Katholische Aufklärung – Aufklärung im katholischen Deutschland 9783787330447, 9783787311071

Die Frage nach dem "Sonderweg" der Aufklärung im katholischen Deutschland steht im Mittelpunkt dieses Bandes.

145 75 9MB

German Pages 444 [454] Year 1990

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Katholische Aufklärung – Aufklärung im katholischen Deutschland
 9783787330447, 9783787311071

Citation preview

KATHOLISCHE AUFKLÄRUNG AUFKLÄRUNG IM KATHOLISCHEN DEUTSCHLAND Herausgegeben von Harm Klueting in Zusammenarbeit mit Norbert Hinske und Karl Hengst

STUDIEN ZUM ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERT Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts Band 15

FELIX MEINER VERLAG

HAMBURG

..

KATHOLISCHE AUFKLARUNG ..

AUFKLARUNG IM KATHOLISCHEN DEUTSCHLAND

Herausgegeben von Harm Klueting in Zusammenarbeit mit Norbert Hinske und Karl Hengst

FELIX MEINER VERLAG

HAMBURG

Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprünglichen Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliogra­phi­­sche Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1107-1 ISBN E-Book: 978-3-7873-3044-7 © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1993. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­papier, hergestellt aus 100 % chlor­frei gebleich­tem Zellstoff. Printed in Germany.  www.meiner.de

INHALT

Vorwort

VII

Hann Klueting (Köln) »Der Genius der Zeit hat sie unbrauchbar gemacht katholische Aufklärung < bezeichnet wer­ den sy­ stemsprengenden < und einen > systemimmanenten < - ja der Intention nach oft > systemstabilisierenden < - Flügel der Aufklärung, von dem nur letzterer mit dem Begriff >>katholische Aufklärung>Aufklä­ rung im katholischen Deutschland>katholische Aufklärung>Katholisches>Aufklärerisches>katholische Aufklärung>Die fundamentale Frage, was eigentlich > katholische < Aufklärung ausmacht (oder ob es doch > nur < eine Aufklärung im katholischen Deutschland gibt) muß auch nach diesem Sympo-

20 Außer Scholder, Grundzüge (wie Anm. 9) Walter Sparn, Vernünftiges Christentum. Über die geschichtliche Aufgabe der theologischen Aufklärung im 18. Jahrhundert in Deutschland, in: Vierhaus (Hg. ), Wissenschaften (wie Anm. 49), S. 18-57; Heinz Liebing, Zwischen Orthodoxie und Aufklärung, Tübingen 1961; Kar! Aner, Die Theologie der Les­ singzeit, Halle 1929 (Nachdruck Hildesheim 1964); Gottfried Hornig, Die Anfänge der historisch-kritischen Theologie. Johann Salomo Selmers Schriftenverständnis und seine Stel­ lung zu Luther, Göttingen 1961 . Siehe auch Kar! Barth, D ie protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 4. Aufl. Zürich 1981, darin das Kapitel »Vorgeschichte>Das Problem der Theologie im 18. Jahrhundert« und >>Die protestantische Theologie im 18. Jahrhundert«. 21 Fritz Valjavec, Geschichte der abendländischen Aufklärung, Wien/München 1961, S. 178, zur katholischen Aufklärung überhaupt S. 174- 187. 22 Bewußt war von Norbert Hinske und mir für die Trierer Tagung der Titel >>Katholi­ sche Aufklärung - Aufklärung im katholischen Deutschland« gewählt worden; bewußt habe ich für den Titel des Tagungsbandes auf die mir von manchen Diskussionsteilneh­ mern der Trierer Tagung nahegelegte Hinzufügung eines Fragezeichens verzichtet.

Aufklärung und Katholizismus im Deutschland des 18. Jahrhunderts

7

sion als offenes Problem geltenKatholische Aufklärungdem Rationalismus der Aufklärung schier unüberwindliche Hindernisse« in den Weg gelegt - man denkt sogleich an den 1525 zwischen Luther und Erasmus von Rotterdam ausgetragenen Streit um die Willensfreiheit und an das Luther und Erasmus trennende Menschenbild -, während >>die alte katholische Tradition des Iumen naturale dem Rationalismus der Aufklärung ge­ radezu den Boden bereiten>inwieweit es sich bei der Aufklärung im katholischen Deutschland bloß um die nachträgli­ che Anpassung an einen Modernisierungsprozeß gehandelt hat [ . . . ] und inwie­ weit sie von originären katholischen Impulsen getragen worden ist>Katholischem normalen >Sonderwege>vernünftigen>Praktisches Christen­ tum>Diszi­ plinar-Punktation>Wettstreit in der Mo-

84 Heinrich Nottarp, Der Kohlenzer Kongreß von 1769 und Arnoldis Tagbuch vom Em­ ser Kongreß, in : Theologie und Glaube 7 ( 1915), S. 812 - 821 . 85 Fritz Endres, Die Errichtung der Münchener Nuntiatur und der Nuntiaturstreit bis zum Emser Kongreß, Erlangen 1908/09; Kar! Habenschaden, Der Münchener Nuntiatur­ streit in der Publizistik, München 1933. 86 Alexander Coulin, Der Emser Kongreß des Jahres 1786. Ein Beitrag zur Geschichte des Kirchenrechts der Aufklärungszeit, in: Deutsche Zeitschrift für Kirchenrecht 3. Folge XXV (1915/16), S. 1 -79; Heinrich Schotte, Zur Geschichte des Emser Kongresses, in: Histori­ sches Jahrbuch 35 (1914), S. 86 - 109, 319-348, 781 - 820; Gerhard Josef Jansen, Kurfürst­ Erzbischof Max Franz von Köln und die episkopalistischen Bestrebungen seiner Zeit. Nun­ tiaturstreit und Emser Kongreß, Wanne-Eickel 1933; Matthias Höhler (Hg . ) , Des kurtrieri­ schen Geistlichen Rats Heinrich Aloys Arnoldi Tagbuch über die zu Ems gehaltene Zusammenkunft der vier Erzbischöflichen deutschen Herrn Deputierten, die Beschwerde der deutschen Nation gegen den Römischen Stuhl und sonstige Gerechtsame betreffend (1786), Mainz 1915. 87 Josef Steinruck, Bemühungen um die Reform der Reichskirche auf dem Emser Kon­ greß (1786), in : Festschrift für Erwin Iserloh, Paderborn 1980, S. 863-891 . Die Texte der bei­ den Punktationen bei Höhler (Hg.), Arnoldi Tagbuch (wie Anm . 86), S. 171 - 183, 92-106.

Aufklärung und Katholizismus im Deutschland des 18. Jahrhunderts

19

dernität«, 88 mit dem aus dem innerkirchlichen Raum heraus die Reformmaßnah­ men eingeholt und überholt werden sollten, die das Staatskirchenturn der bei­ den wichtigsten, von weltlichen Herrschern regierten katholischen Staaten des Reiches, nämlich Bayern und Ö sterreich, eingeleitet hatte. Dieses Staatskirchen­ turn, das als das dritte Feld der katholischen Aufklärung erscheint, zielte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in den katholischen Ländern auf Reduzie­ rung der kirchlichen Machtstellung, auf Integration der Kirche in den weltlichen Fürstenstaat und auf die Autonomie des Staates gegenüber der Kirche als einer nach eigenem Recht existierenden und historisch vor die Entstehung der beste­ henden Staaten zurückreichenden Institution mit überstaatlichem Legitimations­ anspruch . Das Staatskirchenturn der katholischen weltlichen Fürsten entsprach somit weit­ gehend der Entwicklung, mit der die Kirche in den Territorien der protestanti­ schen Fürsten schon im 16. Jahrhundert zur Landeskirche und zu einer obrig­ keitlich-staatlichen Veranstaltung geworden war - verbunden mit Ordnungskom­ petenz des Fürsten und fürstlicher Behörden über die Kirche, mit staatlicher Kon­ trolle der Rechtgläubigkeit und der Gottesdienstformen, mit staatlicher Aufsicht über Kirchenvermögen und Pfarrerbesoldung, über Kirchengebäude und Armen­ pflege, über Kirchenzucht und über Ausbildung, Prüfung und Berufung der Pfarrer. 89 Die staatskirchlichen Be strebungen waren an sich keine Erscheinung der Auf­ klärung, sondern Ausfluß der Zentralisierungs- und Monopolisierungstenden­ zen des modernen Staates vor dem Hintergrund des absolutistischen Fürsten­ und Staatsverständnisses. Doch wurde das Staatskirchenturn in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von der Aufklärung nicht nur ermöglicht, sondern auch ver­ stärkt. Wenn das Staatskirchenturn den Besitz der »Toten HandQuasi-Erblichkeit>Katholische Aufklärung - Aufklärung im katholischen Deutschland>Eigenbistümem« Gurk, Seckau und Lavant des Erzbischofs von Salzburg, eines Reichsfürsten, dessen Gebiet nicht zu Ö sterreich gehörte, die drei neuen Österreichischen Landesbistümer Gurk, Graz-Seckau und Lavant.

Kritik am Mönch tum und an den geistlichen Staaten Die katholische Aufklärung fand ihren Ausdruck - viertens - in der publizisti­ schen Kritik an Mönchtum und Klosterwesen, die in ihrer Radikalität - zumin­ dest verbal - oft recht weit ging. 120 Der Kirchenhistoriker Eduard Hegel spricht von einem >>Trommelfeuer der antiklösterlichen PropagandaHemmschuh>Blendwerk unserer klösterli­ chen Verfassung

Aufklärung und Katholizismus im Deutschland des 18. Jahrhunderts

27

nen Benediktiners Peter Adolf Winkopp. 124 Andere Autoren waren Joseph Mil­ biller oder Juristen wie Joseph Valentin Eybel, Franz Joseph von Heinke oder Jo­ seph Johann Nepomuk Pehem, aber auch Literaten wie der aus Bayern nach Wien gekommene Johann Pezzl, 125 der Privatbibliothekar des Staatskanzlers Kaunitz . Auch Minister geistlicher Staaten wie der kurkölnische Hofkammerpräsident Franz Wilhelm von Spiegel, der 1781 als Landdrost des Herzogtums Westfalen eine an­ onyme Broschüre »Das Grab der Bettelmönche« veröffentlichte, 126 beteiligten sich an der antimonastischen Publizistik. 1802 schrieb Spiegel, den wir als ehemaligen Göttinger Studenten kennenge­ lernt haben, in einer an Kants »Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre>Das, was bey fortschreitendem Verstande weder die Critik der reinen noch prak­ tischen Vernunft aushaelt, zerfaelt in sich . Das Mönchthum ist eine aegyptische Pflanze, welche dort, wo sie sich jetzt noch befindet, nicht mehr die Früchte trägt, welche ihre Anpflanzer von ihr erwarteten . Der Genius der Zeit hat sie auch oh­ nehin unbrauchbar gemacht . >Diese leben nur, um immer stupider zu werden . Wer den hoechsten Grad der Verstandesverläugnung unter ihnen erreicht, ist der vollkommenste Capuziner, und auf diesen Zweck sind ihre Studien musterhaft eingerichtet>Es war eine Zeit, wo sie nützlich, wo sie nothwendig waren; diese ist nicht mehr, und so dürfen sie sich dann mit dem Schicksal aller Dinge und Wesen troesten, die die Zeit nur so lange bestehen läßt, als die Vorsehung sie nothwendig haelt, und sie aufhoeren laeßt, sobald der Zweck ihres Daseyns nicht mehr vorhanden ist>Faustin« 130 bis zu wis­ senschaftlichen Werken. Hier standen juristische oder staatsphilosophische Aspek­ te im Vordergrund, wobei es um das Recht des weltlichen Fürsten, also des modernen Staates, zur Aufhebung der Klöster und um den Verlust der histori­ schen Daseinsberechtigung des kirchlichen Besitzes infolge des Fortschreitens der Aufklärung ging . Am klarsten formuliert wurde dieser Gedanke von Immanuel Kant, der 1797 im ersten Teil seiner >>Metaphysik der Sitten«, den schon erwähn­ ten >>Metaphysischen Anfangsgründen der RechtslehreDenn die Kirche selbst ist als ein bloß auf Glauben errichtetes Institut, und, wenn die Täuschung aus dieser Meinung durch Volksaufklärung verschwunden ist, so fällt auch die darauf gegründete furchtbare Gewalt des Klerus weg, und der Staat bemächtigt sich mit vollem Rechte des angemaßten Eigentums der Kir­ cheGeschichte der Deutschen« (1778) vor allem als Historiker be­ kannt geworden, dazu Arnold Berney, Beiträge zur Geschichte der deutschen Aufklärung, I: August Ludwig von Schlözer, II: Michael Ignaz Schmidt, in: Historisches Jahrbuch 44 (1924), S. 211- 239; Gertrud Degenhard, Das Bild der deutschen Geschichte bei Michael Ignaz Schmidt (1736- 1794), Diss. Göttingen 1954 (1956). 141 Otto Volk (Hg. ), Professor Franz Oberthür. Persönlichkeit und Werk, Neustadt a . d . Aisch 1966; Annemarie Lindig, Franz Oberthür als Menschenfreund. Ein Kapitel a u s der katholischen Aufklärung in Würzburg, Würzburg 1966; Ludwig Faulhaber, Oberthür als Pädagog, Langensalza 1921; R. Stölzle, Franz Oberthür, in : Lebensläufe aus Franken, Bd . 1 (1919), s. 336 - 357. 142 Helene Heuveldop, Leben und Wirken Bernard Overbergs im Rahmen der Zeit- und Ortsgeschichte mit besonderer Berücksichtigung seiner Verdienste als Volksbildner, Mün­ ster 1933; Hubert Steinhaus, Bernard Overbergs >>Anweisung zum zweckmäßigen Schul­ unterricht für die Schullehrer« ( 1793) . Die Rezeption der Aufklärungspädagogik im Fürst­ bistum Münster, in: Westfälische Zeitschrift 137 (1987), S. 89- 126. 143 August Schröder, Friedrich Adolf Sauer, ein Beitrag zur westfälischen Bildungsge­ schichte des 18. Jahrhunderts, in: Festschrift Anton Eitel, Münster 1947, S. 102- 117. 144 Ludwig Hammermayer, Die Aufklärung in Salzburg (ca . 1715 - 1803), in: Heinz Dopsch u. Hans Spatzenegger (Hg.), Geschichte Salzburgs. Stadt und Land, Bd. II/1, Salz­ burg 1988, S. 375 -535; ders . , Das Erzstift Salzburg, ein Zentrum der Spätaufklärung im katholischen Deutschland (ca. 1780-1803) (in diesem Band: S. 346-368); Franz Martin, Salz­ burgs Fürsten in der Barockzeit (1587-1812), 3. Aufl. Salzburg 1966; Josef Mack, Die Reform­ und Aufklärungsbestrebungen im Erzstift Salzburg unter Erzbischof Hieronymus von Col­ loredo. Ein Beitrag zur deutschen Kulturgeschichte der Aufklärungszeit, München 1912; Hans Wagner, Die Aufklärung im Erzstift Salzburg, Salzburg 1968; ders . , Die Bedeutung Salzburgs im Zeitalter der Aufklärung. Salzburg in der europäischen Geschichte, Salzburg 1977; Josef Schöttl, Kirchliche Reformen des Salzburger Erzbischofs Hieronymus von Col­ loredo im Zeitalter der Aufklärung, Hirschenhausen 1939; Peter Hersehe, Erzbischof Hie-

32

Harm Klueting

in den Hochstiften Würzburg und Bamberg 145 mit dem Benediktinerkloster Banz 146 als wichtigem Zentrum der katholischen Aufklärung in der Zeit der Bi­ schöfe Adam Friedrich von Seinsheim und Franz Ludwig von Erthal und im Kur­ fürstentum und Erzstift Mainz 147 unter dem Erzbischof Johann Friedrich von Ostein, unter dem sein Minister Friedrich von Stadion damit begann, in der Ver­ waltung, im Wirtschaftsleben und im Bildungswesen Grundsätze der Aufklärung zur Geltung zu bringen, und unter Osteins Nachfolger Emmerich Joseph von Breidbach-Bürresheim 148 und seinen Ministern Carl Willibald von Groschlag 149 und Anselm Franz von Bentzel. 150 Der Höhepunkt der Reformbewegung lag in Mainz jedoch in der ersten Hälfte der achtziger Jahre und fand seinen Ausdruck u . a . in der Säkularisation von drei Klöstern, deren Vermögen 1781 dem Univer­ sitätsfonds zugeleitet wurde, 15 1 was im Zusammenhang mit der Reform der Mainzer Universität 152 stand.

ronymus Colloredo und der Jansenismus in Salzburg, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburgische Landeskunde 117 (1977), S. 231 - 268. 145 Anton Schindling, »Friderizianische B ischöfe nor­ malen < kirchen- und religionskritischen Aufklärungsprozeß, fand nicht oder nur marginal statt, weil der » Sonderweg« der katholischen Aufklärung in Deutsch­ land durch das Ende der Reichskirche abgelenkt wurde. Wenn dennoch ein En­ de der katholischen Aufklärung festgesetzt werden soll, so hat dies mit der Unterscheidung von zwei Etappen zu geschehen: 1803 - die Säkularisation, mit der sich gleichsam die > Geschäftsgrundlage < der katholischen Kirche in Deutschland fundamental änderte und ein wesentlicher > Stein des Anstoßes < der katholischen Aufklärung, die weltliche Herrschaft der katholischen Kirche und ihre Beherrschung durch den Adel, verschwand . 1864/70 - der »Syllabus erro ru m «, mit dem Papst Pius IX. die Religions-, Meinungs­ und Wissenschaftsfreiheit, die staatliche Schule, Liberalismus, Volkssouveräni­ tät und Demokratie, Sozialismus und Kapitalismus und anderes mehr, darunter die Freimaurerei, verdammte, und das Erste Vatikanische Konzil mit der Kanoni­ sierung des Dogmas der Unfehlbarkeit des Papstes. Für den Historiker bleibt die katholische Aufklärung eine Erscheinung im Deutschland des 18. Jahrhunderts, der grundlegende Bedeutung für das Verständ­ nis dieses »Vorraums des gegenwärtigen Zeitabschnitts« (Reinhart Koselleck) zukommt.

164 Heinz Hürten, Geschichte des deutschen Katholizismus 1800- 1960, Mainz 1986; Hans Maier, Zur Soziologie des deutschen Katholizismus 1803- 1950, in : Festschrift Rep­ gen (wie Anm . 163), S. 159- 172; Albrecht Langner (Hg . ) , Katholizismus, nationaler Ge­ danke und Europa seit 1800, Paderborn 1985; Karl Hausberger, Staat und Kirche nach der Säkularisation . Zur bayerischen Konkordatspolitik im frühen 19. Jahrhundert, St . Ottilien 1983; Anton Rauscher, Deutscher Katholizismus und Revolution im frühen 19. Jahrhundert, München 1975; Karl-Egon Lönne, Politischer Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am M ain 1986. 165 Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800- 1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983, S. 403-451; ders . , Deutsche Geschichte 1866- 1918, Bd . 1: Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1990, S. 428-530.

Norbert Hinske (Trier) »Katholische Aufklärung Aufklärung im katholischen Deutschland?«

Die beiden Leit- und Titelbegriffe, die in bewußt gewählter Alternative das Rah­ menthema des vorliegenden Sammelbandes bestimmen - >>Katholische Aufklä­ rung - Aufklärung im katholischen Deutschland?>Aufklärung im katholi­ schen Deutschland>Aufklärung im katholischen Deutschland>Aufklärung im katholischen Deutschland den < Katholizismus und seine Institutionen durchgesetzt werden mußte, sondern daß sie vielmehr auch von führenden Männern der Kirche oder des Glaubens getragen worden ist. Aufklärung und Katholizismus, das bedeu­ tete demzufolge keineswegs einen zwangsläufigen Widerspruch . Auch bei einer solchen Annahme - die in vielfacher Weise der historischen Konkretisierung bedürfte - stellt sich jedoch immer noch die Frage, wo denn

Katholische Aufklärung - Aufklärung im katholischen Deutschland?

37

die treibenden Motive für eine derartige Reformbewegung zu suchen sind . Wo­ her stammen die geistigen Impulse für die >>Aufklärung im katholischen Deutsch­ land«? In anderer Formulierung lautet diese Frage : Gibt es so etwas wie eine genuine >>katholische Aufklärung«, wie es der andere Leitbegriff des Rahmen­ themas suggeriert, oder ist die Aufklärung im katholischen Deutschland ein rei­ ner Importartikel gewesen? Auf den ersten Blick scheint die Frage nach einer genuin katholischen Aufklä­ rung, so geläufig dieser plakative Begriff in der Forschungsliteratur mittlerweile auch geworden sein mag, eindeutig mit einem Nein zu beantworten. Aufklärung und Katholizismus, das scheinen zwei verschiedene Welten zu sein . Im katholi­ schen Frankreich ist die Aufklärung eine Bewegung, die sich ganz überwiegend aus kirchenfeindlichen, wenn nicht gar religionskritischen Motiven speist und also in ihrem Kern gerade keine originär katholische Bewegung ist . Innerhalb der englischen Aufklärung spielt der Katholizismus ohnehin allenfalls eine margi­ nale Rolle. In Deutschland aber gehen die entscheidenden Impulse für die Auf­ klärung offensichtlich vom protestantischen Deutschland aus . Innerhalb der Aufklärungsphilosophie sind die großen, tonangebenden Namen : Christian Tho­ masius, Wolff, Alexander Gottlieb Baumgarten, Georg Friedrich Meier, Christian Garve, Kant usw. usw. , sieht man von dem gläubigen Juden Moses Mendelssohn einmal ab, ausnahmslos protestantischer Herkunft . Ähnliches gilt für die schö­ ne Literatur. Aber auch eine zweite wichtige Quelle der Aufklärung gerade in Deutschland, der wissenschaftliche Umgang mit der Heiligen Schrift, geht ganz von protestantischen Gelehrten aus. So ist denn auch der Einfluß, den insbe­ sondere die Universitäten Halle und Göttingen auf die katholischen Teile Deutsch­ lands ausgeübt haben, auf Schritt und Tritt mit Händen zu greifen . Erinnert sei hier nur an die Arbeiten von Pranz Rudolf Reichert, 1 dessen plötzlicher Tod ei­ ne schmerzliche Lücke in das Programm der Tagung des Jahres 1988 gerissen hatte. Die Bilanz aller dieser Analysen scheint demzufolge rundum negativ auszu­ fallen. Über >>Aufklärung im katholischen Deutschland>katholischen Aufklärung>bey Strafe des Stranges>Catholischen Ländern>Beylagen zur Historischen Lobschrift«, S. 54 f. (Bei der Unter­ schrift >>FranZ>Fr. Kar!BeylagenHatte die Kirche in den Anfängen die Bildungs- und Aufklärungsbewe­ gung mitgetragen, so zog sich zumindest die Pfarrgeistlichkeit seit 1740 immer stärker aus diesem Engagement zurück« (Schleich, Philosophische Gesellschaften [societes de pensee], aufklärerische Kirchenkritik und die Ursprünge der Französischen Revolution, in: Hans Maier, Eberhard Schmitt [Hg . ] , Wie eine Revolution entsteht. Die Französische Revolution als Kommunikationsereignis, Paderborn-München 1988, S. 55 ff. [75]). Für die katholischen Gebiete Deutschlands kann man die Zeitachse, in der sich anfängliches Mittragen allmäh­ lich in Distanz verwandelt, um gute 30-50 Jahre versetzen; hier bildet erst die Französi­ sche Revolution, genauer ihre radikale Phase, die entscheidende Zäsur. Für die anderen katholischen Gebiete Europas bedürfte es genauerer geographischer und zeitlicher Abgren­ zungen. Zahlreiche Gesichtspunkte in den grundlegenden Arbeiten von Bernard Plonge­ ron, Recherehes sur !'>>Aufklärung« catholique en Europe occidentale (1770- 1830), in: Revue d'histoire moderne et contemporaine, t.XVI (1969), S. 555 - 605; (Plongeron I); ders . , Que­ stions pour !'Aufklärung catholique en ltalie, in: II Pensiero Politico. Rivista di Storia delle Idee Politiche e Sociali, III (1970), S. 30-58 (Plongeron II); ders . , Theologie et politique au siede des lumieres (1770 - 1820), Paris (Plongeron III) .

Die Katholiken und die Aufklärung

41

Für und Wider ein Ausschnitt aus der großen, auf vielen Feldern ausgetragenen Auseinandersetzung zwischen katholischer Kirche und moderner Welt. So ist denn auch ein Gang durch die Forschung kein ruhiges Kapitel Gelehrtenge­ schichte : überall verbindet sich das Persönliche mit dem Allgemeinen, das Wis­ senschaftliche mit dem Kirchenpolitischen, an vielen Stellen werden Spannun­ gen, Verletzungen, persönliche Tragödien sichtbar. 3 Es ist ein Vorgang schmerz­ licher Selbstvergewisserung, ein Prozeß der Klärung, der bis heute noch nicht abgeschlossen ist. Hat sich nicht erst in jüngster Zeit aus der Frage der Religions­ freiheit - bekanntlich einem Haupt- und Kernstück der Aufklärung - innerhalb der katholischen Kirche das Schisma Lefebvres entwickelt? Die Geschichte der katholischen Erforschung der Aufklärung ist noch nicht ge­ schrieben . Insofern bewegen sich meine Ausführungen in einem noch wenig ver­ messenen Gelände. Ich folge zunächst dem allgemeinen Gang der Dinge : dem Verhältnis der Katholiken zur Aufklärung, wie es sich im 19. Jahrhundert ent­ wickelt hat, dem langsamen, sich allmählich beschleunigenden Prozeß der Ab­ lösung von den Positionen der katholischen Aufklärung, den zunehmend schärfer ausgeprägten Abgrenzungen und Antithesen (I) . In diesen Rahmen fügt sich die Forschungsgeschichte im engeren Sinne ein, eine Geschichte, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Kontroverse Merkle-Sägmüller beginnt und sich dann in viele Richtungen verzweigt - historische, philosophische, theologische -, um endlich nach dem Zweiten Weltkrieg, in den sechziger Jahren, in die neuen, vom Zweiten Vatikanischen Konzil eröffneten Perspektiven einzumünden (II) . End­ lich will ich versuchen, den heutigen Stand in Sachen Aufklärung an zwei Pro­ blemen zu verdeutlichen, die in jüngster Zeit die innerkatholische Diskussion beschäftigen : die Frage von Menschenrecht und Menschenwürde und die Frage der Religionsfreiheit (III) .

I >>Geister, wie Voltair (sie) und seine Helfershelfer, haben dem Christentum in den sogenannten civilisirten Ländern viel geschadet . Da sie aber zugleich viele Miß­ bräuche und Schändlichkeiten, die im Schoße der Kirche und der Christenheit gehegt und geschützt wurden, aufgedeckt und Abscheu davor in der öffentli­ chen Meinung erregt haben, so läßt sich nicht läugnen, daß aus ihren Bestre­ bungen auch mancher Vortheil für die Religion hervorging>großen Geschäft Aufklärung« und vom Zentralsymbol des Lichtes ab, dem er >>mathematischen Gehorsam>Frechheit>hinunter in der Erde Schoß, weg aus des Lichtes Reicheneigentlich gutmütige Phantastenwie ja jederzeit grade bei den Nüchternsten das bißchen defekte Phantasie am häu­ figsten überschnappt>Aberglauben>Kirchenlexi4 >>Meine Erlebnisse>Aufklärung« von Horst Stuke, in: Ge­ schichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutsch­ land, Bd. I, Stuttgart 1972, S. 243 ff. (305 ff . , 323 ff. ) . 7 Joseph von Eichendorff, Erlebtes I I (Halle und Heidelberg), zuerst 1866 aus dem Nach­ laß publiziert (Hanser-Ausgabe 1966, S. 1516 ff. (1516]) .

Die Katholiken und die Aufklärung

43

kon« von 1847 entwickelt einen Begriff von »christlicher AufklärungRealenzyklopädie des Erziehungs- und Unterrichts­ wesens>wahre Aufklärung Neue Zeit >Glaubenssatz . >Gottesge­ dächtnis>Objektformel« Günter Dürigs (>>Die

Menschenwürde ist getroffen , wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird>zweite Aufklärung« der 60er und 70er Jahre ein gesteigertes Interesse für die erste Aufklärung hinterlassen . Es kommt hin­ zu, daß die Katholiken den aufklärerischen Zeit- und Weltkindern des 18. Jahr­ hunderts noch aus einem anderen Grund näher gerückt sind : In einer Zeit auf­ brechender Fundamentalismen versteht man manche Positionen katholischer Auf­ klärung besser - sie werden einsichtiger, einleuchtender, nachvollziehbarer. Sind nicht, gemessen an Khomeini, die Christen im Abendland heute fast Voltairianer? Günstige Aussichten also für unterscheidende, perspektivische Annäherun­ gen an das Thema >>katholischer Aufklärung«, das uns heute mehr und mehr beschäftigen und herausfordern muß. Es braucht, so scheint es, auf seine Histo­ riker und Philosophen nicht länger zu warten.

Philipp Schäfer (Passau) Die Grundlagen der Aufklärung in katholischen Beurteilungen der Aufklärung

Der geistesgeschichtliche Vorgang, der mit dem Wort >>Aufklärung« beschrieben wird, ist während des Vorganges und danach sehr verschieden beurteilt worden . In das Urteil über die Aufklärung ging die Frage nach ihren Grundlagen ein. Die­ sem Urteil über die Grundlagen in verschiedenen Beurteilungen der Aufklärung soll hier nachgegangen werden. Meine Ausführungen beschränken sich zum ei­ nen auf den deutschen Sprachraum. Als systematischer Theologie beachte ich letztlich nur die Vorgänge innerhalb der Theologie und die Äußerungen der Kir­ che. Staatskirchenpolitik und kirchliche Reform oder Erneuerungsbestrebungen auf den verschiedenen Feldern kirchlichen Lebens werden weniger berücksichtigt.

I. Das Urteil während der Zeit der Aufklärung A. Allgemeine Haltung zur Aufklärung Der Vorgang der Aufklärung in katholischer Theologie und im Leben der katho­ lischen Kirche vollzieht sich zunächst im Rahmen eines überlieferten Glaubens. Es wird von den wichtigen Wahrheiten der christlichen Glaubensüberlieferung ausgegangen . Der Mensch, der aufgerufen wird, >>aus seiner selbst verschulde­ ten Unmündigkeit« 1 oder aus einer Unmündigkeit, in die er gedrängt wurde, herauszugehen und sich der Kräfte seiner Vernunft zu bedienen, wird immer verstanden als ein Mensch, der in sittlicher Verantwortung vor Gott lebt und ei­ ner Glückseligkeit jenseits des Todes bei Gott zustrebt. Der Wille zur Freiheit >>Von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen«, 2 verbindet sich teilweise mit dem Glauben an einen Fortschritt, der über den überlieferten, konfessionell und kirchlich gebundenen Glauben hinausführt in eine allgemei­ ne Weltvernunft, in der sich Gesellschaft ordnet, zu Frieden kommt und den Men­ schen in seine Glückseligkeit führt. Wo dieser Glaube an eine mögliche Vervoll­ kommnung des Menschen und der Gesellschaft durch den Gebrauch der Ver­ nunft herrschend ist, werden als Grundlagen der Aufklärung vor allem Freiheit zur Vernunft und Selbständigkeit im Gebrauch der Vernunft in sittlicher Absicht angesetzt. Bereits im Vorgang der Aufklärung sehen katholische Theologen Gefahren in einem unkritischen Streben nach Freiheit der Vernunft . Von der Erfahrung ver1 Immanuel Kant, Beantwortung der Frage : Was ist Aufklärung? A 481 . 2 Ebd . A 484.

Die Grundlagen der Aufklärung

55

gangener Ereignisse und Geschehen her warnen sie. Sie meinen, das Streben nach Freiheit, wie es dem Einzelnen seine Vernunft eingibt, führe zu Uneinigkeit und zur Zertrennung der abendländischen Kultur. 3 Für sie ist Aufklärung ein Boot, in dem sie selber zum Teil sitzen, zum Teil aber auch ein Boot, das sich von ihrer Fahrrinne abtrennt. Die Grundlagen, der sich von ihrer Position ablö­ senden Aufklärung, sehen sie in einem freiheitlichen Gebrauch von Vernunft des Einzelnen aus seinen Voreinstellungen heraus und auf seine Interessen hin . Sie halten gegen diesen privaten Gebrauch der Vernunft die Autorität der Kirche als Hüterin des überlieferten und geoffenbarten Glaubens. Diese Autorität darf durch­ aus kritisch befragt werden. Sie stehen nicht gegen einen öffentlichen Gebrauch der Vernunft .

B. Einzelne Urteile Gegen Ende der Aufklärungszeit, da bereits Erfahrungen über Aufklärung vor­ liegen, wird unterschieden zwischen Aufklärung und Aufklärung. Es wird er­ kannt, >>daß manche, die sich viel mit Kenntnis und Aufklärung brüsten, oft nicht wenig Unheil unter den Menschen, durch eingebildeten Reichtum und wahren Mangel an Aufklärung, durch voreilig und unkluges Betragen stiften>daß wir Vernunft haben, und immer einsichts­ voller, aufgeklärter und vernünftiger werden können>So gewiß es deine Pflicht ist, über das, was dir der Herr anvertraut hat, getreu hauszuhalten; den guten Grund und Boden, worauf er dich setzte, nach Kräften 3 In diesem Zusammenhang ist an Martin Gerbert von St. Blasien zu erinnern. Vgl . Phi­ lipp Schäfer, Kirche und Vernunft. Die Kirche in der katholischen Theologie der Aufklä­ rungszeit, München 1974, S. 72 ff. 4 Sebastian Mutschelle, Über die Aufklärung. Eine Rede bei Austeilung der Schulprei­ se, 1792, in: Vermischte Schriften oder philosophische Gedanken und Abhandlungen, 1 . Bändchen, München 1799, S . 5 . Zu Mutschelle vgl . Christoph Keller, Das Theologische in der Moraltheologie. Eine Untersuchung historischer Modelle aus der Zeit des deutschen Idealismus, Göttingen 1976, S. 87- 192. 5 Mutschelle, (wie Anm . 4) , S. 13.

56

Philipp Schäfer

anzubauen; deinen Verstand und die Vernunft, die er dir gab, nicht öde liegen und verwildern zu lassen; so gewiß ists deine Pflicht, immer mehr Einsicht, nach einer immer helleren deutlichen Kenntnis, nach eigener und fremder Erleuch­ tung und Aufklärung zu streben>Das Wort Aufklärung ist wie eine Apothekerbüchse - die keine Unterschrift hat - kann Gift oder heilsa­ me Arznei darin sein>Ist es wirklich euer Ernst, ihr, die ihr das sagt, wollt ihr wirklich allen, auch nur möglichen Anlaß zum Bösen entfernet haben, so wollt ihr um nichts weniger, als die Zerstörung der Welt, wie sie Gott geschaffen>Ihr müßt ihn bitten, daß er uns die Vernunft nehme, damit sie andere nie durch Sophisterei hintergehen, durch Ausbrütung böser Pläne und Ungerechtigkeiten beschädigen könne. Ihr müßt ihn tadeln, daß er das Christentum entstehen ließ, denn es gab ja den Ungläubigen Anlaß, Tausende darum zu verfolgen und zu martern, weil sie Christen wurden, und den Christen einen Vorwand, wieder Tausende darum zu drücken und zu töten, weil sie keine werden wollten. Ihr müßt ihn bitten, daß er all eure Sinne, alle nützlichen Elemente, alle nützlichen Geschöpfe aufhebe, weil sie eben dieselben sind, die durch Mißbrauch schäd­ lich werden können>nüch­ tern, schonend, vorsichtig, belehrig, neidlos zu Werke gehen>die Lüge und Irrtum in Lichtgestalt der Wahrheit hüllt« . 14 Er vergleicht sie mit der Schlange im Paradies, die Hoffnung weckte, der Mensch könne werden wie die Götter. Zum andern beschreibt er eine tändelnde Aufklärung, die mit Kleinigkeiten Zeit und Kraft verzehrt und nicht zur Selbsterkenntnis findet . Des weiteren eine Ge­ räusch machende, eine tollkühn reformierende, die alles tadelt, was schon län­ ger in Geltung ist, und eine im Finstern schleichende, die den Glauben unter die Vorurteile zählt . Für die Pflicht zur Aufklärung wird eine religiöse, christliche Begründung ge­ geben . Durch die Vernunft ist der Mensch Ebenbild Gottes. Durch Wachstum an Vernunft, an Einsicht und Weisheit soll der Mensch immer mehr Ebenbild Gottes werden. 15 Aufklären heißt Licht bringen. So wenig Gottes Schaffen des Lichtes Sünde sein kann, >>SO wenig kann das redliche Bemühen vernünftiger Geschöpfe, des Lichtes mehr und der Finsternis weniger zu machen, Sünde sein. Der Mensch, als Ebenbild des Schöpfers, hat den Beruf, das in seinem Kreise nach Vermögen zu tun, was der Schöpfer als Urbild tat« . 16 Verwiesen wird auf das Beispiel Christi. Er hat gelehrt, hat Licht gebracht, er hat aufgeklärt. Beide Theologen, die Aufklärung von Aufklärung unterscheiden, reden zwar nicht über die Grundlagen der wahren Aufklärung. Letztlich sehen sie aber die Grundlagen dieser Aufklärung im christlichen Glauben . Die Forderung, die Ver­ nunft in Freiheit zu gebrauchen, ist ihnen im christlichen Schöpfungsglauben und Erlösungsglauben begründet. Sie fordern Aufklärung in Religionssachen, damit die Menschen treuer im Wesentlichen der christlichen Religion leben, da­ mit sie in I:reiheit überzeugter in die Mitte des Glaubens finden . Beide sehen sich Angriffen ausgesetzt. Es wird ihnen vorgeworfen, letztlich durch Aufklärung dem christlichen Glauben zu schaden, Aufklärung an Stelle des Glaubens zu setzen, durch die Forderung nach Selbstdenken und freiem Ge­ brauch der Vernunft, den Menschen aus seiner Bindung an Gott zu lösen . Es findet sich schon während der Aufklärungszeit die Vorstellung, daß die Aufklä­ rung ihre Grundlagen im Unglauben hat . Von diesen Gegnern wird Aufklärung verstanden als eine Ablösung des Glaubens, ein Heraustreten des Menschen aus den Bindungen der Religion, ein Aufgeben des Hörens auf Offenbarung. Als 13 14 1s 16

Religionskollegien (wie Anm. 7), S. 48. Ebd . S. 5 1 . Vgl . Ebd . Johann Michael Sailer, Vernunftlehre für Menschen, w i e sie sind . Nach d e n Bedürf­ nissen unserer Zeit, 2. Bd., München 1785, S. 239.

58

Philipp Schäfer

Grundlage solcher Aufklärung wird eine Selbstüberheblichkeit des Menschen gesehen . Bereits zur Zeit der Aufklärung stehen Urteile über Aufklärung und ihre Grund­ lagen gegeneinander. Diese werden weitergegeben, weitergetragen und immer wieder erneuert .

II. Urteile im Übergang zur Romantik A. Johann Sebastian Drey Der Übergang einer Theologie aus der Aufklärungszeit, die Aufklärung aufnimmt und ernst nimmt, hinüber in eine Theologie, die sich romantischem Lebensge­ fühl verbindet und aus Ideen der Romantik sich steuern läßt, ist vielfältig . Da sind Theologen, die bei ihrer Arbeit und im Gespräch mit der zeitgenössischen Philosophie Grenzen der Vernunft ausmachen und so stärker auf Geschichte und Leben achten. Da sind Theologen, wie Johann Sebastian Drey (1777- 1853), die ihre Ausbildung bereits im Übergang von der Aufklärung zur Romantik erhalten haben und in eine kritische Distanz zur Aufklärung gehen . So fordert Drey eine >>Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie>sowohl in Hinsicht ihrer theoretischen Begründung, als auch ihrer prak­ tischen Darstellung (als Seelenleitung) seit Jahren an mancherlei Gebrechen« . In diesen Gebrechen sieht er die Ursache, >>warum Religion sowohl an innerer Le­ bendigkeit, als auch an äußerer Hochschätzung immer mehr verlieren mußte und verlor« . 18 Diese Gebrechen will er aufdecken. Er klagt über das Geschrei, das über ein halbes Jahrhundert lang gegen die alte Scholastik angestimmt wurde, und meint, die Theologie müsse immer wieder zu ihr zurückkehren . 19 Er will die Scholastik aus ihrer Zeit beurteilt wissen. Unter anderem verweist er auf den mystischen, rein religiösen und christlichen Geist, der zur Zeit der Scholastik wirksam war. In der Trennung von Mystik und Dialektik sieht er den. Grund für die schädlichen Folgen einer späteren Theologie, den Grund für das Sich-Verlieren >>in eine Menge nichts bedeutender Spitzfindigkeiten« . 20 Den Humanismus sieht er als ein Streben nach freiem, selbständigem Leben. Dies brachte dann Zwiespalt in die Wissenschaft. Der Mißbrauch von Autorität verleitete jugendlich-brausende Köpfe, alle Autorität selbst zu verwerfen und an deren Stelle die eigene individuelle Einsicht zu setzen . Autorität aber wird ge­ braucht, >>Weil der Einzelne mit allem seinem Wissen nur einen kleinen Teil der

17 Johann Sebastian Drey, Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie, in: Ar­ chiv für Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bistums Konstanz (1812) Erster Band, 5. 3-26. 18 Ebd . 5. 4. 19 Vgl . Ebd . 5. 7. 20 Ebd . 5. 12.

Die Grundlagen der Aufklärung

59

Zeit und des Raumes umfaßtDieser empirische und sinnliche Geist verdrang zuerst die Mystik, die doch die Seele des Christentums ist>als eines großen, die ganze Geschichte der Menschheit umfas­ senden Ratschlusses Gottes>auch der Begriff von der Kirche als von der ins Unendliche fortschreitenden Realisierung dieses RatschlusseS>aufzuräumen, und vieles als abgelebt und grundlos aufzugeben, weil man nur die Schale, aber den Kern nicht kannte; die Schale aber freilich alt und ungestalt geworden war>Alles Geschichtliche, Symbolische, Mystische suchte man zu verdrängen, weil man nun ein lauteres und klares Panacee gefunden hatte>Sich aus dem ihm einwohnenden

21 22 23 24 25 26

Ebd . S. 14. Ebd . S. 20. Ebd . Vgl . Ebd . S. 22 . Ebd . S. 25. Ebd . S. 25/26.

60

Philipp Schäfer

Lebensprinzip entwickelt hatte>Der Geist, welcher in unserer Zeit Euro­ pas Völker mit immer größerer Macht bewegt, ist seinem Wesen nach dem Christentum feindselig>nach gewissen allgemeinen Grund­ sätzen>Der ohnehin schon so beschränkte menschliche Geist>gerade bei diesem Verfahren, ohne es zu gewahren, gar leicht durch die in sei­ nem Zeitalter herrschenden Meinungen irre geleitet>einer ungläubi­ gen Philosophie oder gottlosen Politik gegenüber den Glauben und die Kirche zu verteidigendie Verteidigung des kirchlichen Glaubens und Lebens auf eine neue, ihnen eigene Weise unternommen, und sich darin von dem Einflüsse eben des Zeitgeistes, den sie bekämpfen wollten, nicht freizuhal­ ten gewußt>den Glauben an die göttliche Stiftung des Christentums als vernünftig zu rechtfertigen, bald auch der heiligenden Kraft 29 Vgl . Joseph Kleutgen, Theologie der Vorzeit vertheidigt, 3 Bde., Münster 1853- 1870, 2. Auflage in 5 Bden., Münster 1860- 1874, ders., Philosophie der Vorzeit vertheidigt, 2 Bde., Münster 1860- 1863. 30 Vgl . Bernhard Casper, Gesichtspunkte für eine historische Darstellung der deutschen katholischen Theologie im 19. Jahrhundert, in: Anton Rauscher (Hg.), Entwicklungslinien des deutschen Katholizismus, München-Paderborn-Wien 1973, S. 90. 31 Kleutgen, Theologie der Vorzeit S. 2. 32 Ebd . S. 3. 33 Ebd . S. 2. 34 Ebd . S. 3.

62

Philipp Schäfer

desselben auf die Herzen und das Leben der Menschen zu verschaffen>auch die Verachtung und die Bekämpfung alles dessen, was ehe­ mals gegolten, eigentümlich Lumiere < e >Aufklärung < . A proposito della presenza della filoso­ fia di Christian Wolff nell' Encyclopedie, in: Annali della Sc. Norm. Sup. di Pisa, Classe di Lett. e Filosofia. Serie III, Vol . XIV, 4, Pisa 1984, S. 1297- 1335.

74

Bruno Bianco

lyse der Schriften in einer ideengeschichtlichen Perspektive studieren . Man denke nur im Falle Italiens an den Nachdruck der Wolffschen Schriften in Venetien, 23 an die Verbreitung des WoHfianismus in Neapel-Sizilien, 24 oder an den wolffisch gefärbten Eklektizismus, der im berühmten Collegio Alberoni von Piacenza am Ende des 18. Jahrhunderts herrschte, als dort Vincenzo Buzzetti studierte, dem die Wiedergeburt des italienischen Thomismus zugeschrieben wird . 25

II.

Zur Gesch ichte des Wolffianismus in Österreich : Sigismund von Storchenau

Was Österreich betrifft, so w ird hier die Lage von dem bekannten Problem der Behauptung der Identität der Österreichischen Kultur, spezifisch der Österreichi­ schen Philosophie, gegenüber der deutschen, erschwert. Auch ohne auf den Kern einer immer noch offenen und lebendigen Diskussion einzugehen, 26 muß der Historiker trotzdem feststellen, daß es in der Österreichischen Philosophiege­ schichtsschreibung an Werken fehlt, die den Vergleich mit denen Zellers oder Wundts - den Blickwinkel auf die Zeit der Aufklärung beschränkend - aushal­ ten können. 27 Man vergleiche z.B. bei Wundt, dem wir eine noch heute unüber­ troffene Gesamtdarstellung der deutschen Aufklärungsphilosophie verdanken,

23 Bemerkenswert ist vor allem die erste Ausgabe der lateinischen Werke Wolffs (von der

Logica bis zur Philosophia practica universalis), die 1735 - 1739 in Verona vom Drucker und Buchhändler Dionisio Ramanzini veröffentlicht wurden. Über diese sowie andere veneti­ schen Ausgaben der Werke Wolffs und, im allgemeinen, über die Aufnahme Wolffs in Ve­ netien vgl . den jüngsten, dokumentierten Beitrag von F. L. Marcolungo, I.:eredita wolff­ leibniziana nella cultura veneta fra ' 700 e ' 800, in: La formazione di Antonio Rosmini nella cultura del suo tempo. Atti del 1° Convegno di Studi Rosminiani (Rovereto, 29. -31.5. 1986), Brescia 1988, S. 79 - 130. 24 Der Wolffianismus spielte eine nicht unwichtige Rolle in der philosophischen Bildung des Neapolitaner Abtes Antonio Genovesi. Vgl . die umfassende Monographie von P. Zam­ belli, La formazione filosofica di A. Genovesi, Napoli 1972. Auch in Sizilien fand das Wolff­ sche Denken Anhänger, wie z . B. Vincenzo Fleres aus Palermo (über ihn : V. Di Giovanni, Storia della filosofia in Sicilia, Palermo 1873, Bd. I, S. 359 - 371) . 25 Über Buzzetti und seine Bildung im Collegio Alberoni vgl . insbes. : A . Fermi, Origini del tomismo piacentino nel primo Ottocento, Piacenza 1959; G. F. Rossi, La filosofia nel Collegio Alberoni, il neotomismo e il Buzzetti, in: Aquinas 5 (1962), S. 101 - 121 . 26 In diesem Rahmen werden wir nur auf folgende Studien hinweisen: R. Bauer, Der Idealismus und seine Gegner in Österreich, Heidelberg 1966; W. M. Johnston, Österrei­ chische Kultur- und Geistesgeschichte, Wien/Köln/Graz 1974, 2. Auf!. 1980; R. Haller, Stu­ dien zur Österreichischen Philosophie, Amsterdam 1979; F. Heer, Der Kampf um die Österreichische Identität, Wien/Köln/Graz 1981. 27 E. Zeller, Geschichte der deutschen Philosophie seit Leibniz, München 1873, 2. Auf!. 1875; M. Wundt, Die deutsche Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung, Tübingen 1945 (Nachdruck : Hildesheim 1964) . Vgl . dazu die treffenden Bemerkungen von W. Sauer, Österreichische Philosophie zwischen Aufklärung und Restauration. Beitrag zur Geschichte des Frühkantianismus in der Donaumonarchie, Amsterdam 1982, S. [9] .

Wolffianismus und katholische Aufklärung

75

die umfassende Analyse der Wolff-Rezeption im protestantischen Deutschland28 mit den knappen Hinweisen auf das parallele Phänomen an den deutschen und Österreichischen Universitäten, 29 die aus den Studien des Jesuiten Jansen ent­ nommen sind . 30 Sicher ist uns dank der nunmehr klassisch gewordenen Forschungen Val­ javecs31 und Winters 32 die Bedeutung der Leibniz-Wolffschen Philosophie als geistiger Grundlage des Josephinismus bekannt, und wir verfügen auch über ei­ ne Vorstellung der Verbreitung des Wolffianismus in der Donaumonarchie. 33 Wir wissen, daß sich Wolff gerade zur Zeit seiner Vertreibung aus Halle vor seinen pietistischen Kollegen nicht zufällig - wie wir gesehen haben - dessen rühmte, daß auch die »Hoff-Jesuiten in Wien« seine >>Metaphysic>vor ein sehr nützliches Buch [ . . . ] auch selbst vor Theologos>Leur Logique n'est qu'un calque, plus ou moins fide­ le, mais toujours pitoyable, de celle de Wolff. Cependant, a l'aide de Ia puissante influence que Ia corporation dont ils etaient membres exen;ait dans l'enseignement des sciences et des Iettres, ils parvinrent a acm?diter Je dogmatisme Iogique, non seulement en Allemagne, mais encore en ltalie et meme en France« (bei Sauer, [wie Anm. 50], S. 40) . 67 Mit Ausnahme von Biwald, wie wir schon gesehen haben. ..

Wolffianismus und katholische Aufklärung

81

sehen Auffassung behandelt wurden, die sich an dem von Wolff und seiner Schu­ le ausgearbeiteten systematischen Modell orientierte. Die spezifische Struktur die­ ses katholischen Wolffianismus in seiner österreichisch-jesuitischen Prägung wollen wir eingehender prüfen, wobei die Figur und das Schaffen Sigismunds von Stor­ chenau als Beispiel dienen werden, der zu Recht >>als Höhepunkt der Wolff­ Rezeption durch die Österreichischen Jesuiten betrachtet werden kann«. 68 Storchenaus Ruhm hängt zweifellos mit seiner >>Philosophie der Religion>Der Glaube des Christen« hatte einen großen Erfolg und wurde ins Französische und Holländische übersetzt; 1895 erschien sogar eine vom lnnsbrucker Jesui­ ten Hugo Hurter (Wallner, S. 20) bearbeitete Neuauflage. 72 Beschreibung einer Reise, II. Bd., 3. Aufl 1788, S. 513: »Ich möchte hier auch wohl mei­ ne Leser, welche den Geist des Katholizismus nicht kennen, auf ein Buch aufmerksam ma­ chen, das unter dem Titel Philosophie der Religion in 7 Bänden 1772 bis 1781 erschienen ist. Zum Theil ist es aus dem Französischen mit sichtlichem Plagium genommen; aber es sind noch kräftige deutsche Brocken hinzugekommen. Ich bitte j eden gutherzigen Protestanten, welcher meint, dass alles schon so glatt und eben in der katholischen Welt ist, nur dieses Buch zu lesen, dass er sehe, wie, trotz der angenommenen Philosophie, alles was aus der Mutterkirche ist, verdammt wird. Der Verfasser ist der Exjesuit p. Storchenau« . Ähnliche, sarkastisch gefärbte Angriffe sind auch in den Rezensionen wiederzufinden, die die Allge­ meine deutsche Bibliothek ab 1775 (bd . 24, 1. Stück) den einzelnen Bänden der »Philosophie der Religion>Bibliothek« rezensierte schon bald - auch wenn im üblichen kritischen Ton - auch die »Geistlichen Reden« von 1784 (Bd . 64, II. Stück: 1785) und die »Seltnere Urkunde« von 1791 (Bd . 104, II. Stück: 1791) . 73 S o K. Feiereis, Die Umprägung der natürlichen Theologie i n Religionsphilosophie. Ein Beitrag zur deutschen Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts, Leipzig 1965, S. 226. Der Be­ deutung Storchenaus in der religionsphilosophischen Problematik sind besonders S. 227-236 gewidmet. 74 Ebd. , S. 235. 75 Die erste Auflage enthält beide Lehrbücher in 5 Bänden (Vindobonae, Typis Joh. Thom. Nob. de Trattnern) . 1779 erscheint die zweite Auflage der Logik, 1771 die zweite der Meta­ physik, jede selbständig (obwohl die beiden lateinischen Werke in den venetianischen Aufla­ gen von 1775, 1784, 1794, 1833 und in der ungarischen Ausgabe von 1798 weiterhin zusammen erschienen) . 1774 kam eine deutsche Bearbeitung der Logik unter dem Titel ••Grundsätze der Lo­ gik« in Augsburg heraus (sie wurde von der Allgemeinen deutschen Bibliothek rezensiert: Bd. 25, II. Stück [ 1775], S. 505-508) . Über die komplexe Geschichte der Ausgaben der lateini­ schen Lehrbücher Storchenaus, die bis 1833 mehrfach nachgedruckt wurden und auch in Ita­ lien und Südosteuropa (vgl. Röhling, S. 278-279) weite Verbreitung erlangten, siehe die übri­ gens nicht immer zuverlässigen bibliographischen Angaben bei Sommervogel, Bd. 7, Sp. 15971599 (wo auch eine ungarische Übersetzung der Logik [1820] und eine im Manuskript ange­ fertigte, jedoch nicht gedruckte englische Übersetzung desselben Werkes angezeigt werden) .

Wolffianismus und katholische Aufklärung

83

Zäsur, da gerade die Wolffsche Ausarbeitung der theologia naturalis76 auch bei Storchenau dem Entwicklungsprozeß zugrunde liegt, der zur Ausbildung einer eigentlichen Religionsphilosophie77 führte. Wir werden also versuchen, Storchenaus Wolffianismus, ausgehend von den >>Institutiones«, genauer von den »Institutiones metaphysicae«/8 zu prüfen. Im Rahmen dieser Darstellung haben wir - um eine Textanalyse zu ermöglichen - eine weitere Einschränkung mit der Auswahl des dritten Buches gemacht, das der »Psychologia« [IMP] gewidmet ist. Das Terrain der Psychologie als Lehre vom Menschen scheint uns nämlich aus mehreren Gründen für einen Vergleich mit den Wolffschen Lehren geeignet zu sein. Nicht nur das 18. Jahrhundert, »das so­ kratische Jahrhundert>Psycholo­ gia>Psychologia empirica>Psychologia rationalis>psychologia omnis in duas partes [ . . . ) Una est empirica, quae principia per experientiam nota constabilit: altera rationalis, quae illis fundamenti loco sub­ stratis interiorem animae indolem ratiocinando concludit>Psychologia>Psychologia empirica>Psy­ chologia rationalis>entwickelt, dem ein abschließendes Kapitel, >>De Animabus Brutorum«, folgt. 85 Auch Storchenaus p ars rationalis ist zwar in vier Abschnitte unterteilt, sie läßt aber das Wolffsche Programm einer Ableitung der Seelenvermögen fallen und räumt dagegen den pneumatologischen Fragen grö­ ßere Bedeutung ein . Die Sectio I: De Natura Animae Humanae (§§ 131 - 166: IMP, 183- 261) verteidigt nämlich die Lehren von der Geistigkeit und Einfachkeit der Menschenseele, obwohl sie w ichtige, damit verbundene Fragen wie die Denkfä­ higkeit der Materie (Caput IV, §§ 148 - 155: IMP, 223M232) und die Geburt der Seele (Capur VI, §§ 161 - 166 : IMP, 240- 261) behandelt, während die Sectio II ganz dem Commercium Animae cum Corpore (§§ 167- 201 : IMP, 262 - 311) ge­ widmet ist, wobei die Leibniz-Wolffsche Harmonie entschieden abgelehnt und der Influxionismus verteidigt wird . Die Sectio III befaßt sich auf der Grundlage des Lockeschen Sensualismus mit >>De Idearum Natura et Origine>Psychologia rationaliS>de Bestiarum Anirnis Psychologia rationalis < de Christian Wolff, in: Giornale di Metafisica 24 (1969), 5. 499531; Introduction de l'E diteur (zur Herausgabe der Psychologia rationalis), WGW 1116, 5. V-LVIII .

86

Bruno Bianco

umfaßt die facultas sentiendi, die facultas imaginandi und die memoria . Die Be­ trachtung der facultas cognoscendi superior schließt ihrerseits Aufmerksamkeit und Reflexion (facultas attendendi et reflectendi), den Verstand und die Vernunft mit ein und endet - wie der entsprechende Abschnitt im Wolffschen Werk mit einem Kapitel über die Gewohnheiten. Das Schema ist also gleich, und auch die Behandlung des Stoffes orientiert sich in ihren Grundlinien an den Wolff­ schen Lehren. Trotzdem fehlt es nicht an bedeutungsvollen Akzentverschiebungen sowie an entgegengesetzten Stellungnahmen, die erkennen lassen, daß Storchenau zu ei­ ner auch anderen Einflüssen offenstehenden Generation gehört, die darum nicht bereit ist, die Autorität des Lehrers bedingungslos zu akzeptieren . So vertieft Stor­ chenau, trotz der Bemerkung, daß >>nec sola anima, nec solum corpus sentit; sed anima cum corpore coniuncta>ad illos qui anatome operam dant>Wille, Absicht«, aber auch von der l3ouA.eucnc; , >>BeratungSi voluntas sit appetitus rationalis, actum est d e libertate nostra, quam tarnen dein­ ceps demonstravimus. Est enim appetitus in genere causa necessaria, ejusque actus ex repraesentatione boni et mali, velut sua ratione sufficiente (§ 92) necessario profluunt, ne­ que impediri possunt, nisi quatenus nonnunquam eae perceptiones removentur [ . . . ) Et alio­ quin inter duos hos appetitus aliud discrimen non est, quam quod ibi repraesentatio boni sit confusa; hic distinta; caeterum omnia sunt paria: si igitur appetitus sensitivus non libe­ re, sed necessario agat, quod ejus ratio sufficiens sit reprasentatio boni confusa, ut ipsi Leib­ nitiani ultro fatentur, et si illi inficiari vellent, bruta loquerentur: pariter appetitus rationalis non libere, sed necessario aget, quod ejus ratio sufficiens sit repraesentatio boni distincta : quid enim distinctio illa efficiet? Anne ipsa sola totum libertatis pondus sustinebit>qui [ . . . ] intellectu et ratione, quae omnis libertatis radix est, 100 ad eam evertendam abutunturTotius libertatis radix est in ratione constituta« (De Veritate, q . 24, a . 2 in c . ) . 101 Tractatus d e gratia e t Iibero arbitrio, cap. I : >>Habet sane (voluntas), quocumque se volverit, rationem comitem, et quodam modo pedissequam : non, quod semper ex ratione, sed quod nusquam absque ratione moveatur, ita ut multa faciat per ipsa contra ipsam, hoc est, quasi per ejus ministerium contra ejus consilium [ . . . ) Est vero ratio data voluntati, ut instruat illam, non ut destruat: destrueret autem, si necessitatem ei ullam imponeret, quo minus libere pro arbitrio sese volveret, sive in malum consentiens appetitui [ ] sive ad bonum [ . . . ] Si inquam horum quodlibet prohibente ratione voluntas non posset, voluntas jam non esset; ubi quippe necessitas, jam non voluntas (libera)« (bei Storchenau : IMP, 135). 102 >>Ceterum, cum conscientia teste frequenter de rerum electione deliberare, ac consul­ tare soleamus, probe advertendum est, id genus consultationem minime requiri ad volitio­ nem, seu electionem qua liberam, sed solum qua providam et prudentem; ad illam enim .sufficit, repraesentatio boni [ . . ) Deliberamus igitur libere, non ut libere velimus, sed ut vera bona libere velimus, utque volitiones nostras liberas ad rationis praescriptum confor­ memus« (§ 123, Schol. : IMP, 142) . . . .

.

Wolffianismus und katholische Aufklärung

91

Bedingungen der freien Wahl nicht nur Clarke, Le Clerc und manche >>ex Leibni­ tiana familia>perillustris de Martini>De Existentia Libertatis Humanae>universalis omnium hominum con­ sensio>Dictionnai­ receleberrimus P. Mak6>Status indifferentiae non tollitur [ . . ] sine ratione sufficiente, per quam intelligi­ tur, cur potius objectum datum appetamus, quam aversemur>Ita praeclare, si superis placet, Wolfi­ USEncyclopediePhilosophus Berolinensis>anima humana est substan­ tia spiritualis>COrpus et spiritus sund quidem entia toto genere diversa; at corpus tarnen habilita­ tem habet, ut tamquam subjectum a spiritus [ ! ] velut forma perficiatur>anima eatenus solum corporis forma est, quatenus eidem dominatur, illud regit [ . . . ] Quin si accurate loqui velimus, ea non tarn forma corporis, quam hominis dici debet, id est illius compositis [ ! ] , quod homo dicitur>de sede animae« erörtert wird, tritt dieser Dualismus zutage, der auch den zwei konkurrierenden Systemen zugrunde liegt, und er verrät seine Cartesische Herkunft: Unter Be­ zugnahme auf die neuesten physiologischen Lehren 120 wird behauptet, daß >>anima quoad suam substantiam non est actu in toto corpore, sed solum in cere-

115 M. Knutzen, Commentatio philosophica de commercio mentis et corporis per influ­ xum physicum explicando, Königsberg (2. Auflage Leipzig 1745, unter dem Titel: Systema causarum efficientium); J. P. Reusch, Systema metaphysicum antiquiorum atque recentio­ rum item propria dogmata et hypotheses exhibens, Jena 1735, 3. Aufl. 1753. 116 Fabian (wie Anm. 114), S. 67-71 . 117 Ebd . 118 Er geht von der Feststellung aus, daß zwischen den körperlichen und seelischen Phä­ nomenen Übereinstimmung besteht (Kap. I, §§ 168- 175 : IMP, 263-269) und befaßt sich dann mit der nicht mehr empirischen Frage nach dem Grund dieser Übereinstimmung, die sehr vernünftig auf ein wirkliches, wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis zurückge­ führt werden kann (Kap. II, §§ 176 - 182: IMP, 269-274) . Es werden dann (Kap. III, IV, V, §§ 183-201 : IMP, 275 -311) die drei konkurrierenden Systeme analysiert, von denen sich nur der Influxionismus als dazu fähig erweist, diese gegenseitige Abhängigkeit zu be­ gründen. 119 Unter den vielen Gegnern der prästabilierten Harmonie (§ 118, Schol. : IMP, 281) wer­ den Foucher, Bayle, F. Lamy, Newton, Clarke, Tournemine, Stahl und Hollmann unter den älteren, Reinbeck, Richter, Knutzen, Genovesi, Darjes und der italienische Minorit Fortu­ nato da Brescia (Fortunatus a Brixia) unter den jüngeren genannt. Nicht erwähnt sind dage­ gen Lange und nicht einmal Budde und dessen Schwiegersohn Walch, die zusammen mit Rüdiger zu der ersten Phase der Auseinandersetzungen mit der Wolffschen Lehre gehören. 120 Neben Boerhaave und Descartes wird Albrecht von Haller genannt. Im Scholion zu § 169 werden die Meinungen der Alten (von Empedokles und Demokritos über Plato und Aristoteles bis zu den Stoikern) und der Neueren 0. B. van Helmont, K. Digby, Descartes, La Forge, T. Bartolini, Lancisi, C. J. Berger, La Peyronie) aufgezählt.

Wolffianismus und katholische Aufklärung

95

bro« (§ 169 : IMP, 263-265), und nach Ablehnung der Cartesischen Hypothese (>>anima probabilius non residet in glandula pinealk § 170: IMP, 265) wird ange­ nommen, daß >>anima probabilius residet in corpore calloso cerebri>De idearum Natura et Origine>Hoc ipso solum, quod mens habeat ideam cujusdam objecti, jam illu d percipitIdea a perceptione realiter non distinguituridem Lockius docetOm­ nes ideae nostrae ope facultatum animae intimo sensu cognitarum efficiunturhaec est opinio Lockii, ac hodie fere communis inter melioris notae philoso­ phoS>Essay>Sed neque, quae objiciuntur multum habent ponderis>lta non satis mirari possum hunc [ Genovesi] tanta subinde confidentia tamquam ex tripode de Lockio pronunciasseTurpe est philosopho asserere, quod probare nequeat, pugnatque cum ae­ quitate naturali tribuere auctori errorem, qui in ipsius scriptis clare non contineturDe Necessaria Dei Voluntate, ut Anima Humana per­ petua exista et vivat« (§§ 249- 263 : IMP, 372-405) trägt, daß Storchenau den ethisch-teleologischen Beweis vollkommen entfaltet, indem er auf die endlose göttliche Güte, Weisheit und Gerechtigkeit Bezug nimmt, die die Befriedigung der auf der Erde unbeantwortet gebliebenen menschlichen Bedürfnisse in der Ewigkeit einer überirdischen Existenz fordern . Ein roter Faden verbindet diese Überlegungen Storchenaus mit den Ausführungen der deutschen Spätaufklärung (von Spalding über Basedow bis Mendelssohn) 126 wie auch mit den Postulaten der praktischen Vernunft Kants und der Überzeugung Goethes von unserer Fort­ dauer: 1Zl Es ist eben der ethische Glaube an die menschliche Unsterblichkeit, für die Gott der höchste Bürge ist . Analog zu Wolffs »Psychologia rationalis« (De Animabus brutorum, §§ 749-770: WPR, 665 - 680) schließt Storchenaus Lehrbuch mit einem Anhang »De Bestia­ rum Animis« (§§ 264-279 : IMP, 406-435), der zwar nicht ohne ein gewisses Ver­ gnügen vorgestellt wird, 128 der sich jedoch auf eine Frage bezieht, die in der Neuzeit ein breites Echo, insbesondere im skeptisch-freidenkerischen Kreis, ge­ funden hatte, 129 und die gerade um die Jahrhundertwende u.a. von Bayle mit 124 Als erste Orientierung vgl . Dessoir (wie Anm. 82), S. 461 -466 u .ö. 125 Im breiten Scholion zu § 248 (IMP, 362- 372) zitiert Storchenau Seneca, Macrobius, Cicero, Plato und weitere Zeugnisse aus der Antike unter Hinweis u . a . auf die Modernen Grotius (Oe veritate religionis christianae) und Stanley (wie Anm. 103) . Ein gewisser Raum wird auch den Zeugnissen »ex populis recentius cognitis, quantumvis barbaris« (IMP, 367) in der Darstellung des Abbe Antoine Banier (Histoire generale des ceremonies, moeurs et coutumes religieuses des tous !es peuples du monde, 7 Bde . , Paris 1741) gelassen : er­ wähnt sind Japaner, Chinesen, Siamesen, dann die Einwohner der Inseln Sokotra und Gui­ nea sowie die Bevölkerungen Nord- und Südamerikas. 126 Dessoir (wie Anm. 82), S. 462-463. 1Z7 Man sehe die bekannte Äußerung an Eckermann vom 4.2. 1829: »Die Überzeugung unserer Fortdauer entspringt mir aus dem Begriff der Tätigkeit; denn wenn ich bis an mein Ende rastlos wirke, so ist die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Daseins anzu­ weisen, wenn die jetzige meinen Geist nicht ferner auszuhalten vermag« (J. P. Eckermann, Gespräche mit Goethe : J. W. Goethe, Werke, Gedenkausgabe hg. von E. Beutler [Artemis­ Ausgabe], Zürich/Stuttgart 1948 ff. , Bd. 24, S. 308) . 128 »Nunc pauca de bestiarum animis; quod res haec multum turn jucunditatis, turn con­ nexionis cum praecedentibus habet« (§ 269 : IMP, 406) . 129 Über die > Theriophilie von Montaigne, Charron, La Mothe le Vayer und ihre An­ hänger im XVII. Jahrhundert sowie über die entgegengesetzte mechanistische Auffassung
>Rorario>Dictionnaire>anima bestiarum est ens simplexcogitatanalogum rationis>oberflächlicher Eklektizismus>eine zentrale intellektuelle Tugend der Aufklärung Unparteilichkeit Synkretismus philosophia electiva < der > philosophia sectaria < entgegen, die den Autoritätsglauben zu ihrer einzig gülti­ gen Regel gemacht hatte. 139 In diesem Sinne kann man richtig sagen, daß »Eklek­ tizismus, Selbstdenken, Mündigkeit Eklektizismus < im abwertenden Sinne im Kreis der deutschen Idealisten in Fichtes >>Friedrich Nicolais Leben und sonderbare Meinungen>[ . . . ) ich scheue mich nicht zu gestehen, dass seitdem ich die mich um­ gebende Welt kenne und selbst eine Meinung habe, nichts mir verhasster und verächtli­ cher gewesen ist, als die elende Behandlung der Wissenschaften, da man allerlei Fakta und Meinungen, wie sie uns unter die Hände kommen, zusammengerafft, ohne irgend einen Zusammenhang oder einen Zweck, ausser dem, sie zusammenzuraffen und über sie hin und her zu Schwatzen; da man über alles für und wider disputirt, ohne sich für irgend etwas zu interessiren, oder es ergründen auch nur zu wollen; und in allen menschlichen Kenntnissen nichts erblickt, als den Stoff für ein müssiges Geplauder, dessen Haupterfor­ derniss dies ist, dass es eben so verständlich sei am Putztische, als auf dem Katheder; jene schale Wisserei und Stümperei, Eklektizismus genannt, die ehemals beinahe allgemein waren und auch gegenwärtig noch sehr häufig angetroffen werdenEncyclopedie>Ut quemadmodum ego haec dum scriberem Eclecticorum philosophandi libertate usus sum, ita et tu, si tantum abs rebus tuis tibi ocii est, ut de his iudicare velis, eadem libertate fruaris oportet. Solemnen enim hanc habeo edictionem, me cum iis qui sacramento rogati uni se sectae mancipaverunt, negocium non habere. Nam hos philosophos esse non censeo : praecipue quum quidam sint, qui prius se aristoteleos, cartesianos aut newtonianos esse oportere censerunt quam Aristotelis, Cartesii aut Newtonii dog­ mata noscerent>libertas philosophandi Systematikers < Wolff, als Ausdruck der deutschen Hochaufklärung, mit den eklektischen Neigungen der Früh­ und Spätaufklärung einer Revision bedürftig zu sein . Diese Gegenüberstellung tut sich u.a. auch im Dreiteilungsschema des Standardwerks von Wundt (wie Anm . 6) kund . 145 I Thes. 5, 21 : >>Ümnia autem probate; quod bonum est tenete«. 146 Vgl . die erste programmatische Schrift, die dieses Thema ausdrücklich behandelt : A. Steuchus, Oe perenni philosophia libri X, Lugduni 1540. Sie ist im Kreis des christli­ chen Platonismus von Pico und Ficino entstanden . Wie bekannt, hat Leibniz an Steuchus angeknüpft, indem er in seiner christlich-universalistischen Auffassung von einer >>peren­ nis quaedam philosophia« sprach : >>[ . . . ] En faisant remarquer ce traces de Ia verite dans !es anciens, ou (pour parler plus generalement) dans !es anterieurs, on tirerait l'or de Ia boue, Je diamant de sa mine, et Ia lumiere des tenebres, et ce serait en effect perennis qua­ edam Philosophia« (Brief an N. Remond vom 26.8. 1714: Philos. Schriften [ Gerhardt], Bd. III, S. 624-625 ) .

Wolffianismus und katholische Aufklärung

103

für den eine größere Schöpferkraft notwendig gewesen wäre. Wenn aber die Le­ benskraft und Wirksamkeit der Philosophie an ihrer Fähigkeit gemessen werden können, zur Verbreitung der Ideen durch Vermittlung und kritische Auseinan­ dersetzung beizutragen, so verdienen Storchenau und die Jesuitenaufklärung in Ö sterreich eine größere Aufmerksamkeit als die, die ihnen von der Geschichts­ schreibung bisher geschenkt worden ist. Der vorliegende Beitrag ist sich des exem­ plarischen und somit begrenzten Charakters der durchgeführten Analyse bewußt; sie müßte sicherlich durch eine ebenso analytische Untersuchung der anderen Teile von Storchenaus Lehrbuch der Metaphysik ergänzt und mit der Wolff­ Rezeption in den anderen Teilen der Habsburger Monarchie sowie im katholi­ schen Deutschland verglichen werden . Man müßte dann auch diese Rezeption in einer diachronischen Perspektive studieren, d . h . die Entwicklung des katholi­ schen Wolffianismus in der späteren Phase des Übergangs zur Restauration in Ö sterreich, in der franziszeischen Zeit - verfolgen . Nur eine solche analytische und gleichzeitig synthetische Arbeit kann den Weg zum besseren Verständnis des Ausmaßes, der Art und somit auch der Bedeu­ tung der Begegnung von Wolffianismus und katholischer Aufklärung einen. Trotz dieser Grenzen haben wir am Beispiel von Storchenaus Lehre vom Men­ schen die Lebenskraft und die Eigenständigkeit dieses katholischen Wolffianis­ mus in seiner besonderen österreichisch-wienerischen Prägung zu zeigen versucht. Seine Offenheit gegenüber den zahlreichen Gedankenströmungen der nicht nur deutschen sondern auch westeuropäischen Aufklärung, sein Interesse für die neuesten Errungenschaften der wissenschaftlichen Forschung und schließ­ lich seine kritische Selbständigkeit sind unseres Erachtens ein überzeugender Be­ weis für die Lebendigkeit und Intensität der Österreichischen Aufklärungsbe­ wegung, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch auf dem Gebiet der Philosophie am geistigen Dialog Europas gleichberechtigt beteiligt war.

Heribert Raab t (Fribourg) Die »katholische Ideenrevolution« des 18. Jahrhunders . Der Einbruch der Geschichte in die Kanoistik und die Auswirkun­ gen in Kirche und Reich bis zum Emser Kongress »Katholische Ideen-Revolution>Geschichte des kanonischen Rechts bis auf die Zeiten des falschen Isidor« den Ruf nach Göttingen erhalten hatte, jene vielschichtige, widerspruchsvolle Begegnung, die gewöhnlich mit dem uferlos gewordenen Begriff »Katholische Aufklärung>Die katholische Beur­ teilung des Aufklärungszeitalters« und zur Charakteristik der kirchlichen Aufklärung, Es­ sen 1910; ders., Die kirchliche Aufklärung am Hofe des Herzogs Kar! Eugen von Würtemberg, Freiburg i. Brg. 1906. 4 Alexander Rösch, Ein neuer Historiker der Aufklärung . Antwort auf Professor Merk­ les Rede und Schrift: Die katholische Beurteilung des Aufklärungszeitalters. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung, Essen o.J.

Die >>katholische Ideenrevolution>Pelagianischen Hochmut des erleuchteten Jahrhunderts, das sich selbst selig machen will und keinen Erlöser und Mittler mehr brauchtmetaphysisch abstracten ausvernünftelten nach heutiger Mode der Dei­ sten geförmelten Begriffen . daß [ . . . ] die Väter, wie es von manchem gewünscht werde, auch die Kirchengeschichte, die Lehre von den Konzilien und die Kirchenväter gesondert vortragen sollten, das hätten, wie sie recht wohl wüßten, schon öfter am meisten die Ketzer gewünscht, denen sie - wie den eben > schwebenden < Jansenisten - keinen besseren Dienst erweisen könnten, als wenn sie die theologischen Subtilitäten [ . . . ] beseite setzten [ . . . ] und nur a posteriori auf verschiedene Autoritäten sich beziehen wollten, die von jenen leicht zu negieren oder zu verachten wä­ ren. « Ernil Clemens Scherer, Geschichte und Kirchengeschichte an den deutschen Universi­ täten. Ihre Anfänge im Zeitalter des Humanismus und ihre Ausbildung zu selbständigen Disziplinen, Freiburg i.Brg. 1927, S. 279.

108

Heribert Raab

Der Einbruch der Geschichtswissenschaft als relativistischer Denkungsart in das katholische Kirchenrecht scheint sich an den deutschen katholischen Universitä­ ten zuerst in Würzburg vollzogen zu haben. 12 Dort hatten, von den Fürstbischö­ fen Greiffenclau, Hutten und Friedrich Karl von Schönborn, dem ehemaligen Reichsvizekanzler, auch aus staats- und kirchenpolitischen Interessen gefördert, historische Forschungen und Studien einen beachtlichen Aufschwung genommen; dort hatten Schannat, 13 Gropp und der Leibnizschüler Eckhardt, 14 der nach sei­ ner Konversion zur katholischen Kirche die Stelle eines Hofhistoriographen erhält, Materialien zur Geschichte der deutschen Konzilien und kirchlichen Rechtsgeschich­ te gesammelt. In bewußtem Gegensatz zur ratio studiorum der Jesuiten, bei de­ nen er als Zögling des Germanieums in Rom die Grundlagen seiner Bildung erhalten hatte, hatte Fürstbischof Friedrich Karl in seinen Studienordnungen be­ sonderen Wert auf die Kirchen- und Konzilsgeschichte sowie auf das Quellenstu­ dium gelegt. Die auf diese Weise bewußt angestrebte Erkenntnis >>Olim non erat sie«, die historische Erklärung päpstlicher Machtentfaltung als eine Folge der Isido­ rischen Fälschungen und der Kanonistik des Hochmittelalters, werden zur Grund­ lage eines kirchenrechtlichen und kirchenpolitischen Programms und beginnen, sich in Verbindung mit dem durch die Geschichtsforschung gestützten Reichs­ patriotismus im Episkopalismus der deutschen geistlichen Fürsten auszuwirken . Aus der Geschichte beginnt Johann Kaspar Barthel, 15 den einer seiner bedeu­ tendsten Schüler den Restaurator der Kirchenrechtswissenschaft genannt hat, 16 die

u Sebastian Merkle, Die 'krtretung der Kirchengeschichte in Würzburg bis zum Jahre 1879, in: Max Buchner (Hg.), Aus der Vergangenheit der Universität Würzburg. Festschrift zum 350jährigen Bestehen der Universität, Berlin 1932, S. 146-214; Scherer (wie Anm. 11); H. Huss, Die Geschichtswissenschaft an der Universität Würzburg von der Gründung der Universität bis zur Auflösung des Jesuitenordens, Masch . Phil. Diss. Würzburg 1940; Otto Meyer (Hg.), Friedrich Kar! von Schönborn . Fürstbischof von Würzburg und Bamberg. Studienordnung für die Universität Würzburg, Nachdruck der 1. Auflage aus dem Jahre 1743, Würzburg 1980. 13 WJihelm Engel, J. F. Schannat, in: Archivalische Zeitschrift 3.F., Bd. XI (1936), S. 24-103; Leon Halkin, Lettres inedites du Bollandiste du Sollier a l'historien Schannat (1721 -34), in: Analeeta Bollandiana 62 (1964), S. 226-256. 14 Heribert Raab, Biographisches über den Würzburger Hofhistoriographen Johann Ge­ org von Eckhardt, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 18/19 (1956/57), S. 212-216. 15 Heribert Raab, Johann I>Ho­ diernum apud Rhenanos Sacrae Thernidis oraculum«; »Vir de omni iure ecclesiastico in Ger­ mania optime meritus« usw.

Die >>katholische Ideenrevolution« des 18. Jahrhunderts

109

römische Politik zu enthüllen. Aus der Geschichte, nicht aus dem aufklärerischen Naturrecht, lehrt er die deutsche Kirche ihre Rechte und Freiheiten fühlen. Restau­ ration der >>Ursprünglichen Kirchenverfassung«, Vollendung der Reformen des 15. Jahrhunderts, der Konzilien von Konstanz und Basel, 17 das ist das Programm, das unter dem Schutz der Fürstbischöfe aus dem Hause Schönborn Gestalt ge­ winnt, nach und nach auf den kanonistischen Lehrstühlen durchdringt und zu­ nehmend Politik der geistlichen Höfe zu bestimmen beginnt. Als Schüler Prosper Lambertinis, des späteren Papstes Benedikt XIV. , der den Maurinern nahestand, 18 hatte Barthel während seines Aufenthalts in Rom 1725-27 sich mit der historisch-kritischen Methode vertraut gemacht, das Ius canonicum gründlich studiert, Kurialstil und Kurialpraxis kennengelernt, vermutlich auch das bourbonisch-sizilische Staatskirchenrecht Von Kardinal Lambertini empfohlen, wur­ de der noch nicht 30jährige bei seiner Rückkehr aus Rom 1727 Regens des Würz­ burger Priesterseminars und führte die Alumnen in das Studium des kanonischen Rechts und der Kirchengeschichte ein . 1727 erfolgte gleichzeitig seine Ernennung zum Professor des kanonischen Rechts in der Juristischen Fakultät der Universität Würzburg. Den Auftrag seines Fürstbischofs Friedrich Karl, ein jus ecclesiae ad statum ecc­ lesiae Germanicae accomodatum zu lehren, hat Barthel während 40 Jahren, zwi­ schen 1727 und 1771, als Professor des kanonischen Rechts und als Regens des Würzburger Priesterseminars zu erfüllen versucht. Darüber hinaus war er als Geist­ licher Rat seit 1728 bestrebt, dieses Kirchenrecht zur Anwendung zu bringen. Barthel und seine Schule richten unter dem Gebot der kirchenpolitischen Ak­ tualität ihre besondere Aufmerksamkeit auf die reichskirchliche Tradition, die Kon­ kordate von 1122, 1446, 1448, auf Asylrecht und Appellationen, auf den ganzen Komplex der Reichsgrundgesetze, den Westfälischen Frieden vor allem und die Kaiserliche Wahlkapitulation . E s wäre jedoch verfehlt, aus dem Auftrag Schönborns a n Barthel eine Frontstel­ lung gegen Rom im Sinne des josephinischen Staatskirchenturns oder der radika­ len Aufklärung herauslesen zu wollen . Bekämpft werden sollten der >>Bellarmi­ nismus«, der >>Hildebrandismusspanischen Metaphysicationen>Pessima erit occupatio, si moderationes fines excedat. Utile, innoxium, et christiano viro dignum studiorum genus est, quod sobrie sapere, aliis prodesse, Veritatem sequi; ac Dei Gloriae et Proximorum Saluti bene consulere sibi proponit«, zit. nach Alfred Auer, Der Historiograph Anton Raschmann (1694- 1760), in : Innsbrucker Historische Studien 4 (1981), S. 95.

110

Heribert Raab

ehe Behandlungsweise des Kirchenrechts durch die historisch-pragmatische. Er gab den entscheidenden Anstoß zur Bearbeitung des Reichskirchenrechts, zur quellen­ mäßigen Detailforschung im Bereich der kirchlichen Rechtsgeschichte der Germania Sacra und machte Generationen von Theologen und Juristen mit der historisch­ pragmatischen Methode, mit einer neuen Sicht des Reichskirchenrechts vertraut. In seinen Lehrveranstaltungen und Dissertationen folgte Barthel der historischen Methode de Marcas (gest. 1662), Van Espens (gest. 1728), Prosper Lambertinis und Justus Henning Böhmers. Anregend gestaltete sich sein freundschaftliches Verhältnis zu seinem Fakultätskollegen Johann Adam von Ickstatt. Barthel ist mit seinen Aus­ führungen über die Religion als die sicherste und beste Grundlage des Staates, mit der Ablehnung einer naturrechtliehen Religionsfreiheit, aber bei ausdrückli­ chem Bekenntnis zum Religionsfrieden im Reich, mit dem Kampf gegen die aus Pseudoisidor abgeleiteten absolutistisch-monarchischen Ansprüche und Rechte des Papsttums - die Bischöfe regieren Iure proprio - ein bedeutender Vertreter der kanonistischen Vermittlungslehre von durchaus katholisch-kirchlicher Ge­ sinnung. Wesentliches und Unwesentliches im Kirchenrecht unterscheidend, will er die fürstbischöfliche Souveränität auf politischem und kirchlichem Gebiet nach oben wie nach unten wissenschaftlich begründen, den fürstlichen Bischöfen vollkommene Macht über ihre Herde sichern, soweit sie zur Leitung derselben notwendig ist, und damit einen Ausgleich schaffen zwischen Tradition und Reform­ absichten. Der Aufklärung wird man - auch wenn manche seiner protestantischen Zeit­ genossen das tun - den Würzburger Kanonisten nicht zurechnen dürfen . Unein­ geschränkt gelten für ihn die traditionellen Werte des religiösen und kirchlichen Lebens. Von dem an den kurfürstlich-erzbischöflichen Höfen unter einigen seiner Schüler herrschend werdenden Febronianismus, oder besser Archiepiscopalismus, wird er abzugrenzen sein, wie seine Distanzierung gegenüber Febronius oder der Streit um die Exemtion Fuldas und das Pallium mit dem Mainzer Kanonisten und Weihbischof Ludwig Philipp Behlen19 zeigen. Doch drängt sich der Eindruck auf, daß Wissenschaftsgläubigkeit und das Vertrauen in die Geltung persönlicher Wahr­ heitsfindung schon Barthel, mehr noch seine Schüler, gelegentlich vergessen ge­ macht haben, daß es dem kirchlichen Lehramt und nicht den Gelehrten zukam, kraft Autorität den wahren Sinn der Tradition zu definieren. Barthels Ideen wurden an fast allen katholischen Universitäten verbreitet und durch seine Schüler weiterentwickelt, in Würzburg und Bamberg durch Johann Nepomuk Endres20 und Franz Ludwig von Erthal, den Barthel gern als seinen

19 Heribert Raab, Der Mainzer Weihbischof Ludwig Philipp Behlen (1714- 1777), in: Main­ zer Almanach 1968 (1%8), S. 269-274; Friedrich Merzbacher, Der Streit um das Palliums­ recht der Würzburger Fürstbischöfe von 1752- 1755, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 125 (1951-52}, S. 330-338; Hatto Kallfels, Der Streit um das Mainzer Metropolitanrecht nach der Errichtung des Bistums Fulda, in: Festschrift für A. Ph . Brück, Mainz 1973, S. 299-318. 20 Friedrich Merzbacher, Der Kanonist Johann Nepomuk Endres (1730- 1791), in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 139 (1970), S. 42-68.

Die >>katholische Ideenrevolution« des 18. Jahrhunderts

111

Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Kirchenrecht gesehen hätte, in Köln durch Franz Karl Joseph von Hillesheim, 21 den einflußreichen Ratgeber des Kurfürsten Max Friedrich, Rektor der Universität und mit Hontheim und Deel Verfasser der in febronianischem Geist gehaltenen Kohlenzer Gravamina von 1769. An der Uni­ versität Heidelberg fanden die Ideen Barthels Eingang durch den Kanonisten Phi­ lipp Anton Schmidt, den späteren Weihbischof von Speyer, in Mainz durch den Historiker Peter Anton von Frank, den späteren Reichsreferendar in Wien, und den Kirchenhistoriker Johannes Jung, in Salzburg durch Johann Michael Bönike, den Berater des Erzbischofs Colloredo und Vertreter des Erzstifts auf dem Emser Kongreß, in Trier schließlich durch Georg Christoph Neller, der im Dienst der Familie Schönborn hochgekommen war und von Kurfürst Franz Georg, dem deut­ schen Cato und klugen Vater des Reiches, bald nach dem Frankfurter Wahlkon­ vent an seine Hochschule geholt wurde, nicht ohne Zutun des Prokanzlers und späteren Weihbischofs Hontheim und gegen den Widerstand der Jesuiten . Neller, 22 der 1746 seine >>Principia j uris ecclesiastici catholicorum ad statum Germaniae accomodatum>zwischen der gegründeten Macht des Papstes in kirch­ lichen Dingen und den bloßen Anmaßungen der Römischen Kurie zu unterschei­ den und so die richtige Grenzlinie zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt zu ziehen wisse. Neller - darin stimmen die zeitgenössischen Quellen überein - >>ward der Vater der kanonistischen Gelehrsamkeit in Trier>uomo di molto dottrina, ma ehe ama di farsi un nome col pubblicare opinioni, ehe abbiano della novita, e massime nelle materie bene­ ficiarie, e puo far torto alla Dataria Apostolica, e collazione di farlodie neue Generation auf alle Weise zur Ausbildung des Geistes veranlasst . >Cer­ turn est, quod absque studio historiae ecclesiasticae nec ·perfecte Patrum, nec intima theo­ logiae possit adquiri intelligentiakatholische Ideenrevolution« des 18. Jahrhunderts

115

Wesentlich von der Geschichte her wird die Unterscheidung von Essentialia und Accessoria in der Kirche, ihrer Verfassung, ihren Geboten, Feiertags- und Fasten­ geboten etwa, ihrer Liturgie usw. getroffen . Von der Geschichte her geht immer stärker die Faszination von der reinen, ide­ alen Kirche der Frühzeit aus - >>ubi purior vigebat ecclesia disciplina>Revolutiones«, von der von Gott zuge­ lassenen Züchtigung der Kirche durch weltliche Potentaten, von dem religiös be­ reits lau gewordenen >>Pöbel«, der das Zufällige der Religion von dem Wesent­ lichen nicht zu trennen wisse, daher beides von sich werfe, und untauglich wer­ de, ein guter Bürger zu sein . Von den staatskirchlich-josephinischen Reformen, auch wenn ihre positiven Auswirkungen anerkannt werden, befürchtet man weitgehende Unterordnung der Kirche unter den Staat, ja ihre Bevormundung und Unfreiheit . Von der schön­ geistigen Literatur sieht man Gefahren ausgehen für die Studien, die Sitten und die vor allem für den Priesterberuf notwendige Askese. Daher die Kritik des Würz­ burger Kanonisten Endres an dem Briefwechsel des Würzburger Kirchenhistori­ kers Berg mit Wieland in Weimar; daher auch der Abwehrkampf gegen die seichte monachomachische Literatur, die tendenziöse Reiseschriftstellerei radikaler Auf­ klärer. Eine ähnliche Bedeutung wie sie dem Ideal der Ecclesia primitiva in der katho-

116

Heribert Raab

lischen Aufklärung, insbesondere in den Schriften der vorjosephinischen Kano­ nisten, zukommt, muß ihren Vorstellungen von Kaiser und Reich beigemessen werden . In den geistlichen Fürstentümern, wo jede Geschichtsforschung und Darstel­ lung, selbst wenn sie sich auf die Grenzen des Territoriums beschränken wollte, bei den Häuptern der mittelalterlichen Welt, bei Kaiser und Papst beginnen und enden mußte, war auch in der Zeit der Aufklärung noch jener Zugang zum Ver­ ständnis des Reiches und des Kaisertums nicht versperrt, den anderwärts die Romantik erst wieder frei zu machen begann. In den geistlichen Fürstentümern hatte keine Glaubenstrennung die Kontinuität mit dem katholischen Mittelalter zerrissen, hier lebte noch vieles weiter von Universalismus auf kirchlichem, gei­ stigem und politischem Gebiet, von der Sakralität des Kaisertums, wie sie uns - um nur einen Beleg zu nennen - in einer noch von Aloys Schulte lobend er­ wähnten Schrift Nellers über die Königskanonikate in Köln und Aachen entge­ gentritt, 32 wo das Oberhaupt des Reiches mit Moses und David verglichen wird . Noch während des Siebenjährigen Krieges läßt der Trierer Kanonist von einem Neffen des Weihbischofs Hontheim die Dissertation >>De Romanorum Imperato­ ris genuina idea« verteidigen . Die »inclyta Teutonicorum natio>Impe­ rium, non Germanicum, sed Romanum>weltlichen Schwertes der Kirche>Dekan>sacra authoritas pluri­ bus Episcopis communicatapotestas regalis in plura regna disperti­ ta>le vieux fantöme d'un idoleConcordantia catholica>Minister Dei, exterminator schismatum, discretus observator pacis Christianorum communis, liberator omnium ecclesiarum ab oppressione regum et malorum principumUt nec Religio Regimen, nec Regio Religionern destruat«. Diese Aufgabe wenigstens teilweise zu übernehmen sei Karl VI . noch bereit gewesen, weshalb er auch in verschiedenen kirchenrechtlichen Dissertationen mit besonderem Lob bedacht wird - nicht aber sein Enkel, der aufgeklärte Joseph Il. Herrschend bleibt im katholischen Reichskirchenrecht bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die aus der Situation verständliche Ansicht, daß die Existenz der geistlichen Territorien berechtigt und unproblematisch sei. Ohne Einschrän­ kung wird die Frage bejaht: >>An conjunctio potestatis Dioecesanae cum superio­ ritate Territoriali in Ecclesiasticis Sacri Romani Imperii Principibus vere utilis sit Ecclesiae et Imperio>Sane potestas Ecclesiastica et politica 32 Georg Christoph Neller, Oe Imperatoribus praebendatis regiis. Vgl . Aloys Schulte, Deutsche Könige, Kaiser, Päpste als Kanoniker in deutschen und römischen Kirchen, in : Historisches Jahrbuch 54 (1945), 5. 137.

Die >>katholische ldeenrevolution« des 18. Jahrhunderts

117

per se et ex natura sua non sunt invicem exclusivae, quamvis inter se discretae, una tarnen alteri proficua, commode subordinanda, ac utilissime in eadem per­ sona conjuncta. « 33 Die Nützlichkeit der Verbindung von geistlicher und weltli­ cher Herrschaft für Kirche, Bildung, Kunst und das Wohlergehen des Volkes lasse sich an Fürstbischof Friedrich Karl von Schönborn demonstrieren. Allerdings fin­ det es dann im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine ständig wachsende Zahl von Kanonisten als immer weniger aussichtsreich, die Existenz geistlicher Herr­ schaften gegen die kirchenfeindliche Literatur und Säkularisationspublizistik zu verteidigen, Kanones gegen Kanonen aufzuführen, zumal die Kirchenrechtswis­ senschaft selbst eine prinzipielle Rechtmäßigkeit von Säkularisationen einzuräu­ men beginnt, falls echte »necessitas et utilitas Reipublicae>Staat und Kirche>Ich war wie aus den Wolken herabgefallen, da ich hier einen katholi­ schen Doctor der Theologie ebenso peroriren hörte, wie der gelehrteste und ein­ sichtvollste Lehrer auf einer der besten protestantischen Universitäten kaum hätte reden können . Wenn zu Luthers Zeiten eine solche Denkungsart in der römi­ schen Kirche [ . ] wäre die herrschende gewesen, so würde er, einige Artickel etwan ausgenommen, wenig zu reformiren vorgefunden haben . Wie Du leicht vermuthen kannst: äußerst elend. Die katholischen Idioten scheinen sich gegen alle Aufklärung zusammen verschworen zu haben . Sie pissen jeden an, der dem Mönchswesen, dem Aberglauben und dem Pfaf­ fismus zu Leibe geht . >ad manus se­ renissimas>Anno 1570 lieset man einen eintzigen Medicum, der membrum Universitatis ware, im ganzen Saeculo XVII. blicket man keinen>beliebig konstruirbare(n) Rechtsmechanismus« hat kein Geringerer als Otto von Gierke so genannt. Vgl . seine Charakterisierung der Degenerationserscheinungen des kor­ porativen Wesens in: ders . , Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 1: Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft, Berlin 1868, S. 639.

168

Michael Trauth

selbst die schwer darniederliegende juristische Fakultät teilnahm, war sie nicht beteiligt. Es war die Absicht des Kurfürsten, die >>durch vorgewesene lang j ährige Kriegs Zeiten, auch andere ungluckliche Zufallen / : so viel das Studium j uris civilis et canonici auch Medicina betrifft: / fast in völligen Ruckgang gerathene Trierische Universität wiederumb in völligen Flohr und Auffnemmen bringen>Acci­ dentia Bilder Gemälde < oder > Umrisse < konzipiert werden und die in vieler Hinsicht auf die offene Großform des Romans hinzielen erweiterten Preßefreiheit < enst[and] bald eine Schicht freier Schriftstel­ ler [die sich] vor allem [ . . . ] aus den Reihen der Exjesuiten [rekrutierte] , die sich auch nach der Aufhebung des Ordens einen ihrer Bildung entsprechenden neu­ en gesellschaftlichen Status zu schaffen such[ten]« . 7 Überhaupt: zu den Fürspre­ chern der kaiserlichen Reformen gehören unzählige frühere Kleriker und Zöglinge der Jesuiten- und anderen Ordensschulen . Die Folge : Die Förderung der genann­ ten Reformen erfolgt oft in einer Sprache und in Formen, die verwandt sind mit den im klerikalen Milieu geläufigen. Durch zahlreiche Zitate und Verweise be­ legt Bodi die generelle Vertrautheit der genannten Autoren mit der »stark vom Barockkatholizismus geprägte[n] Predigt- und Traktatenliteratur« und zugleich mit dem »Wortwitz« und der >>Sprachkomik« des selber barock geprägten, bur­ lesken Wiener Volkstheaters« . 8 Eine ähnliche paradoxe Wechselwirkung, oder ein ähnliches Auf-einander­ angewiesen-sein läßt sich feststellen, wenn zur Verspottung angeblich überhol­ ter kirchlich-religiöser Institutionen zurückgegriffen wird auf Sprach- und Aus­ drucksformen, die ursprünglich gerade mit diesen eng verbunden waren. Gegen die Litanei polemisiert man in Pseudo-Litaneien; die Frage-und-Antwort-Technik des Katechismus bewährt sich ebenso bei der Einführung der neuen, antikleri­ kalen Ideologie und in den Satiren aller möglichen aktuellen Sitten und Unsit­ ten, so zum Beispiel in Joseph Richters - des >>Eipeldauers« - Pamphlet: >>Der gewöhnliche Wiener mit Leib und Seele, untersucht in einer Faschingskinder­ lehre« (1788) . 9 Eng verwandt mit der soeben erwähnten >>spielerischen Adaptierung traditio­ neller religiö ser Formen« ist die Parodierung von Formen und Motiven der klas­ sischen Literatur, der antiken vor allem, aber auch der modernen, französischen oder englischen. Nur mit der >>Aeneis« und der >>Pucelle« vertraute Leser vermoch­ ten Alois Blumauers >>Travestie« 10 des vergilianischen Epos richtig zu genießen. Und es ist wohl kein Zufall, daß in Joseph Pranz Ratschkys lyrischen Sammel­ bänden die >>Nachdichtungen« und Parodien - nach Horaz, Ovid, La Fontaine oder Swift - einen breiten Platz einnehmen . Und wie im Falle von Blumauer oder von Alxinger haben wir es, im Falle von Ratschky, mit einem Dichter zu tun, der seit dem Jesuiten- oder Piaristenkolleg mit der klassischen Literatur wohl vertraut ist und der für >>Freunde« schreibt, die dieselbe Bildung genossen ha­ ben und fähig sind, seine Anspielungen zu verstehen und an ihnen Gefallen zu finden . 11 7 Ebd . , 5. 98. 8 Ebd . , 5. 103, 106, 112. 9 Ebd . , 5. 143- 144. 10 Aloys Blumauer, Virgils Aeneis, Travestiert, in: ders . , Sämtliche Werke, 3. Aufl. 1809, Bde 1 - 3. 11 Siehe hierzu Roger Bauer, Die Gedichte von Joseph Franz Ratschky. Ein Beitrag zur Geschichte des Wiener Neo-Klassizismus, in: Herbert Zeman (Hg.), Die Österreichische Li­ teratur. Ihr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (1750- 1830), Graz 1979, 5. 891 -907, bes. 5. 900-901, mit Bibliographie der Werke Ratschkys.

Katholisches in der j osephinischen Literatur

263

Bemerkenswert ist weiterhin die Ausweitung der anti-obskurantisehen bzw. anti­ klerikalen Polemik auf neue, ebenfalls als barbarisch oder >>gothisch>skandinavische [ . . . ] Gebrüll [ . . . ] deutscher Skalden«, über die modischen >>Romanzen /Voll Assonanzen und Dissonanzen« und ganz allgemein über die >>leidige Makulatur /Aus Schlegels berüchtigter Manufaktur« . 12 Das heißt: ein direkter, gerader Weg führt von der antiklerikalen Polemik der frü­ hen Josephiner - zum Beispiel Blumauers und Ratschkys - zur antiromantischen der späteren - zum Beispiel Schreyvogels und Grillparzers.

II. Das widersprüchliche Verhältnis der Österreichischen Aufklärer zu den norddeu�chen Wie schon angedeutet, dominierte zu Beginn eine totale Bewunderung für die Autoren, denen die neue, moderne deutsche Literatur ihren glanzvollen Auf­ schwung verdankte. Nur zu gerne begaben sich die Wiener in die Schule der Vettern aus dem Norden, freilich um dann doch deren Botschaft den lokalen Be­ gebenheiten und Notwendigkeiten anzupassen . Man adoptierte und adaptierte mehr als man kopierte. Dieselbe Bereitwilligkeit, sich den Meistern aus dem Nor­ den unterzuordnen führt aber sehr bald zu Enttäuschungen und zu Trotzreak­ tionen, vor allem wenn die anti-österreichischen, im Grunde anti-katholischen Vorurteile bei diesen Meistern immer wieder töricht und lästig durchschlagen. Hierzu wenigstens zwei typische Beispiele, die mehrere Jahrzehnte auseinander liegen, was beweist, daß das aus dem eigentlichen josephinischen Zeitalter stam­ mende Szenario lange verbindlich blieb. 1. Beispiel: Die Hälfte etwa der >>Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781« von Friedrich Nicolai ist dem katholischen Süden und insbesonders Wien und Ö sterreich gewidmet, wobei die kritischen Aussa­ gen in einem auffallenden Mißverhältnis stehen zu den anerkennenden . Gewiß ist auch die Rede von der >>Einführung einer Menge nützlicher Kenntnisse in Ö ster­ reich von verschiedenen wackeren Männer seit dreissig Jahren« . Solchen Aner­ kennungen stehen jedoch zahlreichere, arrogant gerügte Schwächen gegenüber. Vor allem aber deutet der aufgeklärte Protestant Nicolai diese Mängel als die not­ wendigen Folgen der >>Überwiegenden Macht der [katholischen] Hierarchie«, oder, wie in der Vorrede des 5. Bandes zu lesen ist : >>Ich habe in allen meinen Schrif­ ten [ . . . ] es mir zum besonderen Zwecke gemacht, hierarchische Unterdrückung, Bigotterie und Aberglaube unverrückt zu bestreiten, und die Rechte der Vernunft und der Freyheit aufs freymüthigste zu verteidigen« . Denn, trotz Kaiser Joseph und seinen Reformen, >>[nagen] Religionsvorurtheile [ . . . ] leider noch an den Wur­ zeln der Aufklärung, und hindern, daß sie nicht einmal blühen, geschweige

12 Ebd . , S. 906.

264

Roger Bauer

reife Früchte tragen [kann] « . Hinzu kommt noch, nach Nicolai, daß >>der weich­ liche Charakter der Nation hiemit nur allzu gut zusammen [stimmt] « . 13 Auf derartige Taktlosigkeiten reagiert die autochthone Intelligenz mit spötti­ schem Unmut. Selbst Alxinger, der noch vor geraumer Zeit Nicolai gegenüber zugestanden hatte : >>was man Aufklärung heißt, [ist] größtenteils von Protestan­ ten ausgegangenWenn ein Cat­ holik und ein Wiener sich einbildet, daß die Protestanten (einige würdige Männer ausgenommen) und die übrigen Deutschen es redlich mit ihm meinen, so wird er gewiß bey der ersten Gelegenheit aus diesem Traum erwachen>die kritischen Frösch' in Preußen und Sachsen>koaxen>unserer gebiethenden Herrn, d[er) Journalisten in Sachsen und SchwabenDenk­ würdigkeiten>preußischen>[ die ] liebenswür­ dige [ . . . ] Naivität, mit welcher West- und Norddeutsche (diese ganz vorzüglich) sich berechtigt glaubten, Ö sterreich nicht allein tief unter sich zu sehen, sondern es uns bei jeder Gelegenheit ins Gesicht zu sagen>natürlich war aller in Deutschland vorhandene Verstand das Erbteil der Preußen und Norddeutschen, und für uns arme Ö sterreicher und Katholiken nichts übrig geblieben>Schöp­ fungGanze>Anti-Kant« (1788) wirft der Ingotstädter Profes­ sor, und Ex-Jesuit, Benedikt Stattler seinem >>Gegner>Anti-Kant>das herrliche Ideal eines allgemeinen Reiches der Zwecke an sich selbst, eben darum weil es ein blosses [ . . . ] Ideal ist, [ . . . ] wird gar keine herrliche Wirkungen von festen moralischen Gesinnungen hervorzubringen im Stande sein>[Le kan­ tisme] a les mains pures, mais il n'a pas de mains>Lehr­ buch der Religionswissenschaft>Nicht genug, daß Gott alle Dinge erschaffen hat und erhält, er führt sie auch alle zu einem vorgesetzten Zwecke. Das nennt man göttliche Regierung>WahrheitAt­ hanasia, oder Gründe für die Unsterblichkeit der Seele>Ideal>Wis­ senschaftslehre>Ich>Rappelköpfigen, der Will­ kür des Ich ausgelieferten Literatur des NordenSSeiendenNur ein Stein liegt mir auf dem Herzen, den ich zwar leichter trage - aber es ist doch ein Stein! Weimar! Jede auch noch so ungünstige Erläuterung dieses wenigstens unhöfli­ chen Stillschweigens des weimarischen Areopagus würde mir eine Erleichterung seyn«: 25 dieselbe Kombination von Verehrung und Enttäuschung, die wir schon bei Alxinger und Ratschky antrafen! Üb er die Gründe des weimarerischen Stillschweigens zu Collins Dramen kön­ nen wir nur Mutmaßungen anstellen . Mitentscheidend war aber mit Sicherheit die Tatsache, daß, der äußeren, klassischen Form zum Trotz, Collins Dramen von ganz anderen Voraussetzungen ausgingen als die Goethes und vor allem als die Schillers. Gewiß weist Collins Definition des tragischen Konflikts - >>Kampf der Freiheit mit der Naturnotwendigkeit>Arist und Euphranor«, von 1806)26 - zurück auf die Definition des Erhabenen bei Kant und bei Schiller. Nur ist Collins Freiheit untrennbar von Tugend und speziell von patriotischer Tugend, während seine - zu bezwingende - Naturnotwendigkeit mehr an die Fortuna bei Justus Lipsius oder bei Pierre Corneille erinnert als an die Nemesis der Grie­ chen oder das Schicksal Schillers. Unübersehbar ist auf jeden Fall der antischil­ lersehe Affekt in folgender Ch arakterisierung des tragischen Helden: >>[ . . . ] seinem widrigen Schicksale (der Naturnotwendigkeit) [setzt er] eine Kraft entgegen, die uns in Erstaunen setzt [ . . . ] Zwar das, was die Menschen Glück nennen, ja sein Leben selbst kann ihm das Schicksal rauben, nicht sein inneres Leben, das Be­ wußtsein seiner von äußerem Zwange unabhängige Größe, die sich bloß nach dem selbstgegebenen Sittengesetz bestimmt«. 27

24 Heinrich Joseph von Collin, Sämtliche Werke, 6 Bde., Wien 1812- 1814. Vgl . Roger Bau­ er, La n�alite, royaume de Dieu . Etudes sur l'originalite du theätre viennois dans Ia premie­ re moitie du 19eme siede, München 1965, S. 347-371 . 25 Ebd . , S. 352. Zitat aus Max Lederer, H. J. v. Collin und sein Kreis. Briefe und Akten­ stücke. Mit einer Einleitung und Anmerkungen, Wien 1921, S. 153-372, Zitat S. 187. 26 Collin, Sämtliche Werke (wie Anm. 24), V, S. 103 - 1 22, bes. S. 108. 27 Ebd .

268

Roger B auer

Bei Collin >>Zermalmt>thaumaston« von Daniel Heinsius und die >>admiration« von Pierre Corneille! Offenkundig bedeutet außerdem in Collins Formulierung >>Selbstgegebenes Sittengesetz« selbstgegeben etwas anderes als bei Kant oder bei Schiller. Selbstgegeben heißt nicht mehr >>vom freien Ich und Gewissen stipu­ liert und dekretiert« . Die Freiheit, auf die es bei Collin ankommt, ist nicht mehr die Freiheit des Gemüts (wie in >> Über das Pathetische «), sondern die durch das bewußt akzeptierte und bejahte Gesetz gewährte : letzthin die stoische Freiheit des homologous biein . Hierzu ein Beispiel : Weder der Anblick seiner verzweifelten Gattin und seiner weinenden Kinder noch die philanthropischen Argumente des Kosmopoliten Bo­ dostor vermögen Regulus von seinem Entschluß abzubringen, vor Senat und Volksversammlung gegen den von den Karthagern angebotenen Frieden zu plai­ dieren, obwohl er weiß, daß er sich somit selber zu einem grausamen Tode ver­ urteilt . Aber : >>Der Tod wird Pflicht, wenn es dem Staate frommt« . 28 Etwas nuancierter ist freilich die Argumentation des Helden dem edlen Feinde Borlo­ stor gegenüber: auch und speziell im engen Raume der Gemeinschaft, in die man hineingeboren wurde, ist es möglich, für das Wohl der ganzen Menschheit zu wirken! (Das >>Trauerspiel« >>Regulus« wurde 1801 mit großem Erfolg auf dem Burgt­ heater uraufgeführt. Es fiel dann aber durch, als es Iffland auf die Berliner Büh­ ne brachte). Dieselbe Kombination von patriotischer Gesetzestreue und kosmopolitischer Philanthropie findet sich wieder im >>Coriolan« (von 1802), für den Beethoven die Ouvertüre komponierte. Hier versöhnt der sterbende Held die Römer, seine Landsleute, mit den Volskern, seinen Kampfgefährten. 29 Dasselbe Motiv der Ver­ söhnung der Feinde : der Vermittlung von Patriotismus und Philanthropie, kehrt wieder - zum Beispiel - in >>Balboa« (1805) 30 oder in >>Die Horatier und die Cu­ riatier« (um 1810) : 31 einer Bearbeitung von Corneilles >>Horace«, in der dessen wilder, >>römischer« Patriotismus auf bemerkenswerte Weise gemildert wird. Nach Collin soll der gerechte Kampf gegen die Feinde des Staates ungetrübt bleiben von der individuellen und somit hybrisbehafteten Leidenschaft . Wichtig ist wie­ derum hiebei, und in unserem Zusammenhang, daß nicht das subjektive Ge­ fühl - das >>Herz« oder die richtige Gesinnung - bestimmt, was rechtens ist, sondern das existierende, objektive, vorgegebene Gesetz des Staates. Nuancierter, komplexer in der Tendenz, jedoch nicht weniger eindeutig, ist die Verherrlichung der staatlichen Ordnung in Grillparzers Dramen, in denen sogar das Motiv der Versöhnung der Feinde wiederkehrt. Im >>Hannibal«-Fragment von 28 29 30 31

Collin, Sämtliche Werke, I, S. 1- 165. Zitat S. 72 . Ebd . , I, S. 167-310. Ebd . , II, S. 1 - 128. Ebd . , III, S. 1 - 122.

Katholisches in der jo sephinischen Literatur

269

1835 ist Scipio der treue und zugleich noble Verfechter der Interessen Roms. Er, und nicht, wie der Titel es vermuten läßt, der punische Heerführer, ist der Held des Stückes! Ähnlich wird in >>König Ottokars Glück und Ende>der niemals stirbt>FleischEin Bruderzwist in Habsburg>wüsten Welt>FleischesBlanka von KastilienDie Jüdin von Tole­ do>das Weib als solches nichts als ihr Geschlecht>albern spie­ lend, töricht weise [ . . . ] Kind>Pathologie, Therapie und Arzneimit­ telkunde>Der Geist des Menschen in seinen Verhält­ nissen zum physischen Leben, oder: Grundzüge zu einer Physiologie des Den­ kens>katholischen>sanftes Gesetz>anti­ protestantische>protestantisch>protestan­ tische>Wesentliche Begriffe des pracktischen Christenthums geschrieben für Lehrer der Jugend«, 2 seine erste Veröffentlichung, erscheinen. Er bezog da­ für seine Motivation tatsächlich aus der Aufhebung des Jesuitenordens. Dessen Verdienste für die Schulerziehung in Kurbayern leugnete er zwar nicht, doch des­ sen überwiegend starres, oppositionelles Verhalten gegenüber zentralen Forde­ rungen der Aufklärung, auch gegenüber der Aufklärungsliteratur, wurde von ihm als gravierende Schwäche, als überständig, empfunden. In subjektiver Form hat Westemieder Lehrsätze der katholischen Religion mit einer weltlichen Pflichtethik und einer Apologie der Empfindsamkeit verquickt. 3 Aus der Schrift kristallisieren sich - und das ist in katholischen Territorien zu 1 Zu Westemieders Biographie und Werk vgl . die folgenden Darstellungen und Editio­ nen: Maurus Gandershofer, Erinnerungen an Lorenz von Westemieder, München 1830; August Kluckhohn (Hg.), Aus dem handschriftlichen Nachlasse L. Westemieder's, 1. Ab­ th . : Denkwürdigkeiten und Tagebücher; 2. Abth . : Briefe Westemieder's . Mit einem An­ hange : Tagebücher aus den Kriegsjahren 1805 und 1809, München 1882; ders . , Über Lorenz von Westemieders Leben und Schriften, Samberg 1890; Anton Grass!, Westemieders Brief­ wechsel mit einer Darstellung seiner inneren Entwicklung, München 1934; Hans Moser, Lorenz Westemieder und die Volkskunde, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1953, S. 159- 188; Rolf Wünnenberg, Lorenz von Westemieder. Sein Leben, sein Werk und seine Zeit, Tutzing 1982; Ludwig Hammermayer, Geschichte der Bayerischen Akademie der Wis­ senschaften 1759 - 1807, 2. Bd . : Zwischen Stagnation, Aufschwung und Illuminatenkrise 1769- 1786, München 1983, S. 120- 123, S. 258 - 276 u. passim; Wilhelm Haefs, Traditiona­ lismus und Patriotismus. Lorenz Westemieder als führender bayerischer Historiker zwi­ schen Aufklärung und Restauration, in: »Vorwärts, vorwärts sollst du schauen [ . . . ] « . Geschichte, Politik und Kunst unter Ludwig I . Aufsätze, h g . v. Johannes Erichsen u. Uwe Puschner, München 1986, S. 253-274; Wilhelm Haefs, Aufklärung in Altbayern. Leben, Werk und Wirkung Lorenz Westemieders, München 1993. Im vorliegenden Aufsatz greife ich auf meine umfangreiche Monographie zurück, ziehe aber für die hier gewählte systematische Perspektive gelegentlich andere, zusätzliche Quellen und Darstellungen heran. 2 Mit dem Zusatz >>VOn einem Baierischen Weltpriester«, o.O.o. Verlag (wahrscheinlich Landshut : Hagen). 3 Diese weltliche Pflichtethik ist fraglos von Ciceros >>De Officiis« mitbeeinflußt, einem Werk, das für die deutschen Spätaufklärer nach der neuen Ü bersetzung Christian Garves (>>Abhandlung über die menschlichen Pflichten [ . . . ] Breslau>Geist der Duldung Haarspaltereien wahres>Mono­ polisten>wahren Christen« mit dem >>zärtlichen Menschen>süße[n] Melancholey>Geschichte des Fräuleins von Sternheim>Kurze Innbegriff der christkatholischen Leh­ re>Endzweck>Uns gut gesinnet, ruhig und glücklich>besseres, ewiges Leben süßen Melancholie < dürfte über die elegischen Nacht- und Grabgesänge Edward Youngs (>>Night Thoughts«, 1742) und Thornas Grays (>>Elegy written on a country churchyard«, 1751) vermittelt sein . - Vgl. allgernein zum Melancholie-Problem in der Aufklärung Hans-Jürgen Schings, Melancholie und Aufklärung. Melancholiker und ihre Kritiker in Erfahrungsseelenkunde und Literatur des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1977; Gabriele Ricke, Schwarze Phantasie und trauriges Wissen. Beobachtungen über Melancholie und Denken im 18. Jahrhundert, Hildesheirn 1981 . 11 Erschienen in Landshut bei Hagen. Westemieder lebte 1773/74 als Gymnasiallehrer in Landshut, bevor er Ende 1774 eine Stelle in München erhielt . 12 Vgl. zu Bucher Heinrich Klüglein, Anton von Bucher. Sein Leben und die erste Grup­ pe seiner literarhistorisch wichtigeren Schriften . Diss. München 1922. Nachwort v. Rein­ hard Wittrnann in: A. v. Bucher, Bairische Sinnenlust bestehend in weit- und geistlichen Cornödien, Exempeln und Satiren . München 1980, S. 1 - 26*. 13 Vgl. zum älteren Katechismus und zum Katechismus in der Aufklärung F. X. Thai­ hafer, Entwicklung des Katholischen Katechismus in Deutschland von Canisius bis Dehar­ be, Freiburg 1899; Johann Schrnitt, Der Kampf um den Katechismus in der Aufklärungs­ periode Deutschlands, München 1935 (geht auch kurz auf Westemieder ein); vgl . auch Erich Müller, Aegidius Jais (1750- 1822) . Sein Leben und sein Beitrag zur Katechetik, Frei­ burg/Basel/Wien 1979, darin das Kapitel: Die Krise der Katechese in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, S. 136 ff. sowie : Die Kritik arn Katechismus des Canisius und die Forde­ rung nach schulgernäßen Katechismen in Würzburg, S. 143 - 161 . 14 Kurzer Innbegriff (wie bei Anrn. 11), S. 3 u. 4.

274

Wilhelm Haefs

Konzept der Tugendempfindsamkeit, 15 in dem der Ratio nur ein nebengeordne­ ter Rang zukommt . Dies ging zwangsläufig auf Kosten der gedanklichen Präzi­ sion, der notwendigen Klarheit und Angemessenheit im Ausdruck. Zu beden­ ken ist allerdings, daß reformwillige Theologen und Pädagogen zu diesem Zeitpunkt noch kaum auf brauchbare neue Muster zurückgreifen konnten. Auch der 1771 erstmals erschienene, berühmt gewordene des Abtes Felbiger war for­ mal ganz konventionell abgefaßt, 16 erst 1774 war Fleurys Katechismus auf deutsch erschienen und 1775 der noch ältere von Bossuet in einer neuen Üb ersetzung von Heinrich Braun . 17 Das Ungenügen an der traditionellen Religionsvermittlung über den Katechis­ mus führte zu formalen Innovationen sowie zu schwerwiegenden inhaltlichen Veränderungen, für die nicht allein der empfindsame Subjektivismus des Au­ tors verantwortlich war. So steht nicht mehr die Darlegung der Offenbarungen Gottes an erster Stelle, sondern die der natürlichen Gotteserkenntnis. Die zen­ tralen Dogmen der katholischen Kirche werden darüber hinaus, nach orthodo­ xem Verständnis, entweder abgeschwächt, unzureichend beziehungsweise ver­ fälscht erläutert oder schlicht ignoriert. Dies erfolgt freilich nicht, wie bei den radikaleren katholischen Aufklärern, aus deistischer Bewußtheit, sondern aus der Unfähigkeit, die dogmatische Strenge mit den aufklärerischen Ansprüchen der Vernunft in Einklang zu bringen: So werden einige Sakramente wie Taufe und Buße nur beiläufig behandelt, Erbsünde und Hölle, zentrale Eckpfeiler der katholischen Dogmatik, 18 nahezu ausgeklammert . Mehr Aufmerksamkeit noch auf Seiten der orthodoxen Geistlichkeit fand das Kapitel über das »Verhalten ge­ gen Irrgläubige« . 19 Entsprechend der altruistischen Tendenz des Katechismus mit

15 Begriff nach Eckhardt Meyer-Krentler, Der andere Roman . Gellerts »Schwedische Grä­ fin« . Von der aufklärerischen Propaganda gegen den ••Romannur eine Kirche die wah­ re seyn>Wenn du Irrende siehst, die du nicht zu recht (sie!) bringen kannst : so lasse dir ja niemals einkommen, selbe mit Gewalt aus ihrem Irrthume zu reißen, zu hassen, oder geradezu verdammen . >bey Verfassung ienes Buchs [ . . . ] meistentheils Protestantische Schriftsteller zum Grunde gelegt, auch in selbes solche Ausdrücke, und Sätze miteinfliessen lassen, welche für jeden katholischen Christen unge­ mein anstößig, und mehr einen Naturalisten, als guten katholischen Christen bil­ den könnten . >daß ihr euch ins Künftige nicht nur von Verfassung sondern auch von unerlaubter Lesung (!) derley verdächtiger und anstößiger Schriften, worauf ohnedem die Excommuni­ cation ipso facto incurrenda geschlagen ist, bey Vermeidung unserer höchsten Ungnade, und schärfster Ahndung, enthalten, hingegen beym Unterricht der euch anvertrauten Jugend euch als Catechism P. Petri Caniso, nebst dem von uns gnädigst approbirten Dioecesan Fragbüchls bedienen sollet . « Man setzte von institutioneller Seite ein Zeichen und versuchte, mit einer ri­ gorosen Einschüchterungstaktik das verlorene Erziehungsmonopol zu kompen­ sieren. Damit verfehlte man auch die beabsichtigte Wirkung auf den Kurfürsten nicht . Der wies d ie Bücherzensurkommission zu verstärkter Aufsicht und un­ nachgiebigem Durchgreifen gegenüber religions- und theologiekritischen und nicht der reinen katholischen Lehre entsprechenden Werken an . Unter solchen Behinderungen und Verboten der Rezeption protestantisch-aufklärerischer Phi­ losophie und Theologie - von der Literatur zu schweigen - hatten schon die ersten bürgerlichen kurbayerischen Aufklärer, ein Johann Adam von lekstatt oder ein Peter von Osterwald, zu leiden; man denke insbesondere an die Querelen an der Universität Ingolstadt . 29 Zurechtweisungen und B estrafungen wie diejenige Westemieders (vergleichbar erscheint sie mit der einige Jahre später weit berühmter gewordenen des Mainzer Professors Johann Lorenz Isenbiehl 1779 30 ) haben ih­ re abschreckende Wirkung auf die zumeist jungen Geistlichen und Weltgeistli­ chen nicht verfehlt. Westenrieder freilich reagierte anders : zwar zog er sich fortan aus dem theologischen Diskurs zurück, doch kämpfte er stattdessen vorwiegend in fiktionalen Texten, später dann in historiographischen, gegen die >>blinde Un­ terwürfigkeit für die Kirche und ihre Priester>Neuer Versuch über die Weissagung von Emmanuel«, o.O.o.V. (Koblenz) 1778. 31 Lorenz Westenrieder, Historischer Calender für 1801 , S. 36 f.

Reformkatholizismus in den Schriften Lorenz Westemieders

277

servativen katholischen Dogmatiker, objektiv, gemessen am theologischen Selbst­ verständnis, gerechtfertigt war. Zwei Vorwürfe wurden in solchen Verfahren im allgemeinen immer wieder erhoben: die des »Sozinianismus« und des >>Natura­ lismus>Biblizismus>Naturalismus>Theologisch-politischen Traktat>daß es für die Sicherheit des Staates das Ersprießlichste ist, wenn einzig und allein Liebe und Rechtschaffenheit als Fröm­ migkeit und Religion gelten, und wenn das Recht der höchsten Gewalt in geistli­ chen wie in weltlichen Dingen sich nur auf Thaten erstreckt, im übrigen aber jedermann gestattet ist, zu denken was er will, und zu reden, wie er denkt. Sich zur affektiv-empirischen« erwei­ tert (S. 37); Jerusalems Konzept ziele, wie auch das von J. J. Spalding, auf eine »religiöse Anthropologie>Niemand mußte über­ haupt öfter in Person seine Rolle spielen als der Teufel . >Katechismus der Sittenlehre für das LandvolkBriefen bairischer Denkungsart, und Sitten>geschwöllene(s) Un­ deutschDer Glaubenszwang>Recht ist es, daß man alle gefährliche Grundsätze der Frey­ geistern aus dem Weg räume, und die Verfasser solcher Schriften beym Kopf neh­ me [!] [ . . . ] so lang der Freygeist ohne Straf bleibt, so lang wird weder Ruhe bey dem Staate, weder Frieden, in der Religion seyn . Die Gewissensfreyheit wird ei­ nem solchen Geist, der nach nichts, als Verderbniß trachtet, die Feder in die Hand geben, um die giftigste Schriften, wodurch der Staat und die Religion angesteckt werden, zu verbreiten, und alle Grundregeln der Sitten zu zernichten . schönen Litteratur« neben dem >>recht über­ triebenen Vernünfteln in allen Sachen . 84 Der >>Sittenverfall« wurde, wie von den gemäßigten katholischen Aufklärern, beredt beklagt, von jenen aber den angeb­ lich schlimmen Wirkungen der Aufklärung zugeschrieben und nicht, wie von diesen, den fehlenden politisch-gesellschaftlichen Reformen . Westemieders scharfe Kritik a n den antiklerikalen Aufklärern zeigte ein Ö ffent­ lichkeitsverständnis, das polar geprägt war: Kritik durfte nie zum vermeintlichen Selbstzweck werden, er forderte vielmehr konstruktive Beiträge zur Reform. Er schränkte die öffentliche Diskussion auf die politische Sphäre ein, die religiöse besaß für ihn einen ganz anderen Stellenwert . Hier postulierte er äußerste Be­ hutsamkeit und klagte sie, ähnlich wie auf protestantischer Seite Claudius, La­ vater oder Jung-Stilling, 85 auch ein . Die radikaleren katholischen Aufklärer, von Pezzl bis Milbiller, konnten mit solchen Restriktionen nichts anfangen, und ihre fortgesetzte Polemik führte zwangsläufig zum schnellen Bruch zwischen den ra­ dikaleren und den gemäßigten Reformschriftstellern in Kurbayern. Diese Situa­ tion, verschärft noch durch die Illuminaten, war letztlich ausschlaggebend für das Scheitern der altbayerischen Aufklärungsbewegung, deren von Westemie­ der mit seinen >>Baierischen Beyträgen zur schönen und nützlichen LitteraturAufklärungsmachers« 90 stieß in ka­ tholischen Kreisen auf breite Ablehnung, da man gerade von Nicolai - und der von ihm herausgegebenen >>Allgemeinen deutschen Bibliothek>Beschrei­ bung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781«, in: Jahrbuch der deut­ schen Schillergesellschaft 26 ( 1982), S. 104- 124; Wolfgang Martens, Ein Bürger auf Reisen, in: Friedrich Nicolai 1733-181 1 . Essays zum 250. Geburtstag, hg. von Bernhard Fabian, Berlin 1983, S. 99- 123; Friedrich Nicolai. Leben und Werk. Ausstellungskatalog zum 250. Geburts­ tag, bearb. von Peter J. Becker, Berlin 1983, S. 81 -85. 88 Johann Michael Sailer, Das einzige Märchen in seiner Art. Eine Denkschrift für Freun­ de der Wahrheit für das Jahr 1786. Gegen eine sonderbare Anklage des Herrn Fried. Niko­ lai, München 1787. 89 Vgl . Johann Pezzl, Vertraute Briefe über Katholiken und Protestanten, Wien 1787. 90 So der auf Nicolai gemünzte Titel einer Novelle von Jochen Beyse (Der Aufklärungs­ macher, München 1985). 91 Vgl . Georg Pfeilschifter, Friedrich Nicolais Briefwechsel mit St. Blasien . Ein Beitrag zu seiner Beurteilung des Katholizismus auf Grund seiner süddeutschen Reise von 1781, München 1935. 92 Vgl . Reinhard Wittmann (Hg.), Johann Baptist Strobl, Der Zustand der Aufklärung in Baiern . Brief an Friedrich Nicolai, in: Ernst-Peter Wieckenberg (Hg.), Einladung ins 18. Jahrhundert. Ein Almanach aus dem Verlag C. H. Beck im 225. Jahr seines Bestehens, München 1988, 5. 20-30; ders. , Friedrich Nicolai als katholischer Verleger ? in: Buchhan­ delsgeschichte 1987/3 ( Börsenblatt, Beilage, Nr. 77, 25.9. 1987), 5. B113-B118 (bezieht sich auf Franz von Kohlbrenner); Kluckhohn, Aus dem handschriftlichen Nachlasse L. Westen­ rieder's (wie Anm . 1) I, 5. 14 f. (Besuch Nicolais und seines Sohns bei Westenrieder; Kritik an Nicolai u.a. in einem Brief an Weisse vom 4.5. 1785 und an Peter Philipp Wolf vom 9.4. 1797 (Nachlaß II, 5. 147 f. und 5. 156 f . ) . =

288

Wilhelm Haefs

mühten. So war etwa Christian Felix Weisse in Leipzig 93 ein geschätzter, auf­ geschlossener Kommunikationspartner für zahlreiche süddeutsche und Öster­ reichische Aufklärer. 94 Weisse unterstützte lange den Abdruck und positive Be­ sprechungen von Schriften katholischer Aufklärer in der von ihm herausgegebe­ nen >>(Neuen) Bibliothek der freyen Wissenschaften und der schönen Künste«, auch von Veröffentlichungen Westenrieders, der mit dem Leipziger Aufklärer von 1781 bis 1785 intensiv korrespondierte. 95 Daneben gab es Protestanten, die Nico­ lai (und dessen Freunde im Umkreis der >>Allgemeinen deutschen Bibliothek>Berlinischen MonatsschriftSebaldus Nothanker« und Goethes >>Werther« . Auf einer ersten Verständnisebene erscheint er vor allem als implizite Antwort auf den vermeintlich demoralisierenden und > unchristlichen < Werther Goethes. 99 Die zentralen, durch Werther repräsentierten Anti-Normen werden in der Figur Engelhofs negiert, das heißt positiv-normiert: Engelhof ist sozial statt asozial, nütz­ lich statt unproduktiv, gläubig statt diffus gläubig bis pantheistisch, und er stirbt, allen Schwierigkeiten zum Trotz, eines natürlichen Todes im Jenseitsvertrauen und nicht durch Selbsttötung. Die Christlichkeit des Protagonisten wird freilich erst im zweiten Teil des Romans voll entfaltet, mit Beginn der persönlichen Pas­ sion . Westemieder stilisiert Engelhof zu einem Märtyrer, eine zum Teil von den eigenen Erfahrungen motivierte Hyperbolik, der sein Schicksal, nachdem ihm immer wieder übel mitgespielt worden war, ergeben in die Hände Gottes gelegt hat . Engelhof weiß nun, >>daß unser Gott lebe, und daß Gott der Vergelter, und ohne Maaß heilig und gütig sey« . 100 Er vertieft sich in religiöse Meditationen; er liest in der Heiligen Schrift, er liest ein >>Psalmenbuch« und vergibt am Ende, ganz christlich, allen, die ihm Böses taten. 101 Diese Konzeption entspricht den Mu­ stern bekannter katholischer Erbauungs- und Gebetbücher. In dem weit verbrei­ teten >>Goffim?« war zu lesen : >>Es ist kein kräftigeres Trost- und Hilfsmittel in Traurigkeit und Betrübnissen, als durch ein demüthiges und verträuliches Ge­ beth seine Noth und Anliegen Gott allein klagen ( . . . ] « . 102

99 Zum >>Werther« vgl . vor allem Klaus R. Scherpe, Werther und Wertherwirkung. Zum Syndrom bürgerlicher Gesellschaftsordnung im 18. Jahrhundert, Bad Homburg/Berlin/Zürich 1970; Georg Jäger, Die Leiden des alten und neuen Werther. Kommentare, Abbildungen, Materialien zu Goethes >>Leiden des jungen Werthers>Neuen Leiden des jungen W. «, München 1984. 100 Engelhof (wie bei Anm. 98) li, S. 134. 101 Ebd . , S. 359 und 372. 102 R. P. (Leonard) Goffine, Christkatholisches neu eingerichtetes, verbessertes, nach dem römischen Meßbuche berichtigtes, und merklich vermehrtes Unterrichtsbuch, oder kurze Auslegung aller Sonn- und Festtäglichen Episteln und Evangelien, samrot daraus ge­ zogenen Glaubens- und Sittenlehren [ . . . ] Sonntäglicher Theil, Augsburg 1798, S. 23. (Erste Ausgabe 1690) .

290

Wilhelm Haefs

Die ungebrochene transzendente Glückseligkeit im >>Engelhof>Ster­ bende Jüngling>Kinderfreund>bessern>praktisches Christentum>Warum ist das Licht gegeben den Mühseligen und das Le­ ben den betrübten Herzen>Patriotischen Phantasien>Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit« (1774) und seine Abhandlungen >> Über die Wirkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völker in alten und neuen Zeiten« und »Vom Einfluß der Regierung auf die Wis­ senschaften und der Wissenschaften auf die Regierung>Briefe eines Baiern . a) Ue­ ber die geistliche Gewalt der Bischöfe, Erzbischöfe und des Pabsts, b) über die Nuntiatu­ ren, c) ( . . . ] über die geistlichen Einrichtungen überhaupt«, (München) 1787 und die Akademierede : >>Ueber die Frage : Welche waren die Grundursachen der zahlreichen, vom llten bis ins 15 te Jahrhundert in Baiern gestifteten Abteyen ? Und wurde von denselben den landesherrlichen Absichten wirklich entsprochen?« München 1787.

Reformkatholizismus in den Schriften Lorenz Westemieders

291

langte, ohne Detailkritik zu vernachlässigen, zu positiven Ergebnissen, die nicht zum polemischen Kampf der Spätaufklärer von Nicolai bis Pezzl paßten. Bereits Mitte bis Ende der achtziger Jahre sah er sich daraufhin als > Renegat < der Aufklä­ rung charakterisiert, als einer, der die Macht der katholischen Kirche historisch legitimieren und damit auch den > despotischen < Absolutismus Karl Theodors stützen wollte. Man stellte ihn in eine Reihe mit Strobl, seinem geschäftstüchti­ gen Verleger, sowie mit Babo und Karl von Eckartshausen, die sich beide 1784/85 im Kampf gegen die Illuminaten hervorgetan und nach Meinung der radikaleren Aufklärer als > Handlanger der Reaktion < ausgewiesen hatten . Obwohl Westen­ rieder mit jenen kaum mehr etwas verband, wehrte er sich nicht gegen solche Angriffe, zog sich vielmehr in eine Art Schmollwinkel zurück. Mit seinem Ethos und dem Konzept einer > bescheidenen < Aufklärung konnte er kaum etwas aus­ richten. So war es nur konsequent, wenn er sein Aufklärungsverständnis, das er im übrigen niemals zu systematisieren verstand, ein wenig modifizierte. In unverändert apologetischen Beiträgen zu den Vorzügen und Zielen der Volksauf­ klärung (trotz Französischer Revolution) brachte er nun auch die Forderung der Erziehung zu einem >>recht guten Christen>Dringende Vorstellungen an Menschlichkeit und Vernunft [ . . . ] >Noch bis diese Stunde ist kein einziges witziges, und geschmackvolles

110 Lorenz Westemieder, Ob man Bürger und Bauern aufklären soll ? in : ders . , Beyträge zur vaterländischen Historie, Geographie, Statistik und Landwirthschaft 3, München 1790, S. 337-370, Zitat S. 341 . 111 Dringende Vorstellungen an Menschlichkeit und Vernunft, um Aufhebung des ehe­ losen Standes der katholischen Geistlichkeit, o.O. (München: Stroh!) 1782; Westemieder steuerte die ••Summarische Uebersicht dieses Gegenstandes« bei, S. 465 -478, die übri­ gen Teile stammen wahrscheinlich von Anton Nagel, Lorenz Hübner und Joachim Schuh­ bauer.

292

Wilhelm Haefs

Werk aus einem Kloster gekommen und man sieht da überhaupt wenig Früchte, wo die Blüthe der Empfindung dahin ist . >Re­ ligiosendas Schulwesen nie seynden gemeinen Priesternden Weltpriestern [ . . ] die Aufklärung unter dem Clero überhaupt den Anfang genommen>Wo man im Lande hin sah, erblickte

Reformkatholizismus in den Schriften Lorenz Westemieders

293

gen etwa der schwangeren Jungfrau Maria, wie man sie von Votivtafeln her kennt, ab. Distanziert verhielt er sich auch zu öffentlich erklärten und > ausgestellten < Wundern. Allerdings leugnete er »Mirakel« nicht grundweg, sondern ließ sie unter bestimmten Umständen als wichtige Mitteilungsform Gottes gelten . Er verurteil­ te hingegen die Rede von alltäglichen Mirakeln, die angeblich Heilige bewirkt hätten. 120 Auch teilte er die aufklärerische Kritik am übertriebenen Ornament und an überkommenen Kirchenriten wie dem Gesang lateinischer Lieder im Got­ tesdienst, forderte stattdessen eine gefühlvolle Kirchenmusik und eine Reform der Liturgie. In der Diskussion um den berüchtigten Pater Gassner und dessen Exorzismus-Auftritte im schwäbischen Ellwangen stellte er sich auf die Seite der Kritiker, ohne sich dafür allerdings in der Öffentlichkeit zu exponieren. Westemieder hat die in allen katholischen Territorien verbreiteten Andachts­ und Erbauungsbücher, Mirakelgeschichten und asketischen Schriften als Hinder­ nis für die Verbreitung aufklärerischer Literatur und die Durchsetzung von Re­ formen empfunden, mit einigen wenigen, freilich signifikanten Ausnahmen wie Thomas a Kempis' »Buch von der Nachfolge Christi>denkwürdiger, in der letzten Hälfte dieses Jahrhun­ derts verstorbener DeutscherHistorischen Ca­ lender>Priester>Säulen schlimmen < Wirkungen der >Nernunftmoral>Supranaturalismus>Nordlichter>Re­ ligiosendie Sachen des Nationalunterrichts>Nationalbildung>ganz in eine gräßliche Zerrüttung gekommen>daß die nothwendige Ordnung der Dinge, und mit ihr die Beruhigung der ge­ sammten baierischen Nation durch die Herstellung eines ständigen > National-

Motivationen und Hintergründe der Reformära in der ersten Phase des königlichen Bay­ ern, München 1983. 133 Historischer Calender 1815/2, S. 542 (S. 538 ff. zitiert Westemieder in diesem Sinne einen Bericht über Chursachsen von 1791 aus Schlözers >>Staats-Anzeigen« ! ) . 134 Tatsächlich gab es auch Zurücksetzungen objektiver, nämlich beispielsweise finan­ zieller Art : Schelling, Ritter, F. Jacobs, J. Harnherger und Schlichtegroll erhielten mehr als fünf bis acht mal soviel Gehalt aus dem Etat der Akademie als der altgediente Westenrie­ der; allerdings bestand diese Relation auch zu den Bayern J. Chr. v. Aretin, K. E. v. Moll und K. v. Weiller (vgl. etwa den >>Personal- und Gehalts Etat der König!. Akademie der Wis­ senschaften für ihr li Etats-Jahr 1808/09«, Hauptstaatsarchiv München, HR 289/8 f . ) . 135 Lorenz Westenrieder: Hundert Sonderbarkeiten, oder d a s neue München i m Jahre 1850, München 1824, S. 65.

Reformkatholizismus in den Schriften Lorenz Westemieders

297

instituts < werde befestigt werden« . 136 Dafür schienen ihm die Jesuiten, von den institutionellen Voraussetzungen her, am ehesten geeignet. Wegen solcher For­ derungen wurde er bald schon zum > jesuitischen < Reaktionär abgestempelt . 137 Die funktionalistische Argumentation für die Wiederherstellung der > National­ anstalten < zeigt noch einmal deutlich die traditionalistische Verwurzelung des altbayerischen Aufklärers, der Lehren aus der Vergangenheit ziehen will . Zu diesen Lehren zählen nunmehr die Verteidigung des Zölibats als eine Art > Eckpfeiler < der Sittlichkeit und die Kritik an den französischen deistischen Auf­ klärern, vor allem Voltaire, die sozial und religiös destabilisierend gewirkt hät­ ten . 138 Westenrieders Invektiven - voller Ressentiments vorgetragen im letzten Jahrgang des »Historischen Calenders falschen EO S seltenen < und, eigentümlichen Mann, den >>glühende Anhänglichkeit an sein Vaterlan d, tiefe Wahrheitsliebe, aufrichtige Frömmigkeit, treue Freund­ schaft, edle Offenheit und Wohlthätigkeit>Verbleiben, was ich bin und zwar a) ein Baier, b) ein Katholik, c) ein katholischer Geistlicher und zwar d) ein solcher, der in die Kirche geht und an das Dogma glaubt>religiös, gesittet, fleißig, wirtschaftlich, gewissenhaft, human und wohlhabend>ganz und gar religiöse, auf die Religion konzentrierte Institution und Ge­ meinschaftPredigerinstitut>sich selbst gelassene(n) Vernunft>Bildung des Menschengeschlechts>der kürzeste, leichteste, sicherste und königliche Weg [ . . ] das Menschengeschlecht zur Wahrheit, Tugend und Glück­ seligkeit zu leiten>theologischen Absolutis­ mus>die frühe­ ste Übernahme spezifisch Lessingschen Gedankengutes in die katholische Theologie« (S. 81) . 152 Sailer: Vernunftlehre 1 (wie Anm . 150), S. 156. 153 Vgl . Hubert Schiel, Sailer (wie Anm . 147), Bd. 2: Briefe. 154 Hans Blumenberg, Säkularisierung und Selbstbehauptung. Erweit. und überarb. Neuausgabe von >>Die Legitimität der Neuzeit«, 1 . u. 2. Tl. , Frankfurt am Main 1974, 2. Tl . u.d.T. >>Theologischer Absolutismus und humane Selbstbehauptung>NaturalismUS>den achtziger Jahren [ . . ] schließlich die Of­ fenbarungsinhalte in Vernunftinhalte umgedeutet und mit ihnen in eins gesetzt>SO daß auf die Voraussetzung einer Offenbarung überhaupt verzichtet wer­ den>Sibylle der ReligionIch denke wie Fleury und Fene­ lon : Es ist gut, die Religion zu beweisen: besser, durch die Religion zu nützen . >Leben des guten Jünglings Engelhof Katholischen Romantik < Philipp Funk, Von der Aufklärung zur Romantik. Studien zur Vorgeschichte der Münchner Romantik, München 1925; Von der Aufklärung zur Romantik. Geistige Strömungen in München. Ausstellung und Katalog: Sigrid von Moisy. Mitarbeit: Reinhard Horn, Regensburg 1984 (mit Beitrag von Hans Grass!, Die Münchner Romantik . Umrisse einer krisenhaften Entwicklung, S. 9-35) .

Friedhelm ]ürgensmeier (Mainz/Osnabrück) Kurmainzer Reformpolitik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

In einem detaillierten Bericht wies Heribert Raab 1968 den Forschungsstand der >>Geschichte der Aufklärung im Rhein-Main-Gebiet>Reform and Revo­ lution in Mainz>Aufklärung in MainZJudentoleranz und Judenemanzipation in Kurmainz 1774 - 1813>Das Bild von der Mainzer Republik im Wandel der Zeiten>Centralort des Reiches>Mainzer Repu­ blikCommer­ cien-Commission>Han­ delsstandesDie kurfürstliche Kommerzien-Kommission und ihre handels­ rechtlichen VoraussetzungenAkademie nützlicher Wis senschaften>Aufklärung« umschrieben werden, stan­ den praktisch noch ganz aus. Mißstimmigkeiten mit seinem erzbischöflichen Vetter, der immer weniger Nei­ gung zeigte, einen aufgeklärten Reformkurs mitzutragen, waren ausschlaggebend

31 29. 12. 1746 : Erneuert- und vermehrte Freyheiten u. Ordnungen. Für Dero Uralte Uni­ versität zu Mayntz. Mit Taxa Juriurn, Mayntz 1746 [BPriesterMz, StAMz, in lateinischer Fas­ sung auch im Dorn- und Diözesanarchiv Mainz, im folgenden DDAMz] ; Helmut Mathy, Die Universität Mainz 1477- 1977, Mainz 1977, S. 102. 32 Vgl . Kar! Suso Frank, Johannes Jung und die Vertretung der Kirchengeschichte an der alten Universität Mainz, in : Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte in der Neuzeit, Mainz 1973, s. 253-277. 33 Anton Ph(ilipp) Brück, Die Mainzer Theologische Fakultät im 18. Jahrhundert, Wies­ baden 1955; Helmut Mathy, Moguntia acadernica von der Spätaufklärung über die Große Revolution bis zum Ende der französischen Herrschaft, in: Jarnrne/Pöggeler (Hg.), Mainz ­ >>Centralort des Reiches« (wie Anrn. 8), S. 94 - 121. 34 Acta Acaderniae Electoralis Moguntinae Scientiarurn utiliurn quae Erfordiae est. T. 1 -2, Erfordiae & Gothae 1757-1761 [Vorhanden in BPriesterMz] . - Johannes Biereye, Geschichte der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt 1754- 1929. Fe strede aus Anlaß der Feier des 175-jährigen Bestehens der Akademie arn 17. Sept. 1929, Erfurt 1930. Vgl . auch Ludwig Harnrnenneyer, Aufklärung im katholischen Deutschland des 18. Jahrhunderts. Werk und Wirkung des Andreas Gordon O.S.B. ( 1712- 1751), Professor der Philosophie an der Universität Erfurt, in: Jahrbuch des Instituts für deutsche Geschichte 4 (1975), S. 53- 109; Siegfried Orth, Kurfürst Johann Friedrich Carl von Ostein und sein Verhältnis zu Erfurt und dem Erfurtischen Gebiet, in: Das Erfurter Rad 1957, H .7/8, S. 21. 35 Heinz Leiterrnann, Die Mainzer Kunstschulen vorn 18. Jahrhundert bis zur Gegen­ wart, in: Mainzer Kalender 1947, S. 46-52; Landeskunstschule Mainz . Die Mainzer Kunst­ schulen im Wandel der Zeiten, 1758- 1958, hg. Landeskunstschule Mainz, Mainz 1959. 36 Vgl . Günter Rauch, Das Mainzer Dornkapitel in der Neuzeit . Zu Verfassung und Selbstverständnis einer adligen geistlichen Gemeinschaft. (Mit einer Liste der Dornpräla­ ten seit 1599), in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 92 Kan . Abt . 61 (1975), S. 161-227; 93 Kan. Abt. 62 (1976), S. 174-278; 94 Kan. Abt. 63 (1977), S. 132- 179; Friedhelrn Jürgensrneier, Das Bisturn Mainz . Von der Römerzeit bis zum II. Vatikanischen Konzil, Frankfurt/Main 2. Auf!. 1989, S. 240 -244. =

=

=

308

Friedhelm Jürgensmeier

dafür, daß Stadion 1761 M ainz verließ. Mit ihm schied der profiHerteste Vertreter des Zeitgeistes aus dem M ainzer höfischen Leben und dem Regierungsapparat. Breitenwirkung hatte die von ihm verfolgte Reformlinie nicht erzielen können . Dennoch hatte sie prägend auf jene Kreise gewirkt, die sich in seinem Umfeld gebildet hatten. Aus ihnen erwuchsen jene Persönlichkeiten, die in der Folgezeit die reformerischen Aktivitäten bestimmten .

II.

Die aufgeklärte Reformpolitik des Erzbischofs Emmerich ]osef von Breidbach-Bürresheim (1 763 - 1 774)

Erzbischof Johann Friedrich Karl von Ostein starb am 4. Juni 1763. 37 Ihm folgte am 5. Juli ein Freund Stadions, der Frankreich zugeneigte und im Schul- und Armenwe sen e ngagierte Emmerich Josef von Breidbach-Bürresheim (1763 - 1773) . 38 Da im Domkapitel wenig Neigung bestand, einer raschen Neu­ ordnung der überkommenen Strukturen und Formen im Sinne der Aufklärung zuzustimmen, hatte zunächst der als politisch gemäßigt geltende Dompropst Hu­ go Franz Karl von Eltz-Kempenich39 beste Aussichten, neuer Erzbischof und Kur­ fürst zu werden . Dennoch entschied sich das Wahlgremium schließlich für Emmerich Josef, der seit 1752 als Hofstaats- bzw. Regierungspräsident offen für Reformen eingetreten war. Von der Bevölkerung wurde der Wahlausgang mit Freu­ de begrüßt. Der sehr vitale, lebensbejahende und leutselige Domherr besaß vie­ le Sympathien. Ihm wurde zugetraut, die nach wie vor schlechte Wirtschaftslage des Erzstifts bessern und die begonnenen Reformen durchziehen zu können . Mit der Wahl seiner engsten Mitarbeiter und Berater zeigte der neue Kurfürst, daß sein Regierungsprogramm die Fortsetzung der Bestrebungen von Stadions sein würde. Karl Friedrich Willibald von Groschlag (gest . 1798)40 wurde 1764 Vizehof­ meister und später als Nachfolger seines Schwiegervaters von Stadion Großhof­ meister. Anselm Franz von Bentzel (gest . 1786), 41 wie Groschlag stark antijesui37 Joannes Friedrich Haaber, Der fromme, gerechte und standhafte Fürst, vorgesteilet in einer Lob- und Trauer-Rede über den höchst betrübten Todtes-Fall des ( . . . ) H. Joannis Fri­ derici Caroli ( . . . ) Mainz 1763 [BPriesterMz) . 38 (Anton Joseph) Weidenbach, Die Freiherren von Breidbach zu Bürresheim, in: An­ nalen des historischen Vereins für den Niederrhein 24 (1872), S. 70- 125; Heribert Raab, Die Breidbach-Bürresheim in der Germania Sacra . Eine Skizze der Reichskirchenpolitik des Mainzer Kurfürsten Emmerich Joseph und seines Bruders Kar! Ernst, in: Mainzer Alma­ nach 1962, S. 91 - 106. 39 Hermann Nottarp, Ein Mindener Dompropst des 18. Jahrhunderts, in : Westfälische Zeitschrift 103/104 (1954), S. 93- 163; Bernhard Opfermann, Gestalten des Eichsfeldes. Re­ ligiöse Lebensbilder, Leipzig/Heiligenstadt ( 1968), S. 34 (dort auch Literatur); Horst Reber, Eine Flörsheimer Fayence mit einem Bildnis des Mainzer Dompropstes Hugo Pranz Carl von Eltz, in : Festschrift für Fritz Arens zum 70. Geburtstag, Worms 1982, S. 147- 151 . 40 Vgl. Krüger (wie Anm. 5) . 41 Horst Wilhelm Jung, Anselm Fr. von Bentzel im Dienste der Kurfürsten von Mainz, Wiesbaden 1%6; Helmut Mathy, Anselm Pranz von Bentzel und die Restauration der Main,

Kurmainzer Reformpolitik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

309

tisch und dezidierter Anhänger einer aufgeklärten Staats-, Gesellschafts- und Bil­ dungsgestaltung, stieg zum Sekretär und schließlich zum Chef der Hofkanzlei auf. Die reichspolitischen Wrrk- und Entfaltungsmöglichkeiten waren für den Erzkanz­ ler und Kurfürst mehr als eingeengt. Umso intensiver wandte er sich der Regie­ rung und Reform seines Kurstaates zu : dekretierte Sanierung der Finanzen, spar­ same Haushaltsführung, Hebung der Zölle, Ausbau der Verkehrswege, Vereinheit­ lichung des Münzwesens, 42 Förderung und Erweiterung der wenigen Industrie, 43 Senkung der militärischen Ausgaben, 44 1769 neue Gerichtsordnung für Mainz zur Beschleunigung der Verfahren und Mehrung der Gerechtigkeit, 45 Ausbau der zer Universität, in : Jahrbuch der Vereinigung für die >>Freunde der Universität Mainz« 25/26 (1976/1977), s. 117- 138. 42 Das Findbuch des StAMz, Kurmainzer Verordnungen von 1135- 1829, weist für das Jahr 1763 folgende Münzverordnungen nach: 31 . 1 . 1763: Kurfürstliche Regierungsverordnung ge­ gen verbotene Münz-Remisen an fremde Orte. 4.2. 1763: Kurfürstliche Regierungsverordnung über die Münzdevalvation. 19.4. 1763: Kurfürstliche Regierungsverordnung über die Wertver­ minderung von Münzen. 17.5. 1763: Verrufung verschiedener Münzsorten. 2.8. 1763: Kurfürst­ liche Regierungsverordnung gegen geringhaltige Münzen. 13.8. 1763: Kurfürstliche Regierungsverordnung über den Kurs der Gold- und Silbersorten. 19.8.1763: Verrufung oder Herabsetzung verschiedener Münzsorten. - In den folgenden Jahren gibt es eine Fülle von weiteren Münzverordnungen: 1764 vier, 1765 zehn, 1766 neun, 1767 drei, 1768 zwei, 1769 ei­ ne Verordnung; zwischen 1770 - 1772 werden keine diesbezüglichen Ordnungen erlassen, für 1773 und 1774 sind im StAMz je zwei Regelungen erhalten (Nachweis wie oben). - Vgl. auch Georg Hummel, Das Erfurter Münzwesen der kurmainzischen Zeit 1664- 1802, in: Mittei­ lungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde Erfurts 53 (1940), S. 119- 172. 43 Der Kurfürst förderte insbesondere die Glas- und Spiegelherstellung, was folgende Ver­ ordnungen deutlich machen: 7. 2 . 1765 : Verordnung der Kurfürstlich-Mainzischen Regierung über die Ausfuhr von Asche [StAMz], vgl. dazu auch: 20.6.1765: Verordnung der Kurfürstlich­ Mainzischen Regierung über den Handel mit Asche [StAMz] . 16. 12. 1765: Kurfürstliche Ver­ ordnung für die Ablieferung von Asche an die Spiegelmanufaktur in Lohr [StAMz] . 20. 1. 1767: Verordnung über die Ablieferung von Pottasche an die Spiegelmanufaktur in Lohr durch Pott­ aschesieder [StAMz] . 29. 1 . 1768 : Verordnung über die Verwendung von Glas aus Lohr in herr­ schaftlichen Gebäuden [StAMz] . 28.8.1772: Kurfürstliche Regierungsverordnung über die Verwendung von Glas aus der Emmerichtaler Glashütte [StAMz] . 13.9. 1773: Verordnung ge­ gen den Verkauf fremder Glaswaren [StAMz] . 16. 1 1 . 1773: Kurfürstliche Regierungsverord­ nung gegen die verbotene Niederlage und den Verkauf von ausländischem Glas (StAMz] . - August Amrhein, Verhandlungen über die Ueferung der Asche und Pottasche für die Glas­ hütten der Spiegelmanufaktur zu Lohr, Rechtenbach und Weihersbrunn von 1733- 1798. Kul­ turgeschichtliche Studie, in: Archiv des historischen Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg 45 (1903), S. 217-257; A(ugust) Amrhein, Die kurmainzische Glashütte Em­ merichsthal bei Burgjossa. Beitrag zur Geschichte der Handelspolitik des Kurstaates Mainz. Mit einem Anhang: Zwei Arbeiterordnungen v. J. 1406 und 1790 für die Glashütten des Spes­ sarts, in: Archiv des historischen Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg 42 (1900), S. 140-243, auch Sonderdruck Würzburg 1900; Johannes Stauda, Die Glasmacher »auf und um den Spessart«, in: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 7 (1955), S. 80-118. - 17.2. 1765: Verordnung über den Handel der Porzellanfabrik zu Höchst [StAMz], vgl. Lite­ ratur bei Anm. 28. 44 18.2. 1772: Verordnung über die Einführung eines monatlichen Militärstatus [StAMz] . 21.2. 1772: Verordnung über die Abgabe von Fourage an die kurfürstlichen Pferde [StAMz] .

310

Friedhelm Jürgensmeier

Volksfürsorge46 und des Armenwesens, besonders in den Hungerjahren von 1766 bis 1771, 47 was zu offenen Loyalitätskundgebungen der Bevölkerung führte. 48 Waren diese Maßnahmen und Verordnungen mehr oder weniger Kontinuität schon früherer Bemühungen, so setzte Emmerich Josef in drei bzw. vier Berei­ chen wesentlich neue Akzente : 1. im Bildungswesen, 2. in bezug auf die Orden, 3. im Verhalten Rom und dem Papst gegenüber und 4. bei der Frömmigkeits- und Liturgiereform . Da letztere eher konsequente Durchführung schon seit längerem betriebener Maßnahmen war, seien die emmerizianischen Haupterlasse nur kurz skizziert: Reduzierung der das Arbeitsleben sehr beeinträchtigenden >>gelobten Feste>Hagelfeiertage>Fragen, um eure Schüler zum Nachdenken zu bringen oder sie im Nachdenken so zu leiten, daß sie das sozusagen selbst finden, was ihr sie lehren wolletAnweisung zum zweckmäßigen Schulunterricht für die Schullehrer im Hoch­ stifte Münster>seelsorgerischen>Neben­ tätigkeiten>Anweisung zur Verbesserung des Ackerbaues und der Land­ wirtschaft Münsterlandes>all­ gemeinen Bestimmung>rechtschaffene Christen>ih­ rem besonderen Stande nachbesonderen Stande>Anweisung zum zweckmäßigen Schulunter­ richt für die Schullehrer« (1793) . Die Rezeption der Aufklärungspädagogik im Fürstbistum Münster, in: Westfälische Zeitschrift 137 (1987), S. 89- 126. so

Aufgeklärte Reformen im Fürstenbistum Münster

333

Auch die allgemeine menschliche und christliche Bestimmung h atte sich in der gegebenen ständisch gegliederten sozialen Wirklichkeit zu vollziehen; es könne >>ein jeder in seinem Stande Gott lieben, Gutes tun und folglich glücklich sein« (Anweisung § 105) . Was sich hier in Overbergs Aussagen zur erzieherischen Aufgabe der Land­ schule ausdrückt, läßt sich auch auf die anderen Ebenen des Erziehungswesens anwenden : Aufklärerische Reformen hatten sich der kirchlichen dogmatisch­ moralischen Lehrautorität und der ständischen Ordnung an- und einzupassen . Rücksichtnahme auf die ständisch und beruflich differenzierte soziale Wirklich­ keit war allerdings ein generelles Problem der Aufklärung und nicht ein eigen­ tümliches eines geistlichen und ständischen Territoriums. Die Unterscheidung zwischen allgemeiner Menschen-Aufklärung und spezifischer und konkreter Bürger- oder auch Volks-Aufklärung, wie sie sich etwa bei Mendelssohn, Zeren­ ner, Reche und Adelung findet, belegt das. 5 1 In der Schulverordnung von 1788 hieß es, man solle bedenken, >>ob nicht eini­ ge kleine Industrie oder Handarbeit>einen oder anderen, in der Gegend etwa unbekannten, doch nützlichen Zweig der Industrie und Nahrung einzu­ führen>erste moderne Fortbildungsschule Westfalens>Durch seine Erziehungsanstalt hat er einen großen Vorrat von Kenntnissen, ordentlichem logischen Denken und Moralität unter die Menschen gebracht . «54

54 An Frau von Berg am 6. 10. 1802 (Stein, Briefe und Schriften I, wie Anm . 38, S. 576) .

Rudolfine Freiin von Oer (Münster) Franz Wilhelm von Spiegel zum Desenberg und die Aufklärung in den Territorien de s Kurfürsten von Köln

Wie viele, vor allem die bedeutenderen Fürsten im Alten Reich, regierte auch der Erzbischof und Kurfürst von Köln kein einheitliches Territorium . Neben dem eigentlichen Erzstift, das sich - vielfältig territorial zerklüftet - zwischen An­ dernach und Rheinberg zum größeren Teil am linken Rheinufer hinzog, unter­ standen Kurköln das sog. Vest Recklinghausen und das Herzogtum Westfalen . Die beiden westfälischen Landesteile Kurkölns bewahrten eine j e eigene Verwal­ tung, eigene Stände und Landtage bis zur Säkularisation . In Recklinghausen ver­ trat der Statthalter des Vestes den Landesherrn, in Arnsberg leitete der Landdrost die kurkölnische Verwaltung. Kurköln jedoch, wie Brandenburg-Preußen - nach einem bekannten Diktum Otto Brunners - als »monarchische Union von Stän­ destaaten« zu bezeichnen, würde sich m . E . wegen der republikanischen Elemente in den Verfassungen der geistlichen Staaten verbieten: manche Zeitgenossen Spie­ gels haben in den Hochstiften durchaus >>Republiken>eine Art von Parlament>Brüder>Er war der einzige unter dem stupiden münsterländischen Adel, der sich Kenntnisse erworben hatteviel schwätzende[n] Sophist>auf's Intrigiren>ein zweiter Kardinal Richelieuin alle De­ partements des Staats [ . . . ] warf>Unter der unmittelbaren Leitung der Frau von Galen>ganz der frömmelnden Fürstin Gallitzin anhing> Lebenschronik>Göttingische Princi­ pia« aufgenommen, deretwegen sein späterer Dienstherr, Kurfürst Max Franz, ihn gelegentlich hänselte. 9 Gemeint waren wohl die Frühschriften Kants, dessen bedeutendere Werke freilich erst lange nach Spiegels Göttinger Zeit veröffentlicht wurden; aber auch später hat Spiegel die Publikationen Kants mit Interesse ver­ folgt. l0 Nach den Göttinger und römischen Studien erhielt Spiegel - durch Familien­ beziehungen - Kanonikate in Hitdesheim (1776) und Münster (1780) . Noch recht­ zeitig zur Koadjutorwahl dieses Jahres empfing er die Subdiakonatsweihe, weitere geistliche Grade erwarb er ebensowenig wie Franz von Fürstenberg. Spiegels eigentliches Tätigkeitsfeld lag jedoch damals weder in Hitdesheim noch in Münster, sondern in den Territorien des Kölner Kurfürsten . Bereits vor seinen Göttinger Studien wurde der vormalige Page am Bonner Hof zum Kammer­ herrn und nach deren Abschluß zum Hofrat ernannt. Einen wirklichen Auf­ gabenhereich mit gesicherten Einkünften erhielt er j edoch erst mit der Über­ nahme des Landdrostenamtes im Herzogtum We stfalen nach dem Tod seines Vaters 1779. Sieben Jahre, bis zu seiner Berufung als Hofkammerpräsident nach Bonn 1786, hat Spiegel das größere der beiden kurkölnischen Nebenländer ver­ waltet. >>Ich rettete in dem Augenblick die Familie, mich aber stürzte ich in Unru­ hen, Unannehmlichkeiten130 000 Seelen>Verfassungs- und rechtswidriges Verhaltenliterarischen Sturmzeichen vor der Sä­ kularisation« beigetragen, freilich anonym . 1781 erschien ohne Angabe eines Druckortes sein Heftehen >>Das Grab der Bettelmönche« und noch unter dersel­ ben Jahresangabe, ebenfalls anonym, die Schrift >>Nicht mehr und nicht weniger als zwölf Apostel« . Spiegel, j etzt ein Endzwanziger, präsentiert sich als jemand, den aufgeklärter Optimismus überzeugt hat . >>Die Nebel der Vorurtheile haben sich in unserm Jahrhundert zertheilet; die Macht des Aberglaubens verschwin­ det; man zittert nicht mehr vor den Bannstrahlen des Vaticans. « 16 Auf der Folie 13 Der Westfälische Anzeiger, Bd. 6, 7, Sp. 1304 und 1318 f. (13. und 16. Okt . 1801) . 14 Elisabeth Schumacher, Das kölnische Westfalen im Zeitalter der Aufklärung, Olpe 1967, 5. 163 ff. 15 Ebd . , 5. 170, 176, 178. 16 (Spiegel), Grab (wie Anm . 4), Vorrede.

Spiegel zum Desenberg und die Aufklärung

339

dieser weit verbreiteten Grundstimmung entfaltet Spiegel seinen »kleinen Bei­ trag« zur Reform der Bettelorden, die er keineswegs ganz abschaffen, sondern nur durch einen Blick in ihr Grab heilsam schrecken will . Die in seinen Au­ gen offenkundigen Mißbräuche geißelt er freilich ohne Nachsicht. In einem Gang durch die Ordensgeschichte weist er auf die Zeitgebundenheit der jewei­ ligen Neugründungen hin . Er anerkennt die historischen Verdienste der fun­ dierten Orden, die Mendikanten jedoch finden vor seinem kritischen Auge wenig Rechtfertigung. Parasitentum, Schaden des üblen Beispiels durch ein Leben ohne Broterwerb, Transferierung hoher Summen ins Ausland, Einmischung in die Angelegenheiten der weltlichen Gewalt und religiöser Fanatismus sind seine Vorwürfe . Ihn stört, daß die Orden eine >>besondere Republik in der Kir­ che« 17 bilden, direkt Rom unterstehen, von der bischöflichen Jurisdiktion aus­ genommen sind und sogar die Weltpriester aus ihren Pfarreien verdrängen. Vor allem den Bettelorden wirft Spiegel vor, den Hexen- und Aberglauben zu för­ dern und >>der Reinigkeit der Religion schädlich>die Mendikanten hingegen sind unnütze Auswüchse der menschlichen Gesell­ schaft. « 18 Wer die Ordenskritik der zweiten H älfte des 18. Jahrhunderts in etwa über­ schaut, wird hier kaum Originelles entdecken. Mit dem Hinweis auf >>Joseph, den MenschenfreundJosephini­ stenewi­ ges Denkmal von den erhabenen Gesinnungen unsers besten KaiserSGrab der Bettelmönche>Mietau>Nicht mehr und nicht weniger als zwölf Apostel« . Ausgelöst wurde diese zweite Schrift durch die in Schlözers Briefwechsel abgedruckte »Vorstellung>Noch nie hat sich 17 Ebd . , S. 19. 18 Ebd. , S. 132 u. 154. 19 Ebd . , S. 150; Sonnenfels, >>Der Mann ohne Vorurteil«, wird zitiert in ( Spiegel), Apo­ stel (wie Anm . 4), S. 152. 20 Ebd . , S. 102 ff.

340

Rudolfine Freiin von Oer

so viel Gutes h offen lassen«, so schreibt Spiegel, denn heutzutage wachten die Regenten über das Wohl ihrer Untertanen, »welche von den zahlreichen Armeen des päpstlichen Hofes ausgesogen werden . geistigen Klima>Lehrer der LehrendenOffenbarung ihm über jene beseligenden Aussichten Gewißheit giebt, die ihm die philosophische nicht gewähren kann . Der aufgeklärte Bürger überhaupt wird fühlen, daß er einen Teil seiner natürli­ chen Freiheit aufopfern muß, um desto größere Wohlfahrt zu genießen . entstanden Leibeigenschaften, Inquisition, Faustrecht, Despotie, Religionskriege und wie diese Greuel alle heißen, bei deren Andenken die Menschheit schaudert [ . . ] bis end­ lich durch bessere Erziehung die Summe der richtigen Begriffe die Summe der falschen zu verdrängen anfieng, und je allgemeiner diese Geistesrevolution in einigen Staaten ward, desto glücklicher finden wir dort die Menschen . >nichts als unrichtige Begriffe von politischer Freiheit . >Quelle der menschlichen Glückselig­ keit>akademischen Mitgehülfen die [ ] auserlesene Jugend führen . >emporsteigenden Anarchie>deutscher Mann>Üb Germaniens Verfassung von seinen Nachbarn mit Recht als die schlechteste aller möglichen Regierungsformen angesehen zu werden ver.

. . .

32 Ebd . , 5. 478- 483.

Spiegel zum Desenberg und die Aufklärung

343

dient, und ob sie nicht vielmehr eine der besten ist, wo der Mensch am wenig­ sten von seiner natürlichen, am wenigsten von seiner politischen, und gar nichts von seiner bürgerlichen Freiheit verloren hat«. Er geißelt die deutsche Bewunde­ rung für den >>asiatischen Aufwand an dem Hofe Ludwigs XIV. und seiner Nach­ folgerUns verblendete Deutsche, die einen Blick auf unsere vaterländischen Fürstentümer und ihre Mittelmäßigkeit zurückwarfen, hierin nur unsere Schwä­ che und die Größe unseres Nachbars sehen>Unsere Erhal­ tung und der Untergang jener Nation>durch dessen furchtbare Heere hin und wieder verwüstet, aber seine Verfassung selbst ward durch seine R!inde am meisten befestigt. Man klagt, Deutschland hätte keine Hauptstadt, keine Akademie, dies hindere Kultur und Sprache, beschränke das Künstlergenie, verdunkele das Ansehen der Nation [ . . . ] Danken müssen wir viel­ mehr der Vorsehung, daß sie das Bild, welches Tacitus von den die Nation aus­ machenden zerstreuten Familien entwirft, uns nur in der veränderten Gestalt, wie es das Fortschreiten der Kultur unter den Menschen erforderte, wiederfin­ den läßt . >die Masse des Elends der Verlassenen, die durch den Zufall der Geburt seiner Obsorge anvertraut wa­ ren>Mann von Genie>schmiedet [ . . . ] an den Fesseln der Nation>furchtbar stehendes Heer, das vielleicht von Zeit zu Zeit unsere Gränzen, aber nicht unsere Glückseligkeit erweiterte, besitzen . >glücklichen Bürgern schuf. >schönen Wissenschaften>Nachbarn [ . . . ] seit sechzig Jahren eingeholt . >daß unsere Verfassung den Fort­ schritten der Kultur und des Verstandes nicht im Wege stehet [ . . . ] Deutschland schränkt seinen Bürger in seiner natürlichen Freiheit nur insoweit ein, daß er sich und seinem Mitbürger nicht schaden kann, und gestattet ihm so viele poli­ tische Freiheit, als ihm die gesellschaftliche Verbindung, worin er besonders steht, zugesagt hat, und räumt ihm uneingeschränkte bürgerliche Freiheit ein . >Seine>Sehr unbesonnen« und >>im revolutionären Ge­ schmack gestimmt«; schließlich ging er nach Paris, >>WO er nach vielen Ausschwei­ fungen und Missetaten auf der Guillotine endigt. >Ueber die Aufhebung der Kloester und geistlichen Stifter im Herzog­ thum Westphalen«34 an die hessische Organisationskommission in Arnsberg. Zur Durchführung s einer Vorschläge empfahl er die Bildung >>einer Commission von zwei redlichen Männern nebst einem Schreiber« - hoffte der arbeitslos gewor­ dene Kammerpräsident und Universitätskurator auf eine Berufung zu dieser Aufgabe? Wäre eine solche erfolgt, so hätte sich ihm die Ch ance nicht nur zur Erfüllung seines >>Traumes« von 1781, sondern auch zu einer Synthese bisher geäußerter Zielsetzungen, ja zu ihrer Weiterentwicklung geboten . Nach Ausweis der Denk­ schrift plante Spiegel, zunächst die >>aegyptische Pflanze« des Mönchtums, ins­ besondere die Bettelorden, aufzuheben und die Seelsorge ganz dem eigentlichen Pfarrklerus zu übertragen. Entsprechend der durch § 35 des Reichsdeputations­ hauptschlusses geschaffenen Rechtslage wollte Spiegel nun auch das Vermögen der fundierten Stifter und Klöster zur Disposition stellen, freilich vorab zum Aus­ bau des Bildungswesens und erst den >>Ueberschuß dem Aerario principis« über­ lassen . Spiegel sprach sich gegen den Zölibat und für eine Reduzierung >>unserer übermäßigen Festtage« au s, ferner regte er die Errichtung einer theologischen Fa­ kultät in Gießen zur Ausbildung des Klerus für Hessen-Darmstadts katholische Säkularisationsgewinne und die Zusammenfassung der bestehenden Gymnasien 33 Lebenschronik (wie Anm. 2), S. 218 f . ; vgl . auch Braubach (wie Anm. 26}, S. 116 ff. 34 Klueting (wie Anm. 12), S. 53 ff.

Spiegel zum Desenberg und die Aufklärung

345

in den beiden Anstalten Arnsberg und Brilon an. Für die >>Töchter des Adels und des vornehmem BürgerstandesAufklärung im katholischen Deutschland>katholischen Aufklä­ rung>vor anderen katholischen Landen so große Vorschritte in der Aufklärung zum Voraus hatSitz der Literatur, welcher selbst jetzt noch eine anständige Frei­ heit genießt und durch diese Freiheit blüht . « 4 Ähnlich lauten gewichtige Urteile aus der neueren Forschung: so nannte Max Braubach in den dreißiger Jahren das Erzstift >>einen Mittelpunkt der Propaganda für Aufklärung im katholischen Süd­ deutschland«, 5 und Wilhelm Wühr meinte damals, spätestens 1794 sei Salzburg im Reich >>das einzige Land mit offenen Grenzen inmitten versiegelter Nachbar­ länder« gewesen . 6 Auf die >>ganz eigentümliche und wenig beachtete Sonderstel­ lung als geistiger Mittelpunkt der katholischen Aufklärung« verwies Karl Otmar Frhr. v. Aretin 1967/ und im Jahr darauf betonte Hans Wagner in einer wegwei­ senden Studie, das Erzstift habe im späten 18. Jahrhundert >>als Zentrum der kirch­ lichen und der weltlichen Aufklärung eine einzigartige Stellung eingenommen und zeitweise sogar Wien an Bedeutung übertroffen«. 8 Aufs ganze ge sehen ist Salzburgs Aufklärungsprozeß immer wieder gekenn­ zeichnet von erstaunlichen und scheinbar unvermittelten Schüben, auch von ver­ deckten, oft schwer aufschließbaren Kontinuitäten . Bereits in den ersten . Friedensjahren nach 1714 wurden zaghafte früh aufklärerische Ansätze an der Be­ nediktineruniversität unterdrückt; man glaubte sie rasch versickert . Doch schon zwischen 1737 und 1743, also nur wenige Jahre nach dem fatalen Protestantenex­ odus, rückte Salzburg für kurze Zeit mit in den Vordergrund der jungen katho­ lischen Frühaufklärung, und dies sogar auf mehrfache Weise : 9 durch Berufung

2 Gerhard Florey, Geschichte der Salzburger Protestanten und ihrer Emigration 1731/32, Köln/Graz/Wien 1976; Franz Ortner, Reformation, katholische Reform und Gegenreforma­ tion im Erzstift Salzburg, Salzburg 1981, S. 215 - 261; Peter Putzer, Das Wesen des Rechts­ bruchs von 1731/32, in: MGSL 122 (1982), S. 295-320; Gerhard Ammerer, Von Franz Anton von Harrach bis Siegmund Christoph von Schrattenbach. Eine Zeit des Niedergangs, in: Geschichte Salzburgs (wie Anm. 1), Bd. 2/1, bes. S. 261 - 288. 3 Allgemeine Literatur Zeitung, Bd. 1, Nr. 69, Jena 1786, S. 586 f. 4 Rezension von Lorenz Hübners >>Beschreibung der hochfürstlich-erzbischöflichen Haupt- und Residenzstadt Salzburg und ihrer Gegenden>Von 1790 bis 1795 im süddeutschen Raum die Führung der Spätaufklä­ rung übernommen« (ebd .), wird durch die Quellen nicht nur bestätigt, sondern läßt sich m . E . sogar auf die Periode zwischen 1788 und 1799 ausdehnen. 9 Die von Erzbischof Paris Graf Lodron 1622 gegründete Universität, nach ihrem Grün­ der auch >>Paridiana« genannt, wurde getragen von einer Konföderation aus 22 bayerischen,

348

Ludwig Hammermayer

aufgeklärter Benediktinerprofessoren und weltlicher Gelehrter, durch die soge­ nannte »Societas Muratoriana« und das gegen diese entfesselte Kesseltreiben, 10 und nicht zuletzt durch enge Beziehungen zum verhältnismäßig nahen Österrei­ chischen Stift Kremsmünster, das eben damals zu einem eigengeprägten und weit ausstrahlenden Aufklärungszentrum aufstieg. 1 1

20 schwäbischen, 6 Österreichischen und zwei Salzburger Benediktinerabteien. Die angese­ hene Juristische Fakultät war mit weltlichen Gelehrten besetzt; eine Medizinische Fakultät fehlte. Zur RoHe der Universität in der Aufklärungsperiode vgl. u.a. Magnus Sattler, Coilek­ taneenblätter zur Geschichte der ehemaligen Benediktineruniversität Salzburg, Kempten 1890; Paul Muschard, Das Kirchenrecht bei den deutschen Benediktinern und Zisterziensern des 18. Jahrhunderts, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 47 (1929), S. 225-315; Ildefons Stegmann, Anselm Desing, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens, Ergänzungsheft 4, München 1929; Albert Mandorfer, Abt Berthold Vogl von Kremsmünster und sein Wirken als Professor und Rektor an der Salzbur­ ger Universität 1735 bis 1753, Diss. masch. Salzburg 1961; Rudolf Neubert, Beziehungen zwi­ schen dem Stift Mondsee und der Salzburger Benediktineruniversität, Diss. masch. Wien 1968; Hans Wagner (Hg.), Universität Salzburg 1622- 1%2- 1972, Salzburg 1972 (mit z.T. wesentli­ chen Beiträgen zur Geschichte der einzelnen Disziplinen); Annemarie Mühlböck, Die Pflege der Geschichte an der alten Universität Salzburg, Wien/Salzburg 1973; Apfelauer, Die Aufklä­ rung an der Benediktineruniversität Salzburg (wie Anm. 1); Albert Rinnerthaler, Die Kanoni­ sten an der Alten Salzburger Juristenfakultät im 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch der Universität Salzburg 1981-1983 (1984), S. 40-69; Ludwig Hammennayer, Salzburg und Bayern im 18. Jahr­ hundert. Prolegomena zu einer Geschichte ihrer Wissenschafts- und Geistesbeziehungen im Spätbarock und in der Aufklärung, in: MGSL 120/121 (1980/1981), S. 129-218. Grundlegend zur Juristischen Fakultät sind Peter Putzer, Aspekte der WISsenschaftspflege an der Alten Salz­ burger Juristenfakultät, in: Universität Salzburg 1622-1962- 1972 (s.o.), S. 121- 163; ders . , Reformen und Reformpläne d e s Lehrbetriebs an der Alten Salzburger Juristenfakultät gegen Ende ihres Bestandes, in: Festschrift für Nikolaus Grass, Bd. 2, Innsbruck 1975, S. 287-305; ders., Das Völkerrecht an der Alten Salzburger Universität, in: Christian Scheuer (Hg.), Au­ torität und internationale Ordnung, Berlin 1979, S. 209-228; ders . , Jus Naturae an der Salz­ burger Benediktineruniversität, in: Gedächtnisschrift für Rene Marcic, Berlin 1983, S. 117-135. 10 Zum sogenannten >>Sykophantenstreit>Muster ei­ nes guten Fürsten>Häberlins StaatsarchiV« von 1796, immer wieder zur Darstellung herausgefordert, aber dennoch bis heute keine umfas­ sende neuere biographische Darstellung gefunden . 8 Sie stellt sich uns dar, mehr von außen gesehen, im Urteil der kaiserlichen Geschäftsträger beim Fränkischen Reichskreis (Trauttmansdorff, Hartig, Schlick), 9 in der Innensicht durch die Au-

6 Harald Ssymanck, Fürstbischof Adam Friedrich von Seinsheims Regierung in Würz­ burg und Bamberg, Phi! . Diss. (ungedruckt) Würzburg 1939; Hellmuth Rößler, Der frideri­ zianische Bischof. Adam Friedrich von Seinsheim, in: Hellmuth Rößler, Fränkischer Geist - Deutsches Schicksal. Ideen - Kräfte - Gestalten in Franken 1500- 1800, Kulmbach 1953, S. 290-297; Georg Lohmeier, Adam Friedrich von Seinsheim, Fürstbischof von Würzburg und Bamberg (1708-1779), in: Ludwig Schrott (Hg.), Bayerische Kirchenfürsten, München 1964, S. 259-268. 7 Für diesen Aspekt immer noch unentbehrlich : Kar! Wild, Staat und Wirtschaft in den Bistümern Würzburg und Bamberg. Eine Untersuchung über die organisatorische Tätig­ keit des Bischofs Friedrich Kar! von Schönborn 1729- 1746, Heidelberg 1906. Auf die weite­ re Literatur zu Friedrich Kar! von Schönborn soll hier nicht weiter eingegangen werden . 8 Neben der immer noch brauchbaren Gesamtdarstellung von Friedrich Leitschuh, Franz Ludwig von Erthal, Fürstbischof von Bamberg und Würzburg, Herzog von Franken. Ein Charakterbild nach den Quellen bearbeitet, Bamberg 1894 liegen eine Reihe kürzerer Le­ bensabrisse vor, so Hellmuth Rößler, Ein Bischof als Volkserzieher. Franz Ludwig von Er­ thai, in: ders . , Fränkischer Geist (wie Anm . 6), S. 314-325; Michael Renner, Franz Ludwig von Erthal, in: Fränkische Lebensbilder 1, Würzburg 1967, S. 286-312; Otto Meyer, Fürst­ bischof Franz Ludwig von Erthal 1730- 1795, in : Lohr a. Main 1333- 1983. 650 Jahre Stadt­ recht 1983, Lohr/Main 1983. , S. 68-86. Ein knappes Lebensbild vermittelt auch Flurschütz (Anm. 1) S. 7- 17 (dort zahlreiche Hinweise, bes. auch auf ältere Literatur) . Eine auf einge­ henden Archivstudien beruhende Teilbiographie bis zum Regierungsantritt als Fürstbischof bietet Michael Renner, Franz Ludwig von Erthal . Persönlichkeitsentwicklung und öffentli­ ches Wirken bis zum Regierungsantritt als Fürstbischof von Bamberg und Würzburg, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 24 (1962), S. 189-284. 9 Vgl. dazu vor allem Erwin Riedenauer, Gesandter des Kaisers am Fränkischen Kreis. Aus der Korrespondenz des Grafen Schlick zwischen Fürstenbund und Reichskrieg, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 28 (1965), S. 259-367, bes. S. 276- 281; ferner

372

Günther Christ

tobiographie des würzburgischen Geheimreferendars und späteren Kanzlers Jo­ hann Baptist von Wagner. 10 Persönliche Wesenszüge prägten in starkem Maße den Lebens- und Regierungsstil Erthals . Als zentrale Eigenschaft darf man ein bis zur Skrupulosität gesteigertes Pflichtbewußtsein ansprechen. Dabei vergaß Franz Ludwig allerdings nie die Tatsache, Reichsfürst und Herr zweier Hochstifte und Bistümer zu sein . Er hatte durchaus das Verlangen, eine politische Rolle zu spie­ len; darin unterschied er sich im Prinzip nicht von seinem kurfürstlichen Bruder in Mainz, dessen >>Lebensart und Politique lächerlich zu machenAbneigung gegen Aufwand>Hang zur O ekonomieAnerinnerungenallgemeiner Unzufriedenheit [ . . . ] gegen den Für­ sten, als auch Abneigung gegen seine Geschäfts-Männer (Ratgeber) nieder­ schlug. 43 Die Leitlinien, nach denen Fürst und Kapitel handelten, hatten sich grundlegend auseinanderentwickelt; dabei muß man sich vor Augen halten, daß eine Reformpolitik, wie sie Erthal betrieben hat, mit dem Konsens des Domka­ pitels als einer doch ziemlich stark auf das Eigeninteresse fixierten Korporation schwerlich möglich gewesen wäre. Auf einem Gebiet hatte allerdings das Dom­ kapitel seine angestammte Position im Staatsverband behaupten können : noch am Ende des Hochstifts unterstanden fünf Ämter dem Dompropst, ein weiteres (Staffelstein) dem Kapitel; der Fürstbischof übte dort lediglich die Landeshoheit

40 Zur Rolle Johann Philipp Antons von Schaumberg bei der Bamberger Bischofswahl 1795 vgl . Berbig (wie Anm . 33), S. 78-99. Eine, freilich nicht unparteiische, Charakteristik Schaumbergs bietet der kaiserliche Wahlkommissar Graf Schlick in seinem Bericht aus Würz­ burg vom 9.3.1795 (Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Reichskanzlei Berichte aus dem Reich 166); er wird als ein Mensch mit »römischer Politique« geschildert und darüber hinaus der Trunksucht bezichtigt. 41 Zur Rolle Joseph Kar! Georg von Huttens bei der Bamberger Bischofswahl von 1795 vgl . Berbig (wie Anm. 33), S. 78- 99. Hutten wird von Schlick als geistvoll, aber violent und bösen Herzens« geschildert; Hutten galt in Wien, da Parteigänger Preußens, als der politisch gefährlichere Kandidat (Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Reichskanzlei Berichte aus dem Reich 166, Berichte aus Würzburg, 9 u. 18.3. 1795); zur Stellung von Schaumberg und Hutten in der »Geheimen Konferenznach dem Fürstbischof der bedeutendste und einflußreichste Mann im Territorium>die Abscheulich-

53 Günter Christ, Aschaffenburg, Grundzüge der Verwaltung des Mainzer Oberstifts und des Dalbergstaates (Historischer Atlas von B ayern. Teil Franken. Heft 12), München 1963, S. 97- 101, 193 f. 54 Sagstetter (wie Anm. 38), S. 3, 12 u . 2 1 . 5 5 Ebd . , S. 2 1 . 5 6 Ebd . , S. 24. 57 Wagner (wie Anm. 10), S. 30 ff. . 58 Sagstetter (wie Anm. 38), S. 24 f. 59 Ebd. , 5. 27. 60 Ebd . , S. 29 -33.

Das Hochstift Samberg und die Aufklärung

379

keit grausamer Strafen und die Unregelmäßigkeit im Peinlichen Verfahren zu un­ tersuchen und zu bekämpfenDritten Deutschland>Bambergensis« von 1507, in einschlägigen rechts­ geschichtlichen Darstellungen keine Beachtung gefunden hat und man Namen wie Pranz Ludwig von Erthal u nd Matthäus Pflaum vergebens sucht . 72 Eine Neukodifikation des Zivilrechts fand, um dies zur Abrundung zu erwähnen, schon 1769 statt. 73 Als bahnbrechend sollte sich die Entwicklung der Krankenfürsorge in Barn­ berg erweisen . 74 Hier wird entschieden mit dem noch aus dem Mittelalter über-

68 Ebd . , S. 34 ff. 69 Ebd. , S. 32 u. 34. Nach dem Übergang des Hochstifts Würzburg an Bayern kam die

bambergische peinliche Gesetzgebung in Fällen von Todes- bzw. schwerer Leibesstrafe auch in Würzburg zur Anwendung, wenn deren Be stimmungen milder waren (ebd . , S. 35) . Die ursprüngliche Absicht Franz Ludwigs von Erthal, für beide Hochstifte >>ein eigenes peinli­ ches Gesetzbuch ( . . . ) aufzustellen« erwähnt Wagner (wie Anm. 10), S. 32 f. 70 Hofmann, Außenbehörden (wie Anm. 49), S. 60-63; Neukam, Territorium (wie Anm. 44), S. 18 ff. 71 Christ, Aschaffenburg (wie Anm. 53), S. 78 f. 72 Vgl . Hans Planitz, Deutsche Rechtsgeschichte, Graz 1950, wo S. 247 f. das Strafrecht der Aufklärung behandelt wird; Conrad (wie Anm. 63), S. 435 -455; Georg Dahm, Deut­ sches Recht, 2. Auf!. Stuttgart 1963, S. 115 f. 73 Kurze Erwähnung bei Planitz (wie Anm . 72), S. 258, ebenso bei Johannes Kist, Fürst­ und Erzbistum Bamberg. Leitfaden durch ihre Geschichte von 1007 bis 1960, 3. Auf! . Barn­ berg 1%2, S. 123. Zum Bamberger Landesrecht von 1769 vgl. die bei Gerhard Pfeiffer, Frän­ kische Bibliographie. Schrifttumsnachweis zur historischen Landeskunde Frankens bis zum Jahre 1945, Bd. I, Würzburg 1965, S. 93 aufgeführten zeitgenössischen Veröffentlichungen (bes. Nrr. 4308 - 4311) . 74 Klaus Guth, Sambergs Krankenhaus unter Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal (1779- 1795). Medizinische Versorgung und ärztliche Ausbildung im Zeitalter der Aufklä­ rung, in 114. Bericht des Historischen Vereins für die Pflege der Geschichte des ehemali­ gen Fürstbistums Samberg (1978), S. 81 -96, mit weiterführender Literatur; Dieter Jetter, Geschichte des Hospitals. B d . 1 : Westdeutschland von den Anfängen bis 1850, Wiesbaden

Das Hochstift Bamberg und die Aufklärung

381

kommenen Gesundheitswesen gebrochen, dies im Zeichen des wohlfahrtsstaat­ liehen Auftrags des aufgeklärten Absolutismus, eines neuen Humanitätsideals der Zeit und nicht zuletzt der im Bereich der Medizin realisierten Fortschritte. Dabei verband sich das Engagement des Landesfürsten - Erthal bestritt den Er­ werb des Areals für das neu zu errichtende Krankenhaus aus seiner Privat­ schatulle und leistete auch für die Bau- und Unterhaltskosten Zuschüsse 75 - mit dem ärztlichen und wissenschaftlichen Ethos eines hervorragenden, auf der Höhe der Zeit stehenden Vertreters der Medizin in der Person des Adalbert Fried­ rich Marcus, dessen Wort vom säkularisierten Spital als »Tempel der Wohltä­ tigkeitpraktisches Jahr>Mekka der wissenschaftli­ chen und praktischen Medizin>Krankenspitälern zu Unterrichtszwecken>dirigierenden Arzt>Unter der Aufsicht des Landesherrn monopolisiert, institutionali­ siert und weitgehend gleichförmig gestaltetSeelenverdienlichen guten Werken>Pest der Staaten>Universitas Ottoniano-FridericianaAca­ demia Ottoniana>rein formal [ . . . ] über die ge­ samte Breite damaliger Wissenschaft>einmal dem Territorium die benötigten Beamten auszubilden, zum anderen aber auch den Landeskindern den Weg in kaiserliche und Reichsdienste zu öffnenAnsehen und Stellung des bedeutenden Kreisausschreib­ amtes, das Bamberg innehatte>Heranbildung guter Wundärzte> Landphy­ sikus und Professor der Anatomie> Landphysikus und Professor der MedizinSchulkommissionAkademie und Universität im Hochstift Bamberg«, S. 629- 644); Pie­ tati Bonisque Litteris. Universitas Bambergensis. Werden und Fortwirken der Universitäts­ stiftung zu Bamberg, Bamberg 1987; ferner: Von der Academia Ottoniana zur Otto-Fried­ rich-Universität Bamberg. Eine Ausstellung des Staatsarchivs Bamberg anläßlich des 37. Deut­ schen Historikertages, Bamberg 1988. 115 Academia Ottoniana (wie Anm. 114), S. 8. 116 Weber (wie Anm. 114}, S. 122 u. 259 f.; zum Fundationsbrief für die juristische Fa­ kultät vgl . Academia Ottoniana (wie Anm. 114}, S. 33. Für eine knappe Übersicht der Ent­ wicklung der juristischen Fakultät vgl. Universitas Bambergensis (wie Anm . 114}, S. 61 f. 117 Weber (wie Anm. 114}, S. 268; Universitas Bambergensis (wie Anm. 114}, S. 61; Not­ ker Hammerstein, Aufklärung und katholisches Reich . Untersuchungen zur Universitäts­ reform und Politik katholischer Territorien des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation im 18. Jahrhundert, Berlin 1977, S. 162 gibt für die Errichtung der vierten weltlichen Profes­ sur für >>Bamberger Landrecht, Peinliches Recht und Juristische Enzyklopädie« das Jahr 1792 an. 118 Ebd . , S. 163 f., dort auch die Zitate. 119 Weber (wie Anm. 114), S. 280 f. u. 701; Lehmann-Struve (wie Anm. 85), S. 12 u. 45 f. 120 Weber (wie Anm. 114}, S. 281 f. u . 701; sein Name erscheint 1756 erstmals in der Matrikel, auch nimmt er von nun an an den Sitzungen des Senats teil; Lehmann-Struve (wie Anm. 85}, S. 13 u. 47; Schwarz lehrte bis zu seinem 1768 erfolgten Tod in Bamberg.

Das Hochstift Bamberg und die Aufklärung

387

bischöflichen Leibarzt und Stadtphysikus Dr. Döllinger) atmen durchaus den Geist der Zeit, geht es doch nicht allein darum, die >>Bedürfnisse der leidenden Mensch­ heit>Demonstrator Anatomiae«, lediglich zwei Profes­ soren gleichzeitig. 123 Weber (wie Anm. 114), S. 286; über diesen, Adalbert Philipp Gotthard, gingen 1772 von den Studenten der Medizin Klagen ein, er sei »wegen Unkenntniß der lateinischen Sprache, der Physik und Mathematiknicht die neuesten Fortschritte der Kunst>in der blühendsten Epoche« (ebd. S. 30) gegeben haben soll, bezieht sich offenbar nicht auf den regulären universitären Lehr­ betrieb, sondern auf das Allgemeine Krankenhaus, an dem sich eine große Zahl von Ärz­ ten einfanden, um sich fortzubilden, vgl. Grünheck (wie Anm. 15), S. 109. 135 Robert Haaß, Die geistige Haltung der katholischen Universitäten Deutschlands im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung, Freiburg i. Br. 1952, S. 92 .

Das Hochstift Bamberg und die Aufklärung

389

benen drei Lehrstühlen . 136 Erst dann kam es zu einer Erweiterung des Lehrkör­ pers. 1794 wurde Johann Baptist Georg Roppelt, ein Benediktiner aus Kloster Banz, mit der Vertretung der theoretischen und praktischen Mathematik sowie der Geo­ metrie betraut. 137 Ebenso wurde der im Range eines Professors der »Zeichnungs­ kunst« stehende Artillerieoberleutnant und spätere Ingenieur-Major Leopold von Westen, Leiter der 1794 ins Leben gerufenen, der >>Civil- und Kriegskunde«, nicht zuletzt auch der Weiterbildung von Bauhandwerkern dienenden >>Ingenieur­ und ZeichenakademieBamberger Zeitung>Universitas Ottoniano-Fridericiana Bam­ bergensis>Ingenieur- und Zeichenakademie« vgl . ebd . , S. 306 ff. 139 Pauler-v. Hofer (wie Anm. 136), S. 137 u. 232-236; Weber (wie Anm. 114), S. 226. Dafür, daß Freys Vorgänger, der Ex-Jesuit Philipp Grundel, der philosophischen Fakultät zugezählt worden sei, wie Weber (wie Anm. 114), S. 226 behauptet, findet sich in den Über­ sichten bei Pauler-v. Hofer (wie Anm. 136), S. 230 ff. keine Stütze. 140 Ebd . , S. 140 f. u. 233-236; bei Weber (wie Anm. 114), S. 225 f. ist Gley im Zusam­ menhang der philosophischen Fakultät nicht erwähnt . Zu Gleys Rolle als Herausgeber der >>Bamberger Zeitung>Gründung des Baroberger Zeitungsinstituts« die Rede, der name der von Gley her­ ausgegebenen Zeitung wird mit >>Fränkischer Merkurdie Philosophie Wolffs, wenn auch durchsetzt mit Elementen der Erkenntnistheorie Lockes und Resten der traditionellen Lehren«, vertrat. Zu Burkhäuser vgl. auch Weber (wie Anm . 114), 5. 136, Anm . 1 . 147 Ebd . , 5 . 222; (wie Anm . 135), 5. 90. 148 Weber (wie Anm. 114), 5. 135 f . ; zu B aumeister, Horvath und Feder ebd . , 5. 136, Anm. 2-4; ferner Haaß (wie Anm. 135), 5. 89. 149 Ebd . , 5. 89. 150 Pauler-v. Hofer (wie Anm . 136), 5. 113 u. 230 f.; Burkhard bekleidete die Professur für

Das Hochstift Bamberg und die Aufklärung

391

Heinrich Seubert 15 1 Logik, Metaphysik und Ethik, die s im Sinne einer »damals zeitgemäßen eklektischen Richtung>kantianischer Eklekti­ ker« und Michael Schlosser, 215 auch er an Kant orientiert . Damit hatten sich, sieht man von dem bis 1802 wirkenden Exjesuiten Möhrlein, 216 einem Vertreter der alten Richtung, einmal ab - bezeichnenderweise stiftete er ein Legat zur Re­ novierung der Statuen der Heiligen Aloysius und Stanislaus Kostka in der Uni­ versitätskirehe -, die aufgeklärten Tendenzen durchgesetzt, hatte Bamberg den Anschluß an die geistig-theologischen Strömungen der Zeit gefunden . 217 Diese Entwicklung war freilich nicht allein die Frucht des Wirkens einzelner Theolo­ gen, sondern auch die Folge der, trotz mancher Vorbehalte gegen Erscheinun­ gen der Zeit, aufgeschlossenen Haltung Pranz Ludwig von Erthals. 218 Zur Abrundung noch einige Beobachtungen zur Mobilität innerhalb des Lehr­ körpers. Für die sich in den letzten Jahrzehnten der Bamberger Universität vor­ wiegend aus Weltgeistlichen rekrutierende Professorenschaft der philosophischen und theologischen Fakultäten erscheint der Wechsel zwischen philosophischer und theologischer Fakultät e inerseits, noch mehr aber zwischen aktiver Seelsor­ ge und akademischer Lehrtätigkeit bezeichnend. Von dem runden Dutzend von 1773 bis 1803 an der philosophischen Fakultät

212 Weber (wie Anm. 114), S. 256; eine kritische Würdigung des 1799 erschienenen >>Lehr­ buchs der christkatholischen Religion« vermittelt Rabas (wie Anm. 205), S. 156 - 173; für Batz' 1800 veröffentlichtes >>Kleines Lehrbuch der Christkatholischen Religion für die erste und zweite Klasse der Jugend«, ebd . , S. 57. 213 Weber (wie Anm. 114), S. 256, dort auch Zitat; ebd . , S. 650 für das Studienjahr 1791/92 erstmals genannt; Schuler (wie Anm. 176), S. 61 f. 214 Weber (wie Anm. 114), S . 256 f., das Zitat ebd . , S. 257; ebd . , S. 650 für das Studien­ j ahr 1791/92 erstmals erwähnt; Schuler (wie Anm. 176), S. 62. 215 Weber (wie Anm. 114), S. 257; ebd . , S. 651 für das Studienjahr 1795/96 erstmals auf­ geführt; Schuler (wie Anm. 176), S. 62. 216 Weber (wie Anm. 114), S. 257, der, seiner Sichtweise gemäß, Möhrleins >>Streng kirch­ lichen Sinn« rühmt; ebd . , S. 647 wird der aus Heidelberg gekommene Möhrlein erstmals für das Studienjahr 1772/73 als Mitglied der theologischen Fakultät erwähnt . 217 Weber (wie Anm. 114), charakterisiert die Bamberger Aufklärungstheologen seiner kritischen Einstellung gemäß als >>ehrenhafte Männer, aber Kinder ihrer Zeit«; zum Ein­ fluß der kantischen Philosophie vgl. auch zusammenfassend Schuler (wie Anm. 176), S. 57-63. 218 Lesch (wie Anm. 168), S. 2W; über Erthals Vorbehalte vgl. ebd . , S. 298.

398

G ünther Christ

tätigen Professoren 219 - von Westen als Offizier und Laie darf hier außer Be­ tracht bleiben - kamen mit Ausnahme des Ex-Jesuiten Jacobs und der beiden Banzer Benediktiner Roppelt und Frank sämtliche aus dem Weltpriesterstand . Vier von ihnen hatten zuvor Seelsorgestellen innegehabt : Seuberth war Koope­ rator in Amlingstadt, Sommer in Pottenstein gewesen, Burkhard hatte als Kaplan an der Oberen Pfarre in Bamberg, Nüßlein in gleicher Eigenschaft in Lichtenfels gewirkt. Daum, Reuder und Frey hatten offenbar keine seelsorglichen Funktio­ nen ausgeübt; die beiden ersteren erscheinen als Alumni titulati, letzterer seit 1794 als Bibliothekar der Universität . Gley hatte 1785 die Priesterweihe erhalten und war im gleichen Jahr in Straßburg Professor der Philosophie und Theologie geworden . Batz wurde erst im Jahr nach seiner Berufung auf einen philosophi­ schen Lehrstuhl zum Priester geweiht . Von einer Professur auf eine Pfarrstelle wechselten unmittelbar 1781 Burkhard und 1797 Sommer, Reuder vertauschte 1792 seine Professur mit der Position eines Kanonikus und Stiftsdechanten in Forch­ heim. Über das Zwischenstadium theologischer Lehrtätigkeit gelangten 1784 Seu­ berth, 1795 Daum und, wenn auch erst nach der Säkularisation des Hochstifts, 1819 Batz (Johann Joseph) auf Pfarrstellen. Den Wechsel zur theologischen Fa­ kultät vollzogen 1777 Seuberth220 und 1792 Daum, 221 nach der Umwandlung der Universität in ein Lyzeum auch Batz . 222 Von den Angehörigen des theologischen Lehrkörpers kehrte der 1773 berufene Johannes Christoph Müller schon nach drei Jahren wieder auf seine vorherige Position als Pfarrer und Stiftsdechant in Forch­ heim zurück, 22 3 Zeder, ein ehemaliger Jesuit, seit 1768 in Harnberg tätig, wurde 1775 Pfarrer in Stockach, 1786 in Litzendorf,224 Diez und Daum übernahmen 1791 bzw. 1795 die Leitung des Priesterseminars. Batz (Johann Friedrich) wurde dort bereits 1795 Subregens, erhielt aber 1800 die Professur für Moraltheologie und wirkte, nachdem er 1803 -05 das neugegründete Lyzeum geleitet hatte, 1805 -07 als Pfarrer in Baunach . 225 Abschließend wäre zu fragen, welche Stellung die >>Universitas Ottoniano-Fri­ dericiana>Blüte der Aufklärungstheolo­ gie« gesprochen werden kann . 231 Dennoch darf auch auf diesen Gebieten der Einfluß der Bamberger Hochschule nicht überschätzt werden, reichte doch de­ ren Wirkungsbereich >>nicht wesentlich über das Bamberger Hochstift und seine nächste Umgebung« hinaus. 232 Daß beispielsweise unter den Vertretern aufge­ klärter Philosophie allein Nüßlein Aufnahme in ein Philosophenlexikon unserer Tage gefunden hat, 233 daß man unter den Protagonisten theologischer Aufklä­ rung weder Diez noch Daum im >>Lexikon für Theologie und Kirche« findet, 234 spricht gleichfalls für eine auf den näheren Umkreis begrenzte Wirkung. Die Bam­ berger Hochschule spiegelte eher die Tendenzen wider, wie sie das aufgeklärte katholische Deutschland erfaßt hatten als daß sie selbst über ihren lokalen Rah­ men hinaus stilprägend geworden wäre . Dies schloß nicht aus, daß der Entwick­ lung aufgeklärten Denkens, ungeachtet eines im Vergleich zu manchen anderen Universitäten langsameren Fortgangs, zu ihrer Zeit durchaus günstige Progno­ sen gestellt wurden . 235 Einen zwiespältigen Eindruck hinterläßt der Befund im

227 Hammerstein (wie Anm. 117), S. 163. 228 Ebd. , S. 163. 229 Ebd. , S. 164.

230 Haaß (wie Anm . 135), S. 91; hier ist davon die Rede, daß man >>in Bamberg hochmodern« war. 231 Lesch (wie Anm. 168), S. 2fJ7. 232 Haaß (wie Anm. 135), S . 92. 233 Werner Ziegenfuß, Philosophen-Lexikon. Handbuch der Philosophie nach Personen. Unter Mitwirkung von Gertrud Jung, Berlin 1949/50, hier B d . 2, S. 223. 234 Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 3, Freiburg i.Br. 2. Aufl. 1959; dagegen ist ebd . , Bd. 2, Sp. 5 3 Johann Friedrich Batz vertreten. 235 Vgl . Max Braubach, Die katholischen Universitäten und die Französische Revolution, in: Historisches Jahrbuch 49 ( 1929), S. 263-303, Neudruck in: ders . , Diplomatie und geisti­ ges Leben im 17. und 18. Jahrhundert. Gesammelte Abhandlungen, Bonn 1969, S. 660-694, hier S. 668 f . , Anm. 35, wo auf Beobachtungen des Freisinger Kanonikus Bader Bezug ge­ nommen wird .

400

Günther Christ

Bereich der Medizin . Hier war die Kluft zwischen einer zwar den Erfordernis­ sen der Zeit angepaßten, aber bestenfalls auf durchschnittlichem Niveau stehen­ den universitären Vertretung des Faches und dem innovativen Geist, wie er in Konzeption und Führung des Allgemeinen Krankenhauses herrschte, unverkenn­ bar. Der von dem in der Tat für seine Zeit vorbildlichen Allgemeinen Kranken­ haus ausgehende Glanz hat wohl unverdientermaßen auch auf manche Beur­ teilung der in jenen Jahrzehnten an der Universität praktizierten medizinischen Wissenschaft ausgestrahlt . 236 Schließlich sollen noch einige knappe Streiflichter auf das Gymnasial- und Ele­ mentarschulwesen geworfen werden. Auch hier sind die Auswirkungen der aufgeklärten Zeittendenzen nicht zu ver­ kennen. Treibende Kraft für Ä nderungen ist Fürstbischof Seinsheims vom Phi­ lanthropismus stark beeinflußte >>Pädagogische Tafelrunde>Normalschule>sede vacante>Motivi pietistici nel pensiere dell'eta di Goe­ the« (1976); >>J. F. Fries. Rassegna storica degli studi« (1980); >>Fede e sapere. La parabola dell�ufklärung tra pietismo e idealismo« (1992); Auswahl >>L'illuminisme tedesco« (1968). Übersetzungen ins Italienische : N. Hartmann, >>Die Philosophie des deutschen Idealismus« (1972), F. Valjavec, >>Geschichte der abendländischen Aufklärung« (1973) . Günter Christ (*1929), Dr. phil . , Professor für Rheinische Landesgeschichte und Didaktik der Geschichte an der Universität zu Köln; Studium der Geschichte, Germanistik, Angli­ stik und Philosophie in Würzburg und Wien, Habilitation 1973, Lehrtätigkeit in München und Köln. Arbeitsschwerpunkte: Reichskirche der Frühen Neuzeit, Konfessionsgeschichte und Lan­ desgeschichte, u.a. >>Aschaffenburg. Grundzüge der Verwaltung des Mainzer Oberstifts und des Dalbergstaates« (1963), >>Praesentia Regis. Kaiserliche Diplomatie und Reichskirchen­ politik am Beispiel der Entwicklung des Zeremoniells für die kaiserlichen Wahlgesandten in Würzburg und Bamberg« (1975), >>Lothar Friedrich von Metternich-Burscheidt, Erzbischof von Mainz, Bischof von Speyer und Worms« (1985), >>Studien zur Reichskirche der Früh­ neuzeit« (1989) . Wilhelm Haefs (*1956), Dr. phil . , bis 1992 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Deut­ sche Philologie der Universität München, studierte Germanistik, Philosophie, Geschichte und Politische Wissenschaften in Bochum und München . Veröffentlichungen zur Literatur- und Kulturgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, vor allem zur Aufklärung, zum Expressionismus, zur Weimarer Republik und zur Literatur im >>Dritten Reich«, u . a . >>Aufklärung in Altbayern. Leben, Werk und Wirkung Lorenz Westen­ rieders« (1993) .

440

Autoren und Herausgeber

Ludw ig Hammermayer (*1928), Dr. phil . , Professor für Neuere Geschichte an der Universität München, Studium der Geschichte, Anglistik und Germanistik, wissenschaftliche und pä­ dagogische Staatsexamina, Habilitation 1968. Veröffentlichungen vor allem über frühneuzeitliche Wissenschaftsorganisation (Akade­ mien, gelehrte Sozietäten), Geheimgesellschaften (Freimaurer, Illuminaten), katholische Auf­ klärung und Geschichte des Katholizismus auf den Britischen Inseln und in englischen Kolonien, u . a . >>Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften« (bisher 2 Bde . , 1959, 1983), >>Der Wilhelmsbader Freimaurer-Konvent von 1782>Handbuch der Bayerischen GeschichteDas Ende des Alten Bayern 1745 - 1799Geschichte SalzburgsDie Aufklärung im Erzstift SalzburgDie letzte Epoche des Erzstifts SalzburgJus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historische n Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und im 18. Jahrhun­ dert« (1972), >>Aufklärung und katholisches Reich . Untersuchungen zu Universitätsreform und -politik katholischer Territorien des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation im 18. Jahrhundert>Deutsche Bildung? Briefwechsel zweier Schulmänner 1930- 1944>Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main 1914- 1950>Franz von Fürstenberg als Staatsmann>Republikanisch­ demokratischer Internationalismus im 19. JahrhundertWeltpolitik, Europagedanke, Regionalismus>500 Jahre Pfarrkirche St. Johannes Baptista Rietberg 1483 - 1983>700 Jahre Stadt Rietberg 1289- 1989>250 Jahre Gymnasium Nepomucenum Rietberg>Gymna­ sium Nepomucenum Rietberg 1743- 1993>Westfälischen GeschichteDas 18. JahrhundertDer Oberösterreichische B auernkrieg 1626>Historische Dokumentation zur Eingliederung des Innviertels 1779>Kunstgeschichtsforschung und Denkmalpflege>Kirch­ liche Reformen im Fürstbistum Paderborn unter Dietrich von Fürstenberg (1585- 1618)« (1974), »Jesuiten an Universitäten und Jesuitenuniversitäten« (1981), »Kirche und Konfessionsbe­ wußtsein im Klerus des 16. Jahrhunderts« (1988) . (*1931), Dr. phil . , Lic. phil . , Professor der Philosophie an der Universität Trier, studierte katholische Theologie, Philosophie und Klassische Philologie in Frankfurt am Main (Hochschule Sankt Georgen), Pullach, München, Freiburg und Berlin (Freie Uni­ versität) . Wichtige Veröffentlichungen : »Kants Weg zur Transzendentalphilosophie. Der dreißig­ jährige Kant« ( 1970, ital . 1987), »Was ist Aufklärung? Beiträge aus der Berlinischen Monats­ schrift« (Hg. 1973, 4. Auf!. 1990), »Kant als Herausforderung an die Gegenwart« (1980, japan. 1985, 2. Auf!. 1987), »Lebenserfahrung und Philosophie« (1986), »Lambert-Index« (1983-87), »Kant-Index« (1986 ff. ) . Herausgeber: »Forschungen und Materialien zur deutschen Auf­ klärungDie ältere deutsche Staats­ und Verwaltungslehre>Schriften zu Kirche und Gesellschaft