Einfnhrung in die ÷kumenische Theologie 3534167066, 9783534167067

Immer wieder steht die Ökumene der christlichen Kirchen in der Diskussion. Dieser Band bietet eine Einführung in die The

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German Pages [161] Year 2008

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Einfnhrung in die ÷kumenische Theologie
 3534167066, 9783534167067

Table of contents :
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
I. Wege
1. Personen und ihre Zeugnisse
a) Begegnungen bedenken
b) Glaubwürdig das Evangelium leben
2. Biblische Leitworte
a) Joh 17,21 oder: Ökumene im Sinne des sterbenden Jesus
b) Eph 4,4–6 oder: Worin die Einheit der Kirche gründet
c) 1 Kor 12 oder: Einheit in der Unterschiedenheit der Geistesgaben
3. Die Konfessionen und ihre Geschichte mit der Ökumene
a) Die Geschichte der Ökumene im Spiegel der Begriffsgeschichte
b) Die (moderne) Ökumenische Bewegung seit dem 19./20. Jahrhundert
c) Konfessionelle Eigenarten in der Gestaltung der Ökumene
d) Rekonfiguration der ökumenischen Bemühungen heute
4. Entwicklung und Aufgabe ökumenischer Theologie
a) Geschichte der ökumenischen Theologie
b) Ökumenische Hermeneutik
c) Dialog-Ökumene – Bedeutung und Grenzen
d) Die Aufgabe ökumenischer Theologie im Gesamt der Theologie
e) Perspektiven ökumenischer Bildung
II. Themen
1. Schrift und Tradition
a) Die Bedeutung der Thematik auf multilateraler Ebene
b) Ergebnisse bilateraler Dialoge
c) Zusammenfassende Überlegungen
2. Gnaden- und Rechtfertigungslehre(n)
a) Biblische Grundlagen theologischer Rechtfertigungslehre
b) Die Rechtfertigungslehre als kontroverstheologisches Thema
c) Aufarbeitung der evangelisch-katholischen Lehrdifferenzen
d) Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre
e) Differenzierter Konsens in der Auslegung der Rechtfertigungsbotschaft
f) Ökumenische Reichweite der evangelisch-katholischen Verständigung
g) Evangelisch-orthodoxe Dialoge über das Verständnis des Heils
3. Fragen der Individual- und Sozialethik
a) Zur Komplexität der Thematik
b) Erträge der ökumenischen Lerngeschichte
c) Grundlegende Herausforderungen
d) Perspektiven für die Zukunft
4. Sakramententheologie
a) Begriff(e) und Zahl der Sakramente
b) Taufe und Taufgedächtnis
c) Abendmahl und Eucharistie
d) Weitere (sakramentale) Zeichenhandlungen
5. Ämterlehren
a) Ämter und Dienste im biblischen Zeugnis
b) Priestertum aller Glaubenden und ordiniertes Amt
c) Ursprung und Differenzierung des ordinierten Amtes
d) Bischofsamt und apostolische Sukzession
e) Die Ordination – ein Sakrament?
f) Frauenordination?
g) Petrusdienst und Papstamt
h) Ziele und Formen wechselseitiger Ämteranerkennung
6. Kirchenverständnisse
a) Biblische Voraussetzungen
b) Die Wesensaussagen im Bekenntnis der Kirche
c) Kirche als Gemeinschaft der Heiligen
d) Kirche als Zeichen und Werkzeug des Heils
e) Sichtbare und verborgene Kirche
f) Die Kennzeichen der Kirche
g) Ortskirche und Universalkirche
h) Zum Stand der ökumenischen Verständigung
III. Ziele
1. Einheitsvorstellungen
a) Grundlegende Begriffsklärungen
b) Reformatorisch geprägte Modelle kirchlicher Einheit
c) Römisch-katholische Konzeptionen kirchlicher Einheit
2. Kontexte
a) Nationale und regionale Unterschiede
b) Herausforderungen in familiären Zusammenhängen
3. Zwischenziele
a) Die Charta Oecumenica und ihre Wirkungsgeschichte
b) Ökumenische Gemeindepartnerschaften
c) Ökumenische Kooperation im Religionsunterricht
d) Missionarische und diakonisch-geistliche Ökumene des Lebens
Literatur
Personenregister
Sachregister
Bibelstellenregister

Citation preview

Friederike Nüssel / Dorothea Sattler

Einführung in die ökumenische Theologie

Einbandgestaltung: Peter Lohse, Büttelborn Abbildung: Symbolische Darstellung der Durchbrechung des mittelalterlichen Weltbildes, 1888. Aus: Camille Flammarion: L’atmosphère, et la météorologie populaire, Paris 1888. i akg-images.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. i 2008 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-darmstadt.de

ISBN 978-3-534-16706-7

Inhalt I. Wege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Personen und ihre Zeugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begegnungen bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Glaubwürdig das Evangelium leben . . . . . . . . . . . . . 2. Biblische Leitworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Joh 17,21 oder: Ökumene im Sinne des sterbenden Jesus . . b) Eph 4,4–6 oder: Worin die Einheit der Kirche gründet . . . . c) 1 Kor 12 oder: Einheit in der Unterschiedenheit der Geistesgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Konfessionen und ihre Geschichte mit der Ökumene . . . a) Die Geschichte der Ökumene im Spiegel der Begriffsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die (moderne) Ökumenische Bewegung seit dem 19./20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konfessionelle Eigenarten in der Gestaltung der Ökumene . d) Rekonfiguration der ökumenischen Bemühungen heute . . 4. Entwicklung und Aufgabe ökumenischer Theologie . . . . . . a) Geschichte der ökumenischen Theologie . . . . . . . . . . b) Ökumenische Hermeneutik . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dialog-Ökumene – Bedeutung und Grenzen . . . . . . . . d) Die Aufgabe ökumenischer Theologie im Gesamt der Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Perspektiven ökumenischer Bildung . . . . . . . . . . . . . II. Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schrift und Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Bedeutung der Thematik auf multilateraler Ebene . . b) Ergebnisse bilateraler Dialoge . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassende Überlegungen . . . . . . . . . . . . 2. Gnaden- und Rechtfertigungslehre(n) . . . . . . . . . . . . . a) Biblische Grundlagen theologischer Rechtfertigungslehre b) Die Rechtfertigungslehre als kontroverstheologisches Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufarbeitung der evangelisch-katholischen Lehrdifferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre . . e) Differenzierter Konsens in der Auslegung der Rechtfertigungsbotschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ökumenische Reichweite der evangelisch-katholischen Verständigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Evangelisch-orthodoxe Dialoge über das Verständnis des Heils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3. Fragen der Individual- und Sozialethik . . . . . . . . . . a) Zur Komplexität der Thematik . . . . . . . . . . . . . b) Erträge der ökumenischen Lerngeschichte . . . . . . . c) Grundlegende Herausforderungen . . . . . . . . . . d) Perspektiven für die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . 4. Sakramententheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff(e) und Zahl der Sakramente . . . . . . . . . . b) Taufe und Taufgedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . c) Abendmahl und Eucharistie . . . . . . . . . . . . . . d) Weitere (sakramentale) Zeichenhandlungen . . . . . 5. Ämterlehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ämter und Dienste im biblischen Zeugnis . . . . . . . b) Priestertum aller Glaubenden und ordiniertes Amt . . c) Ursprung und Differenzierung des ordinierten Amtes . d) Bischofsamt und apostolische Sukzession . . . . . . . e) Die Ordination – ein Sakrament? . . . . . . . . . . . f) Frauenordination? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Petrusdienst und Papstamt . . . . . . . . . . . . . . . h) Ziele und Formen wechselseitiger Ämteranerkennung 6. Kirchenverständnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Biblische Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Wesensaussagen im Bekenntnis der Kirche . . . . c) Kirche als Gemeinschaft der Heiligen . . . . . . . . . d) Kirche als Zeichen und Werkzeug des Heils . . . . . . e) Sichtbare und verborgene Kirche . . . . . . . . . . . f) Die Kennzeichen der Kirche . . . . . . . . . . . . . . g) Ortskirche und Universalkirche . . . . . . . . . . . . h) Zum Stand der ökumenischen Verständigung . . . . .

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III. Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einheitsvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlegende Begriffsklärungen . . . . . . . . . . . . b) Reformatorisch geprägte Modelle kirchlicher Einheit . . c) Römisch-katholische Konzeptionen kirchlicher Einheit . 2. Kontexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nationale und regionale Unterschiede . . . . . . . . . b) Herausforderungen in familiären Zusammenhängen . . 3. Zwischenziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Charta Oecumenica und ihre Wirkungsgeschichte . b) Ökumenische Gemeindepartnerschaften . . . . . . . . c) Ökumenische Kooperation im Religionsunterricht . . . d) Missionarische und diakonisch-geistliche Ökumene des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sachregister

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Literatur

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Bibelstellenregister

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I. Wege 1. Personen und ihre Zeugnisse Wie die gesamte menschliche Existenz, so kann auch die Ökumene als ein Weg beschrieben werden: Menschen unterschiedlicher Herkunft bewegen sich auf ein Ziel zu. Wenn Menschen ihre Überzeugungen einander vertrauensvoll eröffnen, gelingt eine reflektierte Weggemeinschaft. Oft sind es überraschende Einzelerfahrungen, welche die Motivation zu ökumenischem Handeln bewirken. Ökumene hat somit Ereignis-Charakter. Begegnungen mit Personen und mit Sachfragen sind miteinander verwoben. Die Rede von den nicht-theologischen Faktoren der Ökumene gewinnt vor diesem Hintergrund eine positive Bedeutung (Abschnitt a). Der Blick auf das erlebte Miteinander führt insbesondere dann zu einer Option für ökumenisches Handeln, wenn die gesellschaftlichen Herausforderungen bedrängend wahrgenommen werden. Die Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft wächst mit der Möglichkeit, gemeinsam auf einzelne Personen verweisen zu können, die das Evangelium lebten. Es gibt solche ökumenisch verehrten „Heiligen“ und sie laden dazu ein, über den wahren Grund ihres evangeliumsgemäßen Lebens nachzudenken (Abschnitt b).

Ökumene als Weg

a) Begegnungen bedenken Welche Erfahrungen motivieren zur Ökumene? Diese Frage soll zu Beginn der weiteren Überlegungen aufgenommen werden. Unser Wunsch ist es, dass alle, welche die nachfolgenden Ausführungen lesen – aus welchen Gründen auch immer –, sich selbst mit dieser Frage beschäftigen. Ökumenische Theologie zu betreiben, ist ohne Reflexion auf die eigenen konfessionellen Wurzeln kaum möglich. Ökumene geschieht immer in spezifischen Zeit- und Lebenskontexten. In einem konkreten thematischen Zusammenhang haben wir (die Autorinnen dieses Buches) je für uns darüber nachgedacht, welche Wege uns in die Ökumene führten (vgl. Nüssel; Sattler/16: 20–38). Diese Wege waren für uns nicht selbstverständlich – und am Wegesrand standen Menschen, denen wir auf je eigene Weise begegnet sind. Oft sind es Zufälle – nicht selten berufliche Zusammenhänge –, die zur Ökumene führen. Im Nachhinein erscheint es vielen dann nicht einfach beliebig, was sich ereignet hat. Ökumene zu leben, ist auch eine Frage der Mentalität. Ökumenisches Handeln fordert die Bereitschaft (1) zur Authentizität im Zeugnis für den eigenen Glauben, (2) zur Empathie in der einfühlenden Wahrnehmung der Beweggründe für einen anderskonfessionellen Standort und (3) zur Akzeptanz der auch nach intensiven Bemühungen verbleibenden Differenzen. Wer in diesem Sinne ökumenisch handelt, stimmt den Grundlagen einer personzentrierten Sichtweise in der Lösung von Konflikten zu. Doch gerade in der ökumenischen Theologie wird immer wieder deutlich, dass einzelne Menschen sich in ihrem (theologischen) Handlungs-

persönliche Motivation

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1. Personen und ihre Zeugnisse

ökumenische Begegnungen Paul VI.

Johannes Paul II.

Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre

spielraum nicht herauslösen können aus systembezogenen, konkret: ekklesialen Vorgaben. Die wahrhaftige Begegnung allein führt noch nicht zur kirchlichen Einheit. Ohne solche anrührenden – die schon bestehende Gemeinschaft im christlichen Glauben bezeugenden – Begegnungen wäre die Ökumenische Bewegung zum Stillstand gekommen. Sie lebt fort, weil es immer wieder Menschen gibt, die sich jenseits der konfessionellen Grenzen glaubwürdig begegnen. Konfessionsverbindende Ehepaare leben tagtäglich eine Ökumene der Begegnung – wenn auch nicht alle in reflektierter Weise. Auch die oft als Konferenzökumene abfällig beurteilten Bemühungen leben von Begegnungen. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen: (1) Bereits Paul VI. setzte ökumenische Zeichen von großer Bedeutung (vgl. hierzu Kallis/15: 124–151). Er traf sich im Januar 1964 mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Athenagoras, in Jerusalem. Paul VI. verlas dann in Rom bei der letzten Sitzung des Zweiten Vatikanischen Konzils im Dezember 1965 einen Text, in dem die Römisch-Katholische Kirche ihr Bedauern über die Vorgänge im Jahr 1054 äußerte und ihren Willen zur Versöhnung bekräftigte. Zeitgleich tat Athenagoras in Konstantinopel Entsprechendes. 1967 reiste Paul VI. nach Konstantinopel, um dort Athenagoras zu treffen. Dies ermöglichte Athenagoras noch im gleichen Jahr einen Gegenbesuch in Rom. Eine solche Reise wäre ohne den voraufgehenden Besuch des Papstes von der übrigen Orthodoxie als Bittgang missverstanden und daher abgelehnt worden. Bei ihrer Begegnung in Rom verhinderte Paul VI., dass Athenagoras ihm, wie damals noch üblich, die Füße küsste. Er nahm ihn sofort in die Arme. 1974 setzte sich Paul VI. anlässlich der 700-Jahrfeier des Konzils von Lyon 1274 für eine Neubewertung der dort gefassten Beschlüsse ein, die in der Orthodoxie bis heute als tiefe Demütigung in Erinnerung sind. 1981 sprach Johannes Paul II. bei der gemeinsamen ökumenischen Feier zum Gedächtnis von 381 (1600 Jahre nach dem Konzil von Konstantinopel) den Text des dort formulierten Glaubensbekenntnisses von Nizäa-Konstantinopel erstmals ohne das sogenannte „Filioque“, und diese Praxis ist bei ökumenischen Begegnungen inzwischen üblich. Die christliche Ökumene lebt von Zeichenhandlungen, die in Raum und Zeit immer auch von Personen vermittelt werden. In dem von Menschen mit ihren Mitteln bekundeten Zuspruch zur Intention dieser Zeichenhandlungen äußert sich die Hoffnung auf die Erfüllung des Wunsches nach umfassender kirchlicher Einheit. Große Gesten bekräftigen das Bemühen um die Ökumene. Sie bleiben nachhaltig in Erinnerung. (2) Im Blick auf die Beziehung zwischen evangelischen Kirchen und Römisch-Katholischer Kirche insbesondere in Deutschland sind die Vorgänge im Kontext der Unterzeichnung der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ am 31. Oktober 1999 in Augsburg von großer Bedeutung. Jenseits der Frage, ob die unterzeichnete Konvergenzerklärung sachlich berechtigt erscheint (vgl. Abschnitt II. 2.), ist denen, die es miterlebten, unvergesslich in Erinnerung, was sich dort als ein persönliches Zeugnis spontan ereignete: Eine Umarmung, ein Innehalten – und nicht enden wollender Beifall. „Ihr Völker alle, klatscht in die Hände; jauchzt Gott zu mit lautem Jubel!“ (Ps 47,2; zitiert nach der Einheitsübersetzung). Dieses Wort mag so manchem in den Sinn gekommen sein, der oder die erlebte, wie sich in der

b) Glaubwürdig das Evangelium leben

Augsburger St. Anna-Kirche in einem anhaltenden, lauten Applaus spürbar die Spannung löste, mit der die Unterzeichnung der „Gemeinsamen Offiziellen Feststellung“ über den bestehenden Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre zwischen den lutherischen Kirchen und der Römisch-Katholischen Kirche erwartet worden war. Das Händeklatschen setzte ein, als die Anwesenden die spontane und herzliche Umarmung wahrnahmen, mit der die beiden Sekretäre, Pfarrer Ishmael Noko vom Lutherischen Weltbund und Bischof Walter Kasper vom Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen, ihre Unterschriften unter die Erklärung bekräftigten. Nicht nur in St. Anna klatschten die Menschen, auch in den vielen Räumen, in die hinein das Geschehen live übertragen wurde. Die Hände ruhten erst wieder, als alle zehn Namenszüge unter das Dokument gesetzt waren: Vor den damals tätigen Sekretären hatten die beiden Präsidenten, Landesbischof Christian Krause und Edward Idris Kardinal Cassidy, unterzeichnet. Sechs hochrangige Vertreterinnen und Vertreter des Lutherischen Weltbunds bestätigten sodann mit ihren Unterschriften, dass das Geschehen in Augsburg in der weltweiten lutherischen Gemeinschaft auf große Zustimmung gestoßen war. Auch drei Frauen, die Schatzmeisterin des Lutherischen Weltbunds und die beiden Vizepräsidentinnen für Afrika und Asien, unterschrieben das Dokument. Mit hoher Sensibilität hat die Festgemeinschaft dieses Zeugnis der evangelischen Katholizität der lutherischen Kirchen freudig anerkannt. In ökumenischen Versammlungen wird bewusst, was es bedeutet, als Christinnen und Christen in einer weltweiten Glaubensgemeinschaft miteinander verbunden zu sein. (3) Ökumenisch engagierte Menschen verleihen im Rahmen ihrer Möglichkeiten der Zustimmung zu den von den Kirchenleitungen erreichten Konvergenzen Ausdruck. Im Rahmen des 1. Ökumenischen Kirchentags 2003 in Berlin ist dies bei der Unterzeichnung der Charta Oecumenica geschehen. Auch die wechselseitige Anerkennung der Taufe durch eine große Zahl der Mitgliedskirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) am 29. April 2007 im Dom von Magdeburg traf auf Wertschätzung (vgl. Taufanerkennung). Ob es Zufall sein kann, dass insbesondere Ereignisse, in denen zentrale Aspekte des christlichen Glaubensbekenntnisses als gemeinsames Erbe bekundet werden, Applaus hervorrufen? Es gibt eine intuitive Gabe, ein feinsinniges Gespür aller Glaubenden, Wesentliches zu erkennen.

Charta Oecumenica

Anerkennung der Taufe

b) Glaubwürdig das Evangelium leben Die Heiligenverehrung gilt als ein Bereich, in dem es nicht leicht ist, ökumenische Konvergenzen zu erreichen. Und doch gibt es gerade in jüngerer Zeit eine gemeinsame Wiederentdeckung der „ökumenischen Heiligen“. Unter ihnen hat insbesondere Elisabeth von Thüringen eine herausragende Bedeutung – als sozial-diakonisch tätige Frau mit engen Bezügen zur Wartburg bei Eisenach. Ökumenische Pilgerwege werden erdacht, um gemeinsam zur Mitte des christlichen Bekenntnisses voranzuschreiten. In den Schulbüchern im Bereich der Grundschulpädagogik finden sich auch aus evangelischer Perspektive Hinweise auf die Biographien besonderer Gestalten in der Christenheit. Nikolaus von Smyrna, Martin von Tours oder Franz

„Ökumenische Heilige“

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2. Biblische Leitworte

das Wesen des Zeugnisses

Wort des Zeugnisses und Wort der Bibel

von Assisi gehören zur gemeinsamen ökumenischen Gedächtniswelt. Das Lebenszeugnis insbesondere der diakonisch tätigen Menschen und der christlichen Märtyrer und Märtyrerinnen in ökumenischer Verbundenheit zu erinnern, ist Teil einer Neuorientierung in der ökumenischen Hermeneutik, die sich der geistlichen Tradition des Christentums verpflichtet weiß. In Verbindung mit dem geschilderten Grundanliegen erfahren die ökumenischen geistlichen Gemeinschaften zunehmend wertschätzende Aufmerksamkeit. Unter diesen verdient die Kommunität von Taizé gewiss besondere Beachtung, die sich von ihrem ersten Anfang an den Grundanliegen der geistlichen Ökumene verpflichtet hat. Die Brüder von Taizé vertrauen auf Eigeninitiativen vor allem von jungen Menschen an ihren Lebensorten. Junge Frauen und Männer versammeln sich in einer Nacht der Lichter, singen und beten ohne Unterlass. Ist die Ökumene auch heute noch ein Thema für Jugendliche? Zweifel diesbezüglich erscheinen mehr als berechtigt. Die Erfahrung zeigt, dass bei Vortragsabenden über klassische kontroverstheologische Themen nahezu ausschließlich Menschen der älteren Generationen kommen. Gleichwohl gilt es hier, differenziert zu argumentieren. Jugendliche haben ein lebendiges Gespür für das, was wirklich wichtig ist. Sie sind auf ihre Weise Wegbereiter einer geistlichen Ökumene. Solche Jugendliche sind „Heilige“: Menschen, die auf einen Sinngrund ihres Lebens verweisen, der vorgängig zum eigenen Handeln bereits besteht. Jugendliche lassen sich durch biographische Erzählungen für eine gemeinsame Sache gewinnen. Hagiographien haben immer auch einen motivierenden Sinn: Sie wollen zur Nachfolge ermutigen. In diesem Sinn sind sie in der Ökumenischen Bewegung anerkannt. Eine gemeinsame ökumenische Spur bei der Achtung der personalen Gestaltung der christlichen Existenz ist es, sich über das Wesen des Zeugnisses zu verständigen. Grundlegend stellt sich dabei die Frage: Sind es vor allem Menschen, die auf Gottes Weisung hin für die Tradierung des Evangeliums Sorge tragen, oder ist es nicht doch viel grundlegender das Wort Gottes, überliefert in den biblischen Schriften, das die Bewahrung des apostolischen Ursprungs sichert? Personen oder schriftgewordene Zeugnisse – wem gebührt die Priorität in der ökumenischen Hermeneutik? Oder führt bereits diese Frage in die Irre? Gibt es eine Möglichkeit, zwischen diesen beiden Größen, schriftliches Wort und personale Tradition, alternativ zu unterscheiden? Zu Beginn dieser Einführung soll sich erschließen, dass die ökumenische Theologie immer mit einem Miteinander von einer gemeinsamen Berufung auf das allein verbindliche, biblisch überlieferte Wort Gottes und einer jeweiligen Auslegung dieser biblischen Weisungen im traditionsgebundenen kirchlichen Leben von Menschen zu rechnen hat. In Kapitel II. 1. wird diese Thematik weiter entfaltet.

2. Biblische Leitworte In der Ökumenischen Bewegung sind bestimmte neutestamentliche biblische Texte immer wieder ein Bezugspunkt der Argumentation: Mit Joh 17,20–21 lässt sich begründen, dass die Suche nach der Einheit der Menschen in der Nachfolge Jesu von frühester Zeit an bedeutsam für die Ge-

a) Joh 17,21 oder: Ökumene im Sinne des sterbenden Jesus

meinden war. Die Verbindung zwischen der Ökumene und der missionarisch wirksamen Glaubwürdigkeit des einen Christuszeugnisses leitet sich von diesem biblischen Text her (Abschnitt a). Im Epheserbrief (vor allem Eph 4,4–6) wird die Gründung der Ökumene in der Einheit des trinitarischen Wesens Gottes deutlich. Zugleich erlangt die Taufe die Bedeutung, die ihr in der Ökumenischen Bewegung heute in gebührender Weise bezeugt wird (Abschnitt b). Die Erinnerung an die Vielgestalt der Geistesgaben, die allesamt rückgebunden sind an den einen Gott, erscheint in der gegenwärtigen Ökumenischen Bewegung wie eine Ermutigung zu einem Verständnis der Ökumene nach dem Modell der wechselseitigen Bereicherung durch unterschiedliche Gnadengaben (Abschnitt c). a) Joh 17,21 oder: Ökumene im Sinne des sterbenden Jesus Es gibt ein ökumenisches Vermächtnis, das sich auf Jesus Christus selbst zurückführt. Diese Überzeugung teilen alle Konfessionsgemeinschaften, wenn sie sich auf Worte in den Abschiedsreden Jesu vor seinem Tod berufen. Wieder und wieder wird in ökumenischen Gottesdiensten oder in Dokumentationen ökumenischer Gespräche ein Vers aus den Abschiedsreden Jesu nach der Überlieferung des Johannes-Evangeliums motivierend für alle weiteren Überlegungen herangezogen: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns eins sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast“ (Joh 17,21; zitiert nach der Einheitsübersetzung). Hier wird ein Zusammenhang ausgedrückt zwischen der Einheit der an Jesus Christus Glaubenden und ihrer missionarischen Wirksamkeit. Dieser Zusammenhang blieb zeitübergreifend unbestritten. Wer sich zu dem Versöhner Jesus Christus bekennt, darf in sich selbst nicht Wurzeln der Feindschaft nähren. Der Deutsche Ökumenische Studienausschuss (DÖSTA) – ein Gremium zur theologischen Beratung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) – hat sich darum bemüht, in einem interdisziplinären theologischen Dialog die Entstehungsgeschichte sowie die unterschiedlichen konfessionellen Rezeptionsweisen von Joh 17,21 offen zu legen (Bienert/17). Deutlich wird dabei, dass im Hintergrund der Rede von der Einheit im Gottesbekenntnis im neutestamentlichen Kontext immer (auch) die Frage nach dem Verhältnis zwischen jüdischen und christlichen Gemeinden steht. Das christlich-ökumenische Bekenntnis steht gemeinsam vor der Herausforderung, die Einheit im Gottesglauben nicht nur in den eigenen Reihen zu suchen, diese Aufgabe vielmehr auch in Verbundenheit mit dem Judentum anzugehen. Papst Johannes XXIII. hat sich in seiner programmatischen Ansprache zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils auf das vom Evangelisten Johannes überlieferte Gebet Jesu Christi um die Einheit berufen, als er die Zielsetzung des von ihm einberufenen Konzils bestimmte, nämlich alle Kräfte einzusetzen, damit „die Heilsbotschaft von den Menschen bereitwillig aufgenommen werde“ (Johannes XXIII./18: 88) und das Menschengeschlecht einen Weg zur Einheit finde. Johannes XXIII. stellte die Rede von der Einheit in einen schöpfungstheologisch-kosmologischen Kontext und wies ihr eine soteriologische Sinngebung zu: „Die Sorge der Kirche für die

das ökumenische Vermächtnis

soteriologische Perspektive

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2. Biblische Leitworte

die „Analogieregel“ und das Wesen der Einheit

Ausbreitung und Bewahrung der Wahrheit [ergibt sich] daraus, dass nach Gottes Heilsplan, ,der alle Menschen retten und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen lassen will‘ (1 Tim 2,4), die Menschen nur mit Hilfe der ungeschmälerten Offenbarung zur absoluten und sicheren Einheit der Herzen gelangen können, mit der ein wahrer Frieden und das ewige Heil verbunden sind. Diese sichtbare Einheit in der Wahrheit hat aber leider die gesamte christliche Familie noch nicht in Vollendung und in Vollkommenheit erreicht. Daher sieht es die katholische Kirche als ihre Pflicht an, alles Erdenkliche zu tun, damit das große Mysterium jener Einheit erfüllt werde, die Christus Jesus am Vorabend seines Opfertodes von seinem himmlischen Vater mit glühenden Gebeten erfleht hat. Sie erfreut sich des stillen Friedens im Bewusstsein, dass sie darin aufs innigste mit diesem Gebet Christi verbunden ist“ (Johannes XXIII./18: 88). Alle Menschen sollen eins sein in ihrer Teilhabe an der von Gott in Christus Jesus erwirkten Erlösung. Diese Zielsetzung nimmt die Kirche in die Pflicht, der sichtbaren Einheit der Getauften zu dienen. Eine mittelalterliche konziliare Entscheidung kann als ein weiteres Zeugnis für die konfessionsübergreifende Gemeinsamkeit von Joh 17,21 gelten. 1215 hatte sich das 4. Laterankonzil mit den Thesen des Joachim von Fiore auseinanderzusetzen. Er betrachtete die Weise, wie Vater, Sohn und Geist in Gott eine Gemeinschaft bilden, als der Weise ähnlich, wie Menschen eins sind: Menschen sind aufgrund einer moralischen Anstrengung eines Sinnes, ein Herz und eine Seele. Solche vergleichenden Überlegungen veranlassten Joachim von Fiore dazu, den Aspekt der immanenten Einheit Gottes als eigene, neue Größe neben den einzelnen existierenden göttlichen Personen zu betrachten und infolgedessen das Wesen der göttlichen Einheit als eine vierte Wirklichkeit neben der trinitarischen Dimension Gottes zu zählen. In seiner Argumentation berief sich Joachim vor allem auf Joh 17,21. Dieser biblische Text stelle ja auch einen Zusammenhang zwischen der Einheit von Vater und Sohn und der Einheit der Jüngergemeinde her. Somit sei erwiesen, dass die Gestalt der Einheit Gottes der Weise menschlicher Gemeinschaft gleiche. Das 4. Laterankonzil wies in dieser theologiegeschichtlichen Herausforderung die Vorstellung einer „Vierfaltigkeit“ Gottes zurück. Dabei nahmen die Väter eine andere Auslegung von Joh 17,21 vor: „Wenn die Wahrheit [Jesus Christus] für ihre Gläubigen zum Vater betet und sagt: ,Ich will, dass sie eins seien in uns, so wie auch wir eins sind‘ (Joh 17,22), so wird zwar dieser Ausdruck ,eins‘ für die Gläubigen gebraucht, damit die Einigung der Liebe in der Gnade verstanden werde, für die göttlichen Personen aber, damit die Einheit der Identität in der Natur verstanden werde“ (DH, Nr. 806). Im Fortgang unterscheidet das 4. Laterankonzil auch bei der biblischen Rede von „Vollkommenheit“ zwischen der Ordnung der Gnade und der Ordnung der Natur. Gott ist seiner Natur und seinem Wesen nach eins und vollkommen. Die Geschöpfe sind es immer der Gnade nach, geschenkhaft, durch Teilhabe an Gottes Wesen. Die Textpassage endet mit jener Formulierung, die als theologische Analogieregel tradiert wird: „Zwischen Schöpfer und Geschöpf kann man keine Ähnlichkeit feststellen, ohne dabei zugleich eine noch größere Unähnlichkeit festzustellen“ (ebd.). Die Sinnspitze dieser im engeren Sinn theo-logischen Aussage ist die Rede von der immer zu berücksichtigenden Differenz zwischen

b) Eph 4,4–6 oder: Worin die Einheit der Kirche gründet

Gottes ursprungsloser, wesenhafter Einheit und der immer nur in Teilhabe an Gottes Leben zu denkenden Existenzweise des Geschaffenen. Gottes „Einheit“ ist als die Fülle des Lebens stete schöpferische Gewähr von Dasein und Sosein des Geschaffenen. Die den Geschöpfen sola gratia geschenkte Gemeinschaft bleibt immer gefährdet, weil diese „Einheit“ den Geschöpfen nicht wesentlich ist, sondern Offenheit für Gottes Gnade voraussetzt und in einem beständigen Umkehrgeschehen immer neu errungen werden muss. Die ekklesiologische Bedeutung dieser Erkenntnis besteht in der Anerkenntnis der Differenz zwischen Gottes wesenhafter Einheit, die jeglichem kirchlichen Bemühen unerreichbar bleibt, und der von Gott gewährten Teilhabe an der in ihm vollendeten Einheit. Die Einheit der Kirche ist in Gott bereits Wirklichkeit. Sie kann nicht durch geschöpfliche Anstrengung errungen werden. Wandelbar ist die Dichte der Ausdrucksgestalt sichtbarer kirchlicher Einheit. Diese hat insofern soteriologische Relevanz, als sie die Kraft des missionarischen Wirkens der Kirche verändert. Im Sinne der gesamten Ausrichtung der gegenwärtigen ökumenischen Hermeneutik, bei der Fragen der Evangelisation sehr bedeutsam sind, ist eine Ökumene, die sich auf Joh 17,21 beruft, eine wichtige Stütze. Angesichts ihrer christologisch-soteriologischen Motivation hat die missionarisch geprägte Ökumene eine unbestrittene biblische Legitimation, die durch die Verkündigung des Verses Joh 17,21 immer wieder neu ins Gedächtnis gerufen wird.

missionarisch geprägte Ökumene

b) Eph 4,4–6 oder: Worin die Einheit der Kirche gründet Schon zur Zeit der Apostel und in der frühen nachapostolischen Zeit war die Bewahrung der Gemeinden in der Einheit des Glaubens ein dringendes Anliegen. Davon zeugen nicht nur die Briefe, die Paulus eindeutig selbst geschrieben hat, sondern auch die sog. deuteropaulinischen Briefe, zu denen der Epheserbrief gerechnet wird (vgl. Schnackenburg/20: 20–34). Eindringlich heißt es hier: „Bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch das Band des Friedens – ein Leib und ein Geist, wie ihr auch zu einer Hoffnung durch den Ruf an euch gerufen wurden, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allen und durch alle und in allen ist“ (Übersetzung nach Schnackenburg/20: 161). Diese Passage aus dem Epheserbrief hat nicht erst in der modernen ökumenischen Bewegung, sondern bereits in der Reformationszeit zentrale Bedeutung erlangt, als die Anhänger der von Wittenberg ausgegangenen Reformation auf dem Augsburger Reichstag 1530 vor Kaiser Karl V. für die Anerkennung der Reformation eintraten. Um dieses Ziel zu erreichen und die Erneuerung der einen Kirche zu bewirken (vgl. die gemeinsame katholischlutherische Stellungnahme zum Augsburger Bekenntnis in: DwÜ 1, S. 325, Nr. 10), entwarf Philipp Melanchthon als gemeinsames Bekenntnis der evangelischen Stände die „Confessio Augustana“ (CA). Melanchthon hoffte dabei, dass eine Spaltung der Kirche vermieden werden könne, wenn sich Einvernehmen darüber herstellen lässt, was für die Einheit der Kirche unabdingbar notwendig ist und was demgegenüber dem Reformstreben der einzelnen Territorien überlassen bleiben kann. Im Anschluss an die Grundaussagen zur Lehre von Gott und zur Erlösung des Menschen (Art. I–VI) hält er

Bewahrung der Einheit

Eph 4 in der Confessio Augustana

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2. Biblische Leitworte

Einheit in Gott

Einheit als Gabe

Taufe

in Artikel VII der CA fest, „daß alle Zeit musse ein heilige christliche Kirche sein und bleiben, welche ist die Versammlung aller Glaubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakrament lauts des Evangelii gereicht werden“ (BSLK S. 61, Z. 2–7). Aus diesem Verständnis von Kirche ergibt sich, dass wahre Einigkeit der Kirchen da herrscht, wo „einträchtiglich nach reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakrament dem gottlichen Wort gemäß gereicht werden“ (BSLK S. 61, Z. 9–12). Die Pointe von CA VII liegt in der Folgerung, die Melanchthon im Sinne der reformatorischen Einsichten zieht: zur wahren Einheit der Kirche sei nicht notwendig, „daß allenthalben gleichformige Ceremonien, von den Menschen eingesetzt, gehalten werden“ (BSLK, S. 61, Z. 12–16). Dass die Übereinstimmung im Evangelium und in der Sakramentsverwaltung für die Einheit der Kirche nötig, aber auch hinreichend ist, belegt Melanchthon mit Verweis auf Eph 4,5 f. Dass er sich auf den Epheserbrief beruft, hängt nicht nur damit zusammen, dass hier der eine Glaube und die eine Taufe als die Realisierungsgestalt kirchlicher Einheit genannt werden. Wichtig ist zugleich die theologische Begründung, die der Autor des Epheserbriefes für seine Ermahnung zur Einheit gibt. Denn in Eph 4,4–6 und an anderen Stellen bringt der Epheserbrief zur Geltung, dass die Einheit der Kirche als Einheit des Leibes und des Geistes in der Einheit Gottes gründet, zu dem alle Menschen in Jesus Christus Zugang gewinnen (vgl. Eph 2,11–22). Dieser Gedanke ist nicht nur den Reformatoren wichtig gewesen (vgl. z. B. Calvin, Institutio: I,13,16), er war in der Christenheit vielmehr immer von zentraler Bedeutung und spielt entsprechend auch in der Ökumenischen Bewegung heute eine wichtige Rolle (vgl. z. B. NMC 53; vgl. auch Mayer/19: 287–305). Indem die Einheit der Kirche in der Einheit Gottes und seines Wirkens in der Kirche gründet, erscheint sie im Epheserbrief als Gabe, die allem menschlichen Bemühen voraus liegt (vgl. Mayer/19: 87 f.). Wichtig ist weiter, dass Einheit im Epheserbrief als dynamische Einheit vorgestellt wird, wie die Metaphern vom Erbauen und Wachsen des Leibes (vgl. Eph 4,12.15 f.) signalisieren. Damit verbindet sich die umfassende heilsgeschichtliche Perspektive des Epheserbriefes, wonach der ewigen Erwählung und Vorherbestimmung (vgl. Eph 1,4.11) die Erleuchtung und die Gestaltung zum Leib Christi folgen, „bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes“ (Eph 4,13; zitiert nach der revidierten Lutherübersetzung). Manifest wird die Gemeinschaft mit Christus in dem einen Leib Christi durch die eine Taufe (vgl. dazu Mayer/19: 64). Entsprechend spielt in den ökumenischen Bemühungen der Kirchen die Taufe eine zentrale Rolle. Wie die Konvergenzerklärung „Taufe, Eucharistie und Amt“ des Ökumenischen Rates von 1982 betont, werden Christen durch die Taufe „in die Gemeinschaft mit Christus, miteinander und mit der Kirche aller Zeiten und Orte geführt“ (DwÜ 1, S. 551, Nr. 6). Diese Einheit mit Christus, an der die Taufe die Christen teilhaben lässt, hat „wichtige Folgen für die Einheit der Christen“ (ebd.). Denn: wenn „die Einheit der Taufe in einer, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche realisiert wird, kann ein echtes Zeugnis abgelegt werden für die heilende und versöhnende Liebe Gottes. Daher ist unsere eine Taufe in Christus ein Ruf an die Kirchen, ihre Trennungen zu

c) 1. Kor 12 oder: Einheit in der Unterschiedenheit der Geistesgaben

überwinden und ihre Gemeinschaft sichtbar zu manifestieren“ (ebd.). Für eine am Epheserbrief ausgerichtete Ökumene wird diese Bedeutung der Taufe bestimmend bleiben im Bewusstsein dessen, dass die Einheit ebenso wie die Taufe als Band der Einheit Gabe Gottes ist. c) 1 Kor 12 oder: Einheit in der Unterschiedenheit der Geistesgaben Die im Evangelium offenbare Gerechtigkeit und Güte Gottes gilt nach dem Zeugnis des Neuen Testaments unterschiedslos allen Menschen und überschreitet alle Grenzen und Unterschiede, wie sie durch Staaten, durch Armut und Reichtum, Abstammung, Rasse und Geschlecht gegeben sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass in der Kirche alle Glieder unterschiedslos eins sind. Wie Paulus im ersten Korintherbrief deutlich macht, lebt die Kirche vielmehr von der Unterschiedenheit der Gaben, die der Geist den einzelnen zum Nutzen aller schenkt. So wird dem einen „durch den Geist Weisheitsrede gegeben, einem anderen Erkenntnisrede gemäß demselben Geist, einem anderen (Wunder-)Glauben in demselben Geist, einem anderen Heilungsgaben in dem einen Geist, einem anderen Kräfte zu Machttaten (bzw. Wunderwirkungen), einem anderen Prophetie, einem anderen aber Unterscheidung der Geister, einem anderen verschiedene Arten von Zungenreden, einem anderen aber Deutung der Zungenreden. Die alles aber wirkt ein und derselbe Geist, der einem jeden das Eigene zuteilt, wie er will“ (1 Kor 12,8–11; Übersetzung nach Schrage/21: 135). Für Paulus ist es dabei zum einen wichtig, dass die Gemeindeglieder diese Vielfalt ihrer Gaben in ihrer Unterschiedenheit und Zugehörigkeit zu dem einen Leib anerkennen. Denn „der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele. Wenn der Fuß sagt: ,Weil ich keine Hand bin, darum gehöre ich nicht zum Leibe‘, gehört er deswegen trotzdem zum Leibe. Und wenn das Ohr sagt: ,Weil ich kein Auge bin, gehöre ich nicht zum Leibe‘, gehört es deswegen trotzdem zum Leibe. Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo bliebe das Gehör? Wenn er ganz Gehör wäre, wo bliebe der Geruch? Nun aber hat Gott die Glieder eingesetzt, jedes von ihnen am Leibe, wie er wollte. Wenn aber das Ganze ein Glied wäre, wo bliebe der Leib?“ (1 Kor 12,14–19; Übersetzung nach Schrage/21: 205). Zum anderen verbindet Paulus damit die Einsicht, dass „gerade die Glieder des Leibes, die schwächer zu sein scheinen, um so notwendiger“ sind (1 Kor 12,22; Schrage/21: 206). Denn: „Gott aber hat den Leib zusammengefügt und dem zurückstehenden (bzw. benachteiligten) Glied besondere Ehre gegeben, damit keine Spaltung am Leibe entsteht, sondern die Glieder in gleicher Weise füreinander sorgten“ (1 Kor 12,24b–25; Schrage/21: 206). Das wiederum bedeutet für die Glieder am Leib Christi: „wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle Glieder mit“ (1 Kor 12,26; Schrage/21: 206). In der neueren ökumenischen Diskussion ist dieser Text in besonderer Weise zum Ausgangspunkt genommen worden, um die Unterschiedenheit und Vielfalt der Gnadengaben als eine Bereicherung wahrnehmen zu lernen. Nicht zuletzt im Nachdenken über 1 Kor 12 ist deutlich geworden, dass Einheit nicht mit Uniformität verwechselt werden darf. So hält die Studie „The Nature and Mission of the Church“ (NMC), die die Kommission für

Vielfalt der Gaben

Gemeinschaft in der Vielfalt

ökumenische Bedeutung

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3. Die Konfessionen und ihre Geschichte mit der Ökumene

Aufgabe für die Kirchen

Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen als Vorstufe einer Konvergenzerklärung zum Kirchenverständnis entworfen hat, mit Bezug auf 1 Kor 12–14 fest, dass die Einheit nur durch eine angemessene Koordination der verschiedenen Gaben Gottes möglich ist. Mit Blick auf die Tatsache, dass es schon im Neuen Testament selbst ein breites Spektrum von Aussagen über das Wesen und den Auftrag der Kirche gibt, betont das Dokument: „Diversity appears not as accidental to the life of the Christian community, but as an aspect of its catholicity, a quality that reflects the fact that it is part of the Father’s design that the story of salvation in Christ be incarnational. Thus, diversity is a gift of God to the Church“ (NMC 16). Inwiefern sich aus der gemeinsamen Anerkennung der Vielfalt von Aufgaben und Diensten in der Kirche (vgl. NMC 21) und der Vielfalt in der Gestaltung christlicher Lebenspraxis (vgl. NMC 60) auch ein gemeinsamer Umgang mit der Vielfalt konfessioneller Traditionen gewinnen lässt, ist eine Frage, die ökumenisch noch weiterer Diskussion bedarf. Zwar erkennen die meisten Kirchen an, dass die Einheit der Kirche eine Verschiedenheit im Verständnis und im Lebensvollzug von Kirche nicht ausschließt. Doch werden die Grenzen solcher Verschiedenheit unterschiedlich bestimmt (vgl. NMC, S. 37–39, Kasten nach Nr. 63). Paulus hatte diese Fragestellung noch nicht vor Augen. Sein Verständnis der Einheit des Leibes in der Vielfalt und Unterschiedenheit der Charismen legt es jedoch nahe, die Vielfalt gewachsener konfessioneller Traditionen nicht per se als Widerspruch zur Einheit des Leibes in den Blick zu nehmen, sondern differenziert danach zu fragen, in welcher Weise die Kirchen in ihren Traditionen einander zu bereichern vermögen und wo Unterschiede der Einheit des Leibes entgegen stehen.

3. Die Konfessionen und ihre Geschichte mit der Ökumene Die konfessionell geprägten Kirchen haben ihre je eigene Geschichte mit der Ökumene. Diese Erkenntnis kann durch eine begriffsgeschichtliche Analyse verdeutlicht werden (Abschnitt a). Mit dem reflektierten Einsatz der Konfessionen in der Ökumenischen Bewegung und mit ihrer spezifischen Ausrichtung auf die Einheit der Kirchen beginnt Ende des 19. Jahrhunderts eine neue Epoche, die im 20. Jahrhundert organisierte Gestalt annimmt (Abschnitt b). Innerhalb dieser gemeinsamen Ökumenischen Bewegung sind konfessionelle Eigenarten geformt und bewahrt worden (Abschnitt c). Heute richtet sich der Blick zunehmend auf die weltweiten Verhältnisse in der christlichen Ökumene. Angesichts der Fülle der bereits bestehenden Initiativen ist der Ruf nach einer „Rekonfiguration“ der Ökumenischen Bewegung laut geworden (Abschnitt d). a) Die Geschichte der Ökumene im Spiegel der Begriffsgeschichte hellenistisch-römische Bedeutung

Mit dem Begriff ,Ökumene‘ wird in kirchlichen und wissenschaftlich-theologischen Kontexten in erster Linie das Streben nach Überwindung der Trennungen zwischen den verschiedenen christlichen Kirchen und Konfessionen

a) Die Geschichte der Ökumene im Spiegel der Begriffsgeschichte

assoziiert. Außerhalb des kirchlichen Lebens, des Religionsunterrichts und der theologischen Lehre und Forschung ist der Begriff dagegen vielfach unbekannt. Das war nicht immer so. Der Begriff ,Ökumene‘ hat im Verlauf der Christentumsgeschichte eine Reihe von Bedeutungsverschiebungen erlebt, in denen sich grundlegende Entwicklungen des Christentums selbst spiegeln. Zur Entstehungszeit des Christentums gehört das griechische Wort ,oikumene‘ (abgeleitet von griech.: oikeo – wohnen bzw. griech.: oikia – Haus; siehe zum Sprachgebrauch Michel/23: 159–161) zum gängigen profanen Sprachgebrauch und bezeichnet die bewohnte Erde oder auch die ganze Welt. Diese profangriechische Bedeutung liegt auch der Verwendung in der Septuaginta und im Neuen Testament zugrunde (vgl. z. B. Mt 24,14, wo es heißt, der ganzen bewohnten Erde solle das Evangelium verkündigt werden). Vielfach schwingt dabei die hellenistisch-römische Zuspitzung mit. Denn unter dem Eindruck der Eroberungen Alexanders des Großen wird im Hellenismus die ,oikumene‘ mit der griechischen Welt identifiziert und von der Welt der Barbaren unterschieden. Diese Differenzierung spiegelt sich in der Apostelgeschichte (Apg 17,6; 19,27; 24,5), aber auch in Röm 10,18 und Hebr 1,6. Die Ausbreitung des römischen Imperiums auf griechischsprachige Gebiete wiederum führt dazu, dass ,oikumene‘ schließlich mit dem römischen Imperium gleichgesetzt wird. Diese Bedeutung findet man bei Lukas, insbesondere zu Beginn der Weihnachtsgeschichte in Lk 2,1. Da mit der Verkündigung Jesu vom Reiche Gottes im Christentum eine spezifisch christliche Weltdeutung verbunden ist, weitet sich im christlichen Sprachgebrauch zugleich das Bedeutungsspektrum von ,oikumene‘. In Lk 4,5 und Apk 12,9 heißt es, die Reiche dieser oikumene seien der Macht des Teufels anheim gefallen. Dieser bösen und vergänglichen Welt gilt nach Lk 17,26; Apg 17,31; Apk 3,10; 16,14 das Gericht. Neben dieser negativen Konnotation des Begriffs ,oikumene‘ kennt der Hebräerbrief auch eine positive christliche Deutung, in der die christliche Hoffnung durch die Vorstellung einer ,oikumene mellusa‘, einer zukünftigen Welt Gottes (Hebr 2,5) interpretiert wird. Durch den Rückgang der apokalyptisch-endzeitlichen Naherwartung im 2. Jahrhundert n. Chr. kann diese eschatologische Rede von der ,oikumene‘ im christlichen Sprachgebrauch jedoch nicht bestimmend werden. Stattdessen rückt die Erfahrung der Ausbreitung des Christentums in der heidnischen Umwelt in den Vordergrund. Sie wird zunächst als Verbreitung der Kirche Gottes über die ganze Ökumene beschrieben. Gegenüber dieser Differenzierung zwischen Kirche und Ökumene erscheint bei Origenes und Basilius die Kirche als die neue ,oikumene‘, die durch das Evangelium geheiligt ist. Dieser Linie folgend etabliert sich im christlichen Sprachgebrauch des 3. und 4. Jahrhunderts für ,oikumene‘ die Bedeutung der über den ganzen Erdkreis verbreiteten Kirche. Mit der Anerkennung des Christentums als Staatsreligion unter Kaiser Konstantin können die Rede von der Kirche als der neuen Ökumene und die ältere griechisch-römische Bedeutung zusammengeführt werden. ,Ökumene‘ bezeichnet im offiziellen kirchlichen Sprachgebrauch nunmehr das christliche Imperium. Damit verbunden wird die Einheit der Kirche zu einem zentralen Anliegen des Römischen Reiches. Zur Beilegung von Lehrstreitigkeiten im Christentum werden nunmehr ökumenische, d. h. für die

Kirche als die neue Ökumene

konstantinische Wende

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3. Die Konfessionen und ihre Geschichte mit der Ökumene

ökumenische Konzilien

Kirchenspaltung im Osten

Spaltung zwischen West und Ost

gesamte Ökumene des Reiches verbindliche Konzilien einberufen. Mit den Lehrentscheiden der ökumenischen Konzilien können dabei auch die der offiziellen kirchlichen Lehre verpflichteten Theologen als Lehrer der Ökumene bezeichnet werden. In diesem Sinne wird im 6. Jahrhundert dem Patriarchen von Konstantinopel der Titel „ökumenischer Patriarch“ zuerkannt. Nach dem Tod Gregor des Großen, der sich noch gegen entsprechende Titel wehrt, werden die Päpste als ökumenische Bischöfe bezeichnet. Auf den ersten beiden ökumenischen Konzilien in Nizäa 325 und in Konstantinopel 381 werden ausgehend von der Frage nach dem angemessenen Verständnis der Gottheit Jesu Christi zunächst trinitätstheologische Grundaussagen getroffen und im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel festgehalten. Damit gewinnt das Bekenntnis die Funktion, die Zugehörigkeit zur christlichen Reichskirche zum Ausdruck zu bringen. Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel von 381 gilt bis heute den meisten Kirchen als das ökumenische Bekenntnis. Es ist trinitarisch gestaltet und bekennt die Wesensgleichheit des Sohnes und des Geistes mit dem Vater und damit die volle Gottheit von Sohn und Geist. Im Gefolge der ersten beiden ökumenischen Konzilien kommt es jedoch zu neuen Auseinandersetzungen zwischen alexandrinischer und antiochenischer Tradition über die Frage, wie angesichts der vollen Gottheit des Sohnes das wahre Menschsein Jesu Christi adäquat auszusagen sei. Diese Fragen werden auf dem dritten und vierten ökumenischen Konzil ausgetragen. Das dritte ökumenische Konzil von Ephesus 431 lehnt die adoptianistische Vorstellung des Nestorius ab und lehrt auf der Linie alexandrinischer Christologie gegen Nestorius, dass Maria als Theotokos (Gottesgebärerin) zu gelten habe. Das vierte ökumenische Konzil von Chalcedon 451 sucht weitere Streitigkeiten über die Frage nach dem Verhältnis von Gottheit und Menschheit Jesu Christi zu schlichten. Es gelangt zu einem Bekenntnis, das einerseits doketische Vorstellungen abwehrt und mit der wahren Gottheit Jesu Christi auch seine wahre Menschheit betont, andererseits die Einheit der Person Jesu Christi herausstellt. Während die ersten beiden ökumenischen Konzilien in der gesamten Christenheit anerkannt werden, stoßen die dogmatischen Entscheidungen von Ephesus und insbesondere von Chalcedon auf Widerstand bei einer Reihe von Kirchen am östlichen Rande des byzantinischen Reichs bzw. außerhalb desselben. Es kommt zur ersten großen Kirchenspaltung in der Geschichte des Christentums. In der Folgezeit formieren sich die sog. orientalisch orthodoxen Kirchen ostsyrischer und westsyrischer Liturgietradition. Zu den Kirchen der ostsyrischen Tradition gehören die Heilige Apostolische und Katholische Assyrische Kirche des Ostens und einige indische Kirchen. Zur Familie der Kirchen mit westsyrischer Liturgie gehören die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien (,Jakobiten‘), die Malankarische Orthodoxe Syrische Kirche, die Koptische Orthodoxe Kirche, die Äthiopische Orthodoxe Tewahedo Kirche und die Armenische Apostolische Kirche. Mit der Abspaltung der orientalischen Kirchen ist der ökumenische Anspruch der Reichskonzilien erstmals strittig geworden. Doch nicht nur am Rande des Reichs, sondern auch innerhalb der Reichskirche führen die christologischen Lehrentscheidungen zu neuen Auseinandersetzungen über das Verständnis der beiden Naturen Christi, die auf dem

a) Die Geschichte der Ökumene im Spiegel der Begriffsgeschichte

fünften und sechsten ökumenischen Konzil in Konstantinopel 553 und 680 ausgetragen werden. Ein weiteres ökumenisches Konzil in Nizäa 787 wendet sich den Konsequenzen dieser Lehrentscheidungen für die Frage der Bilderverehrung zu und erlaubt diese ausdrücklich. Im Laufe der Jahrhunderte wird dabei die schon in den ersten Jahrhunderten aufbrechende Distanz zwischen Rom und Konstantinopel, in deren Hintergrund kulturelle Unterschiede stehen, durch den Ausbau des römischen Primatsanspruchs und durch einzelne Schismen vertieft (Acacianisches Schisma 484–519, Photianisches Schisma 867–879). Theologisch bietet vor allem die im Westen vorgenommene Einfügung des ,filioque‘ in den Text des Glaubensbekenntnisses von Nizäa-Konstantinopel massiven kontroverstheologischen Konfliktstoff. Die über Jahrhunderte angestauten kirchenpolitischen und theologischen Spannungen bilden die Voraussetzung dafür, dass die wechselseitige Exkommunikation zwischen Patriarch Michael Kerullarios und Kardinal Humbert im Jahre 1054 sich zum Schisma zwischen Ost- und Westkirche ausweitet und durch die Ereignisse im vierten Kreuzzug zementiert wird. In der Folgezeit wird vor allem von Rom aus eine Reihe von Unionsbemühungen unternommen, insbesondere auf dem Konzil von Lyon 1274 und auf dem Konzil von Florenz 1439. Mit dem Scheitern dieser Versuche richten Rom und Konstantinopel ihre Einigungsbemühungen vermehrt auf die orientalisch orthodoxen Kirchen. Rom gelingt eine Reihe von Kirchenunionen, wobei aber die Bildung dieser Unionen meistens mit Spaltungen der jeweiligen Kirche vor Ort verbunden ist. Mit der Kirchenspaltung zwischen Ost und West und dem Zusammenbruch des byzantinischen Reichs verliert der Begriff ,Ökumene‘ zwangsläufig seine reichskirchliche Dimension. Bestimmend bleibt nunmehr allein das Verständnis der ,oikumene‘ als der katholischen Kirche Gottes für alle Menschen. Doch wer zu dieser Kirche gehört, das ist nicht mehr nur zwischen Reichskirche und orientalischen Kirchen, sondern zwischen der lateinischen Kirche des Westens und den Ostkirchen strittig. Als konstitutiv für die Zugehörigkeit zur Ökumene als der Kirche Gottes gilt dabei jeweils die Übereinstimmung mit den Bekenntnissen der ökumenischen Konzilien. Doch welche Konzilien als ökumenisch gelten können, ist strittig. Während die orthodoxen Kirchen nur die ersten sieben ökumenischen Konzilien als ökumenisch anerkennen, zählt die Römisch-Katholische Kirche bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil 21 ökumenische Konzilien. An der Zahl der ökumenischen Konzilien, die in der römischen Kirche im Mittelalter abgehalten werden, lässt sich ersehen, dass im Westen – weit mehr als im Osten – immer neue Kontroversen über Fragen der kirchlichen Lehre und Praxis sowie der Autorität innerhalb der Kirche und im Verhältnis zum Staat aufbrechen, die einer verbindlichen Klärung bedürfen. Die größte ökumenische Herausforderung entsteht der lateinischen Christenheit mit der reformatorischen Kritik Martin Luthers, die am Buß- und Ablasswesen anhebt, dann aber auch eine große Anzahl weiterer römischer Lehren betrifft. Sie ist fundiert in Luthers theologischer Grundeinsicht, dass im Evangelium Gottes die Rechtfertigung allein aus Glauben ohne alle Werke verheißen ist. Die öffentliche Auseinandersetzung Luthers mit der römischen Kirche begann mit der Eröffnung des Inquisitionsverfahrens 1518. Nach der Bannandrohungsbulle von 1520 folgte mit der Bannbulle 1521 die Exkom-

verbindliche Lehre?

Kirchenspaltung im Westen

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3. Die Konfessionen und ihre Geschichte mit der Ökumene

Augsburger Religionsfriede

konfessionelles Zeitalter

Erweckungsund Missionsbewegungen

munikation Luthers. Nachdem auf dem Wormser Reichstag auch die Reichsacht über ihn verhängt wurde, war Luther auf den Schutz seines Landesherren Kurfürst Friedrich des Weisen angewiesen. Die kirchlichen und reichsrechtlichen Maßnahmen konnten nicht verhindern, dass sich in vielen Territorien des Reichs Anhänger der Reformation sammelten. Das Zentrum der lutherischen Reformation wurde Wittenberg. Weitere Zentren bildeten sich in der Schweiz um Huldreych Zwingli in Zürich und um Johannes Calvin in Genf. Der Versuch der reformatorischen Fürsten, auf dem Augsburger Reichstag 1530 mit der ,Confessio Augustana‘ eine Anerkennung und Duldung der Reformen zu erwirken und damit eine Kirchenspaltung zwischen Anhängern der Reformation und Anhängern der Papstkirche zu verhindern, scheiterte. Die Kirchenspaltung wurde schließlich mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 für die Anhänger der CA durch das Prinzip „cuius regio eius religio“ reichsrechtlich umgesetzt, nachdem sowohl eine Reihe von Religionsgesprächen als auch die Rekatholisierungsversuche Karls V. gescheitert waren. Bereits ab 1529 führten Differenzen in der Abendmahlsfrage überdies zur separaten Entwicklung der lutherischen Reformation, die weite Teile Skandinaviens und des Baltikums erreichte, und der von Zwingli und Calvin geprägten reformierten Gestalt der Reformation, die in der Schweiz, in Frankreich, in Schottland und in manchen deutschen Gebieten Fuß fasste. In England realisierte sich die Reformation in der Bildung der Anglikanischen Nationalkirche. Damit war in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an die Stelle der durch die römische Kirche bestimmten westlichen Kircheneinheit eine Vielzahl von Kirchentümern getreten, die in der Folgezeit mit der Gründung zahlreicher Freikirchen weitere Abspaltungen erlebten. Die Frage, was für die Christenheit allgemein verbindlich bzw. ökumenisch ist, findet in den westlichen Kirchentümern nunmehr eine Reihe von unterschiedlichen Antworten. Im lutherischen Konkordienbuch von 1580 werden das apostolische, das nizänische und das athanasianische Glaubensbekenntnis als die „tria symbola catholica sive oecumenica“ (BSLK, S. 19) bezeichnet. Darüber hinaus gelten in den meisten aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen die Konzilien der ersten fünf Jahrhunderte als ökumenisch. Zwar kann im Rekurs auf die reformatorische Tradition auch die Einheit der Kirche im Sinne der vom Heiligen Geist auf Erden erleuchteten und versammelten Christenheit als ,Ökumene‘ bezeichnet werden. Doch bestimmend ist im sog. konfessionellen Zeitalter nicht die Sicht auf die Christenheit als ganze. Im Vordergrund steht vielmehr die Wahrung der Konfessionsgrenzen. Demgegenüber entwickelt sich Ende des 17. Jahrhunderts im Pietismus ein neues Verständnis von ,Ökumene‘. Denn das Interesse des Pietismus gilt der Verbreitung lebendiger christlicher Frömmigkeit über die nationalen und konfessionellen Grenzen hinweg. Diese erscheinen nicht mehr als Barrieren zwischen Heil und Unheil. Vielmehr kann z. B. der Begründer der Herrnhuter Brüdergemeine Graf Zinzendorf die verschiedenen Konfessionen als Erziehungsformen Gottes zur Wiedergeburt und Herzensfrömmigkeit verstehen. Diese überkonfessionelle Ausrichtung auf die Gemeinschaft aller bekehrten Christen gewinnt in der Erweckungsbewegung und in der Missionsbewegung im 19. Jahrhundert breite Wirkung und schlägt sich

b) Die (moderne) Ökumenische Bewegung seit dem 19./20. Jahrhundert

auch im Ökumeneverständnis nieder. Zuerst setzt sich die 1795 gegründete London Missionary Society dafür ein, dass das Evangelium nicht in konfessioneller Form verkündet werden solle, und erhebt Ökumenizität zu ihrem Prinzip. 1846 wird in London die Evangelische Allianz gegründet, die sich als ein ökumenischer Zusammenschluss der wahren Gläubigen über alle konfessionellen und nationalen Grenzen hinweg versteht. Wichtig für die Verbreitung dieses überkonfessionellen Verständnisses von Ökumene werden sodann der 1855 gegründete Christliche Verein Junger Männer (CVJM bzw. YMCA), der 1893 gegründete Weltbund der weiblichen Jugend (WMCA) und der 1895 gegründete Christliche Studentenweltbund. Hier wird jeweils eine über Konfessionsgrenzen, nationale Grenzen und Klassengrenzen hinausreichende Gesinnung als „ökumenisch“ bezeichnet und propagiert. Dieser Sprachgebrauch bestimmt auch die internationale Missionskonferenz im Jahre 1900 in New York, die sich ökumenisch nennt, weil sich ihr Plan auf das gesamte Gebiet des bewohnten Erdballs richtet. Mit diesem Sprachgebrauch ist die globale Weite des ursprünglichen profangriechischen Verständnisses von ,oikumene‘ wieder im Blick. Aus der Missionsbewegung und ihren Konferenzen erwächst zugleich eine entscheidende Initiative für den ökumenischen Aufbruch im 20. Jahrhundert. Denn in den Missionen im 19. Jahrhundert machen die Kirchen die Erfahrung, dass die konfessionellen Spaltungen und deren Reproduktion an den Missionsorten ihren missionarischen Auftrag erheblich behindern. So entwickelt sich das Bestreben, die Abgrenzung und Konkurrenz der Kirchen zugunsten eines gemeinschaftlichen Miteinanders zu überwinden. Mit dem Interesse an überkonfessionellem Einsatz für die Mission verbindet sich somit die Aufgabe, nach der Gemeinschaft der getrennten Kirchen zu streben. In diesem Sinne verwendet der schwedische Erzbischof Nathan Söderblom erstmals den Begriff ,Ökumene‘, um das Werk der Versöhnung und Einigung bisher getrennter Kirchen zu bezeichnen. Söderblom ist einer der bedeutendsten Wegbereiter der Ökumene in diesem Sinne und wird nicht zu Unrecht zuweilen auch als Kirchenvater der modernen ökumenischen Bewegung bezeichnet (vgl. dazu Möller/24: 14).

ökumenischer Aufbruch

b) Die (moderne) Ökumenische Bewegung seit dem 19./20. Jahrhundert Als Beginn der modernen ökumenischen Bewegung im 20. Jahrhundert wird allgemein die Weltmissionskonferenz in Edinburgh 1910 angesehen. Sie ist bestimmt von dem Bewusstsein der Verantwortung für die Evangelisierung der Welt. Für den von dieser Missionskonferenz anhebenden ökumenischen Aufbruch gewinnen außerdem die Verpflichtung zu Frieden und sozialer Gerechtigkeit und die Suche nach der Einheit der Kirche in Entsprechung zum nizänischen Glaubensbekenntnis grundlegende Bedeutung. Während das missionarische Anliegen durch die Gründung des Internationalen Missionsrates 1921 in Lake Mohonk aufgenommen wird, wendet sich die – auf den 1914 geschlossenen Weltbund für Internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen zurückgehende – Bewegung für Praktisches Christentum (Life and Work) ab 1920 den sozialen und friedensethischen Fragen zu. Die erste Weltkonferenz dieser Bewegung findet 1925 in Stockholm statt. Das Problem der kirchentrennenden Lehrdifferenzen schließlich wird

Weltmissionskonferenz Edinburgh 1910

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3. Die Konfessionen und ihre Geschichte mit der Ökumene

Gründung des ÖRK

Glaube und Kirchenverfassung

Zweites Vatikanisches Konzil

ab 1910 Gegenstand der Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung (Faith and Order), die 1927 in Edinburgh ihre erste Weltkonferenz abhält. Von Anfang an beteiligen sich neben vielen protestantischen Kirchen vor allem die Anglikanische Kirche und die Orthodoxen Kirchen an der ökumenischen Bewegung. Die Römisch-Katholische Kirche steht ihr hingegen abweisend gegenüber. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird 1948 in Amsterdam der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) gegründet. In ihm vereinigen sich die Bewegung für Praktisches Christentum und die Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung. 1961 tritt dem ÖRK auch der Internationale Missionsrat bei. 1971 wird zudem der Weltrat für christliche Erziehung als Zweig des ÖRK gegründet. Der ÖRK fungiert bis heute als zentrales Organ der ökumenischen Bewegung und hält alle sechs bis acht Jahre Vollversammlungen ab (1948 in Amsterdam, 1954 in Evanston, 1961 in Neu Delhi, 1968 in Uppsala, 1975 in Nairobi, 1983 in Vancouver, 1991 in Canberra, 1998 in Harare, 2006 in Porto Allegre). Nach seiner auf der Vollversammlung 1961 in Neu Delhi ergänzten Basisformel versteht er sich als „eine Gemeinschaft von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Empfehlungen von Nairobi 327). Seine erste Aufgabe sieht der ÖRK gemäß der Formulierung auf der Vollversammlung in Nairobi 1975 darin, „die Kirchen aufzurufen zu dem Ziel der sichtbaren Einheit im einen Glauben und der einen eucharistischen Gemeinschaft, die ihren Ausdruck im Gottesdienst und im gemeinsamen Leben in Christus findet, und auf diese Einheit zuzugehen, damit die Welt glaube“ (ebd.). Dieses Selbstverständnis kennzeichnet zugleich das Verständnis von Ökumene, das der ÖRK vertritt. Einen entscheidenden Impuls für die weitere Entwicklung der ökumenischen Bewegung setzt die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung bei ihrer Weltkonferenz in Lund 1952, indem sie die Zeit der „bloßen vergleichenden Kirchenkunde“ für beendet erklärt und eine christologisch fundierte Besinnung auf die anzustrebende Einheit der Kirchen fordert. Dies geschieht zum einen auf der ÖRK-Vollversammlung in Neu-Delhi 1961, auf der die konstitutiven Momente der anzustrebenden Einheit der Kirchen bedacht werden, zum anderen durch die inhaltliche Auseinandersetzung mit den kirchentrennenden Differenzen im Sakraments- und Amtsverständnis, die zu den Konvergenzerklärungen über Taufe, Eucharistie und Amt führen. Sie werden auf der Vollversammlung der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung 1982 in Lima verabschiedet und dienen seither als wichtiger Ausgangspunkt und als Orientierungsgröße für viele ökumenische Dialoge und Begegnungen. Indem sich die Römisch-Katholische Kirche mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1962–1965 der ökumenischen Bewegung öffnet, Beobachter zu den Vollversammlungen des ÖRK entsendet und ab 1968 Vollmitglied der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des ÖRK wird, gewinnt die ökumenische Bewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erheblich an Reichweite. Im Ökumenismusdekret des Zweiten Vatikanischen Konzils ,Unitatis redintegratio‘ (UR; in: DH 4185–4192) wird mit der Lehre von der Hierarchie der Wahrheiten ein wichtiges Instrument zur Klärung

b) Die (moderne) Ökumenische Bewegung seit dem 19./20. Jahrhundert

von Lehrdifferenzen benannt und außerdem die Versammlung zum gemeinsamen Gebet um die Einheit ausdrücklich befürwortet. Das Dekret erklärt die Wiederherstellung der Einheit der Christen zu einer Hauptaufgabe (UR 1) und begreift die Bekehrung des Herzens und die Heiligkeit des Lebens in Verbindung mit dem privaten und öffentlichen Gebet für die Einheit der Christen als geistlichen Ökumenismus und als die Seele der ökumenischen Bewegung (UR 8). Daneben nennen UR und die Ökumene-Enzyklika von Papst Johannes Paul II. „Ut unum sint“ (DH 5000–5012) als Mittel zur Förderung der Einheit den theologischen Dialog und die praktische Zusammenarbeit. Entsprechend beteiligt sich die Römisch-Katholische Kirche an zahlreichen offiziellen bilateralen Dialogen auf internationaler und nationaler Ebene. Auch auf der Ebene des kirchlichen Lebens sind im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils viele Formen gemeinschaftlichen Miteinanders zwischen Rom und den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen ausgebildet worden. Besondere Bedeutung kommt den ökumenischen Gottesdiensten zu, die regelmäßig in vielen Gemeinden und auch zu besonderen Anlässen gefeiert werden. Ökumenische Themen und Begegnungen sind heute selbstverständlicher Bestandteil der Katholikentage und der Evangelischen Kirchentage. Der erste ökumenische Kirchentag ist 2003 in Berlin gefeiert worden. Neben der Arbeit an den kirchentrennenden Lehrunterschieden, die zwischen den verschiedenen Kirchen heute vornehmlich die Frage nach dem kirchlichen Amt betreffen, und dem liturgischen Bemühen um gemeinsame Formen gottesdienstlicher Feier spielt der nach der ÖRK-Vollversammlung in Vancouver 1983 angestoßene konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung eine wichtige Rolle in der ökumenischen Bewegung. Die weitreichende Übereinstimmung der Kirchen in ethischen Fragen ist dabei insbesondere in Europa und in Nordamerika entscheidend dafür, dass die Stimme der Kirchen in der Politik Gehör findet. Die ökumenische Bewegung lebt aber nicht nur von den multilateralen internationalen Aktivitäten des ÖRK, sondern auch von einer Vielzahl regionaler oder nationaler Gremien und Verbünde. Auf europäischer Ebene spielt die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) eine wichtige Rolle, die unter den Bedingungen des Kalten Krieges zur Unterstützung der Kirchen hinter dem Eisernen Vorhang gegründet worden ist und sich für die Zusammenarbeit und Vernetzung der Kirchen in Europa einsetzt. Wichtig sind darüber hinaus nationale Organisationen wie in Deutschland die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK). Vor allem aber sind in den letzten Jahrzehnten die Ortsgemeinden vielfach entscheidende Träger des ökumenischen Strebens nach gemeinsamem Zeugnis und Dienst im Zusammenwachsen der getrennten Kirchen geworden. Angesichts der vielen ökumenischen Errungenschaften verdient das 20. Jahrhundert als Jahrhundert der Ökumene bezeichnet zu werden. Rückblickend lässt sich zugleich eine Verschiebung in der Gewichtung der ökumenischen Interessen verzeichnen. Während in den Anfängen das Streben nach Einheit dem globalen Ziel der Evangelisierung der Menschheit unterstellt wird, entwickelt sich die Aufgabe der Überwindung kirchentrennender Faktoren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend zum bestimmenden Ziel. Zahlreiche Dialoge zwischen den Kirchen dienen seit-

Konziliarer Prozess

KEK und ACK

Ziele

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3. Die Konfessionen und ihre Geschichte mit der Ökumene

her dem besseren wechselseitigen Verstehen und der Annäherung in kirchentrennenden Glaubensfragen. Im Zuge dieser Annäherungen unter den Kirchen sind allerdings auch die über Jahrhunderte gewachsenen theologischen, organisatorischen und kulturellen Barrieren zu Bewusstsein gekommen. Diese Barrieren zu überwinden ist eine komplexe Aufgabe, die auf verschiedenen Ebenen zu lösen ist. Neben dem Ausbau kirchlicher Kontakte, die dem Kennenlernen und Austausch der Kirchen in ihren unterschiedlichen kulturellen Kontexten dienen, ist die theologische Erkundung und Reflexion der verbindenden und trennenden kulturellen Prägungen und der Glaubensüberzeugungen ein wichtiger Faktor. c) Konfessionelle Eigenarten in der Gestaltung der Ökumene konfessionelle Weltbünde

Die christlichen Konfessionsgemeinschaften haben sich im Lauf ihrer Geschichte hinsichtlich der Frage, wie die gemeinsame konfessionelle Identität festzustellen und zu leben sei, unterschiedlich organisiert. Insbesondere bei der Entscheidung über Repräsentationsformen in ökumenischen Gesprächen hat diese Thematik Bedeutung. Gerade jene weltweiten Konfessionsgemeinschaften, die nicht über eine institutionell-amtliche Struktur weltweit vernetzt sind, haben bereits im 19. Jahrhundert die Notwendigkeit empfunden, sich auf Weltebene zu organisieren: (1) Im reformatorischen Bereich sind konfessionelle Weltbünde entstanden, deren Repräsentanten in bilateralen ökumenischen Dialogen tätig werden. (2) Die Orthodoxen Kirchen bereiten sich auf der Grundlage der Autokephalie ihrer Kirchentümer seit geraumer Zeit auf ein panorthodoxes Konzil vor. (3) Die Römisch-Katholische Kirche hat beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–65) die Grundlagen für ihre Teilhabe an der Ökumenischen Bewegung neu bestimmt. Gelingende innerkonfessionelle Bemühungen um die Formulierung eines gemeinsamen Standorts sind eine Voraussetzung für die Möglichkeit einer gesamtökumenischen Konvergenz. Konfessionelle Weltbünde erleichtern daher den ökumenischen Auftrag. (1) Die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen haben im Unterschied zur Römisch-Katholischen Kirche keine überregionalen Verfassungsstrukturen ausgebildet. Das hat zum einen mit den politischen Entstehungsbedingungen der Reformationskirchen zu tun, hängt aber zugleich mit dem reformatorischen Kirchenverständnis zusammen, wonach die Kirche im eigentlichen Sinne die Ortskirche ist, die sich im Gottesdienst versammelt. Um die Einheit der Ortskirchen in einer Region zu bewahren, ist zwar nach dem Verständnis evangelischer Kirchen eine überregionale Aufsicht (Episkopé) über Lehre und Leben in den Gemeinden notwendig. Die Frage nach der Notwendigkeit einer universalkirchlichen Episkopé stellte sich den Reformationskirchen jedoch nicht. Erst im Zuge der Missionsbewegung und dem Aufbau internationaler Beziehungen unter den Kirchen im 19. und 20. Jahrhundert erschien es vielen regionalen Kirchen gleicher konfessioneller Tradition sinnvoll, in einem internationalen Verbund ein gemeinsames Organ für den Austausch untereinander und für die Pflege internationaler Beziehungen zu anderen Kirchen zu etablieren. So entstand 1863 der Weltbund der Adventisten, 1867 wurde die erste Lambeth-Konferenz der Anglikanischen Gemeinschaft einberufen. 1875 gründeten 21 presbyterianische Kirchen in Europa

c) Konfessionelle Eigenarten in der Gestaltung der Ökumene

und Nordamerika in London den Bund der Reformierten Kirchen in aller Welt. 1881 wurden der Methodistische Weltrat, 1905 der Baptistische Weltbund, 1937 das Weltkomitee der Quäker und 1947 schließlich der Lutherische Weltbund gegründet. Seit 1979 werden die konfessionellen Weltbünde im offiziellen Sprachgebrauch als „Weltweite christliche Gemeinschaften“ bezeichnet, um der Tatsache besser Rechnung zu tragen, dass diese weltweiten Zusammenschlüsse ihren konfessionellen Charakter unterschiedlich betonen und auch sonst strukturelle Unterschiede aufweisen. Auch wenn der Status der konfessionellen Weltbünde in verschiedener Hinsicht immer wieder diskutiert wird, sind diese doch ein unverzichtbares Instrument für die bilateralen ökumenischen Beziehungen auf Weltebene geworden. Die Entscheidung, ob die Ergebnisse offizieller ökumenischer Dialoge rezipiert werden können, liegt allerdings bei den Regionalkirchen, die in den jeweiligen überregionalen Zusammenschlüssen vertreten sind. Darum müssen internationale Dokumente wie z. B. die Konvergenzerklärung „Taufe, Eucharistie und Amt“ des Ökumenischen Rates der Kirchen von 1982 oder die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ zwischen Lutherischem Weltbund und päpstlichem Einheitsrat von 1999 einen Rezeptionsprozess durchlaufen, in dem die regionalen Kirchen Stellung nehmen können. (2) Grundlegend für die Verfassungsstruktur im Bereich der Orthodoxie ist zum einen die Autokephalie bzw. Autonomie der einzelnen Orthodoxen Kirchen, zum anderen die Bedeutung des Konzils als Organ überörtlicher Entscheidungen. Im Bereich der byzantinisch-orthodoxen Kirchen können ökumenische, d. h. allgemein verbindliche Entscheidungen nur auf einem panorthodoxen Konzil getroffen werden. Ein solches „Heiliges und großes Konzil der orthodoxen Kirche“ wird vom Ökumenischen Patriarchat in Konstantinopel – nach ersten gescheiterten Versuchen 1923 und 1930 – seit den fünfziger Jahren vorbereitet. Der theologische Vorbereitungsprozess, der weitgehend abgeschlossen ist, verlief in panorthodoxen Konferenzen, in daran anschließenden interorthodoxen Vorbereitungskommissionen und in vorkonziliaren panorthodoxen Konferenzen. Eine zentrale Aufgabe des Konzils soll darin bestehen, gemeinsame Fragen der autokephalen Orthodoxen Kirchen zu klären, die z. B. die Proklamationsmodi der Autokephalie und der Autonomie, den gemeinsamen Kalender, Ehehindernisse, die Bedeutung des Fastens u. a. betreffen. Darüber hinaus sollen aber auch die Beziehungen der Orthodoxen Kirche zu der übrigen christlichen Welt, das Verhältnis zur ökumenischen Bewegung und der Beitrag zum konziliaren Prozess thematisiert werden. Da weder Vertreter Orthodoxer Kirchen in Dialogen auf Weltebene noch einzelne Orthodoxe Kirchen in bilateralen Dialogen verbindlich für alle Orthodoxen Kirchen sprechen können und wollen, sind grundlegende Fortschritte in der Ökumene ohne ein panorthodoxes Konzil nicht erreichbar. (3) Die Römisch-Katholische Kirche ist seit der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962– 65) auf internationaler und auf nationaler Ebene an zahlreichen ökumenischen Gesprächen beteiligt. Die Gesamtheit dieser Ereignisse zu überschauen, ist selbst Fachleuten kaum noch möglich. Eine sehr gute Hilfe für das Eigenstudium der wichtigsten Texte ist die Quellensammlung „Dokumente wachsender Übereinstimmung“ (DwÜ), in der

Rezeptionsprozess

panorthodoxes Konzil

Römisch-Katholische Kirche

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3. Die Konfessionen und ihre Geschichte mit der Ökumene

sämtliche Berichte und Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene im Wortlaut dokumentiert sind. Ausführliche Register ermöglichen eine erste Orientierung in einzelnen Themenbereichen. Bisher sind drei Bände erschienen; die Sammlung wird fortgesetzt (DwÜ 1–3). Die Katholische Kirche hat sich in die Ökumenische Bewegung nicht nur einbeziehen lassen, sondern wurde selbst ein wichtiger Förderer von deren Anliegen. Dem „Dekret über den Ökumenismus“ des Zweiten Vatikanischen Konzils (welches entsprechend den lateinischen Anfangsworten dieses Dokumentes unter dem Titel „Unitatis Redintegratio“ – „Wiederherstellung der Einheit“ zitiert wird (UR)) sind wegweisende Einsichten zu entnehmen: Ökumenische Begegnungen werden nur dann weiterführend sein, wenn sie im Geist der Wahrheitsliebe geschehen und den Gesprächspartnern in deren Selbstsicht gerecht werden. Manche Hürden – Unterschiede etwa in der theologischen Sprache und Begrifflichkeit – können im wechselseitigen Einverständnis überwunden werden. Die Atmosphäre in den Gesprächen wirkt sich auf die Ergebnisse aus. Lernbereitschaft und Neugierde aufeinander soll für alle spürbar werden. Sachkundige Menschen sollen die Gespräche führen. Das gemeinsame Ziel, die Einheit der christlichen Glaubensgemeinschaften, soll das Handeln bestimmen. Demut, Umkehrbereitschaft und Einsicht in eigene Grenzen könnten Kennzeichen dieser grundlegend geistlichen Sicht der Dialogökumene sein. Bis heute ist das gemeinsame Gebet eine sprudelnde geistliche Quelle, aus der Kommissionen auch in schweren Zeiten Zuversicht schöpfen können. Die Römisch-Katholische Kirche hat sich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil entschlossen, vor allem bilaterale ökumenische Gespräche zu führen: Internationale Zweiergespräche mit allen christlichen Traditionen jeweils über jene Themen, die als trennend gelten und wirken. Darüber hinaus aber hat sie sich auch in den Prozess der multilateralen Ökumenischen Bewegung einbinden lassen. Sie ist Mitglied in einer sehr traditionsreichen und verdienstvollen Untergruppe des weltweiten Ökumenischen Rats der Kirchen, die sich lange Zeit vor allem mit den systematisch-theologischen ökumenischen Kontroversen befasst hat: der Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung (Faith and Order). d) Rekonfiguration der ökumenischen Bemühungen heute gegenwärtige Herausforderungen

Es ist offenkundig: Die weltweit vielfältigen ökumenischen Bemühungen bedürfen einer neuen Anstrengung zur Koordination. Nach fruchtbaren Jahrzehnten der Annäherung im 20. Jahrhundert – getragen vorrangig von den Kirchen reformatorischer Tradition – steht die Ökumenische Bewegung vor neuen Herausforderungen. Nicht zuletzt die schwindende Finanzkraft der christlichen Kirchen in Europa nötigt, oder besser ermutigt zu weitreichenden Reformen. Bei der Sichtung der bestehenden ökumenischen Initiativen sind mehrere Kriterien der Differenzierung möglich: Nationale Gremien unterscheiden sich von internationalen, bilaterale Gespräche von multilateralen, historisch-theologische Erkenntniswege von diakonisch motivierten Projekten. An jedem Lebensort hat die Ökumene eine andere Gestalt, die maßgeblich auch durch die leitend handelnden Personen mitbestimmt wird.

d) Rekonfiguration der ökumenischen Bemühungen heute

Ein klares Profil scheint die Ökumenische Bewegung in Deutschland nur gewinnen zu können, wenn die Komplexität der weltweiten Ökumene an den Lebensorten der Gläubigen in Deutschland stärker bewusst wird. Sich in einer weltweiten christlich-ökumenischen Gemeinschaft zu wissen ist eine Aufgabe, auf die viele Christen in Deutschland noch nicht vorbereitet sind. Angesichts der gegenwärtigen Kommunikationsmittel besteht die Möglichkeit, sich von jedem beliebigen Ort der Welt aus über andere Regionen zu informieren und auch Anteil zu nehmen an den Freuden und Leiden der Menschen andernorts. Doch wer handelt so? Die Welt könnte ein Dorf sein, in dem jede von jedem weiß. In der Wirklichkeit erscheinen unter Christinnen und Christen weltweit die Kenntnisse über spezifische Lebensbedingungen andernorts recht gering. Woran mag das liegen? Es wird vielfältige Antwortversuche auf diese Frage geben. Der Prozess der Rekonfiguration (vgl. Rekonfiguration/25), den der aus dem Amt scheidende Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Konrad Raiser, im Jahr 2003 angeregt hat, lädt zu einer Neubesinnung auf die Rahmenbedingungen der Ökumenischen Bewegung ein. Diese Reflexion intendiert eine arbeitsteilige Entlastung durch stärkere Koordinierung besonders auf internationaler und auch bereits schon auf nationaler Ebene. Den vielen nationalen Räten von Christinnen und Christen soll dabei mehr Bedeutung geschenkt werden. Es erscheint zunehmend nicht mehr möglich, die vielfältigen ökumenischen Initiativen weltweit in einen organisatorischen Zusammenhang zu bringen. Eine Regionalisierung der Ökumenischen Bewegung steht an. Auf dieser Basis kann nach neuen Formen der konfessionellen Kooperation gesucht werden, bei der die lokale Nähe (und damit die Möglichkeit der Begegnung) möglicherweise größere Bedeutung hat als die Frage nach der konfessionellen Identität in einer weltweiten Gemeinschaft. Auch für diejenigen, welche sich hauptberuflich mit Fragen der Ökumene befassen, ist es eine Herausforderung, die Vielgestalt ökumenischer Vorgänge in die eigenen Überlegungen einzubeziehen. Theologisch ausgerichtete, meist bilateral zusammengesetzte Gremien erarbeiten Dokumente, die nicht selten wenig Resonanz finden. Ökumenische Materialien für die Gemeindearbeit werden bereit gestellt, deren theologische Basis manchmal Anlass zu Rückfragen bietet. Kirchentage und Katholikentage sind ohne ökumenische Dimension nicht mehr denkbar. Die Kirchenleitungen veröffentlichen wichtige gemeinsame Schreiben etwa zu sozialethischen Themenbereichen. Es gibt in Deutschland allerdings keine Institution, welche all die genannten, um viele weitere Bereiche zu erweiternden Formen der Ökumene koordiniert. Es existiert jedoch eine Einrichtung, die insbesondere auf multilateraler ökumenischer Ebene in Deutschland sehr wertvolle Dienste der Zusammenschau tut: die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK). Die ACK entspricht auf bundesdeutscher Ebene anderen nationalen Räten von Christinnen und Christen, die weltweit im Kontext der Ökumenischen Bewegung im 20. Jahrhundert entstanden sind: In einzelnen Regionen der Welt erklären Kirchen und christliche Gemeinschaften ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit insbesondere in jenen Fragebereichen, die sie gemeinsam

Vielgestalt der Ökumene

die ACK

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3. Die Konfessionen und ihre Geschichte mit der Ökumene Kennzeichen

Geschichte

Mitglieder

betreffen. Vorrangige Kennzeichen dieser Form der ökumenischen Kooperation sind: (1) die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit allen christlichen Denominationen, die im gemeinsamen Lebensraum vertreten sind, und damit verbunden die ausdrückliche Wertschätzung der multilateralen Ökumene; (2) die Begrenzung der Zielsetzung auf Initiativen, die ohne Veränderung der ekklesialen Rahmenbedingungen in der Ökumene am Ort realisierbar erscheinen; (3) die Konzeption und Begleitung von Projekten, welche die christlichen Kirchen gemeinsam in einen tätigen Dialog mit anderen religiösen oder gesellschaftlichen Gruppierungen bringen. Wie in der gesamten modernen Ökumenischen Bewegung im 20. Jahrhundert feststellbar, ist auch die Geschichte der ACK mit Erfahrungen während des Zweiten Weltkriegs verbunden. Gerade in Deutschland wuchs in dieser Zeit die Einsicht in die Sinnhaftigkeit einer institutionalisierten Form der Ökumene, durch welche die ermutigenden und bereichernden Begegnungen in den Zeiten des gemeinsamen Widerstands gegen die nationalsozialistische Diktatur weiterwirken. Den äußeren Anstoß zur Bildung eines nationalen Kirchenrats gab der sich zeitgleich formierende Ökumenische Rat der Kirchen in einem Schreiben an die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) im Jahr 1946. Ebenso wie weltweit, waren auch in Deutschland die Kirchen reformatorischer Tradition in dieser Phase der Ökumenischen Bewegung die Vordenker und die Organisatoren der weiteren ökumenischen Entwicklungen. Erste Gespräche wurden mit einzelnen Freikirchen geführt. Sie mündeten in die Gründung einer „Arbeitsgemeinschaft“ zunächst zwischen Christinnen und Christen evangelischen Bekenntnisses am 10. März 1948 in Kassel. Gründungsmitglieder sind neben der EKD der Bund EvangelischFreikirchlicher Gemeinden/Baptisten (BEFG), die Evangelisch-methodistische Kirche (EmK), die Arbeitsgemeinschaft deutscher Mennonitengemeinden (AMG), das katholische Bistum der Alt-Katholiken sowie die Evangelische Brüder-Unität/Herrnhuter Brüdergemeine. Zum ersten Vorsitzenden wurde Pastor Martin Niemöller gewählt. Bei der Gründung wurde eine Form der Kooperation vereinbart, die – entsprechend dem Leitbild des ÖRK – die ekklesiologischen Differenzen unberücksichtigt ließ. Eine nachhaltig gestellte Frage im Blick auf die ACK ist bis heute, ob die Bezeichnung „Arbeitsgemeinschaft“ den ekklesialen Status der Zusammenarbeit der Kirchen nicht zu wenig berücksichtigt. Andererseits zeigt die Erfahrung, dass der von Beginn an ausgesprochene Verzicht auf das Ziel einer Klärung der ekklesiologischen Differenzen erst den Weg frei machte für eine weitreichende Zusammenarbeit in den Bereichen, in denen dies ohne weitere Vorklärungen bereits möglich ist. Bereits 1949, bald nach der Gründungsversammlung, traten die Heilsarmee und die Evangelisch-altreformierte Kirche in Niedersachsen der ACK bei. Die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil veränderte Sichtweise der Ökumenischen Bewegung in der römisch-katholischen Lehrtradition ermöglichte es, in nationalen Kontexten eine Intensivierung der ökumenischen Zusammenarbeit vorzusehen. Bedingt durch die politische Teilung Deutschlands, konnten seit 1963 die Delegierten aus den Kirchen der damaligen DDR nicht mehr an den Sitzungen teilnehmen. 1970 wurde die „Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der DDR“ (AGCK) gegründet. Die ACK im Osten und Westen Deutschlands schloss sich 1991 wieder zu-

d) Rekonfiguration der ökumenischen Bemühungen heute

sammen. Im Jahr 1974 entschieden sich die Römisch-Katholische Kirche und die Griechisch-Orthodoxe Metropolie für eine Mitgliedschaft in der ACK. Weitere Orthodoxe Kirchen folgten. 1998 trat die Arbeitsgemeinschaft Anglikanisch-Episkopaler Gemeinden der ACK bei. Heute, im Jahr 2007, gibt es 16 Mitgliedskirchen der ACK (Äthiopisch-Orthodoxe, Anglikaner, Mennoniten, Armenisch-Orthodoxe, Baptisten, die Heilsarmee, Evangelisch-Altreformierte, die Herrnhuter Brüdergemeine, die EKD, Methodisten, Alt-Katholische, Koptisch-Orthodoxe, den Verband der Diözesen der Orthodoxen Kirche in Deutschland, die Römisch-Katholische Kirche, die Selbständig Evangelisch-Lutherische Kirche und Syrische-Orthodoxe), vier Gastmitglieder (das Apostelamt Jesu Christi, den Bund Freier Evangelischer Gemeinden in Deutschland, die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten und den Mülheimer Verband Freikirchlich-Evangelischer Gemeinden) sowie drei Gruppierungen im Status von Ständigen Beobachtern (die Quäker, die Arbeitsgemeinschaft Ökumenischer Kreise und das Evangelische Missionswerk in Deutschland). Allein die Aufzählung der Vielzahl der in der ACK repräsentierten Konfessionsgemeinschaften lässt erahnen, wie mühsam es ist, in Einzelfragen Konvergenzen zu erreichen. Zugleich geschieht durch Begegnungen auf multilateraler Ebene eine Erweiterung des ökumenischen Erfahrungsraums. Die ACK ist ein eingetragener Verein, dem Kirchen und christliche Gemeinschaften beitreten können. Die Mitgliedskirchen entsenden Delegierte in die Mitgliederversammlung, die einen Vorstand wählt, den ein/eine Vorsitzende/r leitet. In der Ökumenischen Centrale in Frankfurt befindet sich die Geschäftsführung der ACK. Sie koordiniert in den Zeiten zwischen den Mitgliederversammlungen die Tätigkeiten in Ausschüssen oder Arbeitsgruppen und realisiert die internationale Präsenz der ACK. Der Deutsche Ökumenische Studienausschuss (DÖStA) ist ein multilateral zusammengesetztes Gremium von Theologen und Theologinnen, das Arbeitsbereiche der ACK theologisch vertieft und zudem in einer gewissen Eigenständigkeit Studienprojekte durchführt. In den zurückliegenden Jahren standen dabei eine Auslegung des Glaubensbekenntnisses von Nizäa-Konstantinopel, Fragen der Ekklesiologie, Überlegungen zu Fragen der ökumenischen Bildung und das Verständnis der Rechtfertigungsbotschaft aus multilateraler Perspektive im Mittelpunkt der Beratungen. Neben der Fortführung vieler Einzelprojekte der ACK (Mitarbeit bei den vom ÖRK ausgerufenen Dekaden zur Solidarität der Kirchen mit den Frauen und zur Überwindung der Gewalt; Aufrufe zur Stärkung der missionarischen Ökumene) lässt sich insgesamt die Tendenz zu einem verstärkten interreligiösen und multikulturellen Dialog erkennen (vor allem in den Projekten „Lade deinen Nachbarn ein“ und „Weißt du, wer ich bin?“). Nicht alle Mitgliedskirchen favorisieren dies in gleicher Weise. Von anhaltender Bedeutung wird die Frage sein, wie sich die Unterzeichnung der Charta Oecumenica durch Vertreter der Mitgliedskirchen der ACK im Rahmen des ersten Ökumenischen Kirchentags in Berlin 2003 konkret in Deutschland auswirken wird. Eine Eigenart der ACK in Deutschland ist es, die Ausbildung eines verzweigten Netzes von regionalen und örtlichen Untergliederungen ausgebildet zu haben, das für eine Verbreitung und Konkretisierung der bundesweiten Anregungen Sorge trägt. Zudem sind einzelne regionale Einrichtungen – neben anderen vor allem diejenigen in

Organisationsstruktur

Projekte

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4. Entwicklung und Aufgabe ökumenischer Theologie

Zukunftsperspektiven

Baden-Württemberg und Bayern – darum bemüht, vor dem Hintergrund ihrer spezifischen Situation Anregungen etwa in Gestalt von Arbeitshilfen zu geben, die auch überregional zur Förderung des ökumenischen Anliegens beitragen. Die Zukunft der multilateralen Ökumene in Deutschland ist eng mit dem Fortbestand der ACK verbunden. Nicht zuletzt Finanznöte gefährden derzeit dieses Anliegen. Weltweit betrachtet, bilden manche Kirchen und christlichen Gemeinschaften, die in Deutschland einen Minderheitenstatus haben, die konfessionelle Mehrheit. Verständnis für die jeweiligen Eigenarten der Christen und Christinnen unterschiedlicher Konfession kann nur in Begegnungen wachsen.

4. Entwicklung und Aufgabe ökumenischer Theologie Durch die moderne ökumenische Bewegung im 20. Jahrhundert haben sich nicht nur die Beziehungen der Kirchen zueinander auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens verändert. Auch im Bereich der Universitätstheologie hat die Ökumenische Bewegung zu bedeutenden Veränderungen geführt. Das zeichnet sich unter anderem darin ab, dass sich ökumenische Theologie als eigener Bereich sowohl in der theologischen Forschung wie auch im theologischen Lehrbetrieb an der Universität etabliert hat, in dem die zwischen den Kirchen strittigen Fragen der Glaubenslehre und der Lebensführung und die interkonfessionellen Diskussionen dieser Fragen erforscht und reflektiert werden (Abschnitt a). Damit verbindet sich die Aufgabe einer ökumenisch-theologischen Hermeneutik, in der die Verstehensbedingungen ökumenischer Verständigung zwischen den Kirchen erörtert werden (Abschnitt b), wobei die Bedeutung und Grenze der ökumenischen Dialoge eigens zu bedenken ist (Abschnitt c). Ökumenische Theologie reflektiert jedoch nicht nur die Voraussetzungen, Ziele und kirchlichen Handlungsmöglichkeiten in der Ökumene, sondern ist zugleich ein unverzichtbarer Bereich theologischer Forschung im Gesamt der Theologie (Abschnitt d), der wiederum Perspektiven ökumenischer Bildung eröffnet (Abschnitt e). a) Geschichte der ökumenischen Theologie Kontroverstheologie

Im theologischen Fächerkanon ist der Aufgabenbereich ,Ökumenische Theologie‘ sowohl in der evangelischen wie in der katholischen Theologie an die Stelle der älteren Disziplinen der ,Kontroverstheologie‘ bzw. der ,Polemik‘ getreten. Die Disziplin der Kontroverstheologie bzw. Polemik wiederum ist im Gefolge der Reformation entstanden, weil durch die Glaubensspaltung in der theologischen Ausbildung die Notwendigkeit gegeben war, die konfessionellen Lehrdifferenzen zu bestimmen und zu begründen. Wegweisend waren auf katholischer Seite zunächst die theologischen Loci von Melchior Cano von 1563 und die kontroverstheologisch ausgerichteten Lehren des Trienter Konzils. Sodann spielte eine besondere Rolle der Jesuitenorden mit seinem Collegium Romanum, an dem eine Professur unter dem Titel ,De controversiis‘ eigens der Kontroverstheologie gewidmet war. Ihr berühmtester Inhaber Robert Bellarmin (1567–1587) prägte die katholische

a) Geschichte der ökumenischen Theologie

Kontroverstheologie nachhaltig mit seinem dreibändigen Hauptwerk „Disputationes de controversiis christianae fidei adversus hujus temporis haereticos“ (Ingolstadt 1586–93). Nach der jesuitischen Studienordnung war die Kontroverstheologie allerdings nicht für alle Studierenden bestimmt, sondern nur für die, die eine Tätigkeit in gemischtkonfessionellen Gebieten aufnehmen sollten. Bedeutende Vertreter evangelischer Kontroverstheologie waren Martin Chemnitz mit seinem „Examen Concilii Tridentini“ (1566–1573), Johann Gerhard mit seinen „Loci theologici“ (1610–1621) sowie Abraham Calov (1612–1686). Allerdings etablierte sich in der evangelischen Theologie bald die Bezeichnung ,Polemik‘ für die kontroverstheologische Aufgabe, wobei mit diesem Terminus analog zu den anderen Disziplinenbezeichnungen die spezifische Vorgehensweise in diesem Aufgabenfeld der Theologie markiert wurde. Im Zuge von Pietismus und Aufklärung trat das Interesse an der Verteidigung der konfessionellen Differenzen in den Hintergrund. Im Pietismus entwickelte sich ein überkonfessionelles Bemühen um eine lebendige christliche Frömmigkeit und deren Verbreitung. Daneben stellte die rationale Kritik der Aufklärungsphilosophen die christlichen Konfessionen vor die Aufgabe, die Wahrheit der christlichen Religion zu verteidigen. So stand nicht mehr die Begründung der konfessionellen Lehrunterschiede, sondern die Frage nach Wesen und Wahrheit des Christentums im Zentrum theologischer Argumentation. Das hatte Konsequenzen für Kontroverstheologie und Polemik. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wandelte sich ihre Streitbarkeit in einen irenischen, vergleichenden Umgang mit den konfessionellen Differenzen. So fasste im frühen 19. Jahrhundert Friedrich Schleiermacher in seiner „Kurze(n) Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen“ (1811) die Polemik zusammen mit der Apologetik als Teil der philosophischen Theologie, die das eigentümliche Wesen des Christentums zu bestimmen sucht. Während es nach Schleiermacher in der Apologetik um die Eigenart des Christentums im Unterschied zu anderen frommen Gemeinschaften bzw. Kirchen geht, zielt die Polemik nach innen auf die Bestimmung von Fremdartigem im Christentum in Gestalt von Ketzerei und Spaltungen (vgl. Schleiermacher/40: 160–163). Um den konfessionellen Gegensatz geht es in der Polemik dabei nur noch indirekt, indem die polemische Aufgabe in den getrennten Kirchen faktisch auf je eigene Weise vorgenommen werden kann (vgl. Schleiermacher/40: 163). Auf katholischer Seite sorgte vor allem Johann Adam Möhler für eine neue Qualität der herkömmlichen Kontroverstheologie, indem er in seiner zuerst 1832 erschienenen „Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten“ die Lehrunterschiede nach den jeweiligen öffentlichen Bekenntnisschriften vergleichend darstellte. Auf die Kritik an dieser Darstellung durch den evangelischen Theologen Ferdinand Christian Baur reagierte Möhler 1834 mit „Neue(n) Untersuchungen der Lehrgegensätze zwischen den Katholiken und Protestanten“. Diesem Werk wiederum stellte Karl August von Hase 1862 ein „Handbuch der protestantischen Polemik gegen die Römisch-Katholische Kirche“ entgegen, das ebenfalls viele Auflagen erfuhr. In der Folgezeit verschärften sich die Gegensätze zwischen Katholizismus und Protestantismus einerseits durch

Pietismus und Aufklärung

Friedrich Schleiermacher

katholische Restauration und Kulturprotestantismus

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4. Entwicklung und Aufgabe ökumenischer Theologie

theologischer Aufbruch nach dem Ersten Weltkrieg

Ökumenischer Arbeitskreis

Rechtfertigungslehre

Ökumenische Aufgaben seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil

die innerkatholische Restauration, die im Ersten Vatikanischen Konzil gipfelte, zum anderen durch den Kulturprotestantismus. Die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges führten in der evangelischen Theologie zu einer grundlegenden Neuorientierung. Zum einen entstand die sog. Dialektische Theologie, deren wichtigste Vertreter Karl Barth, Emil Brunner, Friedrich Gogarten und Rudolf Bultmann waren (vgl. Neuner/36, Bd. 2: 70–89; 124–144). Zum anderen suchte eine Reihe von Theologen wie vor allem Karl Holl, Werner Elert, Paul Althaus und Emanuel Hirsch in einer modernen Aufnahme lutherischen Denkens einen neuen Aufbruch in der Theologie. Beiden Richtungen gemeinsam war die scharfe Kritik an der liberalen Theologie und der kulturprotestantischen Sicht des Christentums. An der Profilierung protestantischer Theologie in Abhebung vom Katholizismus, die das 19. Jahrhundert bestimmt hatte, wurde dabei jedoch festgehalten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich unter dem Einfluss der ökumenischen Bewegung in den verschiedenen Feldern theologischer Forschung ein breites Bestreben, die herkömmlichen Lehrdifferenzen kritisch zu hinterfragen. Prägende Bedeutung für die katholische und die evangelische Theologie gewann dabei der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK). Wie schwierig die ökumenische Lage vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil war, kann man daran ersehen, dass die Bildung eines gemeinsamen ökumenischen Kreises aus evangelischen und katholischen Theologen zunächst nicht möglich war, weil von römischkatholischer Seite keine ökumenischen Arbeitsbeziehungen aufgenommen werden durften. Daher formierten sich zunächst zwei Kreise, eine ökumenische Arbeitsgemeinschaft evangelischer Theologen (geleitet von Bischof Stählin und Edmund Schlink) und eine vom Erzbischof von Paderborn gebildete ökumenische Arbeitsgemeinschaft katholischer Theologen. Beide Kreise hielten regelmäßig Treffen am gleichen Ort ab, bevor die Kirchen der Gründung eines gemeinsamen Kreises zustimmten (vgl. Schwahn/41: 17–24, bes. 21). Wichtige Anstöße für die Entwicklung ökumenischer Theologie erwuchsen außerdem aus der Auseinandersetzung katholischer Theologen mit Karl Barth. Bahn brechend war hier einerseits die Arbeit über Karl Barths Theologie von Hans Urs von Balthasar, andererseits das Buch über Barths Rechtfertigungslehre von Hans Küng. Küng formulierte dabei bereits 1957, „daß in der Rechtfertigungslehre, aufs Ganze gesehen, eine grundsätzliche Übereinstimmung besteht zwischen der Lehre Karl Barths und der Lehre der Katholischen Kirche“ (Küng/33: 269, vgl. auch 274). Dass auch schon die hochscholastische Gestalt der Gnadenlehre und die reformatorische Rechtfertigungslehre keinen unüberbrückbaren Gegensatz darstellen, zeigte 1967 Otto Hermann Pesch in seiner vergleichenden Darstellung der Rechtfertigungslehre von Thomas von Aquin und Martin Luther (vgl. Pesch/39). Durch das Zweite Vatikanische Konzil gewannen die ökumenisch-theologischen Ansätze zur Überwindung der Lehrdifferenzen erhebliche Schubkraft (vgl. I. 3. c, Unterpunkt 3). Welche Lehrunterschiede zwischen den Kirchen wirklich kirchentrennende Bedeutung haben, wie diese Lehrunterschiede genau zu verstehen und möglicherweise zu überwinden sind – diese Fragen gehören seither zum zentralen Thema ökumenischer Theologie. Darüber hinaus widmet sich ökumenisch-theologische Forschung aber

b) Ökumenische Hermeneutik

auch den Aufgaben, die von Anfang an die ökumenische Bewegung bestimmt haben, also den Aufgaben auf dem Feld der Mission, den friedensethischen, sozial- und individualethischen Aufgaben, den Problemen der Diskriminierung und Verfolgung sowie den Fragen der Bildung und Erziehung. Angesichts des wachsenden ökumenisch-theologischen Forschungsbedarfs sind in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an verschiedenen katholisch-theologischen und evangelisch-theologischen Fakultäten Institute für Ökumenische Theologie (Heidelberg, München, Münster, Tübingen) eingerichtet worden. In solchen Kontexten entstanden theologische Entwürfe, in denen das ökumenische Anliegen integraler Bestandteil ist, wie die Systematische Theologie Wolfhart Pannenbergs.

ökumenische Theologie an den Universitäten

b) Ökumenische Hermeneutik Ökumenische Begegnungen der Kirchen und ökumenische Dialoge erfordern eine Reflexion auf die Aufgabe, die Verstehensbedingungen, die Methodik und die Ziele. In jeder solchen Begegnung treffen unterschiedliche hermeneutische Konzepte aufeinander und werden in den Dialogen ein Stück weit miteinander vermittelt. Das Gelingen von Dialogen hängt entscheidend davon ab, dass eine gemeinsame Hermeneutik gefunden wird. Insbesondere im Rezeptionsprozess der 1982 in Lima verabschiedeten, multilateralen Konvergenzerklärung „Taufe, Eucharistie und Amt“ wurde deutlich, wie unterschiedlich die Kirchen dieses Dokument von ihren jeweiligen Verstehensvoraussetzungen und Anliegen her aufnahmen und kritisierten. Im ÖRK erkannte man anhand dieses Prozesses eine „neue Dringlichkeit, gemeinsam über Hermeneutik nachzudenken“ (Schatz 11). Diese erschien „noch dadurch verstärkt, dass neue Herausforderungen an das Leben als Christen in der heutigen Welt neue Schismen in und unter den Kirchen hervorzurufen drohen“ (ebd.). Die fünfte Weltkonferenz der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des ÖRK in Santiago de Compostela 1993 markierte drei Aufgaben, um das Wachstum in der Gemeinschaft der Kirchen zu befördern. Die erste Aufgabe sah die Kommission darin, „die kriteriologischen Unterschiede im Blick auf eine getreue Interpretation des einen Evangelium zu überwinden und zu versöhnen, indem der vielfältige Reichtum und die Verschiedenheit des Kanons der Schrift, wie sie im Leben der Kirche gelesen, ausgelegt und angewandt wird, anerkannt wird, indem aber auch gleichzeitig das Bewusstsein von der einen TRADITION innerhalb der vielen Traditionen gestärkt wird“ (Schatz 12). Damit verbunden empfahl sie den Kirchen, das eine Evangelium in den verschiedenen Kontexten und Kulturen zum Ausdruck zu bringen und untereinander auszutauschen. Und schließlich betonte sie „eine gegenseitige Rechenschaftspflicht, Erkenntnis, verbindliches Lehren und Glaubwürdigkeit im gemeinsamen Zeugnis vor der Welt und letztlich auf die eschatologische Erfüllung der Wahrheit in der Kraft des Heiligen Geistes hinzuarbeiten“ (ebd.). Dieser Anregung entsprechend erarbeitete die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung das Studiendokument „Ein Schatz in zerbrechlichen Gefässen“ von 1999. Unter Hermeneutik in einem allgemeinen Sinne ver-

ökumenische Herausforderungen

Empfehlungen des ÖRK

„Hermeneutik der Kohärenz“

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4. Entwicklung und Aufgabe ökumenischer Theologie

Durchführung

gemeinsame Ausgangspunkte

steht der Text in Anlehnung an gegenwärtig maßgebliche Definitionen „die Kunst der Interpretation und Anwendung von Texten, Symbolen und Bräuchen in der Gegenwart und in der Vergangenheit als auch die Theorie über die Methoden einer solchen Interpretation und Anwendung“ (Schatz 5). Die Eigenart theologischer Hermeneutik wird darin gesehen, dass sie sich auf solche Texte, Symbole und Bräuche bezieht, „die innerhalb einer Glaubenstradition weiter vererbt wurden und ihre Gestalt gewannen“ (ebd.). Ökumenischer Hermeneutik gehe es dabei speziell um die Frage, „wie Texte, Symbole und Bräuche in den verschiedenen Kirchen interpretiert, weitergegeben und gegenseitig übernommen werden, wenn die Kirchen miteinander in Dialog treten“ (ebd.). Sie ziele auf „eine größere Kohärenz in der Interpretation des Glaubens in der Gemeinschaft aller Gläubigen; eine gegenseitig anerkennbare (Wieder-)Aneignung der Quellen des christlichen Glaubens“ (Schatz 6) und auf die Vorbereitung von „Möglichkeiten gemeinsamen Bekennens und Betens im Geist und in der Wahrheit“ (ebd.). In der Wahrnehmung dieser Aufgaben soll die in der Studie entwickelte ökumenische „Hermeneutik der Kohärenz“ (ebd.) dazu verhelfen, die wesentliche Einheit des christlichen Glaubens und der christlichen Gemeinschaft aus zu drücken. Die Durchführung dieser ökumenischen Hermeneutik erfolgt in drei Schritten. Im ersten Schritt wird ein gemeinsames Traditionsverständnis erarbeitet. Hier wird unterschieden zwischen dem Evangelium als der von Generation zu Generation in und von den Kirchen übermittelten TRADITION, der „Tradition“ als dem Vorgang des Tradierens und den „Traditionen“ im Sinne unterschiedlicher Ausdrucksformen und konfessioneller Traditionen (vgl. Schatz 15). Im nächsten Schritt wird bedacht, dass das eine Evangelium in vielen unterschiedlichen Kontexten verkündigt und geglaubt wird. Kontextualität und Katholizität werden als die Begriffe benannt, die es erlauben sollen, theologisch „über die Vielfalt der christlichen Ortsgemeinden als auch ihre Beziehungen untereinander nachzudenken“ (Schatz 44). Verankert wird diese ökumenische Hermeneutik schließlich im dritten Schritt in dem Verständnis der Kirche als hermeneutischer Gemeinschaft, die die Aufgabe hat, „Texte, Symbole und Bräuche zu interpretieren, damit das Wort Gottes als ein Wort des Lebens inmitten ständig wechselnder Zeiten und Orte erkannt wird“ (Schatz 49). Wenngleich dieses Konzept ökumenischer Hermeneutik an verschiedenen Stellen Rückfragen erzeugt und die Notwendigkeit weiterer Reflexion erkennen lässt (insbesondere im Blick auf die Erkennbarkeit der von allen Kirchen in Anspruch genommenen TRADITION, im Blick auf die in diesem Dokument noch fehlende Formulierung eines gemeinsamen Kirchenverständnisses und im Blick auf die Aussagen zu Episkopé und Papstamt), bietet es doch multilateral abgestimmte Rahmenüberlegungen, die für eine ökumenische Hermeneutik unaufgebbar sind. Folgende Ausgangspunkte ökumenischer Hermeneutik lassen sich benennen: – Das Evangelium Gottes ist eines und begründet als solches die Kirche Jesu Christi, auch wenn es in verschiedenen Traditionen tradiert wird. – In Entsprechung zu dem einen Evangelium bekennen sich alle Kirchen zur Einheit der Kirche und stehen damit unweigerlich vor der Frage, wie sie mit den gegebenen Spaltungen umgehen.

c) Dialog-Ökumene – Bedeutung und Grenzen

– Um die Unterschiede zwischen den Traditionen der Kirchen zu verstehen, sind die unterschiedlichen Bedingungen und Kontexte zu bedenken, unter denen sich die Kirchen entwickelt haben und in denen sie leben. Die spezifische Aufgabe ökumenischer Theologie im Verhältnis zu der von den Kirchen entwickelten ökumenischen Hermeneutik besteht darin, die Reflexion auf die Verstehensbedingungen, die Zielvorstellung und die Durchführung derselben kritisch und konstruktiv zu begleiten. Konkret geht es dabei um – die methodisch differenzierte Erfassung der Texte, Sitten und Bräuche, zu der alle theologischen Disziplinen beitragen; – die systematisch vergleichende Erfassung der jeweiligen Bekenntnis- und Lehrtraditionen der Kirchen; – die Bestimmung kirchentrennender Gegensätze; – die Erkundung und Aufarbeitung der jeweiligen Kontexte, die die unterschiedlichen Traditionen der Kirchen bedingen; – die Reflexion auf die jeweils erkennbaren Anliegen, die die Bekenntnisund Lehrgegensätze sowie institutionelle und liturgische Unterschiede bestimmen; – die systematische Reflexion auf die Möglichkeiten der Überwindung kirchentrennender Gegensätze; – die Evaluierung kirchlicher Dialoge.

Aufgabe ökumenischer Hermeneutik

c) Dialog-Ökumene – Bedeutung und Grenzen Die Grundmotivation bei der Suche nach christlich-ökumenischer Verbundenheit ist die Anerkenntnis des Zusammenhangs zwischen der erfahrbaren Einheit der Kirchen und der Glaubwürdigkeit ihres gemeinsamen Christuszeugnisses. Hier war vor allem die Erfahrung stimulierend, als gespaltene Christenheit kaum Aussicht auf eine überzeugende Mission in den noch nicht christianisierten Ländern haben zu können. Wenn in einer Region in kurzer Zeit hintereinander viele Kirchengebäude unversöhnter christlicher Konfessionen errichtet werden, liegen kritische Rückfragen hinsichtlich der christlichen Botschaft von der möglichen Versöhnung unter allen Geschöpfen unmittelbar nahe. Immer wieder vergegenwärtigen sich Theologinnen und Theologen diesen Grundimpuls für ihre ökumenische Tätigkeit, welche angesichts des einen christlichen Evangeliums als alternativlos erscheint. Im Einzelnen werden die Motivationen der Menschen, die sich heute in Dialogkommissionen berufen lassen, sehr unterschiedlich sein. In aller Regel geht mit der Zustimmung zur Mitarbeit die Gewissheit einher, Zeit und Kraft dafür einsetzen zu müssen. Die Themen der Gespräche sind in der Regel sehr konkret. Die Vorgänge erscheinen zumeist gut überschaubar. Oft schließt eine neue Dialogrunde an vorausgehende an. Deshalb ist es wichtig, nicht den gesamten Kreis der an den früheren Gesprächen beteiligten Menschen auszutauschen. Das in längerer Zusammenarbeit gewachsene Vertrauen kann in schwierigen Situationen weiterhelfen. Die Motivationsforschung bei der Analyse ökumenischer Gespräche wird an solchen Überlegungen zur personalen Komponente im Begegnungsgeschehen nicht vorbeisehen dürfen.

ökumenische Motivation

die Arbeit in Dialogkommissionen

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4. Entwicklung und Aufgabe ökumenischer Theologie

Mitglieder in Dialoggremien

das Problem der Rezeption

Nüchtern betrachtet wissen alle an ökumenischen Dialogen beteiligten Personen, dass auch dann, wenn sie eine weitreichende oder gar vollständige Übereinstimmung in einzelnen strittigen Sachfragen erreichen könnten, die Einheit der Kirchen noch nicht wiederhergestellt sein wird. Viele Fragen sind noch offen. Die gewachsenen Kirchen müssten zunächst einen Weg finden, sich wechselseitig als Nachfolgegemeinschaft Jesu Christi anzuerkennen. Die Ämterstrukturen haben sich über die Jahrhunderte sehr unterschiedlich entwickelt. Kann es da je gelingen, zu einer gemeinsamen Gestalt der institutionell verfassten Kirche zu kommen? Vor diesem Hintergrund kann die Motivation zu einer kontinuierlichen Mitarbeit an ökumenischen Gesprächen nicht in der Annahme bestehen, durch die eigene Mitarbeit einen so entscheidenden Fortschritt erreichen zu können, dass sich weitere Gespräche erübrigten. Die Dialogrunden sind bereits dann ertragreich, wenn ein Zuwachs an Einsicht in die Komplexität der Fragestellungen gewonnen werden kann. Unterschiedliche Perspektiven auf die jeweiligen Sachfragen werden offenkundig. Überraschend können aber auch verbindende Erfahrungen ins Wort kommen. Könnte es sein, dass gelebte Optionen des Christlichen sich nicht notwendig gegenseitig ausschließen müssen, sie vielmehr jeweils authentische Variationen darstellen, deren Einheit in versöhnter Verschiedenheit näherhin zu beschreiben wäre? In ökumenische Dialogkommissionen werden Theologinnen und Theologen berufen, die mit der jeweils behandelten Sachthematik bereits vertraut sind und das Vertrauen der delegierenden Kirchen haben, den konfessionellen Standort sachgemäß und gesprächsbereit zu präsentieren. Auch innerhalb der Konfessionsgemeinschaften sind die theologischen Sachpositionen nicht selten plural. Größtmögliche Ausgewogenheit unter den Schulrichtungen sollte gegeben sein. Dies gelingt keineswegs immer in allen Dialoggremien. Auch die Bemühung um theologische Konvergenz ist abhängig von Bedingungen, die nicht allein unter fachtheologischen Gesichtspunkten zu erfassen sind. Dies wahrzunehmen, ist wichtig für alle Menschen, die eine Rezeption, das heißt einen anerkennenden oder abweisenden Nachvollzug der Gesprächsergebnisse versuchen. Oft werden die Gesprächsergebnisse leider kaum zur Kenntnis genommen. Wie könnten Dialogergebnisse die Gemeinden vor Ort erreichen? Berechtigterweise besteht bis heute die Klage, Ergebnisse ökumenischer Dialoge könnten in den Ortskirchen kaum aufgenommen werden: Vor Ort sind die Fragen oft viel konkreter. Dennoch ist es wichtig, um die Hintergründe zu wissen, die bei manchen Verboten eines gut gemeinten ökumenischen Miteinanders wirksam werden (vgl. Pemsel-Maier/38). Nicht nur im Blick auf die Basisökumene, sondern auch hinsichtlich der Kirchenleitungen sind die Erfolgsaussichten der Dialoge nüchtern zu betrachten, denn in den kirchenoffiziellen Stellungnahmen zu formulierten theologischen Konvergenzen werden häufig jene Vorbehalte erneut benannt, die im Gesprächsgeschehen der Dialogkommissionen einer differenzierteren Sichtweise näher gebracht wurden. Die zwischenmenschlichen Erlebnisse und Erfahrungen im Dialoggeschehen lassen sich kaum aus den Texten heraus erahnen, die am Ende einer kritischen Öffentlichkeit präsentiert werden. Wenn trotz all dieser Erschwernisse die Gespräche in den Dialoggremien fortgesetzt werden, dann in der unumstößlichen Gewissheit, dass wir als Christinnen und Christen unbedingt zueinander gehö-

c) Dialog-Ökumene – Bedeutung und Grenzen

ren. Bei den Morgen- und Abendandachten sowie beim lebensgeschichtlichen Erzählen am Abend eines langen Sitzungstages bei Wasser, Saft, Wein und Bier wird dies spürbar – und wirkt über die Tage der oft nicht leichten Dialogarbeit hinaus. Manches Dialogereignis ist auch deshalb bleibend wichtig, weil seine Ergebnisse von nachfolgenden Generationen wieder aufgegriffen werden können. Nicht immer stellen sich Erfolge der Gesprächsökumene unmittelbar ein. Manche Studien liegen „auf Halde“ – bis die Zeit gekommen ist, sie angemessen zu rezipieren. Gerade gegenwärtig erscheint es ökumenisch motivierten Theologinnen und Theologen häufig so: Wir arbeiten für kommende Generationen, die sich unter anderen Voraussetzungen den drängenden christlich-ökumenischen Fragen stellen müssen. Vermutlich werden alle christlichen Traditionen zukünftig noch viel stärker in den interreligiösen Dialog einbezogen sein. Dabei hilft es sehr, mit einer gemeinsamen christlichen Stimme sprechen zu können. Die Themen, die in der Geschichte der Christenheit zu Trennungen und Spaltungen geführt haben, begleiten die Kirchen durch die Zeit hindurch. Fragen, die am Anfang einer konfessionellen Eigenbewegung sehr wichtig waren, bleiben dies auch später. Bis heute kehren die frühen Themen wieder: christologische Lehrtraditionen in den Dialogen mit den Altorientalischen Kirchen (etwa der Koptisch-Orthodoxen, der Assyrisch-Orthodoxen und der Armenisch-Orthodoxen Kirche), die Ansprüche des Bischofs von Rom im Rechtsbereich der östlichen Patriarchate im Gespräch mit den Orthodoxen Kirchen byzantinischer Tradition (heute vor allem mit dem Griechisch-Orthodoxen und dem Russisch-Orthodoxen Patriarchat), die Praxis der Säuglingstaufe mit den täuferischen Kirchen (vor allem den Hussiten, Waldensern, Mennoniten und Baptisten), Fragen der Rechtfertigungslehre, des Schriftverständnisses und der Ämterlehre mit den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften reformatorischer Herkunft (mit Lutheranern, Reformierten, Anglikanern und Methodisten), die Bedeutung des Petrusdienstes mit der Altkatholischen Kirche. Neuere Themenbereiche haben sich insbesondere im Bereich der Anthropologie und der Ethik ergeben. Die Frage einer möglichen Zulassung von Frauen zu den ordinierten Ämtern wurde in der Zeit der konfessionellen Differenzierungen noch nicht kontrovers behandelt, denn bis weit in das 20. Jahrhundert hinein stimmten alle christlichen Traditionen darin überein, dass das Amt Männern vorbehalten sei. Im Bereich der Ethik zeigen vor allem individualethische Themen (gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Eheverständnis, Schwangerschaftsabbruch und Euthanasie) auch innerhalb der einzelnen weltweiten Konfessionsgemeinschaften die Tendenz, zu einer Zerreißprobe zu werden. Kulturelle und mentalitätsgeschichtliche Unterschiede nehmen konfessionsübergreifend Einfluss auf theologische Fragestellungen. Europäische und nordamerikanische Lutheraner und Lutheranerinnen treffen unter römisch-katholischen Christen und Christinnen, die denselben Lebensraum teilen, vor allem bei individualethischen Problemen auf mehr Verständnis als unter den Angehörigen der eigenen Konfessionsgemeinschaft in Afrika oder in Asien. Ähnlich sieht es in den südlichen Ländern bei sozialethischen Themen aus. Der Kampf gegen die Armut, gegen Hunger und Durst, gegen den Ausschluss von Teilen der Weltbevölkerung

traditionelle Themen des ökumenischen Dialogs

neue Problemfelder

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4. Entwicklung und Aufgabe ökumenischer Theologie

Dialogökumene und Sozialökumenismus

Paradigmenwechsel in der Ökumene?

aus den Bildungssystemen verbindet Angehörige aller Konfessionen. Gemeinsamkeiten in einer kulturellen Tradition oder in der politischen Mentalität werden nicht selten stärker wahrgenommen als die Differenzen durch die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Kirchen. Von Beginn der Ökumenischen Bewegung im 20. Jahrhundert an gehört die Frage, welche Wege die richtigen sind, wenn sie zur Einheit der Kirchen führen sollen, zu den meist besprochenen. Könnte es sein, dass Kontroversen in der Frage der Kirchenverfassung bis heute die christlich-ökumenische Verbundenheit in unverhältnismäßig gewichtiger Weise beeinträchtigen? Fragen der weltweiten Diakonie, die Suche nach Wegen für das Überleben der Ärmsten der Armen, Entfernung von Landminen, Projekte zur Kreditbeschaffung für einen ersten Schritt aus der Abhängigkeit, Bildungskonzepte, Gesundheitsprogramme – dies sind Beispiele für ein Ökumene-Verständnis, welches vom biblischen Gedanken der Gerechtigkeit Gottes geleitet ist. Die soziale Wirklichkeit weltweit ist der Bezugspunkt dieser ökumenischen Arbeit. Manchmal scheint es so zu sein, als gäbe es einen Widerspruch zwischen dieser Gestalt ökumenischen Handelns und dem Engagement in fachtheologischen Gesprächen. Aber wäre es nicht möglich, sich in arbeitsteiliger Weise an der einen Ökumenischen Bewegung zu beteiligen, ohne sich wechselseitig ein Defizit zu unterstellen? Unterschiedliche Kräfte können je an ihren Orten bei aller Differenziertheit einmütig zusammenwirken: Theologinnen und Theologen im Wissen um die kirchlichen Lehrtraditionen und sozial engagierte Menschen in allen Kirchen im Angesicht der Not leidenden Schöpfung. Auch auf der Ebene der Ortsgemeinden gibt es die Möglichkeit, eine solche Unterscheidung von Diensten an der einen Sache vorzunehmen. Nicht alle Menschen nehmen gerne Angebote der Erwachsenenbildung zu Fragen der Ökumene wahr. Auch diakonische Projekte können an den Lebensorten die ökumenische Verbundenheit nachhaltig stärken. Unnötige Polarisierungen in Bezug auf die ökumenischen Methoden schaden dem gemeinsamen Anliegen. In der fachtheologischen Hermeneutik hat die Frage, ob nicht ein Paradigmenwechsel ansteht – weg von einer zunehmend vergeblich erscheinenden Konsenssuche hin zu einem konstruktiven Differenzmodell – hohe Aufmerksamkeit erfahren (vgl. Körtner/6). Die Argumente für eine solche Position sind stark: Angesichts der in allen Konfessionsgemeinschaften gefestigten institutionellen Vorgaben ist die Aussicht auf eine Verständigung in Fragen des Kirchen- und Amtsverständnisses äußerst gering. Insbesondere in diesen Fragen haben sich Verhärtungen der Positionen ergeben, die weitere Dialoge allenfalls unter dem Vorzeichen einer wechselseitigen Anerkennung des jeweilig eigenen Selbstverständnisses sinnvoll erscheinen lassen. Die vom derzeitigen Ratsvorsitzenden der EKD, Wolfgang Huber, begonnene Rede von einer aus seiner Sicht heute erforderlichen „Ökumene der Profile“ hat in kürzester Zeit nicht nur in Fachkreisen die Runde gemacht. Sie nimmt ein Grundempfinden vor allem der evangelisch geprägten Christen und Christinnen auf, die bei zunehmenden Annäherungen an die medienpräsente Römisch-Katholische Kirche im öffentlichen Bewusstsein eine schwindende Kenntnis der reformatorischen Identität befürchten, zu der wesentlich auch die Freiheit eines Christenmenschen gehört, personal getragene Gewissensentscheidungen in religiösen Fragen treffen zu können.

d) Die Aufgabe ökumenischer Theologie im Gesamt der Theologie

Mit der – frühere Äußerungen wiederholenden – Aussage im Schreiben der Glaubenkongregation „Dominus Jesus“ (DI) aus dem Jahr 2000, dass die „kirchlichen Gemeinschaften (…) die den gültigen Episkopat und die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt haben, (…) nicht Kirchen im eigentlichen Sinn“ sind (DI, Nr. 17), haben sich zumindest in fachtheologischen Kreisen im deutschsprachigen Raum die ökumenischen Fragen erneut auf die ekklesiologischen Themen hin konzentriert. In einem Schreiben der Glaubenskongregation mit dem Titel „Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche“ vom 10. Juli 2007 wurde diese römisch-katholische Lehrposition erneut bekräftigt. Der ökumenische Gesamthorizont ist weiter zu fassen als die Frage nach einer möglichen Verständigung in Fragen des Kirchenverständnisses. Die Formulierung des gemeinsamen christlichen Zeugnisses in den gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart steht heute ganz oben auf der Tagesordnung. Die Ökumenische Bewegung verändert sich derzeit auch im deutschsprachigen Raum: Eine stärkere Beachtung der (sozial-)ethischen Verantwortung aller Kirchen ist zu erkennen. d) Die Aufgabe ökumenischer Theologie im Gesamt der Theologie Im Laufe der Theologiegeschichte haben sich eine Reihe von theologischen Unter- bzw. Einzeldisziplinen entwickelt. Zum theologischen Fächerkanon gehören heute die historischen Disziplinen Altes und Neues Testament sowie Kirchen- und Dogmengeschichte, der Komplex systematisch-theologischer Fächer, der Fundamentaltheologie, Dogmatik und Ethik (bzw. Moraltheologie und Sozialethik) umfasst, und der Komplex praktisch-theologischer Disziplinen. Die ökumenische Theologie wird im theologischen Fächerkanon dem Bereich der Systematischen Theologie zugeordnet. Ihre spezifische Aufgabe lässt sich nur im Rekurs auf die Aufgabe der Theologie insgesamt bestimmen. Denn die theologischen Disziplinen haben ihre Einheit in der einheitlichen Aufgabe der Theologie. Die Theologie bemüht sich insgesamt um ein reflektiertes Verständnis dessen, was das Wesen des Christentums und die Eigenart des christlichen Glaubens ausmacht, und zwar in historischer, systematischer und praktischer Perspektive. Diese Perspektiven lassen sich zwar unterscheiden, aber nicht trennen. So können etwa systematisch-theologische Glaubensfragen nicht unter Absehung der historischen Perspektive auf das christliche Ursprungszeugnis und dessen Tradierung beantwortet werden. Und sie lassen sich auch nicht ohne den Blick auf die praktischen Kommunikationsbedingungen einer sinnvollen Antwort zuführen. Die Verstehensaufgabe christlicher Theologie kann im Kontext der Wissenschaften insofern als eine kulturwissenschaftliche Aufgabe begriffen werden, als die Theologie sich in allen ihren Disziplinen um eine komplexe Beschreibung und ein vertieftes Verständnis des Christentums unter Einschluss seiner Kommunikationsbedingungen bemüht. Dennoch dient die Theologie nicht einfach einer kulturwissenschaftlichen Erkenntnis, sondern der theologischen Ausbildung, die für den Pfarrberuf und für den Unterricht in den Schulen vorausgesetzt wird. Während der Pfarrberuf mit der Verkündigung

die Disziplinen der Theologie

die Aufgabe der Theologie

die Verstehensaufgabe

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4. Entwicklung und Aufgabe ökumenischer Theologie

Einheit der Theologie

Konfessionskunde

Reflexion der Lehrdifferenzen

des Evangeliums in Predigt und Sakramentsverwaltung betraut ist und darauf zielt, Glauben zu wecken und zu stärken, geht es im Religionsunterricht darum, ein Verständnis für die christliche Religion in ihren verschiedenen kulturellen Dimensionen zu eröffnen. Beide Aufgaben tragen auf unterschiedliche Weise zum Fortbestand und zur Gestaltung des Christentums bei und haben es insofern mit der Leitung der Kirche in einem engen und einem weiteren Sinne zu tun. Um sie sachgerecht wahrnehmen zu können, ist ein reflektiertes Verständnis dessen, was das Christentum ausmacht, notwendig. Den Zusammenhang zwischen Theologie als Wissenschaft auf der einen Seite und kirchlicher Praxis auf der anderen Seite hat Friedrich Schleiermacher in seiner oben (vgl. I. 4. a) schon erwähnten „Kurze(n) Darstellung des theologischen Studiums“ erstmalig enzyklopädisch herausgestellt. Nach Schleiermacher gewinnen die theologischen Disziplinen erst durch ihren Bezug auf die Kirchenleitung innere Einheit und theologische Qualität. Durch diesen Praxisbezug, d. h. durch ihren Bezug auf die kirchenleitenden Aufgaben in geistlichen Ämtern und im Religionsunterricht unterscheidet sich die Theologie dabei von reinen Kulturwissenschaften und ebenso auch von einer religionswissenschaftlichen Sicht auf das Christentum. Theologie ist durch ihren Bezug auf die praktischen Aufgaben der Kirchenleitung, wie sie im Pfarramt, in der Schule, aber auch in den Medien wahrgenommen werden, mehr als eine Kulturwissenschaft. Im Kontext des theologischen Fächerkanons hat die ökumenische Theologie eine spezifische Aufgabe. Sie widmet sich dem Faktum, dass es eine Vielzahl christlicher Konfessionen gibt, die sich jeweils als Kirche verstehen, sich teilweise aber gegenseitig nicht als Kirchen anerkennen. Entsprechend geht es ökumenischer Theologie zuerst darum, die Eigenarten und insbesondere die kirchentrennenden Differenzen zwischen den verschiedenen Kirchen präzise wahrzunehmen. Neben der Bestimmung der dogmatischen Lehrunterschiede gehört dazu die Erforschung der historischen Entwicklung der einzelnen Kirchen, ihrer liturgischen Eigenarten und ihrer kulturellen Verwurzelung. Konfessionskunde ist damit ein elementarer Bestandteil ökumenischer Theologie. Eine weitere, zentrale Aufgabe ökumenischer Theologie erwächst aus der Tatsache, dass alle Kirchen sich in ihren Bekenntnissen zur einen Kirche bekennen und sich als Kirchen Jesu Christi verstehen, obwohl sie sich untereinander teilweise nicht anerkennen. Damit stellt sich theologisch die Aufgabe, darauf zu reflektieren, wie die Spaltungen zwischen den Kirchen, die ihrem Bekenntnis zu der einen Kirche Jesu Christi widerstreiten, begründet sind und ob bzw. in welcher Weise sie sich überwinden lassen. Dies schließt zum einen die Reflexion der Lehrunterschiede und der unterschiedlichen Konzepte kirchlicher Einheit ein, die die ökumenische Haltung der Kirchen jeweils bestimmen. Zum anderen gehört zur ökumenisch-theologischen Aufgabe auch die Reflexion auf die Möglichkeiten der Kommunikation solcher Einsichten, sowohl auf der Ebene der Dialoge wie auch in der kirchlichen Praxis, insbesondere in Fragen des Gottesdienstes und der ethischen Urteilsfindung. Die Aufgabe ökumenischer Theologie umfasst darum notwendig eine historisch-konfessionskundliche, eine systematisch-kriteriologische und eine praktisch-kommunikative Dimension.

e) Perspektiven ökumenischer Bildung

In diesen verschiedenen Dimensionen ist die ökumenische Theologie einerseits ein Instrument zur Reflexion kirchenleitender Praxis und hat als solche einen wichtigen Stellenwert in der theologischen Ausbildung. Andererseits ist sie ein wesentliches Moment der auf das Verständnis des Christentums zielenden theologischen Verstehensaufgabe insgesamt. Denn Christentum und christlicher Glaube lassen sich nicht adäquat begreifen unter Absehung der gegebenen Vielfalt christlicher Kirchen und ihrer Konfessionsdifferenzen. Erst in der differenzierten Erforschung der einzelnen Konfessionen, ihrer liturgischen, lehrmäßigen und frömmigkeitspraktischen Eigenarten wird ein komplexes Verständnis des Christentums möglich, um das sich die Theologie in allen ihren Disziplinen bemüht. Die Aufgabe ökumenisch-theologischer Forschung steht so in einem unlösbaren Zusammenhang mit der Aufgabe wissenschaftlicher Theologie an der Universität insgesamt. Das impliziert, dass ökumenische Theologie sorgfältig zu unterscheiden ist von dem ökumenischen Handeln der Kirchen. Nur in dieser Unterscheidung kann die Freiheit theologischer Forschung gewahrt werden. Sie ist zugleich die Voraussetzung dafür, dass die wissenschaftliche Theologie den Kirchen als kritisch-reflexive Instanz dienen kann.

Verständnis des Christentums

wissenschaftliche Bedeutung

e) Perspektiven ökumenischer Bildung Es gibt zahlreiche Lernorte, an denen ökumenische Bildung vermittelt wird: die Familien, die Ortsgemeinden, die Schulen, die theologische Aus-, Fortund Weiterbildung und die Erwachsenenbildung. Jeder Lernort hat seine eigene unverwechselbare Bedeutung. In konfessionell geprägten Richtlinien wird das gemeinsame Grundanliegen, der ökumenischen Bildung die Wege zu ebnen, aufgegriffen. In der Römisch-Katholischen Kirche haben die Überlegungen des Zweiten Vatikanischen Konzils wegweisenden Charakter auch im Blick auf Fragen der ökumenischen Bildung: Das Ökumenismusdekret fordert eine genaue „Kenntnis der Lehre und der Geschichte, des geistlichen und liturgischen Lebens, der religiösen Psychologie und Kultur“ (UR 9) der getrennten Kirchen ein. Einflussreich auf die nachkonziliaren Studienreformen wirkte sich die Überlegung aus, dass alle Disziplinen der Theologie zukünftig auch unter ökumenischem Gesichtspunkt gelehrt werden sollten (vgl. UR 10). In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wuchs im römisch-katholischen Raum zudem das Bewusstsein für die Notwendigkeit, die ökumenische Bildung nicht nur als eine durchgängige Perspektive aller theologischen Studien vorzusehen, vielmehr auch eigens über den Stand der ökumenischen Gespräche zu orientieren. Das „Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus“ (Ökumenisches Direktorium) von 1993 sieht daher neben der Anerkenntnis der ökumenischen Dimension aller theologischen Disziplinen einen „Spezialkurs im Ökumenismus“ (Ökumenisches Direktorium 79–81) als verpflichtenden Bestandteil der theologischen Ausbildung vor; dieser soll in zwei Stufen mit einer Einführung zu Studienbeginn und einer Vertiefung am Ende des ersten Abschnitts der theologischen Studien absolviert werden, wobei eine Kooperation mit nicht-römisch-katholischen Lehrenden ausdrücklich begrüßt wird. Während das Di-

ökumenische Lernorte

Ökumene an den katholischen Fakultäten

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4. Entwicklung und Aufgabe ökumenischer Theologie

Ökumene im evangelischen Theologiestudium

Ökumene in der freikirchlichen Ausbildung

rektorium im Blick auf diesen Spezialkurs in Fragen der Ökumene noch keine Aussage über die Prüfungsrelevanz eines solchen Studienanteils trifft, fordert das 1998 erschienene Schreiben des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen über „Die ökumenische Dimension in der Ausbildung/Bildung derer, die in der Pastoral tätig sind“ (Ökumenische Dimension), ein zweigeteilter, einführender und vertiefender ökumenischer Studienkurs solle verpflichtend sein, es möge „in Übereinstimmung mit den akademischen Statuten eine Prüfung oder Bewertung des Wissens der Studenten über den Lehrinhalt dieses Kurses geben“ (Ökumenische Dimension 22), und er solle mit praktischen Erfahrungen in der gelebten Ökumene verbunden sein (vgl. ebd.). Dieses Schreiben des Einheitsrates enthält sehr detaillierte Hinweise auf den Gehalt und die Gestalt eines Ökumenekurses im universitären Raum. Es wurde bisher wenig beachtet. Darum besteht Handlungsbedarf. (2) Für den Bereich der EKD gilt die Ökumene als einer der vier Themenschwerpunkte (neben den Themenkreisen Kirche und Israel, Frauenforschung und Diakonie), welche in allen theologischen Fächern zu berücksichtigen sind. In einzelnen neueren Prüfungsordnungen erscheinen ökumenische Fragen als Grundwissen in der Kirchen- und Dogmengeschichte. Eine Stärkung der ökumenischen Dimension in der theologischen Ausbildung soll angestrebt werden. Dies zeigt, dass im evangelischen Raum die bereits seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts vom Ökumenischen Rat der Kirchen angestrengten Bemühungen um die ökumenische Bildung der Träger/innen kirchlicher Dienstämter eher Beachtung finden als im römisch-katholischen Bereich. Die Bedeutung ökumenischer Themen wird in der kommentierenden Literatur von evangelischer Seite in aller Regel in enger Verbindung mit der Diskussion über die Relevanz missionswissenschaftlicher oder religionswissenschaftlicher Fragestellungen besprochen. In den „Empfehlungen zur Reform des Lehramtsstudiums Evangelische Theologie/Religionspädagogik“ schlägt die „Gemischte Kommission“, die vom Rat der EKD beauftragt wurde, für alle Studiengänge ökumenebezogene Studieninhalte vor, um die „interkonfessionelle, interreligiöse und interkulturelle Gesprächs- und Kooperationsfähigkeit“ der künftigen Religionslehrer/innen zu entwickeln. Durchgehend für alle Studiengänge werden folgende Kenntnisse empfohlen: Geschichte der Ökumenischen Bewegung und ihrer theologischen Grundlagen, Konzepte ökumenischen Lernens (insbesondere in den Bereichen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung), Vermittlung von Wissen über die Römisch-Katholische Kirche als ökumenische Partnerin sowie über das Judentum. (3) Die Evangelischen Freikirchen (Evangelisch-Methodistische Kirche, Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, Bund Freier Evangelischer Gemeinden) bilden ihre Pastoren an Theologischen Seminaren aus, für welche die betreffenden Kirchen selbst die finanzielle und inhaltliche Verantwortung tragen. Es steht den Studierenden jedoch frei, auch an staatlichen Universitäten zu studieren und so eine enge persönliche und fachliche Bekanntschaft mit Studierenden anderer Konfessionen zu machen. Ökumenische Themen werden an den Seminaren zumeist im Zusammenhang mit der Kirchengeschichte und der Systematischen Theologie unterrichtet. Die Geschichte der Ökumenischen Bewegung, Konfessionskunde sowie Israel

e) Perspektiven ökumenischer Bildung

und Kirche bilden inhaltliche Schwerpunkte. Es werden auch Referenten aus anderen Konfessionen eingeladen. Prüfungsgegenstand ist Ökumene dann, wenn ein Student ein entsprechendes Thema wählt. Das Studium am Theologischen Seminar der Evangelisch-Methodistischen Kirche in Reutlingen sieht ausdrücklich ökumenische Kompetenz in der Ausbildung vor. Dies wird in der Studienordnung berücksichtigt. (4) Die Deutsche Bischofskonferenz (Die bildende Kraft/29) und die Gliedkirchen der EKD (Identität und Verständigung/31) stimmen im Grundsatz darin überein, dass die konfessionelle Bindung des schulischen Religionsunterrichts nicht völlig aufgelöst werden sollte. Zugleich bestehen in vielen Regionen umfassende Vereinbarungen über eine weitreichende, nach Klassenstufen differenzierte ökumenische Kooperation im schulischen Bereich. In vielen Veröffentlichungen zu diesem Themenbereich wird angemahnt, dass die angezielte ökumenische Zusammenarbeit eine Veränderung auch der universitären Lehrerausbildung zur Folge haben muss. Ökumenische Themen und ökumenisch offene Lernformen sind stärker zu berücksichtigen, um die künftigen Lehrerinnen und Lehrer angemessen auf ihre Tätigkeit vorzubereiten. Einige staatliche Prüfungsordnungen – zum Beispiel diejenige von Niedersachsen – verankern die Ökumene im Studium darüber hinaus durch eine Soll-Bestimmung, mindestens ein Seminar zu besuchen, das von zwei Dozenten /Dozentinnen unterschiedlicher Konfession geleitet wird. Ein entsprechendes Lehrangebot wird eingefordert. Offenkundig besteht nur dann Aussicht auf die Förderung der ökumenischen Bildung, wenn diese stärkere Berücksichtigung im Studien- und Prüfungsbereich finden kann. Im Studium erworbene Kenntnisse über die Geschichte, die Ziele und die Grundlagen der Ökumene sind eine unverzichtbare Quelle der Motivation, bei der Suche nach der sichtbaren Einheit der Christen mitzuwirken. Versäumnisse in der ersten Phase der theologischen Ausbildung im universitären Raum lassen sich angesichts der späteren Zeitanforderungen bei der gemeindlichen und schulischen Tätigkeit kaum noch ausgleichen. Die Studienreformen aus jüngerer Zeit fordern eine stärker berufsorientierte Gestalt der akademischen Bildung. Die Ökumene ist in Deutschland eine Wirklichkeit, die nicht nur in den kirchlichen Praxisfeldern begegnet, sondern auch bei bildungstheoretischen Überlegungen zum schulischen Religionsunterricht Berücksichtigung finden muss. Es ist angesichts des universitären Auftrags, die Studierenden berufsorientiert zu qualifizieren, nicht einsichtig, warum Fragen der Religionswissenschaft seit geraumer Zeit zum festen Bestand der Prüfungsanforderungen gehören, während die Themen der christlichen Ökumene lediglich als Randgebiete der Theologie von persönlich motivierten Studierenden aufgenommen werden. (5) In folgender Weise können die vorgetragenen Anregungen konkret werden: (a) Ökumenische Bildung und Kompetenz im Umgang mit Christen und Christinnen jeweils anderer Konfessionen und Kulturen ist heute eine unabdingbare Grundvoraussetzung sowohl für die Ausübung des Pfarramts und anderer pastoraler Dienste als auch für den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Daher ist eine stärkere Berücksichtigung ökumenischer Fragen in den Studien- und Prüfungsordnungen anzustreben. Dies kann realistischerweise nur zu einem Zeitpunkt erreicht werden, an dem ohnehin um-

schulischer Religionsunterricht: konfessionell und ökumenisch

Forderungen für die theologische Ausbildung

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4. Entwicklung und Aufgabe ökumenischer Theologie

fassendere Reformen anstehen. Daher müssen längerfristige Überlegungen mit dieser Intention angestellt werden. Es gilt, im Kreis der Fachkollegen auf die hohe berufsqualifizierende Relevanz der ökumenischen Bildung aufmerksam zu machen. Angesichts der staatlichen Vorgaben, die Studienzeiten nicht zu verlängern, ist es angeraten, die ökumenischen Fragen zumindest als verpflichtenden Teilbereich eines bestehenden Prüfungsfaches in den Ordnungen vorzusehen. (b) Für die ökumenische Ausbildung von Religionslehrern und -lehrerinnen fehlt den Universitäten häufig eine entsprechende finanzielle Ausstattung, welche es ermöglichte, die erforderlichen interkonfessionellen Veranstaltungen auf der Basis von Lehraufträgen zu gewährleisten. Bei grundlegenden Überlegungen zum Haushalt sind insbesondere kleinere Ausbildungsstätten auf ökumenische Kooperation angewiesen, die in den zuständigen universitären Gremien wirksam wird. (c) Es sollten Anstrengungen unternommen werden, das Lehrangebot zu ökumenischen Fragen möglichst unabhängig von den persönlichen Interessen der Lehrenden zu gestalten. Der Unterricht sollte an vielen Orten um Veranstaltungen bereichert werden, in denen die ökumenische Frage in ihrer Geschichte und ihrer gegenwärtigen Ausprägung unmittelbarer Gegenstand des gemeinsamen Lernens ist. Die interkonfessionelle Begegnung von Lehrenden und Lernenden unter Berücksichtigung der kognitiven, emotionalen und pragmatischen Lernziele ist von hohem Wert. Die Stärkung der Verbindung zwischen dem Glaubensleben und dem Glaubenswissen ist ein überkonfessionelles Anliegen, dem im Bereich der Ökumene entsprochen werden kann. Gemeinsame Veranstaltungen an konfessionell gebundenen Ausbildungsorten oder zu besonderen Anlässen können die Motivation zur ökumenischen Bildung fördern. (d) Im Zuge der hochschulpolitisch diskutierten Strukturveränderungen sollten Lehrende der Theologie aufmerksam prüfen, ob ökumenische Inhalte in Forschung und Lehre sich durch Kooperationen zwischen benachbarten universitären Ausbildungsstätten verstärken ließen. Ein qualifiziertes und differenziertes Lehrangebot könnte auf diese Weise einer größeren Gruppe von Studierenden zugänglich werden, die im Blick auf ihre Bereitschaft zur Mobilität in der Regel in anderen Studiengängen stärker gefordert sind als in der Theologie. (e) Hilfreich wäre – wie es an machen Studienorten bereits üblich ist –, zusammen mit dem Vorlesungsverzeichnis den Studierenden eine Zusammenstellung von Lehrangeboten zu übergeben, durch die sie ihre ökumenische Bildung fördern können. Dabei sollte vermerkt sein, welche Angebote interkonfessionell als Studienleistung angerechnet werden können.

II. Themen In zahlreichen Themenkreisen sind durch ökumenische Dialoge wichtige Annäherungen zwischen konfessionellen Standorten erreicht worden. Dargestellt sind im Folgenden jeweils die Grundlinien der erreichten Verständigung unter Hinweis auf Personen und Gremien, welche wesentlichen Anteil an diesem Geschehen hatten.

1. Schrift und Tradition Grundlage und bleibender Bezugspunkt aller weiteren ökumenischen Bemühungen ist eine gemeinsame Sichtweise des Verhältnisses zwischen den biblischen Schriften und der kirchlichen Tradition. Auf multilateraler Ebene hat sich die „Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung“ (Faith and Order) dieser Thematik angenommen (Abschnitt a). In bilateralen Dialogen haben insbesondere die Kirchen reformatorischer Tradition immer wieder Überlegungen zu dieser Grundfrage eingefordert (Abschnitt b). Inzwischen zeichnen sich ökumenische Konvergenzen ab, die sich zusammengefasst präsentieren lassen (Abschnitt c). Allein die Heilige Schrift vermag es, alle christlichen Bekenntnisgemeinschaften in ein Gespräch miteinander zu bringen: „Dialog geschieht dort, wo es Unterschiede (oder gar Gegensätze) zwischen Menschen gibt, die dennoch eine gewisse gemeinsame Basis haben und nach größerer Gemeinschaft im Denken und Handeln streben. Er setzt von Anfang an die Existenz einiger gemeinsamer Bezugspunkte und eine gemeinsame Orientierung voraus. Unser gemeinsamer Bezugspunkt ist die Offenbarung, wie sie im Zeugnis der Heiligen Schrift zum Ausdruck kommt. Die Heilige Schrift ist mehr als nur ein Buch oder ein normativer Kodex. Durch sie hören wir Gottes Wort. Ihr Zeugnis hat Jesus Christus zum Mittelpunkt und hat Bedeutung durch die Beziehung zu ihm. Es wird gelebt und verstanden durch das Wirken des Heiligen Geistes in der Tradition der Kirche und durch den Glauben des Volkes Gottes. Alle christlichen Gemeinschaften sind durch diesen Glauben gebunden; jede einzelne gibt ihm eine konkrete Form in ihrem Glaubensbekenntnis oder ihren -bekenntnissen und durch ihre Spiritualität“ (DwÜ 1, S. 608, Nr. 2). Mit den zitierten Worten gab 1967 die Gemeinsame Arbeitsgruppe des ÖRK und der Römisch-Katholischen Kirche Auskunft über ihr Verständnis der Grundlage jedes ökumenischen Dialogs. Diese „Joint Working Group“ war 1965 eingerichtet worden, um auf der Basis der ökumenischen Erklärungen des Zweiten Vatikanischen Konzils die Prinzipien und Methoden der künftigen Zusammenarbeit zu beraten. Fragen der Schrifthermeneutik standen von Beginn an auf der Tagesordnung. Sehr früh bereits zeichnete sich in der modernen Ökumenischen Bewegung ein Konsens in der Anerkenntnis der Normativität des Schriftzeugnis-

die Bibel als gemeinsame Grundlage im ökumenischen Dialog

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1. Schrift und Tradition

ses ab. Während die Bedeutung dieser Übereinkunft bis zu den 70er Jahren nahezu ausschließlich in Studienarbeiten der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung (Faith and Order) näherhin bestimmt wurde (vgl. Haudel/ 47; Haudel/48; Berger; Geldbach/45; Hintzen/49; Kertelge/50; Klein/51; Meurer/52), waren in der Folgezeit Fragen des Schriftverständnisses, der Formen kirchlicher Schriftauslegung und des Verhältnisses zwischen Schrift und Tradition Thema auch in zahlreichen bilateralen ökumenischen Dialogen auf internationaler und nationaler Ebene. a) Die Bedeutung der Thematik auf multilateraler Ebene Dokument „Scripture, Tradition and Traditions“

primäre und abgeleitete Autorität

„Sachmitte“ und „Beziehungsmitte“

„Gemeinsam können wir sagen, dass wir als Christen aus der Überlieferung des Evangeliums leben (der Paradosis des Kerygmas), das in der Schrift bezeugt und in der Kraft des Heiligen Geistes in der Kirche und durch sie weitergesagt wird. Die in diesem Sinne verstandene Überlieferung (Tradition) geschieht durch die Verkündigung des Wortes, in der Feier der Sakramente und Gottesdienste, in der christlichen Unterweisung und theologischen Lehre, sowie in der Sendung aller Glieder der Kirche, für Christus in ihrem Leben Zeuge zu sein“ (Flessemann-vanLeer/46: 20). Diese Worte des Dokuments „Scripture, Tradition and Traditions“ der vierten Weltkonferenz der „Kommission für Glauben und Kirchenverfassung“ 1963 in Montreal bringen die gemeinsame Überzeugung zum Ausdruck, den christlichen Glauben durch die Predigt des Evangeliums empfangen zu haben, dessen Überlieferung die biblischen Schriften ermöglichen. Eindrücklich bringt der Text die Unverzichtbarkeit der lebendigen Überlieferung ins Wort. Ein wichtiges Ergebnis mancher in Montreal offen ausgetragener Kontroversen war die Vereinbarung, der Frage nach der Einheit des Schriftzeugnisses in den nachfolgenden Studien größere Aufmerksamkeit zu widmen. Die Überzeugung von der im strengen Sinn theologischen Einheit der Schrift festigte sich in den anschließenden Gesprächsrunden. 1971 wurde im Rahmen der Weltkonferenz von Faith and Order in Löwen eine Verständigung über die Lehre von der Gründung der Schriftautorität in Gottes Willen erreicht. Demnach hat die Bibel lediglich eine abgeleitete Autorität. Die primäre Autorität ist Gott selbst in seiner Offenbarungswilligkeit. Er ist das wirkende Wort, welches gläubiges Vertrauen begründet. Jede Zeit bedarf der Interpretation der Schrift um Gottes sich selbst offenbarendes Handeln je neu zu vergegenwärtigen. Schriftauslegung ist insofern ein unabdingbares Instrument, um die göttliche Autorität der in den biblischen Büchern bezeugten Wahrheit zur Geltung zu bringen. 1971 wurde auch eine Stellungnahme zur Frage nach der „Mitte der Schrift“ verabschiedet. In konsequenter Fortführung des offenbarungstheologischen Ansatzes wird zwischen der Rede von einer „Sachmitte“ („material centre“) und von einer „Beziehungsmitte“ („relational centre“) unterschieden. Diese von deutschen und niederländischen Theologen eingebrachte Differenzierung wendet sich gegen die Annahme einer im statischen Sinn zu erfassenden thematisch-inhaltlichen Sachmitte der biblischen Schriften. Sie tritt dafür ein, die bereits innerbiblisch vorhandene Bezugnahme der Texte aufeinander wahrzunehmen. Die Mitte der Schrift ist die von Gott verheißene, in ihm allein begründete Hoffnung auf Leben – ewiges Leben, Leben in Fülle.

b) Ergebnisse bilateraler Dialoge

Bereits in Löwen wurden Stimmen laut, die das dort intensiv diskutierte Thema der theologischen „Mitte der Schrift“ in Folgestudien konkret auf die Problematik des Verhältnisses zwischen dem Alten und dem Neuen Testament hin genauer bedacht sehen wollten. 1978 konnte in Bangalore ein Text verabschiedet werden, in dem deutlich zur Sprache kommt, dass wesentliche Inhalte des christlichen Gottesglaubens entweder ausschließlich oder besonders klar in alttestamentlichen Texten bezeugt sind: Gottes schöpferisches Wirken, seine Forderung von Recht und Gerechtigkeit, sein Eintreten für die Armen, Einsamen und Unterdrückten, sein eifersüchtiger Widerstand gegen die Verehrung anderer Götter, sein Kampf gegen einen bloß äußerlichen Kult und sein weisheitlicher Rat für das Gelingen des alltäglichen Lebens. Seit den 80er Jahren ist die „Kommission für Glauben und Kirchenverfassung“ vor allem damit befasst, die zuvor erreichte Verständigung in den Fragen des Schriftverständnisses und der Schriftauslegung bei der gemeinsamen Besprechung von zentralen Themen der Theologie und des kirchlichen Lebens fruchtbar zu machen.

Altes und Neues Testament

b) Ergebnisse bilateraler Dialoge Bei der Durchsicht der bisherigen Ergebnisse des lutherisch/römisch-katholischen Dialogs auf der internationalen Ebene fällt auf, dass das Thema „Schrift und Tradition“ von Beginn an weitgehend konsensfähig behandelt werden konnte. Kontroverse Fragen stellten sich in diesem Bereich nahezu ausschließlich im Blick auf die Verbindlichkeit einer lehramtlichen Schriftauslegung. Bereits der 1972 veröffentlichte Bericht über die erste Dialogphase bekräftigt die Auffassung von der Notwendigkeit der Überlieferung im Raum der Kirche als eine gemeinsame Überzeugung und erklärt: „Damit stellt sich die alte kontrovers-theologische Frage nach dem Verhältnis von Schrift und Tradition in neuer Weise. Es kann nicht mehr die Schrift exklusiv der Tradition gegenübergestellt werden, weil das Neue Testament selbst Ergebnis urchristlicher Tradition ist. Doch kommt der Schrift als Zeugnis der grundlegenden Überlieferung eine normative Funktion für die gesamte spätere Tradition der Kirche zu“ (DwÜ 1, S. 253, Nr. 17). Konsens bestand damals auch über das Erfordernis, Kriterien zu benennen, die es ermöglichen, zwischen legitimen und illegitimen Entwicklungen der nach-biblischen Tradition zu unterscheiden. Das Dokument benennt im Fortgang als primäres Kriterium bei einer solchen Differenzierung, „dass der Heilige Geist das Christusgeschehen als Heilsereignis erweist“ (DwÜ 1, S. 253, Nr. 18). Da die Rechtmäßigkeit einer Inanspruchnahme des Wirkens des Geistes Gottes jedoch im Einzelfall kaum zu überprüfen ist, bedarf es sekundärer Kriterien zur Traditionskritik. Über deren Gestalt bestand zwischen beiden Konfessionen zwar (noch) keine Einigkeit, gemeinsam ließ sich aber sagen: „Weder das Prinzip sola scriptura noch der formale Verweis auf die Verbindlichkeit des Lehramtes kann genügen.“ (ebd.) Lutherischerseits werden insbesondere die Predigt und die Bekenntnisschriften als Kriterien der Wahrheitserkenntnis benannt. Die römisch-katholischen Theologen verwiesen an dieser Stelle auf die lebendige Glaubenserfahrung der Christen sowie auf das Miteinander von Amt und nichtamtlichem Charisma.

lutherischkatholischer Dialog

die Autorität des Lehramts

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1. Schrift und Tradition die Unfehlbarkeit der Gesamtkirche

Infallibilität des Papstes?

reformiertkatholischer Dialog

gemeinsame Aussagen

Eine grundlegende Gemeinsamkeit wurde auch in der Sinnbestimmung jeder kirchlichen Autorität als Dienst am Wort formuliert. Einig waren sich die Gesprächspartner ebenso in der pneumatologischen Begründung der Überzeugung, als gesamte Kirche in der Wahrheit zu bleiben: „Unfehlbarkeit muss in erster Linie verstanden werden als Gabe an die ganze Kirche als Volk Gottes. Das Bleiben der Kirche in der Wahrheit darf nicht statisch verstanden werden, sondern ist ein dynamisches Geschehen, das sich unter dem Beistand des Heiligen Geistes im unaufhörlichen Kampf gegen Irrtum und Sünde in der Kirche wie in der Welt vollzieht“ (DwÜ 1, S. 254, Nr. 23). Als weiterführend erwies sich auch die theologische Bestimmung der Mitte der Schrift; diese kann nicht „in eine theologische Formel eingefangen werden“, sie „besteht vielmehr in dem eschatologischen Heilshandeln Gottes in Kreuz und Auferstehung Jesu, das alle Verkündigung explizieren will“ (DwÜ 1, S. 254, Nr. 24). In den nachfolgenden Dialogrunden wurden die bis 1972 erreichten Verständigungen in wechselnden thematischen Zusammenhängen dadurch erinnert, dass bei der Behandlung der strittigen theologischen Themen in der Regel zunächst das biblische Zeugnis dargestellt wurde. Neben der Eucharistietheologie standen Reflexionen über die Gestalt sichtbarer Einheit und insbesondere Fragen des kirchlichen Amtes im Mittelpunkt des Interesses. Die Frage der Verbindlichkeit kirchlicher Lehrentscheide wurde in jüngerer Zeit in dem Dokument „Kirche und Rechtfertigung“ (KuR) eingehend behandelt (vgl. KuR 91–118). In diesem Text wurden Konvergenzen formuliert bezüglich der Notwendigkeit kirchlicher Lehrtätigkeit überhaupt, im Blick auf die Zusage des Geistes Gottes an die gesamte Kirche, sie in der Wahrheit zu halten, und hinsichtlich der Lehrverantwortung einzelner kirchlicher Institutionen (Kirchenleitungen, Synoden, theologische Fakultäten). Strittig blieb die römisch-katholische Auffassung von der Letztverbindlichkeit einzelner Lehrentscheide der Konzilien und des Papstes, welche nach lutherischer Wahrnehmung damit der kritischen Überprüfung in illegitimer Weise entzogen werden. Auch der internationale reformiert/römisch-katholische Dialog widmete sich seit Mitte der 80er Jahre ausdrücklich ekklesiologischen Fragen (vgl. DwÜ 2, S. 623–673). Er konnte dabei im Blick auf Schriftverständnis und Schriftauslegung an den 1977 erschienenen Schlussbericht der ersten Dialogphase anknüpfen. Als Stand des Gespräches notiert der Text von 1990: „Beide Seiten heben den unfehlbaren Charakter des geistgewirkten Predigens und Lehrens hervor, welches das Evangelium und die Heilige Schrift widerspiegelt. Die römisch-katholischen Christen beziehen jenes Predigen und Lehren auf eine gottgegebene Autorität, die in der Kirche eingesetzt ist und der im Dienst am Wort Gottes in Schrift und Tradition die Vollmacht übertragen worden ist, es in authentischer Weise zu interpretieren und die in bestimmten Fällen den Beistand des Heiligen Geistes erhält, um sich in Fragen des Glaubens und der Sitten auf unfehlbare Weise zu äußern. Reformierte Christen beziehen ein solches Predigen und Lehren letztlich auf die höchste Autorität des Wortes Gottes in der Schrift, die vom Heiligen Geist erleuchtet ist“ (DwÜ 2, S. 663, Nr. 139). Zu den wichtigsten der bereits 1977 erreichten Übereinstimmungen in der reformierten und der römisch-katholischen Lehre zählen folgende Aus-

c) Zusammenfassende Überlegungen

sagen: Die Schrift selbst ist eine Gestalt der Tradition; die Kirche steht als creatura verbi unter dem Wort Gottes; in der Lehrentwicklung und der Bekenntnisbildung ist Gottes Geist wirksam. Die verbliebenen Differenzen bezüglich der lehramtlichen Schriftauslegung führt das Dokument auf unterschiedliche Auffassungen von der Weise der Wirksamkeit des Geistes Gottes zurück: „Im allgemeinen suchen die Reformierten nach einer unmittelbaren Begründung ihrer Lehre im apostolischen Zeugnis der Schrift, während die Römisch-Katholische Kirche das apostolische Zeugnis stärker im Glaubensleben der Gesamtkirche vernimmt, insofern sie im Laufe der Jahrhunderte ständig der Fülle der göttlichen Wahrheit entgegenstrebt. (…) Dieser unterschiedlichen Haltung dürfte eine Differenz in der Pneumatologie zugrunde liegen: Das katholische Denken ist in erster Linie getragen vom Vertrauen auf die fortdauernde Gegenwart des Heiligen Geistes, während die reformierte Kirche die Gegenwart des Geistes als stets neues Geschenk des erhöhten Herrn erfährt“ (DwÜ 1, S. 494, Nr. 28). In einer im Vergleich mit allen anderen bilateralen Dialogen weit höheren Intensität hat sich der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen mit dem Themenkreis Schrift und Tradition befasst. (Schneider; Pannenberg/55) Die in drei Bänden dokumentierten Referate werden in einem gemeinsam verantworteten Bericht abschließend auf ihre Konvergenzfähigkeit hin befragt. Dabei zeigten sich weitreichende Übereinkünfte, die mit Ergebnissen in anderen bilateralen Dialogen Verwandtschaft haben, angesichts der erreichten Differenziertheit jedoch von eigener Bedeutung bleiben.

offene Fragen

c) Zusammenfassende Überlegungen Die ökumenischen Dokumente zum Thema Schriftverständnis und Schriftauslegung zeigen in eindrücklicher Weise, dass sich alle christlichen Kirchen im Dialoggeschehen als solche wiedererkannt haben, die unter Gottes Wort stehen und allein die von Gott selbst ermöglichte Offenbarung seines Wesens und Willens verkündigen möchten. Die durch diese Erfahrung tiefer Gemeinsamkeit in den Jahrzehnten der neueren Ökumenischen Bewegung gewachsene Verbundenheit erscheint ungefährdet. Zumeist beziehen sich spätere Dialoge sogar ausdrücklich auf den bereits erreichten Diskussionsstand. Der in aller Regel gewählte Ausgangspunkt bei ökumenischen Äußerungen zum Schriftverständnis ist die Rede von Gottes Offenbarung. Die Einheit und Mitte der Schrift besteht in der Einheit Gottes, der in der Geschichte Israels und im Christusereignis die „Mitte“ seines Heilswillens in Zeit und Geschichte kundgemacht hat. An dieser (im strengen Sinn) theologischen Voraussetzung aller weiteren Überlegungen halten die Kirchen gemeinsam fest. Auf breiter Basis besteht zudem Übereinstimmung in der positiven Wertigkeit der kirchlichen Traditionsbildung. Die Heilige Schrift ist eine Gestalt der Tradition; sie ist schriftgewordene Tradition. Ohne das gemeindliche Überlieferungsgeschehen wäre Gottes Evangelium nicht hörbar geworden. Der Prozess der Traditionsbildung in den Glaubensgemeinschaften in biblischer Zeit sowie das Ereignis der Schriftwerdung des Evangeliums werden

Gottes Offenbarung als Grundlage der Heiligen Schrift

die Legitimität der Überlieferung

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1. Schrift und Tradition

pneumatologische Argumentation

missionarische Dimension

das Problem unfehlbarer Lehrentscheidungen

von den christlichen Kirchen als ein von Gottes Geist gewirktes Ereignis verstanden. Der Glaube an die Inspiration der biblischen Texte ist konsensfähig. Unbestritten ist in den Dokumenten zudem, dass Gottes Wort in vielgestaltigen Menschenworten begegnet, deren geschichtliche Bedingtheiten es erfordern, (auch) mit den Mitteln der historisch-kritischen Exegese zur Erkenntnis der Aussageintention zu gelangen. Auffällig ist, dass in nahezu allen Texten der pneumatologischen Argumentation ein hoher Stellenwert zukommt. In Dokumenten, an denen orthodoxe oder freikirchliche Theologen beteiligt waren, geschieht in dieser Hinsicht eine besondere Akzentsetzung. Als ein ökumenischer Grundkonsens kann gelten, dass allein die gläubige Erwartung der Wirksamkeit des Geistes Gottes die Hoffnung begründet, in der Wahrheit zu bleiben, d. h. das Evangelium Gottes ursprungsgemäß, getreu der apostolischen Überlieferung weitersagen zu können. Die im Rahmen der weitgehenden Übereinstimmungen in den bilateralen Dialogen festzustellenden Eigenarten erklären sich durch die besonderen Anliegen, welche einzelne Konfessionsgemeinschaften im Rückblick auf ihre geschichtlichen Erfahrungen beim kirchlichen Dienst der Schriftauslegung in die Gespräche einbringen. In profilierter Weise mahnen etwa die evangelikalen bzw. pfingstlerischen Gemeinschaften, die missionarische Dimension der gegenwärtigen Verkündigung in den Mittelpunkt der Überlegungen zu rücken. Sie wollen die ökumenischen Gespräche mit der Zielsetzung verbinden, die Glaubwürdigkeit des christlichen Zeugnisses durch die Festigung der Gemeinschaft zu erhöhen. Sie greifen damit Anliegen auf, die zu Beginn der modernen Ökumenischen Bewegung zu einer Intensivierung der Suche nach einem gemeinsamen christlichen Schriftverständnis führten. Die noch bestehenden Grenzen der Verständigung werden in den Dialogen vor allem dann spürbar, wenn kontroverse Einzelfragen unter Bezugnahme auf das biblische Zeugnis versuchsweise einander angenähert werden. Als ein solches Feld der Erprobung bieten sich beispielsweise Fragen der Mariologie und des päpstlichen Lehramtes an. Der in nahezu allen Dialogen erkennbare Hauptgegenstand der verbliebenen konfessionellen Kontroverse ist die römisch-katholische Lehre von der Möglichkeit unfehlbarer Lehrentscheide. Doch sind auch in diesem Bereich Annäherungen der Standorte unverkennbar: Die an den Gesprächen beteiligten römisch-katholischen Theologen binden diese Lehre in die Überzeugung von der Gegenwart des Geistes in der Gesamtheit der Glaubensgemeinschaft ein. Der „consensus fidelium“ hat beim Geschehen der Rezeption verbindlicher Lehren deren Schriftgemäßheit zu prüfen. Auch kann man auf die Bruchstückhaftigkeit aller menschlichen Erkenntnis und auf die Vorläufigkeit ihrer geschichtlich bedingten Aussagegestalt hinweisen. Die Kirchen in reformatorischer Tradition gestehen zu, dass auch sie die Notwendigkeit verbindlichen kirchlichen Lehrens anerkennen, jede konkrete Lehrgestalt jedoch zu jeder Zeit dem kritischen Maßstab der Schriftgemäßheit unterliegt. Perspektiven für eine weitergehende Verständigung über die „Unfehlbarkeit“ einzelner Lehren könnten sich durch eine Bezugnahme auf die auch in den reformatorischen Kirchen vertretene Auffassung von der in Gottes Wirken selbst begründeten Gewissheit seines Heilswillens ergeben.

a) Biblische Grundlagen theologischer Rechtfertigungslehre

2. Gnaden- und Rechtfertigungslehre(n) Christlicher Glaube gründet in der Botschaft des Evangeliums. Die Frage, wie diese Botschaft zu verstehen und sachgemäß zu verkündigen ist, hat jedoch im Verlauf der Geschichte des Christentums immer wieder zu Auseinandersetzungen geführt. In der Reformationszeit kam es über der Frage nach der adäquaten Auslegung der Gnadenbotschaft des Evangeliums zur Kirchenspaltung innerhalb der Westkirche. Erst im 20. Jahrhundert konnte der kirchentrennende Charakter der unterschiedlichen Lehren vom Evangelium überwunden und ein evangelisch-katholischer Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre erreicht werden. Um die Voraussetzungen dieser ökumenischen Verständigung zu verstehen, sind im Folgenden zuerst die biblischen Grundlagen theologischer Rechtfertigungslehre (Abschnitt a), die kontroverstheologische Fragestellung in der Reformationszeit (Abschnitt b) und die systematische Aufarbeitung der alten Streitfragen (Abschnitt c) in den Blick zu nehmen. In den beiden folgenden Abschnitten wird sodann gezeigt, welches gemeinsame Verständnis der Rechtfertigungsbotschaft die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ von 1999 entwickelt (Abschnitt d) und wie sie einen differenzierten Konsens in den traditionellen Lehrfragen erarbeitet (Abschnitt e). Der letzte Abschnitt ist dem evangelisch-orthodoxen Dialog gewidmet (Abschnitt f). a) Biblische Grundlagen theologischer Rechtfertigungslehre Das Ringen um die rechte Auslegung und Verkündigung des Evangeliums ist so alt wie das Christentum selbst. Davon zeugen insbesondere die Briefe des Apostels Paulus im Neuen Testament. Denn Paulus, der nach seinem Selbstzeugnis im Galaterbrief durch die Erscheinung des auferstandenen Herrn zum Glauben an Jesus Christus gelangte und die Sendung zur Verkündigung des Evangeliums empfing, sah sich in seiner missionarischen Tätigkeit immer wieder vor die Aufgabe gestellt, das Evangelium gegen Fehldeutungen verschiedener gegnerischer Gruppen zu verteidigen. Von zentraler Bedeutung war dabei die Frage nach dem Stellenwert der jüdischen Gesetzestradition für Juden- und Heidenchristen. Diese Frage wurde auf dem Apostelkonzil beraten, von dem Paulus im Galaterbrief und Lukas in der Apostelgeschichte berichten. Ausgehend von der gemeinsamen Überzeugung der Apostel, dass Gott in Jesus Christus allen Menschen, Juden und Nichtjuden, den Weg zum Heil eröffnet hat, stellte sich die Frage, ob und in welcher Weise das jüdische Gesetz weiter zu befolgen und welche Form des Zusammenlebens für Juden und Heiden angemessen sei. Paulus vertritt in diesem Konflikt die Überzeugung, dass die Heiden sich nicht beschneiden lassen und die jüdischen Reinheitsgebote erfüllen müssen, um zu Christus zu gehören und mit Judenchristen Gemeinschaft haben zu können. Im Galaterbrief macht er vielmehr deutlich, dass die im Evangelium von Jesus Christus offenbarte Gerechtigkeit Gottes den Menschen im Glauben ohne alle Werke zuteil wird (vgl. Gal 2,16; vgl. Röm 1,16 f.; 3,11). Denn Gott hat in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi die Erlösung der Menschen von Sünde und Tod erwirkt (vgl. Röm 3,24; Gal 3,13) und auf diese Weise die Versöhnung gestiftet (vgl. 2 Kor 5), auf die

die Frage nach dem Gesetz

das Evangelium für Juden und Heiden

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2. Gnaden- und Rechtfertigungslehre(n)

Gerechtigkeit aus Glauben

Zugehörigkeit zu Christus

alle Menschen – Juden wie Heiden – gleichermaßen angewiesen sind (vgl. Röm 1–2). Weil Gott selbst im stellvertretenden Sterben Jesu Christi und in seiner Auferweckung die Sünde überwunden und neue Gerechtigkeit eröffnet hat, kann und muss sich der Mensch die Gerechtigkeit vor Gott nicht durch Werke des Gesetzes erwerben. Das der Heilstat Gottes in Christus entsprechende Gottesverhältnis hingegen sieht Paulus im Glauben. Dieser wird, wie er in Röm 4,5 sagt, dem zur Gerechtigkeit zugerechnet, der nicht versucht, durch Werke vor Gott gerecht zu werden, sondern „an den glaubt, der die Gottlosen gerecht macht“. Entsprechend versteht Paulus das Evangelium als die Botschaft von der „Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben“ (Röm 1,17; zitiert nach der revidierten Lutherübersetzung). Darin sieht er die Verheißung in Hab 2,4 erfüllt, dass der Gerechte aus Glauben leben werde. Die Gerechtigkeit des Glaubens, durch die nach paulinischer Interpretation von Gen 15,6 in Röm 4,3 und Gal 3,16 schon Abraham vor Gott gerecht war, eröffnet dem Menschen die Gotteskindschaft (vgl. Röm 8) und schenkt ihm Frieden mit Gott (vgl. Röm 5,1). Von daher kann das menschliche Bestreben, die Gerechtigkeit durch die Werke des Gesetzes erlangen und sich dieser Werke vor Gott rühmen zu wollen, nur als grundlegende Verfehlung menschlicher Bestimmung zur Gemeinschaft mit Gott erscheinen (vgl. Röm 3,27; 4,2; 1 Kor 1,28 f.; Gal 6,14; Phil 3,4–11). Die Botschaft des Evangeliums von der Gerechtigkeit Gottes bildet den Kern der Missionsverkündigung, die für die frühe christliche Kirche und ihre Ausbreitung bestimmend geworden ist. Entsprechend wurde das Bekenntnis des Glaubens zu dem in der Evangeliumsbotschaft verkündigten gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus in Verbindung mit der Taufe zum Kennzeichen der Zugehörigkeit zu Jesus Christus und zur christlichen Gemeinde. b) Die Rechtfertigungslehre als kontroverstheologisches Thema

Augustin und Pelagius

Im Zuge der apologetischen Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Philosophie rückte in den ersten Jahrhunderten der Christentumsgeschichte das Verständnis der Gottessohnschaft Jesu Christi in den Brennpunkt theologischer Reflexion. Im Hintergrund stand dabei zwar durchaus ein soteriologisches Interesse. Doch eigenständiges Gewicht erlangte diese Frage erst in den donatistischen Streitigkeiten um die Bedeutung der Würdigkeit von Amtsträgern für die Wirksamkeit der Taufe und in der Auseinandersetzung zwischen Augustin und Pelagius über die Möglichkeit menschlicher Mitwirkung im Heilsprozess. Erst in diesem Zusammenhang gewann auch der Begriff der Rechtfertigung (lat. iustificatio) in der westlichen Theologie an Bedeutung. Entscheidend dafür war die Gnadenlehre Augustins, der ausgehend von der Einsicht in die Alleinwirksamkeit der Gnade und Liebe Gottes die Erbsünde als Verlust der Willensfreiheit interpretierte und entsprechend eine Mitwirkung des Menschen beim Zustandekommen des Glaubens und der Liebe zu Gott ausschloss. Demgegenüber vertrat Pelagius die Überzeugung, dass der Mensch auch unter den Bedingungen der Sünde die Freiheit habe, sich für den Glauben an Jesus Christus und die Befolgung seines Gebotes zu entscheiden und auf diese Weise zu seiner Gerechtigkeit und seinem

b) Die Rechtfertigungslehre als kontroverstheologisches Thema

Heil beizutragen. Nachdem die pelagianische Lehre in dem ab 411 in Nordafrika schwelenden Konflikt zunächst Zustimmung fand, wurde sie bereits auf der Synode von Karthago 418 umfassend verurteilt. Damit verband sich eine Dogmatisierung elementarer Kerngedanken der augustinischen Erbsünden- und Gnadenlehre. Sie bestimmte die weitere Entwicklung der gnadentheologischen Überlegungen im Westen und bildete die Basis für die eingehende Reflexion der Frage in den verschiedenen Richtungen mittelalterlicher Theologie, wie das reine Geschenk der Gnade Gottes zu verstehen und wie der Mensch sich zu diesem Geschenk verhalten könne und solle. Die soteriologische Lehrentwicklung in der Ostkirche blieb von der Entwicklung im Westen weitgehend unbeeindruckt. Hier wurde und wird die Gnade wesentlich als durch den Heiligen Geist gewirkte Teilhabe an der im auferstandenen Jesus Christus offenbaren Heilswirklichkeit und darin als Grund für die eschatologische Hoffnung auf die Vergottung des Menschen verstanden. Die Unterschiede in der Auslegung der göttlichen Gnade und ihrer Bedeutung für den Menschen spielten anders als trinitätstheologische und kirchenpolitische Entscheidungen bei der Spaltung zwischen Ost- und Westkirche jedoch keine ausschlaggebende Rolle. Innerhalb der westlichen Christenheit hingegen gewann die soteriologische Besinnung auf den Grund der Gnade Gottes, die Art ihrer Zueignung an den Menschen und die Rolle der Kirche im Mittelalter zunehmend an Bedeutung. An der Auslegung und Gestaltung der Gnadenvermittlung in der römischen Kirche und ihrer gnadentheologischen Begründung entzündeten sich im Hoch- und Spätmittelalter eine Reihe von Konflikten und Reformbestrebungen (John Wyclif, Jan Hus), die jedoch keine große Reichweite entfalteten. Erst im 16. Jahrhundert entstand ausgelöst durch die Kritik Martin Luthers am römischen Buß- und Ablasswesen eine reformatorische Bewegung, der sich viele Landesherren und große Teile der Bevölkerung weit über die Reichsgrenzen hinaus anschlossen. Die mit der Exkommunikation Luthers und dem Reformationsverbot im Heiligen Römischen Reich drohende Kirchenspaltung zwischen den Anhängern der römischen Kirche und den Anhängern der Reformation ließ sich weder auf dem Augsburger Reichstag von 1530 noch mit einer Reihe von Religionsgesprächen aufhalten. Mit dem Augsburger Religionsfrieden wurde die Spaltung 1555 reichsrechtlich realisiert. Im Unterschied zu den vorangegangenen Kirchenspaltungen lag der abendländischen Kirchenspaltung dabei ein Dissens in der Gnaden- bzw. Rechtfertigungslehre zugrunde. Denn Luthers Kritik an der römischen Buß- und Ablasspraxis war fundiert in einem Verständnis der im Evangelium offenbarten Gerechtigkeit Gottes, das sich grundlegend von der spätmittelalterlichen Gnadenlehre abhob. In eingehender Auslegung der neutestamentlichen Schriften, insbesondere aber der paulinischen Briefe, ist Luther zu der Einsicht gelangt, dass die Gerechtigkeit Gottes nicht als distributive zu verstehen sei, sondern als die Gerechtigkeit, durch die Gott den Menschen allein aus Glauben ohne alle Werke rechtfertigt und ihm auf diese Weise neue Gerechtigkeit schenkt. Die Folgerung, dass der Mensch weder willentlich zu seiner Bekehrung noch durch nachfolgende Werke zu seiner Rechtfertigung beitragen könne, bildete den Kern der kontroverstheologischen Auseinandersetzung zwischen Reformatoren und sog. Altgläubigen. Obwohl in den Religionsgesprächen eine

Ostkirche

Martin Luther und die Reformation

Rechtfertigung als Gerechterklärung

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2. Gnaden- und Rechtfertigungslehre(n)

Annäherung in der Rechtfertigungslehre greifbar schien, konnte der soteriologische Dissens im 16. Jahrhundert nicht überwunden werden. Er bestimmte die Lehrdifferenzen zwischen evangelischen Kirchen und Römisch-Katholischer Kirche bis ins 20. Jahrhundert. Dies dokumentieren sowohl die verschiedenen evangelischen Bekenntnisschriften lutherischer, reformierter und auch anglikanischer Tradition wie auch die gegenläufigen Dekrete und Canones des Trienter Konzils (1545–1563). Während in der evangelischen Lehrtradition die Rechtfertigung fortan als forensisches Geschehen der Gerechterklärung durch Gottes Zuspruch bestimmt und gelehrt wurde, welches allein im Glauben empfangen werde, keine menschliche Mitwirkung voraussetze und den Menschen zwar in seinem Verhältnis zu Gott, aber nicht an sich selbst verwandele, vertrat die katholische Lehre ein effektives Verständnis der Rechtfertigung im Sinne der Gerechtmachung durch die göttliche Gnade, die sich in dem in der Liebe tätigen Glauben realisiere. c) Aufarbeitung der evangelisch-katholischen Lehrdifferenzen Lehrverurteilungen – kirchentrennend?

Differenzen in der Sündenlehre

Mit einer ökumenisch ausgerichteten Aufarbeitung der rechtfertigungstheologischen Kontroversfragen zwischen evangelischer und katholischer Lehre wurde erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil begonnen. Auf internationaler Ebene führten intensive Gespräche der Studienkommission des Einheitssekretariats und des Lutherischem Weltbunds 1972 zunächst zu dem Dokument „Das Evangelium und die Kirche“ (der sog. Malta-Bericht, vgl. DWÜ 1, S. 248–271), in dem bereits von einer weitgehenden Übereinstimmung im Blick auf die Rechtfertigungslehre gesprochen werden konnte. In einer zweiten Dialogphase zwischen 1973 und 1985 konnten u. a. in einer gemeinsamen Stellungnahme zur Confessio Augustana anlässlich ihres 450. Jubiläums weitere Annäherungen fixiert werden. In der dritten Phase des internationalen Dialoges zwischen 1986 und 1994 konzentrierte man sich schließlich ganz auf die Rechtfertigungslehre. Eine wichtige Voraussetzung dafür bildete die Studie des Ökumenischen Arbeitskreises (gegründet 1946) „Lehrverurteilungen – kirchentrennend? I“ (LV 1, S. 35–75) von 1986, in der die herkömmlich als kirchentrennend angesehenen Lehrdifferenzen zwischen evangelischer und römisch-katholischer Auffassung der Rechtfertigungslehre systematisch zusammengefasst worden sind. Als kontroverstheologischer Ausgangspunkt wird in der Analyse dieser Studie eine unterschiedliche Bestimmung der Verderbnis der menschlichen Natur durch die Sünde markiert. Während nach reformatorischem Verständnis die Sünde „die völlige Verderbnis der menschlichen Natur“ und damit den Verlust der Freiheit und Kraft bedeute, „das sittlich Gute zu tun und die Gebote Gottes aus Liebe zu Gott und nicht nur äußerlich, zu eigenem Ruhm oder aus Furcht vor Strafe zu erfüllen“ (LV 1, S. 36), bestehe die römisch-katholische Lehre „darauf, daß die Natur des Menschen nicht völlig verderbt, die Freiheit das Gute zu tun, zwar tief geschwächt, aber nicht verloren ist, und daß es nicht verwerflich, sondern schon etwas Gutes, wenn auch nicht Vollkommenes ist, die Gebote Gottes aus Furcht vor seinem strafenden Gericht zu erfüllen“ (LV 1, S. 36). Als zweite Differenz benennt die Studie das Verständnis der Konkupiszenz (Begierde, „Begierlichkeit“). Während die reformatorische Lehre diese als Sünde ansieht, bezeichnet die

c) Aufarbeitung der evangelisch-katholischen Lehrdifferenzen

Römisch-Katholische Kirche sie „ausdrücklich nicht als Sünde, solange der Mensch sich ihr nicht zustimmend überlässt und dadurch in aktuelle Sünde fällt“ (LV 1, S. 37). Damit verbindet sich drittens eine unterschiedliche Auffassung über die Bedeutung und Möglichkeit menschlicher Mitwirkung im Geschehen der Rechtfertigung. Während nach reformatorischer Lehre jedwede Mitwirkung des Menschen bei seiner Rechtfertigung ausgeschlossen ist, lehrt die Römisch-Katholische Kirche, „daß der Mensch, wenn er von Gottes rechtfertigender Gnade angerührt und buchstäblich ,bekehrt‘ wird, seinerseits mitwirkt, insofern er in Freiheit Gottes rechtfertigendem Handeln zustimmt und es annimmt“ (LV 1, S. 38). Die vierte Differenz sieht die Studie im Verständnis der rechtfertigenden Gnade Gottes. Während diese nach reformatorischer Auffassung „ganz mit Gottes vergebender Liebe und stets neuen Zuwendung identisch und daher ausschließlich eine Wirklichkeit auf Seiten Gottes ist“ (LV 1, S. 39), vertritt die römisch-katholische Lehre die Auffassung, dass „die Rechtfertigungsgnade ihrem Wesen nach (lat.: formaliter) eine Wirklichkeit in der Seele des Menschen ist, die aus der Liebe Gottes als ihrem Quellgrund fließt und den Menschen innerlich erneuert und umgestaltet“ (LV 1, S. 39). Dem entspricht es, dass – wie die Studie als fünften Differenzpunkt herausstellt – die Reformatoren die Rechtfertigung allein aus Glauben betone, während die Römisch-Katholische Kirche lehre, „daß der Glaube und das Vertrauen nur in der Einheit mit der von Gott geschenkten Hoffnung, Liebe und entsprechender aktiver Mitwirkung mit Gottes Gnade rechtfertigt“ (LV 1, S. 39). Damit sind wiederum Differenzen im Blick auf die Heilsgewissheit verbunden. Während der Glaube reformatorisch als „Gewißheit des Heiles, der Gnade, der Sündenvergebung“ (LV 1, S. 40) bestimmt wird, besteht die römisch-katholische Lehre „darauf, daß der Christ aufgrund der Unvollkommenheit seiner Liebe nie gewiß sein könne, ob er wirklich im Stande der Gnade sei“ (LV 1, S. 40). Als siebte Differenz analysiert die Studie schließlich das Verständnis der „aus dem Glauben in der Gnade Gottes vollbrachten Werke“ (LV 1, S. 41). Während diese nach reformatorischem Verständnis in keiner Weise als Verdienste beschrieben werden können, nennt die römisch-katholische Lehre „die in der Kraft der Gnade vollbrachten guten Werke des Gerechtfertigten im eigentlichen Sinne vor Gott verdienstlich …, nicht aufgrund der menschlichen Leistung, sondern kraft der Gnade und des Verdienstes Christi“ (LV 1, S. 42). Diese Analyse der traditionellen Lehrdifferenzen in der Studie „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“ zielt darauf zu zeigen, dass die aktuelle Auslegung der Rechtfertigungslehre in den Kirchen heute von den Verwerfungen in der Reformationszeit nicht mehr getroffen wird. Das Ergebnis wurde im lutherisch-katholischen Dialog auf Weltebene aufgenommen. Da ein Konsens greifbar schien, wurde ein katholisch-evangelisches Expertenteam beauftragt, eine „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ (GE; vgl. DwÜ 3, S. 419–431) zu erarbeiten. Nachdem ein erster Entwurf die Rezeption durchlaufen hatte, fand der zweite Entwurf eine weitreichende Zustimmung durch die Kirchen des Lutherischen Weltbundes. Die RömischKatholische Kirche reagierte in einer Note vom 25. Juni 1999 dagegen äußerst kritisch. Erst auf der Basis eines ergänzenden Anhangs konnte eine gemeinsame offizielle Feststellung über die Übereinstimmung in der Recht-

Gnade, Glaube und Werke

der Weg zur Gemeinsamen Erklärung

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2. Gnaden- und Rechtfertigungslehre(n)

fertigungslehre formuliert und in einem feierlichen Akt am 31.10.1999 in Augsburg vom Präsidenten des päpstlichen Einheitsrats und vom Präsidenten des Lutherischen Weltbundes unterzeichnet werden (vgl. I. 1). d) Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre Ziel der GE

Vorgehen

Jesus Christus

Die GE „will zeigen, dass aufgrund des Dialogs die unterzeichnenden lutherischen Kirchen und die Römisch-Katholische Kirche nunmehr imstande sind, ein gemeinsames Verständnis unserer Rechtfertigung durch Gottes Gnade im Glauben an Christus zu vertreten“ (GE 5). Auch wenn sie nicht alle rechtfertigungstheologischen Lehrbestände der Kirchen anspricht, beansprucht sie doch einen Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre zu formulieren und zu zeigen, „dass die weiterhin unterschiedlichen Entfaltungen nicht länger Anlass für Lehrverurteilungen sind“ (ebd.). Wegweisend ist für die GE dabei die Überzeugung, daß den „Kirchen in der Geschichte neue Einsichten zuwachsen und dass sich Entwicklungen vollziehen, die es ihnen nicht nur erlauben, sondern von ihnen zugleich fordern, die trennenden Fragen und Verurteilungen zu überprüfen und in einem neuen Licht zu sehen“ (GE 7). Den Ausgangspunkt für die Erarbeitung des Grundkonsenses bilden fünf Paragraphen zum gemeinsamen Verständnis der biblischen Rechtfertigungsbotschaft (GE 8–12), in denen die alttestamentlichen und neutestamentlichen Aussagen zum Themenfeld der Rechtfertigung erhoben werden. Dabei liegt der Akzent auf der paulinischen Botschaft von der im Evangelium Gottes verheißenen Glaubensgerechtigkeit, die den Angelpunkt reformatorischer Theologie bildet. In einem zweiten Schritt wird die Rechtfertigungslehre als ökumenisches Problem thematisiert und geltend gemacht, dass ein gemeinsames Verständnis der Rechtfertigung für die Überwindung der Kirchentrennung „grundlegend und unverzichtbar“ (GE 13) sei, weil die „gegensätzliche Auslegung und Anwendung der biblischen Botschaft von der Rechtfertigung … im 16. Jahrhundert ein Hauptgrund für die Spaltung der abendländischen Kirche“ (ebd.) gewesen sei. Im Rekurs auf die oben bereits genannten Dialoge zwischen den lutherischen Kirchen und der Römisch-Katholischen Kirche formuliert die GE in vier Paragraphen ein gemeinsames Verständnis der Rechtfertigung. Zunächst wird der gemeinsame Glaube an die Rechtfertigung als Werk des dreieinigen Gottes herausgestellt, das in der Sendung des Sohnes durch den Vater zum Heil der Sünder geschehen sei (vgl. GE 15). Die Menschwerdung, der Tod und die Auferstehung Jesu Christi wiederum seien „Grund und Voraussetzung der Rechtfertigung“ (GE 15). Entsprechend bedeute „Rechtfertigung, dass Christus selbst unsere Gerechtigkeit ist“ (ebd.). Diese Aussage impliziert bereits eine Antwort auf die in der Reformationszeit so vehement umstrittene Frage, wie die Rechtfertigung dem Menschen zuteil wird. In der GE heißt es dazu: „Alle Menschen sind von Gott zum Heil in Christus berufen. Allein durch Christus werden wir gerechtfertigt, indem wir im Glauben dieses Heil empfangen. Der Glaube selbst ist wiederum Geschenk Gottes durch den Heiligen Geist, der im Wort und in den Sakramenten in der Gemeinschaft der Gläubigen wirkt und zugleich die Gläubigen zu jener Erneuerung ihres Lebens führt, die Gott im ewigen Leben vollendet“ (ebd.).

d) Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre

In dem gemeinsamen Verständnis der Rechtfertigung wird also zunächst die Universalität des göttlichen Heilswillens und der göttlichen Berufung herausgestellt. Die Vorstellung von einer doppelten Prädestination zum Heil und zum Unheil, die in der westlichen Theologietradition von Augustin und später von Johannes Calvin vertreten wurde, erscheint damit ausgeschlossen. Die gemeinsame evangelisch-katholische Überzeugung von der universalen Gnade in Christus bildet die Basis, auf der im nächsten Schritt die von den Reformatoren ins Zentrum gerückte Einsicht bejaht wird, dass die Rechtfertigung solo Christo geschieht. Wie im anschließenden Modalsatz ebenfalls auf der Linie reformatorischer Theologie betont wird, erfolgt diese Rechtfertigung durch Christus im Glauben. Dass dieser Glaube nicht als eine die Rechtfertigung ermöglichende Leistung des Menschen zu verstehen ist, stellt der Folgesatz sicher, der den Glauben als „Geschenk Gottes durch den Heiligen Geist“ (GE 16) bestimmt und diese Wirksamkeit des Geistes „im Wort und in den Sakramenten in der Gemeinschaft der Gläubigen“ (ebd.) gegeben sieht. In einem weiteren Paragraphen formuliert die GE mit Blick auf die Kontroversen der Reformationszeit sodann, worin nunmehr gemeinsam die soteriologische Bedeutung der Rechtfertigungsbotschaft gesehen wird: „Sie sagt uns, dass wir Sünder unser neues Leben allein der vergebenden und neuschaffenden Barmherzigkeit Gottes verdanken, die wir uns nur schenken lassen und im Glauben empfangen, aber nie – in welcher Form auch immer – verdienen können“ (GE 17). Die Rechtfertigung wird damit ausdrücklich als ein Geschehen verstanden, das allein und ausschließlich sola gratia geschieht. In der Rezeptionsphase der GE wurde insbesondere auf evangelischer Seite eingehend und kontrovers diskutiert, ob mit diesen Ausführungen alle konstitutiven Momente evangeliumsgemäßer Rechtfertigungslehre angemessen zur Geltung gebracht sind. Als Maßstab galten dabei die von den Reformatoren formulierten Exklusivaussagen, wonach die Rechtfertigung solo Christo, sola gratia, sola fide und solo verbo geschieht. Die insbesondere von evangelischen Universitätstheologen vehement vorgetragene Kritik richtete sich dabei hauptsächlich auf den Sachverhalt, dass die GE nicht ausdrücklich vom Empfang des Heils allein im Glauben spricht. Damit benennt sie – so die Kritik – gerade nicht das explizit, was die Pointe evangelischer Rechtfertigungslehre ist. Zwar entgegneten Verteidiger der GE, das sola fide sei der Sache nach in den Aussagen von GE 15 und 16 enthalten. Aber dies provozierte die Rückfrage, warum es dann nicht auch ausdrücklich formuliert werden könne. Zusammen mit einer Reihe anderer Monenda, die im Rezeptionsprozess von evangelischer und katholischer Seite erhoben wurden, fand diese Rückfrage im Anhang zur GE Berücksichtigung. Dort heißt es: „Rechtfertigung geschieht ,allein aus Gnade‘ (GE 15 und 16), allein durch den Glauben, der Mensch wird ,unabhängig von Werken‘ gerechtfertigt (Röm 3,28; vgl. GE 25)“ (Annex 2 C, DWÜ 3, S. 439). Besondere Kontroversen in der Rezeption löste aber vor allem die Aussage über den Stellenwert der Rechtfertigungslehre aus (vgl. GE 18). Weil die Rechtfertigungslehre nach evangelischem Verständnis als articulus stantis et cadentis ecclesiae (vgl. Mahlmann/65: 187–194) gilt und als solche regulative Bedeutung für alle anderen Glaubensaussagen hat, war diese Aussage für die evangelischen Kirchen von besonderer Bedeutung. In GE 18 wird

universales Heil allein aus Gnade

allein aus Glauben

kriteriologischer Charakter

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2. Gnaden- und Rechtfertigungslehre(n)

mehrere Kriterien?

festgehalten, dass die Lehre von der Rechtfertigung, die das biblische Zeugnis vom Heilshandeln Gottes in Christus „aufnimmt und entfaltet, nicht nur ein Teilstück der christlichen Glaubenslehre“ (GE 18) ist. Sie steht vielmehr „in einem wesenhaften Bezug zu allen Glaubenswahrheiten, die miteinander in einem inneren Zusammenhang zu sehen sind. Sie ist ein unverzichtbares Kriterium, das die gesamte Lehre und Praxis der Kirche unablässig auf Christus hin orientieren will.“ (ebd.) Um mögliche Missverständnisse dieser Aussage auf beiden Seiten auszuschließen, die die fundamentale kriteriologische Bedeutung der Rechtfertigungslehre wieder in Frage stellen könnten, wird im Fortgang des Paragraphen zum einen festgehalten, dass Lutheraner „nicht den Zusammenhang und die Bedeutung aller Glaubenswahrheiten“ verneinen, wenn sie die einzigartige Bedeutung der Rechtfertigungslehre als Kriterium aller theologischen Lehre betonen. Zum anderen wird herausgestellt, dass Katholiken „nicht die besondere Funktion der Rechtfertigungsbotschaft“ verneinen, wenn sie „sich von mehreren Kriterien in Pflicht genommen sehen“ (ebd.). In der Diskussion wurde diese Rede von mehreren Kriterien von evangelischer Seite jedoch heftig kritisiert, weil sie die Betonung der konstitutiven Funktion der Rechtfertigungslehre zu unterlaufen droht und überdies offen lässt, um welche Kriterien es sich handelt. Auch darauf musste darum im erklärenden Anhang zur GE reagiert werden. Hier wird festgehalten: „Die Rechtfertigungslehre ist Maßstab oder Prüfstein des christlichen Glaubens. Keine Lehre darf diesem Kriterium widersprechen. In diesem Sinne ist die Rechtfertigungslehre ein ,unverzichtbares Kriterium …‘ (GE 18). Als solche hat sie ihre Wahrheit und ihre einzigartige Bedeutung im Gesamtzusammenhang des grundlegenden trinitarischen Glaubensbekenntnisses der Kirche“ (Annex 3, DwÜ 3, S. 440). e) Differenzierter Konsens in der Auslegung der Rechtfertigungsbotschaft

Lehrdifferenzen

Mit dem in der GE formulierten gemeinsamen Verständnis der Rechtfertigungsbotschaft werden die Lehrdifferenzen der Reformationszeit, die in der Studie „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“ systematisch differenziert worden sind, weder einfach übergangen, noch beseitigt. Den traditionellen Lehrunterschieden ist vielmehr ein eigener Teil der Erklärung gewidmet, in dem die zentralen rechtfertigungstheologischen Kontroversthemen in sieben Unterpunkten behandelt werden (vgl. GE 19–39). Dabei wird jeweils zunächst in einem Paragraphen eine gemeinsame Aussage getroffen. Anschließend werden in zwei weiteren Paragraphen die theologischen Anliegen der katholischen und der evangelischen Lehrtradition herausgearbeitet, die für die kontroversen Lehraussagen bestimmend waren. Ziel der Ausführungen ist es zu zeigen, dass die theologischen Grundanliegen auf der Basis der im ökumenischen Dialog erreichten Verständigung nicht als einander widersprechend betrachtet werden müssen, sondern vielmehr wechselseitig geteilt werden können. Dieses Verfahren entspricht der Methode des differenzierten Konsenses. Die Lehrdifferenzen werden dabei in sieben Unterpunkten abgehandelt, die sich wiederum systematisch drei zentralen Problemkreisen der Rechtfertigungslehre zuordnen lassen: der Frage nach dem Verhältnis von forensischer und effektiver Bedeutung der Rechtfertigung (1),

e) Differenzierter Konsens in der Auslegung der Rechtfertigungsbotschaft

der Frage nach dem Verständnis der Sünde (2) und der Frage nach dem Verhältnis von Rechtfertigung und guten Werken (3). (1) Der erste Problemkreis wird schwerpunktmäßig in den Abschnitten über „Rechtfertigung als Sündenvergebung und Gerechtmachung“ (GE 22–24) und über die „Heilsgewissheit“ (GE 34–36) verhandelt. Dabei geht es zunächst um die in der Reformationszeit heftig umstrittene Frage, ob die Rechtfertigung im lutherischen Sinne als rein forensisches Geschehen der Sündenvergebung oder aber wie in der katholischen Lehre als effektives Geschehen der Gerechtmachung zu verstehen sei. Die GE klärt diesen Konflikt, indem sie beide Aspekte zusammenführt und die gemeinsame Aussage formuliert, „dass Gott aus Gnade dem Menschen die Sünde vergibt und ihn zugleich in seinem Leben von der knechtenden Macht der Sünde befreit und ihm das neue Leben in Christus schenkt. Wenn der Mensch an Christus im Glauben teilhat, rechnet ihm Gott seine Sünde nicht an und wirkt in ihm tätige Liebe durch den Heiligen Geist“ (GE 22). Im Anschluss daran werden die Anliegen der lutherischen und katholischen Lehre benannt und zueinander in Beziehung gesetzt. Im nächsten Schritt kann nun das Thema der Heilsgewissheit, um das es in der reformatorischen Kritik an der katholischen Buß- und Ablasspraxis zentral ging, einem gemeinsamen Verständnis zugeführt werden. Als gemeinsame Aussage wird hierzu in der GE formuliert, „dass die Gläubigen sich auf die Barmherzigkeit und die Verheißungen Gottes verlassen können. Auch angesichts ihrer eigenen Schwachheit und mannigfacher Bedrohung ihres Glaubens können sie kraft des Todes und der Auferstehung Christi auf die wirksame Zusage der Gnade Gottes in Wort und Sakrament bauen und so dieser Gnade gewiss sein“(GE 34). (2) In der Frage nach dem Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung bzw. Glaube und guten Werken erreicht die GE differenzierte Konsensaussagen, die sowohl das lutherische Interesse an der durch die Rechtfertigung allein aus Gnade und allein aus Glauben begründeten Heilsgewissheit wie auch das katholische Interesse an der Effektivität der Rechtfertigung in der Erneuerung des Lebenswandels wahrnehmen. In dem Abschnitt über „Rechtfertigung durch den Glauben und aus Gnade“ (GE 25–27) wird zunächst gemeinsam bekannt, „dass der Sünder durch den Glauben an das Heilshandeln Gottes in Christus gerechtfertigt wird; dieses Heil wird ihm vom Heiligen Geist in der Taufe als Fundament seines ganzen christlichen Lebens geschenkt“ (GE 25). Der Glaube wiederum wird als Vertrauen des rechtfertigenden Glaubens auf Gottes gnädige Verheißung ausgelegt, das „die Hoffnung auf Gott und die Liebe zu ihm“ (ebd.) einschließe. In Entsprechung zu dieser Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung und Erneuerung kann in dem Abschnitt über „Gesetz und Evangelium“ (GE 31–33) eine gemeinsame Aussage über diese für lutherisches Verständnis elementare Grundunterscheidung getroffen werden. Es heißt hier, „dass der Mensch im Glauben an das Evangelium ,unabhängig von Werken des Gesetzes‘ (Röm 3,28) gerechtfertigt wird“, dass jedoch „die Gebote Gottes für den Gerechtfertigten in Geltung bleiben und dass Christus in seinem Wort und Leben den Willen Gottes, der auch für den Gerechtfertigten Richtschnur seines Handelns ist, zum Ausdruck bringt“ (GE 31–33).

Sündenvergebung und Gerechtmachung

Heilsgewissheit

Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung

Gesetz und Evangelium

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2. Gnaden- und Rechtfertigungslehre(n) Bedeutung der guten Werke

Sündersein des Gerechtfertigten

Diskussion

Zur Klärung des Verhältnisses von Rechtfertigung und Erneuerung gehört schließlich auch die Frage nach der Bedeutung der guten Werke für den gerechtfertigten Christen (vgl. GE 37–39). Sie wird der gemeinsamen Aussage zugeführt, „dass gute Werke – ein christliches Leben in Glaube, Hoffnung und Liebe – der Rechtfertigung folgen und Früchte der Rechtfertigung sind. … Diese Folge der Rechtfertigung ist für den Christen, insofern er zeitlebens gegen die Sünde kämpft, zugleich eine Verpflichtung, die er zu erfüllen hat; deshalb ermahnen Jesus und die apostolischen Schriften den Christen, Werke der Liebe zu vollbringen“ (GE 37). Damit ist allerdings die Frage nach der Verdienstlichkeit der guten Werke noch nicht geklärt, die seit der Reformationszeit von evangelischer Seite bestritten wird. Gegenüber der evangelischen Sicht wird in der GE von katholischer Seite weiter an der Rede von der Verdienstlichkeit der guten Werke festgehalten, weil diesen „nach dem biblischen Zeugnis ein Lohn im Himmel verheißen ist“ und so „die Verantwortung des Menschen für sein Handeln“ (GE 38) herausgestellt wird. Allerdings sollen damit weder der „Geschenkcharakter der guten Werke“ noch das Verständnis der Rechtfertigung als „stets unverdientes Gnadengeschenk“ (ebd.) in Abrede gestellt werden. (3) Das dritte Problemfeld betrifft das Verständnis der Sünde vor und nach der Rechtfertigung. In der GE wird zuerst die Frage nach einer vorbereitenden Mitwirkung des Menschen erörtert (vgl. GE 19–21). Gemeinsam kann hier formuliert werden, „dass der Mensch im Blick auf sein Heil völlig auf die rettende Gnade Gottes angewiesen ist. Die Freiheit, die er gegenüber den Menschen und den Dingen der Welt besitzt, ist keine Freiheit auf sein Heil hin“ (GE 19). Während die traditionelle Problemlage in dieser Frage nicht zuletzt durch die neuzeitlich-aufgeklärte Sicht menschlicher Rezeptivität überkommen ist, stellt die Frage nach dem „Sündersein des Gerechtfertigten“ (GE 28–30) auch unter modernen Bedingungen eine besondere ökumenische Herausforderung dar. Als gemeinsame Aussage formuliert die GE hierzu, dass „der Gerechtfertigte zeitlebens und unablässig auf die bedingungslos rechtfertigende Gnade Gottes angewiesen“ bleibe. Denn er sei „der immer noch andrängenden Macht und dem Zugriff der Sünde nicht entzogen (vgl. Röm 6,12–14) und des lebenslangen Kampfes gegen die Gottwidrigkeit des selbstsüchtigen Begehrens des alten Menschen nicht enthoben (vgl. Gal 5,16; Röm 7,7.10)“, obwohl „der Heilige Geist in der Taufe den Menschen mit Christus vereint, rechtfertigt und ihn wirklich erneuert“ (GE 28). Damit soll zum einen dem lutherischen Verständnis des Glaubenden als Gerechter und Sünder zugleich (simul iustus et peccator) entsprochen werden, andererseits aber im Sinne der katholischen Lehre die Erneuerung durch die Gnade nicht in Abrede gestellt werden. In der Rezeption der GE erzeugten vor allem diese Paragraphen zum Sündersein des Gerechtfertigten auf beiden Seiten heftige Kritik. Erschien der katholischen Seite schon die Rede vom „Sündersein des Gerechtfertigten“ in der Überschrift des Abschnittes nicht akzeptabel, so kritisierten lutherische Stimmen, dass auf katholischer Seite die nach der Taufe verbleibende „aus der Sünde kommende und zur Sünde drängende Neigung (Konkupiszenz) … nicht als Sünde im eigentlichen Sinne“ (GE 30) qualifiziert wird. Dass „die gottwidrige Neigung nicht die Strafe des ewigen Todes verdient und den Gerechtfertigten nicht von Gott trennt“ (ebd.) und erst die willentli-

f) Ökumenische Reichweite der evangelisch-katholischen Verständigung

che Abkehr von Gott als Sünde gilt, wie in der Erläuterung der katholischen Lehrtradition geltend gemacht wird, lässt sich mit der auf die paulinischen Aussagen in Röm 7 rekurrierenden lutherischen Einschätzung der Sünde nicht ohne Weiteres vereinbaren. An dieser Stelle führen auch die Ausführungen im Annex nicht weiter. Eine Vermittlung der theologischen Anliegen, die im Hintergrund der differierenden Einstufung der Konkupiszenz stehen, ist in der GE nicht vollständig gelungen. Eine weitere Annäherung in dieser Frage lässt sich ökumenisch-theologisch wohl nur im gemeinsamen Nachdenken über das Verständnis der Sünde erreichen. f) Ökumenische Reichweite der evangelisch-katholischen Verständigung Der evangelisch-katholische Dialog über die Rechtfertigungslehre führt in exemplarischer Weise die Grundprobleme der Rechtfertigungslehre vor Augen, die auch in anderen interkonfessionellen Dialogen über Gnade und Rechtfertigung verhandelt worden sind – zum Beispiel im anglikanisch/römisch-katholischen Dialog oder im evangelisch/orthodoxen Dialog (vgl. Maurer/66: 106–128) – oder noch zur Sprache kommen müssen. Er verdient aber auch deshalb besondere Beachtung, weil er zu einem offiziell festgestellten Konsens geführt hat, den die beteiligten Kirchen unterzeichnet haben. Die Bedeutung und Tragweite des in der GE erreichten Konsenses besteht dabei darin, dass „die Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts, soweit sie sich auf die Lehre von der Rechtfertigung beziehen, in einem neuen Licht“ (GE 41) erscheinen. Denn die in der GE „vorgelegte Lehre der lutherischen Kirchen wird nicht von den Verurteilungen des Trienter Konzils getroffen“ und umgekehrt treffen auch die Verwerfungen der lutherischen Bekenntnisschriften „die in dieser Erklärung vorgelegte Lehre der Römisch-Katholischen Kirche“ (ebd.) nicht. Die Tragfähigkeit und Reichweite des in der GE erreichten Konsenses hängt allerdings entscheidend ab von seiner Rezeption in der theologischen Forschung und Ausbildung und von der Bereitschaft der Kirchen, ihn für die Gestaltung ihres Miteinanders fruchtbar zu machen. In der GE selbst wird festgehalten, der Konsens in Grundwahrheiten müsse „sich im Leben und in der Lehre der Kirchen auswirken und bewähren“ (GE 43), wobei es allerdings noch weitere elementare Fragen zu klären gibt: „sie betreffen unter anderem das Verhältnis von Wort Gottes und kirchlicher Lehre sowie die Lehre von der Kirche, von der Autorität in ihr, von ihrer Einheit, vom Amt und von den Sakramenten, schließlich von der Beziehung zwischen Rechtfertigung und Sozialethik“ (ebd.). Während sich die Reichweite des Konsenses im Blick auf die Klärung dieser Fragen und im Blick auf das Zusammenleben der Kirchen erst ansatzweise beurteilen lässt, ist die theologische Tragfähigkeit insbesondere von zahlreichen evangelischen Universitätstheologen im deutschsprachigen Raum schon während der Rezeption durch die Kirchen bestritten worden. Zu Beginn und am Ende der Rezeptionsphase haben – erstmalig in der Geschichte evangelischer Theologie – evangelische Theologen eine Unterschriftenaktion gestartet und ihre Bedenken den Kirchen in zwei Voten zur Kenntnis gegeben. In diesen Voten wurde bestritten, dass die GE die evangelischen Grundanliegen adäquat aufnehme und einen Konsens formuliere,

Bedeutung des Dialogs

Aufgabe der Rezeption

innerevangelische Kritik

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2. Gnaden- und Rechtfertigungslehre(n)

verbindende Anliegen

Reichweite

Lehre und Frömmigkeit

in dessen Licht die Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts den gegenwärtigen Partner nicht mehr träfen. Die Einwände hier im Detail zu untersuchen, würde den Rahmen und die Aufgabe dieser Einführung in die Ökumenische Theologie sprengen. Denn um dies zu leisten, müsste sowohl die Interpretation der Aussagen in der GE wie auch die Aussageintention der traditionellen Lehrverurteilungen in ihrem zeitgenössischen Kontext überprüft und diskutiert werden. Stattdessen soll hier jenseits der Einzelfragen zum Verständnis der Rechtfertigungslehre auf einen weiteren Faktor aufmerksam gemacht werden, der für die theologische Reichweite der GE von besonderer Bedeutung ist. Er besteht darin, dass die GE in der Formulierung des gemeinsamen Verständnisses zwischen den beide Konfessionen verbindenden Anliegen des Glaubens einerseits und der sprachlichen und theologischen Ausformung dieser Anliegen andererseits unterscheidet. Die verbleibenden Unterschiede in der Lehre, die in den Aussagen des differenzierten Konsenses benannt werden, müssen – wie in der GE festgehalten wird – deshalb nicht mehr als kirchentrennend angesehen werden, weil sie jeweils von einem Aussageinteresse geleitet sind, das die andere Seite verstehen und unterstützen kann. So können die verbleibenden Unterschiede als „Unterschiede in der Sprache, der theologischen Ausgestaltung und der Akzentsetzung des Rechtfertigungsverständnisses“ (GE 40) interpretiert werden. Auf diese Weise trägt die GE zu der unter neuzeitlichen Bedingungen gewonnenen Einsicht in die Zeitbedingtheit aller theologischen Lehre bei. Vor allem aber eröffnet sie, indem sie die Reichweite kirchlicher Lehrverurteilungen beschränkt, den Spielraum für Versuche, die Bedeutung des Evangeliums jenseits der traditionellen konfessionellen Differenzen unter gegenwärtigen Bedingungen zur Geltung zu bringen. Wie nötig solche Versuche sind, hat sich in den öffentlichen Diskussionen über die GE auf allen Ebenen gezeigt. In ihnen wurde nicht nur offenkundig, dass der Begriff der Rechtfertigung in seinem biblisch-theologischen Verständnis weithin nicht bekannt ist bzw. nicht verstanden wird, es manifestierte sich auch sehr konkret, dass die konfessionellen Differenzen im Verständnis der christlichen Botschaft für katholische und evangelische Christen heute allenfalls einen marginalen Stellenwert besitzen. Der manifeste Rückgang des konfessionellen Bewusstseins in weiten Teilen Europas lässt sich dabei als eine langfristige Folge der im Zuge der europäischen Aufklärung erwachsenen Emanzipation christlicher Frömmigkeit von kirchlich als verbindlich erklärten Lehren verstehen. Dieser Emanzipationsprozess verlief im evangelischen und im katholischen Bereich zwar unterschiedlich, hat aber doch inzwischen gleichermaßen dazu geführt, dass evangelische und katholische Christen die Lehraussagen ihrer Kirchen nicht unhinterfragt hinnehmen und kirchliche Lehrverurteilungen vielfach als doktrinäre Beschneidung ihrer eigenen Wahrheitssuche empfinden. Die kritische Untersuchung der Reichweite und des Stellenwerts kirchlicher Lehrverurteilungen, wie sie die GE im Blick auf die Rechtfertigungslehre angestrengt hat, ist darum nicht nur eine theologische Voraussetzung für die Gestaltung des ökumenischen Miteinanders der Kirchen, sie ist für ein angemessenes Selbstverständnis der Kirchen unter neuzeitlichen Bedingungen längst überfällig. Entsprechend gehört die historische und systematische Re-

g) Evangelisch-orthodoxe Dialoge über das Verständnis des Heils

flexion traditioneller Lehrdifferenzen in ihrer Bedeutung für die Kirchen unter neuzeitlichen Bedingungen zu den elementaren Aufgaben neuzeitfähiger Theologie. Die Unterscheidung zwischen theologischen Anliegen, die gelebter christlicher Frömmigkeit entspringen, und den Sprachformen theologischer Lehre lässt sich dabei als ein wichtiges Instrument ökumenischer Theologie verstehen, das nicht nur in anderen Themenfeldern, sondern auch in anderen Dialogen zum Thema Rechtfertigungslehre Anwendung finden kann. g) Evangelisch-orthodoxe Dialoge über das Verständnis des Heils Anders als im rechtfertigungstheologischen Dialog zwischen den evangelischen Kirchen und der Römisch-katholischen Kirche steht in den Dialogen zwischen evangelischen und orthodoxen Kirchen zum Verständnis von Heil und Rechtfertigung die Frage an, ob von einer Synergie zwischen Gott und Mensch bei der Zueignung der Gnade zu sprechen ist und ob sich der Heilsprozess als Vergöttlichung verstehen lässt (vgl. Maurer/66: 106–118). Beide Auffassungen werden in den orthodoxen Kirchen vertreten, in den evangelischen Kirchen dagegen als problematisch empfunden. In dem ersten Gespräch zu dieser Thematik zwischen Vertretern der Russischen Orthodoxen Kirche und der Evangelisch-Lutherischen Kirche 1977 konnte bereits „ein beträchtliches Maß an Übereinstimmung im Verständnis der persönlichen Erlösung als Rechtfertigung und Vergöttlichung“ (Meyer/ 67: 102). erreicht werden. Schwierig blieb allerdings aus reformatorischer Sicht die orthodoxe Vorstellung von der Synergie bzw. dem „Zusammenwirken des Menschen mit der heilbringenden Gnade Gottes oder dessen Ablehnung“ (Meyer/67: 103). Weitere Fortschritte konnten in dem bilateralen Dialog zwischen der Rumänisch Orthodoxen Kirche und der EKD 1988 erzielt werden, wobei die Nähe zwischen Luthers Vorstellung von der Christusgemeinschaft zum orthodoxen Gedanken der Vergöttlichung bedacht wurde. Im Kommuniqué betonen beide Traditionen, „daß Gott am Menschen nicht mechanisch wirkt, sondern sein Herz gewinnen will und deshalb seinen Glauben, seine Liebe und damit seine guten Werke fordert. Eine ,Synergie der Liebe‘, die festhält, daß Gottes Liebe durch das Kreuz und die Auferstehung Christi uns zur Liebe frei macht gegen ihn, Gott und die Mitmenschen, ja die ganze Schöpfung, ist kein Kontroverspunkt“ (Schwarz/69: § 5). Eine Differenz im Verständnis der Willensfreiheit verblieb jedoch auch in diesem Dialog. Eine Vertiefung der anthropologischen Implikationen bot das Gespräch zwischen Vertretern der orthodoxen und der lutherischen Kirchen 1989 in den USA. Im lutherisch/orthodoxen Dialog konnte auf der Basis einer Erklärung über „Die ökumenischen Konzile und die Autorität der Kirche und in der Kirche“ von 1993 (vgl. DwÜ 3, S. 96–99) in einem weiteren Schritt 1995 „Das Verständnis des Heils im Lichte der ökumenischen Konzile“ (DwÜ 3, S. 99–102) thematisiert werden. Diese Erklärung markiert die differierenden Verständnisse im Blick auf die willentliche Beteiligung des Menschen im Heilsgeschehen und sieht eine weitere Prüfung der „unterschiedlichen Auffassungen von Heil als Läuterung, Erleuchtung und Verherrlichung mit Hilfe von ,synergeia‘ aus der orthodoxen Lehre und Tradition und als Rechtferti-

Heil als Vergottung?

erste Dialogergebnisse

Sünde und Gnade

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3. Fragen der Individual- und Sozialethik

Synergie?

Ausblick

gung und Heiligung mit Hilfe von ,sola fide‘ aus der lutherischen Lehre und Tradition“ (DwÜ 3, S. 103) als notwendig an. 1998 konnte nach weiterer Untersuchung der Differenzen „die entscheidenden Punkte der Übereinstimmung zwischen Lutheranern und Orthodoxen in Bezug auf das Heil mit den Unterschieden in der Akzentsetzung und Terminologie“ (DwÜ 3, S. 106) festgestellt werden. Grundlegend ist dabei die gemeinsame Aussage, dass die Menschen „wegen der Sünde aus eigenem Vermögen weder göttliche Gnade erbitten noch erlangen“ können. Gemeinsam wird weiter gelehrt, „dass die göttliche Gnade universal wirksam ist und Gott allen Menschen Gnade frei gewährt. Gottes Gnade ist nicht aus Notwendigkeit oder auf unwiderstehliche Weise wirksam, da die Menschen sie auch ablehnen können“ (DwÜ 3, S. 104, Nr. 5). Die für evangelisches Verständnis bisher problematische orthodoxe Rede von der „Synergie (…) der göttlichen Gnade und des menschlichen Willens des Glaubenden bei der Aneignung des göttlichen Lebens in Christus“ (ebd.) wird unter dem Vorsatz behandelt, dass auch die Orthodoxen „die absolute Priorität der göttlichen Gnade“ bekräftigen. Sie wird sodann dahingehend erläutert, „dass Gottes Gnade unseren menschlichen Willen dazu befähigt, sich dem göttlichen Willen zu fügen“ (DwÜ 3, S. 104 f., Nr. 5). Von den Lutheranern wiederum, die den Begriff der Synergie nicht verwenden, wird gleichwohl „die persönliche Verantwortung des Menschen bei der Annahme oder Ablehnung der göttlichen Gnade durch den Glauben und beim Wachsen im Glauben und Gehorsam gegenüber Gott“ (DwÜ 3, S. 105, Nr. 5) betont. Gemeinsam kann sodann das Heil als „reale Teilhabe durch Gnade an der Natur Gottes“ (DwÜ 3, S. 105, Nr. 6) bekräftigt werden, die „durch unsere Teilhabe an Tod und Auferstehung des Herrn“ (ebd.) geschehe. So werde „das Heil als Reinigung, Erleuchtung und Verherrlichung – auch als Vergöttlichung (qe/wsij) bezeichnet – verwirklicht“ (ebd.). Auch im Blick auf die befreiende Wirkung der Erlösung durch Christus können gemeinsame Aussagen getroffen werden. Auf der Basis der erreichten Verständigung konnten in dieser Phase des lutherisch-orthodoxen Dialogs „die entscheidenden Punkte der Übereinstimmung zwischen Lutheranern und Orthodoxen in Bezug auf das Heil mit den Unterschieden in der Akzentsetzung und Terminologie“ (DwÜ 3, S. 106, Nr. 8) festgestellt werden. Entscheidend war dabei das Verfahren des differenzierten Konsenses. Es verhalf dazu, trotz der Differenz in der Terminologie und inhaltlichen Entfaltung die Übereinstimmung in den Grundanliegen zu erkennen und auf dieser Basis gemeinsame Überzeugungen zu formulieren. Von daher empfiehlt sich die Methode des differenzierten Konsenses auch als Zugangsweise für die Themen, die weiterhin kontrovers sind und ökumenischer Verständigung bedürfen.

3. Fragen der Individual- und Sozialethik Eine stärkere Reflexion auf die Verbindung zwischen den erreichten Konvergenzen in der Rechtfertigungslehre und den Fragen der Sozialethik gilt als wichtige Herausforderung für die ökumenische Theologie. Dabei ist die große Komplexität dieses Themenkreises zu beachten (Abschnitt a). Inzwischen

a) Zur Komplexität der Thematik

gibt es eine intensive ökumenische Lerngeschichte in Fragen der Ethik auf internationaler und nationaler Ebene (Abschnitt b). Grundlegende Probleme werden gemeinsam aufgegriffen (Abschnitt c). Zukunftsperspektiven eröffnen sich, wenn Fragen der Ethik mit Aspekten der geistlichen Ökumene des Lebens verbunden werden (Abschnitt d). a) Zur Komplexität der Thematik Die Sozialethik hat heute die Aufgabe, Verantwortung wahrzunehmen angesichts der Erkenntnis struktureller Komplexität der ökonomischen, ökologischen, politischen und kulturellen Faktoren, welche sich auf die Lebensbedingungen der Geschöpfe auswirken. Angesichts der gewachsenen Einsicht in die Komplexität der Zusammenhänge ist es unabdingbar, arbeitsteilige Kooperationen nicht nur mit der christlichen Theologie, sondern darüber hinaus auch mit den Sozialwissenschaften, den Wirtschafts- und Politikwissenschaften sowie der philosophischen Ethik vorzusehen. Die Fragen der christlichen Sozialethik sind in Geschichte und Gegenwart zwar dieselben geblieben, die Rahmenbedingungen für deren mögliche Beantwortung haben sich jedoch erheblich verändert. Der Horizont hat sich erweitert: Die von den biblischen Schriften der Theologie aufgetragene Frage ist, wie das Miteinander der Geschöpfe auch unter dem Vorzeichen der Sündenverstrickung im Generationenzusammenhang so zu verbessern wäre, dass es dem Anliegen Gottes eher entspricht. Er möchte all seinen Geschöpfen nicht nur das bloße Dasein, sondern vielmehr ein durch personale Freiheit, Nachkommenschaft, Gedächtnis, Ansehen und Achtung entsprechend qualifiziertes Leben erwirken. Mit wachem Blick für die Folgen der Sünde in der Schöpfung sucht die Sozialethik nach Wegen, weltweite Gerechtigkeit durch personal verantwortete Solidarität zu fördern. Dabei sind neue Betrachtungsweisen der alten Fragen gewonnen worden – etwa der durchgängige Einbezug auch der Genderperspektive in alle Überlegungen. Die Umweltethik mit ihrem Blick auf ökologische Fragen hat heute eine Bedeutung, die etwa zu Zeiten des Zweiten Vatikanischen Konzils noch nicht voraussehbar war. Weltweite Krankheitsphänomene wie die Ausbreitung des HIV-Virus rücken die sozialethischen Themen wieder näher an die individualethischen heran. In vielen nicht-römisch-katholischen, weltweiten christlichen Gemeinschaften hat heute vor diesem Hintergrund die Beschäftigung mit Fragen der Sexualethik und dabei insbesondere mit der Betrachtung des Phänomens der Homosexualität hohe Dringlichkeit. Bei diesen Bemühungen werden eher kulturell als konfessionell begründete Differenzen offenkundig. Das alte Subsidiaritätsprinzip in der römisch-katholischen Sozialethik erfährt auf diese Weise eine Umprägung auf die nicht-institutionelle Ebene: Es ist anzuzielen, dass jene Gruppierung, die eine Frage am besten überschaut und auch Wege zu einer Antwort weiß, sich dieser vorrangig annimmt. Wir benötigen eine stärker regional, kulturgeschichtlich differenzierte Aufnahme sozialethischer Themen vor Ort. Dabei ist dann die Frage der Konfessionszugehörigkeit eine untergeordnete (vgl. Nethöfel/80; Stierle; Werner; Heider/82; Lehmann/79; Beestermöller/70; Robra/81). Weltweit gibt es solche, vor allem vom Öku-

Aufgaben der Sozialethik

neue Perspektiven

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3. Fragen der Individual- und Sozialethik

menischen Rat der Kirchen geförderte Einzelprojekte in unüberschaubarer Zahl. b) Erträge der ökumenischen Lerngeschichte ökumenische Dimension der Sozialethik

der „Konziliare Prozess“

die Dritte Europäische Ökumenische Versammlung

Die Erträge der ökumenischen Lerngeschichte bei sozialethischen Themen sind nicht ohne Bezug zur gesamtökumenischen Gesprächssituation zu beschreiben. Es gibt eine wachsende Bereitschaft, künftig alle Handlungsweisen als legitimationsbedürftig zu betrachten, die nicht in ökumenischer Verbundenheit geschehen, statt – wie zuvor – ökumenische Bemühungen vor dem Hintergrund der konfessionsspezifischen Zugänge zu einem Themenbereich eigens argumentativ zu begründen. Dies stellt einen Wandel in der Grundeinstellung dar, welcher auf internationaler Ebene erstmals um die Mitte des 20. Jahrhunderts auf der Weltkonferenz der Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung in Lund 1952 formuliert wurde. Im Bereich des diakonalen Handelns der Kirchen in den Ortsgemeinden sowie auf regionaler und überregionaler Ebene ist das sogenannte „Lund-Prinzip“ stärker verwirklicht als in anderen Grunddimensionen des kirchlichen Lebens. Auf internationaler ökumenischer Ebene thematisiert der noch andauernde „Konziliare Prozess“ weltweite sozialethische Aufgabenstellungen. Der Konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung wurde 1983 bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Vancouver ausgerufen. Das zunehmend sensibilisierte Bewusstsein für die ökologischen Krisenerscheinungen, die Erkenntnis eines wachsenden kriegerischen Gewaltpotentials sowie die Einsicht in vielfältige Strukturen von Ungerechtigkeit zwischen den Menschen, sind vorrangige Herausforderungen, in denen der christliche Glaube sich konkret zu bewähren hat. Der Gedanke, bei der Bewältigung dieser Aufgaben die ökumenische Zusammenarbeit als eine Selbstverpflichtung zu formulieren, prägt seitdem das Miteinander der Kirchen. Die Ökumene hat so an Verbindlichkeit gewonnen. In Europa fand im September 2007 in Sibiu/Hermannstadt in Rumänien die Dritte Europäische Ökumenische Versammlung statt, die wie die vorausgehenden 1989 in Basel und 1997 in Graz im Kontext des weltweiten Konziliaren Prozesses zu sehen ist. Die Träger dieser Gestalt der Ökumene in Europa sind die Konferenz der Europäischen Kirchen (KEK) und der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE). Zusammengenommen repräsentieren diese Institutionen nahezu alle christlichen Kirchen in Europa. Während die Themen der Ersten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Basel (Frieden in Gerechtigkeit) sowie der Zweiten Versammlung in Graz (Versöhnung – Gabe Gottes und Quelle neuen Lebens) noch näher an den Themen des Konziliaren Prozesses erscheinen, weist das Leitwort der Dritten Versammlung (Das Licht Christi scheint auf alle – Hoffnung auf Erneuerung und Einheit in Europa) darauf hin, dass die Ökumenische Bewegung derzeit den Weg der christologisch-soteriologischen Besinnung geht, die im größeren Zusammenhang der Bemühungen um eine geistliche Ökumene zu sehen ist. In einer Zeit, in der die Ökumenische Bewegung angesichts der unüberwindlich erscheinenden Hindernisse im Verständnis der kirchlichen Institution und der Ämter erneut in einer Krise zu sein scheint,

b) Erträge der ökumenischen Lerngeschichte

ist es wichtig, über Formen bereits gelebter christlicher Einheit (Gebet und Mission) nachzudenken, zugleich jedoch die drängend anstehende Frage der Versöhnung der Kulturen in Europa sowie die noch immer wichtigen Anliegen des Konziliaren Prozesses nicht aus dem Blick zu verlieren. Entsprechend sah das Tagesprogramm von Sibiu 2007 eine dreifache inhaltliche Ausrichtung vor: zum einen die Themen „Einheit der Kirchen“ sowie „Spiritualität und Zeugnis“, zum anderen „Europa, Religionen, Migration“, zum dritten „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“. Auf nationaler Ebene finden die „Gemeinsamen Worte“ des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zu sozialethischen Themen größere Aufmerksamkeit als Beiträge einer einzelnen Kirche. Dies zeigte sich insbesondere im Hinblick auf das am Ende eines langen Konsultationsprozesses 1997 erschienene Dokument „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ (EKD; DBK/77; vgl. auch Heimbach-Steins; Lienkamp/75), welches die wirtschaftliche und soziale Lage in Deutschland nach der Wiedervereinigung zum Thema hat. Der Versuch, in einem ergebnisoffenen Dialog nahezu alle gesellschaftlich relevanten Gruppierungen in Deutschland in einem Beratungsprozess zusammenzuführen, fand in auswertenden Stellungnahmen vielfach Anerkennung (vgl. Gabriel; Krämer/74; Hengsbach u. a./76). Auch wenn die sozialethische Theoriebildung stärker als andere Bereiche der systematischen Theologie bezogen auf die Gegenwartsanforderungen denken muss und somit insbesondere beim Wechsel politischer Verantwortlichkeiten vor immer neuen Herausforderungen steht, gelten die Ausführungen in diesem ökumenischen Dokument zu Fragen der Arbeitslosigkeit, der Familiensituation, der Armut und der Sozialkultur in Deutschland noch immer als wegweisend. Dagegen wurde der von der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz verantwortete Beitrag zum Thema „Das Soziale neu denken“ (Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen/78) aufgrund seines Einstimmens in die Schelte der scheinbar lähmenden Auswirkungen des Sozialstaatswesens sowie wegen seiner vorrangigen Wertschätzung der Eigenverantwortung der Bürger in sozialen Fragen in den Medien kaum und in der Fachliteratur weithin kritisch aufgenommen (vgl. Gabriel; Große/73). In Deutschland hat die ökumenische Zusammenarbeit der christlichen Kirchen bei der Formung von Soziallehren eine lange und gefestigte Tradition. Das Dokument „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ kann daher als eine Bündelung einzelner vorauf gegangener ökumenischer Worte im Bereich der Soziallehre gelten. Zu diesen zählen die allesamt in der Reihe der „Gemeinsamen Texte“ von EKD und DBK veröffentlichten Beiträge zu medizinethischen Fragen – beispielsweise im Bereich der Organtransplantation (1990), der Patientenverfügung (1999), der Sterbebegleitung (1996) oder der pränatalen Diagnostik (1997), ebenso wie zu wirtschaftsethischen Herausforderungen – zum Beispiel im Blick auf Eigentumsrechte (1991), die finanzielle Alterssicherung (2000) oder die Wahrung des Kulturerbes (1995). Auch der Themenbereich Migration und Flucht aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen fand – vorrangig im Jahr 1998 – in ökumenischen Worten der Kirchenleitungen Beachtung. Die europapolitische Arbeit der Kirchen in Deutschland geschieht heute weitgehend in ökumenischer Verantwortung – so dargelegt in einem gemeinsamen Wort von

„Gemeinsame Worte“ von EKD und Deutscher Bischofskonferenz (DBK)

„Gemeinsame Texte“ von EKD und DBK

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3. Fragen der Individual- und Sozialethik

individualethische und sozialethische Kompetenz

EKD und DBK aus dem Jahr 1995. Die kirchlichen Soziallehren gelten somit heute als weniger konfessionsspezifisch, als dies in Einzelfragen der Individualethik vor allem in den Themenbereichen Ehe, Familie und Sexualität spürbar ist. Eine der offenen Fragen angesichts der christlichen Soziallehren ist, wie es gelingen könnte, das christliche Zeugnis in entscheidungsrelevanten gesellschaftlichen Prozessen besser zu Gehör zu bringen. Ökumenische Verbundenheit in der Argumentation erweist sich als förderlich in den Rezeptionsprozessen. Größere Kompetenz als in sozialethischen Themenfeldern wird den Kirchen in der Regel in individualethischen Bereichen zugetraut. Dort erscheinen die Entscheidungsgrundlagen überschaubarer, auch wenn beispielsweise die verzweigten Bereiche der Bioethik heute zunehmend daran zweifeln lassen, ob diese Einschätzung zutrifft. Als schwierig erweist sich bereits, im binnenkirchlichen Raum ein differenziertes Gespräch über sozialethische Themen zu führen. Die kirchlichen Dokumente diesbezüglich sind in der Regel nicht bekannt. Die unterschiedlichen politischen Bindungen der Gemeindemitglieder sind zu berücksichtigen. In Deutschland hat sich vor allem die Arbeitsgemeinschaft der Christlichen Kirchen (ACK) der Aufgabe angenommen, sozialethische Themenkreise in ökumenischem Geist zu behandeln. Durch die gleichzeitige Option der ACK, bei christlichökumenischen Projekten wie „Lade deinen Nachbarn ein!“ auch den interreligiösen Dialog in den Blick zu nehmen, wächst die Schwierigkeit, die Komplexität der sozialethischen Fragestellungen auf eine bearbeitbare Größe zu reduzieren. Bei aller Wertschätzung der Bemühungen um ein Kennenlernen unterschiedlicher ethischer Traditionen in den Religionen bleibt die Frage, wie die biblischen Weisungen als kritischer Maßstab für genuin christliches Handeln glaubwürdig in die Begegnungen der Religionen eingebracht werden können. c) Grundlegende Herausforderungen

personale und strukturelle Dimensionen der Sünde

Die anstehenden Themen im sozialethischen Bereich können in ihrem inneren Zusammenhang erkannt werden, wenn beachtet wird, dass aus biblischer Sicht die Bewahrung und die Gestaltung des geschöpflichen Lebens Gottes Grundintention ist. Jegliche Form der Schädigung und Beeinträchtigung der Lebensrechte der Mitlebenden ist Gottes Willen zuwider. Anlass für sozialethische Reflexionen sind die begegnenden Gestalten des Bösen mit ihren nicht allein individuell-personalen Gründen. Das Böse hat Ursachen auch in vorpersonalen Verstrickungen. Zu den Voraussetzungen für ein dem Menschen entsprechendes, gelingendes Dasein zählen vor allem der Erhalt des Lebens (Schutz vor Tod, Hunger, Krankheit, Missachtung) und die Möglichkeit der Gestaltung des Lebens (Schutz der Freiheit in der Wahl des Lebensortes, der Lebensgemeinschaft, der Lebensform). Aus theologischer Perspektive betrachtet, erscheint es als biblisch gut begründet, die Suche der Menschen nach einem glückenden Leben in Gemeinschaft als gottgewollte Sinngebung des geschöpflichen Miteinanders zu begreifen. Die biblisch orientierte theologische Tradition stellt zwischen den zu beklagenden Formen des Unheils und der menschlichen Gestaltung des Lebens einen Zusammenhang her. Mit der begriffli-

c) Grundlegende Herausforderungen

chen Unterscheidung zwischen der eigenen freiheitlich gewirkten Tatsünde auf der einen Seite und den mit zu tragenden Folgen der Entscheide anderer Geschöpfe auf der anderen Seite bietet die theologische Tradition eine Hilfe dazu an, die vielgestaltigen Formen des von Menschen als unversöhnt erfahrenen Daseins zu erkennen, ihren Ursprung zu deuten und eine Verwandlung zu bewirken. Von der Gestalt der personalen Sünde und der Frage nach ihrem Grund unterscheidet die theologische Tradition die Frage nach dem Bösen, das Menschen vorgängig zu ihrer eigenen Entscheidung prägt, beeinflusst und in den Entfaltungsmöglichkeiten beschränkt. Die gegenwärtige Theologie beachtet bei der näheren Bestimmung des vorpersonalen Bösen die Kontexte, in denen Menschen solches erfahren: Die lateinamerikanische und afrikanische Befreiungstheologie spricht von der Struktur gewordenen Sünde, welche Armut, Hunger und Unfreiheit hinterlässt. Die westeuropäische und nordamerikanische Theologie bedenkt vor allem Gestalten des Unheils in Beziehungen, durch die Menschen Selbstabwertung, Lethargie und Einsamkeit erfahren. In der psychotherapeutischen Theorie und Praxis wird dem Phänomen der Daseinsangst, in die hinein Menschen sich als freiheitliche Wesen gestellt sehen, Beachtung geschenkt: Sowohl zu große Nähe als auch unfreiwillige Ferne zu anderen Menschen machen Angst; sowohl zu enge Bindung als auch ständige Beliebigkeit wirken bedrängend. In ihrer Not erfahren sich Menschen als versucht zur Selbstverkrümmung, zur symbiotischen Selbstpreisgabe, zur Untreue oder zum Besitzanspruch. All diese Zugänge zum Verständnis der Erbsünde machen auf Phänomene des Bösen aufmerksam, welche durch die Umkehr einzelner Menschen allein nicht verändert werden können, die aber das Lebensempfinden von Geburt an mitbestimmen und sich in den freiheitlichpersonalen Taten der einzelnen Menschen auswirken. Die Schöpfungsethik gilt seit längerer Zeit in der Ökumenischen Bewegung als eine vorrangig wichtige Aufgabe: Klimaveränderungen, Krankheiten und Epidemien mit ungeahnten Gefährdungen für weite Teile der Erdbevölkerung, das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten – die Liste bedrängender Fragen ließe sich fortsetzen. Die gewachsene Aufmerksamkeit auf diese Fragen verdankt sich wohl auch der Tatsache, dass unter den neuen Bedingungen der weltweiten Mobilität Gefahrenherde nicht mehr leicht lokal begrenzt werden können. Die mögliche eigene Betroffenheit von einem Problem verursacht eine veränderte Motivationslage bei der Suche nach Lösungen. In der Ökumene sind es insbesondere die Orthodoxen Kirchen, die etwa mit der liturgischen Feier des „Tages der Schöpfung“ am 1. September eines jeden Jahres diese Thematik in einer für andere Konfessionen vorbildhaften Weise im Bewusstsein halten. Die vom Ökumenischen Rat ausgerufenen Dekaden machen aufmerksam auf anstehende sozialethische Problembereiche: Nach der Dekade zur Frage der Solidarität der Kirchen mit den Frauen ist gegenwärtig die Dekade zur Überwindung von Gewalt (2001–2010) (vgl. Dekade zur Überwindung von Gewalt/71) der Anlass, in Publikationen, auf Tagungen und möglichst in vielen Gruppen und Kreisen Wege der Versöhnung zu beschreiten. Dabei zeigt sich erneut die Schwierigkeit, angesichts der Grundsätzlichkeit dieser Thematik konkrete Handlungsoptionen zu formulieren. Zunehmend erscheint es als hilfreich, überschaubare ökumenische Projekte auf ortskirchlicher Ebene

Schöpfungsethik

ökumenische Dekaden des ÖRK

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3. Fragen der Individual- und Sozialethik

zu fördern: Das christliche Zeugnis ereignet sich erst dann, wenn Konzeptionen im alltäglichen Ringen um Friedfertigkeit mit Leben erfüllt werden. d) Perspektiven für die Zukunft zukünftige Herausforderungen

Retrospektive und Prospektive

Welche Perspektiven lassen sich für eine ökumenische Sozialethik aufzeigen? Die christlichen geistlichen Traditionen lehren eine menschliche Selbstbescheidung im Hinblick auf die eigenen, wirklichkeitsverwandelnden Handlungsmöglichkeiten. Die Vergegenwärtigung des göttlichen Lebensgrundes lehrt, zwischen der Gabe des Lebens und den Wegen zu seiner Bewahrung zu unterscheiden. Gottesdienstliche Feiern in ökumenischer Gemeinschaft nehmen heute nicht selten Bezug auf die Schöpfung Gottes. Die in der Gebetstradition aller christlichen Konfessionen bewahrte schöpfungstheologische Dimension des Glaubens vermag die gemeinsame Ausrichtung auf das Wohlergehen aller Geschöpfe zu stärken. Die besondere Verbundenheit mit Israel, Gottes Volk, kommt zum Ausdruck. Die gemeinsame Anrufung des Namens Gottes in der Klage und in der Bitte führt zur Erkenntnis der Differenz zwischen dem menschlichen und dem göttlichen Vermögen: „Haucht der Mensch sein Leben aus und kehrt er zurück zur Erde, dann ist es aus mit all seinen Plänen. Wohl dem, dessen Halt der Gott Jakobs ist und der seine Hoffnung auf den Herrn, seinen Gott, setzt. Der Herr hat Himmel und Erde gemacht, das Meer und alle Geschöpfe; er hält ewig die Treue“ (Ps 146,4–6; zitiert nach der Einheitsübersetzung). Gerade im sozial-diakonischen Bereich braucht es Zeichenhandlungen, um die offenen sozialethischen Themen im öffentlichen Bewusstsein zu halten. Ökumenische Initiativen finden in der Regel mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung als von einer einzelnen Kirche getragene. Die Hilfsprogramme, die der Ökumenische Rat der Kirchen im Hinblick auf die Beseitigung von Landminen in Kriegsgebieten oder zur Entschuldung der armen Landbevölkerung in Lateinamerika fördert – um nur wenige Beispiele zu nennen –, verdienten es, noch wacher in der gesamten Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Es darf nicht sein, dass wir uns an die unüberwindlich erscheinende Not gewöhnen – solange sie dem eigenen Leib fern bleibt. Das Wissen um das Gute, welches im Namen Jesu Christi geschieht, hat zudem missionarische Wirkung. Das glaubwürdige Zeugnis ist Mission in doppelter Hinsicht: Nachfolge in der Sendung zu den Bedürftigen und Möglichkeit zum Gewinn von Menschen für ein Leben nach dem Evangelium. Es gibt in der ökumenischen Theologie zwei unterschiedliche methodische Ansätze, die beide ihr eigenes Recht haben. Es ist zum einen wichtig, die „Wunden“ anzuschauen, die im geschichtlichen Prozess der konfessionellen Spaltung gerissen worden sind. Die Fragen, die sich am Anfang stellten, gehen mit durch die Zeit und bleiben bedeutsam. Bei der Behandlung solcher Fragestellungen spielen auch nicht-theologische Faktoren eine wichtige Rolle. Es ist zum anderen wichtig, gemeinsam nach vorne zu schauen und die Aufgaben anzugehen, die vor uns liegen. Alle Kirchen sind gefordert, sich den Herausforderungen unserer Zeit zu stellen: Wie können die Lebensgrundlagen für alle gesichert werden? Wie ist es möglich, Versöhnung und Frieden unter den Völkern zu erreichen? Warum gelingt es nicht, die Arbeit gerecht zu verteilen? Wer stillt den Hunger und Durst der Bedürf-

a) Begriff(e) und Zahl der Sakramente

tigen? In welcher Weise lassen sich die Verstrickungen lösen, welche viele Menschen im Blick auf ihr Leben in Beziehungen empfinden?

4. Sakramententheologie Unter den sakramententheologischen Fragen sind solche von ökumenischer Bedeutung sehr zahlreich. Bereits der Begriff und (damit zusammenhängend) die Frage der Zahl der Sakramente ist ein Thema ökumenischer Dialoge (Abschnitt a). Eine hoffnungsvolle Perspektive in der ökumenischen Theologie ist die gemeinsame Besinnung auf das Wesen der Taufe und des Taufgedächtnisses (Abschnitt b). Auch im Bereich der Abendmahls- und Eucharistielehre gibt es hilfreiche Annäherungen (Abschnitt c). Ebenso existieren bei jenen Feiergestalten, die nicht alle Kirchen zu den Sakramenten zählen, ökumenische Konvergenzen (Abschnitt d). a) Begriff(e) und Zahl der Sakramente In den neutestamentlichen Schriften gibt es keinen Begriff, der die Zeichenhandlungen, welche in späterer Zeit in der theologischen Tradition der Kirchen als Sakramente bezeichnet wurden, zusammenfasst. Frühe lateinische Bibelübersetzungen haben das griechische Wort „mysterion“ mit „sacramentum“ übersetzt. Der Gebrauch des Begriffes „mysterion“, der zumeist mit „Geheimnis“ im Deutschen wiedergegeben wird, ist in den biblischen Schriften vielgestaltig. Als Grundbedeutungen der nicht unmissverständlichen Rede vom göttlichen „Geheimnis“ gelten: „Erwählung durch Gott“, „unergründlicher Ratschluss Gottes“, „freie, sich schenkende Liebe Gottes“. Mit „Geheimnis“ wird somit die allein von Gott selbst zu entscheidende, die Geschöpfe immer als Gabe, als Geschenk erreichende Zuwendung Gottes benannt. Es besteht kein Anspruch auf Gottes „Geheimnis“. Er allein kann es lüften. Gott allein kann sich dazu entschließen, sich als „Geheimnis“ mitzuteilen. Das „Geheimnis“ Gottes besteht nach den biblischen Schriften im Ja Gottes zu seinen Geschöpfen. Dieses Ja spricht Gott auch den Sünderinnen und Sündern zu. Die Zeugen des Lebens, des Sterbens und der Auferweckung Jesu Christi haben diese Gottesbotschaft als Evangelium, als befreiende Zusage, erkannt. Der Kolosserbrief verkündigt Jesus Christus als das offenkundig gewordene „Geheimnis Gottes“ (Kol 2,2; zitiert nach der Einheitsübersetzung). Jesus Christus ist in neutestamentlicher Perspektive das einzig(artig)e „Sakrament“ Gottes: Im Tod des Gekreuzigten wird die Tiefe der Liebe Gottes erkennbar. Das „Geheimnis der verborgenen Weisheit Gottes“ (1 Kor 2,7; zitiert nach der Einheitsübersetzung) ist in einem Menschenleben erfahrbar gewesen, und es wird in jeder Zeit durch Gottes Geist wirksam im Gedächtnis der Glaubenden bewahrt. Der kirchliche Dienst der Verkündigung dient der fortwährenden „Enthüllung“ dieses Geheimnisses Gottes (vgl. Röm 16,25; Eph 3,8). Weder Taufe und Eucharistie, noch andere Zeichenhandlungen der christlichen Gemeinde werden von den neutestamentlichen Schriften als „Mysterien“ („Sakramente“) bezeichnet. Das Wissen darum hat im 16. Jahrhundert

„Sakrament“ im Neuen Testament

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4. Sakramententheologie

Taufe und Abendmahl als Sakrament

weitere Sakramente

in der evangelischen Theologie zu einer Neubesinnung auf den Sakramentenbegriff geführt, bei der das Christusgeschehen im Mittelpunkt des Interesses stand. Auch in der römisch-katholischen Theologie ist seit vielen Jahrzehnten der Gedanke vertraut, dass Jesus Christus das „Ur-Sakrament“ Gottes ist: Gottes entschiedenste und deutlichste Selbstaussage. Gottes letztes Wort ist der Grund aller Hoffnung auf heiles, unantastbares Leben. In der evangelischen Theologie wird die Zählung von zwei Sakramenten – Taufe und Abendmahl – seit langem bevorzugt, auch wenn im 16. Jahrhundert auch andere Zählungen noch als möglich galten. In der römischkatholischen Theologie werden Gründe genannt, welche die mittelalterliche Zählung von sieben Sakramenten berechtigt erscheinen lassen. Offenheit für beide Argumentationen kennzeichnet inzwischen die Atmosphäre der ökumenischen Gespräche über diese Frage. Beide Optionen haben eigene theologiegeschichtliche Wurzeln. Taufe und Abendmahl bzw. Eucharistie gelten auch in der römisch-katholischen Theologie als besondere Sakramente (sacramenta maiora im Unterschied zu den sacramenta minora). Die Bezeichnung (nur) der Taufe und des Abendmahls als „Sakramente“ festigte sich im christlichen Altertum unter dem Einfluss des großen Theologen Augustinus († 430). Nach Augustinus müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein, damit eine kirchliche Feier als „Sakrament“ bezeichnet werden kann: Sichtbare „Materialien“ (elementum) müssen bei in der sakramentalen Handlung verwendet werden; diese erfahren im Sinne einer ausdrücklichen Weisung in den biblischen Schriften eine worthafte Deutung (verbum), durch die sich ihr gewandelter Sinn erschließt. In der Feier der Taufe wird das Hinabsteigen in das Wasser und das Wiederaufsteigen als Übergang vom Tod in das Leben gedeutet. In der Feier der Eucharistie werden Brot und Wein gewandelt, indem sie durch das Wort der Verkündigung in ihren stiftungsgemäßen Deutezusammenhang gestellt werden. Die im christlichen Altertum gegebene begriffliche Offenheit, auch andere Feiern als Taufe und Eucharistie als „Sakramente“ zu bezeichnen, hatte vielfältige Gründe. Die Neigung war zunächst nicht groß, eine präzise Abgrenzung zwischen (aus heutiger Sicht) sakramentalen und nichtsakramentalen Vollzügen vorzunehmen. Die Fußwaschung galt zum Beispiel lange Zeit als „Sakrament“, weil nach der Überlieferung des Johannes-Evangeliums Jesus am Abend vor seinem Tod den Auftrag erteilt hat, diese Zeichenhandlung zu seinem Gedächtnis zu erneuern (vgl. Joh 13,15). Das nach der Taufe nur einmal im Leben mögliche öffentliche Bußverfahren (Ausschluss aus der Eucharistie feiernden Gemeinde und Wiederaufnahme nach langen und harten Bußübungen) hatte eine große theologische Bedeutung. Das hohe Ansehen der Firmung verdankte sich der Tatsache, dass ein Bischof ihrer Feier vorstand. Die Sakramentalität der christlichen Ehe blieb lange Zeit umstritten, weil es schwer fiel, sie mit einem entsprechenden Auftragswort Jesu Christi in Verbindung zu bringen. Unterschiedliche Einflüsse waren also wirksam, bis sich der theologische Gedanke durchsetzte, die Siebenzahl der Sakramente sei auch wegen ihres symbolischen Gehalts in besonderer Weise geeignet, der theologischen Wirklichkeit gerecht zu werden. Die Zahlen „drei“ (Symbolzahl Gottes) und „vier“ (Symbolzahl des Kosmos) verbinden sich in der Zahl „sieben“ (Symbolzahl der Fülle) zu einem neuen Gesamt. Diese Symbolsprache stützt den theologischen Ge-

b) Taufe und Taufgedächtnis

danken, dass Gott sich in zeitlich-geschichtlichen Zeichenhandlungen im menschlichen Leben sinnenfällig zur Erscheinung bringt. Die römisch-katholische Theologie wirbt bis heute für die Legitimität ihrer Zählung von sieben Sakramenten, zu der sie sich auf mehreren Konzilien entschieden hat. Zugleich sind sich die Konfessionen darüber einig, dass Taufe und Abendmahl bzw. Eucharistie eine herausragende Bedeutung für das Leben der christlichen Glaubensgemeinschaft haben: In der Taufe wird der Grund der christlichen Hoffnung gefeiert und Menschen, die sich zum vertrauensvollen Glauben an Jesus Christus entschieden haben, werden in die Kirche aufgenommen. Die Feier der Taufe vollzieht eine existentielle Wende im Leben der einzelnen Gläubigen, und sie ist konstitutiv für die Bildung der Gemeinde. In der Feier der Eucharistie wird den Versammelten der Grund ihrer Hoffnung erinnernd neu gegenwärtig. Das eucharistische Gedächtnis ist wirksame Danksagung für Gottes Tat der Erlösung. Sie ist die Feier der Mitte des christlichen Bekenntnisses und unversiegbare Quelle der Kraft zu einem christlichen Leben. In der neueren römisch-katholischen Theologie wächst die Aufmerksamkeit für die sinn- trächtige Zeichenhaftigkeit alles Geschaffenen. Die ganze Welt ist Gottes „Sakrament“. Die Schönheit der Blumen in ihrer Farbenpracht, ihrem Formenreichtum und ihrem Duft sprechen von Gottes Freude an seinen Geschöpfen. Die fruchttragende Erde und die Wasserquellen lassen Gottes nährende Sorge um Pflanzen, Tiere und Menschen erleben. Die unerforschte Weite des Sternenalls weckt die Frage, in welchem Raum Gott wohnt und wo die Toten sind. In allem Lebendigen liegt ein tiefes Geheimnis verborgen.

die Frage nach der Zahl der Sakramente

b) Taufe und Taufgedächtnis Am 29. April 2007 haben – mit Ausnahme einzelner Kirchen täuferischer oder orthodoxer Tradition – die Mitgliedskirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) im Dom zu Magdeburg eine wechselseitige Anerkennung der Taufe unterzeichnet. Die gemeinsame Besinnung auf die Bedeutung der christlichen Taufe, die auch von jenen Traditionen mitgetragen wird, welche diese Unterzeichnung aus Glaubensgründen nicht vornehmen konnten, gilt als ein Hoffnungszeichen auf dem weiteren ökumenischen Weg. Die Bedeutung einzelner Dialogdokumente lässt sich auch daran ermessen, welche Rezeptionsgeschichte sie erfahren haben. Diesbezüglich sind die Konvergenzerklärungen zu den Themen „Taufe, Eucharistie und Amt“, die 1982 in Lima anlässlich einer Weltkonferenz der „Kommission für Glauben und Kirchenverfassung“ verabschiedet worden sind, bisher unvergleichlich (vgl. DWÜ 1, S. 545–585). Jahrestage dieser Erklärungen geben immer wieder Anlass dazu, nochmals die erreichten Konvergenzen zu erinnern. Vermutlich werden die Christen in ihrer Gesamtheit im Blick auf die verbliebenen Kontroversfragen in nächster Zeit einander kaum mehr so nahe kommen wie in Lima 1982. Die Lima-Konvergenzerklärungen setzen mit einer Besinnung auf die ökumenische Bedeutung der Taufe ein. Sie erinnern an die gemeinsame, christologisch-soteriologisch begründete Hoffnung aller Christinnen und

das „LimaDokument“ über Taufe, Eucharistie und Amt

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4. Sakramententheologie

Kindertaufe und Erwachsenentaufe

die Feier des Taufgedächtnisses

Christen, teilhaben zu können an der Überwindung des Todes kraft der Auferstehung Jesu Christi. Anthropologische Aspekte (Taufe und Umkehr), pneumatologische Hintergründe (Taufe als Geistmitteilung) und ekklesiologische Vertiefungen (Taufe als Aufnahme in eine Glaubensgemeinschaft) kommen zur Darstellung. Weiten Raum nimmt die Frage ein, welche Taufpraxis der biblischen Überlieferung am ehesten entsprechen könnte. In den multilateralen Dialogen sind christliche Konfessionsgemeinschaften sehr präsent, die im deutschen Kontext eher im Hintergrund stehen. Täuferische christliche Gemeinschaften (vor allem Baptisten und Mennoniten) treten für die alleinige Berechtigung der Taufe von gläubigen Erwachsenen ein und schließen die Möglichkeit einer Taufe von unmündigen Kindern aus. Das Lima-Dokument versucht in diesem Zusammenhang einen Weg zu bahnen, auf dem es zu einer wechselseitigen Tolerierung der unterschiedlichen Praxis kommen könnte. Grundlegend ist dabei die Einsicht, dass das christliche Initiationsgeschehen in personaler Perspektive niemals als abgeschlossen gelten kann: Immer handelt es sich um einen Prozess in Gemeinschaft, welcher von Gott initiiert und begleitet ist. Alle Konfessionen kennen Formen der geistlichen Begleitung des Anfangs im Glaubensweg und Gestalten der Bestärkung auf diesem Weg. Auf diese Unterschiedlichkeiten nimmt der Lima-Text Bezug: „In einigen Kirchen, die die Tradition der Kindertaufe und der Gläubigentaufe miteinander verbinden, haben sich zwei gleichberechtigte Alternativen für den Eintritt in die Kirche als möglich erwiesen: eine Struktur, bei der auf die Kindertaufe später das Glaubensbekenntnis folgt, und eine Struktur, bei der die Gläubigentaufe auf eine Darstellung und Segnung in der Kindheit folgt. Dieses Beispiel lädt andere Kirchen zur Entscheidung darüber ein, ob auch sie nicht in ihren wechselseitigen Beziehungen und in kirchlichen Unionsgesprächen gleichberechtigte Alternativen anerkennen können“ (DWÜ 1, S. 554). Bis heute ist es nicht gelungen, weltweit eine solche Gleichberechtigung in den Taufpraktiken zu erreichen. Schritte hin auf eine wechselseitige Anerkennung der Taufe konnten getan werden, doch halten insbesondere Baptisten und Mennoniten streng an der alleinigen Form der Erwachsenentaufe fest. Bei einer Konversion in diese Konfessionsgemeinschaften hinein kommt es jedoch nicht notwendig zu einer (Wieder-)Taufe – die aus ihrer Sicht ja die erste Taufe wäre –, wenn der als Kind getaufte Christ in seinem Gewissen überzeugt ist, dass diese neue Taufe in seinem Leben wirksam wurde. Die Kirchen, die Kinder taufen, sind heute bereit, nicht unterschiedslos jede und jeden zu taufen. Sie prüfen, ob wirklich gewährleistet ist, dass das Kind in gläubiger Gemeinschaft einen Weg mit Jesus Christus gehen kann. In Krisenzeiten suchen einzelne Menschen und auch größere Gemeinschaften Zuflucht zur Gegenwart Gottes durch das Gedächtnis des sinnstiftenden Ursprungs. In der Geschichte der Feier des Taufgedächtnisses spiegelt sich mit jeweils zeitbedingten Besonderheiten die Herausforderung, sich des Anfangs zu vergewissern, um den Augenblick bestehen und die Zukunft gestalten zu können. In kirchlichen Reformbewegungen wird durch die Jahrhunderte hindurch immer wieder Kritik geübt an der Folgenlosigkeit der im Säuglingsalter gefeierten Taufe. Das Taufgedächtnis kann als eine Mahnung zur Ernsthaftigkeit in der Gestalt der Christusnachfolge betrachtet werden.

c) Abendmahl und Eucharistie

Vor diesem Hintergrund ist gut verständlich, dass das Nachdenken über die Bedeutung der Taufe bei der Beschreibung der bereits bestehenden Gemeinschaft der Christinnen und Christen favorisiert wurde. Ökumenische Tauftheologien gingen den ökumenischen Taufgedächtnisfeiern voraus und bereiteten sie vor. Zugleich förderte die Liturgische Bewegung in der reformatorischen wie in der römisch-katholischen Tradition durch ihre Neubesinnung auf die Osternachtfeier das Bewusstsein für die Relevanz des Taufgedächtnisses. Feiergestalten und theologische Reflexion bereicherten sich wechselseitig. Doch brauchte es lange, bis konfessionsverbindende Taufgedächtnisfeiern möglich wurden. Liturgische Feiern sind eine noch junge Form der Ökumene, welche gerade in jüngerer Zeit wieder umstritten ist. Insbesondere ekklesiologische Kontroversen erschweren die Verständigung auf eine konkrete Feiergestalt. Im Blick auf das Taufgedächtnis kommt die Problematik hinzu, dass die Anerkennung der in anderen christlichen Traditionen gefeierten Taufe ein Desiderat ist nicht nur im Gespräch mit den kirchlichen Gemeinschaften, die allein erwachsene Gläubige taufen, sondern auch in Gesprächen mit der Orthodoxie. Dennoch kann das Taufgedächtnis derzeit als die wohl hoffnungsvollste Perspektive der gegenwärtigen ökumenischen Bemühungen gelten. Bei ökumenischen Anlässen wird diese Feierform immer häufiger gewählt, um das zwischen der Christenheit bereits bestehende sakramentale Band zu bezeichnen. c) Abendmahl und Eucharistie Der Themenbereich Abendmahl und Eucharistie gehört aus der Sicht vieler Menschen zu den wichtigsten Fragen der Ökumene. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich (1) auf die Darstellung der Grundlinien in der konfessionell unterschiedlichen Argumentation, Eucharistie- und Abendmahlsgemeinschaft zu gewähren oder auszuschließen, sowie (2) auf eine Skizze der erreichten ökumenischen Verständigungen bei inhaltlichen Fragen der Abendmahls- und Eucharistielehre. (1) Die rechtlichen Bestimmungen in den evangelischen und östlich-orthodoxen Kirchen sowie in der Römisch-Katholischen Kirche basieren allesamt auf der gemeinsamen Grundaussage, dass die Eucharistiegemeinschaft von Getauften eine Übereinstimmung in den Grundaussagen des christlichen Glaubens zur Voraussetzung hat, demnach Kirchengemeinschaft und Eucharistiegemeinschaft in einem inneren, theologisch begründeten Zusammenhang stehen. Die konfessionellen Differenzen zum einen in der Frage einer gastweisen, als Ausnahmeregelung verstandenen Zulassung von Christen aus fremden Konfessionen zur eigenen eucharistischen Feier, zum anderen im Blick auf die Erlaubnis für die eigenen Kirchenangehörigen, an eucharistischen Feiern anderer Konfessionen teilzunehmen, ergeben sich aus unterschiedlichen Akzentsetzungen: Die evangelischen Kirchen lassen die Gewissensentscheidung der Getauften gelten und verweigern niemandem die Teilhabe an dem eucharistischen Mahl, zu dem Jesus Christus selbst einlädt. Die Katholische Kirche benennt Notsituationen, in denen das Wohl der Einzelnen höher zu bewerten ist als eine Befolgung der Regel. Die Orthodoxen Kirchen kennen solche Ausnahmeregelungen nicht.

Abendmahlsgemeinschaft und Kirchengemeinschaft

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4. Sakramententheologie

Abendmahlsgemeinschaft und Amt

Folgende Prinzipien lassen sich in der konfessionell unterschiedlichen Argumentation erkennen: (a) Kirchengemeinschaft im Zeichen der Eucharistiegemeinschaft: Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der noch nicht bestehenden Kirchengemeinschaft und der Feier der Eucharistie wird viel diskutiert. Die Positionen sind kontrovers. Dabei ist der theologische Grundsatz, eucharistische Gemeinschaft setze das Bestehen von Glaubensgemeinschaft voraus, eines bedinge das andere, zwischen den Konfessionen nicht strittig. Eine rein und allein auf die Individuen bezogene Bestimmung der Voraussetzungen zur eucharistischen Gemeinschaft vertritt aus gutem biblischem Grund keine der Konfessionsgemeinschaften: Die eucharistische Feier ist Feier bestehender, von Gott gewirkter Gemeinschaft. Unversöhnliche Zwietracht ist dem Wesen der eucharistischen Feier zuwider. (b) Amt und Eucharistie: Wichtig ist zu beachten, dass die kirchenamtlichen Texte bei ihrer Problematisierung der interkonfessionellen eucharistischen Communio nicht primär mit Aspekten der Eucharistietheologie im engeren Sinne argumentieren; kontroverse Fragen des Eucharistieverständnisses sind somit nicht vorrangig der Grund für die Zurückweisung des Wunsches nach Eucharistiegemeinschaft. Es sind ungelöste Fragen des Kirchen- und des Amtsverständnisses, welche die eucharistische Gemeinschaft verhindern. (c) Pastorale Notlagen: In den nachkonziliaren kirchenrechtlichen Bestimmungen über die Eucharistiegemeinschaft wird die Amtsfrage zum entscheidenden Differenzpunkt. Bei allen Regelungen gilt, dass Ausnahmesituationen bestehen müssen, wenn Eucharistiegemeinschaft gewährt wird; eine starke Not muss dazu drängen, damit nicht-römisch-katholischen Christen und Christinnen Eucharistiegemeinschaft in Verbindung mit dem Bußsakrament und der Krankensalbung gewährt werden kann. Im Blick auf die reformatorischen Kirchen ist einzig die Zulassung einzelner evangelischer Christinnen und Christen zur römisch-katholischen Eucharistiefeier erlaubt, eine Teilhabe römisch-katholischer Christinnen und Christen an evangelischen Abendmahlsfeiern gilt dagegen als kategorisch ausgeschlossen. Die Bedingungen, unter denen evangelischen Gläubigen die „communicatio in sacris“ gewährt werden kann, lauten konkret: „Wenn Todesgefahr besteht oder wenn nach dem Urteil des Diözesanbischofs bzw. der Bischofskonferenz eine andere schwere Notlage dazu drängt, spenden katholische Spender diese Sakramente [gemeint sind Buße, Eucharistie und Krankensalbung] erlaubt auch den übrigen nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehenden Christen, die einen Spender der eigenen Gemeinschaft nicht aufsuchen können und von sich aus darum bitten, sofern sie bezüglich dieser Sakramente den katholischen Glauben bekunden und in rechter Weise disponiert sind“ (CIC/ 1983, can. 844,4). (d) Gewissensentscheidung: Die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland in Würzburg (1971–75) hat das Votum formuliert, Menschen die Gewissensentscheidung zuzugestehen, ob sie am eucharistischen Mahl anderer Konfessionen teilhaben möchten. Dieses Votum wurde universalkirchlich zurückgewiesen. Die Berufung auf das eigene Gewissen leitet gleichwohl das Handeln vieler Menschen in den Gemeinden. (e) Jesus lädt ein: Die evangelischen Kirchen berufen sich in ihrer eucharistischen Gastfreundschaft vor allem auf das Argument, nicht selbst „Herr“ dieses Mahles zu sein, sondern die offene

c) Abendmahl und Eucharistie

Einladung Jesu Christi weiterzusagen. Die in der Abendmahlsüberlieferung verwahrte Aufforderung „Esst alle davon“ und „Trinkt alle daraus“ wird im Sinne eines Gebotes verstanden, niemanden auszuschließen, der sich vom Herrn selbst als eingeladen empfindet. (2) In der ökumenischen Theologie wird weithin der Aussage zugestimmt, dass eine Verständigung über alle inhaltlichen Fragen der Eucharistielehre auf der Basis einer gemeinsamen Auslegung der biblischen Schriften und in Achtung der verbindlichen Grundlagen der konfessionellen Theologien heute möglich ist. Zu den bis heute umstrittenen ökumenischen Fragen gehört die Problematik des „Opfercharakters“ der Eucharistie. Ihre gedankliche Unterscheidung von der Frage der eucharistischen Präsenz Jesu Christi steht in der Tradition des Trienter Konzils, welches sich in zwei separaten Dokumenten mit dem „Sakrament der Eucharistie“ (vgl. DH 1651–1661) und mit dem „Eucharistischen Opfer“ (vgl. DH 1751–1759) befasst hat. Im gegenwärtigen ökumenischen Gespräch wird dagegen die Zusammengehörigkeit beider Themenbereiche betont. Das eine Opfer, das Kreuzesopfer Jesu Christi, seine liebende Lebenshingabe, wird in der Mahlfeier der Gemeinde sakramental gegenwärtig in Gestalt eines repräsentierenden Gedächtnisses. Das eucharistische Opfer ist die sakramentale Vergegenwärtigung der liebenden Lebenshingabe Jesu Christi in der (Mahl-)Feier und im Leben der Kirche. Die Einmaligkeit und Einzigartigkeit des Selbstopfers Jesu Christi in seinem Leben und Sterben ist die unbestrittene Grundlage aller Überlegungen zum Opfercharakter der Eucharistie. In seinem Lebensopfer ist Jesus Christus Priester und Opfergabe zugleich, er wird zum Hohenpriester schlechthin. Sein Pascha ist der Durchgang durch das Leid in die endgültige Herrlichkeit und macht seine Selbsthingabe zu einem dauernden „Für-uns-sein“. In der Handlung des Abendmahles und in den deutenden Worten ist diese freiwillige Hingabe interpretiert und proklamiert, und in der Darreichung der eucharistischen Gaben zur Speisung wird sie der heutigen Gemeinde repräsentiert und appliziert. Die Eucharistiefeier vergegenwärtigt so die Wirklichkeit des Kreuzesopfers im Sinne der sakramentalen Memoria. Sie ist kein Opfer in sich, neben oder zusätzlich zum Kreuz. Das Anliegen der römisch-katholischen Seite, auch von einem „Opfer der Kirche“ zu sprechen, wird im gegenwärtigen Gespräch gemeinsam aufgegriffen: Eingebunden in eine pneumatologische Argumentation erscheint das „Opfer der Kirche“ als geistgewirkte Teilhabe der Gemeinde an der absteigenden (katabatischen) und aufsteigenden (anabatischen) Linie des Opfers Jesu Christi. In ihm empfängt die Kirche alles vom Vater und schenkt sich gleich ihm allen Menschen. „Opfer der Kirche meint also nicht Darbringung einer uns gegenüberstehenden heiligen Gabe auf dem Altar an Gott durch die Hand des menschlichen Priesters, sondern Eingehen der Kirche in die Hingabe Jesu Christi, d. h. Darbringung unserer selbst durch, mit und in Jesus Christus als lebendige Opfergabe“ (Abschließender Bericht, S. 237). In ihrer Menschenliebe, ihrem „Kult des Lebensopfers“ bringt die Kirche Gott ein Opfer des Lobes dar, indem sie im Geist Gottes hinein genommen wird in die liebende und vertrauende Beziehung des Sohnes zum Vater.

die Eucharistie als „Opfer“?

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4. Sakramententheologie Verbundenheit von Lebenden und Toten in der Feier der Eucharistie

die Frage der Realpräsenz

das Problem der Transsubstantation

Die Bundeswilligkeit, Gemeinschaftstreue, Communio-Bereitschaft Gottes besteht in jeder Zeit; sie ist Gegenwart. Im gläubigen Wissen um Gottes unverbrüchliche Beziehungswilligkeit ist die Gemeinschaft aller Geschöpfe als eine versöhnte anzunehmen: Keine Feindschaft kann so tief gehen, dass sie zu einer Preisgabe der Suche nach gelingender Gemeinschaft legitimierte. Die noch lebenden Menschen und auch die Toten, von deren Bedeutsamkeit für die Konstitution unseres eschatologischen Auferstehungsleibes wir wissen, sind eingeschlossen in die versöhnte Gemeinschaft der Glaubenden. An der eucharistischen Gemeinschaft haben auch die Toten teil. Gedächtnis der Toten geschieht im anerkennenden Wissen um die Formung unseres Leibes durch die Mitgeschöpfe. Ich werden wir am Du. Wir gehören auf ewig zusammen. Noch unvollendet sind die Formen der Gemeinschaft, die wir zu Lebzeiten miteinander gestalten. Das eucharistische Totengedächtnis, in dem die Situation des noch unvollendeten Gemeinschaftslebens erinnert wird, ist eine wirksame Vergegenwärtigung: Sie verwandelt die bestehende Gestalt der Beziehung zwischen Lebenden und Toten. Liebendes Gedenken soll sein. Die Toten, die bei Gott sind, erfahren sich als mit ihrem Leben in Erinnerung. Versöhnung ist möglich über die Grenzen des Todes hinaus. Im 16. Jahrhundert war die Frage nach dem rechten Verständnis der Gegenwart Jesu Christi im eucharistischen Mahl heftig umstritten, und dies sowohl innerreformatorisch zwischen Martin Luther und Huldrych Zwingli als auch zwischen den Anhängern des „neuen Glaubens“ und den „altgläubigen“ Theologen, welche Einfluss nahmen auf die Lehre des Trienter Konzils. Die differenzierte Argumentation der damaligen Kontrahenten wurde im gegenwärtigen ökumenischen Gespräch eingehend untersucht. Dabei zeigte sich, dass man im Reformationszeitalter drei Lehrgestalten in der Frage der eucharistischen Präsenz des erhöhten Herrn unterscheiden kann: die lutherische, die katholische – an Thomas von Aquin orientierte – und die reformierte. Alle drei Lehrgestalten haben theologische Stärken und Schwächen; sie haben Gemeinsamkeiten und signifikante Unterschiede. Seit dem 16. Jahrhundert sind nicht nur katholische Theologen mit evangelischen über eucharistietheologische Fragen im Gespräch, sondern auch Vertreter der einzelnen reformatorischen Traditionen untereinander. Im europäischen Raum führten insbesondere die theologischen Gespräche zwischen den evangelischen Kirchen im Vorfeld der Leuenberger Konkordie von 1973 zu Annäherungen der Standorte und zur Aufnahme einer weitgehenden innerreformatorischen Kanzel- und Altargemeinschaft. Das primäre Anliegen Martin Luthers bei seiner Ablehnung des Begriffs „Transsubstantiation“ war es, sich gegen den scheinbar von den altgläubigen Theologen erhobenen Anspruch zur Wehr zu setzen, sie verfügten über ein philosophisches Denkmodell, welches die eucharistische Gegenwart Jesu Christi erklären könne. Martin Luther leugnete weder die „reale“ Präsenz des Erhöhten in der eucharistischen Feier noch die Vorstellung von der „Wandlung“ der Mahlgaben. Er erklärte die Möglichkeit der „realen“ Präsenz Jesu Christi beim eucharistischen Mahl unter Rückgriff auf den Gedanken der „Ubiquität“ des Gottessohnes, seine „Allgegenwart“ im Leben der Schöpfung. Luther lehrte zudem ein Verständnis, das in der späteren Diskus-

c) Abendmahl und Eucharistie

sion als „Konsubstantiation“ bezeichnet wurde, indem er vom Erhalt der „Substanz“ des Brotes und des Weines auch nach ihrer Verwandlung in die Substanz des Leibes und Blutes Jesu Christi ausging. Luther wollte auf diese Weise einerseits der Realpräsenz Jesu Christi im Abendmahl und andererseits dem Augenschein Rechnung tragen, wonach die Brotgestalt und die Weingestalt ja auch nach der Wandlung fortbestehen. Luther verkannte allerdings, dass die scholastische Bestimmung des Begriffs Substanz gerade nicht die sinnlich erfahrbare, äußere Erscheinung der Dinge meinte, sondern ihr inneres Wesen, ihr eigentliches Sein. Die reformierte Tradition lehrt – im Anschluss an Huldrych Zwingli und Johannes Calvin – ebenfalls die wahre Gegenwart des erhöhten Herrn, wenn die Gemeinde Mahl feiert. Anders als die lutherische Theologie lehnt die reformierte jedoch die Vorstellung der „Ubiquität“ des menschgewordenen Gottessohnes ab und argumentiert stattdessen auch im eucharistischen Zusammenhang pneumatologisch. Philosophische Spekulationen über die Möglichkeit der Präsenz des Erhöhten bei der Mahlfeier weisen reformierte Theologen zurück. Aufs Ganze gesehen lässt sich bei ihnen die Tendenz nachweisen, die Gegenwart Jesu Christi auf das Mahlgeschehen zu beziehen und eine Konzentration auf die Vorstellung einer „realen Präsenz“ in den gewandelten Mahlgaben als nicht zulässig zu betrachten. Im heutigen ökumenischen Gespräch wirkt sich entlastend aus, dass das Trienter Konzil das Denkmodell der „Transsubstantiation“ zwar als „sehr geeignete/sehr treffende“ („aptissime“: vgl. DH 1652) Redeweise vom Zustandekommen der eucharistischen Realpräsenz bezeichnet hat, damit aber offen ließ, ob nicht auch andere Zugänge zum Verständnis der Gegenwart Jesu Christi im eucharistischen Mahlgeschehen möglich sind – bzw. unter gewandelten Verstehensbedingungen eher als geeignet betrachtet werden müssen. Von daher ist es im Sinne des Trienter Konzils, wenn die christlichen Konfessionen heute gemeinsam nach neuen Wegen suchen und gerade in Modellen, welche auf der Basis der relationalen Ontologie argumentieren, eine gemeinsame Grundlage sehen. Das Mittelalter hat sich sehr schwer getan, die Eucharistie mit angemessener Begrifflichkeit zu beschreiben, weil man sich weitgehend der Begriffe der aristotelischen Naturphilosophie bediente. Mit „Substanz und Akzidentien“ eine personale Beziehung, eine liebende Gemeinsamkeit, zu beschreiben, ist aber fast unmöglich. Bernhard Welte hat darum schon 1959 in einem sehr knappen aber gut durchdachten Diskussionsbeitrag zum Eucharistieverständnis angeregt, statt „Christus wird Speise“ zu sagen: „Der Tod des Herrn wird im Sakrament gegenwärtig als Mahl.“ Es geht Welte darum, Person und Ereignis in ihrer notwendigen („substantialen“) Verbindung zu sehen, das Personsein Jesu Christi als geschichtliches Sein ernst zu nehmen, und die Gesamtheit seines Lebensvollzuges in diesem Ausdruck „Tod des Herrn“ zusammenzufassen. Entsprechend will er auch die eucharistische Speise nicht isoliert „an sich“, sondern im Zusammenhang des Mahles und wesentlich in Beziehung zu den Glaubenden verstanden wissen. Person und Speise sind also jeweils eingebettet in den Vorgang, das Geschehen der Todeshingabe bzw. des Mahles. Für dieses Denken gewinnt die Kategorie der „Beziehung“ eine konstitutive Bedeutung: Das Sein des Menschen, das Sein der Dinge, das Sein des Mahles und der Speise, ist wesentlich bestimmt

ökumenische Annäherungen

moderne Neuansätze

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4. Sakramententheologie

Krankenkommunion

Kommunion unter doppelter Gestalt

durch die Beziehung (Relation), in die es zu Jesus und zu uns gesetzt wird. Weil es um ein personales Geschehen geht, letztlich um liebende Gemeinschaft, deshalb ist eine personale, relationale Terminologie hilfreicher als der Gebrauch von naturphilosophischen Begriffen und sachhaften Kategorien, die zu dem Missverständnis verleiten können, es gehe um räumliche Vorhandenheit eines Körpers. Vom christlichen Altertum an hat die eucharistische Gemeinschaft sich als eine Gemeinschaft von Lebenden und Verstorbenen, Gesunden und Kranken verstanden. Die Sorge um die Teilhabe auch derjenigen Glieder der Gemeinde an der Eucharistie, die ihr unverschuldet fernbleiben müssen, gilt in der kirchlichen Tradition als ein Erweis der tätigen Liebe. Es besteht Übereinstimmung in den ökumenischen Gesprächen, dass die Gegenwart Jesu Christi in den Zeichen des Mahles fortbesteht, wenn die Mahlgaben stiftungsgemäß verwendet werden. Die Aufbewahrung der bei der eucharistischen Versammlung der Ortsgemeinden übrig gebliebenen Mahlgaben steht in diesem theologischen Zusammenhang. Auch die evangelischen Kirchenleitungen ermahnen die Gemeinden zu einem sorgsamen Umgang mit den Mahlgaben. Seit dem 16. Jahrhundert bereits besteht zwischen evangelischen und römisch-katholischen Theologen Einigkeit in der Auffassung, dass in der Feier der Eucharistie durch die Gemeinschaft des gebrochenen Brotes und durch die Teilhabe an dem einen Becher stiftungsgemäß und sinnenfällig die in Christus Jesus erwirkte Versöhnung mit Gott sakramental zum Ausdruck kommt. Auch in der Brotkommunion allein ist nach evangelischer Auffassung der gesamte Leib Christi leibhaftig gegenwärtig, doch ist die zeichenhafte Darstellung dieser erlösenden Gemeinschaft in der Kelchkommunion eine den Willen Jesu Christi achtende Verstärkung der Ausdruckskraft der eucharistischen Mahlhandlung. Die Teilhabe nicht nur der amtlichen Vorsteher sondern der gesamten Gemeinde an dem einen eucharistischen Becher zeigt die Verbundenheit aller Getauften mit Jesus Christus. Im ökumenischen Gespräch wird schließlich auch die Frage der Häufigkeit der eucharistischen Feiern besprochen. Dabei zeichnet sich eine Verständigung darüber ab, im Sinne der biblischen Tradition den ersten Tag der Woche als primäre Zeit für das eucharistische Gedächtnis des Ostergeheimnisses vorzusehen. Nicht unproblematisch erscheinen daher zum einen die Tradition nur gelegentlicher Abendmahlsfeiern an wenigen Hochfesten im Jahreskreis in kleiner Gemeinschaft im Altarraum nach dem Wortgottesdienst der Gemeinde in den evangelischen Kirchen, zum anderen die häufige Werktagseucharistie im römisch-katholischen Raum, die nicht selten vor allem in den Kontext der spirituellen Formung der Priester gerückt wird. Gemeinsam besteht in der Ökumene das Bemühen – nach dem Vorbild der Orthodoxen Kirchen – auch in den Ortsgemeinden an den Wochentagen die Stundenliturgie stärker vertraut zu machen. d) Weitere (sakramentale) Zeichenhandlungen Auch wenn die Ehe, das Amt, die Buße, die Krankensalbung und die Firmung bzw. Konfirmation nach dem evangelischen Sprachgebrauch nicht als „Sakramente“ bezeichnet werden, so gibt es jedoch auch in der evangeli-

d) Weitere (sakramentale) Zeichenhandlungen

schen Glaubenspraxis Zeichenhandlungen und liturgische Feiern, deren Anlässe denen entsprechen, bei denen die Katholische Kirche Sakramente feiert. Die gläubigen Deutungen dieser existentiellen Situationen sind einander ähnlich. Da zum Verständnis der Ehe (II. 2. b) und des Amtes (II. 5) an anderer Stelle in dieser Einführung Auskünfte gegeben sind, folgen nun noch Hinweise auf (1) die Konfirmation bzw. das Sakrament der Firmung, (2) die Buße bzw. das Sakrament der Versöhnung und (3) die Krankensegnung bzw. das Sakrament der Krankensalbung. (1) Im römisch-katholischen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff Firmung eine sakramentale gottesdienstliche Feier, deren vorrangiger Gehalt die Bekräftigung und Bestärkung der in der Taufe vollzogenen Aufnahme in die christliche Glaubensgemeinschaft darstellt. Viele der Anfragen an die Geschichte und Gegenwart der römisch-katholischen Firmpraxis weisen große Ähnlichkeiten zu jenen auf, die sich auch an die Feier der Konfirmation richten: Welche biblischen Begründungen sind gegeben? Wie ist das Verhältnis zwischen Taufe und Firmung? Welches Alter der Firmbewerberinnen und Firmbewerber entspricht am ehesten den theologischen Grundlagen? Welche Vorbereitung ist angeraten? Wer sollte der Vorsteher der gottesdienstlichen Feier sein? Wie bei kaum einem anderen Sakrament werden im Blick auf die Firmung die offenen theologischen Fragen von allen theologischen Fachrichtungen gestellt. In den ökumenischen Gesprächen über die Firmung bzw. Konfirmation fand eine weitgehende Klärung der biblischen Bezüge für diese kirchliche Handlung statt: Neben dem Wasserbad in der Taufe kennt das Neue Testament weitere Zeichenhandlungen, welche eine Vergewisserung der neuen Existenz der Getauften in der Christusgemeinschaft symbolisieren. Zu diesen Gesten gehören von frühester Zeit an die Handauflegung (vgl. Apg 8,17) und die Salbung (vgl. 1 Joh 2,20.27), in nachneutestamentlicher Zeit auch die Bezeichnung mit dem Kreuz (in Aufnahme von Eph 1,13). Waschungen und Tauchbäder allein wurden damals möglicherweise als zu wenig eindeutig im Sinne der christlichen Initiation betrachtet. Erst nach der Konsolidierung der Säuglingstaufe im 3. und 4. Jahrhundert etablierte sich im Westen die vor allem ekklesiologisch motivierte Praxis, nach der Taufe durch den Ortsgemeindeleiter deren Bekräftigung durch einen überregional tätigen Amtsträger, den Bischof, vorzusehen. Die östliche liturgische Tradition hielt an der Einheit der Initiationssakramente fest und feiert bis heute die Myronsalbung im unmittelbaren Anschluss an die Taufe und vor der Gabe der Eucharistie bereits im Säuglingsalter. Die im Reformationszeitalter erhobenen Einwände gegen das Verständnis und die Praxis der Firmung (vgl. WA 6, S. 549) erfahren durch das Trienter Konzil (vgl. DH 1628–1630) eine Gegenrede. Die damals aufgebrochenen ökumenischen Kontroversen werden heute vor allem auf der Basis exegetischer, historischer und praktisch-theologischer Erkenntnisse gemeinsam neu betrachtet: Die Frage der Sakramentalität der Firmung wird im Zusammenhang der gewachsenen ökumenischen Sensibilität für die Unbestimmtheit des Sakramentenbegriffs besprochen. Einmütigkeit besteht darüber, dass die Firmung nicht als eine Einschränkung der Wirksamkeit der Taufe betrachtet werden darf. Durch Reformen im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils (vgl. LG 26; CIC, Canon 883) ist es auch in der römisch-katholischen

Firmung und Konfirmation

historische und biblische Ursprünge

die Bezeichnung als Sakrament

Spender der Firmung

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4. Sakramententheologie

Buße und Versöhnung

geschichtliche Wandlungen

Praxis erleichtert, nicht allein den Bischof als den Vorsteher der Feier der Firmung vorzusehen. Bei einer Erwachsenentaufe ist im römisch-katholischen liturgischen Ritus die traditionsreiche Reihenfolge der Sakramente Taufe, Firmung und Eucharistie in einer gottesdienstlichen Feier, der ein dazu beauftragter Priester vorsteht, gewahrt. Gemeinsam stehen die Konfessionsgemeinschaften in vielen Regionen weltweit vor der großen pastoralen Herausforderung, das im Säuglingsalter beginnende Geschehen der Hineinnahme in die Glaubensgemeinschaft in entwicklungspsychologisch angemessenen Formen der Katechese zu begleiten. Viele Konzepte sehen dabei eine Verstärkung des Anteils diakonischer Aspekte vor, während bisher die Unterrichtung in der christlichen Glaubenslehre und die Hinführung zu gottesdienstlichen Feiern im Vordergrund standen. Ausarbeitungen zu einer stärker ökumenisch ausgerichteten Zeit der Vorbereitung auf die Firmung sind ein Desiderat, das dringend erfüllt werden sollte. (2) Unter dem Begriff Buße ist das menschliche Bemühen um die Erneuerung des eigenen Lebens in Anerkenntnis der unheilen Folgen früherer Taten zu verstehen. Buße setzt Einsicht in Geschehenes, Bereitschaft zur Umkehr und Zutrauen zu Veränderungen voraus. Sie geschieht immer im Blick auf das Leben eines Menschen im Zusammensein mit anderen Geschöpfen. Auf der Basis dieses Grundverständnisses haben sich die Formen der Buße in der biblischen und nachbiblischen Zeit sehr deutlich gewandelt. Das metaphorische Leitbild der Buße in biblischer Zeit ist die Rückkehr oder Umkehr (hebr.: schub). In dieser Bildrede ist die Erfahrung verwahrt, dass Menschen Erkenntnis über eingeschlagene Irrwege gewinnen und sich wieder auf Bewährtes besinnen können. Für Israel ist das Erleben, von JHWH in die Freiheit geführt worden zu sein, der beständige Bezugspunkt der Buße in jenen Zeiten, in denen andere Götter nur scheinbar erfüllendes Leben gewähren. JHWH mahnt in seiner Weisung (Tora, Zehngebot), das Leben der Mitmenschen nicht zu bedrohen. Gottesliebe und Nächstenliebe bedingen einander wechselseitig und bilden den Orientierungspunkt der Buße im biblischen Sinn. Der Ruf nach Buße in den neutestamentlichen Schriften steht in der Tradition der Gerichtspredigt der Propheten. Der Grund für eine mögliche Umkehr der Lebenssicht (griech.: metanoia) ist die Erfahrung Gottes, welche in der Gestalt des auch im Sterben noch zur Versöhnung bereiten Jesus nach christlicher Sicht eine letzte, gewisse Gestalt gefunden hat. Von der Frühzeit der christlichen Gemeinden an gilt die Taufe als die Grundgestalt der Buße In ihr wird der Glaube an Jesus Christus in seiner das Leben wandelnden Wirksamkeit gefeiert: Die Wasser des Todes, in welche die Taufbewerber und -bewerberinnen hinabsteigen, können sie nicht halten. Mit Christus Jesus erstehen sie zu einem neuen Leben, das sich in seinem Geist als unbedingte Versöhnungsbereitschaft selbst Feinden gegenüber erweist. Angesichts der Radikalität der Buße in der Taufe erschien es den frühen christlichen Gemeinden zunächst als kaum vorstellbar, jenen Menschen, die sich nach der Taufe einer schweren Sünde schuldig erkannten, nochmals den Weg der Buße zu eröffnen. Erfahrungen bereits im frühen christlichen Gemeindeleben lehrten, dass es Menschen schwer fällt, ihr gesamtes Leben als lebendiges Zeugnis für die in Jesus Christus erschienene Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes zu gestalten. Öffentliche Verfahren waren erforderlich, um Sünderinnen und

d) Weitere (sakramentale) Zeichenhandlungen

Sündern in den eigenen Reihen einen Weg der Buße zu ermöglichen. In den ersten Jahrhunderten war das hervortretende Zeichen der Buße der zeitweise Ausschluss aus der eucharistiefeiernden Gemeinde. Durch ein Bekenntnis (Beichte) vor dem Leiter der Gemeinde klagten sich die Getauften einer Sünde an. Eine Folge von Bußübungen wurde entsprechend der Schwere der Verfehlung auferlegt, an deren Ende die Feier der Wiederaufnahme in die Gemeinde stand (Buße im Sinne der Exkommunikation und Rekonziliation). Im frühen Mittelalter fand eine Gestalt der Buße Eingang in das kirchliche Leben, deren Wurzeln in der Tradition der Mönche liegen: Menschen suchten und fanden in Gesprächen über schuldhaft erlebte Vorgänge in ihrem Leben Orientierung im Blick auf die Erneuerung ihres Daseins. Charismatisch begabte geistliche Begleiter gingen die oft langen Wege der Buße mit. Die Buße wurde zu einer beständig geforderten geistlichen Übung, bei der das Bekenntnis (die Beichte) die Voraussetzung für die Anteilnahme des geistlichen Begleiters an den Lebenswegen eines Getauften bildete. Die Auflagen, die zu einer Erneuerung des Lebens führen sollten, nahmen in dieser Zeit allerdings eine stärker formalisierte Gestalt an. In Bußbüchern waren Bußübungen nach Tarifen gesondert nachzulesen, deren Erfüllung die Berechtigung zur vollen Teilnahme am Gemeindeleben verlieh. Die Reform der kirchlichen Feiern der Buße war eines der zentralen Anliegen von Martin Luther. Ihm lag daran, die Buße nicht als ein bloß äußerlich-rituelles Geschehen zu betrachten, sie vielmehr als eine innere Wandlung der Gesinnung zu betrachten, die dann im Leben gute Früchte trägt. Der persönliche Zuspruch der Vergebung Gottes war für ihn die dichteste Weise der Erfahrung des Evangeliums: reine Gnade Gottes, verkündigt im Wort des Evangeliums, ergriffen im Glauben. Gegenwärtige ökumenische Annäherungen in der Lehre von der Buße nehmen das Anliegen einer Bezugnahme auf sozial-anthropologische Erfahrungen ernst. Drei Formen der Buße zeichnen sich ab, die jeweils eine unverwechselbare Bedeutung haben: (1) die Sorge um die Glaubwürdigkeit der Christuszugehörigkeit der Getauften durch den Ruf zur Buße für Glieder der Gemeinde, deren Lebenszeugnis dem Evangelium widerspricht; (2) die beständige Begleitung des Lebens der Getauften durch erfahrene, geisterfüllte Menschen; (3) das Bemühen um den Geist der Buße in den Gemeinschaften der Getauften, die sich häufig begegnen und miteinander auf dem Weg bleiben. Es erscheint angemessen, diesen unterschiedlichen Gestalten der Buße im kirchlichen Raum eine jeweilige liturgische Eigengestalt zu geben. Das Sündenbekenntnis ermöglicht dabei zum einen die öffentliche Wahrnehmung der Sünde, zum zweiten einen Einblick in die Lebensgeschichte, zum dritten neues Zutrauen zu einem gewandelten Leben aufgrund der erfahrenen Sensibilität für die leidvollen Folgen des selbst Verschuldeten. (3) In allen christlichen Konfessionsgemeinschaften ist die Sorge um die Heilung der Kranken im diakonischen Handeln und in liturgischen Feiern in vielfacher Weise lebendig. Die ökumenischen Gespräche besinnen sich in jüngerer Zeit auf diese Christen miteinander verbindende Dimension der Nachfolge Jesu. Die noch offenen ökumenischen Fragen hinsichtlich der Sakramentalität einzelner Feierformen werden vor dem Hintergrund einer

ökumenische Annäherungen

Fürsorge für die Kranken

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4. Sakramententheologie

biblische Ursprünge

altkirchliche Tradition

konfessionelle Ausprägungen

einmütigen Verkündigung des lebenschaffenden und lebenbewahrenden Gottes besprochen. Die Motivation zum Dienst an den Kranken gewinnt die Christenheit durch den gemeinsamen Blick auf die biblische Überlieferung: In den alttestamentlichen Schriften wird Gottes Handeln an den Geschöpfen als dem eines Arztes analog umschrieben (vgl. Ex 15,26; Tob). Die Rede vom „Christus medicus“ ist in Anlehnung an die zahlreichen neutestamentlichen Erzählungen von den Krankenheilungen Jesu (vgl. Mk 1,23–2,12; 3,1–6; 5,1–43; 6,53–56; 7,31– 37; 9,14–29; 10,46–52 par.) in der östlichen und westlichen Vätertradition in Auseinandersetzung mit dem Asklepioskult gut vertraut (Klemens v. Alexandrien, Tertullian, Origenes, Augustinus). Krankenheilungen sind ein wirksames Zeichen für das in der Gegenwart der geschöpflichen Gemeinschaft bereits von Gott bereitete Reich seines lebenschaffenden Erbarmens. Krankheiten und Behinderungen sind in biblischer Zeit Grund zur Klage vor Gott. In Israel ist das gemeinschaftliche Gebet für die Kranken und deren Salbung mit Öl als eine Zeichenhandlung geboten, welche Vertreibung des Bösen und Lösung aus den Stricken der Sünde verheißt (vgl. Lev 14, 10–31). Die Aussendung der Jünger Jesu geschah in Verbindung mit dem Auftrag, Menschen von ihrem Leiden unter Dämonen zu befreien; die Jünger „trieben viele Dämonen aus und salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie“ (Mk 6,13). Therapeutische Kräfte gelten in der nachösterlichen Zeit als ein Charisma, eine Geistesgabe Gottes (vgl. 1 Kor 12,9). Die Ermächtigung zum Dienst in der Sendung Jesu kommt in den Krankenheilungen der Apostel zum Ausdruck (vgl. Apg 3,1–10; 4,1–12; 9,32–35). In Aufnahme frühjüdischer liturgischer Traditionen fordert der Jakobusbrief die Kranken in der Gemeinde auf, die Ältesten zum fürbittenden Gebet zu rufen und eine Salbung zu erbitten, welche Genesung und Sündenvergebung erhoffen lässt (vgl. Jak 5,14–16). Im Altertum bildet sich die liturgische Tradition der Ölweihe durch den Bischof heraus. Das Krankenöl wird in den ersten Jahrhunderten in den Häusern der Christen aufbewahrt. Salbungen finden im vertrauten Familienkreis statt. Der dem biblischen Zeugnis nicht fremde Zusammenhang zwischen der Krankensalbung und der Verheißung von Sündenvergebung führte noch vor der ersten Jahrtausendwende zu einer Verbindung zwischen dem Bußsakrament und der Krankensalbung in Todesnähe. Die Hoffnung auf Heilung des Leibes trat als Gehalt der liturgischen Handlung mehr und mehr in den Hintergrund. An ihre Stelle trat die Sterbebegleitung (oft in Verbindung von Buße, eucharistischer Wegzehrung und Letzter Ölung). Martin Luther (WA 2, S. 685–697; 6, S. 567–573) widersprach nach anfänglichem Zögern schließlich der Bezeichnung dieser im Reformationszeitalter gebräuchlichen Gestalt der Krankensalbung als „Sakrament“, da in der Heiligen Schrift keine Einsetzung einer solchen Zeichenhandlung durch Jesus selbst überliefert sei. Luther machte auf die Differenz zwischen der Hoffnung auf Heilung der Kranken und der Situation des Gewahrwerdens der Sünde im Sterben aufmerksam. Ihm lag an einer Stärkung des Glaubens der Sünder an Gottes Erbarmen durch das gemeinschaftliche Gebet. Die zeitgenössische liturgische Praxis erschien ihm als Beförderung von Gewissensnöten und als unzulässige Bindung der Aussicht auf Heilung an ein konkretes kirchliches Handeln. Das Konzil von Trient (vgl. DH 1694–1700;

a) Ämter und Dienste im biblischen Zeugnis

1716–1719) verteidigte die Sakramentalität der Krankensalbung und die damals bestehende liturgische Praxis. Von hoher ökumenischer Bedeutung sind die Erneuerungsbemühungen des Zweiten Vatikanischen Konzils (Sacrosanctum Concilium/83: 73–75) und der nachvatikanischen Reformen: Sie haben den Gemeinschaftscharakter der liturgischen Feier, eine Ausrichtung auf die Themen Krankheit und Heilung sowie die Betonung der Wirksamkeit des Gebets hervorgehoben. In Gestalt des Krankenabendmahls hat die reformatorische Tradition wichtige Anliegen der gesamtchristlichen Tradition bewahrt. In den ökumenischen Dialogen konnte zwischen der Orthodoxen Kirche und der Altkatholischen Kirche ein hoher Grad an Übereinstimmung erreicht werden. Im internationalen wie im nationalen lutherisch/römisch-katholischen Gespräch sind Annäherungen der Standorte formuliert worden. Die gemeinsame Wertschätzung der biblischen Zeichenhandlung der Krankensalbung ist nicht durch die unterschiedlichen theologischen Traditionen folgende differierende Bezeichnung gefährdet. Bei der Suche nach einer Festigung der ökumenischen Gemeinschaft mit den Pfingstkirchen hat die Erinnerung an die gemeinsame Hoffnung auf Krankenheilung eine wichtige verbindende Wirksamkeit.

ökumenische Perspektiven

5. Ämterlehren Wie die Gespräche und Dialoge zwischen den verschiedenen christlichen Kirchen in den letzten Jahrzehnten gezeigt haben, liegt das wohl größte Hindernis für eine Überwindung der Spaltungen zwischen den Kirchen – konkret vor allem aber für die Möglichkeit eucharistischer Gemeinschaft bzw. Abendmahlsgemeinschaft – in den unterschiedlichen Auffassungen der kirchlichen Ämter bzw. des ordinierten Amtes. Zu den elementaren dogmatischen Fragen gehört zunächst die Verhältnisbestimmung von allgemeinem Priestertum aller Getauften und ordinierten Amtsträgern (Abschnitt b) sowie die Bestimmung des Ursprungs und der Struktur kirchlicher Ämter (Abschnitt c). Damit wiederum verbindet sich die Frage nach dem Verständnis des bischöflichen Amtes und den Bedingungen geordneter Berufung in das Amt (Abschnitt d). Diese Fragen verweisen auf die Aufgabe der Verständigung über die Ordination (Abschnitt e) und die damit zusammenhängenden Themen der Frauenordination und des Zölibats (Abschnitt f). Ein weiteres zentrales Problem ökumenischer Theologie verbindet sich mit dem römisch-katholischen Papstamt (Abschnitt g), das von vielen Kirchen als ein besonderes „Hindernis auf dem Weg zur Einheit der Kirche empfunden“ (CS 77) wird. Den Ausgangspunkt für die folgende Darstellung der genannten ökumenischen Themen bildet eine Sichtung des Schriftzeugnisses (Abschnitt a). Abschließend werden einige Formen der Ämteranerkennung zwischen den Kirchen vorgestellt (Abschnitt h). a) Ämter und Dienste im biblischen Zeugnis Die Schwierigkeit ökumenischer Verständigung über die Amtsfrage gründet darin, dass im Neuen Testament kein einheitliches Verständnis kirchli-

kein Amtsbegriff im NT

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5. Ämterlehren

Apostel als Auferstehungszeugen

Petrus

cher Ämter und Dienste bezeugt ist. Dafür ist symptomatisch, dass sich im NT kein dem theologischen Begriff „Amt“ entsprechender Terminus findet (Frieling/86: 22). Am ehesten lässt sich die Rede vom „Dienst“ (diakonia) als übergreifende Bezeichnung für die Aufgaben, Funktionen und Positionen festhalten, die im Leben der christlichen Gemeinden elementare Bedeutung gewonnen haben. Schon die Frage, inwiefern solche Dienste bzw. kirchliche Ämter auf Jesus selbst zurückgehen, wird von den Kirchen exegetisch unterschiedlich gesehen. Weithin unstrittig ist, dass weder die Berufung einzelner Jünger durch Jesus noch die Einsetzung des Zwölferkreises (vgl. Mk 3,14; von vielen Vertretern historisch-kritischer Exegese wird diese Einsetzung für vorösterlich gehalten) als Begründung eines institutionellen und kontinuierlichen Amtes anzusehen ist (vgl. von Lips/94: 425). Für die Entstehung der urchristlichen Gemeinden ist die Wirksamkeit der Apostel als bevollmächtigte Gesandte von grundlegender Bedeutung. Wie vor allem Paulus in seinen Briefen darlegt, gründet die besondere Autorität der Apostel darin, dass ihnen der auferstandene Herr Jesus Christus erschienen ist und sie mit der Verkündigung des Evangeliums beauftragt hat (vgl. 1 Kor 15,8–11; Gal 1,15 f.). Apostel sind mithin von Jesus selbst mit der Verkündigung des Evangeliums beauftragte Auferstehungszeugen. Als solche besitzen sie eine einzigartige und unüberbietbare Autorität für die gesamte Christenheit. Ihre Wirksamkeit bildet den Ausgangspunkt für die Verbreitung der christlichen Botschaft und damit für die Entwicklung der Kirche. Unter den Aposteln wird in den neutestamentlichen Schriften Petrus besonders hervorgehoben. Er gilt der urchristlichen Überlieferung als der erste Auferstehungszeuge (vgl. 1 Kor 15,5; Lk 24,34) und ihm wird aufgrund seines besonderen Verhältnisses zu Jesus eine besondere Rolle in der Gemeinde zugeschrieben. Davon zeugen vor allem das Matthäusevangelium, das Johannesevangelium und die Apostelgeschichte. Das Matthäusevangelium berichtet, dass Jesus dem Petrus eine besondere Aufgabe zugeschrieben habe (vgl. Luz/99: 467–471). In Mt 16,18 f. heißt es: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein“ (zur Auslegung vgl. Luz/99: 452–472, auch Roloff/108: 162–165). Auf diese Stellen beruft sich die römisch-katholische Tradition in ihrer Gestaltung des Petrusdienstes im Papstamt. In Mt 18,18 wird die Binde- und Lösegewalt allerdings nicht nur Petrus, sondern den Jüngern insgesamt zugedacht. Dies ist vor allem in der evangelischen Exegese seit der Reformationszeit als Beleg dafür angesehen worden, dass die Binde- und Lösegewalt nicht exklusiv Petrus und seinen Nachfolgern auf der cathedra Petri zuzuordnen ist, sondern der Kirche als ganzer zukommt. Die ökumenische Frage nach einem besonderen Petrusdienst und der Gestaltung dieses Dienstes im Papstamt ist dabei nicht zuletzt deshalb schwer zu klären, weil in der gegenwärtigen exegetischen Forschung beider Konfessionen umstritten ist, ob die Aussagen über die besondere Rolle des Petrus auf Jesus selbst oder die nachösterliche Tradition zurückgehen (vgl. Luz/99: 456–459) und ob man in den synoptischen Evangelien die Vorstellung von „Petrus als ,Sprecher‘

a) Ämter und Dienste im biblischen Zeugnis

der Zwölf“ (so CS 162) erkennen kann, der von Jesus Christus zur Stärkung der Jünger beauftragt wurde. Im Neuen Testament ist nicht bezeugt, dass die Apostel „Nachfolger in ihr spezielles und übergemeindliches Amt eingesetzt haben“ (Frieling/86: 23). Wohl aber haben Paulus und vermutlich auch andere Apostel einzelne mit Handauflegung beauftragt, in den Gemeinden das Evangelium zu verkündigen und Liebesdienste zu tun. Alle Dienste in der Gemeinde sind nach Paulus in der Wirksamkeit des einen Geistes begründet (vgl. 1 Kor 12,1–11), der in der Taufe gegeben wird (vgl. 1 Kor 12,13) und der in allen Gaben der eine Geist ist (vgl. 1 Kor 12,4). Er versteht die verschiedenen Gaben des einen Geistes als besondere Zueignungen der Gnade und nennt sie Charismen. Unter diesem Oberbegriff der Charismen fasst Paulus eine Vielzahl von Funktionen: „Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist. Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr. Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen. In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller; dem einen wird durch den Geist gegeben, von der Weisheit zu reden; dem anderen wird gegeben, von der Erkenntnis zu reden, nach demselben Geist; einem andern Glaube, in demselben Geist einem andern die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist; einem andern die Kraft, Wunder zu tun; einem andern prophetische Rede; einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden, einem andern mancherlei Zungenrede; einem andern die Gabe sie auszulegen. Die alles aber wirkt derselbe eine Geist und teilt einem jeden das Seine zu, wie er will“ (1 Kor 12, 4–11; zitiert nach der revidierten Lutherübersetzung). Rangunterschiede macht Paulus dabei nicht geltend. Vielmehr erscheint die Vielzahl der Charismen als konstitutiv für das Leben der Gemeinde insgesamt, die wiederum in der Vielheit der Glieder der eine Leib Christi ist. In der Aufzählung der Dienste, die in der Gemeinde als dem Leib Christi von Gott eingesetzt sind, hebt Paulus in 1 Kor 12,28 „erstens Apostel, zweitens Propheten, drittens Lehrer“ (1 Kor 12,28) hervor. Ohne weitere Zählung benennt er „dann Wundertäter, dann Gaben, gesund zu machen, zu helfen, zu leiten und mancherlei Zungenrede“ (1 Kor 12,28b). Er bringt auf diese Weise zur Geltung, dass die Dienste der Verkündigung für das Leben der Gemeinde grundlegende Bedeutung haben. Während der Begriff des Apostels bei Paulus klar bestimmt ist, lässt sich über die Propheten und Lehrer nur wenig ermitteln. Paulus rechnet der christlichen Prophetie eine wichtige Rolle bei der Auferbauung der Gemeinde zu, plädiert aber für ein geordnetes Wirken, damit die Gemeinde nicht verwirrt wird, sondern „lernen und Zuspruch erfahren“ kann (1 Kor 14,31). Inwiefern sich die Lehrer von den Propheten unterscheiden, ist nicht auszumachen. Offenbar setzt Paulus aber wie auch Apg 13,1 eine gemeinsame Funktion von Propheten und Lehrern im Gottesdienst voraus. In Phil 1,1 begegnet die Unterscheidung zwischen Episkopen und Diakonen. Damit sind offensichtlich zwei Gemeindefunktionen benannt, die von unterschiedlichen Personen wahrgenommen wurden. Unklar ist, „ob die Entstehung dieser Ämter auf eine Initiative des Paulus zurückgeht oder ob es sich dabei um eine durch den Apostel lediglich tolerierte Eigeninitiative der Gemeinde handelt. Als sicher kann nur gelten, daß die Episkopen und Diakone mit Aufgaben der örtlichen Gemeindeleitung betraut waren“ (Roloff/

Charismen

grundlegende Bedeutung der Verkündigung

Episkopen und Diakonen

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5. Ämterlehren

lukanisches Werk

Epheserbrief

Pastoralbriefe

108: 142). Es spricht manches dafür, dass die Episkopen Vorsteher der Hausgemeinden waren und damit ein örtliches Leitungsamt innehatten. Nur die authentischen Paulusbriefe zeugen dabei von der Situation der Gemeinden zur Zeit der Apostel. Alle anderen Zeugnisse des Neuen Testaments sind vermutlich nach dem Tod der Apostel Paulus, Petrus und Jakobus entstanden. Sie dokumentieren verschiedene Ansätze zur Konsolidierung der Gemeindestrukturen in der zweiten und dritten Generation. Im lukanischen Werk finden sich einerseits paulinische Traditionen, andererseits aber auch Traditionen über die Frühzeit der Jerusalemer Urgemeinde und ihre Strukturen. Dort hatten neben und nach dem Zwölferkreis die Apostel leitende Autorität, wie sich der Apostelgeschichte entnehmen lässt. Auch Paulus spricht in Gal 2,9 von Jakobus, Petrus und Johannes als Führungskreis. In Apg 11,30 und 15,2–29 wird deutlich, dass sich in der Jerusalemer Gemeinde im Rekurs auf das jüdische Ältestenamt eine presbyterale Struktur herausbildete, in der neben den Aposteln „Älteste“ standen. Auch die Gemeinde in Ephesus wird durch Älteste repräsentiert (Apg 20,17–38). Im hellenistischen Gemeindeteil scheint es mit den „Sieben“ (Apg 6,3) ein dem Ältestenamt ähnliches Leitungsgremium gegeben zu haben. Weiter zeichnet sich eine Führungsrolle des Herrenbruders Jakobus ab. Die Wirksamkeit des Heiligen Geistes wird dabei in der Apg stark betont. Fixierte Amtsstrukturen gibt es auch im lukanischen Umfeld noch nicht. Im Unterschied zu den authentischen Paulusbriefen lässt sich im Epheserbrief wahrnehmen, wie die Vielzahl der für die Gemeinde grundlegenden Charismen auf die Dienste konzentriert werden, die mit der Gemeindeleitung durch Lehre zu tun haben. In Eph 4,11 f. wird neben Aposteln und Propheten die Trias von Evangelisten, Hirten und Lehrer als die genannt, die mit der Zurüstung der Gemeindeglieder und dem Aufbau des Leibes Christi im Geist betraut sind. Es handelt sich dabei um Leitungsämter, die der Einordnung der einzelnen Gnadengaben zum Dienst am Leib Christi (Eph 4,7 f.) dienen. Diese Ämter gelten als Gaben des erhöhten Christus. Die eigenständige Gruppe der Propheten und Lehrer ist hier zurückgetreten, stattdessen ist die Lehre zur Aufgabe der Gemeindeleiter geworden. Eine deutliche Weiterentwicklung der Ämterentwicklung dokumentieren die Pastoralbriefe. Angesichts der Irrlehren, die in den von Paulus gegründeten Gemeinden aufkommen (vgl. 1 Tim 1,20; 2 Tim 1,15), rückt die Frage nach einem gemeindeleitenden Amt, das der Einheit der Lehre dient, in den Vordergrund. Die Schüler des Apostels Paulus, Timotheus und Titus, sollen die apostolische Verkündigung an der Stelle des Paulus weitergeben (vgl. 1 Tim 4,13). Sie sind beauftragt, Älteste, Episkopen und Diakone einzusetzen (vgl. 1 Tim 3,1–13; Tit 1,5 f.). Eine eindeutige Verhältnisbestimmung zwischen diesen Diensten ist jedoch noch nicht erkennbar. Allerdings scheinen dem Episkopos mehrere Diakone (vgl. 1 Tim 3,2.8) bzw. Älteste (vgl. Tit 1,5–9) gegenüber zu stehen. Die Handauflegung (in 2 Tim 1,6 durch Paulus; in 1 Tim 4,14 durch Älteste) wird als Ritus der Übertragung des Leitungsdienstes bezeugt. Sie erscheint verbunden mit dem Gebet und vermittelt ein Charisma (vgl. 1 Tim 4,14; 2 Tim 1,6) für den Dienst nach dem Vorbild des Apostels Paulus (vgl. 1 Tim 1,12.18). Dass die Apostel selbst Bischöfe als ihre Nachfolger eingesetzt haben, wird zwar von den Pastoralbriefen nahe

b) Priestertum aller Glaubenden und ordiniertes Amt

gelegt. Da sie jedoch lange nach dem Tod der Apostel entstanden sind, dürfte die Vorstellung fiktiven Charakter haben. Erkennbar ist in den Pastoralbriefen allerdings die Tendenz, „das Episkopenamt aus der Beschränkung auf gottesdienstliche Hausgemeinden zu lösen und auf die Gesamtgemeinde des Ortes zu beziehen, die damit als erweiterte Hausgemeinschaft aufgefaßt wurde, in der dem Episkopen nun auch das Amt der Lehre zufiel“ (Pannenberg/104: 413). In der ökumenischen Verständigung der Kirchen über das Amt konnten durch die gemeinsame Exegese des neutestamentlichen Zeugnisses wichtige Annäherungen erzielt werden. Wegweisend wurde vor allem die multilaterale, internationale Konvergenzerklärung „Taufe, Eucharistie und Amt“ von der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Weltrates der Kirchen 1982. Hier konnte im Abschnitt über das Amt festgehalten werden: „Das Neue Testament beschreibt nicht eine einheitliche Amtsstruktur, die als Modell oder bleibende Norm für jedes zukünftige Amt in der Kirche dienen könnte. Im Neuen Testament findet sich vielmehr eine Vielfalt von Formen, die an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten bestanden haben“ (DwÜ 1, S. 574, Nr. 19). Im Blick auf die weitere Entwicklung der Ämter in der frühen Kirche heißt es in der Konvergenzerklärung: „Indem der Heilige Geist weiterhin die Kirche in Leben, Gottesdienst und Sendung leitete, wurden bestimmte Elemente aus dieser frühen Vielfalt weiter entwickelt und bildeten schließlich eine mehr universale Struktur des Amtes. Im 2. und 3. Jahrhundert setzte sich eine dreigliedrige Struktur aus Bischof, Presbyter und Diakon als Struktur für das ordinierte Amt in der ganzen Kirche durch“ (Ebd.). Ob bzw. in welcher Weise diese geschichtlich gewachsene Struktur als verbindlich gelten kann, ist ökumenisch umstritten. Bevor jedoch diese Frage erörtert werden kann, ist zunächst die amtstheologische Grundfrage nach der Besonderheit des ordinierten Amtes im Verhältnis zu dem Dienst zu bedenken, zu dem alle Glaubenden berufen sind.

ökumenische Annäherungen

b) Priestertum aller Glaubenden und ordiniertes Amt Den Ausgangspunkt für die ökumenisch-theologische Reflexion auf die Amtsfrage bildet die Einsicht, dass alle Christen durch die Taufe Anteil am Priestertum Christi gewinnen und dazu berufen sind, das Evangelium von Jesus Christus weiter zu sagen. Dies konnte in den verschiedenen ökumenischen Dialogen der letzten Jahrzehnte weithin einmütig festgehalten werden. Wegweisend war und ist hier vor allem die Konvergenzerklärung über „Taufe, Eucharistie und Amt“, die 1982 in Lima verabschiedet wurde. Die Berufung des ganzen Volkes Gottes wird in sechs Schritten entfaltet. Gottes Berufung der ganzen Menschheit, „sein Volk zu werden“ (DwÜ 1, S. 567, Nr. 1), gründet in „Christi Sieg über die Mächte des Bösen und des Todes“ (DwÜ 1, S. 567, Nr. 2). Die Kirche verdankt ihr Leben der befreienden und erneuernden Kraft des Geistes. Er „beruft Menschen zum Glauben, heiligt sie durch viele Gaben, gibt Kraft, das Evangelium zu bezeugen, und befähigt sie, in Hoffnung und Liebe zu dienen. Der Geist erhält die Kirche in der Wahrheit und leitet sie trotz der Schwachheit ihrer Glieder“ (DwÜ 1, S. 567, Nr. 3). Konkret besteht die Berufung der Kirche darin, „das Reich Gottes zu verkünden und vorweg darzustellen“ (DwÜ 1, S. 567, Nr. 4). Ausdrücklich

„Taufe, Eucharistie und Amt“

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5. Ämterlehren

Priestertum aller Gläubigen

Luthers Ständelehre

wird hier betont: „Alle Glieder der Kirche, indem sie in dieser Gemeinschaft mit Gott leben, sind berufen, ihren Glauben zu bekennen und von ihrer Hoffnung Rechenschaft abzulegen“ (ebd.). Damit verbindet sich die Frage, ob bzw. in welcher Weise sich die Berufung aller Christen von der Aufgabe und dem Status ordinierter Amtsträger in der Kirche unterscheidet. Diese Frage bildete in der Reformationszeit den Ausgangspunkt für die Differenzen im Amtsverständnis zwischen Reformatoren und Altgläubigen und gewann eine bis heute kirchentrennende Bedeutung. Die reformatorische Kritik am römischen Amtsverständnis bezog sich zuerst auf die Lehr- und Jurisdiktionsgewalt des Papstes, mit der dieser Luthers Lehre verdammte. Ihr inhaltliches Fundament, das zugleich Ausgangspunkt evangelischer Amtstheologie wurde, bestand in Luthers Lehre vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen. Nach Luther kommt allen getauften Christen die Priesterwürde zu (vgl. WA 6, S. 407, Z. 13 f.). Sie besitzen somit den Auftrag und die geistliche Vollmacht zur Verkündigung des Evangeliums (vgl. WA 6, S. 566, Z. 27 f.) und haben das Recht und die Pflicht, über wahre und falsche Lehre zu urteilen (vgl. WA 11, S. 409, Z. 20–22). Die Voraussetzung dafür sieht Luther darin gegeben, dass alle Christen die Heilige Schrift verstehen und auslegen können. Allerdings geht Luther nicht davon aus, dass alle Christen diesen Auftrag zur Verkündigung des Evangeliums auch öffentlich wahrnehmen sollen. Die öffentliche Verkündigung des Evangeliums sollte nach Auffassung der Reformatoren vielmehr den ordentlich berufenen Dienern der Kirche vorbehalten bleiben, und zwar um der Ordnung und Einheit der christlichen Gemeinden willen. Dass die Einheit der Kirche gefährdet ist, wenn Christen von ihrem Auftrag ohne die ordnungsgemäße Beauftragung Gebrauch machen, lehrte in der Reformationszeit die Erfahrung mit den verschiedenen schwärmerischen Gruppierungen und insbesondere mit den Täufern. Zwei Grundsätze bestimmten darum fortan die lutherische Amtstheologie: zum einen der Grundsatz, dass die Leitung der Kirche und die Verantwortung für die Apostolizität ihrer Lehre der Kirche als ganzer und nicht allein dem Klerus zukommt; zum anderen der Grundsatz, dass die öffentliche Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament den ordentlich berufenen Amtsträgern in der Kirche obliegt. Der Grundsatz, dass die Leitung der Kirche dieser als ganzer obliegt, wurde in den lutherischen Gebieten im Heiligen Römischen Reich so realisiert, dass alle drei Stände der frühneuzeitlichen Gesellschaft auf unterschiedliche Weise am kirchlichen Dienst beteiligt wurden. Während dem kirchlichen Stand der Pastoren und gelehrten Theologen die Aufgabe der Evangeliumsverkündigung und der Aufsicht über die Lehre zukam, stand der Landesherr im landesherrlichen Kirchenregiment (vgl. de Wall/109: 1380–1386) der Kirche vor und hatte das Recht, über die Besetzung der Superintendenten und Konsistorien zu entscheiden. Der ökonomische Stand, also die Eheleute und Familien, wiederum hatten die Aufgabe privater Verkündigung und waren in den Gemeindegremien bei der Pfarrerwahl durch ein Zustimmungsrecht beteiligt. Allerdings wurde die Aufsicht über die Wahl in der Praxis von den bischöflichen Amtsträgern und den Konsistorien so wahrgenommen, dass die Gemeinden daran kaum beteiligt waren. Mit dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments wurden die evangeli-

b) Priestertum aller Glaubenden und ordiniertes Amt

schen Kirchen in Deutschland frei von der staatlichen Oberaufsicht und konnten ihre Verfassungen neu ordnen. In den lutherischen Kirchen wird das Bischofsamt seither als synodales Bischofsamt wahrgenommen. Der Bischof wird von der Landessynode gewählt und übt seine bischöfliche Aufgabe in Rückbindung an die Synode aus. Lehrfragen müssen mithin synodal entschieden werden. Auch in den reformierten Territorien wurde der Grundsatz, dass die Kirchenleitung der Kirche als ganzer zukommt, in der Gestaltung der Ämterlehre umgesetzt. Den Ausgangspunkt bildete dabei die Lehre vom dreifachen Amt Christi als Prophet, Priester und König, und die Überzeugung, dass jeder Gläubige an diesem dreifachen Amt Jesu Christi teilhat. Die Teilhabe am Priestertum Christi befähigt die Christen dabei, sich selbst in ihrem gesamten Lebensvollzug als Dankopfer darzubringen. Ein besonderes Amtspriestertum ist in Christus überwunden, weil er ein für allemal die Sünde am Kreuz gesühnt hat. Allerdings „bedeutet diese Aufhebung eines besonderen Amtspriestertums … keineswegs die Aufhebung des besonderen kirchlichen Amtes oder besonderer kirchlicher Ämter“ (Rohls/107: 283). Priestertum und kirchliches Amts werden vielmehr durchaus unterschieden. Die Besonderheit des kirchlichen Amtes wird dabei wie in der lutherischen Tradition von der Funktion der Wortverkündigung her definiert. Obwohl in den reformierten Kirchen die Dienstfunktion des ordinierten Amtes noch stärker betont wird als in den lutherischen Kirchen, besteht doch unter den evangelischen Kirchen Einigkeit darüber, dass das Amt von dieser Funktion her zu bestimmen ist und seine zentrale Aufgabe in der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Sakrament besteht (LV 1, S. 159). Diese Auffassung konnte auch in den Dialogen mit der Römisch-Katholischen Kirche als gemeinsame herausgestellt werden. Der Dienst der Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament wiederum ist konstitutiv für das Sein und die Gestalt der Kirche Jesu Christi. Gerade in der Wahrnehmung dieses Dienstes dient das Amt dem Priestertum aller Gläubigen. Denn die christlichen Gemeinden sind auf die regelmäßige Verkündigung des Evangeliums und die Verwaltung der Sakramente angewiesen, damit sie bestehen und wachsen können. Die Wortverkündigung, durch die der Heilige Geist Glauben wirkt, wo und wann er will, ist zugleich die Voraussetzung dafür, dass Christen ihr Priestertum ausüben können. Nach evangelischem Verständnis schließt dies die Möglichkeit zur Mitwirkung an der Gemeindeleitung ein ebenso wie auch die Fähigkeit, über Lehre zu urteilen. Um die entsprechende Mündigkeit im christlichen Glauben zu erlangen, sind Christen jedoch ihrerseits auf die Verkündigung und Unterweisung und damit auf die elementare Dienstfunktion des Amtes angewiesen. Die Unterscheidung zwischen dem Priestertum aller Gläubigen und dem ordinierten Amt ist somit eine elementare Voraussetzung für den Bestand und die Wahrnehmung der priesterlichen Berufung aller Christen. Dass alle Christen durch die Taufe am Priestertum Christi Anteil gewinnen, stellt auch die Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils heraus: „Durch die Taufe der Kirche einverleibt, werden die Gläubigen durch die Prägung zur christlichen Gottesverehrung bestellt und sind wiedergeboren zu Kindern Gottes, gehalten, den Glauben, den sich von Gott durch die Kirche empfangen haben, vor den Menschen zu bekennen“ (DH

reformiertes Amtsverständnis

Amt als Dienst

II. Vatikanisches Konzil

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5. Ämterlehren

4127). Ökumenisch brisant ist dabei die Frage, wie die Unterscheidung zwischen dem Priestertum aller Gläubigen und den ordinierten Amtsträgern zu verstehen ist, die die Kirchenkonstitution im Anschluss daran formuliert. Es heißt dort: „Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen und das amtliche bzw. hierarchische Priestertum unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach; dennoch sind sie einander zugeordnet: das eine wie das andere nämlich nimmt auf je besondere Weise am einen Priestertum Christi teil. Der Amtspriester nämlich bildet kraft der heiligen Vollmacht, derer er sich erfreut, das priesterliche Volk heran und leitet es; er vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gottes dar; die Gläubigen aber wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der Darbringung der Eucharistie mit und üben es aus im Empfang der Sakramente, im Gebet und in der Danksagung, durch das Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe“ (DH 4126). Auch wenn die wechselseitige Zuordnung von gemeinsamem Priestertum und amtlichem Priestertum den Skopus der Aussage bildet, erscheint doch die Unterscheidung „dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach“ vom evangelischen Standpunkt aus problematisch. Denn sie lässt das Amtspriestertum in seinem Gegenüber zum gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen als Steigerung erscheinen und legt damit die Vorstellung unterschiedlicher Grade der Teilhabe am Priestertum Jesu Christi nahe. Nach evangelischem Verständnis ist hingegen die in Taufe und Glaube zugeeignete Priesterwürde nicht steigerungsfähig. Ob an dieser Stelle wirklich eine kirchentrennende Differenz im Amtsverständnis vorliegt, hängt vom Verständnis des ordinierten Amtes ab. Dabei geht es vornehmlich um den Ursprung, die Besonderheit und die Struktur bzw. Differenzierung des ordinierten Amtes. c) Ursprung und Differenzierung des ordinierten Amtes dreifaches Amt

Für die meisten christlichen Kirchen steht fest, dass das in der Priesterweihe bzw. in der Ordination übertragene Amt der Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung von Gott eingesetzt ist. In den orthodoxen Kirchen, in der Römisch-Katholischen Kirche, in der altkatholischen Kirche und in den Kirchen der anglikanischen Kirchengemeinschaft wird überdies auch die Dreigliederung des Amtes in Bischofsamt, Presbyteramt und Diakonenamt, die sich seit der Mitte des 2. Jahrhunderts weithin durchgesetzt hat, auf die Gottes Willen entsprechende Nachfolge der Apostel zurückgeführt (vgl. Zizioulas/110; Nikolaou/101; Papandreou/105). Indem Bischöfe, Presbyter (bzw. Priester oder Pfarrer) und Diakone jeweils unterschiedliche sakramentale Aufgaben und jurisdiktionelle Kompetenzen besitzen, stellt die Dreigliederung des Amtes ein hierarchisches Gefüge dar. Während dem Bischof die Verwaltung aller Sakramente einschließlich der Priester- und Diakonenweihe und die überörtliche Leitung einer Diözese zukommen, versieht der Priester den Dienst der Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung (mit Ausnahme von Weihe und Firmung) in der Ortsgemeinde. Der Diakon schließlich, der vom Bischof durch Handauflegung und Gebet um Geist und Gnade geweiht wird, dient nach römisch-katholischem Verständnis „dem Volk Gottes in der Diakonie der Liturgie, des Wortes und der Liebe

c) Ursprung und Differenzierung des ordinierten Amtes

in Gemeinschaft mit dem Bischof und seinem Presbyterium“ (DH 4155, LG 29; zum Diakonat vgl. Lehman/92: 16). In der Reformationszeit spielte die Frage nach Ursprung und Gestalt des Amtes bzw. der Ämter zunächst eine untergeordnete Rolle. Doch mit der Scheidung von Rom stand in den reformatorischen Kirchen die Aufgabe an, die Ämter dem Evangelium gemäß zu reformieren. Die lutherischen Kirchen betonten, dass es keinen Unterschied zwischen dem episkopos und dem presbyteros gebe (vgl. WA 6, S. 440, Z. 21–35). Beide Bezeichnungen wurden in frühchristlicher und altkirchlicher Zeit zunächst auf den einen Dienst an Wort und Sakrament bezogen. Von diesem Dienst an Wort und Sakrament sei das Diakonenamt grundsätzlich unterschieden. Denn das Diakonenamt diene nicht der Wortverkündigung, sondern der Sorge für die Armen, Kranken und Schwachen in der Gemeinde. Die lutherische Tradition geht mithin von der Einheit des Amtes aus. Eine hierarchische Stufung zwischen Bischof, Pfarrer und Diakon wird abgelehnt. Dies gilt auch für die reformierten Kirchen, die allerdings im Unterschied zur lutherischen Tradition mit Rückgriff auf die verschiedenen im Neuen Testament erwähnten Dienste mehrere Ämter unterscheiden. Ein Teil der reformierten Kirchen hält sich dabei an die Unterscheidung von vier Ämtern (Pastoren, Doktoren, Presbyter und Diakone), die Johannes Calvin in der Genfer Kirchenordnung von 1561 vorsieht (vgl. Rohls/107: 285). Durch die Beauftragung mit dem Dienst am Wort kommt dem Pastorenamt zwar eine besondere Bedeutung zu, eine höhere Dignität des Amtsträgers wird daraus jedoch nicht abgeleitet (vgl. Beintker/85: 432). Eine wichtige gemeindeleitende Rolle hat darüber hinaus das Gremium der Presbyter oder Ältesten, das wesentlichen Anteil an der synodalen Leitung der Gemeinde hat. Die Unterschiede, die in der Differenzierung der Ämter und in der synodal-presbyterialen Verfassung zwischen lutherischen und reformierten Kirchen bestehen, „haben niemals kirchentrennend gewirkt“ (ebd.). Vielmehr besteht unter den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen Einigkeit darüber, dass dem Amt der Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament konstitutive Bedeutung für das Sein der Kirche zukommt und dass darüber hinaus auch die Aufgaben der theologischen Lehre einerseits und der diakonischen Liebestätigkeit in den Gemeinden andererseits unverzichtbar sind und darum institutionell sicher gestellt sein sollten. Zwischen den unterschiedlichen Diensten wird dabei keine hierarchische Stufung angenommen. Obwohl die reformatorischen Kirchen mit Blick auf das neutestamentliche Zeugnis die Lehre von einem gestuften dreifachen Amt kritisieren, machen sie eine Einigung über die Gliederung des Amtes nicht zur Voraussetzung für die Anerkennung der Kirchen, die das dreifache Amt haben. Demgegenüber beurteilen jedoch die Kirchen, die das dreigliedrige Amt nach altkirchlichem Vorbild beibehalten haben, diese Struktur als notwendige Gestalt der Kirche und sehen in der Verständigung über das dreigliedrige Amt eine unabdingbare Voraussetzung für die Anerkennung der Ämter in anderen Kirchen. So wurde etwa im Chicago-Lambeth-Quadriliteral 1886/ 88 die Übereinstimmung im dreigliedrigen Amt als Voraussetzung für die Möglichkeit kirchlicher Gemeinschaft bestimmt. Zu den zentralen ökumenischen Aufgaben gehört darum die Klärung der Frage, ob bzw. in wel-

lutherische Tradition

reformierte Tradition

ökumenisches Problem

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5. Ämterlehren

Institutions- und Delegationstheorie

innerevangelische Übereinstimmung

Aufsicht (Episkopé)

chem Umfang eine Übereinstimmung in der Ämterordnung der Kirche Voraussetzung für die wechselseitige Anerkennung sein kann. Die Frage nach den Bedingungen wechselseitiger Ämteranerkennung ist dabei nicht nur interkonfessionell, sondern gegenwärtig auch innerevangelisch umstritten. Im deutschsprachigen Bereich zumindest gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob das an die ordentliche Berufung gebundene Amt der Evangeliumsverkündigung nach reformatorischem Verständnis auf eine separate Einsetzung durch Gott zurückgeht oder sich aus dem allgemeinen Priestertum aller Gläubigen ableitet und in der Übertragung durch die Gemeinde gründet. Diese Frage kam bereits im 19. Jahrhundert in den Auseinandersetzungen um die Kirchenverfassung in Preußen auf und löste damals einen heftigen Streit aus. Dabei wurden zwei amtstheologische Modelle diskutiert, die sog. Institutionstheorie und die Übertragungsoder Delegationstheorie. Während in der Institutionstheorie davon ausgegangen wird, dass das in der Ordination übertragene Amt der Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament unmittelbar auf eine gesonderte Einsetzung durch Gott zurückgeht, sieht die Übertragungstheorie den Ursprung des ordinierten Amtes im allgemeinen Priestertum der Gläubigen und damit in der Gemeinde, die um der Ordnung willen bestimmte Menschen mit dem Dienst an Wort und Sakrament betraut (dazu Nüssel/102: 174–189). Wenngleich auch heute für beide Theorien exegetische, bekenntnistheologische und reformationsgeschichtliche Argumente beigebracht werden, besteht doch innerevangelisch darin Einigkeit, dass die Übertragung des Amtes an ordentlich berufene Amtsträger und Amtsträgerinnen in keinem Fall zur Disposition des Gemeindewillens steht. Während in den lutherischen Bekenntnisschriften die Frage der Herkunft des Amtes von Gott nur in CA V ausgesagt ist, ohne dass eindeutig vom ordinationsgebundenen Amt gesprochen wird, findet man in der Confessio Helvetica posterior der reformierten Bekenntnistradition die Aussage: „Zur Sammlung oder Begründung sowie zur Regierung und Erhaltung seiner Kirche hat Gott von jeher Diener gebraucht; er gebraucht sie noch heute und wird sie fernerhin gebrauchen, solange die Kirche auf Erden bestehen wird. Somit sind Herkunft, Einsetzung und Amt der Diener sehr alt und stammen von Gott selbst; sie sind keine neue oder menschliche Anordnung“ (Jacobs, Reformierte Bekenntnisschriften, 218). Dass das Amt der öffentlichen Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament auf Gottes Willen zurückgeht, zum Sein der Kirche gehört und mithin von ordentlich berufenen Gliedern der Kirche wahrzunehmen ist, war und ist unter den evangelischen Kirchen nicht strittig. Entsprechend wird in der Kirchenstudie der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) im Blick auf den Ursprung des Amtes klar formuliert, dass das Amt nach reformatorischem Verständnis „auf einem besonderen Auftrag Christi“ (Tampere-Thesen, These 2, in: KJC, S. 33) beruhe und „zugleich in seinem Dienst mit der ganzen Gemeinde zusammen unter dem Wort Gottes“ (ebd.) stehe. Unstrittig ist unter den evangelischen Kirchen auch, dass in der Kirche eine die einzelnen Gemeinden übergreifende Leitungsfunktion – Episkopé – notwendig ist um der Einheit der Kirche willen. Darin stimmen sie mit der orthodoxen, römisch-katholischen, anglikanischen Tradition überein. Kontroverse Auffassungen bestehen jedoch im Blick auf die Frage, ob die Aufga-

d) Bischofsamt und apostolische Sukzession

be der Episkopé notwendig durch Bischöfe wahrgenommen werden muss und ob diese in der historischen apostolischen Sukzession stehen müssen. d) Bischofsamt und apostolische Sukzession Die Ausformung des Bischofsamtes als überörtliches Leitungsamt begann in nachapostolischer bzw. nachneutestamentlicher Zeit damit, dass an manchen Orten die kollegiale Gemeindeleitung abgelöst wurde und einzelne Episkopen als Vorsteher bei der Eucharistiefeier und als Sprecher des Kollegiums die Leitung der Gemeinde übernahmen (Monepiskopat). Der Bischof (Episkopos) wurde so zum Leiter der Ortskirche (Eparchie oder Diözese). Zu seinen vordringlichen Aufgaben gehörte angesichts der Einflüsse gnostischer Lehren im 2. und 3. Jahrhundert vornehmlich auch die Bewahrung der Gemeinden in der Einheit der apostolischen Lehre. Die Leitungsfunktion der Bischöfe stand damit im Dienst an der Apostolizität der Kirche. Mitte des 3. Jahrhunderts findet sich in Nordafrika und in Syrien der Monepiskopat als etablierte Leitungsform bezeugt (vgl. Cyprian und die Didaskalia), wobei dem Bischof alle wesentlichen Befugnisse vorbehalten werden. Im 3./4. Jahrhundert setzte sich diese Leitungsstruktur auch sonst weithin durch. Für die Einheit der Kirche wurde damit die Kooperation der Bischöfe entscheidend. Mit der Integration der christlichen Kirche in das römische Imperium gewann das Bischofsamt auch in politischer Hinsicht an Bedeutung. Die Ausstattung der Bischöfe mit dem Bischofstitel, mit Insignien, Ehrenrechten und einem Thron mit Baldachin demonstrierte die Gleichstellung mit hohen Staatsämtern. Es kam zu einer Verbindung von geistlichen und weltlichen Funktionen, deren jurisdiktionelle Ausformung und Ausweitung vor allem in der abendländischen Christenheit die weitere Entwicklung des Bischofsamtes bestimmt hat. Die zunehmend einseitige Konzentration auf weltliche Herrschaftsaufgaben führte im Hoch- und Spätmittelalter zu einer Vernachlässigung der pastoralen Aufgaben und trug erheblich zu dem „großen vorreformatorischen Reformstau“ (Hauschild/87: 1617) bei. Entsprechend musste sich die zunächst an der Buß- und Ablasspraxis anhebende reformatorische Kritik im 16. Jahrhundert auch auf die Wahrnehmung der bischöflichen Jurisdiktionsgewalt und die Vermischung von weltlicher und geistlicher Gewalt richten. In dem Bestreben, die Kirche im Einklang mit der altkirchlichen Praxis zu reformieren, bestimmt die Confessio Augustana in Artikel XXVIII die Aufgabe des Bischofsamtes aus lutherischer Sicht. Den Ausgangspunkt bildet dabei der Dienst am Wort, der Bischöfen und Pfarrern gemeinsam ist. Eine Stufung der sakramentalen Kompetenz wird abgelehnt. Aufgabe der Bischöfe und Pfarrer sei es, „das Evangelium predigen, Sünde vergeben, Lehre erteilen und die Lehre, so dem Evangelio entgegen, verwerfen und die Gottlosen, dero gottlos Wesen offenbar ist, aus christlicher Gemein ausschließen“ (CA XXVIII, BSLK S. 123 f., Z. 23–3). Nach göttlichem Recht gibt es aus reformatorischer Sicht mithin keinen Unterschied zwischen Bischöfen und Pfarrern. Dennoch wird aber mit dem Bischofsamt eine überörtliche Leitungsfunktion in Gestalt der Aufsicht über die Gemeinden und die Pfarrer verbunden. Demnach kommen dem Bischof nach menschlichem Recht im

altkirchliche Praxis

Wandel des Bischofsamtes

Confessio Augustana

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5. Ämterlehren

bischöfliche apostolische Sukzession

fehlende Sukzession

Unterschied zu den Pfarrern die Aufgabe der Visitation und der Ordination zu. Gegenüber der Vermischung von geistlicher und weltlicher Gewalt stellt CA XXVIII die rein geistliche Funktion des Bischofsamtes heraus und betont, dass der Bischof diese „sine vi, sed verbo“, also durch das Wort und nicht mit politischen Machtmitteln wahrnehmen solle. Dennoch kam es in den reformatorischen Territorien im Reich im Rahmen der Ausbildung des landesherrlichen Kirchenregiments nicht zu einer den Grundsätzen der Wittenberger Reformation entsprechenden Erneuerung des Bischofsamtes. Zwar wurden die spezifischen Aufgaben der Episkopé, die Visitation der Gemeinden und die Ordination, weiterhin leitenden Geistlichen zugeordnet, die Superintendenten genannt wurden. Doch die oberste Aufsicht über die Kirche lag bei den Landesherren, die sowohl in rechtlicher Hinsicht wie auch bei der Besetzung der kirchenleitenden Ämter Entscheidungsgewalt hatten. Dies führte vielfach dazu, dass kirchliche Entscheidungen nicht sachgerecht getroffen wurden. Entsprechend litten die Verkündigung und die katechetische Unterweisung in den Gemeinden. Im 18. und 19. Jahrhundert gab es diesbezüglich massive Klagen von Seiten der Theologen. In Folge der mit der Säkularisierung eingeleiteten Trennung von politischer und kirchlicher Gewalt richtet sich die ökumenische Debatte heute vor allem auf die Notwendigkeit des Bischofsamtes an der Spitze der Ämtertrias und auf das Verständnis der apostolischen Sukzession als Bedingung für die wechselseitige Anerkennung der kirchlichen Leitungsämter. Dabei wird inzwischen von den meisten Kirchen anerkannt, dass die neutestamentlich bezeugte Aufgabe der episkopé von der Ausformung des Bischofsamts unterschieden werden muss und dass diese persönliche, kollegiale und gemeinschaftliche Dimensionen umfasst. Umstritten ist hingegen, ob das in der frühen Christenheit ausgebildete Bischofsamt in der Überordnung über das Amt des Presbyters und des Diakons als notwendige, dem Willen Gottes entsprechende Gestalt der Gemeindeleitung anzusehen ist. Damit verbunden ist auch umstritten, ob bzw. in welchem Sinne die apostolische Sukzession im Bischofsamt als Bedingung für die Anerkennung der Ämter gelten kann. Unter apostolischer Sukzession wird dabei die Nachfolge im Amt der Apostel verstanden. Diese umfasst nach altkirchlichem Verständnis die Treue zur apostolischen Botschaft, aber auch die Vorstellung von einer ungebrochenen Weitergabe des Amtes von den Aposteln an die Bischöfe und in nachapostolischer Zeit dann von Bischof zu Bischof. Schon Irenäus erblickte in der Kette der Sukzessionen ein Indiz für unverfälschte Bewahrung der apostolischen Lehre. „Amtssukzession ist so die personale Zuspitzung der apostolischen Tradition und Zeichen für sie“ (Neuner/100: 431). Dieses Verständnis der apostolischen Sukzession setzte sich in der altkirchlichen Lehrentwicklung durch als ein wesentliches Kriterium für die Gültigkeit der Bischofsämter und deren sakramentale Vollmacht, Priester gültig zu weihen. Nach Auffassung der orthodoxen Kirchen, der Römisch-Katholische Kirche und der Kirchen der Anglikanischen Kirchengemeinschaft sind bis heute nur die kirchlichen Ämter gültig, die durch einen in der apostolischen Sukzession stehenden Bischof übertragen worden sind. Nach Auffassung dieser Kirchen ist in den reformatorischen Kirchen die apostolische Sukzession nicht bewahrt worden. Da in der Reformationszeit sich in den deutschen Gebieten – anders als in Skandinavien – keine Bi-

d) Bischofsamt und apostolische Sukzession

schöfe fanden, die zur Reformation übertraten oder zumindest bereit waren, reformatorische Theologen zu ordinieren, riss die Kette bischöflicher Amtsübertragungen in den evangelischen Territorien ab. In der Zeit der Gegenreformation wurde von der Römisch-Katholischen Kirche propagiert, dass die evangelischen Ämter nicht gültig übertragen seien, weil ihnen die apostolische Sukzession fehle. Bis heute wird im Blick auf die evangelischen Ämter von einem sog. defectus ordinis gesprochen. Aufgrund dieses Defektes kann aus römisch-katholischer Sicht das Herrenmahl von evangelischen Pfarrern nicht gültig eingesetzt werden. Demgegenüber sind die evangelischen Kirchen der Auffassung, dass die apostolische Sukzession wesentlich als Sukzession in der Lehre zu verstehen ist. Weil die evangelischen Kirchen in der Reformation für die Erneuerung der Kirche in Entsprechung zur apostolischen Botschaft gesorgt und aus ihrer Sicht die apostolische Lehre überhaupt erst wieder hergestellt haben, können sie die Behauptung vom Verlust der apostolischen Sukzession nicht gelten lassen. Die personale Sukzession in Gestalt einer ungebrochenen Weitergabe des Amtes von Bischof zu Bischof kann in den lutherischen Kirchen zwar als ein sinnvolles Zeichen für die Treue zur apostolischen Botschaft gewertet werden. Da aber von der ursprünglichen Einheit von Bischofsamt und Pfarramt ausgegangen wird, ist eine presbyterial, d. h. durch einen Pfarrer oder eine Pfarrerin vollzogene Ordination nach evangelischem Verständnis nicht ungültig. Als Regelfall wird in den evangelischen Kirchen dennoch im Einklang mit der altkirchlichen Tradition die Ordination durch einen Bischof, einen Präses, Kirchenpräsidenten oder Superintendenten vorgesehen (zum evangelischen Ordinationsverständnis Frieling/86: 37–46, bes. 38). Auf die historische apostolische Sukzession allerdings wird in vielen lutherischen Kirchen kein besonderer Wert gelegt, zum einen, weil die historische Sukzession kein Garant für die Treue zur apostolischen Botschaft war und sein kann, zum anderen, weil sich historisch zeigen lässt, dass auch in der Römisch-Katholischen Kirche die episkopale Sukzession nicht ungebrochen durchgehalten wurde. Angesichts dieser Sachlage bedürfen die Gründe, mit denen evangelischen Kirchen die apostolische Sukzession im Amt von römisch-katholischer wie auch von orthodoxer und anglikanischer Seite bestritten wird, der Überprüfung. Mit der Frage nach der Notwendigkeit einer ungebrochenen episkopalen Sukzession ist hinsichtlich des Bischofsamts interkonfessionell auch umstritten, ob dieses notwendig durch einzelne Personen wahrgenommen werden muss oder ob kollegiale und kommunale Gestalten von episkopé ebenso möglich sind. Eine wichtige Voraussetzung für die Klärung dieser Frage erfolgte in der Konvergenzerklärung von Lima, indem hier betont wird, dass das ordinierte Amt „in einer persönlichen, kollegialen und gemeinschaftlichen Weise ausgeübt werden“ (DwÜ 1, S. 576, Nr. 26) sollte. Der Sinn des persönlichen Elements wird damit erklärt, „daß auf die Präsenz Jesu Christi unter seinem Volk am wirksamsten durch eine Person hingewiesen werden kann, die ordiniert ist, um das Evangelium zu verkündigen und die Gemeinschaft dazu aufzurufen, dem Herrn in Einheit von Leben und Zeugnis zu dienen“ (ebd.). Die kollegiale Dimension sei notwendig, weil es eines Kollegiums von ordinierten Amtsträgern bedürfe, „die an der gemeinsamen Aufgabe teilhaben, die Anliegen der Gemeinde zu vertreten“ (ebd.). Gemäß

lutherisches Sukzessionsverständnis

personales Element

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5. Ämterlehren

Bedeutung der Synodalität

der gemeinschaftlichen Dimension schließlich müsse „die Ausübung des ordinierten Amtes im Leben der Gemeinschaft verwurzelt sein“ (ebd.) und fordere „die wirksame Teilnahme der Gemeinschaft an der Erkenntnis von Gottes Willen und der Leitung des Geistes“ (ebd.). Die Frage, wie diese drei Elemente in den kirchlichen Leitungsämtern einander zuzuordnen sind, beurteilen die Kirchen jeweils unterschiedlich. Angesichts dieses Faktums ist in ökumenischen Gesprächen zu klären, ob bzw. in welchem Maße eine Einigung über die Struktur der Kirchenverfassung als Voraussetzung für die wechselseitige Anerkennung der Kirchen als Kirchen Jesu Christi gelten kann. Die in der GEKE verbundenen reformatorischen Kirchen stimmen darin überein, dass die bei ihnen bestehenden Unterschiede in der Struktur der Kirchenverfassung „einer ,Kirchengemeinschaft‘ im Sinne von Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft und der gegenseitigen Anerkennung von Amt und Ordination nicht hinderlich sind, solange die Frage der Kirchenleitung der Herrschaft des Wortes [Gottes; FN] untergeordnet bleibt“ (These 3 der Tampere-Thesen, in: KJC, S. 33 f.). Sie können die unterschiedliche Ausgestaltung der Ämter und Dienste „als Reichtum und Gabe Gottes annehmen“ (KJC, S. 34) und entsprechend „sowohl das (historische) Bischofsamt als auch das gegliederte Amt in einer synodal-presbyterialen Ordnung als Dienst an der Einheit“ (ebd.) würdigen. Die in dieser Sicht wahrgenommene Freiheit, Unterschiede zu tolerieren, und die Bereitschaft, von nichtreformatorischen Kirchen zu lernen, gründet in der exegetischen Einsicht, dass im Neuen Testament keine einheitliche Amtsstruktur als verbindliche bezeugt ist. Wechselseitige Anerkennung der Kirchen wird nur möglich sein, wenn dieser Sachverhalt stärker berücksichtigt wird. e) Die Ordination – ein Sakrament?

Handauflegung und Gebet

Ordination als Sakrament

Die Beauftragung mit dem Dienst der öffentlichen Evangeliumsverkündigung und der Verwaltung der Sakramente wird in den meisten Kirchen im Rekurs auf das biblische Zeugnis durch Handauflegung und Gebet vollzogen (vgl. Apg 6,1–6; 1 Tim 4,14; 2 Tim 1,6). In den orthodoxen Kirchen, in der Römisch-Katholischen Kirche und in der altkatholischen Kirche wird die Ordinationshandlung mit der Weihe zum Priester verbunden und als Sakrament verstanden. Die reformatorischen Kirchen hingegen verstehen nur Taufe und Abendmahl als Sakramente, d. h. als Zeichenhandlungen, für die eine Einsetzung durch Christus bezeugt ist und die mit einem sichtbaren Element verbunden sind. Melanchthon und andere Theologen der Wittenberger Reformation wie auch Johannes Calvin (vgl. Calvin, Institutio, 1026 f.; 1028) hielten allerdings „die Anerkennung einer durch Gebet und Handauflegung vollzogenen Ordination als Sakrament für möglich … unter der Voraussetzung, daß das Amt als Dienst (ministerium) der Verkündigung und Sakramentsverwaltung verstanden und nicht als Opferdienst (im Sinne des von der Reformation abgelehnten Opferbegriffs) bestimmt werde“ (LV 1, S. 160). Entsprechend konnte in einer gemeinsamen Studie der Ökumenischen Universitätsinstitute an katholischen und evangelischen Fakultäten in Deutschland aus dem Jahr 1972 festgestellt werden, dass die Frage, ob die Ordination als Sakra-

e) Die Ordination – ein Sakrament?

ment zu bezeichnen sei, die Frage einer Sprachregelung sei (vgl. Ämtermemorandum, Nr. 16). Während die Frage nach der Bezeichnung der Ordination als Sakrament für sich genommen keine kirchentrennende Bedeutung gewinnen muss, wird die Wirkung der Ordination bzw. Priesterweihe ökumenisch kontrovers diskutiert. Nach römisch-katholischem Verständnis wird „im Sakrament der Weihe, wie auch in der Taufe und Firmung, eine Prägung eingeprägt …, die weder zerstört noch entfernt werden kann“ (Trient in seiner 23. Sitzung im Juli 1563, DH 1767). Durch diese Prägung, den sog. character indelebilis, der vom Heiligen Geist verliehen werde, ist es unmöglich, dass Priester wieder Laien werden können (DH 1774). Die ökumenisch strittige Frage richtet sich darauf, ob mit dem character indelebilis eine über die in der Taufe hinausgehende Gabe vermittelt wird, die einen besonderen Gnadenstand begründet, durch den sich ordinierte Geistliche von den nicht ordinierten, getauften Christen grundsätzlich unterscheiden. Die Formulierung in der Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils legt eine solche Vorstellung nahe, indem sie den Unterschied zwischen dem gemeinsamen Priestertum und dem Amtspriestern als einen Unterschied dem Wesen und nicht nur dem Grade nach bestimmt (LG 10). Das impliziert eine hierarchische Unterscheidung zwischen Priestern und Laien, die von den reformatorischen Kirchen abgelehnt wird. Zwar wurde mehrfach und zuletzt in der Studie „Communio Sanctorum“ (CS) der Arbeitsgruppe der VELKD und der DBK in Deutschland von 2000 von katholischen Theologen darauf aufmerksam gemacht, dass diese Differenzierung im Blick auf die unterschiedliche Aufgabe zu interpretieren sei und keinen ontologischen Unterschied intendiere. Dennoch kann die Frage nach der Wirkung der Ordination oder Priesterweihe noch keineswegs als ökumenisch geklärt gelten, zumal die Aussagen in den ökumenischen Dokumenten zu dieser Frage lehramtlich keine Befürwortung erfahren haben. Eine Möglichkeit der Verständigung besteht dann, wenn einerseits der Bezug der Ordination auf die Dienstfunktion herausgestellt werden kann, andererseits aber auch herausgestellt wird, dass durch den Ritus der Ordination, d. h. durch Gebet und Handauflegung, eine besondere Gabe des Heiligen Geistes erbeten und geschenkt wird. Letzteres wird von den meisten reformatorischen Kirchen nicht in Frage gestellt (vgl. LV 1, S. 162). Auch halten sie zumeist daran fest, dass die Ordination eine unbefristete, das ganze Leben in Anspruch nehmende Beauftragung bedeutet. Allerdings wird innerevangelisch seit einigen Jahren verstärkt die Möglichkeit einer von der Ordination unterschiedenen eingeschränkten Beauftragung mit dem Dienst der Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament diskutiert. Zwei Anliegen stehen dabei im Hintergrund. Einerseits soll die Unterscheidung zwischen dem hauptamtlichen Pfarrdienst, der eine volle theologische Ausbildung an der Universität voraussetzt, und einer nebenamtlichen Wahrnehmung von Verkündigungsaufgaben nicht aufgehoben werden, so dass die Bedeutung theologischer Ausbildung betont wird. Andererseits gilt es, geordnete Möglichkeiten zu schaffen für diejenigen, die nebenberuflich willens und in der Lage sind, Verkündigungsdienste in einer Gemeinde zu übernehmen. Dabei besteht die Herausforderung für die Kirchen nicht nur darin, der theologischen Einsicht in das Priestertum aller

character indelebilis

Verständigungsmöglichkeit

eingeschränkte Beauftragung?

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5. Ämterlehren

Priestermangel

Zölibat

Gläubigen und zugleich der Einsicht in die Bedeutung des Theologiestudiums Rechnung zu tragen. Brennend ist auch das praktische Problem, dass viele Kirchen nicht mehr über die finanziellen Mittel verfügen, um alle Gemeinden mit hauptamtlichen Pfarrern und Pfarrerinnen zu versorgen, gleichzeitig aber viele Gemeindeglieder die Bereitschaft und Fähigkeit zum Verkündigungsdienst anmelden. In anderer Weise steht auch die Römisch-Katholische Kirche vor der Frage, wie bzw. ob sie daran festhalten kann, dass die Leitung der Mess- bzw. Eucharistiefeier nur von geweihten Priestern wahrgenommen werden kann. Diese Frage gewinnt zunehmend an Dringlichkeit angesichts der Nachwuchsprobleme, die wiederum zum Teil daraus resultieren, dass sich wegen der Verpflichtung zur Ehelosigkeit und sexuellen Enthaltsamkeit (Zölibat) immer weniger Kandidaten für den Priesterberuf finden. So steht auch die Römisch-Katholische Kirche vielerorts vor der Schwierigkeit, alle ihre Gemeinden mit Priestern zu versorgen. Ein Ausweg könnte darin bestehen, den Wortgottesdiensten, die auch von Diakonen, Pastoralreferenten und Pastoralreferentinnen geleitet werden können, einen höheren Stellenwert einzuräumen. Die römische Kurie betont jedoch bisher strikt, dass die Eucharistie den Kern des gottesdienstlichen Lebens ausmacht und nur eucharistische Gottesdienste als volle Gottesdienste gelten können. Eine weitere Möglichkeit, der Schwierigkeit zu begegnen, könnte in der Einschränkung oder Aufhebung der Zölibatsverpflichtung bestehen. Eine solche Einschränkung würde nicht nur praktische Probleme lösen helfen, sie wäre vor allem ökumenisch von hoher Bedeutung. Die Verpflichtung zum Zölibat hat sich ab dem 4. Jahrhundert in der Westkirche langsam eingebürgert, während in der Ostkirche die Ehelosigkeit nur von den Bischöfen, nicht aber von den Priestern verlangt wurde und wird. Erst 1139 wurde der Zölibat in der römischen Kirche verbindlich, indem Papst Innozenz die Priesterweihe zu einem Ehehindernis erklärte. Da die Zölibatsverpflichtung biblisch nicht belegt ist und sie sich auch nicht aus dem Wesen des Priestertums ableitet, erscheint eine Einschränkung der Zölibatsverpflichtung nicht ausgeschlossen. Würde von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, so könnte dies neue hermeneutische Perspektiven im Umgang mit der römisch-katholischen Lehrtradition eröffnen, die sich auch im Blick auf andere ökumenisch kontroverse Problemen fruchtbar machen ließen. Es gibt jedoch keinerlei Anzeichen dafür, dass Rom eine solche Möglichkeit erwägt. f) Frauenordination?

ökumenische Lage

Zusammen mit der Frage, ob die Ordination ein Sakrament ist und das Amtscharisma einen besonderen Gnadenstand begründet, gehört die Frage nach der Ordination von Frauen zu den zentralen Problemen amtstheologischer Verständigung zwischen den Kirchen. Dies wird z. B. am anglikanisch-römisch-katholischen Dialog auf Weltebene deutlich. In diesem wichtigen Dialog konnte zwar über die grundlegende Frage nach der Autorität in der Kirche und dem universalen Primat zwischen beiden Seiten eine weitreichende Verständigung erzielt werden. Doch schon im Vorfeld wurde betont, „dass über die Priesterweihe von Frauen eine ernsthafte Uneinigkeit

f) Frauenordination?

zwischen der Römisch-Katholischen Kirchen und der Anglikanischen Gemeinschaft bleibt“ (DwÜ 3, S. 215). Die Ordination von Frauen zum Dienst der Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung, die in vielen evangelischen Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg und seit 1986 auch in der anglikanischen Kirchengemeinschaft ermöglicht wurde, wird in der Römisch-Katholischen Kirche und ebenso in den orthodoxen Kirchen mit Entschiedenheit ausgeschlossen. Die Frauenordination stellt mithin das größte Hindernis für eine Verständigung in der Amtsfrage dar. In der Römisch-Katholischen Kirche wurde die Frage der Frauenordination zuletzt durch die Glaubenskongregation in der „Erklärung zur Frage der Zulassung der Frauen zum Priesteramt“ ausführlich erörtert. Darüber hinausgehend verkündete Papst Johannes Paul II. in lehramtlichen Schreiben 1994 kraft seines Amtes, dass die Kirche keinerlei Vollmacht habe, Frauen die Priesterweihe zu spenden (vgl. Johannes Paul II./88). Dabei verwies der Papst in seinem Schreiben darauf, dass es sich bei dem Verbot der Frauenordination um eine Entscheidung handele, die auf Glaubensargumenten basiere. Damit ist der Unterschied zur Zölibatsverpflichtung markiert, für die Gründe der Disziplin angeführt werden. Begründet wird die Entscheidung gegen die Zulassung von Frauen zum Priesteramt einerseits damit, dass Jesus nur den Jüngern und Aposteln, nicht aber Maria einen Sendungsauftrag erteilt habe, zum anderen mit der Christusrepräsentanz, die eine natürliche Ähnlichkeit zwischen Christus und den in persona Christi sakramental handelnden Priestern impliziere. In der Verlautbarung des Papstes heißt es, die natürliche Ähnlichkeit, „die zwischen Christus und seinem Diener bestehen muss, liegt nicht vor, wenn die Stelle Christi nicht von einem Mann vertreten wird; andernfalls würde man in ihm schwerlich das Abbild Christi erblicken. Christus selbst war und bleibt nämlich Mann“ (Kongregation für die Glaubenslehre/90: 23). Inwieweit diese Glaubensargumente zwingend auch für ein weibliches Diakonat gelten, ist umstritten (vgl. Neuner/100: 431). Auch die orthodoxen Kirchen lassen Frauen nicht zum Priesteramt zu, begründen dies aber vornehmlich aus der Tradition der alten Kirche. Die Zulassung von Frauen zum Diakonenamt ist nicht ausgeschlossen, wird aber schon seit altkirchlicher Zeit nicht mehr praktiziert. Auch wenn die orthodoxen Kirchen die Ablehnung der Frauenordination nicht in der gleichen Weise wie in der Römisch-Katholischen Kirche auf der Basis von Glaubensargumenten als unhintergehbare Entscheidung deklarieren, erscheint ihnen die Anerkennung evangelischer Ämter u. a. wegen der Praxis der Frauenordination unmöglich. Anders als in der Römisch-Katholischen Kirche werden in den orthodoxen Kirchen auch kaum Stimmen laut, die sich für die Ermöglichung der Zulassung von Frauen zum Priesterdienst einsetzen. Das Ziel ökumenischer Verständigung über die Frauenordination kann nicht darin gesehen werden, die Kirchen, die die Frauenordination ablehnen, davon überzeugen zu wollen, diese einzuführen. Die Aufgabe besteht vielmehr darin, die Begründung für die Ablehnung sowohl mit Blick auf das biblische Zeugnis wie auch die kirchliche Lehrbildung kritisch zu reflektieren. Dabei sollte die Frage leitend sein, ob die Begründungsmuster gegen die Zulassung von Frauen zum geistlichen Amt es rechtfertigen, den Kirchen, die die Frauenordination praktizieren, die Anerkennung ihrer Ämter zu versagen (vgl. DwÜ 1, S. 584; Nr. 54).

Römisch-Katholische Kirche

orthodoxe Kirchen

Aufgabe ökumenischer Verständigung

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5. Ämterlehren biblisches Zeugnis

Betrachtet man das biblische Zeugnis, so lassen sich aus diesem keine eindeutigen Belege gegen die Frauenordination ableiten. Die Aussagen bei Paulus und in den Paulus zugeschriebenen Briefen, dass die Frau in der Gemeinde schweigen solle, beziehen sich nicht eindeutig auf die Evangeliumsverkündigung. Da im Römerbrief eine Apostolin Junia erwähnt wird, ist es unwahrscheinlich, dass in der frühen Christenheit den Frauen die öffentliche Verkündigung des Evangeliums im Gottesdienst verboten gewesen ist. Dem korrespondiert, dass Paulus in Gal 3,28 die Unterschiedslosigkeit von Mann und Frau in soteriologischer Hinsicht betont. Auch fehlen Belege für eine notwendige natürliche Ähnlichkeit zwischen den Amtsträgern und Christus. Von daher erscheint es geboten, die Gründe kritisch zu reflektieren, die in den ersten Jahrhunderten der Christentumsgeschichte dazu geführt haben, Frauen nicht zum Verkündigungsdienst zuzulassen. Damit verbunden ist in ökumenischen Dialogen die Frage zu erörtern, inwiefern die Kirchen, die die Frauenordination ablehnen, ihre konfessionelle Identität nicht auch dann wahren können, wenn sie Ämter in Kirchen anerkennen, in denen Frauen ordiniert werden. g) Petrusdienst und Papstamt

ein ökumenisches Grundproblem

reformatorische Reflexion auf den päpstlichen Primat

Zu den grundlegenden amtstheologischen Problemen gehört schließlich die Frage nach dem Primat des römischen Bischofs als Nachfolger des Apostels Petrus und die Ausgestaltung des Petrusdienstes zum Papstamt mitsamt seiner Lehr- und Jurisdiktionsgewalt (vgl. LV 1, S. 167–169; Frieling/86: 121 f.; 130–132; 139–141; 153; 161 f.; 190–192; 234–237). In allen Schismen, die die römische Kirche betrafen, spielte diese Frage und damit die Bedingung der Anerkennung des Papstamtes direkt oder indirekt eine Rolle. So hatte die sukzessive Ausweitung des römischen Primatsanspruchs über Jahrhunderte das Verhältnis zwischen östlicher und westlicher Christenheit belastet, bevor es im 11. Jahrhundert zur Spaltung kam. Die orthodoxen Kirchen erkennen den Papst weder als obersten Stellvertreter Christi auf Erden an, noch billigen sie ihm höchste Lehrgewalt zu. Auch innerhalb der westlichen Christenheit wurde das Papstamt zu einem ökumenischen Problem. 1520 verurteilte Papst Leo X. in der Wahrnehmung seines höchsten Lehramtes mit der Bannbulle „Exsurge Domine“ (vgl. DH 1451–1492) die reformatorische Lehre Martin Luthers. Damit wurde eine reichsrechtliche Klärung der Sache Luthers nötig, die in die Kirchenspaltung der abendländischen Christenheit mündete. Obwohl die reformatorische Kritik sich nicht am Papstamt, sondern am Buß- und Ablasswesen entzündete, provozierte die Verurteilung der reformatorischen Lehre durch den Papst eine kritische Reflexion auf die Gewalt des päpstlichen Primats bei den Reformatoren. Luther selbst erblickte in der Verurteilung seiner Lehre durch den Papst das untrügliche Kennzeichen dafür, dass der Papst der „Antichrist“ sei und beklagte etwa in den Schmalkaldischen Artikeln von 1537, der Papst habe sich an die Stelle Christi als Haupt der Kirche gesetzt und das Evangelium wie auch die Ordnung in der Kirche verdreht (Schmalkaldische Artikel Teil II. 4, BSLK S. 427–433). Während Luther für die Abschaffung des Papstamtes plädierte, war Melanchthon allerdings bereit, die Superiorität des Papstes über die Bischöfe nach menschlichem Recht (iure humano) zuzuge-

g) Petrusdienst und Papstamt

stehen „um des Friedens und allgemeiner Einigkeit willen mit denjenigen Christen, die unter ihm sind und künftig sein möchten“. Ähnlich richtete sich dann auch die nachreformatorische Kritik an der Institution des Papstamtes nicht gegen einen Primat des Bischofs von Rom, sondern vornehmlich gegen die Auffassung, die höchste geistliche und jurisdiktionelle Gewalt komme dem Papst auf der cathedra Petri nach göttlichem Recht (iure divino) zu. Während die Frage nach der obersten Lehr- und Jurisdiktionsgewalt des Papstes in der Reformationszeit nicht den Ausschlag für die Kirchenspaltung gab, entzündete sich an der dogmatischen Fundierung der päpstlichen Gewalt durch das Dogma von der unfehlbaren Lehrgewalt des Papstes in Glaubens- und Sittenlehren im Ersten Vatikanische Konzil 1870/71 ein Streit von unmittelbar kirchentrennender Wirkung. Die katholischen Gegner der antimodernistisch motivierten Konstitution „Pastor Aeternus“ über die unfehlbare Lehrgewalt des Papstes (vgl. DH 3050–3075), die sich um Ignaz Döllinger sammelten, wurden aus der Römisch-Katholischen Kirche exkommuniziert und bilden seither die Altkatholische Kirche. Obwohl alle ökumenischen Diskurse zum Amtsverständnis mit der Römisch-Katholischen Kirche in die Frage nach dem Papstamt münden, ist doch erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine intensive ökumenisch-theologische Reflexion zum Papstamt aufgekommen (vgl. Leipold/93: 676–695). Daran schließt die Ökumene-Enzyklika „Ut unum sint“ (25. Mai 1995) von Johannes Paul II. an, die zu einem Dialog über das Papstamt auffordert. Im Brennpunkt sollte allerdings nicht die Frage nach der biblischen Begründung und der theologischen Notwendigkeit stehen. Vielmehr sollte der Dialog darauf zielen, „eine Form der Primatsausübung zu finden, die zwar keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet“ (DH 5011). Das anglikanisch-katholische Dokument „The Gift of Authority“ (DwÜ 3, S. 262–289; vgl. Klausnitzer/89: 497–507) von 1998 sieht die Lehrgewalt des Papstes in Verbindung mit der gesamten Gemeinschaft der Glaubenden und ihrem sensus fidei. Es interpretiert den Primat des römischen Bischofs im Ausgang vom Prinzip der Kollegialität der Bischöfe und empfiehlt die Anerkennung eines entsprechend verstandenen und ausgeübten universalen Primats allen Kirchen. Auf der Basis der erreichten Übereinstimmung „über den Primat als gemeinsame Gabe“ schlägt die Kommission vor, „dass auch bevor unsere Kirchen in voller Gemeinschaft sind, ein solcher Primat angeboten und angenommen werde könnte. … Es soll ein Primat angestrebt werden, der schon jetzt die legitime Vielfalt der Traditionen aufrechterhält und sie in der Treue zum Evangelium stärkt und bewahrt. … Diese Art des Primats wird die irdische Kirche dabei unterstützen, die authentische katholische koinonia zu sein, in der die Vielfalt durch die Einheit nicht beschnitten und die Einheit durch die Vielfalt nicht gefährdet, sondern gefördert wird“ (DwÜ 3, S. 287, Nr. 60). Damit stellt das Dokument die bisher am weitesten reichende Annäherung in der Frage von Petrusdienst und Papstamt dar. Eine offizielle römisch-katholische Reaktion liegt noch nicht vor. Das evangelisch-katholische Dokument „Communio Sanctorum“ (CS) sucht demgegenüber eine Annäherung in der Papstfrage, indem von katholischer Seite die Geschichte des Papstamtes und die Reichweite der Jurisdik-

Unfehlbarkeit

ökumenischer Dialog

„The Gift of Authority“

„Communio Sanctorum“

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5. Ämterlehren

universalkirchlicher Einheitsdienst

tions- und Lehrgewalt kritisch reflektiert werden (CS 164–175), während die lutherische Seite die Frage der Notwendigkeit eines gesamtkirchlichen Petrusdienstes in Erwägung zu ziehen empfiehlt (vgl. CS 184; 189). Eingedenk der reformatorischen Kritik am Papstamt ist dabei allerdings eine „Verpflichtung gegenüber den kollegialen und synodalen Verantwortungsstrukturen auf universalkirchlicher Ebene“ (CS 190) und die Achtung der Eigenständigkeit der Regionalkirchen (ebd.) zu beachten. „Die gesamtkirchliche Einheit wäre dann eine ,konziliare Gemeinschaft‘ aller Kirchen in ,versöhnter Verschiedenheit‘ mit einem dieser Gemeinschaft dienenden Petrusamt“ (ebd.) Die Reaktionen auf das Studiendokument aus verschiedenen evangelischtheologischen Fakultäten machen allerdings deutlich, dass eine solche Vision innerevangelisch stark umstritten ist. Überdies ist aber zu bedenken, dass die Papstfrage, auch wenn sie in bilateralen Dialogen einzelner Kirchen mit Rom bearbeitet werden muss, ökumenisch nur auf Weltebene unter Beteiligung aller im ÖRK verbundenen Kirchen einer Klärung zugeführt werden kann. Denn an eine allgemeine Anerkennung und Wahrnehmung eines universalkirchlichen Einheitsdienstes durch und für die Weltchristenheit lässt sich überhaupt nur denken, wenn alle Kirchen in die Gestaltung dieses Dienstes einbezogen sind. Eine kollegiale Einbindung und Wahrnehmung dieses Dienstes legt sich von daher nahe. Grundlegend ist dabei mit Blick auf die Aussagen des Neuen Testaments und die frühkirchliche Gestaltung der Episkopé, dass ein solcher Dienst weder mit einer unfehlbaren Lehrgewalt noch mit einer allgemeinen Jurisdiktionsgewalt verbunden werden kann. Nicht einmal die Anbindung an den römischen Bischofssitz kann als unabdingbare Voraussetzung gelten. h) Ziele und Formen wechselseitiger Ämteranerkennung

Aufgabe

Römisch-Katholische Kirche und Orthodoxe Kirchen

Für alle Kirchen impliziert die Anerkennung einer Kirche als Kirche Jesu Christi die Anerkennung des jeweils in den Gemeinden praktizierten Dienstes der öffentlichen Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung. Kirchenspaltungen können mithin nur überwunden werden, wenn zusammen mit der Gemeinschaft im Glauben auch die wechselseitige Anerkennung der Ämter erreicht wird. Die Bedingungen solcher Anerkennung werden von den Kirchen allerdings unterschiedlich bestimmt und resultieren aus den Kriterien, die die Kirchen jeweils als Voraussetzung gültiger Ämter ansehen. Die Kirchen, die das Bischofsamt als Vollgestalt des Amtes ansehen – wie die Römisch-Katholische Kirche, die orthodoxen Kirchen und die bisher maßgebende Sicht innerhalb der anglikanischen Kirchengemeinschaft – machen die wechselseitige Anerkennung ihrer Ämter von der Übereinstimmung im Verständnis und in der Weitergabe des Bischofsamtes abhängig. So konnte die Römisch-Katholische Kirche im Ökumenismusdekret „Unitatis redintegratio“ (UR; in: DH 4185–4192) des Zweiten Vatikanischen Konzils die Ämter in den Ostkirchen voll anerkennen (vgl. UR 15), weil aus römischer Sicht sowohl im Verständnis des Bischofsamtes als Vollgestalt des dreifachen Amts wie auch im Verständnis der historischen apostolischen Sukzession Übereinstimmung besteht. Von beiden Kirchen wurde in dem

h) Ziele und Formen wechselseitiger Ämteranerkennung

seit 1980 geführten Dialog der Wahrheit die Ämterfrage diskutiert. Dabei konnte im Valamo-Dokument von 1988 und schon im Münchener Dokument von 1982 gemeinsam festgestellt werden, dass der Begriff des Amtes in den römisch-katholischen und in den byzantinisch-orthodoxen Kirchen identisch sei, „auch wenn bei einigen kanonischen und disziplinären Erfordernissen – wie dem Zölibat – die Gebräuche aus pastoralen und spirituellen Gründen verschieden sind“ (Valamo 30). Eine offizielle Anerkennung der römischen Ämter durch die orthodoxen Kirchen könnte allerdings nur von einem panorthodoxen Konzil vorgenommen werden und steht mithin aus. Insofern lässt sich formal betrachtet bisher nicht von einer wechselseitigen Anerkennung der Ämter zwischen orthodoxen Kirchen und der Römisch-Katholischen Kirche sprechen. Unter den anderen episkopal verfassten Kirchen hat die anglikanische Kirchengemeinschaft die größten Fortschritte in der Verständigung mit Rom erzielt. Die Widerstände waren dabei beträchtlich, nachdem die päpstliche Bulle „Apostolicae Curae“ von 1896 die anglikanischen Weihen „für null und nichtig“ erklärt hatte und die bemerkenswerten Annäherungen im internationalen Dialog zwischen Anglikanischen Kirchen und der Römisch-Katholischen Kirche (ARCIC I) von der Glaubenskongregation unter Kardinal Ratzinger abgelehnt worden waren. Eine Ämteranerkennung könnte auf dem weitgehend konformen Verständnis des Bischofsamtes und der apostolischen Sukzession aufruhen und würde im Falle einer Rezeption des Dialogergebnisses von ARCIC II eine Anerkennung des römischen Primates als Gabe der Autorität implizieren. Auf der Linie der im Dialog mit Rom angestrebten Gemeinschaft zielen die ökumenischen Bemühungen der Anglikanischen Kirchengemeinschaft auf eine Übereinstimmung im Verständnis des Bischofsamtes und dessen ungebrochener Weitergabe in apostolischer Sukzession als Ausdruck voller, sichtbarer Einheit. Eine solche Übereinstimmung konnte zuerst im Dialog zwischen den Anglikanischen Kirchen in Großbritannien und Irland einerseits und den lutherischen Kirchen in Skandinavien und im Baltikum mit dem Porvoo-Agreement von 1992 erreicht werden. Auf der Basis einer gemeinsamen Auslegung des Kirchenverständnisses (vgl. DwÜ 3, S. 757–760) und der Überzeugung, dass die Einheit der Kirchen „eine vollere sichtbare Verkörperung in strukturierter Form“ (DwÜ 3, S. 760, Nr. 22) verlange, wird ein gemeinsames Verständnis vom Episkopat als Dienst an der Apostolizität entfaltet (vgl. DwÜ 3, S. 768–733). Dieses kulminiert in der gemeinsamen Überzeugung, dass sich in der historischen apostolischen Sukzession im Bischofsamt die Apostolizität der Kirche „auf sichtbare und persönliche Weise“ (DwÜ 3, S. 771, Nr. 46) konzentriere. Die Vereinbarung beinhaltet die Übernahme der historischen Sukzession in den beteiligten Kirchen, die sie nicht als historische bewahren konnten. Dabei geht aber die gegenseitige Anerkennung der Kirchen und ihrer Ämter dem Gebrauch dieses Zeichens voraus. Es wird ausdrücklich betont, die Wiederaufnahme des Zeichens bedeute „kein negatives Urteil über die Ämter derjenigen Kirchen, die vorher von dem Zeichen keinen Gebrauch gemacht haben“ (DwÜ 3, S. 773, Nr. 53). Eine ähnliche Form der wechselseitigen Kirchen- und Ämteranerkennung konnte zwischen der Episkopalen Kirche und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in den USA mit dem Konkordat „Called to Common Mission“

Römisch-Katholische Kirche und Anglikanische Kirchengemeinschaft

Porvoo-Agreement

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5. Ämterlehren

Meissen-Erklärung und Reuilly-Erklärung

anglikanischreformatorische Differenz

Leuenberger Konkordie

Aufgaben

(1999/2000) (vgl. DwÜ 3, S. 794–808) und zwischen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Kanada und der Anglikanischen Kirche von Kanada mit der Waterloo-Erklärung (2001) (vgl. DwÜ 3, S. 809–813) erzielt werden. Während mit diesen Erklärungen von Kirchengemeinschaft auf der Basis des Bischofsamtes in historischer Sukzession volle sichtbare Einheit erstrebt und die Möglichkeit des Austauschs von Geistlichen gegeben ist, haben zwei andere Dialoge zwischen Anglikanischen und reformatorischen Kirchen in Europa zwar die wechselseitige Anerkennung der Kirchen, aber keine volle, sichtbare Einheit im Amt in Gestalt der Austauschbarkeit der Pfarrer erreicht. Zum einen handelt es sich um die „Meissener gemeinsame Feststellung“ von 1988 zwischen der Kirche von England, dem Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR und der EKD (DwÜ 3, 732–748), zum anderen um die Erklärung von Reuilly „Berufen zu Zeugnis und Dienst“ von 2001 (DwÜ 3, 814–834) zwischen den Anglikanischen Kirchen Großbritanniens und Irlands und den Lutherischen und Reformierten Kirchen Frankreichs. Für die weitere ökumenische Diskussion in der Ämterfrage ist es von entscheidender Bedeutung, dass in den verschiedenen Vereinbarungen zwischen Anglikanischen Kirchen und Lutherischen bzw. Reformierten Kirchen die Ämteranerkennung als Folge der Gemeinschaft im Glauben und der Anerkennung als Kirche Jesu Christi verstanden ist. Die sichtbare Einheit erscheint hier als eine Zielvorstellung, die sich auf der Basis gewonnener wechselseitiger Anerkennung der Kirchen und Ämter ausbauen lässt bis hin zur vollen Austauschbarkeit der Geistlichen. Diese setzt allerdings aus anglikanischer Sicht die volle Übereinstimmung in der Gestaltung bischöflicher Episkopé und damit die Übernahme der historischen apostolischen Sukzession voraus. Im Unterschied dazu haben lutherische, unierte und reformierte Kirchen Europas auf der Basis der Leuenberger Konkordie 1973 Kirchengemeinschaft im Sinne von Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft verstanden, die eine wechselseitige Anerkennung der Ämter einschließt und den Austausch von Pfarrerinnen und Pfarrer ermöglicht, ohne dass eine gemeinsame Form der Episkopé als notwendig vorausgesetzt wird. Vielmehr differenziert die Kirchenstudie zwischen dem, was voller Übereinstimmung bedarf und den Dingen, in denen legitime Vielfalt möglich ist. Volle Übereinstimmung ist erforderlich darüber, dass „Christus das Amt eingesetzt hat im Dienste der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung und daß dieses Amt zum Kirchesein hinzugehört“ (KJC, S. 57). Auf diesem Boden ist in der Differenzierung der Ämter und der Gestaltung der Episkopé legitime Vielfalt möglich. Sie bedarf allerdings „der steten theologischen Überprüfung am Ursprung und an der Bestimmung der Kirche, damit sie eine legitime Verschiedenheit bleibt“ (KJC, S. 57). Im Rekurs auf die Tatsache, dass im Neuen Testament keine einheitliche Ämterstruktur als verbindlich erscheint, kann in der GEKE „sowohl das (historische) Bischofsamt als auch das gegliederte Amt in einer synodal-presbyterialen Ordnung als Dienst an der Einheit“ (KJC, S. 34) gewürdigt werden. Für weitere Fortschritte in ökumenischen Dialogen zur Amtsfrage wird entscheidend sein, welches Gewicht dem exegetischen Befund zu Ämtern und Diensten im Neuen Testament gemeinsam zugemessen werden kann

a) Biblische Voraussetzungen

und wie sich die Einsicht in die im Evangelium von Gottes freier Gnade geschenkte Freiheit im Blick auf die Frage der Ordnung des Amtes auslegen lässt. Damit verbindet sich die Aufgabe der Reflexion darauf, wie sich geschichtlich gewordene Strukturen, die nicht oder nicht eindeutig im Neuen Testament bezeugt sind, theologisch beurteilen lassen. Diese Frage ist von elementarer Bedeutung um festzustellen, in welcher Weise Kirchen sich auf bestimmte Dienste und Strukturen verpflichtet sehen müssen und wo sie Unterschiede in den Strukturen wechselseitig akzeptieren und anerkennen sollten. Die reflektierte Auseinandersetzung mit dem Geltungsanspruch historisch gewachsener Strukturen kann heute nur im Lichte der geschichtswissenschaftlichen Diskussion stattfinden. Um diese Frage in den Blick zu nehmen, bietet die wissenschaftlich betriebene ökumenische Theologie eine unerlässliche Diskursebene für alle Konfessionen, deren Potentiale noch längst nicht hinreichend erschlossen sind.

6. Kirchenverständnisse Die Frage wechselseitiger Ämteranerkennung ist eng verknüpft mit dem jeweiligen Kirchenverständnis. Darum soll dieses Thema hier zum Abschluss der ökumenisch-theologischen Grundthemen behandelt werden. In einem ersten Schritt ist auch hier nach der neutestamentlichen Basis für die Klärung des Kirchenverständnisses zu fragen (Abschnitt a). Sodann werden die Wesensaussagen über die Kirche, die im Glaubensbekenntnis von NizäaKonstantinopel bestimmt worden sind, in ihrer ekklesiologischen Bedeutung in den Blick zu nehmen (Abschnitt b). Weiter ist nach dem Charakter der Kirche als Gemeinschaft der Heiligen zu fragen (Abschnitt c). Von besonderer ökumenischer Brisanz sind jedoch vor allem die Fragen nach der Kirche als Sakrament (Abschnitt d) und nach der Verhältnisbestimmung von sichtbarer und verborgener Kirche (Abschnitt e). Diese ziehen wiederum die Aufgabe nach sich, sichtbare Kennzeichen für das Kirchesein von Kirche (Abschnitt f) und das Verhältnis von Ortskirche und Universalkirche (Abschnitt g) zu erörtern. Abschließend soll über den Stand und weitere Perspektiven ökumenischer Verständigung (Abschnitt h) nachgedacht werden. a) Biblische Voraussetzungen In der theologischen Lehre von der Kirche (Ekklesiologie) hat sich eingebürgert, das deutsche Lehnwort „Kirche“ (etymologisch handelt es sich vermutlich um eine Adjektivableitung von ,kyrios‘) mit der Rede von der „ekklesia“ im Neuen Testament gleichzusetzen. Doch ist zu beachten, dass das Wort „Kirche“ ein weit über den Ausdruck „ekklesia“ hinausreichendes Bedeutungsspektrum biblischer und altkirchlicher Vorstellungen integriert. Dabei sind schon die biblischen Voraussetzungen für die christliche Rede von der Kirche vielfältig. Jesus selbst hat vermutlich die Bildung einer „ekklesia“ im Sinne einer neuen Glaubensgemeinschaft nach seinem Tod weder vorbereitet, noch einer solchen Erwartung Ausdruck gegeben. Seine Wirksamkeit konzentrierte sich vielmehr ganz auf die Verkündigung des nahen Reiches Gottes, das er in seiner Verkündigung und in seinen Taten schon anbrechen

„Kirche“ und „ekklesia“

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6. Kirchenverständnisse

Jerusalemer Urgemeinde

Dienst der Apostel

Volk Gottes

Leib Christi

sah. So erklärt sich, warum in der Jesusüberlieferung der Evangelien der Ausdruck „ekklesia“ nur an zwei Stellen im Matthäusevangelium (vgl. Mt 16,18 und 18,17) begegnet, die von den meisten Exegeten als nachösterlich beurteilt werden. Die Sammlung der Kirche verdankt sich dem neutestamentlichen Zeugnis zufolge der Wirksamkeit des Heiligen Geistes, der durch das Evangelium den Glauben an Jesus als den gekreuzigten und auferstanden Sohn Gottes wirkt (vgl. Röm 10,17; 1 Kor 12,3) und die einzelnen zur Gemeinschaft im Glauben verbindet. Das bringt die Pfingstgeschichte (vgl. Apg 2) plastisch zur Darstellung. In der Apostelgeschichte, aber auch schon in den Paulusbriefen kommt zum Ausdruck, dass die Jerusalemer Urgemeinde als Kirche Gottes (Gal 1,13) die nahe Wiederkunft Jesu Christi und den Anbruch des Reiches Gottes erwartete und sich selbst als die von Gott gerufene endzeitliche Sammlung derer verstand, die auf das zukünftige Reich Gottes voraus weisen („ekklesia tou theou“ ist vermutlich abgeleitet vom aramäischen qehal el, knüpft damit an die Apokalyptik des Judentums an und kennzeichnet die Gemeinde als endzeitliches Aufgebot Gottes). Dieses Selbstverständnis bildet den Ausgangspunkt ekklesiologischer Reflexion in der Christenheit. Grundlegend für die Ausbreitung des christlichen Glaubens und die Bewahrung der Gemeinden im Glauben an das eine Evangelium Jesu Christi ist der missionarische Dienst der Apostel. Ihre Verkündigung gründet in der Sendung durch den auferstandenen Herrn und erscheint in den neutestamentlichen Schriften als Ausgangspunkt und Maßstab für die Weitergabe des Evangeliums in der Kirche. Für die inhaltliche Ausformung des christlichen Kirchenverständnisses wurde dabei vor allem die paulinische Beschreibung der Kirche als Volk Gottes (vgl. Röm 1–3; Gal 2,1–20), als Leib Christi (vgl. 1 Kor 12,12–30) und als Tempel des Heiligen Geistes (vgl. 1 Kor 6,19; vgl. 2 Kor 6,16; 1 Kor 3,16) prägend. Mit dem Begriff des Volkes Gottes bringt Paulus die Zugehörigkeit der Kirche zu Gott und die Kontinuität der göttlichen Erwählung zum Ausdruck. Weil sich mit seiner Berufung zum Apostel die Einsicht verbindet, dass der Glaube an Jesus Christus als den gekreuzigten und auferstandenen Herrn von grundlegender Bedeutung ist für die Teilhabe an dem von Gott verheißenen und in Christus geschenkten Heil, stellt sich für den Juden Paulus in elementarer Weise die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Kirche und Israel als dem erwählten Volk Gottes. Er klärt sie in Röm 9–11 durch eine heilsgeschichtliche Reflexion: obwohl das empirische Israel den Glauben an Jesus Christus verweigert, bleibt es Gottes erwähltes Volk, in das die Heiden eingepflanzt werden (vgl. Röm 11,17–24). Im Unterschied zur paulinischen Sicht auf das Verhältnis von Kirche und Israel bietet das Neue Testament aber auch andere Klärungsversuche. So geht die Johannesapokalypse davon aus, dass die Kirche in die heilsgeschichtliche Stellung Israels einrückt. Das Bild des Leibes Christi verdeutlicht, wie die Kirche durch und in ihrem Herrn lebt. Sowohl die Gemeinschaft der einzelnen Glieder mit Christus als dem Haupt des Leibes wie auch die Gemeinschaft der Glieder untereinander ist bestimmt durch Christus als den im Geist gegenwärtigen, gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Entsprechend erfolgt die Eingliede-

b) Die Wesensaussagen im Bekenntnis der Kirche

rung in den Leib Christi nach Paulus durch die Taufe mit Wasser, in der die einzelnen im Akt des Untertauchens und Auftauchens in die Gemeinschaft mit dem gestorbenen und auferstandenen Christus einbezogen werden (vgl. Röm 6; vgl. Apg 5,1–11). Mit der Rede von der Kirche als dem Tempel des Heiligen Geistes und dem Tempel des lebendigen Gottes kommt schließlich zum Ausdruck, dass die Gemeinde aus dem Wirken des Geistes lebt, der die Glaubenden Kinder Gottes sein lässt und ihre neue Lebenswirklichkeit im Dienst an Gott und untereinander bestimmt. Der Geist führt die Glaubenden nicht nur zusammen, sondern wohnt in der Gemeinschaft der Glaubenden wie in einem heiligen Tempel, beschenkt sie mit der Vielfalt der Gaben (vgl. 1 Kor 12,4–6) und ist zugleich das Prinzip der Einheit (vgl. 1 Kor 12,12 f.) als Gemeinschaft (griech.: koinonia). Neben den Begriffen Volk Gottes, Leib Christi und Tempel des Heiligen Geistes finden sich bei Paulus und in der nachpaulinischen Literatur im Neuen Testament noch verschiedene andere Ausdrücke, die die Gemeinschaft der Glaubenden in ihrer Zugehörigkeit zu Christus beschreiben. In der ökumenischen Diskussion über das Wesen der Kirche haben jedoch die genannten Begriffe zentralen Stellenwert gewonnen, weil sie die verschiedenen Dimensionen dessen, was Kirchesein ausmacht, herausstellen, die ihrerseits im Handeln Gottes gründen (vgl. KuR 48–65; NMC 14–33).

Tempel des Heiligen Geistes

b) Die Wesensaussagen im Bekenntnis der Kirche In nachapostolischer Zeit gewann die Frage, wie sich die Botschaft des Evangeliums in Übereinstimmung mit der apostolischen Botschaft zu allen Zeiten und an allen Orten weitergeben lässt und wie die Einheit der Kirche bewahrt werden kann, zunehmend an Brisanz. Sie durchzieht seither die gesamte Kirchengeschichte. Ein wichtiger Ausgangspunkt für die Ausbildung kirchlichen Selbstverständnisses und christlicher Lehrbildung wurde das Glaubensbekenntnis des zweiten ökumenischen Konzils von Konstantinopel 381 n. Chr., das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel. Ziel des Konzils war es, den Streitigkeiten über das Verständnis der Gottheit Gottes als Vater, Sohn und Geist ein Ende zu setzen und eine einheitliche, in der Reichskirche überall verbindliche Aussage zu gewinnen. Das Glaubensbekenntnis von Konstantinopel nimmt das Bekenntnis des ersten ökumenischen Konzils von Nizäa 325 n. Chr. auf, formuliert aber den dritten Artikel ausführlicher, indem es nicht nur den Heiligen Geist als Herrn und Lebensspender bekennt, sondern auch (die) „eine heilige katholische und apostolische Kirche“ (DH 150). Obwohl das Konzil die Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität der Kirche nicht näher definiert und auch die Anzahl der Wesensattribute nicht festschreiben möchte, ist seine zusammenfassende Aussage über das Wesen der Kirche als ökumenisches Bekenntnis aufgenommen worden und dient den meisten Kirchen als Ausgangspunkt ihrer Besinnung auf ihr kirchliches Selbstverständnis. In Bezug auf die Auslegung der Wesensattribute bestehen allerdings zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen den Kirchen. Diese sind erst im Zuge der modernen ökumenischen Bewegung komplex zu Bewusstsein gekommen und interkonfessionell kritisch reflektiert worden. Dabei zeigte

Konstantinopel 381

Wesensattribute der Kirche

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6. Kirchenverständnisse

Faith and Order

„The Nature and Mission of the Church“

sich, dass die Differenzen im Verständnis der Einheit vor allem die Frage nach der Sichtbarkeit der Einheit und die Frage nach dem Stellenwert der Eucharistie im kirchlichen Leben betreffen. Im Blick auf die Heiligkeit der Kirche steht hingegen zur Debatte, ob und wie sich die vor allem in der orthodoxen Theologie entschieden vertretene Auffassung von der natürlichen Heiligkeit und Makellosigkeit der Kirche als Mysterium Gottes mit der reformatorische Sicht vereinbaren lässt, wonach die Kirche heilig und sündig zugleich ist. Die Auslegung der Katholizität wiederum birgt erhebliche Konflikte, sofern Kirchen exklusiv für sich in Anspruch nehmen, die zeit- und raumübergreifende Identität der Kirche Jesu Christi bewahrt zu haben. Im Blick auf die Apostolizität schließlich besteht zwar zwischen allen Kirchen Einigkeit darin, dass die Kirche in der Bewahrung der apostolischen Botschaft apostolisch ist. Doch welche institutionelle Struktur nötig ist und der Apostolizität der Kirche angemessen zu dienen vermag, ist strittig. Bei dem Versuch, eine gemeinsame Interpretation der Wesensattribute der Kirche zu erreichen, werden alle zentralen Fragen ökumenischer Theologie berührt. Insofern kommt der Verständigung über das Wesen der Kirche eine ökumenische Schlüsselfunktion zu. So ist es folgerichtig, dass im multilateralen Dialog auf Weltebene nach der Konvergenzerklärung über „Taufe, Eucharistie und Amt“ von 1982 auf der fünften Vollversammlung von Faith and Order 1993 in Santiago de Compostela die Empfehlung ausgesprochen wurde, eine Studie zum Kirchenverständnis anzustreben mit dem Ziel einer Konvergenzerklärung. 1998 hat die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung den Kirchen des ÖRK einen ersten Text vorgelegt unter dem Titel „The Nature and Purpose of the Church“. Im Anschluss daran ist auf der Basis der Rückmeldungen aus dem ÖRK als weiterer Schritt auf dem Weg zu einer Konvergenzerklärung eine zweite Fassung erarbeitet und unter dem Titel „The Nature and Mission of the Church“ (NMC) in den Rezeptionsprozess gegeben worden. Dieser Text verdient hier Beachtung, weil er eine multilaterale gemeinsame Erklärung der Wesensattribute der Kirche enthält, gleichzeitig aber auch auf die noch ausstehenden Klärungen verweist. Den Ausgangspunkt für die Bestimmung der Wesensattribute bildet die Aussage, dass die Kirche als Gabe Gottes Geschöpf des Wortes Gottes und des Heiligen Geistes (vgl. NMC 9) ist. Entsprechend werden die Wesensattribute der Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität als Auslegung von Gottes schöpferischem, erlösendem Handeln durch sein Wort vorgestellt, durch die Gott die Kirche in ihrem Wesen begründet und erhält (vgl. NMC 12). Die Einheit der Kirche gründet demnach darin, dass Gott der eine Schöpfer und Erlöser sei, der die Kirche durch sein Wort und seinen Geist an sich binde und sie zu einem Vorgeschmack und Instrument der Erlösung für die gesamte geschöpfliche Wirklichkeit mache. Die Heiligkeit der Kirche wird auf Gottes einzigartige Heiligkeit zurückgeführt, in der er die Kirche durch sein Wort der Vergebung heilige und sie als Leib Christi zu seinem Eigentum mache. Die Katholizität der Kirche sieht der Text darin begründet, dass Gott als die Fülle des Lebens das Heil aller Menschen will und sein Volk zum Ort und Instrument seiner rettenden und Leben spendenden Gegenwart macht. Die Apostolizität der Kirche schließlich wird darin gesehen, dass das vom Vater gesandte Wort Gottes die Kirche hervorbringt und erhält.

c) Kirche als Gemeinschaft der Heiligen

Mit dieser Interpretation der Wesensattribute ist einerseits ein Ansatz gewonnen, um die herkömmlichen konfessionellen Differenzen in der Auslegung der Wesensattribute zu überwinden. Andererseits bietet sie die Basis, um im Fortgang des Textes den Auftrag der Kirche zu beschreiben (vgl. NMC 34–42). Eine zentrale Rolle spielen dabei die Themen des konziliaren Prozesses, also das Eintreten für Frieden, für Gerechtigkeit und für die Bewahrung der Schöpfung. Abgelöst davon werden in einer zweiten Reflexion auch die ökumenischen Konsequenzen benannt, die sich aus dem Bekenntnis zur einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche ergeben. Hier betont das Dokument energisch die Aufgabe, auf eine vollständigere sichtbare Verkörperung der Wesensattribute hinzuwirken (vgl. NMC 53–56). Aufschlussreich ist an dieser Stelle ein Vergleich mit der Auslegung der Wesensattribute in der Studie „Die Kirche Jesu Christi“ von der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa (GEKE). Dort werden die Wesensattribute der Kirche als Eigenschaften der geglaubten Kirche verstanden, die „in allen Kirchen die eine, heilige, katholische (allumfassende), apostolische Kirche“ (KJC, S. 26) ist. Indem diese Eigenschaften der Kirche auf Gottes rechtfertigendes Handeln als Ursprung der Kirche zurückgeführt werden, sind sie allem Handeln der Kirchen immer schon vorgängig. Im Blick auf die Einheit der Kirche bedeutet das, dass sie „nicht ein von den Christen und Kirchen durch ihr Handeln erst noch zu verwirklichendes Ideal“ (ebd.) ist. Vielmehr sei sie „den Christen und Kirchen als Werk Gottes vorgegeben“ (ebd.). Unter dieser Voraussetzung kann die Aufgabe der Kirchen nicht darin gesehen werden, die Einheit sichtbarer zu verkörpern. Sie besteht aus der Sicht der GEKE vielmehr darin, von der Gabe der Einheit „als dem Grund lebendiger Gemeinschaft zwischen den Kirchen in der Verschiedenheit ihrer geschichtlichen Gestalten sichtbar Zeugnis zu geben“ (ebd.). Ähnlich werden auch die Aufgaben, die sich aus der gegebenen Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität der Kirche ergeben, als Entsprechungen zu dem geglaubten Wesen der Kirche verstanden. In der Differenz zwischen der evangelischen Studie zum Kirchenverständnis und dem multilateralen Dokument NMC manifestiert sich ein differierendes Verständnis kirchlicher Einheit, das auf einer unterschiedlichen Verhältnisbestimmung zwischen empirischer und geglaubter Kirche basiert und sich in den Bedingungen wechselseitiger Anerkennung der Kirchen auswirkt.

sichtbare Einheit

„Die Kirche Jesu Christi“

c) Kirche als Gemeinschaft der Heiligen Neben den Wesensattributen, die im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel bekannt werden, ist für die ekklesiologische Reflexion im ökumenischen Diskurs die Näherbestimmung der Kirche als Gemeinschaft der Heiligen im Apostolischen Glaubensbekenntnis von grundlegender Bedeutung. Durch Luthers Auslegungen des dritten Glaubensartikels und durch Melanchthons Aussagen in CA VII und VIII über die Kirche wurde die Bestimmung der Kirche als Gemeinschaft der Heiligen zum Ausgangspunkt evangelischer Ekklesiologie. Grundlegend ist dabei die Einsicht, dass die Kirche „durch den Heiligen Geist versammelt, erhalten und regiert“ (WA 7, S. 219) wird. Dies geschieht in der Predigt des Evangeliums und in der Feier der Sakramente. Entsprechend heißt es in CA VII, es müsse eine heilige

CA VII und VIII

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6. Kirchenverständnisse

Kirche als Versammlung

Kirche als Koinonia

Faith and Order

christliche Kirche sein und bleiben als „die Versammlung der Gläubigen, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden“ (BSLK, S. 62, Z. 4–7). Mit dieser Aussage über das, was die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen begründet, verbindet sich die Überzeugung, dass die Heiligen durch den Glauben heilig sind. Denn im glaubenden Vertrauen auf das Evangelium, das in der Predigt verkündigt und in den Sakramenten sichtbar und spürbar zugeeignet wird, haben sie Anteil am Heil. Entsprechend wird die Gemeinschaft der Heiligen in CA VIII als Versammlung der wahrhaft Glaubenden bestimmt. Die Charakterisierung der Kirche als Versammlung knüpft an die Konnotation des griechischen Wortes ekklesia an und beinhaltet, dass die Kirche Gemeinschaft ist, indem sie sich im Gottesdienst um Wort und Sakrament sammelt. Der Begriff der Versammlung oder congregatio fidelium wurde dabei im Anschluss an die scholastische und die reformatorische Tradition im internationalen evangelisch-katholischen Dialog als gemeinsamer Ausgangspunkt für die Entfaltung der Lehre von der Kirche hervorgehoben („Kirche und Rechtfertigung“ KuR 108–117). Während mit der Beschreibung der Kirche als Versammlung der Gläubigen die konstitutive Bedeutung von Wort und Sakrament herausgestellt wird, wird das besondere Wesen dieser Gemeinschaft im Rekurs auf den biblischen Begriff der Koinonia entfaltet. Wie in „Kirche und Rechtfertigung“ prägnant formuliert wird, „wurzelt die Kirche … in der untrennbaren Gemeinschaft oder Koinonia der drei göttlichen Personen und wird dadurch selbst als Koinonia konstituiert. Als Koinonia ist sie primär nicht die Verbindung der Gläubigen untereinander, sondern zuerst und grundlegend die Koinonia der Gläubigen mit Gott, dem Dreieinigen, dessen innerstes Sein Koinonia ist. Zugleich ist die Koinonia der Gläubigen mit dem dreieinigen Gott untrennbar von ihrer Koinonia unter- und miteinander“ (KuR 65; vgl. insgesamt 63–73). Mit der Beschreibung der Kirche als Koinonia wird also betont, dass die Koinonia Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist der Ursprung der Kirche ist und ihr Wesen als Gemeinschaft bestimmt. Auf diese Weise integriert dieser Begriff die biblischen Beschreibungen der Kirche als Volk Gottes, Leib Christi und Tempel des Heiligen Geistes. Wie „The Nature and Mission of the Church“ herausstellt, ist die Bestimmung der Kirche als Koinonia ein wichtiger Ausgangspunkt geworden, um ein gemeinsames Verständnis vom Wesen der Kirche und ihrer sichtbaren Einheit zu entwickeln (vgl. NMC 24), denn sie eröffnet die Möglichkeit, den Charakter der Kirche als Gemeinschaft in ihrer Abhängigkeit von der Gemeinschaft Gottes als Vater, Sohn und Geist zu verstehen und auf dieser Basis über das Konzept der sichtbaren Einheit nachzudenken, die die Kirchen des ÖRK anstreben. Außerdem signalisiert die Beschreibung der Kirche in Analogie zu Gottes dreieinigem Wesen, dass die Kirche als Gemeinschaft nicht über oder neben, sondern in der Gemeinschaft ihrer Glieder besteht. Als solche lebt sie von der Besonderheit jedes einzelnen Gliedes und von der Vielfalt der Charismen, die ihren Gliedern gegeben ist. Nicht die hierarchische Zuordnung, sondern die wechselseitige Abhängigkeit und Anerkennung der Glaubenden als Glieder am Leib Christi steht im Vordergrund, wo die Kirche als Koinonia bestimmt wird und die Kirchen dieser ihrer Bestimmung zu entsprechen suchen.

d) Kirche als Zeichen und Werkzeug des Heils

d) Kirche als Zeichen und Werkzeug des Heils Einen starken Impuls empfing die ekklesiologische Reflexion in der Ökumene durch die Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ des Zweiten Vatikanischen Konzils, in der die Frage nach dem Wesen, dem Auftrag und der Verfasstheit der Kirche erstmals auf lehramtlicher Ebene eigenständig und komplex behandelt worden ist. Die Kirchenkonstitution möchte, anknüpfend an die Thematik der vorausgehenden Konzilien und in Bezug auf die Situation der Gläubigen, das Wesen und die universale Sendung der Kirche erklären. Sie bestimmt die Kirche in Christus gleichsam als „das Sakrament bzw. Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott und für die Einheit des ganzen Menschengeschlechts“ (DH 4101). Die Bestimmung der Kirche als Zeichen und Werkzeug des Heils hat sich seither in vielen Dialogen als konsensfähig erwiesen. So konnte multilateral in der Studie „The Nature and Mission of the Church“ der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung festgehalten werden, dass alle Kirchen im Verständnis der Kirche als Zeichen und Werkzeug übereinstimmen (vgl. NMC, Nr. 48, Kasten). Ob bzw. in welcher Weise sich damit ein sakramentales Verständnis von Kirche verbindet, ist allerdings umstritten. Denn wie die Studie treffend festhält, beschreiben manche Kirchen die Wirklichkeit der Kirche mit sakramentalen Termini, während andere von der Kirche als Sakrament sprechen und wieder andere auf eine sakramentale Terminologie ganz verzichten. In der unterschiedlichen Terminologie kommt ein unterschiedliches Verständnis der Kirche in ihrer Bedeutung für die Vermittlung des in Jesus Christus geschenkten und offenbaren Heils zum Ausdruck. Die Kirchen, die die Kirche als Sakrament bestimmen – wie vor allem die Römisch-Katholische Kirche –, verstehen sie als ein wirksames Zeichen für die Gemeinschaft der Christen untereinander und mit dem dreieinigen Gott auf dem Weg zum Reich Gottes. Im katholisch-lutherischen Dialog wurde der Sakramentsbegriff in seiner Anwendung auf die Kirche dabei „als theologischer Reflexionsbegriff“ interpretiert, der „die innere Beziehung von äußerer, sichtbarer Struktur und verborgener, geistlicher Wirklichkeit der Kirche zu erklären“ (KuR 123) suche. Von anderen Kirchen, respektive den aus der Reformation hervorgegangenen, wird die Bestimmung der Kirche als Sakrament hingegen aus mehreren Gründen abgelehnt. Zuerst wird im Rekurs auf das Neue Testament betont, dass Christus das Sakrament Gottes und darin das Mittel des Heils schlechthin ist. Weiter wird der Unterschied zwischen der Kirche und den Sakramenten Taufe und Abendmahl betont, durch die Christus die Kirche sammelt und bewahrt. Und schließlich ist es für evangelische Kirchen im Anschluss an die reformatorischen Einsichten wichtig zu betonen, dass die Kirche trotz ihrer Bestimmung als Zeichen und Werkzeug des Heils der Sünde unterliegt und insofern heilig und sündig zugleich ist (vgl. KuR 129). Dass die Kirche Gottes heiliges Werkzeug zur Verwirklichung seines Heilsplans ist, wird jedoch von evangelischer Seite nicht bestritten (NMC, S. 29 f., Kasten nach Nr. 48). Schon in der reformatorischen und ebenso in der nachreformatorischen Theologie wurde die Kirche stets als Heilsmittel verstanden, insofern in ihr das Evangelium verkündigt und die Sakramente gefeiert werden.

„Lumen gentium“

Kirche als Sakrament

Kirche als Heilsmittel

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6. Kirchenverständnisse

Die Unterschiede in der Frage nach der Sakramentalität der Kirche können interkonfessionell zwar noch keineswegs als überwunden gelten. Es besteht jedoch Aussicht, dass sie ihren kirchentrennenden Stellenwert verlieren, wenn Kirche und Reich Gottes präzise unterschieden und zum anderen Christus als der Herr der Kirche konsequent als das alleinige Subjekt der Heilsvermittlung verstanden wird. Das impliziert zum einen, dass Aussagen vermieden werden, die die Vorstellung nahe legen, als gehe die Kirche aus sich selbst heraus in das Reich Gottes über. Und es bedeutet zum anderen, dass in der Rede von den Handlungen, die dem einzelnen und der Gemeinschaft heilsames Vertrauen und darin die Nähe zu Gott vermitteln, nicht die Kirche, sondern Christus als Subjekt benannt wird. e) Sichtbare und verborgene Kirche Fragestellung

römisch-katholische Kirchenlehre

Inkarnation und Kirche

Für die evangelischen Kirchen folgt aus der Bestimmung der Kirche als Geschöpf des göttlichen Wortes, dass sich die Kirche „nicht einfach mit einer der geschichtlichen Kirchen oder mit deren Gesamtheit in eins setzen“ (KJC, S. 25) lässt. Damit stellt sich die Frage, wie sich die wahre Kirche Jesu Christi, die als eine, heilige, katholische und apostolische Kirche bekannt wird, zu den geschichtlich-empirischen Gestalten von Kirche verhält. Wie die Kirchen diese Frage beantworten, hat erhebliche Auswirkungen darauf, ob sie andere christliche Gemeinschaften als Kirchen wahrnehmen und anerkennen können. Vor allem im ökumenischen Gespräch zwischen der Römisch-Katholischen Kirche und den aus der Reformation hervorgegangenen evangelischen Kirchen spielt dieses Thema gegenwärtig eine zentrale Rolle. Die Basis für die Klärung bilden von evangelischer Seite die Bekenntnisaussagen der lutherischen und reformierten Tradition sowie die darauf aufbauende Kirchenstudie der GEKE. Auf römisch-katholischer Seite hat die Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils „Lumen gentium“ entscheidende Bedeutung. Wie sich „Lumen gentium“ entnehmen lässt, hat nach römisch-katholischem Verständnis der einzige Mittler Christus „seine heilige Kirche, die Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfasst und erhält sie als solches unablässig“ (DH 4118). Dieses sichtbare Gefüge wird als eine „mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft“ (ebd.) interpretiert und durch die Begriffe „sichtbare Versammlung“ und „irdische Kirche“ näher beschrieben. Ausdrücklich wird dabei betont, dass das sichtbare gesellschaftliche Gefüge (socialis compago) und „der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche … nicht als zwei Dinge zu betrachten“ (ebd.) seien. Vielmehr bilden sie „eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst“ (ebd.). Damit soll die Vorstellung ausgeschlossen werden, als existiere die Kirche neben oder auch innerhalb des sichtbaren Gefüges als eine menschlicher Wahrnehmung prinzipiell entzogene Wirklichkeit. Fundiert wird diese ekklesiologische Beschreibung durch die Analogie mit dem Geheimnis der Inkarnation des Gottessohnes, der menschliche Natur angenommen hat zur Erlösung der Menschheit: „Wie nämlich die ange-

f) Die Kennzeichen der Kirche

nommene Natur dem göttlichen Wort als lebendiges, ihm unlöslich geeintes Heilsorgan dient, so dient auf eine ganz ähnliche Weise das gesellschaftliche Gefüge der Kirche dem Geist Christi, der es belebt, zum Wachstum des Leibes“ (DH 4118). Diese Analogie ist allerdings aus lutherischer Sicht nicht unproblematisch. Denn nach lutherischem Verständnis sind Gottheit und Menschheit in der Person Jesu Christi so innig vereint, dass die menschliche Natur nicht als solche, sondern gerade in ihrer innigsten Verbundenheit mit der göttlichen Natur als Heilsorgan bestimmt werden kann. Nimmt man diese Überlegung zusammen mit der reformatorischen Grundeinsicht, dass die Kirche in ihren irdischen Erscheinungsformen immer heilig und sündig zugleich ist, so wird verständlich, warum aus lutherischer Sicht die Verhältnisbestimmung zwischen sichtbarer Erscheinung der Kirche und ihrem geglaubten Wesen nicht durch die Analogie zur christologischen Beschreibung der Personeinheit Jesu Christi erklärt werden kann. Während die römisch-katholische Kirchenlehre den unlöslichen Zusammenhang von sichtbarer Wirklichkeit und geistlichem Grund der Kirche besonders betont, markiert evangelische Kirchenlehre im Rekurs auf die reformatorischen Einsichten zuerst den Unterschied zwischen der erfahrbaren Gestalt von Kirche und ihrem wahren, geglaubten Wesen. So schreibt Melanchthon in der Apologie zur CA, die christliche Kirche bestehe „nicht allein in Gesellschaft äußerlicher Zeichen, sondern stehet furnehmlich in Gemeinschaft inwendig der ewigen Güter im Herzen, als des heiligen Geistes, des Glaubens, der Furcht und Liebe Gottes“ (BSLK, S. 234, Z. 29–34). Die Unterscheidung zwischen der äußerlich wahrnehmbaren Gestalt der Kirche und der Kirche als Gemeinschaft der wahrhaft Glaubenden, zwischen sichtbarer und verborgener Kirche, wurde in der Reformationszeit als eine wesentliche Voraussetzung für die Anerkennung der Reformbedürftigkeit der Kirche erkannt. Sie bildete die Basis dafür, dass die Reformatoren am Glauben an die eine, wahre Kirche Jesu Christi festhalten konnten, obwohl sie wahrnehmen mussten, dass das spätmittelalterliche Buß- und Ablasswesen zur Ängstigung der Gewissen führte und wahren Glauben im Sinne des Vertrauens auf Gottes im Evangelium offenbarte Barmherzigkeit hemmte. Wenn heute multilateral gemeinsam gesagt werden kann, dass die Kirche immer reformbedürftig ist (vgl. NMC 54; vgl. auch 48), dann impliziert dies de facto, dass zwischen den Erscheinungsweisen von Kirche und der Wesensbestimmung der Kirche unterschieden werden können muss. Das wiederum bedeutet, dass eine uneingeschränkte Gleichsetzung zwischen einer Kirche in ihrer vorfindlichen Gestalt mit der Kirche Jesu Christi nicht möglich ist. Es bedeutet jedoch nicht, dass die wahre Kirche prinzipiell unerkennbar wäre.

evangelische Kirchenlehre

ökumenische Folgerungen

f) Die Kennzeichen der Kirche Gegen die reformatorische Unterscheidung zwischen sichtbarer, äußerer und verborgener, inwendiger Kirche wurde von römisch-katholischer Seite in der Reformationszeit der Vorwurf erhoben, die wahre Kirche werde so als eine platonische Gemeinschaft neben und unabhängig von der erfahrbaren Kirche verstanden und lasse sich mithin gar nicht erkennen und wahrnehmen (vgl. AC VII, BSLK, S. 238, Z. 17–19). Dieser Vorwurf konnte in

Kennzeichen nach evangelischem Verständnis

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6. Kirchenverständnisse

fundamentale Kennzeichen

weitere Kennzeichen

ökumenischen Dialogen zwar ausgeräumt werden (vgl. KuR 135–147). Doch begegnet immer noch häufig die Vorstellung, als sei die Kirche nach protestantischem Verständnis im Wesentlichen unsichtbar und ungreifbar. Gegen diese Vorstellung haben bereits Luther und Melanchthon darauf hingewiesen, dass die Gemeinschaft nicht als unsichtbare Gemeinschaft neben der sichtbaren Kirche existiere. Wiewohl sich die wahrhaft Glaubenden nie eindeutig identifizieren lassen, sei doch die wahre Kirche da greifbar, wo das Evangelium rein gepredigt und die Sakramente der Einsetzung durch Christus gemäß gereicht werden (vgl. CA VII, BSLK, S. 61, Z. 2–7). Die Kennzeichen oder Wahrzeichen der Kirche sind mithin nach evangelischem Verständnis „die reine Predigt des Evangeliums und die einsetzungsgemäße Feier der Sakramente“ (KJC, S. 28), wie die Kirchenstudie der GEKE im Anschluss an CA VII festhält. Denn durch und in diesen Kennzeichen vergegenwärtigt sich Jesus Christus als das Haupt der Kirche, die sein Leib ist. Reine Evangeliumspredigt und stiftungsgemäße Feier der Sakramente gelten den evangelischen Kirchen als die fundamentalen Kennzeichen der Kirche, was aber nicht ausschließt, dass es darüber hinaus weitere Kennzeichen gibt, an denen sich die Kirche Jesu Christi als der Leib Christi erkennen lässt. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass es den nachreformatorischen Dogmatiken im 17. Jahrhundert nicht darum ging, eine feste Zahl von Kennzeichen dogmatisch vorzuschreiben. Sie nennen vielmehr im Anschluss an die Heilige Schrift eine Reihe von Kennzeichen, in denen die wahre Kirche sichtbar wird, ohne in ihrer Darstellung abschließende Vollständigkeit anzustreben. Über die inhaltliche Auslegung der Kennzeichen und ihre Gewichtung bestanden unter den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen dabei nicht geringe Unterschiede, die aber für sich genommen keinen kirchentrennenden Charakter hatten oder haben. In der Kirchenstudie der GEKE konnte von den verschiedenen beteiligten evangelischen Kirchen vielmehr gemeinsam festgehalten werden, dass zu den „weiteren Kennzeichen“ neben den fundamentalen Kennzeichen der reinen Evangeliumspredigt und der stiftungsgemäßen Feier der Sakramente „das Schlüsselamt (Beichte und Absolution), die Ordnung des Predigtamtes (Bischöfe, Pfarrer etc.), das Gebet, das Leiden um des Evangeliums willen und auch die Befolgung der zweiten Tafel des Dekalogs“ (KJC, S. 29) gehören. Das bedeutet, dass sowohl der Dienst des kirchlichen Amtes und seine Ordnung wie auch die Lebensführung der Christen, die sich im Blick auf das Verhältnis zu den Mitmenschen an der zweiten Tafel des Dekalogs orientiert, zur erfahrbaren Dimension von Kirche gehören. Dabei dienen das Schlüsselamt der Beichte und Absolution und die Ordnung des Predigtamtes in unterschiedlicher Weise der Bewahrung kirchlicher Gemeinschaft im Glauben an Gottes Wort. Denn während Beichte und Absolution dazu verhelfen, den Einzelnen in die Gemeinschaft zurückzuführen, wo er sich von ihr getrennt hat oder getrennt wähnt, zielt die Ordnung des Predigtamtes – d. h. die Differenzierung zwischen Verkündigungsdienst und Aufsicht – darauf, die Gemeinschaft als Ganze in der Einheit des Glaubens an Gottes Wort zu bewahren. Indem Schlüsselamt und geordnetes Predigtamt gleichermaßen auf die Bewahrung im Glauben ausgerichtet sind, dienen sie wiederum indirekt der christlichen Lebensführung, die aus dem Glauben erwächst.

f) Die Kennzeichen der Kirche

Dass das Kirchesein der Kirche nicht nur in der Evangeliumsverkündigung und in der Feier der Sakramente, sondern auch im Dienst des kirchlichen Amtes und in der christlichen Lebensführung erfahrbar hervortritt, ist interkonfessionell unstrittig. Strittig ist jedoch (siehe auch II. 5.) die Frage, in welcher Weise bzw. in welcher Gestalt das Amt konstitutiv zum Kirchesein der Kirche gehört. Während für die Römisch-Katholische Kirche, für die orthodoxen Kirchen und auch für die anglikanische Gemeinschaft das Bischofsamt in apostolischer Sukzession konstitutives Moment der sichtbaren Einheit der Kirche und damit auch ein wesentliches Kennzeichen von Kirche ist, sehen die meisten aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen die bischöfliche Sukzession als mögliches, aber nicht als unabdingbares Zeichen an. Entsprechend haben die Differenzen in Bezug auf Stellenwert und Gestaltung des Amtes Konsequenzen für die Frage wechselseitiger Anerkennung der Kirchen als Kirchen Jesu Christi. Wie in der Erklärung „Dominus Iesus“ der Glaubenskongregation der römischen Kurie vom 6. 8. 2000 im Rekurs auf die Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils festgehalten wurde, sind aus römisch-katholischer Sicht die kirchlichen Gemeinschaften, denen die apostolische Sukzession im Bischofsamt und damit ein gültiger Episkopat fehlt, nicht Kirchen im eigentlichen Sinn (vgl. DI 17). Voraussetzung dafür ist das in der Kirchenkonstitution entfaltete Verständnis der Kirche, wonach die Kirche Jesu Christi in der katholischen Kirche verwirklicht ist oder subsistiert (lat.: subsistit, vgl. DH 4119). Einerseits wird mit dieser Aussage auf eine Identifizierung der Römisch-Katholischen Kirche mit der Kirche Christi verzichtet. So kann anerkannt werden, dass es auch außerhalb der Römisch-Katholischen Kirche Elemente der Wahrheit und Heiligung zu finden sind, „die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen“ (DH 4119). Andererseits bedeutet die Aussage aber auch, dass Kirchen, die den Kriterien römisch-katholischen Kirchenverständnisses nicht entsprechen, nicht als Kirchen anerkannt werden (vgl. dazu DI 16). Dies wurde durch die „Antwort auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre von der Kirche“ vom 29. 6. 2007 bestätigt. Diese Antwort stellt dabei auch heraus, dass weder „Lumen gentium“ noch die Auslegung in „Dominus Iesus“ und in der „Antwort“ der Glaubenskongregation eine neue Lehre biete. Die Bedeutung des Episkopats für das Kirchesein der Kirche wird dabei in strenger Hinordnung auf die Eucharistie herausgestellt. Denn die gültige Priesterweihe, die nur von Bischöfen in apostolischer Sukzession vorgenommen werden kann, sei die Voraussetzung für „die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums“ (DI 16). Zur Eucharistie als dem Sakrament der Einheit gehöre das Amt in apostolischer Nachfolge, d. h. in historischer bischöflicher Sukzession. Diese Auffassung wird ebenso von den orthodoxen Kirchen und in der anglikanischen Gemeinschaft vertreten. Der Bischof oder Priester übt als Leiter der Eucharistiefeier, in der sich die Einheit der Kirche manifestiert, das Amt der Einheit aus. Durch ihn erfährt die Gemeinde die Gemeinschaft mit der gesamten Kirche. Die Bedeutung der Eucharistie bzw. des Herrenmahls als Sakrament der Einheit wird von den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen zwar nicht in Abrede gestellt. Es wird aber betont, dass die Gemeinschaft des einen Leibes Christi, die in der Feier des Herrenmahls zur Darstellung

apostolische Sukzession im Amt

„Dominus Iesus“

Kirche und Amt nach röm.-kath. Verständnis

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6. Kirchenverständnisse

kommt, in Christus und seinen Einsetzungsworten gründet, während das Amt dieser Einheit dient (vgl. KJC, S. 32 f.). Die Frage nach dem Grund kirchlicher Einheit und der Bedeutung des Amtes für die Einheit verweist dabei auf die Verhältnisbestimmung von Ortskirche und Universalkirche, die ein weiteres ökumenisches Grundproblem im Rahmen der Kirchenlehre darstellt. g) Ortskirche und Universalkirche Problem

Einheitsdienst?

multilaterale Übereinstimmung

Wie schon die neutestamentlichen Schriften bezeugen, existiert Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden in Ortsgemeinden, die untereinander in Austausch leben und sich gegenseitig z. B. durch Kollekten unterstützen (vgl. 1 Kor 16; 2 Kor 8,1–9; Gal 2,10). Unter den einzelnen Konfessionskirchen ist jedoch strittig, wie das Verhältnis der einzelnen Ortsgemeinde zur Gesamtheit der Kirche zu sehen ist. Ist jede Ortsgemeinde in ihrem Gottesdienst voll und ganz Kirche oder ist sie dies erst in ihrem Zusammenhang mit der Universalkirche? Während nach evangelischem Verständnis jede Ortskirche Kirche in vollem Sinne ist, indem in ihr das Evangelium gepredigt und die Sakramente gefeiert werden, ist nach römisch-katholischem Verständnis für die Ortskirche konstitutiv, dass sie vom Bischof geleitet wird und durch ihn in Verbindung mit der überregionalen Gemeinschaft der Gesamtkirche steht. Wenngleich die Ortskirche nach katholischem Verständnis „nicht als eine Zweigstelle der Gesamtkirche“ (KuR 92; CS 150) gesehen wird, sondern „in vollem Sinne Kirche ist“ (KuR 94), kann sie sich doch „nicht als die ganze Kirche Gottes verstehen“ (ebd.). Im Studiendokument „Communio Sanctorum“ (CS) des bilateralen Dialogs in Deutschland wurde darauf aufbauend gemeinsam formuliert, „dass die in der örtlichen Versammlung um Wort und Sakrament sich vollziehende kirchliche Gemeinschaft … zwar nicht die ganze Kirche, aber ganz Kirche ist. So ist sie einbezogen in die universale Kirche als die Gemeinschaft aller Ortskirchen“ (CS 152). Auf dieser Basis kann dann gelten, dass das Bekenntnis zur einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche sich ebenso auf die universale Gemeinschaft wie auch auf die jeweilige Ortskirche bezieht. Wird die Universalkirche entsprechend als „Gemeinschaft von Gemeinschaften“ verstanden, wie dies CS vorschlägt, so verbindet sich damit die Frage, ob die Aufgabe des kirchlichen Amtes, der Einheit der Kirche zu dienen, „auch an der universalen Einheit der Kirche wahrgenommen werden muß und wird“ (CS 153). Im Zusammenhang der Frage nach dem Kirchenverständnis ist hier vor allem wichtig zu sehen, dass die Verhältnisbestimmung von Ortskirche und Universalkirche in den Dialogen mit der Römisch-Katholischen Kirche in die Frage nach der Notwendigkeit und Gestalt eines universalkirchlichen Einheitsdienstes und damit in die Diskussion über das Papstamt mündet. Wie in dem Studiendokument „The Nature and Mission of the Church“ herausgestellt werden konnte, muss bei einer multilateralen Verständigung allerdings zunächst berücksichtigt werden, dass in den verschiedenen kirchlichen Traditionen unterschiedliche Verständnisse von Ortskirche vorausgesetzt werden (vgl. NMC, S. 41, Kasten nach Nr. 66). Trotz der damit verbundenen Unterschiede in den ekklesiologischen Konzepten lasse sich aber un-

h) Zum Stand der ökumenischen Verständigung

ter den verschiedenen Traditionen eine Übereinstimmung darin feststellen, dass jede einzelne Ortskirche verbunden ist mit jeder anderen Ortskirche innerhalb der Universalkirche und in sich die Fülle dessen enthält, was Kirchesein ausmacht. Die Gemeinschaft der Ortskirchen werde dabei erhalten durch das eine Evangelium, die eine Taufe und das eine Herrenmahl, dem ein gemeinsames Amt dient (vgl. NMC 65). Anders als im römisch-katholisch-lutherischen Dialog wird die Frage nach dem Verhältnis von Ortskirche und Universalkirche hier nicht in die Frage des Petrusdienstes überführt und damit auch nicht auf das Problem der Anerkennung des Papstamtes zugespitzt. Das ökumenische Ziel der vollen Gemeinschaft aller Kirchen sieht das multilaterale Studiendokument dann erreicht, wenn alle Kirchen sich gegenseitig als die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche anerkennen können. Eine solche volle Gemeinschaft könne auf lokaler und universaler Ebene durch konziliare Lebensformen und Handlungsweisen zum Ausdruck gebracht werden, deren Basis die Verbundenheit im Bekenntnis des einen Glaubens, im Gottesdienst und Zeugnis ebenso wie im Handeln sei. Bezieht man diese Zielbestimmung auf die Frage nach dem universalkirchlichen Einheitsdienst, dann kommen andere als konziliare Formen der Wahrnehmung kaum in den Blick.

ökumenisches Ziel

h) Zum Stand der ökumenischen Verständigung In allen Fragen, die im Vorangehenden thematisiert worden sind, besteht weiterer Diskussionsbedarf unter den Kirchen, um auf die Möglichkeit wechselseitiger Anerkennung der Kirchen als Kirche Jesu Christi hinzuarbeiten. Besonders dringend ist die Frage nach dem Stellenwert und der Gestalt sichtbarer Einheit im Amt. Diese kann nur auf der Grundlage einer Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums einer Klärung zugeführt werden. In diesem Sinne ist es von zentraler Bedeutung, dass im internationalen katholisch-lutherischen Dialog durch das Dokument „Kirche und Rechtfertigung“ die Bedeutung der Rechtfertigungslehre für das Verständnis von Kirche erörtert worden ist. Damit ist die soteriologische Verankerung der ekklesiologisch Fragen erfordert. Für weitere gemeinsame ökumenische Bemühungen um eine Annäherung in ekklesiologischen Fragen sollte folgende Überlegung des katholischen Fundamentaltheologen Jürgen Werbick im Blick bleiben: „Das theologische Nachdenken holt die Heilswirklichkeit niemals ein, die Gott selbst in Jesus Christus durch seinen Geist gesetzt hat und in seinem Geist je neu vergegenwärtigt. Diese Wirklichkeit ist weder theologisch noch auch – und darauf wäre in der katholischen Kirchen aufmerksamer zu achten – institutionell-ekklesiologisch ,einholbar‘, vereinnahmbar“ (Werbick/113: 315). „Die Ekklesiologie hat … die Nichtvereinnahmbarkeit Christi – des Hauptes – einzuschärfen und die Spannung zur Geltung zu bringen zwischen der unverfügbaren Wirklichkeit des Gottesgeistes, der weht, wo er will, und der in sich durchaus berechtigten institutionellen und auch auf Machtstrukturen beruhenden Ämterverfassung der Kirche“ (ebd.).

Rückbindung an die Rechtfertigungslehre

Theologie und Heilswirklichkeit

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III. Ziele 1. Einheitsvorstellungen Eine Grundfrage in der Ökumenischen Bewegung lautet: Welche Gestalt soll die gesuchte Einheit der Kirchen je erreichen? Eine Fülle von Modellen ist entwickelt worden, um eine Antwort auf diese Frage zu geben (Abschnitt a). Im reformatorischen Bereich gibt es aufgrund der Tatsache, dass aus Modellen Wirklichkeiten wurden, die Möglichkeit, auch auf der Basis von Erfahrungen Reflexionen anzustellen (Abschnitt b). Die römisch-katholischen Sichtweisen der Einheit der Kirche müssen einer eigenen Betrachtung unterzogen werden (Abschnitt c). Für diesen gesamten Abschnitt wurde die terminologische Vorentscheidung getroffen, mit dem Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel von der Einheit der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche (im Singular) zu sprechen, deren geschichtliche Gestaltung nach dem Sprachgebrauch vieler Konfessionsgemeinschaften als Gemeinschaft von Kirchen (im Plural) vorzustellen ist. a) Grundlegende Begriffsklärungen

das „LambethQuadrilateral“

Seit Beginn der modernen Ökumenischen Bewegung steht die Frage im Raum, welche Zielgestalt die zu formende eine Kirche einmal haben könnte. Grundbedingungen für das Erreichen dieses Ziels wurden bereits früh formuliert. Die anglikanische Tradition hat mit dem Lambeth-Quadrilateral (in Ansätzen bereits 1867 bei der ersten Lambeth-Konferenz der anglikanischen Bischöfe formuliert) eine Basis für die nachfolgenden Gespräche über die Modelle kirchlicher Einheit geschaffen. Nach dem Lambeth-Quadrilateral sind folgende vier Komponenten die unaufgebbaren Grundlagen bei der Feststellung ökumenisch-kirchlicher Einheit: die Anerkennung (1) der Bibel, (2) der altkirchlichen Glaubensbekenntnisse, (3) der Sakramente Taufe und Abendmahl/Eucharistie sowie (4) des (historischen) Bischofsamts. Trotz aller konfessionellen Differenzen hinsichtlich der Anerkenntnis einzelner dieser Grundbausteine der kirchlichen Einheit gelten diese noch immer als eine theologische Orientierungshilfe. Während die ersten drei Bestimmungen von Kirchlichkeit in der gesamten Christenheit weithin unbestritten sind, werden die Fragen nach der möglichen bzw. erforderlichen bischöflichen Ordnung der einen Kirche und nach der Zuordnung der ortskirchlichen Episkopé zum Dienstamt des Bischofs von Rom konfessionell unterschiedlich beantwortet (vgl. II. 5.). Auch römisch-katholische Autoren haben sich an dem Bemühen beteiligt, Grundvoraussetzungen für eine gelungene Einigung der Kirchen zu bestimmen. (Fries; Rahner/118) Von der Mitte der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts an mehrten sich die theologischen Stimmen, die ihrem Unverständnis über die Prädominanz der Ämterlehren bei der Suche nach der Einheit der Kirche Ausdruck verliehen. Doch in welcher Weise könnte die Einheit dann sichtbar werden? Im thematischen Gesamtzusam-

a) Grundlegende Begriffsklärungen

menhang ist neben der Frage nach den Bedingungen kirchlicher Einheit auch die Frage der Gestalt gelebter Einheit zu bedenken. Die bisher bedeutsamste Sammlung und Kommentierung von Modellen kirchlicher Einheit findet sich in der Studie „Einheit vor uns“, die 1984 von der Gemeinsamen römisch-katholischen/evangelisch-lutherischen Kommission nach langen Jahren theologischer Gespräche über Fragen der Rechtfertigungslehre, des Eucharistie- und Abendmahlsverständnisses und der Ämtertheologie vorgelegt wurde (vgl. DWÜ 2, S. 451–506). Diese Schrift stellt in einem ersten Teil Wesen und Modelle der Einigung in allgemeiner Form dar und konkretisiert in einem zweiten Teil die römisch-katholisch/evangelisch-lutherische Kirchengemeinschaft als Glaubensgemeinschaft, Sakramentsgemeinschaft und Dienstgemeinschaft. Der beide Teile verbindende theologische Leitbegriff ist „Gemeinschaft“ (koinonia/communio). Er lässt genügend Raum für unterschiedliche Vorstellungen über ein geordnetes Miteinander. Unter expliziter Zustimmung zur Communio-Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils hält „Einheit vor uns“ fest: „Die eine Kirche Jesu Christi verwirklicht sich in Ortskirchen, die teilhaben an der Verschiedenheit geschichtlicher, kultureller und völkischer Situationen, in denen die Menschen leben, denen das Evangelium in Wort und Sakrament zu verkündigen ist. So ist die Kirche eine Gemeinschaft (communio), die aus einem Netz von Ortskirchen besteht“ (DWÜ 2, S. 454, Nr. 5). Auch in vielen anderen bilateralen und multilateralen Dialogen finden sich von dieser Zeit an stete Bezugnahmen auf das Koinonia-Modell bei der Suche nach kirchlicher Einheit (Döring/115; Schuegraf/122). Das Dialogdokument „Einheit vor uns“ unterscheidet „Modelle partieller Einigung“ (vgl. DWÜ 2, S. 455 f.) und „Modelle umfassender Einigung“ (vgl. DWÜ 2, S. 456–462). Konkret werden vier Formen lediglich begrenzter kirchlicher Einheit benannt: (1) eine rein geistliche Gebetsgemeinschaft, (2) die bloße Dialoggemeinschaft, (3) die Aktionsgemeinschaft und (4) die Eröffnung eucharistischer Gastfreundschaft. Zwar kommen bei diesen Formen partieller Kirchengemeinschaft unterschiedliche Kriterien zur Anwendung, doch ist ihnen gemeinsam, dass sie niemals eine Gemeinschaft in allen Bereichen kirchlicher Existenz anstreben. Sie machen vielmehr in realistischer Weise auf Möglichkeiten aufmerksam, durch die bereits gegenwärtig die Gemeinschaft der Kirchen erfahren wird. Bevor das Dialogdokument einzelne „Modelle umfassender Einigung“ näher vorstellt, weist es selbst auf die Schwierigkeit hin, dass im Blick auf Referenztexte terminologische Unklarheiten bestehen. Nicht immer verstehen alle Dokumente etwa die Begriffe „Union“ oder „Konziliarität“ in derselben Weise. Jenseits dieser Detailfragen zeichnet sich bei diesen Modellen dahingehend eine Übereinkunft ab, dass von der Einheit der Kirche nur dann gesprochen werden kann, wenn alle Grunddimensionen christlicher Existenz gemeinsam verantwortet werden. Die Wege der Prüfung dieser gemeinsamen Verantwortung können unterschiedlich sein. Fünf Modelle werden im Dokument diesbezüglich unterschieden: (1) die „organische Union“, bei der alle bisherigen Unterscheidungsmerkmale zugunsten einer neuen, einheitlichen institutionellen Gestalt von Kirchlichkeit aufgegeben werden. (2) Die „korporative Vereinigung“, bei der auf der Basis der gemeinsamen Zustimmung zum Glaubensbekenntnis und unter Achtung der

das Dokument „Einheit vor uns“

partielle und umfassende Einheitsmodelle

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1. Einheitsvorstellungen

das Modell der Unionskirchen

das Dokument „The Nature and the Mission of the Church“

jeweiligen bischöflichen Verfassung eine kirchliche Gemeinschaft begründet wird. Im Hintergrund dieses Modells stehen die anglikanisch/römischkatholischen Annäherungen aus den späten 70er Jahren. Inzwischen haben sich die Zeiten gewandelt, und Enttäuschungen sind wirksam geworden. Nicht zuletzt in der Folge ihrer Öffnung für die Frauenordination suchen die Anglikanischen Kirchen heute verstärkt Anschluss an die anderen Kirchen in reformatorischer Tradition. (3) Die „Kirchengemeinschaft durch Konkordie“ kennzeichnet gegenwärtig erreichtes Einverständnis in der Deutung vergangener Kontroversen. In wechselseitiger Achtung der konfessionell geprägten Bekenntnisstände geschieht eine Übereinkunft über eine mögliche Vereinbarkeit der Lehrdifferenzen durch verfeinerte theologische Argumentationen. Der in der Geschichte (auch) durch Trennungen gewonnene Reichtum bleibt bewahrt. Zugleich verpflichten sich die Unterzeichner einer Konkordie, sich zukünftig in einem dynamischen Prozess für neue Einsichten offen zu halten. Als Beispiel für eine solche Konkordie gilt in „Einheit vor uns“ die „Leuenberger Konkordie“. Die beiden letztgenannten Modelle der umfassenden Einheit sind nach Auskunft des Dialogdokuments „Einheit vor uns“ miteinander verwandt. Die (4) „konziliare Gemeinschaft“ und die (5) „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ sind Konzepte, die beide unter der Voraussetzung bleibender Eigenständigkeit auf institutionell-amtlicher Ebene nach Formen gelebter Verbundenheit Ausschau halten. Dabei richtet sich bei der Rede von der „konziliaren Gemeinschaft“ der Blick stärker (strukturell) auf synodalkonziliare Versammlungsformen zur gemeinsamen theologischen Meinungsbildung, während die „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ (inhaltlich) die Überzeugung zur Geltung bringt, dass konfessionelle Vielfalt einen Reichtum darstellt und kirchliche Uniformität zu Verarmung führt. Neben den Modellen partieller und umfassender Einheit stellt das Dokument „Einheit vor uns“ auch das Modell der Gemeinschaft der Römisch-Katholischen Kirche mit den (unierten) Ostkirchen dar, die zumindest in Teilbereichen ihre jurisdiktionelle, administrative, pastorale und liturgische Authentizität bewahren können. Schließlich referiert das Dokument auch das römisch-katholisch/orthodoxe Modell der „Schwesterkirchen“ sowie den Gedanken, trotz historisch bedingter Differenzen dennoch heute als (gleichberechtigte) „ekklesiale Typen“ nebeneinander bestehen zu können. Im Gesamtduktus spricht sich „Einheit vor uns“ erkennbar für eine zu suchende Gestalt der Einheit der Kirche in der Gemeinschaft von Kirchen aus, bei der in erprobter Weise eine größtmögliche Eigenständigkeit der konfessionellen Traditionen bewahrt bleibt, welche sich in einem langwierigen geschichtlichen Prozess herausgebildet haben. Auch im multilateralen ökumenischen Dialog in der Verantwortung von „Faith and Order“ wurde die Frage, welche (institutionelle) Gestalt die Einheit der Kirche je erreichen könnte, vielfach aufgegriffen. Das jüngste Dokument mit dem Titel „The Nature and Mission of the Church“ (NMC) ist 2005 erschienen und versteht sich als eine neuerliche Initiative zur Reflexion der Kirchen auf ihre evangeliumsgemäße Sendung. Dabei soll auch der erreichte Stand der Konvergenzen im Blick auf die Einheit der Kirche geprüft werden. Die Ökumenische Bewegung befindet sich in einem Stadium der angestrengten Ergebnissicherung, bevor möglicherweise finanzielle und personelle Ressourcen knapper

a) Grundlegende Begriffsklärungen

werden könnten. Unter der Überschrift „Communion and Diversity“ lotet „The Nature and Mission of the Church“ aus, welchen Toleranzbereich es für einzelne Kirchen gibt, um noch von bestehender ekklesialer Gemeinschaft bei aller Verschiedenheit zu sprechen (vgl. NMC 60–63). Wichtig erscheint dabei die Unterscheidung zwischen (legitimer) Verschiedenheit und (ungerechtfertigter) Zwietracht (vgl. NMC 63). Inzwischen hat die Ökumenische Bewegung reiche Erfahrungen mit der Frage nach den Modellen kirchlicher Einheit gewonnen. Oft verbleiben diese Modelle bei der Suche nach Indizien für die Einheit der Kirche auf der Ebene amtlich-institutioneller Kriterien. Von gemeinsamer Kirchlichkeit kann jedoch auch dann gesprochen werden, wenn durch diakonisches Handeln die Einheit im Dienst an der Verkündigung des Evangeliums erreicht wird. Auch eine Bezugnahme auf den christlichen Zeugnisdienst in der gemeinsamen missionarischen Bewegung könnte ausreichend erscheinen, um von einer Einheit der Christinnen und Christen zu sprechen. Ebenso kann eine gottesdienstliche Gebetsgemeinschaft bereits als eine hinreichende Form der zu suchenden Einheit der Kirche verstanden werden. Es gibt mehrere Möglichkeiten, bei der Frage nach der Einheit der Kirche Differenzierungen vorzunehmen: (1) Temporal: Nahziele können von Fernzielen unterschieden werden. Es ist gegenwärtig wenig aussichtsreich zu erwarten, dass es in nächster Zeit zu einer konfessionsübergreifenden institutionalisierten Gestalt kirchlicher Einheit kommen wird; für die Zwischenzeiten gilt es, die offen stehenden Wege gemeinsamer christlicher Existenz möglichst wahrzunehmen. Dabei muss nicht prinzipiell ausgeschlossen werden, dass es andere Zeiten geben könnte, in denen die Kirchen sich auch auf der institutionellen Ebene einander stärker annähern. (2) Lokal: Der weltweite Blick auf die Konfessionsgemeinschaften kann von den jeweiligen lokalen Gegebenheiten unterschieden werden. Es ist vorstellbar, dass in bestimmten Regionen der Erde einzelne Konfessionsgemeinschaften aufgrund intensiver Begegnungen eine größere Verbundenheit miteinander erreicht haben als an anderen Orten. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass konfessionelle Differenzen den Hintergrund von gewaltbestimmten, kriegerischen Auseinandersetzungen in einzelnen Ländern bilden (wie beispielsweise in Nordirland) und auf diese Weise ökumenische Annäherungen erschweren. (3) Situativ: Ungewöhnliche Ereignisse können zu Veränderungen in der Gewichtung bestehender Hindernisse bei der Formung der Einheit beitragen. In der Geschichte der Ökumene lassen sich Beispiele anführen, dass vor allem in Zeiten der Not – insbesondere in Kriegszeiten oder in der Situation angezeigten Widerstands gegen Unrechtssysteme selbst unter Preisgabe des eigenen Lebens – Menschen über die Konfessionsgrenzen hinweg solidarisch handeln. Übereinstimmende Abgrenzungen vom fremden Anderen begünstigen die Wahrnehmung der Vertrautheit miteinander. So bewirkt die Annahme der gemeinsamen Herausforderungen im interreligiösen Dialog eine höhere Anerkenntnis der bereits bestehenden Gemeinsamkeiten im christlichen Bekenntnis. Die angedeuteten Konkretisierungen möglicher Differenzierungen im Umgang mit der Thematik der Einheit der Kirche lassen erkennen, dass Modelle der Einheit nur sehr begrenzt in Abstraktion von geschichtlich bedingten Gegebenheiten entworfen werden können. Bei näherem Hinsehen las-

Differenzierungen bei Modellen der Einheit

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1. Einheitsvorstellungen

Einheit und Vielfalt

neutestamentliche Grundlagen

sen sich auch bei den in der ökumenischen Hermeneutik strikt unterschiedenen Einheitsmodellen jeweils Entstehungszusammenhänge ausmachen, die auf die theologischen Begründungen Einfluss genommen haben. In der Konsequenz dieser Erkenntnis liegt die Überlegung nahe, dass die Einheit der Kirche nicht allein durch Suchbewegungen in der theologischen Reflexion zu finden sein wird, vielmehr von einer hohen Komplexität an Faktoren auszugehen ist, deren Zusammenwirken theologisch als ein pneumatisches Ereignis beschrieben werden kann: Gottes Geist bewirkt die Einheit der Kirche auf Wegen, die Menschen allein nicht erdenken können. In jüngerer Zeit sind in der theologischen Reflexion verstärkt trinitarischtheologische Ansätze zur Formung von Modellen kirchlicher Einheit herangezogen worden (vgl. Haudel/119). Dabei ist der Gedanke leitend, dass Einheit und Vielfalt sich nicht notwendig wechselseitig ausschließen müssen: Wie die Einheit von Gottes Wesen in der perichoretischen Beziehung (auch) eigenständig zu erfassender göttlicher Personen gegeben ist, so könnte sich ebenso die Einheit der Kirche in kommunikativ gestalteter Vielfalt ereignen. Der göttlichen Wirklichkeit lässt sich somit ein Modell von versöhnter Verschiedenheit entlehnen. Bei aller Wertschätzung eines solchen denkerischen Ansatzes bleiben jedoch Bedenken: Die göttliche Einheit in der Dreiheit der göttlichen Personen darf nie so gedacht werden, dass eigenständige Entitäten durch eigenen Entschluss und zur gewählten Zeit miteinander in Beziehung treten. Die göttlichen Personen sind immer schon als Beziehungsgeschehnisse zu erfassen. Bei der Übertragung (im strengen Sinne) theo-logischer Erkenntnisse auf ekklesiale Gegebenheit erscheint Vorsicht geboten. Hier ist vor allem auch die Differenz zwischen der Einheit im Wesen und der Einheit aus Gnade zu beachten. Als aussichtsreicher Weg, ökumenische Konvergenzen im Verständnis der Einheit der Kirche zu erreichen, könnte sich eine Besinnung auf die neutestamentlichen Zeugnisse erweisen. Gewiss ist dabei zu beachten, dass bereits die Erforschung dieser biblischen Überlieferung von konfessionell geprägten Vorentscheidungen mitbestimmt ist. Vorrangig evangelische Exegeten machen auf die von frühester christlicher Zeit an bestehenden Streitigkeiten zwischen den Ortsgemeinden aufmerksam. Die Feier des Herrenmahls könnte in neutestamentlicher Zeit nicht nur als Weg zur Gemeinschaftsbildung, sondern auch als ein Mittel der Identitätsbildung durch Ausgrenzung gedient haben (vgl. Ebner/116). Unverkennbar ist, dass von Beginn der christlichen Verkündigung an sich Parteiungen bildeten, Gruppierungen sich separierten und mehrere Auslegungstraditionen des einen Ursprungsereignisses entstanden. Immer waren dabei auch Personen mit ihren Eigenarten mitverantwortlich. Mehrfach ergeht in neutestamentlicher Zeit bereits ein mahnender Ruf, sich auf den unteilbaren einen Jesus Christus, auf den einen Geist Gottes und auf die eine Taufe zu besinnen (vgl. I. 2.). Christologisch-soteriologische und existential-theologische Motivationen werden in neutestamentlichen Schriften vorrangig benannt, um den Einheitssinn anzumahnen. Die auf institutioneller Ebene sich formenden unterschiedlichen christlichen Gemeinde-Typen nehmen Vorgaben in der Ausübung amtlicher Autorität auf, die im palästinensisch-jüdischen Raum anders organisiert war als im hellenistisch-jüdischen Gebiet. Die aufgrund äußerer Herausforderungen zunehmende Verschmelzung dieser Gemeinde-

b) Reformatorisch geprägte Modelle kirchlicher Einheit

typen lässt sich durch historische Forschungen belegen, ein normativer Geltungsanspruch ist mit der Nachzeichnung geschichtlicher Entwicklungen jedoch nicht ohne weitere Argumentation zu verbinden. Auch in biblischneutestamentlicher Zeit ist die Kirche in ihrer institutionellen Gestalt eine geschichtlich (mit)bedingte Wirklichkeit. Es verbleibt so auch für die Zukunft die Aufgabe, in einem offenen ökumenischen Gespräch einen Dialog über die bestmögliche Gestalt der Einheit der Kirche zu führen. b) Reformatorisch geprägte Modelle kirchlicher Einheit Die Basis aller evangelischen Konzepte kirchlicher Einheit bildet die Einsicht, dass die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden durch die Botschaft des Evangeliums von der freien Gnade Gottes begründet und erhalten wird, die allen Menschen allein aus Glauben ohne alle Werke gilt. Denn diese Botschaft weckt den christlichen Glauben und versammelt Menschen zur Gemeinschaft der Glaubenden. Die Kirche ist mithin in ihrem Sein und Fortbestand davon abhängig, dass in ihr das Evangelium öffentlich gepredigt und die Sakramente dem Evangelium gemäß gemeinschaftlich gefeiert werden. Entsprechend kann es wahre Einheit der Kirche auch nur da geben, wo Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums und in der Feier der Sakramente herrscht. Die ökumenische Zielvorstellung evangelischer Kirchen richtet sich daher darauf, kirchentrennende Unterschiede im Verständnis des Evangeliums und der Feier der Sakramente zu überwinden und Kanzelund Sakramentsgemeinschaft zu erreichen. Unterschiede in der Gestaltung des kirchlichen Lebens, die die Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums nicht in Frage stellen, müssen dabei nicht überwunden und aufgehoben werden. Die evangelische Zielvorstellung konnte zuerst in den Kirchenunionen zwischen lutherischen und reformierten Kirchen in Deutschland im 19. Jahrhundert verwirklicht werden. Doch erst im Zuge der modernen ökumenischen Bewegung gelang es, die Spaltung zwischen Lutheranern und Reformierten europaweit zu überwinden. Dies geschah auf der Basis der Leuenberger Konkordie (DwÜ 3, S. 724–731), deren Text am 16. März 1973 im Tagungszentrum Leuenberg bei Basel von Delegierten lutherischer, reformierter und unierter Kirchen verabschiedet worden ist. Sie trat am 1. Oktober 1974 in Kraft. In diesem Text wird zunächst der gemeinsame Weg beschrieben, den die Kirchen unter den veränderten Voraussetzungen der kirchlichen Situation zu gehen bereit sind (LK 1–5). Sodann entfaltet die Konkordie ein gemeinsames Verständnis des Evangeliums, das sich auf die Rechtfertigungsbotschaft von der freien Gnade Gottes und auf das Verständnis von Taufe und Abendmahl erstreckt (LK 6–16). Auf dieser Basis werden die Verwerfungsurteile aus der Reformationszeit überwunden, die sich auf die Abendmahlslehre, die Christologie und die Lehre von der Prädestination bezogen (LK 17–28). Dies wiederum ist die Voraussetzung, unter der im letzten Abschnitt der Konkordie Kirchengemeinschaft erklärt wird (LK 29–34). Bedeutend ist dabei zum einen, dass die beteiligten Kirchen ihren jeweiligen Bekenntnisstand bewahren. Zum anderen ist wichtig, dass die Erklärung der Kirchengemeinschaft den ersten Schritt zu deren Verwirklichung im Leben der Kirchen darstellt. Das geschieht in Zeugnis und

evangelische Zielvorstellung

Leuenberger Konkordie

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1. Einheitsvorstellungen

GEKE

„Die Kirche Jesu Christi“

evangelische Ämteranerkennung

Dienst, in theologischer Weiterarbeit, in organisatorischen Folgerungen und in den ökumenischen Beziehungen zu anderen Kirchen (LK 35–49). Kirchengemeinschaft ist mithin nicht einfach in einem Akt gegenseitiger Anerkennung vollzogen, sondern wird als ein Prozess begriffen, der das Leben der Kirchen fortan bestimmt. Um den Charakter als Kirchengemeinschaft auf europäischer Ebene besser zur Geltung zu bringen, nannte sich die Leuenberger Kirchengemeinschaft zu ihrem 30-jährigen Jubiläum im Oktober 2003 „Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE)“ (Communion of Protestant Churches in Europe, CPCE). Sie umfasst inzwischen 105 Mitgliedskirchen. Dazu gehören neben den lutherischen, unierten und reformierten Kirchen auch die Waldenser-Kirche, die Kirche der Böhmischen Brüder, die Hussitische Kirche und die Methodisten. Diese Kirchen gewähren einander aufgrund der gewonnenen Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums Gemeinschaft an Wort und Sakrament und streben „eine möglichst große Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst an der Welt“ (LK 29) an. Das Verständnis von Kirchengemeinschaft, welches die GEKE verwirklicht, bestimmt zugleich ihre ökumenische Zielvorstellung im interkonfessionellen Diskurs. Diese entfaltet die Studie „Die Kirche Jesu Christi“, die von der 4. Vollversammlung in Wien 1994 verabschiedet worden ist und sich als reformatorischer Beitrag zum ökumenischen Dialog über die kirchliche Einheit versteht. In drei Kapiteln, die streng aufeinander aufbauen, wird zuerst das Wesen der Kirche als Gemeinschaft der Heiligen bestimmt. Sodann wird die Aufgabe der Kirche im Kontext der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse erörtert. Auf dieser Basis gelangt die Studie schließlich im dritten Schritt zur ökumenischen Reflexion auf die Einheit der Kirche und die Einigung der Kirchen. Im Rekurs auf das in Artikel VII der Confessio Augustana benannte Verständnis kirchlicher Einheit vertritt die Studie das Modell der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ (KJC, S. 58). Das bedeutet, dass auf der Basis der Übereinstimmung im Evangelium eine legitime Vielfalt in den Lehrgestalten der Kirchen und in ihren Amtsstrukturen anerkannt werden kann. Denn – so die Begründung – Gottes rechtfertigendes Handeln schließe ein „selbständiges und freies Handeln der Menschen“ (KJC, S. 23) nicht aus, sondern gebe den Kirchen in ihren vielfältigen Kontexten Raum, ihr kirchliches Leben in der Freiheit des Glaubens zu gestalten. Entsprechend wird in der Kirchenstudie zwischen Grund und Gestalt der Kirche unterschieden (vgl. KJC, S. 23–25). Obwohl nach dem Verständnis von Kirchengemeinschaft, das die GEKE vertritt, eine legitime Vielfalt in der Ordnung der Ämter möglich ist, bedeutet dies nicht, dass die Frage des Amtes keine Rolle spielt. Für die Leuenberger Konkordie ist die wechselseitige Anerkennung der Ordinationen bzw. der ordinierten Ämter vielmehr ein zentrales Moment von Kirchengemeinschaft. Die Voraussetzung für solche Anerkennung ist die volle Übereinstimmung darüber, dass „Christus das Amt eingesetzt hat im Dienste der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung und daß dieses Amt zum Kirchesein hinzugehört“ (KJC, S. 57). Auch sind die Kirchen der GEKE darin einig, dass für die geordnete Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung der Dienst der Aufsicht (Episkopé) notwendig ist. Eine einheitliche Gestaltung dieses Dienstes wird jedoch nicht als verbindlich angesehen (vgl. II. 5.).

b) Reformatorisch geprägte Modelle kirchlicher Einheit

Welche Folgerungen sich aus dem Verständnis von Kirchengemeinschaft der GEKE ergeben, wird in der Kirchenstudie in fünf Punkten abschließend zusammengefasst: „– Wo immer eine Kirche oder kirchliche Gemeinschaft die Kennzeichen der wahren Kirche aufweist, ist sie als Teil der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche anzuerkennen. Das muß unter Umständen auch einseitig geschehen. – Wo diese Kennzeichen angetroffen werden, muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, auch eine lehrmäßige Verständigung über das gemeinsame Evangelium zu gewinnen. Wenn diese Verständigung erreicht ist, muß Kirchengemeinschaft im Sinne der Leuenberger Konkordie geschlossen werden. – Wo trotz solcher Verständigung diese Erklärung ausbleibt, ist die Trennung nicht mehr zu rechtfertigen. – Die Erreichung dieses Ziels ist menschlicher Verfügung entzogen, sie ist das Werk des Heiligen Geistes. Bis dahin ist aktive Geduld geboten“ (KJC, S. 62 f.).

Folgerungen für Kirchengemeinschaft

Neben der Überwindung der innerevangelischen Spaltung konnten im 20. Jahrhundert auch eine Reihe von evangelischen und anglikanischen Kirchen die in die Reformationszeit zurückreichende Trennung überwinden. Zu nennen sind hier zuerst die offiziellen Gespräche zwischen der EKD und dem Bund evangelischer Kirchen in der DDR mit der Kirche von England, die bereits 1964 aufgenommen wurden. Sie erhielten einen besonderen Anstoß durch den Besuch des Erzbischofs von Canterbury, Dr. Robert Runcie, der bei den Gedenkfeiern zum 500. Geburtstag von Martin Luther anregte, die Beziehungen zwischen der Kirche von England und der EKD enger zu gestalten. Daraufhin erarbeitete eine Gruppe offizieller Delegierter eine „Gemeinsame Feststellung“, die 1988 in Meissen beschlossen wurde und daher „Meissener Gemeinsame Feststellung“ heißt (DwÜ 3, S. 732–748). Ihre offizielle Annahme durch die Kirchen erfolge 1991. Als ökumenisches Ziel benennt die „Gemeinsame Feststellung“ das Wachsen hin zur vollen, sichtbaren Einheit. Sie nimmt damit das Anliegen auf, das schon in den Anfängen der Ökumenischen Bewegung von der anglikanischen Kirchengemeinschaft vertreten wurde und die Zielvorstellung des Ökumenischen Rates der Kirchen stark beeinflusst hat (vgl. Dalferth/ 114: 98–106). Volle sichtbare Einheit schließt dabei das Bekenntnis des apostolischen Glaubens in Wort und Leben, die Teilhabe an einer Taufe, an der Feier eines Herrenmahls und an dem Dienst eines gemeinsamen Amtes ein. Darüber hinaus gehören zur sichtbaren Einheit auch „Bande der Gemeinschaft, welche es der Kirche auf allen Ebenen ermöglichen, den apostolischen Glauben zu bewahren und auszulegen, Entscheidungen zu treffen, mit Vollmacht zu lehren, Güter zu teilen und in der Welt ein wirksames Zeugnis zu geben“ (DwÜ 3, S. 736, Nr. 8). Auf der Basis der „Gemeinsamen Feststellung“ wurde in der „Meissener Erklärung“ die gegenseitige Anerkennung als Kirchen Jesu Christi ausgesprochen. Dies beinhaltet die Anerkennung der Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament sowie die wechselseitige Anerkennung der Ämter und auch der unterschiedlichen Formen der Aufsicht (Episkopé) (DwÜ 3, S. 741).

Meissen-Prozess

Ziel

Austauschbarkeit der Geistlichen?

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1. Einheitsvorstellungen

Porvo-Agreement

ökumenischer Erfolg

Eine volle Austauschbarkeit wurde allerdings mit der „Gemeinsamen Feststellung“ noch nicht erreicht, weil dies aus anglikanischer Sicht die Gemeinschaft im historischen Episkopat voraussetzt (vgl. DwÜ 3, S. 741, Nr. 16). Ein vergleichbares Stadium auf dem Weg zu voller, sichtbarer Einheit wurde mit der Gemeinsamen Erklärung von Reuilly 2001 zwischen der Anglikanischen Kirche Großbritanniens und Irlands und den Lutherischen und Reformierten Kirchen Frankreichs erreicht. Es bleibt abzuwarten, ob sich auch die Austauschbarkeit der Geistlichen zwischen den beteiligten anglikanischen und evangelischen Kirchen noch erreichen lässt. Denn die Frage, ob der historische Episkopat als konstitutives Moment voller, sichtbarer Einheit gelten kann, ist theologisch umstritten. Was im Meißen-Prozess und in der Erklärung von Reuilly nicht gelungen ist, haben die anglikanischen und lutherischen Kirchen in Nordeuropa mit dem Porvoo-Agreement von 1992 (vgl. DwÜ 3, S. 749–777) erreicht. Denn auf der Basis dieses ausführlichen Dokuments konnte unter den beteiligten anglikanischen und lutherischen Kirchen nicht nur gegenseitige Anerkennung der Kirchen und Ämter, sondern auch die Austauschbarkeit der Geistlichen erzielt werden. Entscheidende Voraussetzung dafür ist die Überzeugung, dass sich in der apostolischen Sukzession im Bischofsamt die Apostolizität der ganzen Kirche auf sichtbare und persönliche Weise konzentriere (DwÜ 3, S. 771, Nr. 46). Die historische bischöfliche Sukzession wird gemeinsam als ein Zeichen gewürdigt, das zwar für sich genommen die Apostolizität der Kirche nicht garantiere, aber doch permanent zu Treue und Einheit auffordere. In ähnlicher Weise hat auch der Dialog zwischen episkopalen und lutherischen Kirchen in den USA mit dem Agreement „Called to Common Mission“ und in Kanada mit der Waterloo-Declaration zur Kirchengemeinschaft geführt. Dabei ist jeweils vorgesehen, dass die beteiligten Kirchen, die keinen historischen Episkopat haben, diesen wieder einführen, so dass der Zeitpunkt absehbar ist, an dem alle Ämter in der vollen bischöflichen Sukzession stehen. Ähnlich war bereits die Kirchenunion in der Church of Southindia von 1947 konstruiert worden, in der sich anglikanische Diözesen, methodistische Synode und eine Gruppe reformierter Kirchen (Kongregationalisten, Presbyterianer u. a.) zusammengeschlossen haben. Die älteste Kirchenunion außerhalb Europas, die United Church of Canada, die 1925 aus Presbyterianern, Methodisten, Kongregationalisten und einer Union örtlicher Gruppen gebildet wurde, sah dagegen – ähnlich wie die Leuenberger Kirchengemeinschaft – keine Einführung einer einheitlichen bischöflichen Struktur vor. Überblickt man die Kirchengemeinschaften, die unter Beteiligung reformatorischer Kirchen im 20. Jahrhundert gebildet worden sind, so lässt sich festhalten, dass dort jeweils das Verständnis von Einheit leitend war, das reformatorisch in CA VII zur Geltung gebracht ist. Unterschiede bestehen allerdings im Umgang mit der Frage des Bischofsamtes, wie gegenwärtig die Differenz zwischen der GEKE einerseits und den Kirchengemeinschaften zwischen anglikanischen bzw. episkopalen und lutherischen Kirchen in Nordeuropa und in Nordamerika andererseits dokumentiert. Wichtig ist, dass selbst in den Dialogen, in denen noch keine Einigung in der Frage des Bischofsamtes erreicht wurde, wie im Meißen-Prozess, bereits Kirchengemeinschaft im Sinne von Kanzel- und Sakramentsgemeinschaft erzielt wer-

c) Römisch-katholische Konzeptionen kirchlicher Einheit

den konnte. Auch wenn die volle Kirchengemeinschaft damit noch nicht erreicht ist, weil diese nach anglikanischer Auffassung das gemeinsame Bischofsamt in historischer Sukzession einschließen muss, sind die seelsorgerlichen Probleme in den Gemeinden doch bereits überwunden, die aus der Trennung am Tisch des Herrn erwachsen. Von daher haben sich die reformatorisch geprägten Modelle von Kirchengemeinschaft als umsetzungsfähig und zukunftsträchtig erwiesen. c) Römisch-katholische Konzeptionen kirchlicher Einheit Kennzeichnend für römisch-katholische Konzeptionen kirchlicher Einheit sind zwei Anliegen: (1) Das Festhalten an der Annahme, dass es eine göttliche Vorgabe (ius divinum) auch für die institutionelle Gestalt der einen wahren Kirche gibt. Dies schließt jedoch nicht aus, dass „viele und bedeutende Elemente oder Güter, aus denen insgesamt die Kirche erbaut wird und ihr Leben gewinnt, auch außerhalb der sichtbaren Grenzen der katholischen Kirche existieren können“ (UR 3). (2) Die Wertschätzung der lokalen Einheit in den kirchlichen Vollzügen der Diakonia, der Martyria und der Leiturgia. Letzte Zielgestalt der Einheit der Kirche kann vor diesem Hintergrund aus römisch-katholischer Sicht nur eine episkopal geleitete Ortskirche sein, bei der die in der Regel durch lokale Nähe entstehende Vertrautheit der Getauften miteinander eine bewusste und verlässliche Handlungsgemeinschaft bewirkt. Die beiden genannten Anliegen im römisch-katholischen Verständnis kirchlicher Einheit bedürfen einer weiteren Erläuterung. Zu (1): In zwei Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre aus jüngerer Zeit („Dominus Iesus“ aus dem Jahr 2000 und „Antworten zu einigen Fragen bezüglich der Lehre über die Kirche“ aus dem Jahr 2007) bringt die Römisch-Katholische Kirche ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass die Aussage des Zweites Vatikanischen Konzils, die einzige Kirche Jesu Christi subsistiere in der katholischen Kirche (vgl. LG 8), sich auf „jene immerwährende historische Kontinuität und Fortdauer aller von Christus in der katholischen Kirche eingesetzten Elemente“ beziehe, „in der die Kirche Christi konkret in dieser Welt anzutreffen ist“ („Antworten zu einigen Fragen bezüglich der Lehre über die Kirchen, Antwort auf die 2. Frage). Ohne eine Verständigung über die neutestamentlich bezeugte Sinngebung des Dienstamts des Bischofs von Rom und ohne theologische Einmütigkeit in der Auffassung über die Gestaltung der überregionalen Episkopé wird es aus römisch-katholischer Sicht nicht möglich sein, sich auf ein Modell der sichtbaren Einheit der Kirche konfessionsübergreifend einzulassen. Auch aus römisch-katholischer Sicht darf jedoch die Vollständigkeit der institutionellamtlichen Strukturelemente von Kirchlichkeit nicht einfachhin mit dem Anspruch auf die Einheit der Kirche gleichgesetzt werden. Auch wenn in der Römisch-Katholischen Kirche alle Anlagen bereitstehen, die eine Kirche Jesu Christi sein zu können, so zeigt doch ihr Leben, dass die wahre Katholizität der Kirche nicht ohne die Gemeinschaft mit allen Getauften zu einer wirksamen Darstellung kommen kann. Angesichts jedoch der Bindung der Einheit der Kirche an die Existenz eines in der apostolischen Sukzession und in Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom stehenden Bischofsamts er-

die episkopal geleitete Ortskirche als Leitbild

nicht „Kirchen im eigentlichen Sinn“?

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1. Einheitsvorstellungen

die „Schwesterkirchen“ und die „Mutter Kirche“

kennt die Römisch-Katholische Kirche den „Gemeinschaften, die aus der Reformation des 16. Jahrhunderts hervorgegangen sind“, nicht zu, „Kirchen im eigentlichen Sinn genannt zu werden“ (Kongregation für die Glaubenslehre, 2007, 5. Frage und Antwort). Zwar sind die Ostkirchen hinsichtlich der Sakramente und des Priesteramts in einer anderen Stellung als die evangelischen Gemeinschaften, dennoch „leidet das Teilkirchesein jener ehrwürdigen christlichen Gemeinschaften unter einem Mangel“, weil „die Gemeinschaft mit der katholischen Kirche, deren sichtbares Haupt der Bischof von Rom und Nachfolger des Petrus ist, nicht eine bloß äußere Zutat zur Teilkirche ist, sondern eines ihrer inneren Wesenselemente“ (Kongregation für die Glaubenslehre, 2007, 4. Frage und Antwort). Im Jahr 2000 hat die Kongregation für die Glaubenslehre eine „Note über den Ausdruck ,Schwesterkirchen‘“ veröffentlicht (Note Schwesterkirchen), worin zwischen einer theologisch richtigen und einer verfehlten Weise der Verwendung dieses Begriffs unterschieden wird. Im Anschluss an Hinweise auf die Geschichte dieser Terminologie und an eine ausführliche Dokumentation der sachlich angemessenen Rede von den „Schwesterkirchen“ in den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils und in Verlautbarungen von Johannes Paul II. wird eine Differenzierung vorgenommen: „Im eigentlichen Sinn sind Schwesterkirchen ausschließlich Teilkirchen (oder Teilkirchenverbände, wie etwa Patriarchate oder Kirchenprovinzen) untereinander. Es muß immer klar bleiben, auch wenn der Ausdruck Schwesterkirchen in diesem richtigen Sinn verwendet wird, dass die universale, eine, heilige, katholische und apostolische Kirche nicht Schwester, sondern Mutter aller Teilkirchen ist“ (Note Schwesterkirchen 10). Die Glaubenskongregation betont, dass es auch „im Zusammenhang mit katholischen und nicht katholischen Teilkirchen“ möglich ist, von Schwesterkirchen zu sprechen, wenn dabei die „Teilkirche von Rom“ gemeint sei, jedoch „kann man richtigerweise nicht sagen, dass die katholische Kirche Schwester einer Kirche oder eines Teilkirchenverbandes ist. Es handelt sich dabei nicht nur um eine terminologische Frage, vielmehr geht es darum, eine grundlegende Wahrheit des katholischen Glaubens zu beachten: die Wahrheit von der Einzigkeit der Kirche Jesu Christi. Es gibt nur eine einzige Kirche, darum ist der Plural Kirchen nur auf die Teilkirchen anwendbar“ (Note Schwesterkirchen 11). Neben der Verteidigung der Singularität der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche intendiert die Note der Glaubenskongregation eine Klärung der Frage, wer sich zu den Schwesterkirchen zählen darf; zu beachten sei nämlich auch, „dass der Ausdruck Schwesterkirchen im richtigen Sinn gemäß der gemeinsamen Tradition von Abendland und Orient ausschließlich auf jene kirchlichen Gemeinschaften angewandt werden kann, die den gültigen Episkopat und die gültige Eucharistie bewahrt haben“ (Note Schwesterkirchen 12). In der neuerlichen Darstellung dieser Position im Dokument von 2007 fehlen Hinweise auf die in den letzten Jahrzehnten in großer Zahl geführten ökumenischen Gespräche zu den angesprochenen Themenbereichen. Nun steht die Klärung der Frage an, welche Verbindlichkeit solche Dialoge, die unter offizieller Beteiligung der Römisch-Katholischen Kirche geführt worden sind, und die in Teilen zu weit differenzierteren oder auch abweichenden theologischen Urteilen gefunden haben, für die zukünftige römisch-katholische Lehrbildung haben können.

a) Nationale und regionale Unterschiede

Zu (2): Die Kirche ist aus römisch-katholischer Sicht zunächst eine Gemeinschaft der Getauften an ihren Lebensorten. Der ortskirchliche Bezug ist der römisch-katholischen Ekklesiologie wichtig. Erfahrbar, sichtbar und wirksam kann die Kirche nur in einer Gemeinschaft von Menschen werden, die sich in der Regel an ihren Wohnorten begegnen. An ihren Lebensorten suchen Menschen nach Trost, nach Rat und nach einem Halt in den Abgründen der zeitlichen Existenz. In den überschaubaren Lebensräumen, die Menschen in ihrem Alltag erfahren, auf immer mehrere, verschiedene christliche Antworten auf die Fragen des Daseins zu geben, widerspricht aus römisch-katholischer Sicht der biblischen Mahnung, am Ort die Versammlung der Getauften zu einer Gemeinschaft werden zu lassen. In der ökumenisch orientierten römisch-katholischen Ekklesiologie wird die Möglichkeit als aussichtsreich betrachtet, über die in der reformatorischen Tradition wertgeschätzte „congregatio“ – die Versammlung der Getauften vor Ort – zu einer Übereinkunft über die ekklesiale Bedeutung der lebendigen Christusbezeugung zu finden. Über die beiden oben erläuterten Grundbestimmungen hinaus gibt es eine große Offenheit in römisch-katholischen Einheitskonzeptionen, die gewordene Vielfalt spiritueller und diakonischer Traditionen in der Christenheit anzuerkennen.

die Bedeutung der Ortsgemeinde

ökumenische Offenheit

2. Kontexte Für die ökumenische Aufgabe der Überwindung kirchentrennender Gegensätze und die Verständigung auf eine gemeinsame ökumenische Zielvorstellung ist eine differenzierte Wahrnehmung der verschiedenen Kontexte nötig, in denen die Kirchen leben. Diese Kontexte zu beschreiben, in ihrer historischen Genese zu verstehen und in ihrer Bedeutung für das Selbstverständnis der Kirchen zu analysieren, gehört daher zu den zentralen Aufgaben ökumenischer Theologie (vgl. I. 4. b). Die Kontexte wiederum, die für die Ausbildung ökumenischer Interessen in den Kirchen bestimmend sind, werden durch eine Vielfalt von Faktoren bestimmt, die hier nicht alle in Betracht gezogen werden können. Von besonderer Bedeutung für die unterschiedlichen Anliegen, die die Kirchen aus ihren jeweiligen Kontexten heraus in der Ökumene verfolgen, sind jedoch zum einen die nationalen und regionalen Besonderheiten (Abschnitt a). Zum anderen stellen die Schwierigkeiten in konfessionsverschiedenen Ehen und Familien eine besondere Herausforderung für das ökumenische Handeln der Kirchen und damit zugleich einen wichtigen Horizont ökumenischer Theologie dar (Abschnitt b). a) Nationale und regionale Unterschiede Die unterschiedlichen nationalen und regionalen Verhältnisse, in denen Kirchen leben, sind vielfach zunächst einmal ausschlaggebend dafür, welchen Stellenwert einzelne Kirchen den ökumenischen Bemühungen zumessen. Wo zwei oder mehrere Konfessionskirchen in einem Land oder in einer Region ähnlich stark vertreten sind und gleichen rechtlichen Schutz genießen, nehmen ökumenische Herausforderungen einen zentralen Stellenwert ein.

statistische Präsenz

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2. Kontexte

unterschiedliche Ziele

Reconciling Memories

Dies ist z. B. in Deutschland und den angrenzenden Kernländern der Reformation wie auch in Nordamerika der Fall. Wo dagegen eine Kirche als sog. Mehrheitskirche existiert, ist vielfach auch das Interesse an ökumenischer Verständigung geringer. Umgekehrt haben Kirchen, die in einem Land oder in einer Region eine Minderheit darstellen und u. U. auch unterdrückt werden, vielfach ein hohes Interesse an ökumenischen Kontakten und an der Überwindung kirchentrennender Gegensätze. Die unterschiedlichen Kontexte sind aber nicht nur für die Intensität des ökumenischen Engagements entscheidend. Sie haben auch einen erheblichen Einfluss auf die Ziele, die Kirchen ökumenisch vorrangig erreichen wollen. So steht für Kirchen in Regionen, in denen es viele konfessionsverschiedene Ehen und Familien gibt, die Frage der Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft im Vordergrund, die wiederum die Überwindung kirchentrennender Lehrgegensätze voraussetzt. Diesem Anliegen dient die Arbeit nationaler und internationaler Dialogkommissionen. Kirchen hingegen, die unter politischer Unterdrückung und Verfolgung und damit verbunden vielfach auch unter großer Armut leiden, erhoffen sich von ökumenischen Beziehungen vor allem Unterstützung in ihrer politischen und materiellen Notlage. Die damit verbundenen Aufgaben werden auf europäischer Ebene im Rahmen des konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung von der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und dem Rat der Europäischen Bischofskonferenz (CCEE) wahrgenommen. Auf Weltebene geschieht dies durch den Ökumenischen Rat der Kirchen. In nicht wenigen Ländern gingen oder gehen konfessionelle Spaltungen mit gewalttätigen oder kriegerischen Auseinandersetzungen einher. Das verhindert nicht nur ökumenische Kontakte zwischen den beteiligten Kirchen und belastet ihre Beziehungen zu anderen Kirchen. Es behindert unter den Christen dieser Kirchen vielfach auch die Ausbildung eines gemeinsamen Verantwortungsbewusstseins auf politischer Ebene. In solchen Kontexten ist darum – bevor überhaupt gemeinsame ökumenische Interessen wachsen können – eine Aufarbeitung der geschichtlichen Erfahrung nötig. Eine solche Aufarbeitung wurde im Rahmen theologischer Reflexion zuerst in Nordirland angestrengt, wo die Irish School of Ecumenics 1987 ein Studienprogramm zur Frage der Versöhnung von Erinnerungen etablierte (vgl. Falconer/125). Wichtig war weiter die Arbeit der „Kommission für Wahrheit und Versöhnung“ in Südafrika seit 1995. In ähnliche Richtung wies auch der Aufruf zur „Umkehr des Herzens“ von Papst Johannes Paul II. in der Verkündigungsbulle „Incarnationis mysterium“ von 1998. Auf der Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung von KEK und CCEE in Graz im Juni 1997 wurde das nordirische Projekt „Reconciling Memories“ im Rahmen eines Forums „Hindernisse auf dem Weg zur Einheit – haben wir aus unserer schmerzlichen Geschichte gelernt?“ vorgestellt. Die Versammlung empfahl den Kirchen, „eine aktive und nachhaltige Rolle bei der friedlichen Transformation von Konflikten (z. B. Nordirland, Zypern) und in Friedensund Versöhnungsprozessen nach kriegerischen Auseinandersetzungen (wie in Bosnien, Kroatien, Serbien, Tschetschenien u. a.) zu übernehmen“ (Noll/ 129: 56). Inzwischen gibt es eine Reihe von Projekten in Europa, in denen die therapeutische Wirksamkeit der Erinnerung den Ausgangspunkt kirchlicher Versöhnungsprozessen darstellt.

b) Herausforderungen in familiären Zusammenhängen

Die „Healing of Memories“-Prozesse sind für ökumenische Theologie deshalb von besonderem Interesse, weil sie einerseits spezifische Einblicke in nationale bzw. regionale Kontexte ökumenischer Haltungen und Anliegen geben und weil in ihnen andererseits die Selbstwahrnehmung der Kirchen in ihrer jeweiligen Situation thematisch wird. Auf diese Weise bieten sie ökumenisch-theologischer Forschung einen Ausgangspunkt, um nicht nur die Kontexte zu beschreiben, die für die ökumenischen Anliegen und Bemühungen der Kirchen jeweils bestimmend sind, sondern auch die Wandlungsprozesse in der Selbstwahrnehmung zu untersuchen, die Kirchen in interkonfessionellen Konflikten und deren historischer Aufarbeitung erleben. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Projekt „Healing of Memories Christlicher Kirchen in Rumänien“, das seit 2004 gemeinsam von der KEK und der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) getragen wird, von besonderer Bedeutung. Es gliedert sich in zwei Teilprojekte: in einem ersten Teilprojekt soll eine Synopse der jeweils konfessionsspezifischen Sicht der Kirchengeschichte erarbeitet werden; in einem zweiten Teilprojekt sind regionale interkonfessionelle Seminare nach dem Vorbild der „Healing of Memories“-Prozesse in Südafrika und Nordirland vorgesehen, die unter seelsorgerlicher Begleitung der Aufarbeitung der Erinnerung dienen sollen (vgl. dazu Ionita/126: 225). Durch die Verbindung beider Teilprojekte besteht hier die Chance, Einblicke in konfessionell bestimmte Prozesse historischer Selbstaufklärung zu gewinnen und auf dieser Basis mögliche Transformationen im Selbstverständnis der Kirchen in den Blick zu nehmen.

theologische Relevanz

konfessionell bestimmte Geschichtswahrnehmung

b) Herausforderungen in familiären Zusammenhängen Veränderungen in der Begrifflichkeit spiegeln nicht selten einen Lernprozess in der Deutung eines Geschehnisses oder Sachverhalts wider. Die eheliche Gemeinschaft zwischen getauften Menschen mit unterschiedlicher Konfessionszugehörigkeit wurde in römisch-katholischen lehramtlichen Schreiben bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts als „Mischehe“ und später als „konfessionsverschiedene Ehe“ bezeichnet. In vielen theologischen Beiträgen hat sich inzwischen die Rede von einer „konfessionsverbindenden Ehe“ oder auch einer „konfessionsversöhnenden Ehe“ gefestigt. Mit dem Wort „Mischehe“ verbinden sich assoziativ Aspekte wie „unentschieden“, „einerlei“, „weder – noch“, während der Begriff „konfessionsverschieden“ einen bestehenden Sachverhalt nüchtern benennt. Die Bezeichnungen „konfessionsverbindend“ oder „konfessionsversöhnend“ sind Ausdruck einer vielfach bezeugten Erfahrungswirklichkeit und zugleich eine Bekundung von Anerkennung und Dank solchen Ehen und Familien gegenüber, die einen wesentlichen Anteil an der gewachsenen ökumenischen Sensibilität haben. Deutschland gilt heute – zusammen mit der Schweiz und den Niederlanden – weltweit als das Land mit dem höchsten Anteil an konfessionsverbindenden Paaren (vgl. Beyer; Beyer/123; Neuner/128; Böckle/124). Auch wenn es kaum möglich ist, präzise Auskunft über die Zahl der konfessionsverbindenden Ehen in den einzelnen Epochen im 20. Jahrhundert zu bekommen, so scheinen sich doch in entsprechenden Übersichten folgende Tendenzen übereinstimmend abzuzeichnen: Zu Beginn des 20. Jahrhun-

konfessionsverschiedene Ehen

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2. Kontexte

frühere Bestimmungen im katholischen Kirchenrecht

heutige Bestimmungen im katholischen Kirchenrecht

derts waren in Deutschland ca. 8 % der Ehen konfessionsverbindend. Die Wirren des 2. Weltkriegs und insbesondere die Nachkriegszeit veränderten die konfessionellen Gegebenheiten erheblich, so dass die Zahl der konfessionsverbindenden Ehen auf ca. 20 % anstieg. In Deutschland sind gegenwärtig ca. ein Drittel der Ehen christlicher Partner und Partnerinnen konfessionsverbindend, wobei die regionale Verteilung stark variiert. Auch in Zeiten gestiegener Mobilität gibt es Landstriche, in denen die Zahl der konfessionsverbindenden Eheschließungen wesentlich höher liegt als in anderen, wo – geschichtlich bedingt – eine Konfession stark überwiegt. Solche Beobachtungen zeigen, dass die Zugehörigkeit zu einer Konfessionsgemeinschaft in aller Regel durch die Herkunftsfamilie bestimmt wird und bleibt. Konversionen oder die freie Wahl einer christlichen Gemeinschaft im Erwachsenenalter sind im Westen Deutschlands noch immer selten. Im Osten ist die Situation insofern anders, als die Taufe im Kindesalter mehr und mehr abnimmt, und die persönliche Wahl einer Konfessionsgemeinschaft durch Erwachsene getroffen wird – wenngleich in geringerer Anzahl. Die Mehrheit der konfessionsverbindenden Ehen wird zwischen einem evangelischen und einem römisch-katholischen Partner geschlossen. Angesichts der vermehrten Einbürgerung osteuropäischer Menschen in Deutschland ist die Zahl von Eheschließungen mit einem Christen orthodoxer Konfession in den letzten Jahrzehnten jedoch angestiegen. Eigener pastoraler Aufmerksamkeit bedürfen die Ehen zwischen Christen und Angehörigen anderer Religionen. Bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein sahen sowohl evangelische als auch römisch-katholische kirchenrechtliche Bestimmungen Strafmaßnahmen vor, falls ein Ehepartner sich zur Eheschließung sowie zur Erziehung der Kinder in der anderen Konfession entscheiden sollte. Konkret war nach dem römisch-katholischen Codex Iuris Canonici von 1917 eine gültige Eheschließung nur unter Beachtung der eigenen Eheschließungsform möglich. Beide Partner mussten sich verpflichten, die Nachkommen in die Römisch-Katholische Kirche hinein taufen zu lassen und sie im Glauben entsprechend zu erziehen. Bei einer Eheschließung in den evangelischen Kirchen drohte die Exkommunikation. Ähnliches sahen auch die evangelischen Gesetzgebungen einzelner Landeskirchen vor. Sie wurden jedoch nicht mit derselben Härte befolgt, so dass der Eindruck entstehen konnte, die evangelischen Partner hätten weniger Nachteile durch eine römisch-katholische Eheschließung zu befürchten als umgekehrt. Vor diesem Hintergrund entschied sich die Mehrzahl der betroffenen Eheleute für die römisch-katholische Trauung. Inzwischen sind im römisch-katholischen Rechtsbereich die Bestimmungen verändert. Der Codex von 1983 sieht bei Konfessionsverschiedenheit keine Dispenspflicht mehr vor, sondern lediglich die Erteilung einer Erlaubnis, deren Gewähr vom Ortsbischof an die Pfarrer in den Ortsgemeinden delegiert werden kann. Im Gespräch vor der Trauung wird nur der römischkatholische Partner gefragt, ob er oder sie die Bereitschaft habe, sich zu mühen, die Kinder in der Römisch-Katholischen Kirche zur Taufe zu führen und entsprechend religiös zu erziehen. Die evangelischen Partner werden in dieser Situation offiziell (im Protokoll nachweislich) nicht nach ihrer Sichtweise gefragt. Die Eheschließung kann unter evangelischer oder unter

b) Herausforderungen in familiären Zusammenhängen

römisch-katholischer Leitung stattfinden, deren Aufgabe es auch ist, den Ehekonsens zu erfragen. Eine Beteiligung der jeweils anderen Konfession (etwa in der Wortverkündigung und bei der Segnung) ist bei der Feier der Trauung von konfessionsverbindenden Paaren heute die Regel. Die Fragen, die sich in konfessionsverbindenden Ehen stellen, sind sehr konkret. Die Bedrängnis, die durch sie ausgelöst wird, hängt von der Intensität der Verbindung zur eigenen Konfessionsgemeinschaft ab, die ein Partner oder auch beide angesichts ihrer vorehelichen Lebensgeschichte in die neue Gemeinschaft einbringen. Viele Paare leben heute in kritischer oder auch gleichgültiger Kirchendistanz, so dass sich pastorale Fragen vor allem in besonderen biographischen Momenten wie der Feier der Eheschließung, der Taufe, der Erstkommunion oder Konfirmation der Kinder und bei der Begräbnisfeier stellen. Es gibt jedoch auch einen regional unterschiedlichen Anteil an Getauften, die sich um ein beständiges und intensiveres Mitleben in den Ortskirchen bemühen. Gerade solche Familien stehen vor der Herausforderung, ihr gemeinsames christliches Leben angesichts der bestehenden Spaltung in der Christenheit angemessen zu gestalten. Bei aller Unterschiedlichkeit der jeweiligen Ehegestalt sind folgende Themenbereiche wichtig im Leben einer konfessionsverbindenden Ehe: (1) Wie könnte es gelingen, dass ein Partner der Partnerin (oder umgekehrt) verständlich machen kann, welche Bedeutung seine konfessionelle Prägung für ihn hat? Sind die Paare überhaupt auf diese Situation vorbereitet? Kennen sie ihre konfessionellen Traditionen und können sie die bestehenden Unterschiede in Kontexte einordnen? Haben es Christinnen und Christen gelernt, in eigenen Worten von dem zu sprechen, was ihnen als religiöse Tradition unhinterfragt vertraut ist? Die konfessionsverbindende Ehe ist ein Lernort, auch die eigene religiöse Identität durch die Herausforderung zur gemeinsamen Reflexion beschreibend bestimmen zu können. (2) Soll vor der Eheschließung eine Entscheidung fallen, welcher konfessionellen Prägung christlicher Existenz sich das Paar gemeinsam näher weiß? Welchen Einfluss hat diese Entscheidung möglicherweise für die Form der Eheschließung und für die religiöse Erziehung der Kinder? Welche Rücksichten sind zu nehmen auf etwaige Empfindlichkeiten der Eltern und der Verwandten? Gibt es Zwänge aus Sicht der Arbeitgeber (zum Beispiel bei der Heirat eines evangelischen Pfarrers oder einer Pfarrerin mit einem römisch-katholischen Partner oder analog bei der Eheschließung von römisch-katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in pastoralen Diensten)? (3) Welche genaue Gestalt soll das Leben in der konkreten konfessionsverbindenden Ehe haben? Gibt es etwa christliche Feierformen im Jahreskreis, die einem der Partner sehr bedeutsam sind und eine gemeinsame Teilhabe wünschenswert erscheinen lassen? Wie ließe sich die Gestaltung der Sonntage in den Familien einvernehmlich leben? Ist diese Frage überhaupt losgelöst von der konkreten Situation der Kirchen an den möglicherweise wechselnden Lebensorten zu beantworten? Wie kann eine gemeinsame Erziehung der Kinder in Fragen des Glaubens gestaltet werden? (4) Es gibt Fragen im konfessionell geprägten Glaubensleben, deren unterschiedliche Beantwortung Auswirkungen auf das eheliche Leben haben – zum Beispiel: Wie verstehen Partner die Ehe – als unauflöslich ihrer Intention nach oder als durch die Sünde ständig vom Scheitern bedroht oder eher als tagtägliche Herausforde-

besondere Herausforderungen

konfessionelle Unterschiede

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2. Kontexte

das Problem der Abendmahlsgemeinschaft

„gravis necessitas“

Ehe als „ecclesiola“

rung zur freiheitlichen Gestaltung? Auch im Blick auf den niemanden verschonenden Tod können konfessionell geprägte Unterschiede wirksam werden: Welche Begräbnisform entspricht der gläubigen Vorstellung von der leiblichen Auferstehung? Erwarten die Eheleute ein Läuterungsgeschehen und wie stellen sie es sich vor? Möchten sie vor dem Tod für die Zeit danach um das Gebet der im Leben vertraut gewordenen Menschen bitten? Viele der genannten Fragen stehen in einem engen Zusammenhang mit Situationen, in denen der Wunsch nach einer gemeinsamen eucharistischen Feier dringlich werden kann. Solche Fälle treten in vielen konfessionsverschiedenen Familien vor allem bei besonderen, biographisch geprägten Familienfeiern ein: Eheschließung, Erstkommunion, Konfirmation, Requiem, selten auch bei der Übernahme eines kirchlichen Dienstes durch eines der eigenen Kinder. Gerade in solchen stark emotional geprägten Situationen wird das Leiden unter der noch nicht bestehenden Eucharistie- und Abendmahlsgemeinschaft besonders deutlich. Es erscheint nicht einsichtig, wie in Zeiten, in denen für die Glaubensgemeinschaft in der Familie die Freude und der Trost des Evangeliums besonders wertvoll sind, eine Familie vor dem eucharistischen Tisch getrennt bleiben kann. In der theologischen Diskussion in jüngerer Zeit erscheinen angesichts der von römisch-katholischer Seite bestehenden kirchenoffiziellen Maßgaben insbesondere zwei Wege als aussichtsreich, um zu einer Ermöglichung von eucharistischer Gastfreundschaft für konfessionsverbindende Paare zu gelangen: Ein Weg wird in der Neuinterpretation der „schwerwiegenden Notwendigkeit“ gesehen, die, so sie gegeben ist, Eucharistiegemeinschaft erlaubt. In jüngerer Zeit wurde in Schreiben von Papst Johannes Paul II. von einer „geistlichen Bedürftigkeit“ gesprochen, welche einen neuen Raum der Interpretationen eröffnete. Der zweite Weg besteht in der Anerkenntnis der ehelichen Gemeinschaft als einer sozial-ekklesialen Gegebenheit, die bereits vorlebt, was in Fülle erst späteren Zeiten geschenkt sein wird. Die Ehe wird in diesem Zusammenhang als „ecclesiola“ – Kirchengemeinschaft im Kleinen im Sinne von Kirchengemeinschaft im konkreten alltäglichen Lebensvollzug – verstanden. Diese Argumentation nimmt einen Grundsatz des Zweiten Vatikanischen Konzils auf, dass nämlich die ökumenische Begegnung die Einheit der Christen fördere; sie sei nicht nur Ausdruck bereits gegebener Verbundenheit, sondern auch der Weg zu einem tieferen Verständnis füreinander. Einzelne Autoren berufen sich in diesem Zusammenhang auf die grundlegende Bestimmung des Wesens der Eucharistie in der Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, auch Quelle und nicht nur Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens zu sein (LG 11). Es gab in jüngerer Zeit mehrfach Bemühungen im Raum der Deutschen Bischofskonferenz, im Blick auf die konfessionsverschiedenen Ehen eine „gravis necessitas“ im Sinne der kirchenrechtlichen Bestimmungen festzuhalten, sofern ein Priester im Gespräch mit den Betroffenen den Eindruck gewinnt, es sei zu befürchten, dass die Eheleute in Kirchendistanz treten werden, wenn sie nicht gemeinsam an der Eucharistiefeier teilnehmen können. Das aus der Tradition der Orthodoxie vertraute Oikonomia-Prinzip wurde dafür in Anspruch genommen. Die anhaltende Diskussion hat ergeben, dass diese Interpretation wohl zumindest nicht die Intention der Konzilsväter trifft. Diese dachten kaum an die dauerhafte Lebensgemeinschaft

b) Herausforderungen in familiären Zusammenhängen

von Menschen in konfessionsverschiedenen Ehen, als sie eine „schwerwiegende Notwendigkeit“ als Grund für die Gewähr eucharistischer Gemeinschaft anerkannten. Alles deutet darauf hin, dass nach der Auffassung der Konzilsväter einzelnen Menschen in Todesgefahr die Sterbesakramente nicht verweigert werden sollen – auch evangelischen Christinnen und Christen nicht, wenn sie in dieser Situation nicht die Möglichkeit haben, einem Amtsträger ihrer eigenen Konfession zu begegnen, und sofern sie in ihrer grundlegenden Gläubigkeit die Römisch-Katholische Kirche als eine rechtmäßige Gestalt der Christusnachfolge erachten. Sind solche Situationen für das alltägliche Leben in konfessionsverbindenden Ehe in Deutschland realistisch? Konkret: Ein evangelischer Gottesdienst ist nicht zu erreichen (wobei darüber diskutiert wird, ob diese römisch-katholische Bestimmung allein eine physische oder auch eine psychische Verhinderung meinen könnte) und eine vorgängige Zustimmung zum eucharistischen Glauben der Römisch-Katholischen Kirche ist gegeben – einschließlich des spezifischen Amtsverständnisses. Werden die Gewissensnöte der Menschen nicht groß, wenn sie sich nicht von Jesus Christus selbst in Freiheit eingeladen wissen, sondern vielmehr ihre Teilnahme aufwändig begründen müssen? Und wer wollte in besonderen familiären Situationen Menschen diese komplexen Bedingungen der Theologie erläutern, da die Menschen gerade dann in ihrer Freude und ihrer Not doch mit anderen Gedanken und Empfindungen beschäftigt sind? Es erscheint vielen ökumenisch sensibilisierten Menschen sinnvoll, angesichts der skizzierten unterschiedlichen Situationen konfessionsverbindender Paare je eigene Wege in der Pastoral zu gehen: In besonderen familiären Situationen, bei denen Partner in konfessionsverbindenden Ehen einmalig die eucharistische Gemeinschaft erbitten, könnte man sich darum bemühen, eine solche Handlung als Anfang eines neuen Weges in der je eigenen Glaubensgemeinschaft zu verstehen. Wenn eine konfessionsverbindende Familie in ihren jeweiligen Glaubensgemeinschaften beheimatet ist und in Tat und Wort beständig gemeinsam für Christus Jesus Zeugnis ablegt, wäre zu überlegen, ob nicht in besonders geprägten Zeiten eine gemeinsame eucharistische Feier möglich ist, um den gläubigen Zusammenhalt der Familie zu stärken. Es wird wohl kaum von den konfessionsverschiedenen Familien zu erwarten sein, dass sie sich mit den Details der konfessionellen Ämterlehre auseinandersetzten, um zu einer für sie verantwortlichen Haltung in der Frage der eucharistischen Gemeinschaft zu kommen. Diese Last legen die gegenwärtigen römisch-katholischen Bestimmungen den Gewissen der Menschen allerdings auf. Ob eine solche Handlungsweise vor Gott gerechtfertigt ist, wird niemand mit dem Anspruch auf Gewissheit rasch beantworten können. Es sind im Wesentlichen drei Themenbereiche, die im evangelisch – römisch-katholischen Gespräch über die Ehe behandelt werden: (1) Was meinte Martin Luther, als er von der Ehe als einem „weltlich Ding“ sprach und steht dies im Widerspruch zu der Vorstellung von der Sakramentalität der Ehe? (2) Welche Positionen vertreten die Konfessionen im Blick auf die „Unauflöslichkeit“ des (sakramentalen) Ehebands? Wie ist in diesem Zusammenhang ein pastoral angemessener Umgang mit der Situation wiederverheiratet Geschiedener möglich? (3) Gibt es in der römisch-katholischen

pastorale Schwierigkeiten

ökumenischer Dialog über die Ehe

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2. Kontexte

die Ehe als „weltlich Ding“

die Unauflöslichkeit der Ehe

die Bedeutung der Ehelosigkeit

Tradition eine Höherbewertung des Standes der Ehelosigkeit – losgelöst von der Hinordnung auf den Dienst der Verkündigung? In all diesen Fragenkreisen hat eine gemeinsame Besinnung auf die biblischen Schriften und auf die Traditionsgeschichte zu weitreichenden ökumenischen Annäherungen geführt, welche hier nur angedeutet werden können (vgl. LV 1). (1) Martin Luther intendierte mit seiner Rede von der Ehe als „weltlich Ding“ eine Zuordnung der Eheschließung zur weltlichen Gerichtsbarkeit. Keineswegs wollte er verneinen, dass die eheliche Gemeinschaft – im Sinne des Schöpfers – unter Gottes Segen steht, Gottes Weggeleit erfährt und mit der Verheißung von Bestand und Treue verbunden ist. Die Frage der Sakramentalität der Ehe war im Altertum vor allem deshalb strittig, weil kaum begründbar erschien, warum (erst) Jesus Christus die Ehe eingesetzt haben könnte, da sie doch unabweisbar ein Schöpfungsgut darstellt. In der gegenwärtigen Theologie gibt es eine hohe Bereitschaft, die Frage der Einsetzung der Sakramente nicht im Sinne der Suche nach Auftragsworten des irdischen Jesus zu verstehen, sondern zu fragen, ob in einer zeichenhaften Wirklichkeit Gottes Wesen in Zeit und Geschichte erscheint. Vor diesem Hintergrund ist es in der Ökumene möglich geworden, die unverbrüchliche Treuezusage von Menschen – in aller gemeinsam erfahrenen Sündigkeit – als eine Gabe und Aufgabe zu verstehen, welche im Licht des Christusereignisses eine neue Dimension erfahren hat. (2) Im Blick auf die Frage nach der Unauflöslichkeit der Ehe sehen sich alle Konfessionen vor die Aufgabe gestellt, die in den biblischen Schriften im Sinne Jesu überlieferte Mahnung, niemanden aus der Ehe zu entlassen (vgl. Mk 10,2–12), pastoral angemessen aufzunehmen. Bereits im neutestamentlichen Kanon werden Gegebenheiten benannt – „Unzucht“ im Sinne wohl von Ehebruch bei Matthäus (vgl. Mt 19,3–9) –, welche eine andere Handlungsweise begründen können. Vermutlich möchten die neutestamentlichen Zeugnisse vor allem eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen vermeiden: Frauen konnten aus nichtigen Gründen aus der Ehe entlassen werden, Männer nicht. Gemeinsam ist den christlichen Konfessionen die Wertschätzung einer lebenslangen ehelichen Gemeinschaft. Die reformatorischen Traditionen eröffnen sündig gewordenen Menschen angesichts ihrer anthropologischen Grundsicht leichter einen neuen Zugang zur vollen kirchlichen Gemeinschaft. Die römisch-katholische Tradition mutet den Menschen zu, ihr Leben lang nach Wegen der Umkehr zu suchen und in dieser Zeit auf eine weitere eheliche Gemeinschaft zu verzichten. Ansatzpunkte für einen pastoralen Neuansatz gibt es angesichts der Überlegung, dass nach römisch-katholischer Vorstellung das menschliche Leben in ehelicher Gemeinschaft ein sakramentales Bild der Beziehung Gottes zur Schöpfung ist. Was aber bedeutet es dann, wenn Menschen offenbar unwiderruflich zerstritten sind? (3) Im Blick auf die Wertschätzung der Ehelosigkeit von Menschen sind viele ökumenische Annäherungen erreicht worden: Gemeinsam lesen die Konfessionen die Gedanken des Paulus in 1 Kor 7 als ein Zeugnis dafür, dass es vorteilhaft sein kann, wenn die Verkündiger des Evangeliums ehelos bleiben. Die Entscheidung zu dieser Lebensform bleibt dann streng hingeordnet auf die Wirksamkeit der Verkündigung des Evangeliums. Nicht „in sich“ ist der „Stand“ der Ehelosigkeit höherwertig, sondern allein im Blick

a) Die Charta Oecumenica und ihre Wirkungsgeschichte

auf die Sendung zur Verkündigung des Evangeliums in der verbleibenden Lebenszeit und Lebenskraft. Es mehren sich auch im evangelischen Raum Menschen, die sich zu einem Leben nach den evangelischen Räten in Gemeinschaft berufen erfahren. Es ist eine offene Frage in der Ökumene, ob die Bedenken, welche die evangelische wie auch die Römisch-Katholische Kirche gegen die konfessionsverbindenden Ehen bis vor wenigen Jahrzehnten erhoben haben, ohne jeden Bezug zur Wirklichkeit sind. Es könnte sein, dass angesichts der bestehenden Schwierigkeiten, gemeinsam das christliche Leben zu gestalten, bald eine größere Distanz zu religiösen Fragen eintritt. Die geschilderten Besonderheiten erschweren die ohnehin nicht leichte Aufgabe der elterlichen Unterstützung bei der religiösen Erziehung der Kinder. Das in Einzelheiten unterschiedliche Eheverständnis sowie die lebenspraktischen Belastungen könnten gerade in Familien mit hohem religiösem Interesse zu Spannungen führen, welche im Extremfall auch zum Zerbrechen der ehelichen Gemeinschaft beitragen können. Größere Kirchendistanz, geringere Kinderzahl und höhere Scheidungsrate – diese Erscheinungen gelten als mögliche Gefährdungen in konfessionsverbindenden Ehen. Neuere Statistiken weisen jedoch aus, dass es viel wirksamere Einflüsse gibt, welche zu den genannten Phänomenen führen, als die Konfessionsverschiedenheit der Partner.

3. Zwischenziele Es entspricht der in der Ökumene gebotenen Nüchternheit, auch das Erreichen von Zwischenzielen bereits als eine Bestätigung des biblischen Grundauftrags zu verstehen, die Einheit im christlichen Bekenntnis wirksam werden zu lassen. Es gibt viele Anlässe, diesbezüglich zuversichtlich zu sein. Selbstverpflichtungen zum unaufgebbaren ökumenischen Miteinander sind in der Charta Oecumenica auf europäischer Ebene formuliert worden (Abschnitt a). In Städten und Gemeinden werden ökumenische Gemeindepartnerschaften geschlossen (Abschnitt b). Im Blick auf den schulischen Religionsunterricht zeichnen sich vielfältige Formen der Kooperation ab (Abschnitt c). Die Ökumene besinnt sich in allen Handlungsfeldern auf ihre missionarische und diakonische Dimension, deren gemeinsame Wurzel die geistliche Ökumene ist (Abschnitt d). a) Die Charta Oecumenica und ihre Wirkungsgeschichte Im europäischen ökumenischen Leben ist die Charta Oecumenica, die am 22. April 2001 in Straßburg von den Repräsentanten der Konferenz Europäischer Kirchen (Metropolit Jérémie) und des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (Kardinal Miloslav Vlk) unterzeichnet wurde, heute ein sehr wichtiger Bezugspunkt. Am Ende der Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung 1997 in Graz wurde der Beschluss gefasst, die ökumenische Zusammenarbeit in Zukunft mit möglichst großer Verbindlichkeit zu leben. Ein ökumenisches Grundgesetz, die Charta Oecumenica (COe), sollte dabei als inhaltliche Leitlinie dienen, deren Beachtung oder Missachtung sich überprüfen lässt. In kurzer und intensiver Gremienarbeit wurde

Inhalt der „Charta Oecumenica“

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3. Zwischenziele

ein Dokument erstellt, das zwölf Bereiche des ökumenischen Handelns benennt: 1. Gemeinsam zur Einheit im Glauben berufen; 2. Gemeinsam das Evangelium verkündigen; 3. Aufeinander zugehen; 4. Gemeinsam handeln; 5. Miteinander beten; 6. Dialoge fortsetzen; 7. Europa mitgestalten; 8. Völker und Kulturen versöhnen; 9. Die Schöpfung bewahren; 10. Gemeinschaft mit dem Judentum vertiefen; 11. Beziehungen zum Islam pflegen; 12. Begegnung mit anderen Religionen und Weltanschauungen. Diesen Themengebieten sind jeweils spezifische Selbstverpflichtungen der Kirchen zugeordnet, in denen die Grundaussagen eine gewisse Konkretisierung erfahren. Da die Zustimmungsbereitschaft aller Konfessionsgemeinschaften in Europa nicht gefährdet werden durfte, haben diese Selbstverpflichtungen jedoch nicht die Gestalt erreichen können, welche in einzelnen Regionen bereits vertraut und gut eingeübt ist. Am 30. Mai 2003 unterzeichneten daher in Berlin im Rahmen des Ersten Ökumenischen Kirchentags die leitenden Repräsentanten der Kirchen in Deutschland in einem feierlichen Gottesdienst eine Vereinbarung, in der sie sich in diesem regionalen Raum auf der Basis der COe zu mehr Verbindlichkeit in ihrem ökumenischen Miteinander verpflichten. Inzwischen liegen von der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland erarbeitete Vorschläge für eine Konkretisierung der COe vor. Anregungen für ein neues ökumenisches Miteinander sind darin zusammengestellt, wie zum Beispiel: Die vorösterliche und die österliche Zeit in den Gemeinden in ökumenischem Sinn zu feiern (diese Zeit im Kirchenjahr bietet viele Möglichkeiten der Begegnung in der gottesdienstlichen Feier) oder bei Kreuzwegen sowie Gesprächsabenden über die gemeinsame christliche Hoffnung auch angesichts des Todes zu reden. Die Sorge um die gesamte Schöpfung verbindet Christinnen und Christen. Diakonische Projekte könnten in ökumenischer Trägerschaft vereinbart werden. In der Vorbereitung auf die Sakramente (vor allem bei der Taufe, Erstkommunion, der Firmung oder Konfirmation und der Ehe) wäre es wünschenswert, ökumenische Überlegungen stärker miteinzubeziehen. Die Öffentlichkeitsarbeit auf lokaler Ebene ließe sich besser miteinander abstimmen. Besuche auch bei kleineren christlichen Gemeinschaften könnten auf die Vielfalt der christlichen Zeugnisse ganz in der Nähe zum eigenen Wohnort aufmerksam machen. b) Ökumenische Gemeindepartnerschaften

„Local Ecumenical Projects“

Vielfach wird die ökumenische Zusammenarbeit auf Gemeindebasis als eine tragfähige Zukunft der Ökumene betrachtet. In Mittel- und Nordeuropa hat diesbezüglich eine ursprünglich von England ausgehende Initiative Bedeutung gewonnen, bei der ein auch für die Charta Oecumenica grundlegender Gedanke wichtig ist: Ökumene braucht verpflichtende Verbindlichkeit. Die Ursprünge der Idee, ökumenische Partnerschaften in regionaler Nähe von Gemeinden zu begründen, liegen in England: In Liverpool haben ein anglikanischer Bischof (David Sheppard) und ein römisch-katholischer Erzbischof (Derek Worlock), die an demselben Ort tätig und über lange Zeit schon ökumenisch engagiert waren, beschlossen, angesichts der sie gemeinsam herausfordernden Zeiterscheinungen eine enge ökumenische Kooperation auf lokaler Ebene zu begründen. Der unmittelbare Anlass für die-

c) Ökumenische Kooperation im Religionsunterricht

se Entscheidung war das gemeinsame Erleben der Jugendarbeitslosigkeit in der Stadt Liverpool zu Beginn der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts. Das Modell machte in ganz England Schule, zumeist in Gestalt von „Local Ecumenical Projects“ (LEP). Inzwischen gibt es einen Dachverband: „Churches together in England“ (CTE). Dieser wird in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit in England deutlich wahrgenommen. Vermittelt durch Besuche von Vertretern der deutschen Kirchen in England fand die Idee der ökumenischen Gemeindepartnerschaften – zunächst im Raum Köln/Wuppertal – positive Aufnahme. Die Zahl der ökumenischen Gemeindepartnerschaften wächst in Deutschland stetig an. Einzelne Diözesen und Landeskirchen haben Rahmenvereinbarungen für ökumenische Partnerschaften zwischen Gemeinden/Pfarreien beschlossen. Als wertzuschätzende Aspekte von ökumenischen Gemeindepartnerschaften lassen sich im Wesentlichen folgende benennen: (1) Die lokalkirchliche Ausrichtung der konkreten Vereinbarungen ermöglicht eine flexible Gestaltung der Partnerschaften. Angezielt wird eine gemeinsame Teilhabe an den biblisch begründeten Grunddiensten der Kirchen: Martyria, Diakonia und Leiturgia. (2) Es kommt zu einer verbindlichen und dauerhaften ökumenische Zusammenarbeit vor Ort. Da die ökumenische Verbundenheit nicht selten bei einem Wechsel im hauptberuflich tätigen Personal neu besprochen werden muss, leben die Gemeinden als Subjekte kirchlichen Handelns in Ungewissheit. Diese können durch schriftlich fixierte Partnerschaftsvereinbarungen minimiert werden. (3) Durch eine arbeitsteilige Gestaltung der pastoralen Aufgaben können Entlastungen bewirkt werden. Insbesondere in diakonischen Aufgabenfeldern der Gemeinden ist es von Vorteil, auf eine größere Gruppe von Mitwirkenden zurückgreifen zu können. (4) Die öffentliche Wahrnehmung von ökumenischen Gemeindepartnerschaften ist in der Regel positiv. Den Kirchen eröffnet sich so ein Raum der Anerkenntnis. Gewiss sind ökumenische Gemeindepartnerschaften auch nicht kritiklos zu befürworten. Wichtig ist, dass in den Gemeinden ein längerer Prozess der Konvergenzbildung gestaltet wird. Dabei ist auf die lokalen Besonderheiten zu achten, die häufig nicht ohne Rücksichtnahme auf die handelnden Personen zu beschreiben sind. Wichtig ist zudem, dass in Deutschland (wie weltweit) in nur wenigen Regionen eine annähernd paritätische Verteilung der größeren Konfessionsgemeinschaften besteht. Minderheitskirchen, wie sie in Deutschland in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen vertreten sind, haben es schwer, Gemeindepartnerschaften zu begründen, da ihr Einzugsraum jeweils sehr unterschiedlich ist. Gleichwohl ist das Konzept der ökumenischen Gemeindepartnerschaften offen für verschiedene Konkretisierungen. c) Ökumenische Kooperation im Religionsunterricht In Deutschland ist der Religionsunterricht verfassungsrechtlich geschützt: „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen, mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen, ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts wird Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt“ (Grundgesetz, Art. 7,

der verfassungsrechtliche Schutz des Religionsunterrichts

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3. Zwischenziele

konfessioneller Religionsunterricht?

ökumenische Offenheit im Religionsunterricht

Abs. 3). In einem Beschluss aus dem Jahr 1987 erläuterte das Bundesverfassungsgericht den zitierten Grundgesetztext so: Der Religionsunterricht „ist keine überkonfessionelle vergleichende Betrachtung religiöser Lehren, nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- und Bibelgeschichte. Sein Gegenstand ist vielmehr der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln, ist seine Aufgabe“ (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25. Februar 1987, BVerfGE Bd. 74, 2441). Die Einräumung der Möglichkeit der Abmeldung (vgl. Grundgesetz, Art. 7, Abs. 2) unterscheidet den Religionsunterricht zwar von anderen Pflichtfächern, macht ihn jedoch nicht einfach zu einem Wahlfach, da ersatzweise der Besuch eines anderen Unterrichtsfachs (in der Regel Ethik oder Philosophie) gefordert wird. Auch in Österreich und der Schweiz gilt der Religionsunterricht als Pflichtfach; ein Fernbleiben setzt eine Abmeldung durch die Eltern bzw. durch die älteren Schüler selbst voraus. Seit Ende der 60er Jahre wird die Legitimität des konfessionell gebundenen Religionsunterrichts als Pflichtfach an den öffentlichen Schulen zunehmend kontrovers diskutiert. Dabei treten zum einen Wandlungen in der gesellschaftlichen Akzeptanz der christlichen Erziehung überhaupt, zum anderen ökumenische Anliegen hervor. Beide Motivationen führten zu einer intensiven Reflexion in allen Konfessionsgemeinschaften. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands bekam die Frage, ob auch in Ostdeutschland angesichts der geringen Zahl getaufter Kinder und Jugendlicher der Religionsunterricht als Pflichtfach in die öffentlichen Schulen eingeführt werden sollte, neue Dringlichkeit. Eigene Beachtung findet zunehmend auch die Frage, ob für Schüler des christlich-orthodoxen, des muslimischen oder eines anderen religiösen Bekenntnisses auch ein staatlich geförderter Religionsunterricht (mit den entsprechenden universitären Ausbildungswegen) eingerichtet werden soll. Diese komplexe Gesprächssituation veranlasste die Deutsche Bischofskonferenz und den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland zu Stellungnahmen, welche in den Grundanliegen einmütig sind: Angezielt wird die Beibehaltung der konfessionellen Bindung des Religionsunterrichts bei gleichzeitiger ökumenischer Offenheit für eine weitreichende Kooperation mit dem Ziel, die Schüler zu einer dialogfähigen konfessionellen Identität hinzuführen. Die römisch-katholischen deutschen Bischöfe fassten ihre Grundpositionen in dem Schreiben „Die bildende Kraft des Religionsunterrichts. Zur Konfessionalität des katholischen Religionsunterrichts“ vom 27. September 1996 zusammen. Darin greifen sie Anliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–65) und der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland auf (vgl. Der Religionsunterricht in der Schule/ 132, 143–146) und votieren mit folgenden Hauptgründen für einen „in ökumenischem Geist“ geschehenden konfessionellen Religionsunterricht: (1) Eine ökumenische Grundhaltung setzt eine reflektierte konfessionelle Identität voraus; der konfessionell gebundene Religionsunterricht fördert die Fähigkeit der Schüler zu einem offenen Gespräch mit anderskonfessionellen Mitmenschen. (2) Die eigene konfessionelle Bindung der Lehrer eröffnet den Schülern einen personalen Erfahrungsraum, in dem das glaubwürdige Ringen um die Wahrheit der Lehre mit der authentischen Bindung an eine

c) Ökumenische Kooperation im Religionsunterricht

kirchliche Gemeinschaft verbunden ist. Die Zeugniskraft der Begegnung zwischen Lehrern und Schülern bleibt bei der konfessionellen Bindung des Religionsunterrichts erhalten. (3) Es bestehen in vielen Sachfragen noch immer ökumenische Kontroversen, welche im Religionsunterricht zu behandeln sind und Entschiedenheit in der Zugehörigkeit zu einer Konfession erfordern. (4) Die Preisgabe der konfessionellen Bindung des Religionsunterrichts könnte angesichts der zurückgehenden gesellschaftlichen Akzeptanz des christlichen Bildungsguts dessen staatlichen Schutz insgesamt gefährden. Das Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland veröffentlichte 1994 eine Denkschrift zum Thema „Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität“. Vor dem Hintergrund der Veränderungen nach der politischen Wende in Deutschland findet die missionarische Dimension im Umgang mit religiösen Fragen Beachtung. Der Ansatz der Überlegungen ist dementsprechend sozial-anthropologisch. Der Religionsunterricht kann ein Ort sein, an dem mit Kindern und Jugendlichen nach authentischen Antworten zu suchen ist auf die Frage nach dem Grund, Sinn und Ziel des Lebens, dem Leiden der Geschöpfe, dem Gottesbild, ethischer Grundregeln und einer glaubwürdigen Kirchengestalt. Die EKD-Denkschrift hält an der konfessionellen Bindung des Religionsunterrichts fest: „Das verfassungsmäßig verbürgte Recht auf Religionsfreiheit schließt für Eltern und Schüler das Recht ein, in einer bestimmten, geschichtlich gewordenen konfessionellen Gestalt des Christentums, die ihnen vertraut ist, allein durch Vertreter dieser Konfession unterrichtet zu werden“ (Identität und Verständigung/31, 64). Das Miteinander der bewahrten konfessionellen Identität und der Bereitschaft zu ökumenischer Verständigung mindert die beiden Gefahren des religiösen Indifferentismus oder Fundamentalismus. Dabei sollte auch ein höherer Grad an Flexibilität in der Ermöglichung der Teilhabe anderskonfessioneller oder konfessionsloser Schüler am Unterricht im Blick sein. Neben einer Stärkung der ethischen Themen im Religionsunterricht sieht die Denkschrift eine lebensweltliche Orientierung des Religionsunterrichts vor. In Anknüpfung an frühere evangelische Positionsbestimmungen (vgl. Ökumenisches Lernen/138), in denen Überlegungen des Ökumenischen Rates der Kirchen zur weltweiten ökumenischen Bildung rezipiert wurden, ist der in der Denkschrift der EKD verwendete Ökumenebegriff stärker handlungsorientiert, sozialethisch und interkulturell gefasst als in entsprechenden römisch-katholischen Stellungnahmen. Die in der religionspädagogischen Literatur geführte Diskussion um mögliche Gründe für die Auflösung der Konfessionsgebundenheit des Religionsunterrichts geschieht in der Regel unter Beachtung altersspezifischer und schultypeneigener Differenzierungen. So erscheint in den ersten beiden Schuljahren der Grundschule der Klassenverband als wichtige Sozialform. Ein ökumenisch organisierter Religionsunterricht könnte von Beginn des Lernweges der Kinder an die bestehende große Gemeinsamkeit insbesondere mit Blick auf die biblischen Erzählungen und die ethischen Anforderungen bei der Gestaltung des Gemeinschaftslebens erfahrbar werden lassen. Angesichts der in Deutschland oft gegebenen Diasporasituation entweder der Römisch-Katholischen oder der evangelischen Kirche erleben sich die

Differenzierung nach Jahrgangsstufe und Schulform

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3. Zwischenziele

thematische Projekte

Kinder der jeweiligen Minderheit ausgegrenzt, wenn sie anlässlich des Religionsunterrichts mit ihnen fremden Kindern zu einem neuen Sozialverband zusammengefasst werden. Im Blick auf die von zahlreichen Kommentatoren insbesondere für die ersten beiden Schuljahre geforderte Entgrenzung des konfessionellen Religionsunterrichts ist eine Überprüfung der Lehrinhalte und der Lehrmaterialien in ökumenischer Sensibilität dringlich (etwa im Blick auf die Frage der Heiligenverehrung oder das Einüben gottesdienstlicher Vollzüge). Eigener Beachtung bedarf das 3. Schuljahr, in dem aus römisch-katholischer Sicht die Themen der Eucharistie und der Bußkatechese in Verbindung mit der Erstkommunionvorbereitung in den Pfarrgemeinden im Vordergrund stehen. Zwar kann von einer Zusammenarbeit zwischen Schule und Pfarrgemeinde nicht mehr überall ausgegangen werden, diese Zielsetzung ist jedoch in römisch-katholischen Stellungnahmen nicht aufgegeben. In der Mittelstufe (Klassen 5 bis 10) ist es naheliegend, von Zeit zu Zeit gemischtkonfessionelle Schülergruppen gemeinsam zu inhaltlichen Fragen arbeiten zu lassen. Die Förderung solcher ökumenischer Projekte gewinnt in dem Maße an Plausibilität, als der schulische Unterricht sich insgesamt stärker den Anforderungen des fächerübergreifenden Epochenunterrichts stellt, bei dem emotionale und pragmatische Lernziele größere Berücksichtigung finden als bei manchen bisherigen Lernformen, in denen die kognitiven Lernziele vorherrschen. Im Oberstufenunterricht der Gymnasien (Klassen 11 bis 13) könnte die Förderung der Flexibilität in der von den Schülern selbst verantwortete Zugehörigkeit zu einer Lerngruppe zur Stärkung der individuellen Verantwortung in der religiösen Entscheidung beitragen. Gesprächsbereitschaft und Achtung vor der unvertretbar eigenen Gewissensentscheidung anderer Menschen könnten in einer gemischtkonfessionellen Lerngruppe als Werte erfahren werden. In den Berufsschulen könnte (angesichts der oft geringen Motivation zur Befassung mit religiösen Fragen) eine ökumenische Öffnung der Lerngruppen die Einsicht in die gesellschaftliche Relevanz der gemeinsamen christlichen Verantwortung für eine Gestaltung der Welt nach der Weisung des Evangeliums fördern. Als thematische Projekte, in denen sich eine konfessionelle Kooperation anbietet, seien beispielhaft erwähnt: Fragen im Spannungsfeld von Naturwissenschaft und Schöpfungstheologie (5. und 6. Schuljahr), kirchengeschichtliche Themen unter besonderer Berücksichtigung der Entstehung der Konfessionen (8. Schuljahr), sexualethische Aspekte (9. Schuljahr), Kirchenkonzeptionen und christliche Sozialethik (12. und 13. Schuljahr). Absprachen zur einer intensiven thematischen Kooperation sollten sinnvollerweise in einer gelegentlichen konfessionsübergreifenden Fachkonferenz geschehen. Eine Vertiefung der ökumenischen Erfahrung ist auch durch eine offene Gestaltung der Angebote in der Schulpastoral möglich, die freilich an den einzelnen Lernorten unterschiedlich institutionalisiert ist. Offenkundig werden dabei auch die bisherigen Grenzen der gottesdienstlichen Gemeinschaft. In einzelnen deutschen Bundesländern werden Modelle erprobt, die zu einer differenzierenden Nachahmung anregen. So gibt es in Baden-Württemberg seit dem Schuljahr 1997/98 einen von der Evangelischen und der Römisch-Katholischen Kirche offiziell genehmigten Projektversuch im Hinblick auf konfessionell-kooperativen Religionsunterricht, zu dem es Vorer-

d) Missionarische und diakonisch-geistliche Ökumene des Lebens

fahrungen seit Beginn der 70er Jahre gibt. Für alle Schuljahre wurden gemeinsame Themen in den Lehrplänen und eine Abstimmung in den Lernzielen beschlossen. Erste Analysen der Erfahrungen bei ökumenischer Kooperation im Religionsunterricht zeigen, dass die örtlichen Bedingungen vor allem aufgrund der unterschiedlichen personellen Zusammensetzung des Kollegenkreises und der dabei zuweilen noch immer anzutreffenden kontroversen Grundpositionen oft stark differieren. Anzustreben wäre eine verbesserte Vorbereitung der Religionslehrer auf die sie erwartenden ökumenischen Herausforderungen durch eine Verstärkung des Pflichtanteils ökumenischer Theologie in der universitären Ausbildung. Während inzwischen religionswissenschaftliche Kenntnisse an fast allen bundesdeutschen Ausbildungsstätten zum Prüfungskanon des Studiums der Theologie gehören, ist die ökumenische Theologie zumeist allenfalls als Wahlpflichtfach vorgesehen. Impulse zu einer Veränderung dieser Situation haben derzeit angesichts der Tendenz zur Verkürzung der Studienzeiten wenig Aussicht auf Erfolg. Andererseits könnte das Argument, eine grundlegende ökumenische Bildung sei im Blick auf die sich abzeichnenden schulischen Herausforderungen wichtig, an Überzeugungskraft gewinnen. Während des Theologiestudiums wäre es denkbar, die Einblicke in konfessionskundliche und ökumenische Fragestellungen zu verdichten, gemeinsame Lehrveranstaltungen von evangelischen und römisch-katholischen Dozenten anzubieten und eine Anerkennung der bei anderen Konfessionen belegten Seminare als Prüfungsleistung zu gewährleisten. Im Referendariat könnten ökumenische Begegnungen und gemeinsame liturgische Feiern die Motivation zur Kooperation stärken. Interkonfessionelle Studientage zu einzelnen Themen und Methoden im Religionsunterricht wären geeignet, die Herausforderungen im Engagement für eine christlich-religiöse Bildung zu erkennen. In der Fortund Weiterbildung steigt erfahrungsgemäß das Interesse an der Bearbeitung ökumenisch relevanter Fragestellungen. Empirische Studien belegen, dass ökumenische Fragen vorrangig ältere Christen bewegen, welche in der Regel gemeindlich-kirchlich sozialisiert sind. Junge Menschen werden weniger von den Problemen der Ekklesiologie als vielmehr von grundlegenden Fragen des Gottesglaubens, der Theodizee und der Ethik umgetrieben. In dieser Situation gilt es, den Religionsunterricht als einen Lernort zu gestalten, wo Kindern und Jugendlichen die existentielle Bedeutung des christlichen Gottesbekenntnisses eröffnet wird. Die Gestalt der Begegnung der Konfessionen hat Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit der christlichen Gottesbotschaft.

ökumenische Bildung der Religionslehrer

d) Missionarische und diakonisch-geistliche Ökumene des Lebens Nicht nur im deutschen Sprachraum haben Überlegungen zur missionarischen Dimension des ökumenischen Handelns in jüngerer Zeit an Bedeutung gewonnen. Insbesondere die Wahrnehmung, dass im weltweiten Kontext pfingstlerische und evangelikale Gruppierungen in ganz erheblichem Maße wachsen, hat auch in den sogenannten „historischen Kirchen“ das Nachdenken über die Frage verstärkt, welche Initiativen ergriffen werden könnten, um dem evangeliumsgemäßen Missionsauftrag gerecht zu werden. Dabei ist offenkundig, dass der Begriff der „Mission“ angesichts ge-

missionarische Dimension der Ökumene

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3. Zwischenziele

Deutschland als Missionsland

schichtlich bedingter Vorbelastungen einer neuen Bestimmung bedarf (vgl. Werner/141). In Rückbesinnung auf den biblischen Auftrag zur Verkündigung des Evangeliums Gottes kann es bei einem missionarischen Geschehen nicht um die Ausweitung eines eigenen Machtanspruchs gehen, vielmehr soll die persönliche Lebensführung im Sinne der Nachfolge Jesu Christi eine werbende Wirkung für ein Leben in selbstvergessener Liebe haben. Organisierte, lokal begrenzte Bekehrungsstrategien werden in dieser Perspektive ebenso abgelehnt wie die Methode der Drohung mit Einbußen im Hinblick auf die eschatologische Vollendung infolge einer ausbleibenden Hinwendung zum christlichen Bekenntnis. Territoriale Ansprüche werden insbesondere in Erinnerung an die blutigen Missionsbemühungen im ausgehenden Mittelalter nicht mehr erhoben. Grundlegend geht es um die Frage, ob nachvollziehbar sein könnte, dass eine gläubige Zustimmung zum christlichen Bekenntnis Menschen auch in ihrer Lebenszeit bereits getroster leben und sterben lässt. Wenn sich dies erweisen ließe, dann darf es kein Nachlassen in der christlichen Mission geben. In Deutschland gibt es seit 1999 einen ökumenischen Prozess, der sich dem weltweiten Leitgedanken einer missionarischen Ökumene inhaltlich verpflichtet weiß. Unter dem Titel „Aufbruch zu einer missionarischen Ökumene“ haben sich die in der „Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland“ versammelten konfessionellen Gemeinschaften zu einer gemeinsamen Initiative entschlossen, bei welcher der missionarische Gedanke in den Vordergrund gerückt wird (Evangelisches Missionswerk in Deutschland/135; vgl. auch Werner/142). Der Abschlussbericht zu dem Konsultationsprozess „Aufbruch zu einer missionarischen Ökumene“ schildert die Vorgeschichte, den Verlauf und die Ergebnisse dieser ökumenischen Initiative.(Aufbruch zu einer missionarischen Ökumene/130) Dabei wird deutlich, dass bei diesem Vorhaben der Handlungsaspekt im Mittelpunkt des Interesses derer stand, welche dieses Projekt initiiert haben. Öffentlichkeitswirksame Aktionen sollen das Christentum längerfristig wieder ins Gespräch bringen. Gerade diesbezüglich aber ist die Frage offen, welche erkennbaren Veränderungen durch das vielfältige Engagement auf ortskirchlicher Ebene erreicht werden konnten. Enttäuschungen sind zu vermelden. Nachhaltige Erfolge sind eher selten. Was aber wäre als ein solcher Erfolg zu verbuchen? Reichte es nicht aus, wenn einzelne Menschen nachdenklich werden könnten über ihre Lebensausrichtung angesichts von Situationen, in denen das neutestamentlich begründete Bekenntnis von Christinnen und Christen unterschiedlicher Konfessionen als gemeinsames authentisches Zeugnis erfahren wird? Vieles spricht dafür, dass insbesondere eine Verbesserung der Kommunikation in Glaubensfragen ansteht, um weitere Schritte auf das Ziel einer Verstärkung der Glaubwürdigkeit der einen christlichen Botschaft hin zu tun. Auch Deutschland ist ein Missionsland. Nach der Wiedervereinigung mit den ostdeutschen Landesteilen ist dies verstärkt in das allgemeine Bewusstsein getreten. In den westdeutschen Ortskirchen sind die offenen Fragen in der Pastoral zeitversetzt jedoch die gleichen: Wie könnte es gelingen, dass einzelne Menschen sich wieder neu von dem Reichtum der christlichen Botschaft beschenken lassen? Sowohl von römisch-katholischer (vgl. Zeit zur Aussaat/143) als auch von evangelischer Seite (vgl. Synode der EKD/

d) Missionarische und diakonisch-geistliche Ökumene des Lebens

140) werden in jüngerer Zeit Anstrengungen unternommen, die missionarische Dimension christlichen Lebens wieder verstärkt zu erinnern. Beide Prozesse nehmen in ihrer ökumenischen Verbundenheit auf, was als Grundimpuls der Ökumenischen Bewegung gilt: die Überzeugung, Jesus Christus selbst habe den göttlichen Vater um die Einheit seiner Nachfolgegemeinschaft gebeten, damit seine Sendung an Glaubwürdigkeit gewinne (vgl. Joh 17,21) (vgl. Bienert/131; Ihr seid das Licht der Welt/136). Ökumene hat immer eine missionarische Dimension. Die Verkündigung des Evangeliums geschieht in der Erwartung, dass die Einsicht in Gottes Tat der Erlösung aus den Stricken der Sünde und aus dem Dunkel des Todes hier und heute bereits verwandelt. Gläubige Menschen können beständiger und getroster in der Hoffnung leben, zu der sie berufen sind. Sie sind frei von der Sorge, durch eigenes Verschulden noch herausfallen zu können aus der Geborgenheit bei Gott. Eine solche Ökumene wird immer eine Sammlungsbewegung sein. Sie sammelt die Gemeinschaft der Glaubenden in ihren Lebensräumen. Wo Gottes Gemeinde aufgebaut wird, da ist Gottes Geist wirksam, da ist wahre Kirche. Wer erfährt, dass auch Menschen, die einer anderen Konfessionsgemeinschaft angehören, jener Antwort, die sie selbst auf die gemeinsamen Lebensfragen gefunden haben, in glaubwürdiger und ansprechender Weise Ausdruck verleihen können, der wird für dauerhafte, beständige Gemeinschaft mit ihnen offen. Die missionarische Ökumene ist an allen Orten des gelebten Glaubens beheimatet. Sie möchte dazu verhelfen, das Zeugnis für Christus im Wort, in der Tat und in den liturgischen Feiern des Glaubens aufzuspüren. Insbesondere in unerwarteten Krisenzeiten, in denen Menschen vor dem Hintergrund der abgründigen Theodizeefrage nach Antworten Ausschau halten, besteht die Erwartung, aus der christlichen Tradition ein Angebot zur religiösen Deutung zu erfahren. Es ist auffällig, wie unkompliziert die ökumenische Zusammenarbeit gerade in jenen Bereichen ist, wo es um existentielle Fragen und diakonische Tätigkeitsbereiche geht. Dabei ist die Todesbedrohung aller Geschöpfe der vorrangige Anlass, bei katastrophalen Ereignissen oder auch in der Situation der Vorbereitung auf das Sterben in ökumenischer Verbundenheit zu handeln. Naheliegende Beispiele zur Bestätigung der vorgetragenen Überlegungen lassen sich durch einen aufmerksamen Blick auf die besonderen und die alltäglichen Anlässe gewinnen, wo die Kirchen in der Öffentlichkeit gefordert sind. Zum Gedenken an die Opfer am Gutenberg-Gymnasium im April 2002 in Erfurt fand ein ökumenischer Gottesdienst statt. Auch der Täter wurde bedacht. Ein Schüler hatte Mitschüler/innen, Lehrer/innen, Polizisten und schließlich sich selbst getötet. Das damals Geschehene ist bis heute – Gott sei Dank – nicht vergessen. Nicht nur in den ersten Stunden der Not waren es die herbeigeeilten Seelsorger/innen, welche den Betroffenen halfen, die Fragen auszuhalten, mit der Sünde und dem Tod umzugehen und schließlich Worte und Zeichen zu finden im Gespräch und im Gottesdienst. Die Gedenkfeier war eine ökumenische – nicht nur in Erfurt ist dies nicht mehr anders vorstellbar in solchen Situationen. In der lokalen und in der nationalen Trauer, bei Feierlichkeiten in Dörfern, Stadtteilen und Städten – überall stellt sich in Deutschland heute die Frage, ob eine christliche Konfession allein den Dienst der Erinnerung und

pastorale Zusammenarbeit in Krisensituationen

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3. Zwischenziele

ökumenische Notfallseelsorge

Hospizarbeit

gemeinsamer Lobpreis Gottes

Taufe und Abendmahl

der Deutung übernehmen kann. Nicht nur aus Gründen der wechselseitigen Entlastung durch Arbeitsteilung liegt die gemeinsame Verantwortung bei solchen Geschehnissen nahe. Es geht dabei um die Glaubwürdigkeit des christlichen Bekenntnisses. Der österliche Glaube und die Rechtfertigungsbotschaft sollen lebensnah erfahrbar werden. Es gibt eine weitreichende gesellschaftliche Anerkennung der ökumenischen Verbundenheit in jenen Krisenzeiten, in denen Deutungen der Sünde und des Todes anstehen. Zwei weitere Beispiele können dies bestätigen. Sie sind dem Bereich der kategorialen Seelsorge zuzurechnen, wo die ökumenische Zusammenarbeit eine lange und gute Tradition hat – so etwa in der Militärseelsorge, in der Telefonseelsorge, in der Gefängnisseelsorge oder in der Klinikseelsorge. Die Notfallseelsorge ist heute bundesweit ökumenisch organisiert. Menschen lassen sich ausbilden, um als erste Helfer für das seelische Leiden vor Ort zu sein. Verkehrunfälle sind im Alltagsgeschehen – ein schwieriges Wort in diesem Zusammenhang – der häufigste Anlass, tätig zu werden. Den Angehörigen muss die Todesnachricht überbracht werden. Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Sie führen in Gespräche. Reflexionen sind unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erforderlich. Die Hospizarbeit ist in Deutschland gesellschaftlich sehr wertgeschätzt. Das Sterbenmüssen bewusst zu erleben und zu gestalten, ist Betroffenen und Angehörigen wichtig. Die ökumenische Zusammenarbeit ist in diesem Bereich gut eingeübt. Viele Einrichtungen sind in der Trägerschaft mehrerer Konfessionsgemeinschaften. Mit dem Begriff der geistlichen Ökumene des Lebens lassen sich viele Anliegen der missionarischen und diakonischen Ökumene zusammenfassen. Die spirituelle Vertiefung der Ökumene (vgl. Kasper/137; Scheele/139) erscheint als eine wichtige gemeinsame Perspektive. Dabei ist gewiss zu berücksichtigen, dass die geistliche Ökumene ein vielgestaltiges Gebilde ist und der Begriff der „Spiritualität“ in unterschiedlicher Weise bestimmt werden kann. Die Bereitschaft, die eigenen, konfessionell geprägten Formen der Frömmigkeit durch die Wahrnehmung und Mitfeier anderer Ausdrucksgestalten des christlichen Glaubenslebens zu bereichern, gilt heute weithin als ökumenische Grundhaltung. Umstritten ist jedoch, ob die in der internationalen Ökumene als sehr bedeutsam eingeschätzte christliche Weltverantwortung, die ethische Dimension des Bekenntnisses, als ein Teilbereich des Spirituellen zu gelten hat, oder ob unter diesem allein liturgische Feiern, Gebete, Meditationen, Exerzitien oder Wallfahrten zu verstehen sind. Bei solchen Differenzierungen wirken sich auch die unterschiedlichen Grundpositionen über den Gegenstand, die Methode und die Zielsetzung des ökumenischen Handelns aus. Ungeachtet solcher offenen Fragen lassen sich die theologische Bedeutung der spirituellen Gemeinschaft der christlichen Konfessionen in drei Gedanken zusammenzufassen: (1) Menschliche Selbstbescheidung durch Vergegenwärtigung des göttlichen Lebensgrundes: Die Versammlung der Christen zum liturgisch gestalteten Lobpreis Gottes unterbricht die oft geschäftig wirkende menschliche Anstrengung, durch theologische Studien oder diakonische Handlungen dem Ziel der Einheit der Kirchen näher zu kommen. Durch die Aussonderung von

d) Missionarische und diakonisch-geistliche Ökumene des Lebens

festen Zeiten des Tages zum Gebet geschieht eine beständige Vergegenwärtigung des göttlichen Gebers allen Lebens. Der gemeinsame Eintritt in einen Feierraum fördert die Gewissheit, bereits in einer Verbundenheit zu leben, welche als eine von Gott geschenkte zu betrachten ist. Der Ursprung der bereits bestehenden Gemeinschaft ist nicht das Werk von Menschen, sondern die von Gott eröffnete Möglichkeit, an seinem Leben teilzuhaben. Die in der Gebetstradition aller christlichen Konfessionen bewahrte schöpfungstheologische Dimension des Glaubens vermag die gemeinsame Ausrichtung auf das Wohlergehen aller Geschöpfe zu stärken. Die besondere Verbundenheit mit Israel, Gottes Volk, kommt zum Ausdruck. Die gemeinsame Anrufung des Namens Gottes in der Klage und in der Bitte führt zur Erkenntnis der Differenz zwischen dem menschlichen und dem göttlichen Vermögen: „Haucht der Mensch sein Leben aus und kehrt er zurück zur Erde, dann ist es aus mit all seinen Plänen. Wohl dem, dessen Halt der Gott Jakobs ist und der seine Hoffnung auf den Herrn, seinen Gott, setzt. Der Herr hat Himmel und Erde gemacht, das Meer und alle Geschöpfe; er hält ewig die Treue“ (Ps 146,4–6; zitiert nach der Einheitsübersetzung). (2) Gewinn an Identität durch die Erfahrung der Mitte christlichen Daseins: Gestalten geistlicher Ökumene sind in besonderer Weise dazu geeignet, sich auf die Grundbotschaft des christlichen Glaubens zu besinnen: die Hoffnung auf die Befreiung aus den todwirkenden Fesseln der Sünde durch die in Christus Jesus untrüglich offenbar gewordene Liebe Gottes. Die wachsende Wertschätzung der Taufe in allen christlichen Konfessionen lässt die Zuversicht als begründet erscheinen, dass die Glaubensgemeinschaft den tiefen Ernst des theologisch-soteriologischen Gehalts dieser sakramentalen Feier zunehmend erkennt. Den Feiern zum Taufgedächtnis kommt dabei in unseren Zeiten, in denen es in vielen Konfessionen noch die Regel ist, Säuglinge zu taufen, besondere Bedeutung zu. Erwachsene Christen stellen sich der Anfrage, welche Paulus der Gemeinde von Rom vorlegte: „Wisst ihr denn nicht, dass wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben. Wenn wir nämlich ihm gleichgeworden sind in seinem Tod, dann werden wir mit ihm auch in seiner Auferstehung vereinigt sein“ (Röm 6,3–5; zitiert nach der Einheitsübersetzung). Taufe und Eucharistie werden seit dem christlichen Altertum als „sacramenta maiora“ bezeichnet, weil in diesen beiden sakramentalen Feiern das Geheimnis des christlichen Glaubens in dichter Ausdrucksgestalt begegnet. Wahre Kirchengemeinschaft besteht erst dann, wenn sie auch in der eucharistischen Feier dargestellt und erneuert werden kann. Johannes Paul II. ruft dazu auf, dieses Ziel der geistlichen Ökumene nicht preiszugeben: „Es ist, als sollten wir uns immer wieder im Abendmahlssaal des Gründonnerstag versammeln, obwohl unsere gemeinsame Anwesenheit an jenem Ort noch auf ihre vollkommene Erfüllung wartet, bis sich nach Überwindung der Hindernisse, die der vollkommenen kirchlichen Gemeinschaft im Wege stehen, alle Christen zu der einen Eucharistiefeier versammeln werden“ (Ut unum sint, Nr. 23). (3) Wachsame Aufmerksamkeit auf die Relevanz des Glaubens: Im Kontext der jüngsten Diskussionen um den konfessionellen Grundkonsens in

Vertrauen auf die Rechtfertigungsbotschaft

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3. Zwischenziele

diakonisches Handeln

der Rechtfertigungslehre wurde immer wieder angemahnt, die in dieser Lehrgestalt enthaltene Botschaft Gottes auf eine Weise zu besprechen, welche es den Menschen ermöglicht, deren alltägliche Lebensrelevanz zu erkennen. Der ökumenisch-theologischen Forschung fällt es oft schwer, sich aus den Bahnen der historisch bedingten Redeweisen herauszubewegen. In gottesdienstlichen Feiern, in Gebeten und bei der Wortverkündigung, gelingt es eher, die lebenspraktische Dimension sprachlicher Äußerungen zu berücksichtigen: Trost und Stärkung, Mahnung und Weisung, Zusage und Anfrage bewirkt Gottes Wort im menschlichen Wort der Schriftauslegung. Aber nicht nur in der Worthandlung, auch in Taten der Liebe kann die verwandelnde Wirksamkeit des christlichen Glaubens bewusst werden, seine Relevanz aufscheinen. Das Anliegen, in den Bereichen der Mission und der Diakonie als Kirchen glaubwürdig zusammenzuwirken, steht am Anfang der sogenannten modernen Ökumenischen Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Bewegung für Praktisches Christentum hat diese Thematik mit der auf Nathan Söderblom zurückgehenden knappen Formulierung aufgegriffen: „Die Lehre trennt, der Dienst eint“. Themen der „kleinen“ Diakonie in den überschaubaren Lebensräumen und Fragen der „großen“ Diakonie angesichts der weltweiten Bedrängnisse durch Armut, Kriege und Krankheiten sind beständig auf der Tagesordnung der Ökumene. Eine präzise Begrenzung des Themenbereichs fällt zunehmend schwer. Immer bedrängender bringen sich die Forderungen der Mitgliedskirchen von der südlichen Erdhälfte zu Gehör und fordern ein größeres sozial-diakonisches Engagement des reichen Nordens im weltweiten Zusammenhang wirtschaftlicher Globalisierung – so zuletzt bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) 2006 in Porto Alegre. Der ÖRK hat in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts in mehreren internationalen Konferenzen eine hermeneutische Reflexion über den Stellenwert der Diakonie in der Ökumenischen Bewegung angestrengt. In der Erklärung von Larnaca (1986) heißt es am Ende: „Wir wissen, dass Menschen und Kirchen auf allen Kontinenten Bedürfnisse haben und dass wir mit unserer Diakonie alle die erreichen müssen, die leiden. Wir wissen auch, dass die Kräfte, die sich uns in den Weg stellen, zahlreich sind und dass der vor uns liegende Weg lang und beschwerlich ist. Und wir wissen, dass wir nicht weniger tun können, als das Kreuz aufzunehmen und dem leidenden Christus, unserem Herrn, der der ganzen Menschheit dient, nachzufolgen. Sein Sieg über den Tod gibt uns Leben und Hoffnung“ (Erklärung von Larnaca, 57). Im weltweiten Kontext gesehen, ist die diakoniewissenschaftliche Reflexion vor immense Aufgaben gestellt. Die christlich-ökumenische Verbundenheit dabei zu suchen, kann dabei helfen, sie zu bewältigen.

Literatur Grundlagen (Die für Literaturangaben im Fließtext verwendeten Abkürzungen finden sich in Klammern hinter dem jeweiligen Eintrag im Literaturverzeichnis. Wo nötig, wird zusammen mit dem Kürzel angegeben, ob nach Seiten oder Nummern zitiert wird.)

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fassung des Ökumenischen Rates der Kirchen („Lima-Dokument“), 1982. In: DwÜ 1, S. 54–85. Ökumenischer Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK), Das Opfer Jesu Christi und der Kirche. Abschließender Bericht, in: Lehmann, K., Schlink, E. (Hg.), Das Opfer Jesu Christi und seine Gegenwart in der Kirche. Klärungen zum Opfercharakter des Herrenmahls (Dialog der Kirchen 3), Freiburg/Göttingen 1983 (Abschließender Bericht Nr.). „Einheit vor uns“. Bericht der Gemeinsamen Römisch-katholischen/Evangelisch-Lutherischen Kommission 1984. In: DWÜ 2, S. 45–06. „Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis von Kirche“. Internationaler reformiert/römischkatholischer Dialog. Zweite Phase (1984–1990). In: DwÜ 2, S. 623–673. Lehmann, Karl; Pannenberg, Wolfhart (Hrsg.): Lehrverurteilungen – kirchentrennend? Bd. 1: Rechtfertigung, Sakramente und Amt im Zeitalter der Reformation und heute. Freiburg i. Br.; Göttingen 1986 (LV 1, S.). „Auf dem Weg zu sichtbarer Einheit. Eine gemeinsame Feststellung“, Meissen, 18. März 1988. In: DwÜ 3, S. 732–748. „Das Sakrament der Weihe in der sakramentalen Struktur der Kirche, insbesondere die Bedeutung der Apostolischen Sukzession für die Heiligung und die Einheit des Volkes Gottes“. Valamo-Dokument. In: OStKSt 37 (1988) 328–338 (Valamo Nr.). Die Erklärung von Larnaca. In: Raiser, Konrad (Hrsg.), Ökumenische Diakonie – eine Option für das Leben. Beiträge aus der Arbeit des ÖRK zur theologischen Begründung ökumenischer Diakonie. Mit einem Vorwort von Heinz Neukamm, Frankfurt, 1988 (Erklärung von Larnaca, S.). Die Porvooer Gemeinsame Feststellung, 1992. Britische und Irische Anglikanische Kirchen und Nordische und Baltische Lutherische Kirchen. In: DwÜ 3, S. 749–777. „Die Ökumenischen Konzile und die Autorität der Kirche und in der Kirche“. Erklärung der Gemeinsamen Lutherisch/Orthodoxen Kommission Sandbjerg/Dänemark, 10. Juli 1993. In: DwÜ 3, S. 96–99. „Kirche und Rechtfertigung“. Das Verständnis der Kirche im Licht der Rechtfertigungslehre, 1994, Gemeinsame römisch-katholische/evangelisch-

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Literatur lutherische Kommission (Hrsg.). In: DwÜ 3, 317–419 (KuR Nr.). „Die Kirche Jesu Christi. Der reformatorische Beitrag zum ökumenischen Dialog über die kirchliche Einheit“. In: Leuenberger Texte Heft 1, Frankfurt am Main 1995, 3. Aufl. 2003 (KJC, S.). „Das Verständnis des Heils im Lichte der Ökumenischen Konzile“. Erklärung der Gemeinsamen Lutherisch/Orthodoxen Kommission Limassol/Zypern, 1.–8. August 1995. In: DwÜ 3, S. 99–102. „Heil: Gnade, Rechtfertigung und Synergie“. Erklärung der Gemeinsamen Lutherisch/Orthodoxen Kommission Sigtuna/Schweden, 31. Juli – 8. August 1998. In: DwÜ 3, S. 103–106. „Die Gabe der Autorität in der Kirche III“. Eine gemeinsame Erklärung der Anglikanisch/RömischKatholischen Internationalen Kommission (ARCIC), Palazzola, 3. September 1998. In: DwÜ 3, S. 262–289. „Ein Schatz in zerbrechlichen Gefässen.“ Eine Anleitung zu ökumenischem Nachdenken über Hermeneutik. Studiendokument von Glauben und Kirchenverfassung. Hrsg. von Dagmar (Hrsg.): Frankfurt a. M. 1999 (Schatz Nr.) Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre des Lutherischen Weltbundes und der Katholischen Kirche (1999). In: DwÜ 3, 419–430 (GE Nr.). Gemeinsame offizielle Feststellung des Lutherischen Weltbundes und der Katholischen Kirche (1999). In: DwÜ 3, S. 437–438. Anhang (Annex) zur Gemeinsamen offiziellen Feststellung. In: DwÜ 3, S. 438–441. Bremer, Thomas; Oeldemann, Johannes; Stoltmann, Dagmar (Hrsg.): Orthodoxie im Dialog. Bilaterale Dialoge der orthodoxen und der orientalisch-orthodoxen Kirchen 1945–1997. Eine Dokumentensammlung. Trier 1999 (Orthodoxie im Dialog). „Called to Common Mission. A Lutheran Proposal for a Revision of the Concordat of Agreement“ (1999/2000). In: DwÜ 3, S. 794–808. „Communio Sanctorum. Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen“, erarbeitet von der bilateralen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Paderborn. Frankfurt a. M. 2000 (CS Nr.). „Berufen zu Zeugnis und Dienst“. Die gemeinsame Erklärung von Reuilly, 2001. In: DwÜ 3, S. 814–834. „Zu voller Gemeinschaft berufen“. Die Waterloo-Erklärung, 2001. In: DwÜ 3, S. 809–813. Charta Oecumenica. Ein Text, ein Prozess und eine Vision der Kirchen in Europa. Hrsg. von Viorel Ionita. Genf 2004.

The Nature and Mission of the Church. A Stage on the Way to a Common Statement, Faith and Order Paper 198, Word Council of Churches. Geneva 2005 (NMC Nr.). Wechselseitige Anerkennung der Taufe (ACK, April 2007 Dom Magdeburg). In: http://www.ekd.de/ presse/pm86_2007_wechselseitige_taufanerkennu ng.html (15.10.2007) (Taufanerkennung).

II. Konfessionelle Texte (alphabethisch geordnet) Calvin, Johannes: Unterricht in der christlichen Religion. Institutio christianae religionis, nach der letzten Ausgabe übersetzt und bearbeitet von Otto Weber. 2. Auflage Neukirchen 1963 (Institutio Buch, Kap., Nr.). Codex Iuris Canonici. Codex des knanonischen Reches, Lateinisch-deutsche Ausgabe mit Sachverzeichnis. Im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenzs u. a. in 5. Aufl. hg. Kevelaer 2001 (CIC, can.). Constitutionis dogmaticae Lumen gentium synopsis historica. Bologna 1975. Denzinger, Henricus: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen = Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum. Hrsg. von Peter Hünermann. 40. Aufl., Freiburg im Breisgau; Basel; Wien 2005 (DH Nr.). Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, 1930. 12. Auflage Göttingen 1998 (BSLK, S., Z.). Jacobs, Paul: Reformierte Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen in deutscher Übersetzung. Neukirchen 1949 (Jacobs, Reformierte Bekenntnisschriften, S.). Johannes Paul II.: Enzyklika „Ut unum sint“, 25. Mai 1995. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 121. Bonn 1995. (Ut unum sint, Nr.) Kongregation für die Glaubenslehre: Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche. 10. Juli 2007. www.vatican.va/ roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_ con_cfaith_doc_20070629_responsa-quaestiones _ge.html. Kongregation für die Glaubenslehre: Erklärung Dominus Iesus. Über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche. 6. August 2000. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 148. Bonn 2000 (DI Nr.). Kongregation für die Glaubenslehre: Note über den Ausdruck „Schwesterkirchen“ In: Materialdienst des konfessionskundlichen Instituts 51 (2000) 96 f. (Note Schwesterkirchen Nr.).

Literatur „Lumen gentium“. Dogmatische Konstitution über die Kirche. Zweites Vatikanisches Konzil. 5. öffentliche Sitzung, 21. November 1964. In: Rahner, Karl; Vorgrimler, Herbert (Hrsg.): Kleines Konzilskompendium. 27. Aufl., Freiburg 1998, 123–200 (LG Nr.). Luther, Martin: Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883 ff. (WA Bd., S., Z.). Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen: Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus. 25. März 1993. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 110. Bonn 1993 (Ökumenisches Direktorium Nr.). Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen: Die griechische und die lateinische Überlieferung über den Ausgang des Heiligen Geistes. Eine Klarstellung. In: Una Sancta 50 (1995) 316–324 (Ausgang des Heiligen Geistes). Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen: Die ökumenische Dimension in der Ausbildung/Bildung derer, die in der Pastoral tätig sind. 1998. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 134. Bonn 1998 (Ökumenische Dimension Nr.). „Pastor Aeternus“. Erste dogmatische Konstitution, Erstes Vatikanisches Konzil, 4. Sitzung, 18. Juli 1870. In: DH 3050–3075. „Unitatis redintegratio“. Dekret über den Ökumenismus. Zweites Vatikanisches Konzil, 5. öffentliche Sitzung, 21. November 1964. In: Rahner, Karl; Vorgrimler, Herbert (Hrsg.): Kleines Konzilskompendium. 27. Aufl., Freiburg 1998, 229–250 (UR Nr.).

Lexika, Handbücher und Einführungen (Die Literaturangabe im Fließtext erfolgt durch Angabe des Autorennamens und der im Literaturverzeichnis zugeordneten Nummer. Nach dem Doppelpunkt folgt – wenn nicht im Kürzel anders vermerkt – die Seitenangabe) 1. Basdekis, Athanasios: Die Orthodoxe Kirche. Eine Handreichung für nicht-orthodoxe und orthodoxe Christen und Kirchen. 7. überarbeitete und aktualisierte Aufl., Frankfurt a. M. 2007. 2. Frieling, Reinhard: Der Weg des ökumenischen Gedankens. Eine Ökumenekunde. Göttingen 1992. 3. Ders.: Im Glauben eins – in Kirchen getrennt? Visionen einer realistischen Ökumene. Göttingen 2006. 4. Frieling, Reinhard; Geldbach, Erich; Thöle, Reinhard: Konfessionskunde. Orientierung im Zeichen der Ökumene. Gütersloh 1999.

5. Horn, Friedrich W.; Nüssel, Friederike (Hrsg.): Taschenlexikon Religion und Theologie. 3 Bde. Göttingen 2007. 6. Körtner, Ulrich H. J.: Wohin steuert die Ökumene? Vom Konsens- zum Differenzmodell. Göttingen 2005. 7. Krüger, Hanfried; Löser, Werner; Müller-Römheld, Walter (Hrsg.): Ökumene-Lexikon. Kirchen, Theologie und Ökumenische Bewegung. 2. veränderte Aufl., Frankfurt a. M. 1987. 8. Larentzakis, Grigorios: Die Orthodoxe Kirche. Ihr Leben und ihr Glaube. Graz; Wien; Köln 2000. 9. Lengsfeld, Peter (Hrsg.): Ökumenische Theologie. Ein Arbeitsbuch. Stuttgart; Berlin; Köln; Mainz 1980. 10. Lies, Lothar: Grundkurs Ökumenische Theologie. Von der Spaltung zur Versöhnung. Modelle kirchlicher Einheit. Innsbruck; Wien 2005. 11. Neuner, Peter: Ökumenische Theologie. Die Suche nach der Einheit der christlichen Kirchen. Darmstadt 1997. 12. Neuner, Peter; Kleinschwärzer-Meister, Birgitta: Kleines Handbuch der Ökumene. Düsseldorf 2002. 13. Uhl, Harald (Hrsg.): Taschenlexikon Ökumene. Frankfurt; Paderborn 2003. 14. Urban, Hans Jörg; Wagner, Harald (Hrsg.): Handbuch der Ökumenik. Bände I–III. Paderborn 1985; 1986; 1987.

I . Wege 1. Personen und ihre Zeugnisse 15. Kallis, Anastasios: Orthodoxie und Katholische Kirche. Von der Polemik zum „Dialog der Liebe“. In: P. Lengsfeld (Hrsg.): Okumenische Theologie. Ein Arbeitsbuch. München 1980, 124–151. 16. Nüssel, Friederike; Sattler, Dorothea: Ökumenische eucharistische Mahlgemeinschaft. Begründet erwünscht – und doch nicht gelebt? In: Martin Ebner (Hrsg.): Herrenmahl und Gruppenidentität. Freiburg 2007, 20–38.

2. Biblische Leitworte 17. Bienert, Wolfgang (Hrsg.): Einheit als Gabe und Verpflichtung. Eine Studie des Deutschen Ökumenischen Studienausschusses zu Johannes 17 Vers 21. Frankfurt; Paderborn 2002. 18. Johannes XXIII.: Ansprache zur Eröffnung des 2. Vatikanischen Konzils. In: Herder Korrespondenz 17 (1962/63) 84–88.

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Literatur 19. Mayer, Annemarie C.: Sprache der Einheit im Epheserbrief und in der Ökumene. Tübingen 2002. 20. Schnackenburg, Rudolf: Der Brief an die Epheser. Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen Testament X. Zürich; Einsiedeln; Köln; Neukirchen-Vluyn 1982. 21. Schrage, Wolfgang: Der erste Brief an die Korinther. Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen Testament VII/3. Zürich; Düsseldorf; Neukirchen-Vluyn 1999.

3. Die Konfessionen und ihre Geschichte mit der Ökumene 22. 1948–1998: 50 Jahre ACK. In: Themenheft der Ökumenische Rundschau 47 (1998) H. 1, 1–158. 23. Michel, Otto: Art. H oikumene. In: ThWNT 5 (1954), 159–161. 24. Möller, Christian; Schwöbel, Christoph; Markschies, Christoph; von Zedtwitz, Klaus (Hrsg.): Wegbereiter der Ökumene im 20. Jahrhundert. Göttingen 2005. 25. Rekonfiguration der ökumenischen Bewegung. In: Themenheft der Ökumenischen Rundschau 54 (2005) H. 1, 1–128. 26. Slenczka, Reinhard: Dogma und Kircheneinheit. In: C. Andresen (Hrsg.): Handbuch der Dogmenund Theologiegeschichte Bd. 3. Göttingen 1984. 27. Visser ’t Hooft, Willem Adolf: Geschichte und Sinn des Wortes ,ökumenisch‘. In: ders.: Ökumenischer Aufbruch. Hauptschriften Bd. 2. Stuttgart; Berlin 1967.

4. Entwicklung und Aufgabe ökumenischer Theologie 28. Balthasar, Hans Urs von: Karl Barth. Darstellung und Deutung seiner Theologie. Köln 1951. 29. Die bildende Kraft des Religionsunterrichts. Zur Konfessionalität des katholischen Religionsunterrichts, 27. September 1996. In: Die deutschen Bischöfe 56. Bonn 1996. 30. Hase, Karl August von: Handbuch der Protestantischen Polemik gegen die Römisch-Katholische Kirche. Leipzig 1862. 31. Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität. Eine Denkschrift der EKD. Gütersloh 1994. 32. Im Dialog über Glauben und Leben. Zur Reform des Lehramtsstudiums Evangelische Theologie/ Religionspädagogik. Empfehlungen der Gemischten Kommission. Im Auftrag des Rates der

EKD hg. vom Kirchenamt der EKD. Gütersloh 1997. 33. Küng, Hans: Rechtfertigung. Die Lehre Karl Barths und eine katholische Besinnung. 4. Aufl., Einsiedeln (1957) 1964. 34. Möhler, Johann Adam: Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften. Hrsg. von Josef Rupert Geiselmann. Köln; Olten 1958/1961. 35. Ders.: Neue Untersuchungen der Lehrgegensätze zwischen den Katholiken und Protestanten. Eine Verteidigung meiner Symbolik gegen die Kritik des Herrn Professors Dr. Baur in Tübingen. 2. Aufl., Tübingen (1834) 1835. 36. Neuner, Peter; Wenz, Gunther (Hrsg.), Theologen des 19. und 20. Jahrhunderts, 2 Bde. Darmstadt 2001. 37. Nüssel, Friederike: Die Aufgabe der Dogmatik im Zusammenhang der Theologie. In: Ingolf U. Dalferth (Hrsg.): Eine Wissenschaft oder viele? Die Einheit evangelischer Theologie in der Sicht ihrer Disziplinen. In: ThLZ.Forum 17 (Leipzig 2006) 77–98. 38. Pemsel-Maier, Sabine: Rezeption – Schwierigkeiten und Chancen. Eine Untersuchung zur Aufnahme und Umsetzung ökumenischer Konsensdokumente in den Ortskirchen. Würzburg 1993. 39. Pesch, Otto Hermann: Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin. Mainz 1967. Nachdruck 1985. 40. Schleiermacher, Friedrich: Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen (1811/1830). Hrsg. von Dirk Schmid. Berlin; New York 2002. 41. Schwahn, Barbara: Der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen von 1946 bis 1975. Göttingen 1996. 42. Schwaiger, Georg: Zwischen Polemik und Irenik. Untersuchungen zum Verhältnis der Konfessionen im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Göttingen 1977.

II. Themen 1. Schrift und Tradition 43. Barr, James: Biblical Hermeneutics in Ecumenical Discussion. In: Student World 4 (1967) 319–324. 44. Beckwith, Roger T.: The Use of the Bible in the World Council of Churches. In: Churchman 89 (1975) 213–224. 45. Berger, Teresa; Geldbach, Erich (Hrsg.): Bis an

Literatur die Enden der Erde. Ökumenische Erfahrungen mit der Bibel. Zürich; Neukirchen-Vluyn 1992. 46. Flessemann-van-Leer, Ellen (Hrsg.): The Bible. Its Authority and Interpretation in the Ecumenical Movement. Genf 1980. 47. Haudel, Matthias: Die Bibel und die Einheit der Kirchen. Eine Untersuchung der Studien von „Glauben und Kirchenverfassung“. 2. Aufl., Göttingen 1995. 48. Ders.: Schrift, Tradition und Kirche. Ein unnötiger Stolperstein der Ökumene. In: Catholica 50 (1996) 23–33. 49. Hintzen, Georg: Die Selbstbezeugung des Wortes Gottes. Gedanken zu Schrift, Tradition und kirchlichem Lehramt. In: Catholica 44 (1990) 1–25. 50. Kertelge, Karl (Hrsg.): Die Autorität der Schrift im ökumenischen Gespräch. Frankfurt 1985. 51. Klein, Aloys: Verbindliches Lehren – gegenwärtige Bemühungen in den reformatorischen Kirchen. In: Catholica 44 (1990) 119–130. 52. Meurer, Siegrfied: Die Bibel als ökumenisches Bindeglied. In: Ökumenische Rundschau 27 (1978) 164–172. 53. Rowe, Richrad C., Bible Study in the World Council of Churches. Genf 1969. 54. Sallie, James Samual: Scripture and Tradition in Protestant Ecumenism since the World Conference on Faith and Order, Lund 1952. Claremont 1969. 55. Schneider, Theodor; Pannenberg, Wolfhart (Hrsg.), Verbindliches Zeugnis, 3 Bde. Freiburg; Göttingen 1992–1998. 56. Swidler, Leonhard J. (Hrsg.): Scripture and Ecumenism. Protestant, Catholic, Orthodox and Jewish. Pittsburgh; Löwen 1965. 57. Voss, Gerhard: Die ökumenische Bedeutung der biblischen Hermeneutik. In: Una Sancta 23 (1968) 35–49. 58. Weber, Hans-Ruedi: The Bible in Today’s Ecumenical Movement. In: The Ecumenical Review 23 (1971) 335–346.

2. Gnaden- und Rechtfertigungslehre(n) 59. Härle, Wilfried: Zur Gegenwartsbedeutung der „Rechtfertigungs“-Lehre. Eine Problemskizze. In: Beiheft 10 der ZThK zum Thema Rechtfertigung (Tübingen 1998), 101–139. 60. Heller, Dagmar; Koppe, Rolf (Hrsg.): Die Gnade Gottes und das Heil der Welt. Das 13. Gespräch im Rahmen des bilateralen Theologischen Dialogs zwischen dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel und der Evangelischen Kir-

che in Deutschland. Beiheft zur Ökumenischen Rundschau 79. Frankfurt a. M. 2006. 61. Hilberath, Bernd Jochen; Pannenberg, Wolfhart (Hrsg.): Zur Zukunft der Ökumene. Die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“. Regensburg 1999. 62. Jüngel, Eberhard: Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens. Tübingen 1998. 63. Ders.: Um Gottes willen – Klarheit! Kritische Bemerkungen zur Verharmlosung der kriteriologischen Funktion des Rechtfertigungsartikels – aus Anlaß einer ökumenischen ,Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre‘. In: ZThK 94 (1997) 394–406. 64. Kühn, Ulrich; Pesch, Otto Hermann: Rechtfertigung im Disput. Tübingen 1991. 65. Mahlmann, Theodor: Zur Geschichte der Formel „Articulus stantis et cadentis ecclesiae“. In: LuThK 17 (1993), 187–194. 66. Maurer, Ernstpeter: Rechtfertigung. Konfessionstrennend oder konfessionsverbindend? Göttingen 1998. 67. Meyer, Harding; Gassmann, Günther (Hrsg.): Rechtfertigung im ökumenischen Dialoge. Dokumente und Einführung. Frankfurt a. M. 1987. (Meyer/Gassmann, Rechtfertigung) 68. Nüssel, Friederike: Hauptsache: ein guter Mensch?! Rechtfertigung und gute Werke nach dem Augsburgischen Bekenntnis (CA 4, 6, 18, 20). In: Klaus Grünwaldt (Hrsg.): Konfession: Evangelisch-lutherisch. Die lutherischen Bekenntnisschriften für Laien erklärt. Gütersloh 2004, 77–87. 69. Schwarz, Klaus (Hrsg.): Rechtfertigung und Verherrlichung des Menschen durch Jesus Christus. Fünfter bilateraler theologischer Dialog zwischen der Rumänischen Orthodoxen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland. Hermannsburg 1995.

3. Fragen der Individual- und Sozialethik 70. Beestermöller, Gerhard (Hrsg.): Ökumenische Sozialethik als gemeinsame Suche nach christlichen Antworten. Stuttgart; Berlin; Köln 1996. 71. Dekade zur Überwindung von Gewalt. In: Themenheft der Ökumenischen Rundschau 49 (2000) H. 4, 393–520. 72. Enns, Fernando (Hrsg.): Dekade zur Überwindung von Gewalt 2001–2010. Impulse. Frankfurt a. M. 2001. 73. Gabriel, Karl; Große Kracht, Hermann-Josef: Abschied vom deutschen Sozialmodell? Zum Stel-

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Literatur lenwert von Solidarität und Eigenverantwortung in aktuellen Texten kirchlicher Soziallehre. In: Stimmen der Zeit 222 (2004) 227–243. 74. Gabriel, Karl; Krämer, Werner (Hrsg.), Kirchen im gesellschaftlichen Konflikt. Der Konsultationsprozess und das Sozialwort Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Münster 1997. 75. Heimbach-Steins, Marianne; Lienkamp, Andreas (Hrsg.): Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit, München 1997. 76. Hengsbach, Friedhelm; Emunds, Bernhard; Möring-Hesse, Matthias: Reformen fallen nicht vorn Himmel. Was kommt nach dem Sozialwort der Kirchen? Freiburg 1997. 77. Kirchenamt der EKD/Sekretariat der DBK (Hrsg.): Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland. Bonn 1997 (= Gemeinsame Texte 9). 78. Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen: Das Soziale neu denken. Für eine langfristig angelegte Reformpolitik, 12. Dezember 2003. In: Die deutschen Bischöfe: Kommissionsberichte 28. Bonn 2003. 79. Lehmann, Karl: Ökumenische Sozialethik? In: Bernd Jochen Hilberath; Jürgen Moltmann (Hrsg.): Ökumene wohin? Tübingen; Basel 2000, 123–133. 80. Nethöfel, Wolfgang: Ökumenische Sozialethik? Ökumenische Sozialethik! In: Martin Eberle; Sören Asmus (Hrsg.): Quo vadis ökumenische Sozialethik? Weltgestaltung im Zeitalter der Globalisierung, Frankfurt 2005, 220–245. 81. Robra, Martin: Ökumenische Sozialethik. Mit einer Einführung von Konrad Raiser. Gütersloh 1994. 82. Stierle, Wolfram; Werner, Dietrich; Heider, Martin (Hrsg.): Ethik für das Leben. 100 Jahre Ökumenische Wirtschafts- und Sozialethik. Rothenburg 1996.

4. Sakramententheologie 83. „Sacrosanctum Concilium“. Konstitution über die heilige Liturgie, Zweites Vatikanisches Konzil, 3. öffentliche Sitzung, 4. Dezember 1963. In: Rahner, Karl/Vorgrimler, Herbert (Hg.): Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanums, 27. Aufl., Freiburg 1998. 51–90. 84. Welte, Bernhard: Über das Böse. Eine thomistische Untersuchung. Basel; Freiburg; Wien 1959.

5. Ämterlehren 85. Beintker, Michael: Art. Amt. RGG4 1, 432. 86. Frieling, Reinhard: Amt. Göttingen 2002 (Ökumenische Studienhefte 13). (Frieling, Amt). 87. Hauschild, Wolf-Dieter: Art. ,Bischof II. Kirchengeschichtlich‘. RGG4 1, 1615–1618. 88. Johannes Paul II.: Apostolisches Schreiben von Papst Johannes Paul II. über die nur Männern vorbehaltene Priesterweise vom 22. Mai 1994. In: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 117. Bonn 1994. 89. Klausnitzer, Wolfgang: Der Primat des Bischofs von Rom. Entwicklung – Dogma – Ökumenische Zukunft. Freiburg; Basel; Wien 2004. 90. Kongregation für die Glaubenslehre: Erklärung zur Frage der Zulassung der Frauen zum Priesteramt. In: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 117. Bonn 1994. 91. Koukoura, Dimitra: Die Stellung der Frau in der Orthodoxen Kirche und Theologie. In: Evmenios von Lefka; Athanasios Basdekis; Nikolaus Thon (Hrsg.): Die Orthodoxe Kirche. Eine Standortbestimmung an der Jahrtausendwende (FS für Anastasios Kallis). Frankfurt a. M. 1999, 286–294. 92. Lehmann, Karl: In allem wie das Auge der Kirche. In: AG Ständiger Diakonat in der BRD. o. O. 1993. 93. Leipold, Heinrich: Art. Papsttum. II. Die neuere ökumenische Diskussion. TRE 25, 676–695. 94. Lips, Hermann von: Art. ,Amt, IV. Neues Testament‘. RGG4 1 (1998), 424–426. 95. Luther, Martin: An den christlichen Adel deutscher Nation. WA 6, 404–469. 96. Ders.: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (1520). WA 6, 404–469. 97. Ders.: Daß eine christliche Versammlung oder Gemeinde Recht und Macht habe, alle Lehre zu urteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen, Grund und Ursache aus der Schrift (1523). WA 11, 408–416. 98. Ders.: De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium (1520). WA 6, 497–573. 99. Luz, Ulrich: Das Evangelium nach Matthäus. Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen Testament I/2. Zürich; Braunschweig; Neukirchen-Vluyn 1990. 100. Neuner, Peter: Art. Amt 3. Katholisch. RGG4 1, Sp. 431 f. 101. Nikolaou, Theodor: Das Bischofsamt in seiner Bedeutung für die Kircheneinheit. In: Ökumenisches Forum Graz 9 (1986), 175–192. 102. Nüssel, Friederike: Zum Verständnis des evan-

Literatur gelischen Bischofsamtes in der Neuzeit. In: Theodor Schneider; Gunther Wenz (Hrsg.), Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge Bd. 2. Göttingen 2006, 145–189. 103. Orthodoxe Kirche. Eine Standortbestimmung an der Jahrtausendwende. FS für Anastasios Kallis. Frankfurt a. M. 1999, 286–294. 104. Pannenberg, Wolfhart: Systematische Theologie, Bd. 3. Göttingen 1993. 105. Papandreou, Damaskinos: „Successio apostolica“. Erwägungen zur Überwindung der Trennung. In: Una Sancta 42 (1987), 29–40. 106. Reform und Anerkennung kirchlicher Ämter. Ein Memorandum der Arbeitsgemeinschaft ökumenischer Universitätsinstitute. München; Mainz 1972. 107. Rohls, Jan: Theologie reformierter Bekenntnisschriften. Von Zürich zu Barmen. Göttingen 1987. 108. Roloff, Jürgen: Die Kirche im Neuen Testament. Grundrisse zum Neuen Testament. Göttingen 1993. 109. Wall, Heinrich de: Art. Landesherrliches Kirchenregiment. In: Evangelisches Staatslexikon, hg. von Werner Heun, Martin Honecker, Martin Morlok, Joachim Wieland. Gütersloh 2006, 1380–1386. 110. Zizioulas, Johannes D.: Priesteramt und Priesterweihe im Licht der östlich-orthodoxen Theologie. In: Quaestiones Disputatae 50 (1973), 72–113.

6. Kirchenverständnisse 111. Pannenberg, Wolfhart: Systematische Theologie, Bd. 3. Göttingen 1993. 112. Staniloae, Dumitru: Orthodoxe Dogmatik. Zürich; Einsiedeln; Köln; Gütersloh 1984. Bd. II: Zürich; Gütersloh 1990. Bd. III: Solothurn; Düsseldorf; Gütersloh 1995. 113. Werbick, Jürgen: Kirche. Ein ekklesiologischer Entwurf für Studium und Praxis. Freiburg im Breisgau; Basel; Wien 1994.

III. Ziele 1. Einheitsvorstellungen 114. Dalferth, Ingolf U.: Auf dem Weg der Ökumene. Die Gemeinschaft evangelischer und anglikanischer Kirchen nach der Meißener Erklärung. Leipzig 2002. 115. Döring, Heinrich: Die Communio-Ekklesiologie

als Grundmodell und Chance der ökumenischen Theologie. In: Communio Sanctorum. FS Paul-Werner Scheele Würzburg 1988, 439–468. 116. Ebner, Martin (Hrsg.), Herrenmahl und Gruppenidentität. Freiburg; Basel; Wien 2007. 117. Friedrich, Martin: Von Marburg nach Leuenberg. Der lutherisch-reformierte Gegensatz und seine Überwindung. Waltrop 1999. 118. Fries, Heinrich; Rahner, Karl; Einigung der Kirchen – reale Möglichkeit. Freiburg; Basel; Wien 1983. 119. Haudel, Matthias: Die Selbsterschließung des dreieinigen Gottes. Grundlage eines ökumenischen Offenbarungs-, Gottes- und Kirchenverständnisses. Göttingen 2006. 120. Hüffmeier, Wilhelm; Hahn, Udo (Hrsg.): Evangelisch in Europa. 30 Jahre Leuenberger Kirchengemeinschaft. Frankfurt a. M. 2003. 121. Nüssel, Friederike: Kriterien kirchlicher Einheit nach evangelischem Verständnis. Einblicke in die innerevangelische Diskussion. In: Catholica 60 (2006) 100–117. 122. Schuegraf, Oliver: Der einen Kirche Gestalt geben. Ekklesiologie in den Dokumenten der bilateralen Konsensökumene. Münster 2001.

2. Kontexte 123. Beyer, Beate; Beyer, Jörg: Konfessionsverbindende Ehe. Impulse für Paare und Seelsorger. Mainz 1991. 124. Böckle, Franz (Hrsg.): Die konfessionsverschiedene Ehe. Problem für Millionen – Herausforderung für die Ökumene. Regensburg 1988. 125. Falconer, Alan D.; Liechty, Joseph (Hrsg.): Reconciling Memories. 2. Aufl., Dublin 1998. 126. Ionita, Viorel: Die „Heilung der Erinnerungen“ als Herausforderung an die Kirchen in Europa. Schritte auf dem Weg zur Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung. In: Catholica 60 (2006) 218–227. 127. Johannes Paulus II.: Incarnationis mysterium. Verkündigungsbulle des Großen Jubiläums des Jahres 2000 vom 29. November 1998. In: Verlautbarungen des apostolischen Stuhls 136. Bonn 1998. 128. Neuner, Peter: Geeint im Leben – getrennt im Bekenntnis? Die konfessionsverschiedene Ehe. Lehre – Probleme – Chancen. Düsseldorf 1989. 129. Noll, Rüdiger; Vesper, Stephan: Versöhnung – Gabe Gottes und Quelle neuen Lebens. Dokumente der Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Graz, Graz; Wien; Köln 1998.

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Literatur

3. Zwischenziele 130. Aufbruch zu einer missionarischen Ökumene. Konsultationsprozess der ACK zur Verständigung über die gemeinsame Aufgabe der Mission und der Evangelisation in Deutschland. Abschlussbericht der Projektgruppe. In: Ökumenische Rundschau 53 (2004) 490–497. 131. Bienert, Wolfgang (Hrsg.): Einheit als Gabe und Verpflichtung. Eine Studie des Deutschen Ökumenischen Studienausschusses zu Johannes 17 Vers 21 Frankfurt; Paderborn 2002. 132. Der Religionsunterricht in der Schule. In: Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland. Beschlüsse der Vollversammlung. Offizielle Gesamtausgabe I, Freiburg; Basel; Wien 1976, 113–152. 133. Die bildende Kraft des Religionsunterrichts. Zur Konfessionalität des katholischen Religionsunterrichts, 27. September 1996. In: Die deutschen Bischöfe 56. Bonn 1996. 134. EKD: Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität. Eine Denkschrift der EKD. Gütersloh 1994. 135. Evangelisches Missionswerk in Deutschland u. a. (Hrsg.): Aufbruch zu einer missionarischen Ökumene. Ein Verständigungsprozess über die

gemeinsame Aufgabe der Mission und Evangelisation in Deutschland. Hamburg 1999. 136. „Ihr seid das Licht der Welt“. Missionserklärungen des Ökumenischen Rates der Kirchen von 1980–2005. Genf 2005. 137. Kasper, Walter: Wegweiser Ökumene und Spiritualität. Freiburg; Basel; Wien 2007. 138. Ökumenisches Lernen. Eine Arbeitshilfe der Kammer der Evangelischen Kirche in Deutschland für Bildung und Erziehung. Gütersloh 1985. 139. Scheele, Paul-Werner: Ein Leib – ein Geist. Einführung in den geistlichen Ökumenismus. Paderborn 2006. 140. Synode der EKD: Das Evangelium unter die Leute bringen. Zum missionarischen Dienst der Kirche in unserem Land. EKD-Text Nr. 68. Hannover 2000. 141. Werner, Dietrich: Art. „Mission, Evangelisation“. In: Harald Uhl (Hrsg.), Taschenlexikon Ökumene. Frankfurt; Paderborn 2003, 187–189. 142. Ders.: Aufbruch zu einer missionarischen Ökumene in Deutschland? In: Zeitschrift für Mission 27 (2001) 161–170. 143. „Zeit zur Aussaat“. Missionarisch Kirche sein, 26. November 2000. In: Die deutschen Bischöfe 68. Bonn 2000.

Personenregister Alexander der Große 17 Althaus, Paul 32 Athenagoras 8 Augustinus 52, 57, 72

Kerullarios, Michael 19 Konstantin der Große 17 Krause, Christian 9 Küng, Hans 32

Balthasar, Hans Urs von 32 Barth, Karl 32 Basilius der Große 17 Baur, Ferdinand Christian 31 Bellarmin, Robert 30 f. Brunner, Emil 32 Bultmann, Rudolf 32

Leo X. 102 Luther, Martin 19 f., 32, 53, 78, 83 f., 90, 102, 111, 116, 127, 137 f.

Calov, Abraham 31 Calvin, Johannes 20, 57, 79, 93, 98 Cano, Melchior 30 Cassidy, Edward Idris 9 Chemnitz, Martin 31 Cyprian von Carthago 95

Nestorius 18 Niemöller, Martin 28 Nikolaus von Smyrna 9 Noko, Ishmael 9

Döllinger, Ignaz 103

Pannenberg, Wolfhart 33 Paul VI. 8 Pelagius 52 Pesch, Otto Hermann 32

Elert, Werner 32 Franz von Assisi 9 f. Friedrich der Weise 20 Gerhard, Johann 31 Gogarten, Friedrich 32 Gregor der Große 18 Hase, Karl August von 31 Hirsch, Emanuel 32 Holl, Karl 32 Huber, Wolfgang 38 Humbert 19 Hus, Jan 53

Martin von Tours 9 Melanchthon, Philipp 13, 102, 111 Möhler, Johann Adam 31

Origenes 17

Raiser, Konrad 27 Ratzinger, Joseph 105 Runcie, Robert 127 Schleiermacher, Friedrich 31, 40 Sheppard, David 140 Söderblom, Nathan 21, 150 Stählin, Rudolf 32 Thomas von Aquin 32, 78 Vlk, Miloslav 139

Jérémie 139 Joachim von Fiore 12 Johannes XXIII. 11 Johannes Paul II. 8, 23, 101, 103, 132, 136, 149

Welte, Bernhard 79 Werbick, Jürgen 119 Worlock, Derek 140 Wyclif, John 53

Karl V. 13, 20 Kasper, Walter 9

Zinzendorf, Nikolaus 20 Zwingli, Huldrych 20, 78 f.

Sachregister Abendmahl 72, 75–80, 148 f. Abendmahlsgemeinschaft 75–77 Opfer 77 Realpräsenz 78 f. Transsubstantiation 78 f. Amt 85–107 apostolische Sukzession 95–98, 117 Bischofsamt 95–98 Ordination 98–100, 100–102 Priestertum aller Glaubenden 89–92 Zölibat 100 Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen 9, 11, 23, 27–30, 68 Bischofsamt (s. Amt) Buße 82 f. Charismen 15–16 Charta Oecumenica 9, 29, 139 f. Confessio Augustana 13 f., 20, 95 f., 111 f., 115 f. Communio Sanctorum 99, 103 f., 118 Dialog-Ökumene 35–39 Einheitsvorstellungen 120–139 evangelisch 125–129 römisch-katholisch 129–131 Erweckungs- und Missionsbewegungen 20 f. Ekklesiologie (s. Kirche) Ethik 64–71 Individualethik 68 Sozialethik 65 f., 66–68, 68–70, 70 f. Eucharistie (s. Abendmahl) Faith and Order (s. Glauben und Kirchenverfassung) Firmung 81 f. Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa 94, 111, 116, 126 f. Glauben und Kirchenverfassung, Bewegung für 22, 33 f., 46 f., 110, 112

Kennzeichen 115–118 Kirche als Sakrament 113 f. Sichtbare und verborgene Kirche 114 f. Wesensattribute 109–111 Koinonia 112 Konfessionelle Weltbünde (s. Weltweite Christliche Gemeinschaften) Konfessionskunde 40 Konfessionsverschiedene Ehe 133–139 Konferenz Europäischer Kirchen 23, 66 f. Kontroverstheologie 30 f. Konziliarer Prozess 23, 66 f. Lambeth-Quadrilateral 93, 120 Leuenberger Konkordie 78, 106, 125 f. Life and Work (s. Praktisches Christentum) Lima-Dokument 14 f., 22, 25, 33, 73 f., 89 f. Lumen Gentium 99, 113, 114 f. Meissen 106, 127 f. Mission 20 f., 50, 145–147 Nature and Mission of the Church 14, 15 f., 110 f., 112, 113, 115, 118 f., 122 f. Ökumene Begriffsgeschichte 16–21 Ziele 35, 139–150 Ökumenische Bewegung 21–24 Ökumenische Bildung 41–44 Ökumenische Dekaden 69 f. Ökumenische Gemeindepartnerschaften 140 f. Ökumenische Konzilien 18 f. Ökumenische Theologie 30–44 Ökumenischer Arbeitskreis 32, 49 Ökumenischer Rat der Kirchen 22 Ökumenismusdekret 22 f., 26, 41, 104

Individualethik (s. Ethik)

Papstamt 86 f., 102–104 Infallibilität 48, 50, 103 Iurisdiktionsprimat 102–104 Porvoo-Agreement 105, 128 Praktisches Christentum, Bewegung für 21 f. Priesterweihe (s. Amt/Ordination)

Kirche 107–119 Gemeinschaft der Heiligen 111 f.

Rechtfertigungslehre 51–64, 149 f. evangelisch-orthodoxer Dialog 63 f.

Hermeneutik 33–35

Sachregister Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre 8 f., 25, 56–58, 58–61, 61–63 Gesetz und Evangelium 51 f., 59 Rechtfertigung und Heiligung 59 Religionsunterricht 43 f., 141–145 Sakramente 71–85 Schrift, heilige 45–50 lutherisch-katholischer Dialog 47 f. reformiert-katholischer Dialog 48 f. Seelsorge 147 f.

Sozialethik (s. Ethik) Sozialökumenismus 38 Taizé 10 Taufe 14 f., 72, 73–75, 148 f. Unfehlbarkeit (s. Papstamt/Infallibilität) Unitatis Redintegratio (s. Ökumenismusdekret) Weltweite Christliche Gemeinschaften 24 f. Zweites Vatikanisches Konzil 11 f., 22 f., 25 f., 91 f.

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Bibelstellenregister Gen 15,6: 52 Ex 15,26: 84 Lev 14,10–31: 84 Ps 47,2: 8

Apg 11,30: 88 Apg 13,1: 87 Apg 15,2–29: 88 Apg 17,6: 17 Apg 17,31: 17 Apg 19,27: 17 Apg 20,17–38 Apg 24,5: 17

Ps 146,4–6: 149 Hab 2,4: 52 Tob: 84 Mt 16,18 f.: 86, 108 Mt 18,17 f.: 86, 108 Mt 24,14: 17 Mk 1,23–2,12: 84 Mk 3,1–6: 84 Mk 3,14: 86 Mk 5,1–43: 84 Mk 6,13: 84 Mk 6,53–56: 84 Mk 7,31–37: 84 Mk 9,14–29: 84 Mk 10,46–52: 84 Lk 2,1: 17 Lk 4,5: 17 Lk 17,26: 17 Lk 24,34: 86 Joh 13,15: 72 Joh 17,20–22: 10, 11–13 Apg 2: 108 Apg 3,1–10: 84 Apg 4,1–12: 84 Apg 5,1–11: 109 Apg 6,1–6: 98 Apg 6,3: 88 Apg 8,17: 81 Apg 9,32–35: 84

Röm 1,16 f.: 51 f. Röm 1–2: 52 Röm 1–3: 108 Röm 3,11: 51 Röm 3,24: 51 Röm 3,27: 52 Röm 3,28: 59 Röm 4,2–5: 52 Röm 5,1: 52 Röm 6,3–5: 149 Röm 6,12–14: 60 Röm 6: 109 Röm 7,7.10: 60 f. Röm 8: 52 Röm 9–11: 108 Röm 10,17 f.: 17, 108 Röm 11,17–24: 108 Röm 16,25: 71 1 Kor 1,28 f.: 52 1 Kor 2,7: 71 1 Kor 3,16: 108 1 Kor 6,19: 108 1 Kor 7: 138 1 Kor 12,1–13: 87, 108 f. 1 Kor 12,9: 84 1 Kor 12,12–30: 108 1 Kor 12,28: 87 1 Kor 12: 15 f. 1 Kor 12–14: 16 1 Kor 14,31: 87 1 Kor 15,5: 86 1 Kor 15,8–11: 86 2 Kor 5: 51

2 Kor 6,16: 108 2 Kor 8,1–9: 118 Gal 1,13: 108 Gal 1,15 f.: 86 Gal 2,1–20: 108 Gal 2,9 f.: 88, 118 Gal 2,16: 51 Gal 3,13: 51 Gal 3,16: 52 Gal 3,28: 102 Gal 5,16: 60 Gal 6,14: 52 Eph 1,13: 81 Eph 3,8: 71 Eph 4,4–6: 11, 13–15 Eph 4,7 f.: 88 Eph 4,11 f.: 88 Phil 1,1: 87 Phil 3,4–11: 52 Kol 2,2: 71 1 Tim 1,12.18.20: 88 1 Tim 2,4: 12 1 Tim 3,1–13: 88 1 Tim 4,13 f.: 88, 98 2 Tim 1,6.15: 88, 98 Tit 1,5–9: 88 Hebr 1,6: 17 Hebr 2,5: 17 Jak 5,14–16: 84 1 Joh 2,20.27: 81 Apk 3,10: 17 Apk 12,9: 17 Apk 16,14: 17