EKD und die DBK dann in einer Erstellung einer gemeinsamen Erklärung an, die zum „Schutz ungeborenen Lebens“ in die Debatte um die Reform des Abtreibungsstrafrechtes eingriff. 1973 erschien die erste offizielle gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz. Die zum Zweck der Ausarbeitung zusammengestellte Arbeitsgruppe hatte dabei mit den verschiedenen Positionen der beiden Kirchen zu kämpfen. In der Dissertation von Simone Mantei werden die Probleme detailliert aufgearbeitet, sodass sich die Darstellung hier auf die zusammenfassende Feststellung beschränken kann, dass die gemeinsame Zusammenarbeit zwar mit dem Ziel startete, mittels einer gemeinsamen Position den Politikern gegenüber stärker auftreten zu können als zuvor, jedoch an den widersprüchlichen Zielsetzungen der beiden Kirchen hinsichtlich einer Positionierung scheiterte.152 Selbst im Rat der EKD war man sich uneins, ob man sich durch das gemeinsame Auftreten mit den Katholiken möglicherweise nicht zu sehr einschränken lasse. Das ursprüngliche Ziel, den damals verhandelten Indikationenkatalog zur straffreien Abtreibung zu erweitern, wurde nicht erreicht. Simone Mantei weist nach, dass der abschließenden Formulierung erhebliche Dissonanzen innerhalb der evangelischen Arbeitsgruppe, aber auch in der Rückkoppelung an die Mitglieder des Rates, vorausgingen. Obwohl nicht wenige Mitglieder des Rates durchaus eine Aufnahme und Erweiterung von Indikationen in der Erklärung durchgesetzt haben wollten, wurden diese Stimmen letztlich nicht mit aufgenommen.153 152 Mantei rekonstruiert nicht nur die Abläufe, die zur Erstellung der Erklärung führten, sondern arbeitet auch detailliert die Hintergründe der Kommissionsarbeit auf. Siehe dazu Mantei, Nein und Ja, 2004, S. 304ff. 153 Während in der ersten Diskussion noch von einer „erweiterten Indikationenlösung“ die Rede war, war im ersten Entwurf zur gemeinsamen Erklärung nur noch die Formulierung einer „eng begrenzten Indikationenregelung“ enthalten. Die letzten Textentwürfe hatten dann allerdings zum Inhalt, dass „der Rat und die DBK die Fristenregelung für unvertretbar“ hielten. Dies war jedoch anders abgesprochen worden. Obwohl vom Rat der EKD abgestimmt worden war, dass die Differenzen

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Die Reaktionen der Politik auf die erste offizielle gemeinsame Erklärung der beiden großen Kirchen hinsichtlich der Schwangerschaftsabbruchdiskussion im Jahr 1973, also der Frage, ob eine – und wenn ja, mit welchen Indikationen versehene, straffreie Abtreibung in Deutschland erlaubt werden könne, waren sehr unterschiedlich: Während die gemeinsame Erklärung, die im Wesentlichen die katholische Position vertrat, dass nur eine medizinische Notlagenindikation vertretbar sei, von der in der Opposition befindlichen CDU und CSU deutlich gelobt wurde, reagierten die Regierungsparteien verhalten.154 Simone Mantei weist nach, dass einige Regierungsmitglieder sich gerade von der EKD eine moderate Linie und damit eine Unterstützung ihrer Politik erwartet hatten.155 Die Aspekte einer sozialen Indikation waren in der gemeinsamen Erklärung nicht mehr angesprochen worden, obwohl dies zuvor auch diskutiert worden war. Das Produkt der plötzlichen „seltsamen Ökumene“, so die Kritiker, habe durch ihre Erklärung die vorhergehenden Stellungnahmen des Rates der EKD „praktisch außer Kraft gesetzt“.156 Eine intensive Diskussion innerhalb der Mitgliedskirchen der EKD schloss sich an und nicht wenige evangelische Gruppierungen machten deutlich, dass diese gemeinsame Erklärung in diesem konkreten Fall nicht die Meinung „aller evangelischen Christen“ transportiere.157 Der somit etwas missratenen gemeinsamen Erklärung schloss sich eine kommunikative Eiszeit zwischen Rat der EKD und Bischofskonferenz an. Nach der Veröffentlichung versuchte die EKD zurückzurudern und deutete eine mögliche Notlagenindikation in das Papier hinein. Das wiederum verstimmte die katholischen Partner, da dieses zu vermeiden ja ein Grundanliegen der katholischen Vertreter gewesen war. Die Presse ließ es sich nicht entgehen, die sich zwischen den Kirchen abspielenden Vorgänge zu begleiten und trug damit zur Verschlechterung des Verhältnisses der Kirchen bei.158 Warum sich innerhalb der EKD trotz dieses sich in Sichtweite befindlichen Kommunikationsdesasters trotzdem um eine gemeinsame Erklärung bemüht und diese schließlich veröffentlicht wurde, bleibt unklar. Es ist anzunehmen, dass ähnlich wie auch bei den Vorgängen zur „Orangenen Schrift“, der Wunsch eine gemeinsame Erklärung zu erstellen größer war, als dass diese inhaltlich mit den Kammern positiv rückgekoppelt wurde. Man erreichte mit der Schrift zwar, gegenüber der Politik mit geschlossener Stimme „der Kirchen“ auftreten zu können,

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zwischen den beiden Kirchen klar benannt werden sollten, wurde darauf in der Endgestalt kein Bezug genommen. Wilkens hatte dem Papier jedoch trotzdem zugestimmt, was ihm innerkirchlich harte Kritik für sein Vorgehen entgegenbrachte. Siehe hierzu ebenda, S. 310–315. Mantei weist u.A. auf die öffentlich positiven Reaktionen von Helmut Kohl und Friedrich Vogel hin, die das „klare und ernste“ Wort der Kirchen als einen „unüberhörbaren Appell“ und „wichtigen Beitrag zur Diskussion über die Reform des Strafrechts“ deuten. ebenda, S. 317. ebenda, S. 317ff. ebenda, S. 316f. Vgl. ebenda, S. 318. Vgl. ebenda, S. 320f.

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diese Stimme jedoch war bereits während ihrer ersten Worte brüchig und verstimmte dadurch viele evangelische Kirchenmitglieder. Die evangelische Kirche hatte auf Kosten der Ökumene Zugeständnisse gemacht, die innerkirchlich nicht möglich gewesen wären.

2.3 Die „Kirchenkrise“ als Anlass kirchlichen Umdenkens Bedingt durch einen massiven Mitgliederverlust und die damit einhergehende Sorge, künftig ganze Gesellschaftsschichten nicht mehr in der evangelischen Kirche beheimatet zu wissen, beginnt in der evangelischen Kirche in den 70er Jahren ein verstärktes Interesse an der religionssoziologischen Forschung. Ein Ergebnis dieser Forschung war, dass sich Kirchen und Kirchenmitglieder entfremdet hatten. Zunächst wird dargestellt, wie sich die Problematik der „Kirchenkrise“ entwickelt hat, um anschließend die zeitgeschichtlich relevanten religionssoziologischen Studien und deren Antworten auf die sich verändernde Zusammensetzung der Kirchenmitgliedschaft anzusehen. Hierbei wird zuletzt auch ein Blick auf die Ergebnisse katholischer religionssoziologischer Forschung geworfen.159 2.3.1 Problembestimmung Kirchenkrise So, wie die 1960er Jahre als Goldenes Zeitalter des wirtschaftlichen Aufschwungs in Erinnerung sind, so kann dieses auch für die wirtschaftlichen Verhältnisse der evangelischen Kirche gesehen werden. An der Schnittstelle des Jahres 1957 waren die Aufbaujahre beendet und für das westliche Deutschland begann die Zeit, in der sich die mittlerweile etablierten Sozialsysteme setzen und sich die Beschäftigungspolitik eher Sorgen um Nachwuchs denn um Arbeitslosenzahlen machen musste.160 Von 1950 an war das Bruttoinlandsprodukt stetig bis zu 80% im Jahr gestiegen und durch die Koppelung der Kirchensteuer an die Einkommenssteuer kam das erhöhte Einkommen der Bundesbürger direkt auch den Kirchen zugute. So wuchsen z.B. die Kirchensteuereinnahmen von 1960 bis 1961 um mehr als 30%. Mangelnde Räumlichkeiten oder Pfarrermangel, die noch wenige Jahre zuvor das Erscheinungsbild der Kirchen bestimmt hatten, konnten durch die verbesserte finanzielle Situation schnell überwunden werden. „In dieser Hinsicht“, so Wolf-Dieter Hauschild, „kann die Zeit seit 1961 als ‚dagobertinische Phase‘ der westdeutsch-protestantischen Kirchengeschichte gekennzeichnet werden: Jetzt schwamm die evangelische Kirche im Geld wie nie zuvor, 159 Zu den in der katholischen Kirche wahrgenommenen Kirchenkrise siehe Eugen Biser, Glaubenskonflikte. Strukturanalyse der Kirchenkrise, Freiburg im Breisgau 1989. 160 Vgl. Axel Schildt, Die Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland bis 1989/90, München 2007, S. 30ff. Auch Gallus konstatiert: „Im Jahr 1957 war Deutschland wirtschaftlich gesundet.“ Alexander Gallus, Zäsuren in der Geschichte der Bundesrepublik, in: Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Die Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz nach 60 Jahren, Köln 2008, S. 35–56, hier S. 46f.

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dank explodierender Kirchensteuereinnahmen aufgrund von Wirtschaftswachstum und beginnender Inflation […] Weniger sichtbar, doch für die weitere Kirchengeschichte relevanter war die enorme Vermehrung der Stellen u.a. für die Gemeinde- und Sonderpfarrdienste, die kirchliche Verwaltung und die diakonischen Einrichtungen.“161

Gesellschaftlich konnten sich so die Kirchen vor allem auch in den sozialen Bereichen massiv ausbreiten und zahlreiche diakonische Einrichtungen gründen. Eine bis dahin beispiellose Expansion von Diakonie und Caritas waren die Folge. In der Öffentlichkeit wurde dabei diese kirchliche Expansion der Wohlfahrtsverbände kaum wahrgenommen, in den Medien blieb sie dementsprechend unsichtbar. Nicolai Hannig, der die Medialisierung der Religion in Deutschland für den Zeitraum 1945–1980 untersucht hat, resümiert zu diesem Zeitraum: „Je mehr sich die Kirchen der Welt öffneten – so lässt sich vorsichtig formulieren –, desto mehr büßten sie an medialer Präsenz ein.“162 Im Gegensatz zu heutigen Debatten, in denen der finanzielle Sparzwang manche Debatte um Expansionsprojekte abbremst und eine genaue Abwägung inhaltlicher Schwerpunktsetzung erzwingt, schienen die Kirchen aus der starken Finanzsituation gleichsam eine Stärkung der kirchlichen Bedeutung herauszulesen. Diese Einschätzung erwies sich jedoch als tragische Fehlsicht: Zahlreiche Kirchenbauten, die in Auftrag gegeben und mit entsprechenden Planstellen versehen wurden, vermochten anschließend immer weniger Gemeindeglieder zu versammeln. Die Kirchenleitungen nahmen wahr, dass sich gegen Ende der 1960er Jahre ein Kirchenaustrittstrend entwickelte, den sie nicht erklären konnten. Als die Austrittszahlen die Zahlen der Aufnahmen in die Kirche überstiegen, wurde die Hilflosigkeit in den Kirchenleitungen immer größer, da sich ihnen für die Austritte keine Erklärung bot. Andreas Feige, der die Kirchenmitgliedschaft in Deutschland sozialwissenschaftlich untersucht hat, fasst die Entwicklungen zusammen: „Zwar kündigten auch schon in den 50er und 60er Jahren jährlich Zehntausende von Menschen beider Konfessionen ihre Mitgliedschaft auf. Aber das zahlenmäßige Ausmaß griff in den Mitgliederbestand nur unwesentlich ein und war für die Selbstverständlichkeit gesellschaftlicher Existenz der Kirchen in diesen Jahren unerheblich. 1963 verließen fast so viele Menschen eine der Gliedkirchen der EKD, nämlich ca. 39.000, wie im gleichen Jahr Aufnahmen (38.000) zu verzeichnen waren. 1966 lag die Menge aller jährlichen Austritte bei etwa 40.000, Ende 1967 waren es 43.000. Ein Jahr später registrierten die Statistiker der EKD schon 60.000 Austritte und 1969: 110.000, 1979: 201.000 und 1974: 218.000 Austritte aus der evangelischen Kirche. […] Eine Problemwahrnehmung, die nur die Zeit nach dem

161 Hauschild, Evangelische Kirche, 2006, in: Umbrüche, 2006, S. 64f. 162 Hannig, Religion, 2010, S. 19.

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Krieg zum Maßstab nahm, mußte in der Tat den Eindruck eines ‚Jahrhundertereignisses‘ bekommen.“163

Innerhalb sehr weniger Jahre traten also nicht nur deutlich mehr Personen aus der Kirche aus als Zugänge zu verzeichnen waren, sodass ein bemerkenswerter Rückgang der Mitgliederzahlen eintrat. Flankiert werden die sinkenden Zahlen der Kirchenmitgliedschaft dabei von einer stark absinkenden Teilnehmerzahl der Besucher der evangelischen Kirchentage. Die Besucherzahlen der Haupt- bzw. der später ab 1969 so genannten Abschlussversammlung sanken ausgehend von einer hohen Besucherbeteiligung noch am Anfang der 60er Jahre kontinuierlich ab Mitte der 60er Jahre. Dies wird deutlich, wenn man die Zahlen nebeneinander sieht (Veranstaltungsort: Personen): Essen 1950: 180.000, Berlin 1951 und Stuttgart 1952 je: 200.000, Hamburg 1953: 350.000, Leipzig 1954: 650.000, Frankfurt 1956: 600.000, 1959 350.000. Die Trendwende erfolgt dann kurz vor dem Mauerbau; Berlin 1961: 82.000, Dortmund 1963: 350.000 (erwartet wurden 500.000), Hannover 1967: 40.000, Stuttgart 1969: 40.000, Düsseldorf 1973: 24.000.164 Ausgehend von einer breiten Beteiligung und von großem gesellschaftlichen Interesse an diesem evangelischen Großereignis, das – in der Vergangenheit wie heute – wichtige Impulse auf die kirchliche Entwicklung gegeben hat, entwickelte sich ein immer größer werdendes Desinteresse. Diese Distanzierungsprozesse wurden problematischerweise zunächst weitestgehend weniger mit einer inhaltlichen Differenzierung der Kirchenmitglieder von der Institution Kirche in Verbindung gebracht: Vielmehr gingen die Erklärungsversuche in Richtung der wirtschaftlichen Entwicklung, also der Erhöhung der Einkommen und damit der gestiegenen Kirchensteuerabgaben.165 Eine Kirchenmitgliedschaft schien den verantwortlichen Deutern einfach zu teuer, an inhaltliche Gründe mochte von den Verantwortlichen zunächst kaum jemand denken, weswegen zwar die Austritte bedauert, aber zunächst nicht weiter untersucht wurden.166 Es erschien plausibel, dass die zeitliche Korrelation zwischen Hebesatzveränderung und angestiegenen Austrittszahlen eine direkte Kausalität darstellte. Als zweiter Grund wurde zudem eine diffuse „Unkirchlichkeit“ herangezogen, die sachlich 163 Andreas Feige, Kirchenmitgliedschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Zentrale Perspektiven empirischer Forschungsarbeit im problemgeschichtlichen Kontext der deutschen Religions- und Kirchensoziologie nach 1945, Gütersloh 1990, S. 111. 164 Vgl. Schroeter-Wittke, Kirchentag, 2006, in: Umbrüche, 2006, S. 214–221. 165 So z.B. bei Dieter Rohde, Kirchliche Statistik, in: KJ 1973, Gütersloh 1975, S. 470–526, hier S. 525., der noch sehr spät an diesem Erklärungsversuch festhielt. 166 Erst in den 70er Jahren werden dann gleich drei große Studien in Auftrag gegeben (siehe unten), obwohl die sich abzeichnende Situation auch schon mitte der 60er Jahre bewusst war. Eine EmnidUntersuchung aus dem Jahre 1967 wurde von katholischen und evangelischen Theologen kommentiert. Interessant ist die durchgängige Selbstwahrnehmung der Kirchen, die die Gegenwart als „Zeit der Krise“ für die Kirchen deuteten. Vgl. Martin Greschat, Protestantismus und Evangelische Kirche in den 60er Jahren, in: Dynamische Zeiten, Hamburg 2000, S. 544–581, hier S. 544.

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dann weiter unbegründet als Erklärung eingesetzt wurde. Aus der heutigen zeitlichen Entfernung betrachtet, mögen diese sorglosen Erklärungsmodelle recht leichtfertig erscheinen, jedoch darf man nicht vernachlässigen, dass aufgrund dieser völlig unerwarteten Mitgliedschaftsentwicklung unmittelbar keine systematischen Verstehensmodelle zur Verfügung standen, die den Problemkontext in Gänze überblicken und deuten konnten.167 Sieht man die kirchliche Selbstwahrnehmung, die sich in der Nachkriegszeit von einer Rechristianisierungserwartung aus als gesellschaftlicher Impulsgeber verstanden hatte, neben den großen finanziellen Möglichkeiten der Kirche zu der Zeit der 70er Jahre, so ist verständlich, dass die Deutung des Rückgangs in den Mitgliederzahlen aus kirchlicher Sicht geradezu apokalyptische Formen annahm. Die Gründe für einen Rückgang der kirchlichen Bindungskraft waren unklar und auch unverständlich. Der Rückgang der Kirchenmitgliedschaft beschwor zunehmend die Gefahr herauf, dass bedeutende Gesellschaftsschichten nicht mehr der Kirche angehörten, die die Kirche wiederum keinesfalls verlieren wollte. Im Selbstverständnis als Volkskirche konnten die Kirchen nicht einfach auf die Gesellschaftsschichten verzichten, deren Repräsentierung sie sich auf die Fahnen geschrieben hatten. Andreas Feige zieht in seiner Untersuchung als Erklärungsansatz des Mitgliederschwundes eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung heran, die sich in den 60er Jahren vollzog. Gründend auf der These von Hermann Korte, der in den 60er Jahren maßgeblich drei gesellschaftliche Bewegungen identifiziert (Frauenbewegung, Friedensbewegung, Erhaltung der Umwelt), die im Kern alle von der Erkenntnis motiviert waren, dass weniger institutionalisierte Autoritäten die Gesellschaft prägen, sondern die „Gesellschaft“ selbst politisch aktiv werden konnte, um Gesellschaft zu gestalten, sieht Feige ebenfalls den Verlust kirchlicher Wirkkraft im

167 Vgl. vor allem Feige, Kirchenmitgliedschaft, 1990, S. 112f. Zeitgenossen finden aber auch theologische Gründe für den Bedeutungsverlust: Der bis 1967 in Bonn lehrende Professor für Systematische Theologie Gerhard Gloege problematisierte bereits 1963 auf der vierten Vollversammlung des lutherischen Weltbundes in Helsinki den theologischen Bedeutungsverlust der Kirchen in der Nachkriegsgesellschaft. Er macht dies am Beispiel der Rechtfertigung fest. „Für die Väter war sie [die Lehre von der Rechtfertigung] Brunnquell und Richtmaß von Lehre und Leben. Für die Kirche bedeutet sie eine offenkundige Verlegenheit. Für die moderne Welt ist sie wenig mehr als eine sinnentleerte Formel der Vergangenheit. Sie spricht nicht mehr an.“ Der Begriff Rechtfertigung als ehemals zentrales Thema der evangelischen Theologie, so Gloege weiter, sei kraftlos geworden und bedeutet den Gemeindemitgliedern nichts mehr. Sie können nicht mehr verstehen, was Rechtfertigung bedeutet. Gloege gibt dafür drei Gründe an, die ineinander greifen: 1.) Die Doktrinalisierung: Aus einem Gottesgeschehen ist ein theologisches Lehrstück geworden. 2.) Die Individualisierung: Aus einem Menschheitsgeschehen ist durch Privatisierung der Rechtfertigung der Sinn für die „Christenheit“ abhandengekommen. 3.) Die Spiritualisierung: Aus einem Weltgeschehen, in dem neuer Himmel und neue Erde für die Menschen Realität wird, wird nur noch ein im frommen Herzen ablaufender Prozess verstanden, nicht aber mehr eine Veränderung in den menschlichen Taten gefordert. Vgl. Gerhard Gloege, Gnade für die Welt. Kritik und Krise des Luthertums, Göttingen 1964, S. 7–27.

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generellen Ansehensverlust institutionell verfasster Autoritäten gelegt.168 Feige fasst zusammen: „Die Kirche musste erst lernen, dass Politik in der Demokratie nicht ein Einklagen von Rechten war, sondern Kampf um die Formung des Gemeinwesens, Werben um Zustimmung in vielen Bereichen der Gesellschaft.“169

Zusätzlich zu den gesellschaftlichen Veränderungen in der Gruppe der Kirchenmitglieder wirkten sich die im Gegensatz dazu unveränderten Strukturen der Kirchen selbst umso größer aus, wie Jan Hermelink festhält: „[…] in den 1960er Jahren wurden verschiedene strukturelle Aspekte des staatskirchlichen Erbes vehement kritisiert, so etwa der selbstverständlich erhobene Anspruch der Kirche, den gesellschaftlichen Gruppen und Verbänden gegenüber zu treten, gleichsam auf einer Ebene mit den staatlichen Instanzen; sodann die bürokratische, bis ins einzelne der politischen Verwaltung entsprechende Administration; die Finanzierung der kirchlichen Arbeit durch eine seitens des Staates erhobene Kirchensteuer; und nicht zuletzt eine insgesamt bürokratisch-hoheitliche Sicht der Kirchenmitglieder, die diese nicht als selbstständige Christen, sondern primär als Glieder einer öffentlich rechtlichen Institution behandelt. Aufgrund dieser Fixierung auf staatsanaloge Strukturen erschien die Kirche unfähig, den gesellschaftlichen Wandel, auch die gewandelten ökonomischen und sozialen Lebensverhältnisse der 170 Einzelnen angemessen wahrzunehmen.“

Diese Wahrnehmungsschwierigkeiten sieht Martin Greschat wiederum auch inhaltlich begründet, indem die Kirche nicht mehr als Kontingenzbewältiger der Nachkriegszeit benötigt wurde. Er identifiziert den Grund für die zunehmende Distanzierung vieler von der Kirche in der zunehmenden Normalisierung der Verhältnisse. Er beschreibt die Folgen: „Die Kirche zahlte für die Durchsetzung ihres Konzepts [‚Rechristianisierung der Gesellschaft‘ (Anm. OG)] mit einem faktischen Realitätsverlust angesichts der komplizierten Bedingungen und Erfordernisse einer modernen Industriegesellschaft und mit der grundsätzlichen Ausgrenzung aller Sinndeutungen und Weltanschauungen, 168 Vgl. Feige, Kirchenmitgliedschaft, 1990, S. 119ff. Dort auch eine genauere Rekonstruktion der die Gesellschaft umformenden Prozesse, als sie hier möglich ist. Die Studie von Korte siehe hier: Hermann Korte, Eine Gesellschaft im Aufbruch. Die Bundesrepublik Deutschland in den sechziger Jahren, Wiesbaden 2009. 169 Feige, Kirchenmitgliedschaft, 1990, S. 125. Zugleich warnt er vor einer Vereinfachung: „Die wissenschaftlich-literarische Beschäftigung mit den ‚60er Jahren‘ vermag zumindest aber dies deutlich zu machen: Man muß sich davor hüten, das Jahrzehnt allein mit den innenpolitischgesellschaftlichen Ereignissen von 1967/1968, den sog. ‚Studenten-Unruhen‘, ausreichend beschreiben zu wollen. Vielmehr müssen mit Hartmut Korte die 60er Jahre insgesamt als eine Zeit gekennzeichnet werden, in der sich ‚eine Gesellschaft im Aufbruch‘ befand.“ ebenda, S. 112–113. 170 Jan Hermelink, Einige Dimensionen der Strukturveränderung der deutschen evangelischen Landeskirchen in den 1960er und 70er Jahren, in: Umbrüche, 2006, S. 285–302, hier S. 285.

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die sich dem eigenen Modell der christlichen Gesellschaftsordnung nicht integrieren ließen.“171

Auf die sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse und die damit veränderten Anforderungen an die Institution Kirche zu reagieren hatten die Landeskirchen und die EKD erhebliche Probleme. Ihnen mangelte es an verschiedenen Stellen, um den Zeitgeist zu erfassen und als Volkskirche attraktiv zu bleiben. Vornehmlich verhinderten die in den 1950er Jahren massiv propagierte und beständige Hoffnung auf eine umfassende Rechristianisierung der Gesellschaft die Sicht auf die sich verändernden Rahmenbedingungen, die eine umfassende Rechristianisierung und die damit einhergehende institutionelle Stärkung der Kirchen unwahrscheinlich werden ließ. Das Resultat der so entfremdeten Kirchenmitglieder war deren Austritt. 2.3.2 Mitgliedschaftsforschung 2.3.2.1 Beginn der Kirchenmitgliedschaftsforschung Aufgrund der sich quantitativ verändernden Kirchenmitgliedschaftszahlen wurde den kirchenleitenden Gremien gegen Ende der 1960er Jahre immer deutlicher, dass sie über die Beweggründe, die das Aufgeben der Kirchenmitgliedschaft verursachten, über Spekulationen hinaus kaum Kenntnis über das Austrittsverhalten ihrer Mitglieder hatten. Nun rächte sich, dass die religionssoziologische Forschung in den 1960er Jahren innerhalb der kirchlichen Gremien nur stiefmütterliche Beachtung gefunden hatte.172 Zwar konnte sie auf theoretischem Gebiet zahlreiche Publikationen verzeichnen, relevante empirische Arbeiten jedoch waren von den

171 Greschat, Die Evangelische Kirche, 1983, in: Benz (Hrsg.), Benz, Die Bundesrepublik Deutschland, 1983, S. 276. 172 Schmidtchen sieht die verzögerte Bereitschaft, sich der Empirie zuzuwenden, auch in einem kirchenspezifischen Selbstverständnis begründet: „Später als andere Institutionen haben die Kirchen sozialwissenschaftliche Forschungsaufträge vergeben, deren Thema sie selbst sind. Mit den Untersuchungen wurden Institute beauftragt, die schon seit Jahren für die Wirtschaft, die Rechtsprechung, Politik, Verwaltung und Massenmedien arbeiten. Als Ursache für diese kulturelle Verspätung kann zunächst ein theologisches Widerstreben gegen die Empirie namhaft gemacht werden. Wer über offenbarungsgesicherte Wahrheiten verfügt, die in ihrem Absolutheitsanspruch das Gegebene transzendieren, muß sich nicht notwendigerweise mit der Empirie einlassen, die doch nur das menschliche, das gebrochene, das verkündigungs- und pastorationsbedürftige Bewußtsein zeigen kann.“ Gerhard Schmidtchen, Machtverlust der Kirche und religiöse Entwicklung der Gesellschaft. Kirchliche Nachfrage nach sozialwissenschaftlicher Information als Symptom der Institutionskrise, in: Manfred Seitz/Lutz Mohaupt (Hrsg.), Gottesdienst und öffentliche Meinung. Kommentare und Untersuchungen zur Gottesdienstumfrage der VELKD, Stuttgart 1977, S. 21– 46, hier S. 21.

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Kirchen selbst nicht vorangetrieben worden.173 Das Interesse aber, die Austrittsgründe der Mitglieder zu kennen, war groß, schließlich wollte man den Trend zum Kirchenaustritt verstehen, um ihm entgegenwirken zu können.174 Unter den kirchlichen Entscheidungsträgern differenzierten sich dabei grob zwei Lager heraus, die ihre eigene Sicht auf die Mitgliedschaftsentwicklung entwickelten.175 Während die einen vom Untergang der Volkskirche überzeugt waren und ihr Ende aufgrund der sich durchsetzenden Säkularisierung und einhergehenden Entkirchlichung schon deutlich vor sich sahen, waren die anderen der Auffassung, dass die Kirche die Erwartungen ihrer Mitglieder ernster nehmen und in ein umgebautes Angebot kirchlichen Handelns überführen müsse.176 Die Befürworter eines Umbaus der kirchlichen Angebote nahmen hauptsächlich zunächst nur den Gottesdienst in den Blick. Der Gottesdienstbesuch war einer der wenigen Größen, die schon seit Langem erhoben wurden und in der Selbstwahrnehmung der kirchenleitenden Gremien das Kerngeschäft der Kirche ausmachten. Im Rahmen der vermeintlichen Austrittswelle ging auch der Gottesdienstbesuch zurück.177 Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Gottesdienst als eine wichtige Stellschraube angesehen wurde, die die Mitgliedschaftsentwicklung steuern könnte. Die innerkirchliche Diskussion um die Ausgestaltung des Gottesdienstes aufnehmend, war man unter anderem der Auffassung, durch entsprechende Veränderungen in der Liturgie den Erwartungen der Mitglieder an eine zeitgemäße Kirche gerecht zu werden. Gegner dieser Annahme sahen bereits in der Bereitschaft zur Veränderung den Niedergang der Institution Kirche.178 173 Einen Überblick über die in den 60er Jahren quantitativ stark angewachsene religionssoziologische Forschung findet sich in Unterteilung nach theoretischen und empirischen Publikationen hier: Feige, Kirchenmitgliedschaft, 1990, S. 137–139. 174 „So scheint es aus der Rückschau gut nachvollziehbar, dass in den Jahren 1968 und 1969 Unruhe und Ratlosigkeit in die kirchenleitenden Gremien einzogen. In dieser Situation fühlten sich die Institutionen zum Handeln aufgerufen. Vor allem galt es genaue und zuverlässige Informationen zur Lage zu erhalten. Die Losung jener Jahre hieß […] ‚Situationsaufklärung‘.“ ebenda, S. 137. 175 Zeitgleich wurde die Austrittsthematik auch in den Tageszeitungen diskutiert. Einen Überblick, wie die Austrittsthematik in den Tageszeitungen aufgenommen wurde, gibt Wolf-Dieter Marsch. Er betont den Zusammenhang zwischen Verstädterung und der Bereitschaft zum Kirchenaustritt. Wolf-Dieter Marsch, Institution im Übergang. Evangelische Kirche zwischen Tradition und Reform, Göttingen 1970, S. 116–117. 176 Beispielhaft für die Vertreter der Niedergangshypothese identifiziert Bühler gleich drei Motive für den Kirchenaustritt: 1. Die „Auflösung des Kartell der Angst bürgerlich-christlicher Moralität“, 2. Auflösung der „Sinnstiftenden Funktion der Kirche als Trägerinstitution des Lebenssinns“, 3. Wegfall der „rituellen Funktion der Kirche als Kompensationsindustrie sozial bedingten Leides.“ Siehe Karl-Werner Bühler, Warum melden die Leute sich ab? Motive und Deutungen der sogenannten Austrittswelle, in: Lutherische Monatshefte 9 (1970), S. 161–163, H. 4, hier S. 162. 177 Zahlenmaterial findet sich hierzu bei Helmut Hild (Hrsg.), Wie stabil ist die Kirche? Bestand und Erneuerung, Gelnhausen 1974, S. 11. 178 Sich auf das Lager der Neuerer schlagend, hält Helmut Hild fest: „Die konservative Presse sah in der überraschenden Entwicklung [der Kirchenaustritte (Anm. OG)] eine Quittung für zersetzende Wirkungen der ‚modernen Theologie‘ und für das politische Engagement der Kirche.“ ebenda, S. 8.

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In den Kirchenleitungen kam schließlich der Wunsch auf, die Kirchenmitgliedschaft zu untersuchen um dann, beruhend auf den Untersuchungsergebnissen, Handlungsoptionen zu formulieren. Dieser Wunsch stand nicht alleine da, sondern wurde von einer generell vorherrschenden „Planungseuphorie“ der Gesellschaft und ihren Institutionen flankiert. Man war sich sicher, dass aufgrund einer guten Datengrundlage – verbunden mit langfristigen Planungen – vorher definierte Ziele sicher erreichbar seien.179 Es ging hierbei jedoch nicht allein darum, die Gründe für den Kirchenaustritt oder das Verhältnis der Kirche zu ihren Mitgliedern zu erforschen, sondern teilweise auch darum, die innerkirchliche Diskussion über die Erneuerung des Gottesdienstes mit empirischem Material zu untermauern und die anschließenden Entscheidungen abzusichern.180 Innerhalb eines außergewöhnlich kurzen Zeitraums gaben sowohl die EKD als auch die VELKD große repräsentative Studien in Auftrag, die unmittelbar auf die Mitgliedschaftsentwicklungen zurückzuführen sind.181

179 In der Mitte der 60er Jahre setzte in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft ein Planungsboom ein, der die bisherigen Strukturen veränderte. Abgelöst vom Tagesgeschehen sollten die zu verändernden Bereiche optimiert werden und die anstehenden Entscheidungen langfristige Auswirkungen bekommen. Dadurch erhoffte man sich noch größeres und stabileres Wachstum. Vor allem im Bereich der Politik wurden aufgrund von z.B. neuartig rechnergestützten Modellen der Gesellschaftsentwicklung Theorien entwickelt, die oft genau so Gegenstand der politischen Entscheidungen wurden. In den frühen 70er Jahren ebbte die Planungseuphorie dann langsam ab, als man erkannte, dass allzu langfristige Planungen aufgrund der sich zu schnell verändernden Datengrundlagen, wie z.B. der Gesellschaftszusammensetzung, sich als wenig sinnvoll erwiesen hatten. Ein trauriges Beispiel ist, dass der Ende der 60er Jahre zu erwartende Arbeitskräftemangel aufgrund der aktuellen und daher auch als prognostizierten Vollbeschäftigung wie aus heutiger Sicht bekannt ist, nicht eintrat und so Förderungsmaßnahmen im Bildungsbereich ausblieben. Vgl. Hans Günter Hockerts, Planung als Reformprinzip. Einführung, in: Matthias Frese/Julia Paulus/Karl Treppe (Hrsg.), Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik, Paderborn 2003, S. 249–257, hier S. 249–257. Hauschild sieht dies geradezu als Geburtsstunde des vorher in diesem Maße in der EKD noch nicht etablierten kirchlichem systematischen Planungswesens und einer Hinwendung auf eine Effektivitätssteigerung kirchlicher Arbeit. Vgl. Hauschild, Evangelische Kirche, 2006, in: Umbrüche, 2006, S. 69. Siehe hierzu auch Reimut Jochimsen/Peter Treuner, Staatliche Planung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Richard Löwenthal/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Die zweite Republik. 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland – eine Bilanz, Stuttgart 1974, S. 843–864. 180 Die Ausgestaltung des Gottesdienstes erschien den kirchenleitenden Gremien auf katholischer wie auch auf evangelischer Seite als das Mittel zur Steuerung der Kirchenzugehörigkeit. Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche richteten in dieser Zeit jeweils Kommissionen zur möglichen Umgestaltung des Gottesdienstes ein. Vgl. Feige, Kirchenmitgliedschaft, 1990, S. 150. 181 Vgl. ebenda, S. 148. oder auch Johannes Hanselmann/Helmut Hild/Eduard Lohse (Hrsg.), Was wird aus der Kirche? Ergebnisse der zweiten EKD-Umfrage über Kirchenmitgliedschaft, Gütersloh 1987, S. 13. oder auch Hild, Wie stabil ist, 1974, S. 284. Beachte hierzu auch: Gerhard Schmidtchen, Protestanten und Katholiken. Soziologische Analyse konfessioneller Kultur, Bern 1979.

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2.3.2.2 EKD-Mitgliedschaftsstudien und ihre Ergebnisse 2.3.2.2.1 „Wie stabil ist die Kirche?“ Im Sommer 1972 wurde im Auftrag der EKD eine repräsentative Erhebung auf dem Gebiet der EKD durchgeführt, die Aufschluss über die Kirchenmitglieder und über ihre Einstellungen zur Kirche geben sollte.182 Mit dieser Untersuchung begann eine Reihe von Mitgliedschaftsuntersuchungen der EKD, die seitdem im Abstand von zehn Jahren durchgeführt wurden. Mit der ersten Kirchenmitgliedschaftsbefragung der EKD „Wie stabil ist die Kirche?“ wurde gegenüber der bisher angewandten Methodik der religionssoziologischen Forschung eine neue Methode der Forschung etabliert. Neu an der Befragung war, dass nicht mehr vornehmlich am Gottesdienst und seinem Besuch eine Bindung der Kirchenmitglieder festgemacht oder Glaubensüberzeugungen erfragt wurden, sondern ein weiter gefasster Begriff von Kirchenmitgliedschaft angenommen wurde. Es wurden nun auch andere, empirisch nachweisbare, Elemente christlicher Religiosität und kirchlicher Orientierung in die Forschung mit aufgenommen, sodass subjektive Interpretationen der je eigenen Kirchenmitgliedschaft in den Vordergrund treten konnten. Man versuchte die je eigenen Erwartungen an die Kirchenmitgliedschaft herauszuarbeiten und eine Klärung der Differenzierung von Kirchen- und Nicht-Kirchenmitgliedschaft zu erreichen.183 Durch die veränderte Frageweise wurde der individuellen Kirchenmitgliedschaft deutlich mehr Rechnung getragen als dies ein bloßes Abfragen von Glaubensüberzeugungen und geteilten Werten möglich gemacht hatte. Die „volkskirchliche Landschaft“ sollte auf diese neue Art detailgetreuer kartographiert werden als zuvor. Im Frageansatz wurde dabei die Kirche methodisch als Organisation unter konkurrierenden anderen Organisationen (Vereinen, Parteien, Gewerkschaften) betrachtet und ihr Angebot daraufhin untersucht, ob eine Befriedigung der eigenen Wünsche an die Organisation Kirche erwartet werden konnte. Die eigene Identifikation als zufriedenes Mitglied einer Kirche galt als wichtiger Indikator über die zukünftige individuelle Kirchenmitgliedschaft. Die Erwartung an die Studie war nun, zu erfahren, unter welchen Umständen die Mitglieder, deren Mitgliedsaufnahme ja durch das Taufgeschehen und nicht durch Unterschreiben einer Beitrittserklärung konstituiert wurde, ihre Mitgliedschaft auch beibehalten würden.184 Die Kirchenmitglieder als „Mitglied einer sozialen Organisation“ wahrzunehmen, war hinsichtlich der Fragetechnik vollkommen anders fokussiert als zuvor die Herange-

182 Hild, Wie stabil ist, 1974. Das dazugehörige Datenmaterial ist separat erschienen: Andreas Ketels/Hartmut Krebber, Wie stabil ist die Kirche? Ergebnisse der Repräsentativ-Erhebung „Kirchenmitgliedschaft“ ; [Materialband], Hannover 1974. 183 Vgl. Feige, Kirchenmitgliedschaft, 1990, S. 243ff. 184 Vgl. Hild, Wie stabil ist, 1974, S. 36.

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hensweise religionssoziologischer Untersuchungen. Vormals war hauptsächlich die Lehre der Kirche in der Wahrnehmung ihrer Mitglieder erforscht worden.185 Als Ergebnisse wurden in der Studie verschiedene Punkte festgehalten, die dem kirchlichen Trend, sich als in einer Krise befindlich wahrzunehmen und die Entchristlichung der Gesellschaft zu konstatieren, entgegenhielten, dass für eine Selbstwahrnehmung als „Kirche in der Krise“ keine Datengrundlage gegeben sei: „Das vordergründige Bild läßt auf eine wachsende Entfremdung der Mitglieder von ihrer Kirche schließen und die Statistik etwa des Gottesdienstbesuches und der Kirchenaustritte scheint das Bild zu bestätigen. Vom Rückgang feststellbaren Interesses und einem relativen Schwund an Mitgliedszahlen wird die Kirche zu der Frage gedrängt, wie es bei einer Fortsetzung dieses Trends um die Zukunft bestellt sei. Demgegenüber kommt unsere Erhebung zur Kirchenmitgliedschaft zu einem unerwartet positiven Ergebnis. Die Notwendigkeit von Kirche wird von einer überwiegenden Mehrzahl ihrer Mitglieder eindeutig bejaht. […] Zu einer pessimistischen Prognose für die Volkskirche besteht kein Anlaß.“186

Eines der Hauptergebnisse der ersten EKD-Untersuchung war, dass die traditionellen Aufgabenfelder von Kirche auch diejenigen waren, die von den Mitgliedern als Hauptaufgabe auch zukünftig erwartet wurden: Diakonie, Lehre und Verkündigung waren und sollten auch zukünftig, nur „verstärkt und besser“ das kirchliche Handeln bestimmen. Neuartige Handlungsfelder dagegen, wie zum Beispiel die Hilfe für die Dritte Welt oder politisches Engagement, sollten aus Sicht der befragten Mitglieder in den Hintergrund treten.187 2.3.2.2.2 „Was wird aus der Kirche?“ Planmäßig zehn Jahre später erschien 1982 die zweite repräsentative Mitgliederbefragung. Sie trug den Titel „Was wird aus der Kirche?“ und nahm die Methodik der ersten Befragung auf.188 Das sollte die Vergleichbarkeit der beiden Studien sicherstellen. Hinzugefügt wurden allerdings noch Fragen nach der individuellen Interpretation des Evangelischseins und die Erwartungen an die Kirchentage, um so noch mehr die individuellen Erwartungen der Mitglieder wahrnehmen zu können. 185 Vgl. Hanselmann et al., Was wird aus, 1987, S. 14f. 186 Hild, Wie stabil ist, 1974, S. 2. Zudem wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Wahrnehmung der Kirchenaustritte gemessen an den Zahlen überinterpretiert worden war: „Überdies beeinflusst die Form der Darstellung den Eindruck. So liefert der prozentuale Vergleich von Austrittszahlen in entsprechenden Zeiträumen ein ganz anderes Bild als die absoluten Zahlen oder deren prozentuale Beziehung auf die Gesamtzahl der Kirchenmitglieder.“ ebenda, S. 9. 187 Vgl. Hanselmann et al., Was wird aus, 1987, S. 19. 188 Die zweite EKD-Studie erschien dementsprechend zehn Jahre später: ebenda. Siehe auch den dazu später erschienenen Band Joachim Matthes (Hrsg.), Kirchenmitgliedschaft im Wandel. Untersuchungen zur Realität der Volkskirche; Beiträge zur 2. EKD-Umfrage „Was wird aus der Kirche?“, Gütersloh 1990.

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Zudem wurden auch explizit die von der EKD herausgegebenen Denkschriften in den Blick genommen. Die Aussage „Die evangelische Kirche hilft zur Urteilsbildung in wichtigen Gegenwartsfragen durch Ausarbeitungen/Denkschriften/Handreichungen“ musste von den Befragten bewertet werden. Der Auffassung „Trifft heute zu“ waren nur 18% der Befragten.189 Daraus lässt sich nun entweder herauslesen, dass die Denkschriften nicht hilfreich genug zur Urteilsbildung oder in ihre Existenz vornehmlich unbekannt waren. Obwohl die Frage im Kontext der Wahrnehmung kirchlichen Handelns gestellt wurde, wurde in der Auswertung keinerlei Bezug auf diese Frage oder generell der Denkschriftenarbeit genommen. Die Antworten zu dieser Frage blieben unkommentiert. Das ist erstaunlich, da schließlich diese Frage gegenüber der ersten Befragung hinzugekommen war und die Denkschriften nicht nur von kirchlicher Seite als Aushängeschild protestantischer Gesellschaftsarbeit betrachtet wurden. Dass nur 18% der Befragten eine wie auch immer geartete positive Rückmeldung zur Denkschriftenarbeit der EKD einnahmen, hätte die Auftraggeber zu Nachfragen veranlassen müssen. So blieb unklar, inwiefern die Denkschriftenarbeit von den Mitgliedern bewertet wurde. Im Kontext der zweiten Studie wird zudem der Begriff der „Unbestimmtheit“ wichtig, und zwar in doppelter Hinsicht:190 Zum einen wird kritisiert, dass die Kirche selbst in den gesellschaftlichen Debatten zu „unbestimmt“ sei, während zum anderen die Mitglieder hinsichtlich ihrer Angaben bei der Befragung ebenfalls zu „unbestimmt“ gewesen seien. Der zweiten Bedeutung nach, also der inhaltlichen Unbestimmtheit der Mitglieder gegenüber den kirchlichen Aussagen und Tätigkeiten, schloss sich eine kritische Diskussion an, ob dieses sich aus der Studie überhaupt herauslesen lassen könne. Die aufgemachte Deutungskategorie der „Unbestimmtheit“ hinsichtlich theologisch-inhaltlicher Auffassungen von Kirchenmitgliedern sei kritisch zu sehen, da bereits die Frageform, so die zeitgenössische Kritik, diese Unbestimmtheit evoziere. In der Umfrage wurden den Befragten mehrere Antwortmöglichkeiten gegeben. Wenn mehrere Antworten angekreuzt wurden, so ergab sich die augenscheinliche Erklärung, dass die Befragten hinsichtlich der Antwort keine eindeutige Position beziehen könnten. Einer solchen Deutungsweise der Ergebnisse wurde von zeitgenössischen Kritikern wie Trutz Rendtorff eine klare Absage erteilt: „Die Erwartung, ein guter Christ sei dadurch definiert, daß er klare und zweifelsfreie Antworten für alle geistigen Fragen parat habe, steht im offenkundigen Gegensatz zur Wirklichkeit.“191

189 Vgl. Hanselmann et al., Was wird aus, 1987, S. 95. 190 Die Thematik der „Unbestimmtheit“ fand eine breite Diskussion in der Folgezeit. Siehe exemplarisch Joachim Matthes, Unbestimmtheit: Ein konstitutives Merkmal der Volkskirche?, in: Was wird aus, 1987, S. 149–162. 191 Trutz Rendtorff, Was können wir tun? Bemerkungen zur praktischen Relevanz von Theologiefragen, in: Was wird aus, 1987, S. 199–213, hier S. 208.

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Dass die Befragten mehrere Antworten ankreuzten, würde nur aussagen, so Rendtorff weiter, dass die vorgegebenen Antworten nicht zu Ihnen „passten“. Herauslesen könne man nur, dass es offenkundig eine große Differenz zwischen der von den meisten angegebenen allgemeinen Zustimmung zur Kirche im Generellen und einzelnen inhaltlich-unbestimmten Antworten hinsichtlich spezifischer Teilnahmeerwartungen an die Kirche gäbe.192 Wichtiger für die hier getätigte Untersuchung ist jedoch die erstgenannte Bedeutung von Unbestimmtheit. Der Selbstwahrnehmung als „Kirche in der Krise“ wurde als Grund ihrer Krise die Uneindeutigkeit gegenübergestellt, die sie als Organisation im gesellschaftlichen Diskurs einnahm. Die Studie identifiziert die Uneindeutigkeit als Problem der Kirche ihrer Zeit. Von den Autoren des Abschlussberichtes wird als Ergebnis der Befragung ein Lösungsvorschlag formuliert: „Die zurückgehende allgemeine Ausstrahlungskraft der Kirche soll durch eine neue religiöse und ethische Bestimmtheit kompensiert werden.“193 Ursache der geforderten religiösen und ethischen Bestimmtheit sei das Selbstverständnis von Kirche und Gemeinde selbst: „Kirche wird verstanden als die Sammlung von engagierten Christen, die durch ihre Überzeugungen sowie durch die Art ihrer Lebensführung zu der sie umgebenden Gesellschaft deutlich auf Distanz gehen.“194

Unter der Überschrift „Stichworte zur Weiterarbeit“ wird daher auch die fehlende Bestimmtheit der Kirche angesprochen und gefordert, zukünftig durch verbesserte Verständigung von kirchlichen Handlungsträgern und Kirchenmitgliedern herauszufinden, was als kirchliche Position anzunehmen sei und diese repräsentativ öffentlich einzunehmen. Damit solle Kirche auch von außen identifizierbarer werden.195 Wie dieser Verständigungsprozess geschehen soll, blieb dabei offen.196 Für die weiterführende Denkschriftenarbeit und kirchliche Publizistik lieferte diese Studie daher kaum hilfreiches Material, wie eine Weiterarbeit zukünftig auszusehen habe. Das geforderte „bestimmte Auftreten“ der Kirche stand schließlich im Gegensatz der protestantischen Freiheit jedes Einzelnen. Gerade die Unbestimmtheit hatte sich in der Vergangenheit als kirchliches Ideal herausgestellt: Kirche wollte ja gerade die Diskussion in schwierigen Debatten ermöglichen, ohne dabei selber Position beziehen zu müssen. Diesen Kern protestantischen Selbstver-

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ebenda. Hanselmann et al., Was wird aus, 1987, S. 70f. ebenda. Vgl. ebenda, S. 82f. Was heute als „overlapping Membership“ benannt wird, existierte ohne diesen Namen auch damals: Kirchliche Handlungsträger sind gleichfalls Mitglieder, wie auch Kirchenmitglieder, die sich in der Gemeinde engagieren, gleichsam kirchliche Handlungsträger sind. Die darin implizierten Schwierigkeiten, wer sich mit wem verständigen soll, sind evident. Vgl. hierzu auch ebenda, S. 63.

Die „Kirchenkrise“ als Anlass kirchlichen Umdenkens

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ständnisses hatten, so schien es den Autoren, die Kirchenmitglieder leider nicht verstanden. 2.3.2.3 VELKD-Studie: Gottesdienst in einer rationalen Welt 1972 Auch die VELKD hatte sich der durch die unerklärlich sinkenden Kirchenmitgliedschaftszahlen definierten Aufgabe gestellt und eine große Studie in Auftrag gegeben.197 Sie war inhaltlich anders aufgebaut als die im gleichen Jahr durchgeführte EKD Studie: Im Gegensatz zur EKD-Studie „Wie stabil ist die Kirche“, die ja den Kirchenbegriff ausgeweitet hatte und nicht mehr den Gottesdienstbesuch in den Vordergrund kirchlicher Zugehörigkeit gestellt hatte, wurde die VELKD-Studie ausdrücklich mit dem Schwerpunkt „Gottesdienstbesuch“ aufgebaut. Manfred Seitz formuliert im Vorwort der Studie das Problem des schwindenden Mitgliederbestandes als Problem der Entkirchlichung insofern, als dass ohne Gottesdienstbesuch eben auch die Begegnung von Mensch und Gott abnehme, was zur Entfremdung des Menschen zur Kirche führe. „Das Problem besteht darin, daß immer weniger Menschen zum Gottesdienst gehen, immer mehr den Ort des Treffens meiden und Ungezählte als Ungesendete den Weg nach draußen gegangen sind.“198

Die am Gottesdienst ausgerichtete, von Gerhard Schmidtchen durchgeführte, religionssoziologischen Untersuchung hatte zum Ergebnis, dass die Mitglieder der Kirche zwar eine hohe gesellschaftliche Verantwortung zumessen, diese jedoch in der Tagespolitik nicht mitmischen solle. Die Themen „Frieden“ oder „Gerechtigkeit“ standen auf der Liste, was in einer guten Predigt vorkommen möge, ganz oben, jedoch anscheinend nur auf einer abstrakten Ebene, denn Schmitdchen konstatiert: „Eine große Mehrheit lehnt die Behandlung politischer Tagesfragen in der Predigt ab“, und weiter: „Überraschenderweise sagt sogar die Mehrheit der politisch Interessierten, dass Politik in der Kirche nichts zu suchen habe.“199 Das Wegbleiben vom Gottesdienst wiederum läge an einer Grenzziehung, die von einigen Mitgliedern empfunden würde. „Menschen mit einer positiven Einstellung zu Jesus Christus, aber ohne Glaubensqualifikation fühlen sich nicht motiviert, nicht legitimiert, regelmäßig am kirchlichen Leben teilzunehmen. […] Diese Grenzziehung wird von der Kirche vollzogen,

197 Schmidtchen et al., Gottesdienst, 1973. Beachte auch den dazugehörigen Kommentarband: Manfred Seitz/Lutz Mohaupt (Hrsg.), Gottesdienst und öffentliche Meinung. Kommentare und Untersuchungen zur Gottesdienstumfrage der VELKD, Stuttgart 1977. 198 Manfred Seitz, in: Gottesdienst, 1973, hier S. 11. 199 Schmidtchen et al., Gottesdienst, 1973, S. 96.

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Vorerfahrungen der evangelischen Kirche

von theologischen Prämissen und dem sich durch sie konstituierenden Gemeindeleben.“200

Letztlich würden aber die Kirchenaustritte erfolgen, wenn die von der Kirche vertretenen Inhalte nicht mehr geteilt würden. Der Kirchenaustritt sei dann die Konsequenz einer inneren Entfernung von der Kirche.201 Schmidtchen spricht hierbei vom Phänomen der „kognitiven Dissonanz“, also dem Auseinanderfallen von kirchlich vertretenen und persönlich empfundenen Glaubens- und Wertvorstellungen. In der VELKD-Studie wird also, wie auch schon in der EKD-Studie, die Gratwanderung deutlich, die von den Kirchen erwartet wurde: Zum einen würden von der Kirche eindeutige, verständliche Aussagen erwartet, die gleichzeitig mit den je eigenen Auffassungen übereinstimmen sollten. Zum anderen sollten von den Kirchen weniger konkrete Themen denn abstrakte Probleme aufgegriffen werden. Die Kirchen mussten sich also bemühen, eine Kommunikationsform zu finden, die sowohl eindeutig Position bezog als auch gleichzeitig so offen blieb, dass möglichst viele Kirchenmitglieder sich damit identifizieren konnten. Vor allem wurde deutlich, dass die Kirche eine Sprache sprechen musste, die von den Mitgliedern auch verstanden werden würde, wenn sie sich nicht weiterhin dem Vorwurf einer Grenzziehung aussetzen wollte. 2.3.2.4 Katholische Mitgliedsforschung Auch die katholische Kirche hatte in den 1970er Jahren eine große empirisch ausgerichtete Studie beim Allensbacher Institut für Demoskopie unter maßgeblicher Beteiligung von Gerhard Schmidtchen in Auftrag gegeben.202 Der Anlass ist jedoch weniger direkt auf die wahrgenommene Austrittsbewegung zurückzuführen, als vielmehr auf die seit dem Zweiten Vatikanum vorherrschende Diskussion um eine mögliche Neuausrichtung der Kirche. Auf der zwischen 1971 bis 1975 stattfindenden „Gemeinsamen Synode der katholischen Bistümer“ in Würzburg sollte auch eine Diskussion über die Erwartungen der Kirchenmitglieder an die Kirche statt200 Feige, Kirchenmitgliedschaft, 1990, S. 181. 201 Vgl. Schmidtchen et al., Gottesdienst, 1973, S. 80–82. 202 Schmidtchen sieht die Offenheit der katholischen Kirche gegenüber der evangelischen Kirche, religionssoziologische Studien durchzuführen in den verschiedenen theologischen Traditionen begründet: „Es ist kein historischer Zufall, daß es in der Forschungsaktivität einen Unterschied zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche gibt. Sonst fortschrittsfreudig und zu schnellem Wandel bereit, der Moderne bis in die Modetrends hinein folgend, erwiesen sich die Protestanten gegenüber der empirischen Erforschung von Glaubenssystemen und zugeordneten Verhaltensweisen als langsam. Die katholische Kirche war die Schrittmacherin der Sozialforschung für die Kirche, der Sozialforschung auf religiösem Gebiet. Diese neuen Informationsquellen konnten von ihr theologisch leichter akzeptiert werden. Das Empirische hat für die in der Seinsphilosophie des Thomismus Lebenden alles andere als eine geistferne Irrelevanz.“ Schmidtchen, Machtverlust der Kirche, 1977, in: Seitz/Mohaupt (Hrsg.), Seitz et al., Gottesdienst und öffentliche Meinung, 1977, S. 21.

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finden. Um diese Diskussion vorzubereiten, genehmigte die Deutsche Bischofskonferenz 1970 eine groß angelegte Befragung, in deren Rahmen mehr als 20 Mio. Fragebögen an Katholiken versandt und im Rücklauf ca. 4,4 Mio. Bögen ausgewertet wurden.203 Die Ergebnisse der Befragung der Katholiken sollten dabei einem bestimmten Zweck dienen: Die sich innerhalb der katholischen Kirche abspielenden Machtkämpfe um die im Rahmen des Zweiten Vatikanums durchzuführende Demokratisierung der katholischen Kirchenstrukturen sollte auf eine solide Basis gebracht werden. Der Sekretär der Bischofskonferenz, Karl Forster, beklagte, dass ohne eine solche Basis ein jeder für seine eigene Richtungsentscheidung im katholischen Kontext die stumme Unterstützung der innerkirchlichen Mehrheit angäbe, um seine Position zu legitimieren. Diese Mehrheit sei problematischerweise aber ohne Datengrundlage weder zu verifizieren noch zu falsifizieren.204 Die Mitgliedsforschung stellte auf katholischer Seite also im theologischen Meinungskampf um die Ausrichtung der Kirche jener Jahre eine wichtige Rolle.205 Die Ergebnisse dieser und weiterer katholischer religionssoziologischer Forschung jener Zeit fasst Karl Gabriel zusammen und kommt darin zu einem ähnlichen Ergebnis, wie dies auch die evangelische Forschung zusammengetragen hatte: „Damit lässt sich aus dem verfügbaren Umfragematerial für die Lage der katholischen Kirche und der Katholiken in der Umbruchsituation der späten 60er Jahre folgendes Resümee ziehen: Die Kirche büßte einen Teil ihrer bis dahin außerordentlich hohen Integrationskraft ein. Dies äußerte sich nicht primär in einer Abwendung von der Kirche und in einer völligen religiösen Indifferenz, sondern vielmehr in einem stärkeren Abrücken von kirchlichen Verhaltenserwartungen und in einer größeren Distanz zu den kirchlichen Glaubensvorgaben.“206

Das erklärt, warum die Austrittszahlen auf katholischer Seite weniger stark gestiegen waren, als es auf evangelischer Seite geschehen war. Die Kirchenmitglieder drückten ihre innere Distanz nicht durch den Kirchenaustritt aus.207 Besonders nach Publikation der päpstlichen Enzyklika „Humanae Vitae“ stiegen jedoch die kritischen Anfragen an die kirchenleitenden Personen und verstärkt fanden öffentliche Protestaktionen statt. Zudem begann die katholische Kirche Nachwuchsprob-

203 Eine genauere Aufarbeitung findet sich u.A. bei Feige, Kirchenmitgliedschaft, 1990, S. 140ff. 204 Siehe hierzu den Artikel von Karl Forster (Hrsg.), Befragte Katholiken. Zur Zukunft von Glaube und Kirche; Auswertungen und Kommentare zu den Umfragen für die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Freiburg im Breisgau 1973. 205 Vgl. Feige, Kirchenmitgliedschaft, 1990, S. 144f. 206 Gabriel, Zwischen Aufbruch und, 2000, in: Dynamische Zeiten, Hamburg 2000, S. 539. 207 Über die Schwierigkeiten, Aussagen aus den religionssoziologischen Untersuchungen beider Kirchen zu treffen, siehe weiterführend Franz-Xaver Kaufmann, Empirische Sozialforschung zwischen Soziologie und Theologie, in: Karl Forster (Hrsg.), Befragte Katholiken. Zur Zukunft von Glaube und Kirche; Auswertungen und Kommentare zu den Umfragen für die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Freiburg im Breisgau 1973, S. 185–197.

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leme innerhalb der Priesterschaft zu bekommen.208 Insofern die Kirchenaustritte auf katholischer Seite untersucht wurden, wurde als Grund zunehmend die religiöse Entfernung der kirchlich vertretenden Glaubensinhalte angegeben.209 Letztlich hatte auch die katholische Mitgliedsforschung zum Ergebnis, dass die Kirche den gesellschaftlichen Wandel der 1960er Jahre nicht vollzogen hatte und somit weder fähig war, die Themen zu identifizieren, deren kirchliche Behandlung von den Kirchenmitgliedern gewünscht waren, noch diese Themen so kommunikativ zu bearbeiten, dass sie verstanden und akzeptiert werden konnten. Franz-Xaver Kaufmann fasst dies zusammen: „Es ist nämlich zu vermuten, daß das verbreitete Unbehagen über den gegenwärtigen Zustand des deutschen Katholizismus eine seiner wesentlichen Ursachen in gesellschaftlichen Wandlungen hat, die durch das bisherige kirchliche Denken nicht angemessen begriffen und verarbeitet werden können. Daher wirkt das Christentum – oder sagen wir lieber das bisherige Sprechen über den Glauben und das Leben des Christen in der gegenwärtigen Welt – für viele weltfremd, verliert seine Plausibilität und prägende Kraft.“210

2.4 Verbindung der Vorerfahrungen evangelischer Kirche für die Bearbeitung der neuen Herausforderungen der 1980er Jahre Die drei betrachteten Bereiche, also das sich entwickelnde Verhältnis von Kirche und Politik, die Entwicklung öffentlicher Stellungnahmen in der EKD und die in der Kirchenkrise gemachten Erfahrungen sind eng miteinander verzahnt. Sie alle geschehen im selben Zeitraum und beschäftigen die gleichen Akteure. Gerade deshalb lohnt es sich, die Bereiche einmal getrennt und einmal gemeinsam zu betrachten. Die Erfahrungen und auch Vorgehensweisen, die in der systematischen Einflussnahme des Protestantismus auf dem politischen Gebiet entwickelt wurden, sind vornehmlich an Individuen gekoppelt, die aus einer inneren protestantischen 208 Vgl. Feige, Kirchenmitgliedschaft, 1990, S. 137. 209 Hierzu kommt ein weiterer Faktor: Die strenge Trennung des katholischen Milieus vom protestantischen war weitgehend erodiert. Die Austrittszahlen, die aufgrund der Mischehen resultierten, versuchte man aufgrund der bereits beschriebenen gemeinsamen Ordnung über die Seelsorge von konfessionsverschiedenen Paaren zu vermeiden. Die Gründe für den Kirchenaustritt wiesen überraschend hoch die bis dahin noch kirchlich ungeklärte Mischehe als Austrittsgrund aus. So berichtet die Herder-Korrespondenz 10/70: „In der Erzdiözese Freiburg wurden 1969 2678 Kirchenaustritte gemeldet. Davon machten 509 Personen keine Angaben über den Grund ihres Austritts. Die übrigen gaben folgende Gründe an: Mischehe (652. d.i. ca. 25%) Ehescheidung (59), Zivilehe (69), Sekten (182), Religiöse Indifferenz (843, etwas über 30%) Kirchensteuer (364).“ Zit. nach Hild, Wie stabil ist, 1974, S. 15. 210 Kaufmann, Empirische Sozialforschung, 1973, in: Forster (Hrsg.), Befragte Katholiken, 1973, S. 191.

Verbindung der Vorerfahrungen evangelischer Kirche

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Antriebskraft heraus politisch aktiv sind. Letztlich konnte sich der Protestantismus in den 1960er Jahren aus der schwachen Zuordnung zur CDU lösen und zunehmend parteiübergreifend aktiv werden. Dadurch verlor er zwar einerseits an Wirkkraft, da die politischen Stimmen sich nun auf mehrere Parteien verteilten, konnte aber gleichzeitig andererseits sein eigenes Profil schärfen. Die Prägekraft katholisch-naturrechtsverbundener politischer Entscheidungen trat dabei zunehmend in den Hintergrund. Die von der evangelischen Kirche entwickelte transparente Diskussionskultur, die an den argumentativ aufgebauten Denkschriften festzumachen ist, hatte dabei einen großen Anteil. Durch die Entwicklung des Formats der Denkschriften gelang es der evangelischen im Gegensatz zur katholischen Kirche einen gesellschaftlichen Diskussionsbeitrag zu leisten, der mehrere Positionen zu versöhnen suchte, anstatt an einer institutionell gefassten Position festzuhalten. Auf dem Hintergrund der Modernisierungsschübe der 1960er Jahre konnte somit eine moderne Form der institutionellen gesellschaftlichen Partizipation entwickelt werden. Dabei geriet die evangelische Kirche trotz aller Bemühungen, modern zu kommunizieren, in einen Problemzusammenhang: Die von der evangelischen und auch katholischen Kirche öffentlich vertretenen Positionen zu ethischen Themen, und dabei ist in den 1960er und 1970er Jahren hauptsächlich der Konflikt um den Schwangerschaftsabbruch zu nennen, werden zunehmend weniger von den Kirchenmitgliedern geteilt. Da in der evangelischen Kirche die Bindung an die Institution weniger ausgeprägt ist als in der katholischen, äußerte sich dies auf evangelischer Seite in einem bemerkbaren Anstieg der Kirchenaustrittszahlen, während die Distanzierung der vertretenden Positionen auf katholischer Seite weniger messbar erfolgte. Die zunehmende kognitive Dissonanz zwischen individuellen Glaubensund Wertvorstellungen der evangelischen Kirchenmitglieder und der öffentlich von der EKD vertretenden Positionen konnte zunächst von der Kirchenleitung nicht gedeutet werden. Erst in den 1970er Jahren kamen erste Erklärungsmodelle durch die religionssoziologische Forschung auf, die eine Entfremdung zwischen Kirche und ihren Mitgliedern diagnostizierten. Die evangelische Kirche sah sich nun vor die Aufgabe gestellt, individuelle Glaubens- und Wertvorstellungen mit denen der Kirche zu vereinen. In der öffentlichen Kommunikation wurde folglich versucht, verständlicher zu sprechen und darauf zu achten, dass möglichst eine Vielzahl von Kirchenmitgliedern sich die Position der Kirche zu eigen machen konnte. Um gegenüber der Politik an Wirkkraft zu gewinnen, wurden in den 1970er Jahren wiederum gemeinsame Stellungnahmen zwischen evangelischer und katholischer Kirche erstellt. Dabei gelang es zwar gegenüber der politischen Öffentlichkeit als gemeinsame Stimme wahrgenommen zu werden, jedoch konnte die evangelische Kirche hierbei zunächst ihr frisch entwickeltes transparentes und verschiedene Positionen versöhnendes Vorgehen in öffentlichen Stellungnahmen nicht durchsetzen. Am Anfang der 1980er Jahre stand die evangelische Kirche somit vor der Herausforderung, hinsichtlich ihrer öffentlich vertretenen Positionen so zu sprechen, dass eine größtmögliche Rückbindung an die Kirchenmitglieder erfolgte; Transpa-

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renz, Verständlichkeit, individuelle Identifizierungsmöglichkeiten in der öffentlichen Stellungnahme von evangelischer Kirche und damit letztlich eine moderne Ethik wurden von den Kirchenmitgliedern eingefordert. Gleichzeitig jedoch war die evangelische Kirche auf die Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche angewiesen, da im politischen Geschehen die konfessionellen Differenzierungen einer breiteren Öffentlichkeit immer weniger verständlich gemacht werden konnten. Beide Kirchen mussten, wollte sie die eingenommenen Positionen auch politisch verwirklicht sehen, mit einer gemeinsamen – christlichen – Stimme sprechen. Da jedoch Zusammenarbeit immer auch Kompromisse hervorbringt, begann eine schwierige Gratwanderung auf dem Weg kirchlicher öffentlicher Kommunikation.

3 Globale und ökumenische Bemühungen Vorarbeiten evangelischer und kirchlicher Bioethik 3.1 Erste thematische Integration Der konziliare Prozess zu „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ Inmitten der in den 1980er Jahren geführten umweltpolitischen Diskussionen, den Überlegungen zu den medizintechnischen Fortschritten und deren Anwendbarkeit oder gar Etablierung im Gesundheitssystem, kam unter den christlichen Kirchen eine Bewegung auf, die die bisher angesprochenen Bereiche ebenfalls behandelte und sich – in Verknüpfung der Friedensfrage und dem Problem globaler Gerechtigkeit – der „Bewahrung der Schöpfung“ zuwendete. Die christlichen Kirchen nahmen damit die Umweltdebatte in ihren globalen Kontexten auf. Da sich diese Debatte – von den Kirchen auf globaler Ebene geführt – in etwa zeitgleich zu den Diskussionen in Deutschland ereignete und somit die Kirchen doppelt beschäftigte, muss der konziliare Prozess in seinen Grundzügen betrachtet werden.1 Auf der Vollversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Vancouver 1983 brachte die Delegation des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR (BEK) einen Antrag ein, der zum Ziel hatte, ein Friedenskonzil einzuberufen, an dem sich alle christlichen Kirchen weltweit beteiligen sollten.2 Thematisch sollte dieses Friedenskonzil die Bereiche „Frieden und Gerechtigkeit“ behandeln, da in der Wahrnehmung der Delegierten diese Themen die größten Herausforderungen der Gegenwart zu sein schienen. Die ÖRK-Versammlung konnte sich wegen des problematischen Konzilbegriffes nicht auf eine Annahme des Antrags einigen, jedoch wurde eine umfassende „Erklärung zu Frieden und Gerechtigkeit“ verabschiedet.3 Besonders der katholischen Kirche wollte man mit dem Konzilsbegriff 1

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Eine detaillierte Aufarbeitung des konziliaren Prozesses findest sich bei Katharina Kunter, Erfüllte Hoffnungen, 2006. und für die Bedeutung des konziliaren Prozesses für den politischen Umbruch in der DDR 1989 siehe vor allem Stephen Brown, Von der Unzufriedenheit zum Widerspruch. Der konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung als Wegbereiter der friedlichen Revolution in der DDR, Frankfurt am Main 2010. Und auch Stephen Brown, The Transformation of Disaffection into Dissent: The Conciliar Process for Justice, Peace and the Integrity of Creation in the German Democratic Republic, in: Gesellschaft zur Förderung Vergleichender Staat-Kirche-Forschung e.V (Hrsg.), Der konziliare Prozess in der DDR in den 1980er Jahren, Berlin 2009, S. 53–56. Antragsführer war hierbei Heino Falcke. Siehe Brown, Von der Unzufriedenheit, 2010, S. 11. Siehe hierzu Kunter, Erfüllte Hoffnungen, 2006, S. 36. und Martin Greschat, Der Protestantismus in der Bundesrepublik Deutschland (1945–2005), Leipzig 2010, S. 181. Heino Falcke erarbeitete unter Mithilfe von Oberkonsistorialrat Gerhard Linn, der theologischer Dezernent der evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg-Region Ost war, einen entsprechenden Antrag, der die Zustimmung der Mehrheit der Delegierten des BEK fand. Siehe Horst Dähn, Einleitende Bemerkungen zur Vorgeschichte der Ökumenischen Versammlung in der DDR 1988/1989, in: Gesellschaft

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keine Schwierigkeiten machen, da er innerkirchlich andere Verbindlichkeiten einforderte als dies ein ökumenisches Konzil für die katholische Kirche hätte haben können.4 Anstatt daher ein „Konzil“ einzuberufen, sollte, so wurde in Vancouver letztlich entschieden, ein „konziliarer Prozess“ gestartet werden, um die benannten Anfragen der Zeit zu diskutieren. Gleichzeitig wurde der Titel um die ökologischen Fragen erweitert und die „Bewahrung der Schöpfung“ aufgenommen: „Conciliar Process for Justice, Peace and the Integrity of Creation“. Zudem sollte die kommende Vollversammlung des ÖRK 1990 inhaltlich unter der Thematik „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ stehen, der unterdessen geführte konziliare Prozess sollte zur inhaltlichen Vorbereitung dieser Versammlung dienen.5 Neuartig an der Diskussion war, dass die Themen „Gerechtigkeit“, „Frieden“ und „Bewahrung der Schöpfung“ nicht mehr als unverbundene Reihe von Problemen diskutiert wurden, sondern als miteinander verbundene Problembereiche gesehen wurden.6

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zur Förderung Vergleichender Staat-Kirche-Forschung e.V (Hrsg.), Der konziliare Prozess in der DDR in den 1980er Jahren, Berlin 2009, S. 7–12, hier S. 9. Der Antrag selbst hatte inhaltlich den Schwerpunkt auf den Friedensaspekt gelegt und forderte u.A. den Stopp aller Kernwaffenversuche und allgemeine Abrüstungsmaßnahmen. Gerechtigkeit wird unter dem Aspekt der Beseitigung allgemeiner Unterdrückungsstrukturen behandelt, während die „Bewahrung der Schöpfung“ im Antrag selbst zunächst nur wenig Berücksichtigung fand. Vgl. ebenda, S. 10. „Wenn ein konziliarer Prozeß zu einem gemeinsamen Wort und zu einem gemeinsamen Eintreten der Weltchristenheit für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung führen soll, bedarf es von vornherein der aktiven Mitwirkung möglichst vieler Kirchen, gerade auch der römischkatholischen Kirche und der orthodoxen Kirchen. Für sie hat der Begriff ‚Konzil‘ eine kirchlich festgelegte Bedeutung, die ein gemeinsames Konzil in absehbarer Zeit nicht möglich werden lässt. Ihre […] Beteiligung ist aber von der Sache so entscheidend, daß sie nicht an der Bezeichnung einer solchen Versammlung scheitern darf.“ Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Stellungnahme des Rates der EKD zur Initiative für ein „Konzil des Friedens“ und zum „Konziliaren Prozess Gegenseitiger Verpflichtung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“. vom 25. Juli 1986, in: KJ 1986, Gütersloh 1989, S. 141–144, hier S. 142. Für die Prozesse in der katholischen Kirche siehe weiterführend: Hans Langendörfer, Etappen auf dem Weg nach Basel – Erwartungen und Entscheidungen in der katholischen Kirche der Bundesrepublik, in: Lothar Coenen (Hrsg.), Unterwegs in Sachen Zukunft. Taschenbuch zum konziliaren Prozeß, Stuttgart 1990, S. 73–77. Für die Erwartungen der EKD siehe im selben Band: Hermann Barth, Die Erwartung – Bausteine aus der EKD, S. 173–180. Siehe hierzu weiterführend den Band von Lothar Coenen/Wolfgang Traumüller (Hrsg.), Vancouver 1983. Zeugnisse, Predigten, Ansprachen, Vorträge, Initiativen von der sechsten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Vancouver, B.C./Kanada, 24. Juli–10. August 1983, Frankfurt am Main 1984. Bemerkenswert ist, dass in den darin dokumentierten 39 Beiträgen bereits 15 einen theologischen Lebensbegriff in den Vordergrund stellen. Gerade die Verknüpfung der Themen war Bestandteil vieler Beiträge. Es war den Teilnehmern deutlich, dass die Themen nicht unverbunden nebeneinander existierten, sondern miteinander eng verknüpft diskutiert werden mussten. Margot Käßmann, Teilnehmerin der Konferenz, hält fest: „Es waren wohl vor allem die Beiträge von Allan Boesak aus Südafrika, der erklärte, man dürfe die Friedensfrage nicht benutzen, um der Frage der Gerechtigkeit aus dem Wege zu gehen, und von Darlene Keju-Johnson, die berichtete, welche ökologische Zerstörung und menschliche Tragödie die Atomwaffentests im Pazifik anrichteten, die zu der Erkenntnis führten, dass es eine Ver-

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Ohne Unterstützung der EKD hätte dieser Antrag der BEK sicherlich Schwierigkeiten gehabt, eine derart weitreichende Wirkung zu entfalten.7 Daher ist es notwendig, die Interessen des BEK und der EKD an einem solchen Prozess unter dieser Themenstellung genauer zu betrachten.8 Die Aktualisierung der Forderung nach einem weltumspannenden Friedenskonzil, welches schon Bonhoeffer angesichts der Kriegsgefahr 1934 gefordert hatte, stand in den 80er Jahren unter der Wahrnehmung der unmittelbaren Kriegsangst, die durch den Kalten Krieg befördert wurde und somit in der Bewältigung der Nachrüstungsbeschlüsse von 1979 stand.9 Die Friedensthematik trat jedoch durch die sich politisch stetig entspannende Lage, zugunsten einer wachsenden Berücksichtigung der Ökologiethematik, in den Hintergrund. 3.1.1 Motive in der DDR: Frieden und Ökologie Um die Vorgänge in der DDR besser verstehen zu können, die zu einem Engagement der Zuwendung zu den Themen Frieden, Gerechtigkeit und Ökologiebewusstsein führten, lohnt es sich, einen der Hauptakteure dieser Bewegung in der DDR genauer anzusehen.10 Der evangelische Theologe Heino Falcke (Erfurt) trat mit knüpfung der drei Fragen geben müsste.“ Siehe hierzu das von Käßmann verfasste Vorwort in der Monografie von Brown, Von der Unzufriedenheit, 2010, dort S. 12. Kunter sieht die ökumenischen Überlegungen ebenfalls durch die Verknüpfung der Themen bestimmt: „Dabei bestimmte Mitte der achtziger Jahre ein besonders die globalen Wechselwirkungen von Frieden, Gerechtigkeit und Ökologie integrativer Ansatz die ökumenischen Überlegungen.“ Kunter, Erfüllte Hoffnungen, 2006, S. 17. 7 Der Vorstoß Falckes war daher eng mit Ulrich Duchrow, dem Regionalbeauftragten für Mission und Ökumene in Heidelberg, und Konrad Raiser, dem damals stellvertretenden Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen abgestimmt. Siehe Brown, Von der Unzufriedenheit, 2010, S. 66. Durch die Zusammenarbeit entstand auch erst die Verbindung der sonst nebeneinander behandelten Themen: Beide wollten deutlich machen, dass ihre zentralen Glaubenslehren durch die globale Ungerechtigkeit herausgefordert seien. Brown zitiert Duchrow: „Wir haben uns verabredet, aufeinander zu zuformulieren, um entsprechend dann im policy and reference committee […] die in der Versammlungsagenda getrennten Aspekte von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zusammenzubringen und sie außerdem an das Faith und Order-Thema eucharistische Gemeinschaft zu koppeln.“ ebenda, S. 73–74. 8 Die EKD erklärte explizit ihre Unterstützung des konziliaren Prozesses in einer eigenen Erklärung der Reihe EKD Texte. Siehe dazu: Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, 1986. Für eine größere Darstellung des deutschen Kontextes siehe besonders Kunter, Erfüllte Hoffnungen, 2006. Eine innerkirchliche Sicht bietet der Sammelband von Lothar Coenen. Lothar Coenen (Hrsg.), Unterwegs in Sachen Zukunft. Taschenbuch zum konziliaren Prozeß, Stuttgart 1990. 9 Katharina Kunter sieht die Herkunft des Konzils vornehmlich aus der ökumenischen Bewegung geboren: „Der konziliare Prozess war eine aus der ökumenischen Bewegung stammende kirchenreformerisch und gesellschaftspolitisch angelegte Initiative, die vor allem von in Genf angesiedelten internationalen Kirchenorganisationen wie dem Ökumenischen Rat der Kirchen (KEK) angeregt und gefördert wurde.“ Kunter, Erfüllte Hoffnungen, 2006, S. 16. 10 Erhard Eppler zeichnet in seinem das Lebenswerk Falckes würdigendem Rückblick das Bild von einem protestantischen Theologen, der sich nicht dem altprotestantischen Kampf verschrieben

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einem vom SED-Regime missbilligten Vortrag 1972 anlässlich der ersten Synode des neu gegründeten DDR-Kirchenbundes (BEK) in die evangelische Öffentlichkeit der DDR und entwickelte sich fortan zu einem der prominentesten Theologen der „Kirche im Sozialismus“.11 Er verwies in seinem Vortrag und auch später immer wieder auf den Zusammenhang zwischen einem individuellen, christlich geförderten und gefüllten Gesellschaftsverständnis und der Notwendigkeit, als Christ die sozialistische Gesellschaft aktiv mitformen zu müssen. Die Einsicht, dass die sozialistische Gesellschaft auf dem Boden des Christentums bleiben müsse, war ihm besonders wichtig und dies brachte er immer wieder durch seine Vortragstätigkeit zum Ausdruck. Er war es, der die Themen des späteren konziliaren Prozesses bereits sehr früh und als einer der Ersten in eine Reihe stellte und miteinander verband. In einem Gemeindevortrag in der Greifswalder Jacobikirche 1980 skizzierte er die von ihm wahrgenommenen Gefahren seiner Zeit, bevor er mit Vorschlägen darauf einging, wie diesen Gefahren zu begegnen sei.12 Er benennt darin 1.) die Gefahr vor dem möglichen Atomkrieg, 2.) die wachsende Kluft zwischen Reichen und Armen, 3.) die wachsende Gefahr für die Natur durch ihre Ausbeutung und schließlich 4.) die Gefahr für den Menschen, der aus den Gegebenheiten industrieller Anforderungen und entfremdeter Arbeit Gefahr läuft, sein Menschsein zu verlieren.13 In den späteren Kategorien des konziliaren Prozesses sind dies genau die Themen, die sich unter den Forderungen nach „Frieden“, „Gerechtigkeit“, und „Bewahrung der Schöpfung“ subsumieren lassen. Im Jahr 1982 fasste er zudem in einem Vortrag, der zur Vorbereitung der Weltkirchenkonferenz dienen sollte, bereits diese einzelnen Bereiche unter dem Überbegriff zusammen, der der gemeinsame Nenner kirchlicher Bioethik werden sollte:

sah, dem Staat gegenüber zwischen „Widerstand und Gehorsam“ zu entscheiden, sondern sich selbst vielmehr als „Bürger“ verstand, der auf Augenhöhe mit dem Staat die Probleme der Gesellschaft angehen wollte. Dass dies der SED-Diktatur missfiel liegt auf der Hand. Siehe hierzu Erhard Eppler, Unbequem und unbeugsam. Heino Falcke – ein christlicher Staatsbürger und Theologe, der sich treu geblieben ist, in: Zeitzeichen. Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft 10 (2009), S. 20–22, H. 5, hier S. 20–22. 11 Der Vortrag ist erschienen in: Heino Falcke, Christus befreit – darum Kirche für andere. Hauptvortrag bei der Synode des Kirchenbundes in Dresden 1972, in: Heino Falcke (Hrsg.), Mit Gott Schritt halten. Reden und Aufsätze eines Theologen in der DDR aus zwanzig Jahren, Berlin 1986, S. 12– 32. In der DDR ist er nie im Druck erschienen. Hauptsächlichen Anstoß nahm die SED an den Formulierung „Verbesserlicher Sozialismus“, da dies zu revolutionär klang. Vgl. Brown, Von der Unzufriedenheit, 2010, S. 38. 12 Von den Herausforderungen, die an die Christen in der sozialistischen Gesellschaft gestellt waren, berichtete Falcke bereits 1977 in Basel. In seinem Vortrag findet sich die dringliche Forderung nach einem umweltbewussten Politikstil, der aus christlicher Perspektive bereits schöpfungstheologisch begründet wurde. Zwar sieht Falcke im sozialistischen Denken eine große Nähe zur „Ökologischen Vernunft“, aus ökonomischen Zwängen würden jedoch in der DDR die wirtschaftlichen Ziele noch vor den Zielen des Umweltschutzes gestellt. Siehe Falcke, Christliche Verantwortung, 1986, in: Falcke (Hrsg.), Mit Gott Schritt halten, 1986. 13 Der Vortrag ist abgedruckt in: Falcke, „Verlaßt eine gute Welt“, 1981.

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„Die Wissenschaftsentwicklung stellt uns mit der Erweiterung unserer Handlungsmöglichkeiten vor ethische Fragen ohne historische Analogie. Das wurde vor allem an den Problemen der Kernenergie und der damit wachsenden Dringlichkeit an den neuen Entwicklungen der Biologie (genetic engineering, in vitro fertilisation and prenatable Diagnosis und anderes) diskutiert. […] Müßte die Kirche nicht eine ‚Theologie des Lebens‘ entwickeln, die auf das biologische Verständnis des Lebens bezogen ist?“14

Falcke forderte ein weltweites gesamtgesellschaftliches Umdenken, welches Frieden sichern und somit Gerechtigkeit und Naturschutz ermöglichen sollte. Die Forderung eines gleich weltweiten Umdenkens mag auch dadurch erklärt werden, dass eine Forderung an ein lokal-politisches Umdenken in der DDR faktisch nicht zu stellen war. Da die SED-Diktatur öffentliche Forderungen und Einmischungen dieser Art in die realsozialistische Politik nicht duldete, wurden die politischen Forderungen in generelle, länderübergreifende Forderungen transformiert und konnten somit ausgesprochen werden, denn somit richteten sich die Forderungen an alle Staaten der Welt und nicht nur an die SED-Diktatur: Eine der wenigen Möglichkeiten indirekt Kritik zu üben und Forderungen zu formulieren. Über diese versteckte Systemkritik hinweg war es den BEK-Mitgliedern aber ein tatsächliches und wichtiges Anliegen, mit den übrigen christlichen Kirchen verbunden zu sein und ihre theologischen Themen einzuspielen. Da die EKD als Westkirche der BRD im DDR-System als „NATO-Kirche“ deklassifiziert war und somit als offizieller Diskussionspartner der BEK wegfiel, blieb dem BEK nur übrig, auf den länderübergreifenden Kirchenebenen (KEK und ÖRK) mitzureden und sich einzubringen.15 Innerhalb der DDR entwickelte sich 1988/89 als Fortsetzung des ÖRK-Beschlusses die „Ökumenische Versammlung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung in der DDR“, die letztlich die Themen des konziliaren Prozesses für die Kontexte der DDR diskutierte.16 Sie fand in drei Vollversammlungen im Zeitraum zwischen Anfang 1988 und April 1989 statt – der stellvertretende Vorsitzende war ebenfalls Heino Falcke. Da diese Versammlung explizit nicht konfessionell angelegt war, sondern eher themenspezifisch arbeitete, brachte sie die evange14 Heino Falcke, Jesus Christus – das Leben der Welt. Vortrag zur Vorbereitung auf die Weltkirchenkonferenz in Vancouver in Potsdam 1982, in: Heino Falcke (Hrsg.), Mit Gott Schritt halten, Berlin 1986, S. 239–264, hier S. 255. 15 „Für die Kirchen im Mauerstaat DDR war der Weltrat der Kirchen das Tor zur Weltchristenheit und darum von hohem Stellenwert.“ Heino Falcke, Die Ökumenische Versammlung als Teil und Akteur des politischen Umbruchs 1989, in: Schriftenreihe des Instituts für vergleichende Staats-KircheForschung (2009), S. 13–22, H. 27, hier S. 14. 16 Falcke zur Ökumenischen Versammlung in der DDR: „Der Weltrat der Kirchen hatte bei seiner Vollversammlung in Vancouver 1983 den konziliaren Prozess für ,Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfungsbewahrung' angestoßen. Dabei war die globale Dimension der Krise im Blick, die sich aus atomarem Holocaust, weltwirtschaftlicher Ungerechtigkeit und zivilisatorischer Naturzerstörung zusammenballte. In diesem global-ökumenischen Zusammenhang verstand sich die Ökumenische Versammlung und muss sie verstanden werden.“ ebenda.

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lische und katholische Kirche, aber auch die in den letzten Tagen der DDR vermehrt existierenden kleinen oppositionellen Gruppierungen in der DDR zusammen.17 Inhaltlich waren dies Gruppierungen (Basisgruppen), die sich für Abrüstung und mehr Demokratie einsetzten.18 Auch wenn der inhaltliche Schwerpunkt der Ökumenischen Versammlung auf der Friedensthematik lag, gab es auch kleinere Gruppierungen, die für einen stärkeren Umweltschutz eintraten.19 Durch die Ökumenische Versammlung war innerhalb der DDR ein Raum geschaffen worden, in dem, die Konfessionen einend, an einer verbesserten Gesellschaft gearbeitet wurde – ein Raum, der letztlich dann auch den politischen Umbruch 1989 vorbereitet hatte.20 Kaum war der politische Systemwechsel in der DDR 17 Falcke beschreibt die Vorgänge der Ökumenischen Versammlung in der DDR so, dass die Stasi sie durch Konfessionalisierung zu lähmen suchte, um den ökumenischen Charakter zu zerstören. Gerade aber die durch die konfessionellen Klärungen eingesetzten Gespräche führten zu einem großen Konsens der beiden Kirchen in der DDR. Vgl. ebenda, S. 18. Für die Beteiligung der übrigen oppositionellen Gruppen in der DDR siehe Christian Halbrock, Der konziliare Prozess, die Ökumenischen Versammlungen in der DDR 1988/1989 und die oppositionellen Friedens-, Umweltund Menschenrechtsgruppen, in: Gesellschaft zur Förderung Vergleichender Staat-Kirche-Forschung e.V (Hrsg.), Der konziliare Prozess in der DDR in den 1980er Jahren, Berlin 2009, S. 23–33. Für eine katholische Sicht der in der DDR ablaufenden Diskurse um die Ökumenische Versammlung siehe Gerhard Lange, Die Ökumenische Versammlung in der DDR. Zu einigen Aspekten der „Theologischen Grundlegung“, in: Gesellschaft zur Förderung Vergleichender StaatKirche-Forschung e.V (Hrsg.), Der konziliare Prozess in der DDR in den 1980er Jahren, Berlin 2009, S. 35–52. 18 Dabei wurde die Zusammenarbeit der Gruppierungen durch den Rahmen, den der kirchliche konziliare Prozess bot, erst ermöglicht: „In der DDR gab die Verbindung von ‚Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung‘ im konziliaren Prozess den vielfältigen Forderungen der so genannten Basisgruppen eine Kohärenz und bot – legitimiert durch die Kirchen – eine Gelegenheit, den Diskurs über Fragen der Gerechtigkeit auf die Gesellschaft der DDR zu beziehen.“ Brown, Von der Unzufriedenheit, 2010, S. 17. 19 Der allgemeinen Wahrnehmung, die Kirche hätte den oppositionellen Gruppen lediglich ein Schutzdach geboten, widerspricht Christian Halbrock. Er sieht die oppositionellen Gruppen kirchlich eng sozialisiert. Siehe Halbrock, Der konziliare Prozess, 2009, in: Gesellschaft zur Förderung Vergleichender Staat-Kirche-Forschung e.V, Der konziliare Prozess, 2009, S. 24. Katharina Kunter bewertet die Zusammensetzung der Gruppierungen weniger einheitlich, indem sie den konziliaren Prozess letztlich als „ein Sammelbecken gesellschaftspolitisch engagierter Gruppen und Kreise in der DDR und der Bundesrepublik“ beschreibt Kunter, Erfüllte Hoffnungen, 2006, S. 16. Stephen Brown sieht vor allem die Verbindung der Themen des konziliaren Prozesses als Dünger der sich entwickelnden Basisgruppen: „(Es) sollte der grundlegende Tenor des konziliaren Prozesses – besonders seine Verbindung von Fragen der Gerechtigkeit, des Friedens und der Bewahrung der Schöpfung – zu einem wichtigen integrierenden Faktor für die Basisgruppen in der DDR werden.“ Brown, Von der Unzufriedenheit, 2010, S. 81. Er ist ebenfalls der Auffassung, dass die Basisgruppen nicht unbedingt kirchlich sozialisiert waren: „Die Teilnehmenden an der Ökumenischen Versammlung kamen nicht nur aus etablierten kirchlichen Strukturen, sondern auch aus Basisgruppen in der ganzen DDR, wo sie aktiv waren für Frieden, Umwelt, Menschenrechte und Solidaritätsthemen.“ ebenda, S. 17. 20 Zur Rolle des Ökumenischen Versammlung als (Teil-)Motor des politischen Umbruchs 1989 siehe ebenda, S. 13. „Ganz klar hatte der konziliare Prozess in den Umbrüchen der DDR eine zentrale Rolle gespielt, die allzu oft in Vergessenheit gerät. Es waren die Kirchen, die zuallererst eine offene Diskussionskultur ermöglichten, die den Basisgruppen einen Raum gaben und schließlich den Ruf

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1989 aber erreicht, so brach das Forum und damit die frisch erfahrene gute Zusammenarbeit auseinander.21 3.1.2 Motive in der BRD: Frieden, globale Gerechtigkeit und Ökologie Im westdeutschen Kontext ist als Motivation für die Beteiligung am konziliaren Prozess die wahrgenommene Lebenssituation ab den 70er Jahren entscheidend. Weniger der Druck, durch politische Einwirkung das Gesellschaftssystem zu verändern oder zu gestalten, war Motor für die Beteiligung der Kirchen, da durch die Bundespartei der CDU eine Gesellschaftsordnung auf christlicher Grundlage sichergestellt schien, sondern die globale Lebenssituation stellte sich für viele engagierte Christen als besonders fragil und bedroht dar. Dabei sind über die Wahrnehmung der permanenten Kriegsgefahr und die Bewältigung der existenziellen Bedrohung durch die Nachrüstungsbeschlüsse – also alles friedenszerstörende Szenarien – weitere lebensbedrohende Gefährdungen vordergründig gewesen.22 Katharina Kunter arbeitet dies in ihrer Habilitationsschrift heraus.23 Sie macht dies unter anderem an der Rückschau Lothar Coenens fest, der damals in der Kirchenkanzlei der EKD arbeitete und den konziliaren Prozess begleitet hat.24 Er nennt dabei bemerkenswerterweise in einem Atemzug die Debatte um die Nachrüstung, das Waldsterben und die Bedrohungen der Lebensumwelt durch die fortschreitende Technisierung der Gesellschaft als die vordergründigen Bedrohungen der Lebenssi-

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‚keine Gewalt‘ aus dem Gotteshaus auf die Straßen von Leipzig, Dresden und Ostberlin trugen.“ Dazu ähnlich auch Falcke: Falcke, Die Ökumenische Versammlung, 2009. Er kritisiert zudem zu recht, dass in der neueren Zeitgeschichtsschreibung die Ökumenische Versammlung kaum noch Berücksichtigung finden würde. Siehe z.B. Claudia Lepp/Kurt Nowak (Hrsg.), Evangelische Kirche im geteilten Deutschland. (1945–1989/90), Göttingen 2001. „Der Demokratische Aufbruch übernahm den Gedanken eines Briefes an die Kinder von der Ökumenischen Versammlung und verwendete einige der Formulierungen aus diesem Brief der Versammlung. Der Gründungsaufruf von ‚Demokratie Jetzt‘ besteht fast ausschließlich aus Zitaten aus den Texten der Ökumenischen Versammlung. Die Rolle des konziliaren Prozesses wurde von der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur ‚Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland‘ anerkannt.“ Brown, Von der Unzufriedenheit, 2010, S. 19. Siehe auch hierzu Falcke zur Ökumenischen Versammlung in der DDR: „Nach dem politischen Umbruch aber, den diese Versammlung mit ausgelöst hatte, war diese Erfahrung kirchenpolitisch wie ausgelöscht, eine Rekonfessionalisierung setzte ein.“ Falcke, Die Ökumenische Versammlung, 2009, S. 13. Gleichwohl wurde auf EKD-Ebene auf die Kriegsgefahr reagiert. Anlässlich des NATO-Doppelbeschlusses entwickelte der Rat der EKD die „Friedensdenkschrift“, die inhaltlich kaum Neuigkeiten forderte, jedoch die Probleme und Forderungen der Zeit bündelte. Beteiligt daran waren u.A. Erhard Eppler und Richard von Weizsäcker. Abgedruckt ist die Denkschrift in: Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Frieden wahren, fördern und erneuern. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1981. Siehe Kunter, Erfüllte Hoffnungen, 2006. Vgl. ebenda, S. 35.

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tuation.25 Die als lebensbedrohend wahrgenommenen Gefährdungen sind dabei also sowohl Krieg als auch Umweltkatastrophen.26 Die Ökologiethemen sind in Westdeutschland wie auch in Ostdeutschland gleichwertig mit der Friedensthematik behandelt worden. Da die Ökologiefragen in der DDR deutlich weniger Gegenstand einer öffentlichen Diskussion sein konnten, war es möglich, dass in der öffentlichen Wahrnehmung der Eindruck entstand, als ob in der DDR der Umweltschutz nur eine nebengeordnete Rolle spielte.27 Während den 1983 tagenden Kirchentag in Hannover vornehmlich die Friedensthematik prägte, kamen auf dem 1985 in Düsseldorf tagenden Kirchentag der EKD Impulse auf, die die Umweltbewegung verstärkt in den konziliaren Prozess inkorporierten und damit auch den Titel des Prozesses in seiner Bedeutung erweiterten:28 Die „Bewahrung der Schöpfung“ wurde dabei als Bestandteil des konzilia25 „Die Raketen, deren Aufstellung man in Europa, ‚Nachrüstung genannt‘ hatte verhindern wollen, rollten in ihre Arsenale. Das Baumsterben, Zeichen der Vergewaltigung der Natur durch rücksichtslosen Einsatz von Technik, machte Schlagzeilen. Die Verzweiflung angesichts Verarmung, Verschuldung und Hunger in den Ländern der dritten Welt wuchs.“ Lothar Coenen, Das Forum – Ein Weg zu wachsender Gemeinschaft, in: Lothar Coenen (Hrsg.), Unterwegs in Sachen Zukunft. D. Taschenbuch zum konziliaren Prozeß, Stuttgart 1990, S. 88–104, hier S. 88. 26 Insbesondere nach der Tschernobylkatastrophe wurde in Westdeutschland auf EKD-Ebene der Umweltaspekt im Kernkraftkontext neu diskutiert. Die Synode der EKD formuliert 1987 den Reaktorunfall kommentierend: „Der schwere Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl im Jahre 1986 hat wie ein Schock gewirkt und uns klar gemacht, wie sehr das Leben durch die Kernkraft gefährdet ist. […] Die Synode der EKD bitte den Rat, die Bewußtseins- und Verhaltensänderung dadurch zu unterstützen, daß er die in den kirchlichen Stellungnahmen erarbeiteten Analysen und Beschlüsse als einen Teil des ‚konziliaren Prozesses für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung‘ betrachtet und in die gesamteuropäische Diskussion (besonders im Bereich der Konferenz Europäischer Kirchen) einbringt.“ Dokumentiert in: KJ 1986, Gütersloh 1989, S. 131–314, hier S. 165f. 27 Hier hatte sich ebenfalls Heino Falcke an der Diskussion beteiligt und u.A. auch auf die Studie des Club of Rome verwiesen. Falcke, Christliche Verantwortung, 1986, in: Falcke (Hrsg.), Mit Gott Schritt halten, 1986. 28 Margot Käßmann, die damals der Vancouver Delegation angehörte, erinnert sich an die die Friedensbewegung maßgeblich befördernden Impulse, die vom Kirchentag 1983 ausgingen: „‚Frieden schaffen ohne Waffen‘ war die Parole. Der Deutsche Evangelische Kirchentag in Hannover 1983 unter der Losung ,Umkehr zum Leben‘ verschaffte im Westen dieser Bewegung Raum. Es wurde der Kirchentag der lila Tücher […] Aufgedruckt war der Satz: ‚Die Zeit ist da für ein Nein ohne jedes Ja zu Massenvernichtungswaffen‘. Die Kirchentagsleitung konnte sich mit dieser Aktion nicht wirklich anfreunden, noch im Dokumentationsband steht schon im Vorwort, dies sei eine wichtige, aber nicht vom Kirchentag verantwortete Aktion, die hier nicht dokumentiert werden könne. Dabei ist es vor allem diese Aktion, durch die der hannoversche Kirchentag in Erinnerung bleiben wird.“ Brown, Von der Unzufriedenheit, 2010, S. 11. Vgl. hierzu auch Kunter, Erfüllte Hoffnungen, 2006, S. 16. Besonders Carl Friedrich von Weizsäcker engagierte sich in diesem Prozess. In seinem im Nachgang zu einer von ihm gehaltenen Rede auf dem Kirchentag 1985, die viel Zustimmung erfahren hatte, erschienenen Buch mit dem programmatischen Titel „Die Zeit drängt“ fordert er eine „Weltversammlung der Christen für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung“. Die Monographie stellt einen entschiedenen Aufruf zur Durchführung des Konzils dar. Er gibt darin auch detailreiche Vorschläge zu einem möglichen Ablauf und zur Organisation einer solchen Veranstaltung. Das Buch bestimmte maßgeblich die Diskussion in den Kirchen in Deutschland. Siehe Carl Friedrich von Weizsäcker, Die Zeit drängt. Eine Weltversammlung der Christen für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung, München 1986, S. 11. Weiterfüh-

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ren Prozesses deutlich mehr in Aktionen überführt als in der DDR. Teilweise waren die Gruppierungen in Westdeutschland immer weniger an der Friedensthematik interessiert als an den beiden anderen Themen: „Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“. Die individuell wahrgenommenen Bedrohungen der Umwelt bekamen Vorrang vor der abstrakteren Bedrohung durch die atomare Zerstörung, die noch die frühen 80er Jahre vollkommen bestimmt hatte. In Westdeutschland wurde von kirchlichen Gruppierungen vor allem eine „gerechtere“ politische und soziale Zukunft der beiden deutschen Staaten gefordert, andere Gruppen sahen sich als Vorreiter einer internationalen ökologisch-gerechten Bewegung an.29 Obwohl der konziliare Prozess auf ökumenischer Ebene angelegt war, waren es in Westdeutschland vor allem evangelische Christen, die den konziliaren Prozess unterstützten.30 3.1.3 ACK: Die Erklärung von Stuttgart Konkret werden die Forderungen, die im Rahmen des konziliaren Prozesses aus den Debatten entstanden und in einem deutschen Kontext verdichtet wurden, in der Erklärung „Gottes Gaben, unsere Aufgabe“ formuliert, die 1988 als „Erklärung von Stuttgart“ unter der Herausgeberschaft der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) publiziert wurde. Hintergrund des Engagements der ACK in dieser Angelegenheit war dabei, dass die ACK allein als christliche Stimme der Kirchen in Deutschland eine Stellungnahme hervorbringen und wiederum beim ÖRK vorgelegen konnte.

rend siehe auch Carl Friedrich Weizsäcker, Bewußtseinswandel, München 1988. Eine Diskussion seiner Thesen und Forderungen findet sich in Erhard Eppler (Hrsg.), Das Ende der Geduld. Carl Friedrich von Weizsäckers „Die Zeit drängt“ in der Diskussion, München 1987. Die nachdrückliche Forderung zur konkreten Durchführung des „Konzils“ erschien manchem Zeitgenossen als völlig unrealistisch. Siehe dazu Trutz Rendtorff, Die Zeit drängt? – Nehmt euch Zeit!, in: Erhard Eppler (Hrsg.), Das Ende der Geduld. Carl Friedrich von Weizsäckers „Die Zeit drängt“ in der Diskussion, München 1987, S. 25–33. 29 Beispielhaft für die internationale Ausrichtung dieser Bewegung ist die „Eine-Welt-Bewegung“, die in vielen Gemeinden die Gründung von Partnerschaften mit afrikanischen Kirchen zur Folge hatte, um die dortigen Lebensverhältnisse zu verbessern – und wohl auch um die eigenen Lebensverhältnisse zu relativieren. Vgl. Kunter, Erfüllte Hoffnungen, 2006, S. 166. 30 Der konziliare Prozess war 1983 noch auf rein protestantischer Ebene angegangen worden, der ÖRK-Zentralausschuss weitete seine Einladung zur Beteiligung dann 1985 aber ausdrücklich auf die katholische Kirche aus, die an den Besprechungen 1985 bereits mit mehrere katholischen Mitarbeiten teilnahm. 1986 wurde sogar von Johannes Paul II zu einem interreligiösen Friedensgebet nach Assisi eingeladen. Diese Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche wurde bis 1989 jedoch stetig schlechter. Auf der von der KEK organisierten Konferenz in Basel „Frieden in Gerechtigkeit“ tagten die Protestantischen Kirchen noch mit der katholischen Kirche zusammen, auf der 1990 in Seoul tagenden „Weltversammlung“ nahm die katholische Kirche bereits gar nicht mehr teil. Auf katholischer Seite sah man die katholischen Anliegen im konziliaren Prozess zu wenig berücksichtigt und stand einer Beteiligung individueller Gruppierungen skeptisch gegenüber. Die Rolle der Bischöfe als Leitungsinstanz der Kirche würde dabei unterlaufen. Vgl. ebenda, S. 17. und ebenda, S. 74–76.

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Der Entstehungsprozess der Erklärung „Gottes Gaben – unsere Aufgabe“ teilt sich in zwei Etappen. Zum Forum „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ hatte die ACK im Mai 1987 für das folgende Jahr eingeladen und dabei die Themen des konziliaren Prozesses aufgenommen. Auf der ersten Versammlung im April 1988 in Königstein/Taunus wurden von über 120 Delegierten aus den verschiedensten Kirchen in Deutschland und benachbarter Länder über die drei Leitbegriffe des Forums diskutiert und bereits Teiltexte für eine gemeinsame Erklärung gesammelt. Vom 20. bis zum 22. Oktober tagte das Forum in Stuttgart erneut und beschloss anschließend die „Erklärung von Stuttgart: Gottes Gaben – unsere Aufgabe.“31 Unter dem Punkt „Bewahrung der Schöpfung“ behandelt die Erklärung – und eben dies ist hervorzuheben – auch materialethische Themen, wie z.B. die Verwendung der Gentechnik, Schwangerschaftsabbruch, Sterbehilfe und den Einsatz von Kernenergie. Damit wird der Terminus „Bewahrung der Schöpfung“ nicht mehr nur als ökologische Herausforderung verstanden, sondern explizit ausgeweitet als Überbegriff für die aktuellen Leben und Lebensraum bedrohenden Problemstellungen. Diese Themen sind dabei bereits subsumiert unter dem Begriff: „Schutz des Lebens“.32 In den einzelnen Bereichen, in denen der Schutz des Lebens behandelt wird, wird der Gesetzgeber aufgefordert, Regelungen zu schaffen, die den ethischen Bedenken gerecht werden. Dazu wird im Einzelnen im Bereich der Gentechnik auf die irreversiblen Folgen der Eingriffe in das Erbgut der „irdischen Schöpfung“ aufmerksam gemacht. Um diese Folgen zu vermeiden „sind strenge berufsständische und gesetzliche Regelungen zu schaffen.“33 Solange es diese nicht gebe, müsse der Einsatz von genverändernden Maßnahmen generell unterbleiben. Bei der In-VitroFertilisation oder auch nur der extrakorporalen Befruchtung sahen die Delegierten die Würde der Frau und auch des Embryos verletzt, weshalb sie „nachdrücklich von allen Verfahren der extrakorporalen Befruchtung ab[rieten].“34 Wo diese Verletzungen der Würde geschehen, wird dabei nicht versucht zu erläutern. Der Absatz über den Schwangerschaftsabbruch ist der kürzeste in der ganzen Erklärung, was bereits den schwierigen Kompromiss ahnen lässt, der sich in den Debatten dahinter verbirgt. Es wird festgehalten, dass in den gesetzlich straffrei gestellten Fällen des Schwangerschaftsabbruches keine Minderung des Lebensschutzes zu sehen sei. Trotzdem gelte:„[…] das ungeborene Leben ist vom Augenblick der Empfängnis an

31 Forum Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) e.V.: Forum Gerechtigkeit, Gottes Gaben – Unsere Aufgabe. Die Erklärung von Stuttgart, 22. Oktober 1988, in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Gottes Gaben – unsere Aufgabe. Die Erklärung von Stuttgart 1988, Frankfurt am Main 1988, S. 7–60, hier S. 9–10. 32 Siehe hierzu und zu den folgenden kenntlich gemachten Zitaten: ebenda, S. 45–54. 33 ebenda, S. 49. 34 ebenda, S. 50.

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Mensch und damit Gottes Abbild.“35 Auch im Punkt Sterbehilfe fasst man sich kurz: Die Würde des Menschen müsse auch beim Sterben gewahrt bleiben, Ärzte hätten ein würdiges Sterben zu ermöglichen, jedoch dürfe auf eine Verkürzung des Lebens keinesfalls medizinisch hingewirkt werden.36 Es ist intuitiv verständlich, dass in einer Stellungnahme, die 120 Delegierte der verschiedensten christlichen Kirchen erstellen, keine theologischen Neuerungen zu erwarten sind. Als besonders interessant an der „Erklärung von Stuttgart“ sind also zwei Aspekte festzuhalten: Zum Einen wird der Begriff „Bewahrung der Schöpfung selbstverständlich und unkritisch verwendet, obwohl aus einer christlichdogmatischen Position heraus die „conservatio mundi“ eigentlich eine Aufgabe ist, die Gott zukommt und nur allenfalls in Zusammenarbeit mit dem Menschen realisiert wird.37 Zum Anderen, und für diese Untersuchung wichtiger, ist die Zusammenstellung der Themen interessant sowie deren Titel, unter dem sie zusammengestellt wurden: Dass die traditionell unverbundenen Themenbereiche der Kernenergie, Schwangerschaftsabbruch, Sterbehilfe und Gentechnik als Probleme im Bereich des „Schutzes des Lebens“ wahrgenommen werden, ist neu und so vorher noch nicht da gewesen. 3.1.4 Resümee: Der konziliare Prozess als Integrationspunkt Die Diskussionen, die von kirchlicher Seite aus im Kontext des konziliaren Prozesses um Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung geführt wurden, leisten einen bemerkenswerten Beitrag: Im konziliaren Prozess stand im Vordergrund, dass die Themen Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung miteinander verbunden waren, und zwar auf eine zuvor nicht dagewesene integrierende Art und Weise: „Kein Frieden ohne Gerechtigkeit, keine Gerechtigkeit ohne Frieden“, „Keine Freiheit ohne Gerechtigkeit, keine Gerechtigkeit ohne Freiheit“, „Kein Friede zwischen den Menschen ohne Frieden mit der Natur, kein Friede mit der Natur ohne Frieden unter den Menschen.“38 Diese Makrostruktur der Integration der drei konziliaren Themen wurde auch auf der Ebene der „Bewahrung der Schöpfung“ implizit weitergeführt, indem unter dem Bereich „Schutz des Lebens“ die oben angesprochenen Themen subsumiert wurden. Damit wurden die das natürliche Leben betreffenden Themenfelder zusammengefasst, ohne dass sie besonders begründet oder reflektiert wurden. Erst unter der Zusammensicht all dieser Bereiche war eine Behandlung und adäquate Beschreibung der Probleme möglich geworden. Aus heutiger Perspektive werden diese Themenbereiche unter dem Be35 ebenda. 36 Vgl. ebenda, S. 49–51. 37 So zum Beispiel in der Verbindung von Ökologie und Entwicklungspolitik: „das Einbringen ökologischer Verantwortung zur Bewahrung der Schöpfung auch in der Entwicklungspolitik“ ebenda, S. 17. 38 Die Zusammensicht der drei Themen wird besonders deutlich bei Weizsäcker, Die Zeit drängt, 1986, S. 25, 31, 49.

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griff der Bioethik zusammengefasst und somit operabel gemacht. Diese Sichtweise stand natürlich damals noch nicht zur Verfügung, da die beschriebenen Prozesse ja erst zur Herausbildung des eigenen Bereichs der Bioethik führten. Die kirchliche Diskussion um den konziliaren Prozess hatte unter dem Begriff „Bewahrung der Schöpfung“ – ohne dies selbst zu beabsichtigen – einen eigenen sprachlichen Zugang zur später so genannten „Bioethik“ gefunden.39

3.2 Entwicklung gemeinsamer Stellungnahmen Die Zusammenarbeit in gemeinsamen Stellungnahmen von evangelischer und katholischer Kirche, vertreten durch den Rat der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, war in den 1980er Jahren ausgebaut worden. Beide Kirchen hatten sich in den 1970er und 1980er Jahren zu zwei gesellschaftlich aktuellen Fragestellungen geäußert: Sowohl in der Grundwertedebatte der späten 1970er Jahre als auch in der Umweltdiskussion der 1980er Jahre, war jeweils eine umfangreiche Stellungnahme entstanden.40 Beide gemeinsamen Stellungnahmen zeugen von einem stetig wachsenden Bemühen, der Öffentlichkeit gegenüber von gesellschaftlichen Fragestellungen einheitlich aufzutreten und eine überkonfessionelle christliche Position einzunehmen. 3.2.1 „Grundwerte und Gottes Gebot“ 1979 Anlass für die erste gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche und der Deutschen Bischofskonferenz war die damalig allgegenwärtige Diskussion über die Grundwerte, die eine Gesellschaft und speziell die deutsche, haben sollte. Die sogenannte „Grundwertediskussion“ war dabei von den politischen Parteien begonnen worden, als die SPD in ihrem Godesberger Programm von 1959 den Begriff „Grundwerte“ aufnahm. Angetrieben durch die gesellschaftlichen Umwälzungsprozesse wurden in den 1970er Jahren auch die anderen Parteien motiviert, sich zu der Frage zu äußern und nahmen wiederum in ihren Grundsatzprogrammen Aussagen zu Grundwerten auf. Die CSU folgte 1976, die CDU 1978 mit der Nennung

39 Die bereits angesprochenen dogmatischen Unklarheiten, die der so verwendete Schöpfungsbegriff mit sich bringt, sind oben schon dargestellt und behandelt worden. Hinter dem Schöpfungsbegriff verbirgt sich hier freilich weniger ein dogmatisches, denn ein darüberhinaus gehendes Verständnis von „Schöpfung“, was am ehesten mit „Leben“ gleichgesetzt werden kann. 40 Warum in den 80er Jahren hinsichtlich der Friedensdiskussion, die ja ebenfalls einen maßgeblichen gesellschaftlichen Diskurs entfacht hatte, keine gemeinsame Stellungnahme entwickelt worden ist, ist unklar. Fraling hebt hervor, dass „die Aussagen der Denkschrift der EKD ‚Frieden wahren und erneuern‘ von 1981 und die des Wortes der Deutschen Bischofskonferenz von 1983 nicht weit auseinander“ lagen. Den Versuch einer gemeinsamen Erklärung in der Friedensthematik jedoch gab es nicht. Fraling, Gemeinsame ethische Probleme, 1987, in: Urban/Wagner (Hrsg.), Handbuch der Ökumenik, 1987, S. 191.

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von „Grundwerten“ in ihren Parteiprogrammen.41 Im gleichen Zeitraum wurden auch von der SPD neue Papiere zu den von ihnen vertretenen Grundwerten publiziert. Im Grunde wiederholten sich dabei die Begriffe „Freiheit“, „Gerechtigkeit“ und „Solidarität“, die die FDP 1971 bereits ihrem Parteiprogramm zugrunde gelegt hatte.42 Inhalt der sich in den 1970er Jahren entwickelnden Kontroverse zwischen Politik und den Kirchen war, ob für die Etablierung von Grundwerten eben die Kirchen zuständig seien und der Staat diese nur schütze, oder ob der Staat selbst die Ausbildung von Werten fördern sollte, wobei dann zu klären sei, welche Werte dies sein sollten.43 Generell zeichnete sich ab, dass von katholischer Seite die Auffassung vertreten wurde, dass der Staat die sittlichen Vorstellungen gesetzlich durchsetzten sollte, während dieser Anspruch von der evangelischen Seite aufgegeben worden war.44 Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz sahen sich nun angefragt, auf dem Hintergrund einer wahrgenommenen „Orientierungskrise“ deutlich zu machen, wie die Grundwerte einer Gesellschaft aus einer christlichen Grundlage heraus geprägt sind, auch wenn diese Gesellschaft sich selbst nicht mehr explizit den christlichen Werten verpflichtet sieht.45 Ziel war 41 Reuter sieht die Diskussion vor allem im „Vorfeld des letzten Bundestagswahlkampfes von katholischer Seite forciert.“ Vgl. Hans-Richard Reuter, Grundwerte als Gottes Gebot?, in: ZEE 24 (1980), S. 74–80, hier S. 74. 42 Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz, Grundwerte und Gottes Gebot. Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz, in: Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland. Soziale Ordnung, Wirtschaft, Staat, 2/2, Gütersloh 1992, S. 198–242, hier S. 207f. 43 Vgl. als Dokumentation dieser Kontroverse vor allem den Band von Gorschenek mit Beiträgen von u.A. Helmut Schmidt und Helmut Kohl. Günter Gorschenek (Hrsg.), Grundwerte in Staat und Gesellschaft, München 1978. Die in der Diskussion von den Kirchen erhobene Forderung nach durch den Staat durchgesetzten Grundwerten kommentiert der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt in dem Band folgendermaßen: „Ist der Ruf nach dem Handeln der Regierung, der Ruf nach dem Handeln des Gesetzgebers nicht in Wahrheit Ausdruck eigener Ohnmacht, eigener Beschränkung in der kirchlichen Fähigkeit zur Vermittlung von Grundwerten?“ Helmut Schmidt, Ethos und Recht in Staat und Gesellschaft, S. 13–28, hier S. 27. Dem wurde von kirchlicher Seite widersprochen, exemplarisch Fraling: „Die Kirchen haben mit Recht die Meinung abgelehnt, sie trügen die alleinige Verantwortung für die Bildung eines Wertkonsenses in der Gesellschaft. Eine Mitverantwortung ist nie ausgeschlossen worden ‒ im Gegenteil. Wenngleich es verschiedene Traditionen ethischer Argumentation in den getrennten Kirchen gibt, so ergab sich […] eine Chance, sich auf gemeinsame Grundlagen zu besinnen und mit einem aus diesen erarbeiteten Konzept über die Grundwerte an die Öffentlichkeit zu treten.“ Bernhard Fraling, Grundwerte im ökumenischen Dialog. Überlegungen zu einer gemeinsamen Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zum Thema: Grundwerte und Gottes Gebot, in: Catholica 34 (1980), S. 260–278, H. 4, hier S. 261. 44 Vgl. hierzu auch Martin Honecker, Einführung in die Theologische Ethik. Grundlagen und Grundbegriffe, Berlin, New York 1990, S. 228. und auch ebenda, S. 233. 45 Der den Prozess kritisch kommentierende Hans-Richard Reuther bemerkt zur Genese: „Der 1970 unter der Überschrift ‚Das Gesetz des Staates und die sittliche Ordnung‘ ebenfalls von höchster gemeinchristlicher Warte herab edierte Beitrag ‚zur öffentlichen Diskussion über die Reform des

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dabei, einen gemeinsamen Beitrag zu leisten, da die beiden großen Kirchen deutlich machen wollten, dass sie die gleichen Grundwerte teilen.46 Eine Arbeitsgruppe zwischen beiden Kirchen wurde einberufen, der schließlich folgende Mitglieder angehörten: für die katholische Seite arbeiteten Karl Forster (Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn), Karl Lehmann (Professor für Dogmatik und Bischof von Mainz), Paul Mikat (Professor für Bürgerliches Recht, Rechtsgeschichte und Kirchenrecht; Mitglied des Bundestages für die CDU, Bochum), Josef Isensee (Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, Bonn), Johannes Niemeyer (Geschäftsführer der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn) und Manfred Spieker (Forschungsinstitut für politische Wissenschaft und europäische Fragen der Universität Köln) mit; für die evangelische Seite wurden benannt: Martin Honecker (Professor für Systematische Theologie, Bonn), Hans Helmut Eßer (Professor für Reformierte Theologie, Münster), Wenzel Lohff (Professor für Systematische Theologie, Göttingen), Klaus Schlaich (Professor für Staats-Kirchenrecht, Bonn), Erwin Wilkens (Öffentlichkeitsreferent der Kirchenkanzlei der EKD, Hannover) und Tilman Winkler (Referent für sozial- und gesellschaftspolitische Fragen der Kirchenkanzlei der EKD, Hannover).47 Die Leseerwartungen derjenigen, die eine Stärkung christlicher Werte in der Gesellschaft vertreten sehen wollten, wurden im Vorwort gedämpft: „Ein kirchliches Wort zur Frage des Wertkonsenses in der Gesellschaft kann nicht den umfassenden Entwurf für ein Ethos des gläubigen Christen versuchen. Es muß den Zuspruch und Anspruch Gottes so vermitteln, wie sie als Einsicht und Erfahrung für jedermann Geltung beanspruchen können.“48

Eherechts und des Strafrechts‘ [„Orange Schrift“ (Anm. OG)] ist noch in unguter Erinnerung. Nun sind gewiß die Differenzen in Zustandekommen und Charakter der beiden Dokumente nicht zu übersehen. Im Unterschied zu dem von einem kleinen Autorenkreis verfaßten Pamphlet von 1970 ist die Grundwerte-Erklärung von einer 12köpfigen aus Theologen, Juristen und Kirchenmännern zusammengesetzten evangelisch-katholischen Arbeitsgruppe verfaßt worden, deren Ergebnis die leitenden Organe beider Kirchen offiziell zugestimmt haben.“ Auch bemerkt er kritisch die mangelnde Transparenz, die das Zustandekommen der Erklärung begleitet: „Freilich verbindet beide Erklärungen nicht nur eine gewisse personelle Kontinuität, sondern auch der Verzicht auf die Mitarbeit der sachverständigen Kammern und Kommissionen beider Kirchen.“ Reuter, Grundwerte, 1980, S. 74. 46 Karl Lehmann hält aus der Rückschau fest: „Die starken Vorbehalte ev. Theologie gegen G[rundwerte] beruhen vorwiegend auf der Kritik am Wertbegriff und auf dem Widerspruch gegen die Annahme eines zeitlosen Naturrechts, das hinter den kath. Äußerungen oft vermutet wird.“ Karl Lehmann, Grundwerte, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht. Wirtschaft. Gesellschaft, Bd. 2, Freiburg i. Br. , Wien u.a. 1986, S. 1131–1137, hier S. 1136. 47 Die Mitglieder der Arbeitsgruppe werden in der Schrift nicht benannt, sie werden jedoch bei Reuter aufgeführt. Siehe Reuter, Grundwerte, 1980, S. 74. Die Unterlagen zur Arbeitsgruppe liegen im Evangelischen Zentralarchiv unter EZA 2/7275. 48 Rat der EKD und die DBK, Grundwerte und Gottes Gebot, 1992, in: Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Denkschriften, 1992, S. 213.

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Die Schrift soll also eine Übersetzungsleistung in zwei Richtungen sein: Die Werte einer vormals christlichen Gesellschaft sollten so dargestellt werden, dass sie die Grundwerte zwar erläutern, daraus jedoch nicht vollkommen Rückschlüsse auf das christliche Fundament zulassen bzw. Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Möglich sei die gemeinsame Erklärung beider Kirchen trotz unterschiedlicher Auffassungen in der Moraltheorie dadurch geworden, dass man sich in der Diskussion methodisch auf die biblischen Grundlagen berufen hätte.49 Schließlich sei dann ein „für manche Beteiligten überraschendes Ergebnis“ erreicht worden.50 Die Schrift beinhaltet zu ihrem größten Teil eine Auslegung der Zehn Gebote, da in der Gesellschaft nicht die „Grundwerte“ selbst strittig seien, sondern ihre Ausgestaltung im täglichen Leben.51 Der Ansatz der Gebotsauslegung ist dabei offen gehalten und führt nicht selten von einer religiösen Herkunftsbestimmung des Gebots zu einer gesellschaftlichen Interpretation.52 Das Tötungsverbot wird zum Beispiel kurz 49 Hauptsächlich wird auf die Zehn Gebote als Grundlage christlicher Ethik eingegangen, eine (z.T. auch kritische) Reflexion dieses Vorgehens findet sich bei Honecker, Einführung in die, 1990, S. 256–266. 50 Reuter bemerkt dazu kritisch, dass die vornehmliche Bedeutung der Grundwerte-Erklärung dem Vorwort von Kardinal Höffner und Landesbischof Lohse zufolge ausschließlich „in ihrer Gemeinsamkeit“ bestünde. Reuter, Grundwerte, 1980, S. 74. 51 Vgl. Rat der EKD und die DBK, Grundwerte und Gottes Gebot, 1992, in: Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Denkschriften, 1992, S. 201. 52 Kritik an diesem Vorgehen findet sich in der Rezeptionsgeschichte der Erklärung auf katholischer wie auch auf evangelischer Seite. Fraling sieht zwar den Ansatz des Vorgehens positiv, findet die Durchführung jedoch problematisch: „Die seit Jahren anhaltende Diskussion hat eine neue Gefahr heraufbeschworen: Man bedient sich der Berufung auf Grundwerte in eigenartiger Abstraktheit; der Bezug auf sie gerät in Gefahr, zu einer bloßen Leerformel zu pervertieren. Die gemeinsame Erklärung Grundwerte und Gottes Gebot versucht hier einen neuen Vorstoß: Von den Zehn Geboten her läßt sich das, was die Anerkennung von Grundwerten bewirken soll, inhaltlich ausfalten. Sie kann sich dabei durchaus auf eine zunächst von der Grundwertedebatte unabhängige Entwicklung stützen: Ein Rückblick auf die Veröffentlichungen der siebziger Jahre zeigt, daß die Reflexion auf den Dekalog an Popularität offensichtlich zugenommen hat.“ Fraling, Grundwerte, 1980, S. 260. Zur Durchführung bemerkt er dann jedoch: „Ebenso wird das Sabbatgebot, wie wir sahen, in der Interpretation zu einem Schutz für den humanen Wert der Selbstverwirklichung in der Arbeit. Die Zeit des Menschen darf nicht in der totalen Planung, in der vollständigen Verzweckung zweckrationalen Handelns aufgehen. Es ist fraglos – trotz des Rückgangs gottesdienstlicher Praxis – eine Chance, für den Menschen in Gottesdiensten und in der Sonntagsruhe Räume der Selbst- und Sinnfindung zu eröffnen. ‚Die Sonntagsheiligung läßt die menschliche Arbeit das sein, was sie ist, und macht den Menschen gelassen in seinem Verhältnis zu ihr. (Nr. 19)‘“ Somit werde die Sonntagsheiligung als nützlich für Menschen gedeutet und von seinem eigentlichem Zweck, einer Heiligung Gottes, entfremdet. Vgl. ebenda, S. 275. der evangelische Reuter zum Vorhaben: „Die selbstgesetzte Aufgabe besteht darin, mit den Zehn Geboten – verstanden als Interpretamente zeitloser unabstimmbarer moralischer Grundforderungen – ins Vakuum der Grundwerte-Diskussion vorzustoßen und es mit inhaltlich bestimmten Werten zu besetzen, deren Allgemeingültigkeit zwar wortreich beteuert, aber nicht ausgewiesen wird.“ […] „So ist als Positivum lediglich zu registrieren, daß da einige katholische und evangelische Christenmenschen eine Weile damit beschäftigt waren, gemeinsam einen biblischen Text auszulegen. Das Ergebnis hätte ja nicht gleich und nicht mit diesem offiziellen Gewicht und schon gar nicht unter dem im Titel ‚Grundwerte und Gottes Gebot‘ erschlichenen Singular publiziert werden müssen.“ Reuter, Grundwerte, 1980, S. 74 und 76.

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erläutert, bevor es in einem weiteren Kontext gestellt wird und auf andere Bereiche des Lebens angewandt wird, wie z.B. der Geburtenzahl: „[…]die rapide abgesunkene Geburtenzahl ist unbestreitbar auch das Zeichen eines unchristlichen Mangels an Lebensvertrauen.“53 3.2.2 „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung“ 1985 Am 14. Mai 1985 gaben der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Joseph Kardinal Höffner und Landesbischof Eduard Lohse als Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland die Erklärung „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung“ heraus.54 Diese Erklärung widmete sich, wie der Titel bereits verrät, der Schöpfung und des Umgangs mit ihr. Die damals gegenwärtige Umweltkrise und der sorglose Umgang mit der Natur selbst gäben Anlass, eine Erklärung abzugeben, die an die biblischen Aussagen über die Schöpfung Gottes erinnere und gleichzeitig für eine nüchterne, aufgeschlossene und sachliche Diskussion werbe.55 Explizit werden im Vorwort die Herausforderungen an die vielzähligen Akteure benannt: „Die Bewältigung der Umweltprobleme ist eine gemeinsame Aufgabe, die bei allen eine Veränderung des Verhaltens und ein neues Denken verlangt.“56 „Ein neues Denken“ kann auch als Bestätigung an die in der Schrift dokumentierten Veränderung des Miteinanders von evangelischer und katholischer Kirche zu verstehen sein, die ihr neues und nun gemeinsames Denken hinsichtlich der Umweltprobleme als Vorbild einer geglückten Zusammenarbeit durch die gemeinsame Publikation ausdrückt. Um als Kirchen die Umweltkrise bewältigen zu können, seien neue Wege zu gehen. In einem Absatz, der erklärt, warum die evangelische und katholische Kirche in der Umweltproblematik zusammenarbeiten, wird schließlich festgehalten: „Die harten Auseinandersetzungen um strittige Umweltfragen machen den Dienst der Versöhnung und Vermittlung nötig.“57 53 Rat der EKD und die DBK, Grundwerte und Gottes Gebot, 1992, in: Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Denkschriften, 1992, S. 226. 54 Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung. Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der deutschen Bischofskonferenz, Gütersloh 1985. Die VELKD hatte etwa zur selben Thematik eine sogar noch umfangreichere Studie erstellt, die nach fünfjähriger Arbeit unter der Leitung von Prof. Dr. Wenzel Lohff schließlich am 3. Juni 1985 in Hannover vorgestellt wurde. Diese Studie fand jedoch kaum Beachtung und spielte in der weiteren Diskussion kaum eine Rolle. Vgl. Wolf-Dieter Hauschild, Kirche – Staat – Politik, in: KJ 1985, Lieferung 2, Gütersloh 1988, hier S. 149. Die VELKD-Studie ist erschienen unter Hans Christian Knuth/Wenzel Lohff, Schöpfungsglaube und Umweltverantwortung. Eine Studie des Theologischen Ausschusses der VELKD, Hannover 1985. 55 Die gemeinsame Erklärung von EKD und DBK „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung“ stieß auf dem Düsseldorfer Kirchentag (5.–9. Juni 1985) auf beachtliches Interesse, denn dieser widmete sich den zentralen Umweltproblemen. Vgl. Hauschild, Kirche – Staat – Politik, 1988, in: KJ 1985, 1988, S. 145. 56 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Verantwortung, 1985, S. 9. 57 ebenda, S. 16.

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Dem Papier selbst ist seine Genese nicht explizit zu entnehmen: Weder, wer die beteiligten Arbeitsgruppenmitglieder waren, noch, welchen Legitimationsprozess das Papier zuvor durchlaufen hatte, wurde in der veröffentlichten Erklärung dokumentiert. Auch Anfragen an die EKD, die Namen der Arbeitsgruppenmitglieder öffentlich zu machen, wurden damals abschlägig entschieden. Die Vorgänge waren nur durch Sichtung der Aktenbestände des Evangelischen Zentralarchivs rekonstruierbar. Am 28. April 1981 fand eine Referentenbesprechung der EKD statt. Dort wurde unter anderem über die am 18. März 1981 abgehaltene Sitzung des „Kontaktgesprächskreises“ berichtet.58 Generell sei dort angeregt worden, die Arbeit an gemeinsamen Stellungnahmen weiter fortzusetzen. Schließlich wurde unter den Referenten festgehalten: „Die Denkschrift ‚Grundwerte und Gottes Gebot‘ hat gezeigt, daß die Kirchen doppelt gehört werden, wenn sie gemeinsam sprechen.“59 Dieser Ansatz sollte auch für eine neue Schrift Verwendung finden. Dezidiert soll also methodisch und formell an die Vorgängerschrift angeknüpft werden. Zu den inhaltlichen Vorstellungen wurden keine näheren Aussagen gemacht. Allein, dass zusammengearbeitet wurde, schien den Referenten derart erwähnenswert, dass die Inhalte der Zusammenarbeit darüber in den Hintergrund traten. Auf einer der Besprechung zeitlich folgenden Sitzung des Rates der EKD wurde dann die weitere Zusammenarbeit beschlossen. „Der Rat stimmt dem Vorschlag des Kontaktgesprächskreises zwischen Rat und Katholischer Bischofskonferenz vom 18./19.03.1981 zu, in Anknüpfung an die gemeinsame Ausarbeitung ‚Grundwerte und Gottes Gebot‘ eine Arbeitsgruppe zu berufen, die eine Stellungnahme vorbereitet zum Thema ‚wie gehen wir verantwortlich mit der Schöpfung um?‘“60 Als Arbeitsgruppenmitglieder sollten, so wurde in der gleichen Sitzung festgehalten, beteiligt werden: Hans Helmut Eßer und Martin Honecker, da sie bereits an der früheren Arbeitsgruppe beteiligt waren.61 Ebenso Odil Hannes Steck, er sei als Alttestamentler mit „starken systematischen Neigungen“ gut geeignet, da er eine beachtliche Arbeit zur Schöpfung und Umwelt vorgelegt habe.62 Zudem sollten Hans 58 Im Kontaktgesprächskreis werden gemeinsame Anliegen von evangelischer und katholischer Kirche beraten. Die Sitzungen finden bis zu zwei Mal im Jahr statt. 59 Protokoll der Referentenbesprechung vom 28.4.1981, EZA 2/7296. 60 Ratsprotokoll der 23. Sitzung vom 8.5.1981, EZA 2/8509. 61 Martin Honecker schien an die Ergebnisse der letzte Arbeitsgruppe, die zur „Grundwerteschrift“ führte, andere Erinnerungen zu haben, als der Rat der EKD und versuchte, seine Beteiligung an der AG abzuwenden: „[…] auch sehe ich nicht wie in der Sache ein von den kirchlichen Funktionsträgern in den ev. Kirchen positiv aufzunehmendes Ergebnis zu erreichen wäre. Den Engagierten wird es niemals ‚scharf‘, ‚konkret‘, ‚radikal‘ genug sein, viele werden schon an der Zusammenarbeit mit der kath. Kirche Anstoß nehmen. Die Erfahrungen mit der Grundwerteschrift haben dies deutlich gezeigt. Es wäre mir lieber, wenn die EKD ein anderes Mitglied benennen könnte.“ Brief von Honecker an Hartmut Löwe vom 15.7.1981, EZA 2/7296. 62 Vgl. Odil Hannes Steck, Welt und Umwelt, Stuttgart 1978. Im Vorwort hält er gleich fest: „Der Leser erwarte von der Lektüre keine handliche Argumentationshilfe und keine probaten Lösungen aus dem Alten und Neuen Testament; die Herausforderungen des 20. Jahrhunderts waren noch nicht die der biblischen Zeit.“ (S. 15) In der Monographie wird dann auch eher die Welt und Umwelt des Alten und Neuen Testaments dargestellt und schöpfungstheologisch gedeutet. Auf nur

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Kiemstedt als Fachmann für Landschaftsplanung und Tilman Winkler als geschäftsführender Referent einbezogen werden.63 Nach den sich anschließenden Vorbesprechungen und Anfragen an die potenziellen Arbeitsgruppenmitglieder arbeiteten in der „Arbeitsgruppe Schöpfung“ schließlich zusammen: Hans Helmut Eßer (Professor für Reformierte Theologie, Münster) als Sprecher der evangelischen Mitglieder, Martin Honecker (Professor für Systematische Theologie, Bonn), Traugott Koch (Professor für Systematische Theologie und Ethik, Hamburg), Hans Kiemstedt (Professor für Landschafsplanung, Hannover) und Tilman Winkler (Kirchenamt der EKD, Hannover). Die Katholiken benannten als Arbeitsgruppenmitglieder Walter Kasper (Professor für Dogmatik, Tübingen) als Sprecher der katholischen Mitglieder, Paul Mikat (Professor für Bürgerliches Recht, Rechtsgeschichte und Kirchenrecht, Bochum; Mitglied des Bundestages für die CDU), Philipp Schmitz (Professor für Moraltheologie, Sankt Georgen), Hanspeter Heinz (Professor für Pastoraltheologie, Augsburg) und Alfons Auer (Professor für Moraltheologie, Tübingen). Die Katholiken konnten dabei auf weitaus größere Vorarbeiten bauen, als dies von evangelischer Seite der Fall war.64 sehr wenigen Seiten werden resultierend Übertragungen auf die Herausforderungen von 1978 angestellt. 63 Protokoll zur Planung der Mitgliederzusammensetzung, 1981, EZA 2/7296. 64 1980 gab die Deutsche Bischofskonferenz eine Erklärung zu „Fragen der Umwelt und der Energieversorgung“ heraus. Sie hatte den Titel: „Zukunft der Schöpfung – Zukunft der Menschheit.“ Abgedruckt in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Zukunft der Schöpfung – Zukunft der Menschheit. Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zu Fragen der Umwelt und der Energieversorgung, Bonn. Prof. Schmitz gab zudem 1981 etwa zeitgleich als Herausgeber einen Sammelband zur Umweltthematik heraus. Sein eigener Beitrag darin beschäftigt sich mit „Moraltheorethischen Überlegungen zur Umweltkrise“. Philipp Schmitz (Hrsg.), Macht euch die Erde untertan? Schöpfungsglaube und Umweltkrise, Würzburg 1981. Nach Beendigung der Arbeit der Arbeitsgruppe folgte von Schmitz 1985 eine umfangreiche Monographie: Schmitz, Ist die Schöpfung noch zu retten? Umweltkrise und christliche Verantwortung, Würzburg 1985. In der erwähnten Erklärung der Bischofskonferenz wurde inhaltlich der Fokus auf den Umgang mit der Natur gelegt. Sowohl die belebte als auch die unbelebte Schöpfung, so die Bischöfe in der Erklärung, sei Teil der Schöpfung und somit nicht für den Menschen vollkommen frei verfügbar. Der Mensch hätte im Umgang mit der Schöpfung die Verantwortung zu ihrem Erhalt zu tragen und daher sei er in seinen Handlungsoptionen eingeschränkt und zur Zurückhaltung gemahnt. „Der Mensch darf nicht alles, was er kann. Je mehr er kann, desto größer wird seine Verantwortung. Mit den Möglichkeiten, Leben zu mehren und zu fördern, wachsen die Möglichkeiten, Leben zu schädigen und zu zerstören.“ (S. 3) Generell teilt die Erklärung der Bischöfe die vorherrschende Skepsis gegenüber der Technikeuphorie und stellt fest, dass die Techniken nicht letztendlich sicher beherrscht werden, die zur Diskussion standen, wie z.B. die Kernenergie. „Denn die Erkenntnis, daß wir nicht alles dürfen, was wir können, wird nunmehr unausweichlich durch eine zweite Erkenntnis. Sie heißt: Wir können gar nicht alles, was wir können.“ (S. 3) Die Reaktion, die auf die Risiken im Umgang mit der Technik bezüglich der Schöpfung auf die Menschheit zu folgen habe, sei, so die Bischöfe, optimalerweise eine Rückbesinnung auf die „evangelischen Räte“. Im „Geist der Armut, Geist des Gehorsams und Geist der Jungfräulichkeit“ finde man die Handlungsbeschreibungen, die evangeliumgemäßes Leben beschreiben und gerade dieses sei als Orientierung für die Menschheit geeignet den Herausforderungen an Umgang mit der Schöpfung zu begegnen. (S. 16) Aus Umweltkrise, Energiekrise und Rohstoffkrise hätte sich bereits eine „Schöpfungskrise“ ergeben. (S. 4) Generell wird von den Autoren gefordert, dass sich ein „neues Verhältnis zur Schöpfung [entwickeln solle

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Inhaltlich orientiert sich die Erklärung an der Frage, wie sich die Kirchen der Umweltkrise gegenüber positionieren und welchen Beitrag sie in der Umweltkrise leisten können. Als maßgeblicher Indikator der von den Kirchen wahrgenommenen Umweltkrise dient das in den 1980er Jahren entdeckte Phänomen des „Baumsterbens“ in den deutschen Wäldern, welches als offenkundige Wirkung der von Menschen gemachten Umweltzerstörung galt und bereits im Eingangskapitel beschrieben wurde.65 In der allgemeinen Umweltschutzdiskussion müssten, so war man sich einig, auch die beiden Kirchen ihren Beitrag leisten. Bevor explizite Vorschläge gemacht wurden, wie die Umweltkrise angegangen werden konnte, wurden zunächst die vorherrschenden Umstände betrachtet und problematisiert. Als problematisch wird in der Schrift die fortschreitende funktionale Differenzierung in der Industriegesellschaft angesprochen. Dadurch würde das Entstehen „äußerst labiler und damit auch politisch instabiler Räume unterschiedlicher Lebensqualität in regionalem, nationalem und globalem Ausmaß“66 begünstigt. Die Problematik, die heute unter dem Begriff der Globalisierung zusammengefasst wird, berge Chancen wie auch Risiken. Generell gingen die Umweltschäden in Deutschland jedoch auf die strukturellen Unzulänglichkeiten zurück, die die Verantwortlichen in einer repräsentativen Demokratie zu raschem Erfolg und politischem Pragmatismus zwängen.67 Gegen eine sachliche und effektive Behandlung der Umweltproblematik arbeite der Streit um politische Mehrheiten, nur indem man sich des Themas gemeinsam annehme, könne auch etwas bewegt werden. „Ökologiefragen werden nicht selten mit weltanschaulichen Prämissen überfrachtet. Die Argumentationen sind verschiedentlich von Antiinstitutionalismus, Technikfeindlichkeit, und Überbetonung der ‚Gruppe‘ bestimmt; gegenwärtige Herrschaftsverhältnisse werden einseitig mit in die Überlegungen mit einbezogen. […] Zentralverwaltungswirtschaft und eine klassenlose Gesellschaft werden als „naturnäher“ ausgegeben.“68

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(OG)], welches sich aus dem Bewusstsein des ‚Geschöpfes‘ speisen muss. Es muss ein Umdenken stattfinden: endloser Konsum ist der falsche Weg.“ (S. 5f.) Und weiter: „Wir sind nicht Schöpfer, sondern Geschöpf. Selbstherrliches Seinwollen wie Gott ist die Urgestalt der Sünde.“ (S. 13) Im Umgang mit der Schöpfung wird dann im Weiteren auf die Schöpfung als Gut Bezug genommen, welches es um seiner Existenz Willen zu bewahren gilt. „Für den Menschen gilt der Vorrang des Seins vor dem Haben. Bei der nichtmenschlichen Schöpfung könnte man von einem Vorrang des Seins vor dem Nützlichsein sprechen.“ (S. 9) Oder auch: „Das Lebendige soll leben können, nicht nur um der Nützlichkeit für den Menschen willen, sondern um der Fülle, um der Schönheit der Schöpfung willen, einfach um zu leben und dazusein.“ (S. 17). So wird bereits im Eingang programmatisch festgehalten: „Augenfälliges Warnzeichen einer unheilvollen Entwicklung ist das Baumsterben.“ Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Verantwortung, 1985, S. 11. sowie ebenda, S. 25. ebenda, S. 12. Vgl. ebenda, S. 14. ebenda, S. 20.

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Implizit richtet sich das Papier damit selbst gegen eine bestimmte (grüne) Politikrichtung aus und bleibt hinter seinem eigenen Anspruch, eben politisch neutral zu sein und einigend aufzutreten, zurück. Die Autoren beanspruchen in Teilen, die politischen Antworten auf die Krise zu kennen, indem sie ihre Einschätzungen zu den politischen Konflikten kundtun: „Abzulehnen sind hingegen Forderungen, die auf ein alternatives Wirtschaftssystem setzen, das die Gefahr in sich trägt, die marktwirtschaftlichen Mechanismen gänzlich außer Kraft zu setzen und auf ausschließlich kleinteilige Wirtschaftsformen abheben oder auf eine bürokratische Lenkung der Wirtschaftsvorgänge im Interesse ökologischer Ziele. Dabei wird übersehen, daß auch zentrale Planwirtschaften bisher kaum Lösungen für die Umweltpolitik geboten haben.“69

Dem Papier haftet damit noch deutlich der Systemkampf zwischen dem jungen westdeutschen Marktwirtschaftssystem und der kommunistischen Alternative im Osten an. Damit ist eine Einschränkung aus Sicht der Autoren gegeben, die nicht explizit gemacht wird: Nicht das gesamte politische System steht in der Frage um eine Lösung der Umweltfrage zur Diskussion, sondern mit den vorhandenen Mitteln des westdeutschen Marktes soll operiert werden. Die Anfragen, die die sich gerade erst politisch gruppierende Umweltbewegung, die in der Bildung der Partei „Die Grünen“ mündete, an die vorhandene Politik stellte und schließlich eigene politische Antworten vorschlug, werden im Papier kaum gewürdigt.70 Dabei schwanken die Autoren zwischen wahrnehmender Wertschätzung des Veränderungswillens der „engagierten Ökologen“ und deutlicher Herabsetzung der ihr zugemessenen Kompetenzen. Die „Zielkonflikte der handelnden Politik und die realpolitischen Bedingungen werden verkannt“, so die Autoren.71 An die Stelle von Forderungen nach politischen Neustrukturierungen müsse eher ein zivilgesellschaftliches Engagement treten. Der „mündige Staatsbürger“ müsse durch „demokratischen Widerspruch gegen Beschädigung und Belastung der Umwelt vor Ort und im weiteren 69 ebenda, S. 48. 70 Dabei hatten sich die Arbeitsgruppenmitglieder die Auseinandersetzung mit den politischen Dimensionen nicht einfach gemacht. Winkler berichtet der Arbeitsgruppe über „die Anliegen der Grünen“ um die Ziele der jungen Bewegung den Arbeitsgruppenmitgliedern zu verdeutlichen: „Es ist außerordentlich schwierig die Anliegen der Grünen faßbar und konkret zu machen, ohne dabei zugleich eigenen Vorurteilen ( im Positiven wie im Negativen) sowie Pauschalierungen und Unterstellungen zu verfallen.“ Und weiter: „Der Übergang von der Wertvorstellung in die Weltanschauung findet bei den Grünen da statt, wo ihre Informationen über Schadensfälle und Katastrophen sowie ihre Sorgen ins apokalyptische umkippen. Dieses umkippen bedeutet, wohlgemerkt nicht zwangsläufig ein Abgleiten in Ideologie und Phantasterei, sofern die Apokalyptik etwas zutiefst wahres an sich hat und die geschilderte aktuelle Situation in der Tat nicht anders als apokalyptisch geschildert werden kann. […] Diese Bewegung verdient nicht nur geduldige, sondern vor allem aufrichtige und engagierter Gesprächspartner.“ Bericht der Arbeitsgruppe vom 14.05.1982, EZA 2/7296. 71 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Verantwortung, 1985, S. 20.

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Kontext“ vorgehen „und den politischen Willensbildungsprozeß durch umweltpolitisches Engagement“ beeinflussen.72 Doch dieses habe auch seine Grenzen, wenn es hierbei zu „sektiererischen und skurrilen Auswüchsen“ kommen sollte.73 Dieses muss als ein Seitenhieb gegen die sich gerade konstituierende Partei der „Grünen“ verstanden werden, deren Auftreten und teilweise radikale Forderungen im Gegensatz zu den etablierten Parteien befremdlich anmuten musste.74 Nach einer Abgrenzung zu den vorhandenen Lösungsmöglichkeiten und verworfenen politischen Alternativen wird dann der mögliche Beitrag der Kirche zur Umweltdiskussion thematisiert. Dazu wird festgehalten, dass „[e]in nicht zu unterschätzender Einfluß auf die Umweltdiskussion […] von der theologischen Wissenschaft aus[gehe], die das traditionelle, christliche Naturverständnis befragt, den Eigenwert der Natur unterstreicht und Kriterien für christliche Ethik und den Umgang mit der Natur entwickelt.“75

Die Berufung auf naturgemäße Erklärungsmodelle, eigentlich ja katholisches Terrain, wird dann auch für den ökumenischen Dialog ausgedeutet: „Besonders bedeutsam für das ökumenische Gespräch ist die immer stärkere Öffnung evangelischer Theologie für die Schöpfungstheologie und naturale Vorgegebenheiten.“76 Die katholische Kirche hatte somit nachweislich in der Vorgehensweise prägenden Einfluss nehmen können. Nachdem die Autoren erklären, dass aus einem christlichen Verständnis der Natur der Naturbegriff als „Schöpfung“ im größeren Sinne zu verstehen sei, müsse der Umgang mit dieser Schöpfung auch dem Schöpfer gegenüber verantwortet werden.77 Aus der bloßen Möglichkeit, positiven Einfluss auf die Umwelt zu nehmen 72 ebenda, S. 44. 73 Vgl. ebenda. 74 Das katholische Arbeitsgruppenmitglied Phillip Schmitz veröffentlichte in etwa zeitgleich mit dem Erscheinen der gemeinsamen Erklärung eine eigene Monographie, die sich mit der Umweltthematik beschäftigte. Die Ausführungen zu den sich gruppierenden politisch engagierten Ökologiebewegung sind von der gleichen Befürchtung getragen und lesen sich dabei auffallend ähnlich: „Ein Teil der Ökologiebewegung geht allerdings über reformistische Ansätze hinaus. Einer neu sich bildenden politischen Formation reicht es bald nicht mehr, Verhaltensänderungen innerhalb des Systems, Einzelschutzmaßnahmen und Schonräume zu fordern. Ihr moralisches Pathos versteigt sich zu radikalen Postulaten: Ende der Industriegesellschaft, Beendigung der privaten Verfügungsmacht über die Produktionsmittel, Einrichtung einer naturgemäßen Gesellschaft. Sie entwickelt Strategien, die das politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Spektrum in Frage stellen.“ Schmitz, Schöpfung, 1985, S. 20. 75 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Verantwortung, 1985, S. 23. 76 ebenda. 77 Vgl. ebenda, S. 27. Die Autoren heben hervor, dass die christliche Botschaft von „höchster Bedeutung“ für die Findung des „richtigen Weges“ sei. Zwar haben die Kirchen sich dem Schöpfungsthema erst jetzt und damit verspätet zuwenden können, da sie sich vorher mit der Frage nach Vereinbarkeit von biblischer Schöpfungslehre und naturwissenschaftlichen Weltbild befassen mussten, jedoch habe man nun die Bedeutung erkannt, die in der Schöpfungslehre für die Heraus-

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und somit die Schöpfung bewahren zu können, erwachse auch die Pflicht, selbiges zu tun. „Weil allein der Mensch inmitten aller Weltwesen in der Lage ist, für die Sicherung der Zukunft Sorge zu tragen, hat er auch die Pflicht dazu.“78 Gesamtgesellschaftlich müsse sich ein christliches Schöpfungsverständnis ausbilden, damit aus diesem schließlich Forderungen für ein neues Denken und Handeln resultieren könnten. Die Autoren schlussfolgern folgende Notwendigkeiten: 1.) Einen neuen Lebensstil, der sich individuell im Bewusstsein an einer umweltschonenden Verhaltensweise orientiert. 2.) Die Wirtschaft müsse sich in ihrer Zielsetzung um eine ökologische Komponente erweitern. Dieses würde nur durch Anreizstrukturen geschehen, die durch die Politik gesetzt werden müssen. Durch Steuern und harte Auflagen könne dieses erreicht werden. 3.) Die Politik müsse sich ökologische Ziele setzen und Förderinstrumente bereithalten, die eine ökologische Wirtschaft bevorzuge. Insgesamt betrachtet, sei dies nur durch eine zentrale Verwaltungssteuerung zu erreichen, die die einzelnen Fachpolitiken ablöse und „größer“ denke. 4.) Die Kirchen und Gemeinden müssten verstärkt Hoffnung auf eine Änderung der Verhältnisse machen und dabei ihre Bildungsinstrumente wie Predigt und Unterricht nutzen, um die Schöpfung als Eigenwert wieder hervorzuheben. Konkret sollten die Kirchen ein beispielhaftes und besonders umweltschonendes Verhalten im Umgang mit den eigenen Ressourcen zeigen.79 Da die Folgenabschätzung von technischen Entscheidungen „heute besser“ zu treffen sei als noch in der Vergangenheit, sei auch die Verantwortung gewachsen, da Verantwortung sich gerade im Rahmen des Abschätzbaren bewähre.80 Da heute jedoch häufig ein Eingriff in die Natur tiefer geschehe als früher, würden auch mehr Neben- und Folgewirkungen als früher geschehen, und diese Nebenfolgen seien letztlich der Grund dafür, dass die Folgen des Handelns letztlich noch weniger absehbar seien als zuvor. Ein Handeln müsse sich daher immer am Verzicht auf ein Risiko orientieren, anstatt wissentlich ein Risiko für die Natur einzugehen.81 Eine Beschäftigung mit Eingriffen in die Natur durch genetisch veränderte Pflanzen oder eine anderweitige Beschäftigung mit der Gentechnik findet in der Erklärung bemerkenswerterweise nicht statt. Die Autoren orientierten sich vornehmlich an den Eingriffen in die Natur, die aus traditionellen, industriellen Betätigungen resultieren. Die sich entwickelnde Biotechnologie war nicht im Fokus der Autoren. forderungen der Gegenwartsprobleme stecke. Der Herrschaftsauftrag, den der Mensch als Mandatar Gottes in der Welt wahrnehme, gelte für die Menschen innerhalb wie außerhalb des Gottesvolkes. Dieser Auftrag müsse im tiefen Respekt vor der Schöpfung ausgeübt werden. Zur Schöpfung zähle dabei die lebende und die unbelebte Natur. Die Autoren halten fest, dass „Dinge und Tiere ihren Sinn und Wert gerade auch in ihrem bloßen Dasein, ihrer Schönheit und ihrem Reichtum“ haben. Dieser Reichtum müsse vom Menschen erhaltend verwaltet werden. Siehe hierzu ebenda, S. 31–41. 78 ebenda, S. 26. 79 Vgl. ebenda, S. 42–55. 80 Vgl. ebenda, S. 29. 81 Vgl. ebenda.

4 „Gott ist ein Freund des Lebens“ als ökumenische Bioethik Der im ersten Kapitel geschilderten Herausforderung ethischer Problemkumulation mitsamt der einhergehenden Forderung an die Kirchen, eine Position dazu zu beziehen, begegneten diese eher intuitiv als planend mit einer gemeinsamen Stellungnahme. Die so entstandene gemeinsame Stellungnahme „Gott ist ein Freund des Lebens“ stellt ein Zeugnis kirchlicher Bioethik dar, das sowohl in der theologischen Argumentation als auch in der ethischen Bewertung ohne Vergleich ist. Im Folgenden wird detailliert nachvollzogen, wie es zur Erstellung der gemeinsamen Erklärung kam. Es wird dabei deutlich werden, dass diese Erklärung auf den Vorerfahrungen der kirchlichen Positionierungen aufbaut, die im zweiten Kapitel dargestellt wurden. Die im dritten Kapitel dargestellte inhaltliche Beschäftigung mit den in den 80er Jahren zusammenkommenden Teilbereichen leistete dabei eine essenzielle Vorarbeit für die Entwicklung der gemeinsamen Erklärung.

4.1 Anbahnung einer neuen gemeinsamen Erklärung durch die Deutsche Bischofskonferenz 4.1.1 Aktivitäten der katholischen „Arbeitsgruppe § 218 StGB“ Im Mai 1984 begannen in der katholischen „Arbeitsgruppe § 218 StGB“, einer Arbeitsgruppe des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz, die Überlegungen, eine neue Erklärung zum Thema „Schutz des ungeborenen Lebens“ herauszubringen. Inhaltlich sollte darin vor allem auf die aus katholischer Perspektive unerträgliche Situation der Finanzierung von Abtreibungen durch die gesetzlichen Krankenkassen eingegangen werden. Generell, so war man sich einig, sollte im Falle einer neuen Stellungnahme eine Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche angestrebt werden, um die Wirkkraft der Publikation – nach dem Vorbild der vorhergehenden gemeinsamen Stellungnahmen – zu erhöhen.1 Kontext dieser Überlegungen, eine Stellungnahme herauszugeben, war die Frage, ob die katholische Kirche sich an der Normenkontrollklage beteiligen sollte, die die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht einreichen wollte, um die krankenkassenfinanzierte Abtreibungspraxis auf ihre Verfassungskonformität zu überprüfen und letztlich 1

Die Mitglieder des Arbeitskreises § 218 waren: Prälat Paul Bocklet (Leiter des katholischen Büros in Bonn), Elisabeth Buschmann (Freiburg), Elisabeth von Depka (Köln), Rudolf Hammerschmidt, Johannes Niemeyer (Geschäftsführer der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn), Pfarrer Vinzenz Platz (Stuttgart), Felix Raabe (Generalsekretariat des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Bonn), Prälat Anton Schütz (Sekretariat der Bischofskonferenz, Bonn), Leopold Turowski (StaatsKirchenrechtler, Bonn), Anneliese Ulrich. Siehe: Brief vom 4. Mai 1984 an die Mitglieder des Arbeitskreises Paragraph 218StGB, AEK Zug. 862 Nr. 245.

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auf diesem Wege zu versuchen, die vorliegende Abtreibungspraxis zu stoppen.2 Ihrer Ansicht nach war es nicht legal und schon gar nicht legitim, dass auf Kosten der Allgemeinheit und damit ja auch auf Kosten von katholischen Mitgliedern aus katholischer Sicht moralisch illegitime Eingriffe finanziert werden.3 In der Arbeitsgruppe § 218 war man gespalten, ob eine Stellungnahme der DBK zu diesem Zeitpunkt günstig sei, da man auch den gegenteiligen Effekt erwarten könnte und durch die erneute Klarstellung der katholischen Position die öffentliche Meinung gegen sich aufbringen würde. Die Stimmen der Befürworter einer neuen Stellungnahme überwogen am Ende und setzten das Anliegen einer neuen Erklärung auf die Tagesordnung der Bischofskonferenz.4 Die Bischofskonferenz griff die Idee auf und unterstützte auf diese Weise das Anliegen der CDU-Bundesregierung, da beide die gleiche Zielsetzung hatten, das Gesetz ändern zu wollen. Gut festmachen kann man dieses auch an der LandesCDU im Rheinland. Traditionell sind die rheinland-pfälzische CDU und die Bischofskonferenz eng verbunden und so ist es nur folgerichtig, dass diese im Umgang mit dem ungeborenen Leben auf der politischen Agenda konform zur katholischen Lehrmeinung ging und die ihrerseits wahrgenommene zu weite Auslegungspraxis des § 218 kritisierte. Im Kontext der fraglichen Gesetzgebung für die Kassenfinanzierung wurde auf dem Landesparteitag im September 1984 der CDU RheinlandPfalz ein Beschluss herbeigeführt, der explizit der katholischen Naturrechtslehre folgt und so die konfessionelle Nähe bezeugt: „Die CDU Rheinland-Pfalz stellt fest: das Lebensrecht des ungeborenen Kindes ist Naturrecht, das unter dem besonderen Schutz der Verfassung steht.“5 Dieses Recht auf Leben werde dann missachtet und die Gesetze zum Schutz des Lebens missbraucht, wenn Beratungsstellen nicht „zum Leben hin“ beraten würden und Listen aushändigten, auf denen Ärzte ver-

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Hierzu wurden Absprachen zwischen DBK und CDU getroffen. Um die Abtreibungszahlen generell zu verringern, wurde zudem die Einrichtung der Bundesstiftung „Mutter und Kind“ vereinbart. Siehe die Aktennotiz zum Treffen der DBK mit Vertretern der CDU am 22. Mai 1984, AEK Zug. 862 Nr. 245. Und siehe dort auch den Aktenvermerk vom 15. November 1984 mit dem Betreff „Schutz des Lebens“. Darin wird der aktuelle Verhandlungsstand zur Normenkontrollklage festgehalten: Die CDU-Mitglieder der Bundesregierung versuchten nun die Normenkontrollklage gegen die Krankenkassen anzustreben. „Es werde versucht, das Land Rheinland-Pfalz und Bayern dafür zu gewinnen, der Klage beizutreten. Die FDP würde jedoch hinsichtlich einer angestrebten Gesetzesänderung nicht mitmachen und die evangelischen Christen in der Union seien in dieser Hinsicht ebenfalls sehr zurückhaltend“. Siehe dazu vertiefend Christina Zimmermann, Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch, München 2006. Siehe das Protokoll über die Sitzung der Arbeitsgruppe § 218 StGB am 30. Mai 1984 im Katholischen Büro in Bonn, AEK Zug. 862 Nr. 245. Darin wurde festgehalten, dass die Bischöfe eine öffentliche Stellungnahme oder einen Hirtenbrief zur aktuellen Problematik des Lebensschutzes veröffentlichen sollten. Von zwei Anwesenden wurde darauf hingewiesen, dass der Zeitpunkt ungünstig dafür sei, es würde zur Polarisierung der öffentlichen Meinung dienen. Beschluss zitiert aus den Akten der Bischofskonferenz: CDU Rheinland-Pfalz, Beschluss des Landesparteitages vom 8.9.1984, AEK Zug. 862 Nr. 245.

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zeichnet seien, die Abtreibungen vornehmen.6 Denn die so beschriebene Praxis aus der Konfliktberatung sei das Resultat der Gesetzgebung, die zu wenig für den Lebensschutz Ungeborener sorge. Kritikpunkt war so also weniger das Gesetz selbst, sondern durch die Ausführungspraxis sah man die Intention des Gesetzes derartig unterhöhlt, dass durch eine Gesetzesänderung eine Verbesserung des Schutzes des ungeborenen Lebens angestrebt werden sollte – eine Argumentationslinie, die auch die katholische Kirche, neben deutlicher Kritik an der Abtreibung generell, verfolgte. Das Vorhaben, eine Stellungnahme herauszugeben, verzögerte sich schließlich, obwohl die Bischofskonferenz dem Anliegen positiv gegenüberstand, weil sie die politischen Richtungsentscheidungen abwarten wollte. Auf politischer Ebene ging man unterdessen auf die Forderungen der Kirchen – vornehmlich der Bischofskonferenz – ein und engagierte sich von staatlicher Seite vermehrt, um Abtreibungen zu vermeiden. Auf Betreiben des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit, in Rücksprache mit den Kirchen, wurde die bereits erwähnte Bundesstiftung „Mutter und Kind“ parlamentarisch beschlossen. Sie sollte mit 25 Millionen DM im Jahr 1984, dann jeweils mit 50 Millionen DM jährlich von 1985-1988 aus Bundesmitteln ausgestattet werden und Mütter, die durch die Schwangerschaft in finanzielle Nöte gekommen waren, finanziell unterstützen. Den Kirchen wurde im Parlamentsbeschluss gesetzlich zugesichert, jeweils einen Vertreter in das Kuratorium der Stiftung entsenden zu dürfen. Bereits in der parlamentarischen Diskussion wurde dabei moniert, dass das Stiftungsvermögen zu niedrig sei, um wirksam die Nöte einer ungewollten Schwangerschaft finanziell abzupuffern.7 Dementsprechend forderte die Bischofskonferenz sowohl Bundeskanzler Kohl als auch Bundesfinanzminister Stoltenberg nur ein halbes Jahr später, nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Einrichtung der Bundesstiftung, dazu auf, sich für eine Verbesserung des Schutzes des Lebens einzusetzen und darauf hinzuwirken, dass das Stiftungsvermögen um 25-30 Millionen DM jährlich erhöht werde.8 Nachdem durch die Politik das Thema der Schwangerschaftskonflikte vorerst abschließend behandelt worden war, griff die katholische Kirche das Vorhaben wieder auf, zusammen mit der evangelischen Kirche eine Stellungnahme zum „Schutz des Lebens“ anzustreben.9 Nach drei weiteren Planungstreffen der Arbeits6 7 8

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Vgl. ebenda. Vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 10/71. Stenographischer Bericht 71. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984, in: Bundestagsdrucksache (1984), hier S. 69 u.A. Brief von Kardinal Höffner an Bundeskanzler Helmut Kohl vom 18.6.1985 und Brief von Kardinal Höffner an Bundesfinanzminister Stoltenberg vom 18.6.1985. Beide Briefe in: AEK Zug. 862 Nr. 245. Die Erhöhung der finanziellen Mittel wurde jedoch erst 1997 auf 180 Millionen DM jährlich durchgesetzt. Vertreter in der DBK hatten verstärkt darauf hingewiesen, dass die Forderungen an die Politik nicht überreizt werden sollten, da so ein negatives Bild in der öffentlichen Meinung entstehen könnte. Siehe div. Äußerungen in Protokollen der Arbeitsgruppe § 218 in AEK Zug. 862 Nr. 245. Gleichwohl wurde das Gespräch mit der Politik gehalten. Gegenstand diverser Gespräche waren immer wieder die Kassenfinanzierung der Schwangerschaftsabbrüche und die aus katholischer Sicht illegitim weite Auslegung der Notlagenindikation. Siehe z.B. die Aktennotiz zum Treffen der

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gruppe § 218 wurde durch die Bischofskonferenz formal am 11. Oktober 1984 beschlossen, dass die „Evangelische Kirche gewonnen werden solle, um einen Grundkonsens herzustellen.“10 Um die Möglichkeiten eines solchen Grundkonsenses auszuloten, lud Paul Bocklet als Leiter des Katholischen Büros in Bonn einige Vertreter der EKD zu einem Gespräch ein.11 Der von ihm gewählte Adressatenkreis umfasste unter anderen seinen evangelischen Amtskollegen, nämlich Prälat Heinz-Georg Binder, der der Bevollmächtigte des Rates der EKD an der Bundesregierung in Bonn war, und dessen Stellvertreter, OKR Hermann Kalinna, zudem den Präsidenten des Kirchenamtes der EKD, Hartmut Löwe (Hannover), und den Präsidenten des Diakonischen Werkes der EKD, Karl-Heinz Neukamm (Bonn). In dem Gespräch sollte es „über die Möglichkeiten einer Verbesserung des Schutzes ungeborenen Lebens“ gehen.12 Bocklet erklärte das Ansinnen der DBK: „Der in der Praxis zu beobachtende Mißbrauch geltender Rechtsvorschriften und die ständig steigenden Abtreibungszahlen, insbesondere durch die Notlagenindikation, legen es nahe, daß die beiden christlichen Kirchen einmal gemeinsam überlegen, welche Schritte zu einem besseren Schutz ungeborener Kinder unternommen werden können. […] Bedeutsame Äußerungen aus der evangelischen Kirche und eine […] entstehende Nachdenklichkeit in dieser Frage ergeben dafür gute Ansatzpunkte.“13

In dem Treffen sahen sich die geladenen Vertreter der EKD der Situation gegenübergestellt, dass sie zwar allesamt Vertreter der Spitzen der EKD, jedoch nicht offiziell legitimiert waren, mit der DBK ein Abkommen zu schließen oder Inhalte zu verhandeln.14 Bocklet stellte heraus, dass in allen Gesprächen im öffentlichen Raum immer wieder betont werde, wie notwendig eine „gemeinsame Sprache und ein

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Vertreter der Arbeitsgruppe § 218 mit Vertretern der SPD Bundestagsfraktion vom 20.07.1985 in AEK Zug. 862 Nr. 245. Siehe die Aktennotiz des geschäftsführenden Ausschusses des Zentralkomitees der DBK vom 11.10.1985. Für die vorhergehenden Beratungen siehe die Einladung zum Treffen der Arbeitsgruppe § 218 vom 12.3.1985, und das Protokoll des Treffens der Arbeitsgrupe § 218 vom 15.5.1985, zudem der Brief an die Mitglieder der Arbeitsgruppe § 218 vom 26.7.1985. (Alles in AEK Zug. 862 Nr. 245.) Hier wurde nicht wie vorher nur über die Punkte der Kassenfinanzierung und mögliche Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche gesprochen, sondern auch das neue Thema Gentechnik behandelt. Damit zeigt sich bereits, wie selbstverständlich zu diesem Zeitpunkt eine Kommission zu § 218 auch über die Fragen der Gentechnik berät. Hier findet also bereits eine Vermischung von Schwangerschaftsabbruchproblematik und Fortpflanzungsproblematik im Allgemeinen statt. Einladung von Bocklet an Vertreter der EKD zu einem Gespräch am 25. April 1985 im Katholischen Büro vom 13. März 1985, AEK Zug. 862 Nr. 249. Siehe ebenda. ebenda. Ein Umstand, den die Vertreter deutlich zu Protokoll gegeben hatten. Siehe dazu den Aktenvermerk über das Treffen evangelischer und katholischer Vertreter am 25. April 1985 in Bonn, AEK Zug. 862 Nr. 249.

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gemeinsames Vorgehen beider Kirchen“ seien.15 Dies wurde von evangelischer Seite zwar nicht abgestritten, jedoch wurde von ihr deutlich gemacht, dass man sich aus einem evangelischen Verständnis schwer tue, eine öffentliche Erklärung oder eine Empfehlung an die Politik im Umgang mit der Schwangerschaftsproblematik abzugeben. Die evangelischen Vertreter brachten daraufhin den Vorschlag ein, zunächst auf ethischer Ebene eine gemeinsame Stellungnahme zwischen beiden Kirchen zu erstellen, da eine gemeinsame Forderung an die Politik aus evangelischer Sicht sehr viel schwieriger zu bewerkstelligen sei. Gemeinsam hielten beide Seiten schließlich fest, dass ein gemeinsames ethisches Wort zum Wert ungeborenen Lebens bereits ein großer Erfolg der Besprechung wäre.16 Um eine solche Stellungnahme zu ermöglichen, vereinbarte man, bald offizielle Gespräche zwischen DBK und EKD einzuleiten und dort die Details des Vorgehens abzusprechen.17 4.1.2 Aktivitäten im und um den „Kontaktgesprächskreis zwischen Vertretern der DBK und des Rates der EKD“ 4.1.2.1 Offizielle Gespräche zwischen EKD und DBK Um offizielle Gespräche zwischen DBK und EKD zu führen, gibt es das Format des Kontaktgesprächskreises. Unregelmäßig und anlassbezogen werden im Kontaktgesprächskreis (KGK) Angelegenheiten, die die evangelische und die katholische Kirche gemeinsam betreffen, besprochen.18 Am 5. November 1985 fand aufgrund des beschriebenen Vorgesprächs zwischen EKD und DBK ein solches Treffen zwischen Vertretern der DBK und Vertretern des Rates der EKD statt.19 15 ebenda. 16 ebenda. Der evangelische EKD-Beteiligte Neukamm hielt darüber hinaus fest, dass eine Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen die Kassenfinanzierung der Schwangerschaftsabbrüche aus evangelischer Sicht nicht angestrebt werde und auch nicht anzustreben sei, da dies in der Bevölkerung unter anderem als erneute Behinderung und Bevormundung der Frauen angesehen werde. 17 Im Januar 1986 wurde trotzdem einseitig von der katholischen Arbeitsgruppe § 218 mit der Planung einer Ausarbeitung zum „Schutze des Lebens“ begonnen. Siehe Einladung und Tagesordnung vom 28.1, AEK Zug. 862 Nr. 245. Diese Bemühungen fanden dann ein knappes Jahr später ein Ende. Siehe im Protokoll des Treffens der Arbeitsgruppe § 218 vom 16.10.1986. Darin wird festgehalten, dass die angedachte Stellungnahme der Arbeitsgruppe § 218 nicht weiter verfolgt wird, weil „andere AGs daran arbeiten“. Ebenfalls in AEK Zug. 862 Nr. 245. In den drei Treffen, die zuvor anlässlich der Erstellung einer Publikation abgehalten wurden, waren zudem kaum Fortschritte gemacht worden. 18 Zur Wichtigkeit der Kontaktgespräche in früheren Konfliktfeldern siehe Mantei, Nein und Ja, 2004, S. 189. 19 Teilnehmer des Gesprächskreises waren jeweils die Leitungsspitzen beider Kirchen: Von evangelischer Seite: Hans-Gernot Jung (Bischof und Vorsitzender des KGK, Kassel-Wilhelmshöhe)), Gerhard Brandt (Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Düsseldorf), Ako Haarbeck (Mitglied des Rates der EKD, Detmold), Werner Hofmann (Oberkirchenrat, München), Dr. Hans von Keler (Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Stuttgart), Ulrich Wilckens (Bischof der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, Lübeck), Hartmut Löwe

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Auf diesem Treffen wurde den Vorbesprechungen folgend vereinbart, dass in guter Erinnerung an die vorhergehenden gemeinsamen Stellungnahmen ein „Problempapier zum Schutz ungeborener Kinder“ erarbeitet werden solle, welches dann „Grundlage für ein kurzes Wort beider Kirchen“ werden und zum Jahresende 1986 publiziert werden könnte.20 Einmütig war man der Meinung, dass beide Kirchen mit „gleicher Terminologie“ sprechen müssten, um publikumswirksam zu agieren.21 Es wurde ausgemacht, sich in Zukunft im Vorgehen zum Punkt Schwangerschaftsabbruch besser abzustimmen. Einigkeit wurde darüber hinaus darin erzielt, dass nicht durch Gesetze allein, sondern vor allem durch „Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft“ die Zahlen der Schwangerschaftsabbrüche verringert werden könnten.22 Besonders positive Würdigung fand dabei explizit die Publikation der EKD „Von der Würde werdenden Lebens. Extrakorporale Befruchtung, Fremdschwangerschaft und genetische Beratung. Eine Handreichung der Evangelischen Kirche in Deutschland zur ethischen Urteilsbildung.“23 Diese Publikation wurde vonseiten der DBK als „hilfreiche Aussage zum Schutz des ungeborenen Lebens“ gesehen und könne als Vorbild gemeinsamer Aktivitäten dienen.24 Für den 2. und 3. Mai 1986 wurde sodann ein neues Treffen des Kontaktgesprächskreises in Aschaffenburg terminiert.25 Bis dahin sollten Vorbereitungen getroffen werden, damit anschließend dem Rat der EKD und auch dem ständigen Rat der DBK die entsprechenden

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(Präsident der EKD, Hannover) und Heinz-Georg Binder (Bevollmächtigter des Rates der EKD bei der Bundesregierung, Bonn). Von katholischer Seite: Paul-Werner Scheele (Bischof von Würzburg und Vorsitzender des KGK, Würzburg), Hans Leo Drewes (Weihbischof in Paderborn), Josef Homeyer (Bischof von Hildesheim), Karl Lehmann (Bischof von Mainz), Oskar Saier (Erzbischof von Freiburg), Friedrich Kardinal Wetter (Erzbischof von München und Freising), Wilhelm Schätzler (Sekretär der DBK, Bonn) und Paul Bocklet (Leiter des Katholischen Büros in Bonn). Adressliste des Kontaktgesprächskreises, zum Stand Februar 1989, AEK Zug. 862 Nr. 250. ebenda. Vgl. auch den Brief von Prälat Schätzler an Erzbischof Saier vom 15.11.1985, AEK Zug. 862 Nr. 249. Siehe das Protokoll des Treffens des Arbeitskreises § 218 vom 5. November 1985. Darin ist der Bericht über das Kontaktgespräch zwischen Bischofskonferenz und EKD aufgeführt. Zur „Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft“ sollte die Initiative „Wähle das Leben“ gestartet werden. Protokoll der Arbeitsgruppe § 218 vom 5.11.1985, AEK Zug. 862 Nr. 245. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Würde, 1985. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Protokoll der Arbeitsgruppe § 218 vom 5.1.1985, AEK Zug. 862 Nr. 245. Vgl. den Brief von Prälat Schätzler (Sekretär der DBK) an die katholischen Mitglieder des Kontaktgesprächskreises am 12. April 1986, AEK Zug. 862 Nr. 249: Darin erinnert er die Mitglieder, dass der Kontaktgesprächskreis im Oktober 1985 beschlossen hatte, ein gemeinsames ökumenisches Wort zum Schutze des Lebens im Laufe des Jahres 1986 zu veröffentlichen, zudem sollte eine darüber hinausführende Erklärung angefertigt werden. Die EKD hätte jedoch von einem kurzfristig erstellten ökumenischen Wort absehen wollen, da dies (u.A. im Zusammenhang mit der Wahl) ungünstig terminiert sei. Es wurde vereinbart, dass der Kontaktgesprächskreis auf seiner Sitzung im Mai 1986 die Weichen stellen sollte für ein umfassendes ökumenisches Wort. Die Katholiken hätten zwar ein kurzes gemeinsames Wort trotzdem gern veröffentlichen wollen, die EKD-Vertreter hätten sich dagegen jedoch gesperrt.

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Beschlussvorlagen vorgelegt werden könnten.26 Thematisch sollte es in der Publikation um eine Bewusstseinsänderung im Umgang mit dem Leben gehen; somit galt es über die Schwangerschaftsabbruchproblematik hinaus auch die Themen „Bioethik, Krankheitsphänomene unserer Zeit und die Probleme des Alterns“ zu behandeln.27 In Aschaffenburg wurde formell beschlossen, dass sich eine neue „evangelischkatholische Kommission“ mit dem „Schutze des Lebens“ auseinandersetzten sollte. Die Kommission sollte sich aus je sechs Personen zusammensetzen, wobei jeweils zwei Frauen darunter sein sollten.28 4.1.2.2 Inoffizielle Absprachen zwischen EKD und DBK Parallel zu den offiziellen Gesprächen zwischen DBK und EKD, die ja vor allem von den kirchenleitenden Personen beider Kirchen geführt wurden, welche nicht zum Initiativkreis der gemeinsamen Erklärung gehörten, hatte sich unterdessen eine private Gesprächsrunde gegründet, die sich über Möglichkeiten zum Schutz des Lebens austauschte. Da es hier auch Überschneidungen mit dem KGK gab, ist anzunehmen, dass diese privaten Gespräche zur Begleitung der offiziellen Gespräche im KGK gedient haben. Die Initiative zu diesen Gesprächen ging bereits im Oktober 1985 – und somit vor dem ersten Treffen des KGK – von Prälat Heinz-Georg Binder aus, der als „reine Privatinitiative und ohne offiziellen Charakter“ zu einem Gespräch in sein Büro einlud, um über den „Schutz ungeborenen Lebens“ zu sprechen.29 Anwesend bei diesem privaten Gespräch waren Heinz-Georg Binder selbst, Friedrich Kronenberg (MdB für die CDU und seinerzeit Generalsekretär des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken), Johannes Niemeyer (stellvertretender Leiter des Katholischen Büros in Bonn), Wilhelm Schätzler (Sekretär der Bischofskonferenz, Bonn), Jürgen Schmude (MdB für die SPD und Präses der Synode der EKD, Bonn) und Hermann Kalinna (Stellvertretender Bevollmächtigter des Rates der EKD in Bonn). Es folgten weitere „private Treffen“ im Januar, Mai, September und November 1986, die in gleicher Personenkonstellation durchgeführt wurden.30 Die anwesenden Personen waren also die beiden Leiter der jeweiligen kirchlichen Schnittstellen zur Politik (der Bevollmächtigte der EKD und der Leiter des Katholi26 Siehe die Aktennotiz vom 2.12.1986 zum Treffen des Kontaktgesprächs vom 5.11.1986 von Bocklet, AEK Zug. 862 Nr. 249. Bocklet hält darin gedanklich fest, dass das gemeinsame Wort nicht im Wahlkampf veröffentlicht werden sollte, da es so garantiert missverstanden werden würde. [Anm.OG: Die Bundestagswahl war für den 25. Januar 1987 angesetzt.] 27 So hält es Bocklet fest: ebenda. Von evangelischer Seite seien zudem die „Aussagen des Papstes zur Empfängnisverhütung als irritierend“ wahrgenommen worden. 28 Vermerk von Bocklet an Niemeyer am 20. Oktober 1986, AEK Zug. 862 Nr. 249. 29 Brief von Binder vom 7.10.1985, AEK Zug. 862 Nr. 249. 30 Zu den Treffen siehe im Detail die Briefe von Binder vom 05.02.1986, 24.04.1986 und vom 25.08.1986. Vgl. auch die Aktennotiz von Schätzler vom 31. Oktober 1986. Alles in AEK Zug. 862 Nr. 249.

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schen Büros), jeweils ein CDU- und ein SPD-Vertreter aus dem Bundestag, die Leiter der Laienorganisationen beider Kirchen, also der Präses der EKD-Synode und der Generalsekretär des Zentralkomitees der Katholiken in Deutschland. Die so zustande kommende Runde konnte über die implizit vertretenen Gruppierungen Auskunft geben und einschätzen, wie weit man in den jeweiligen Gremien und Organisationen zu gehen bereit war. Wo keine unmittelbare eigene Sachkompetenz vorlag, wurden auch Gäste zu den Gesprächen gebeten. Um die Situation in den Beratungsstellen zur Schwangerschaftskonfliktberatung zu verdeutlichen, wurden für die Sitzung im Mai zwei Konfliktberaterinnen eingeladen: Hilde Wintzer (Meckenheim) aus der evangelischen und Elisabeth von Depka (Köln) aus der katholischen Konfliktberatung.31 In den Treffen ging es nicht nur um den Austausch von individuellen Meinungen, was vor allem am Schlussprotokoll festgemacht werden kann. Obwohl man vereinbart hatte, von den Treffen keine offiziellen Aufzeichnungen anzufertigen – um ungehemmt reden zu können – und die Mitschriften vertraulich zu behandeln, wurde für den Abschluss doch ein gemeinsames schriftliches Fazit der Gespräche gezogen. Dieses Fazit scheint auch zur Weitergabe an die inneren Kreise der jeweiligen Gremien und Organisationen gedacht gewesen zu sein, da noch einmal festgehalten wurde, was Anlass der Gespräche war und welchen Charakter sie hatten. Zudem fand ein Abstimmungsprozess statt, der noch Änderungen in der schriftlichen Fassung ermöglichte.32 Inhaltlich wurde dann im Oktober 1986 als Abschluss der Gespräche festgehalten: „Ein informeller Kreis von Gesprächspartnern aus den verschiedenen Kirchen und politischen Bereichen hat sich getroffen, um die persönlichen Überzeugungen in der Frage des Lebensschutzes zu diskutieren.“33 Sodann wurde formuliert: „Der Mißbrauch gegenwärtigen Rechts muss unterbunden werden“.34 Schwangeren Frauen und ihren Kindern müsse besser geholfen werden. Auch auf ein konkretes politisches Ziel verständigte man sich, nämlich, dass der Zeitraum des Erziehungsgeldes auf 2-3 Jahre zu verlängern sei. Erst nach einiger Diskussion wurde ein Passus aufgenommen, der gegen die Diskriminierung von unverheirateten schwangeren Frauen gerichtet war.35 Auch war man der Auffas31 Siehe das Protokoll zum Treffen, in dem das Problem der ungewollten Schwangerschaften allgemein vor allem als Problem mangelnder Sexualaufklärung wahrgenommen wurde: „Viele junge Menschen sehen offenbar nicht mehr den Zusammenhang zwischen Geschlechtsverkehr und Schwangerschaft, auch z.B. Studentinnen nicht.“ Um diese Wahrnehmung zu untersuchen, sollten zwei Konfliktberaterinnen eingeladen werden. Vor ihrem Vortrag sollten die beiden mit Johannes Niemeyer jedoch letzte Details besprechen. Kurzprotokoll vom 25.3.1986 über die „privaten Gespräche von Vertretern der EKD und der DBK“, AEK Zug. 862 Nr. 249. 32 Der Text wurde, nachdem alle Änderungswünsche eingearbeitet waren, allen Gesprächsteilnehmern postalisch zugesandt. Brief von Kalinna vom 18.11.1986, AEK Zug. 862 Nr. 249. 33 Aktennotiz zu den „privaten Gesprächen“ vom 31. Oktober 1986 von Schätzler, AEK Zug. 862 Nr. 249. 34 ebenda. 35 ebenda. Der Passus im Wortlaut: „Es muss dabei bleiben, dass eine nicht-eheliche-Schwangerschaft nicht zu diskriminierender Behandlung führt.“

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sung, dass man in der angestrebten gemeinsamen Publikation nicht unbedingt von einer Rechtsänderung reden sollte, sondern sich bemühen müsse, ein „neues Wertebewusstsein zu schaffen.“36 Diese privaten Gespräche haben unmittelbare Auswirkungen auf die offiziellen Vereinbarungen zwischen DBK und EKD und die Gestaltung der gemeinsamen Erklärung gehabt; letztlich stellte sich die Arbeitsgruppe, die die gemeinsame Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ erstellte, aus einigen Personen, die der inoffiziellen Gesprächsrunde angehörten, zusammen. 4.1.2.3 Zur Verflechtung von Kirche und Politik Nachdem die Normenkontrollklage der Bundesregierung (CDU/CSU und FDP) zur Überprüfung der kassenfinanzierten Schwangerschaftsabbrüche vom Bundesverfassungsgericht im September 1986 nicht angenommen worden war, bestand für die katholische Kirche, aber auch für die Bundesregierung ein erhöhter Handlungsdruck.37 Die Bundesregierung musste, da die Bundestagswahl vor der Tür stand, zumindest Teilen der konservativ-kirchlichen Öffentlichkeit zeigen, dass sie in der Frage des Schwangerschaftskonfliktes nicht nachlassen und sich weiter für einen Schutz des ungeborenen Lebens einsetzen würde. Die katholische Kirche hingegen hatte allzu zuversichtlich auf die Normenkontrollklage der Bundesregierung gesetzt und musste nun neue Wege zur Durchsetzung ihrer Interessen suchen.38 Im Vordergrund stand dabei die aus katholischer Sicht überdehnte Anwendung der Notlagenindikation des § 218. Im Katholischen Büro sah man die CDU in der Pflicht, hier eine neue Regelung anzustreben. In einer Aktennotiz fasst Bocklet die aktuellen Problemstellungen zusammen: „Es ist offenkundig, dass jährlich ca. 85.000 bis 90.000 Schwangerschaftsabbrüche gemeldet werden, während von den Ärzten tatsächlich mehr als 200.000 Abtreibungen bei den Krankenkassen abgerechnet werden. […] Die Praxis des Schwangerschaftsabbruchs stimmt mit den Grundsätzen geltenden Rechts nicht überein und hat sich weitgehend zu einer verfassungswidrigen Fristenregelung entwickelt. […]

36 Kurzprotokoll vom 25.03.1986 über die „privaten Gespräche von Vertretern der EKD und der DBK, AEK Zug. 862 Nr. 249. 37 Meldung der Pressestelle der DBK vom 24.9.1986, AEK Zug. 862 Nr. 245. 38 Wie sehr die katholische Kirche auf die Normenkontrollklage der CDU gesetzt hatte und immer wieder hingehalten wurde, wird aus einem Brief deutlich, der vom Katholischen Büro an Erzbischof Saier gerichtet ist, in dem der Sachstand zur Klage geschildert wird: Obwohl Heiner Geißler in einem Treffen mit der Bischofskonferenz zugesagt hatte, im CDU-Präsidium für eine schnelle Klärung im Vorgehen zur Normenkontrollklage der Kassenfinanzierung zu sorgen, sei der Vorstoß erneut aufgehalten worden. Helmut Kohl hatte persönlich entschieden, mit der Klage mindestens bis nach der Landtagswahl am 12. Mai 1985 in NRW zu warten. Brief vom Katholischen Büro an Erzbischof Saier vom 29.03.1985, AEK Zug. 862 Nr. 248.

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Wer eine geistig-moralische Wende betreiben will, muß die Verbesserung des Lebensschutzes als eine der wichtigsten Aufgaben in der politischen Arbeit sehen.“39

Die von der CDU programmatisch angekündigte Aufnahme christlicher Wertgrundsätze in die Politik, die sogenannte geistig-moralische Wende, konnte von der katholischen Seite also urbar gemacht werden, diese christlichen Werte einzufordern, sofern denn die CDU nicht Gefahr laufen wollte, von der katholischen Kirche öffentlich kritisiert zu werden. Die CDU hatte sich mit ihrem Vorhaben, die christlichen Werte in die Politik aufzunehmen, eng an die katholische Kirche gebunden, die wiederum zur Durchsetzung ihrer Interessen die CDU benötigte, da die SPD sich zuvor für die aus katholischer Sicht zu liberalen Abtreibungsbestimmungen eingesetzt hatte. Um die politischen Möglichkeiten der katholischen Kirche auszuloten, fand daher im November 1986 ein Treffen im Katholischen Büro mit Vertretern der Bischofskonferenz und mit Mitgliedern der FDP-Bundestagsfraktion über die Fragen des Lebensschutzes statt. Darin wurden letzte Absprachen vor der Bundestagswahl getroffen. Die Vertreter der Bischofskonferenz machten dabei deutlich, dass sie sich mit der momentanen Regelung zum Schwangerschaftsabbruch nicht abfinden könnten.40 Im Nachgang zum Treffen erstellte Bocklet Anfang Dezember 1986 im Vorgriff auf das Wahlergebnis der Bundestagswahl im Januar 1987 eine Liste mit „Vorschlägen zum Schutz des menschlichen Lebens in der kommenden Legislaturperiode“. Darin enthalten ist eine Auflistung eines „Minimalprogramms an vordringlichen Schritten, die bei gutem Willen in Bund und Ländern von den Unionsparteien mit Zustimmung oder unter Duldung der FDP getan werden können“.41 Diese Schritte waren mit der FDP zuvor abgesprochen worden, sodass, egal bei welchem Wahlausgang, sofort auf die regierungsstellende Partei zugegangen werden konnte.42 Diese Auflistung sah vor, die Beratungsregelungen in der Schwangerschaftskonfliktberatung abzuändern und künftig nur noch Fachkräfte in der Beratung zuzulassen. Die für einen straffreien Abbruch nötigen Indikationsbescheinigungen sollten nur noch von Fachärzten ausgestellt werden dürfen. Zudem sah die Vorschlagsliste vor, dass es eine räumliche Trennung von Beratungsstellen und den den Abbruch durchführenden Stellen geben sollte.43

39 Aktennotiz von Bocklet zum Sachstand der Schwangerschaftsabbruchthematik vom 1.12.1986, AEK Zug. 862 Nr. 245. 40 Aktennotiz zu einem Treffen von Vertretern der DBK und von Vertretern der FDP-Bundestagsfraktion vom 12.11.1986, AEK Zug. 862 Nr. 245. 41 Aktennotiz von Bocklet zum zukünftigen Vorgehen in der Schwangerschaftsabbruchthematik vom 3.12.1986, AEK Zug. 862 Nr. 245. 42 Man war sich sicher, dass die FDP in jedem Falle an der Regierung beteiligt werden würde. 43 ebenda.

Konkrete Zusammensetzung der gemeinsamen Kommission

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4.2 Konkrete Zusammensetzung der gemeinsamen Kommission 4.2.1 Findung der Kommissionsmitglieder Die Beschlüsse des Kontaktgesprächskreises aufnehmend, wurde auf der Sitzung des Rates der EKD am 23. und 24. Mai 1986 bereits konkret über das Vorhaben und die personelle Besetzung gesprochen. Traugott Koch (Professor für Systematische Theologie und Ethik in Hamburg) und Lisa Weidle (Schwangerschaftskonfliktberaterin in der Diakonie, Stuttgart) wurden als potenzielle Mitarbeiter der Kommission festgehalten.44 Das Katholische Büro, also der Verwaltungssitz der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn, benannte auf der Versammlung der Deutschen Bischofskonferenz vom 22.–25. September in Fulda daraufhin als Arbeitsgruppenmitglieder für die katholische Seite: Walter Kasper (Professor für Dogmatik, Tübingen), Bernhard Stoeckle (Professor für Moraltheologie, Freiburg), Jörg Splett (Professor für Religionsphilosophie und Anthropologie, Frankfurt a.M.), Elisabeth Buschmann (Schwangerschaftskonfliktberaterin und Ärztin, Freiburg), Johannes Niemeyer (stellvertretender Leiter des Katholischen Büros in Bonn) und Vinzenz Platz (katholischer Pfarrer, Stuttgart). Für die auf den 15./16. Oktober anberaumte nächste Sitzung des Kontaktgesprächskreises, so wurde dem Rat der EKD mitgeteilt, sei der katholische Bischof Paul-Werner Scheele bevollmächtigt, die Zahl der katholischen Mitglieder gegebenenfalls zu verringern, sofern dies vonseiten der EKD gewünscht würde.45 Die Vertreter des Kirchenamtes der EKD waren auf der Sitzung tatsächlich der Auffassung, dass fünf „Plätze pro Konfession“ plus die jeweiligen Geschäftsführer ausreichen würden, und erweiterten die Liste der evangelischen Kommissionsmitglieder nur um drei weitere Namen, die vorher im Rat festgelegt worden waren: Hilde Wintzer (Schwangerschaftskonfliktberaterin und Ärztin, Meckenheim), Hans Engelhardt (Richter am Bundesgerichtshof, Wiesbaden) und Martin Honecker (Professor für Systematische Theologie, Bonn).46 Wie vereinbart, 44 Auszug aus dem Protokoll der Ratssitzung vom 23./24. Mai 1986, AEK Zug. 862 Nr. 250: „Der Rat ist mit der Erarbeitung einer gemeinsamen Erklärung von evangelischer und römisch-katholischer Kirche mit dem Arbeitstitel ‚Schutz des Lebens‘ einverstanden. Die mit dem Paragraphen 218 StGB gegebene Situation soll dafür Anlass, nicht aber das alleinige Thema sein. Es ist wichtig, deutlich zu machen, daß das Leben zu jeder Zeit – am Anfang, am Ende (Sterbehilfe), in der Mitte – von Gott gegeben ist und deshalb zu keiner Zeit menschlicher Verfügung übergeben werden darf.“ 45 Vgl. auch das Protokoll der Vollversammlung der deutschen Bischofskonferenz vom 22.–25. September 1986 in Fulda, AEK Zug. 862 Nr. 249. Dort wird festgehalten: „Die Vollversammlung der DBK beruft als Mitglieder in die Arbeitsgruppe zur Erarbeitung eines ökumenischen Wortes zum Schutz des Lebens: Frau Buschmann, Walter Kasper, Bernhard Stöckle, Prof. Jörg Splett, Johannes Niemeyer, Vinzenz Platz. Der Bischof von Würzburg wird ermächtigt, die endgültige Besetzung der Arbeitsgruppe aus den gegebenen Vorschlägen zu bestimmen.“ 46 Ratsprotokoll der 11. Ratssitzung vom 10.10.1986, EZA 3/07/10761. Frau Kimmich gab dabei in der das KGK vorbereitenden Ratssitzung zu Protokoll, dass Sie mit Hilde Wintzer als Besetzung nicht einverstanden sei. Mit Hilde Wintzer würde eine familienpolitische Einseitigkeit vorliegen, zudem seien keine evangelikalen Vertreter benannt. Entsprechend wurde schließlich die Liste der

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wurde die Zahl der katholischen Mitarbeiter daraufhin vom Würzburger Bischof Paul-Werner Scheele reduziert und Jörg Splett als Kommissionsmitglied zurückgenommen.47 Demnach waren in der gemeinsamen Kommission folgende Professionen und Kompetenzen vertreten: je ein Jurist (Niemeyer und Engelhardt), je zwei Professoren für Systematische Theologie (Kasper, Splett, Honecker und Koch) und je eine Medizinerin (Buschmann, Wintzer), zudem Rita Waschbüsch als eine ehemalige CDU-Sozialministerin (Saarland 1974-1977) und Elisabeth Buschmann als Führungskraft in der Caritas. Mit Johannes Niemeyer und Hermann Barth waren außerdem zwei Spitzenkräfte der beiden Kirchen als Geschäftsführer benannt worden; sie entstammten dem inneren Kreis des Sekretariats der Bischofskonferenz bzw. der Kirchenkanzlei der EKD. Die Gruppe wies politisch damit in konservative Richtung.48 Die von den Kirchen benannten Mitglieder wurden daraufhin angeschrieben und um ihre Mitarbeit in der gemeinsamen Kommission gebeten.49 In dem Schreiben an die angefragten evangelischen Kommissionsmitglieder wurde kurz die Aufgabe umrissen: Die geplante gemeinsame Erklärung würde auf ihre beiden evangelisch-katholischen Vorgängerschriften aufbauen und somit an die bisherigen Erfahrungen anknüpfen. Sowohl mit „Grundwerte und Gottes Gebot“ von 1979 als auch mit „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung“ von 1980 habe man sehr gute Erfahrungen gemacht. Diese gemeinsame Arbeit solle nun in einer weiteren gemeinsamen Erklärung fortgeführt werden. Angeregt sei die geplante gemeinsame Kommissionsmitglieder bei einer Gegenstimme verabschiedet. Hilde Wintzer war jedoch über die Beteiligung an den die Kommission vorbereitenden „privaten Gesprächen“ involviert gewesen und somit in den engeren Kreis der möglichen Kommissionsmitglieder geraten. Darüber, dass Martin Honecker an der Kommission beteiligt werden sollte, wurde man sich hingegen, aufgrund seiner Erfahrungen in der Erstellung gemeinsamer Erklärungen, im Rat schnell einig: „Er war bisher Mitglied in allen gemeinsamen evangelisch-katholischen Kommissionen, die mit sozialethischen Fragen befasst waren.“ Siehe ebenda. 47 Siehe auch den Vermerk von Bocklet an Niemeyer am 20. Oktober 1986, AEK Zug. 862 Nr. 249: Karl Lehmann (Bischof von Mainz) und Paul-Werner Scheele (Bischof von Würzburg) haben Bocklet gebeten, dass Niemeyer die Geschäftsführung der katholischen Gruppe in der gemeinsamen Kommission übernehmen möge. In der Notiz folgt zudem eine Einschätzung und Einordnung der evangelischen Kommissionsmitglieder: Von evangelischer Seite seien es Martin Honecker, Hanns Engelhardt, Traugott Koch – „ein Schüler Prof. Tannenbergs, der in der Ökumene sehr stark sei“ – Frau Reinke[sic!] – „sie sei für den Beratungsdienst in der Diakonie zuständig“ und Hilde Wintzer, „die in einer pro Familia Beratungsstelle arbeitet, aber gegen die Grundlinien der pro Familia stehe und als positive evangelische Christin ausgewiesen wurde“. Hermann Barth werde die Geschäftsführung auf evangelischer Seite übernehmen. 48 Die politischen Zuordnungen wurden aufmerksam beobachtet. Später wird in der DBK die politische Ausrichtung von Richter Engelhardt publik und darüber sogleich in der DBK im Kontext der regelmäßigen Berichterstattung der gemeinsamen Kommission berichtet: Engelhardt „werde der FDP zugeordnet“. Notiz von Niemeyer an die Mitglieder der Hauskonferenz der DBK vom 10.11.1987, AEK Zug. 862 Nr. 249. 49 Brief von Barth an die ev. Mitglieder der gemeinsamen Kommission „Schutz des Lebens“ vom 21.10.1986, EZA 3/07/10762.

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Erklärung zum Schutz des Lebens durch die Diskussion um den § 218.50 Im Schreiben an die katholischen Mitglieder wurde zudem noch auf die besondere politische Wirkkraft einer gemeinsamen Erklärung hingewiesen.51 Die Aufnahme der Kommissionsarbeit geriet zunächst ins Stocken, da die benannten Mitglieder der Kommission teilweise nur zögerlich ihre Bereitschaft zur Mitarbeit an der gemeinsamen Erklärung bekundeten.52 Teils war der Grund für die Zurückhaltung inhaltlich begründet, teils mussten formelle Hindernisse ausgeräumt werden.53 Erst im März 1987 konnte dann die inhaltliche Arbeit aufgenommen werden.54 4.2.2 Beteiligung der ACK Bevor die Arbeit von der evangelisch-katholischen Arbeitsgruppe aufgenommen wurde, schien sich das Vorhaben bereits in den verschiedenen christlichen Kirchen in Deutschland herumgesprochen zu haben. Einige Kirchen baten darum, an der Ausarbeitung beteiligt zu werden: Noch im Oktober 1986 fragte der Leiter des ökumenisch-missionarischen Instituts in Berlin, Wolfgang Lorenz, bei Martin Kruse, dem Präsidenten des Kirchenamtes der EKD, an, ob die geplante gemeinsa50 Vermerk über das Vorgespräch der evangelischen Mitglieder der Kommission „Schutz des Lebens“ im Rahmen der ersten Kommissionssitzung am 20.03.1987 vom 25.03.1987, EZA3/07/10762. 51 Brief von Bischof Dr. Paul-Werner Scheele an die kath. Mitglieder der Kommission vom 17. November 1986, AEK Zug. 862 Nr. 249. „Sie wissen aus ihrer langjährigen Erfahrung […] welch entscheidende Bedeutung ein gemeinsames Wort der evangelischen und der katholischen Kirche in diesen Fragen zukommt, nicht zuletzt auch der politischen Konsequenzen wegen, die ein solch gemeinsames Wort zum Schutz des Lebens nach sich zieht.“ 52 In einem ausführlichen Brief hatte Hilde Wintzer zunächst am 19. Oktober 1986 eine Absage an Martin Kruse, den Vorsitzendem des Rates der EKD, gesendet. Sie wusste aus den „privaten Gesprächen“, die die Kommission vorbereitet hatten, dass zunächst eine Stellungnahme zu § 218 geplant gewesen war. Den Arbeitsauftrag, eine Stellungnahme „zum Schutze des ungeborenen Lebens“ zu erarbeiten, empfand sie als einseitige Eingrenzung der Thematik. Aus ihrer Erfahrung mit den Katholiken sei daher für sie eine effektive Mitarbeit nicht möglich. Brief von Hilde Wintzer vom 19.10.1986, EZA 3/07/10761. Nach einem ausführlichen Telefongespräch mit Hartmut Löwe, dem Präsidenten des Kirchenamtes der EKD, am 26. November 1986 nahm sie schließlich die Berufung in die Kommission am 29. November an. Aktennotiz von Löwe vom 29.11.1986, EZA 3/07/10761. Auf katholischer Seite bestanden solche Hinderungsgründe nicht, so dass die Rückmeldungen wesentlich schneller eintrafen. Siehe Brief von Niemeyer an die katholischen Mitglieder der „Arbeitsgruppe Schutz des Lebens“ vom 19.01.1987, AEK Zug. 862 Nr. 249. Darin stellt er fest, dass alle zugesagt haben und er nun die Termine für die Zusammenarbeit mitteile. 53 Dr. Hans Engelhardt bekundete postwendend zwar seine Bereitschaft zur Mitarbeit, sah aber – ganz Jurist ‒ formelle Bedenken, da er nicht lutherischer Konfession, sondern eben Anglikaner sei. Vgl. Brief von Engelhardt vom 22.10.1986, EZA 3/07/10761. Das Kirchenamt der EKD sah darin jedoch keinen Grund nicht mitzuarbeiten, da mittlerweile eucharistische Gemeinschaft mit der Anglikanischen Kirche bestünde. Vgl. Antwortschreiben des Kirchenamtes vom 27.10.1986, EZA 3/07/10761. 54 Siehe Brief von Barth an die evangelischen und Katholischen Mitglieder der Kommission vom 4.03.1987, EZA 3/07/10761. Darin wurde den Mitgliedern der Kommission zudem Arbeitsmaterial zugesandt.

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me Stellungnahme, von der er aus der Presse erfahren habe, unter Mitwirkung der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) geschehen könne – und, wenn dies nicht möglich sei, ob wenigstens die Freikirchen an der gemeinsamen Stellungnahme beteiligt werden könnten.55 Ebenfalls aus der Presse hatte Laurentius Klein von der geplanten Zusammenarbeit erfahren. Er war zu dem Zeitpunkt Leiter der Ökumenischen Zentrale der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) und erbat auch eine Beteiligung der ACK.56 Kurz darauf meldete sich auch der Metropolit und Exarch von Zentraleuropa Augustinos bei Martin Kruse.57 Er habe von Laurentius Klein erfahren, dass eine Erklärung zum „Schutze des ungeborenen Lebens“ zwischen EKD und DBK erarbeitet werde, und wolle anfragen, ob nicht auf ACK-Ebene daran mitgewirkt werden könne.58 Wenn dies nicht möglich sei, würde er gerne wenigstens die Griechisch-Orthodoxe Kirche beteiligt wissen. Eine Öffnung der Kommission wurde jedoch für das Vorhaben, zügig eine gemeinsame Erklärung zu verfassen, als hinderlich angesehen, und so entschied, nach Rücksprache mit der DBK, der Rat der EKD auf seiner zwölften Ratssitzung im November 1986, dass vorerst nur EKD und DBK zusammenarbeiten sollten und erst später auch der ACK hinzugezogen werden sollte.59

4.3 Rahmenbedingungen der Gremienarbeit Sowohl in der römisch-katholischen als auch in der evangelischen Kirche entstanden zeitgleich zur gemeinsamen Kommission „Schutz des Lebens“ Stellungnahmen, die Aussagen zum „Schutze des Lebens“ und zur Fortpflanzung trafen. Dabei handelt es sich um vier Dokumente: zwei katholischer und zwei evangelischer Herkunft, wobei je eines von der Kirchenleitung und von einem Kirchengremium erstellt wurde. Zum einen gab die Deutsche Bischofskonferenz am 24. November 1986 – also unmittelbar bevor die gemeinsame Kommission „Zum Schutze des Lebens“ ihre Arbeit aufnahm – ein „Pastorales Wort zum Schutz der ungeborenen Kinder“ heraus. Zum anderen ist die Instruktion „Über die Achtung vor dem begin55 Brief von Pastor Wolfgang Lorenz an Bischof Martin Kruse vom 3.10.1986, EZA 3/07/10761. 56 Brief von Dr. Laurentius Klein an Bischof Martin Kruse vom 17.10.1986, EZA 3/07/10761. Der an Bischof Kruse adressierte Brief war ebenfalls an alle ACK-Mitglieder in Durchschrift versendet worden und sehr fordernd formuliert: „Es wäre m.E. bedauerlich, wenn nicht wenigstens der Versuch gemacht würde, eine solche Erklärung auf der Ebene des ACK abzugeben. […] Wenn Sie auch der Meinung sind, bitte ich herzlich entsprechendes zu veranlassen.“ Das Vorgehen von Laurentius Klein verärgerte Martin Kruse. Er hätte eine diskrete Vorabanfrage erwartet und hält als Randnotiz in den Akten fest: „Ohne Rückfrage – eine Frechheit! gez. Kruse“. Wohl um die Missbilligung deutlich werden zu lassen wurde Laurentius Klein erst vier Monate später geantwortet, obwohl das genannte Vorgehen vom Rat bereits am 1. November 1986 abgestimmt worden war. Vgl. Antwortschreiben von Martin Kruse vom 10.3.1987, EZA 3/07/10761. 57 Brief von Metropolit Augoustinos und Exarch von Zentraleuropa an Martin Kruse vom 18.10.1986, EZA 3/07/10761. 58 Protokoll der 12. Ratssitzung vom 1.11.1986 in Bad Salzufflen, EZA 3/07/10761. 59 Vgl. ebenda.

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nenden menschlichen Leben und der Würde der Fortpflanzung“ zu berücksichtigen, die die Kongregation für die Glaubenslehre am 22. Februar 1987 veröffentlichte und die somit hierarchisch über dem Papier der Bischofskonferenz zu verorten ist. Wie der Titel festhält, befasst sie sich mit zwei Themen: zum einen dem des beginnenden menschlichen Lebens und zum anderen dem der „Würde der Fortpflanzung“. Der Rat der EKD brachte ebenfalls im Abfassungszeitraum der gemeinsamen Erklärung eine Publikation heraus, die sich mit dem Schutz des Lebens beschäftigte. Es handelt sich dabei um die im November 1985 erschienene Handreichung „Von der Würde werdenden Lebens – Extrakorporale Befruchtung, Fremdschwangerschaft und genetische Beratung“. Diese inkorporierend und erweiternd erfolgte im November 1987 der Abschlussbericht der EKD-Synode, die in Berlin zum Thema „Achtung vor dem Leben“ getagt hatte. Obwohl also beide Kirchen eine gemeinsame Kommission eingesetzt hatten, die eine gemeinsame Stellungnahme erarbeiten sollte, wurden trotzdem von beiden Kirchen jeweils eigene Stellungnahmen im Kontext der gleichen Thematik herausgegeben, die jeweils auch eigene Akzente setzten!60 Dieser „Eigenbeschuss“ der Kirchen verschärfte den ohnehin existierenden Konflikt zwischen bestehender kirchlicher Lehrmeinung und offener Zusammenarbeit in der Kommission und stellte die Kommissionsmitglieder vor eine unbequem-abwägende Aufgabe. Auf der einen Seite durften die inhaltlichen Aussagen des aktuellen kirchlichen Sperrfeuers nicht übergangen werden, wollte man nicht den Eindruck erwecken, die konfessionellen Vertreter der jeweiligen Kirche würden gegen jede Kontinuität des eigenen Hauses arbeiten. Auf der anderen Seite war die Kommission ja gerade dazu eingesetzt worden, eine gemeinsame Stellungnahme zu erarbeiten. Wollten sich die Kommissionsmitglieder nun nicht selbst so verstehen, dass sie nur eine komprimierte Synopse bereits bestehender kirchlicher Texte erstellten, mussten sie eigene Akzente setzen. Im Vorgehen ähneln sich alle vier Publikationen in einem Punkt, der in der Detailbetrachtung gleichzeitig der Punkt ist, an dem sie weitgehend differieren: Die Begründungsfigur, warum die neuen technischen Verfahren in der Fortpflanzungsmedizin abgelehnt werden, ist die durchgängige Befürchtung, dass dadurch die Paarbeziehung von Mann und Frau Schaden nehmen und auseinanderbrechen könnte. Da vom katholischen Verständnis der Ehe als Sakrament höhere Bedeutung zukommt als vom evangelischen Verständnis her, wird sie in den katholischen Papieren argumentativ deutlich höher angesetzt als in den evangelischen. Dort wird Ehe begrifflich gleichgesetzt mit einer „liebevollen Paarbeziehung“ wodurch es auch unehelichen Paaren ermöglicht wurde, sich die Position der Stellungnahmen anzueignen.

60 Zusätzlich musste sich die DBK damit auseinandersetzten, dass ihre eigenen theologischen – etwas liberaleren! – Konsequenzen in ihrem „Pastoralen Wort ‚Für das Leben‘“ durch die zentrale römisch-katholische Lehrmeinung der Glaubenskongregation unterlaufen wurde.

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Die Kenntnis dieser zeitgleich zur Arbeit der gemeinsamen Kommission publizierten kirchlichen Schriften ist für das Verständnis von „Gott ist ein Freund des Lebens“ von großer Bedeutung, da sie sowohl notwendiges Hintergrundwissen für die in den jeweiligen Kirchen geführten Diskussionen liefert als auch die Herangehensweise der Kirchen an die Thematik offenlegt. 4.3.1 Das pastorale Wort „Für das Leben“ von der DBK 1986 Am 24. November 1986 gab die Deutsche Bischofskonferenz ein „Pastorales Wort zum Schutz der ungeborenen Kinder“ heraus. Programmatisch wird gleich zu Beginn festgehalten, dass „die von […][der Kirche (Anm. OG)] vertretenen Standpunkte“ ihre Gültigkeit behalten. „Mit den folgenden Überlegungen wollen wir [die Bischofskonferenz] jedoch besonders einen Beitrag leisten zur Klärung der persönlichen Überzeugung und zur Stärkung der Verantwortung eines jeden einzelnen.“61 Eine Stärkung von Verantwortung bedeutet in der Schrift, dass eine Abtreibung eben keine Option ist und dass die werdende Mutter zur Wahrnehmung eines bestimmten, inhaltlich bereits gefüllten Verantwortungsbegriffs geführt werden soll. Dazu werden die seit den 60er Jahren vorgebrachten Argumente gegen eine Abtreibung aufgeführt: „Wir haben es von der Zeugung an mit einem Menschen in seiner ersten Lebensgestalt zu tun; er hat eigenen Wert und Würde, die zu achten und zu schützen sind.“62 Dabei gehören der Schutz der Mutter und der des Kindes zusammen und werden in den Kontext der allgemeinen Menschenwürde gestellt. „Die Kirche hat die Aufgabe, in Staat und Gesellschaft darauf hinzuwirken, daß die Rechte gesichert werden, die für die Menschenwürde und für ein menschliches Zusammenleben unverzichtbar sind. Dabei ist die Kirche verpflichtet, sich zugunsten des schwächsten Gliedes der menschlichen Gesellschaft, des ungeborenen Kindes, einzusetzen. […] Der Einsatz für das Leben des Ungeborenen verlangt das entschiedene Eintreten für die Personwürde der werdenden Mutter.“63

Die Würde der Person und damit in diesem Verständnis auch des ungeborenen Kindes fordere, dass diese Person eben auch geboren werden muss. Die eventuelle Überlegung der Mutter, durch eine Abtreibung zu verhindern, das Kind zu bekommen, ist daher nicht vertretbar, so die Autoren. „Auch wenn die Abtreibung zunächst als Entlastung erfahren werden kann, ist die Entscheidung zu einer Abtrei61 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Für das Leben. Pastorales Wort zum Schutz der ungeborenen Kinder, Bonn, S. 5. 62 ebenda, S. 10. Gegen das Argument, der Fötus sei noch kein Mensch, wird die aktuellste Forschung ins Feld geführt: „Noch bis vor wenigen Jahrzehnten galt aus naturwissenschaftlicher Sicht, daß sich der Mensch über mehrere Reifestufen vor der Geburt zum Menschen hin entwickle und daß man erst von einer bestimmten Entwicklungsstufe an von einem Menschen sprechen könne. Diese Theorie ist in den vergangenen Jahrzehnten durch die vorgeburtliche Forschung, die Embryologie, eindeutig als falsch nachgewiesen worden.“ ebenda, S. 9. 63 ebenda, S. 15.

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bung lediglich ein Zeichen der Abhängigkeiten, in der sie steht. Sie ist gerade kein Ausdruck von Emanzipation im humanen Sinn.“64 Die katholische Kirche helfe aber, das richtige Urteil zu fällen: „Das Urteil darüber, was gut und böse ist, wird gefunden durch eine Vielfalt von Erkenntnissen und Einsichten, aus denen die sittlichen Normen gewonnen werden. Für gläubige Menschen erhalten diese als Gebote Gottes durch seine Offenbarung besondere Gültigkeit. Der einzelne wäre auf sich allein gestellt überfordert. Um ein richtiges Urteil treffen zu können, braucht er vielfältige Unterstützung, vor allem auch durch die Kirche.“65

Der Text beinhaltet eine Repetition des katholischen Eheverständnisses, welches die Ehe als richtigen Ort für Kinder festhält.66 „Zu einer liebenden Verbindung gehört die grundsätzliche Bereitschaft zum Kind sowie der Wille, für Kinder zu sorgen und sie zu erziehen.“67 Beide Eltern haben dabei gleiche Entscheidungsbefugnis über das ungeborene Kind: „Eine Frau stellt fest, daß sie unerwartet schwanger ist. Sie muß sich mit ihrem ganzen Leben auf das Kind einstellen. Aber sie ist durch dieses Ereignis nicht allein betroffen; es geht ebenso den Vater des Kindes an. Beide Eltern tragen gemeinsam die 68 volle Verantwortung für das neue Menschenleben.“

Da Verantwortung für das ungeborene Leben in dem Selbstverständnis der Schrift gleichsam bedeutet, dass Abtreibungen nicht vorgenommen werden dürfen, wird zur Verdeutlichung das Negativbild mit seinen Konsequenzen beschrieben: „Wer mit vollem Wissen und in freier Entscheidung in dieser Weise gegen ein ungeborenes Kind, gegen sich selbst und letztlich gegen Gott handelt, versündigt sich schwer.“69 Damit es nicht zu Abtreibungen kommt, wird den Ehepartnern daher eine verantwortungsbewusste und „an sittlichen Maßstäben orientierte Familienplanung“ abverlangt, die durch „sorgfältige Sexualerziehung in der Persönlichkeitsbildung von der Kindheit an über die Jugend bis ins Erwachsenenalter“ erreicht werden könne.70 Sexualität muss dabei nicht zwangsläufig zum Kinde führen oder Nachwuchs zum Ziel haben, denn 64 ebenda, S. 7. 65 ebenda, S. 13. 66 Dies wird u.A. so geäußert: „Gelegentlich bestehen außereheliche Beziehungen, in denen für ein Kind ohnehin kein Platz ist.“ ebenda, S. 6. Jedoch muss auch darauf hingewiesen werden, dass von den Autoren vermutlich sehr bewusst gelegentlich auch von der „liebenden Verbindung“ von Mann und Frau gesprochen wird, anstatt permanent den Ehebegriff zu verwenden. Dies scheint wiederum eine Reaktion darauf zu sein, dass die Ehe oft Folge einer „liebenden Verbindung“ ist, die selbst nicht selten Kinder zur Folge hat. 67 ebenda, S. 16. 68 ebenda, S. 5. 69 ebenda, S. 12. 70 ebenda, S. 16.

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„[d]ie Kirche empfiehlt die modernen Methoden der natürlichen Empfängnisregelung, von denen offensichtlich zugleich positive Auswirkungen auf die partnerschaftliche Beziehung von Mann und Frau erwartet werden dürfen.“71

Mit Blick auf die Aufgabe, gemeinsam Verantwortung zu tragen, wird auf die Liebe hingewiesen, die aus der Gottesbeziehung erwächst und die Beziehung stärkt: „Mann und Frau sind zu gemeinsamem Leben in Liebe und Verantwortung für sich und für ihre Kinder berufen. Wenn sie sich dabei ihrer Geschöpflichkeit bewußt sind, werden sie von Gott mit einer Liebe beschenkt, die ihnen Kraft für ihren Auftrag gibt und sogar über den Tod hinaus eine Zukunft eröffnet.“72 4.3.2 Die Instruktion „Über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und der Würde der Fortpflanzung“ 1987 („Donum Vitae“) Die Kongregation für die Glaubenslehre veröffentlichte am 22. Februar 1987 die Instruktion „Über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und der Würde der Fortpflanzung“.73 Als Präfekt zeichnete Joseph Kardinal Ratzinger (Rom) verantwortlich. Als Verlautbarung der Kongregation für die Glaubenslehre hat die Schrift damit eine höhere Verbindlichkeit für die Katholiken als die Verlautbarungen der nationalen (hier deutschen) Bischofskonferenzen, da die Kongregation für die Glaubenslehre für sich in Anspruch nimmt, weltweit einheitlich die römisch-katholische Lehre darzulegen. Mit den hierin enthaltenen Äußerungen musste sich die Deutsche Bischofskonferenz daher in besonderem Maße auseinandersetzen. Das katholische Selbstverständnis, seit jeher nur die alten Wahrheiten zu verwalten und keine Neuerungen einzuführen, wird in „Donum Vitae“ deutlich ausgesprochen.74 Prominent wird der Schrift vorangestellt, dass ein Eingriff in den Körper und seine Vollzüge immer ein Eingriff in die gesamte Person darstelle und

71 ebenda. 72 ebenda, S. 13. 73 Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung (Donum Vitae). Antworten auf einige aktuelle Fragen, in: Stephan Wehowsky (Hrsg.), Lebensbeginn und menschliche Würde. Stellungnahmen zur Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre vom 22.2.1987, Bd. 14, München 1987, S. 3– 42. 74 Explizit wird daher unter anderem auch an die „Pillenenzyklika“ Humanae Vitae angeknüpft, die bereits 1968 zur Geburtenregelung Stellung nahm. Die darin grundsätzlich abgelehnte Durchführung empfängnisverhütender Maßnahmen war damals in Deutschland heftig kritisiert worden und führte dazu, dass die deutschen Bischöfe sich schließlich für einen Gewissensvorbehalt vor dem Gehorsam zum päpstlichen Schreiben aussprachen. Siehe hierzu: Deutsche Bischöfe (Hrsg.), Enzyklika Papst Pauls VI. über die rechte Ordnung der Weitergabe menschlichen Lebens, Trier 1968. Darin ist auch enthalten die hierzu von den Deutschen Bischöfen veröffentlichte Stellungnahme Deutsche Bischöfe, Wort der deutschen Bischöfe zur seelsorgerlichen Lage nach dem Erscheinen der Enzyklika „Humanae vitae“. 30. August 1968, S. 63–71.

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daher nicht auf seine Funktionalität reduziert werden könne.75 Damit soll der Einwand entwertet werden, der versucht, Eingriffe in den Körper von der Personalität abzukoppeln. Es wird festgehalten, dass die schnellen Entwicklungen in der Fortpflanzungsmedizin – und damit ist die künstliche Befruchtung gemeint – einer Antwort der katholischen Kirche bedürfen; sie sieht sich als Bewahrerin der Moral und ist somit gezwungen, den größtenteils wirkungslosen Selbstregulierungsmechanismen des Wissenschaftsbetriebes eine moralische Grenze aufzuerlegen. Die Instruktion hält programmatisch fest: „Eine Wissenschaft ohne Gewissen kann zu nichts anderem führen als zum Untergang des Menschen.“76 Unordnung in der Fortpflanzung bedroht aus katholischer Sicht letztendlich das gesellschaftliche Zusammenleben: „Was die Einheit und die Festigkeit der Familie bedroht, ist Quelle von Streit, Unordnung und Ungerechtigkeiten im gesamten sozialen Leben.“77 Vor allem werden, so die Autoren, durch die medizinische Entwicklung zwei grundlegende Werte bedroht: „Die grundlegenden Werte, die mit den Techniken der künstlichen Fortpflanzung verbunden sind, sind zwei: das Leben des menschlichen Wesens, das ins Dasein gerufen wird, und die Einzigartigkeit seiner Weitergabe in der Ehe.“78

Die Instruktion fußt argumentativ vollständig auf dem katholischen Eheverständnis. Die Ehe sei, so „Donum Vitae“, der einzig legitime Ort für die Fortpflanzung. Der Mensch unterscheide sich vom Tier gerade darin, dass er vom Schöpfer dazu bestimmt sei, die Gabe der Fortpflanzung nur in der Ehe auszuüben; darin liege unter anderem die Sonderstellung des Menschen begründet.79 Die Überlieferung der Kirche sehe in der Ehe aufgrund ihrer „unauflöslichen Einheit den einzig würdigen Ort einer verantwortungsvollen Fortpflanzung“.80 Die Zeugung menschlichen Lebens stehe somit nur den Eheleuten zu und nicht den Wissenschaftlern oder gar außerehelichen Paaren.

75 „Ein Eingriff am menschlichen Leib betrifft nicht nur die Gewebe, Organe und ihre Funktionen, sondern hat auch auf verschiedenen Ebenen mit der Person selbst zu tun.“ Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion, 1987, in: Wehowsky (Hrsg.), Lebensbeginn, 1987, S. 10. 76 ebenda, S. 9. 77 ebenda, S. 27. 78 ebenda, S. 11. 79 „Gott, der Liebe und Leben ist, hat Mann und Frau die Berufung zu einer besonderen Teilhabe an seinem Geheimnis personaler Gemeinschaft wie auch an seinem Werk als Schöpfer und Vater eingeprägt. Deshalb besitzt die Ehe spezifische Güter und Werte in Bezug auf die Vereinigung und die Fortpflanzung, die nicht mit denen vergleichbar sind, welche bei niedrigeren Formen des Lebens bestehen.“ ebenda. 80 Vgl. ebenda, S. 25.

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„[…] das Geschenk des menschlichen Lebens muß innerhalb der Ehe mittels der spezifischen und ausschließlichen Akte der Eheleute verwirklicht werden gemäß den Gesetzen, die ihnen als Personen und ihrer Vereinigung eingeprägt sind.“81

Konkret wird dann auf die Fragen der In-vitro-Fertilisation, der heterologen und der homologen künstlichen Insemination sowie auf die Ersatzmutterschaft eingegangen. Da die Ehe der einzige Ort von menschlicher Zeugung sein dürfe, stelle die InVitro-Fertilisation ein gravierendes Problem dar: „Die Fortschritte der Technik haben heute eine Zeugung ohne sexuelle Beziehung ermöglicht, und zwar mittels des Zusammenführens der Keimzellen in vitro, die zuvor von Mann und Frau gewonnen wurden. Aber das, was technisch möglich ist, ist nicht auch deshalb schon moralisch annehmbar.“82 Und weiter: „Diese Verfahren [Invitro-Befruchtung (Anm.OG)] widersprechen der dem Embryo eigenen Würde als eines menschlichen Wesens und verletzen gleichzeitig das Recht jeder Person, innerhalb der Ehe und durch die Ehe empfangen und geboren zu werden. Auch die Versuche […], die darauf abzielen, ein menschliches Wesen ohne jede Verbindung mit der Sexualität mittels ‚Zwillingsspaltung‘, Klonierens oder Parthenogenese zu gewinnen, stehen im Gegensatz zur Moral, weil sie sowohl der Würde der menschlichen Fortpflanzung als auch derjenigen der ehelichen Vereinigung widersprechen.“83

Das postulierte Recht des Kindes wird dann noch einmal deutlich formuliert: „Das Kind hat ein Recht darauf, innerhalb der Ehe empfangen, ausgetragen, auf die Welt gebracht und erzogen zu werden: Gerade durch die sichere und anerkannte Beziehung zu den eigenen Eltern kann es seine eigene Identität entdecken und menschlich heranreifen.“84 Der Sexualakt der Eheleute wird auch schöpfungstheologisch beschrieben: „Die Zeugung eines Kindes muß deshalb die Frucht gegenseitiger Schenkung sein, die sich im ehelichen Akt verwirklicht, in dem die Eheleute – als Diener und nicht als Herren – am Werk der Schöpfer-Liebe teilnehmen.“85 Da der eheliche Sexualakt immer auf die Zeugung von Kindern ausgelegt sei, sei es „niemals erlaubt“, durch die künstliche homologe Insemination den Akt von der Zeugung zu trennen.86 Eine „außerhalb des Leibes der Eheleute erlangte Befruchtung“ breche die sich gegenseitig zugesicherte Ausschließlichkeit der Fortpflanzung in der Ehe auf, da nun etwas Künstliches hinzukomme, vom beteiligten medizinischen

81 ebenda, S. 13. Die in der Publikation der Deutschen Bischofskonferenz verwendete Semantik der „liebenden Verbindung“ von Paaren fehlt auffälligerweise. Da die Veröffentlichungen der Glaubenskongregation keine abweichende Auslegung zu bestehenden kirchlichen Lehre vornehmen können, ist der alleinige Bezug auf die Ehe als Ort von Kindern nur konsequent. 82 ebenda, S. 12. 83 ebenda, S. 21f. 84 Gleichwohl wird auch festgehalten, dass „jedes menschliche Wesen als Geschenk Gottes“ wahrgenommen werden muss, jedoch bleibe der eigentliche Ort des Kindes der der Ehe. ebenda, S. 25. 85 ebenda, S. 30. 86 ebenda, S. 29.

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Personal ganz zu schweigen.87 Somit sei eine heterologe künstliche Insemination ebenfalls grundsätzlich abzulehnen. Abseits der Zeugungsbemühungen gelte das Argument ebenfalls: Eine hormonelle Kontrazeption trenne den Sexualakt von der „Öffnung zur Fortpflanzung“ und sei daher, als gewollte Trennung der Ziele der Ehe, moralisch nicht gestattet.88 Außerhalb der Ehe ein Kind zu bekommen, ist demnach genauso illegitim: „Zudem kann die künstliche Befruchtung einer unverheirateten Frau, sei sie nun ledig oder verwitwet, moralisch nicht gerechtfertigt werden, wer auch immer der Spender ist.“89 Eine Ersatzmutterschaft wird demzufolge als Eingriff in die Ehe gesehen und konsequenterweise ebenfalls als „Beleidigung der Würde des Kindes“ abgelehnt.90 Abseits der Diskussion über die moralische Legitimität der Fortpflanzungsmedizin geht die Instruktion kurz auch auf die Pränataldiagnostik ein. Therapeutische Eingriffe am menschlichen Embryo seien erlaubt, sofern sie das Leben und die Integrität des Embryos achten. Dies ist als Konsequenz der christlichen Medizinethik zu sehen. Der Forschung jedoch darf ein Eingriff am Embryo nicht dienen.91 Wie allerdings die Erkenntnisse erlangt werden sollen, die einen therapeutischen Eingriff ermöglichen, wird dabei unbeachtet gelassen. Abtreibung, so ist der Instruktion zu entnehmen, sei nach wie vor eine Tötung von menschlichem Leben und illegitim.92 Die Autoren der Instruktion führen hierzu das Potenzialitätsargument an: Der Embryo sei bereits menschliches Leben und müsse daher mit den vollen Rechten einer menschlichen Person wahrgenommen werden. Zusätzlich zu der ausführlichen theologischen Argumentation führen die Autoren noch biologische Begründungen an: „Es würde niemals menschlich werden, wenn es das nicht schon von diesem Augenblick an [Verschmelzung von Ei und Samenzelle (Anm. OG)] gewesen wäre. Die neuere Genetik bestätigt diesen Sachverhalt, der immer eindeutig war. […] Diese Lehre bleibt gültig und wird außerdem, wenn dies noch notwendig wäre, von neueren Forschungsergebnissen der Humanbiologie bestätigt, die anerkennt, daß in der aus der Befruchtung hervorgehenden Zygote sich die biologische Identität eines neuen menschlichen Individuums bereits konstituiert hat.“93

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ebenda, S. 30. ebenda, S. 29f. ebenda, S. 27. ebenda, S. 27f. ebenda, S. 17f. „Abtreibung und Tötung des Kindes sind verabscheuungswürdige Verbrechen.“ ebenda, S. 14. ebenda, S. 15. Hier findet bereits einer Ergänzung der theologischen Argumentation mit biologischer Beweisführung statt.

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4.3.3 Von der Würde werdenden Lebens: Handreichung des Rates der EKD 1985 Ab 1984/85 begann in der EKD eine systematische und abgestimmte Auseinandersetzung mit den neuen ethischen Problemstellungen, die sich in den Themen Fortpflanzungsmedizin und Gentechnik ergeben hatten. Der Rat der EKD beauftragte im Juni 1984 eine kleine Arbeitsgruppe, sich den auf dem Gebiet der Bioethik aufgeworfenen Fragen zuzuwenden und den „Gliedkirchen, den Werken und orientierungsuchenden Kirchenmitgliedern eine Handreichung zur ethischen Urteilsbildung [zu] geben“.94 Aus der Arbeit dieser Gruppe entstand die im November 1985 vom Rat der EKD veröffentlichte Handreichung „Von der Würde werdenden Lebens – Extrakorporale Befruchtung, Fremdschwangerschaft und genetische Beratung.“95 Die knapp acht Seiten umfassende Schrift benennt zuerst einige „Grundsätze“, anhand derer nachfolgend die Bereiche „Extrakorporale Befruchtung“, „Heterologe Insemination und Eispende“, „Ersatzmutterschaft“ und „Genetische Beratung und pränatale Diagnostik“ behandelt werden. Unter den „Grundsätzen“ wird ein Kriterium eingeführt, welches in der Schrift auf alle genannten Bereiche angewendet wird. Zur ethischen Beurteilung der technischen Neuerungen prüfen die Autoren, inwiefern sich die Neuerungen auf die „liebevolle Paarbeziehung“ auswirken, und entwickeln somit ein Bewertungskriterium.96 Ausgehend von der Liebe Gottes, die dem Menschen entgegenkommt, ist auch der Mensch in der Lage, zu lieben. Dies spiegele sich – so die klassische Begründungsfigur eines christlichen Eheverständnisses – in der Paarbeziehung zwi94 Hermann Barth, Fortpflanzungsmedizin und Gentechnik als Gegenstand ethischer Urteilsbildung, in: KJ 1986, Gütersloh 1989, S. 315–361, hier S. 320. Barth berichtet auch, dass es zwar Auseinandersetzungen mit den Problemen in diesen Themenbereichen schon früher gegeben hatte, diese jedoch zusammenhanglos und ohne breite Verknüpfung stattgefunden hätten. Vgl. ebd. 95 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Würde, 1985. Diese Handreichung wurde in einer vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland berufenen Arbeitsgruppe vorbereitet. Der Arbeitsgruppe gehörten an: Martin Honecker (Professor für Systematische Theologie, Bonn), Jürgen Hübner (apl. Professor an der FEST Heidelberg für Theologie und Biologie, Heidelberg), Traugott Koch (Professor für Systematische Theologie und Ethik, Hamburg) Gert Preiser (Professor für Medizingeschichte, Frankfurt a.M.), Gerhard Röckle (Direktor des Diakonischen Werkes der EKD, Stuttgart), Rüdiger Schloz (Kirchenkanzlei der EKD, Hannover), Professor Dr. Traute Schroeder-Kurth (Professorin für Humangenetik, Heidelberg), Hansjürgen Staudinger (Professor für Klinische Chemie, Gießen). Die Erstveröffentlichung erfolgte im November 1985 als Heft 11 der Reihe EKD-Texte. Hermann Barth beschreibt den Stellenwert der Handreichung „Der Text trägt den Untertitel: ‚Eine Handreichung […] zur ethischen Urteilsbildung‘. Damit ist der Anspruch präzise beschrieben, den die Kirche in wichtigen ethischen Fragen unseres Gemeinwesens gegenüber Öffentlichkeit und politischen Institutionen, aber auch ihren eigenen Gliedern erheben kann: Sie ist nicht im Besitz höherer Einsicht und kann keine Vorschriften machen; ihre Stellungnahme ist vielmehr eine Hilfe zur je eigenen Urteilsbildung. Der Beitrag der Kirche im Zeitgespräch öffentlicher Verantwortung unterliegt den allgemeinen Verständigungsregeln, zielt auf Überzeugung und nicht Überredung, auf Schärfung der Gewissen und nicht Bevormundung, auf Einsicht und nicht blinde Gefolgschaft.“ Barth, Fortpflanzungsmedizin und Gentechnik, 1989, in: KJ 1986, Gütersloh 1989, S. 329. 96 Vgl. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Würde, 1985, S. 1.

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schen Mann und Frau wider. Beide könnten sich ebenfalls in Liebe annehmen. Die EKD-Schrift bleibt nun bei der Ehe als Ort für die Fortpflanzung nicht stehen, sondern entwickelt dieses Argument weiter und verweist generell auf den Zusammenhang von Liebe und Partnerschaft. Zwar wird auch auf die Ehe verwiesen, sie stellt aber nicht die alleinige empfohlene Lebensform für Paare dar: So liest man, dass nach christlichem Verständnis „Zeugung und Geburt […] in den Zusammenhang von Liebe und Ehe [gehören]. Dies gilt, obwohl es auch in der Ehe Zeugung ohne Liebe und Schwangerschaften außerhalb der Ehe gibt.“97

Die Paarbeziehung von Mann und Frau sei genuiner Ort für Kinder. Die Paarbeziehung werde jedoch in ihrer Beständigkeit bedroht, wenn die natürlichen Abläufe der Fortpflanzung aufgelöst werden. Dies geschehe z.B. durch den Einsatz der neuen Techniken in der Fortpflanzungsmedizin: „Der Zusammenhang von Liebe, Zeugung und Geburt wird aufgelöst, wenn der Akt der Zeugung durch medizinische Eingriffe ersetzt wird.“98 Der Zeugungsvorgang dürfe, so die Argumentationslinie der Schrift, nicht außerhalb der Paarbeziehung erfolgen. Jedes Verfahren, in dem eine dritte Person wie auch immer Teil des Zeugungs- oder Geburtsvorganges werde, breche die Ausschließlichkeit der Paarbeziehung auf: Bei heterologer Insemination oder Eispende ist dies der Fall. Jedes Verfahren, welches die Zeugung außerhalb der Paarbeziehung mittels technischer Methoden ermögliche – so die Extrakorporale Befruchtung – breche ebenfalls den Zusammenhang von LiebeZeugung-Geburt auf. Es ist deutlich, dass, dieser Argumentation folgend, im Falle der Ersatzmutterschaft gleich beide Faktoren zusammenkommen: Ein künstliches Verfahren führt zur Schwangerschaft einer dritten Person und bricht somit gänzlich den geforderten Zusammenhang auf. Hervorzuheben ist die abwägende und den Einzelfall stets beachtende Grundstimmung des Papieres. In Formulierungen wie etwa „Gewichtige Gründe lassen zu Zurückhaltung raten“ oder „allen belasteten Personen sei […] zu empfehlen“, ist die evangelische Grundstruktur der Handreichung erkennbar: Die Entscheidung für oder gegen die Nutzung der technischen Verfahren obliegt den Individuen; die Handreichung versucht ihnen dabei eine verantwortete Entscheidung zu ermöglichen.99 97 ebenda. 98 ebenda. 99 Vgl. ebenda, S. 3,7 und 8. Teilweise kommt es in den kurzen Papier zu argumentativer und begrifflicher Unschärfe: Unter anderem wird die extrakorporale Befruchtung mit einem Argument abgelehnt, welches streng genommen und auf andere medizinische Vorgänge angewendet große Auswirkungen hätte: „Bei Zeugung und Geburt eines Kindes beeinflussen sich leibliche und seelische Vorgänge wechselseitig. In einem erheblichen Teil der Fälle ist Sterilität des Mannes oder der Frau auch psychisch bedingt. Die psychischen Ursachen würden durch eine extrakorporale Befruchtung nicht behoben, sondern nur technisch überspielt.“ Dass jede Form symptomatischer Behandlung die Ursachen „überspielt“ und eben nur die Folgen behandelt, wird nicht weiter angesprochen.

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4.3.4 Achtung vor dem Leben: Abschlussbericht der EKD-Synode 1987 Bereits 1985 hatte die EKD-Synode festgelegt, dass der inhaltliche Schwerpunkt der Synode des Jahres 1987 auf die Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin gelegt werden sollte.100 Um, so Hermann Barth, eine „seriöse Behandlung der komplexen Fragen in einem Gremium überwiegend aus Nicht-Fachleuten sicherzustellen“, befasste sich der Synodenvorbereitungsausschuss intensiv mit der Materie und sorgte dafür, dass im Voraus entsprechendes und abgestimmtes Informationsmaterial an die Synodalen versendet wurde.101 Maßgeblich war dies die „Orientierung über den Sachstand in Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin“, die durch Traute Schröder-Kurth und Hermann Barth selbst erstellt worden war. Auf der Synode, die vom 1. bis 6. November 1987 in Berlin stattfand, wurde zur Sachinformation ein naturwissenschaftlich-medizinischer Hauptvortrag von Traute Schröder-Kurth gehalten, der vornehmlich die Humangenetik behandelte. Zwei Bibelarbeiten bezogen sich dann auf theologische Grundlagen der Problematik.102 Nach Abschluss der Synode veröffentlichten die Synodalen einen Abschlussbericht, den der Vorbereitungsausschuss zuvor in seinen wesentlichen Zügen vorbereitet hatte.103 Die Synode sah sich in der Pflicht, die augenscheinlich zu schnellen Entwicklungen in Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin aus einer protestantischen Sicht zu kommentieren und zudem ethische Grenzen ihrer Anwendbarkeit zu definieren.

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ebenda, S. 3. Den Begriff „Pränataldiagnostik“ nahmen die Autoren ganz im Kontext technischer Neuerungen auf und verwahrten sich gegen eine pränatale Diagnostik, die „allein der Geschlechtsbestimmung diene.“ Eine sonographische Geschlechtsbestimmung war zudem in den 80er Jahren bereits unstrittige Praxis. Dass Pränataldiagnostik allgemein die diagnostischen Verfahren vor einer Geburt umfasst – also generelle Gesundheitsfürsorge der Schwangeren beinhaltet – ging dabei unter. Vgl. ebenda, S. 7. Hermann Barth erinnert sich daran, wie diese Themenfindung zustande kam: „Für den Wahrnehmungshorizont der naturwissenschaftlich – medizinischen Laien fließen die Bereiche erfahrungsgemäß immer wieder ineinander; als die Trierer Tagung der Synode der EKD im November 1985 für die Synodaltagung des Jahres 1987 das Schwerpunktthema: „Gentechnologie ‒ Ethische Maßstäbe für Handeln im humangenetischen Bereich“ beschloß, verband eine große Zahl von Synodalen wie selbstverständlich mit dem Stichwort ‚Gentechnologie‘ auch die Fragen der Fortpflanzungsmedizin.“ Barth, Fortpflanzungsmedizin und Gentechnik, 1989, in: KJ 1986, 1989, S. 318. Als Überschrift dieser Thematik wurde programmatisch ein Schöpfungsbezug hergestellt, indem aus dem ersten Artikel Luthers Auslegung des christlichen Glaubens ein Auszug als Überschrift gewählt wurde: „Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen“. ebenda, S. 330f. Die „Orientierung über den Sachstand“ enthielt einführende Informationen zur Gentechnik, ging auf die Genomanalyse ein, erklärte die humangenetische Beratung und die damit verbundenen Diagnosemöglichkeiten, zeigte Möglichkeiten und Gefahren der Gentherapie auf und gab einen Sachstand über die Fortpflanzungsmedizin. Dieser und die anderen Texte sind veröffentlicht in Traute Schroeder-Kurth (Hrsg.), Das Leben achten. Maßstäbe für Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin, Gütersloh 1988. Siehe auch hierzu den verwandten Bericht von Barth: Barth, Fortpflanzungsmedizin und Gentechnik, 1989, in: KJ 1986, 1989. Lediglich Einzelheiten wurden noch nach der Plenaraussprache eingearbeitet. Vgl. ebenda, S. 331.

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„Diese Entwicklungen [in Fortpflanzungsmedizin und Gentechnik (OG)] wecken Hoffnungen und Ängste. Viele sehen weitreichende Möglichkeiten zur Erfüllung eines Kindeswunsches, bei der Behandlung von Krankheiten, zur Verbesserung der Nahrungsmittelerzeugung oder im Umweltschutz. Andere werten solche Erwartungen als einen Fortschrittsglauben, den sie nicht länger teilen können; sie ziehen in Zweifel, daß die Gefahrenpotentiale bereits ausreichend erkannt sind, und fordern, daß auch durch den Gesetzgeber der Forschung und ihrer technischen Anwendung klare Grenzen gezogen werden.“104

Die Kundgebung „Zur Achtung vor dem Leben“ ist von dem Selbstverständnis geprägt, dass die Synode die geforderte Orientierung für die individuellen Entscheidungen im Kontext der Fortpflanzungsmedizin geben kann, denn „angesichts solcher Hoffnungen, Ängste und Unsicherheiten fragen Christen nach einer Orientierung aus ihrem Glauben an Gott, der das Leben liebt und von uns die Achtung vor dem Leben fordert.“105 Wie auch in der Handreichung des Rates der EKD „Von der Würde werdenden Lebens“, werden abwägende, beratende Empfehlungen formuliert, die den Individuen die Freiheit lassen, letztlich selbst zu entscheiden, jedoch über die Gefahren und ethischen Konflikte der Neuerungen in Fortpflanzung und Gentechnik aufklären. Auch inhaltlich-argumentativ schließt der Abschlussbericht sich der erwähnten Handreichung an, so z.B. in der Behandlung der extrakorporalen Befruchtung: „Gewichtige Gründe sprechen gegen die extrakorporale Befruchtung. Aber die Not der ungewollten Kinderlosigkeit darf nicht gering geschätzt werden. Der Wunsch nach einem Kind rechtfertigt jedoch noch nicht jede medizinische Maßnahme. Darum rät die Synode vom Verfahren der extrakorporalen Befruchtung ab.“106

Ebenfalls parallel zur EKD-Handreichung ist die Begründung gehalten, warum Fortpflanzung in der Paarbeziehung stattfinden und „natürlich“, d.h. nicht technisch unterstützt, ablaufen sollte. Hierfür wird erneut das Kriterium der intakten Paarbeziehung herangezogen: „Nach christlicher Überzeugung ist eine liebevolle Familie der beste Rahmen für das Heranwachsen von Kindern. Die Manipulation von Zeugung, Empfängnis und Schwangerschaft gefährdet Bindung und Bestand von Ehe und Familie.“107 Ehe wird somit zwar als erstrebenswerte Lebensform dar104 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Achtung, 1987, S. 2. 105 ebenda. 106 ebenda, S. 5. In Hermann Barths später erschienenem Kommentar zur Kundgebung weist er auf den Modus des Ratens hin: „In der Stellungnahme zur extrakorporalen Befruchtung heißt es nun unzweideutig: ‚Die Synode rät vom Verfahren der extrakorporalen Befruchtung ab‘. Der Modus des Ratens und Abratens ist der Gesprächssituation mit ungewollt kinderlosen Ehepaaren in besonderer Weise angemessen.“ Barth, Fortpflanzungsmedizin und Gentechnik, 1989, in: KJ 1986, Gütersloh 1989, S. 336. 107 Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Achtung, 1987, S. 5f. Auf der Synode selbst waren dabei auch andere Stimmen gehört worden, die sich nicht derartig gegen die modernen Reproduktionstechniken äußerten. So z.B.: „Extrakorporale Befruchtung (I.V.F.) kann als therapeu-

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gestellt, jedoch kann Familie auch ohne Ehe existieren. Hinsichtlich der Frage der Abtreibung wird ebenfalls keine eindeutig verbietende Position eingenommen, jedoch wird mahnend auf den Erhalt des Lebens hingewiesen. Die im Strafrecht ermöglichte straffreie Abtreibung stelle eben nur die nichteindeutige Antwort auf den Konflikt dar.108 Die vorangegangene EKD-Handreichung behandelte nicht den Umgang mit schwer geschädigten Embryonen im Mutterleib, weshalb die Kundgebung der Synode dieses nun aufnimmt. Auch hier wird keine Eindeutigkeit in der Entscheidung suggeriert, sondern nur der Konflikt deutlich gemacht, der nach erfolgter Beratung der Schwangeren selbst in eine Entscheidung überführt werden muss: „Wenn feststeht, daß ein Kind mit einer Krankheit oder Fehlbildung erwartet wird, muß die Beratung verdeutlichen, daß es sich bei den beiden Alternativen, ein krankes Kind anzunehmen und auszutragen oder die Schwangerschaft abzubrechen, um einen kaum lösbaren Konflikt handelt.“109

Angesichts der unvollständigen Kenntnisse über die gentechnologischen Möglichkeiten und Forschungsansätze werden Eingriffe in die Keimbahn auch für die Zukunft eindeutig abgelehnt, da es für die Synodalen unvorstellbar war, dass es in diesem Bereich jemals zu einer beherrschbaren und für den Menschen förderliche Technik kommen könnte.110 tische Maßnahme zur Erfüllung des Kinderwunsches (in Alternative zur Adoption) nicht prinzipiell ethisch verworfen werden, zumal dann nicht, wenn innerhalb der Partnerschaft oder Ehe sexuelle Beziehungen möglich bleiben. Das ‚Widernatürliche‘ betrifft nur ein Glied in der Kette (in Analogie zur künstlichen Ernährung) und widerstreitet nicht der Menschenwürde und der Unverfügbarkeit der menschlichen Persönlichkeit.“ Dietrich Ritschl, Menschenwürde als Fluchtpunkt ethischer Entscheidungen in der Reproduktionsmedizin und der Gentechnologie, in: Traute SchroederKurth (Hrsg.), Das Leben achten. Maßstäbe für Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin, Gütersloh 1988, S. 96–117, hier S. 114f. 108 „Ein Embryo ist ein menschliches Wesen mit eigener Identität und eigenem Wert. Eine Abtreibung – in welchem Stadium auch immer – ist Tötung menschlichen Lebens.“ Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Achtung, 1987, S. 7. Die gesetzliche Abtreibungsregelung wird daher als Regelung einer ausweglosen Situation beschrieben, die keineswegs eine Empfehlung darstellen soll: „Angesichts der gegenwärtigen Bemühungen um einen gesetzlichen Em– bryonenschutz muß das Bewußtsein in Kirche und Öffentlichkeit weiter verstärkt werden, daß es sich in den straffrei gestellten Fällen des Schwangerschaftsabbruchs nicht um eine prinzipielle Einschränkung des Schutzes für das ungeborene Leben und somit nicht um ein Recht zur Abtreibung handelt, sondern um das notwendig unvollkommene Bemühen, nicht auflösbare Konfliktsituationen zu regeln.“ ebenda. 109 ebenda, S. 6. 110 Obwohl keine Forschungsprojekte bekannt sind, die damals oder heute Genmanipulation am Menschen vorsehen, wird dieses Paradigma als negativ angebracht: „Klonen sowie Chimären- und Hybridbildung verletzen in tiefgehender Weise sowohl die vorgegebene Gestalt des Lebens als auch seine Unverfügbarkeit und Individualität.“ ebenda, S. 7. Und weiter: „Gen-Transfer und andere Eingriffe in menschliche Keimbahnzellen, die in Zukunft technisch möglich werden könnten, sind aus ethischen Gründen nicht vertretbar. Angesichts der gegenwärtigen Einsicht in Risiken, Voraussetzungen und Folgen solcher Eingriffe muß es als äußerst fraglich gelten, ob zu irgendeinem Zeitpunkt eine auch nur begrenzte Revision dieses Urteils möglich sein wird.“ ebenda, S. 6.

Systematische Grundentscheidungen der gemeinsamen Erklärung

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4.4 Systematische Grundentscheidungen der gemeinsamen Erklärung Die evangelisch-katholische Kommission dokumentiert in ihrer gemeinsamen Erklärung im Vergleich zu früheren Erklärungen einige bis dahin singuläre Vorgänge der ökumenischen Zusammenarbeit. Sowohl 1.) die Art ihres systematischen Vorgehens in der Erklärung als auch 2.) die darin gefundenen kompromissfähigen Formulierungen zeugen von einem strategischen und politisch-bewussten Handeln. Die vorher noch nicht dagewesene konsequente Besinnung auf den Lebensbegriff diente dabei als Integrationsinstrument für die materialethisch teilweise recht unterschiedlichen Bereiche. Inhaltlich liegen die Besonderheiten dagegen auf den geschlossenen Kompromissen bzw. sehr offenen Formulierungen zu den traditionellen Streitpunkten. Beide Kirchen, besonders aber die katholische, haben dabei Kompromissen zugestimmt, die heute wohl kaum noch möglich wären und auch zum damaligen Zeitpunkt außergewöhnlich liberal anmuteten. Im Folgenden werden zum besseren Verständnis diese inhaltlichen Schwerpunkte dargestellt, bevor in einem nächsten Teil aufgezeigt wird, wie es im Einzelnen dazu kommen konnte. Dabei werden in der Darstellung der Besonderheiten der gemeinsamen Erklärung, um den Kontrast zu anderen zeitgenössischen kirchlichen Stellungnahmen aufzuzeigen, auch die Dokumente herangezogen, die im etwa gleichen Zeitraum in beiden Kirchen entstanden sind. 4.4.1 Inhaltsübersicht „Gott ist ein Freund des Lebens“ Aus den immer größer werdenden Möglichkeiten des Menschen, seine Umwelt zu beeinflussen – so führt die gemeinsame Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ in die Publikation ein – resultiere zum einen eine Erleichterung menschlichen Lebens aber zum anderen auch eine immer größer werdende Bedrohung für die Lebensgrundlage und die Würde des Menschen. Dieses werde in der Öffentlichkeit immer mehr wahrgenommen und daher seien auch die Kirchen herausgefordert, einen gemeinsamen Beitrag zum Umgang mit diesem Widerspruch zu leisten. Die gemeinsame Publikation „Gott ist ein Freund des Lebens“ spreche daher Aufgaben und Herausforderungen zum Schutz sowohl des Lebensraums Erde als auch des menschlichen Lebens an und klammere „auch politisch umstrittene Fragen“ nicht aus.111 Nur in gemeinsamer Anstrengung aller ‒ so sei man überzeugt ‒ sei der Schutz des Lebens zu gewährleisten. Daher sei die Schrift an Menschen aus unterschiedlichsten Lebensbereichen, mit unterschiedlichen politischen und weltanschaulichen Überzeugungen gerichtet.112 Christen und Nichtchristen müssten sich gemeinsam für den Schutz allen Lebens einsetzen. Aus einer christlichen Perspektive sei Gott „Geber und Herr“ des Lebens und die gemeinsame Erklärung wolle 111 Rat der EKD und die DBK, Gott ist ein Freund des Lebens, 1989, S. 11. 112 ebenda.

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dazu anleiten, „Gott als den ‚Freund des Lebens‘ zu erkennen, der die Menschen dazu beruft und befähigt, selbst Freunde des Lebens zu sein.“113 Die 112 Seiten umfassende Schrift ist in sieben Teile gegliedert. Ausgangspunkt und Zielsetzung der Erklärung Der erste Teil beschreibt unter zentraler Bezugnahme auf den Lebensbegriff Ausgangspunkt und Zielsetzung der Erklärung: „Die Gabe des Lebens ist in der Gegenwart massiven Bedrohungen ausgesetzt, und darum bedarf es verstärkter Anstrengung, lebenzerstörenden Tendenzen zu wehren, […] und zum Leben zu ermutigen.“114 Die „Gabe des Lebens“ selbst sei im Universum eine singuläre Erscheinung, im genetischen Code wiederum zeige sich, dass bei einem ähnlichen genetischen Bauplan eine Fülle von Arten entstanden sei, unter denen wiederum nur der Mensch seinen Lebensraum kultiviert habe. Da der Mensch allein fähig ist, seinen Lebensraum zu gestalten, komme ihm auch die Verantwortung zu, dieses verantwortungsvoll und in Rücksicht auf die anderen Lebensformen zu tun. Das Leben auf der Erde sei jedoch durch verschiedene Gefährdungen infrage gestellt: Sowohl die natürlichen Grundlagen des Lebens, wie Wasser und Luft oder Boden werden sowohl bspw. durch Vergiftung zerstört als auch durch nicht nachhaltigen Energieverbrauch aufgezehrt. Durch Kulturleistungen des Menschen hätten sich zudem artifizielle Bedrohungen entwickelt: Die Entwicklung der Gentechnik berge ungeahnte Risiken, wie auch das Vernichtungspozential der selbst geschaffenen Atomwaffen ungeahnte Kraft besitze. Generell habe sich durch die Weiterentwicklung des Menschen eine Missachtung des Lebens entwickelt, was sich auf dem Gebiet der Tierhaltung genauso ausdrücke wie in der sich häufenden Gewalt gegen Frauen oder Kinder. Besonders im Umgang mit menschlichem Leben seien große Gefährdungen zu verzeichnen, was sich vor allem in den steigenden Abtreibungszahlen ausdrücke. Die hinter diesen Beispielen verborgenen „lebensverneinenden Handlungsweisen“ erfordern, dass eine neue Einstellung dem Leben gegenüber entwickelt werden müsse. Diese neue Einstellung müsse den Schutz des Lebens zum Ziel haben ‒ und zwar allen Lebens. Ziel der Erklärung sei es darzulegen, dass nicht ein Bereich des Lebens geschützt werden kann, ohne den anderen im Blick zu behalten. Dabei wird implizit ein Bezug zur Friedensbewegung hergestellt: „Wer den Skandal mit den hohen Abtreibungszahlen bekämpft, kann sich auch mit der Hoch- und Überrüstung nicht abfinden.“115

113 ebenda. 114 ebenda. 115 ebenda, S. 20.

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Biblische Grundlage In einem zweiten Teil werden die Wahrnehmung des Lebens und die Einstellung zum Leben auf eine biblische Grundlage gestellt.116 Zwar weiche die Umwelt des Alten und Neuen Testamentes deutlich von der Umwelt ab, die heute erlebt werde und die heutigen Gefährdungen des Lebens waren damals wiederum völlig unbekannt und undenkbar, jedoch werden in den biblischen Texten Aussagen über Lebenszusammenhänge gemacht, die unabhängig von ihrer Umwelt gültig seien. Um dieses darzustellen und zu belegen, werden 57 verschiedene Bibelstellen herangezogen, die die zentralen christlichen Inhalte deutlich machen:117 Gott wird aus christlicher Perspektive als Schöpfer des Lebens gesehen, der selbst will, dass seine Geschöpfe leben. Durch johanneische Bibelzitate wird dieses Leben ‒ über das biologische hinaus ‒ als ein besseres Leben qualifiziert, welches erst durch die Gotteserkenntnis möglich wird. Das menschliche Leben, so wird ausgeführt, sei durch die Sünde in seiner Qualität angefragt und zerstöre sich dadurch teilweise selbst. Trotz dieser weltimmanenten Tendenzen zeige die Bibel immer wieder neue Hoffnung für das Leben auf und gebe Anlass zu neuem Vertrauen. Auch wenn Rückschläge im Leben der Menschen untereinander immer wieder vorkommen, sei zur Bewertung des Lebens nicht nur das irdische Leben zu sehen, die christliche Hoffnung auf das qualitativ höhere ewige Leben sei miteinzubeziehen und gleiche die aktualen Erfahrungen aus.118 Lebensraum Erde Dem Lebensraum Erde in einer großen Perspektive widmet sich ein dritter Teil und zeigt die Ambivalenzen auf, mit denen Leben auf der Erde konfrontiert ist: Obwohl durch immer größer werdenden Wissenszuwachs das Ökosystem immer verständlicher und erklärbarer wird, setze keine Entzauberung der Umwelt ein, da das Staunen über die in der Umwelt ablaufenden Prozesse nur größer werde.119 Dabei gelte, dass „Werden und Vergehen Grundelemente der Lebensprozesse“ sind, das Sterben jedoch den Charakter eines bedrohlichen Übels bekommen habe.120 Dem Menschen werde im Lebensraum Erde eine Sonderrolle zuteil. Aus einem christlichen Glaubensverständnis komme der Schöpfungswelt dabei nicht ein unveränderbarer Status zu, sondern sie sei darauf angelegt, vom Menschen bebaut und bewahrt zu werden. Ein kultivierendes Gestalten des Lebensraumes sei dabei innerhalb bestimmter Grenzen legitim und gefordert. Die Grenzen seien biblisch nicht exakt definiert, was eine Herausforderung an die Selbstbeschränkung der Menschen dar116 ebenda, S. 12. 117 Die Herangehensweise in der Auswahl der Bibelstellen orientiert sich dabei offenbar teilweise an der „dicta probantia“ Methode; wieso diese Stellen zu den zitierten Aussagen herangezogen werden, welchen Kontext die Stellen haben bleibt daher oft unberücksichtigt. 118 Vgl. ebenda, S. 24ff. 119 Vgl. ebenda, S. 28. 120 Vgl. ebenda, S. 30.

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stelle, jedoch seien die Grenzen dort zu finden, wo anderes Leben übergebührlich bedroht oder der Lebensraum für zukünftige Generationen nachhaltig beschädigt werde. Atomtechnik und Gentechnik stellen, so die Erklärung, zwei konkrete Gefährdungen für das Leben dar, können aber gleichsam ungeahnte Vorteile dem Menschen und dem Lebensraum Erde gegenüber bergen, weshalb sie eine genaue Untersuchung verdienen. In der Einschätzung der Atomtechnik bestehe unter den Kirchen ein breiter Konsens: Die zivile Atomtechnik könne zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur als Übergangslösung gesehen werden, da die Gefahren bei Reaktorunfällen hoch und die Abfallfrage ungeklärt seien. In der in der Zukunft möglichen kontrollierten Nutzung von Kernfusionsreaktoren sehe man jedoch eine große Chance, da dort kaum ein Risiko vorherrsche und kaum Abfall anfalle. Der momentane Energieverbrauch der Menschheit müsse durch politisch gesteuerte Reduzierung verringert werden.121 In der Gentechnik zeichne sich hingegen der Konsens erst ab: „Eingriffe in menschliche Keimzellen, die in Zukunft technisch möglich werden könnten, sind aus ethischen Gründen nicht vertretbar.“122 Eine verbrauchende Embryonenforschung habe gezieltes Vernichten menschlichen Lebens zur Folge, was grundsätzlich abgelehnt werden müsse. Im nichtmenschlichen Anwendungsbereich ist die Bewertung ungleich schwieriger, da die Möglichkeit, durch genetisch veränderte Pflanzen z.B. den Welthunger zu stillen, der Gefahr gegenübersteht, Pflanzen zu züchten, deren langfristige Wirkung nicht abschätzbar und auch nicht rückgängig zu machen sei. Eine eindeutige Bewertung der Gentechnik im nichtmenschlichen Bereich bleibt daher aus, ihre Anwendung wird jedoch mit großer Skepsis betrachtet.123 Gerade Pflanzen und Tiere hätten einen Eigenwert, 121 „An erster Stelle aller energiepolitischen Maßnahmen muß die Reduzierung des Energieverbrauchs stehen. Dazu bedarf es der Veränderung politischer Rahmenbedingungen, der Entwicklung verbesserter Techniken und der Herausbildung eines anderen Lebensstils.“ ebenda, S. 36. 122 ebenda. 123 Obwohl die Möglichkeiten und Risiken der Gentechnik immer wieder Gegenstand in den Diskussionen der Arbeitsgruppe waren, bleibt eine ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik in der herausgegebenen Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ aus. Zwar wird immer wieder auf die Gentechnik verwiesen (u.A. S.36f.), ein eigenes Kapitel wird der Gentechnik jedoch nicht eingeräumt. Dies verwundert, lässt sich jedoch teilweise damit erklären, dass die EKD ebenfalls im Jahr 1986, also zeitgleich zur Arbeitsgruppe „Schutz des Lebens“ eine Arbeitsgruppe eingesetzt hatte, die eine Stellungnahme zur ethischen Urteilsbildung zur Nutzung der Gentechnik erarbeiten sollte. Von evangelischer Seite sollte dieser Erklärung zur Gentechnik nicht vorgegriffen werden. Sie ist ein Jahr nach „Gott ist ein Freund des Lebens“ erschienen unter: Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Einverständnis mit der Schöpfung. Ein Beitrag zur ethischen Urteilsbildung im Blick auf die Gentechnik und ihre Anwendung bei Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren, Gütersloh 1991. An dieser Arbeitsgruppe waren beteiligt: Joachim Hahn (Professor für Tiermedizin, Hannover), Reinhold Herrmann (Professor für Botanik, München), Jürgen Hübner (Professor für Biologie und Theologie, Heidelberg), Walter Klingmüller (Professor für Genetik, Bayreuth), Traugott Koch (Professor für Systematische Theologie, Hamburg), Regine Kollek (Biologin, Hamburg), Hans G. Ullrich (Professor für Systematische Theologie, Erlangen), Christine von Weizsäcker (Biologin, Bonn), Walter Ch. Zimmerli (Professor für Philosophie, Bamberg/Erlangen) und Hermann Barth (Kirchenkanzlei der EKD, Hannover). Traugott Koch und Hermann Barth waren also in beiden Arbeitsgruppen vertreten und somit inhaltlich vollkommen über die Arbeits-

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der den Nutzwert deutlich übersteige. Auch wenn Teile der Natur überhaupt keinen erkennbaren Nutzwert hätten, dürfe um ihrer selbst willen ihre Integrität nicht angetastet werden. In einer christlichen Sichtweise sei dieser Eigenwert dadurch begründet, dass auch diese Naturbestandteile „auf Gott den Schöpfer bezogen“ seien.124 Daraus resultiere die politische Forderung, Umweltschutz als Staatsziel zu formulieren.125 Würde des menschlichen Lebens Ein vierter Teil behandelt die besondere Würde des menschlichen Lebens und das in ihr begründete unbedingte Lebensrecht jedes einzelnen Menschen. Nach einer biblischen Herleitung der Gottebenbildlichkeit des Menschen wird dargestellt, dass diese Ebenbildlichkeit die im Grundgesetz geschützte Würde des Menschen darstellt. Da jedem Menschen diese Würde zukomme, habe ein jeder auch das Recht zu leben, Menschen dürften einander dieses Recht nicht nehmen oder beschneiden. Eine ausführliche Klärung des Personenbegriffs verortet den Menschen und zieht dabei anthropologische Begründungsmuster heran. Personalität entstünde erst durch das Gegenüber, Individualität und Sozialität bedingten sich gegenseitig.126 Eine Schwierigkeit bestünde in der Beurteilung ungeborenen Lebens. Ob einem Ungeborenen die gleiche Würde und der gleiche Schutzanspruch zukomme wie einem Geborenen, sei stark umstritten. Durch Heranziehung biologischer Argumente wird ausführlich dargelegt, dass ungeborenes Leben letztlich nichts anderes sei als individuelles menschliches Leben, welches im Werden ist. Zwischen ungeborenem und geborenem menschlichem Leben bestünden lediglich graduelle Unterschiede, weshalb sich aus christlicher Sicht die Gottebenbildlichkeit auch im ungeborenen Leben widerspiegelt ‒ und diesem daher die gleiche Würde zukomme wie geborenem Leben.127 Durch technische Fortschritte wie z.B. die Ultraschalluntersuchung werde die Wahrnehmung des ungeborenen Lebens als Leben verstärkt und

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schritte der jeweils anderen Kommission informiert. In der 1991 erschienenen Erklärung zur Gentechnik „Einverständnis mit der Schöpfung“ wird im Vorwort dezidiert auf die gemeinsame Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ Bezug genommen. Rat der EKD und die DBK, Gott ist ein Freund des Lebens, 1989, S. 37. ebenda, S. 38. Vgl. ebenda, S. 42. Auf eine Bewertung des Status des Embryos wurde hierbei bewusst verzichtet. Hermann Barth hält in der Rückschau fest: „Diese Formulierungen sind auch insofern bemerkenswert, als sie zwischen individuellem menschlichen Leben, das dem Embryo zugeschrieben wird, und Menschsein, das ihm nicht zugeschrieben wird, differenzieren. Darum fehlt auch die überspitzende Kurzformel ‚Mensch von Anfang an‘. Ethische Urteile sind auf Evidenz angewiesen. Es ist aber eine Überforderung für das Urteil, wonach auch schon das frühe embryonale Stadium als Mensch beschrieben werden könne und müsse, Evidenz beanspruchen. Die Schutzwürdigkeit des Embryo bleibt von dieser Differenzierung unberührt; sie ergibt sich eben daraus, daß mit ihm ‚ein Lebewesen vorliegt, das, wenn es sich weiterentwickelt, gar nichts anderes werden kann als ein Mensch‘.“ Hermann Barth, Wie wollen wir leben? Beiträge zur Bioethik aus evangelischer Sicht, Hannover 2003, S. 120.

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diese seien daher zu begrüßen. Eine Abtreibung stelle immer eine falsche Handlung dar. Teilweise werde eine Abtreibung vorgenommen, weil den handelnden Personen nicht deutlich sei, dass es sich um menschliches Leben handle. Diese Einsicht müsse demnach gefördert werden. Die menschliche Würde sei auch am Ende des Lebens gefährdet. Fremdbestimmung und Entmündigung stellen die Probleme Alter und Kranker dar, mit denen sie konfrontiert werden. Aus einer christlichen Perspektive würde der Begriff des „Segens“ vieles beinhalten, was heute oft übersehen werde. Segen bedeute Lebensbereicherung und Kranke, Behinderte, Alte oder auch Kinder stellten einen Segen dar, nicht zuletzt, weil sie auch das eigene Leben hinterfragen und so von festgefahrenen Deutungsmustern eigenen Lebens ablenken. Hervorzuheben sei, dass Unvorhersehbarkeit ein wichtiger Teil des Lebens sei und wenn diese den Menschen widerfahre, müsse sie positiv angenommen werden. Gleichwohl wird darauf hingewiesen, dass ein vernünftiges und planendes Handeln dadurch nicht ausgeschlossen werden soll. Bereiche besonderer Verantwortung für das Leben Ein kleinerer Abschnitt gibt in einem fünften Teil „einige Hinweise auf Bereiche besonderer Verantwortung für den Schutz des Lebens: Erziehung, Medien, Rechtsordnung, Gesundheit sowie Forschung, Technik und Wirtschaft.“128 Die in den genannten Bereichen Tätigen trügen eine besondere Verantwortung, da sie andere Menschen hinsichtlich ihres Lebens beeinflussen. In den einzelnen Feldern sei besonderes zivilgesellschaftliches Engagement gefordert, wie auch die einzelnen Christen in diesen Bereichen ihr Christsein und die damit verbundenen Wertevorstellungen verstärkt transparent machen müssten. Nur durch das Handeln von engagierten Individuen könnten hier Veränderungen geschehen. Aktuelle Herausforderungen beim Schutz menschlichen Lebens Das Herzstück der Erklärung stellt sicherlich der sechste Teil dar. In diesem werden „fünf ausgewählte aktuelle Problemfelder“ herausgegriffen, „die den Schutz eines je einzelnen menschlichen Lebens betreffen.“129 Diese Bereiche sind im Einzelnen die „Forschung an Embryonen“, das „ungeborene Leben im Mutterleib“, „behindertes menschliches Leben“, die „Organverpflanzung“ und schließlich das „Ende menschlichen Lebens“. Die jeweiligen Problemlagen werden dabei herausgestellt und auch detailliert erklärt. Die Forschung an Embryonen sei durch die neue Methodik der IVF deutlich einfacher geworden, was ihre Gefährdung hat stark steigen lassen. Beide Kirchen raten von dem Verfahren ausdrücklich ab.130 Die Schwelle, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, werde durch immer einfachere und zugänglichere 128 Rat der EKD und die DBK, Gott ist ein Freund des Lebens, 1989, S. 13. 129 ebenda. 130 Vgl. ebenda, S. 63.

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Methoden stetig abgesenkt. Die Kirchen wollen diesem Trend eine neue innere Einstellung entgegensetzen, die ein positives Bewusstsein dem Leben gegenüber hat. Die Kirchen „[…] wollen, soweit es in unseren Kräften steht, dazu beitragen, Schwangerschaftsabbrüche zu vermeiden.“131 Dazu soll die Verantwortung in Partnerschaften und Sexualität gestärkt werden, sodass es zu ungewollten Schwangerschaften gar nicht erst komme. Gleichzeitig möchten sich die Kirchen dafür einsetzen, dass die Verhältnisse in der Gesellschaft so geändert werden, dass sie der Annahme ungeborenen Lebens nicht im Wege stehen. Die Kirchen formulieren hierzu: „Schwangerschaftsabbruch soll nach Gottes Willen nicht sein.“132 Es könne aber dazu kommen, dass „[i]n einer äußersten Zuspitzung […] Menschen […] dem Konflikt ausgesetzt [sind] , daß sie Gottes Gebot wohl als für sich verbindlich anerkennen, aber dennoch angesichts der unerträglich erscheinenden Schwierigkeit, in die sie die Schwangerschaft gebracht hat, für sich keinen Weg sehen, das ungeborene Kind anzunehmen und also am Leben zu erhalten. Wenn in ganz besonderen und mit anderen Situationen nicht ohne weiteres vergleichbaren Fällen das Leben der Mutter gegen das Leben des Kindes steht und ein Schwangerschaftsabbruch aus medizinischen Gründen angezeigt ist, muß unausweichlich eine Entscheidung getroffen werden, die so oder so das Gewissen belastet. Konfliktlagen von dieser Schärfe können nicht allgemeinverbindlich aufgelöst werden.“133 In der Beratungsarbeit der Kirchen müsse weiterhin gelten, dass die Beraterinnen und Berater selbst vom Lebensschutz ungeborener Kinder ausgehen. Ein Schwangerschaftsabbruch stelle die Tötung menschlichen Lebens dar.134 Die Ehe wird als geeignetster und verlässlichster Ort für die Form des Zusammenlebens von Mann und Frau angesehen. Die Kirchen wissen, dass zur Partnerschaft von Frau und Mann auch die „Dimension der Sexualität“ gehöre.135 Das Christentum habe sich in der längeren Vergangenheit mit ihrer Bejahung schwergetan, in der kürzeren Vergangenheit habe man jedoch „neue Erkenntnisse über die biologischen und hormonellen Unterschiede zwischen Frau und Mann, aber auch über ihr sexuelles Erleben gewonnen.“136 Über den sexuellen Umgang miteinander dürfe nicht vergessen werden, wie sich auch personale Gemeinsamkeit in der Partnerschaft herausbilde. Entgegen früherer Stellungnahmen wird dabei ein überraschend positives Bild der Familienplanung gezeichnet. Für die evangelische Kirche ist die Familienplanung in die Verantwortung der einzelnen Christen gelegt, die Kirche wolle dabei zur Urteilsbildung nur „beitragen“. In der katholischen Auffas-

131 132 133 134 135 136

ebenda, S. 67. ebenda, S. 68. ebenda, S. 68f. ebenda, S. 74. ebenda, S. 77. ebenda.

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sung müssen die Ehegatten ebenfalls die Familienplanung in Verantwortung vor Gott selbst fällen, das schließe auch die Methode der Familienplanung ein!137 Um die gesellschaftlichen Verhältnisse nachhaltig in die Richtung einer positiveren Wertschätzung von Frauen, Familie und Kindern zu verändern, stellen die Kirchen konkrete politische Forderungen: Das Kindergeld müsse angehoben, der Kinderfreibetrag erhöht, weitere steuerliche Entlastungen von Familien mit Kindern durchgesetzt werden. Um Elternschaft attraktiver zu gestalten, müssten auch die Absicherungssysteme verbessert werden, so müssten z.B. die Elternjahre im Rentenrecht Berücksichtigung finden. Eine unkonventionelle Forderung stellt auch die Zahlung von Kindergeld für ungeborene Kinder dar, um die finanzielle Situation werdender Eltern abzufedern.138 Der Forderung einzelner Stimmen aus der Gesellschaft, die Abtreibung aus den Leistungskatalogen der Krankenkassen streichen zu lassen, möchten sich die Kirchen hingegen nicht anschließen. Eine Änderung der strafrechtlichen Bewertung des Schwangerschaftsabbruches nach § 218 strebt die evangelische Kirche nicht an, während die katholische Kirche sich mit dieser Regelung weiterhin nicht abfinden kann. Im Abschnitt über „behindertes menschliches Leben“ gehen die Autoren der Schrift zunächst auf die Angehörigen behinderter Menschen ein und stellen fest, dass diese mit großem Aufwand und Liebe ihren Nächsten begegnen, bevor die Behinderten selbst in den Fokus genommen werden. Das Leben Behinderter werde oftmals inadäquat beurteilt. Einmal werde, bedingt durch temporäre soziale Kälte, den Behinderten ihre Existenz als unerträgliche Belastung vorgehalten, ein andermal werde durch gut gemeinte pädagogische Überforderung versucht, Behinderte auf ein vermeintlich „normales Maß“ zu bringen. Beide Male werde dabei den behinderten Personen Schaden zugefügt und ihre Würde missachtet. Als steigende Herausforderung an die Gesellschaft stelle sich heraus, dass die Geburt behinderter Kinder vermehrt als persönliche Kränkung oder Herabsetzung der eigenen Potenz

137 Es wird dabei nicht explizit gemacht, dass hier eine DBK-Spezifische Lesart von Humane-Vitae vorliegt, die in der Königsteiner Erklärung der DBK vom 30. August 1968 den Gewissensvorbehalt vor den päpstlichen Gehorsam stellt. „Wer glaubt, in seiner privaten Theorie und Praxis von einer nicht unfehlbaren Lehre des kirchlichen Amtes abweichen zu dürfen – ein solcher Fall ist grundsätzlich denkbar –, muß sich nüchtern und selbstkritisch in seinem Gewissen fragen, ob er dies vor Gott verantworten kann.“ Deutsche Bischöfe, Wort der deutschen Bischöfe, 1968, in: Deutsche Bischöfe (Hrsg.), Enzyklika Papst Pauls VI, 1968, S. 65. Und weiter: „Es wird gefragt, ob die Lehrtradition in dieser Frage für die in der Enzyklika getroffene Entscheidung zwingend ist, ob gewisse neuerdings besonders betonte Aspekte der Ehe und ihres Vollzuges, die von der Enzyklika auch erwähnt werden, nicht ihre Entscheidung zu den Methoden der Geburtenregelung problematisch erscheinen lassen. Wer glaubt, so denken zu müssen, muß sich gewissenhaft prüfen, ob er – frei von subjektiver Überheblichkeit und voreiliger Besserwisserei – vor Gottes Gericht seinen Standpunkt verantworten kann. Im Vertreten dieses Standpunktes wird er Rücksicht nehmen müssen auf die Gesetze des innerkirchlichen Dialogs und jedes Ärgernis zu vermeiden trachten. Nur wer so handelt, widerspricht nicht der rechtverstandenen Autorität und Gehorsamspflicht.“ ebenda, S. 68f. 138 Vgl. Rat der EKD und die DBK, Gott ist ein Freund des Lebens, 1989, S. 80.

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wahrgenommen werde.139 Durch ein Klima der Akzeptanz von Behinderten in der Gesellschaft könne auch diesen Auswirkungen entgegengewirkt werden. Der genetischen Beratung von Paaren hinsichtlich ihrer zukünftigen Kinder komme eine gehobene Stellung zu. Nicht vermischt werden dürfe in der Beurteilung der Verfahren die Beratung vor einer Schwangerschaft mit der pränatalen Diagnostik. Während die genetische Beratung vor einer Schwangerschaft bei der Entscheidung helfen kann, ob überhaupt Nachwuchs angestrebt werden soll, bietet die pränatale Diagnostik die Möglichkeit, bereits schwangere Frauen durch die Diagnostik über den Gesundheitszustand ihres Embryos zu informieren. Da derzeitig keine pränatalen Therapiemöglichkeiten vorhanden seien, stelle eine negative Diagnose ein medizinisches Problem dar. Keinesfalls dürfe die pränatale Diagnostik – wie oftmals geschehen ‒ eingesetzt werden „um zu töten“.140 Eugenischen Tendenzen jeder Art will man wehren, auch Behinderten dürfe die Fortpflanzung keinesfalls verweigert werden. Jedoch hält die Schrift wenig später etwas fragwürdig fest: „Etwas anderes ist es, behinderte und kranke Menschen […] zu einem Verzicht auf Fortpflanzung zu bewegen […].“141 Die Organverpflanzung weise kaum strittige Punkte auf, die Kirchen seien einmütig der Überzeugung, dass die Organspende eine gute Möglichkeit sei, Nächstenliebe zu zeigen, sie dürfe nur nicht zum Zwang werden. Im Umgang mit dem Ende menschlichen Lebens bestünden Konfliktfelder in dem Bereich der Sterbehilfe. Diese müsse immer nur als Lebenshilfe aufgefasst werden, dem Sterben selbst dürfe nicht nachgeholfen werden. Bei aller deutlich im Text enthaltenen Ablehnung, Sterben zu beschleunigen oder über das eigene Leben durch Selbsttötung zu verfügen, kommt es doch zu einer bemerkenswerten Aussage: „Es darf nicht verhindert werden, daß der Sterbende auch am Ende seines Lebens selbst über sich bestimmt. Das schließt ein, daß man des Anderen Weise, sterben zu wollen, selbst dann achtet, wenn man an sich sein Vorgehen nicht billigt. Wenn ein Sterbenskranker äußerungsfähig ist und bewußt weitere medizinische Maßnahmen ablehnt, so ist ihm zu folgen.“142

Zukunft des Lebens Der Schluss der gemeinsamen Erklärung bildet im siebten Teil eine „Ermutigung zum Leben“. Darin wird deutlich gemacht, dass, bei aller Hoffnung auf ein jenseitiges besseres Leben, sich bereits im Diesseits für ein besseres Leben eingesetzt werden müsse. Für alle genannten Bereiche, in denen der Schutz des Lebens gefährdet und ausgebaut werden muss, haben die Kirchen die Erwartung, „daß diese Forderungen und Anregungen in der Politik, in Wissenschaft und Wirtschaft, im Gesund139 140 141 142

Vgl. ebenda, S. 93f. ebenda, S. 99. ebenda, S. 101. ebenda, S. 106.

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heitswesen, in den Kirchengemeinden, also von den Menschen, die an ihrem besonderen Ort Verantwortung für das Leben haben, gehört, sorgfältig bedacht und auch ergänzt werden.“143 4.4.2 „Leben“ als Integrationsbegriff materialethisch vielfältiger Themenbereiche und die biologische Argumentationsweise der Schrift 4.4.2.1 Begriffsverwendung und Zeitkontext Aus rhetorischer Sicht ist es intuitiv einleuchtend, dass ein Sammelbegriff als Dach einer thematisch so breit gefächerten Schrift benötigt wird, um die verschiedenen in der Schrift behandelten Bereiche zu verknüpfen. Diese Funktion erfüllt in der gemeinsamen Erklärung der Begriff „Leben“.144 Der Lebensbegriff hat in seiner Verwendung in der theologischen Ethik eine lange Vergangenheit, jedoch sind ihm dabei eine wechselnde inhaltliche Bedeutung und eine wechselnde Gewichtung zugekommen. Wie der Lebensbegriff in der gemeinsamen Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ Verwendung findet und welche impliziten Annahmen dabei transportiert werden, soll nun genauer angesehen werden. Bereits im Titel der Schrift wird eine erkennbare Nähe zwischen Gott und dem Leben hergestellt. Dadurch, dass Gott als Freund des Lebens bezeichnet wird, bekommt der Lebensbegriff eine positive Konnotation, denn womit Gott befreundet ist, das kann für den Menschen kein Feind sein oder ein Adiaphoron darstellen. Konsequent werden dann die materialethisch differierenden Teilbereiche bioethischer Problemzonen auf den Lebensbegriff bezogen. Die Natur wird begrifflich zum „Lebensraum“ und somit zur Lebensgrundlage erklärt, die, sofern ihr Bestand bedroht oder gar beschädigt wird, zur Einschränkung ihres lebensfördernden Wirkens führt. Die seit den 1960er Jahren getrennt voneinander behandelten materialethischen Themengebiete Ökologie und Umweltschutz, Umgang mit der Kernenergie, Embryonenforschung, Schwangerschaftsabbruch, Organverpflanzung und Sterbehilfe werden nun durch den Lebensbegriff zusammengeführt. Alle genannten Bereiche werden als Gebiete gekennzeichnet, an denen „Leben“ aktuell bedroht wird. Die aktuelle Bedrohung der jeweiligen Themenbereiche ergebe sich durch die neu entstandenen Möglichkeiten, in das Leben einzugreifen, beziehungsweise die Lebensabläufe abzuändern oder zu kontrollieren. Zudem wird deutlich hervorgehoben, dass die neu entstandenen technischen Möglichkeiten in ihrer Anwendung derartig unerforscht und unkontrollierbar seien, dass ihre Anwendung mehr Fragen und Gefahren aufwerfe als Antworten und Lösungen bereithalte. 143 ebenda, S. 15. 144 Wie es dazu kam, dass gerade der Lebensbegriff zur Integration der verschiedenen Thematiken aufgenommen wurde, wird ein eigener Teil klären (siehe Punkt 4.5.2.1). Dort ist auch der Frage nachzugehen, warum die möglichen alternativen Integrationsbegriffe „Bioethik“ und „Bewahrung der Schöpfung“ keine Verwendung fanden.

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Auffällig ist auf den ersten Blick sicherlich, dass die beschriebene Verwendung des Lebensbegriffes sich rein äußerlich auf ein einseitiges, biologisches Verständnis von Leben stützt. Dem Vorwurf, dass die gemeinsame Erklärung dem Biologismus das Wort rede, muss jedoch die zeitgenössische Verwendung und Entwicklung des Lebensbegriffes entgegengehalten werden. Die Verwendung des Lebensbegriffs in der Theologie von einem reinen johanneischen Gebrauch hin zu einem auch in den naturwissenschaftlichen Disziplinen anknüpfungsfähigen Verständnis des „Lebens“ erfolgte bereits gegen Ende der 70er Jahre. Exemplarisch können zwei prominente evangelische Theologen dazu angebracht werden: Gerhard Ebeling und Trutz Rendtorff. Gerhard Ebeling hatte seinerzeit erkannt, dass der Lebensbegriff in seiner, im Kontext der Erweiterung naturwissenschaftlicher Kenntnisse, Verwendung einer Mode unterlag, die er umgestaltend für die Theologie seiner Dogmatik urbar machte: „Das Verständnis von Leben steht heute vornehmlich im Banne der aufregenden Fortschritte biochemischer Forschung, die dem Geheimnis des Lebens auf die Spur gekommen zu sein scheint. [Es] … hat sich doch unter der Faszination naturwissenschaftlicher Denkweise bei gleichzeitiger Erosion überkommener Lebensauffassungen eine biologistische Einstellung zum Leben weit ausgebreitet. Wie sehr sie den Ton angibt, läßt sich am deutlichsten an der Beurteilung der Sexualfragen, insbesondere der Frage des Schwangerschaftsabbruchs ablesen […].“145

Dies erkennend schlussfolgert er eine Aufgabe, der er sich in seiner 1979 erschienenen Dogmatik stellt: „[es muss] die schwierige Aufgabe in Angriff genommen werden, das theologische Verständnis von Leben, das seinen schärfsten Ausdruck im ewigen Leben hat, in offener Begegnung mit demjenigen Phänomen zu durchdenken, in denen sich der naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise Leben zeigt und darstellt.“146

Er sucht also explizit den Anschluss an einen von den anderen Wissenschaften akzeptierten Lebensbegriff und verwendet hierfür den Lebensbezug, den er mit der Theologie verbindet. Programmatisch geht er dazu derart vor, dass er immer wieder die Frage zum Lebensbezug stellt. Selbst die Christologie wird in Ebelings Dogmatik mit einer auf den Menschen bezogenen Fragestellung entwickelt:

145 Gerhard Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens. Band I: Der Glaube an Gott den Schöpfer der Welt, Tübingen 2012, S. 90. 146 ebenda, S. 90f.

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„…mit dem anthropologischen Einstig soll wieder dafür gesorgt werden, daß die dogmatische Rechenschaft nicht an der Erfahrung vorbei erfolgt. Man könnte auch sagen: Es geht darum, daß von vornherein der Lebensbezug in den Blick kommt.“147

Der Lebensbezug wird somit zum Maßstab für eine zeitgerechte Theologie. Trutz Rendtorff geht in seinem ethischen Entwurf in einem Dreischritt vor, indem er, um seinem Anspruch nachzukommen, Ethik als Theorie der menschlichen Lebensführung zu entwickeln, drei Grundelemente der ethischen Lebenswirklichkeit identifiziert und daran seine Theoriebildung und Ethik ausrichtet. Diese drei Lebensbereiche umfassen 1.) das „Gegebensein des Lebens“, welches aus dem Verständnis der Geschöpflichkeit heraus die Grundsituation der Ethik begründet, nämlich die Notwendigkeit, sich im Kontext anderer Lebewesen zu verhalten, 2.) das „Geben des Lebens“, welches impliziert, dass das Leben auch in Hinsicht auf andere Kreaturen zu leben ist, und 3.) die „Reflexivität des Lebens“, welche die Theorie der Lebensführung darstellt.148 Die konsequente Ausrichtung der Ethik am Lebensbegriff ist dabei spektakulär innovativ; obwohl Ethik sich ja immer schon auf die konkrete Ausgestaltung des Lebens bezogen hat, ist Rendtorff der erste, der den Lebensbegriff so explizit in den Mittelpunkt seiner Theoriebildung stellt. Er greift damit ein Grundgefühl der eigenen Gegenwart auf, demnach sich die Fragen christlicher Lehre vornehmlich als Fragen der Lebensführung darstellen.149 Indem Rendtorff den Lebensbegriff selbst bereits als strukturierendes Element nutzt, um die theoretischen Implikationen seiner Ethik zusammenzuhalten und verständlich zu machen, ist sein Entwurf dezidiert als Vorbild der in der gemeinsamen Erklärung genutzten Vorgehensweise anzusehen.150 4.4.2.2 Zeitgenössische Kritik zur Verwendung des Lebensbegriffes Auf dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen bietet es sich an, die Beobachtungen Christofer Freys zur Verwendung des Lebensbegriffs in der Ethik heranzuziehen. Christofer Frey hat in seinem nur sechs Jahre nach Erscheinen der gemeinsamen Erklärung publizierten Artikel „Zum Verständnis des Lebens in der Ethik“ die wechselnde Bedeutung des Terminus „Leben“ in der Ethik herausgearbeitet. Er 147 Gerhard Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens. Band II: Der Glaube an Gott den Versöhner der Welt, Tübingen 2012, S. 260f. 148 Vgl. Trutz Rendtorff, Ethik, in: Trutz Rendtorff/Reiner Anselm/Stephan Schleissing (Hrsg.), Ethik. Grundelemente, Methodologie und Konkretionen einer ethischen Theologie, Tübingen 2011, S. 3–246, hier S. 79–130. 149 Vgl. Reiner Anselm/Stephan Schleissing, Einführung. Zum Ort der „Ethik“ im Werk Trutz Rendtorffs, in: Trutz Rendtorff/Reiner Anselm/Stephan Schleissing (Hrsg.), Ethik. Grundelemente, Methodologie und Konkretionen einer ethischen Theologie, Tübingen 2011, hier S. XIII. 150 Die konsequente Ausrichtung auf den Lebensbegriff findet sich bereits in der ersten Auflage seiner Ethik von 1980 und wird in der zweiten Auflage noch ausgebaut. Trutz Rendtorff, Ethik, Grundelemente Methodologie und Konkretionen einer ethischen Theologie, Stuttgart 1980. Zur Nutzung des Lebensbegriffs vgl. auch Heino Falcke (Hrsg.), Mit Gott Schritt halten, Berlin 1986.

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diagnostiziert für seine Zeit der 1980er und 1990er Jahre eine geradezu inflationäre Verwendung des Lebensbegriffes, dessen Nichtverwendung sich mittlerweile „kaum ein Ethiker leisten“ könne.151 Abgelöst von einer standardisierten Alltagsbedeutung habe der Begriff „Leben“ einen eigenen kategorischen Imperativ herausgebildet, den viele Autoren ethischer Schriften unreflektiert übernehmen würden.152 Hauptsächlich attestiert er 1.) die im Lebensbegriff mitschwingende „Konzeption einer Ganzheit des Lebens“ und 2.) die intrinsische Bedeutung des Lebensbegriffes als „moralischer Imperativ“. Die erste hier aufgenommene Hauptbeobachtung Christofer Freys ist, dass er für den Lebensbegriff die „mitschwingende Konzeption einer Ganzheit des Lebens“ feststellt.153 Dadurch, dass der Begriff „Leben“ sich jeder Definition sperre, könne er als Behälter dienen, um neue und verschiedene Aspekte seiner eigenen Bedeutung zu verbinden. Frey macht dabei deutlich, dass „Leben“ in der protestantischen Ethik eine Entwicklung hinter sich hat, die von einem abstrakten Verständnis zu einem individuell-konkreten geht. Er analysiert dazu die akademische Begriffsgeschichte und verweist selbst auf zwei protestantische Theologen, die für den Bereich protestantischer Ethik die Grundlage in der Verwendung des Lebensbegriffs gelegt haben und maßgeblich seine Verwendung prägen. Frey zieht dabei eine weite Linie von Bonhoeffers Verwendung des Lebensbegriffs bis hin zu Rendtorff und begründet diese Auswahl damit, dass diese beiden den Lebensbegriff von einer abstrakten Verwendung zu einer individuellen Auffassung von „Leben“ geführt haben.154 Christofer Frey nimmt Bonhoeffer als einen der ersten Ethiker wahr, der den Begriff „Leben“ von seiner abstrakten und kollektiv verstandenen Bedeutung hin zu einer individuellen transformiert. Bonhoeffer wollte dabei „das Leben unter der Kategorie des ‚Natürlichen‘ verstehen.“155 Er stellt heraus, dass Bonhoeffer das „Leben“ als ein von Gott gegebenes betrachtet, das vom Menschen gestaltet werden muss. Das „Leben“ kommt bei Bonhoeffer in eine jeweils konkrete Form: die des Menschen.156 Diese Gestaltung müsse dabei immer, so der typische christologische Bezug bei Bonhoeffer, individuell „als Antwort auf das Leben Jesu Christi“ ausge151 Vgl. Christofer Frey, Zum Verständnis des Lebens in der Ethik, in: ZEE 39 (1995), S. 8–25, hier S. 8. 152 Vgl. ebenda. 153 Vgl. ebenda, S. 12. 154 Vgl. ebenda, S. 9f. 155 In der Tat betreibt Bonhoeffer einigen argumentativen Aufwand, den Lebensbegriff mit der „Natürlichkeit“ zusammenzubringen und verteidigt diese Konstellation gegen die reflexhafte Anfeindung, dieses sei eine katholische Kombination. Er wolle dabei gerade nicht den „Glanz einer Urgeschöpflichkeit“ postulieren, sondern damit die „praktischen Fragen des Lebens“ wieder einholen. Im Apparat der kritischen Bonhoefferausgabe findet sich dabei der Hinweis wie Nachweis der Herausgeber, dass Bonhoeffer durchaus selbst eine Nähe zum katholischen Vorgehen herstellte. Vgl. Dietrich Bonhoeffer, Ethik, Gütersloh 2006, S. 163ff. 156 Vgl. dazu ebenda, S. 171. Bonhoeffer richtet sich dabei gegen einen falsch verstandenen Vitalismus, indem er Gott als Ursprung und Former des Lebens ansieht: „Gott will das Leben und er gibt dem Leben eine Gestalt, in der es leben kann.“ Ebd.

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richtet werden.157 Bonhoeffer würde „Leben“ damit nicht mehr als Abstraktum verwenden, sondern als „konkretes Leben“ verstehen, welches keiner von außen angelegten Norm unterliege. Leben würde generell nur als je konkretes existieren und erfahrbar sein, niemals jedoch als abstraktes, weshalb generelle Forderungen an die Lebensführung scheitern müssten.158 Damit bereitete Bonhoeffer den Boden für die sich ihm anschließende Verwendung des Lebensbegriffes im Bereich protestantischer Ethik, die schließlich einen ihrer größten Niederschläge in der Ethik Rendtorffs findet. Die zweite hier aufgenommene Beobachtung Freys ist, dass „Leben“ in seiner Bedeutung einen normativen Aspekt bekommen habe: Sein und Sollen seien sich hier näher, „als es die Unterscheidung von ‚is‘ und ‚ought‘ wahrhaben will.“159 In der Verwendung des Lebensbegriffs schwinge somit immer auch eine positive Konnotation mit, die den Fortbestand des „guten“ Lebens fordere. „Leben signalisiert nicht nur ‚Ganzheit‘, sondern suggeriert auch Moral.“160 Gerade in der Bioethik werde dies deutlich: In der Frage nach der Euthanasie werde im Grunde danach gefragt, ob „ein einzelnes Leben in sich selbst Ziel und Ende ist und trotz aller Defizite als solches geachtet werden soll und kann. In der Auffassung von Behinderten und ihrer Verbände wird die Annahme laut, daß ‚alles normal‘ sei, auch die extreme Angewiesenheit auf Hilfe. Eine neue Art von Lebensverständnis steht gegen ein anderes, das einst eher Geltung besaß, die These vom selbsttätigen Verlauf des Lebens, das seine Zeit, aber auch seine Maße kennt.“161 Kritisch fügt er an: „Eine Sicht, die eine hochtechnisierte Medizin ständig unterläuft.“162 Vollends werde der moralische Sinn des Lebensbegriffs in der Ökologie deutlich: „Nirgends werden angebliche Abbilder der Wirklichkeit auf der einen und moralische Forderungen auf der anderen Seite so eng miteinander verbunden wie in der ökologischen Sicht der Welt des Lebens. Ihre besondere Pointe liegt in einem das Lebensverständnis gefährdenden Widerspruch: Es soll nicht anthropozentrisch sein; aber die ihm verbundene moralische Forderung, Leben in seiner Ganzheit und Differenziertheit zu erhalten, ja ihm mit Ehrfurcht zu begegnen, kann nur an die Verantwortung des Menschen appellieren, der damit zum Retter alles Lebens wird. Deshalb begegnen wir häufig nicht einem echten Begriff, sondern einem Signal namens ‚Leben‘, das moralische Impulse wecken will: Es gelte, die Welt des Lebens gegen die Welt des Machens zu verteidigen oder von ihr zu retten, was noch zu retten sei.“163

157 Vgl. Frey, Verständnis, 1995, S. 9. 158 „Das Leben an sich – im konsequenten Sinne – ist ein Nichts, ein Abgrund, ein Sturz; es ist Bewegung ohne Ende, ohne Ziel, Bewegung ins Nichts hinein.“ Bonhoeffer, Ethik, 2006, S. 171. 159 Frey, Verständnis, 1995, S. 12. 160 ebenda. 161 ebenda, S. 12f. 162 ebenda, S. 13. 163 ebenda.

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Christofer Frey sieht hier richtig, dass eine Transformation des Lebensbegriffs stattgefunden hat. Fraglich ist, ob die Schlussfolgerungen seiner sicherlich sehr präzisen Beobachtungen dieser Abläufe nicht zu sehr zeitgebunden waren und aus heutiger Perspektive etwas differenzierter gesehen werden müssten: 1.) Die von ihm festgestellte Entwicklung in der Begriffsverwendung protestantischer Theologen von einem abstrakten Verständnis von „Leben“ zu einem konkreten Verständnis ist vor dem Hintergrund zu relativieren, dass generell in den angesprochenen Zeiträumen Individuen und individuelle Deutungsperspektiven in die Ethik eingetragen wurden. Dass sich dieses auch im Lebensbegriff niederschlägt, ist nicht Ursache, sondern eher Symptom einer größeren Entwicklung gewesen. 2.) Die Unterstellung Freys, dass der Lebensbegriff in der Ethik unreflektiert normative Implikationen in sich trägt, trifft beispielsweise für die gemeinsame Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ nicht zu. Zwar wird der Lebensbegriff normativ aufgefasst, dieses findet jedoch nicht unreflektiert statt. Gerade indem durch eine „biblische Besinnung“ im Anfangsteil der Schrift der Lebensbegriff auf die biblischen Inhalte und damit auf die religiöse Grundlage bezogen wird, wird deutlich gemacht, wie der Lebensbegriff von den Autoren verstanden worden ist und von den Lesern wiederum verstanden werden soll; die normativen Aussagen des Lebensbegriffs werden also explizit transparent gemacht. Programmatisch am Titel der gemeinsamen Erklärung orientiert, erklären die Autoren, dass „Leben“ aus christlicher Perspektive als gute Gabe Gottes aufzufassen sei, die wiederum zwar von Gott gegeben, vom Menschen aber geschützt und mit Respekt vor dieser Gabe behandelt werden müsse. 4.4.2.3 „Leben“ im Kontext vermeintlich biologistischer Argumentationsfiguren In der gemeinsamen Erklärung ist eine starke Fokussierung des Lebensbegriffs auf biologisch-wissenschaftliche Aspekte des Lebens festzustellen. „Glück“ und „Zufriedenheit“, geradezu klassische Implikationen eines (gelungenen) Lebens, werden gar nicht in den Blick genommen. Warum es sich zu leben lohnt, was ein Leben ausmacht und prägt, tritt gänzlich angesichts der Macht biologischer Argumentationsmuster in den Hintergrund. Dies verwundert, da doch im Kontext einer Schrift, die sich zu ethischen Fragestellungen äußert, die Frage des „sittlichen Lebens“ eher erwartet wird als die Reduzierung auf einen biologischen Lebensbegriff. In der gemeinsamen Erklärung wird eingangs Grundlegendes zu „Gabe und Gefährdung des Lebens“ festgehalten. Dabei wird das anfänglich breit angelegte Verständnis des „Lebens“ auf sowohl menschliches Leben als auch das der Tiere oder der Natur zwar theoretisch entfaltet, praktisch jedoch nur kurz durchgehalten ‒ um sich dann im Laufe der Schrift doch nur mit dem menschlich-biologischen Leben auseinanderzusetzen.164 Die starke Fokussierung auf einen auch für Nichtchristen anknüp164 Die Abgrenzung von Mensch, Tier und Natur wird nur kurz abgehandelt, indem der Mensch auf seine Fähigkeit kulturellen Schaffens hin beschrieben wird. Das so beschriebene Streben des Men-

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fungsfähigen Lebensbegriff wird bereits auf den ersten Seiten der Erklärung transparent gemacht: „Wir brauchen eine gemeinsame Anstrengung: Darum wendet sich die Erklärung an Menschen mit unterschiedlichen politischen Überzeugungen und weltanschaulichen Prägungen, an Christen und an Nichtchristen. […] Die Erklärung lässt sich von der Überzeugung leiten, daß den so gewonnenen Einsichten nicht nur Christen zustimmen können.“165

Wie bereits oben dargestellt, ist vor der Beurteilung dieser Argumentationsweise als „biologistisch“ genau dieses Bestreben in Erinnerung zu rufen, dass die Schrift ja gerade im Diskurs mit naturwissenschaftlichen Problemstellungen ethische Orientierung bieten soll. Ein rein theologisch aufgefasster Lebensbegriff würde eben dieses Ziel unterlaufen. Bewusst wurden daher von den Autoren Beispiele und Argumente aufgenommen, die auch von „Nicht-Christen“ geteilt werden können.166 Die Qualifizierung des Lebens als „besondere Gabe“ wird in der gemeinsamen Erklärung durch die individuelle Wahrnehmung vorgenommen: Leben sei kostbar, weil es in Situationen seiner Gefährdung als kostbar wahrgenommen werde. Eine theologische Begründung wird erst in zweiter Linie eingezogen, allerdings nur kurz und nicht weiter ausgeführt.167 Die Argumentation, warum „Leben“ besonders ist, um es dann in einem zweiten Schritt als schützenswert darzustellen, wird ohne theologische Begründungsmuster durchgeführt. Vielmehr werden wissenschaftlichbiologische Erklärungen bemüht: „Die Besonderheit von Leben zeigt sich schon daran, daß in der Weite des Universums abgesehen vom Planeten Erde Leben bisher nicht nachgewiesen werden konnschen wird, wie sich im Folgenden noch häufen wird, biologisch begründet: „Der Mensch ist im Vergleich mit höheren Tieren durch seine biologische Antriebsstruktur weniger auf bestimmte Lebensziele festgelegt. Er geht darum nicht in seiner Umwelt auf, sondern schafft sich seine Welt.“ Rat der EKD und die DBK, Gott ist ein Freund des Lebens, 1989, S. 32. 165 ebenda, S. 11f. 166 Christofer Frey sieht in seiner Rückschau auf die Begriffsgeschichte der Ethik die Beliebtheit des Lebensbegriffs in seiner Vieldeutigkeit erklärt: „Wie auch immer das zumeist unausgesprochene Verhältnis lauten mag – der Begriff des Lebens ist mehr als nur empirisch. Dennoch erfreut er sich so größter Beliebtheit, weil er zunächst auch den Anschein des empirischen hat: Gerade in der Biologie analysierte Phänomene scheinen hier ihre entscheidende Deutung zu gewinnen und die wissenschaftliche Zergliederung in eine ‚Ganzheit‘ zu überschreiten.“ (Siehe Frey, Verständnis, 1995, S. 8.) Frey beobachtet damit eine Verbindung des Lebensbegriffs mit der Biologie, wobei er, wie bereits oben beschrieben, die zerklüfteten biologischen Erkenntnisse im Lebensbegriff zusammengehalten sieht. Gleichzeitig attestiert er dem Lebensbegriff eine Affinität zur biologischen Argumentation. Diese Beobachtung Freys trifft auf den in der gemeinsamen Erklärung verwendeten Lebensbegriff jedoch keinesfalls zu, da ja die Nähe zu naturwissenschaftlichen Erklärungen aus einer rhetorischen Entscheidung getroffen wurden, um anknüpfungsfähig in eben diesen Bereichen zu werden. 167 „Als Christen wissen wir: Das Leben ist Gabe Gottes.“ Rat der EKD und die DBK, Gott ist ein Freund des Lebens, 1989, S. 16.

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te. Auf der Erde ist es eine relativ späte Erscheinung. Stets selbstorganisiert stellt es die differenzierteste und insofern höchste Stufe physikalisch-chemischer Gebilde und Vorgänge dar und ist doch allen bloßen Stoffen und deren Austauschverhältnissen gegenüber etwas Eigenes. Dabei zeichnen sich die lebenden Organismen durch eine erstaunliche Gleichartigkeit des Bauplans und zugleich eine ungeheure Vielfalt aus: Das genetische Material weist bei Pflanze, Tier und Mensch wie schon beim Mikroorganismus einen gemeinsamen molekularen Aufbau auf; die Entwicklung des Lebens hat aber von diesen Grundstrukturen aus zu einer verschwenderischen Fülle von Arten geführt. Sowohl die sinnliche Erfahrung als auch wissenschaftliche Untersuchungen machen immer wieder neue Entdeckungen von der Ordnung, der inneren Zweckmäßigkeit und der Schönheit der Lebensphänomene.“168

Indem also von der individuellen Wahrnehmung ausgegangen und menschliches Leben als singulär im Universum herausgestellt wird, wird ein Verständnis von „Leben“ etabliert, was gänzlich ohne theologische Aussagen funktioniert. Die eingangs angesprochenen „Gefährdungen des Lebens“, die das Leben in seiner Wahrnehmung als „besondere Gabe“ qualifizieren, werden in dem Abschnitt „Gabe und Gefährdung des Lebens“ näher beschrieben.169 Vornehmlich sehen die Autoren der gemeinsamen Erklärung die Gefährdungen des Lebens durch einen „enorm gewachsenen wissenschaftlich-technischen Fortschritt“ gegeben.170 Die aufgezählten Gefährdungen sind dabei alle in der Weise das Leben gefährdend, indem sie entweder die Grundlagen des Lebens betreffen ‒ und damit mittelfristig Leben gefährden ‒ oder die Lebewesen direkt betreffen, also die Gefährdungen sich nicht gegen die Lebensbedingungen richten, sondern direkt das Leben in seinem Fortbestand bedrohen. Im Einzelnen werden die Gefährdungen benannt, die die Autoren im Blick hatten: Vergiftung von Boden, Wasser und Luft, Klimaveränderung, Beschädigung der schützenden Ozonhülle, der hohe Konsum von Energie mit den Risiken bzw. schädlichen Folgen ihrer Erzeugung und die „nicht auszuschließenden Risiken der Gentechnik, das Vernichtungspotential der Waffenarsenale mit ihrer fortbestehenden ins Absurde gesteigerten Vernichtungskraft, die Begleiterscheinungen des Verkehrs“.171

In einem zweiten Argumentationsgang erst werden Handlungen beschrieben, die sich in einem weiteren Sinne gegen das Leben richten, also lebensverachtende Handlungen, die keine allgemeine und direkte Bedrohung des Lebens bedeuten, jedoch eine „lebensverneinende Verhaltensweise“ darstellen. Darunter zählen die Autoren: Suchterscheinungen wie „Alkoholismus oder Drogenabhängigkeit mit der dazugehörigen Beschaffungskriminalität, Kindesmisshandlungen, Gewalt gegen 168 169 170 171

ebenda. Vgl. ebenda, S. 16–21. Vgl. ebenda. ebenda, S. 18.

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Frauen, Selbstmorde (und Selbstmordversuche), Abtreibungen […] und Ansätze zur ‚Euthanasie‘ gegenüber schwerkranken Menschen“ oder die, missbräuchlich im Kontext der pränatalen Diagnostik eröffneten, neuen gefährdenden Möglichkeiten gegenüber ungeborenem behindertem Leben.172 Die von den Autoren aufgelisteten Gefährdungen erster Ordnung sind dabei alle durch neuartige Technologien entstanden bzw. durch den Umgang mit ihnen. Die Gefährdungen zweiter Ordnung sehen die Autoren ohne einen Zusammenhang zu neuen wissenschaftlichen Technologien. Der Nachweis der Gefährdungen erster Ordnung wird dabei ebenfalls durch wissenschaftliche Erkenntnisse erbracht ‒ die Hilfswissenschaft, die den Nachweis führt, dass „Leben“ gefährdet ist, ist wiederum die Biologie. Die Gefährdungen zweiter Ordnung erst sind theologisch als Gefährdungen qualifiziert – so kann wieder auch aus einer nicht-theologischen Perspektive Zustimmung eingeholt werden. Die Verwendung biologischer Argumentationsmuster in Kombination mit dem Lebensbegriff lässt sich noch an weiteren Punkten in der Schrift festmachen: Ein größerer Abschnitt der Erklärung beschäftigt sich mit der „Würde des vorgeburtlichen Lebens“, um mittels des Würdebegriffs den Personenstatus von Embryonen argumentativ zu festigen und bereits den Embryo als „Leben“ zu qualifizieren. Würde ist nun eine naturwissenschaftlich schwer zu belegende Kategorie, trotzdem werden in der Argumentation biologische Argumente bzw. naturwissenschaftliche Erkenntnisse angeführt, um das theologisch-philosophische Konstrukt des Würdegedankens zu untermauern bzw. die Sonderstellung des Menschen zu belegen. Um zwischen Embryo und geborenem Leben eine konsequente Entwicklungslinie einzuziehen und damit die Würde des geborenen Lebens auf das vorgeburtliche rückzuübertragen, wird als Kronzeuge die embryologische Forschung in den Zeugenstand gerufen: „Die embryologische Forschung hat zu dem eindeutigen Ergebnis geführt, dass von der Verschmelzung von Eizelle und Samenzelle an ein Lebewesen vorliegt, das, wenn es sich entwickelt, gar nichts anderes werden kann als ein Mensch, – dieses menschliche Lebewesen von Anfang an individuelles Leben ist und der Fall nachträglicher Zellteilung, die zum Entstehen eineiiger Zwillinge führt, diesen grundlegenden Sachverhalt nicht aufhebt, – der weitere Entwicklungsprozeß einen kontinuierlichen Vorgang darstellt und keine einsichtig zu machenden Einschnitte aufweist, an denen etwas Neues hinzukommt. Beim vorgeburtlichen Leben handelt es sich somit nicht etwa bloß um rein vegetatives Leben, sondern um individuelles menschliches Leben, 173 das als menschliches Leben immer ein werdendes ist.“

Dieser Kronzeuge wird zu späterer Stelle erneut bemüht, um in der Frage des Schwangerschaftsabbruches auszusagen. Erwartungsgemäß wurde die gleiche biologische Argumentationslinie erneut gezogen: „Nicht zuletzt aufgrund der Erkennt172 Vgl. ebenda, S. 18f. 173 ebenda, S. 43.

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nisse der embryologischen Forschung gewinnt die Einsicht an Boden, daß jeder Schwangerschaftsabbruch Tötung menschlichen Lebens bedeutet.“174 Biologische Erkenntnisse wurden dann auch angeführt, um zu allen möglichen anderen Themen Aussagen zu treffen.175 So z.B. auf dem Gebiet der Fortpflanzung: „In den letzten Jahrzehnten wurden“, so ist im Abschnitt „Verantwortung in Partnerschaft und Sexualität“ zu lesen, „neue Erkenntnisse über die biologischen und hormonellen Unterschiede zwischen Frau und Mann, aber auch über ihr sexuelles Erleben gewonnen.“176 Die Autoren wiesen dezidiert auf den biologischen Zusammenhang zwischen Sexualität und Fortpflanzung hin, da sie hinter vielen Schwangerschaftskonflikten ein Problem sexueller Aufklärung vermuten: „Da Sexualität und Fortpflanzung biologisch verbunden sind, gehört zu verantwortlicher Sexualität nicht nur die einfühlende Rücksichtnahme auf den Partner, sondern ebenso die Bereitschaft, das aus der körperlichen Vereinigung möglicherweise hervorgehende neue menschliche Leben anzunehmen.“177

Die Autoren sahen vermutlich, dass bei dem hohen Maß biologischer Argumentation die Gefahr bestand, dass sich möglicherweise der Schöpfungsgedanke nicht problemlos fortführen ließe und durch eine rein atheistische Evolutionstheorie abgelöst werden könnte – sie mussten befürchten, von den Naturwissenschaften vereinnahmt zu werden. Einen Rest des dargestellten Schöpfungswunders versuchten sie daher zu bewahren, indem sie darauf hinwiesen, dass trotz aller biologisch erklärbaren Differenziertheit der Lebewesen genug Unerklärliches bestünde, welches nur mit Hilfe der Theologie erklärt werden könne: „Je genauer die Erscheinung des Lebens untersucht wird, desto mehr bietet sie Anlaß zu dankbarem Staunen. Ob wir an ein komplexes Ökosystem wie den Wald, an Selbstentwicklung und Weitergabe der genetischen Information eines Organismus oder an die volle Entwicklung eines Menschen von der befruchteten Eizelle bis zu dem neugeborenen Kind und seinem weiteren Wachstum denken – die fortschreitende wissenschaftliche Aufdeckung und Erhellung hat nicht notwendig den Effekt, das Wunder zu entzaubern, sie kann eher dazu beitragen, das Staunen zu vergrößern.“178

174 ebenda, S. 74. 175 Auch in einer der wenigen theologischen Argumentationslinien werden explizit biologische Aspekte eingebracht: „Daß der Mensch und nur er unter allen Lebewesen ‚Bild Gottes‘ genannt wird, ist zunächst Ausdruck seines Herausgehobenseins aus der Natur. Dieses Herausgehobensein läßt sich an einzelnen Phänomenen aufweisen: Differenziertheit des organischen Systems, biologische Unspezialisiertheit, Weltoffenheit, Rationalität, Sprache, Bewußtsein, Selbstbestimmung, Gewissen u. a.“ ebenda, S. 39. 176 ebenda, S. 77. 177 ebenda, S. 78. 178 ebenda, S. 28f.

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4.4.3 Akzentsetzungen der Schrift und Akzentverschiebungen zu traditionellen kirchlichen Standpunkten 4.4.3.1 Familienplanung Um zukünftige Schwangerschaftskonflikte zu vermeiden, hält die gemeinsame Erklärung fest: „Verantwortung in Partnerschaft und Sexualität muß allerdings schon wahrgenommen werden, bevor ein Kind gezeugt bzw. empfangen wird. Zur Partnerschaft gehört deshalb Familienplanung im Sinne verantwortlicher Elternschaft. Die evangelische wie die katholische Kirche sind sich darin einig, daß Familienplanung partnerschaftlich geschehen muß und daß sie keinen der beiden Partner einseitig belasten oder in seiner Liebesfähigkeit beeinträchtigen darf.“179

Familienplanung wird dabei näher definiert durch den Zusatz „verantwortlicher Elternschaft“.180 Dieser Begriff ist aus katholischer Sicht exakt definiert, obwohl dieses in der Schrift nicht transparent gemacht wird. Unter verantwortliche Elternschaft versteht man, dass nicht mehr Kinder gezeugt werden, als hinterher auch ernährt und großgezogen werden können. Wie diese Steuerung ermöglicht werden kann, ist umstritten. Auch was unter „Familienplanung“ genauer zu verstehen ist, scheint terminologisch offen zu sein, ist bei näherer Kenntnis der kirchlichen Schriften aber ebenfalls definiert.181 Der Terminus „Familienplanung“ wird in der Gemeinsamen Erklärung inhaltlich gefüllt: „Eine wichtige Voraussetzung für verantwortliche Familienplanung ist die Information über Möglichkeiten der Empfängnisregelung, damit sie, der Lebensphase des Paares entsprechend, sinnvoll eingesetzt werden können.“182

In diesem Satz sind einige Informationen enthalten: Empfängnisregelung wird als eine Option dargestellt, die Familienplanung zu gestalten. Welche Möglichkeiten der Empfängnisregelung dabei eingesetzt werden können oder aus einer bestimmten kirchlichen Sicht empfohlen und welche abgelehnt werden, wird dabei nicht näher klassifiziert. Das ist sehr erstaunlich, da gerade die kontrazeptiven Mittel auf Seiten der katholischen Kirche absolute Ablehnung erfahren hatten und in den maßgeblichen kirchlichen Lehrschreiben regelmäßig abgelehnt und als gegen das Leben wirkend beschrieben wurden. Diese Konfliktfälle bleiben nun völlig unbe-

179 ebenda, S. 78. 180 ebenda. 181 Siehe hierzu auch im Katechismus der Katholischen Kirche die Abschnitte zur „Ehelichen Fruchtbarkeit“ Nr. 2366–2372. 182 ebenda.

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handelt. Es ist daher auffallend, dass die kontrazeptiven Verhütungsmittel keine explizite Ablehnung erfahren. Was unter Familienplanung zu verstehen ist, bleibt damit in der gemeinsamen Schrift offen. Die Unterschiede, die die evangelische und katholische Kirche in dieser Frage in der ethischen Beurteilung vornehmen, ist in der gemeinsamen Erklärung kaum differenziert dargestellt: „Für die evangelische Kirche ist Familienplanung in die Verantwortung der einzelnen Christen gestellt. Die Kirche kann und will jedoch zur ethischen Urteilsbildung beitragen. Nach katholischer Auffassung müssen die Ehegatten das Urteil über die Zahl der Kinder und den Abstand der Geburten wie über die Methode der Familienplanung in Verantwortung vor Gott selbst fällen. Dabei dürfen sie nicht willkürlich vorgehen, sondern müssen sich leiten lassen vom Gewissen, das sich ausrichtet am Gesetz Gottes und auf das Lehramt der Kirche hört.“183

Dazu findet sich am gleichen Ort ein Verweis auf die folgenden katholischen Äußerungen: „Vgl. Pastoralkonstitution des 11. Vatikanischen Konzils über die Kirche in der Welt von heute ‚Gaudium et spes‘ (Nr. 47-52), die Enzyklika von Papst Paul VI. ‚Humanae vitae‘ vom 25. Juli 1968 und das Apostolische Schreiben von Papst Johannes Paul II. ‚Familiaris consortio‘ vom 22. November 1981.“ Diese weiteren Dokumente stellen die traditionelle katholische Lehrmeinung dar: Geburtenkontrolle darf nur dadurch erfolgen, indem sich das Ehepaar während der fruchtbaren Zeit der Frau in sexueller Enthaltsamkeit übt. Explizit wird das jedoch in der gemeinsamen Erklärung nicht dargestellt, sondern bleibt in der verklausulierten Formulierung verborgen, in der das Gewissen des Paares auf das Lehramt der Kirche hört. Ohne diese Dokumente zu kennen, erschließt sich die katholische Lesart der Familienplanung nicht. Dies ist auffällig, da in der Vergangenheit diese Position deutlich herausgestellt wurde. Verantwortliche Elternschaft ist in den zusätzlichen katholischen Dokumenten ebenfalls näher definiert. Da dem katholischen Verständnis von Ehe die prinzipielle Öffnung für Nachwuchs inhärent ist, wird in „Gaudium et spes“ der Begriff der verantwortlichen Elternschaft eingebracht, demnach nur so viele Kinder geboren werden sollten, wie durch individuelle materielle Ressourcen den Kindern auch ein gutes Leben ermöglicht werden kann. Die eheliche Keuschheit wird als einzige Möglichkeit, dieses zu erreichen, dargestellt.184

183 ebenda, S. 79. 184 Die terminologischen Verschiebungen zwischen den Kirchen sind dabei unübersehbar: „Die Kirche empfiehlt die modernen Methoden der natürlichen Empfängnisregelung, von denen offensichtlich zugleich positive Auswirkungen auf die partnerschaftliche Beziehung von Mann und Frau erwartet werden dürfen.“ So die 1986 erschienene katholische Stellungnahme, wobei unter „modernen Methoden“ die genauere Unterscheidung von fruchtbaren und unfruchtbaren Tagen der Frau verstanden wird. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Für das Leben, 1986, S. 16.

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Familienplanung wird zudem in der gemeinsamen Erklärung erläutert als verantwortliches partnerschaftliches Handeln, welches bestimmte Wissenselemente in das Handeln integriert: „Partnerschaftliches Handeln und entsprechende Verantwortung füreinander müssen langfristig gefördert werden – auch im Sexualleben. Dazu dienen Informationen über neue Entwicklungen in der verantwortlichen Familienplanung und Gesprächsmöglichkeiten in Gruppen.“185

Diese neuen Entwicklungen sollten auch durch die kirchliche Beratungsarbeit den Paaren nähergebracht werden.186 Genauer gesagt und zusammengefasst: Durch verstärkte kirchlich organisierte Sexualaufklärung soll den Paaren verständlich gemacht werden, dass gelebte Sexualität zu Nachwuchs führen kann und daher, sofern keine Schwangerschaft erwünscht ist, sexuelle Enthaltsamkeit geübt werden sollte. So muss die katholische Lesart dieser Zeilen verstanden werden.187 Die EKD hatte sich hingegen nicht ablehnend einer „künstlichen“ Geburtenregelung gegenüber geäußert und daher auch nicht auf weitere Schriften verweisen müssen, die erst zum intendierten Verständnis der Erklärung führten. 4.4.3.2 Künstliche Befruchtung und Embryonenforschung: Eine Frage der Würde Die Äußerungen der gemeinsamen Kommission über die künstliche Befruchtung und den sich anschließenden Umgang mit den gezeugten Embryonen orientieren sich an den bisherigen und den während der Kommissionsarbeit begleitend erschienenen, jeweiligen kirchlichen Verlautbarungen. Die Art und Weise der Befruchtung wird dabei unter dem Aspekt der „Würde der Zeugung“ verhandelt: Sowohl dem Akt der Zeugung selbst wird Würde zugemessen, als auch den Embryonen, die daraus entstehen. Um die kirchlichen Positionen zur IVF deutlich zu machen, wird zunächst auf die bestehenden kirchlichen Positionspapiere verwiesen, bevor die weitergehenden negativen Konsequenzen der IVF aufgezeigt werden. Zunächst verweist die gemeinsame Erklärung für die katholische Position auf die „Instruktion über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung“ von 1987.188 Um die evangelische Position zu erläutern wird auf die Handreichung der 185 Rat der EKD und die DBK, Gott ist ein Freund des Lebens, 1989, S. 88. 186 Vgl. ebenda, S. 72. 187 Zur Vermeidung von ungewollten Schwangerschaften solle man, so Platz, weniger auf die Pille setzten: „Das sexuelle Verhalten lasse sich weniger durch technische Mittel, als vielmehr durch geeignete Klärung und Bildung beeinflussen.“ Niederschrift über die 5. Sitzung der evangelischkatholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 15. Dezember 1987 vom 23.12.1987, EZA 3/07/10763. 188 Von katholischer Seite aus wird sogar von einem positiven Recht ausgegangen, dass einem jedem menschlichen Lebewesen zugestanden werden muss: Das Recht, auf sexuellem Wege gezeugt zu werden! Entsprechend hält die katholische Seite fest: „Diese Verfahren [In-Vitro-Fertilisation

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EKD „Von der Würde werdenden Lebens“ verwiesen.189 Beide Kirchen lehnen das Verfahren prinzipiell ab. Trotzdem erkennen die Autoren, dass dieses viele Menschen nicht abhält, es dennoch zur Durchsetzung eines eigenen Kinderwunsches zu nutzen. Daher kommt es zu der Formulierung: „Soweit im Gegensatz zu der von den Kirchen eingenommenen Position dieses Verfahren faktisch dennoch angewandt wird, ist zu fordern, daß nur so viele Embryonen erzeugt werden, wie tatsächlich übertragen werden können und sollen […].“190

Rein technisch ist dieser Wunsch nicht durchsetzbar, da die Zellteilung, die zum Embryo führt, nicht beeinflussbar ist. Die Forderung macht aber deutlich, welche Wertehierarchie an das Verfahren angelegt wird: Eine von beiden Kirchen als „unwürdig“ qualifizierte Zeugung ist eher hinzunehmen, als die Beseitigung überzähliger Embryonen. Die Existenz dieser „überzähligen Embryonen“ nämlich berge das Risiko, das an ihnen geforscht werde. Dies drückt keine Forschungsfeindlichkeit aus, sondern zeigt nur die Konsequenz der Embryonenforschung auf, die bis zum heutigen Zeitpunkt ausschließlich eine „verbrauchende“ Embryonenforschung ist. Die Embryonen, an denen geforscht wird, haben keine Möglichkeit, sich anschließend weiter zu entwickeln. Einer wie auch immer gearteten „verbrauchenden Embryonenforschung“ müsse, so wird festgehalten, daher ein Riegel vorgeschoben werden.191 An der Vorstellung, dass die Zeugung von Kindern nur in der Ehe ihren moralisch legitimen Ort hat, wird dabei prinzipiell festgehalten.192 Die faktische Existenz

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(Anm.OG)] widersprechen der dem Embryo eigenen Würde als eines menschlichen Wesens und verletzen gleichzeitig das Recht jeder Person, innerhalb der Ehe und durch die Ehe empfangen und geboren zu werden. Auch die Versuche und Hypothesen, die darauf abzielen, ein menschliches Wesen ohne jede Verbindung mit der Sexualität mittels ‚Zwillingsspaltung‘, Klonierens oder Parthenogenese zu gewinnen, stehen im Gegensatz zur Moral, weil sie sowohl der Würde der menschlichen Fortpflanzung als auch derjenigen der ehelichen Vereinigung widersprechen.“ Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion, 1987, in: Wehowsky (Hrsg.), Lebensbeginn, 1987, S. 21f. Die Synode wog beide Seiten ab, bevor sie ihren Rat zum Verfahren aussprach: „Gewichtige Gründe sprechen gegen die extrakorporale Befruchtung. Aber die Not der ungewollten Kinderlosigkeit darf nicht gering geschätzt werden. Der Wunsch nach einem Kind rechtfertigt jedoch noch nicht jede medizinische Maßnahme. Darum rät die Synode vom Verfahren der extrakorporalen Befruchtung ab.“ Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Achtung, 1987, S. 5. Rat der EKD und die DBK, Gott ist ein Freund des Lebens, 1989, S. 64f. Bereits im Vorgriff auf das sich parallel im parlamentarischen Prozess befindliche Embryonenschutzgesetz wird in der gemeinsamen Erklärung formuliert: „Schon die kleinste Bewegung in die Richtung auf die Zulassung ‚verbrauchender‘ Forschung an Embryonen überschreitet eine wesentliche Grenze.“ ebenda, S. 65. „Auch wenn es in unserer Lebenswirklichkeit verschiedene Formen des Zusammenlebens von Frau und Mann gibt, so ist doch die auf Dauer angelegte Gemeinschaft in einer Ehe dafür die geeignetere und verläßlichste Form.“ ebenda, S. 75. Vergleiche dazu: „Nach christlicher Überzeugung ist eine liebevolle Familie der beste Rahmen für das Heranwachsen von Kindern. Die Manipulation von Zeugung, Empfängnis und Schwangerschaft gefährdet Bindung und Bestand von Ehe und Fa-

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alleinerziehender Mütter führte jedoch dazu, dass auch hierzu eine Aussage gemacht wurde, und zwar eine beachtenswert positive: „Gerade in manchen kirchlichen Kreisen gibt es noch ausdrückliche oder unausgesprochene Vorbehalte gegenüber Alleinerziehenden. Dabei spielt die Besorgnis eine Rolle, das Leitbild der Ehe als Basis für das Familienleben könne beeinträchtigt werden. Im Blick auf die schwierige Situation der Alleinerziehenden dürfen jedoch ethische Urteile über bestimmte Lebensformen die Fähigkeit, Menschen in ihrer Situation wahrzunehmen, und die Bereitschaft zur Hilfe nicht einschränken.“193 Abschließend bleibt zudem festzustellen, dass die noch in der evangelischen Stellungnahme ablehnend beurteilte „Pränatale Diagnostik“ nun über den medizinischen Nutzen hinaus positiv bewertet wird.194 Die pränatale Diagnostik wird explizit als Chance, eine Beziehung zum Fetus aufzubauen, gesehen und entsprechend gewürdigt195: „Neuere medizinische Untersuchungs- und Darstellungsmethoden wie etwa die Ultraschallaufnahme des Fetus tragen dazu bei, die Wahrnehmung für das wunderbare und geheimnisvolle Wachsen des Lebens zu schärfen.“196

4.4.3.3 Schwangerschaftsabbruch Nachdem beide Kirchen sich anlässlich der in den 1970er Jahren geführten Debatte um die rechtliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruches auch zu den ethischen Implikationen des Abbruchs geäußert hatten, wird auch in „Gott ist ein Freund des Lebens“ die Linie fortgesetzt, dass aus theologischer Sicht ein Abbruch abgelehnt wird. Die Autoren finden dabei deutliche Formulierungen: „Schwanger-

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milie.“ Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Achtung, 1987, S. 5f. Und auch: „Zeugung und Geburt gehören nach christlichem Verständnis in den Zusammenhang von Liebe und Ehe. […] Der Zusammenhang von Liebe, Zeugung und Geburt wird aufgelöst, wenn der Akt der Zeugung durch medizinische Eingriffe ersetzt wird.“ Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Würde, 1985, S. 1. Rat der EKD und die DBK, Gott ist ein Freund des Lebens, 1989, S. 74. Die Vorstellung, dass Frauen Kinder bekommen, diese alleine großziehen und dieses auch noch so planen, überstieg die zeitgenössische Vorstellungswelt der Autoren der kirchlichen Handreichung. Das Selbstverständliche wird daher nocheinmal festgehalten: „Der Wunsch auch einer alleinstehenden Frau Mutter zu werden, ist verständlich. Sie sollte aber, wenn sie eine extrakorporale Befruchtung in Erwägung zieht, bedenken, daß ihr Kind ohne Vater aufwachsen würde.“ Und weiter: „Nach christlicher Überzeugung ist die liebevolle Familie der beste Rahmen für eine Kindheit […]“ Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Würde, 1985, S. 4. „Pränatale Diagnostik lediglich zum Zweck einer Geschlechtsbestimmung ist wegen des möglichen Missbrauchs ethisch nicht vertretbar und muß ausgeschlossen bleiben.“ ebenda, S. 7. Siehe auch die katholische Beurteilung der Pränataldiagnostik: „Die vorgeburtliche Diagnostik läßt tatsächlich den Zustand des Embryos und des Fötus erkennen, solange er sich noch im Mutterleib befindet. […] Eine solche Diagnostik ist erlaubt, wenn die angewandten Methoden […] das Leben und die Integrität des Embryos und seiner Mutter wahren […].“ Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion, 1987, in: Wehowsky (Hrsg.), Lebensbeginn, 1987, S. 16. Rat der EKD und die DBK, Gott ist ein Freund des Lebens, 1989, S. 66.

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schaftsabbruch soll nach Gottes Willen nicht sein.“197 Bemerkenswert sind jedoch einige Punkte, die in diesem Kontext von anderen Stellungnahmen abweichen: 1.) In der Debatte um den Schwangerschaftsabbruch findet sich ein deutlich milderer Ton als in zuvor veröffentlichten Stellungnahmen. 2.) Die Einstellung zur Notlagenindikation wird gelockert. 3.) Die Finanzierung des Schwangerschaftsabbruches durch die Krankenkassen wird nicht explizit verurteilt. 4.) Zum Deckungsverhältnis von Recht und Moral werden die konfessionell vertretenden Unterschiede transparent dargestellt. 1.) Die schwierige Situation, in der sich Frauen befinden, die über eine Abtreibung nachdenken, wird geradezu verständnisvoll beschrieben, wenn ausgesagt wird: „In einer äußersten Zuspitzung können die betroffenen Menschen aber in ihrem Gewissen dem Konflikt ausgesetzt sein, daß sie Gottes Gebot wohl als für sich verbindlich anerkennen, aber dennoch angesichts der unerträglich erscheinenden Schwierigkeit, in die sie die Schwangerschaft gebracht hat, für sich keinen Weg sehen, das ungeborene Kind anzunehmen und also am Leben zu erhalten. Wenn in ganz besonderen und mit anderen Situationen nicht ohne weiteres vergleichbaren Fällen das Leben der Mutter gegen das Leben des Kindes steht und ein Schwangerschaftsabbruch aus medizinischen Gründen angezeigt ist, muß unausweichlich eine Entscheidung getroffen werden, die so oder so das Gewissen belastet. Konfliktlagen von die198 ser Schärfe können nicht allgemeinverbindlich aufgelöst werden.“

Der Sache nach wird dabei nicht abgewichen von vorherigen Stellungnahmen beider Kirchen, jedoch ist eine deutliche Verschiebung in den Formulierungen festzustellen. Die katholische Kirche wich dabei von ihren traditionell harten Formulierungen ab. So attestierte die Kongregation für die Glaubenslehre dem Schwangerschaftsabbruch unmittelbar zuvor die Attribute eines „verabscheuungswürdiges Verbrechens“.199 Auch die theologische Qualifikation des Schwangerschaftsabbruches als Sünde gehörte zum Standardsprachrepertoire katholischer Verlautbarungen zum Schwangerschaftsabbruch.200 Evangelische 197 ebenda, S. 68. 198 ebenda, S. 68f. 199 „Die Kirche hat ihrerseits auf dem II. Vatikanischen Konzil dem heutigen Menschen von neuem ihre gleichbleibende und sichere Lehre vorgelegt, wonach das ‚menschliche Leben von der Empfängnis an mit höchster Sorgfalt zu schützen ist‘. Abtreibung und Tötung des Kindes sind verabscheuungswürdige Verbrechen“ Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion, 1987, in: Wehowsky (Hrsg.), Lebensbeginn, 1987, S. 14. Der Begriff „verabscheuungswürdiges Verbrechen“ entstammt dabei wörtlich der Verlautbarung „Gaudium et Spes“. 200 Vgl. z.B. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Für das Leben, 1986, S. 12.: „Wer mit vollem Wissen und in freier Entscheidung in dieser Weise gegen ein ungeborenes Kind, gegen sich selbst und letztlich gegen Gott handelt, versündigt sich schwer.“ Auch im Kirchenrecht wird die Sünde aufgenommen: „Das Kirchenrecht von 1983 stellt […] lapidar fest: ‚Wer eine Abtreibung vornimmt, zieht sich mit erfolgter Ausführung die Tatstrafe der Exkommunikation zu. (CIC c 1398)‘“ Spieker, Kirche und Abtreibung, 2008, S. 108.

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Äußerungen hatten sich dabei in der Sache zwar ähnlich ausgedrückt, waren aber immer vorsichtiger, ja geradezu abwägend geblieben.201 Sie sahen von absoluten Aussagen oder Beurteilungen ab und ließen dem individuellen Gewissen einen Spielraum: „Es gibt Fälle, in denen eine Frau durch eine Schwangerschaft in eine solche Bedrängnis gerät, daß das Strafrecht ein Austragen der Leibesfrucht nicht erzwingen sollte. Wo sich menschlich gesehen einer Frau kein anderer Ausweg zeigt, ist es ihre Gewissensentscheidung, ob sie von der durch Straffreiheit gegebenen Möglichkeit Gebrauch macht.“202 2.) Von der von der katholischen Kirche stringent vertretenden Ablehnung der gesetzlich geregelten Notlagenindikation wird in „Gott ist ein Freund des Lebens“ abgerückt. Abweichend von allen anderen katholischen Stellungnahmen findet sich der Satz: „[…] wie insbesondere die Notlagenindikation, der gegenwärtigen Gesetzeslage entsprechend, nur in den Fällen bejaht wird, in denen eine nicht anders abwendbare Belastung der Schwangeren durch die Notlage so schwer ist, daß sie einer Gefahr für das Leben oder der Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren gleichgeachtet werden kann.“203

Die Verengung darauf, dass nur in der Entscheidung „Leben gegen Leben“ die Indikation gestellt werden könne, ist zwar deutlich enger definiert, als in der damaligen Praxis üblich, sie lässt jedoch trotzdem Spielraum, indem auch der seelische Gesundheitszustand als Lebensbedrohung definiert wird. 3.) Zu der gesellschaftlich umstrittenen Frage, ob ein ärztlich durchgeführter Schwangerschaftsabbruch durch die Krankenkassen finanziert werden müsste oder nicht, hatte die evangelische Kirche keine gegenteilige Meinung vertreten. Die katholische Kirche jedoch sah durch die Aufnahme des Abbruches in die Leistungskataloge der Krankenkassen eine große Schwierigkeit, da so auch mit dem Geld katholischer Christen Schwangerschaftsabbrüche finanziert würden. Eine totale Absage an dieses System fehlt wider Erwarten in der gemeinsamen Erklärung. Es findet sich lediglich der Hinweis, dass der so finanzierte Abbruch

201 „Leben ist ein Geschenk Gottes […] darum sollen wir es schützen […]. Wer dieses Leben antastet, legt – auch wenn er es nicht weiß – Hand an sich selber.“ Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Erklärung des Rates, 1986b, in: Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.), Stellungnahmen, 1986, S. 9. 202 Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Erklärung des Rates, 1986a, in: Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.), Stellungnahmen, 1986, S. 4. 203 Rat der EKD und die DBK, Gott ist ein Freund des Lebens, 1989, S. 83.

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„politisch und rechtlich umstritten [ist, er werde OG], nicht nur aus religiösen Beweggründen, zum Teil als schwere Gewissensbelastung der Beitragszahler empfunden.“204

Die katholische Kirche hatte somit in der gemeinsamen Erklärung im Bereich des Schwangerschaftsabbruchs große Zugeständnisse gemacht. 205 4.) Zum Deckungsverhältnis von Recht und Moral werden die unterschiedlichen Auffassungen der beiden Kirchen festgehalten. „Die katholische Kirche hat stets erklärt, daß sie sich mit der geltenden Rechtslage nicht abfinden könne und nicht abfinden werde. Sie strebt nicht einfachhin eine Rückkehr zum früheren Rechtszustand an, ist aber der Auffassung, daß die §§ 218ff StGB nicht für unantastbar erklärt werden dürfen, wenn nur durch eine Änderung – sicherlich in Verbindung mit anderen Maßnahmen – der Schutz ungeborenen Lebens verbessert werden kann.“206

Für die evangelische Seite wird festgehalten: „Die Evangelische Kirche in Deutschland hat in ihren Stellungnahmen zur Reform des Abtreibungsparagraphen deutlich gemacht, daß die bestehende strafrechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs nicht völlig befriedigend ist, daß jedoch ein verbesserter Schutz des ungeborenen Lebens am ehesten von Gewissensbildung und Bewußtmachung sowie von sozialpolitischen Maßnahmen erwartet werden kann und sie deshalb keine Änderung der geltenden Rechtslage anstrebt.“207

Dabei gelte unabhängig für die vorliegende gesetzliche Regelung: „Es ist aber in jedem Fall darauf aufmerksam zu machen, daß eine Handlung nicht schon des-

204 ebenda. 205 Diese hängt ihr bis heute nach. In der katholischen Untersuchung der Schwangerschaftsdiskussion sieht Spieker in der gemeinsamen Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ geradezu den Sündenfall gegeben: „Noch problematischer und schmerzlicher als die Stuttgarter Erklärung waren für die katholische Kirche die Positionsbestimmungen und Einschätzungen der Rechtslage in der gemeinsamen Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz ‚Gott ist ein Freund des Lebens‘ vom 30. November 1989. Die katholische Kirche rückte hier von ihrer prinzipiellen Ablehnung der Notlagenindikation und Finanzierung von Abtreibungen durch die Krankenhäuser ab. Es sei ‚darauf zu dringen‘, dass eine Notlagenindikation nur in den Fällen angewandt wird, ‚in denen eine nicht mehr anwendbare Belastung der Schwangeren durch die Notlage so schwer ist, dass so einer Gefahr für das Leben oder der Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren gleichgeachtet werden kann‘. Zur Finanzierung der Abtreibung nach einer Notlagenindikation hieß es lediglich, dass sie ‚politisch und rechtlich umstritten‘ sei und ‚zum Teil als schwere Gewissensbelastung der Beitragszahler empfunden‘ werde.“ Siehe Spieker, Kirche und Abtreibung, 2008, S. 50. 206 Rat der EKD und die DBK, Gott ist ein Freund des Lebens, 1989, S. 85. 207 ebenda.

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halb, weil sie nicht gegen das staatliche Recht verstößt, auch in jedem Fall ethisch erlaubt ist.“208 4.4.3.4 Schutz des Lebens am Lebensende Die Äußerungen zur Sterbehilfethematik sind in der gemeinsamen Erklärung unspektakulär harmonisch. Beide Kirchen bleiben in der Bewertung und in der Kommunikation ihrer Standpunkte konform zu früheren Verlautbarungen, auch zwischen den beiden Kirchen gab es keine konfessionell motivierten Differenzen. Trotzdem war die Sterbehilfethematik zuvor noch nie in einer gemeinsamen Erklärung behandelt worden – es äußerten sich beide Kirchen in dieser gemeinsamen Erklärung zur Sterbehilfethematik erstmalig gemeinsam. Für die EKD war die gemeinsame Zusammenarbeit in der Sterbehilfethematik sogar Anlass, erstmalig eine vom Rat der EKD verabschiedete Stellungnahme zur Sterbehilfe abzugeben.209 Abweichend zu der bisher vornehmlichen Ausrichtung an einer biologischen Lebensauffassung wurde beim Lebensende von beiden Kirchen dann aber doch ein „menschlich würdiges Leben“ in den Vordergrund gerückt, welches ein „würdiges Sterben“ einschließt und von einer medizinisch forcierten Lebensverlängerung absieht, solange dadurch nicht auch die entsprechende Lebensqualität erhalten bleibe. Die Vorgänge am Lebensende sollten sich, so beide Kirchen, nicht an einer rein das biologische Leben verlängernden Behandlung orientieren, sondern die individuellen Wünsche des individuell Sterbenden berücksichtigen und seine Autonomie wahren. Sterbehilfe wird daher vornehmlich als Sterbebegleitung aufgefasst. Dort, wo dann doch das Leben des Sterbenden in der Behandlung relevant wird, wird die Autonomie des Sterbenden betont: „Es darf nicht verhindert werden, daß der Sterbende auch am Ende seines Lebens selbst über sich bestimmt. Das schließt ein, daß man des Anderen Weise, sterben zu wollen, selbst dann achtet, wenn man an sich sein Vorgehen nicht billigt. Wenn ein Sterbenskranker äußerungsfähig ist und bewußt weitere medizinische Maßnahmen ablehnt, so ist ihm zu folgen.“210

208 ebenda, S. 84. 209 Die Schrift ist bis heute das einzige vom Rat der EKD verabschiedete Dokument zur Sterbehilfe. Dies liegt nicht daran, dass keine anderen Texte erarbeitet wurden (wie z.B. von der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD: Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD, Im Geist der Liebe mit dem Leben umgehen. Argumentationshilfe für aktuelle medizin- und bioethische Fragen, Hannover 2002.) sondern am fehlenden Konsens zwischen Kammern und Rat. Siehe hierzu Stefanie Schardien, Evangelische Kirche in Deutschland, in: Stefanie Schardien (Hrsg.), Mit dem Leben am Ende. Stellungnahmen aus der kirchlichen Diskussion in Europa zur Sterbehilfe, Göttingen 2008, S. 125–132, hier S. 125. 210 Rat der EKD und die DBK, Gott ist ein Freund des Lebens, 1989, S. 106.

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Damit wird, ohne den Begriff zu gebrauchen, das beschrieben, was heute als passive Sterbehilfe verstanden wird.211 Die Sterbeprozesse aktiv zum letalen Ausgang hin zu beeinflussen – also aktive Sterbehilfe –, wird in großer Kontinuität zu früheren Äußerungen beider Kirchen abgelehnt und als Tötung disqualifiziert: „Das Töten eines anderen Menschen kann unter keinen Umständen eine Tat der Liebe, des Mitleids mit dem anderen, sein, denn es vernichtet die Basis der Liebe.“212 Das, was heute allgemein als „indirekte Sterbehilfe“ aufgefasst wird, wurde als einzig mögliche lebensbeeinflussende Sterbehilfe formuliert: „Mit den pharmakologischen und operativen Mitteln der modernen Medizin ist, wenn der Patient das will, eine weitgehende Schmerzlinderung möglich. Dabei kann der Fall eintreten, daß solche Leidensverminderung mit dem Risiko der Lebensverkürzung behaftet ist. Wenn das Eintreten des Todes nicht beabsichtigt ist, Zweck des Handelns vielmehr ist, das noch verbliebene Leben eines Sterbenden erträglich zu machen, so kann das tödliche Risiko als Nebenwirkung hingenommen werden.“213

Eine Beihilfe zur Selbsttötung wird von beiden Kirchen abgelehnt, wobei die äußere Verurteilung eines Suizidalen explizit nicht geschehen soll. „In der Selbsttötung verneint ein Mensch sich selbst. Vieles kann zu einem solchen letzten Schritt führen. Doch welche Gründe es auch sein mögen – keinem Menschen steht darüber von außen ein Urteil zu.“214 Durch die explizite Würdigung eines Sterbens unter Ausschluss der Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten wird der Schutz des Lebens also dadurch gewährleistet, dass der Lebensbegriff beim Sterben nicht überstrapaziert wird. 4.4.3.5 Organspende Hinsichtlich der Organspende äußert sich die gemeinsame Erklärung positiv ermutigend den medizinischen Möglichkeiten gegenüber. Die katholische Kirche hatte bis in die 50er Jahre hinein eine ablehnende Position vertreten und die Organspende verurteilt, da sie als gegen das Verstümmelungsverbot stehend eingestuft wurde. 211 Für eine heutige Einstufung siehe zum Beispiel: Gunnar Duttge, Rechtliche Typenbildung: Aktive und passive, direkte und indirekte Sterbehilfe, in: Dietrich Kettler/Alfred Simon/Reiner Anselm/Volker Lipp/Gunnar Duttge (Hrsg.), Selbstbestimmung am Lebensende. Ringvorlesung im Wintersemester 2005/06, Göttingen 2006, S. 36–68. 212 Rat der EKD und die DBK, Gott ist ein Freund des Lebens, 1989, S. 107. 213 ebenda, S. 108. 214 ebenda, S. 107. Gerade die Verurteilung von „außen“ war zuvor jedoch gängige Praxis. Dass Sterbende tatsächlich sterben wollen, war nicht gängige Auffassung, wie ein Blick in das Katholische Soziallexikon von 1980 offenbart: „Zahlreiche Untersuchungen der letzten Jahre haben ergeben, daß der Ruf eines Kranken nach Euthanasie gar nicht ein Verlangen getötet zu werden bedeutet, sondern vielmehr ein verzweifelter Ruf nach sorgender Liebe […] ist.“ Bernhard Häring, Euthanasie, in: Alfred Klose/Wolfgang Mantl/Valentin Zsifkovits (Hrsg.), Katholisches Soziallexikon, Innsbruck, München, Graz, Wien, Köln 1980, S. 626–631, hier S. 627.

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Sie nahm jedoch ab den frühen 60er Jahren die gegenteilige Position ein. Die evangelische Kirche hatte wiederum keine offizielle Äußerung abgegeben, sich aber generell dieser medizinischen Entwicklung positiv gegenüber eingestellt. Generell wird die Organtransplantation in den Kontext der Nächstenliebe gestellt: „Die Organspende kann eine Tat der Nächstenliebe über den Tod hinaus sein.“215 Der Abschnitt in der gemeinsamen Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ ist sehr kurz und allgemein gehalten, da seit 1988 eine Arbeitsgruppe von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland eingesetzt war, um eine gemeinsame Stellungnahme zur Organspende zu erarbeiten und dieser nicht vorgegriffen werden sollte.216 In dem kurzen Abschnitt wird die Lebendspende sehr kritisch beurteilt und lediglich für zweipaarige Organe als ethisch legitim gesehen. Im Umgang von Organspenden von verstorbenen Menschen schulde man den Verstorbenen zwar „Pietät“, dies sei jedoch kein Grund sich der Organentnahme zu enthalten.217 Festgehalten wird, dass eine Organspende nur dann er215 Rat der EKD und die DBK, Gott ist ein Freund des Lebens, 1989, S. 103. 216 Die Arbeitsgruppe war zunächst nur von katholischer Seite eingerichtet, jedoch dann zur gemeinsamen Arbeitsgruppe hin geöffnet worden. Honecker beschreibt aus der Rückschau: „Gleichzeitig mit der Gemeinsamen Erklärung ‚Gott ist ein Freund des Lebens‘ befasste sich eine Arbeitsgruppe mit Fragen der Gewebe- und Organtransplantationen. Die Gruppe bestand ursprünglich nur aus katholischen Mitgliedern, wurde dann jedoch durch die Mitarbeit des früheren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Prof. Dr. Eduard Lohse, erweitert.“ Martin Honecker, Einführung: Organtransplantationen. Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD (1990), in: Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland 1962–2002. Digitale Edition auf CD-ROM, Hannover 2002, S. 1. In der gemeinsamen Erklärung zur Organtransplantation wird als Vorarbeit explizit auf „Gott ist ein Freund des Lebens“ verwiesen. Auch wird darin sehr ähnlich zu „Gott ist ein Freund des Lebens“ formuliert: „Aus christlicher Sicht ist die Bereitschaft zur Organspende nach dem Tod ein Zeichen der Nächstenliebe und Solidarisierung mit Kranken und Behinderten.“ Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Organtransplantationen. Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover, Bonn 1990, S. 23. Der katholische Johannes Reiter (Professor für Moraltheologie, Mainz) gehörte der Arbeitsgruppe „Organtransplantation“ ebenfalls an – als einziger der in der gemeinsamen Kommission „Schutz des Lebens“ mitarbeitenden Arbeitsgruppenmitglieder. Die weiteren Kommissionsmitglieder waren: Heinz Angstwurm (Professor für Neurologie, München), Friedrich Wilhelm Eigler (Professor für Chirurgie, Essen), Michael Figura (Sekretär der Glaubenskommission der DBK, Bonn), Ulrich Frei (Professor für Nephrologie, Hannover), Franz Furger (Professor für Sozialethik, Münster), Werner Klinner (Professor für Herzchirurgie, München), Karl Lehmann (Bischof von Mainz und Professor für Dogmatik, Mainz), Eduard Lohse (Landesbischof i.R. und Professor für Neues Testament, Göttingen), Hubert Luthe (Weihbischof von Köln), Karl Panzer (Jurist, Köln/Bonn), Rudolf Pichlmayr (Professor für Chirurgie, Hannover), Arthur Reiner (Klinikpfarrer, Heidelberg), Gregor Spieß (Referent in der Zentralstelle Pastoral der DBK, Bonn), Gabriele Wolfslast (Juristin, Göttingen). Siehe ebenda, S. 3. Die gemeinsame Erklärung „Organtransplantationen“ ist die erste Erklärung der damit beginnenden Reihe „Gemeinsame Texte“ die seitdem die gemeinsam verantworteten und i.d.R. auch gemeinsam erarbeiteten Erklärungen der beiden Kirchen abdruckt. Bis dahin wurden die gemeinsamen Erklärungen im jeweils eigenen den Kirchen zugehörigen Hausverlag publiziert. 217 „Die Verpflichtung zur Pietät gegenüber dem Verstorbenen ist kein Einwand gegen die Organentnahme. Im Umgang mit dem Leichnam schuldet man die Pietät einer verstorbenen Person. Aus der

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folgen kann, wenn man sicher sein könne, dass der Verstorbene selbst keine gegenteilige Entscheidung getroffen hätte. Einem rein am biologischen Leben orientierten Lebensverständnis wird deutlich entgegengehalten: „Bei Organverpflanzungen besteht freilich die Versuchung, daß man meint, durch neue Organe dem Leben neue Jahre schenken zu können, ohne daß es gelingt, den Jahren neues Leben zu schenken.“218

4.5 Genese der gemeinsamen Erklärung Im Folgenden soll die Genese der bereits dargestellten Inhalte der gemeinsamen Erklärung untersucht werden. Es wird dadurch deutlich, wie die Endgestalt der Erklärung zustande kam. Ein Fokus wird auf die Aktivitäten der Arbeitsgruppenmitglieder gelegt; so zeigt sich, dass und inwiefern die Ergebnisse der gemeinsamen Erklärung von der konkreten Zusammenarbeit der beteiligten Individuen abhängig waren und welche Kompetenzen dabei eingebracht wurden. 4.5.1 Vorgehen der Arbeitsgruppe und Fokussierung auf die Lebensthematik Bevor die erste Kommissionssitzung stattfand, hatten sich Hermann Barth und Johannes Niemeyer, die beide als Geschäftsführer der gemeinsamen Kommission benannt – und somit für die Kommunikation unter den jeweils „eigenen“ Mitgliedern zuständig –waren, verständigt, die Kommissionsmitglieder mit Informationsmaterial aus den je eigenen Kirchen zu versorgen. Barth sandte allen Kommissionsmitgliedern in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der evangelischen Hälfte vor dem ersten Sitzungstermin umfangreiches Informationsmaterial aus dem evangelischen Raum.219 Die Literatur war vorsortiert und zu verschiedenen Bereichen zusammengestellt: 1.) Schwangerschaftsabbruch, 2.) Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie, 3.) Sterbehilfe, 4.) Friedensethik, 5.) Atomenergie.220 Zudem wurAchtung der Pietät folgt jedoch nach christlichem Verständnis kein absolutes Verbot eines Eingriffs.“ Rat der EKD und die DBK, Gott ist ein Freund des Lebens, 1989, S. 104. 218 ebenda, S. 103. 219 Brief von Barth an die berufenen Mitglieder der gemeinsamen Kommission „Schutz des Lebens“ vom 4.3.1987, EZA 3/07/10761: „[…]für die Auswahl des Materials aus dem Raum der Evangelischen Kirche war der Gesichtspunkt leitend: Der Schutz des Lebens ist unteilbar.“ 220 Im Einzelnen (soweit veröffentlicht): EKD und Kirchenbund in der DDR, Zum 40. Jahrestag des Kriegsendes ein gemeinsames Wort zum Frieden, Frankfurt am Main 1985; Rat der EKD und die DBK, Grundwerte und Gottes Gebot, 1992, in: Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Denkschriften, 1992; Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Würde, 1985; Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Verantwortung, 1985; Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen, Wort der Landessynode 1986 „Verantwortung für Gottes Schöpfung angesichts von Umweltzerstörung, Arbeitslosigkeit, Hunger in der Dritten Welt, Rüstungseskalation“ vom 14.11.1986; Rat der

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den allen Kommissionsmitgliedern die beiden letzten gemeinsam erstellten Erklärungen „Grundwerte und Gottesgebot“ von 1979 und „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung“ von 1985 zur Verfügung gestellt. Niemeyer sandte den Kommissionsmitgliedern die Literatur aus dem katholischen Raum erst zwei Wochen später zu.221 Er orientierte sich in der Auswahl der Texte an der von Barth vorgelegten Einteilung und gliederte sie entsprechend.222 Damit hatte Barth, ohne dass dies weiter thematisiert wurde, durch seine Gliederung der Unterlagen die Inhalte

Evangelischen Kirche in Deutschland, Frieden wahren, fördern, 1981, in: Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Denkschriften, 1978; Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wort des Rates, in: Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Denkschriften, 1983; Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Erklärung des Rates, 1981, in: Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Denkschriften, 1981; Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wort des Rates, 1981, in: Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Denkschriften, 1981; Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Erklärung des Rates, 1986a, in: Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.), Stellungnahmen, 1986; Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Erklärung des Rates, 1986b, in: Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.), Stellungnahmen, 1986; Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, 1986; Röckle, Es frommt nicht, 1988; Otto (Hg.) Schnübbe, Embryonentransfer und Gentechnologie. Chancen und Gefahren, in: Vorlagen, 46/47, S. 1–52; Texte aus der VELKD, Du hast mich gebildet, 1986; Erwin Wilkens, Öffentliche Anhörung des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform zur Reform des § 218 StGB am 12. April 1972. Beitrag von Oberkirchenrat Erwin Wilkens, im Auftrage des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ehe, Familie, Sexualität, Jugend, Gütersloh 1981, S. 218–232. 221 Brief von Niemeyer an die Mitglieder der evangelisch-katholischen Komission „Schutz des Lebens“ vom 17.3.1987, AEK Zug. 862 NR. 249. 222 Im Einzelnen (soweit veröffentlicht): Deutsche Bischofskonferenz, Menschenwürdig sterben und christlich sterben, Bonn 1978; Joseph Höffner, Nicht töten sondern helfen! Zehn Grundsätze über den Schutz des ungeborenen Lebens, Köln 1977; Joseph Höffner, Mensch und Natur im technischen Zeitalter. Eröffnungsvortrag auf der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz, Fulda, September 1980, in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zu Fragen der Umwelt und der Energieversorgung, Fulda 1980, S. 22–45; Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Joseph Kardinal Höffner: Das Friedensproblem im Licht des christlichen Glaubens. Vortrag zur Eröffnung der Deutschen Bischofskonferenz 21. September 1981 in Fulda, Fulda 1981; Joseph Höffner, Das Kind aus der Retorte, Köln 1984; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion, 1987, in: Wehowsky (Hrsg.), Lebensbeginn, 1987; Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Für das Leben, 1986; Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Zukunft der Schöpfung; Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre zur Euthanasie, Bonn 1980; Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Gerechtigkeit schafft Frieden. Wort der Deutschen Bischofskonferenz zum Frieden, Bonn 1983; Robert Spaemann, Kein Recht auf Leben? Argumente zur Grundsatzdiskussion um die Reform des § 218, Köln 1974; Weltbild, Tierversuche; Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, Zur aktuellen Friedensdiskussion. Stellungnahme der Vollversammlung des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (1981), in: Zentralkomitee der Deutschen Katholiken: Berichte und Dokumente (1982), S. 46–64; Die Bischöfe von Luxemburg, Her– ausforderung Kernenergie – Ruf in die Verantwortung. Gemeinsame Erklärung der Bischöfe von Luxemburg, Metz und Trier vom 3. Juni 1986, in: Bonn Im Arbeitskreis Umwelt Kommissariat der Deutschen Bischöfe (Hrsg.), Zur Bewertung der Kernenergie-Nutzung, Bonn 1996, S. 43–48.

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und auch die in den späteren Besprechungen eingehaltene Reihenfolge dieser Inhalte bestimmt. Am 20. März nahm schließlich die „evangelisch-katholische Kommission ‚Schutz des Lebens‘“ ihre Arbeit auf und traf sich zur konstituierenden Sitzung im evangelischen Tagungshaus des Dominikanerklosters in Frankfurt/Main. Bevor die Besprechung in großer Runde aufgenommen wurde, trafen sich die Arbeitsgruppenmitglieder jedoch zunächst getrennt nach den jeweiligen Konfessionen zu einem kurzen Vorgespräch.223 In dem Vortreffen der evangelischen Gruppe gab Martin Honecker zunächst einen Rückblick auf die beiden früheren gemeinsamen Erklärungen und die damit verbundenen evangelisch-katholischen Kommissionen und erläuterte das dabei praktizierte Vorgehen. Er war in beiden ehemaligen gemeinsamen Arbeitsgruppen Mitglied gewesen und hatte somit die meiste Erfahrung in dieser Form der Kommissionsarbeit. Zudem wurde den evangelischen Mitgliedern die Zielsetzung der gemeinsamen Kommission deutlich gemacht: Hermann Barth erklärte, dass am Ende der Arbeit eine größere Publikation stehen solle, die „entsprechend der Veröffentlichung zu den Grundwerten und zur Schöpfung“ gemäß Inhalt und Umfang anschlussfähig seien sollte.224 Diese Ausarbeitung sollte die „Verantwortung für das Leben insgesamt und lebensfeindliche Tendenzen in unserer Gesellschaft in den Mittelpunkt […]“ stellen.225 In der sich anschließenden Aussprache stellten einige Mitglieder ihre Erwartungen an die gemeinsame Arbeit heraus. Hilde Wintzer befürchtete, dass es in der Frage des Schwangerschaftsabbruches größere Konflikte in der Meinungsfindung bzw. in der schriftlichen Abfassung geben werde. Den Zusammenhang zwischen dem „Schutz des Lebens“ allgemein und speziell im Kontext des Schwangerschaftsabbruches differenziert herauszustellen, war ihr ein wichtiges Anliegen. Hanns Engelhardt pflichtete ihr bei: „Die Stimmen aus dem katholischen Raum erwecken häufig den Eindruck, daß man in der Frage des § 218 ganz rigoros ist, aber in den anderen Fragen des Schutzes des Lebens sehr viel vorsichtiger argumentiere.“226

Ob, bedingt durch die Differenzen in der Schwangerschaftsabbruchdiskussion, überhaupt ein gemeinsames Wort möglich sei, stellte Wintzer daher in Frage. Honecker sah die Schwierigkeit in der Zusammenarbeit vornehmlich darin, dass die katholische Kirche versuchen werde, „Bundesgenossen für ihre Position“ zu finden

223 Vgl. den Vermerk über das Vorgespräch der evangelischen Mitglieder der Kommission „Schutz des Lebens“ im Rahmen der ersten Sitzung der gemeinsamen Kommission am 20. März 1987, EZA 3/07/10762. 224 ebenda. 225 ebenda. 226 ebenda.

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und dieses im Text herauszustellen.227 Zuletzt wurde vereinbart, dass Honecker als Vorsitzender der evangelischen Kommission fungieren sollte.228 Nach den separaten Treffen versammelten sich die beiden Gruppen zur ersten gemeinsamen Sitzung. Es wurden dabei grundlegende Absprachen getroffen, die sowohl die formellen Abläufe der Treffen betrafen als auch den inhaltlichen Rahmen der gemeinsamen Arbeit absteckten. Um den gemeinsamen Charakter der Zusammenarbeit zu unterstreichen, wurde vereinbart, sich abwechselnd in einer evangelischen und in einer katholischen Tagungsstätte zu treffen. Den Vorsitz sollte dabei dann der innerhalb der konfessionellen Gruppierungen gewählte Vorsitzende der jeweils anderen Konfession übernehmen. Beim ersten Treffen im evangelischen Tagungshaus in Frankfurt/Main übernahm daher Rita Waschbüsch, die als Vorsitzende der katholischen Gruppe bestimmt worden war, die Gesprächsleitung. Anvisiert wurde als Abschluss der Kommissionsarbeit das Ende des Jahres 1988. Die Sitzungen sollten ungefähr alle sechs Wochen stattfinden, wofür auch gleich die Termine ausgemacht wurden. In der Aussprache über die angestrebte Thematik und das gemeinsame Vorgehen der Kommission traten dann recht schnell unterschiedliche Auffassungen zutage. Kasper forderte eine deutliche Zuspitzung auf die Frage des Schutzes des ungeborenen Lebens. Eine Behandlung der Umweltthematik sah er durch die bereits erarbeitete gemeinsame Stellungnahme von 1985 als entbehrlich an, die Friedensthematik brauche ebenfalls nur am Rande behandelt zu werden.229 Dem entgegnend hielt Honecker fest, dass die Friedensthematik keineswegs ausgelassen werden dürfe, da diese in der Tradition der Orthodoxie eine wichtige Rolle spiele. Da „der Kirche“ der Vorwurf gemacht werde, dass sie den Schutz des Lebens nur auf das ungeborene Leben konzentriere und die anderen Bereiche des Lebens vernachlässige, dürfe man die von Kasper vorgeschlagene Eingrenzung der Lebensthematik nicht vornehmen. Engelhardt stellte, Barth beipflichtend, heraus, dass auf allen Bereichen, in denen der Schutz des Lebens betroffen sei, strukturell ähnliche Probleme aufträten, daher liege es nahe, die Thematik in ihrer vollen Breite anzugehen.230 Schließlich wurde Übereinstimmung darin erzielt, die einzelnen Problemfelder des Lebensschutzes erst dann anzugehen, wenn eine dafür nötige „Besinnung auf das Thema Leben“ erfolgt sei. Erst wenn die Arbeitsgruppe sich einig sei, was darunter 227 ebenda. 228 Vgl. ebenda. Über die Inhalte der von den katholischen Vertretern separat abgehaltenen Sitzung ist aus den Akten des Historischen Archivs des Erzbistums Köln leider nichts bekannt, außer dass Frau Waschbüsch als Vorsitzende der katholischen Gruppe bestimmt wurde. 229 Die Friedensthematik hatte in Barths zuvor versandter Literaturliste größeren Raum eingenommen und auch Platz hatte einige Titel dazu aufgelistet. Barth schien sich in der Strukturierung seines Literaturvorschlages auch an den Inhalten des konziliaren Prozesses orientiert zu haben. 230 Niederschrift über die 1. Sitzung der evangelisch-katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 20.03.1987 vom 25.3.1987, EZA 3/07/10762. Engelhardt sieht dabei in den Bereichen Atomenergie, Gentechnologie und Friedenssicherung die Strukturähnlichkeit in der Güterabwägung, die dabei stets getroffen werden müsse.

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zu fassen sei, könne man weiterarbeiten. Koch hob hervor, dass die gemeinsame Erklärung zur Schöpfungsverantwortung hierzu wichtige Vorarbeiten geleistet habe, da es um eine generelle Einstellung dem Leben gegenüber gehe. Durch eine solide bearbeitete Grundlage der „Lebensthematik“, so Platz, würden dann auch die einzelnen Problemfelder Gewicht bekommen. Kasper reichte dies zunächst nicht aus, er forderte, den Lebensbegriff um den Personenbegriff zu erweitern. Honecker wies darauf hin, dass die systematische Diskussion um den Personenbegriff in den Auseinandersetzungen um den § 218 bereits sehr lang sei und daher der Einstieg über die Lebensthematik „ein sinnvoller und hilfreicher Neuansatz“ sei.231 Daraufhin fasste Honecker die Erwartungen zusammen und schlug vor, die Kommission möge sich die Annäherung über die Lebensthematik zunutze machen, um die langwierige und schwierige Diskussionsgeschichte um die Fragen zum § 218 neu zu beginnen. Darin könne ein Neuansatz bestehen, um zu einer Einigung in den Fragen zu kommen.232 Nachdem Honeckers Vorschlag Einigung erzielt hatte, wurde für das weitere Vorgehen festgehalten, dass in den sich an die Lebensthematik anschließenden Fragestellungen der einzelnen Bereiche des Lebensschutzes besonders auf die persönlichen Situationen und praktischen Konsequenzen der Problembereiche eingegangen werden müsse. Hierfür setzte sich besonders Koch ein, der gegen eine allein normative Herangehensweise redete und dafür warb, auch die individuell wahrnehmbaren Folgen dieser Konflikte mit aufzunehmen. Hierbei fand er Unterstützung von Weidle und Wintzer. Buschmann verstärkte diesen Ansatz ebenfalls, indem sie auf die Differenz zwischen einer theologischen Sichtweise und dem real existierenden Lebensgefühl hinwies: „Viele empfinden Leben oder ihr persönliches Leben nicht als Geschenk.“233 Man einigte sich dahingehend, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Beratungsarbeit der Kirchen herangezogen werden sollte, um diese persönlichen Eindrücke der Betroffenen besser würdigen zu können. Insgesamt traf sich die evangelisch-katholische Kommission „Schutz des Lebens“ aufgrund der beschriebenen Verabredungen zu 13 Sitzungen, die in Frank231 ebenda. Auch in Honeckers 2002 vorgenommener Rückschau auf die gemeinsame Erklärung sieht er die Stärke der Schrift in der neuen Füllung des Lebensbegriffs: „Die Verständigung wurde möglich, indem einerseits eine auf katholischer Seite vorhandene Neigung zur Engführung und Konzentration des Themas ‚Leben‘ auf den Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens nicht dominierend wurde, auf der anderen Seite auf evangelischer Seite Tendenzen korrigiert wurden, den Lebensschutz nur noch umfassend ökologisch zu verstehen und umweltethisch zur Sprache zu bringen und darüber die besondere Würde menschlichen Lebens zurücktreten zu lassen und zu vernachlässigen.“ Martin Honecker, DS 1989: Gott ist ein Freund des Lebens. Einführung, in: Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland 1962–2002. Digitale Edition auf CDROM, Hannover 2002, hier S. 1. 232 Vgl. Niederschrift über die 1. Sitzung der evangelisch-katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 20.03.1987, EZA 3/07/10762. 233 Wohl um dieser Schwierigkeit – Normatives und Situatives zu vereinbaren – Rechnung zu tragen, schlug Kasper vor, dass die vorzubereitende Äußerung eher den Charakter eine Denkschrift haben solle als den eines „pastoralen Wortes“. ebenda.

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furt/Main bzw. in Bonn abgehalten wurden. Als Tagungsort dienten dabei immer abwechselnd ein evangelisches und ein katholisches Tagungshaus.234 Während auf den ersten sechs Sitzungen die Diskussion einzelner ethischer Sachthemen verfolgt wurde, ging die Kommission ab der siebten Sitzung dazu über, die Sitzungen zweizuteilen, denn zu diesem Zeitpunkt bestand bereits eine Textgrundlage, die in den sich anschließenden Sitzungen immer weiter besprochen und überarbeitet wurde. In der ersten Hälfte der Sitzungen wurde somit in der siebten bis zur neunten Sitzung inhaltlich zu einem Thema gearbeitet und der zweiten Hälfte die jeweilige zur Sitzung vorliegende Textgrundlage bearbeitet. Ab der zehnten Sitzung wurden keine neuen ethischen Themen mehr angeschnitten, sondern einzelne, durch die Bearbeitung der Textgrundlage aufgekommene Rückfragen geklärt und die Abfassung eines Gesamttextes vorangetrieben. 4.5.2 Inhaltliche Diskussionen und behandelte Themen 4.5.2.1 Integrationsbegriff „Leben“ 4.5.2.1.1 Das Leitthema „Leben“ und der Begriff „Bioethik“ Als Integrationsbegriff für die materialethisch differierenden Themen fungiert in der gemeinsamen Erklärung der Lebensbegriff. Alle angesprochenen ethischen Bereiche lassen sich dahingehend einen, dass sie das „Leben“ bedrohen. Als alternative Integrationsbegriffe bieten sich aus der Rückschau auch andere Überbegriffe an: Sowohl der relativ junge Begriff „Bioethik“ als auch der vornehmlich kirchlich gebrauchte Begriff „Bewahrung der Schöpfung“ sind hier zu nennen. Wie bereits in der Einleitung dargestellt, integriert der Begriff „Bioethik“ ja gerade die in der gemeinsamen Erklärung aufgenommenen Bereiche, da er neben der Medizinethik auch die humanökologische Ethik und die Umweltethik zu einem großen Bereich zusammenfasst.235 Der Begriff Bioethik war jedoch zum Zeitpunkt der Abfassung der gemeinsamen Erklärung noch sehr jung und wurde damals im deutschen Raum kaum genutzt. Zunächst wurde er synonym mit dem Begriff Medizinethik verwendet. Erst in den 90er Jahren etablierte sich der Bioethikbegriff in Deutschland und grenzte sich von der Medizinethik ab.236 Es ist wahrscheinlich, 234 Man traf sich in Frankfurt/Main im katholischen St. Georgen-Kloster oder im evangelischen Dominikanerkloster. In Bonn fanden die Sitzungen im katholischen Büro statt oder in den Räumen des Bevollmächtigen des Rates der EKD an der Bundesregierung. 235 Vgl. Mikat et al., Vorwort, 2000, in: Korff/Beck/Mikat/Honnefelder (Hrsg.), Lexikon der Bioethik, 2000, S. 5. 236 Noch fünf Jahre nach Veröffentlichung der gemeinsamen Erklärung spricht Honecker konsequent von Bioethik als Medizinethik, obwohl zu diesem Zeitpunkt der Begriff in Deutschland bereits breit bekannt war und in seiner neuen Bedeutung Verwendung fand: „Neben dem ärztlichen Ethos gibt es freilich eine medizinische Ethik, neuerdings Bioethik genannt, die jedermann angeht; denn je-

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dass der Begriff „Bioethik“ den Mitgliedern der Arbeitsgruppe im Abfassungszeitraum der gemeinsamen Erklärung nicht oder kaum geläufig war. Unter dem Leitbegriff „Bewahrung der Schöpfung“ waren, wie eingangs bereits dargestellt, die Sympathisanten des konziliaren Prozesses aufgebrochen, um neben den anderen Zielen des konziliaren Prozesses für eine global wie auch national ausgerichtete Umweltpolitik einzutreten. Es wäre unsinnig, zu behaupten, dass der Begriff „Bewahrung der Schöpfung“ nicht bekannt gewesen sei, da nachweislich nicht nur beide Kirchen in diesem Prozess agierten, sondern auch mindestens ein Vertreter der Kirchen in der gemeinsamen Kommission zur Erstellung der gemeinsamen Erklärung an diesem Prozess teilgenommen hatte.237 Beide Kirchen hatten zudem unter dem Titel „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung“ 1980 bereits eine gemeinsame Stellungnahme herausgegeben und sich darin nur auf die Umweltthematik bezogen. Es ist trotz der dogmatischen Probleme, die bereits benannt wurden, erstaunlich, dass der Schöpfungsbegriff nicht auf die ganze Schöpfung ausgeweitet wurde und somit in der Begrenzung des Verständnisses der gemeinsamen Stellungnahme „Verantwortung Wahrnehmen für die Schöpfung“ stehen geblieben ist. Durch die Verwendung eines neuen, weiter gefassten Lebensbegriffs konnte man jedoch der bestehenden Kritik ausweichen und den Begriff Leben selbst neu mit Inhalt füllen. Dabei bestand freilich die Gefahr, dass der Begriff Leben zu nah an einem biologischen Verständnis ausgerichtet wurde und die theologischen Implikationen eines weiter gefassten Lebensbegriffs verdeckte.238

der Mensch kann Patient werden.“ Martin Honecker, Grundriss der Sozialethik, Berlin, New York 1995, S. 79. 237 Hermann Barth war als OKR 1988 für die EKD als begleitender Referent für die Ökumenische Versammlung in Basel zuständig, die eng mit dem konziliaren Prozess verbunden war, wie Kunter nachweist: Siehe Kunter, Erfüllte Hoffnungen, 2006, S. 49. Zu Barths Rolle im konziliaren Prozess siehe ebenda, S. 163. Das schwierige Verhältnis der katholischen Kirche zum konziliaren Prozess wurde bereits dargestellt, daher lässt sich vermuten, dass eben wegen der Zurückhaltung, die die katholische Kirche übte, die beteiligten Katholiken im konziliaren Prozess nicht in Erscheinung getreten sind. 238 Honecker bezieht in seinem 1995 und damit viel später erschienenen „Grundriss der Sozialethik“ den Begriff des „Lebens“ konsequent nur auf die biologischen Bereiche des menschlichen Lebens. Die Umweltthematik oder die Natur in einem weiten Sinn bleiben unberücksichtigt. Er behandelt „Leben als ethisches Thema“ in engem Kontext der Medizinethik, die er zudem mit der Bioethik gleichsetzt. Sein Lebensbegriff bezieht sich dabei auf die biologischen Grundlagen des Lebens und nimmt gerade nicht die bereits dargestellte weiterreichende Bedeutung des Lebensbegriffes in Anspruch. „Das biologische Leben ist dabei die Grundlage auch des geschichtlichen, kulturellen und geistigen Lebens.“ Honecker, Grundriss der Sozialethik, 1995, S. 79f. „Die Fülle der Erscheinungsformen von Leben legt es nahe, Leben ganzheitlich zu verstehen. Die Tradition des Denkens hat Leben nicht rein biologisch verstanden. Aber das biologische Leben ist die Grundlage aller weiterer Auffassungen von Leben. Biologisch betrachtet ist Leben ein Geschehen, das sich auf verschiedenen Integrationsstufen, beispielsweise in der Zelle, im Organismus abspielt. Zusammen bilden die Zellen eine sich selbst regulierende und zentrierende Ganzheit, das Individuum.“ ebenda, S. 80.

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4.5.2.1.2 Werdegang des Lebensbegriffes in der Kommission Nach der ersten Kommissionssitzung im März 1986 folgte eine zweite Sitzung am 23. Juni 1987. Auf dieser Sitzung setzte man sich wie geplant intensiv mit der „Lebensthematik“ auseinander. Stoeckle stellte den Kommissionsmitgliedern die gerade vier Monate zuvor erschienene katholische „Instruktion über die Achtung vor dem beginnenden Leben und die Würde der Fortpflanzung“ der Kongregation für die Glaubenslehre vom 22. Februar 1987 vor.239 Anschließend gab Koch eine Einführung zum Lebensbegriff aus evangelischer Perspektive. Generell sei, so Honecker, eine „beachtliche inhaltliche Übereinstimmung“ zwischen beiden Einführungen festzustellen, jedoch würde die anthropologische Argumentation in der katholischen Instruktion auf der praktischen Ebene zu Differenzen in der Beurteilung der homologen Insemination, der pränatalen Diagnostik und der Erwartungen an das Strafrecht auf evangelischer Seite führen. Daher solle zunächst Grundsätzliches zum Lebensbegriff geklärt werden, bevor auf die anthropologische Argumentation eingegangen werde. Im Zuge einer sich anschließenden Diskussion über die verschiedenen Aspekte des theologischen Lebensbegriffs wurde deutlich, dass eine Schwierigkeit vor allem darin bestand, wie die theologischen Implikationen des Lebensbegriffs vermittelt werden können, wenn die theologischen Begriffe allgemein kaum noch verstanden werden. Waschbüsch fragte exemplarisch: „Wie kann man an ein Geschenk glauben, wenn man nicht an einen Schenkenden glaubt?“240 Buschmann stellte dazu fest, dass vieles „im Leben erst begreifbar und annehmbar [wird], wenn es im Licht der Auferstehung gesehen werden kann. Diesen Glauben nachzuvollziehen, ist für viele ein weiter Weg.“241 Kasper resümierte, dass ein eindeutiges Bedürfnis nach einer Begriffsklärung von „Leben“ und „Person“ vorliege, und forderte, dass sich die Kommission gegenüber den gängigen Reduktionen des Lebensbegriffs – und das schließe auch die Schöpfungsdimension mit ein – um ein „integrales Verständnis von Leben“ bemühen müsse, um von den Menschen auch verstanden zu werden. Es sei somit vornehmlich die Frage aufgeworfen: „Wie vermitteln wir das den Menschen heute, die solche [theologischen] Aussagen und Überzeugungen nicht mehr verstehen, aber auch nicht mehr erfahren.“242 Es sei gerade die Aufgabe von Kirche, über diese Dimension nicht nur zu sprechen, sondern sie auch wieder neu erfahrbar zu machen.243 Daraufhin wurde von den Mitgliedern festgehalten, dass dieses integrale Verständnis von Leben weiter aufgegriffen werden solle, konkret 239 Die Instruktion ist abgedruckt und kommentiert in: Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion, 1987, in: Wehowsky (Hrsg.), Lebensbeginn, 1987. Stoeckle verwies in seinem Vortrag auch auf einen Artikel von Reinhard Löw: Reinhard Löw, Moral und Retorte. Bemerkungen zur „Instruktion“ der römischen Glaubenskongregation, in: SZ (1987), S. 125, H. 134. 240 Niederschrift über die zweite Sitzung der evangelisch-katholischen Kommission „Schutz des Lebens“am 13. Juni1987 in Frankfurt/Main vom 23.6.1987, EZA 3/07/10762. 241 ebenda. 242 ebenda. 243 Vgl. ebenda.

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könne man dies verwirklichen, indem man an Erfahrungen der Menschen mit dem Leben anknüpfe.244 Wintzer betonte hierzu, dass die Mitglieder sich auf die real erfahrbaren Lebenssituationen einlassen müssten, um verstehen zu können, wie es in manchen Situationen dazu komme, dass Leben nicht akzeptiert werde.245 Buschmann ergänzte, dass die eigenen Erinnerungen an solche Konfliktsituationen nutzbar gemacht werden können.246 Auf die anthropologische Argumentation in der „Instruktion“ zurückkommend, nahm Honecker den dort verwendeten Personenbegriff wieder auf. Er merkte an, dass es doch fraglich sei, ob ein Mensch vom Beginn der Zeugung an bereits im vollen Sinne „Person“ sei. Der gezeugte Mensch sei auf Personwerdung angelegt, jedoch müsse er deshalb nicht zwangsläufig auch bereits als „Person“ gewertet werden. In der evangelischen Theologie gehe man „stärker von der Relation und weniger von der Subsistenz“ aus.247 Die Instruktion, so Honecker weiter, würde zu sehr biologisch argumentieren. Kasper stimmte Honecker zu: Auch er verstehe „Personsein“ als relationales Sein, der Mensch werde jedoch gerade dadurch Person, dass Gott ihn zur Person berufe. Menschen untereinander wiederum würden den Personenstatus nur denjenigen zubilligen, die ontisch Menschen seien. Vom Bewusstsein eines Menschen den Personenstatus abhängig zu machen, sei nach katholischem Denken jedenfalls ausgeschlossen. Honecker hakte nach, ob es denn eine Grenze der Personwerdung bzw. des Personseins nach vorne oder hinten gebe – schließlich würden verstorbene Embryonen auch bei den Katholiken nicht beerdigt.248 Barth hielt das biologische Moment zwar für grundlegend, fragte aber an, ob es ausreiche zu sagen, die Beziehung Gottes genüge für das Personsein.249 Nachdem der Personenbegriff diskutiert worden und strittig geblieben war, fragte Koch an, ob dieser in der geplanten Erklärung überhaupt Verwendung finden müsse. Dies aufnehmend schloss Honecker die Runde, indem er Kaspers vorheriges Votum nahm: „Wir sollten weniger normativ sprechen und mehr die grundsätzliche Einstellung zum Leben thematisieren. Soweit Normen notwendig darzulegen sind, müssen sie auf die biographischen Situationen nach Möglichkeit bezogen werden.“250 4.5.2.2 Schwangerschaftsabbruch Mit Beginn der dritten Sitzung der Kommission stand die Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch im Vordergrund. Die Thematik des Schwangerschafts244 245 246 247 248

Koch spricht hierbei von der „Sprachlosigkeit der Theologie.“ ebenda. ebenda. ebenda. ebenda. Der Sache nachgehend wurden anschließend die internen Bestimmungen zum Umgang mit verstorbenen Feten eines Krankenhauses in katholischer Trägerschaft an die Kommissionsmitglieder versandt, welche ausdrücklich die Beerdigung von Feten vorsehen. 249 ebenda. 250 ebenda.

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abbruches nahm den größten Teil der Beratungen der gemeinsamen Arbeitsgruppe ein. In vier aufeinanderfolgenden Sitzungen, aber auch im Verlauf späterer Beratungen zu anderen Schwerpunkten wurden die Probleme diskutiert und die Gemeinsamkeiten herausgearbeitet. Vor allem wurde dabei der Modus der Entscheidungsfindung beleuchtet, die Situation in der Pflichtberatung angesehen und die Rolle der Frau im Schwangerschaftskonflikt untersucht. Letztlich führte die inhaltliche Arbeit an dieser Thematik auch dazu, dass der Arbeitsgruppe deutlich wurde, wie die gemeinsame Stellungnahme später im Ganzen zu formulieren und anzulegen sei: eher beratend als vorgebend. 4.5.2.3 Individuelle Entscheidung oder Normorientierung In der Diskussion um die Bewertung des Schwangerschaftsabbruchs bestehe, so Kasper in der Aussprache in der dritten Sitzung, im Grundsatz der ethischen Urteilsbildung eine große Übereinstimmung.251 Aus seiner Sicht – und damit auch der katholischen – stelle der Schwangerschaftskonflikt eine Güterabwägung dar. In dieser träten auch die Unterschiede in der Bewertung der beiden Kirchen zutage. Während im katholischen Raum das Leben des Kindes als höchstes Gut gelte, werde die Güterabwägung im evangelischen Raum wesentlich offener gestaltet. Seiner Auffassung nach sei es besonders wichtig, den bereits bestehenden Konsens in der Urteilsbildung nach außen deutlich zu machen.252 Platz hingegen wollte den bestehenden Konsens zwischen den Kirchen noch verbreitern. Dass die Rechtslage noch verändert werden könne, war ihm unwahrscheinlich, auch wenn die katholische Kirche sich weiter bemühen werde, eine Änderung herbeizuführen.253 Ihm war zudem ein konstruktives Moment in der angestrebten Schrift wichtig, und er hielt fest, dass beschrieben werden müsse, was zur Senkung der Zahl der Schwangerschaftsabbrüche getan werden könne.254 Honecker rief in Erinnerung, dass seit 1973 nichts Gemeinsames zwischen den beiden Kirchen zum Schwangerschaftsabbruch formu251 Auch auf evangelischer Seite hatte man mittlerweile deutliche Worte gefunden, die den Schwangerschaftsabbruch ethisch bewerteten: Auf der fünften Sitzung der evangelisch-katholischen Kommission berichtete Barth über die Tagung der Synode der EKD, die unter dem Thema „Schutz des Lebens“ gestanden hatte. Dort war unter anderem eine Kundgebung erstellt worden, die sich zum Schwangerschaftsabbruch ablehnend äußert und diesen u.A. als „Tötung menschlichen Lebens“ deklariert. Embryonenforschung wird darin kategorisch abgelehnt. Siehe die Niederschrift über die 5. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 15. Dezember 1987 in Frankfurt/Main vom 23.12.1987, EZA 3/07/10763. 252 Niederschrift über die 3. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 8. September 1987 in Frankfurt/Main vom 12.10.1987, EZA 3/07/10763. 253 Der hierbei aufkeimenden Diskussion über die Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen aus den gesetzlichen Krankenkassen setzt Honecker einen deutlichen Riegel vor. Ein Votum über die Änderung des § 218 oder zu einer veränderten Finanzierung werde von evangelischer Seite nicht zu bekommen sein. Die katholische Seite solle keine falschen Erwartungen an diese Diskussion haben. Siehe ebenda. 254 ebenda.

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liert worden sei, und betonte, dass die aktuell strittigen Punkte sehr sorgsam ausgelotet werden müssten. Die evangelische Seite habe nach wie vor den individuellen Fall vor Augen, während die katholische Betrachtungsweise an der Norm orientiert sei.255 Einigkeit bestehe wiederum darin, so Barth, dass menschliches Leben von Anfang an schutzwürdig sei.256 Im Blick auf die in der Vergangenheit geführte Diskussion, ob aus einer kirchlichen Perspektive eine Indikationenregelung oder ein generelles Verbot zu bevorzugen sei, wies Honecker auf eine Diskrepanz in der katholischen Argumentation hin. Die katholische Seite argumentiere: „Der Embryo ist menschliches Leben und somit schutzwürdig“ – diesbezüglich sei es merkwürdig, dass man bei geborenem menschlichem Leben auch Abstriche im Schutz mache. Bei einigen Geburtsschäden würde man jedenfalls die Entscheidung treffen, nicht mehr zu therapieren, und so den Tod des frisch geborenen Kindes in Kauf nehmen. Angewendet auf das ungeborene Leben würden diese nicht therapierten Geburtsschäden auf eine Indikationenlösung bei der Abtreibung hinauslaufen, so Honecker.257 In beiden Fällen würde eine Indikation, in diesem Fall die starke Behinderung des Kindes, dazu führen, dass der Tod akzeptiert werde, ohne dass dies mit einer moralischen Disqualifikation einhergehe. Im Konflikt zwischen den konkurrierenden Orientierungspunkten „Bewertung eines individuellen Falles“ und „Norm“ könne man nicht, so Honecker, von einer Güterabwägung sprechen.258 Es stünden sich eher zwei verschiedene Normen gegenüber: der Schutz des ungeborenen Lebens und der Schutz der Familie. Er wolle daher lieber von einem Normenkonflikt sprechen. Wintzer hob, ebenfalls sich gegen eine alleinige Orientierung an der Norm richtend, hervor, dass auf jeden Fall immer auch die Rolle der schwangeren Frau mit in den Blick genommen werden müsse.259 Waschbüsch wiederum empfand die evangelische Orientierung an der individuell zu bemessenden „Zumutbarkeit der Frau, das Kind anzunehmen“ überbewertet. Die Orientierung an objektiven Gründen und Wertmaßstäben sei auf evangelischer Seite zu unterentwickelt.260 Frau Waschbüsch unterstützend warf Kasper ein, dass die Darstellung des Konflikts als „Normenkonflikt“ keinesfalls förderlich sei, da so nicht zum Ausdruck komme, dass es Normen unterschiedlicher Qualität gebe. Eine Güterabwägung hingegen komme nicht umhin, auch objektive Momente mit einzubeziehen. Man könne „Nicht alles gegen alles abwägen“, so Kasper. „Leben“, so führte er aus, „ist die Voraussetzung aller anderen sittlichen Werte.“ Man müsse jedoch, fuhr er, sich der evangelischen Position annähernd, fort, „eine abweichende Gewissensentscheidung respektieren, wenn sie auch nicht akzeptiert werden kön255 256 257 258 259 260

ebenda. ebenda. ebenda. ebenda. Vgl. ebenda. ebenda.

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ne.“261 Von evangelischer Seite wurde dazu festgehalten, dass eine von der Kirche vorgenommene Güterabwägung das Ergebnis der individuellen Entscheidung vorwegnehme und dass somit faktisch über den anderen entschieden werde. Aus einem evangelischen Verständnis sei dies nicht möglich. Kasper unterstützte diese Aussage und erklärte, aus katholischer Sicht würde die Kirche nicht anstelle der Betroffenen entscheiden. Die Kirche respektiere die jeweilige Gewissensentscheidung – „eine Exkommunikation erfolge nicht automatisch, sondern nur bei subjektiver Schuld.“262 4.5.2.3.1 Die Situation in der Konfliktberatung Die Diskussion um bestehende ethische Normen im Kontext des Schwangerschaftsabbruches weitertreibend, leitete Koch auf die Beratungstätigkeit der Kirchen über. Durch Heranziehung ethischer Normen solle die Frau in die Lage versetzt werden, den Schwangerschaftskonflikt bearbeiten zu können und schließlich selbst zu entscheiden. Das Gespräch mit ihr sei offen.263 Als problematisch wurde für die Beratungsarbeit festgehalten, dass die Beratung nicht wertfrei erfolge, sondern die Kirchen eine Beratung zum Leben hin einforderten und somit die die Beratung einfordernde Frau eventuell manipulieren könnten.264 Im Kontext der Diskussion über die Beratungsarbeit kam erneut die Frage auf, wie Recht und Sittlichkeit sich zueinander verhalten. Beide Seiten waren zwar der Auffassung, dass das Recht auf die Sittlichkeit einwirke und diese dadurch verändere; die daraus gezogene Konsequenz jedoch war unterschiedlich: Während die katholischen Vertreter, vor allem Niemeyer, der Auffassung waren, dass Recht und Sittlichkeit deckungsgleich sein müssten, wurde dies auf der evangelischen Seite nicht gefordert.265 Besonders in der Finanzierungsfrage der Schwangerschaftsabbrüche durch die Krankenkassen wollte Niemeyer eine Änderung erwirken, was von evangelischer Seite erneut keine Zustimmung fand.266 Barth fasste die Diskussi261 ebenda. 262 ebenda. Kaspers Aussage ist erstaunlich, denn sowohl das CIC von 1917 (can.2350) als auch das CIC von 1983 (can. 1398) sehen im Schwangerschaftsabbruch eine Tatsünde, die die automatische Exkommunikation zur Folge hat. 263 Ungeachtet dessen hält Koch fest: „Die Frau soll selbst dahin kommen, das Kind anzunehmen.“ ebenda. 264 Von einem emanzipativ-gleichberechtigten Verständnis von Elternschaft war man dabei weit entfernt. Ein Grund, der zum Schwangerschaftsabbruch führe, so Frau Buschmann, sei unter anderem die Fixierung auf einen selbst gesetzten Lebensplan, z.B. die volle Berufstätigkeit der Frau. Niederschrift über die 4. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 30. Oktober 1987 im Katholischen Büro in Bonn vom 30.11.1987, EZA 3/07/10763. 265 Niemeyer versucht dabei mehrfach, die Diskussion auf die Kassenfinanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu beziehen – eine Bewusstseinsänderung hinsichtlich der Beurteilung von Schwangerschaftsabbrüchen in der Gesellschaft halte er bei bestehender Kassenfinanzierung für schwer vorstellbar. ebenda. 266 ebenda.

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on zusammen und stellte fest, dass die Probleme des Schwangerschaftsabbruchs nicht dadurch zu lösen seien, dass der Schutz des ungeborenen Lebens eingeschränkt werde. Nur durch langfristige Bemühungen um den Lebensschutz könne etwas bewirkt werden.267 Honecker ergänzte, dass die atmosphärischen Verwerfungen aus der Zeit der Gesetzesnovellierung von 1975/76 vorbei seien, die damaligen Probleme seien jedoch nicht gelöst, sondern auf die Ebene der Beratungsarbeit verlagert worden. Deutlich solle in der Stellungnahme herausgearbeitet werden, dass Abtreibung keine Alternative zur Empfängnisverhütung sei.268 Die ins Auge gefasste gemeinsame Erklärung sollte argumentativ keine Normen an den Anfang setzen, sondern beschreibender Natur sein. Auch Schock und Enttäuschung angesichts behinderten Lebens müssten beschrieben werden. Kasper pflichtete ihm bei, indem er festhielt: „Pressionen führen nicht weiter, nur Änderungen im Bewusstsein versprechen einen Erfolg.“269 Diese Bewusstseinsänderungen müssten durch gute Unterstützungsangebote erreicht werden, die es einfacher werden lassen, Kinder anzunehmen. Im Feld der kirchlichen Beratungsarbeit würden, so Weidle und Wintzer, normative Aussagen über den Lebensschutz eine eher blockierende Wirkung haben, weshalb die Gesprächssituation in der Beratung eher offen gestaltet werden müsse. Waschbüsch setzte sich dagegen für eine „Konfrontation mit der Norm“ in der Beratungssituation ein. Kasper glich die Gegensätze durch einen Vorschlag aus: Den Normenbegriff verwerfend, machte er sich dafür stark, in der Beratungsarbeit vornehmlich auf eigene Überzeugungen zu bauen, die als „Ich-Botschaften“ das Gegenüber erreichen sollten. Weidle und Wintzer konnten dem zustimmen. Die Beratungsarbeit könne dabei keinesfalls ohne den Kontext einer gesamtgesellschaftlichen Aufwertung ungeborenen Lebens auskommen, in der Beratungssituation muss die Idee des Lebensschutzes bereits bekannt sein. „Der Gedanke des Lebensschutzes muß sich auch bewähren, nachdem das Beratungsgespräch beendet worden“ sei.270 Intensiv wurde die Frage diskutiert, ob in der Beratungssituation die Frau überzeugt werden müsse, das Kind zu behalten – oder vielmehr unterstützt und befähigt werden solle, ein eigenes Urteil zu fällen. Generell war man der Auffassung, dass die Zeit, ein eigenes Urteil zu fällen, zu kurz sei und die Frau in der Beratung eher vom Lebensschutz überzeugt werden müsse. Die Berater selbst müssten ebenfalls von der Schutzwürdigkeit des Lebens überzeugt sein, um in der Beratung tätig zu werden.

267 Barth formulierte dabei die im Weiteren nicht weiter verfolgte Idee, dass argumentativ zwischen Abtreibung und Friedenspolitik ein Zusammenhang hergestellt werden könne: „Krieg solle nicht sein – weder im Großen noch im Kleinen.“ ebenda. 268 Zur strittigen Empfängnisverhütung kam kein Einspruch von katholischer Seite. ebenda. 269 Niederschrift über die 3. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 8. September 1987 in Frankfurt/Main vom 12.10.1987, EZA 3/07/10763. 270 Niederschrift über die 5. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 15. Dezember 1987 in Frankfurt/Main vom 23.12.1987, EZA 3/07/10763.

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4.5.2.3.2 Zur Rolle der Frau im Schwangerschaftskonflikt Die Rolle der Frau im Schwangerschaftskonflikt wurde von den Vertretern der Kirchen recht unterschiedlich bewertet. Dies zeigt sich unter anderem an dem Umgang mit einer Eingabe der beiden weiblichen evangelischen Kommissionsmitglieder. In der Diskussion um die ethische Bewertung des Schwangerschaftskonfliktes bzw. die systematische Ausrichtung in der Beratung kam Lisa Weidle und Hilde Wintzer in der Diskussion ein Punkt zu kurz: die Frau selbst und welchen Problemen diese im Schwangerschaftskonflikt ausgesetzt sei. Die beiden Frauen stellten daraufhin in der fünften Sitzung ein Votum vor, welches sie gemeinsam erstellt hatten.271 Sie hoben darin die Bedeutung der schwangeren Frau und ihre Bedürfnisse und Nöte im Schwangerschaftskonflikt hervor. Tendenziell waren die beiden der Auffassung, dass in dem Konflikt des Schutzes des ungeborenen Lebens gegen den Schutz des individuellen Lebens der Frau dieser die Entscheidung genuin zustehe. Ihrer Meinung nach sei die Frau die Schlüsselfigur in den Überlegungen zum Schwangerschaftsabbruch – dieses sei zuvor jedoch kaum behandelt worden. In der Kommissionsarbeit sei es bisher um die Urteilsfindung von einem „Moral Point of View“ und die Gewissensbildung gegangen, nun „sei es an der Zeit, die dringlichen Themen anzugehen“: Die Situation der Frau müsse daraufhin untersucht werden, ob sie z.B. auch genug Zeit habe, sich ihr Urteil zu bilden. In dem Beratungsgespräch sei das keinesfalls zu leisten, es dauere nur etwa eine halbe Stunde. Ohne diese Aspekte miteinzubeziehen, würde die gemeinsame Publikation ins Leere laufen. In der sich anschließenden Aussprache wurde die Wahrnehmung der beiden Frauen von der katholischen Seite jedoch nivelliert.272 Auch dem Anliegen, die Rolle der Frau anders als bisher zu diskutieren, wurde nicht Rechnung getragen. So z.B. bezweifelte Platz, dass der Frau eine besondere Schlüsselrolle zukomme. Es zeige sich vielmehr, 271 Dieses war zuvor abgesprochen worden. Brief von Weidle an Barth vom 8.10.1987, EZA 3/07/10763. „Als Frau Dr. Wintzer und ich entdeckten, daß wir beide nicht zu den Frauen gehören, die überall auch mal ‚als Frau‘ etwas sagen müssen, waren wir doch aber durch den bisherigen Verlauf der Kommissionsarbeit betroffen […] Vor allem aber weil die Hauptperson in der Frage des Schutzes des ungeborenen Lebens gar nicht in den Mittelpunkt der Betrachtungen und Diskussionen gerückt wurde. Das hätte grundsätzlich ja auch einem Mann aufgefallen sein können – oder doch nicht?“ Im Brief dann weiter: „[…] es wurde bisher nicht gesagt, dass es sich doch gar nicht in der ersten Linie um unser Problem handelt, sondern um die Probleme, die Frauen haben, weil sie schwanger sind. Wir haben nur ein Problem mit Abtreibungen, weil einige Frauen Schwangerschaftskonflikte haben und deswegen abtreiben. Über die Probleme und Konflikte dieser Frauen haben wir noch gar nicht gesprochen.“ In der Tat waren individuelle Aspekte im Gegensatz zu metaethischen, theologischen und juristischen gar nicht betrachtet worden. 272 Barth hatte das Anliegen ernstgenommen und sich wegen der möglichen weiterführenden Entwicklungen dazu mit Hartmut Löwe beraten: Durch eine handschriftliche Notiz setzt er ihn ins Bild: „[…] die beiden Frauen bekommen Angst, daß wir uns von der kath. Seite über den Tisch ziehen lassen, und machen sich zum Anwalt der schwangeren Frauen. Der Akzent ist ja auch richtig: zur Orientierung der schwangeren Frau für den Schutz des ungeborenen Lebens. Aber auch andere Töne kommen durch, die den ungeborenen Leben einen Schutzstatus 2. Klasse geben. Die Angelegenheit sollten wir bereden.“ Herman Barth in einer handschriftlichen Notiz aus dem Oktober 1987, EZA 3/07/10763.

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dass verschiedene Frauen in ähnlichen Situationen zu ganz unterschiedlichen Entscheidungen kämen. Er sei überzeugt, dass sich die Entscheidung für oder gegen eine Abtreibung an zwei Punkten festmache: Erstens daran, wie stark die Frau in ihrer Person gefestigt sei, und zweitens daran, wie stark die Personen in ihrem Umfeld zu ihr stünden. Es komme nicht im Besonderen auf die Frau an, sondern auf die Gesellschaft, die sie umgebe. Man müsse daher ein „Kräftefeld zum Schutz des Lebens“ bauen.273 Die Metapher vom Kraftfeld aufnehmend, verstärkte Kasper das Gesagte: Der Kontext von Familie, Freunden, Plausibilitäten und Überzeugungen dürfe in der Konfliktbewältigung nicht unberücksichtigt gelassen werden. 4.5.2.3.3 Konsequenzen der Diskussion Die engagierte Aussprache in der Kommission hatte rückblickend eine wichtige Funktion – sie führte dazu, dass man sich einig wurde, wie die angestrebte gemeinsame Publikation anzulegen sei. Nicht nur in der bisher noch offenen Frage nach den Adressaten der Schrift, sondern auch den Duktus der Schrift betreffend kam man sich näher. Letztlich wurde man sich zudem einig, dass eine Dezimierung der Schwangerschaftsabbrüche weniger durch gesetzliche Steuerung als durch Überzeugungsarbeit erreicht werden könne. Bis dato wurden schwangere Frauen bzw. Menschen aus ihrem Umfeld als mögliche Adressaten der gemeinsamen Erklärung gesehen. Auch war der Vorschlag besprochen worden, die Schrift in erster Linie an die Politik zu richten und dezidierte Forderungen aufzustellen. Die Auseinandersetzungen in der Kommission hatten nun zum Ergebnis, dass man nicht mehr nur eine bestimmte Personengruppe im Auge hatte, sondern sich allgemein äußern, jedoch so offen bleiben wollte, dass alle Gruppen sich angesprochen fühlen konnten. In der Frage, ob eine reflektierende Denkschrift oder ein mahnendes pastorales Wort erstellt werden sollte, war man der ethisch-reflektierenden Linie nähergekommen.274 Engelhardt stellte sich im Duktus eine „Ermutigung zum Leben“ vor: „Ein Wort zum Schutze des Lebens soll Predigt des Evangeliums und nicht des Gesetzes sein.“275 Kasper sah darin die Gefahr, zu weich zu argumentieren, und setzte nach, dass man Gesetz und Evangelium keinesfalls auseinanderreißen dürfe. „Ein Wort zum Schutze des Lebens müsse zugleich Zuspruch wie Anspruch sein.“276

273 Niederschrift über die 5. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 15. Dezember 1987 in Frankfurt/Main vom 23.12.1987, EZA 3/07/10763. 274 Honecker setzte sich auch für ein rhetorisches Abrüsten ein: „Auf keinen Fall sollte im Zusammenhang des Schwangerschaftsabbruchs der Begriff ‚Mord‘ verwendet werden.“ Niederschrift über die 3. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 8. September 1987 in Frankfurt/Main vom 12.10.1987, EZA 3/07/10763. 275 Niederschrift über die 5. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 15. Dezember 1987 in Frankfurt/Main vom 23.12.1987, EZA 3/07/10763. 276 ebenda.

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Den Duktus der Schrift maßgeblich beeinflussend war eine Information, die Honecker gegen Ende der Kommissionsarbeit gab. Honecker wies in der neunten Sitzung auf die in Frankreich stattfindende Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch hin, die auch die Situation in Deutschland bestimmen und verändern könnte: In Frankreich stehe die Zulassung eines Abtreibungsmedikamentes kurz bevor. Bei dieser Form der Abtreibung werde diese mithilfe einer Tablette eingeleitet, und damit werde medizinisches Personal nicht mehr benötigt. Das könne zur Folge haben, dass Abtreibungen generell privatisiert werde und somit auch die Beratungsregelungen unterlaufen würden. Denn sollte sich die Abtreibungstablette durchsetzen, sei durch die Kraft des Faktischen die in Deutschland bestehende verpflichtende Beratungsregelung hinfällig.277 Sowohl Niemeyer als auch Platz machten daraufhin deutlich, dass die Eindämmung von Abtreibungen zukünftig wohl nur noch durch eine Einstellungsänderung dem Leben gegenüber erreicht werden könne, nicht durch rechtliche Barrieren. Man wurde sich einig, dass diese zukünftigen medizinischen Entwicklungen in der geplanten Publikation bereits aufgenommen werden müssten.278 Vor allem aber wurde dadurch allen Kommissionsmitgliedern deutlich, dass der Schwangerschaftskonflikt letztlich nur durch die Entscheidung der Frau inhaltlich zu lösen sei, die allerdings in ihrer Entscheidungsfindung durch ihr Umfeld geprägt werde. Der Versuch, durch rechtliche Regelungen Schwangerschaftsabbrüche gegen den Willen der Frau zu verhindern, werde in Zukunft kaum mehr realisierbar sein. 4.5.2.4 Sexualität und Fortpflanzung Der fünften Sitzung nachfolgend, wurden in der Kommission die Frage der Fortpflanzung und der Umgang mit der Sexualität behandelt. Ein strittiger Punkt war dabei die Empfängnisverhütung. Diese Frage, so Platz, könne auf katholischer Seite nur an den offiziellen Verlautbarungen des kirchlichen Lehramtes festgemacht werden, auf die Differenzierungen katholischer Moraltheologen müsse verzichtet werden, da sie letztlich nicht relevant seien.279 Generell setze die katholische Kirche 277 Das von Honecker in die Diskussion eingebrachte französische Medikament, welches die Abtreibung ohne Arzt ermöglicht, ist der von Hoechst entwickelte Wirkstoff Mifepriston (oder auch RU486), welches in Frankreich 1988 unter dem Handelsnamen Mifegyne zugelassen wurde. In Deutschland ist Mifegyne seit 1999 zugelassen. 278 Niederschrift über die 9. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 27. September 1988 in Frankfurt/Main vom 4.10.1988, EZA 3/07/10765. 279 Niederschrift über die 6. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 29. Januar 1988 im Katholischen Büro in Bonn vom 15.2.1988, EZA 3/07/10764. Der Kommission war zuvor postalisch der Hirtenbrief der deutschen Bischöfe zu Fragen der menschlichen Geschlechtlichkeit von 1973 zugegangen. Darin will die Bischofskonferenz eine Orientierungshilfe geben in einer Zeit, „in der sexuelle Hemmungslosigkeit und Bindungslosigkeit geradezu als Zeichen der Freiheit des Menschen gilt.“ Darin wird ausgeführt, dass es Eigenart menschlicher Geschlechtlichkeit sei, sich zum „andersgeschlechtlichen Menschen hingezogen zu fühlen“. Im Reifeprozess des Menschen sei es „notwendig, daß er die Eigenart des anderen Geschlechts kennen-

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aktuell darauf, dass es durch vermehrte Sexualerziehung und Familienplanungsberatung gar nicht erst zu Schwangerschaftskonflikten komme. Zum katholischen Eheverständnis aber gehöre weiterhin „die grundsätzliche Bereitschaft zum Kind“.280 Nur wenn beide Partner im Verzicht auf Kinder übereinstimmen, sei davon abweichend eine Trauung möglich. Es wurde festgehalten, dass auf evangelischer Seite diese Bedingung nicht gesehen werde. Barth stellte dazu die Einschränkungen der Empfängnisverhütung von katholischer Seite in Frage. Die natürliche Empfängnisverhütung setze eine „gewisse Kunstfertigkeit bzw. Technik“ voraus, weshalb sich die Frage stelle, wo auf prinzipieller Ebene der Unterschied zu anderen künstlichen bzw. technischen Mitteln zu sehen sei.281 Platz räumte hierzu ein, dass dieses eine auf katholischem Gebiet ebenfalls sehr umstrittene Frage sei. Viele Paare hätten sich aber „kreativ auf die Gegebenheiten“ eingestellt.282 In der Diskussion stand dann dem katholischen Argument, die Frau werde durch die „natürliche Familienplanung“ vor sexueller Ausbeutung geschützt, indem der Mann lernen müsse, dass die Frau nicht immer „verfügbar“ sei, das evangelische Argument entgegen, dass der Sexualität durch eine solche Argumentationsweise eine drastisch überhöhte Rolle in der Ehe zulernt, damit er allmählich auch zu einer überlegten Partnerwahl für seine zukünftige Ehe kommt oder sich bewußt für den Verzicht auf die Ehe entscheiden kann.“ Die Nebenfolgen solcher Kennenlernprozesse werden dabei in Kauf genommen: „Obwohl die Gefahr besteht, daß diese Begegnungen in sexuelle Intimität und an eine verfrühte Bindung geraten, ist es nicht richtig, diese notwendige Reifungsstufe menschlicher Liebesfähigkeit abzulehnen oder zu überspringen.“ Vollendet werde die menschliche Geschlechtlichkeit allerdings erst durch die Zeugung und Erziehung von Kindern. Vorausgesetzt, Sexualität werde innerhalb der Ehe ausgeübt, gebe es wenig Gründe, diese zu unterbinden. Die Frau sei jedoch nicht in der Verfügungsgewalt des Mannes, wie auch generell ein ungezügeltes Verhalten schädlich sei. „Triebverzicht, geleistet aus begründeter Erkenntnis und bewußter Zustimmung ist Zeichen menschlicher Reife und das Gegenteil von schädlicher Verdrängung.“ Und weiter: „Sexuelles Spielen mit dem Partner […] gefährde[t] die Selbstfindung und führ[t] zu immer neuen und weitergehenden sexuellen Ansprüchen an den Partner.“ Zwar sei die Ehe grundsätzlich der einzige Ort für Sexualität, wenn jedoch bereits 16jährige untereinander Beziehungen eingehen, sei dies eindeutig zu früh für die Ehe. Es gelte der Grundsatz: „Besser eine uneheliche Mutterschaft als eine halb erzwungene Ehe mit der Abneigung der beiden jungen Menschen gegen das Kind und dem voraussehbaren Scheitern ihrer Ehe nach wenigen Jahren!“ Empfängnisverhütung jedweder Art wird dabei in der Schrift nicht angesprochen. Das katholische Eheverständnis sieht sich dabei Anfragen ausgesetzt: „Viele junge Menschen sind der Auffassung, daß Verlobten oder fest Versprochenen die völlige geschlechtliche Hingabe vor dem Eheabschluß zustehe.“ Dieser Auffassung müsse eine klare Absage erteilt werden, da die ausschließlich in der Ehe erfahrene personale Bindung zueinander noch nicht bestünde. Siehe Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Hirtenbrief der deutschen Bischöfe zu Fragen der menschlichen Geschlechtlichkeit, Bonn 1973, S. 5–15. An die Mitglieder ging ebenfalls das etwas konservativere Schreiben „Familaris Consortio“: Papst Johannes Paul II, Apostolisches Schreiben Familiaris Consortio von Papst Johannes Paul II. an die Bischöfe, Priester und Gläubigen der ganzen Kirche über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute. 22. November 1981, Bonn 2002. 280 Vgl. Niederschrift über die 6. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 29. Januar 1988 im Katholischen Büro in Bonn vom 15.2.1988, EZA 3/07/10764. 281 ebenda. 282 ebenda.

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komme. Frau Wintzer merkte an, dass in der Vergangenheit die katholische Kirche der Frau gegenüber nicht immer so sensibel und fürsorglich gewesen sei, sodass man das Argument so nicht gelten lassen könne.283 Für die geplante Veröffentlichung wurde daher festgehalten, dass die katholischen Papiere zur Sexualität auf evangelischer Seite keinesfalls übernommen werden könnten.284 Als problematisch hinsichtlich einer gemeinsamen Publikation wurde zudem festgehalten, dass die Auffassungen zu den Methoden der Empfängnisverhütung und zur Bindung der Sexualität an die Ehe sowohl zwischen den Kirchen als auch innerhalb der Kirchen strittig seien.285 Eine gute Möglichkeit, einheitlich zu formulieren, sei aber, die personale Dimension der Sexualität stärker herauszustellen.286 Generell könne man in der geplanten Publikation so formulieren, dass man sich allgemein um eine menschliche und christliche Grundhaltung bemühen müsse, die „Ehe und Familie tragen und zur Entfaltung bringen“ könne und aus der heraus dann erst Aussagen zu Einzelfragen und Problemen getroffen werden können.287 Vermeiden sollte man jedoch, so Barth, ein Leitbild von gewollten Schwangerschaften zu erstellen; das würde ungeplanten Schwangerschaften nur vermehrt Ablehnung entgegenbringen. 4.5.2.5 Behindertes Leben Der Diskussion über die Schutzbedürftigkeit behinderten Lebens wurde von der Kommission lediglich ein Nachmittag gewidmet.288 Hierzu wurden, da die Kommissionsmitglieder selbst keine entsprechende Sachkompetenz aufwiesen, zwei Gäste mit entsprechendem Fachwissen eingeladen. Diese, nämlich Joachim Klieme, Leiter der evangelischen Neuerkeroder Anstalten, und Norbert Huber, Vorsitzender des Verbandes katholischer Einrichtungen für Lern- und Geistigbehinderte und Direktor der Stiftung Liebenau, führten ins Thema ein.289 In der Sache bestand 283 ebenda. 284 Schwierig sei, so Barth, dass „in katholischen Dokumenten Empfängnisverhütung und Schwangerschaftsabbruch gelegentlich so nebeneinander gestellt werden, daß nicht mehr deutlich wird, daß zwischen beidem ein ethisch qualitativer Unterschied besteht.“ ebenda. 285 Die von Engelhardt aufgeworfene Frage, ob nicht vielmehr statt der empfängnisverhütenden Methoden die dabei verfolgte Motivation im Vordergrund der Beurteilung stehen müsste, wurde zwar grundsätzlich von katholischer Seite bejaht, da in der Beurteilung von Handlungsweisen auch die Motivation prinzipiell eine primäre Rolle einnehme, jedoch zwischen natürlicher und künstlicher Empfängnisverhütung ein „ethischer Unterschied“ bestehe. Diesen „ethischen Unterschied“ führte er dabei jedoch nicht weiter aus. ebenda. 286 ebenda. 287 ebenda. 288 ebenda. 289 Norbert Huber machte dabei deutlich, dass behindertes Leben aufgrund der hohen Belastungen für die behinderten Menschen selbst und die sie umgebene Gesellschaft im Grunde nicht erstrebenswert sei. Daher komme der Prävention eine hohe Bedeutung zu, insbesondere der genetischen Beratung. Solange jedoch in der Pränataldiagnostik bei problematischen Diagnosen keine Therapiemöglichkeiten bestünden, würde die Folge oftmals eine Abtreibung bleiben. Das tatsächliche Ausmaß der diagnostizierten Behinderung sei generell nur selten zu erfassen. Siehe: Anlage zur

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dabei kein Dissens. Allgemein wurden im Umgang mit behindertem Leben folgende Probleme festgestellt: Eltern, die ein behindertes Kind bekommen, würden sich dadurch gekränkt fühlen, oftmals schämen und das behinderte Kind als Anfrage an die eigene Potenz empfinden. Diese Empfindungen seien jedoch, als Verweigerung an das gegebene Leben, eine Verweigerung Gott gegenüber und würden somit in die Kategorie der Sünde fallen. Auch das behinderte Leben müsse unbedingt angenommen werden. Einen Grenzfall stelle in der Einschätzung des Lebensschutzes die „Diagnose Anencephalus“ dar. In der Kommission war man sich einig, dass auch hier das menschliche Leben geschützt werden müsse, obwohl keine Aussicht auf ein längeres oder gar eigenständiges Leben bestehe. Generell stelle die Integration behinderter Menschen eine Herausforderung an die Gesellschaft dar. Die Eltern behinderter Kinder würden dabei großen Belastungen ausgesetzt. Während durch Elterninitiativen behinderte Kinder meist in allgemeinen Kindergärten untergebracht werden könnten und dabei eine zeitlich begrenzte Integration stattfinde, ende diese Erfahrung spätestens im Erwachsenenalter, da mit dem Eintreten in den Arbeitsmarkt hauptsächlich Niederlagen in den Integrationsbemühungen zu verzeichnen seien.290 Dies sei für die Eltern emotional oft ein weiterer Rückschlag in den Bemühungen, ein „normales Leben“ zu ermöglichen. Selbst wenn Behinderte einen Arbeitsplatz außerhalb von betreuenden Einrichtungen bekommen hätten, folgten weitere Probleme, da am Arbeitsplatz immer mit Konkurrenzsituationen zu rechnen sei, die Behinderte oft nicht bestehen könnten. Die Problematik behinderter Kinder werde meist im Zusammenhang der Abtreibung diskutiert, da sich die Eltern behinderter Kinder weiterhin der Frage ausgesetzt sähen, warum sie nicht „rechtzeitig abgetrieben“ hätten.291 4.5.2.6 Sterbehilfe Thematisch wandte sich die gemeinsame Kommission ab der siebten Sitzung der Sterbehilfethematik zu.292 Vorbereitend wurde dazu ein Eingangsreferat von Koch gehalten, welches sich in den Grundsätzen an dem von ihm ein Jahr zuvor veröffentlichten Aufsatz „Sterbehilfe oder Euthanasie“ orientierte.293 Darin führte Koch aus, was im Folgenden von keinem Kommissionmitglied bestritten wurde: Christli-

290 291 292

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Niederschrift zur 6. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ vom 29.1.1988, EZA 3/07/10764. Niederschrift über die 6. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 29. Januar 1988 im Katholischen Büro in Bonn vom 15.2.1988, EZA 3/07/10764. ebenda. Die Debatte stand dabei im Kontext der gesellschaftlich neu angefachten Sterbehilfedebatte anlässlich der in der breiten Öffentlichkeit verfolgten gerichtlichen Sterbehilfe-Prozesse um den Arzt Julius Hackethal. Siehe dazu: Rolf Dietrich Herzberg, Der Fall Hackethal: Strafbare Tötung auf Verlangen?, in: NJW (1986), S. 1635–1643, H. 39. Vgl. Traugott Koch, „Sterbehilfe“ oder „Euthanasie“ als Thema der Ethik, in: ZThK 84 (1987), S. 86–117, H. 1.

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ches Sterben müsse ein humanes Sterben sein. Das Sterben dürfe keinesfalls herbeigeführt werden, man könne es nur „zulassen“. Da jeder sein Sterben selbst sterbe, dürfe man zudem keine Norm an das Sterben anlegen – einer Diskussion um ein qualitativ höherwertiges „bewusstes“ Sterben gegenüber einem „unbewussten“ Sterben müsse man daher eine Absage erteilen.294 Fundamental gelte, dass das Leben des Anderen unantastbar sei. Die menschliche Würde drücke sich in der Achtung des Anderen aus.295 Die Tötung eines Anderen sei demnach „das Unrecht schlechthin“.296 Da Koch keine strittigen Themen aufgriff, hatte das Eingangsreferat eher einen die Gruppe einigenden Charakter, anstatt kontroverse Impulse für eine Diskussion zu geben. In der sich anschließenden Aussprache zur Sterbehilfethematik traten hinsichtlich der Selbsttötung und der „Beihilfe zur Selbsttötung“ zunächst unterschiedliche persönliche Auffassungen der Kommissionsmitglieder zu Tage, bevor das Gespräch auf die Sterbehilfe selbst kam.297 Letztlich blieb die Frage, ob die Selbsttötung bzw. Hilfe zur Selbsttötung aus christlicher Perspektive legitim sei, eine Frage, welche die Kommission am meisten beschäftigte. Honecker fasste die Problematik zusammen: Durch den medizinischen Fortschritt würden nun Menschen am Leben erhalten, die vor zehn Jahren noch gestorben wären. Dies sei nicht allein positiv zu sehen, es entwickelten sich dadurch auch Probleme: Es entstünden Schwerstpflegefälle, denen teilweise durch medizinische Maßnahmen das Recht zu sterben genommen werde.298 Als Dilemma wurde in der Diskussion festgehalten, dass die Tötung auf Verlangen zwar weiterhin gesetzlich strafbewehrt bleiben sollte, eine Selbsttötung aber nicht. Wenn jedoch die Selbsttötung unbestraft bleiben soll, entstünde ein Problem für jemanden, der seine Selbsttötung eben nicht selbst vornehmen könne. Im Prinzip müsste dann der Staat die Mittel zur Selbsttötung bereitstellen, um sein Recht zu wahren.299 Dies schien allen Anwesenden problematisch. 294 Er greift hier implizit eine zeitgenössische Diskussion auf, in der es darum ging, ob einem bewussten, aber schmerzhaften Sterben gegenüber einem durch Schmerzmittel in der Wahrnehmung beeinflussten Sterben der Vorzug gewährt werden müsse. Das bewusste Sterben, davon gingen einige aus, sei der bessere Tod: Anderenfalls würde der Sterbende um seinen Tod betrogen. 295 Koch argumentierte, dass das Leben des Anderen nicht angetastet werden dürfe, und hatte dabei ein biologisches Verständnis vor Augen. Solange man dies beibehält, bleibt Kochs Aussage dabei stringent; wenn jedoch eine weiterführende Deutung der Unantastbarkeit des Lebens angelegt wird, dass also über ein Leben nicht verfügt werden dürfe, kommt man zum gegenteiligen Schluss: Gerade in der Verweigerung der Sterbehilfe liegt dann ein „Antasten“ des Lebens des Anderen begründet – denn es wird insofern darüber verfügt, dass ein Sterbewunsch ausgeschlagen wird. 296 Niederschrift über die 7. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 29. März im Katholischen Büro in Bonn vom 18.04.1988, EZA 3/07/10764. 297 Während Honecker beispielsweise hervorhob, dass Selbsttötung in der Bibel nicht direkt als Sünde qualifiziert werde, sah Kasper in den Selbsttötungen Sauls und Judas deutlich fehlerhaftes Verhalten begründet. ebenda. 298 ebenda. Koch: „Wenn man ein Recht auf Tötung auf Verlangen konzediert, dann muß man konsequenterweise so weit gehen, dem Staat die Pflicht zur Bereitstellung der Möglichkeit der Tötung auf Verlangen aufzuerlegen.“ ebenda. 299 ebenda.

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Der Sache nach konnte man sich schließlich darauf verständigen, dass die komplizierten Details der Sterbehilfedebatte in der angestrebten Publikation nicht explizit angesprochen werden sollten.300 Vor allem Barth setzte sich dafür ein, in der geplanten gemeinsamen Erklärung weniger die Extremfälle in den Blick zu nehmen, als vielmehr tragende Grundsätze einer ethischen Orientierung zu entwickeln. Wenn man weiter von den Extremfällen aus denke, würde man die tragenden Grundsätze verwischen. Es sei lieber zu akzeptieren, dass in den formulierten Grundsätzen an den Rändern Einschränkungen hinzunehmen seien. Koch sah das ähnlich, er wollte nicht, dass „Grenzfälle unter der Hand zur Norm gemacht werden.“301 Daher wandte sich die Kommission den praktischen Fragen der Inhalte der Publikation zu. Buschmann, die selbst „aus christlichem Verständnis“ die Selbsttötung ebenfalls eindeutig als ethisch verboten ansah, fragte im Hinblick auf die angestrebte Publikation, wie dieses Verbot für Menschen verständlich gemacht werden könne, die „ohne die Voraussetzung Gott“ lebten.302 Koch war hierzu der Auffassung, dass dafür zuerst beschrieben werden müsse, was das Leben der „nicht Glaubenden“ lebenswert mache, um dann auf die verbotene Selbsttötung zu kommen.303 Auf dieses Vorgehen verständigte man sich letztlich: Durch die Anknüpfung an individuell Erfahrenes, könne die ethische Problematik erst entwickelt werden; die Erlebnisse aus häuslichen Betreuungssituationen von Angehörigen oder auch Sterbenden konkretisierten das ethische Problem. Es müsse zudem deutlich werden, so war man sich einig, dass das Sterben eines Menschen immer Auswirkungen auf seine Mitmenschen habe, wie etwa die Familie, die Pfleger und Ärzte. Der Kontext von „Leid und loslassen können“ spiele bei diesem Personenkreis eine große Rolle.304 Nur indem betroffene Gruppen angesprochen würden, könne man etwas bewirken, denn allgemeinethische Aussagen seien im Grunde überflüssig.305 Offen blieb lange, ob ein Votum zur Selbsttötung aufgenommen werden sollte, da man sich uneinig war, ob ein Kranker durch das Weglassen lebenserhaltender Medikamente sich nicht ebenfalls selbst töte, sodass grundsätzlich kein Unterschied zur Einnahme von tötenden Mitteln bestehe. Die Frage der „Selbstbestimmung“ wurde diesbezüglich breit diskutiert. „Das Recht auf eine Selbstbestimmung

300 Honecker formulierte: „Es ist mir unsicher, ob wir gut daran tun, eine Kasuistik zu den Fragen der Sterbehilfe aufzustellen. Auch ist mir noch nicht klar, ob wir terminologische Fragen diskutieren sollten.“ ebenda. 301 ebenda. 302 Vgl. ebenda. 303 Vgl. ebenda. 304 ebenda. 305 Platz sah die Aufgabe der Publikation darin, weniger schöpfungstheologisch zu argumentieren als vielmehr soteriologisch, denn ansonsten, so befürchtete er, gehe der Sinn für Brüche im Leben verloren. Schmerz und Leid gehörten zum Leben dazu, eine schöpfungstheologische Sicht verharmlose dies. Platz merkt zudem an, dass er illusionäre Vorstellungen über ein heiles und harmonisches Leben vor allem bei älteren Menschen der Arbeiterschicht feststelle. ebenda.

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sei strittig“ und daher, so Koch, nicht in die Publikation mit aufzunehmen.306 Es gebe schließlich auch die theologische Diskussion, ob nicht Selbstbestimmung per se Sünde sei und das Leben vielmehr darauf ausgerichtet werden müsse, sich dem Willen Gottes verfügbar zu machen. Kasper pflichtete ihm bei und bemerkte, der katholischen Lehrmeinung folgend, dass im von Gott gegebenen Leben eine Aufgabe bestehe, die der Mensch nicht ablehnen könne. Honecker schlug daraufhin vor, in der Publikation auf das Wort „Selbstbestimmung“ zu verzichten, da es nicht zu einem tragfähigen Kompromiss reiche. Vielmehr müsse ausgedrückt werden, dass das Leid im Sterbeprozess nicht gewollt sei, vielmehr geholfen werden solle, das Leid zu bestehen. Kasper hielt abschließend fest, dass aus katholischer Perspektive die Grundhaltung eines Christen darin begründet sein müsse, Leid anzunehmen.307 4.5.2.7 Organtransplantation Honecker führte auf der neunten Kommissionssitzung in das Thema der Organtransplantation ein. Während zu Anfang der medizinischen Fortschritte auf diesem Gebiet auf katholischer Seite noch Vorbehalte gegenüber der Transplantation aufgrund des Verstümmelungsverbotes bestanden hätten, sei man mittlerweile in beiden Kirchen in der Bewertung von Organspenden einig und stehe dieser medizinischen Maßnahme positiv gegenüber.308 Eine gesetzliche Regelung stehe weiter aus, obwohl sich mittlerweile ein reges Transplantationswesen in den Krankenhäusern etabliert habe.309 Problematisch sei, wie die Einwilligung zur Organentnahme geregelt werde; nach dem Tod müsse die Organentnahme relativ schnell geschehen und die Angehörigen seien in der Situation bereits mit der Bewältigung des Todes beschäftigt und mit einer plötzlichen Anfrage nach den Organen überlastet. Ohne eine ausdrückliche Einwilligung aber könne man wohl nicht verfahren; die Möglichkeit, die Entnahme durch einen „rechtfertigenden Notstand“ zu legitimieren,

306 ebenda. 307 ebenda. 308 So hilfreich für die Betroffenen eine Organspende auch sein möge, gebe es auch deutliche Grenzen: „Es gibt Organe, bei denen eine Transplantation überhaupt nicht in Betracht kommt. Dies gilt vor allem für das Gehirn, weil es personalitätsprägend ist. Sehr problematisch müßte eine Organtransplantation auch im Blick auf die Sexualorgane sein.“ Niederschrift über die 9. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 27. September 1988 in Frankfurt/Main vom 4.10.1988, EZA 3/07/10765. 309 Eine gesetzliche Regelung des Transplantationswesens wurde erst 1997 durch das Transplantationsgesetz eingeführt. Zuvor war lediglich gemäß den standesrechtlichen Selbstverpflichtungen der transplantierenden Ärzte vorgegangen worden. 1984 hatten schließlich einige führende transplantierende Ärzte selbst diesen Missstand zu regeln versucht, indem sie eigene Standesregeln entwickelten. Siehe dazu Redaktion des Ärzteblattes, Transplantationszentren gründen Arbeitsgemeinschaft, in: DÄ 81 (1984), S. 408, (A) 7.

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lehne er ab, da diese Argumentationsweise keine Dauerlösung in der Organtransplantation sein könne.310 In der sich anschließenden Aussprache hob Reiter hervor, dass die neuesten päpstlichen Äußerungen sehr positiv gegenüber der Organspende eingestellt seien und die Spendebereitschaft explizit loben würden. Allgemein bestand in der gemeinsamen Kommission die Auffassung, dass Organspenden grundsätzlich sehr zu befürworten seien und diese Thematik in die Publikation aufgenommen werden solle.311 Lediglich die Art und Weise, wie dies geschehen sollte, wurde kontrovers diskutiert. Die in der Kommission vorhandene Einigkeit dürfe nicht dazu führen, dass man sich nun zur „Speerspitze der Transplantationschirurgen“ mache.312 Weder bestehe eine „Christenpflicht“, seine Organe zu spenden (Waschbüsch), noch dürfe ein Zwang zur „Sozialisierung des Leichnams“ aufgebaut werden (Honecker). Zudem dürfe die Publikation nicht den Eindruck erwecken, dass durch Transplantationen das Leben um jeden Preis zu verlängern sei. Frau Buschmann wiederum deutete die Bereitschaft zur Organtransplantation als „Sozialpflichtigkeit des Lebens“.313 Niemeyer berichtete, dass im Kontaktgesprächskreis diese Auffassung ebenfalls vertreten worden sei und man sich dort eine Aufnahme der Thematik wünsche. Reiter informierte die Gruppe daraufhin, dass auf katholischer Seite gerade an einer Stellungnahme gearbeitet werde, die die Organspende zum Inhalt habe.314 Allgemein war man der Auffassung, dass die Gruppe sich selbst nur mit einigen wenigen Sätzen zum Thema äußern solle.315 Die Organspende sollte in der angestrebten Publikation argumentativ im Kontext der Nächstenliebe dargestellt werden.316

310 Niederschrift über die 9. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 27. September 1988 in Frankfurt/Main vom 4.10.1988, EZA 3/07/10765. 311 Niemeyer wusste zu berichten, dass im Kontaktgesprächskreis diese Auffassung ebenfalls vertreten worden war und man sich dort eine Aufnahme der Thematik ebenfalls wünsche. ebenda. 312 So formulierte Honecker. ebenda. 313 ebenda. 314 Die Erklärung zur Organtransplantation ist dann als erster Titel der neu gegründeten Reihe „Gemeinsame Texte“ der EKD und der DBK herausgegeben worden: Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz, Organtransplantationen. Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover, Bonn 1990. 315 Niemeyer: „Wenn wir uns zu diesem Thema äußern, sollten wir allerdings die Diskussion der Grenzfallprobleme aussparen.“ Niederschrift über die 9. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 27. September 1988 in Frankfurt/Main vom 4.10.1988, EZA 3/07/10765. 316 Johannes Reiter: „In der Sache muss es darum gehen, die Organspende als eine Tat der Nächstenliebe zu charakterisieren. […] Dies geschieht am besten so, dass wir unseren Respekt aussprechen für alle, die zu einer Organspende bereit sind, wir dürfen aber nicht in einer solchen Weise formulieren, daß diejenigen, die nicht zur Organspende bereit sind, darin einen Verstoß gegen das Gebot der Nächstenliebe erkennen würden.“ ebenda.

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4.5.3 Anfertigungsprozesse und Verschriftlichung eines Gesamttextes Barth hatte auf der fünften Kommissionssitzung am 15. Dezember 1987 für die weitere Arbeit in der Kommissionsarbeit vorgeschlagen, das weitere Vorgehen an einem konkreten Entwurf fortzusetzen. Er sei auch bereit, bei der Erarbeitung eines entsprechenden Aufrisses mitzuarbeiten. Platz bot daraufhin ebenfalls an, die bisherige Diskussion in Überschriften zusammenzufassen und so mit Barth zusammenzuarbeiten.317 Barth und Platz wurden daraufhin von den Arbeitsgruppenmitgliedern beauftragt, einen Gliederungsaufriss zu erstellen.318 Barth hatte dazu zunächst den Anfang gemacht und eine umfangreiche Vorlage erstellt. Diese war Platz anschließend postalisch zugegangen. In einem sich daran anschließenden ganztägigen Gespräch zwischen Platz und Barth wurden Teile des Entwurfes überarbeitet und von Platz in die Vorlage eingearbeitet.319 Diesen so entstandenen Text bekam Barth zur Durchsicht und erstellte maschinenschriftlich in kursiver Type einige Kommentierungen am Textrand. Der so entstandene Text wurde den Mitgliedern der Kommission am 16. März 1988 zugesandt.320 In dem Anschreiben, welches diesem Text beigefügt wurde, hielt Barth fest, dass die Vorlage nicht als Vorentwurf des gemeinsamen Wortes verstanden werden, sondern vielmehr „eine Beschreibung der zu leistenden Aufgabe liefern“ sollte. Barth schrieb: „Herr Platz und ich waren uns dessen bewußt, daß wir mit der Vorlage den Beratungen in unserem Kreis zum Teil weit vorausgegriffen haben.“321 Dem Aufriss vorangestellt waren einige Vorbemerkungen, die unter anderem die möglichen Ziele der gemeinsamen Erklärung definierten. Die gemeinsame Erklärung sollte demnach erstens eine Aussage der beiden Leitungsgremien, also der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD, zweitens eine Orientierung für Christen in den beiden großen Kirchen über die jeweils eigenen und die gemeinsam geteilten Positionen der beiden Kirchen und drittens ein Angebot an die Öffentlichkeit zur Klarstellung und gleichsam eine Werbung für die Positionen der beiden Kirchen darstellen.322 Der detaillierte Aufriss trug zwei Titel als Alternative: „Leben 317 Niederschrift über die 5. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 15. Dezember 1987 in Frankfurt/Main vom 23.12.1987, EZA 3/07/10763. 318 ebenda. Der Gliederungsaufriss sollte bis zur Sitzung am 29.03.1988 fertig und den Arbeitsgruppenmitgliedern zugegangen sein. 319 Niemeyer wirkte bei der ersten Texterstellung auch mit. Er informierte die katholischen Mitglieder der gemeinsamen Kommission darüber, dass er sich noch im Februar 1988 mit Barth treffen werde, um einen gedanklichen Aufriss für die gemeinsame Erklärung zu erstellen. In welchem Umfang er Einfluss auf diesen ersten Entwurf hatte, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Brief von Niemeyer an die katholischen Mitglieder der evangelisch-katholischen Komission „Schutz des Lebens“ vom 2.2.1987, AEK Zug. 862 Nr. 249. 320 Vorlage für die 7. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ versand von Barth an die Mitglieder am 16.03.1988, EZA 3/07/10764. 321 Anschreiben von Barth an die Mitglieder der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ vom 16.3.1988, EZA 3/07/10764. 322 Vorlage für die 7. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ versand von Barth an die Mitglieder am 16.03.1988, EZA 3/07/10764.

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schützen, achten, fördern“ oder „Gott ist ein Freund des Lebens.“323 Inhaltlich war der Vorschlag in fünf Kapitel aufgeteilt und bereits in eine argumentative Form gebracht worden: 1. „Gefährdungen des Lebens“. Dieses Kapitel sollte als Problemorientierung dienen und deskriptiv vorgehend allgemein-aktuelle Gefährdungen des Lebens aufzeigen. Darunter waren die Bedrohung natürlicher Lebensgrundlagen gefasst, wie das Waldsterben und das Ozonloch, zudem der lebensgefährdende „mörderische“ Verkehr, die Atomtechnik, die großen Abtreibungszahlen in der BRD und die Zunahme von seelischen Erkrankungen. Aus der Beschreibung der aktuellen Gefährdungen lasse sich für das folgende Vorgehen ableiten, dass eine „Koalition für das Leben“ erforderlich sei.324 2. „Besinnung auf die Botschaft der Bibel“. Ein gemeinsames Wort der Kirchen benötige eine „unanfechtbare und glaubwürdige Grundlage“, zudem eine biblische Meditation. Als biblische Textgrundlage eigne sich Weisheit 11,24–12.1, in der Gott als „Freund des Lebens“ bezeichnet wird. Daraus leite sich ab, dass die, die zu Gott gehörten, ebenfalls Freunde des Lebens sein müssten. 3. „Die Erde als Lebensraum: Menschsein in einer menschlichen Welt“, 4. „Die besondere Würde des menschlichen Lebens“, 5. „Aktuelle Herausforderungen beim Schutz des menschlichen Lebens.“ Der Vorentwurf war allen Kommissionsmitgliedern vorab zugegangen und war Gegenstand der 7. Kommissionssitzung am 29. März 1988. Alle Kommissionsmitglieder waren in den vorhergehenden Diskussionen der Ansicht gewesen, dass die Art und Weise der Formulierungen davon abhängig sein müsse, wer als Adressat durch den Text angesprochen werden sollte. Auch war noch nicht geklärt worden, welchen Charakter die Schrift haben sollte – darüber war in den Sitzungen noch nicht ausführlich gesprochen worden. Sollte sie im Duktus einer kirchlichen Verlautbarung oder im Stile einer Denkschrift abgefasst werden? In der Aussprache über den Textentwurf trat dieses Gesprächsdefizit deutlich zu Tage. Barth und Platz hatten sich in ihrer Textvorlage darauf verständigt, das Ziel der gemeinsamen Erklärung sei ein „Angebot an die Öffentlichkeit zur Klarstellung und als Werbung für die ethische Position der beiden Kirchen“.325 Damit hatten sie jedoch etwas vorweggenommen, was in der Kommission noch nicht besprochen worden war und somit die Diskussion herausforderte. Der Begriff „Werbung“ wurde dabei besonders von Weidle kritisiert, da sie der Auffassung war, dass er dem Charakter der Schrift, sich selbst in das Verhältnis zur Auffassung der Kirchen zu setzen, nicht gerecht werde. Die Schrift werde durch den Begriff „Werbung“ zu sehr politisiert. Sie wollte die geplante Schrift eher als „Hirtenwort“ verstanden wissen. Barth stimmte ihr zu, dass mit

323 Die Beschreibung gründet sich im Folgenden auf ebenda. 324 „Alle wichtigen Gebiete der Lebensgefährdung sind aufzunehmen, dadurch gewinnt das Eintreten für den Schutz des Lebens erst besondere Glaubwürdigkeit.“ ebenda. 325 ebenda.

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der Schrift keinem politisch-parlamentarischen Gremium in die Hand gespielt werden sollte. Platz wiederum wollte in eine andere Richtung: „Auch wenn primär die Christen in den beiden Kirchen die Adressaten sind, so verbindet sich mit den Äußerungen doch zugleich die Absicht, Orientierung für die Gesellschaft geben zu wollen.“326

Zwischen dem katholischen Anliegen, „Orientierung zu geben“, und dem evangelischen Verständnis der geplanten Publikation, „zu zeigen, was christlich ist“, bestand ein bedeutender Unterschied.327 Koch und Honecker versuchten, die Art und Weise, wie formuliert werden sollte, durch eine genauere Bestimmung der Adressaten zu klären. Dabei stellten sie die Verantwortung der einzelnen Christen in den Vordergrund. Ein gewisses Bildungsniveau sei dabei vorausgesetzt. Honecker und Barth schlugen vor: „Die Äußerung wendet sich an die verantwortungsvollen Christen und darüber hinaus an alle, die sich verstehend darauf einlassen wollen, was wir den verantwortlichen Christen sagen wollen“.328

Sowohl Engelhardt als auch Koch konnten sich damit nicht anfreunden, da dadurch zwischen Christen und Nichtchristen unterschieden würde. Die geplante Publikation sollte sich aber auch an die Nichtchristen wenden, ohne diese auszugrenzen. Engelhardt machte deutlich: „Wir wollen von Gott reden, aber dies doch in einer weltlichen Sprache.“329 Die daraus resultierende Aufgabe sei es dann, Grundsätzliches über das christliche Lebensverständnis auszusagen, ohne dabei spezielles Vorwissen beim Leser vorauszusetzen. Eine christliche Position, so Wintzer, würde sich nicht immer an die konfessionellen Grenzen halten.330 Kasper stellte dagegen klar, dass es sich bei der Publikation um eine kirchliche Aussage handle, daher sei von den Aussagen der Kirche her zu denken und persönliche Abweichungen davon zurückzustellen. Dort, wo die Kirchen verbindliche Überzeugungen haben, sei die Grenze für offene Formulierungen zu ziehen. Diese Punkte würden für den Abfassungsvorgang die Hauptschwierigkeiten darstellen.331 In der Diskussion um mögliche Adressaten der gemeinsamen Stellungnahme wurde letztlich festgehalten, dass sie sich nicht an die Regierung oder das Parlament richten solle, da hierzu andere Kommunikationswege zur Verfügung stünden. An Fachleute sei die Schrift ebenfalls nicht zu richten, da die Kirche dazu „andere 326 Niederschrift über die 7. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 29. März im Katholischen Büro in Bonn vom 18.04.1988, EZA 3/07/10764. 327 ebenda. 328 ebenda. 329 ebenda. 330 ebenda. 331 ebenda.

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Wege beschreiten“ müsse.332 „Die Öffentlichkeit insgesamt“ könne auch nicht als primärer Adressat gelten, sondern das „Kirchenvolk“. Dabei könne, so Barth, nicht das durchschnittliche Gemeindeglied gemeint sein, sondern die verschiedenen kirchlichen Arbeitsbereiche müssten, durch die Publikation angesprochen, die Inhalte der Schrift übersetzen und „in den Verstehenshorizont des durchschnittlichen Gemeindegliedes hinein“ vermitteln.333 Als Adressatin der Schrift wurde somit eine breitere Öffentlichkeit definiert, die sich in kirchlichen Kontexten beheimatet sah. Die politische Öffentlichkeit sollte also nicht als Adressatin angenommen werden, sondern vornehmlich Menschen in „kirchlichen Arbeitsbereichen“. Dadurch wurde als Adressatin eine interessierte bzw. für kirchliche Belange sensibilisierte Öffentlichkeit angesprochen. Die von diesen Menschen geforderte Vermittlungsleistung ist Gegenstand der protestantischen Meinungsbildung: In offener Diskussion mit anderen Menschen sollte eine Diskussion angestoßen werden. Die Individuen, die diese Diskussion führen sollten, wurden wiederum durch die Inhalte und Argumente der gemeinsamen Erklärung dazu befähigt. Dieses ist ein traditionelles Kennzeichen der protestantischen Kommunikationskultur. 4.5.4 Zustimmung der Mitglieds- und Gastkirchen der ACK (West) Zu Beginn der Arbeit an der gemeinsamen Erklärung hatten sich EKD und DBK darauf geeinigt, zunächst nur gemeinsam an der gemeinsamen Erklärung zu arbeiten und eventuell dann später andere Kirchen an der Erklärung zu beteiligen. In der 28. Sitzung des Rates der EKD vom 26.-28. Mai 1988 wurde dem Rat über die Fortschritte der gemeinsamen Erklärung berichtet. Hier griff Joachim Held, der noch bis vor wenigen Monaten Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (West) gewesen war, den Punkt auf und schlug vor, auch „den Freikirchen“ anzubieten, in den Unterzeichnerkreis der gemeinsamen Erklärung zu treten.334 Hierunter verstand er den „Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland“, also den Baptisten. Barth organisierte daraufhin ein Treffen im November 1988, an denen der Präsident Lorenz und sein Mitarbeiter Uwe Swarat teilnahmen. Von Barth wurde zu dem Treffen ein Aktenvermerk angefertigt. Er hält fest, dass die Baptisten dem Text, soweit er Ihnen schon vorlag, vollständig zustimmen würden und gerne auch als Mitunterzeichner der Erklärung genannt werden möchten. Der Grund ihrer Beteiligung sei, dass der Politik so das Argument ge-

332 Niederschrift über die 5. Sitzung der Evangelisch-Katholischen Kommission „Schutz des Lebens“ am 15. Dezember 1987 in Frankfurt/Main vom 23.12.1987, EZA 3/07/10763. 333 ebenda. 334 Siehe das Ratsprotokoll der 28. Sitzung des Rates der EKD vom 26.–28.Mai 1989. EZA 3/07/10761.

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nommen werden könnte, die Kirchen seien sich untereinander im Lebensschutz nicht einig.335 Barth griff das Thema der größeren Beteiligung wieder auf und erkundigte sich im April 1989 beim katholischen Vorsitzenden der Kommission für ökumenische Fragen Paul-Werner Scheele, der von 1979-1982 auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (West) gewesen war, inwieweit der ACK in die Erklärung miteinbezogen werden könnte.336 Scheele und Barth verständigten sich auf ein Vorgehen und banden daraufhin den Vorsitzenden der ACK (West) Hans Beat Motel ein. Dieser organisierte daraufhin innerhalb der ACK die weiteren Absprachen.337 Die Antworten der mitmachenden Kirchen trafen zügig im Kirchenamt der EKD ein, Barth hatte hierzu eine Frist bis spätestens zum 4. November 1989 gesetzt, um den Termin der Drucklegung halten zu können. Die über den ACK (West) angefragten Kirchen hatten somit nur vergleichsweise wenig Zeit sich zu beraten, sie bekundeten jedoch sehr schnell ihre Bereitschaft.338 Letztlich haben sich so alle Mitglieds- und Gastkirchen der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) die gemeinsame Erklärung zu eigen gemacht.

335 Siehe den Aktenvermerk von Barth am 10.11.1988 über das Treffen mit Lorenz und Swarat vom 09.11.1988. Beide hätten es gern gesehen, wenn sie noch zwei Vertreter zur Kommissionsarbeit entsenden könnten und baten Barth dies vorzuschlagen. Löwe und Scheele, die sich aufgrund der von Barth weitergeleiteten Bitte berieten, waren sich jedoch einig, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Erweiterung der Kommission nicht günstig sei, es jedoch gut wäre, wenn so viele Kirchen wie möglich mitmachten um der Politik gegenüber Einigkeit zu demonstrieren. Siehe Brief von Löwe an Scheele vom 22. November 1988. EZA 3/07/10761. 336 Brief von Barth an Scheele am 25.04.1989. EZA 3/07/10761. 337 Bereits im Juni existierten „Mitmachlisten“ die festhielten, welche Mitgliedskirchen des ACK bereit waren, die gemeinsame Erklärung ebenfalls zu unterzeichnen. Siehe die Listen vom 06.06.1989. EZA 3/07/10761. Ein eigener Beschluss der Mitgliedsversammlung der ACK hingegen existiert laut ACK-Geschäftsstelle nicht. (EMail vom 25.03.2015). 338 Siehe hierzu beispielsweise die Zustimmungsschreiben der Vereinigung der Mennonitengemeinden (26. Juni 1989), der Altkatholiken (29. Juni 1989) und der Heilsarmee Deutschland (30. Juni 1989). EZA 3/07/10761.

5 Zusammenfassung und Ausblick 5.1 Zusammenfassung der Ergebnisse Die gemeinsame Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ dokumentiert die Reaktion der evangelischen und der katholischen Kirche in Deutschland auf die neuen bioethischen Problemstellungen gegen Ende der 1980er Jahre. Sie konzentriert sich auf den Bereich der evangelischen Kirche in Deutschland. Die Untersuchung dieser Reaktion hat zwei wichtige Ergebnisse erbracht: 1.) Die Art und Weise, wie in der gemeinsamen Erklärung argumentativ und rhetorisch vorgegangen wird, orientiert sich an den Erfahrungen, die die evangelische Kirche in den ethischen Positionierungen zuvor gesammelt hat, und stellt damit eine konsequente und zeitgemäße Weiterentwicklung der kirchlichen ethischen Stellungnahme dar. 2.) Die inhaltliche Ausrichtung der gemeinsamen Erklärung am Lebensbegriff ermöglicht den beiden Kirchen, einen eigenen Zugang zur Bioethik zu finden. Dabei profitieren die Kirchen von den Diskussionen des konziliaren Prozesses und den eigenen zuvor erarbeiteten gemeinsamen Stellungnahmen. 5.1.1 Eine zeitgemäße Form ethischer Positionierung Mehrere Kennzeichen der gemeinsamen Erklärung bezeugen ihr einen zeitgemäß ausgerichteten Kommunikationsstil. Zum einen werden die Mitglieder der die gemeinsame Erklärung erstellenden Arbeitsgruppe namentlich genannt. In den evangelischen Denkschriften hatte sich die Nennung der Mitgliedernamen erst in den 60er Jahren etabliert, zuvor wurden diese Namen strikt geheim gehalten. In den gemeinsamen Stellungnahmen von EKD und DBK wurden seit Aufnahme der Zusammenarbeit in ethischen Stellungnahmen 1979 die Namen nicht veröffentlicht. Erst mit „Gott ist ein Freund des Lebens“ werden auch in gemeinsamen Stellungnahmen die Namen der Arbeitsgruppenmitglieder benannt, was als ein deutlicher Zuwachs von transparenter Vorgehensweise anzusehen ist. Zum anderen ist das argumentative Vorgehen zu nennen, welches durch die Kombination von Schriftbezug und gleichzeitiger Orientierung an natürlichen Gegebenheiten geprägt ist. Die erste gemeinsame Erklärung „Grundwerte und Gottesgebot“ war durch eine Auslegung des Dekalogs strukturiert. Dieser vorherrschende Schriftbezug, der ja traditionelles Kennzeichen des Protestantismus ist, wurde in der zweiten gemeinsamen Erklärung „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung“ von einer deutlichen Besinnung auf eine natürliche Umwelt, die im Kontext eines katholischen Naturbegriffes gestellt war, abgelöst. Indem in „Gott ist ein Freund des Lebens“ die biologische Argumentation mit dem Bezug auf die Schrift kombiniert wurde, konnten sich beide Kirchen in der Vorgehensweise wiederfinden: Sowohl ein protestantisches Merkmal von Argumentation, der Schriftbezug, als auch ein typisches katholisches

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Zusammenfassung und Ausblick

Denkmuster, der Bezug auf die Natur, konnten so aufgenommen werden, dass beide Kirchen dem Text zustimmen konnten ohne befürchten zu müssen, eigene Traditionen zu vernachlässigen. Die Anknüpfung an die Biologie machte die gemeinsame Erklärung wiederum verständlich für die Naturwissenschaften und damit kompatibel zu einem modernen Weltbild. Dieses ist den Erfahrungen der Kirchenkrise geschuldet, die zeigte, dass die Kirchen anknüpfungsfähig argumentieren müssen, wenn sie gehört und verstanden werden wollen. Diese anknüpfungsfähige Form der Argumentation leitet bereits zu einem dritten Kennzeichen über. Anstatt wie zuvor in der gemeinsamen Erklärung „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung“ politische Forderungen zu stellen oder die Politik als Adressaten zu wählen, wurde eine größere Öffentlichkeit angesprochen, gleich, ob diese christlich oder nicht christlich ist. Beide Kirchen positionierten sich so als gleichberechtigter Diskussionspartner neben den anderen Akteuren der bioethischen Probleme. Zudem wurde das Individuum als Entscheidungsträger ethischer Problemkonstellationen in den Vordergrund gerückt. Von einer Forderung nach Gesetzesänderungen oder neuen Regelungen durch Gesetze wurde abgesehen und die für nötig gehaltenen gesellschaftlichen Umgestaltungen wurden in den Bereich individuellen zivilgesellschaftlichen Engagements verlagert. Damit ist ein wichtiges Kennzeichen des zeitgenössischen Protestantismus benannt: Der Mittler „Staat“ zwischen Kirche und Politik im Hinblick auf die Regelung ethischer Konflikte wird in die zweite Reihe gestellt. Die konsequente Entscheidung, die Lösung ethischer Probleme vornehmlich im Regelungsbereich individueller ethischer Akteure zu verorten, ist sowohl Resultat der Erkenntnisse der Kirchenkrise, die die Individuen als bevorzugte Entscheidungsträger identifiziert hatte, als auch Ergebnis einer strategische Entscheidung: Die Mitglieder der Arbeitsgruppe „Schutz des Lebens“ waren sich einig, dass individuelles, zivilgesellschaftliches Engagement einen größeren Schutz leisten könne als ein gesetzlich garantierter. Dies stellt gewissermaßen auch einen Wendepunkt der katholischen Kirche im Umgang mit der Schwangerschaftsabbruchproblematik dar: Sie hatte sich somit auf eine evangelische Vorgehensweise eingelassen. Viertes Kennzeichen zeitgenössischer ethischer kirchlicher Stellungnahme ist die ökumenische Ausrichtung der Schrift. Die durch das Engagement der beiden großen christlichen Kirchen entwickelte gemeinsame Erklärung fand Anschluss aller in Deutschland vertretenden christlichen Kirchen. Dies sagt zum einen etwas über das gegenseitige Verhältnis der Kirchen in Deutschland aus, zum anderen etwas über die Zusammenarbeit der evangelischen und der katholischen Kirche. Die kleineren christlichen Kirchen schlossen sich der fertigen Erklärung an, obwohl sie kaum Zeit hatten, diese grundlegend zu überprüfen. Ihnen kam es darauf an, Geschlossenheit gegenüber der Politik, aber auch der Öffentlichkeit gegenüber zu demonstrieren, was nachhaltig gelang. Dadurch wurde eine „christliche“ Stimme geschaffen, die im Diskurs laut werden und auf einen sehr großen Rückhalt in der Bevölkerung bauen konnte. Die Kraft, eine eigene Stellungnahme zu den ethischen

Zusammenfassung der Ergebnisse

227

Problemstellungen zu entwickeln, hatten die kleineren Kirchen aus verschiedenen Gründen nicht. Finanzielle Möglichkeiten und intellektuelle Kapazitäten können hier wohl als Gründe angeführt werden. Die Stimmen kleiner Kirchen gehen im Konzert der großen Meinungsführer oft unter; sich der Chorstimme anzuschließen, war somit schon aus strategischen Überlegungen eine notwendige Entscheidung. Zum Verhältnis zwischen evangelischer und katholischer Kirche wiederum lässt sich feststellen, dass beiden Kirchenleitungen bewusst geworden war, dass konfessionelle Differenziertheit kaum ein Mittel mehr war, um in der Bewertung ethischer Fragestellungen Mehrheiten auf die eigene Position zu konzentrieren. Besonders die katholische Kirche hatte die Erfahrung gemacht, dass eine zu enge Bindung an die Politik zur Durchsetzung ihrer ethischen Leitbilder im Hinblick auf ihre mögliche Verrechtlichung immer weniger Wirkkraft entwickeln konnte. Nicht nur die neue grüne politische Partei, die Umweltbelange prominent in die öffentliche politische Diskussion einbrachte, ist für die Veränderungen verantwortlich. Auch in der CDU wollte man immer weniger einer Normierung durch die katholische Kirche folgen, da diese nicht zuletzt in der Schwangerschaftsabbruchdebatte nicht zeitgemäße Vorstellungen einer Gesellschaftsordnung transportierte. Die katholische Kirche musste sich somit einen neuen Partner zur Durchsetzung ihrer Ziele suchen. Sie war es, die die Arbeit zu einer neuen gemeinsamen Erklärung zum Schutz des Lebens anstieß, um in der Öffentlichkeit Gehör zu finden. Zunächst war von katholischer Seite nur das vorgeburtliche Leben gemeint. In der engen Zusammenarbeit beider Kirchen, die sich auf die vorher erarbeiteten Stellungnahmen bezog und auch personelle Überschneidungen bot, konnte dann ein weiterführendes Verständnis des Lebensschutzes entwickelt werden, welches nicht nur das ungeborene Leben, sondern auch weitere Bereiche der Gefährdung des Lebens einbezog. Dieses war durch eine neue ökumenische Grundstimmung möglich geworden, die von den Beteiligten beider Kirchen aktiv gefördert wurde. In den 1980er Jahren stellte sich dabei die Lösung einiger ökumenischer Probleme einfacher dar, als es heute der Fall ist. Die Kommunikation kirchlich und konfessionell kontroverser Themen wird in der gemeinsamen Erklärung zugunsten eines gemeinsamen Auftretens als „christliche Stellungnahme“ vermieden. Anstatt zum Beispiel die konfessionellen Differenzen in der ethischen Bewertung der Nutzung kontrazeptiver Verhütungsmittel in den Vordergrund treten zu lassen, werden die Streitpunkte nur sehr behutsam formuliert. Den Arbeitsgruppenmitgliedern und auch den Kirchenleitungen war wichtiger, gemeinsam zu formulieren, als die Stellungnahme durch zu deutliche Formulierung der theologischen Differenzen in ihrer Rezeption abzuschwächen. Sowohl eine ökumenische Grundstimmung als auch ein strategisches kommunikatives Vorgehen sind Gründe für diese Zusammenarbeit. Leider konnte nicht eindeutig geklärt werden, inwiefern die beiden großen Kirchen durch die Erstellung der gemeinsamen Stellungnahmen nicht bewusst oder unbewusst auch einem Unionsprogramm gefolgt sind, das auf politischer Ebene

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Zusammenfassung und Ausblick

überkonfessionell christliche Werte in die Politik einzubringen versuchte. Indem die gemeinsamen Stellungnahmen faktisch als Union von evangelischer und katholischer Kirche christliche Wertvorstellungen definieren und damit ethische Leitbilder aufzeigen, folgen sie der Idee einer konfessionell nicht gebundenen „christlichen“ politischen Idee. Auffällig ist jedenfalls die zeitliche Korrelation von der Erstellung gemeinsamer Stellungnahmen und dem stärker werdenden Einfluss der CDU auf Bundesebene. 5.1.2 Kirchliche Bioethik „avant la lettre” Die in der gemeinsamen Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ durch die Heranziehung des Lebensbegriffs geleistete Integration der verschiedenen materialethischen Bereiche des Schutzes des ungeborenen Lebens, der Umweltethik und der Medizinethik im Kontext der neuen Möglichkeiten in der Fortpflanzungsmedizin und der Gentechnik, stellt einen eigenen kirchlichen Zugang zur Bioethik dar. Da der Begriff Bioethik selbst nicht zur Verfügung stand, die Notwendigkeit einer Verbindung der Themen jedoch deutlich wurde, mussten die Mitglieder der zugehörigen Kommission diesen Zugang selbst erarbeiten. Die gewonnene Erkenntnis, dass die genannten materialethischen ausdifferenzierten Bereiche letztlich doch untereinander verbunden waren und über das Schlagwort „Schutz des Lebens“ operabel wurden, ist der Schlüssel für die Erstellung der gemeinsamen Erklärung. Die neuen Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin mischten dem in den 1960er und 1970er Jahren bereits breit diskutierten Thema des Schwangerschaftsabbruchs eine neue Geschmacksnote bei und die Möglichkeiten der Gentechnik gaben der Thematik zusätzlich eine neue Schärfe hinzu. Dadurch entstand ein neues Gericht, das durch die ethische Verarbeitung verdaut werden musste. Die Umweltdiskussion ist diesem Gericht die nötige Beilage gewesen, die es abrundete. Die Kommissionsmitglieder konnten auf die Ergebnisse der Debatten des konziliaren Prozesses und der eigenen gemeinsamen Erklärungen aufbauen. Die Debatten des konziliaren Prozesses zu Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung hatten bereits eine wichtige Integrationsleitung erbracht: die Erkenntnis, dass die Themenbereiche des konziliaren Prozesses zusammen und als voneinander abhängig betrachtet werden müssen. Hierbei darf der Einfluss des DDR-Theologen Heino Falcke nicht gering geschätzt werden. Zwar ist dieser in der bisherigen Forschung noch wenig berücksichtigt worden, hier konnte jedoch aufgezeigt werden, welchen Einfluss seine Argumente im konziliaren Prozess gespielt haben. Die ethischen Fragen bezüglich des Umweltschutzes wurden im konziliaren Prozess bereits unter dem Begriff der „Bewahrung der Schöpfung“ diskutiert, also in einem größeren Kontext wahrgenommen. Bei aller dogmatischen Kritik an diesem Terminus ist jedoch unbestritten, dass dieser ja bereits mit einem theologischen Lebensbegriff verknüpft ist und seine Deutungsoffenheit den vielen am konziliaren Prozess Betei-

Zusammenfassung der Ergebnisse

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ligten die Möglichkeit gab, ihre ethischen Fragestellungen der Gefährdungen der Schöpfung anzusprechen. Besonders im deutschen Kontext der Stuttgarter Erklärung der ACK wurde deutlich, dass unter „Bewahrung der Schöpfung“ bereits die ethischen Probleme der Fortpflanzungsmedizin und der Gentechnik unter dem Begriff „Schutz des Lebens“ behandelt wurden. Gleichzeitig zu dem konziliaren Prozess entstanden zwei wichtige gemeinsame Erklärungen der evangelischen und der katholischen Kirche. Durch die Erfahrungen der gemeinsamen Stellungnahmen „Grundwerte und Gottes Gebot“ konnten grundsätzliche Verhältnisbestimmungen zwischen den Kirchen geklärt und gleichzeitig Erfahrungen in der Zusammenarbeit gesammelt werden, die Grundlage der weiteren Erklärungen wurden. Die konsequente Weiterarbeit beider Kirchen in der gemeinsamen Erklärung „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung“ zeigt dies auf. Strukturell zeigt sich eine hohe Kontinuität, die nicht zuletzt an der personellen Besetzung in den entsprechenden Arbeitsgruppen festgemacht werden kann. Beide Kirchen achteten darauf, ein gutes Verhältnis von sowohl in der ökumenischen Zusammenarbeit erprobten, als auch fachlich einschlägigen Kommissionsmitgliedern zu wahren. Indem jeweils hochrangige kirchenleitende Personen in der Kommissionsarbeit beteiligt wurden, wurde zwischen den Kirchen nicht nur die ernste Absicht der Zusammenarbeit dokumentiert, sondern auch eine spätere kircheninterne Rezeption sichergestellt. Die Debatten, die in der Arbeitsgruppe „Schutz des Lebens“ geführt wurden, spiegeln die Debatten und Vorerfahrungen der evangelischen Kirche der 1960er und 1970er Jahre wider: Die in der gemeinsamen Kommission diskutierte Frage nach den Adressaten, an die sich die Schrift richten solle, ist in einer anderen Spielart die gleiche Frage der Kirchenkrise und der darin begonnenen Problematisierung, was die Kirchenmitglieder von ihrer Kirche erhoffen. Eine negative Bestimmung der Erwartungen der Kirchenmitglieder ist einfacher zu treffen, als eine positive. Viele Kirchenmitglieder duldeten immer weniger ein autoritäres Einmischen in private Bereiche des Lebens, gleichsam waren viele Kirchenmitglieder der Auffassung, dass sich die Kirche nicht direkt in die Politik einmischen solle. Um jedoch weiterhin christliche Werte in die Gesellschaft einzubringen, wurde die Art der öffentlichen Kommunikation der evangelischen Kirche sukzessive von der vorschreibenden Form der „kirchlichen Verlautbarung“ zu einer auf Überzeugung angelegten und mit Argumenten versehenen Kommunikationsform angepasst. Die so entstandenen Stellungnahmen sind daher nicht umsonst dem Feld protestantischer Ethik zuzurechnen: durch Sachinformationen und Rückbezug auf christliche Urteilsweise wird dem individuellen Entscheidungsträger ein Instrument einer eigenen Urteilsfindung an die Hand gegeben. Die gemeinsame Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ ist zwar als ökumenische Publikation angelegt, sie kann jedoch gleichermaßen als protestantisches Schriftstück verstanden werden. Indem die ethischen Herausforderungen der Zeit mit den Erfahrungen vergangener Positionierungen kombiniert wurden, gelang der

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evangelischen und auch der katholischen Kirche ein eigener Zugang zur Bioethik. Dabei wurden protestantische Erfahrungen in der öffentlichen Kommunikation konsequent in das Schriftstück einbezogen. Ein argumentatives und abwägendes Vorgehen, wie es zuvor in den Denkschriften eingeübt wurde, traf sich mit der protestantischen Form politischer Einwirkung: Der Orientierung am Individuum.

5.2 Rezeption und Ausblick Betrachtet man die Rezeptionsgeschichte der gemeinsamen Erklärung, so kann man zwei Phasen wahrnehmen. Die erste beginnt unmittelbar nach ihrem Erscheinen 1989, während die zweite und vielleicht noch wirkkräftigere erst zehn Jahre später einsetzt. Bevor „Gott ist ein Freund des Lebens“ am 30. November 1989 gemeinsam vom Vorsitzenden der Bischofskonferenz Karl Lehmann und dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland Martin Kruse der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, hielten bereits einige Personen die gedruckte Schrift in ihren Händen – ihnen war, um eine zeitnahe Reaktion und Kommentierung zu ermöglichen, die Schrift bereits vorab zugegangen. Unter den Personen, die eine Vorabfassung bekommen hatten, befanden sich die Ministerpräsidenten und Senatspräsidenten aller deutschen Länder, Klaus Töpfer (Bundeminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit), Ursula Lehr (Professorin für Pädagogik und Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit), Roman Herzog (Präsident des Bundesverfassungsgerichts), Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundespräsident Richard von Weizsäcker.1 Die Reaktionen dieser Personen waren allesamt zustimmend. Der Bayerische Ministerpräsident kommentierte z.B. die gemeinsame Erklärung in einem umfangreichen Antwortschreiben auf neun Seiten und führte auf, wie die bayerische Politik die Erklärung konkret aufnehmen würde.2 „Gott ist ein Freund des Lebens“ ist eine Schrift mit großer Verbreitung. Bereits im Mai 1990 hatte die katholische Kirche über 50.000 gedruckte Exemplare verteilen können. Die evangelische Kirche stand dem aufgrund eines schlechteren Verteilungssystems hinterher, hatte jedoch auch bereits 20.000 Stück ausgeliefert. Nur wenige Monate nach ihrem Erscheinen, hatten die beiden Kirchen zudem für eine Übersetzung ins Englische und Französische gesorgt.3 Die katholische Kirche begann 1991 auf Anregung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken jährlich eine „Woche für das Leben“ zu veranstalten, die sich für den Schutz des ungeborenen Lebens einsetzt. Die erste „Woche für das Leben“ stand daher auch unter dem Titel „Schutz des ungeborenen Kindes“. Seit 1994 wird sie in Zusammenarbeit mit der EKD organisiert. Zum zehnjährigen Bestehen der „Woche für das Leben“ wurde die gemeinsame Erklärung „Gott ist ein Freund des 1 2 3

Vgl. AEK Zug 862 Nr. 251. Vgl. ebenda. Vgl. ebenda.

Rezeption und Ausblick

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Lebens“ im Jahr 2000 in einem Sonderdruck neu aufgelegt. Dies dokumentiert die Aktualität und weitere Gültigkeit der in der gemeinsamen Erklärung gewonnenen Formulierungen. Durch den Fall der Berliner Mauer und die sich daran anschließenden politischen Umwälzungen wurde die öffentliche Aufmerksamkeit in den 90er Jahren auf andere Fragestellungen gelenkt. Die Fragen nach einem vereinten Deutschland, der Zusammenbruch der Sowjetunion und damit die grundlegende Neubewertung der politischen Verhältnisse veränderten die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen in Deutschland. Das noch im Dezember 1990 vom Bundestag verabschiedete Embryonenschutzgesetz, welches die rechtlichen Regelungen zum Umgang mit IVF und einhergehender verbrauchender Forschung beinhaltet, sowie das im selben Jahr verabschiedete Gesetz zur Regelung der Gentechnik beendeten vorerst die größten Debatten um ihre ethische oder rechtliche Bewertung. Erneute Relevanz bekam die gemeinsame Erklärung im Zuge der 1999 in Kraft getretenen Bioethik-Konvention des Europarates. In Deutschland rückte die Frage wieder in den Vordergrund, wie die Präimplantationsdiagnostik und die verbrauchende Forschung an Embryonen ethisch zu bewerten seien. In den von den Kirchen hierzu erstellten Stellungnahmen wurde durchgängig auf die gemeinsame Stellungnahme „Gott ist ein Freund des Lebens“ verwiesen.4 Sie bildet bis heute das umfangreichste Dokument überkonfessioneller Zusammenarbeit in der Frage des Schutzes des Lebens. Das Interesse an der Bewertung bioethischer Fragestellungen scheint sich mittlerweile zu großen Teilen gelegt zu haben. Die Fragen, die der konziliare Prozess zu Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung stellte, werden heute deutlich weniger wahrgenommen, und wenn, dann im globalen Zusammenhang gerechter Produktionsbedingungen. Die Friedensfrage selbst ist in Deutschland kaum noch Gegenstand ethischer Betrachtungen von kirchlicher Seite, was verwundert, da nun ja tatsächlich deutsche Soldaten in Auslandseinsätzen eingebunden sind. In der kurzfristigen öffentlichen Aufregung, die sich an die Neujahrspredigt 2010 der damaligen EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmannn anschloss, wurde der Satz „Nichts ist gut in Afghanistan“ weniger wegen seiner friedensethischen Aussage kritisiert, sondern vielmehr weil diese Aussage konträr zur politischen Meinung stand.5 Den Ausführungen Käßmanns zur Umweltproblematik („Nichts ist gut in Sachen Klima“) und zur an die Friedensthematik angeschlossene Frage nach Ge4

5

Hermann Barth zeichnet in seinem Vorwort zu seiner Zusammenstellung seiner Vorträge, die im Kontext von Kirche und Bioethik gehalten wurden, den Werdegang der Rezeption kurz nach. Barth, Wie wollen wir, 2003. Er kommt ebenfalls zum Schluss, dass die gemeinsame Erklärung als „Magna Charta des Eintretens des Kirchlichen Schutz des Lebens“ gilt. ebenda, S. 7. Sieht man sich die abgedruckten Vorträge genauer an, so fällt auf, dass in fast allen auf die gemeinsame Erklärung verwiesen wird. In dem Buch findet sich zudem ein größerer Teil Rezeptionsgeschichte der gemeinsamen Erklärung dokumentiert. Vgl. Margot Kässmann, Fantasie für den Frieden oder selig sind, die Frieden stiften, Frankfurt a.M. 2010, S. 17.

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Zusammenfassung und Ausblick

rechtigkeit („es ist nicht gut, wenn so viele Kinder arm sind“) wurde öffentlich kaum Beachtung geschenkt.6 Alle drei Themenbereiche der Predigt sind letztlich die Aufgaben des konziliaren Prozesses gewesen. Die Frage nach der Bewahrung der Schöpfung hat sich jedoch weiterentwickelt und ist somit gegenwärtig Teil der ethischen Herausforderungen: Aus der kirchlich formulierten Forderung nach einer „Bewahrung der Schöpfung“ ist eine Nachhaltigkeitsdebatte geworden. Die ethische Bewertung des Einsatzes technischer Neuerungen scheint sich vornehmlich an der Regenerationsfähigkeit des beobachteten Systems zu orientieren. Die zukünftigen ethischen Herausforderungen, denen gegenüber sich die Kirchen werden positionieren müssen, werden voraussichtlich in diesem Kontext stehen. Die Diskussion über den Einsatz von Gentechnik und der Fortpflanzungsmedizin zeigte, dass der Anlass kirchlicher ethischer Stellungnahme eng an die gleichzeitige politische und damit ja auch gesellschaftliche Diskussion gebunden ist, wie die rechtlichen Regelungen hierzu ausgestaltet werden sollten. Auf dem politischen Tableau liegen die aktuellen Fragen nach einer „nachhaltigen Finanzwirtschaft“ genauso wie die Fragen nach einer „nachhaltigen Energiepolitik“. Die Frage wie diesen Herausforderungen zukünftig begegnet werden soll, wird wohl Gegenstand der ethischen Debatten der nächsten Zeit sein.

6

Vgl. ebenda, S. 16 und 18.

6 Anhang 6.1 Abkürzungen Die in der Arbeit verwendeten Abkürzungen richten sich nach Siegfried M. Schwertner, IATG. Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete: Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen Angaben = International glossary of abbreviations for theology and related subjects: periodicals, series, encyclopaedias, sources with bibliographical notes, Berlin, New York 1992.

6.2 Literaturverzeichnis 6.2.1 Unveröffentlichte Quellen 1. Evangelisches Zentralarchiv in Berlin (EZA) a. Bestand 2: Kirchenkanzlei der EKD (bis 1986) i. Evangelisch-katholische Arbeitsgruppe zur Frage der Grundwerte: 2/7275; 2/7276; 2/7277; 2/7278; 2/7279; 2/7280; 2/7281; 2/7282; 2/7283; 2/6118; 2/7284; 2/7287; 2/7288 ii. Evangelisch-katholische Arbeitsgruppe „Schöpfung“: 2/7296; 2/7297 b. Bestand 3: Kirchenkanzlei der EKD (ab 1986) i. Evangelisch-katholische Kommission „Schutz des Lebens“: 3/07/10761; 3/07/10762; 3/07/10763; 3/07/10764; 3/07/10765; 3/07/10766; 3/07/10767; 3/07/10768; 3/07/10769; 3/07/10770; 3/07/10776 2. Historisches Archiv des Erzbistums Köln (AEK) a. Zugang 862: i. Arbeitsgruppe § 218: Nr. 245; Nr. 246; Nr. 247; Nr. 248 ii. Arbeitsgruppe „Schutz des Lebens“: Nr. 249; Nr. 250; Nr. 251 3. Parlamentsarchiv, Deutscher Bundestag Berlin (PA-DBT) a. Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ des 10. Deutschen Bundestages PA-DBT EK 10/GEN,3.

6.2.2 Veröffentlichte Quellen und Literatur Albrecht, Christian, Denkschriften, in: Hans Dieter Betz/Don S. Browning/Bernd Janowski/ Eberhard Jüngel (Hrsg.), Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, Bd. 2, Tübingen 1999, S. 664–666. Altner, Günter, Der Mensch als Geschöpf. Theologische Überlegungen und ethische Bewertungen zur Entwicklung der Gentechnologie, in: Günter Altner/Ernst Benda/Fülgraff Georges/Konrad von Bonin (Hrsg.), Menschenzüchtung. Ethische Diskussion über die Gentechnik, Stuttgart 1985, S. 55–72.

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Register Personenregister Anselm, Reiner 12, 14, 95, 97f., 178, 195, 234, 237, 242, 246f. Auer, Alfons 136 Augustinos, Metropolit und Exarch von Zentraleuropa 154 Barth, Hermann 120, 152f., 162, 164f., 170f., 197, 199f., 203, 205----210, 213f., 217, 220---- 223, 231, 234 Bemmann, Martin 42----44, 234 Benda, Ernst 32f., 34, 39, 233----235 Binder, Heinz-Georg 144, 146f. Bocklet, Paul 141, 144, 146f., 149f., 152 Brandt, Gerhard 145 Brown, Louise 30f. Buschmann, Elisabeth 141, 151f., 201, 204, 208, 217, 219 Catenhusen, Wolf-Michael 33, 37----40, 237 Coenen, Lothar 120f., 126, 234f., 243 Daele, Wolfgang van den 40 Depka, Elisabeth von 141, 148 Detten, Roderich von 44f., 236 Deutsch, Erwin 40 Drewes, Hans Leo 146 Ebeling, Gerhard 177f., 237 Eibach, Ulrich 34 Engelhardt, Hans 151----153, 199----211, 214, 222 Eppler, Erhard 121f., 125, 127, 237, 246 Eßer, Hans Helmut 132, 135f. Falcke, Heino 21, 46, 119, 121----126, 178, 228, 237f. Feige, Andreas 102----105, 107----109, 114---116, 238 Fellner, Hermann 40 Forster, Karl 95, 115f., 132, 238, 241 Fraling, Bernhard 34, 83, 130f., 133, 238 Frey, Christofer 178f., 180----182, 238 Geißler, Heiner 149 Gloege, Gerhard 104, 238

Greschat, Martin 68, 70----72, 77----79, 84----86, 103, 105f., 119, 239 Haarbeck, Ako 145 Hammerschmidt, Rudolf 141 Hannig, Nicolai 75, 81f., 89----91, 102, 239 Hauschild, Wolf-Dieter 71, 73f., 81, 101f., 108, 134, 236, 238----240 Held, Joachim 223 Hering, Rainer 60----62, 240 Hermelink, Jan 105, 240 Hickel, Erika 39 Hild, Helmut 107----110, 116, 240 Höffner, Joseph 66, 133f., 143, 198, 240, 248 Hofmann, Werner 145 Homeyer, Josef 146 Honecker, Martin 34, 131----133, 135f., 151f., 162, 196, 199----207, 209, 211f., 216----219, 222, 240f. Huber, Wolfgang 15, 76, 79----85, 87----89, 97f., 214, 241 Isensee, Josef 132 Johannes Paul II 94, 97, 127, 187, 213, 245 Jung, Hans-Gernot 145 Kalinna, Hermann 144, 147f. Kasper, Walter 136, 151f., 200f., 204---209, 211, 216, 218, 222 Käßmann, Margot 120f., 126, 231 Kaufmann, Franz-Xawer 115f., 241 Keler, Hans von 145 Kiemstedt, Hans 136 Klein, Laurentius 154 Koch, Traugott 20, 136, 151f., 162, 170, 201, 204f., 208, 215----218, 222, 242f. Kohl, Helmut 44, 49, 100, 131, 143, 149, 230 Kronenberg, Friedrich 147 Kruse, Martin 15, 94, 153f., 230 Künneth, Walter 65

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Anhang

Kunst, Hermann 95 Kunter, Katharina 15, 119, 121, 124---127, 203, 238f., 243, 247 Langendörfer, Hans 120, 243 Lehmann, Karl 15, 92, 132, 146, 152, 196, 230, 243 Lendermann, Heiner 34 Lohff, Wenzel 132, 134, 242 Lohse, Eduard 94, 133f., 196, 239f., 243 Lorenz, Wolfgang 153f. Löwe, Hartmut 135, 144f., 153, 210, 240, 243 Mantei, Simone 14f., 25, 27----29, 95----97, 99f., 145, 244 Mikat, Paul 18, 96, 132, 136, 202, 243f., 249 Möller, Martin 58, 244 Motel, Hans Beat 224 Müller, Michael 40 Nass-Hennig, Gisela 40 Neukamm, Karl-Heinz 144f. Neumeister, Hanna 33, 38----40, 237 Niemeyer, Johannes 95f., 132, 141, 147f., 151----153, 197f., 208, 212, 219f. Odenbach, Erwin 40 Odin, Alfred 76----78, 80, 244 Pannenberg, Wolfhart 92 Platz, Vinzenz 141, 151, 188, 200f., 206, 210, 212f., 217, 220----222 Raabe, Felix 141 Radkau, Joachim 42----44, 245 Reiter, Johannes 31, 40, 196, 219, 246 Rendtorff, Trutz 50----52, 54, 111f., 127, 177----179, 234, 246f. Riesenhuber, Heinz 34 Roggenkamp-Kaufmann, Antje 86, 238f., 247

Saier, Oskar 146, 149 Sauer, Thomas 58, 64----67, 73, 244, 247 Schätzler, Wilhelm 146----148 Scheele, Paul-Werner 94, 146, 151----153, 224 Schmidtchen, Gerhard 88, 106, 108, 113f., 247f. Schmitz, Philipp 44, 136, 139, 248 Schmude, Jürgen 147 Schröder-Kurth, Traute 164 Schütz, Anton 141 Seesing, Heinrich 40 Simon, Helmut 63, 249 Spieker, Manfred 25, 29, 98, 132, 191, 193, 249 Splett, Jörg 151f. Spotts, Frederic 58----60, 62, 65, 249 Stiegler, Ludwig 40 Stoeckle, Bernhard 151, 204 Swarat, Uwe 223 Thielicke, Helmut 65, 74, 249 Turowski, Leopold 141 von Schubert, Hartwig 14 Waschbüsch, Rita 152, 200, 204, 207, 209, 219 Weidle, Lisa 151, 201, 209f., 221 Weizsäcker, Richard von 19f., 84, 125---127, 129, 170, 230, 245, 249f. Wetter, Friedrich 94, 146 Wilckens, Ulrich 145 Wilkens, Erwin 95f., 100, 132, 198, 240, 243, 250 Winkler, Tilman 132, 136, 138 Wintzer, Hilde 148, 151----153, 199, 201, 205, 207, 209f., 214, 222 With, Hans de 40

Sachregister ACK 12, 16, 23, 94, 127f., 153f., 223f., 229 Atom Atomenergie 51, 197, 200 Atomfrage 76 Atomkraft 21, 44

Atomkrieg 122 Atompolitik 79 Atomtechnik 21, 170, 221 Atomwaffen 77, 84, 168 Behinderung 172, 174f., 184, 214f. BEK 119, 121----123

Sachregister

Besatzung Besatzungsmacht 58, 84 Besatzungszone 69 Biologie 123, 162, 170, 182, 184, 226 Biotechnologie 14, 31, 56, 140, 249 Bischofskonferenz 12f., 15f., 23, 56, 68, 92, 94f., 99f., 115, 128, 130----139, 141----147, 149----152, 154f., 158, 160, 187, 191, 193, 196----198, 212, 219f., 230, 234, 236, 238, 240, 241f., 245, 248f. DBK 13, 22f., 93----96, 99, 132----134, 142----152, 154----156, 167, 171f., 174, 182, 188----190, 192----197, 219, 223, 225 Bundestag 24, 27f., 33f., 36f., 39, 44, 46, 49, 84, 143, 148, 231, 233, 236f. Bundesverfassungsgericht 27, 43, 141, 145, 149 CDU 27, 29, 38----40, 45, 48f., 58----60, 62----66, 73, 90, 100, 117, 125, 130, 132, 136, 142, 147, 149f., 152, 227f., 237, 244 DDR 26, 46f., 70, 119, 121----127, 197, 228, 235, 237----239, 243, 248 Denkschrift 29, 55, 67f., 74, 76----89, 96---99, 111, 117, 125, 130----135, 196f., 201, 211, 221, 225, 230, 233, 239, 241f., 244----246, 249f. Diakonie 75, 102, 110, 151f. Die Grünen 37, 39, 42, 44----48, 56, 138, 240, 242, 245, 248 Ehe 29, 31, 35, 55, 90, 93, 94f., 155, 157, 159f., 163, 165f., 173f., 187, 189, 198, 213, 238, 240, 242, 245f., 248, 250 Embryo 25, 30, 35, 160f., 166, 171, 184, 189, 207 Embryonenforschung 19, 170, 176, 188f., 206 Embryonenschutzgesetz 30, 33, 189, 231, 239 Embryotransfer 34 Enquetekommission 31, 33, 36----38, 40 Ethik Berufsethik 18

253

Bioethik 11, 13----15, 17----19, 22, 119, 122, 130, 141, 147, 162, 171, 176, 180, 202f., 225, 228, 230f., 234, 237, 243f., 246, 249 Ethikforschung 11, 15 Evangelische Ethik 14, 249 Friedensethik 197 Medizinethik 11, 13, 18, 161, 202f., 228 Relationsethik 51, 250 Sexualethik 99 Sozialethik 98, 196, 203, 241 Technikethik 13 Umweltethik 13, 18, 202, 228 evangelische Kirche 13, 15, 37, 57----59, 61f., 71----73, 77----80, 83f., 86, 98, 101f., 114, 117, 119, 141, 143f., 154, 225, 229, 234 Evangelische Kirche in Deutschland 13, 55, 72f., 75, 192----194, 198, 234, 236----240, 243, 246f. EKD 12, 21----23, 27, 56f., 59, 67f., 71, 73, 75----78, 80, 82----85, 87, 92, 94---97, 99f., 102, 106, 108----111, 113f., 116f., 121, 123, 125f., 130, 132---135, 144----149, 151----153, 155, 162----165, 167, 170----172, 174, 182, 188----190, 192----197, 202f., 206, 219f., 223f., 230f., 234, 237, 239, 241, 243f., 246, 250 Evangelischer Arbeitskreis 65f., 244 Familienplanung 35, 157, 173, 186f., 188, 213 FDP 39, 58, 131, 142, 149f., 152 Fortpflanzungsmedizin 19, 21, 24, 30, 32f., 55f., 155, 159, 161----166, 197, 228f., 232f., 242, 247f. Frieden 20, 22, 46f., 49f., 55, 88, 113, 119f., 123----130, 197f., 228, 231, 234f., 237, 241f., 245f., 248, 250 gemeinsame Erklärung 11, 13, 15f., 23, 98----100, 128, 130, 133f., 141, 152, 154, 167, 171, 177, 181, 186, 188, 195f., 201, 209, 220, 225----227, 229---231, 245

254

Anhang

Gen genetische Beratung 214 Genomanalyse 11, 33f., 36, 164, 236 Gentechnik 19----22, 24, 30, 32f., 55, 128f., 140, 144, 162, 164----166, 168, 170, 183, 228f., 231----235, 246----249 Gentechnologie 19f., 31----34, 36----40, 164, 166, 197f., 200, 233, 235---237, 241, 247f. Gentherapie 33f., 164, 236 Humangenetik 14, 19, 33, 162, 164, 249 Gerechtigkeit 14, 20, 22, 46f., 49f., 56, 88, 113, 119----129, 131, 198, 228, 231, 234f., 246, 248, 250 Gott ist ein Freund des Lebens 11, 13, 15----17, 23, 141, 149, 156, 167, 170---172, 174f., 181f., 188f., 192----197, 201, 221, 225, 228----231, 241, 245 Grundwerte 130----135, 152, 197----199, 225, 229, 233, 238, 243, 245, 247f. Humanae Vitae 115, 158 In-Vitro-Fertilisation 33----35, 128, 160, 188, 236 Kammer für öffentliche Verantwortung 16, 85----87, 194, 241 katholische Kirche 14, 25, 27----29, 48, 57----60, 62, 83, 90, 93, 114f., 120, 124, 127, 134, 139, 141, 143, 145, 149f., 157, 174, 186f., 191----193, 195, 199, 203, 206, 212, 214, 227, 230, 238 Katholisches Büro 151 Kirche Kirchenkrise 22, 57, 90, 101, 116, 226, 229, 235 Kirchenleitung 22, 50, 55, 67, 73f., 84, 97, 102, 108, 117, 154, 227 Kirchenmitgliedschaft 22, 101----110, 114----116, 238f., 242, 244, 246 Kirchentag 32, 83, 93, 103, 126, 134, 248 Kirchenkanzlei der EKD 95, 132, 162, 170

Konziliarer Prozess 15, 22f., 46, 49f., 119----130, 200, 203, 225, 228f., 231, 232, 234f., 238f., 243, 246 Kronberger Kreis 64----67, 247 Leben 15, 17f., 20f., 25, 28f., 32f., 35, 44, 49, 55f., 70----74, 76f., 96, 104, 113, 116, 123, 126, 128f., 130, 133, 136, 142, 146f., 151, 155----159, 161, 164----166, 168f., 171f., 175----188, 190---208, 210----212, 214f., 216----221, 227, 230, 237, 241----243, 247----249 Lebensbegriff 11, 17f., 120, 167f., 176----179, 181f., 184, 195, 201---204, 225, 228 Lebensende 194f., 237, 242 Schutz des Lebens 11, 15f., 27, 128f., 142f., 147, 151----154, 167----170, 172, 175, 188, 194----201, 204, 206, 208f., 211----213, 215f., 218----223, 226----229, 231, 233, 245 Naturrecht 63, 142 Ökologische Katastrophe 11, 122 Ökologische Krise 23 Ökumene 92----94, 100f., 121, 152, 243 Ökumenische Zentrale 154 Organ Organspende 175, 195f., 218f. Organtransplantation 19, 36, 196, 218f. Organverpflanzung 172, 175f. Ostdeutschland 46f., 126 Protestantismus 14f., 22, 27, 58, 60, 64, 66f., 74f., 81, 86, 94f., 103, 116, 119, 225f., 238----240, 242f., 247f. Rat der Evangelischen Kirche 15f., 29, 55, 94, 120f., 125, 131, 162, 170, 192, 196, 198, 219, 245f. Rechristianisierung 72, 77, 105f. Schöpfung 17, 20f., 38f., 44, 49----51, 53f., 128, 130, 134----136, 139f., 152, 170, 197----199, 225f., 229, 233f., 242----244, 246, 248, 250 Bewahrung der Schöpfung 22, 47, 49----56, 119----124, 126, 128f., 176, 198, 202f., 228, 231f., 234f., 238, 246, 250

Sachregister

Schöpfungsbegriff 17, 49f., 52----54, 130, 203 Zerstörung der Schöpfung 50f. Schwangerschaft 25, 28f., 36, 143, 148, 163, 165f., 173, 175, 188f., 191f. Schwangerschaftsabbruch 14, 22, 24---29, 36, 47, 55f., 63, 83, 93, 96, 117, 128f., 142, 146, 149f., 166, 173, 176, 177, 185, 190----193, 197, 205, 206, 208----212, 214, 228, 237, 243, 245f., 250 §218 14, 23----25, 29, 48, 95, 141---146, 149, 153, 174, 199, 201, 206, 233 Abtreibung 14f., 19, 25f., 28f., 98---100, 143, 156, 161, 166, 172, 174, 191, 193, 207, 209, 211f., 214f., 236, 244, 249 Abtreibungskonflikt 11 Selbstbestimmung 185, 195, 217, 237, 242 Sexualität 29, 55, 157, 160, 173, 185f., 188f., 198, 212f., 242, 245f., 250 SPD 36f., 39f., 46, 48, 58----62, 130, 144, 147, 150, 235 Staat Obrigkeitsstaat 77 Staat und Kirche 68f., 77, 97 Staatsbürger 122, 138, 237 Staatsziel 49

255

Sterbehilfe 11, 19, 128f., 151, 175f., 194f., 197, 215----217, 237, 242, 247 Synode 21, 97, 114f., 122, 126, 147, 155, 164----166, 189, 206, 237f., 241 Technik 20f., 36f., 51, 126, 136, 160, 166, 172, 213, 236, 249 Umwelt 19f., 24, 41----44, 46, 49f., 55, 104, 124, 127, 135f., 138f., 167, 169, 182, 198, 225, 230, 234, 236f., 239f., 245, 248f. Umweltkrise 20, 44, 134, 136f., 234, 241, 248 Umweltschutz 20, 41, 44, 46, 49----51, 55f., 124, 126f., 171, 176 Umweltverschmutzung 42, 51 Umweltzerstörung 20, 123, 137, 197, 243 VELKD 12, 56, 88, 106, 108, 113f., 134, 198, 242, 247----249 Waldsterben 24, 41f., 44f., 125, 221, 236 Westdeutschland 13, 41, 45, 90, 126f. Würde Würde der Fortpflanzung 155, 158, 188, 204, 243 Würde der Frau 128 Würde des Menschen 17, 39, 129, 167, 171 Würde werdenden Lebens 55, 146, 155, 162, 165, 189, 242 Zweites Vatikanum 82f., 114

Gesundheit und ein langes Leben? Christoph Reutlinger Natürlicher Tod und Ethik Erkundungen im Anschluss an Jankélévitch, Kierkegaard und Scheler Edition Ethik, Band 14 168 Seiten, Hardcover ISBN: 978-3-8469-0178-6 Book auch als

Der Tod ist seit jeher eines der Probleme schlechthin, mit denen sich Philosophie und Theologie auseinandersetzen. Während der letzten Jahrzehnte wurden Gesellschaft, Politik und Ethik von der Entwicklung der Medizin gefordert. Assistierter Suizid, Euthanasie oder Patientenverfügungen schaffen neue Fragen und Problematiken. Auch den theoretischen Diskurs zum Lebensende stellt diese Entwicklung vor neue Herausforderungen. Dieses Buch fragt im Hintergrund konkreter ethischer Problemkreise um langes Leben, Sterben und natürlichen Tod, welche Art von Reflexion über den Tod für die Ethik als fruchtbar erkannt werden kann. Der Autor betont dabei die Wichtigkeit der subjektiven Auseinandersetzung jedes Individuums mit dem Lebensende. An interdisciplinary survey on the ethical implications of »natural death« in a society with increasing medical options and alternatives.

Inh. Dr. Reinhilde Ruprecht e.K., Postfach 1716, 37007 Göttingen www.edition-ruprecht.de