Kants »Metaphysik der Sitten« in der Diskussion: Ein Arbeitsgespräch an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 2009 [1 ed.] 9783428532674, 9783428132676

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Kants »Metaphysik der Sitten« in der Diskussion: Ein Arbeitsgespräch an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 2009 [1 ed.]
 9783428532674, 9783428132676

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Philosophische Schriften Band 79

Kants „Metaphysik der Sitten“ in der Diskussion Ein Arbeitsgespräch an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 2009

Herausgegeben von

Werner Euler und Burkhard Tuschling

Duncker & Humblot · Berlin

WERNER EULER/BURKHARD TUSCHLING (Hrsg.)

Kants „Metaphysik der Sitten“ in der Diskussion

Philosophische Schriften Band 79

Kants „Metaphysik der Sitten“ in der Diskussion Ein Arbeitsgespräch an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 2009

Herausgegeben von

Werner Euler und Burkhard Tuschling

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6053 ISBN 978-3-428-13267-6 (Print) ISBN 978-3-428-53267-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-83267-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Dekonstruktion, vermeintlich der Rekonstruktion dienend, ist ein neuerdings erhobener ,vornehmer Ton‘, d.i. die ,Euthanasie der reinen Vernunft‘, nicht nur in der Philosophie im Allgemeinen, sondern in der Kant-Forschung und Kant-Edition im Besonderen. So glauben selbst einige renommierte Forscher und Biographen, Kant habe seit Mitte der 1790er Jahre nichts Neues mehr zu sagen gehabt, sei – wie man insbesondere, aber nicht nur, am sog. opus postumum sehen könne – seiner Gedanken und Texte nicht mehr so ganz mächtig gewesen. Von solchen Gedanken geleitet, sehen sich Kommentatoren und Editoren nicht nur berechtigt, sondern geradezu berufen, in Kants Texte korrigierend einzugreifen, Passagen umzustellen oder zu entfernen, alles im Dienste der (Wieder)Herstellung des von Kant ,eigentlich‘ intendierten Textes, Gedanken- und Deduktionsgangs. Dekonstruktion zwecks Rekonstruktion des wahren Gedankens ist z. B. Motiv und tekor der vollständigen Eliminierung des § 2 der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre, d.i. des „rechtlichen Postulats der praktischen Vernunft“, in einigen führenden Kant-Ausgaben, unbeschadet dessen, dass bereits Kants wiederholte Verweise auf dieses Postulat in späteren Paragraphen dem philologisch und philosophisch entgegenstehen. Kant hat es darüber hinausgehend an die Spitze des Privatrechts, der Rechtslehre insgesamt gestellt, leitet daraus den Begriff und die Deduktion des von ihm neu erdachten intelligiblen Besitzes ab, der für das Mein und Dein, damit für die dritte der obersten Rechtspflichten (suum cuique tribue), das Privatrecht und das Öffentliche Recht konstitutiv ist. Dass dieser Begriff und die darauf aufbauende Systematik, 1797 erstmals publiziert, eine Entdeckung Kants und ein neues Fundament des Naturrechts ist, ist den dekonstruierenden Biographen, Kommentatoren oder Herausgebern anscheinend entgangen. Text, Systematik und systematisch zentrale Momente des Rechts und der Rechtslehre werden durch solche Eingriffe zerstört, und zwar inzwischen global, da sie von der Cambridge Edition of the Works of Immanuel Kant übernommen worden sind. Die Herausgeber der Metaphysik der Sitten in Band V der Deutsch-Russischen Ausgabe von Kants Werken, Nelly Motroshilova (Moskau) und Burkhard Tuschling (Marburg), sind dagegen, zusammen mit anderen Kant-Forschern, davon überzeugt, dass diese Dekonstruktion der Rechtslehre editorisch, philologisch und philosophisch nicht zu verantworten ist. Sie haben daher im Jahre 2009 zu einem ,Arbeitsgespräch‘ über editorische und philosophische Probleme der Metaphysik der Sitten, insbesondere der Rechtslehre, in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel eingeladen, an dem Initiatoren und Unterstützer wie Kritiker der Dekonstruktion teilgenommen haben. Das Gespräch war der laufenden Arbeit an der Herausgabe der Me-

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Vorwort

taphysik der Sitten im fünften und vorläufig letzten Band der deutsch-russischen Kant-Ausgabe gewidmet. Es nahmen deshalb alle an der Ausgabe Mitwirkenden, aber auch andere führende Kantforscher aus Deutschland und den USA am Arbeitsgespräch teil. Bedauerlicherweise haben zwei Referenten, Bernd Ludwig und Manfred Baum, ihre ursprünglich zugesagten Beiträge nicht mitgeteilt. Die in Wolfenbüttel ausgetragene Kontroverse kann daher nicht so, wie geplant, dokumentiert werden. Substanziell jedoch ist sie in einigen der Beiträge virtuell oder explizit präsent. Die Herausgeber sind deshalb davon überzeugt, dass der hiermit vorgelegte Band auch dazu beitragen wird, der Dekonstruktion von Kants Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre ein Ende zu machen, den Text – von gelegentlichen Fehlern in der Drucksetzung oder Textrevision abgesehen – Kants wohldurchdachter Konzeption gemäß wiederherzustellen und den Leser instandzusetzen zu begreifen: Kants Rechtslehre ist ein systematisch grundlegend neu konzipiertes kritisches Naturrecht und verdient es, in der von ihrem Urheber autorisierten Form gelesen, interpretiert und begriffen zu werden. Die philologisch-editorische Grundlage dafür ist von der kritischen Neuausgabe der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre im Rahmen der Überarbeitung der Akademie-Ausgabe zu erwarten, von einer Revision der CUP-Ausgabe zu erhoffen. Die Herausgeber fühlen sich der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius sowohl für die finanzielle Förderung der Ausrichtung der Tagung als auch für die Übernahme der Druckkosten zu Dank verpflichtet. Der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel danken wir für die großzügige logistische und finanzielle Unterstützung bei der Durchführung der Tagung. Den Verfassern der Beiträge zu diesem Band danken wir dafür, grundlegende Fragen zum Verständnis der Metaphysik der Sitten insgesamt wie ihrer beiden Teile, dem der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre und dem der Metaphysischen Anfangsgründe der Tugendlehre, neu gestellt und weiterführend beantwortet zu haben. Marburg, 18. Mai 2012

Werner Euler, Burkhard Tuschling ***

Burkhard Tuschling hat das Erscheinen dieses Bandes nicht mehr erleben können. In der Endphase der Bearbeitung ist er am 17. 8. 2012 verstorben. Die Korrekturen an seinem eigenen Beitrag sind das letzte Produkt seiner geistigen Aktivität und Lebendigkeit, die uns immer in ehrenvoller Erinnerung bleiben wird. Werner Euler

Inhaltsverzeichnis I. Fragen der Edition, der Übersetzung und der Textgestaltung der Metaphysik der Sitten Nelly W. Motroschilowa Kants Metaphysik der Sitten im Kontext der russischen Kant-Rezeption und der Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Jeffrey Edwards Kurze Bemerkungen zu den englischen Übersetzungen von Kants Rechtslehre

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II. Systematische Grundlagen und Grundbegriffe der Metaphysik der Sitten Michael Wolff Kant über Freiheit und Determinismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Heiner F. Klemme Der Transzendentale Idealismus und die Rechtslehre Kant über den Zusammenhang von moralischer Verbindlichkeit, Recht und Ethik

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III. Grundfragen und spezifische Probleme der Rechtslehre Michael Wolff Trias politica Erläuterungen zu Kants Verfassungstheorie in seinen Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Burkhard Tuschling Recht aus dem Begriff Schwerpunkte einer Einführung in Kants „Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Alexei N. Krouglov Die frühe Rezeption der Konzeption des Naturrechts Kants in Russland . . . . . . 129

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Inhaltsverzeichnis

IV. Grundfragen und spezifische Probleme der Tugendlehre Jeffrey Edwards A Tale of Two Ends Obligatory Ends and Material Determining Grounds in Kant’s Metaphysics of Morals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Paul Guyer Kant über moralische Gefühle Von den Vorlesungen zur Metaphysik der Sitten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Andrej Sudakow Person und Persönlichkeit Ansätze zum konkreten Personalismus in Kants Metaphysik der Sitten . . . . . . . 211 Werner Euler Die Tugendlehre im System der praktischen Philosophie Kants . . . . . . . . . . . . . 221 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Vita Burkhard Tuschling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

I. Fragen der Edition, der Übersetzung und der Textgestaltung der Metaphysik der Sitten

Kants Metaphysik der Sitten im Kontext der russischen Kant-Rezeption und der Übersetzungen Nelly W. Motroschilowa Die Probleme, mit denen Übersetzer und Herausgeber der Werke Kants in anderen Sprachen konfrontiert sind, sind außerordentlich schwierig und komplex. Wir alle, die an der zweisprachigen deutsch-russischen Ausgabe der Hauptschriften Kants tätig waren bzw. sind, haben zwangsläufig mit diesen Problemen zu tun. Was den Umfang der im Rahmen dieser Ausgabe schon veröffentlichten Schriften Kants und den Charakter der zu leistenden redaktorischen, kommentatorischen und akademisch-editorischen Tätigkeit betrifft, ist diese Ausgabe übrigens ohne Vorbild und einmalig. Es gibt allerdings auch ganz spezifische Schwierigkeiten, denen wir in unserer Ausgabe gegenüberstehen. Sie resultieren nicht zuletzt daraus, dass alle deutschen und so gut wie alle westlichen Kantforscher, mit denen wir daran zusammenarbeiten, deren Werke wir studieren, deren Ratschlägen wir stets dankbar Gehör geben, – dass selbst diese unsere Kollegen, denen wir für ihre Kooperation und ihren Beistand so unendlich dankbar sind, in der Regel die russische Sprache nicht beherrschen. Schon um ihnen unsere Probleme und Verlegenheiten auch nur zu erklären, müssen wir daher ganz besondere Anstrengungen auf uns nehmen. Die so entstandene Sachlage hat noch einen weiteren negativen Aspekt. Bei unseren Versuchen, den deutschen Kollegen die Schwierigkeiten und Probleme der russischen Übersetzung der kantischen Texte und Begriffe vorzustellen, sind wir oft auch auf Interesselosigkeit oder höfliche Gleichgültigkeit gestoßen: den deutschen und deutschsprachigen Kantlesern und -kennern hat das Schicksal die Möglichkeit geschenkt, diejenigen Termini im Original wahrzunehmen, deren angemessene Wiedergabe in anderen Sprachen bisweilen eine komplizierte Aufgabe darstellt. Dafür ein Beispiel: In unserer Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft (Band II.1. und 2. unserer zweisprachigen Ausgabe) habe ich „Ding an sich selbst“ einer seit einigen Generationen üblichen Übersetzungsoption folgend geändert und statt „weschtsch w sebe“ die Wendung „weschtsch sama po sebe“ verwandt. Die Notwendigkeit einer solchen Änderung wird in meinen Kommentaren zur Übersetzung (im zweiten Halbband des zweiten Bandes unserer zweisprachigen Ausgabe) ausführlich begründet. Es geht erstens darum, dass bei der früheren Übersetzung das Wort „selbst“ und damit auch der philosophische Gehalt des Terminus für den russischen Leser völlig verloren ging, während „Ding an sich“ im Original weit seltener vorkommt als „Ding an sich selbst“ (was dem deutschen Leser nicht besonders auffällt,

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insofern er in der Regel, ohne darüber zu reflektieren, das nicht vorhandene „selbst“ hinzudenkt). Zweitens wurde die Präpositionalform „an sich“ von früheren Übersetzern so gedeutet, als werde im Text Kants die Präposition „in“ bzw. „innerhalb“ verwendet. Einige russische Übersetzer, die die hier benannten Schwierigkeiten und Nuancen spürten, haben die von mir gewählte Option der Übersetzung bereits genutzt. So hat z. B. der angesehene russische Kantforscher A. Gulyga in der achtbändigen Neuausgabe der Werke Kants eine Korrektur zugunsten von „weschtsch sama po sebe“ vorgenommen. (Auch in der russischen Kantforschung der vorrevolutionären Periode kommt unsere Übersetzungsoption von „Ding an sich selbst“ schon vor, wie Frau T. Dlugatsch und ich in unserem Nachwort der russischen Herausgeber zur Kritik der reinen Vernunft besonders hervorgehoben haben.) In solchen Fällen stoßen wir auf kaum überwindbare Übersetzungsschwierigkeiten und Kommunikationsprobleme unter Kantexperten. Ich glaube, am besten könnten die Herausgeber und Übersetzer der englischen, französischen, spanischen, italienischen und anderer Kant-Editionen einander verstehen. Es ist jedoch bedauerlich, dass in dieser community of translators soweit ich weiß noch kaum Interesse an russischen Ausgaben und deren Problemen zu verzeichnen ist. Übrigens ziehe ich für meine Arbeit an der deutsch-russischen Ausgabe, in schwierigen Fällen, fremdsprachige Übersetzungen der Schriften Kants stets vergleichend heran – auf einige Vergleichsergebnisse hinsichtlich der Metaphysik der Sitten komme ich weiter unten noch zu sprechen. *** Was nun die bevorstehende zweisprachige Ausgabe der Metaphysik der Sitten angeht, so kann ich im Rahmen eines kurzen Beitrags nur einige wenige der vielfach komplexen Problemfelder thematisieren. Das erste betrifft den Titel der Schrift. Eigentlich bereitet seine russische Übersetzung keine Schwierigkeiten. Die Wortverbindung Metaphysik der Sitten wird mit den russischen Worten „metafisika nrawow“ adäquat wiedergegeben. Die Sachlage ist hier vergleichbar mit der der italienischen Übersetzung des Titels (vgl. Kant, Immanuel. Metafisica dei costumi. Milano 2006), sowie mit der spanischen und portugiesischen Übersetzung. Es gibt hier dennoch Schwierigkeiten, und diese sind mit einer ganzen Reihe von Umständen verbunden: 1a. Ins Englische wird der Titel wie folgt übersetzt: Metaphysics of morals1. Das bedeutet: das Wort „Sitten“ wird – schon im Titel selbst, dann aber auch im Text – direkt und unmittelbar mit Derivaten von „Moral“ identifiziert (im Englischen bedeutet eigentlich „moral“, im Plural genommen, soviel wie: Sitten). Analog verfährt

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Kant, I.: Metaphysics of Morals, transl. by M. Gregor. Cambridge 1991.

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man in französischen Ausgaben, in denen „Sitten“ mit „moral“, und „Sittlichkeit“ mit „moralité“ übersetzt wird2. Für Kantforscher ist das kein Problem: sie benutzen, insbesondere in internationalen Publikationen, Kants Originaltexte, in denen, sowohl im Titel als auch in entsprechenden Textstellen, klar und deutlich das Wort „Sitten“, und nicht „Moral“ steht – und die Kantexperten lesen, was man lesen soll. Was aber die des Deutschen nicht mächtigen Leser von Übersetzungen der Schriften Kants angeht, so wird an diese kaum gedacht. Und sie wissen auch in der Regel nichts davon, welche Wörter und termini technici der Verfasser der Schrift verwendet hat. 1b. Das Problem und die Schwierigkeiten bezüglich der Identifikation von „Sitten“ und „morals“ bzw. „Sittlichkeit“ und „Moralität, morality, moralité“ gehen freilich auf Kant selbst zurück. In vielen Kontexten hat er eine solche Identifikation selbst vollzogen, insbesondere dann, wenn er die Begriffe „Sitten“ und „Sittlichkeit“ verständlich machen wollte. Beispielsweise schreibt Kant in der Einleitung zur Tugendlehre: „Ethik bedeutete in den alten Zeiten die Sittenlehre (philosophia moralis) überhaupt, welche man auch die Lehre von den Pflichten benannte“ (Kant, I.: Metaphysik der Sitten, Akademie-Ausgabe Bd. VI 379). Kants Verweis auf die „alten Zeiten“ und insbesondere auf die lateinischen terminologischen Vorbilder des deutschen Terminus „Sittenlehre“ – auf Russisch genauer nicht als „utschenie o nrawstwennosti ( = Sittlichkeitslehre)“, sondern als „utschenie o nrawach“ wiederzugeben – ist in zweierlei Hinsicht wichtig. Erstens zeigt er, dass „Sittenlehre“ ein spätes deutsches Analogon der „philosophia moralis“ ist. Wann und auf welche Weise sich die Bewegung vom lateinischen Vorbild zur deutschen begrifflichen Nachbildung vollzogen hat, ist eine Frage für sich, die Kant beiseite gelassen hat; auch wir werden uns hier damit nicht befassen. Ungeklärt bleibt auch die Frage, die von nicht geringer Bedeutsamkeit fürs Verständnis (und entsprechend auch für die Übersetzung) der „Metaphysik der Sitten“ ist: nämlich die Frage danach, warum das lateinische „moralis“ (zumindest hier bei Kant) nicht durch etymologisch verwandte Derivate wie „Moral“ bzw. „moralisch“ (die in der deutschen, „lebensweltlichen“ sowohl als auch fachphilosophischen, Sprache ebenfalls verbreitet sind), sondern durch „Sitten“ wiedergegeben worden ist. Ebenso die Frage, warum Kant sogar im Titel, – und zwar nicht von einer Schrift, sondern von zwei wichtigen Schriften aus seiner Feder (der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und der Metaphysik der Sitten selbst) – unbeirrt an diesem Terminus festgehalten hat. 1c. In Kants Texten kommen außer dem oben angeführten Beispiel noch weitere Passagen vor, in denen die von „Sitten“ und „Moral“ abgeleiteten Begriffe „Moralität“ und „Sittlichkeit“ wenn nicht unmittelbar miteinander identifiziert, so doch zu2 Siehe die nützliche Komparativtabelle „Tabla de correspondencias de traducción de terminos“ in: Kant, I. Critica de la razón práctica. Mexico: UAM, 2005.

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mindest wechselseitig auseinander erklärt werden. Ein Beispiel sei hier angeführt. „Man nennt die bloße Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung einer Handlung mit dem Gesetze ohne Rücksicht auf die Triebfeder derselben die Legalität (Gesetzmäßigkeit), diejenige aber, in welcher die Idee der Pflicht aus dem Gesetze zugleich die Triebfeder der Handlung ist, die Moralität (Sittlichkeit) derselben“. – Ibid., S. 219). 1d. Infolgedessen mag es so scheinen, dass man die Frage nach der (möglichen) Beibehaltung gerade von „Sitten“ (und deren Derivaten wie „sittlich“ usw.) bei der Textübersetzung besser vernachlässigen sollte. Bisweilen werden allerdings auch stärkere, ja radikale Wünsche, wenn nicht sogar Forderungen, artikuliert, – etwa die, man möge in den Übersetzungen Kants Termini wie „Sitten“, „Sittlichkeit“ nicht einmal erwähnen, man solle stattdessen nur die (inzwischen auch in den Übersetzungen in andere Sprachen Überhand gewinnende) „Moral“ und deren Derivate wie „moralisch“ oder „Moralität“ beibehalten. Es wird vorgeschlagen, so nicht nur in solchen Sprachen zu verfahren, in denen eine wortgetreue Wiedergabe von „Sitten“ auf Schwierigkeiten stößt, sondern auch in solchen, in denen alle sprachlichen und sachlichen Möglichkeiten für eine adäquatere Übersetzung dieser Begriffe vorhanden sind, die den Gebrauch von mit „moral“ etymologisch verwandten Wörtern vermeidet und diese letzteren nur für die immer noch zahlreichen Fälle behält, wo Kant selbst sie benutzt. Es gibt prinzipiell zwei Typen von Übersetzungen. Zum ersten Typ gehören etwa die englische und die französische Übersetzung. (Obwohl im Englischen das Wort „mores“, ein direktes Analogon von „Sitten“, vorhanden ist, findet dieses aus einer ganzen Reihe von Gründen in der Übersetzung keine Verwendung). Die englischen Übersetzer deuten und übersetzen „Sitten“ schlicht als „morals“, zweifelsohne auf den oben erwähnten kantischen Identifizierungen fußend. Man nimmt an, dass das Verständnis sowohl des ethischen Gesamtprojekts Kants als auch seiner feineren Nuancierungen dadurch keinen Schaden erleidet. Zum zweiten Typ gehören die oben schon erwähnten italienischen, spanischen, portugiesischen und andere Übersetzungen, in denen man sich für die Wiedergabe von „Sitten“ durch das terminologisch nähere Äquivalent „costumi“ entschieden hat. Diesem Typ steht auch der Ansatz nahe, den ich vertrete und in der neuen Fassung der russischen Übersetzung der Metaphysik der Sitten verwirkliche. *** Für meinen Ansatz ist die folgende Maxime maßgeblich, die sowohl die Unterscheidung von Sitten bzw. Sittlichkeit und Moral bzw. Moralität (und deren Derivate), als auch einige weitere Fälle betrifft: Ich akzeptiere den „radikalen“ Ansatz nicht, dem zufolge man es (aus welchen Gründen auch immer) für notwendig hält, die terminologischen Differenzierungen und Nuancierungen in Kants Text zu ignorieren,

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und zwar aus folgenden Gründen. Aus meiner Sicht sollten Herausgeber von Übersetzungen der Texte Kants im allgemeinen bestrebt sein, für fremdsprachige Leser soweit wie irgend möglich all diejenigen sprachlichen, terminologischen, sachlichen und stilistischen Nuancen zu erhalten, die bei Kant objektiv vorhanden und dem Leser des deutschen Originals auf eine unmittelbare, natürliche Weise ursprünglich zur Verfügung stehen. Es gibt freilich nicht immer Optionen für eine adäquate Übersetzung – vor allem wegen unterschiedlicher linguistischer Ressourcen verschiedener Sprachen hinsichtlich der Wiedergabe der ganzen Feinheit der deutschen philosophischen Fachsprache. (Ein Beispiel davon sind die in verschiedenen Sprachen – etwa im Englischen und Italienischen – jeweils verschieden vorhandenen Schwierigkeiten in der Wiedergabe des deutschen „Gegenstand“, „Gegenstände“ im Gegensatz zu „Objekt“. Das zeitigt etwa bei Übersetzungen von Kant und Husserl recht fühlbare Verluste). Wenn und sofern aber Möglichkeiten der Wiedergabe von gedanklichen Nuancen, sachlich bedeutenden Differenzierungen in einer Sprache vorhanden sind, muss man sie m. E. auch nutzen, – ganz unabhängig davon, ob sie auch in anderen Sprachen vorhanden sind. In dem zur Rede stehenden Fall ist es nun in einigen Sprachen durchaus möglich, die Unterscheidung von „Sitten“ (und entsprechend „sittlich“, „Sittlichkeit“) und „Moral“ (und entsprechend „moralisch“, „Moralität“) auf angemessene Weise festzuhalten. Das kann man als einen großen Vorteil und Glücksfall ansehen, den zu vernachlässigen absurd wäre. Das eben Gesagte gilt von den oben erwähnten Übersetzungen ins Italienische, Spanische und Portugiesische. Und es gilt auch in vollem Maße von der russischen Sprache, die in diesen (und anderen) Fällen ihre ganz besondere philosophische Plastizität zum Ausdruck bringt. Daher wird im Russischen der Titel der uns hier interessierenden Schrift am besten, wie gesagt, durch Metafisika nrawow wiedergegeben, wobei „nrawy“ ein direktes russisches Analogon des deutschen Wortes „Sitten“ ist. Diejenigen, die des Russischen mächtig und der russischen Verhältnisse kundig sind, könnten hier möglicherweise einwenden, dass das Wort „nrawy“ in der modernen russischen Kultur, in der Lebenswelt Russlands als veraltet gilt und dass es eine speziellere, engere Bedeutung als das Wort „moral“ (und andere Termini der moralischen Wortreihe) hat. Von daher mag man einigen englischen oder französischen Übersetzern folgend versucht sein, „morals“ (engl.), „moral“ (franz.) dem veralteten, wenn nicht gar antiquierten Wort „nrawy “, – dem direkten Analogon der „Sitten“ – vorzuziehen. Ich glaube, wir hatten und haben nicht nötig, diesen Weg einzuschlagen; und es ist auch gut, dass die früheren Übersetzer und Herausgeber bei der Übersetzung sowohl des Titels als auch des Textes der Schrift das Wort „nrawy“ beibehalten haben. Dem Vorwurf der „Antiquiertheit“ ist vor allem damit zu begegnen, dass es sich hier um die Übersetzung einer Schrift des, wenn auch ganz späten, 18. Jahrhunderts handelt. Mag auch das Wort „Sitten“ im heutigen Deutsch, wie auch das Wort „nrawy“ im Russischen – jemanden altmodisch anmuten, so bleibt es doch Tatsache, dass Kant es gebraucht, beibehalten hat, und das ist unbedingt in Betracht zu ziehen, und darauf sollten wir noch hinsichtlich der gewichtigen Gründe reflektieren, die

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den Denker dazu bewogen haben. Ein zusätzliches Argument zugunsten einer solchen Lösung besteht, für russische Übersetzungen, darin, dass das wichtigste Derivat vom russischen „nrawy“, das Wort und der Fachterminus „nrawstwennost“ (ein genaues Analogon des deutschen „Sittlichkeit“) in der Lebenswelt, in der Kultur und in der Philosophie Russlands früher weit und breit gängig war und heute noch ist. Es ist jedenfalls um nichts weniger verbreitet und bedeutsam, als Begriffe wie „moral“, „moralnost“ und ihre Derivate. Bezeichnenderweise werden in der russischen ethischen Kultur die Begriffe „nrawstwennost (= Sittlichkeit)“ und „moralnost (= Moralität)“ wie bei Kant in einem nahen, manchmal sogar identischen Sinne verwendet. Und unsere führenden Ethik-Experten, die in der Geschichte der Weltphilosophie gründlich gebildet sind, haben, – übrigens mehr in der Nachfolge Kants als Hegels, – auch in der Ethik auf eine strenge ethisch-begriffliche Differenzierung zwischen „Sittlichkeit“ und „Moralität“ verzichtet. Gleichzeitig möchte ich darauf aufmerksam machen, dass diesem Verzicht keineswegs irgendwelche Überlegungen prinzipieller Natur zugrunde liegen, etwa bezüglich der Unmöglichkeit oder Nachteiligkeit einer solchen grundsätzlichen Begriffsunterscheidung, sondern vielmehr eine im Grunde unüberwindbare Diskrepanz in Definitionen und Deutungsansätzen von diesen Begriffen, die sowohl in der Lebenswelt, als auch innerhalb der Ethik als philosophischer Fachdisziplin auf diese Weise schon entstanden ist. Dabei ist für mich persönlich von äußerster Wichtigkeit, dass in Russland weder Kultur noch Philosophie einen Anlass bieten, das Wort „nrawstwennost“ (das russische Analogon zu Kants „Sittlichkeit“) und seine Derivate zu eliminieren oder zu verdrängen, es also in der Rezeption, der Deutung und der Übersetzung der Schriften Kants zu „überwinden“. Indessen wird eine solche „Überwindung“ und dementsprechend eine solche Verdrängung dieser begrifflichen Differenzierung von manchen westlichen Kantforschern auch noch deswegen entschieden befürwortet, weil sie das divergierende Hegelsche Konzept für eine grobe Verzerrung des Kantischen Standpunkts halten. Daher sollte man, diesen Autoren zufolge, bei der Auslegung und Darstellung Kants auf alle Versuche der begrifflichen oder lexisch-terminologischen Unterscheidung, geschweige denn Absonderung dieser Begriffe strikt verzichten. Im Rahmen meines Vortrags ist es weder möglich, die Dynamik der Entwicklung der uns hier interessierenden Begriffe von Kant zu Hegel zu verfolgen, noch Vor- und Nachteile in den Ansätzen der beiden Philosophen miteinander zu vergleichen. Ich darf hier nur sagen, dass das Hegelsche Konzept nach meinem Verständnis durchaus an und für sich bedeutend und interessant ist, unabhängig von der Frage, worin es an Kants Lehre anschließt oder von ihr abweicht. *** Es bleibt eine Tatsache, – und zwar eine komplexe und besonderer Nachforschung bedürftige Tatsache, – dass Kant einerseits (wie oben gezeigt wurde) die Begriffe

Kants Metaphysik der Sitten im Kontext der russischen Kant-Rezeption

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„Sittlichkeit“ und „Moralität“ in einer sehr nahen, bisweilen synonymen Bedeutung verwendet hat. Andererseits hat er die Termini „Sitten“ und „Sittlichkeit“, „sittlich“ im Text nicht einfach beibehalten, sondern den Terminus „Sitten“ (wie schon früher in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten) programmatisch im Titel seiner Schrift eingesetzt. Ich gehe nun davon aus, dass nicht allein die Leser des Originals das Recht haben, um diesen Sachverhalt zu wissen (sie üben ihr Recht gleichsam „natürlicherweise“, dank einer solchen unwandelbaren historischen Gegebenheit wie der Text Kants selber, aus), sondern auch die Leser von Übersetzungen dürfen davon nicht ausgeschlossen sein. Dabei müssen ihnen freilich die Übersetzer und die Herausgeber von Übersetzungen behilflich sein. Meines Erachtens soll diese Hilfe notwendigerweise, auf alle Fälle und unbedingt, nicht nach Lust und Willkür geleistet werden. Ich verstehe, warum die englischen Übersetzer bei dem Versuch der Wiedergabe von „Sitten“ nicht das veraltete, ja antiquierte Äquivalent „mores“, sondern die allgemein gängigen quasi-Äquivalente mit der Wurzel „moral“ gewählt haben. Meiner Meinung nach wären sie aber dabei verpflichtet gewesen, ihre Leser von dieser ihrer Entscheidung zumindest (z. B. in entsprechenden Kommentaren) in Kenntnis zu setzen. Eine (jedenfalls für die russische Übersetzung) optimale Lösung scheint mir zu sein, sofern von Kant verschiedene Begriffe (Sitten, Sittlichkeit und Moral, Moralität) gebraucht werden, auch in der Übersetzung verschiedene Wörter und Begriffe zu verwenden, und zwar solche, die in der Sprache der Übersetzung den Begriffen des Originals äquivalent sind. Das soll auch von mir und meinen Kollegen in der neugefassten Übersetzung umgesetzt werden. Dies entspricht übrigens den Traditionen der Übersetzung und der Kantforschung, die sich in der philosophischen Kultur Russlands seit langem ausgebildet haben. *** Zur Thematik der „Sitten“ zurückkommend, möchte ich zusammenfassend folgendes sagen: Ich habe dem Sinn und der Übersetzung des Titels der Metaphysik der Sitten deshalb eine ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet, weil ich der Ansicht bin, dass dieser Aspekt von tiefgreifender sachlicher Bedeutung für die Entschlüsselung des Geheimnisses und des Ursprungs des gesamten Werkes ist. Eine höchst wichtige Sinnnuance hängt damit zusammen, dass dieses Werk eben gerade als eine Metaphysik der Sitten konzipiert und vollendet worden ist, was hoffentlich im Rahmen unseres Arbeitsgesprächs seine Auslegung finden wird. In dieser Hinsicht bin ich übrigens von den durch G. Tonelli und O. Höffe vorgetragenen Hypothesen tief beeindruckt worden. Was nun den zweiten Aspekt angeht (dass es sich nämlich gerade um eine Metaphysik der Sitten handelt), so erscheinen mir zwei Aspekte besonders wichtig, die auf

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den ersten Blick einander entgegengesetzt sind. Einerseits verzichtet Kant auf einen bloß empirischen, man könnte wohl sagen: alltäglichen, umgangsmäßigen Gebrauch der Begriffe „Sitten“, „Sittlichkeit“ (wenn er z. B. sagt: „[…] obgleich das deutsche Wort „Sitten“, ebenso wie das lateinische mores nur Manieren und Lebensart bedeutet“). Vor diesem Hintergrunde könnte man sogar denken, der Begriff „Sitten“ und seine Derivate seien von keinerlei besonderer Bedeutung und könnten einfach durch Begriffe der Wortgruppe „Moral“ ersetzt werden. Das wäre aus meiner Sicht ein grober Fehler. Denn andererseits löst Kant, indem er den gleichsam antiquierten Begriff „Sitten“ beibehält, die für die gesamte Schrift zentrale Aufgabe: Indem Kant Recht und Moralität, Rechtslehre und Tugendlehre, rechtliche und moralische Normen, Institutionen, Lebens- und Handelnsformen gegeneinander abgrenzt, indem er jede dieser beiden Bereiche einzeln, gesondert erforscht, ist der Philosoph, wie ich glaube, gleichzeitig bestrebt, sie gleichsam als zwei aus einer Wurzel wachsende Stämme zu begreifen. Der Begriff „Sitten“ (und dessen Derivate), nicht in empirisch-umgangsmäßiger, sondern in philosophisch-theoretischer Bedeutung genommen, dient nun eben einer solchen systematischen Wiedervereinigung, Komplementierung von Recht und Moral, als den beiden wichtigsten, von der Menschheit seit jeher geschaffenen Formen der normativen, geistigen, ideellen Regelung menschlicher Lebenstätigkeit. Dies ist auch der Grund, weshalb ich die Eliminierung dieser wichtigsten sachlich-theoretischen Absicht der hier zur Rede stehenden Schrift in Übersetzungen und Auslegungen für völlig unberechtigt halte. *** Neben den oben besprochenen Problemen terminologischer Natur gibt es auch andere, die uns zur Reflexion über die bereits existierenden Übersetzungen der Metaphysik der Sitten, oft auch zu bisweilen erheblichen Korrekturen motiviert haben. Ich nenne hier kurz einige dieser Probleme. Der insbesondere im ersten, rechtsphilosophischen Teil der Schrift sehr oft vorkommende Begriff der „Willkür“ wurde in früheren Übersetzungen mit dem russischen Wort „proiswol“ wiedergegeben. Am Anfang des 20. Jahrhunderts nämlich, als die ersten russischen Übersetzungen der Metaphysik der Sitten in Vorbereitung waren, hatte das Wort „proiswol“ noch nicht den eindeutig pejorativen Akzent, den es in den letzten Dezennien des Jahrhunderts angenommen hat. Wenn heute das Wort „proiswol“ benutzt wird, dann wird es in Russland gewohnheitsmäßig ebenso empfunden wie in den Wendungen „stalinskij proiswol (stalinistische Willkür)“, „proiswol wlastej, tschinownikow“ (Willkür der Machthabenden, der Beamten usw.). (Diskussionen mit deutschen Kollegen haben mich davon überzeugt, dass sich im deutschen Sprachraum in derselben Zeitspanne „Willkür“ betreffend eine ähnliche Änderung vollzogen hat). Dieses Problem ist wohl auch von Herausgebern englischer Übersetzungen wahrgenommen worden. Deshalb wird von englischsprachigen Autoren auf Kants Unterscheidung von „Wille“ und „Willkür“ besonders aufmerk-

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sam gemacht (dabei wird in Klammern das lateinische Äquivalent „arbitrium“ angeführt). Ich verweise hier auf eine Äußerung von Allen W. Wood: In the Introduction (zur Metaphysik der Sitten. – N.M.), Kant draws a distinction between the will (Wille, voluntas) and the (power of) choice (Willkür, arbitrium). He draws this distinction by saying that „Willkür“ is the will considered in relation to the action (to the action chosen), while „Wille“ is the will considered in relation to the ground determining choice (S. 213)3.

Der Erläuterung Woods kann man im Prinzip zustimmen, der englischen Übersetzung – durch das Wort „Wahl“ (choice) – aber wohl kaum. Die Übersetzung macht hier natürlich, trotz Kants Verweis auf das lateinische „arbitrium“ große Schwierigkeiten. Denn „arbitrium“ wird, wie wir hier sehen, auch von den Übersetzern verschieden interpretiert und gedeutet. Zwar ist unseres Erachtens ein Element von Freiheit und freier Wahl im Begriff der „Willkür“ selbstverständlich enthalten, der Sinn des Begriffs erschöpft sich darin jedoch nicht. Und nicht von ungefähr sind mit „Wahl“ etymologisch verwandte Wörter in der Einleitung zur Metaphysik der Sitten nicht vertreten, obwohl „Willkür“ in Kants Text so häufig vorkommt. Übrigens wird im lateinisch-russischen Wörterverzeichnis bei der Erläuterung des Sinnes von „arbitrium“ ganz richtig eher nicht die freie Wahl, sondern eher die (wenngleich damit verbundene, und doch eigenständig bedeutsame) „Entscheidung nach Belieben“, „eigenwillige Bestimmung“ akzentuiert. Wir sind deshalb zur Schlussfolgerung gekommen, dass das russische Wort „proiswolenije“ das beste Äquivalent der so verstandenen „Willkür“ ist, weil es sowohl einen Hinweis auf das Moment freier Entscheidung, als auch, wie im deutschen Original, die sprachliche Bindung an das Wort „Wille“ (russ. „wolja“) enthält („proiswolenije“). Ungeachtet des Umstandes nun, dass Kant in den meisten Fällen „Willkür“ im soeben erläuterten „neutralen“ Sinn gebraucht, können auch solche Fälle vorkommen, in denen „Willkür“ in ihrer direkt und schlechthin negativen Bedeutung intendiert ist, und in denen also das russische Wort „proiswol“ am angemessensten wäre. (Für Hinweise auf solcherart Fälle wäre ich meinen Kollegen höchst verbunden).

3 Wood, A. W.: Kant’s Doctrine of Right: Introduction. In: Kant, I., Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. (Klassiker auslegen). Hrsg. v. O. Höffe. Berlin, 1999. S. 27.

Kurze Bemerkungen zu den englischen Übersetzungen von Kants Rechtslehre Jeffrey Edwards In den nachfolgenden „Bemerkungen“ möchte ich die drei ins Englische übertragenen Fassungen der Kantischen Rechtslehre besprechen, die in den letzten zwei Jahrzehnten erschienen sind. Ich beziehe mich also auf die beiden Versionen der Rechtslehre, die in den von Mary Gregor übersetzten Editionen der Metaphysik der Sitten enthalten sind, sowie auf die von John Ladd übersetzte Fassung der Rechtslehre, deren zweite Ausgabe im Jahre 1999 von der Hackett Publishing Company veröffentlicht wurde. Die Gregor-Übersetzung der MS ist schon 1991 bei Cambridge University Press erschienen, und zwar ursprünglich auf der textlichen Basis der Akademie-Ausgabe. Was insbesondere den Text der RL anbetrifft, hat Gregor für die Ausgabe ihrer Metaphysics of Morals keine strukturellen Änderungen gegenüber dem herkömmlichen Text der MS vorgenommen. Die gleiche Übersetzung wurde auch später für den von Gregor edierten Band Practical Philosophy benutzt, der als Teil der von Paul Guyer und Allan Wood herausgegebenen Reihe The Cambridge Edition of the Works of Immanuel Kant im Jahre 1996 erschienen ist. Im Einklang mit Bernd Ludwigs Redaktionsverfahren in seiner Meiner-Ausgabe der RL weist aber diese zweite CambridgeFassung der MS folgende Textabänderungen auf: • Die nach römischen Ziffern geordneten Abschnitte der allgemeinen Einleitung zur MS werden in eine neue Folge gebracht: II, I, IV, III. • Der Text von § 2 (RL) wird ohne die Absätze 4 – 8 in den § 6 versetzt; § 2 entfällt ganz; und die eben erwähnten fünf Absätze des § 6 werden dem Haupttext entnommen. Abgesehen von diesen Änderungen weist Gregors Version der Metaphysics of Morals von 1996 keine weiteren größeren Texteingriffe gegenüber der Akademie-Ausgabe auf. Die übrigen Ludwigschen Eingriffe wurden offenbar für die Cambridge Works Reihe nicht gebilligt. Warum ist das so? Welche methodischen Prinzipien und philologischen Begründungen unterliegen dieser bloß partiellen Einbeziehung der Ergebnisse von Ludwigs Forschungsarbeit? Ich erkenne keinen Grund dafür. Soweit ich sehe werden Fragen dieser Art im einschlägigen Band nicht annäherungsweise zureichend behandelt; und ich werde hier nicht versuchen, sie bloß spekulierend zu beantworten.

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Ich komme jetzt auf John Ladds Übersetzung der RL zu sprechen. Ladd übernimmt viele der von Ludwig befürworteten Texteingriffe – aber wiederum auch nicht alle. Anders als bei der Cambridge Fassung von 1996 sind jedoch die relevanten Selektionskriterien der Bearbeitung des Textes ohne weiteres klar zu entnehmen. Ich zitiere hier direkt aus Ladds Einleitung zum Text der RL (Seite lvi): Frankly recognizing that changes in the text are controversial, I have nevertheless adopted many but not all of the rearrangements of the text proposed by Ludwig, that is, I have accepted particular changes that seem to me logical and rational. My rationale for these changes is simply that, at least as far as my stated aim is concerned, they make it possible to present Kant’s views in a clearer and more intelligible way than in the customary scrambled ordering.

Was soll man eigentlich dazu sagen? Was das angestrebte Darstellungsziel anbetrifft, bezeichnet die geschilderte rationale Erklärung ein sicher lobenswertes Interpretationsvorhaben. Man kann durchaus der Meinung sein, dass jeder nach dem dargestellten Erklärungsprinzip ruhig handeln kann und soll, falls er dies zum eigenen Erklärungsbedarf für nötig hält. Dennoch: als Begründung des Redaktionsverfahrens für die Übersetzung eines klassischen Werkes der Philosophie scheint es mir, dass Ladds Auswahlmethode wohl einiges zu wünschen übrig lässt. Nun stellt sich eine Frage, die im Hinblick auf die eigene Lehrtätigkeit in angelsächsischen Ländern von Bedeutung ist: welche der drei eben diskutierten Fassungen der Kantischen Rechtslehre soll man vorziehen. Oder genauer: welche Übersetzung der RL darf man den eigenen Studenten und Doktoranden empfehlen? Was die Kriterien der Textgestaltung angeht, dürfte meine Meinung über die Ladd-Übersetzung schon hinreichend klar sein. Mein Bedenken gegen diese Fassung liegt aber hauptsächlich nicht einmal darin. Mein Hauptbedenken ergibt sich vielmehr daraus, dass die gesamte Übersetzungsarbeit auf einem begrifflichen Grundfehler aufbaut. Diesen Fehler erkennt man sogar am Englischen Titel: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre wird als Metaphysical Elements of Justice wiedergegeben. Sicher haben wir zwar keinen (Christian) Thomasius, der uns aus der geschichtlichen Ferne zur Überlegung aufmuntert, wie man am besten die systematische Trennungslinie zwischen Naturrecht und Ethik – und daraus folgend die Trennung zwischen ius und ethica – zieht. Trotzdem haben wir einen anderen Thomas, der (ob Christlich oder auch nicht) bekanntlich einiges zum neuzeitlichen Rechtsbegriff und dessen moralphilosophischer Bedeutung schrieb – und zwar auf Englisch. Spätestens seit 1651 – d. h. seit dem Erscheinungsjahr des Leviathan – müsste es deshalb als völlig unzulässig gelten, den substantivistisch gebrauchten Terminus ,right‘ mit dem entsprechenden Gebrauch des Terminus ,justice‘ zu verwechseln. (Wird ,das Recht‘ mit ,justice‘ übersetzt, dann müsste sinngemäß das Recht auf alles bzw. ius in omnia etwa als ,justice for all in all things‘ verstanden werden.) Leider ist der Fehler, den man im Titel der Ladd-Übersetzung findet, keine Gelegenheitssünde: gleich am Anfang geht der Rechtsbegriff als solcher unter, und er taucht auch nicht wieder auf – nicht einmal im Begründungszusammenhang mit den Begriffen der iustitia dis-

Bemerkungen zu den englischen Übersetzungen von Kants Rechtslehre

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tributiva und der iustitia commutativa. Was kann man dann im Rahmen eines englischsprachigen Kant-Seminars bloß machen, wenn der Terminus ,right‘ (= ,Recht‘ = ,ius‘) aus Kants doctrine of right schlicht verbannt wird. Wie soll man unter dieser Bedingung überhaupt anfangen, die metaphysischen fundamenta dieser juridischen Lehre zu erklären. Nach meinem Dafürhalten ist der Gebrauch der Ladd-Übersetzung philosophisch eigentlich gar nicht zu vertreten. Wie steht es mit den beiden Gregor-Texten der RL – d. h. mit den verschiedenen Versionen der Metaphysical First Principles of the Doctrine of Right, die bei Cambridge in 1991 und 1996 jeweils erschienen sind? Im allgemeinen ist die Übersetzungstechnik Gregors vorzüglich. Die einzige interessante Frage für mich betrifft deshalb die Kriterien zur Wahl zwischen den beiden eben genannten Editionen – Kriterien, die so gut wie gar nichts mit der Qualität der beiden Übersetzungstexte zu tun haben, da in beiden Fällen die Übersetzungsarbeit selber weitestgehend die gleiche ist. Alles hängt also davon ab, wie man die Ludwigschen Texteingriffe einschätzt, die für die §§ 2 und 6 von ausschlaggebender Bedeutung sind. Wie sollte man denn diese Eingriffe beurteilen? Fußnote aus Edwards 2011 Wie längst weithin anerkannt worden ist, hat der § 6 der RL (Deduction des Begriffs des bloß rechtlichen Besitzes eines äußeren Gegenstandes (possessio noumenon)) durch die Einfügung eines Textstückes, dessen Inhalt zu Kants Überlegungen über den ursprünglichen Erwerb gehört, eine fehlerhafte Stelle erhalten. Bernd Ludwig behauptet in seiner Edition von Kants Rechtslehre in der Philosophischen Bibliothek (Hamburg: Felix Meiner, 1998; 3., verbesserte Aufl. 2009), dass der fehlerhafte Einschub ersetzt werden sollte durch die vollständige Überführung des Textes von § 2 in den § 6. Es ist hier nicht der Ort, die ausgedehnte Kontroverse in der Sekundärliteratur zu untersuchen, die in unmittelbarer Folge des Ludwigschen Editionsprodukts und der Publikationen, die sich auf die Textrekonstruktion der RL beziehen, entstanden ist. Obwohl ich nicht auf der Heiligkeit des Originaltextes insistiere, möchte ich hier doch zumindest meine Gründe darlegen, die mich dazu bewegen, Ludwigs Zugang zurückzuweisen: 1. Die Entfernung der fehlerhaften Einfügung hinterlässt meines Erachtens keine logische Lücke in der Begründung von § 6. 2. Weil Kant in § 6 behauptet, dass die Möglichkeit des nicht-physischen Besitzes die unmittelbare Folge des rechtlichen Postulats sei (s. 6:252.17 – 21), setzt die Deduktion des Begriffs des nicht-empirischen Besitzes (in § 6) die Stichhaltigkeit des Arguments voraus, mittels dessen Kant das rechtliche Postulat einführt. Wird dieses Argument von seiner ursprünglichen Stelle (in § 2) in die Mitte des § 6 verschoben, droht Kants Deduktion des Begriffs des bloß rechtlichen Besitzes die

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Gefahr, eine petitio principii zu begehen. (Ich verdanke diese Feststellung Rainer Friedrich1). 3. Das Argument des § 2 stützt das rechtliche Postulat, indem es sich auf die formale Übereinstimmung des Begriffs der äußeren Freiheit beruft und indem es die Gesetzgebungsfunktion der reinen praktischen Vernunft im Verhältnis zum Gebrauch äußerer Objekte der Willkür bestimmt. Es erwähnt nicht den Begriff des nicht-empirischen oder nicht-physischen Besitzes, dessen Möglichkeit Kant als eine unmittelbare Folge des rechtlichen Postulats als eines synthetisch praktischen Satzes a priori betrachtet. Selbst wenn wir also davon ausgehen, dass es eine logische Lücke in § 6 gibt, können wir sie nicht dadurch schließen oder überbrücken, dass wir § 2 von einer Textstelle zu einer anderen versetzen. Zusammengefasst: Abgesehen von der Entfernung der Überlegungen, die zur Erwerbslehre gehören, aus der Besitzlehre, sehe ich keinen einleuchtenden Grund, irgendeiner mutmaßlichen Umsteuerung auf Kants Argumentationslinie in der RL beizupflichten.2 Aufgrund der soeben vorgeführten Überlegungen bin ich der Auffassung, dass die im Jahre 1991 erschienene Übersetzung der MS die einzige gut brauchbare englische Fassung von Kants RL liefert. Es ist nur schade, dass sie schon seit mehr als fünfzehn Jahren nur im Antiquariat zu erhalten ist. Denn das hat zur Folge, dass diese Fassung für den philosophischen Lehrbetrieb in englischsprachigen Ländern praktisch nicht mehr zur Verfügung steht.

1

s. Rainer Friedrich: Eigentum und Staatsbegründung in Kants Metaphysik der Sitten. Berlin, de Gruyter, 2004, S. 104. 2 Entnommen und ins Deutsche übersetzt aus: Jeffrey Edwards: „Original Community, Possession, and Acquisition in Kant’s Metaphysics of Morals.“ In: Kant and the Concept of Community, edited by Charlton Payne / Lucas Thorpe. Rochester, New York, University of Rochester Press, 2011, p. 176 (note 9).

II. Systematische Grundlagen und Grundbegriffe der Metaphysik der Sitten

Kant über Freiheit und Determinismus Michael Wolff These 1: Kant ist ein entschiedener Gegner des naturgesetzlichen Determinismus, daher ist er auch ein entschiedener Inkompatibilist (im heute üblichen Sinne dieser Bezeichnung).

Man kann das Satzpaar, das Kant in der Kritik der reinen Vernunft als „Dritte Antinomie“ behandelt, mit Recht verstehen als ein Paar von Sätzen, von denen der erste (die „Thesis“) den Determinismus bestreitet, während der zweite (die „Antithesis“) ihn behauptet. Denn sinngemäß behauptet der erste (in der Formulierung der Prolegomena) die Existenz von „Ursachen durch Freiheit“ in der „Welt“, während der zweite diese Exstenz verneint und nur Ursachen anerkennt, die nach Naturgesetzen Wirkungen hervorbringen. So verstanden ist die Antithesis in einem „starken“1 Sinne deterministisch, und zwar insofern, als sie Willensfreiheit ausschließt und behauptet, daß alle Begebenheiten, die in der Welt stattfinden, darunter alle menschlichen Handlungen, aufgrund von Naturgesetzen kausal so vorherbestimmt sind, daß ihr Nichteintreten unmöglich ist. Nun kann es logischerweise Willensfreiheit nur entweder geben oder nicht geben. Thesis und Antithesis sind insofern inkompatibel. Bekanntlich möchte Kant aber den Widerstreit zwischen beiden Sätzen so auflösen, daß aus ihrer gleichrangigen Beweisbarkeit folgt, daß beide Sätze wahr sein können, d. h. subkonträr sind. Ihre Subkontrarietät lasse sich auf der Grundlage des transzendentalen Idealismus daraus erklären, daß beide Sätze so interpretierbar sind, daß sie von verschiedenen Arten von Ursachen handeln, nämlich einerseits von Naturursachen, d. h. Ursachen, die Wirkungen fremder Ursachen sind, andererseits von Ursachen, die nicht zur Erscheinungswelt gehören und nicht Wirkungen fremder Ursachen sind, sondern „spontan“ (d. h. von selbst) wirken. Die Thesis könne nämlich, so meint Kant, dann wahr sein, wenn man sie als Satz versteht, der von einer causa noumenon handelt, die nicht Erfahrungsgegenstand sein kann, während die Antithesis (nach der „Zweiten Analogie der Erfahrung“) dann wahr sein kann, wenn sie als Satz aufzufassen ist, der nur von der Welt möglicher Erfahrung handelt, sich also nur auf mögliche Gegenstände empirischer Naturforschung bezieht. Die so beschriebene Auflösung der Dritten Antinomie darf nun keineswegs, wie es in der Kant-Literatur oft und immer wieder geschieht, so verstanden werden, als plädiere Kant für eine Position, die man „Kompatibilismus“ nennt und die behauptet, 1 Die Unterscheidung zwischen einem starken (oder harten) und schwachen (oder weichen) Determinismus geht auf William James zurück.

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der in der Antithesis beschriebene Determinismus sei mit Willensfreiheit verträglich. Ein solches Plädoyer läßt sich in der Kritik der reinen Vernunft schon deshalb nicht finden, weil Kant die Widerlegung des Determinismus durch den Beweis der Thesis für genauso unanfechtbar hält wie den Beweis der Antithesis, nach der alles, was in der Welt geschieht, nach Naturgesetzen geschieht, und weil Kant nicht glaubt, seine Transzendentalphilosophie liefere zusätzlich zu diesen Beweisen noch irgendein Argument, mit dem man die Wahrheit der Thesis oder Antithesis beweisen könnte. Die erste Kritik enthält lediglich den Versuch, den transzendentalen Idealismus als eine Position zu beschreiben, die in der Lage ist, das Satzpaar der dritten Antinomie als Paar kompatibler Sätze umzudeuten. Richtig verstanden läuft diese Umdeutung nicht auf den Kompatibilismus hinaus, der nach dem heute üblichen, angloamerikanisch geprägten Verständnis von „compatibilism“ in der Behauptung besteht, daß Willensfreiheit mit einer Welt verträglich ist, in der alles Geschehen aufgrund von Naturgesetzen durch anfangslose Kausalketten aufgrund früheren Geschehens unausbleiblich festgelegt ist. Denn nach dieser Umdeutung ist die Behauptung der Willensfreiheit inkompatibel mit einem naturgesetzlichen Determinismus (wie ihn die Antithesis wiedergibt), wenn auch kompatibel mit der Annahme, daß das Kausalgesetz der Zweiten Analogie für Erfahrungsgegenstände allgemeingültig ist (wonach gilt, daß jede Ursache, die als Begebenheit in der Natur Gegenstand von Erfahrung ist und nach Naturgesetzen fremde Wirkungen ausübt, Wirkung einer fremden Ursache ist). Diese Annahme ist mit Willensfreiheit verträglich, da sie außer der naturgesetzlichen Kausalität noch eine andere Art von Ursächlichkeit zuläßt. Sie läßt es nämlich zu, daß Handlungen Wirkungen eines (empirisch unerkennbaren) freien Willens sind, der als absolut spontan wirkende Ursache in das Naturgeschehen so hineinwirkt, daß mit seinem Wirken eine Reihe von Begebenheiten in der Natur „ganz von selbst“ (A 534/B 562) anfängt. Wirkungen einer solchen Ursache können durch zeitlich vorangehende (natürliche) Ursachen nicht determiniert, sondern nur mitverursacht sein. Sie können m. a. W. nicht prädeterminiert sein, sondern sie sind Teile von Ursachenketten, in denen es erste Ursachen gibt. Diese Ketten können, wie Kant sagt, „mitten im Lauf der Welt“ (A 450/B 478) einen „absolut ersten“ Anfang haben. Die Umdeutung, die das Satzpaar der dritten Antinomie durch den transzendentalen Idealismus erfährt, ist daher kein Kompatibilismus (nach heute üblichem Verständnis von „Kompatibilismus“). Vielmehr schließt die Willensfreiheit den „Prädeterminismus“ (wie Kant auf treffende Weise den naturgesetzlichen Determinismus nennt) aus..2 Es beruht also auf einem Mißverständnis, Kant für einen Vertreter des Kompatibilismus zu halten. Kant vertritt allerdings auch nicht die Ansicht, daß sich eine Entscheidung für die Annahme von Willensfreiheit und damit eine Entscheidung zugunsten eines der beiden Sätze der Dritten Antinomie aus rein theoretischen („spekulativen“) Gründen herbeiführen lasse. Erst mit dem Beweis, den die zweite Kritik unter Voraussetzung des Grundgesetzes der reinen praktischen Vernunft für die An2

Kritik der Urteilskraft, ,Einleitung‘, B LIII ff., Akademie-Ausgabe, Band 5, S. 195 f.

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nahme der „transzendentalen Freiheit“ des Willens liefern soll,3 wird eine solche Entscheidung herbeigeführt. Dies ist eine Entscheidung, für welche die transzendentalidealistische Deutung der Dritten Antinomie nur die Grundlage geschaffen hat und die man mißversteht, wenn man sie (wie es manchmal geschieht) beschreibt als die (kompatibilistische) Ansicht, es gebe Willensfreiheit „trotz kausal geschlossener physischer Welt“.4 Die kausale Geschlossenheit der physischen Welt ist vielmehr mit der transzendentalen Freiheit des Willens unverträglich.5 Denn diese befähigt den Willen des Menschen, in der physischen Welt („mitten im Lauf der Welt“) „eine Reihe von Begebenheiten ganz von selbst anzufangen“ (A 534/B 563), ohne daß dieser Anfang naturgesetzlich prädeterminiert wäre. Die Annahme der transzendentalen Freiheit schließt den naturgesetzlichen Determinismus und den Kompatibilismus aus.6 Um hier ein mögliches Mißverständnis auszuschließen: Kants Ablehnung des naturgesetzlichen Determinismus läuft nicht etwa, wie man meinen könnte, auf die An3

Kant kündigt diesen Beweis schon am Anfang seiner ,Vorrede‘ zur Kritik der praktischen Vernunft an. Siehe Band 5 der Akademie-Ausgabe S. 3 f. – Zur Frage, wie sich dieser Beweis zu der sogenannten „Deduktion der Grundsätze der reinen praktischen Vernunft“ verhält, siehe Michael Wolff, ,Warum das Faktum der Vernunft ein Faktum ist. Auflösung einiger Verständnisschwierigkeiten in Kants Grundlegung der Moral‘, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 57, 2009, S. 540 – 548. 4 Reinhard Merkel, Willensfreiheit und rechtliche Schuld – Eine strafrechtsphilosophische Untersuchung, Baden-Baden, 2008, S. 26 Anm. 29. 5 Die Annahme einer kausalen Geschlossenheit der Natur ist nach Kant darüber hinaus sogar falsch, weil in sich widersprüchlich. Wenn nämlich „alles nach bloßen Gesetzen der Natur geschieht“, so gibt es niemals einen ersten Anfang in einer Kausalreihe, „also überhaupt keine Vollständigkeit der Reihe auf der Seite der voneinander abstammenden Ursachen“; nach dem Kausalgesetz darf es aber zu Wirkungen keine nur unvollständigen Ursachenreihen geben. Andernfalls treten sie gar nicht ein. Siehe KrV A 444 – 446/B 472 – 474 (Beweis der Thesis des Dritten Widerstreits der transzendentalen Ideen). Die Wahrheit der Antithesis der Dritten Antinomie läßt sich aus Kants Sicht nur dann annehmen, wenn man sie nicht mit der Annahme einer kausalen Geschlossenheit der Welt verwechselt, sondern so deutet, daß sie nur von der Welt möglicher Erfahrung in Raum und Zeit handelt und von allen Begebenheiten, die in dieser Welt aus zeitlich vorangehenden Ursachen folgen, aussagt, daß sie nach Naturgesetzen aus diesen Ursachen folgen. 6 Ich widerspreche hiermit Ansgar Beckermann, der Kant für einen Deterministen hält, dessen Position allerdings „kompliziert und mit Hilfe der gängigen philosophischen Terminologie nur schwer zu erfassen“ sei. Kants Determinismus zeige sich in dem Satz: „Jede Handlung, als Erscheinung, so fern sie eine Begebenheit hervorbringt, ist selbst Begebenheit […], welche einen andern Zustand voraussetzt, darin die Ursache angetroffen werde […]“ (KrV A 543/B 571). In Wahrheit sagt dieser Satz über die Art und Beschaffenheit der Ursache, von der in ihm die Rede ist, nichts aus, so daß mit „Ursache“ auch ein freier, absolut spontan wirkender Wille gemeint sein kann. Beckermanns Frage erledigt sich daher von selbst, wie der zitierte Satz zusammenpasse mit dem Umstand, daß Kant andererseits glaube, „daß es einen freien Willen gibt“ und daß er mit diesem Glauben, insbesondere mit der Überzeugung, Menschen seien fähig, „unabhängig von [den] Naturursachen […] etwas hervorzubringen […], mithin eine Reihe von Begebenheiten ganz von selbst anzufangen“ (KrV A 534/B 562), „dem Lager der Libertarier näher“ stehe „als dem der weichen Deterministen. Siehe A. Beckermann, ,Immanuel Kant (1724 – 1804)‘, in: www.philosophieverstaendlich.de.

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sicht hinaus, es könne im Naturgeschehen (z. B. in neuronalen Vorgängen des menschlichen Gehirns) „lokale Löcher des Indeterminismus“ (Wolfgang Prinz)7 geben: Transzendentale Freiheit setzt nicht etwa die Aufhebung von Naturgesetzen an irgendeiner Stelle von Raum und Zeit voraus. Vielmehr wird mit ihr (ganz im Gegenteil) angenommen, daß die gesetzliche Ordnung der Natur in eine umfassendere gesetzliche Ordnung eingebettet ist, d. h. in eine Ordnung, in der Naturgesetze für raum-zeitliche Begebenheiten und praktische Gesetze für Willensmaximen allgemeingültig sind. Im übrigen ist die Idee der transzendentalen Freiheit nicht die einzige Idee, zu deren Annahme die Dritte Antinomie nach Kants Ansicht anleitet. Die andere Idee ist die Idee einer ins Unbegrenzte fortschreitenden explanatorischen Naturforschung. Nach dieser Idee ist es der Naturforschung (damit auch der Gehirnforschung) aufgegeben, zu jedem Phänomen diejenigen Naturgesetze aufzusuchen, nach denen es aus kausalen Phänomenen notwendigerweise folgt. Es ist wichtig zu erkennen, daß diese Idee mit dem naturgesetzlichen Determinismus nichts zu tun hat. (Aus der Allgemeingültigkeit des Kausalprinzips gemäß der Zweiten Analogie folgt noch lange nicht, daß alle Ereignisse in der Natur ausschließlich naturgesetzlich determiniert sind. Der naturgesetzliche Determinismus darf nicht, wie es häufig geschieht, mit der Annahme einer strengen Allgemeingültigkeit des Kausalprinzips verwechselt werden, nach dem es zu jeder Begebenheit in der Natur eine Ursache gibt.) These 2: Die Meinung ist falsch, es wäre richtiger und aufgrund seiner eigenen Annahmen konsequenter gewesen, hätte Kant eine kompatibilistische Position bezogen.

Manche Autoren (darunter Habermas) vertreten heutzutage die Ansicht, mit der Idee transzendentaler Freiheit habe sich Kant einen viel zu „anspruchsvollen“, „überzogenen“ oder „überanstrengten“8 Begriff von Willensfreiheit zu eigen gemacht. Die in diesem Begriff enthaltenen Vorstellungen absoluter Spontaneität und eines absoluten Anfangs von Kausalreihen könne man nicht rechtfertigen. Kant hätte (so ist die Meinung) besser daran getan, hätte er diesen Begriff ersetzt durch einen Begriff von Freiheit, den schon er selbst unter dem Namen „praktische Freiheit“ ins Spiel gebracht habe. Hätte sich Kant konsequent an diesen (vermeintlich bescheideneren) Begriff gehalten, hätte er sich (so wird behauptet) die Möglichkeit einer kompatibilistischen Auflösung der Dritten Antinomie nicht verbaut, und er wäre nicht (wie es angeblich geschehen ist) mit Ergebnissen der modernen Neurowissenschaft in Konflikt geraten.

7

Wolfgang Prinz, ,Freiheit oder Wissenschaft?‘, in: M. von Cranach/K. Foppa (Hg.): Freiheit des Entscheidens und Handelns, Heidelberg, 1996, S. 92. 8 Jürgen Habermas, ,Freiheit und Determinismus‘, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 2005, S. 876.

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In dieser Weise argumentiert z. B. auch Holm Tetens in seinem Kommentar zur Kritik der reinen Vernunft.9 Er bezieht sich auf Kants Ausführungen zum Begriff der praktischen Freiheit im Kanon-Abschnitt der Methodenlehre der Kritik der reinen Vernunft. Kant bezeichnet dort die „praktische Freiheit“ als etwas, das „durch Erfahrung bewiesen werden“ könne (A 802/B 830). Mit dieser Bezeichnung verweist Kant auf ein Phänomen, das sowohl von Vertretern des Empirismus (z. B. von John Locke) als auch von Vertretern des Rationalismus (z. B. von Alexander Baumgarten) aufgefaßt worden ist als ein Phänomen von Freiheit. Baumgarten nennt diese Freiheit libertas moralis simpliciter sic dicta.10 Es soll sich bei dieser Freiheit um das (unserer Selbstwahrnehmung zugängliche) Unterscheidungsmerkmal menschlicher Willkür handeln, die im Gegensatz zu bloß „sinnlicher“ Willkür (arbitrium sensitivum) „frei“ genannt wird: arbitrium liberum.11 „Denn“, so schreibt Kant, „nicht bloß das, was reizt, d. i. die Sinne unmittelbar afficirt, bestimmt die menschliche Willkür, sondern wir haben ein Vermögen“, durch vernünftige Überlegungen, nämlich durch „Überlegungen von dem, was in Ansehung unseres ganzen Zustandes begehrenswert, d. i. gut und nützlich ist“, und „durch Vorstellungen von dem, was selbst auf entferntere Art nützlich oder schädlich ist, die Eindrücke auf unser sinnliches Begehrungsvermögen zu überwinden“ (A 802/B 830). Da diese Überlegungen auf „Vernunft“ „beruhen“, schreibt Kant dem praktisch freien Menschen eine „Causalität der Vernunft“ (A 803/B 831) zu. Dies soll keineswegs ein Hinweis auf eine nicht-naturgesetzliche Art von Kausalität sein. Eine solche wäre niemals bloßer Erfahrung zugänglich. Was der bloßen Erfahrung als Freiheit erscheint, nämlich als Unabhängigkeit von unmittelbaren sinnlichen Antrieben, könnte sich ja (wie Kant bemerkt) im Rahmen eines erweiterten Erfahrungsrahmens als etwas herausstellen, das durchaus nach Naturgesetzen kausal bestimmt ist. Auch Vernunfttätigkeit, die eine Unabhängigkeit von bestimmten sinnlichen Antrieben (man denke etwa an Freuds „Triebaufschub“) bewirkt, kann sich im Rahmen einer erweiterten Erfahrung durchaus als etwas herausstellen, das gesetzmäßig (nämlich nach besonderen, noch zu entdeckenden Naturgesetzen) von Naturursachen ab-

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Holm Tetens, Kants ,Kritik der reinen Vernunft‘ – Ein systematischer Kommentar, Stuttgart, 2006, S. 258 – 265. 10 Alexander Gottlieb Baumgarten, Metaphysica, Halle, 1757, § 719, abgedruckt in Band 17 der Akademie-Ausgabe von Kants Schriften, S. 135. 11 Baumgarten, Metaphysica, § 719. – Baumgarten unterscheidet in § 719 eine „reine Freiheit“ (libertas pura) von einer „mit sinnlicher Willkür vermischte Freiheit“ (libertas arbitrio sensitivo mixta). Kant nennt dementsprechend das unvermischte arbitrium sensitivum, d. h. die sinnliche Willkür, insofern sie nicht nur „pathologisch (durch Bewegursachen der Sinnlichkeit) affiziert ist“, sondern „pathologisch necessitiert werden kann“, ein arbitrium brutum (Kritik der reinen Vernunft, A 534/B 562). „Eine Willkür nämlich ist bloß thierisch (arbitrium brutum), die nicht anders als durch sinnliche Antriebe, d. i. pathologisch, bestimmt werden kann. Diejenige aber, welche unabhängig von sinnlichen Antrieben, mithin durch Bewegursachen, welche nur von der Vernunft vorgestellt werden, bestimmt werden kann, heißt die freie Willkür (arbitrium liberum), und alles, was mit dieser, es sei als Grund oder Folge, zusammenhängt, wird praktisch genannt.“ (A 802/B 830)

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hängt.12 Eine dem Regulativ unbeschränkter Ursachenforschung folgende Erfahrungswissenschaft müßte es sich nach Kants eigener Ansicht sogar verbieten, die Möglichkeit einer nach Naturgesetzen kausal bestimmten Abhängigkeit empirisch beobachtbarer Vernunftoperationen a priori auszuschließen. Wenn Kant daher ausdrücklich sagt: „Wir erkennen also die praktische Freiheit durch Erfahrung [immer nur] als eine von den Naturursachen“ (B 831), so ist damit gemeint, daß Freiheit, sofern sie ein bloßer Gegenstand von Erfahrungserkenntnis in Raum und Zeit ist, immer nur als Naturursache in Betracht kommt. Die Erfahrung praktischer Freiheit hat es als solche nur mit natürlichen Kausalverhältnissen zu tun. Tetens und andere Autoren stellen im Hinblick auf Kants Erörterung des Begriffs der praktischen Freiheit irritiert die Frage, warum denn Kant, statt sich mit diesem Begriff zufrieden zu geben, nur in transzendentaler Freiheit den Ausweg aus dem Widerspruch der Dritten Antinomie gesucht hat. Was Kant praktische Freiheit genannt hat, entspreche doch dem, was Freiheit nach gewöhnlichem Alltagsverständnis sei. Diese Freiheit anzunehmen sei mit den Ergebnissen der modernen Neurowissenschaft ohne weiteres verträglich, während das transzendentale Verständnis von Freiheit (als absoluter Spontaneität und Erstursächlichkeit) durch Experimente der neueren Gehirnforschung außerkraftgesetzt werde. Was als besonders irritierend empfunden wird, ist der Umstand, daß Kant im Zusammenhang seiner diesbezüglichen Ausführungen sogar selbst einräumt, „die Frage wegen der transzendentalen Freiheit“ dürfe „als ganz gleichgültig bei Seite“ gesetzt werden, wenn es „um das Praktische zu tun ist“, insbesondere wenn es nur um Fragen geht, die das „praktische Interesse der reinen Vernunft“ betreffen (A 803 f./B 831 f.). Hier könne man sich mit dem Begriff der praktischen Freiheit begnügen. Wenn es nämlich nur darum geht zu wissen, was wir tun oder lassen sollen (im allgemeinen oder in einem bestimmten Falle), brauchen wir nicht auch noch zu wissen, ob wir im transzendentalen Sinne frei sind. Ein solches Wissen würde zur Beantwortung dieser Frage nichts beitragen. Selbst Skeptiker, die nicht glauben, daß es ein solches Wissen gibt, und hartgesottene Deterministen, die im Gegenteil glauben, daß auch Vernunftoperationen immer nach Naturgesetzen prädeterminiert sind, werden in der Praxis bereit sein, Vorschriften ihrer eigenen Vernunft Folge zu 12 „Man nimmt zwar […] an, z. E. Wolf sowie Baumgarten, daß der handelnde Mensch von aller Naturnothwendigkeit unabhängig sey, insofern seine Handlungen durch motiven geleitet, mithin durch Verstand und Vernunft determinirt würden; dies ist aber falsch. Der Mensch wird dadurch nicht vom Natur-Mechanismo befreit, daß er bey seiner Handlung einen actum der Vernunft vornimmt. Jeder Actus des Denkens, Ueberlegens ist selbst eine Begebenheit der Natur […]. Er ist also dadurch, daß er sich durch Gründe der Vernunft und des Verstandes zur Handlung bestimmt, noch nicht von allem Natur-Mechanismo befreit […]. Es lagen die Gründe der Handlung in der vergangenen Zeit, und er wurde dadurch zur Handlung selbst geleitet. – Die Gründe der Handlung, die ihn nach und nach bestimmten, lagen offenbar nicht in seiner Gewalt, denn er konnte sie nicht ungeschehen machen: insofern handelte er also nicht frey, da er blos unter dem Natur Mechanismo stand. Eben dasselbe muß man von den maximen annehmen, auf welche die Gründe der Handlung gebaut sind […].“ Kant, Vorlesungen über Moralphilosophie, in: Akademie-Ausgabe Band 27, S. 503 f.

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leisten, statt sich einfach gehen zu lassen. Auch sie werden, wenn sie handeln sollen, versuchen, vernünftige Regeln einzuhalten und auf diese Weise ihrer Vernunft „Kausalität“ zu verschaffen. Tetens fragt deshalb: Wenn es so ist, daß transzendentale Freiheit „zur Lösung des Problems“, was wir „tun sollen und tun können, gar nichts“ beiträgt, „warum widmet Kant dann den Versuchen noch so viel Aufmerksamkeit, Freiheit metaphysisch zu beweisen? Warum ,bleibt‘ jenseits der praktischen Freiheit das Problem der transzendentalen Freiheit“ für Kant noch bestehen?13 „Wozu sollten wir, wie Kant es tut, zwischen intelligibler ,Kausalität aus Freiheit‘ und empirischer Naturkausalität unterscheiden, wenn praktische Freiheit als eine Form der ,Naturkausalität‘ dem ,Naturgesetz‘ gar nicht widerspricht?“14 „Kant hätte in Wahrheit gut daran getan, die vermeintliche Antinomie von ,Kausalität durch Freiheit‘ und naturgesetzlicher Autonomie dadurch aufzulösen, daß er den metaphysischen Begriff der ,Kausalität durch Freiheit‘ ersetzt und ansonsten darauf hingewiesen hätte, daß ,praktische Freiheit‘ den kausalen Gesetzen der Erfahrungswelt nicht widerspricht.“15 Ich frage: Hätte Kant wirklich gut daran getan, die Dritte Antinomie in dieser von Tetens vorgeschlagenen Weise aufzulösen? Ich meine: Nein, das hätte er nicht. Der von Kant eingeschlagene Weg zur Auflösung der Dritten Antinomie hat einen deutlichen Vorzug gegenüber dem von Tetens angedeuteten Weg. Man kann diesen Vorzug leicht daran erkennen, daß Tetens’ Vorschlag, den transzendentalen Freiheitsbegriff durch den praktischen schlicht zu „ersetzen“, in Wahrheit auf der Annahme beruht, es könne die Nicht-Existenz eines nicht-empirischen Vermögens (nämlich des Vermögens, eine Reihe von Begebenheiten von selbst anzufangen) durch Erfahrung (experimentell) bewiesen werden.16 Kants Behandlung der dritten Antinomie bestand dagegen lediglich darin, den transzendentalen Begriff von absoluter Spontaneität als einen Begriff herauszustellen, der einerseits widerspruchsfrei ist, andererseits eine mit rein theoretischen Mitteln herbeizuführende Entscheidung darüber, ob er ein leerer Begriff ist oder nicht, gar nicht zuläßt. Eben dies ist der Grund dafür, daß Kant im Kanon-Abschnitt daran erinnert, daß die transzendentale Freiheit für die bloß spekulative (d. h. theoretische) Vernunft als „Problem“ immer bestehen bleibt (A 803/B 831) und daß ihr Begriff insofern immer ein problematischer Begriff ist (nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein proble13

Tetens, S. 262. Ebenda S. 261. 15 Ebenda S. 265. 16 Tetens’ Hinweis auf Ergebnisse der experimentellen Neurowissenschaft stellt kein überzeugendes Argument dar. Denn auch wenn man annimmt, daß Willensakte an neuronale Vorgänge gebunden sind und es experimentell (wie Benjamin Libets Experimente zeigen) feststellbar ist, daß es Willensentscheidungen gibt, die auf Vorgänge im Gehirn zeitlich folgen und diese daher nicht verursachen, so ist damit noch lange nicht gezeigt, daß dem menschlichen Willen im Hinblick auf bestimmte Willensinhalte keine absolute Spontaneität und Erstursächlichkeit zukommen kann. Auf diesen Punkt werde ich unten zurückkommen. 14

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matischer Begriff). Tetens’ Frage, warum für Kant das „Problem“ der transzendentalen Freiheit „jenseits der praktischen Freiheit“ als theoretisches Problem bestehen bleibt, ist auf diese Weise schon beantwortet: Kant war daran interessiert, dogmatische Metaphysik zu vermeiden. Es beruht daher auf unzulänglichen Argumenten, wenn man meint, Kant habe sich durch einen zu anspruchsvollen Begriff von Freiheit den Weg zu einer kompatibilistischen Auflösung der Dritten Antinomie unnötig verbaut. Was Kant im Kanon-Abschnitt über praktische Freiheit sagt, bietet keine haltbare Grundlage für die Meinung, es wäre konsequent und richtiger gewesen, hätte Kant den Begriff transzendentaler Freiheit durch den Begriff der praktischen Freiheit ersetzt. These 3: Der von Kant und von den kompatibilistischen Kant-Kritikern gebrauchte Begriff praktischer Freiheit setzt den Begriff transzendentaler Freiheit voraus.

Eigentlich ist schon die soeben zitierte Meinung unzutreffend, der Begriff praktischer Freiheit sei weniger anspruchsvoll, weniger metaphysikbeladen und mit geringeren Schwierigkeiten verbunden als der Begriff der transzendentalen Freiheit. Nach Kants Ansicht sind es sogar vielmehr genau dieselben Schwierigkeiten, die beiden Begriffen zugrunde liegen. Im Auflösungskapitel der Dritten Antinomie schreibt Kant, der „praktische Begriff“ der Freiheit „gründe“ sich auf die „transzendentale Idee der Freiheit“ und diese mache „das eigentliche Moment der Schwierigkeiten“ aus, die „von jeher“ die Frage über die „Möglichkeit“ praktischer Freiheit „umgeben“ haben (A 533/B 561). Die „Auflösung“ dieser Frage müsse im Grunde die Transzendentalphilosophie, und nicht etwa die empirische Psychologie, „beschäftigen“ (A 535/B 563). – Man hat es (bis in die neueste Kant-Literatur hinein) immer wieder als verwirrend empfunden, daß Kant hier die praktische Freiheit zu einer Angelegenheit der Transzendentalphilosophie macht, obwohl das Kanon-Kapitel von einem Erfahrungsbeweis praktischer Freiheit spricht und sich damit auf die empirische Psychologie bezieht. Es scheint ein Widerspruch zu sein, daß Kant einerseits anzunehmen scheint, praktische Freiheit sei eine empirische Tatsache, andererseits aber meint, die Transzendentalphilosophie habe die Möglichkeit praktischer Freiheit auf der Grundlage des transzendentalen Begriffs absoluter Spontaneität zu erklären. Kant behauptet ja: „wenn alle Causalität in der Sinnenwelt Natur wäre, […] so würde die Aufhebung der transzendentalen Freiheit zugleich alle praktische Freiheit vertilgen“ (A 534/B 562). Offensichtlich nimmt Kant hier an, daß es in einer Welt, in der alles Geschehen durch natürliche Ursachen determiniert ist, nicht nur keine transzendentale, sondern auch keine praktische Freiheit geben kann. Demnach scheint Kant anzunehmen, daß, wenn praktische Freiheit empirisch zu beweisen ist, dann sogleich der naturgesetzliche Determinismus widerlegt und transzendentale Freiheit bewiesen werden kann. Aber diese Annahme verträgt sich schlecht mit den zentralen Behauptungen Kants im Text seiner Kritik der reinen Vernunft und anderswo. Manche Kant-Experten haben aus dieser anscheinend bestehenden Unstimmigkeit den Schluß gezogen, das Kanon-Kapitel müsse wegen seiner Erfahrungsbeweis-These

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aus Kants vorkritischer Zeit stammen; der Inhalt dieses Kapitels bestätige die patchwork-Hypothese, nach der Kants Hauptwerk 1781 aus älteren Textstücken zusammengeflickt worden sei, ohne daß ihr Autor die Inkonsistenz dieser Stücke bemerkt oder für relevant gehalten hätte. In Wahrheit ist diese kühne Hypothese zum Verständnis überflüssig. Denn man erfaßt den Sinn des Kanon-Kapitels nicht, wenn man ihm die Behauptung entnehmen will, der Begriff der praktischen Freiheit sei ein empirischer Begriff. Kant sagt zwar wörtlich: „Die praktische Freiheit kann durch Erfahrung bewiesen werden.“Aber der Kontext macht hinreichend deutlich, daß dies nicht bedeuten soll: Es kann empirisch bewiesen werden, daß es praktische Freiheit gibt. Gemeint ist vielmehr, daß das empirische Phänomen beweisbar ist, das man mit „Freiheit“ im praktischen Verständnis dieses Wortes bezeichnet. Gemeint ist m. a. W., daß das erwähnte Phänomen der Vernunftkausalität empirisch beweisbar ist, von dem Kant sagt, daß es „in Absicht auf sinnliche Antriebe Freiheit heißt“ (A 802/B 831). Ob dieses Phänomen dem Begriff der praktischen Freiheit entspricht, läßt der zitierte Satz ganz offen. Ein nachfolgender Satz deutet aber bereits an, daß es diesem Begriff nach Kants Ansicht nicht entspricht. Dieser Satz lautet wörtlich (ich hatte ihn schon im Zusammenhang mit These 2 zitiert): „Wir erkennen […] die praktische Freiheit durch Erfahrung als eine von den Naturursachen, nämlich eine Causalität der Vernunft in Bestimmung des Willens“ (A 803/B 831). Dieser Satz deutet an, daß Kant mit der Erfahrungserkenntnis praktischer Freiheit nicht die Erkenntnis der Existenz praktischer Freiheit meint. Er ist sinngemäß so zu paraphrasieren: Empirisch erkennbar und beweisbar ist das Phänomen der empirischen Vernunftkausalität (die auch Skeptiker und hartgesottene Deterministen anerkennen müssen), und dieses Phänomen wird für gewöhnlich „Freiheit“ (libertas moralis simpliciter sic dicta) genannt. Allerdings entspricht dieses Phänomen nicht wirklich der Definition dessen, was praktische Freiheit ist, d. h.: Es handelt sich bei dem, was beobachtet werden kann, nicht wirklich um Unabhängigkeit von unmittelbaren sinnlichen Antrieben. Vielmehr ist auch Vernunfttätigkeit, sofern ihre kausale Wirksamkeit „durch Erfahrung“ erkannt werden kann, selbst nur eine von den „Naturursachen“ und kann ihrerseits von unmittelbaren sinnlichen Antrieben abhängen. Daß Kant im Kanon-Kapitel tatsächlich so argumentieren möchte, erkennt man genauer, wenn man sieht, daß er mit seiner Definition der praktischen Freiheit und dem zugehörigen Erfahrungsbeweis direkt an die empirische Psychologie in Baumgartens Metaphysik anknüpft. In § 719 dieser Metaphysik hatte Baumgarten die libertas moralis simpliciter sic dicta (der Kants „praktische Freiheit“ entspricht) definiert als Vermögen des vernünftigen Begehrens und Verabscheuens, das entweder libertas pura, nämlich ein „reiner Wille“ sei, in dessen Belieben „nichts Sinnliches ist“, oder dessen „Freiheit“ mit „sinnlicher Willkür“ (arbitrium sensitivum) „vermischt“ sei.17 Daß dieser Begriff der libertas nicht leer ist, beweist Baumgarten 17 Die Erläuterung, libertas pura sei „reiner Wille“, dem „nichts Sinnliches beigemischt“ ist, findet man in Georg Friedrich Meiers Übersetzung der Baumgartenschen Metaphysik.

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im sogleich folgenden § 720 empirisch mit dem Hinweis auf Selbstbeobachtung, indem er schreibt: „Ich begehre und verabscheue vieles vernünftig nach meinem Belieben, folglich habe ich eine Freiheit (§ 529. 42. 144).“18 Baumgarten geht auf der Grundlage seiner Freiheitsdefinition und des beigefügten Erfahrungssatzes sogleich dazu über, ein von ihm so genanntes „Willensgesetz“ (lex arbitrii) zu formulieren, dem eine Regel entspricht, die er „Freiheitsregel“ (regula libertatis) nennt (Metaphysica § 726).19 Dieses Gesetz lautet: „Wovon mir die Ausführung freisteht, davon begehre ich das, was mir beliebt, und verabscheue das, was mir beliebt. Daher die Freiheitsregel: Wovon mir die Ausführung freisteht, davon will ich das, was mir beliebt, und will ich das nicht, was mir beliebt.“ Demgegenüber gibt Kant im Kanon-Kapitel indirekt zu bedenken, daß Baumgartens empirisch psychologische Grundlage für ein Freiheitsgesetz ganz untauglich ist, indem er darauf hinweist, daß eine bloß empirisch nachgewiesene Vernunftkausalität die kausale Abhängigkeit der Vernunft von fremden Naturursachen gar nicht ausschließt. Ein reiner Wille, auf dem moralische Freiheit nach Baumgarten beruht, kann nach Kants Ansicht kein beweisbarer Gegenstand empirischer Psychologie sein. Im Kontext des Kanon-Kapitels hat diese implizite Kritik an Baumgarten einen angemessenen Platz deshalb, weil Kant hier nur deutlich zu machen versucht, daß es im Hinblick auf die praktisch-moralische Frage: Was sollen wir tun und was sollen wir lassen? völlig gleichgültig ist, ob es möglich ist zu wissen, daß ein reiner Wille nachweisbar und ein Freiheitsgesetz angebbar ist. Für diese Frage genügt die empirische Kenntnis des Phänomens der Vernunftkausalität, die weder von seiten des Alltagsverstandes noch von seiten des eingefleischtesten Freiheits- und Moralskeptikers noch von seiten des subtilsten und härtesten Deterministen zu bestreiten ist.20 Liest man das Kanon-Kapitel auf diese Weise, nämlich ohne Kant die Meinung zu unterstellen, der menschliche Wille sei empirisch nachweisbar von sinnlichen Antrieben unabhängig, so verschwindet der scheinbare und oft beklagte Widerspruch Darin entspricht § 529 dem von mir zitierten § 719. Siehe A. G. Baumgarten, Metaphysik. Ins Deutsche übersetzt von G. F. Meier. Nach dem Text der zweiten, von J. A. Eberhard besorgten Ausgabe 1783. Jena, 2004, S. 172. 18 So die Übersetzung Meiers von § 720 in seiner in der vorigen Fußnote angeführten Ausgabe, S. 173. Der zitierte Satz lautet im Original: „Multa volo noloque pro lubito meo. Ergo habeo libertatem, § 216, 719.“ 19 „§ 726. Arbitrii haec lex est: Ex liberis ratione exsecutionis, quod libet, appeto, quod libet, aversor. Hinc libertatis regula: Ex liberis ratione exsecutionis, quod libet, volo, quod libet, nolo.“ Meier gibt den Text von § 726 (mit anderer Paragraphenzählung) so wieder: „§ 534. Das Gesetz des Willkührs [sic] ist: unter Handlungen, deren Verrichtung mir frei steht, begehre ich diejenige, die mir beliebt, und verabscheue diejenige, die mir beliebt. Das Gesetz der Freyheit ist: unter Handlungen, deren Verrichtung mir frei steht, begehre ich diejenige vernünftig, die mir beliebt, und verabscheue diejenige vernünftig, die mir beliebt.“ Nach Baumgarten (§ 690) ist volitio dasselbe wie appetitio rationalis und nolitio dasselbe wie aversatio rationalis. 20 In derselben Weise argumentiert Kant auch in seinen späteren moralphilosophischen Hauptschriften. Siehe z. B.: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 3. Abschnitt, AkademieAusgabe Band 4, S. 448 Zeilen 4 – 9 und Fußnote.

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mit dem Auflösungskapitel der Dritten Antinomie. Denn in ihm macht Kant nur explizit, was im Kanon-Kapitel bloß angedeutet wird. Er weist hier nämlich darauf hin, daß die Frage nach der Möglichkeit praktischer Freiheit (da sie, wie er schreibt, „auf dialektischen Argumenten der bloß reinen Vernunft beruht“ (A 535/B 563)) ausschließlich in die Transzendentalphilosophie gehöre. Kant sagt ausdrücklich, diese Frage gehöre nicht in die Psychologie, wobei er offensichtlich einen Seitenblick auf Baumgarten wirft. Denn er sagt, die empirische Psychologie habe sich mit der Frage nach der Möglichkeit praktischer Freiheit nicht zu beschäftigen, obwohl diese Frage sie „anficht“ (A 535/B 563). Hier dürfte Kant den anfechtbaren empirischen Freiheitsbeweis in Baumgartens Psychologie im Auge haben. In die Transzendentalphilosophie gehört die Frage nach der Möglichkeit praktischer Freiheit nach Kants Ansicht deshalb, weil (wie er nun im Auflösungskapitel der Dritten Antinomie behauptet) „der Begriff der praktischen Freiheit“ in der „Idee der transzendentalen Freiheit“ gründe (A 533/B 561). Gemeint ist hiermit, daß praktische Freiheit auf absoluter Spontaneität beruht, weil sie ihrem Begriff nach „die Unabhängigkeit der Willkür von der Nöthigung durch Antriebe der Sinnlichkeit“ (ebd.) ist und daher das Vermögen voraussetzt, „sich unabhängig von der Nöthigung durch sinnliche Antriebe selbst zu bestimmen“. Kant argumentiert in diesem Kontext wie folgt: Wer die Möglichkeit praktischer Freiheit einräumt, setzt damit schon voraus, daß es eine Differenz geben kann zwischen dem, was tatsächlich geschehen ist, und dem, was hätte geschehen sollen. Sollen gehört zum Inhalt einer praktischen Vernunftannahme, und die Vorstellung, daß etwas hätte geschehen sollen, das nicht geschehen ist, ist bereits mit einer (wenn auch noch so vagen) „Idee“ von absoluter Spontaneität verbunden. Denn die Annahme, daß eine Begebenheit hätte geschehen sollen, die nicht geschehen ist, setzt voraus, daß diese Begebenheit hätte geschehen können, obwohl sie, wenn sie geschehen wäre, nicht wie das, was tatsächlich geschehen ist, mit den zeitlich vorangehenden Begebenheiten hätte ursächlich verkettet gewesen sein können. Damit setzt die Annahme, daß etwas, das nicht geschehen ist, hätte geschehen sollen, die Annahme eines Vermögens voraus, eine Reihe von Begebenheiten „ganz von selbst anzufangen“ (vgl. A 534/B 562), d. h. die Annahme eines Vermögens, das hätte ausgeübt werden sollen, aber nicht ausgeübt worden ist.21 Hiermit ist es aus Kants Sicht ganz klar, daß die Schwierigkeiten, die mit dem Begriff der praktischen Freiheit verbunden sind, genau dieselben Schwierigkeiten sind, die im Begriff der transzendentalen Freiheit enthalten sind. Diese Schwierigkeiten 21

„Man sieht leicht, daß, wenn alle Causalität in der Sinnenwelt bloß Natur wäre, so würde jede Begebenheit durch eine andere in der Zeit nach nothwendigen Gesetzen bestimmt sein; und mithin, da die Erscheinungen, so fern sie die Willkür bestimmen, jede Handlung als ihren natürlichen Erfolg nothwendig machen müßten, so würde die Aufhebung der transscendentalen Freiheit zugleich alle praktische Freiheit vertilgen. Denn diese setzt voraus, daß, obgleich etwas nicht geschehen ist, es doch habe geschehen sollen, und seine Ursache in der Erscheinung also nicht so bestimmend war, daß nicht in unserer Willkür eine Causalität liege, unabhängig von jenen Naturursachen und selbst wider ihre Gewalt und Einfluß etwas hervorzubringen, was in der Zeitordnung nach empirischen Gesetzen bestimmt ist, mithin eine Reihe von Begebenheiten ganz von selbst anzufangen.“ (A 534/B 562)

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betreffen die Frage nach der Möglichkeit absoluter Spontaneität, d. h. die Frage nach der Vereinbarkeit absoluter Spontaneität mit der Geltung des Kausalprinzips gemäß der Zweiten Analogie der Erfahrung. Diese Frage ist aus Kants Sicht auch für die Moralphilosophie von Interesse. Zwar ist sie, aus den beschriebenen Gründen, irrelevant bezüglich der Frage, was man tun und was man lassen soll. Aber sie verlangt nach einer Entscheidung hinsichtlich des Problems der Zurechenbarkeit (Imputabilität) von Handlungen. Darauf weist Kant schon in der ,Anmerkung‘ zur Thesis der Dritten Antinomie hin (A 448/B 476). Für dieses Problem hat bekanntlich der Kompatibilismus keine Lösung. (Man schaue sich die ganze Reihe seiner Vertreter an, von George Edward Moore über Peter Strawson und Harry Frankfurt bis hin zu Daniel Dennett.)22 Handlungen können nur dann zugerechnet werden, wenn es so etwas wie „Selbsttätigkeit“ (Spontaneität) gibt.23 Wenn es sich bei dieser Selbsttätigkeit nicht etwa um die Spontaneität eines automatischen Bratenwenders handeln soll, für die der Bratenwender selbst nicht verantwortlich ist, muß sie ein Fall absoluter Spontaneität sein. These 4: Kants Beweis der „Wirklichkeit“ transzendentaler Freiheit läuft auf die Gleichsetzung von praktischer und transzendentaler Freiheit hinaus.

In der Kritik der reinen Vernunft zeigen sowohl die einschlägigen Ausführungen zur Dritten Antinomie als auch das Kanon-Kapitel, daß es Kant bereits 1781 völlig klar geworden ist, daß die transzendentale Freiheit des Willens (die er 1788 in § 5 der Kritik der praktischen Vernunft als Freiheit im „strengsten“ Verstande bezeichnet) nur als praktische Freiheit bewiesen werden kann, nämlich als Vernunftkausalität. Dieser Einsicht liegen drei Überlegungen zugrunde, von denen auch Kompatibilisten Gebrauch machen. Die erste Überlegung läuft auf den Gedanken hinaus, daß ein freier Wille nur dann beweisbar ist, wenn er als Ursache von Wirkungen verstanden wird, die als sinnlich wahrnehmbare Handlungen zugleich Naturvorgänge sind und wiederum andere Naturvorgänge verursachen können. Die zweite Überlegung geht (mit David Hume) davon aus, daß es keine Ursache geben kann, wenn es kein Gesetz oder keine Regel gibt, nach der etwas eine Wirkung nach sich zieht. Diese Überlegung läuft darauf hinaus, daß die Freiheit des Willens nicht aus Zufall bestehen kann, sondern eine Determination der Wirkungen des Willens nach Regeln impliziert, so

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Siehe hierzu Ulrich Pothast, ,Analytische Philosophie‘, in: Hat der Mensch einen freien Willen. Die Antworten der großen Philosophen, herausgegeben von U. an der Heiden/ H. Schneider, Stuttgart, 2007, S. 295 – 308. 23 Siehe: Kritik der reinen Vernunft A 448/B 476: „Die transscendentale Idee der Freiheit macht zwar bei weitem nicht den ganzen Inhalt des psychologischen Begriffs dieses Namens aus, welcher großen Theils empirisch ist, sondern nur den der absoluten Spontaneität der Handlung als den eigentlichen Grund der Imputabilität derselben, ist aber dennoch der eigentliche Stein des Anstoßes für die Philosophie, welche unüberwindliche Schwierigkeiten findet, dergleichen Art von unbedingter Causalität einzuräumen.“

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daß der freie Wille nur als Wirkursache denkbar ist, die nach Regeln wirkt.24 Die dritte Überlegung geht aus von dem schon erwähnten Phänomen der Vernunftkausalität. Sie läuft auf den Gedanken hinaus, daß Vernunftgründe kausalen Einfluß auf Handlungen haben können und daß zu diesen Gründen auch Maximen gehören können, d. h. Regeln, die subjektive Willensgrundsätze sind. Bis zu diesem Punkt verbleiben Kants Überlegungen ganz im Rahmen von Annahmen, die auch für Kompatibilisten zustimmungsfähig sind. Es ist von hier aus nur ein einziger Schritt, mit dem Kant diesen Rahmen verläßt und mit dem er zur Gleichsetzung von praktischer und transzendentaler Freiheit gelangt. Dieser Schritt besteht in der Annahme, daß die Vernunftkausalität auch eine Kausalität der reinen Vernunft sein kann. Dieser Schritt besteht (m. a. W.) in der Annahme, daß es handlungsrelevante Maximen gibt, deren begrifflicher Inhalt unabhängig von Erfahrung ist und die sich jedes vernünftige Wesen als eine für jedes vernünftige Wesen streng allgemeingültige Regel zu eigen machen kann. Mit dieser Annahme geht Kant über Baumgarten hinaus. Denn sie macht es Kant möglich, dem Menschen erstmals eine Vernunftkausalität zuzuschreiben, die als Kausalität reiner Vernunft aufzufassen ist, nämlich als Kausalität gemäß einer Regel, deren Geltung weder auf Erfahrung beruht noch abhängt von sinnlichen Antrieben. 1781, im zweiten Abschnitt des Kanon-Kapitels, wird diese Regel zwar noch nicht (wie in der Grundlegungsschrift von 1785) ausdrücklich als „der kategorische Imperativ“ bezeichnet. Aber bereits hier werden ausdrücklich „reine moralische Gesetze, die völlig a priori […] das Tun und Lassen […] bestimmen“ und „nicht bloß hypothetisch“ gebieten, als „Prinzipien der reinen Vernunft“ vorgestellt, die als solche fähig sind, „freie Handlungen“ hervorzubringen (A 807 f./B 835 f.). Der mit der Grundlegungsschrift eingeschlagene Weg, transzendentale Willensfreiheit auf praktische Freiheit eines Willens zurückzuführen, der sich durch Regeln der reinen Vernunft leiten läßt, ist schon hier ganz deutlich vorgezeichnet. Damit ist ein Weg vorgezeichnet, der auf die Annahme hinausläuft, daß menschliche Handlungen nicht nur Naturgesetzen unterworfen sind, sondern außerdem von Ursachen abhängen können, die nach Regeln, die nicht Naturgesetze sind, Handlungen bewirken, und die (als reine Vernunftgründe) nicht ihrerseits naturgesetzliche Wirkungen zeitlich vorausgehender Ursachen sind. Ein Prädeterminismus ist für Wirkungen, die durch Gründe der reinen Vernunft bestimmt sind, ausgeschlossen. Als naturgesetzliche Wirkung hat jede Handlung zeitlich vorausgehende Ursachen. Insofern Handlungen aber auf reinen Vernunftgründen beruhen, hängen sie von dem Vermögen ab, eigenes Verhalten durch Vernunftgründe bestimmt sein zu lassen, die nichts Zeitliches sind. Wenn z. B. jemand vom Stuhl aufsteht, so hängt zwar die Energie, die er dazu aufbringen muß, von der Energie ab, die er zuvor mit seiner Nahrung aufgenommen haben muß. Außerdem wird der Vorgang des Sicherhebens durch lau24 In A 549/B 577 sagt Kant, daß „jede Ursache eine Regel voraussetzt, darnach gewisse Erscheinungen als Wirkungen folgen, und jede Regel eine Gleichförmigkeit der Wirkungen erfordert, die den Begriff der Ursache (als eines Vermögens) gründet […].“

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ter physiologische und neurologische Gesetzmäßigkeiten geregelt sein. Diese naturgesetzlichen Umstände schließen es aber nicht aus, daß das Aufstehen vom Stuhl eine im transzendentalen Sinne freie Handlung sein kann. Denn gesetzt sei der Fall (um ein eklatantes Beispiel Kants zu wählen, s. Kritik der praktischen Vernunft, Akademie-Ausgabe Band 5 S. 30), diese Handlung werde ausgeführt von einer Person, die man aufgefordert hat, entweder aufzustehen oder sitzenzubleiben, je nach dem ob sie bereit oder nicht bereit ist, einer Todesstrafe durch Ablegen eines falschen Zeugnisses gegen einen unschuldigen Menschen zu entgehen. Dann ist nach Kants Ansicht sowohl das Aufstehen als auch das Sitzenbleiben ein im transzendentalen Sinne freies Tun oder Unterlassen, insofern das diesbezügliche Verhalten darin besteht, einem reinen Vernunftgrund Folge zu leisten oder nicht. Dieses Verhalten wird nämlich vom Haben einer Maxime abhängen, die dem Kategorischen Imperativ entweder entspricht oder nicht entspricht. Das Vermögen, eine Maxime am kategorischen Imperativ auszurichten oder von dieser Ausrichtung auszunehmen, ist daher das Vermögen, seine Maxime (und das ihr entsprechende Handeln) durch einen zeitlos geltenden Vernunftgrund bestimmen zu lassen oder von dieser Bestimmung auszunehmen. Dieses Vermögen ist das, was Kant ,freien Willen‘ oder (nach der ,Einleitung‘ zur Metaphysik der Sitten von 1797 (Akademie-Ausgabe Band 6, S. 213)) ,freie Willkür‘ nennt. Die Fähigkeit, eigenes Handeln durch freien Willen oder freie Willkür zu bestimmen, ist mit dem Prädeterminismus, d. h. mit der ausschließlichen Determination dieses Handelns durch zeitlich frühere Ereignisse nach Naturgesetzen, unverträglich. Wenn es diese Fähigkeit gibt und wenn Kants Auflösung der Dritten Antinomie richtig ist, so müssen Ursachen, die Naturereignisse sind, allerdings einer anderen Klasse zugewiesen werden als solche Ursachen, die als reine Vernunftgründe willens- und handlungsbestimmend sind. Die transzendentalphilosophische Perspektive, aus der Kant die Dritte Antinomie auflöst, legt es nahe, beide Klassen von Ursachen verschiedenen Welten zuzuordnen, nämlich einerseits der (phänomenalen) Erscheinungswelt, andererseits der (noumenalen) Welt der Dinge an sich. Diese Zuordnung wird oft mißverstanden. Ansgar Beckermann und andere Autoren25 meinen, Kant ordne „die Annahme des Determinismus“ der Erscheinungswelt, dagegen die „Annahme der Freiheit“ der intelligiblen Welt zu. Durch diese Zuordnung gelinge es ihm, beide Annahmen wie folgt kompatibel zu machen: In der Welt der Erscheinungen herrsche ein „durchgängiger Determinismus“, in dieser Welt sei daher Kausalität durch Freiheit nicht möglich, während es in der Welt der Dinge an sich eine solche Kausalität geben könne. Auf einer ähnlichen Lesart beruht die irrtümliche Ansicht von Daniel Dennett, nach der es auf der Grundlage von Kants ZweiWelten-Unterscheidung nicht einsichtig zu machen sei, wie ein und dieselbe menschliche Handlung zugleich beides sein könnte: Wirkung physikalischer Ursachen und

25 Siehe Ansgar Beckermann, ,Immanuel Kant 1724 – 1804‘, www.philosophieverstaendlich.de.

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Ausführung einer Entscheidung des vernünftigen Willens.26 Auch Habermas findet Kants Zwei-Welten-Unterscheidung wenig sympathisch und meint deshalb, es sei „unbegreiflich, wie die Kausalität der Natur und die Kausalität aus Freiheit ,in Wechselwirkung‘ treten können“.27 (Habermas scheint nicht zu sehen, daß Kant die Annahme einer solchen Wechselwirkung gar nicht nötig hat.) In Wahrheit nimmt Kant an, daß ein und derselbe physische Gegenstand, nämlich der in dieser Erfahrungswelt lebende Mensch,28 unter dem Einfluß zweier Arten von Ursachen steht, nämlich einerseits unter dem Einfluß der Naturursachen, andererseits unter dem Einfluß seiner eigenen freien Willkür. Da Ursachen immer nur nach Gesetzen wirken können, entsprechen beiden Klassen von Ursachen zwei verschiedene Arten von Kausalgesetz, die für den Menschen gelten, einerseits das Kausalprinzip der zweiten Analogie, andererseits das Sittengesetz, das mit dem kategorischen Imperativ identisch ist.29 In beiden Fällen handelt es sich um Gesetze, die in ein und derselben Erfahrungswelt Geltung haben und daher (wie Kant betont) in gleicher Weise einem „immanenten“ Gebrauch der reinen Vernunft zugänglich sind.30 Da menschliche Handlungen Vorgänge in der Natur sind und zugleich vom freien Willen abhängen können, sind Naturvorgänge nicht durchgängig prädeterminiert. Die Möglichkeit eines Laplaceschen Dämon ist aus Kants Sicht nicht nur eine metaphysische Fiktion, sondern sogar ein widerlegbarer Irrtum. Wenn es einen solchen Dämon gäbe und ihm jedes Naturgesetz und alle gleichzeitigen Begebenheiten bekannt wären, so könnte er dennoch nicht beliebige zukünftige Begebenheiten vorhersagen. Nur wenn es (wie Kant in der zweiten Kritik schreibt) möglich wäre, „in eines 26 Daniel Dennett, Ellenbogenfreiheit. Die wünschenswerten Formen von freiem Willen. Aus dem Englischen von Uta Müller-Koch, 2. Auflage, Weinheim, 1994, S. 43. 27 Jürgen Habermas, ,Freiheit und Determinismus‘, Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 52, 2004, S. 886. 28 Vgl. Kritik der praktischen Vernunft, Akademie-Ausgabe Band 5, S. 6 Fußnote. 29 Daß das Sittengesetz mit dem kategorischen Imperativ identisch ist, bedeutet übrigens nicht, daß es auch, wie häufig angenommen wird, mit Kants Autonomieprinzip identisch ist. Dieses ist vielmehr dem Sittengesetz und damit auch dem kategorischen Imperativ übergeordnet. Siehe Michael Wolff, ,Warum das Faktum der Vernunft ein Faktum ist. Auflösung einiger Verständnisschwierigkeiten in Kants Grundlegung der Moral‘, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 57, 2009, S. 511 – 549. 30 Siehe ,Einleitung‘ in die Kritik der praktischen Vernunft, Akademie-Ausgabe Band 5, S. 16 in Verbindung mit S. 48. Kant betont in diesem Zusammenhang auch, daß der „empirisch-bedingte“ Gebrauch der reinen Vernunft, „der sich die Alleinherrschaft anmaßt“, d. h. der Empirismus, „transscendent“ ist, da er in Fragen der Moral das Gebiet der Erfahrung genötigt ist zu verlassen. „Die Kritik der praktischen Vernunft überhaupt hat also die Obliegenheit, die empirisch bedingte Vernunft von der Anmaßung abzuhalten, ausschließungsweise den Bestimmungsgrund des Willens allein abgeben zu wollen. Der Gebrauch der reinen Vernunft, wenn, daß es eine solche gebe, ausgemacht ist, ist allein immanent; der empirischbedingte, der sich die Alleinherrschaft anmaßt, ist dagegen transscendent und äußert sich in Zumuthungen und Geboten, die ganz über ihr Gebiet hinausgehen, welches gerade das umgekehrte Verhältniß von dem ist, was von der reinen Vernunft im speculativen Gebrauche gesagt werden konnte.“ (Ebenda S. 16)

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Menschen Denkungsart, so wie sie sich durch innere sowohl als äußere Handlungen zeigt, so tiefe Einsicht zu haben, daß jede, auch die mindeste Triebfeder dazu uns bekannt würde, imgleichen alle auf diese wirkende äußere Veranlassungen,“ so wäre es auch möglich, daß „man eines Menschen Verhalten auf die Zukunft mit Gewißheit, so wie eine Mond- oder Sonnenfinsterniß[,] ausrechnen könnte und dennoch dabei behaupten, daß der Mensch frei sei“,31 d. h. nur wenn ein Laplacescher Dämon zugleich ein „Herzenskündiger“ wäre, wäre er imstande, die Zukunft vorauszusagen. Denn nur dann würde seine Berechnung auf der erforderlichen Einbeziehung von Ursachen und Gesetzen beruhen, die nicht Naturursachen bzw. nicht Naturgesetze sind. Schlußbemerkung: Ich bin im Rahmen dieses Vortrags nicht auf den Beweis eingegangen, mit dem es Kant unternommen hat zu beweisen, daß es Ursachen gibt, die einer intelligiblen Welt zuzuordnen sind. Dieser Beweis fällt mit Kants Freiheitsbeweis zusammen und ist eines der Hauptziele der Kritik der praktischen Vernunft.32 Die Behandlung dieses Beweises im Rahmen dieses Vortrages würde schon deshalb seinen Rahmen sprengen, weil Kant mit ihm eine Erweiterung menschlicher „Erkenntnis“ über die Grenzen möglicher Erfahrung und „über die Grenzen der Sinnenwelt“ hinaus vorzunehmen beansprucht,33 mit der zwar eine Erweiterung des Kategoriengebrauchs über den Bereich theoretischer Objekterkenntnis hinaus verbunden ist, die aber dennoch mit der transzendentalphilosophischen These der Unerkennbarkeit der Dinge an sich verträglich sein soll. Die schwierige Frage, wie diese Verträglichkeit zu verstehen und zu rechtfertigen ist, kann nur Gegenstand einer anderen Untersuchung sein.

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Kritik der praktischen Vernunft, Akademie-Ausgabe Band 5, S. 99. Grundzüge dieses Beweises behandelt mein in Fußnote 27 angeführter Aufsatz. 33 Siehe: Kritik der praktischen Vernunft, ,Von der Befugniß der reinen Vernunft im praktischen Gebrauche zu einer Erweiterung, die ihr im speculativen für sich nicht möglich ist‘, Erster Absatz, Akademie-Ausgabe Band 5, S. 50. 32

Der Transzendentale Idealismus und die Rechtslehre Kant über den Zusammenhang von moralischer Verbindlichkeit, Recht und Ethik Heiner F. Klemme I. Einleitung Fällt Kants Auffassung nach nur die Ethik oder auch das Recht in den Geltungsbereich des Transzendentalen Idealismus? Diese in der Literatur oft diskutierte Frage1 möchte ich durch die Klärung des Zusammenhangs von moralischer Verbindlichkeit, Recht und Ethik in Kants Rechtslehre zu beantworten versuchen. Der Einfachheit halber unterscheide ich zwischen einer naturalistischen und einer vernunftrechtlichen Interpretation der kantischen Rechtskonzeption. Kant würde in der Rechtslehre eine naturalistische Konzeption des Rechts vorlegen, wenn er in ihr beabsichtigte, die kategorische Verbindlichkeit des Rechts ohne Rückgriffe auf Lehrstücke nachzuweisen, die er im Rahmen des Transzendentalen Idealismus rechtfertigt. Fällt das Recht nicht in den Geltungsbereich des Transzendentalen Idealismus, würde Kant die Verbindlichkeit von Recht und Gesetz einzig und allein aus dem empirisch-praktischen Gebrauch unserer freien Willkür abzuleiten versuchen. Diese Interpretation würde verständlich machen, warum nicht (wie in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und in der Tugendlehre) die Würde des Menschen, sondern die äußere Willkürfreiheit im Zentrum der Rechtslehre steht. Dagegen besagt die vernunftrechtliche Interpretation2, die ich für zutreffend halte, dass Kants Rechtsbegründung von diversen Lehrstücken Gebrauch macht, die ohne den Transzendentalen Idealismus keinen Sinn hätten.3 Dies trifft beispielsweise auf die Lehre vom Recht der Menschheit in uns und vom moralischen Imperativ zu. 1 Siehe (unter Rückgriff vor allem auf die Arbeiten von Julius Ebbinghaus) Geismann 2006. 2 Siehe Kersting 1993, 136 ff. sowie Herb / Ludwig 1993 und 1994. 3 Unter Verweis auf diverse Lehrstücke (moralische Freiheit, Verbindlichkeit, Persönlichkeit) schreibt Kersting völlig zutreffend über Julius Ebbinghaus’ These von der Unabhängigkeit des Rechts vom Transzendentalen Idealismus: „Angesichts dieser Äußerungen erscheint die Unabhängigkeitsthese von vornherein unangemessen. Welchen Sinn macht es auch, das Recht als Teil einer Metaphysik der Sitten zu entwickeln, wenn es der Rechtslehre gleichgültig ist, ob Naturkausalität für den Menschen Schicksal ist oder nicht?“ (1993, 137 – 138). – Möchte man die ,Unabhängigkeitsthese‘ aufrechterhalten, müsste man – wie Marcus Willaschek (1997) – also dafür plädieren, die Rechtslehre aus der Metaphysik der Sitten zu verbannen. Die Auffassung von Ebbinghaus wird unter anderem auch von Geismann 2010,

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Ich werde zunächst eine neuere, eindeutig naturalistische Interpretation der kantischen Rechtslehre vorstellen (II.) und auf ihre Defizite eingehen (III.). Im Anschluss daran weise ich am Beispiel zentraler Lehrstücke auf die Präsenz des Transzendentalen Idealismus in der Rechtslehre hin (IV.) und erkläre schließlich, warum Kant auf den Begriff der Menschenwürde in der Rechtslehre verzichtet (V.). Abschließend möchte ich auf eine von Kant ungelöste Spannung zwischen seinem Begriff des Menschenrechts auf der einen Seite und seiner Souveränitätskonzeption auf der anderen Seite hinweisen (VI.). II. Eine naturalistische Interpretation Die Erfolgschancen einer kompromisslos naturalistischen, am empirisch-praktischen Freiheitsbegriff ausgerichteten Interpretation der Rechtslehre möchte ich am Beispiel eines neueren Aufsatzes von Walter Jaeschke erörtern, der im Jahre 2001 unter dem Titel „Zur Begründung der Menschenrechte in der frühen Neuzeit“ erschienen ist. In diesem Aufsatz stellt Jaeschke zunächst die Verdienste von Thomas Hobbes für das moderne Naturrecht und die nachfolgende Menschenrechtsdiskussion heraus. Die wichtigste Einsicht Hobbes’ bestehe darin, alles Recht als Recht des Menschen interpretiert zu haben. Der Naturzustand sei für Hobbes ein rechtsfreier Zustand, den er durch den Ausdruck „ius in omnia“ gewissermaßen „dialektisch“4 umschreibe. Diese Umschreibung sei „dialektisch“, weil das „ius in omnia“ überhaupt kein „ius“ sei. Der Mensch müsse das Recht vielmehr selbst schaffen. Wie aber kann der Mensch das Recht durch den Gebrauch seines freien Willens schaffen? Hobbes beantwortet diese Frage nach Jaeschke durch den Hinweis darauf, dass der freie Wille im Naturzustand „nicht allein als faktischer Wille auftritt, sondern mit der Präsumtion, ein berechtigter Wille zu sein – und somit die alleinige Quelle des Rechts. Dies ist der einzig denkbare Fall, in dem ein Faktum zugleich die Quelle von Normen bildet.“5 Ob diese Hobbes-Interpretation zu überzeugen vermag, sei dahingestellt. Für unsere Thematik einschlägig ist allein die Feststellung, dass diese Interpretation die Folie darstellt, vor deren Hintergrund Kants Rechtslehre erörtert wird. Denn wie bei Hobbes ist nach Jaeschke auch bei Kant die freie Willkür des Menschen der Grund des Rechts. Als Beleg für seine These zitiert Jaeschke aus der Einleitung in die Rechtslehre: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemei-

138 ff. verteidigt. Sie scheinen zu übersehen, dass der Geltungssinn positivrechtlicher Bestimmungen immer auf vernunftrechtliche Bestimmungen verweist, ohne die die ersteren für ein mit dem Vermögen reiner praktischer Vernunft ausgestattetes Vernunftwesen bloße Klugheitsregeln wären (vgl. dazu Brandt 1997 sowie die – polemische – Replik von Geismann 2010, 128 – 130). 4 Jaeschke 2001, 191. 5 Jaeschke 2001, 191.

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nen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“6 Nach Jaeschke ist diese Textpassage folgendermaßen zu verstehen: Der freie Wille ist die letzte Quelle des Rechts – aber wirkliches Recht entsteht erst aus der ,Vereinigung‘ dieser freien Willen unter einem Gesetze der Freiheit, die man entweder (mit Kant) als einen wechselseitigen Ausgleich der isolierten Einzelwillen oder (mit Hegel) als eine im Begriff der Freiheit selbst liegende Struktur denken kann.7

Wenn der „freie Wille […] die letzte Quelle des Rechts“ ist, ergibt die Rede von einem angeborenen Recht selbstverständlich keinen Sinn. Ganz in diesem Sinne zeigt Jaeschke kein Verständnis für Kants Ausführungen zum angeborenen Freiheitsrecht, wonach die „Freiheit (Unabhängigkeit von eines Anderen nöthigender Willkür) […] dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht“8 ist. Nach Jaeschke sind Kants Formulierungen „hier zumindest ungewöhnlich und wohl auch nicht ganz treffend gewählt. ,Freiheit‘ ist im strengen Sinne kein ,Recht‘, und das Adjektiv ,angeboren‘ läßt die traditionelle und durchaus problematische Lehre von den ,angeborenen‘ Wahrheiten assoziieren, Rechte aber werden erzeugt und nicht angeboren.“9 Kants „angeborenes Recht“ sei somit „kein Recht, sondern ein Faktum“10. Demnach erschließt sich der tiefere Sinn von Kants Formulierungen erst dann, wenn sie hobbesianisch gelesen werden: Der Freiheitsgedanke basiert in der Tat letztlich auf etwas Angeborenem nicht auf der natürlichen als einer vorpolitischen Freiheit, sondern auf dem freien Willen, der Spontaneität des Menschen. Ohne sie wäre Freiheit ein leeres Wort. Dieser freie Wille – und nicht eine vorausgesetzte gesetzgebende ,Natur‘ – ist die letzte Quelle allen Rechts. Weil Freiheit aber die Quelle allen Rechts ist, kann sie selber nicht rechtlos sein, sie ist notwendig berechtigte Freiheit. Die Freiheit des Willens ist etwas Faktisches, aber da dieses Faktum das Prinzip allen Rechts ist, ist sie zugleich ein Berechtigtes. Ihre Berechtigung wird nicht erst durch weitere hinzukommende Akte konstituiert, und sie kann auch nicht von Bedingungen abhängig gemacht werden. Mit dieser Einsicht ist Kant – und erst Kant, eineinhalb Jahrhunderte nach Hobbes – dessen revolutionärer Einsicht in die einzig mögliche Begründung von Menschenrechten gerecht geworden.11

III. Defizite der naturalistischen Interpretation Was genau meint Jaeschke mit der Aussage, dass der freie Wille „die letzte Quelle des Rechts“ ist? Wie gelangen wir von der Ebene des Faktischen zur Ebene der Verbindlichkeit? Wenden wir uns Kants Rechtslehre zu, fällt auf, dass sich in ihr gerade nicht der Versuch findet, das Freiheitsgesetz aus einem Faktum des äußeren Frei6

AA VI 230. Jaeschke 2001, 208. 8 AA VI 237. 9 Jaeschke 2001, 209. 10 Jaeschke 2001, 211. 11 Jaeschke 2001, 209. 7

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heitsgebrauchs zu begründen. Vielmehr ist die Freiheit nur insofern ein angeborenes Recht als „sie mit jedes Anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann“12. Das „allgemeine Gesetz“ geht dem Gebrauch unserer Willkür voraus und wird durch diesen nicht gestiftet. Dies wird schon dadurch deutlich, dass Kant den Begriff der Freiheit einen „reinen Vernunftbegriff“13 nennt, der im Recht allerdings nur in seiner bloßen Äußerlichkeit thematisiert wird. Ähnlich wie bei Hobbes ist auch für Kant die Freiheit Grund des Rechts. Die Freiheit ist das einzige angeborene Menschenrecht und besteht in der ursprünglichen „Unabhängigkeit von eines Anderen nöthigender Willkür“. Es ist ein Recht, das „jedem Menschen kraft seiner Menschheit“ zusteht. Allerdings ist diese Freiheit nicht unbegrenzt. Kant denkt sie von vornherein als eine Freiheit, die mit der Freiheit des Anderen „nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann“14. Weil es sich um eine Freiheit handelt, die ursprünglich unter einem allgemeinen Gesetz steht, kann sie auch lädiert werden, und zwar sowohl aktiv wie passiv. Ich lädiere aktiv die Freiheit eines Anderen, wenn ich gegen das Gesetz verstoße, und ich lasse den Verstoß gegen das Gesetz zu, solange ich nicht dafür Sorge trage, dass ein derartiger Verstoß ausgeschlossen wird. Mein Recht an meiner Freiheit begründet eine Pflicht für den Anderen, dieses Recht in den Grenzen des Gesetzes nicht zu lädieren. Damit die angeborene Freiheit lädiert werden kann, muss sie einen empirischen Charakter haben. Kant nennt den Gebrauch meiner Freiheit, in den durch den Anderen eingegriffen werden kann, den äußeren Freiheitsgebrauch. Der Andere lädiert mich rechtlich, wenn er mich zwingt, äußerlich so zu handeln, wie es nach dem Freiheitsgesetz nicht notwendig ist. So wie die angeborene Freiheit nur deshalb ein angeborenes Recht bezeichnen kann, weil es seinen Grund in meiner Menschheit hat, kann das allgemeine Gesetz dieser Freiheit seinen Grund in der Tatsache finden, dass es das Gesetz eines Wesens ist, das der Menschheit angehört. Der Ausdruck ,Menschheit‘ verweist aber nicht auf den empirischen Existenzbereich15 des Menschen. Wäre dies so, gäbe es keinen Grund, warum ich meine Freiheit auf Bedingungen einschränken sollte, die aus der Existenz anderer freiheitsfähiger Wesen folgt. Dass es überhaupt gesatztes (peremtorisches) Recht geben soll, ist ein Gebot (Postulat) der reinen praktischen Vernunft.16 Im Unterschied zu Hobbes gilt das Freiheitsgesetz bei Kant 12

AA VI 237. AA VI 221. 14 AA VI 237. 15 Dass die Menschheit bei Kant nicht empirisch zu verstehen ist, wird durch folgendes Zitat deutlich: „Da in der Lehre von den Pflichten der Mensch nach der Eigenschaft seines Freiheitsvermögens, welches ganz übersinnlich ist, also auch bloß nach seiner Menschheit, als von physischen Bestimmungen unabhängiger Persönlichkeit, (homo noumenon) vorgestellt werden kann und soll, zum Unterschiede von eben demselben, aber als mit jenen Bestimmungen behafteten Subject, dem Menschen (homo phaenomenon), so werden Recht und Zweck, wiederum in dieser zwiefachen Eigenschaft auf die Pflicht bezogen, folgende Eintheilung geben.“ (AA VI 239) 16 Siehe dazu die dritte ulpianische Formel (AA VI 237) sowie AA VI 307. 13

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aber vor allem rechtlichen Akt für alle Personen – und eben nicht erst dann, wenn ich mein Freiheitsrecht auf eine andere Person übertragen habe. Woher wissen wir aber, dass wir über dieses Freiheitsrecht verfügen, d. h. dass wir wirklich frei sind? Kants Antwort lautet: Wir kennen unsere eigene Freiheit (von der alle moralischen Gesetze, mithin auch alle Rechte sowohl als Pflichten ausgehen) nur durch den moralischen Imperativ, welcher ein pflichtgebietender Satz ist, aus welchem nachher das Vermögen, andere zu verpflichten, d.i. der Begriff des Rechts, entwickelt werden kann.“17

Das allgemeine Gesetz, das Kant als die Bedingung unseres Freiheitsgebrauchs beschreibt, ist also ein moralisches Gesetz, weil die Freiheit ein reiner Vernunftbegriff ist. Diese Freiheit kennen wir durch den moralischen Imperativ – eine Aussage Kants, die zweifellos auf die Lehre vom „Faktum der reinen Vernunft“18 in der Kritik der praktischen Vernunft anspielt. Unser Bewusstsein, unbedingten Verbindlichkeiten zu unterliegen, verweist auf unser transzendentales Freiheitsvermögen. Der Hinweis auf den moralischen Imperativ als dem principium cognoscendi unserer Freiheit erklärt, warum Kant in der Einleitung in die Rechtslehre vor seiner Nennung des angeborenen Freiheitsrechts eine „allgemeine Eintheilung der Rechtspflichten vornimmt“19. Entgegen dem ersten Augenschein setzt Kant in der Rechtslehre also nicht – wie Hobbes – mit dem äußeren Rechtsbegriff ein. Vielmehr entwickelt Kant – wie schon Pufendorf – das äußere Recht vom Begriff der Pflicht her. Dieses Vorgehen liegt nahe. Denn wenn wir erstens den Freiheitsbegriff einzig und allein aus dem moralischen Imperativ kennen, und wenn es zweitens zutrifft, dass das Moralgesetz der Wesensgrund der Freiheit ist, dann sind wir als Menschen verpflichtet, unsere äußere Willkür innerhalb der Grenzen des Moralgesetzes zu gebrauchen. Kant bezeichnet die für den äußeren Gebrauch unserer Willkür bestehenden Verbindlichkeiten als Rechtspflichten. Denn der Tradition des neuzeitlichen Naturrechts folgend versteht Kant das Recht als den Bereich unseres Wollens, der einer äußeren Gesetzgebung fähig ist und einer öffentlichen Gerichtsbarkeit unterliegt. Rechtspflichten bezeichnen demnach diejenigen unseren Pflichten korrespondierenden „Rechte eines Anderen“, die erzwungen werden können20. Hierbei ist zu beachten, dass der Andere in einer gewissen Hinsicht auch mit mir selbst zusammenfallen kann. So erläutert Kant unsere Rechtspflicht, in den status civilis zu treten, mit dem Hinweis auf das „Recht der Menschheit in unserer eigenen Person“21. Das auf die Regelung der äußeren Willkürfreiheit zielende „eigentliche (stricte) Recht“22 setzt das Recht der Menschheit in meiner eigenen Person voraus. Dieses Recht ist der 17

AA VI 239; vgl. 221. AA V 30. 19 Zu den ulpianischen Formeln siehe u. a. Ju 1990, Klemme 2001, Oberer 2004, Schnepf 2004, Pinzani 2005, Byrd / Hruschka 2005, Joerden 2009 und Geismann 2010, 132 – 141. 20 AA VI 383. 21 AA VI 236. 22 AA VI 234. 18

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Grund aller Verbindlichkeit, wie Kant im Kontext der sogenannten ersten ulpianischen Formel schreibt: Die Pflicht, sich anderen nicht zum bloßen Mittel darzubieten, sondern für sie immer „zugleich Zweck“ zu sein, „wird im folgenden als Verbindlichkeit aus dem Rechte der Menschheit in unserer eignen Person erklärt werden (Lex iusti).“23 Meiner Pflicht gegenüber dem Recht der Menschheit entspringt mein Recht anderen Menschen gegenüber. Denn wenn ich aufgrund des Rechts der Menschheit in mir die Pflicht habe, für andere immer „zugleich Zweck“ zu sein, dann habe ich auch ein entsprechendes Recht. Weil der Mensch dieses Recht als (freiheitsfähiger) Mensch hat und nicht erwerben muss, nennt es Kant das „innere“ oder auch das „angeborne Mein und Dein“24. IV. Die Präsenz des Transzendentalen Idealismus Wenn meine Rechtspflichten auf dem „Rechte der Menschheit“, dem Vernunftbegriff der Freiheit und dem moralischen Imperativ beruhen, dann setzt die Rechtslehre den Transzendentalen Idealismus voraus. Eines der Motive, Kant als (den vielleicht besseren) Hobbesianer darzustellen, liegt sicherlich darin begründet, die (wie man es nennen könnte) Autonomie des Rechts gegenüber der Ethik zu retten. Läuft die Erkenntnis der Relevanz des Transzendentalen Idealismus für Kants Rechtsbegriff auf das Zugeständnis hinaus, dass die Ethik das Recht begründet und dessen Autonomie untergräbt? Ist das Recht begründungslogisch auf die Ethik angewiesen? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns zuvor auf die Terminologie einigen, in der wir sie beantworten wollen. Es liegt nahe, auf die der Metaphysik der Sitten zurückzugreifen. In der „Einleitung zur Tugendlehre“ unterscheidet Kant zwischen einer älteren und einer neueren Bedeutung von Ethik. Während in alten Zeiten Ethik für die gesamte Sittenlehre oder philosophia moralis stand, wird sie in neuerer Zeit nur mit einem Teil der Sittenlehre, nämlich mit der Tugendlehre identifiziert. Der andere Teil der Sittenlehre ist die Rechtslehre (ius). Nach dieser Unterscheidung zu urteilen kann man schwerlich behaupten wollen, dass das Recht durch die Ethik begründet wird.25 Dies mag schon allein dadurch deutlich werden, dass die Ethik oder Tugendlehre auf die Rechtslehre folgt – und nicht umgekehrt. Doch obwohl zwischen Recht und Ethik kein Begründungsverhältnis besteht, gibt es eine entscheidende Gemeinsamkeit zwischen ihnen. Recht und Ethik setzen denselben Begriff der moralischen Verbindlichkeit voraus, d. h. beide beruhen auf dem moralischen Imperativ, dem wir als „vernünftige Naturwesen“26 unterworfen sind. In der Einleitung zur Tugendlehre betont Kant dies ausdrücklich: „Der Pflichtbegriff ist an sich schon der Begriff von einer Nöthigung (Zwang) der freien Willkür durchs Gesetz; dieser Zwang mag nun ein äußerer oder ein Selbstzwang sein. Der moralische Imperativ 23

AA VI 236. AA VI 237. 25 So bereits Achenwall und Pütter: „Das Naturrecht verlangt keine Tugend, es schließt sie aber auch nicht aus.“ (Achenwall / Pütter 1750, § 219) 26 AA VI 379. 24

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verkündigt durch seinen kategorischen Ausspruch (das unbedingte Sollen) diesen Zwang, der also nicht auf vernünftige Wesen überhaupt (deren es etwa auch heilige geben könnte), sondern auf Menschen als vernünftige Naturwesen geht“27. Mit dem moralischen Begriff der Verbindlichkeit ist der Transzendentale Idealismus auf das Engste verbunden. Ohne den Transzendentalen Idealismus wäre nicht einzusehen, wie ich mir selbst gegenüber moralisch verpflichtet sein könnte. Die Bedeutung des Transzendentalen Idealismus für Kants Rechtslehre wird aus weiteren Aspekten dieses Werkes deutlich. Dazu zwei Beispiele: 1. Ohne den Transzendentalen Idealismus und die durch ihn begründete Unterscheidung zwischen Ding an sich und Erscheinung gäbe es – wie aus § 1 der Rechtslehre deutlich wird – kein äußeres Mein und Dein und damit kein striktes Recht. „Etwas Äußeres aber würde nur dann das Meine sein, wenn ich annehmen darf, es sei möglich, daß ich durch den Gebrauch, den ein anderer von einer Sache macht, in deren Besitz ich doch nicht bin, gleichwohl doch lädirt werden könne.“28 Damit ein Gegenstand von mir unterschieden werden kann, obwohl ich ihn in meiner Hand halte, d. h. physisch innehabe, muss der „Besitz als Vernunftbesitz“29 gedacht werden können. Dies ist jedoch nur unter Voraussetzung eines intelligiblen Besitzes möglich, der „ein Besitz ohne Inhabung“30 ist. 2. Würde Kant in der Rechtslehre von einem empirisch-praktischen Freiheitsbegriff ausgehen, stellte auch das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft ein Unding dar. (Postulate der empirisch-praktischen Vernunft gibt es bei Kant nicht.) Die Verbindlichkeit, die ich anderen Menschen durch den Erwerb eines herrenlosen Gegenstandes auferlege, beruht auf der reinen praktischen Vernunft, die ihrerseits den Transzendentalen Idealismus voraussetzt. V. Die Würde und das Recht der Menschheit Wenn die Rechtslehre ohne den Transzendentalen Idealismus nicht denkbar ist, kann die Abwesenheit des Würdebegriffs in der Rechtslehre auch nicht durch die Abwesenheit des Transzendentalen Idealismus erklärt werden. Der Grund hierfür muss ein anderer sein. Wenden wir uns den zahlreichen Formulierungen zu, in denen Kant in der Tugendlehre den Begriff der Würde des Menschen bzw. der Menschheit31 aufnimmt, erklärt sich die Abwesenheit des Würdebegriffs in der Rechtslehre zunächst dadurch, dass es uns allein die Ethik zur Pflicht macht, aus Achtung vor dem Menschen als Vernunftwesen zu handeln. Diese Achtung hat immer die Menschheit zum 27

AA VI 379. AA VI 245. 29 AA VI 245. 30 AA VI 246. 31 Siehe unter anderem Ju 1990 sowie umfassend Sensen 2011. Ich übernehme im folgenden Passagen aus Klemme 2011 und 2012. 28

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Gegenstand, nämlich zum einen die Menschheit in mir selbst und zum anderen die Menschheit in der Person eines jeden anderen. Jeder Mensch hat aufgrund der Würde der Menschheit diesen Achtungsanspruch, der konkret in der Verbindlichkeit besteht, keinen Menschen „blos als Mittel“, sondern „jederzeit zugleich als Zweck“32 zu gebrauchen. Ich verletze die Würde des Menschen als Person also bereits dadurch, dass ich nicht aus Achtung vor seiner Würde handle. „Die Menschheit in seiner Person ist das Objekt der Achtung, die er von jedem anderen Menschen fordern kann, deren er aber auch sich nicht verlustig machen muß.“33 Die „Menschheit in seiner eigenen Person“ ist jedoch nicht nur eine Würde, sie ist auch „das höchste Recht desselben“34. Kant ersetzt das Wort „Würde“ durch das Wort „Recht“ genau dort, wo es um denjenigen Handlungsbereich des Menschen geht, der einer äußeren Gesetzgebung und einer öffentlichen Gerichtsbarkeit fähig ist. Hier zählt nicht die Achtung für die Würde des Menschen. Relevant ist einzig und allein die Frage, ob meine Handlung recht ist, d. h. ob die Freiheit meiner Willkür „mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann“35. Die Ethik fordert Achtung vor der Würde der Menschen und der Menschheit (also die Moralität meines Handelns), das Recht aber bloß die Legalität meines Handelns. Dass es keine Rechtspflichten geben könnte, wenn es keine Würde der Menschheit als dem letzten Grund aller kategorischen Verbindlichkeiten gäbe, ist ein zutreffender Gedanke, spielt für die Terminologie der Rechtslehre aber keine Rolle. VI. Menschenrecht und Souveränität In welchem Verhältnis steht Kants Rede von den „heiligsten Menschenrechten“36, von dem „Rechte der Menschheit in unserer eigenen Person“37 und von den „angeborenen, zur Menschheit notwendig gehörenden und unveräußerlichen Rechte[n]“38 zur obersten politischen Gewalt, die diese Rechte lädieren kann? Das größte Verbrechen gegen das Menschenrecht ist für Kant nicht etwa die staatliche Tyrannei, sondern die formale Hinrichtung eines Herrschers durch sein renitent gewordenes Staatsvolk. Kants Abscheu gegenüber dieser Tat erklärt sich durch denselben Grund, der ihn dazu bewegte, den Bürgern ein formales Widerstandsrecht vorzuenthalten, nämlich durch seine Souveränitätskonzeption. Nach Kant haben wir die moralisch begründete Rechtspflicht, in einen öffentlichen Rechtszustand zu treten39, den 32

AA VI 462. AA VI 435. 34 AA VI 237. 35 AA VI 230. 36 AA VIII 307. 37 AA VIII 345. 38 AA VIII 350 Anm. 39 Im Gemeinspruch schreibt Kant, dass „die reine, a priori gesetzgebende“ und auf keinen „empirischen Zweck“ Rücksicht nehmende Vernunft den status civilis will (AA VIII 290). – 33

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wir aber à la Hobbes aus souveränitätstheoretischen Gründen überhaupt nicht betreten könnten, wenn es ein formales Widerstandsrecht gäbe. Die Hinrichtung des Souveräns muss als ein Akt größter Barbarei gewertet werden, weil wir durch ihn erklären, überhaupt nicht im status civilis leben zu wollen – und damit gegen das Gebot der reinen praktischen Vernunft verstoßen. Ohne die vernunftrechtliche, auf dem moralischen Imperativ fußende Forderung, sich in den status civilis zu begeben, wäre Kants Abscheu gegen den Tyrannenmord nicht erklärbar. Die Spannung, die sich zwischen dem Recht der Menschheit auf der einen Seite und seiner Souveränitätskonzeption auf der anderen Seite auftut, durch die Konzeption der Öffentlichkeit, der „Freiheit der Feder“40 und der Idee des Rechtsfortschritts41 auflösen zu wollen, scheint mir nicht wirklich überzeugend zu sein. Kant gibt seinen menschenrechtlichen Ansatz zugunsten seiner souveränitätstheoretischen Ansichten auf, ohne plausibel machen zu können, wie menschenrechtliche Verletzungen, die ich heute aufgrund eines üblen Herrschers erleiden muss, durch ein Recht aufgewogen werden können, in dessen Genuss – wenn überhaupt – erst zukünftige Generationen kommen werden. In der vielleicht einzig sinnvollen Replik auf meine Kritik müsste Kant auf seinen Transzendentalen Idealismus verweisen: Wenn das „Recht der Menschen“ auf dem „Recht der Menschheit“42 beruht, dann kann es sehr wohl geboten sein, zeitlich befristete Rechtsverstöße in Kauf zu nehmen, solange die Hoffnung besteht, dem Recht der Menschheit volle Geltung auf Erden zu verschaffen. Doch ist dieses Gegenargument überzeugend? Rechtsverletzungen mögen auf gattungsethischer Ebene kompensierbar sein, auf der Ebene der Individuen sind sie es nicht. Man kann das angeborene Menschenrecht nicht durch die SouveränitätsChristoph Horn (2009, 406) bezweifelt unter Verweis auf Kants in der Schrift Zum ewigen Frieden ausgedrückte Idee, dass das Problem der Staatserrichtung selbst für ein Volk von Teufeln möglich sein muss, dass es sich um eine ,moralische‘ Forderung handelt, den Naturzustand zu verlassen. Dabei übersieht Horn jedoch, dass auch nach Kant Menschen keine Teufel sind: Die Teufel haben einen zweckrationalen Grund, den Naturzustand zu verlassen („wenn sie nur Verstand haben“; AA VIII 366), aber die Menschen haben zusätzlich einen vernunftrechtlichen Grund, in den bürgerlichen Zustand zu treten, eben weil sie über reine praktische Vernunft verfügen. Verfügten sie also nicht über dieses Vermögen, hätten sie (wie die Teufel) immer noch einen zweckrationalen Grund, in den bürgerlichen Zustand zu treten. Wären die Menschen Teufel – und darin besteht eine wesentliche Pointe von Kants Verweis auf die Teufel –, dann würden sie sich (wie die Menschen bei Hobbes) wechselseitig kein Unrecht antun, wenn sie im Naturzustand verbleiben, eben weil nach Kant der Naturzustand an sich ein Unrechtszustand nur für diejenigen Wesen ist, die über reine praktische Vernunft verfügen (vgl. AA VI 307 – 308). Teufel sind dumm, wenn sie nicht den status civilis betreten, Menschen handeln in diesem Falle dagegen dumm und pflichtwidrig. 40 AA VIII 304; vgl. bereits VIII 39 – 40. 41 „Dies sind Erlaubnisgesetze der Vernunft, den Stand eines mit Ungerechtigkeit behafteten öffentlichen Rechts noch so lange beharren zu lassen, bis zur völligen Umwälzung alles entweder von selbst gereift oder durch friedliche Mittel der Reife nahe gebracht worden, weil doch irgendeine rechtliche, obzwar nur in geringem Grade rechtmäßige Verfassung besser ist als gar keine, welches letztere Schicksal (der Anarchie) eine übereilte Reform treffen würde.“ (AAVIII 373 Anm.) 42 AA VI 240.

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konzeption absichern, ohne eine Schranke zu benennen, deren Überschreitung die Verkehrung der rechtlichen Funktion von Souveränität bedeutet. Genau davor hat Kant – das Elend des Bürgerkriegs vor Augen und Hobbes’ Leviathan in der Hand haltend – aber zurückgeschreckt. Pointiert formuliert: Kant opfert die Locke’sche Menschenrechtsidee auf dem Altar der Hobbes’schen Souveränitätsidee in der Hoffnung auf eine glückliche, aber eben unsichere Versöhnung zwischen ihnen im weiteren Gang der Geschichte. Ohne dass dies Kant selbst hervorheben würde, bietet die Rechtslehre aber durchaus Raum für den Begriff eines ,gesetzlichen Unrechts‘ (Radbruch). Dieser Begriff käme genau dann zum Tragen, wenn das positive Recht seine Funktion verliert, indem es meine Freiheit und Autonomie nicht erhält, sondern vernichtet.43 Mit der Negation der Rechtsidee, also mit dem Regime von politischer Willkür (Gewalt) ohne Freiheit und Gesetz, ist der bürgerliche Zustand vernichtet worden, selbst wenn der Inhaber der Gewalt diese als Recht ausgibt. Es gibt aber kein ,Recht‘ , den Menschen zu entrechtlichen.44 Die Unmöglichkeit der vollständigen Entrechtlichung wird durch das angeborene Freiheitsrecht begründet. Dass die Bestialität eines einzelnen Menschen, die Kant im Kontext der Tugendlehre unter dem Stichwort eines „unnatürlichen“45 Verbrechens an der Menschheit explizit thematisiert, ihre Entsprechung in der Bestialität staatlicher Herrschaft finden könnte, damit scheint Kant vielleicht nicht gerechnet zu haben.

Literatur Achenwall, Gottfried / Pütter, Johann Stephan: Anfangsgründe des Naturrechts (= Elementa ivris natvrae, Göttingen 1750), hrsg. und übersetzt von Jan Schröder, Frankfurt am Main und Leipzig 1995. Brandt, Reinhard: Antwort auf Bernd Ludwig: Will die Natur unwiderstehlich die Republik?, in: Kant-Studien 88, 1997, S. 229 – 237. Byrd, B. Sharon / Hruschka, Joachim: Lex iusti, lex iuridica und lex iustitiae in Kants Rechtslehre, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Band 91, 2005, S. 484 – 500. Geismann, Georg: Recht und Moral in der Philosophie Kants, in: Jahrbuch für Recht und Ethik / Annual Review of Law and Ethics, Band 14, 2006, S. 3 – 123. – Kant und kein Ende. Band 2. Studien zur Rechtsphilosophie. Würzburg 2010. Herb, Karlfriedrich / Ludwig, Bernd: Naturzustand, Eigentum und Staat – Immanuel Kants Relativierung des ,Ideal des Hobbes‘, in: Kant-Studien, Band 83, 1993, S. 283 – 316. 43 Diese vor allem in der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (vgl. AA VII 331 und Klemme 1992, XXVI-XXVII sowie – zur Idee einer „freiwilligen Ablegung der Krone“ durch den Monarchen – AA VI 320 – 321 Anm.) angedeutete Option – die Vernichtung der Rechtsordnung durch den bisherigen Herrscher – übersieht Horn bei seiner Kant-Kritik; vgl. Horn 2009, 421 – 422. 44 So auch Oberer 2004, 207. 45 Siehe AA VI 363.

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– Kants kritisches Staatsrecht, in: Jahrbuch für Recht und Ethik / Annual Review of Law and Ethics, Band 2, 1994, S. 431 – 478. Horn, Christoph: Was ist falsch an einer moralischen Deutung von Kants Politischer Philosophie?, in: Kant und die Zukunft der europäischen Aufklärung, hrsg. von Heiner F. Klemme, Berlin, New York 2009, S. 400 – 424. Jaeschke, Walter: Zur Begründung der Menschenrechte in der frühen Neuzeit, in: Menschenrechte. Rechte und Pflichten in Ost und West, hrsg. von Konrad Wegmann, Münster u. a. 2001, S. 184 – 212. Joerden, Jan C.: Kants Lehre von der „Rechtspflicht gegen sich selbst“ und ihre möglichen Konsequenzen für das Strafrecht, in: Kant und die Zukunft der europäischen Aufklärung, hrsg. von Heiner F. Klemme, Berlin, New York 2009, S. 448 – 468. Ju, Gau-Jeng: Kants Lehre vom Menschenrecht und von den staatsbürgerlichen Grundrechten. Würzburg 1990. Kant, Immanuel: Gesammelte Schriften (= Akademie Ausgabe), hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften u. a., Berlin 1900 ff. (Sigel: AA). Kersting, Wolfgang: Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie, Frankfurt am Main 1993. Klemme, Heiner F.: Einleitung, in: Immanuel Kant, Über den Gemeinspruch … – Zum ewigen Frieden, hrsg. von Heiner F. Klemme, Hamburg 1992, S. VII–LIII. – Das ,angeborne Recht der Freiheit‘ . Zum inneren Mein und Dein in Kants Rechtslehre, in: Kant und die Berliner Aufklärung. Akten des IX. Internationalen Kant-Kongresses. Hrsg. von V. Gerhardt, R.-P. Horstmann und R. Schumacher, Band 4, Berlin, New York 2001, S. 180 – 188. – Das rechtsstaatliche Folterverbot aus der Perspektive der Philosophie Kants, in: Die Geschichte der Folter nach ihrer Abschaffung, hrsg. von Karsten Altenhain und Nicola Willenberg, Göttingen 2011, S. 39 – 53. – Immanuel Kant, in: Handbuch der Menschenrechte, hrsg. von Georg Lohmann und Arnd Pollmann, Stuttgart 2012, S. 44 – 51. Oberer, Hariolf: Honeste vive. Zu Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA 06, 236. 20 – 30, in: Metaphysik und Kritik. Festschrift für Manfred Baum zum 65. Geburtstag, hrsg. von Sabine Doyé, Marion Heinz und Udo Rameil, Berlin, New York 2004, S. 203 – 213. Pinzani, Alessandro: Der Systematische Stellenwert der pseudo-ulpianischen Regeln in Kants Rechtslehre, in: Zeitschrift für philosophische Forschung, Band 59, 2005, S. 71 – 94. Schnepf, Robert: Systematisierung von rechtlichen Intuitionen? – die drei Formeln Ulpians bei Leibniz und Kant, in: Jahrbuch für Recht und Ethik / Annual Review of Law and Ethics, Band 12, 2004, S. 253 – 282. Sensen, Oliver: Kant on Human Dignity, Berlin, New York 2011. Willaschek, Marcus: Why the Doctrine of Right does not belong in the Metaphysics of Morals, in: Jahrbuch für Recht und Ethik / Annual Review of Law and Ethics, Band 5, 1997, S. 205 – 227.

III. Grundfragen und spezifische Probleme der Rechtslehre

Trias politica Erläuterungen zu Kants Verfassungstheorie in seinen Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre Michael Wolff Zur Rekonstruktion der in Kants Metaphysik der Sitten enthaltenen Gewaltenteilungstheorie gehört es, einsichtig zu machen, wie es Kant gelingt, das in § 48 seiner Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre beschriebene Ordnungsgefüge der drei Gewalten aus einer „Idee“ des Staates hervorgehen zu lassen. Eine solche Rekonstruktion muss verständlich machen, aus welchen Gründen Kant die Ansicht vertreten hat, zwar seien „die drei Gewalten im Staat“ nur „eine reine Idee von einem Staatsoberhaupt“, diese Idee habe aber „objektive praktische Realität“ (s. § 51); dieser Idee könne zwar eine wirkliche Staatsverfassung niemals vollkommen, aber doch näherungsweise entsprechen, und es sei (gemäß dem kategorischen Imperativ) Pflicht, für eine größtmögliche Annäherung an diese Idee zu sorgen (s. § 49 Ende). Die Fragen, die ich im folgenden beantworten möchte, sind dementsprechend erstens: In welcher Weise lässt Kant das Ordnungsgefüge der Trias politica (§ 45) aus einer Idee hervorgehen? und zweitens: In welcher Weise kommt dieser Idee einer politischen Gewaltentrias nach Kants Ansicht „objektive praktische Realität“ zu? Es wird sich zeigen, dass beide Fragen nur dann eine befriedigende Antwort finden, wenn man den Drucktext der Originalausgabe von 1797 ohne die Änderungen zugrunde legt, die Bernd Ludwig in seiner Ausgabe von 1986 vorgenommen hat.1 I. Um zu einer Antwort auf meine erste Frage zu gelangen, möchte ich von der Tatsache ausgehen, dass § 48 mit einem ,also‘-Satz beginnt. Das ,also‘ deutet hier an, dass der vorausgegangene Text eine Begründung für drei Behauptungen liefert, die in § 48 aufgestellt werden. Sie handeln erstens von einer Koordination, zweitens von einer Subordination und drittens von einer Vereinigung der drei Staatsgewalten als moralischer Personen zu einer rechtserteilenden Gewalt. Ich frage: Auf welchen vorausgegangenen Text verweist das ,also‘ in § 48? Ludwig hat die Abfolge und Zählung der Paragraphen verändert, indem er den § 48 als 1 Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre – Metaphysik der Sitten – Erster Teil, neu herausgegeben von Bernd Ludwig, Hamburg, Meiner, 1986.

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§ 46 bezeichnet und den ihm vorausgehenden § 47 in einen § 50 verwandelt.2 Nach dieser Ausgabe knüpft daher das ,also‘ des § 48 nicht an den Inhalt der §§ 46 und 47 an. Ludwig rechtfertigt seinen Texteingriff in der Einleitung zu seiner Ausgabe (S. XXXIV) mit der Behauptung, das Wörtchen ,also‘ in § 48 beziehe sich zurück „auf die Ableitung der ,drei Gewalten‘ aus dem ,praktischen Vernunftschluß‘ im letzten Absatz des § 45“, einen „anderen Anschluß“ für das ,also‘ gebe es nicht. Schauen wir uns deshalb den letzten Absatz in § 45 näher an und fragen: Wo ist in ihm die Rede von drei verschiedenen moralischen Personen? Von solchen müsste wenigstens sinngemäß die Rede sein, wenn die fraglichen drei Behauptungen des § 48 unmittelbar aus § 45 logisch folgen sollen. Diese Behauptungen enthalten ja expressis verbis Aussagen über das Ordnungsgefüge der drei politischen Gewalten als verschiedener moralischer Personen, d. h. als verschiedener Körperschaften. Meine Antwort ist: Von moralischen Personen ist in § 45 nicht die Rede, auch nicht implizit. Hier bleibt die Rede von Personen ganz unbestimmt: Sie lässt sich auch auf physische Personen beziehen und schließt nicht einmal aus, dass die drei in Rede stehenden Personen teilweise oder vollständig identisch sind. Diese Unbestimmtheit lässt sich auch leicht erklären. Kant sagt ja in § 45, „ein jeder Staat“ enthalte drei Gewalten, nimmt also keinen realen Staat von dieser Aussage aus, also auch keinen Staat, in dem politische Gewalten in Personalunion oder von einzelnen physischen Amtsträgern ausgeübt werden. Dem entspricht es, dass Kant in § 51 rekapituliert, dass „die drei Gewalten im Staat“ aus dem „Begriff eines gemeinen Wesens überhaupt“ (res publica latius sic dicta)“ hervorgehen. Mit anderen Worten: Die Trias politica des § 45 ist nicht etwa nur eine Eigentümlichkeit der Verfassung einer „reinen“ oder „wahren Republik“, wie Kant sie in § 52 nennt, sie gehört vielmehr 2 Nach der Zählung der Originalausgabe (an die ich mich im folgenden halten werde) bringt Ludwig die §§ 45 bis 49 und § 51 in diese Reihenfolge: 45, 48, 46, 49, 47, 51. Er stellt außerdem die auf § 49 folgende ,Allgemeine Anmerkung von den rechtlichen Wirkungen aus der Natur des bürgerlichen Vereins‘ hinter § 52 und verwandelt den § 50 in einen zusätzlichen Abschnitt F der ,Allgemeinen Anmerkung‘. So wird auf folgende Weise aus einem vierfach gegliederten Text, dessen erster Teil nach der Originalausgabe von 1797 noch zum ,Ersten Theil‘ der Rechtslehre, also zum ,Privatrecht‘ gehört, ein dreifach gegliederter Text, der vollständig in den ,Zweiten Theil‘ der Rechtslehre, d. h. in ,Das öffentliche Recht‘, hineingezogen wird. Das Original von 1797 lässt auf den Schlussabschnitt des Ersten Teils der Rechtslehre, der unter der Überschrift „Übergang von dem Mein und Dein im Naturzustande zu dem im rechtlichen Zustande überhaupt“ steht und aus den §§ 41 bis 42 besteht, den ,Ersten Abschnitt‘ des ,öffentlichen Rechts‘ unter der Überschrift „Das Staatsrecht“ folgen, ohne dem Zweiten Teil der Rechtslehre (zu dem dieser Abschnitt gehört) eine Einleitung voranzustellen. Er enthält in der Originalausgabe drei Teile, nämlich der Reihe nach den Text der §§ 43 – 49 (ohne besondere Überschrift), dann die schon erwähnte ,Allgemeine Anmerkung‘ mit den Abschnitten A bis E, und schließlich die §§ 50 bis 52. In Ludwigs Ausgabe von 1986 werden die §§ 44 und 43 (in dieser Reihenfolge) dem erwähnten Abschnitt ,Übergang‘ mit den §§ 41 und 42 angeschlossen und dieser dem Zweiten Teil der Rechtslehre als eine Art Einleitung zugeordnet. Der nun auf diese Einleitung folgende Abschnitt ,Das Staatsrecht‘ beginnt daher in Ludwigs Ausgabe erst mit § 45 und enthält zwei Teile, erstens den Text der §§ 45 bis 49 sowie der §§ 51 bis 52 in veränderter Zählung und Reihenfolge und zweitens die (um einen Abschnitt F = § 50 erweiterte) ,Allgemeine Anmerkung‘.

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schon zur Republik im weiteren Sinne dieses Wortes, d. h. zu jedem politischen Gemeinwesen. Res publica latius sic dicta ist nämlich nach § 43 nur ein anderer Name für Staat (civitas). Ein Staat aber ist (nach § 45) definitionsgemäß nichts anderes als „die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“. Da unter Rechtsgesetzen vereinigt zu sein (nach § 44) nichts anderes bedeutet als eine öffentliche Justiz (eine „öffentliche Gerechtigkeit“) zu haben, und diese Vereinigung eine Bekanntschaft mit Rechtsgesetzen und die Fähigkeit der Rechtsdurchsetzung („Sanktion eines öffentlichen Gesetzes“ (§ 44)) voraussetzt, ist die Feststellung „Ein jeder Staat enthält drei Gewalten“ per definitionem wahr und lässt sich auf beliebige empirische Exemplare eines Staates beziehen. Auch die restlichen Aussagen des § 45 lassen sich auf beliebige Staaten beziehen. Dies gilt insbesondere für den Vergleich der Funktionen der Gewaltentrias mit der Trias von Sätzen eines praktischen Vernunftschlusses. Denn die logischen Funktionen, die in der Operation eines praktischen Syllogismus vereinigt sind, können selbstverständlich ebensogut von einer einzigen physischen Person wie von mehreren Personen ausgeübt werden. (Ein patriarchalischer Fürst etwa führt vollkommen allein einen praktischen Vernunftschluss aus, wenn er ein Strafgesetz z. B. gegen Diebstahl aufstellt, dann sogleich seinen Konkurrenten als Dieb festnehmen lässt, um ihn zum Schluss nach seinem Strafgesetz eigenmächtig zu verurteilen.)3 Wenn also § 48 dazu übergeht, eine Zuordnung der drei Gewalten zu verschiedenen Körperschaften vorzunehmen, so ist dieser Übergang mit einem Perspektivenwechsel verbunden, der erklärungsbedürftig ist. Er hängt, wie man sogleich vermuten kann, damit zusammen, dass schon der erste Absatz von § 45 darauf vorbereitet, dass im ganzen folgenden Text nicht in erster Linie reale Staaten in Betracht gezogen werden sollen, sondern vielmehr „der Staat in der Idee, wie er nach reinen Rechtsprinzipien sein soll“: „die Form eines Staates überhaupt“, die „jeder wirklichen Vereinigung zu einem gemeinen Wesen“ zur „Richtschnur (norma)“ dient (§ 45). Darauf, dass in § 48 nicht mehr von ,jedem Staat‘ die Rede ist (wie in § 45 Abs. 2 erster Satz), sondern vom Staat in der Idee, jetzt daher die drei Gewalten als „reine Idee von einem Staatsoberhaupt“ vorgestellt werden (als welche sie in § 51 bezeichnet werden), dürften schon die ersten fünf Wörter von § 48 hindeuten: Man beachte hier die bestimmten Artikel und den Singular in der Formulierung „Die drei Gewalten im Staate“.

3 Ein Fürst scheint außer den Funktionen des Gesetzgebers, Regenten und obersten Richters außerdem noch andere Gewaltfunktionen auszuüben, z. B. die des obersten militärischen Befehlsherrn. Überhaupt scheint es in Staaten außer den Funktionen der Trias politica noch andere Funktionen zu geben, die man besonderen Gewalten zuordnen könnte, wie die des Militärs oder der Bündnispolitik (siehe die „föderative“ Gewalt bei John Locke). Kants Darstellung der Trias politica als eines nach syllogistischen Funktionen geordneten Systems dient dem Zweck, einen präzisen Grund dafür anzugeben, warum Legislative, Exekutive und Judikative Gewalten sind, die als Trias zusammengehören und ein vollständiges System der politischen Gewalten bilden.

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Auf jeden Fall bleibt aber das Wörtchen ,also‘ erklärungsbedürftig. Denn wenn es sich nur auf den Vergleich zurückbezieht, den der § 45 zwischen einem konstitutionellen und einem syllogistischen Ordnungsgefüge vornimmt, bleibt eine Lücke in Kants Argumentation bestehen. Es ergibt sich daraus die naheliegende Frage, ob nicht die im Originaltext befindlichen §§ 46 und 47 diese Lücke schließen? Meine Antwort ist: Ja, erst diese Paragraphen enthalten die nötigen Ansätze zur Begründung der Annahme, dass die Träger der Staatsgewalten in einem der Staatsidee entsprechenden Gemeinwesen Körperschaften sein müssen. Betrachten wir diese Ansätze im Einzelnen. Was zunächst § 46 betrifft, so liefert er eine Begründung für die These, dass im idealen Staat die gesetzgebende Gewalt keine einzelne physische Person sein kann, sondern eine Körperschaft sein muss. Kant geht hier davon aus, dass von der gesetzgebenden Gewalt „alles Recht ausgehen soll“. Er setzt mit dieser Annahme voraus, dass gesetzgebende und rechtsetzende Gewalt dasselbe sind. Diese Voraussetzung beruht auf der kantischen Definition des Rechts, nach der alles Recht „in der Einschränkung der Freiheit jedes Anderen auf die Bedingung“ besteht, „daß sie mit der meinigen nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne“.4 Alles Recht setzt nach dieser Definition die Geltung allgemeiner Gesetze voraus, und muss insofern von einer gesetzgebenden Gewalt „ausgehen“. Eine weitere Annahme des § 46 ist sinngemäß, dass die rechtsetzende Gewalt „schlechterdings niemand unrecht tun können“ dürfe.5 Aus dieser Annahme folgt, dass „nur der vereinigte Wille Aller, sofern ein jeder über Alle und Alle über einen jeden ebendasselbe beschließen, mithin der allgemeine vereinigte Volkswille gesetzgebend sein“ kann (§ 46). Die gesetzgebende Gewalt darf nur in den Händen derer liegen, die ihren Gesetzen in ihrem Handeln als selbständige (aktive) Staatsbürger unterworfen sind. Die gesetzgebende Gewalt kann daher keine physische, sondern muss eine moralische Person sein. Kant vollzieht, wie man sieht, mit § 46 einen Perspektivenwechsel gegenüber dem letzten Absatz von § 45, indem er zu einer normativen Aussage übergeht. Diese Aussage gibt keinen in realen Staaten bestehenden Sachverhalt mehr wieder, sondern bezieht sich auf die gesetzgebende Gewalt in der Res publica noumenon.6 Diese Gewalt ist, insofern sie im Besitz des „vereinigten Volkes“ (als der Gesamtheit der aktiven Staatsbürger) ist, ein bloßes „Gedankending“, wie Kant selbst es in § 51 4 So die Formulierung in Kants Aufsatz ,Über den Gemeinspruch […]‘ von 1793, s. Kant’s Werke, Akademie-Ausgabe Band 8, S. 292.27 – 29. In den Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre definiert Kant: „Das Recht ist […] der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“ Einleitung in die Rechtslehre § B, letzter Satz, s. Akademie-Ausgabe Band 6, S. 230.24 – 26. 5 Kant schreibt: „tun können muß“, statt: „tun können darf“, in einem heute veralteten Deutsch, das einem Anglizismus entspricht. 6 Vgl. Refl. 8077, Akademie-Ausgabe Band 19, S. 609 f.

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ausdrücklich sagt. Sie ist ein Gedankending jedenfalls, solange es an einem physischen Repräsentanten dieser Gewalt fehlt (s. § 51). Die „bürgerliche Selbständigkeit“ aktiver Staatsbürger besteht nach Auskunft von § 46 darin, keines physischen Repräsentanten zu bedürfen, wenn es „in Rechtsangelegenheiten“ um die Ausübung und Verteidigung eigener Rechte (vor Gericht oder anderswo) geht. Diese Selbständigkeit ist nach § 46 mit zwei anderen wesentlichen Attributen des aktiven Staatsbürgers verknüpft, der „gesetzlichen Freiheit“ und der „bürgerlichen Gleichheit“. Die bürgerliche Gleichheit der Staatsbürger besteht darin, dass keine physische Person als höhergestellt (als „Obere“) anzuerkennen ist, es sei denn, es handelt sich um eine Person, die jeder Staatsbürger ebenso rechtlich verpflichten kann wie sie ihn. Die gesetzliche Freiheit besteht darin, dass ein Staatsbürger „keinem anderen Gesetz zu gehorchen“ hat, „als zu welchem er seine Beistimmung gegeben hat.“ In erster Linie ist es dieses Attribut, auf dem es beruht, dass nur die Staatsbürgerschaft selbst diejenige Körperschaft ist, der die gesetzgebende Gewalt nach dem Prinzip Volenti non fit iniuria zukommt. Als freie Bürger sind nur sie Teilhaber an der Gesetzgebung und keiner anderen Gesetzgebung unterworfen. § 47 (den Ludwig als § 50 zählt)7 knüpft unmittelbar an diesen Gedanken des § 46 an, indem er das vereinigte Staatsbürgervolk als „Oberhaupt“ bezeichnet, das sich zu sich selbst (als „zu der vereinzelten Menge“) als zu seinem eigenen Untertan verhält. Aber § 47 führt nun außerdem aus, dass dieses Verhältnis von imperans und subditus nicht nur in der gesetzgebenden Gewalt „enthalten“ ist, sondern auch in den beiden übrigen Gewalten. Es ist leicht zu erkennen, dass hiermit nur eine Konsequenz aus § 46 gezogen wird. Denn bürgerliche Gleichheit und Selbständigkeit werden dort ja, wie ich soeben ausgeführt habe, bestimmt als Verhältnisse, in denen sich der einzelne Staatsbürger gegenüber anderen Staatsbürgern befindet auch dann, wenn diese zugleich „Obere“, d. h. Teilhaber an staatlicher Gewalt sind. Hinsichtlich bürgerlicher Gleichheit und Selbständigkeit soll es keine Unterschiede zwischen Staatsbürgern geben. Aber dies soll nicht ausschließen, dass Staatsbürger daran beteiligt sein können, gegenüber anderen Staatsbürgern Staatsgewalt auszuüben. Dass sie diese Gewalt nicht als physische Personen ausüben können sollen, sagt § 47 zwar nicht ausdrücklich. Aber der erste Satz von § 47 weist darauf hin, dass alle drei Staatsgewalten „Würden“ sind und zwar „Staatswürden“, insofern sie (als besondere Würden, die jeder der drei Gewalten jeweils „wesentlich“ zukommt,) „aus der Idee des Staats überhaupt“ hervorgehen. Mit diesem Hinweis wird ein Gedanke eingeleitet, der, wie ich gleich zeigen werde, in den §§ 48 und 49 zu Ende geführt wird und der un7

§ 47 beginnt mit den Worten „Alle jene drei Gewalten …“ und verweist damit auf die in § 45 explizit erwähnten „drei Gewalten“, während § 46 ausdrücklich nur von der gesetzgebenden Gewalt spricht. In Ludwigs Ausgabe geht dem § 47 der letzte Satz von § 49 voraus, der mit den Worten beginnt: „Also sind es drei verschiedene Gewalten …“. Wenn die von Ludwig vorgesehene Paragraphenanordnung Kants eigenen Intentionen entspräche, wäre zu erwarten, dass § 47 nicht mit „Alle jene“ sondern mit „Alle diese“ beginnt. Denn „jene“ pflegt auf ein vorletztes Vorkommen eines Ausdrucks zu verweisen, nicht auf das entsprechende Vorkommen im unmittelbar vorangehenden Satz.

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mittelbar damit zu tun hat, dass die drei Staatsgewalten körperschaftlich organisiert sein müssen, wenn sie der Idee des Staates entsprechen sollen. Mit der Idee des Staates ist hier, wie der Rest von § 47 näher ausführt, nichts anderes gemeint als die Staatsverfassung, insofern sie nach der Idee des „ursprünglichen Kontrakts“ konzipiert ist. Nach dieser Idee wird eine Gesamtheit einzelner Menschen vorgestellt, die ihre „wilde, gesetzlose Freiheit“ aufgeben, um sie gegen die gesetzliche Freiheit einzutauschen und dadurch zu freien, gleichen und selbständigen Staatsbürgern, d. h. zu Gliedern eines gemeinen Wesens, zu werden. Der Gedanke, dass alle drei Staatsgewalten als wesentliche Würden „aus der Idee des Staats“ hervorgehen, bedeutet demnach, dass die drei Staatsgewalten so verfasst sein sollen, dass sie der gesetzlichen Freiheit sowie der bürgerlichen Gleichheit und Selbständigkeit keinen Abbruch tun. Von dieser idealen Verfassung ist offensichtlich die Rede, wenn der ,also‘-Satz des § 48 von den drei Gewalten „im Staate“ verlangt, moralische Personen zu sein. Dass die gesetzgebende Gewalt eine solche Person ist, folgt dabei, wie noch zu zeigen sein wird, unmittelbar aus § 46. Dass auch die beiden übrigen Gewalten eine solche Person sind, folgt aus den §§ 46 und 47 indirekt. Mit dem Hinweis darauf, dass die Trias politica nur dann der Idee des Staates entspricht, wenn politische Gewalten zugleich Staatswürden sind, wird der Leser auf die Staatswürden-Theorie vorbereitet, mit der Kant im Anschluß an § 47 seine These des Körperschaftscharakters politischer Gewalten näher begründet. Kant wendet sich mit seiner Auffassung von Staatswürde implizit gegen die Lehre von den Staatswürden (dignitates civiles), wie sie in den Elementa Iuris Naturae Gottfried Achenwalls und Johann Stephan Pütters greifbar ist. Nach dieser Lehre ist der oberste Herrscher (summus imperans), kraft seiner sogenannten Majestätsrechte, Quelle aller Ehren und Würden im Staate (fons omnium in civitate honorum et dignitatum).8 Im Unterschied dazu will Kant die Staatswürden aus der „Idee eines Staates überhaupt“ hervorgehen lassen. Was bedeutet das? Einen ersten Hinweis erhalten wir durch den zweiten Absatz von § 48. In ihm werden die Staatswürden der Reihe nach vorgestellt: Die Würde des Gesetzgebers besteht in der Untadeligkeit seines Willens; die Würde des „Oberbefehlshabers“ (d. h. der Regierungsspitze) besteht in der Unwiderstehlichkeit seines Ausführungsvermögens; und schließlich besteht die Würde des „obersten Richters“ als letzter Appellationsinstanz in der Unabänderlichkeit seines Rechtsspruchs. Betrachten wir diese Würden der Reihe nach. Was die Würde des Gesetzgebers betrifft, so erkennt man leicht, dass sie genau dem entspricht, was der gesetzgebenden Gewalt in § 46 als Unfähigkeit, Unrecht zu tun, zugeschrieben wird. Denn mit 8 Siehe die Ausgabe von 1750, § 723; vgl. den Nachdruck dieser Ausgabe mit deutscher Übersetzung: Gottfried Achenwall / Johann Stephan Pütter, Anfangsgründe des Naturrechts (Elementa Iuris Naturae), herausgegeben und übersetzt von Jan Schröder, Frankfurt: Insel, 1995, S. 236.

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dieser Unfähigkeit ist das in § 47 angedeutete Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Untertan verknüpft: Dieser soll jenen nicht tadeln können.9 Was die Würden der Regierungs- und richterlichen Gewalt angeht, nimmt Kant keineswegs an, dass auch sie im Idealfall über jeden Tadel erhaben sind. Diese Annahme wäre auch gar nicht plausibel. Gesetzesausführung und Rechtsprechung wären ja gar nicht möglich, wenn sie nicht aus Handlungen bestünden, mit denen „jemand etwas gegen einen Anderen verfügt“ (§ 46), mit denen also auch Unrecht geschehen kann. Daher ist Unrechttun unter allen (auch idealen) Umständen durchaus verträglich mit der Ausübung eines Regierungs- oder Richteramtes. Nur sollte unrechtmäßiges Regieren und Richten korrigierbar sein, wenn nach § 48 die drei Gewalten jedem Untertan sein Recht zu erteilen haben (vgl. § 48).10 Das heißt, die Ausübung von Regierungs- und Richtergewalt darf nicht in jeder Beziehung unwiderstehlich bzw. unabänderlich sein. Im Idealfall muß vielmehr garantiert sein: erstens dass ein Rechtsstreit zwischen Bürger und Regierung nach geltenden Gesetzen auch zuungunsten der Regierung richterlich entschieden werden kann und zweitens dass richterliche Entscheidungen durch Appellationsinstanzen aufgehoben werden können. Deshalb sieht Kant in § 48 ausdrücklich vor, dass nicht der Regierungsgewalt als solcher, sondern nur dem „Ausführungsvermögen des Oberbefehlshabers (summi rectoris)“, d. h. der Regierungsspitze, die Würde der Unwiderstehlichkeit und nicht der Judikative als solcher, sondern nur dem obersten Richter, d. h. nur der letzten richterlichen Appellationsinstanz, die Würde des unabänderlichen Rechtsspruchs zuzuschreiben sei. Kant nimmt hiermit an, dass für die vollziehende und richterliche Gewalt in gewisser Hinsicht dasselbe gilt wie für die Legislative: Auch diese beiden Gewalten sind nach der Idee des republikanischen Staates jeweils einer Körperschaft zuzuordnen, sie dürfen nicht im Besitz einer einzelnen physischen Person sein. Nach dieser Idee muss es möglich sein, Regierungsbeamte vor Gericht zu ziehen und Gerichtsurteile wieder aufzuheben, ohne dass dadurch die Re9 Der Vorstellung eines „tadelfreien“ Gesetzgebers entspricht nach Kants Ansicht die Vorstellung, dass das von ihm gegebene Gesetz „so heilig (unverletzlich)“ ist, „als ob es nicht von Menschen […] herkommen müsse“. Siehe: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Akademie-Ausgabe Band 6, S. 319 (,Allgemeine Anmerkung von den rechtlichen Wirkungen aus der Natur des bürgerlichen Vereins‘, Abschnitt A erster Absatz letzter Satz). Auf der Staatswürde des idealen Gesetzgebers beruht der von Kant des öfteren angestellte Vergleich zwischen göttlicher Trinität und Trias politica: Heiligkeit, Güte und Gerechtigkeit sind Attribute Gottes als Weltherrschers, Welterhalters und Weltrichters. Sie sind aber keine Würden, die sich dem Rang nach unterscheiden wie Untadeligkeit, Unwiderstehlichkeit und Unabänderlichkeit. 10 Der erste Satz von § 48 lautet: „Die drei Gewalten im Staate sind also erstlich einander […] beigeordnet […]; aber, zweitens, auch einander untergeordnet […]; drittens, durch Vereinigung beider [d.h. der einander untergeordneten Gewalten] jedem Unterthanen sein Recht ertheilend.“ Zu diesem Satz merkt Ludwig im textkritischen Apparat seiner Ausgabe an, es müsse statt „erteilend.“ heißen: „erteilend sein.“ Allerdings sei der Satz „auch so“, d. h. ohne diese Konjektur, „nicht vollständig“ (S. 130). Nach meiner Ansicht ist der Satz vollständig und auch ohne Konjektur grammatisch in Ordnung. Er enthält nur kein modernes flüssiges Deutsch.

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gierungs- oder Richtergewalt aufhören würde, eine Staatswürde zu sein. Nur in moralischen Personen lassen sich diese Gewalten näherungsweise so organisieren, dass ihre Funktionen (in letzter Instanz) ohne möglichen Widerstand beziehungsweise ohne mögliche Abänderung ausgeübt werden können. Versteht man Kants Text in dieser Weise, so sieht man, dass das ,also‘ am Anfang des § 48 einen berechtigten Platz hat und daß dieser Paragraph logisch und textlich an die §§ 45 bis 47 anschließt. Ebenso sinnvoll schließt an § 48 der § 49 an, der die Darstellung der idealen Gewaltentrias dadurch abschließt, dass er die körperschaftliche Struktur von Exekutiv- und Judikativgewalt genauer beschreibt, sofern von ihr die Staatswürden dieser beiden Gewalten abhängen. Was die Regierungsgewalt betrifft, ist darauf zu achten, dass Kant die Ausdrücke „ausübende“ und „vollziehende Gewalt“ nicht als gleichbedeutend verwendet. Der heute allgemein eingeschliffene Wortgebrauch, nach dem „Regierungsgewalt“ und „Exekutive“ gleichbedeutende Wörter sind, ist jedenfalls nicht Kants Wortgebrauch. Er orientiert sich am Bedeutungsunterschied der lateinischen Wörter „rector“ und „ex(s)ecutor“. „Rector“ steht für „Steuermann“ („Richtunggeber“) und ist gleichbedeutend mit „gubernator“ (das aus dem griechischen Wort jubeqm^tgr für „Steuermann“ hergeleitet ist). Schon Cicero spricht ausdrücklich vom „rector et gubernator civitatis“ (dem „Staatslenker“) und nimmt damit das seit Platons Politeia gebräuchliche Bild vom Staatsschiff in Anspruch. Auch Kant schwebt dieses Bild vor, wenn er in § 49 die Staatsverwaltung als „gubernatio“ bezeichnet. Kant unterscheidet zwei Funktionen der „vollziehenden Gewalt“: erstens die Funktion der Gesetzesausführung durch die „ausübende Gewalt“ (potestas executoria) und zweitens die Funktion der Steuerung und Lenkung durch die „Staatsverwaltung (gubernatio)“. Kant schreibt die zuerst genannte Funktion der Regierungsspitze zu, d. h. dem „Oberbefehlshaber (summus rector)“ oder Regent[en]. Dessen Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass Gesetze ausgeführt werden. Er erfüllt diese Aufgabe, indem er „Magistrate [d.h. Behörden] einsetzt“ und „dem Volk die Regeln vorschreibt, nach denen ein jeder dem Gesetze gemäß (durch Subsumtion eines Falles unter demselben) etwas erwerben, oder das Seine erhalten kann“ (§ 49). Die Regierungsspitze kann, muss aber nicht eine einzelne physische Person sein. Es kann ein Gremium sein, das Kant nach dem Vorbild der französischen Revolutionsregierung „Direktorium“ nennt. – Die zweite Funktion der Regierungsgewalt besteht in der Staatsverwaltung und obliegt nach § 49 den „Magistraten und ihren Oberen“ (d. h. den jeweiligen Verwaltungsspitzen), also Organen, die als Befehlsempfänger dem Regenten untergeordnet sind. Demnach betrachtet Kant das gesamte Personal der vollziehenden Gewalt in Analogie zu einer arbeitsteiligen Schiffsbesatzung: Wie die Steuerleute die Befehle des Kapitäns befolgen müssen und der Kapitän sich zu richten hat nach Regeln und Gesetzen, die er selbst nicht gegeben hat, nämlich nach Gesetzen der Astronomie und Regeln der Navigationskunst, so untersteht die Staatsverwaltung einer Regierung, die nur Rechtsgesetze befolgt.

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Die Staatswürde der Regierungsgewalt kann durch die beschriebene Struktur ihrer körperschaftlichen Organisation genauer erklärt werden. Da diese Würde nur in der Unwiderstehlichkeit des „Ausführungsvermögens“ der Regierungsspitze bestehen soll, schließt sie Rechtszwang gegen Regierungsorgane keineswegs aus. Nur diese Spitze darf zu nichts und von niemandem gezwungen werden können. Ein Zwangsrecht gegen sie würde die Existenz einer höheren Zwangsgewalt voraussetzen. Aber diese Voraussetzung würde im Widerspruch stehen zur Annahme, dass der summus rector die höchste Zwangsgewalt ist. Unwiderstehlichkeit, Staatswürde und körperschaftlicher Charakter der Regierungsgewalt hängen insofern untrennbar miteinander zusammen. Dabei bedeutet Unwiderstehlichkeit keineswegs Unabsetzbarkeit (s. § 49 Absatz 2). Aber die Absetzung der Regierungsspitze kann nur der gesetzgebenden Gewalt zustehen, die Kant daher als einzige von den drei Staatsgewalten „herrschend“ (imperans) nennt. Ihr steht es nämlich zu, durch Gesetze zu regeln, wer die Exekutivgewalt und damit das unwiderstehliche Vermögen zur Gesetzesausführung besitzen soll. Auch eine gesetzliche Verwaltungsreform, die in das Verfahren der Einsetzung der Behörden eingreift, steht nach Kants Ansicht dem Gesetzgeber zu (s. § 49, Absatz 2). Dieser hat insofern das Recht, seine Souveränität – d. h. seinen Vorrang vor den übrigen Staatsgewalten – durch geeignete Gesetze zu sichern. Unwiderstehlichkeit ist daher weder Machtvollkommenheit noch setzt sie eine solche voraus.11 Nun zur Staatswürde der Judikative. Auch sie ist in Kants Augen der Würde des allgemeinen vereinigten Volkswillens untergeordnet. Es wäre, schreibt Kant ausdrücklich (§ 49, Absatz 3), „unter der Würde des Staatsoberhaupts, den Richter zu spielen.“ Denn dies würde darauf hinauslaufen, „sich in die Möglichkeit zu versetzen, Unrecht zu tun, und so in den Fall der Appellation […] zu geraten.“ Die Würde der Judikative steht (in gewisser Hinsicht) sogar unter der Würde der Exekutive. Denn die Unwiderstehlichkeit des summus rector schließt dessen Bestrafbarkeit aus (s. § 49 Absatz 2). Bestrafung würde ja Ausübung von Zwangsgewalt aufgrund eines Rechtsspruchs sein. Unterordnung der Judikative unter die Exekutive findet auch insofern statt, als es der Regierung zusteht, Gerichtshöfe und Richter („als Magistrate“) einzusetzen (s. § 49, Absatz 3), so dass die Rechtspflege Teil der (gesetzlich regulierbaren) Staatsverwaltung ist. Aber warum meint Kant, der Rechtsspruch des obersten Richters sei unabänderlich – anders als das Gesetz des Gesetzgebers und anders als der Befehl des Regenten (s. § 49, Absatz 1)? – Die Antwort geht hervor aus Kants Feststellung, es könne „weder der Staatsherrscher noch der Regierer richten“ (§ 49, Absatz 3). Kant begründet diesen Satz nicht, sondern vertraut darauf, dass der Leser nach allem Gesagten von selbst einsieht, warum er richtig ist. Dass der Gesetzgeber nicht richten kann, beruht einfach darauf, dass er nicht untadelig wäre, würde er „den Richter spielen.“ 11 Die Unwiderstehlichkeit des Oberbefehlshabers setzt auch nicht eine von seinem Amt unabhängige Würde voraus, sondern umgekehrt: nur aufgrund seines besonderen Amtes besitzt er eine besondere Würde (im Sinne einer dignitas civilis).

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Dass auch der „Regierer“ nicht richten kann, beruht einfach darauf, dass ein Rechtsstreit mit Verwaltungsorganen möglich ist, den diese nicht für sich selbst entscheiden können dürfen. Es muss daher, nach der Idee des republikanischen Staates, einen Richter oder Gerichtshof geben, dessen Rechtsspruch zwar tadelig sein mag, aber nicht durch eine der Parteien eines Rechtsstreits abgeändert werden kann. Kein Rechtsspruch darf abgeändert werden können, es sei denn, die Abänderung ist Sache wiederum einer Gerichtsinstanz, die als Appellationsgericht zuständig ist. Daraus folgt, dass nur der Rechtsspruch einer höchsten Appellationsinstanz unabänderlich sein können darf. Die Würde der Judikative besteht für Kant also darin, dass richterliche Entscheidungen nicht anders als durch richterliche Entscheidungen aufgehoben werden können. Diese Würde setzt Unabhängigkeit der Judikative von der Exekutive voraus, und sie kommt nur der obersten Appellationsinstanz zu. Das Amt des höchsten Gerichts als letzter Instanz beruht nicht auf der Würde seiner Amtsträger, sondern umgekehrt beruht nur aufgrund seiner Funktion als letzte Instanz die Würde des höchsten Gerichts. Soviel zu Kants Idee einer körperschaftlich strukturierten Gewaltentrias. Jetzt wende ich mich meiner zweiten Hauptfrage zu, die sich auf die „objektive praktische Realität“ dieser Idee bezieht und die den ganzen Rest des Abschnitts ,Das Staatsrecht‘ betrifft, wie schon eine grobe Skizze des Textaufbaus der Ausgabe von 1797 zeigen wird, auf die ich mich im folgenden beschränken werde.

II. Im Anschluss an § 49 wendet sich Kant Fragen zu, die das Verhältnis von Staatsidee und empirischer Wirklichkeit betreffen. Am deutlichsten zeigt sich dies am Ende des ersten Satzes von § 51, wo Kant behauptet, es handele sich bei seiner Staatsidee um eine Idee, die „objektive praktische Realität“ habe. Damit ist gemeint, dass diese Idee nicht bloß ein „Gedankending“ (§ 51), sondern geeignet ist, zur praktischen Orientierung zu dienen und näherungsweise verwirklicht zu werden. Meine Frage ist jetzt: In welcher Weise kommt der Idee der Trias politica nach Kants Ansicht objektive praktische Realität zu? Dies ist die von mir anfangs gestellte zweite Hauptfrage. Kant beantwortet sie auf zweierlei Weise. Erstens unternimmt er es (wie in § 45 Absatz 1 angekündigt) zu zeigen, dass die in den §§ 45 bis 49 skizzierte Staatsidee als „Norm“ oder „Richtschnur“ „jeder wirklichen Vereinigung zu einem gemeinen Wesen“ „dienen“ kann. Mit anderen Worten, Kant unternimmt es zu zeigen, dass seine Staatsidee geeignete Kriterien zur Beurteilung jeweils gegenwärtiger Staatsverfassungen liefert. Diesem Unternehmen ist die unmittelbar auf § 49 folgende ,Allgemeine Anmerkung von den rechtlichen Wirkungen aus der Natur des bürgerlichen Vereins‘ gewidmet. Zweitens unternimmt es Kant, einige Bedingungen anzugeben, unter denen die Idee der Trias politica in der politischen Zukunft näherungsweise

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(und zwar allmählich, kontinuierlich und dauerhaft) verwirklicht werden kann. Diesem Unternehmen sind die §§ 50 bis 52 gewidmet, die auf die erwähnte Allgemeine Anmerkung folgen. Was zunächst diese Anmerkung angeht, so heißt sie wohl nur deshalb „allgemein“, weil sie sich nicht speziell auf § 49, sondern auf die §§ 46 bis 49 bezieht, indem sie in ihren Abschnitten A bis E der Reihe nach auf Gesetzgebung, Regierung und Rechtspflege und damit auf alle Gewalten der Trias politica eingeht. Von „rechtlichen Wirkungen aus der Natur des bürgerlichen Vereins“ handelt die Allgemeine Anmerkung gemäß ihrer Überschrift offenbar in dem Sinne, dass sie rechtliche Konsequenzen in Betracht zieht, die sich daraus ergeben, dass Menschen unter irgendeiner empirischen Staatsverfassung zusammenleben, die natur- oder definitionsgemäß ein Herrschaftsverhältnis (eine unio civilis (§ 41)) einschließt. In den Abschnitten A bis E unternimmt es Kant, die Rechtlichkeit dieser Konsequenzen nach Kriterien zu beurteilen, die sich aus seiner Darstellung der Idee des republikanischen Staates in den §§ 46 bis 49 (insbesondere aus der darin enthaltenen Theorie der Staatswürden)12 ergeben. Ein kurzer Überblick über diese Abschnitte bestätigt dies: In Abschnitt A versucht Kant zu zeigen, dass aus der Idee des republikanischen Staates kein Recht auf Widerstand von seiten des „Untertans“ gegen den Gesetzgeber und Herrscher in irgendeinem empirischen Staat abgeleitet werden kann. Abschnitt B soll zeigen, dass die Existenz privaten Grundeigentums (von Domänen) eines Regenten (summus rector) mit der Staatsidee unverträglich ist, dass vielmehr der summus rector immer nur „Obereigentümer“ allen Grundes und Bodens sein kann, woraus sich steuer-, finanz-, aufsichts-, polizei- und sonstige rechtliche Konsequenzen ergeben (die Kant im einzelnen skizziert). Nach Absatz C ergibt sich aus der Idee des republikanischen Staates, dass bestimmte sozialstaatliche Maßnahmen einer Regierung, die die Bekämpfung von Armut und sozialer Ungleichheit betreffen, berechtigt sind. Absatz D behandelt die Grenzen des Rechts eines summus rector, (untergeordnete) Ämter und Würden zu verteilen: Er darf seinen Beamten ihr einmal verliehenes Amt nicht nach Belieben wieder entziehen; erbliche Standeswürden, z. B. erbliche Adelstitel, darf er nicht verleihen. Abschnitt E schließlich betrifft die Strafjustiz, insbesondere die Frage nach Prinzipien der Bestimmung des Strafmaßes. Wie diese Übersicht zeigt, werden in der ,Allgemeinen Anmerkung‘ Kriterien, die sich aus der Idee der republikanischen Gewaltentrias ergeben, auf bestimmte empirische Rechte und Pflichten der drei Gewalten der Reihe nach angewandt, mit dem Ziel, ihre Verträglichkeit bzw. Unverträglichkeit mit dieser Idee festzustellen. Insoweit soll die ,Allgemeine Anmerkung‘ illustrieren, wie die entworfene Staatsidee als Maßstab zur rechtlichen Beurteilung gegenwärtiger Staaten dienen kann, und zwar auch dann, wenn in diesen Staaten die drei Gewalten auf moralische Personen nicht so verteilt sind, wie es die Idee fordert. Das Hauptkriterium, das Kant in den Abschnitten A bis E anwendet, besteht in dem Prinzip: Was der allgemeine vereinigte 12 Man beachte z. B. die folgenden Stellen aus den Abschnitten C und D, die ich hier nach Band 6 der Akademie-Ausgabe angebe: S. 327.27; S. 328.9 und 33; S. 329.32 und 36.

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Volkswille nicht (einstimmig) über das Volk beschließen kann, das kann auch sonst niemand über es beschließen. Nun zum Text der §§ 50 bis 52. In diesem Text geht es Kant um die Frage, wie es in Zukunft möglich sein wird, die Idee einer körperschaftlichen Trias politica näherungsweise zu verwirklichen. Das Hauptproblem besteht in seinen Augen darin, dass die moralische Person des Gesetzgebers nach der Idee des republikanischen Staates ein bloßes „Gedankending“ ist (§ 51 zweiter Satz), nämlich: die bloße Vorstellung einer unbestimmten Menge freier, gleicher und selbständiger Staatsbürger. Ist diese Vorstellung mehr als eine Träumerei? Kants Antwort ist: Solange keine physische Person da ist, die dieser Idee „Wirksamkeit auf den Volkswillen verschafft“ (§ 51 zweiter Satz), wird es nicht einmal eine auch nur näherungsweise zu erreichende Verwirklichung dieser Idee geben können. Man könnte meinen, ihre Verwirklichung sei, wenn überhaupt, dann nur in ähnlicher Weise möglich, wie sich Rousseau eine Republik dachte, nämlich in Gestalt einer plebiszitären, direkten Demokratie, in der jeder Bürger Stimmrecht hat. Kant zieht diese Meinung in Betracht (s. § 51 und § 52 erster Absatz). Aber er weist darauf hin (§ 52 erster Absatz), dass eine Verfassungsänderung, mit der sich z. B. ein aristokratischer Staat zu einer Demokratie konstituieren würde, von den Bürgern selbst abgelehnt werden könnte. Der empirische Wille der Bürger (die volonté de tous) braucht ja nicht mit dem allgemeinen vereinigten, nach § 51 „a priori aus der Vernunft abstammenden“ Volkswillen (der volonté générale) übereinzustimmen. Dieser Hinweis soll zeigen, dass es keineswegs „auf der freien Wahl und dem Belieben des [jeweiligen empirischen] Souveräns beruhe[n kann], welcher Verfassung er das Volk unterwerfen wolle“ (§ 52). Man könnte diesen Gedanken mit Hegels Worten wiedergeben: Eine Verfassung kann nicht einfach gemacht werden, weder von einem Einzelnen noch von mehreren. Wie aber soll man sich dann die gewünschte Änderung empirischer Verfassungen denken, mit der sie der idealen Form des republikanischen Staates nähergebracht werden können? Kants Antwort läßt sich in drei Sätzen zusammenfassen: Erstens, diese Änderung könne nur eine „allmähliche und kontinuierliche“ sein (§ 52 zweiter Absatz). Zweitens: die Aufgabe der jeweils verfassungsändernden „konstitutionellen Gewalt“ (§ 52) könne nicht darin bestehen, die Idee des ursprünglichen Vertrages dem „Buchstaben“ nach zu befolgen, vielmehr komme es darauf an, im „Geist“ dieses Vertrages zu verfahren. Mit anderen Worten, es komme darauf an, die jeweilige „Regierungsart“ so zu gestalten, dass sie „ihrer Wirkung nach“ der Idee einer „reinen [d.h. vernunftgemäßen] Republik“ entspricht. Damit scheint gemeint zu sein, dass es darauf ankommt, so zu regieren, als ob den Gesetzen selbst die Herrschaft zukäme. „Herrschaft der Gesetze“ (rule of law) bedeutet nach Kants eigenen Worten, dass „das Gesetz selbstherrschend ist, und an keiner besonderen [physischen] Person hängt“ (§ 52). Gesetzesherrschaft hat seiner Ansicht nach zur Folge, dass die alten empirischen „statutarischen“ Staatsformen, „welche bloß die Untertänigkeit des

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Volks zu bewirken dienten“, sich „auflösen“ (ebd.).13 Diese Auflösung scheint Kant deshalb zu erwarten, weil er drittens die Ansicht vertritt: „Alle wahre [d.h. mit der Idee näherungsweise übereinstimmende] Republik“ sei ein „repräsentatives System“, in dem sich die vereinigten Staatsbürger durch „Abgeordnete (Deputierte)“ vertreten lassen, um auf diese Weise für ihre Rechte zu sorgen. Kant denkt sich ein parlamentarisches Repräsentativsystem, und er hält es offenbar für möglich, dass ein solches System aus einer Autokratie oder Aristokratie hervorgeht, wenn die Herrschaftsträger (freiwillig oder unfreiwillig) selbst damit beginnen, Repräsentanten des Volkswillens zu sein. – Kant gibt diesen Zukunftsausblick in den §§ 51 und 52. Welche argumentative Rolle spielt für diesen Ausblick der § 50, dessen Sonderrolle ins Auge springt, da er eine eigene Überschrift hat („Von dem rechtlichen Verhältnisse des Bürgers zum Vaterlande und zum Auslande“). Dass § 50 nicht zur ,Allgemeinen Anmerkung‘ gehört, erklärt sich daraus, dass er nicht von Staatsfunktionen, insbesondere nicht von der zuletzt behandelten judikativen Funktion handelt, sondern sinngemäß die allgemeine Frage beantwortet: Welche physischen Personen gehören eigentlich rechtmäßig zur Menge der Staatsbürger, die das Herrschaftsgebiet (territorium) eines Gemeinwesens bewohnen?14 Wie man leicht erkennt, ist die Beantwortung dieser Frage grundlegend für die in § 51 aufgeworfene Frage nach den physischen Personen, die geeignet sind, als Repräsentanten des vereinigten Volkswillens zu dienen. Insofern geht § 50 unmittelbar dem § 51 sinnvoll voraus. Das heißt, er leitet sinnvoll die Behandlung der Frage nach der „objektiven praktischen Realität“ der „reinen Idee“ des souveränen Staatsoberhaupts ein. Andererseits ist leicht erkennbar, dass § 50 sinnvoll auf die ,Allgemeine Anmerkung‘ folgt. Denn mit dem Begriff des Landesherrn (dominus territorii) setzt sie einen Begriff voraus, der in Abschnitt B der ,Allgemeinen Anmerkung‘ eingeführt wird. Ludwigs Verschiebung dieser Anmerkung ans Ende des Staatsrechtsabschnitts mit Umwandlung des § 50 in einen Abschnitt F dieser Anmerkung zerstört daher den Sinn des Gedankengangs. Zusammenfassend ist zu sagen: Wie immer die näheren Einzelheiten des Staatsrechtsabschnitts in Kants Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre zu verstehen sind,15 ich hoffe gezeigt 13 Vgl. Streit der Fakultäten, Akademie-Ausgabe, Band 7, S. 91: Auch wenn ein Monarch da ist, der autokratisch herrscht, sei es seine Pflicht, „republicanisch zu regieren“, d. h. „das Volk nach Prinzipien zu behandeln, die dem Geist der Freiheitsgesetze […] gemäß sind, wenn gleich dem Buchstaben nach es um seine Einwilligung nicht befragt würde.“ 14 Daß es in § 50 um die Frage geht, welche physischen Personen („durch die Geburt“) rechtmäßige Mitglieder des Gemeinwesens sind (ohne zur Mitgliedschaft gezwungen zu sein), erkennt man daran, dass Kant von einer historisch kontingenten Einteilung von Herrschaftsgebieten ausgeht, nach der man zwischen einer „Provinz“ und einem „coalisirten Theil des Reichs (imperii)“ zu unterscheiden hat und nach der nur Einwohner eines solchen Landesteils als „Mitbürger“ in Frage kommen. 15 Kant selbst weist in der ,Vorrede‘ zu den Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre ausdrücklich darauf hin, dass er „gegen das Ende des Buchs“ „einige Abschnitte mit

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zu haben, dass der Sinn der Reihenfolge, in der die Teile dieses Abschnitts in der Ausgabe von 1797 stehen, für das Verständnis von Kants Theorie der inneren Staatsverfassung grundlegend ist.

minderer Ausführlichkeit bearbeitet“ habe, „als in Vergleichung mit den vorhergehenden erwartet werden konnte“, und zwar unter anderem deshalb, „weil sie mir aus diesen leicht gefolgert werden zu können schienen“ (Akademie-Ausgabe, Band 6, S. 209). Diesen Hinweis sollte jeder Leser als Aufforderung zu eigenem Nachdenken bei der Beurteilung der skizzenhaften Darstellung des Staatsrechts in den §§ 45 bis 52 ernstnehmen.

Recht aus dem Begriff Schwerpunkte einer Einführung in Kants „Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre“ Burkhard Tuschling Kants Rechtslehre, erster Teil der Metaphysik der Sitten, zeichnet sich durch eine ganze Reihe von Besonderheiten vor anderen Entwürfen des neuzeitlichen Naturrechts aus, insbesondere durch die folgenden: Alles wird, Kants Begriff von Philosophie1, philosophischer Erkenntnis2 und Methode folgend, aus dem Begriff entwickelt: Recht aus dem Begriff – d.i. ein System des Naturrechts, nichtempirisch aus einem einzigen Begriff der Vernunft a priori deduziert – hat es vor Kant noch nicht gegeben. Der Begriff, aus dem alles weitere entwickelt wird, ist derjenige, mit dem Kant die „Vorbegriffe zur Metaphysik der Sitten. (Philosophia practica universalis.)“ eröffnet, der „Begriff der Freiheit“.3 Kant selbst unterscheidet in der Metaphysik der Sitten explizit zwischen zwei Freiheitsbegriffen, einem negativen und einem positiven Begriff der Freiheit (Einleitung in die Metaphysik der Sitten I, VI 21332–2141). Der Sache nach jedoch sind in der Rechtslehre mindestens vier verschiedene Bedeutungen, Dimensionen und Funktionen von Freiheit wirksam und zu unterscheiden. Danach ist Freiheit

1 Philosophie ist „System der Vernunfterkenntniß aus Begriffen“ (Tugendlehre, Vorrede, VI 3752f.). 2 „Die philosophische Erkenntniß ist die Vernunfterkenntniß aus Begriffen, die mathematische aus der Construction der Begriffe.“ (KrV B 741); vgl. auch B 865: „Alle Vernunfterkenntniß ist nun entweder die aus Begriffen, oder aus der Construction der Begriffe; die erstere heißt philosophisch, die zweite mathematisch.“ 3 „Der Begriff der Freiheit ist ein reiner Vernunftbegriff, der eben darum für die theoretische Philosophie transscendent, d.i. ein solcher ist, dem kein angemessenes Beispiel in irgend einer möglichen Erfahrung gegeben werden kann, welcher also keinen Gegenstand einer uns möglichen theoretischen Erkenntniß ausmacht und schlechterdings nicht für ein constitutives, sondern lediglich als regulatives und zwar nur bloß negatives Princip der speculativen Vernunft gelten kann, im praktischen Gebrauch derselben aber seine Realität durch praktische Grundsätze beweiset, die als Gesetze eine Causalität der reinen Vernunft, unabhängig von allen empirischen Bedingungen (dem Sinnlichen überhaupt) die Willkür zu bestimmen, und einen reinen Willen in uns beweisen, in welchem die sittlichen Begriffe und Gesetze ihren Ursprung haben. Auf diesem (in praktischer Rücksicht) positiven Begriffe der Freiheit gründen sich unbedingte praktische Gesetze […]“ (Einleitung in die Metaphysik der Sitten IV, VI 2215-20).

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• erstens transzendentale Freiheit, „d.i. eine absolute Spontaneität der Ursachen, eine Reihe von Erscheinungen, die nach Naturgesetzen läuft, von selbst anzufangen, mithin transscendentale Freiheit, ohne welche selbst im Laufe der Natur die Reihenfolge der Erscheinungen auf der Seite der Ursachen niemals vollständig ist.“ (Kritik der reinen Vernunft, B 474); • zweitens „der negative Begriff“ der Freiheit: „Die Freiheit der Willkür ist jene Unabhängigkeit ihrer Bestimmung durch sinnliche Antriebe“; das bedeutet: „Die menschliche Willkür ist […] eine solche, welche durch Antriebe zwar afficirt, aber nicht bestimmt wird, und ist also für sich (ohne erworbene Fertigkeit der Vernunft) nicht rein, kann aber doch zu Handlungen aus reinem Willen bestimmt werden.“ (Einleitung in die Metaphysik der Sitten I, VI 21332-37); • drittens „der positive [Begriff der Freiheit] ist: das Vermögen der reinen Vernunft für sich selbst praktisch zu sein […] durch die Unterwerfung der Maxime einer jeden Handlung unter die Bedingung der Tauglichkeit der erstern zum allgemeinen Gesetze.“ (ebd. VI 21337–2144); • viertens Freiheit als Menschenrecht: „Freiheit (Unabhängigkeit von eines Anderen nöthigender Willkür), sofern sie mit jedes Anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht.“ (VI 23729-32). Schon in der beiden Teilen der Metaphysik der Sitten vorgeordneten „Einleitung in die Metaphysik der Sitten“ unterscheidet Kant systematisch strikt zwischen Ethik und Ius, ethischer und juridischer Gesetzgebung und ihnen zugeordneten Triebfedern. In der darauf aufbauenden „Einleitung in die Rechtslehre“ wird dies, insbesondere in den §§ D und E, noch verstärkt. Recht ist, kraft seines Begriffs, unbeschadet seiner Herleitung aus dem Begriff der Freiheit Zwangsrecht. Der „als Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit“ begriffene und fungierende Zwang ist Recht (§ D, VI 23124-34) und die differentia specifica des strikten Rechts, „dem nichts Ethisches beigemischt ist“ (§ E, VI 23213f.). „Recht und Befugniß zu zwingen bedeuten also einerlei.“ (§ E, 23229) Angesichts dieses Begriffs des strikten Rechts und der seit langem geführten Debatte darüber, ob die Rechtsgesetze in Kants System der praktischen Philosophie ihre Geltung dem kategorischen Imperativ verdanken oder nicht, drängt sich allerdings die Frage auf, ob Recht und Ethik denn nun in der Tat systematisch unabhängig voneinander sind oder nicht. Es könnte nämlich so scheinen, als sei diese Unterscheidung zwar sachlich relevant, aber nach kantischen Prinzipien entweder gar nicht möglich oder allenfalls sekundär, da doch der kategorische Imperativ als das Sittengesetz schlechthin oberstes Prinzip und Geltungsgrund aller praktischen Philosophie sei, die unbedingte Geltung auch der Rechtsgesetze daher nur durch ihre Herleitung aus dem Sittengesetz erwiesen werden könne. Das Recht und Kants Rechtslehre seien daher von der Ethik systematisch abhängig – dies die These der Gegner der so-

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genannten Unabhängigkeitsthese, insoweit sie auf das logische und normative Verhältnis von Recht und Ethik abzielt.4 Dem hat Julius Ebbinghaus in der Zeit des ausgehenden Neukantianismus und eines auch in der Rechtsphilosophie dominierenden rechtlichen Positivismus seine sogenannte ,Unabhängigkeitsthese‘ entgegengestellt5. Ebbinghaus zufolge ist Kants Rechtslehre unabhängig sowohl von der Geltung des in der Kritik der reinen Vernunft exponierten transzendentalen Idealismus, insbesondere der Raum-ZeitLehre, als auch von der Ethik, d. h. zuallererst vom Sittengesetz des kategorischen Imperativs in seinen in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und der Kritik der praktischen Vernunft exponierten Formen. In meiner Einführung in die Rechtslehre in Band V.1. der deutsch-russischen Kant-Ausgabe ist es mir nicht darum gegangen, in diesem Streit der Interpreten Partei zu ergreifen. Ich habe vielmehr versucht, die Momente eines radikalen Neuansatzes in Kants Systematik aus dem Text der Rechtslehre herauszuarbeiten, die meines Erachtens bislang kaum beachtet worden sind, die jedoch die systematische Unabhängigkeit sowohl der Rechtslehre als auch des Rechts selbst von der Ethik zur Konsequenz haben. I. Synthetische Erweiterung der praktischen Vernunft durch sich selbst Die wichtigste Neuerung, die zugleich systematisch grundlegend für das Recht als äußeres6 ist, ist die in § 2 der Rechtslehre erstmals exponierte synthetische Erweiterung der praktischen Vernunft durch sich selbst. Sie setzt sich in den §§ 6, 7 und 8, 4 So zuletzt Hariolf Oberer, Noch einmal zu Kants Rechtsbegründung, in: Kant-Studien 101, 2010, S. 384: „Hier [sc. in den „Vorbegriffen zur Metaphysik der Sitten“] definiert Kant vielmehr Begriffe, die ausdrücklich der Metaphysik der Sitten „in ihren beiden Theilen gemein“ (MS AA 06.222.01 – 02), d. h. für beide Teile gleich und gleichermaßen gültig, sind, und deren erster Satz lautet: „Verbindlichkeit ist die Nothwendigkeit einer freien Handlung unter einem kategorischen Imperativ der Vernunft“ (a.a.O., Z.3 f.), was u. a. heißt, daß die apriorischen Rechtsgesetze allesamt ihre Verbindlichkeit dem kategorischen Imperativ verdanken und demzufolge [!] materiale [!] Imperative sind.“ 5 Kants Rechtslehre und die Rechtsphilosophie des Neukantianismus (1960) in: Gesammelte Schriften, Band 2, Bonn: Bouvier, 1988, S. 232; ,Die Strafen für Tötung eines Menschen nach Prinzipien einer Rechtsphilosophie der Freiheit‘ (1968), Gesammelte Schriften, Band 2, ebd. S. 298; Kant und das 20. Jahrhundert (1954) in: Gesammelte Schriften, Band 3, Bonn: Bouvier, 1990, S. 168. 6 „Der Begriff des Rechts, sofern er sich auf eine ihm correspondirende Verbindlichkeit bezieht, (d.i. der moralische Begriff desselben) betrifft erstlich nur das äußere und zwar praktische Verhältniß einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar oder mittelbar) Einfluß haben können. […] Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“ (Einleitung in die Rechtslehre, § B, VI 2307-26).

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sowie in §§ 14 – 17 fort und ist – insbesondere kraft des erstmals in § 17 auftretenden „synthetisch-allgemeinen Willens“, aber auch bereits kraft der Konzeption der §§ 6 – 8, daher auch kraft des rechtlichen Postulats der praktischen Vernunft des § 2, auf dem alles folgende und vorstehend Erwähnte basiert – auch für das Öffentliche Recht, d. h. für Staatsrecht, Völkerrecht und Weltbürgerrecht, konstitutiv. Diese synthetische Selbsterweiterung der praktischen Vernunft7 stellt sich im einzelnen wie folgt dar: 1. Über den allgemeinen Begriff des Rechts des § B, das allgemeine Prinzip des Rechts und das allgemeine Rechtsgesetz des § C der Einleitung in die Rechtslehre hinausgehend erweitert praktische Vernunft als rechtliche ihre eigene Gesetzgebungskompetenz so, dass sie „uns“ durch ihr „rechtliches Postulat“ in § 2 nicht nur ein vieldiskutiertes „Erlaubnisgesetz“, sondern eben damit „die Befugniß giebt, die wir aus bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt nicht herausbringen könnten: nämlich allen andern eine Verbindlichkeit aufzulegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände unserer Willkür zu enthalten, weil wir zuerst sie in unseren Besitz genommen haben.“ (VI 2472-6) Dasjenige Gesetz also, das das Privatrecht nicht nur eröffnet, sondern äußeres Mein und Dein, – und damit nicht nur Eigentum, sondern, wie sogleich zu zeigen, Recht, Staat und selbst, das suum cuique tribuere, Gerechtigkeit also, nämlich das exeundum e statu naturali in seiner spezifisch kantischen Interpretation8 – das allgemeine Rechtsgesetz ergänzend und darüber hinausgehend a priori begründet, folgt nicht „aus bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt“ und dem allgemeinen Rechtsgesetz für sich genommen, daher auch nicht aus dem Sittengesetz und der Ethik für sich genommen. Dazu – d.i. zur Begründung von „Es ist möglich, einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben; d.i.: eine Maxime, nach welcher, wenn sie Gesetz würde, ein Gegenstand der Willkür an sich (objectiv) herrenlos (res nullius) werden müßte, ist rechtswidrig“ (§ 2, VI 2465-8)9 oder „,daß es Rechtspflicht sei, gegen Andere so zu handeln, daß das Äußere (Brauchbare) auch das Seine von irgend jemanden werden könne“‘ (§ 6, VI 25213-15) – bedarf es vielmehr der synthetischen Selbsterweiterung der Vernunft10 zur rechtlich-praktischen11 durch „bloße, vom Gesetz der Freiheit berechtigte Weglassung empirischer Bedingungen“ (§ 7, VI 25517f.), die es dann nicht nur erlaubt, den Begriff des physisch-empirischen

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Diese Bezeichnung rechtfertigt sich, kantische Formulierungen aufnehmend, unter Bezug auf § 2, letzter Satz, VI 2476-8, § 6, 2509-17 und 2523-10-30, § 7, VI 25513-21, worauf weiter unten im Text näher eingegangen wird. 8 s. VI 2371-8, § 9, VI 2576-19, § 15, VI 2645-8, § 44, VI 31214-21 und insbesondere 31234-3138. 9 Auf diese Formulierung werde ich mich im folgenden unter der Bezeichnung „ursprüngliche Formel“ des Postulats beziehen. 10 „Die Vernunft will, daß dieses als Grundsatz gelte, und das zwar als praktische Vernunft, die sich durch dieses ihr Postulat a priori erweitert.“ (§ 2, VI 2476-8) 11 Zu dieser Formulierung vgl. § 7, 25433 : „Kritik der rechtlich-praktischen Vernunft“; vgl. auch § 15, VI 26430; § 17, VI 2687-11.

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Besitzes zum „bloß rechtlichen Besitz“ zu erweitern12, sondern sogar ermöglicht, dass praktische Vernunft „synthetische Rechtssätze a priori aufstellen kann, deren Beweis (wie bald gezeigt werden soll) nachher in praktischer Rücksicht auf analytische Art geführt werden kann.“ (§ 7, VI 25519-21) 2. Ein zweites und ein drittes Moment dieser synthetischen Erweiterung der praktischen Vernunft zur rechtlich-praktischen sind in 1. schon berührt worden, verdienen jedoch ebenfalls genauere Betrachtung. Da ist zunächst die in § 6 exponierte Erweiterung des Begriffs des Besitzes über den empirischen Begriff des physischen Besitzes hinaus zum intelligiblen Besitz. Das ist nicht nur begründungstheoretisch relevant und für Kant – gegenüber allen empiristischen Ansätzen, Recht und Eigentum auf Erfahrung zu gründen – unverzichtbar. Dasselbe gilt auch für die Rechtspraxis: Das Recht überhaupt, sowie rechtlicher Besitz und Eigentum insbesondere, sind notwendigerweise ideell, „intellectuelle[] Verhältni[sse]“ (§ 7, VI 25323) und können nur als solche, d. h. abgelöst von physischer Inhabung und allen Raum-Zeit-Bedingungen, ihre Funktion erfüllen13. Gegenstände als Objekte rechtsgültiger Verfügung müssen ebenso wie die Subjekte rechtlichen Handelns von physischer Besitznahme unabhängig sein, wenn ein äußeres Mein und Dein nach Rechtsgesetzen, Eigentum ohne „detentio“ oder physische Inhabung überhaupt möglich sein können soll. Diese für das Recht spezifische Idealität, die zugleich seine praktische Realität ausmacht, ist keine idealistische Ideosynkrasie, sondern eine große, für die Geltung und die Funktion des Rechts in jeder modernen bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft unverzichtbare, in der Regel allerdings übersehene Entdeckung Kants. 3. Die synthetische Erweiterung der praktischen Vernunft hat über das Bisherige systematisch hinausgehend weitere, ebenfalls weitreichende Konsequenzen:

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§ 6, Titel, VI 24934-25017 und 2523-10. „Nun will die praktische Vernunft durch ihr Rechtsgesetz, daß ich das Mein und Dein in der Anwendung auf Gegenstände nicht nach sinnlichen Bedingungen, sondern abgesehen von denselben, weil es eine Bestimmung der Willkür nach Freiheitsgesetzen betrifft, auch den Besitz desselben denke, indem nur ein Verstandesbegriff unter Rechtsbegriffe subsumirt werden kann. Also werde ich sagen: ich besitze einen Acker, ob er zwar ein ganz anderer Platz ist, als worauf ich mich wirklich befinde. Denn die Rede ist hier nur von einem intellectuellen Verhältniß zum Gegenstande, so fern ich ihn in meiner Gewalt habe (ein von Raumesbestimmungen unabhängiger Verstandesbegriff des Besitzes), und er ist mein, weil mein zu desselben beliebigem Gebrauch sich bestimmender Wille dem Gesetz der äußeren Freiheit nicht widerstreitet. Gerade darin: daß abgesehen vom Besitz in der Erscheinung (der Inhabung) dieses Gegenstandes meiner Willkür die praktische Vernunft den Besitz nach Verstandesbegriffen, nicht nach empirischen, sondern solchen, die a priori die Bedingungen desselben enthalten können, gedacht wissen will, liegt der Grund der Gültigkeit eines solchen Begriffs vom Besitze (possessio noumenon) als einer allgemeingeltenden Gesetzgebung; denn eine solche ist in dem Ausdrucke enthalten: ,Dieser äußere Gegenstand ist mein‘, weil allen andern dadurch eine Verbindlichkeit auferlegt wird, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs desselben zu enthalten.“ (§ 7, VI 25315-36) 13

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3.1. Neben das in der Kritik der reinen Vernunft exponierte „Naturgesetz“ tritt nicht allein das dort bereits angekündigte „Sittengesetz“14, sondern es treten, unter Erweiterung auch des Systems synthetischer Urteile a priori, wie unter 1. schon zitiert, „synthetische Rechtssätze a priori“ hinzu, „deren Beweis (wie bald gezeigt werden soll) nachher in praktischer Rücksicht auf analytische Art geführt werden kann.“ (§ 7, VI 25519-21). 3.2. Dies wiederum hat in mehrfacher Dimensionierung bedeutsame Erweiterungen von Kants methodischem Verfahren zur Konsequenz: 3.2.1. Die erste dieser Erweiterungen hebt Kant selbst mehrfach als „besonders merkwürdig“ (VI 25516) hervor. Es ist die diametrale Umkehrung des Verfahrens der theoretischen Vernunft im Umgang mit synthetischen Urteilen a priori „in diesem praktischen“ (§ 6, VI 2523ff.). Danach sind „synthetische Rechtssätze a priori“ allein dadurch möglich, dass praktische Vernunft den Prinzipien der theoretischen zuwider das für das Recht spezifische Verfahren der Abstraktion oder des ,Wegschaffens‘ „aller Bedingungen der Anschauung“ anwendet. Während also Begriffe und synthetische Grundsätze des reinen Verstandes nur dadurch objektive Realität und Allgemeingültigkeit gewinnen, dass sich Formen des reinen Denkens und Anschauens in der Bestimmung des in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen a priori vereinigen, bestimmt praktische Vernunft als rechtlich-praktische – d.i. nur als rechtliche, nicht als ethische – das Handeln in der Beziehung auf „das [d.h. alles] Äußere (Brauchbare)“ so, dass es „auch das Seine von irgend jemanden werden könne“ (§ 6, VI 25213-15). Dadurch werden sowohl die Beziehungen zu anderen Handlungssubjekten als „intellectuelle“15 Verhältnisse als auch alle Objekte dieses Handelns als intelligible Gegenstände oder noumena und der Besitz als possessio noumenon begriffen bzw. in eine solche Idealität transformiert durch das Verfahren der Abstraktion von aller Sinnlichkeit und Empirie, von Raum und Zeit. Damit grenzt Kant nicht nur seine Konzeption der Begründung von Eigentum durch einen synthetisch erweiterten Begriff des „bloß rechtlichen Besitzes“ (§ 6, Titel) und „synthetische Rechtssätze a priori“ gegenüber Lockes Ansatz empirisch-physischer Inhabung und Bearbeitung ab16. Er zeigt vielmehr, dass, weil „der Rechtssatz a priori in Ansehung des empirischen Besitzes […] analytisch“ ist, jeder empiristische Ansatz nicht in der Lage ist, ein über „das innere Meine (meine Freiheit)“ hinausgehendes Recht zu begründen, 14 „Die Gesetzgebung der menschlichen Vernunft (Philosophie) hat nun zwei Gegenstände, Natur und Freiheit, und enthält also sowohl das Naturgesetz, als auch das Sittengesetz, anfangs in zwei besonderen, zuletzt aber in einem einzigen philosophischen System. Die Philosophie der Natur geht auf alles, was da ist, die der Sitten nur auf das, was da sein soll.“ (KrV B 868) 15 VI 25421. § 7, „Anwendung des Princips der Möglichkeit des äußeren Mein und Dein auf Gegenstände der Erfahrung“ betitelt, ist für das komplexe Verhältnis von Idealität und Empirie besonders wichtig, und zwar sowohl den „Grund der Gültigkeit eines solchen Begriffs vom Besitze (possessio noumenon) als einer allgemeingeltenden Gesetzgebung“ (VI 25331-33) als auch die „Kritik der rechtlich-praktischen Vernunft“ (VI 25433-25521) betreffend. 16 Auf den sich Kant ohne Namensnennung, aber mit der Wendung „mir den Apfel aus der Hand reißt“ deutlich erkennbar, in § 6, VI 2505 bezieht.

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also über eine bloß moralisch-ethische Gesetzgebung nicht hinausgelangt. (§ 6, VI 24935–2509) Damit unterstreicht Kant nochmals, was schon unter 2. notiert worden ist: Die Idealität, Intelligibilität oder Intellektualität des Rechts, der Gesetze, des Eigentums und seiner Gegenstände ist nicht eine „metaphysische Grille“ oder kantische Ideosynkrasie, sondern conditio sine qua non des Rechts, nicht nur seiner theoretischen Begründung, sondern seines Funktionierens in all seinen Dimensionen.17 3.2.2. Die synthetische Erweiterung der Vernunft zur rechtlich-praktischen führt zu einer allerdings nur prima vista paradoxen Antinomie, damit zu einer ebenfalls nur selten beachteten „Kritik der rechtlich-praktischen Vernunft“ und schließlich zu ihrer im Vergleich mit den Antinomien im Weltbegriff der Kritik der reinen Vernunft ebenfalls eher unscheinbaren Auflösung18. 3.2.3. Noch unscheinbarer – nämlich in einem kurzen Halbsatz versteckt – ist ein drittes Moment dieser Erweiterung: es ist die dadurch gewonnene „Befugnis“ zu allseitiger Verpflichtung, die daraus resultierende Erweiterung des Begriffs des Besitzes zum „bloßrechtlichen“ oder „intelligiblen Besitz“, zur „possessio noumenon“ und schließlich zu ebenfalls dadurch möglich gewordenen weiteren „synthetische[n] Rechtssätze[n] a priori […], deren Beweis […] auf analytische Art geführt werden kann.“ (§ 7, VI 25519-21) Durch dieses Moment erweist sich Kants Verfahren in der Rechtslehre als sowohl analytisch als auch synthetisch. Analytisch ist es, insofern rechtliche Bestimmungen „als Gesetze a priori nothwendig, d.i. aus Begriffen des äußeren Rechts überhaupt von selbst folgend“19 abgeleitet werden. Synthetisch sind die oben vorgestellten und zitierten Begriffe und Rechtssätze oder -gesetze jedoch gerade dadurch, dass sie die „bloßen Begriffe vom Rechte überhaupt“ über das in der Einleitung in die Rechtslehre (§§ B-E) Entwickelte hinausgehend erweitern, unbeschadet dessen, dass sie analytisch aus dem rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft gewonnen worden sind. Noch eine weitere Besonderheit verbirgt sich hinter der Behauptung „synthetische[r] Rechtssätze a priori […], deren Beweis […] auf analytische Art geführt werden kann“: In diesem synthetisch-analytischen Verfahren werden Beweise und Beziehungen auf Objekte a priori möglich, was nach kantischen Prinzipien für Ideen 17 Wie angesichts solcher systematischen Einsichten und geradezu revolutionären Neuerungen auch renommierte Kant-Forscher davon sprechen können, Kant habe spätestens seit Mitte der 90er Jahre nichts Neues mehr zu sagen, ist weder nachvollziehbar noch zu verantworten. 18 Rechtslehre § 7, VI 25433-25521. 19 § 45, VI 31311f.; dazu zu vergleichen ist auch – neben der früher schon zitierten Formel von der Unmöglichkeit, die Verpflichtung, den aus einer prima occupatio resultierenden Besitz anzuerkennen, „aus bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt“ herauszubringen (§ 2, VI 2473f.) – etwa § 43, wo aus „dem allgemeinen Begriffe des öffentlichen Rechts nicht bloß das Staats-, sondern auch ein Völkerrecht (ius gentium) […] [die] Idee eines Völkerstaatsrechts (ius gentium) oder des Weltbürgerrechts (ius cosmopoliticum)“ entwickelt werden (VI 31121-26).

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und daraus gebildete synthetische Urteile a priori eigentlich nicht möglich ist. Kant spricht auch diesen Punkt ausdrücklich an, und zwar u. a. in § 6, und löst damit zugleich den bloß scheinbaren Widerspruch auf: „Es darf auch niemand befremden, daß die theoretischen Principien des äußeren Mein und Dein sich im Intelligibelen verlieren und kein erweitertes Erkenntniß vorstellen“, heißt es da, „weil der Begriff der Freiheit, auf dem sie beruhen, keiner theoretischen Deduction seiner Möglichkeit fähig ist und nur aus dem praktischen Gesetze der Vernunft (dem kategorischen Imperativ), als einem Factum derselben, geschlossen werden kann.“ (VI 25225-30) Aus diesen Überlegungen ergibt sich: die im Postulat des § 2 initiierte synthetische Erweiterung und mit ihr alle „synthetische[n] Rechtssätze a priori“ sind, ihrer analytischen Herleitung aus demselben unbeschadet, theoretisch nicht beweisbar, eben weil sie auf dem seinerseits nicht beweisbaren Freiheitsbegriff beruhen. Unbeschadet dessen wiederum können sie insofern „auf analytische Art“ bewiesen werden, als sie unter Voraussetzung der postulierten Erweiterung Allgemeingültigkeit und objektivpraktische Realität gewinnen – eine Geltungs-, Berechtigungs- und Verpflichtungsfunktion, die eben, wie zitiert, „aus „bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt“ nicht zu gewinnen ist. So also sind sie, wie andere praktische Gesetze, etwa die der Ethik auch, theoretisch „unerweislich und doch apodiktisch.“20 3.2.4. Die synthetische Erweiterung involviert aber noch eine weitere, sc. öffentlich-rechtliche, d. h. nicht bloß staatsrechtliche, sondern auch völkerrechtliche und weltbürgerrechtliche Funktion und Dimension: Aus der analytisch-deduktiven Sequenz der §§ 2, 6, 7 – 9 und der §§ 14 – 17, 41 – 42, 44, 45, 46 – 49 ergibt sich nämlich: die durch das Postulat der rechtlich-praktischen Vernunft des § 2 als „Erlaubnisgesetz“ erteilte „Befugniß […], allen andern eine Verbindlichkeit aufzulegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände unserer Willkür zu enthalten, weil wir zuerst sie in unseren Besitz genommen haben“ (VI 2472-6) ist dann und nur dann eine rechtliche Befugnis und rechtswirksam, wenn der einseitige Wille des ursprünglich Aneignenden (§ 8) und ursprünglich Erwerbenden (§§ 14 – 17) „gemäß der Idee eines möglichen vereinigten Willens“ (§ 10, VI 25825f.) ausgeführt wird oder „nur so fern er in einem a priori vereinigten […] absolut gebietenden Willen enthalten ist; denn der einseitige Wille (wozu auch der doppelseitige, aber doch besondere Wille gehört) kann nicht jedermann eine Verbindlichkeit auflegen, die an sich zufällig ist, sondern dazu wird ein allseitiger, nicht zufällig, sondern a priori, mithin nothwendig vereinigter und darum allein gesetzgebender Wille erfordert“ (§ 14, VI 26320-27). Dieser „allen andern eine Verbindlichkeit“ auferlegende Wille muss daher „die bürgerliche Verfassung, obzwar ihre Wirklichkeit subjectiv zufällig ist, gleichwohl [als] objectiv, d.i. als Pflicht“ (§ 15, VI 2645f.) wollen. Er ist „in Hinsicht auf dieselbe und ihre Stiftung“ dem „Rechtsgesetz der Natur […] unterworfen“ (ebd. 2647f.), seine Rechtskraft „kann nur in der Idee eines a priori vereinigten (nothwendig zu vereinigenden) Willens Aller liegen, welche hier als unumgängliche Be20 VI 22527f. ; in diesem Kontext der philosophia practica universalis thematisiert Kant ebenfalls die theoretische Unbeweisbarkeit und die objektive Realität praktischer Gesetze (VI 22514-31).

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dingung (conditio sine qua non) stillschweigend vorausgesetzt wird“. (VI 26417-20) Er „kann also nur in Conformität mit der Idee eines bürgerlichen Zustandes, d.i. in Hinsicht auf ihn und seine Bewirkung, aber vor der Wirklichkeit desselben (denn sonst wäre die Erwerbung abgeleitet), mithin nur provisorisch […] etwas Äußeres ursprünglich“ erwerben (ebd. 26417-27). Rechtswirksam ist dieser Wille also nur, insofern er in dieser Idee eines allgemeinen Willens enthalten und insoweit selbst allgemeiner Wille ist. II. Synthetische Erweiterung der praktischen Vernunft und systematische Unabhängigkeit des Rechts Spätestens mit der letzten, in I.3.2.4. notierten synthetischen Erweiterung, die Kant selbst als analytische Konsequenz aus den in I.3.2.1.–3. notierten Momenten, d. h. als aus dem Postulat des § 2 entwickelt, begreift, wird deutlich, dass und wodurch das Recht vom Sittengesetz und der Ethik systematisch unabhängig ist. Ein allgemeiner – und gar „ein jeden anderen verbindender, mithin collectiv allgemeiner (gemeinsamer) und machthabender Wille“ (§ 8, VI 2568f.) wäre nicht nur „aus bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt nicht“, sondern auch aus dem kategorischen Imperativ – in welcher seiner verschiedenen Formulierungen der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, der Kritik der praktischen Vernunft oder der Metaphysik der Sitten selbst21 auch immer – „nicht heraus[zu]bringen“ (§ 2, VI 2472f.). Auch hierfür ist in letzter Konsequenz der Text der Metaphysik der Sitten ausschlaggebend: Alle praktischen Gesetze sind der philosophia practica universalis der Metaphysik der Sitten zufolge kategorische Imperative22 und folgen aus dem Begriff der Freiheit23. Ethische Imperative, Gesetze, die ethische Gesetzgebung24 insgesamt folgen daraus rein analytisch. Die Rechtsgesetze als synthetische „dictamina rationis“25 dagegen bedürfen, wie vorstehend gezeigt und von Kant in den §§ 6 und 7 an den o. a. Stellen ausführlich erklärt, einer erweiterten Gesetzgebung der praktischen Vernunft, bezogen auf alles „Äußere (Brauchbare)“. Darüberhinausgehend bedürfen sie eines allgemeinen, machthabenden und „absolut gebietenden“ Willens, in dem der „einseitige“ und „besondere Wille“ des einzelnen „enthalten“ sein muss, wenn er „alle anderen“ verpflichten und als rechtswirksam anerkannt werden können soll.26 Ein solcher Wille, d.i. die von Kant in spezifischer Weise transformierte volonté générale Rousseaus, wird, wie noch gezeigt werden wird, bereits im Privatrecht systematisch „stillschweigend vorausgesetzt“ (§ 15, VI 26420). 21

VI 2256-13 ; 2261-3. VI 22119-36, 2223f.; 22235-22317; 2251-31, 2261-3; 22710f. . 23 VI 2217-36. 24 Zur Unterscheidung zwischen ethischer und juridischer Gesetzgebung und ihren Konsequenzen vgl. insbesondere VI 21824-2213. 25 § 6, VI 24935. 26 § 14, VI 26319-30 in Verbindung mit § 2, 2471-8, § 7, VI 25315-36, § 9, 2576-19, § 10, 25822-27, § 15, 26417-28, § 16, 26711-23 und § 17, 26820-30. 22

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Die systematische Unabhängigkeit des Rechts und der Rechtslehre von der Ethik ist damit erwiesen. Und ebenso dies, dass alle weiteren Deduktionen, Argumentationen und Begründungen systematisch bedingt sind durch das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft des § 2, d.i. von dessen Text und der Triftigkeit der dort exponierten Begründung des Postulats. Ein kategorischer Imperativ gebietet daher allen Editoren der Rechtslehre, den Text des § 2 nicht zu zerstören oder gar zu eliminieren. Dieser Text, von dem Kants Rechtslehre, wie gezeigt, in ihrer Geltung abhängt, erfordert und verdient daher philosophisch und philologisch eine genauere Betrachtung. III. Erster synthetischer Rechtssatz a priori und Rechtsgesetz27 aus dem Begriff: „Rechtliches Postulat der praktischen Vernunft“ 1. Die verschiedenen Versionen des Postulats Das Postulat tritt in einer ganzen Reihe verschiedener Formulierungen auf28, in denen sich jeweils höchst verschiedene Bedeutungen, Funktionen und Dimensionen seiner Wirkungsweise ausdrücken: „Es ist möglich, einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben; d.i.: eine Maxime, nach welcher, wenn sie Gesetz würde, ein Gegenstand der Willkür an sich (objectiv) herrenlos (res nullius) werden müßte, ist rechtswidrig“ (§ 2, VI 2465-8)29. 27

Als „Rechtsgesetz“ bezeichnet Kant das Postulat ausdrücklich in § 7, VI 25316. Außer den nachstehend im Haupttext zitierten, explizit auf das Postulat bezogenen Formeln sind auch die folgenden Varianten beachtenswert: „Nun will die praktische Vernunft durch ihr Rechtsgesetz, daß ich das Mein und Dein in der Anwendung auf Gegenstände nicht nach sinnlichen Bedingungen, sondern abgesehen von denselben, weil es eine Bestimmung der Willkür nach Freiheitsgesetzen betrifft, auch den Besitz desselben denke, indem nur ein Verstandesbegriff unter Rechtsbegriffe subsumirt werden kann.“ (§ 7, VI 25315-20) „[…] es [muß] rechtlich möglich sein […], einen äußeren Gegenstand als das Seine zu haben“ (§ 8, VI 25614f.). „[…] so bleibt das rechtliche Princip in Kraft: ,Der, welcher nach einer Maxime verfährt, nach der es unmöglich wird, einen Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben, lädirt mich‘“ (§ 9, VI 25625-27). „[…] weil nach dem Postulat der praktischen Vernunft jedermann das Vermögen zukommt, einen äußeren Gegenstand seiner Willkür als das Seine zu haben, mithin jede Inhabung ein Zustand ist, dessen Rechtmäßigkeit sich auf jenem Postulat durch einen Act des vorhergehenden Willens gründet, und der, wenn nicht ein älterer Besitz eines Anderen von ebendemselben Gegenstande dawider ist, also vorläufig, nach dem Gesetz der äußeren Freiheit jedermann, der mit mir nicht in den Zustand einer öffentlich gesetzlichen Freiheit treten will, von aller Anmaßung des Gebrauchs eines solchen Gegenstandes abzuhalten berechtigt, um dem Postulat der Vernunft gemäß eine Sache, die sonst praktisch vernichtet sein würde, seinem Gebrauch zu unterwerfen.“ (§ 9, VI 25725-36] 29 Auf diese Formel werde ich mich im folgenden unter der Bezeichnung „ursprüngliche Formel“ beziehen. 28

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„Also ist es eine Voraussetzung a priori der praktischen Vernunft einen jeden Gegenstand meiner Willkür als objektiv mögliches Mein oder Dein anzusehen und zu behandeln.“ (§ 2, VI 24632-35) „[…] ein jeder äußere Gegenstand der Willkür kann zu dem rechtlich Meinen gezählt werden, den ich (und auch nur so fern ich ihn) in meiner Gewalt habe, ohne im Besitz desselben zu sein.“ (§ 6, VI 2528-10)

Und schließlich: „Rechtliche[s] Postulat der praktischen Vernunft: ,daß es Rechtspflicht sei, gegen Andere so zu handeln, daß das Äußere (Brauchbare) auch das Seine von irgend jemanden werden könne‘“ (§ 6, VI 25213-15).

2. Das Postulat: der Wille der Vernunft30 und ihre (Selbst-)Erweiterung 2.1. Keiner der vorstehend zitierten Rechtssätze folgt, wie immer wieder einmal behauptet wird, aus „dem Sittengesetz“, nicht einer verdankt seine „Verbindlichkeit dem kategorischen Imperativ“31. Denn weder „ein[] jede[r] äußer[e] Gegenstand meiner Willkür“ noch ein „objektiv mögliches Mein oder Dein“, noch das Äußere (Brauchbare), noch der Besitz eines solchen oder gar die „Befugniß […], die wir aus bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt nicht herausbringen könnten: nämlich allen andern eine Verbindlichkeit aufzulegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände unserer Willkür zu enthalten, weil wir zuerst sie in unseren Besitz genommen haben“ (Rechtslehre § 2, VI 2472-6), ist in den Begriffen und Formeln einer der Versionen des kategorischen Imperativs der Ethik oder in einem der „bloßen Begriffe[n] vom Rechte überhaupt“ (VI 2473, Hervorhebung B.T), d.i. in den Rechtsbegriffen der §§ B–E der Rechtslehre, enthalten. Sie sind daraus also nicht ableitbar, von den daraus resultierenden Verbindlichkeiten ganz zu schweigen. Denn es sind „synthetische Rechtssätze a priori“32. Das Postulat verdankt seine Geltung also nicht „dem kategorischen Imperativ“33, sondern, wie oben ge-

30 Dieser Wille der Vernunft sollte vom vernünftigen Willen in uns Menschen wohl unterschieden werden. 31 So zuletzt Hariolf Oberer, Noch einmal zu Kants Rechtsbegründung, in: Kant-Studien 101, 2010, S. 384 (wie oben in Fußnote 4 zitiert). 32 Vgl. dazu Rechtslehre § 6, VI 24934-25017. 33 Zu beachten ist dabei, was in der Diskussion in der Regel ignoriert wird: In der Metaphysik der Sitten spricht Kant nicht nur von dem kategorischen Imperativ, sondern von einer Vielzahl von kategorischen Imperativen, Vernunftgesetzen (dictamina rationis); vgl. dazu VI 2251-8, 2261-11, 22711, 24934f. u. ö., gelegentlich sogar von einem „formale[n] Princip der Pflicht im kategorischen Imperativ“ (VI 3891f. , Hervorhebung B.T.) als Verpflichtungsgrund. – Darauf ist noch zurückzukommen. Hier sei aus den der Metaphysik der Sitten „in ihren beiden Theilen gemein[en]“ „Vorbegriffen“ der philosophia practica universalis nur dieser zitiert: „Gesetz (ein moralisch praktisches) ist ein Satz, der einen kategorischen Imperativ (Gebot) enthält“ (VI 22710f.) und unterstrichen, dass „Verbindlichkeit“ dem von Oberer herangezogenen, vorstehend zitierten Satz zufolge nicht aus dem, sondern, per definitionem, aus einem „katego-

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zeigt, der synthetischen Erweiterung der Vernunft durch sich selbst: „Die Vernunft will, daß dieses als Grundsatz gelte, und das zwar als praktische Vernunft, die sich durch dieses ihr Postulat a priori erweitert.“ (§ 2, VI 2476-8) 2.2. Diese Erweiterung vollzieht sich, wie noch zu zeigen, in drei nach meaning und reference verschiedenen Dimensionen und wird in den §§ 2, 4 – 6, 7, 8 und 14 – 17 der Rechtslehre entsprechend unterschiedlich begründet. 2.2.1. Die erste Dimension der synthetischen Erweiterung ist die Beziehung der praktischen Vernunft als rechtlicher auf die Totalität der Gegenstände der Willkür als mögliches äußeres Mein und Dein, eine Beziehung, die eo ipso zugleich Beziehung auf die Totalität der Subjekte des Rechts und der Verpflichtung (§ 2) ist. 2.2.2. Die zweite Dimension – vollzogen in den §§ 4 – 6, 7, 8, insbesondere in § 6 – ist die Erweiterung des Begriffs des Besitzes über den empirischen (physischen, sinnlichen) „nach Absonderung aller Bedingungen des empirischen Besitzes im Raum und Zeit […] [zur] Voraussetzung der Möglichkeit einer possessio noumenon […] über jene einschränkende Bedingungen hinaus“ (§ 6, VI 2508f.). 2.2.3. Die dritte Dimension der Erweiterung ist die des reinen Willens als gesetzgebenden Willens zum „synthetisch-allgemeinen Willen“ (§ 17, VI 2915) „einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt, d.i. im bürgerlichen Zustande“ (§ 8, Titel), unter Einschluß der Beziehung aller auf alles „Äußere (Brauchbare)“ als das mögliche „Seine von irgend jemanden“ (§ 6, VI 25213-15) und Gegenstand einer „ursprünglichen Erwerbung“ (§ 17, Titel), die „nur in Conformität mit der Idee eines bürgerlichen Zustandes, d.i. in Hinsicht auf ihn und seine Bewirkung, aber vor der Wirklichkeit desselben (denn sonst wäre die Erwerbung abgeleitet), mithin nur provisorisch“ (§ 15, VI 26423-25) möglich ist. Der so bestimmte Wille wird zwar erst in § 17 der Rechtslehre explizit „synthetisch-allgemein“ genannt, tritt aber schon in § 8 als ein „jeden anderen verbindender, mithin collectiv allgemeiner (gemeinsamer) und machthabender Wille“ (VI 2568f.) auf. Als ein solcher ist er jedoch, wie sogleich gezeigt werden wird, implizit bereits in der ersten Erweiterung der Vernunft durch das Postulat des § 2 enthalten, d. h. „stillschweigend vorausgesetzt“ (§ 15, VI 26420) und impliziert. 3. Das Postulat: die Aussage Die erste – ursprüngliche – der oben zitierten Formeln des rechtlichen Postulats, paraphrasiert, besagt: „jede[r] äußer[e] Gegenstand meiner Willkür“ (§ 2, VI 2465) oder alles „Äußere (Brauchbare)“ (§ 6, 25214) ist „als objectiv mögliches Mein oder Dein anzusehen und zu behandeln“ (§ 2, VI 24634-35). Das bedeutet: alles „Äußere (Brauchbare)“ ist ein mögliches Mein oder das Sein (suum) eines andern, daher der zweiten obersten Rechtspflicht, dem „neminem laede“, folgend zu respektieren, der dritten Rechtspflicht folgend a priori, also naturrechtlich, den bürgerlichen Zurischen Imperativ“ abzuleiten ist, eben als „Nothwendigkeit einer freien Handlung unter einem kategorischen Imperativ der Vernunft“.

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stand antizipierend, nicht nur (aber auch) positiv-rechtlich zu bestimmen und zu sichern34. 4. Das Postulat: seine Normativität und ihre Dimensionen Die ursprüngliche Formel bezeichnet eine Beziehung a) auf die Totalität der Subjekte rechtlichen Handelns, d.i. eine Beziehung zwischen einem jeden als möglichem Berechtigten und allen anderen als durch den Ersten vom Gebrauch des betreffenden Gegenstandes Ausgeschlossenen und dadurch zur Respektierung dieses Ausschlusses Verpflichteten; und vice versa: jeder andere außer mir ist ebenso wie ich selbst berechtigt, mich und alle anderen durch einen Akt ursprünglicher Erwerbung vom Gebrauch eines Gegenstands der Willkür, der keinem anderen gehört, auszuschließen und zu verpflichten, sein Recht nicht zu verletzen (neminem laede); b) auf die Totalität der Objekte rechtlichen Handelns, d.i. eine Beziehung der Willkür eines jeden auf jeden möglichen Gegenstand, auf alles „Äußere“ oder alles „Äußere (Brauchbare)“. c) Durch a) und b) wird evident, was der oben zitierte Satz – „Die Vernunft will, daß dieses als Grundsatz gelte, und das zwar als praktische Vernunft, die sich durch dieses ihr Postulat a priori erweitert.“ (§ 2, VI 2476-8) – bedeutet: Der Wille der so erweiterten Vernunft ist nicht mehr allein „ein[] reine[r] Wille[] in uns […], in welchem die sittlichen Begriffe und Gesetze ihren Ursprung haben“35, derjenige Wille also, dessen Gesetz „in der Ethik […] als das Gesetz deines eigenen Willens gedacht wird, nicht des Willens überhaupt, der auch der Wille Anderer sein könnte: wo es alsdann eine Rechtspflicht abgeben würde, die nicht in das Feld der Ethik gehört.“ (Einleitung in die Tugendlehre, VI 3893-6).36 Vielmehr ist das Postulat als Rechtsgesetz (§ 7, VI 25316) ein Gesetz des soeben zitierten „Willens überhaupt, der auch der Wille Anderer sein könnte“, und die Pflicht, die es gebietet, ist Rechtspflicht, wie in der Formel des Postulats in § 6 gesagt wird, ,„daß es Rechtspflicht sei, gegen Andere so zu handeln, daß das Äußere (Brauchbare) auch das Seine von irgend jemanden werden könne“‘ (§ 6, VI 25213-15).

34 „Tritt […] in eine Gesellschaft mit Andern, in welcher Jedem das Seine erhalten werden kann (suum cuique tribue).“ (VI 2371-3) „Der Zweck nun, der in solchem äußern Verhältniß an sich selbst Pflicht und selbst die oberste formale Bedingung (conditio sine qua non) aller übrigen äußeren Pflicht ist, ist das Recht der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen, durch welche jedem das Seine bestimmt und gegen jedes Anderen Eingriff gesichert werden kann.“ (Gemeinspruch, VIII 28923-28) Damit substantiell identisch: Rechtslehre § 44, VI 31214-21; vgl. dazu auch VI 23620-2378 und § 8, VI 25523-25613. 35 Vorbegriffe zur Metaphysik der Sitten, VI 22117f. in Verbindung mit VI 21322-26. 36 Den Hinweis auf diese Passage der Einleitung VI in die Tugendlehre verdanke ich Michael Wolff.

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d) Der Wille der Vernunft, die als durch sich selbst erweiterte praktische Vernunft das rechtliche Postulat als Gesetz will, ist als der Grund „einer allgemeingeltenden Gesetzgebung“ (§ 7, VI 25332f.) ein Wille ganz anderer Art als der gesetzgebende Wille der Ethik. Es ist der allgemeine Wille, der den Willen nicht nur des Einzelnen, sondern die besonderen, aber immer noch einseitigen Willen aller in sich einschließt37, ein „a priori vereinigte[r] […] absolut gebietende[r] […] allseitiger, nicht zufällig, sondern a priori, mithin nothwendig vereinigter und darum allein gesetzgebender Wille“ (§ 14, VI 26319-30), der ihnen allen, wie schon das Postulat zeigt, nicht nur gebietet und verbietet wie der kategorische Imperativ des Sittengesetzes, sondern durch kategorische „dictamina rationis“ in „synthetischen Rechtssätzen a priori“ (§ 6, VI 24930–25012 und § 7, 25513-21) jeden einzelnen auch berechtigt und befugt, allen anderen „eine Verbindlichkeit aufzulegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände unserer Willkür zu enthalten, weil wir zuerst sie in unseren Besitz genommen haben“ (§ 2, VI 2472-6 ; § 7, VI 25327-36). e) Eben dieser allgemeine Wille der zur rechtlich-praktischen erweiterten Vernunft – in der Idee also „ein jeden anderen verbindender, mithin collectiv allgemeiner (gemeinsamer) und machthabender Wille“ (§ 8, VI 2568f.) – ist es, der das „ich will, daß etwas Äußeres das Meine sein solle“ zu einem rechtlichen Akt38 und mich selbst allein dadurch, dass ich nicht nur physischen, sondern den bloß rechtlichen oder intelligiblen Besitz will, zum Urheber „einer allgemeingeltenden Gesetzgebung“ macht39. Das in § 2 exponierte und in den nachfolgenden Expositionen und Deduktionen von Begriffen und Gesetzen des äußeren Mein und Dein als theoretische Voraussetzung und normativer Geltungsgrund fungierende rechtliche Postulat der praktischen Vernunft ist also ein Grundsatz oder Gesetz des „stricte[n] Recht[s], […] dem nichts Ethisches beigemischt ist, […] welches keine andern Bestimmungsgründe der Willkür als bloß die äußern fordert; denn alsdann ist es rein und mit keinen Tugendvorschriften vermengt.“ (Einleitung § E, VI 23213-16). Daraus wiederum folgt: Der vorstehend unter c) – e) vorgestellte Wille der praktischen Vernunft ist als der allgemeine Rechtswille „ein allseitiger, nicht zufällig, sondern a priori, mithin nothwendig vereinigter und darum allein gesetzgebender Wille“ (§ 14, VI 26319-30) in einer intensional wie extensional gegenüber dem „reinen Willen in uns“ (VI 2217-18) erweiterten Form. Denn er ist, wie unter c) zitiert, der Ausdruck „des 37

Vgl. dazu § 14, VI 26319-30. Vgl. dazu § 8, VI 25527-25610. 39 „Gerade darin: daß abgesehen vom Besitz in der Erscheinung (der Inhabung) dieses Gegenstandes meiner Willkür die praktische Vernunft den Besitz nach Verstandesbegriffen, nicht nach empirischen, sondern solchen, die a priori die Bedingungen desselben enthalten können, gedacht wissen will, liegt der Grund der Gültigkeit eines solchen Begriffs vom Besitze (possessio noumenon) als einer allgemeingeltenden Gesetzgebung; denn eine solche ist in dem Ausdrucke enthalten: ,Dieser äußere Gegenstand ist mein,‘ weil allen andern dadurch eine Verbindlichkeit auferlegt wird, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs desselben zu enthalten.“ (§ 7, VI 25327-36) 38

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Willens überhaupt, der auch der Wille Anderer sein könnte“ (VI 3893-6) Ja, er muss ein solcher, alle andern und jeden einzelnen einschließender, „in einem a priori vereinigten (d.i. durch die Vereinigung der Willkür Aller, die in ein praktisches Verhältniß gegen einander kommen können) absolut gebietenden Willen enthalten […] ein allseitiger, nicht zufällig, sondern a priori, mithin nothwendig vereinigte[r] und darum allein gesetzgebende[r] Wille“ sein (§ 14, 26319-30), um ,mich‘, d. h. jeden einzelnen, zu berechtigen, ,alle anderen verpflichten‘ zu können. Das bedeutet: es ist ein solcher Wille, der, indem er mich berechtigt und durch meinen Rechtsakt alle andern verpflichtet, auch mich selbst, der ich für die andern Berechtigten ein anderer bin, dazu verpflichtet, das äußere Mein und Dein aller zu respektieren und mit ihnen in den rechtlichen, d.i. den bürgerlichen oder staatlichen Zustand, zu treten. Nur so also, d.i. als synthetisch-allgemein (§ 17, VI 26915) begriffen, ist dieser Wille der praktischen Vernunft nicht nur für einen jeden für sich genommen der Grund ethischer, sondern, auf alle und alles Äußere als mögliches Mein, Dein und Sein bezogen, auch und zuallererst der Grund juridischer Gesetzgebung40 : der alle als Subjekte eines einzelnen und besonderen41 Willens allgemein berechtigende und zugleich verpflichtende „allseitige[] […] a priori, mithin nothwendig vereinigte[] und darum allein gesetzgebende[] Wille“ ist daher auch das Prinzip, das „ein Recht überhaupt, und also auch ein äußeres Mein und Dein möglich“ (§ 14 VI 26326-30) macht. Damit hat sich ergeben: Schon der sich in § 2, im rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft, artikulierende Wille der praktischen Vernunft ist dieser „allseitige[] […] a priori […] vereinigte[] […] allein gesetzgebende[] Wille“, der „Recht überhaupt“ möglich macht. Damit erweist sich das Postulat nicht nur, wie oben apostrophiert, als das erste synthetische „Rechtsgesetz“42 aus dem Begriff. Es ist als Bedingung der Möglichkeit von „Recht überhaupt“ das „erste und fundamentale Gesetz der Natur“43, Grundgesetz des Naturrechts, Deduktionsbasis allen äußeren Rechts überhaupt, aller weiteren juridischen Gesetzgebung und der daraus 40

Zu diesen von Kant strikt getrennten Formen der Gesetzgebung vgl. VI 218 – 221 in Verbindung mit 21413-30. – Schon ca. 150 v. Chr. arbeitet der skeptische Akademiker Karneades in Ciceros Referat seiner Naturrechtskritik diese spezifische Differenz der iustitia gegenüber allen anderen Tugenden wie folgt heraus: „cum ceterae virtutes quasi tacitae sint et intus inclusae, solam esse iustitiam, quae nec sibi tantum conciliata sit nec occulta, sed foras tota promineat […]“ (Cicero, de re publica III 10). Gerechtigkeit „geht“ also kraft ihres Begriffs nach „draußen“: dies ist ihre differentia specifica gegenüber den bloß ,inneren‘ ethischen Tugenden. – Um so bemerkenswerter ist es, dass mehr als 2000 Jahre danach nicht nur einige Kant-Interpreten, sondern viele auch dem main stream angehörige Philosophen diese spezifische Differenz des Rechts von der Ethik immer noch nicht begreifen wollen, sondern das Recht auf Moral reduzieren. 41 Zur Einzelnheit und Besonderheit des individuellen Willens und der Notwendigkeit seiner Vereinigung mit dem allgemein gesetzgebenden Willen vgl. § 14, VI 26323-30. 42 So bezeichnet Kant es ausdrücklich in § 7, VI 25316. 43 So der terminus des Thomas Hobbes, de Cive 2.2.: „prima autem & fundamentalis lex naturae“, das inhaltlich allerdings etwas ganz anderes aussagt als Kants Postulat.

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resultierenden Gesetze, damit des „rechtlichen Zustande[s] unter einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt, d.i. im bürgerlichen Zustande“. Denn „Etwas Äußeres als das Seine zu haben, ist nur in einem [solchen] Zustande […] möglich“ (§ 8, Titel). Der letzte Satz des § 2 – „Die Vernunft will, daß dieses als Grundsatz gelte, und das zwar als praktische Vernunft, die sich durch dieses ihr Postulat a priori erweitert“ (§ 2, VI 2476-8) – impliziert daher: • Das Postulat ist „ein praktisches Gesetz“, d.i. ein „Grundsatz, welcher gewisse Handlungen zur Pflicht macht“. (VI 2251f.) • Eo ipso ist es ein „kategorische[r] Imperativ, der überhaupt nur aussagt, was Verbindlichkeit sei […]: handle nach einer Maxime, welche zugleich als ein allgemeines Gesetz gelten kann!“ (VI 2256-8) Als für das Ius44 spezifischer Grundsatz oder Rechtsgesetz ist das Postulat, die zitierte „Verbindlichkeit“ näher bestimmend, den „bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt“ (VI 2473) der §§ B–E folgend „ein Gesetz, welches mir eine Verbindlichkeit auferlegt, aber ganz und gar nicht erwartet, noch weniger fordert, daß ich ganz um dieser Verbindlichkeit willen meine Freiheit auf jene Bedingungen selbst einschränken solle, sondern die Vernunft sagt nur, daß sie in ihrer Idee darauf eingeschränkt sei und von andern auch thätlich eingeschränkt werden dürfe; und dieses sagt sie als ein Postulat, welches gar keines Beweises weiter fähig ist.“ (§ C, VI 23112-18) Damit fällt das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft des § 2 jedoch nicht mit dem eben zitierten Postulat des § C einfach zusammen. In § 2 sagt die sich selbst erweiternde Vernunft entschieden mehr; und dieses Mehr ist gerade „die Befugniß […], die wir aus bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt nicht herausbringen könnten: nämlich allen andern eine Verbindlichkeit aufzulegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände unserer Willkür zu enthalten, weil wir zuerst sie in unseren Besitz genommen haben“ (Rechtslehre § 2, VI 2472-6). Dass und wie diese „Befugniß“ möglich ist und als einer der „synthetische[n] Rechtssätze a priori“45 Gesetz werden kann, muss daher über das in den Einleitungen in die Metaphysik der Sitten und in die Rechtslehre Gesagte hinausgehend besonders begründet werden. 5. Das Postulat: seine Begründung im Text von § 2 der Rechtslehre 5.1. Kants Begründung des Postulats erscheint zunächst als ganz einfach: Was empirisch, sinnlich zu gebrauchen in meiner Macht steht, das „Äußere (Brauchbare)“, ist Gegenstand meiner Willkür. Kann es sein, dass es „mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze“ nicht zusammenstimmt, also rechtlich ausgeschlossen ist, das Äußere (Brauchbare) rechtlich (de iure, von Rechts 44 „Die Ethik giebt nicht Gesetze für die Handlungen (denn das thut das Ius), sondern nur für die Maximen der Handlungen.“ (Einleitung in die Tugendlehre VI., VI 38832f.) 45 Vgl. dazu insgesamt Rechtslehre § 6, VI 24930-25017 und 25137-25210.

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wegen) zu gebrauchen? Kann es, anders gesagt, ein Gesetz geben, das verbietet, was das Postulat fordert46? Ein solches Gesetz kann es (theoretisch) und darf es (praktisch, normativ) nach Kants Überzeugung nicht geben. Denn dann „würde die Freiheit sich selbst des Gebrauchs ihrer Willkür in Ansehung eines Gegenstandes derselben berauben, dadurch daß sie brauchbare Gegenstände außer aller Möglichkeit des Gebrauchs setzte, d.i. diese in praktischer Rücksicht vernichtete und zur res nullius machte“ (§ 2, VI 24613-17). Also „kann sie [sc. die reine praktische Vernunft] in Ansehung eines solchen Gegenstandes kein absolutes Verbot seines Gebrauchs enthalten, weil dieses ein Widerspruch der äußeren Freiheit mit sich selbst sein würde.“ (§ 2, VI 24619-25). Daraus folgt theoretisch die „Voraussetzung a priori der praktischen Vernunft einen jeden Gegenstand meiner Willkür als objectiv mögliches Mein oder Dein anzusehen und zu behandeln.“ (§ 2, VI 24632-35). 5.2. Mit der dritten der oben zitierten Formeln des Postulats – „ein jeder äußere Gegenstand der Willkür kann zu dem rechtlich Meinen gezählt werden, den ich (und auch nur so fern ich ihn) in meiner Gewalt habe, ohne im Besitz desselben zu sein.“ (§ 6, VI 2528-10) – scheint sich Kant das Hobbessche ius in omnia zueigen zu machen. Das ist jedoch nicht der Fall. Zwar eröffnet das Postulat die „Befugnis“, dass alles „Äußere (Brauchbare) auch das Seine von irgend jemanden werden könne“ (§ 6, VI 25213-15). Ein ius aber ist diese Befugnis nicht. Nach Kants Prinzipien begründen natürliche Fähigkeiten oder das physische Vermögen überhaupt weder Freiheit noch Recht noch die Rechtmäßigkeit des Gebrauchs der Willkür. Vielmehr ist a priori bestimmt, welcher Gebrauch der Willkür rechtlich ist und welcher nicht. Ein Recht – „bloß rechtlichen“, „intelligiblen“ Besitz, d.i. Eigentum – begründet der Willkürgebrauch nur dann, wenn er „mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetz […] zusammen bestehen“ kann. Kann er es nicht, ist er unrecht (VI 24611f.). Das ius in omnia oder „alles zu haben und zu tun ist im Naturzustand allen erlaubt“ (Hobbes, de cive 1.10.) mit der Konsequenz, dass alles recht, nichts unrecht ist47, ist nach Kants Prinzipien ausgeschlossen. 5.3. Was aber ist a priori erlaubt? Wie kann a priori bestimmt werden, was Mein, Dein oder Sein ist? Wie also ist – insbesondere unter Abstraktion vom rechtlichen, bürgerlichen oder staatlichen Zustand, von allem Öffentlichen Recht – das Jedem das Seine (suum cuique tribuere), Gerechtigkeit, überhaupt und a priori möglich? Diese letzte Frage ist im Vorgriff auf die §§ 7 – 9, 14 – 17 und 44 der Rechtslehre relativ leicht zu beantworten und oben auch prinzipiell bereits beantwortet worden: Im Naturzustand ist zwar „nur provisorisches äußeres Mein und Dein“ (§ 9, Titel) möglich. Es ist dennoch „ein wirkliches“ (§ 9, Titel, VI 25620) und gilt als rechtliche Befugnis und als Verpflichtung uneingeschränkt: „Was ich (nach dem Gesetz der äußeren Freiheit) in meine Gewalt bringe, und wovon als Object meiner Willkür Gebrauch zu ma46

Nämlich die Möglichkeit, „einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben“ (§ 2, VI 2465-8) oder „einen jeden Gegenstand meiner Willkür als objectiv mögliches Mein oder Dein anzusehen und zu behandeln“ (§ 2, VI 24632-35). 47 „Nothing can be Unjust“ (Leviathan 13.13.), vgl. auch de cive 1.10. annotatio.

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chen ich (nach dem Postulat der praktischen Vernunft) das Vermögen habe: endlich, was ich (gemäß der Idee eines möglichen vereinigten Willens) will, es solle mein sein, das ist mein.“ (§ 10, VI 25822-27). Hiernach ist es also allein die Beziehung auf den bereits angesprochenen „synthetisch-allgemeinen Willen“ (§ 17, VI 26915), d.i. die Beziehung auf einen, sei es existierenden, sei es erst noch herzustellenden „bürgerlichen“ oder „staatlichen“ Zustand, die dem Postulat48 rechtliche Wirksamkeit und dem Akt der Aneignung Rechtskraft, d.i. Allgemeingültigkeit und Verbindlichkeit, verschafft. Daher bedarf das „Recht überhaupt“49 und insbesondere ein „äußeres Mein und Dein“ über die in den §§ B–E der Einleitung in die Rechtslehre vorgetragenen „bloßen Begriffe vom Rechte überhaupt“ (§ 2, VI 2473) hinausgehend zumindest zweier weiterer Bestimmungen: Zum einen ist ein über physische Inhabung und die Zufälligkeit empirisch-physischer Verfügungsmöglichkeiten hinausgehender Begriff des nichtphysischen, nichtempirischen, nichtsinnlichen Verfügenkönnens und Besitzens auch ohne physisch-sinnliche Inhabung – ein „Begriff des bloß rechtlichen“ oder „intelligiblen Besitzes“50 also – erforderlich. Zum anderen ist die Institution „einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt“ (§ 8, Titel) die Voraussetzung dafür, dass jedem das Seine bestimmt und gesichert, das dritte oberste Rechtsgebot also erfüllt, Gerechtigkeit, ein äußeres Mein und Dein, schließlich Recht überhaupt wirklich werden kann. 5.4. Nun besitzt die erste, ursprüngliche Formel des Postulats nicht nur eine positive, sondern auch eine negative Komponente, der insbesondere für seine Begründung entscheidende Bedeutung zukommt. Wird das, was sie besagt, Gesetz, so können Gegenstände der Willkür nur „an sich (objectiv) herrenlos (res nullius) werden“, also nicht als „bloß rechtlicher Besitz“ oder Eigentum ursprünglich angeeignet, erworben werden. Daraus folgt die prima vista überzeugende Konsequenz: praktische Vernunft „kann […] in Ansehung eines solchen Gegenstandes kein absolutes Verbot seines Gebrauchs enthalten“ (§ 2, VI 24623f.). Denn so „würde die Freiheit sich selbst des Gebrauchs ihrer Willkür in Ansehung eines Gegenstandes derselben berauben, dadurch daß sie brauchbare Gegenstände außer aller Möglichkeit des Gebrauchs setzte, d.i. diese in praktischer Rücksicht vernichtete und zur res nullius machte“ (VI 24613-17); was wiederum ganz offensichtlich „ein Widerspruch der äußeren Freiheit mit sich selbst sein würde.“ (VI 24624f.). 5.5. So weit, so scheinbar unwiderleglich und evident. Nun enthält aber Kants – wie immer äußerst differenzierte und umsichtige – Argumentation in einem unscheinbaren (daher auch zumeist übersehenen) Nebensatz ein außerordentlich überraschendes Moment, mit dem die vorstehend referierte Argumentation steht und fällt. Der Satz lautet: „obgleich die Willkür formaliter im Gebrauch der Sachen mit jedermanns äußeren Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmte.“ 48 „Es ist möglich, einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben“ (§ 2, VI 2465-8). 49 § 2, VI 2473, § 14, VI 26329, § 45, VI 31312. 50 Vgl. dazu Rechtslehre §§ 1, 4 – 6, 7 passim und § 6, Titel.

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(VI 24617-19) Auch dann also, wenn die „Maxime, nach welcher, wenn sie Gesetz würde, ein Gegenstand der Willkür an sich (objectiv) herrenlos (res nullius) werden müßte, […] rechtswidrig“ ist, wie die negative Komponente des Postulats besagt, würde „die Willkür formaliter im Gebrauch der Sachen mit jedermanns äußeren Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimm[en]“. (VI 24617-19) Diese paradoxe, der Aussage der ursprünglichen Formel des Postulats widersprechende These enthält eine Reihe nicht minder überraschender Implikationen, die nicht nur für das Postulat, sondern für das daraus entwickelte kritische Naturrecht Kants insgesamt systematisch ausschlaggebend sind: 5.5.1. Sowohl die positive Komponente des Postulats als auch die durch die negative Komponente der ursprünglichen Formel ausgeschlossene Maxime stimmen „mit jedermanns äußeren Freiheit nach allgemeinen Gesetzen“ zusammen. Beide sind mithin rechtmäßig. Das bedeutet insbesondere: 5.5.2. Die ausgeschlossene Maxime ist, da formaliter in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Rechtsgesetz des § C, kraft dieses Gesetzes also, d.i. nach „bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt“ (§ 2, VI 2473), nicht „rechtswidrig“. 5.5.3. Das allgemeine Rechtsgesetz ist daher nicht hinreichend dafür, das Postulat in seiner positiven Bedeutung – „Es ist möglich, einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben“ (VI 2465-6) – zu begründen und die ihm widersprechende Maxime, zum Gesetz erhoben, als „rechtswidrig“ auszuschließen. 5.5.4. Auch käme der unter III.5.4. (S. 88) zitierte und exponierte „Widerspruch der äußeren Freiheit mit sich selbst“ nicht zustande. Denn praktische Vernunft würde es durch ihr allgemeines Rechtsgesetz zulassen, dass brauchbare Gegenstände nicht außer aller Möglichkeit des Gebrauchs gerieten, nämlich auch dann gebraucht werden könnten, wenn sie „objectiv herrenlos“ blieben, also nicht bestimmtes Mein und Dein, bloß rechtlicher Besitz oder Eigentum werden könnten. 5.5.5. Dann allerdings wären ein a priori, alle Handelnden berechtigendes und verpflichtendes Mein und Dein, Recht und Gerechtigkeit überhaupt nicht möglich. Die Hobbesschen Konsequenzen wären unausweichlich: „To this warre of every man against every man this is also consequent: that nothing can be unjust. […] It is also consequent to the same condition, that there be no Propriety, no Dominion, no Mine and Thine distinct […]“ (Leviathan 13.13.). 5.5.6. Den Implikaten III.5.5.4. und 5. zufolge würde praktische Vernunft, wenn sie das res-nullius-Sein zum allgemeinen Gesetz machen würde, nicht nur der äußeren Freiheit, sondern auch sich selbst widersprechen, indem sie das, was dem allgemeinen Rechtsgesetz zufolge rechtmäßig ist, ihrem rechtlichen Postulat folgend in seiner negativen Komponente für „rechtswidrig“ erklärt. Wie ist dieser neue, noch weitaus tiefer gehende Widerspruch aufzuheben? 5.5.7. Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus dem Vorherigen ebenfalls mit zwingend logischer Konsequenz: Dieser Widerspruch kann nur aufgehoben werden, wenn zusätzlich zum allgemeinen Rechtsgesetz eine weitere Prämisse angenommen

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wird, welche die der negativen Komponente der ursprünglichen Formel folgend die Herrenlosigkeit zum Gesetz erhebende Maxime ausschließt und eben dadurch die positive Komponente a priori als allein rechtmäßig und allgemeingültig erweist. 5.5.8. Der Satz „Es ist möglich, einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben“ ist als oberstes Rechtsgesetz des Privatrechts und des Öffentlichen Rechts also nur dann a priori erweislich, wenn er als synthetischer Rechtssatz a priori und nicht als bloß logisch-analytische Folge aus vorhergehenden Bestimmungen begriffen, vielmehr durch die postulierte synthetische Selbsterweiterung der praktischen Vernunft zur rechtlich-praktischen begründet wird. Über den bloßen Formalismus des Sittengesetzes und des allgemeinen Rechtsgesetzes der Einleitung in die Rechtslehre hinausgehend muss praktische Vernunft sich also synthetisch erweitern und a priori, unbedingt und allgemeingültig, auf die Materie der Willkür insoweit beziehen, dass sie nicht mehr uneingeschränkt von ihr abstrahieren kann, vielmehr nur von „der übrigen Beschaffenheit des Objects, wenn es nur ein Gegenstand der Willkür ist […]“ (VI 24621f.). Davon also, dass „es […] ein Gegenstand der Willkür“ überhaupt ist, kann sie nicht abstrahieren, wenn sie „will, daß dieses als Grundsatz gelte“ (§ 2, VI 2477), wenn sie für alles „Äußere (Brauchbare)“ also gesetzgebend sein und durch ihr „rechtliche[s] Postulat der praktischen Vernunft“ gebieten können will: „daß es Rechtspflicht sei, gegen Andere so zu handeln, daß das Äußere (Brauchbare) auch das Seine von irgend jemanden werden könne“ (§ 6, VI 25213-15). 5.5.9. Allein kraft dieser synthetischen Erweiterung und Beziehung a priori auf die Gesamtheit aller Objekte der Willkür, auf „das Äußere (Brauchbare)“ als mögliches rechtliches Mein und Dein also kommt auch der Widerspruch, dass praktische Vernunft durch Erhebung der res-nullius-Maxime zum Gesetz „brauchbare Gegenstände außer aller Möglichkeit des Gebrauchs setz[en]“, mithin Vernunft und äußere Freiheit sich selbst widersprechen würden, zustande, dessen Aufhebung es wiederum ermöglicht, den Satz „Es ist möglich, einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben“ als oberstes Rechtsgesetz zu erweisen und die ihm widersprechende Maxime als rechtswidrig auszuschließen. 5.5.10. Diese Erweiterung der praktischen Vernunft ist daher die nach Kants Prinzipien einzig mögliche Begründung der Erhebung des rechtlichen Postulats zum Gesetz, damit zum Fundament des Privatrechts und des Öffentlichen Rechts. 6. Der oberste synthetische Rechtssatz, das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft, ist also Grundsatz und Gesetz. Grundsatz ist es kraft des letzten Satzes von § 2: „Die Vernunft will, daß dieses als Grundsatz gelte, und das zwar als praktische Vernunft, die sich durch dieses ihr Postulat a priori erweitert.“ (VI 2476-8). Gesetz ist es kraft seiner ursprünglichen Formel in Verbindung mit der Formel des § 6 ,„daß es Rechtspflicht sei, gegen Andere so zu handeln, daß das Äußere (Brauchbare) auch das Seine von irgend jemanden werden könne“‘ (§ 6, VI 25213-15) und der Definition des Gesetzes in der philosophia practica universalis: „Der Grundsatz, welcher gewisse Handlungen zur Pflicht macht, ist ein praktisches Gesetz.“ (VI 2251f.) In

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§ 7 schließlich wird es ausdrücklich als das „Gesetz der äußeren Freiheit“ (VI 25326f.) bezeichnet und unter explizitem Rückgriff auf den – in einigen Editionen der Rechtslehre neuerdings eliminierten – § 2 (VI 25412) zitiert. 7. Allein kraft dieser Selbsterweiterung der praktischen Vernunft zur rechtlichpraktischen ist also • ein äußeres Mein und Dein als a priori bestimmtes und bestimmbares Rechtsverhältnis, • Privatrecht, • das suum cuique tribuere, d.i. Gerechtigkeit, • nach Kants Interpretation der dritten Ulpianischen Rechtspflicht daher auch das Öffentliche Recht, • damit wiederum schließlich der gegenüber der Friedensschrift von 1795 systematisch zum „ganzen Endzweck der Rechtslehre innerhalb den Grenzen der bloßen Vernunft“ und „höchsten politischen Gut“ erhobene Ewige Frieden überhaupt möglich. Die Betrachtung des § 2 und seiner Konsequenzen abschließend ist festzuhalten: Das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft als solches ist, wie das allgemeine Rechtsgesetz des § C und der Freiheitsbegriff, auf dem es beruht, „keiner theoretischen Deduction seiner Möglichkeit fähig.“ (§ 6, VI 25227f.) Eben deshalb kann es auch nur und muss es daher postuliert werden. Dies und die darin enthaltene synthetische Erweiterung vorausgesetzt kann die Rechtswidrigkeit der dem Postulat widersprechenden Maxime und der aus ihrer kontrafaktisch angenommenen Gesetzmäßigkeit resultierende Widerspruch erschlossen und ebenso aufgehoben werden. Damit ist aus der postulierten Erweiterung analytisch korrekt erschlossen worden, dass „die reine praktische Vernunft […] kein absolutes Verbot seines Gebrauchs enthalten“ (VI 24623-25) könne. Das Postulat als synthetischer Rechtssatz a priori ist damit analytisch bewiesen, der Wille der Vernunft erfüllt.51

51 „[…] ein Erlaubnißgesetz (lex permissiva) der praktischen Vernunft […], was uns die Befugniß giebt, die wir aus bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt nicht herausbringen könnten: nämlich allen andern eine Verbindlichkeit aufzulegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände unserer Willkür zu enthalten, weil wir zuerst sie in unseren Besitz genommen haben. Die Vernunft will, daß dieses als Grundsatz gelte, und das zwar als praktische Vernunft, die sich durch dieses ihr Postulat a priori erweitert.“ (§ 2, VI 2471-8).

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IV. „Ich will, daß etwas Äußeres das Meine sein solle […]“ 1. „Ein jeden anderen verbindender, mithin collectiv allgemeiner […] und machthabender Wille“ – „peremtorischer“ und „provisorischer“ Besitz: §§ 8, 9 Die Weiterentwicklung des vernünftigen, sich selbst das Gesetz gebenden Willens zum allgemein gesetzgebenden, sich selbst und alle anderen dazu berechtigenden wie verpflichtenden Willen, ,„daß das Äußere (Brauchbare) auch das Seine von irgend jemanden werden könne“‘ (§ 6, VI 25213-15), exponiert Kant in der ihm eigenen lakonischen Kürze wie folgt: Das „ich will, daß etwas Äußeres das Meine sein solle“ (§ 8, VI 25526f.) impliziert „eine Verbindlichkeit, die niemand ohne diesen meinen rechtlichen Act haben würde.“ (§ 8, VI 25528f.). Dies wiederholt scheinbar nur die uns schon seit § 2 bekannte Berechtigung, „allen andern eine Verbindlichkeit aufzulegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände unserer Willkür zu enthalten, weil wir zuerst sie in unseren Besitz genommen haben.“ (§ 2, VI 2474-6) Diese Berechtigung folgt, wie wir gesehen haben, aus dem Postulat und nutzt die darin gebotene „Befugniß“. Das „ich will“ impliziert eo ipso die Verpflichtung aller anderen, sich ihm zu unterwerfen. Denn, wie erinnerlich: „Die Vernunft will, daß dieses als Grundsatz gelte, und das zwar als praktische Vernunft, die sich durch dieses ihr Postulat a priori erweitert.“ (§ 2, VI 2476-8) § 8 exponiert jedoch noch mehr: Eben dasselbe Gesetz der Vernunft impliziert nämlich auch die Selbstverpflichtung des zur prima occupatio Berechtigten, d. h. aller, „jedem Anderen in Ansehung des äußeren Seinen wechselseitig zu einer gleichmäßigen Enthaltung verbunden zu sein; denn die Verbindlichkeit geht hier aus einer allgemeinen Regel des äußeren rechtlichen Verhältnisses hervor.“ (§ 8, VI 25530-32) Davon war in § 2 noch nicht die Rede. § 8 wiederholt also nicht einfach das, was in § 2 als Grund des Rechtsverhältnisses zwischen einem Ich als Berechtigtem und allen anderen als Verpflichteten exponiert worden ist. Vielmehr arbeitet Kant in einer Reihe von Schritten heraus, was in den Formulierungen des § 2 und den oben dazu zusammengestellten Varianten nur implizit angelegt ist: allgemein gesetzgebend, universal berechtigend, verpflichtend und selbstverpflichtend ist nur der Wille „einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt“ und nur unter einem solchen, das heißt „nur in einem rechtlichen Zustande“, nur „im bürgerlichen Zustande“ ist es überhaupt möglich, „Etwas Äußeres als das Seine zu haben“ (§ 8, Titel). Es bedarf daher einer besonderen Erklärung dafür, dass ursprüngliche Bemächtigung ein „rechtliche[r] Act“ sein und „jeden Anderen“ verpflichten kann. Der primus occupans erklärt damit erstens seinen Willen, „etwas Äußeres als das Meine“ zu haben, d. h. „rechtlich“ besitzen zu wollen. Zugleich aber erklärt er damit zweitens eben diese „Verbindlichkeit“, die alle anderen ohne weiteres verpflichtet. Drittens und erneut eo ipso, in ein und demselben Akt verpflichtet er durch sein „ich will, daß etwas Äußeres das Meine sein solle“ sich selbst zur Anerkennung des Rechts

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aller anderen. Dieses „Bekenntniß“ wie die „Sicherstellung“ jedes Anderen bedarf mithin keiner besonderen Erklärung mehr. Beides, die Selbstverpflichtung des primus occupans und die allgemeine „Sicherstellung“ ist vielmehr bereits die analytische Konsequenz „aus einer allgemeinen Regel des äußeren rechtlichen Verhältnisses“ (VI 25533) bzw. ist „schon im Begriffe einer äußeren rechtlichen Verpflichtung wegen der Allgemeinheit, mithin auch der Reciprocität der Verbindlichkeit aus einer allgemeinen Regel enthalten“. (VI 2563-5)52 Das komplexe Zusammenwirken verschiedener Prinzipien in der Begründung dafür, ,„daß es Rechtspflicht sei, gegen Andere so zu handeln, daß das Äußere (Brauchbare) auch das Seine von irgend jemanden werden könne“‘ (§ 6, VI 25213-15), das Recht des primus occupans also nicht zu verletzen, lässt sich nach dieser Erklärung Kants in § 8 so aufschlüsseln: Das Recht „etwas Äußeres als das Meine“ zu haben, gewährt das Postulat des § 2 als „Erlaubniß“ und „Befugniß“. Da es selbst ein Rechtsgesetz ist, enthält es in sich auch diejenigen Bestimmungen, die das allgemeine Rechtsgesetz des § C vorschreibt, dass also die Freiheit aller Beteiligten bereits „in ihrer Idee darauf eingeschränkt sei und von andern auch thätlich eingeschränkt werden dürfe“, dass sie „mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne“ (§ C, VI 23110-17). Danach bedarf es also in der Tat besonderer Verpflichtungserklärungen nicht. Wessen es dennoch zusätzlich bedarf, ist ein weiteres analytisches Implikat beider Postulate, desjenigen des § C und desjenigen des § 2, und einer eben damit verbundenen synthetischen Erweiterung des gesetzgebenden Willens. Denn aus §§ C und 2 zusammengenommen folgt: Grund der „Rechtspflicht […], gegen Andere so zu handeln, daß das Äußere (Brauchbare) auch das Seine von irgend jemanden“ – d. h. von allen (distributiv) – „werden könne“ (§ 6, VI 25213-15) ist „nur ein jeden anderen verbindender, mithin collectiv allgemeiner (gemeinsamer) und machthabender Wille“ 52

Vgl. zu den vorstehend zitierten Momenten den gesamten Kontext: „Wenn ich (wörtlich oder durch die That) erkläre: ich will, daß etwas Äußeres das Meine sein solle, so erkläre ich jeden Anderen für verbindlich, sich des Gegenstandes meiner Willkür zu enthalten: eine Verbindlichkeit, die niemand ohne diesen meinen rechtlichen Act haben würde. In dieser Anmaßung aber liegt zugleich das Bekenntniß: jedem Anderen in Ansehung des äußeren Seinen wechselseitig zu einer gleichmäßigen Enthaltung verbunden zu sein; denn die Verbindlichkeit geht hier aus einer allgemeinen Regel des äußeren rechtlichen Verhältnisses hervor. Ich bin also nicht verbunden, das äußere Seine des Anderen unangetastet zu lassen, wenn mich nicht jeder Andere dagegen auch sicher stellt, er werde in Ansehung des Meinigen sich nach ebendemselben Princip verhalten; welche Sicherstellung gar nicht eines besonderen rechtlichen Acts bedarf, sondern schon im Begriffe einer äußeren rechtlichen Verpflichtung wegen der Allgemeinheit, mithin auch der Reciprocität der Verbindlichkeit aus einer allgemeinen Regel enthalten ist. – Nun kann der einseitige Wille in Ansehung eines äußeren, mithin zufälligen Besitzes nicht zum Zwangsgesetz für jedermann dienen, weil das der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen Abbruch thun würde. Also ist nur ein jeden anderen verbindender, mithin collectiv allgemeiner (gemeinsamer) und machthabender Wille derjenige, welcher jedermann jene Sicherheit leisten kann. – Der Zustand aber unter einer allgemeinen äußeren (d.i. öffentlichen) mit Macht begleiteten Gesetzgebung ist der bürgerliche. Also kann es nur im bürgerlichen Zustande ein äußeres Mein und Dein geben.“ (§ 8, VI 2552625613).

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(§ 8, VI 2568f.), d.i. der Wille „einer allgemeinen äußeren (d.i. öffentlichen) mit Macht begleiteten Gesetzgebung“ (VI 25610-12). Daraus folgt: „Also kann es nur im bürgerlichen Zustande ein äußeres Mein und Dein geben.“ (§ 8, VI 25612f.) Dieser Satz ist der erste „synthetische Rechtssatz a priori“, der auf die unmittelbar vorhergehende Erklärung der „Kritik der rechtlich-praktischen Vernunft“ in § 7 folgt, der zufolge die praktische Vernunft „sich durch bloße, vom Gesetz der Freiheit berechtigte Weglassung empirischer Bedingungen erweitere und so synthetische Rechtssätze a priori aufstellen kann, deren Beweis (wie bald gezeigt werden soll) nachher in praktischer Rücksicht auf analytische Art geführt werden kann.“ (§ 7, VI 25516-21) Damit wird erstmals deutlich, wie das analytisch-synthetische „Verfahren mit dem Rechtsbegriffe“ umgesetzt wird: Der schon in den Postulaten der §§ C und 2 „stillschweigend“ vorausgesetzte53 und in Anspruch genommene allgemeine Wille, der der Wille „einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt“ ist, ist zwar Implikat beider Gesetze, zugleich aber das Ergebnis der im letzten Zitat erneut herausgearbeiteten Selbsterweiterung der „rechtlich-praktischen Vernunft“, die „aus bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt“ (§ 2, VI 2473) nicht folgt. Sowenig also das Privatrecht aus dem kategorischen Imperativ des Sittengesetzes und dem allgemeinen Rechtsgesetz des § C für sich genommen folgt, sowenig folgt daraus das Öffentliche Recht. Beide sind davon theoretisch wie normativ unabhängig. Damit ist nunmehr festzuhalten: das begrifflich Neue in § 8, das über alle bis dahin vorgestellten Bestimmungen des Rechts hinausführt, ist die Erweiterung des Begriffs des gesetzgebenden Willens der praktischen Vernunft zum „collectiv allgemeine[n] […] und machthabende[n] Willen“, damit u. a. zum Zustand „einer allgemeinen äußeren (d.i. öffentlichen) mit Macht begleiteten Gesetzgebung“ (VI 2561012) – d. h. zum zwar noch nicht explizit vorgestellten, aber durch die Idee des „bürgerlichen Zustandes“ intendierten – Gewaltmonopol des Staates, konstituiert durch den allgemeinen Willen. Diese Erweiterung des Willens ist zugleich die Erweiterung des Rechts und seiner Gesetzgebung über das Privatrecht hinaus zur Konstitution von Öffentlichem Recht durch die volonté générale, den allgemeinen als den allein gesetzgebenden Willen. Nach der Bestimmung, dieser allgemeine Wille allein sei derjenige, „welcher jedermann jene Sicherheit leisten kann“ (VI 25610), könnte es so scheinen, als sei die Vereinigung „unter einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt, d.i. im bürgerlichen Zustande“ nur Mittel zum Zweck54, Recht und Staat seien also nichts als eine pragma53 Dass dem so ist, bringt Kant selbst in § 15 wie folgt zum Ausdruck: „Der Vernunfttitel der Erwerbung aber kann nur in der Idee eines a priori vereinigten (nothwendig zu vereinigenden) Willens Aller liegen, welche hier als unumgängliche Bedingung (conditio sine qua non) stillschweigend vorausgesetzt wird; denn durch einseitigen Willen kann Anderen eine Verbindlichkeit, die sie für sich sonst nicht haben würden, nicht auferlegt werden.“ (VI 26417-22). 54 „124. The great and chief end, therefore, of men uniting into commonwealths, and putting themselves under government, is the preservation of their property; to which in the

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tische Institution zur Sicherung des Eigentums55. Das ist jedoch nicht Kants Auffassung. Der Staat ist nicht Mittel, er ist Selbstzweck.56 Daher kann nach genauer Lektüre des § 8 kein Zweifel daran bestehen: gesetzgebende Gewalt kommt allein dem allgemeinen Willen zu, „gesetzliche Kraft“ wird „nur im allgemeinen Willen angetroffen“ (§ 9, VI 25711), Rechtspflichten begründet allein die „Vereinigung mit dem Willen Aller in einer öffentlichen Gesetzgebung“ (§ 9, VI 25716f.). Damit ist die Titelthese des § 8 „Etwas Äußeres als das Seine zu haben, ist nur in einem rechtlichen Zustande, unter einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt, d.i. im bürgerlichen Zustande, möglich“ erwiesen. Ferner gilt: Im Naturzustand ist „der Wille aller Anderen außer ihm selbst, der ihm eine Verbindlichkeit aufzulegen denkt, von einem gewissen Besitz abzustehen, bloß einseitig“ (§ 9, VI 2578-10). Dieser Wille hat „mithin eben so wenig gesetzliche Kraft (als die nur im allgemeinen Willen angetroffen wird) zum Widersprechen […], als jener zum Behaupten“57 (VI 25710-12), „indessen daß der letztere doch dies voraus hat, zur Einführung und Errichtung eines bürgerlichen Zustandes zusammenzustimmen.“ (VI 25712-14) Und schließlich: Dieser vereinigte Wille ist unbedingt, ebenso unbedingt wie „das Recht der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen, durch welche jedem das Seine bestimmt und gegen jedes Anderen Eingriff gesichert werden kann.“ (Gemeinspruch, VIII 28926-28). Denn dieses Recht und der es instituierende Staat ist state of Nature there are many things wanting.“ (John Locke, Second Treatise of Government, § 124). 55 Was Hegel, hierin Kant folgend, scharf kritisert: „Wenn der Staat mit der bürgerlichen Gesellschaft verwechselt und seine Bestimmung in die Sicherheit und den Schutz des Eigentums und der persönlichen Freiheit gesetzt wird, so ist das Interesse der Einzelnen als solcher der letzte Zweck, zu welchem sie vereinigt sind, und es folgt hieraus ebenso, daß es etwas Beliebiges ist, Mitglied des Staates zu sein. – Er hat aber ein ganz anderes Verhältnis zum Individuum; indem er objektiver Geist ist, so hat das Individuum selbst nur Objektivität, Wahrheit und Sittlichkeit, als es ein Glied desselben ist. Die Vereinigung als solche ist selbst der wahrhafte Inhalt und Zweck […]“ (Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 258 A). 56 Die Vereinigung „im bürgerlichen Zustande“ ist „unbedingte und erste Pflicht […]. Der Zweck nun, der in solchem äußern Verhältniß an sich selbst Pflicht und selbst die oberste formale Bedingung (conditio sine qua non) aller übrigen äußeren Pflicht ist, ist das Recht der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen, durch welche jedem das Seine bestimmt und gegen jedes Anderen Eingriff gesichert werden kann.“ (Über den Gemeinspruch, VIII 2892128). Eben dasselbe wird in der dritten der drei obersten und unbedingten Rechtspflichten, dem suum cuique tribue (VI 2371-8) bekräftigt. 57 In der ihm eigenen lakonischen Art hebt Kant mit dieser These en passant die von Hobbes in de cive 1.12 vorgestellte Antinomie des Recht gegen Recht im Naturzustand auf: „ius omnium in omnia, quo alter iure invadit, alter iure resistit“. Nach Kants im oben zitierten Satz des § 9 bekräftigten Prinzipien, besitzt der Wille keines der beiden „gesetzliche Kraft (als die nur im allgemeinen Willen angetroffen wird)“, keiner invadit oder resistit iure – das Äußerste, was einem von beiden, dem primus occupans, allenfalls zukommt, ist eben die „rechtliche Präsumtion“, aber auch dies nur, wenn er die im nachfolgenden Text exponierte Bedingung erfüllt.

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„Zweck […], der in solchem äußern Verhältnis an sich selbst Pflicht ist“ (ebd.). Der Eigentum wollende Wille „kann doch eine äußere Erwerbung nicht anders berechtigen, als nur so fern er in einem a priori vereinigten (d.i. durch die Vereinigung der Willkür Aller, die in ein praktisches Verhältniß gegen einander kommen können) absolut gebietenden Willen enthalten ist“ (§ 14, VI 26319-23), wozu „ein allseitiger, nicht zufällig, sondern a priori, mithin nothwendig vereinigter und darum allein gesetzgebender Wille erfordert [wird]; denn nur nach dieses seinem Princip ist […] ein Recht überhaupt, und also auch ein äußeres Mein und Dein möglich.“ (§ 14, VI 2632530). Insofern will er durch sein „ich will, daß etwas Äußeres das Meine sein solle“ (§ 8, VI 25526f.) stillschweigend und unbewusst unvermeidlicherweise auch den bürgerlichen, staatlichen Zustand. Damit ist, was für den Gründervater des Liberalismus, John Locke, selbstverständlich ist, sc. „daß es etwas Beliebiges ist, Mitglied des Staates zu sein“ (Hegel, Grundlinien § 258 A), für Kant wie nach ihm für Hegel ausgeschlossen: Recht, Staat und die Vereinigung zum Rechtsstaat ist nach ,kontinentalen‘ Begriffen vom Recht „unbedingte und erste Pflicht […] an sich selbst Pflicht und selbst die oberste formale Bedingung (conditio sine qua non) aller übrigen äußeren Pflicht“ (VIII 28921-25). Im Ergebnis der §§ 8 und 9 gilt also der Satz „Etwas Äußeres als das Seine zu haben, ist nur in einem rechtlichen Zustande, unter einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt, d.i. im bürgerlichen Zustande, möglich“ unbedingt. Ursprüngliche Bemächtigung eines herrenlosen Gegenstandes für sich genommen ist ebensowenig ein Rechtsakt wie der ihm widerstreitende Akt des Kontrahenten, der dem primus occupans das Seine streitig macht: „Mit einem Worte: die Art, etwas Äußeres als das Seine im Naturzustande zu haben, ist ein physischer Besitz, der die rechtliche Präsumtion für sich hat, ihn durch Vereinigung mit dem Willen Aller in einer öffentlichen Gesetzgebung zu einem rechtlichen zu machen, und gilt in der Erwartung comparativ für einen rechtlichen.“ (§ 9, VI 25714 – 19).

Diese „rechtliche Präsumtion“ oder der Vorgriff auf die „Vereinigung mit dem Willen Aller in einer öffentlichen Gesetzgebung“ führt allerdings nur dann dazu, dass der Besitz „comparativ für einen rechtlichen“ anerkannt wird, wenn er „gemäß der Idee eines möglichen vereinigten Willens“ angeeignet wird, wie es im folgenden § 10 heißt: Allein „was ich (gemäß der Idee eines möglichen vereinigten Willens) will, es solle mein sein, das ist mein.“ (VI 25825-27) Damit steht die Titelthese des § 9 als Gesamtergebnis der Deduktionen des 1. Hauptstücks des Privatrechts fest: „Im Naturzustande kann doch ein wirkliches, aber nur provisorisches äußeres Mein und Dein statt haben.“ (VI 25620f.)

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2. „Von der Art etwas Äußeres zu erwerben“58 – „einseitig[er]“ und „allseitiger […] a priori […] vereinigter […] allein gesetzgebender Wille“59 Das in § 10 eingeführte „Allgemeine[] Princip der äußeren Erwerbung“60 begründet das äußere Mein in drei Schritten: Um zu erwerben, was das Meine werden soll, muss ich es erstens „(nach dem Gesetz der äußeren Freiheit) in meine Gewalt bringe[n]“; zweitens es „als Object meiner Willkür […] zu [gebrauchen] […] (nach dem Postulat der praktischen Vernunft) das Vermögen habe[n]“; und drittens meinen Willen wie folgt bestimmen: „endlich, was ich (gemäß der Idee eines möglichen vereinigten Willens) will, es solle mein sein, das ist mein.“ (VI 25822-27) Konstitutiv dafür, dass der Erwerb eines Gegenstandes meiner Willkür ein Recht für mich und eine nicht nur wechselseitige, sondern allseitige Verpflichtung aller anderen, der vom Besitz Ausgeschlossenen, begründet, sind also: • das „Gesetz der äußeren Freiheit“, d.i. das allgemeine Rechtsgesetz des § C; • verbunden mit der durch synthetische Erweiterung der rechtlich-praktischen Vernunft im Postulat des § 2 und des Begriffs des physisch-empirischen zum bloß rechtlichen oder intelligiblen Besitz begründeten ,„Rechtspflicht […], gegen Andere so zu handeln, daß das Äußere (Brauchbare) auch das Seine von irgend jemanden werden könne“‘ (§ 6, VI 25213-15); • die „Idee eines möglichen vereinigten Willens“. Keines dieser drei Prinzipien reicht für sich genommen hin, den Erwerb als Rechtsakt in einem allumfassenden System von Rechtsverhältnissen und das Objekt als Rechtsobjekt, i. e. als Gegenstand von Rechten und darauf bezogenen Pflichten zu bestimmen. Insbesondere das dritte Moment dieser rechtlichen Bestimmung, die „Idee eines möglichen vereinigten Willens“, wird in den §§ 14 – 17 zur „Idee eines a priori vereinigten (nothwendig zu vereinigenden) Willens Aller“ (§ 15, VI 26417) weiterentwickelt. Dem gehen vorher eine „Eintheilung der Erwerbung des äußeren Mein und Dein“ (VI 25929-2608), die Beantwortung der Frage „Was ist ein Sachenrecht?“ (§ 11), die Beschränkung der ersten Erwerbung auf die des Bodens (§ 12), und schließlich die Herleitung des Rechts, jeden Boden ursprünglich zu erwerben, aus der „ursprüngliche[n] Gemeinschaft des Bodens überhaupt“ (§ 13). Kant beginnt die argumentative Begründung der ursprünglichen Erwerbung mit der These „Der rechtliche Act dieser Erwerbung ist Bemächtigung (occupatio)“ (§ 14, Titel, VI 2632 f.) und arbeitet daran anschließend insbesondere die folgenden Momente heraus: Der die ursprüngliche Erwerbung bestimmende Wille ist „einseitig (voluntas unilateralis s. propria)“ (§ 14, VI 26312). „Die Möglichkeit auf solche Art zu erwerben läßt sich auf keine Weise einsehen, noch durch Gründe darthun, sondern 58

Titel des 2. Hauptstücks des Privatrechts, vor § 10, VI 2582. § 14, VI 26412 / 26f. . 60 § 10, VI 2584 ; vgl. auch 26422-27.

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ist die unmittelbare Folge aus dem Postulat der praktischen Vernunft.“ (§ 14, VI 26317-19) „der einseitige Wille (wozu auch der doppelseitige, aber doch besondere Wille gehört) kann nicht jedermann eine Verbindlichkeit auflegen, die an sich zufällig ist […]“ (§ 14, 26323-26) Daher kann dieser „eine äußere Erwerbung nicht anders berechtigen, als nur so fern er in einem a priori vereinigten (d.i. durch die Vereinigung der Willkür Aller, die in ein praktisches Verhältniß gegen einander kommen können) absolut gebietenden Willen enthalten ist“ (§ 14, VI 26319-23). Dazu wiederum wird „ein allseitiger, nicht zufällig, sondern a priori, mithin nothwendig vereinigter und darum allein gesetzgebender Wille erfordert; denn nur nach dieses seinem Princip ist Übereinstimmung der freien Willkür eines jeden mit der Freiheit von jedermann, mithin ein Recht überhaupt, und also auch ein äußeres Mein und Dein möglich.“ (VI 26326-30) Rechtswille, d.i. ein „äußere Erwerbung“ berechtigender Wille ist der Wille zur Bemächtigung einer Sache also nur kraft dieses seines Enthaltenseins in „ein[em] allseitige[n], nicht zufällig, sondern a priori, mithin nothwendig vereinigte[n] und darum allein gesetzgebende[n] Willen“. (§ 14, VI 26326-30) Allein dadurch vermag er es, „die Art, etwas Äußeres als das Seine im Naturzustande zu haben, […] [den] physische[n] Besitz, […] durch Vereinigung mit dem Willen Aller in einer öffentlichen Gesetzgebung zu einem rechtlichen zu machen“ (§ 9, VI 25714-18). Wie das zu verstehen ist und möglich wird, wird in § 15 vor dem Hintergrund des bloß provisorischen Charakters allen Erwerbs61 als bloß „comparativ für einen rechtlichen“ geltend (§ 9, VI 25718f.) gezeigt. Kant eröffnet die Problemexposition mit einem Paukenschlag, i. e. mit der 1797 in Preußen revolutionären Behauptung, die zugleich Forderung ist: „Die bürgerliche Verfassung, obzwar ihre Wirklichkeit subjectiv zufällig ist, ist gleichwohl objectiv, d.i. als Pflicht, nothwendig. Mithin giebt es in Hinsicht auf dieselbe und ihre Stiftung ein wirkliches Rechtsgesetz der Natur, dem alle äußere Erwerbung unterworfen ist.“ (§ 15, VI 2645-8) Es folgt die These, dem „empirische[n] Titel der Erwerbung, [der] […] auf ursprüngliche Gemeinschaft des Bodens gegründete[n] physische[n] Besitznehmung (apprehensio physica) [war]“, müsse, „weil dem Besitz nach Vernunftbegriffen des Rechts nur ein Besitz in der Erscheinung untergelegt werden kann, der einer intellectuellen Besitznehmung (mit Weglassung aller empirischen Bedingungen in Raum und Zeit) correspondiren“ (VI 2649-14). Diese „intellectuelle Besitznehmung“ wiederum wird auf die „Idee eines a priori vereinigten (nothwendig zu vereinigenden) Willens Aller“ zurückgeführt, „welche hier als unumgängliche Bedingung (conditio sine qua non) stillschweigend vorausgesetzt wird; denn durch einseitigen Willen kann Anderen eine Verbindlichkeit, die sie für sich sonst nicht haben würden, nicht auferlegt werden.“ (VI 26417-22) Alle Aneignung setzt also diese „Idee eines a priori vereinigten Willens Aller […] stillschweigend“ voraus. Der so bestimmte Wille ist mithin von § 2 an und durchgängig der alle anderen „synthetische[n] Rechtssätze a priori“ (§ 7, VI 25519) oder „Rechtsgesetz[e] der Natur“ (§ 15, VI 2645-8) bestimmende Gel61 „Nur in einer bürgerlichen Verfassung kann etwas peremtorisch, dagegen im Naturzustande zwar auch, aber nur provisorisch erworben werden.“ (§ 15, Titel, VI 2642-4).

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tungsgrund. Die weitere Konsequenz versteht sich dann quasi von selbst: „Die peremtorische Erwerbung findet nur im bürgerlichen Zustande statt.“ (VI 26427f.) Ursprüngliche Erwerbung oder „prima occupatio“ ist also ein Rechtsakt dann und nur dann, wenn der etwas Äußeres als das Seine Wollende in ein und demselben Willensakt auch den „zur Gesetzgebung allgemein wirklich vereinigten Willen“ will, der „hier als unumgängliche Bedingung (conditio sine qua non) stillschweigend vorausgesetzt wird“: er muss ihn also wollen und will ihn auch – in der Idee und als Idee –, ob er das nun weiß und will oder nicht. Denn er erwirbt nicht nur provisorisch einen Gegenstand seiner Willkür, im Vorgriff auf den bürgerlichen Zustand oder „in Hinsicht auf ihn und seine Bewirkung, aber vor der Wirklichkeit desselben“. Vielmehr verpflichtet er sich mit dem und durch den Erwerb, auf einen solchen bürgerlichen Zustand hinzuwirken. Jedoch ist erneut auch diese Verpflichtung mit einer Berechtigung verbunden, derjenigen nämlich, alle anderen zum Exeundum und zum Eintritt in den bürgerlichen Zustand zwingen zu dürfen.62 Daran anschließend erörtert Kant die Frage „wie weit erstreckt sich die Befugniß der Besitznehmung eines Bodens?“ (VI 2651ff.), weist kritisch, allerdings ohne Namensnennung, einige naturrechtliche Thesen – darunter auch Lockes Begründung des Privateigentums durch eigene Arbeit (VI 26510-19) – zurück und verurteilt den „Jesuitism“ der Rechtfertigung des europäischen Kolonialismus als „verwerflich“ (VI 26627). Eine besondere, im letzten Absatz des § 15 verborgene These wird leicht übersehen: Auch dann, wenn die Aufgabe der rechtlichen Begründung der ursprünglichen Erwerbung „durch den ursprünglichen Vertrag aufgelöset wird, so wird, wenn dieser sich nicht aufs ganze menschliche Geschlecht erstreckt, die Erwerbung doch immer nur provisorisch bleiben.“ (VI 26634-36) Das bedeutet: ein äußeres Mein und Dein, Recht überhaupt, ist nach dieser Erklärung Kants nur in „weltbürgerlicher Absicht“ und Dimensionierung, in einer „aufs ganze menschliche Geschlecht“ bezogenen Rechtsordnung, also nur global, nicht national möglich. Bis dahin bleibt alle Erwerbung, alles Recht „nur provisorisch“, der Naturzustand also bestehen. § 16 spezifiziert ursprüngliche Erwerbung nochmals näher in einer „Exposition des Begriffs einer ursprünglichen Erwerbung des Bodens“ (§ 16, Titel, VI 2672f.), wie folgt: Eine lex iusti berechtigt den Willen eines jeden Menschen, den „Gesammt-Besitz des Bodens der ganzen Erde […] zu gebrauchen“ (VI 2674-7); eine lex iuridica, die in dem „ihnen von Natur zustehenden Willen (eines jeden)“ enthalten ist, ist „das Gesetz […], nach welchem einem jeden ein besonderer Besitz auf dem gemeinsamen Boden bestimmt werden kann“ (VI 2677-11). Zur endgültigen rechtlichen Bestimmung der ursprünglichen Erwerbung fehlt jedoch noch „das austheilen62 „Gleichwohl ist jene provisorische dennoch eine wahre Erwerbung; denn nach dem Postulat der rechtlich-praktischen Vernunft ist die Möglichkeit derselben, in welchem Zustande die Menschen neben einander sein mögen, (also auch im Naturzustande) ein Princip des Privatrechts, nach welchem jeder zu demjenigen Zwange berechtigt ist, durch welchen es allein möglich wird, aus jenem Naturzustande heraus zu gehen und in den bürgerlichen, der allein alle Erwerbung peremtorisch machen kann, zu treten.“ (§ 15, VI 26429-35). – Diesen Gedanken verschärft Kant noch im letzten Absatz des § 44, VI 31234-3138.

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de Gesetz des Mein und Dein eines jeden am Boden“. Ein solches Gesetz, das „allein, was recht, was rechtlich und was Rechtens ist, bestimmt“, „kann nach dem Axiom der äußeren Freiheit nicht anders als aus einem ursprünglich und a priori vereinigten Willen (der zu dieser Vereinigung keinen rechtlichen Act voraussetzt), mithin nur im bürgerlichen Zustande hervorgehen (lex iustitiae distributivae)“ (VI 26711-17). Aus der in § 15 als Pflicht exponierten Stiftung der bürgerlichen Verfassung leitet Kant in § 16 die weitere Verpflichtung ab, nach dem Gesetz der äußeren Erwerbung zu verfahren, d. h. Bemächtigung und Zueignung als rechtskräftig anzuerkennen.63 Damit ist die in § 2 der Rechtslehre begonnene Begründung a priori „der Art etwas Äußeres als das Seine zu haben“ (§1, Titel, VI 2457) und „der Art etwas Äußeres zu erwerben“ (§10, Titel, VI 2582) inhaltlich abgeschlossen. Formal abgeschlossen wird sie durch die „Deduction des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung“ (VI 2682) in § 17. Hier angelangt bekräftigt Kant nochmals die Besonderheit des in § 7 explizierten Verfahrens der praktischen Vernunft als rechtlicher64, und begründet abschließend Recht und Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Erwerbung.65 Erneut sind es dieselben drei – nachstehend durch [1] bis [3] markierten – Gesetze oder Prinzipien, die das Recht, ursprünglich anzueignen und andere zur Anerkennung dieser Bemächtigung als eines Menschenrechts zu verpflichten, begründen: [1]„dem Axiom der äußeren Freiheit, [2]dem Postulat des Vermögens und [3]der allgemeinen Gesetzgebung des a priori als vereinigt gedachten Willens“ (§ 17, VI 26825-27) muss der Wille des Aneignenden genügen, damit die „intellectuelle Besitznehmung (mit Weglassung aller empirischen Bedingungen in Raum und Zeit) […] und die den Satz gründet: ,Was ich nach Gesetzen der äußeren Freiheit in meine Gewalt bringe und will, es solle mein sein, das wird mein.‘“ (§ 15, VI 26413-16) theoretisch wahr und praktisch Wirklichkeit, d.i. normativ allgemeingültig, wird. Damit wird der in §§ 4 – 6 der Rechtslehre ursprünglich nur als Begriff eingeführte intelligibele Besitz

63 „In diesem Zustand aber, d.i. vor Gründung und doch in Absicht auf denselben, d.i. provisorisch, nach dem Gesetz der äußeren Erwerbung zu verfahren, ist Pflicht, folglich auch rechtliches Vermögen des Willens jedermann zu verbinden, den Act der Besitznehmung und Zueignung, ob er gleich nur einseitig ist, als gültig anzuerkennen; mithin ist eine provisorische Erwerbung des Bodens mit allen ihren rechtlichen Folgen möglich.“ (§ 16, VI 26717-23) 64 „[…] daß diese ohne Anschauungen, selbst ohne einer a priori zu bedürfen, sich durch bloße, vom Gesetz der Freiheit berechtigte Weglassung empirischer Bedingungen erweitere und so synthetische Rechtssätze a priori aufstellen kann, deren Beweis (wie bald gezeigt werden soll) nachher in praktischer Rücksicht auf analytische Art geführt werden kann.“ (§ 7, VI 25516-21) 65 „Nun ist die Weglassung oder das Absehen (Abstraction) von diesen sinnlichen Bedingungen des Besitzes als eines Verhältnisses der Person zu Gegenständen, die keine Verbindlichkeit haben, nichts anders als das Verhältniß einer Person zu Personen, diese alle durch den Willen der ersteren, so fern er dem Axiom der äußeren Freiheit, dem Postulat des Vermögens und der allgemeinen Gesetzgebung des a priori als vereinigt gedachten Willens gemäß ist, in Ansehung des Gebrauchs der Sachen zu verbinden, welches also der intelligibele Besitz derselben, d.i. der durchs bloße Recht, ist, obgleich der Gegenstand (die Sache, die ich besitze) ein Sinnenobject ist.“ (VI 26820-30)

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der Sachen endgültig zur allgemeinen Gesetzgebung66 des a priori als vereinigt gedachten, nunmehr zum „synthetisch-allgemeinen Willen“ (§ 17, VI 26915) erhobenen Willens, d.i. er ist, zusammen mit der Stiftung einer bürgerlichen Verfassung, „ein wirkliches Rechtsgesetz der Natur, dem alle äußere Erwerbung unterworfen ist“ (§ 15, VI 2645-8): ,„Was ich nach Gesetzen der äußeren Freiheit in meine Gewalt bringe und will, es solle mein sein, das wird mein.“‘ (VI 26415f.) 3. Privatrecht und Öffentliches Recht: historisch-empirischer versus systematischer Primat Nach dem, was vorstehend gezeigt worden ist, kann gesagt werden: Im Grunde steht bereits mit den Thesen und Ergebnissen der §§ 8 und 9 fest, definitiv entschieden ist dann mit den in § 10 und §§ 14 – 17 exponierten Prinzipien und Gesetzen, welcher der beiden Systemteile – Privatrecht oder Öffentliches Recht – in Kants Rechtslehre den Primat besitzt. Historisch-empirisch oder zeitlich mögen die Anfänge des Privatrechts dem Öffentlichen Recht vorhergehen, systematisch setzt das Privatrecht das Öffentliche Recht voraus. Denn äußeres Mein und Dein, damit Recht und Gerechtigkeit überhaupt ist67 „nur in einem rechtlichen Zustande, unter einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt, d.i. im bürgerlichen Zustande, möglich.“ (§ 8 Titel) Oberstes, unerschütterliches und unbedingt gebotenes Grundgesetz allen Rechts ist und bleibt: „Der Zweck nun, der in solchem äußern Verhältniß an sich selbst Pflicht und selbst die oberste formale Bedingung (conditio sine qua non) aller übrigen äußeren Pflicht ist, ist das Recht der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen, durch welche jedem das Seine bestimmt und gegen jedes Anderen Eingriff gesichert werden kann.“ (Gemeinspruch, VIII 28923-28)

Unbeschadet dessen oder sogar gerade eben deswegen muss nach Kants ebenfalls wiederholt68 vorgetragener Überzeugung auch im Naturzustand, wenn auch nur provisorisch, ein äußeres Mein und Dein möglich sein. Provisorische, „dennoch […] wahre Erwerbung“ (§ 15, VI 26429) ist dasjenige, was den Naturzustand zu verlassen

66 „Gerade darin: daß abgesehen vom Besitz in der Erscheinung (der Inhabung) dieses Gegenstandes meiner Willkür die praktische Vernunft den Besitz nach Verstandesbegriffen, nicht nach empirischen, sondern solchen, die a priori die Bedingungen desselben enthalten können, gedacht wissen will, liegt der Grund der Gültigkeit eines solchen Begriffs vom Besitze (possessio noumenon) als einer allgemeingeltenden Gesetzgebung; denn eine solche ist in dem Ausdrucke enthalten: ,Dieser äußere Gegenstand ist mein,‘ weil allen andern dadurch eine Verbindlichkeit auferlegt wird, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs desselben zu enthalten.“ (§ 7, VI 25327-36) 67 – so wird Kant, seit dem Gemeinspruch, der Allgemeinen Einteilung der Rechtspflichten, der Titelthese des § 8, dem „Princip der äußeren Erwerbung“ des § 10, über die Exposition und Deduktion der Voraussetzungen des „Rechtsbegriff[s] vom äußeren Mein und Dein“ (§ 17, VI 26812) der §§ 14 – 17 bis hin zum „Postulat des öffentlichen Rechts“ (§ 42) und zu den Ausführungen des § 44 nicht müde zu bekräftigen –. 68 Insbesondere in den §§ 9, 15 und 44 der Rechtslehre.

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nötigt69, ja sogar die Bedingung der Möglichkeit des Exeundum als einer Rechtspflicht: „Es würde also, wenn es im Naturzustande auch nicht provisorisch ein äußeres Mein und Dein gäbe, auch keine Rechtspflichten in Ansehung desselben, mithin auch kein Gebot geben, aus jenem Zustande herauszugehen.“ (Rechtslehre § 44, VI 3135-8) Daraus folgt jedoch nicht, dass property antecedent to government ist wie bei Locke. Zwar heißt es einerseits, das Problem noch verschärfend: „Wollte man vor Eintretung in den bürgerlichen Zustand gar keine Erwerbung, auch nicht einmal provisorisch für rechtlich erkennen, so würde jener selbst unmöglich sein.“ (§ 44, VI 31234-36) Andererseits ist und bleibt Äußeres Mein und Dein im Naturzustand ein bloß „physischer Besitz“, ist nicht Eigentum, nicht rechtlicher Besitz, kann allenfalls „durch Vereinigung mit dem Willen Aller in einer öffentlichen Gesetzgebung zu einem rechtlichen“ gemacht werden und „gilt“ bis dahin oder „in der Erwartung comparativ für einen rechtlichen.“70 Jede physische Besitznahme, Bemächtigung oder prima occupatio bedarf daher, weil sie einseitig, zufällig und willkürlich ist, einer Bestimmung durch den „a priori vereinigten (nothwendig zu vereinigenden) Willen Aller“ (§ 15, VI 26417f.): „Denn das Recht gegen einen jeden Besitzer einer Sache bedeutet nur die Befugniß der besonderen Willkür zum Gebrauch eines Objects, sofern sie als im synthetisch-allgemeinen Willen enthalten und mit dem Gesetz desselben zusammenstimmend gedacht werden kann.“ (§ 17, VI 26913-16). Dies ist Kants endgültige Antwort auf die Frage „Wie ist ein Recht in einer Sache möglich?“. V. Öffentliches Recht: Staatsrecht – Staat und Volk als Idee – Staat als Substanz und Subjekt – die einzig bleibende Verfassung 1. Staatsrecht, Völkerrecht und Weltbürgerrecht aus dem Begriff, d.i. „unter dem allgemeinen Begriffe des öffentlichen Rechts“ Der systematische Zusammenschluss von Privatrecht und Öffentlichem Recht (Staatsrecht, Völkerrecht, Weltbürgerrecht), der vorstehend skizziert worden ist, setzt sich im Öffentlichen Recht, insbesondere in der Exposition und Deduktion der Begriffe des Staats, des Volks und der Volkssouveränität als Idee unvermindert fort. Das ergibt sich nicht allein aus den im „Übergang von dem Mein und Dein 69 „Gleichwohl ist jene provisorische dennoch eine wahre Erwerbung; denn nach dem Postulat der rechtlich-praktischen Vernunft ist die Möglichkeit derselben, in welchem Zustande die Menschen neben einander sein mögen, (also auch im Naturzustande) ein Princip des Privatrechts, nach welchem jeder zu demjenigen Zwange berechtigt ist, durch welchen es allein möglich wird, aus jenem Naturzustande heraus zu gehen und in den bürgerlichen, der allein alle Erwerbung peremtorisch machen kann, zu treten.“ (Rechtslehre § 15, VI 26429-35) 70 „[D]ie Art, etwas Äußeres als das Seine im Naturzustande zu haben, ist ein physischer Besitz, der die rechtliche Präsumtion für sich hat, ihn durch Vereinigung mit dem Willen Aller in einer öffentlichen Gesetzgebung zu einem rechtlichen zu machen, und gilt in der Erwartung comparativ für einen rechtlichen.“ (§ 9, VI 25714-19)

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im Naturzustande zu dem im rechtlichen Zustande überhaupt“ (§ 41, Titel) vorgestellten „Postulat des öffentlichen Rechts“ (§ 42, VI 3078ff.), sondern aus einer ganzen Reihe weiterer Momente. Erneut ist es zuallererst der Begriff, aus dem nunmehr die Institutionen auch des Öffentlichen Rechts deduziert werden, wobei der Begriff (der Freiheit, des Rechts) spezifiziert wird zum „Begriffe des Rechts im äußeren Verhältniß im Gegensatz der Gewalt (violentia)“71. Wie fast immer en passant merkt Kant an, die Notwendigkeit der Aufhebung des Naturzustands durch Eintritt in den staatlichen resultiere „analytisch aus dem Begriffe des Rechts“ (§ 42, VI 30712). Eine solche analytisch-deduktive Ableitung des Staates aus dem Begriff hat es vor Kant nicht gegeben. Gegenstand des zweiten Teils der Rechtslehre, des Öffentlichen Rechts, das wiederum aus drei Abschnitten besteht und mit dem Staatsrecht (§ 43) beginnt, ist der rechtliche, bürgerliche oder staatliche Zustand. In seinem ersten Paragraphen entwickelt Kant aus dem Begriff des bürgerlichen Zustands, dann des Staates oder Gemeinwesens (§ 43, VI 31112-20), und schließlich aus „dem allgemeinen Begriffe des öffentlichen Rechts“ (VI 31121) die Gliederung des Öffentlichen Rechts in Staatsrecht, Völkerrecht und Weltbürgerrecht – all das in ein und demselben Satz. Diese Systematik ist nicht nur Einteilung der Rechtslehre als einer akademischen Disziplin, sondern eine mit dem Anspruch auf Vollständigkeit vorgestellte Verfassung der Sache selbst, des Rechts schlechthin: Zunächst wird der bürgerliche Zustand als „der Zustand der Einzelnen im Volke in Verhältniß untereinander“ vom „Staat (civitas), welcher seiner Form wegen, als verbunden durch das gemeinsame Interesse Aller, im rechtlichen Zustande zu sein, das gemeine Wesen (res publica latius sic dicta) genannt wird“, unterschieden. Daran schließt sich unmittelbar der Gedanke an, dass das Gemeinwesen als Macht im Verhältnis zu anderen Völkern „unter dem allgemeinen Begriffe des öffentlichen Rechts nicht bloß das Staats-, sondern auch ein Völkerrecht (ius gentium) zu denken Anlaß giebt: welches dann, weil der Erdboden eine nicht gränzenlose, sondern sich selbst schließende Fläche ist, beides zusammen zu der Idee eines Völkerstaatsrechts (ius gentium) oder des Weltbürgerrechts (ius cosmopoliticum) unumgänglich hinleitet: so daß, wenn unter diesen drei möglichen Formen des rechtlichen Zustandes es nur einer an dem die äußere Freiheit durch Gesetze einschränkenden Princip fehlt, das Gebäude aller übrigen unvermeidlich untergraben werden und endlich einstürzen muß.“ (§ 43, VI 31115-29). Staatsrecht, Völkerrecht und Völkerstaatsrecht (Weltbürgerrecht) sind daher nicht bloß epistemologische Einteilungsprinzipien, sondern Strukturen der Verfassung, die das Zusammenleben der Menschen „formieren“ im Sinne von „gestalten“, d. h. kon71 „Postulat des öffentlichen Rechts […]: du sollst im Verhältnisse eines unvermeidlichen Nebeneinanderseins mit allen anderen aus jenem heraus in einen rechtlichen Zustand, d.i. den einer austheilenden Gerechtigkeit, übergehen“ (§ 42, VI 3078-11). Den durchgängig bestimmenden Grund der systematischen Geschlossenheit des Rechts und der Rechtslehre exponiert Kant, unmittelbar anschließend so: „Der Grund davon läßt sich analytisch aus dem Begriffe des Rechts im äußeren Verhältniß im Gegensatz der Gewalt (violentia) entwickeln.“ (§ 42, VI 30712f.)

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stituieren und organisieren72. Die „drei möglichen Formen des rechtlichen Zustandes“ sind mithin Ideen sowohl im Sinne des platonischen als auch des aristotelischen eidor; ersteres, insofern sie als „Richtschnur (norma)“ (§ 45, VI 31316) dienen, letzteres kraft ihrer Funktion als Organisationsstrukturen der Verfassung. Als solche sind sie nicht nur rein gedankliche Bestimmungen, sondern Formen der Gestaltung menschlichen Zusammenlebens, substantielle Formen also, die das gesellschaftliche Handeln der Menschen strukturieren, darin wirksam sind und so selbst Wirklichkeit werden. Die Idealität des Rechts hat damit eine über das Normieren von Rechten und Pflichten des Handelns „der Einzelnen im Volke in Verhältniß untereinander“ (§ 43, VI 31114) oder über bloß moralische Normativität hinausgehend, den Staat (civitas) betreffend, verfassungskonstitutive Funktion und Dimension gewonnen. Recht als Idee ist nicht nur Vorstellungsinhalt, das Bewusstsein des Handelnden bestimmende Norm oder absolutes Gebot. Recht als „der Staat in der Idee“ bewirkt die unbedingte Vereinigung von Menschen „unter einem sie vereinigenden Willen, einer Verfassung (constitutio)“ (§ 43, VI 31111), verwirklicht durch ihr gesellschaftliches Handeln. Recht als substantielle Form erzeugt, konstituiert und organisiert daher die absolute Einheit aller Menschen und ist diese Einheit, d.i. ihre Vereinigung in einem System der austeilenden Gerechtigkeit, der „lex iustitiae distributivae“ (§ 16, VI 26715f.), das „nach dem Axiom der äußeren Freiheit nicht anders als aus einem ursprünglich und a priori vereinigten Willen […] hervorgehen“ kann. (§ 16, VI 26711-17). Aus dieser Idealität des Begriffs des Rechts entwickelt Kant im Staatsrecht auch die zentralen Momente der Deduktion von Staat und Volk als Idee, aus der Idee und durch die Idee. Dies geschieht in Grundzügen wie folgt: § 44, das Staatsrecht im engeren Sine einleitend, stellt den Naturzustand, a priori konzipiert als eine neue „Vernunftidee eines solchen (nicht-rechtlichen) Zustandes“ (VI 3127f.) vor; deduziert daraus eine nichtempirische Begründung des Exeundum (VI 3122-21), und zwar als unbedingte Verpflichtung zum Eintritt „in einen bürgerlichen Zustand“ (VI 31221). Diese Exposition des Exeundum ist schließlich auch noch Deduktion der Konstitution eines „Zustand[s] […], darin jedem das, was für das Seine anerkannt werden soll, gesetzlich bestimmt und durch hinreichende Macht (die nicht die seinige, sondern eine äußere ist) zu Theil wird“ bzw. eines Zustands, in dem das Seine eines jeden durch „die Sanction eines öffentlichen Gesetzes […] [d.i.] durch []eine öffentliche (distributive) Gerechtigkeit bestimmt und durch []eine dies Recht ausübende Gewalt gesichert ist.“ (VI 31218-20, 30-33) Mit dieser Argumentation deduziert Kant in § 44 a priori aus dem Begriff, d.i. aus der Vernunft, die Aufhebung des Naturzustands als unbedingtes Gebot, den Staat, das 72 „[…] also ein System von Gesetzen für ein Volk, d.i. eine Menge von Menschen, oder für eine Menge von Völkern, die, im wechselseitigen Einflusse gegen einander stehend, des rechtlichen Zustandes unter einem sie vereinigenden Willen, einer Verfassung (constitutio), bedürfen“ (§ 43, VI 3118-12).

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Öffentliche Recht, die iustitia distributiva des Suum cuique tribue zu schaffen (§ 44, VI 31212-21-33); nicht als moralisches Gebot für das individuelle Handeln, auch nicht als Rechtspflicht sans phrase, sondern als Verfassungszustand, nämlich als Gebot, sich in einem „rechtlichen Zustand[] unter einem sie vereinigenden Willen, einer Verfassung (constitutio)“ (§ 43, VI 31110f.) zu vereinigen. Dieses Gebot ist adressiert an die (etwas später explizit so genannte) „constituirende[] Gewalt“ (§ 52, VI 34028), eine solche „Verfassung (constitutio)“ zu schaffen und die Wirklichkeit nach ihr zu gestalten. § 44 leistet all dies – wie so oft bei Kant – in einem einzigen Satz (§ 44, VI 3122-21). Doch darin erschöpft sich die Funktion dieses Paragraphen noch nicht: in seinem letzten Absatz wird erneut die systematische Verknüpfung von prima occupatio und ursprünglicher Erwerbung mit dem bürgerlichen Zustand durch das Argument unterstrichen, der bürgerliche Zustand, damit das Recht überhaupt, wäre unmöglich, weil es, „wenn es im Naturzustande auch nicht provisorisch ein äußeres Mein und Dein gäbe, auch keine Rechtspflichten in Ansehung desselben, mithin auch kein Gebot geben [würde], aus jenem Zustande herauszugehen“ (VI 31234-3138). 2. Der Staat Die folgenden Bestimmungen des Staates als „Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“ (§ 45, VI 31310f.) werden, „so fern diese als Gesetze a priori nothwendig, d.i. aus Begriffen des äußeren Rechts überhaupt von selbst folgend, (nicht statutarisch) sind“ (31311-13), wie das soeben Zitierte besagt, erneut aus dem Begriff entwickelt. 2.1. Die erste dieser Bestimmungen ist „die Form eines Staats überhaupt, d.i. der Staat in der Idee, wie er nach reinen Rechtsprincipien sein soll, welche jeder wirklichen Vereinigung zu einem gemeinen Wesen (also im Inneren) zur Richtschnur (norma) dient.“ (§ 45, 31313-16) Dies also ist der Begriff des Staates, er ist Form und Idee, mehr wird in lakonischer Kürze über ihn nicht gesagt. Nominell stimmt dieser kantische Staatsbegriff mit demjenigen Ciceros überein73. Inhaltlich dagegen divergiert er grundlegend und durchgängig. Denn der Begriff der Freiheit, der an der Spitze der philosophia practica universalis steht und „seine Realität durch praktische Grundsätze beweiset, die als Gesetze eine Causalität der reinen Vernunft, unabhängig von allen empirischen Bedingungen (dem Sinnlichen überhaupt) die Willkür zu bestimmen, und einen reinen Willen in uns beweisen, in welchem die sittlichen Begriffe 73

Kant: „Ein Staat (civitas) ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen.“ (VI 31310f.) Cicero: „Est igitur […] res publica res populi, populus autem non omnis hominum coetus quoquo modo congregatus, sed coetus multitudinis iuris consensu et utilitatis communione sociatus. “ (de re publica I 39) / „Die Republik ist also die Sache des Volkes. Volk aber ist nicht jede beliebige Versammlung von Menschen, sondern nur eine solche Verbindung einer Menge von Menschen, die durch den Konsens des Rechts und die Gemeinsamkeit ihrer Interessen vereinigt sind.“ (Übersetzung B.T.)

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und Gesetze ihren Ursprung haben“ (VI 2217-18), ist der Antike unbekannt, ebenso die daraus abgeleiteten Begriffe der Freiheit als angeborenes Recht des Menschen (VI 23727-32), der gesetzlichen Freiheit und der Gleichheit vor dem Gesetz (§ 46, VI 3144-11). Den Unterstellungen der Vertreter der Senilitätsthese gegenüber ist daher festzuhalten: Der Kant des Jahres 1797 ist der erste, der den Staat aus dem Begriff der Freiheit a priori deduziert, und zwar als unbedingt allgemeingültige Norm, die allen positiven Verfassungen „zur Richtschnur (norma) dient.“ Unbedingte Allgemeingültigkeit ist aus empirischen Voraussetzungen, wie etwa bei Locke, nicht zu gewinnen. 2.2. Die trias politica, ebenfalls in § 45 vorgestellt, ist Kants Version der Gewaltenteilungslehre. Manche mögen dazu neigen, auch in dieser Konzeption nichts Neues, vielmehr in der Substanz eine bloße Wiederholung, allenfalls eine Kurzfassung der Gedanken Lockes oder Montesquieus zu sehen. Kant setzt in der Tat ihre Lehren fort, bereichert sie jedoch durch eine ganze Reihe von Momenten, die er zum Prinzip erhebt und aus dem Begriff ableitet74 : • erstens durch die These des Enthaltenseins der drei Gewalten im Staat75; • zweitens die Dreizahl76, verbunden mit der Idee der Personalität und der Einheit („in dreifacher Person“), hergeleitet aus der Natur der Vernunft als Vermögen zu schließen durch das „gleich den drei Sätzen in einem praktischen Vernunftschluß“; • drittens, daraus resultierend, durch den Anspruch auf Allgemeingültigkeit77 und den Anspruch auf Vollständigkeit der Bestimmung der Gewalten78; • viertens durch das wohl wichtigste Moment: als Ausgangspunkt und bleibendes Substrat aller noch zu entwickelnden Bestimmungen von Staatlichkeit und Staats74

Vgl. dazu insbesondere den Beitrag „Trias politica“ von Michael Wolff in diesem Band. „Ein jeder Staat enthält drei Gewalten in sich, d.i. den allgemein vereinigten Willen in dreifacher Person (trias politica): die Herrschergewalt (Souveränität) in der des Gesetzgebers, die vollziehende Gewalt in der des Regierers (zu Folge dem Gesetz) und die rechtsprechende Gewalt (als Zuerkennung des Seinen eines jeden nach dem Gesetz) in der Person des Richters (potestas legislatoria, rectoria et iudiciaria) […]“ (VI 313). 76 Bei Locke gibt es eine ganze Reihe von Gewalten, von denen auch bei ihm bereits die Legislative die erste und höchste Gewalt ist: s. ch. X–XV; erst Montesquieu gibt der Konzeption der Staatsgewalten die klassisch gewordene Dreizahl, gleich im ersten Satz seiner Exposition der Lehre von der Gewaltenteilung, die er unter dem Titel und am Beispiel „De la constitution d’Angleterre“ in De l’Esprit des Lois II.11.6. wie folgt eröffnet: „Il y a dans chaque État trois sortes de pouvoirs: la puissance législative, la puissance exécutrice des choses qui dépendent du droit des gens, et la puissance exécutrice de celles qui dépendent du droit civil.“ 77 sc. dass jeder Staat eben diese drei Gewalten enthalten müsse („Ein jeder Staat enthält drei Gewalten in sich“). 78 Dies ist ein Anspruch, der ebenfalls durch das „gleich den drei Sätzen in einem praktischen Vernunftschluß“ untermauert wird – woraus dann wiederum im folgenden, insbesondere in § 48, die Systematik des Verhältnisses der Bei- und Unterordnung der drei Gewalten entwickelt wird. 75

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gewalt enthält jeder Staat „den allgemein vereinigten Willen in dreifacher Person [Hervorhebung B.T.] (trias politica)“ ,in sich‘. Aus diesem „allgemein vereinigten Willen“ allein kann die Staatsgewalt sowohl in ihrer Gesamtheit und Einheit als auch in jeder ihrer drei institutionellen Personen ihre unbedingte Geltung ableiten. Hierin wiederum sind die folgenden Besonderheiten enthalten: Anders als Locke oder Montesquieu rekurriert Kant zur Begründung der Staatsgewalt und der Gewaltenteilung nicht auf faktisch vorhandene oder erforderliche Staatsfunktionen. Vielmehr gründet er, seinem Begriff von philosophischer Erkenntnis folgend, Theorie und Praxis der Staatsgewalt kurzerhand auf den Begriff, hier auf den freien Willen, der seit der Einleitung in die Metaphysik der Sitten (VI 21320-27) als identisch mit Vernunft konzipiert ist. Ebenfalls kurzerhand, diesmal dem Leser seit dem Privatrecht bekannt, wird dieser Wille dann zum „allgemein vereinigten Willen“ spezifiziert, womit, erneut gleichsam en passant, Rousseaus volonté générale als Substanz und bleibendes Substrat aller Staatlichkeit „aus Begriffen des äußeren Rechts überhaupt von selbst folgend“, abgeleitet ist. Das ist nicht nur eine implizite philosophische Bekräftigung eines Zentralsatzes im wichtigsten Verfassungs-Dokument der Französischen Revolution – „La loi est l’expression de la volonté générale“79. Im systematischen Kontext von Kants Öffentlichem Recht ist es die Erhebung von Vernunft, Freiheit und freiem Willen in der Gestalt des „allgemein vereinigten Willens“ zur Basis und Substanz von Staatlichkeit überhaupt. Dies und nichts anderes ist „der Staat in der Idee“. 2.3. Das Volk und seine gesetzgebende Gewalt, das Volk als Gesetzgeber, Souverän und Staatsoberhaupt – in der Idee § 46 setzt die staatsrechtliche Spezifikation des vernünftigen Willens – erneut dem methodischen Ansatz folgend, dass die Gesetze „notwendig, d.i. aus Begriffen des äußeren Rechts überhaupt von selbst folgend“ (§ 45, VI 31311-16) sein sollen, Formen und Institutionen des „Staates in der Idee“ also so entwickelt werden müssten, „wie er nach reinen Rechtsprinzipien sein soll“ (§ 45) – fort, kategorisch beginnend mit: „Die gesetzgebende Gewalt kann nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen. Denn da von ihr alles Recht ausgehen soll, so muß sie durch ihr Gesetz schlechterdings niemand unrecht thun können.“ (VI 31329-31) Von diesen Prinzipien ausgehend ist die in § 46 konzipierte Volkssouveränität als diese „gesetzgebende Gewalt […] de[s] vereinigten Willen[s] des Volkes“ allein als ,bloße‘ Idee und Norm, nicht, wie bei Rousseau, als faktischer Vollzug zu verstehen. Dasselbe gilt für die Begriffe der Staatsbürger, der „gesetzlichen Freiheit“, der „bürgerliche[n] Gleichheit“, „der bürgerlichen Selbstständigkeit“80. 79

Declaration des Droits de l’Homme et du Citoyen (1789/1791), Artikel 6; 1794, modifiziert, Artikel 4. 80 Der „zur Gesetzgebung vereinigten Glieder einer solchen Gesellschaft (societas civilis), d.i. […] [der] Staatsbürger (cives)“; der „gesetzliche[n] Freiheit, keinem anderen Gesetz zu gehorchen, als zu welchem er [sc. der Staatsbürger] seine Beistimmung gegeben hat;“ der „bürgerliche[n] Gleichheit, keinen Oberen im Volk in Ansehung seiner zu erkennen, als nur

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2.4. Der Gesellschaftsvertrag, nicht Vollzug, sondern Idee In § 47 wird • erstens unterstrichen: „alle jene drei Gewalten im Staate sind Würden und als wesentliche aus der Idee eines Staats überhaupt zur Gründung desselben (Constitution) notwendig hervorgehend“. Auch hier gilt also: die Vernunft, die Idee ist logisch-normativ der Grund dieser Bestimmung, nicht der Gesellschaftsvertrag als Faktum. • Zweitens werden die logisch-normativen Implikationen dieser Gewalten als gesellschaftliche Verhältnisse entwickelt, nämlich „das Verhältniß eines allgemeinen Oberhaupts [2.1.] (der, nach Freiheitsgesetzen betrachtet, kein Anderer als das vereinigte Volk selbst sein kann) [2.2.] zu der vereinzelten Menge ebendesselben als Unterthans, [2.3.] d.i. des Gebietenden (imperans) gegen den Gehorsamenden (subditus).“ • Drittens wird der Gesellschaftsvertrag in eine ,bloße‘ Idee transformiert, zugleich verbunden mit dem Akt der Konstitution des Volks, den schon Rousseau als besonderen Akt expliziert hatte81, von Kant jedoch noch näher spezifiziert als Akt der Konstitution des Volks ,zum‘ Staat82. Dieser „ursprüngliche Contract“, als bloße Idee, nicht als Vollzug direkter Demokratie gedacht, enthält jedoch nicht nur die bislang dominierende normative Idealität, sondern ebenso die Idee der Selbsttätigkeit und der Konstitution einer neuen, die Individuen übergreifenden und in sich vereinigenden Subjektivität, wie sich aus den folgenden Spezifikationen ergibt: [3.1.] „Der Act, wodurch sich das Volk selbst zu einem Staat constituirt, eigentlich aber nur die Idee desselben, nach der die Rechtmäßigkeit desselben allein gedacht werden kann, ist der ursprüngliche Contract, [3.2.] nach welchem alle (omnes et singuli) im Volk ihre äußere Freiheit aufgeben, einen solchen, den er eben so rechtlich zu verbinden das moralische Vermögen hat, als dieser ihn verbinden kann;“ „der bürgerlichen Selbstständigkeit, seine Existenz und Erhaltung nicht der Willkür eines Anderen im Volke, sondern seinen eigenen Rechten und Kräften als Glied des gemeinen Wesens verdanken zu können, folglich die bürgerliche Persönlichkeit, in Rechtsangelegenheiten durch keinen Anderen vorgestellt werden zu dürfen.“ (VI 3144-16) 81 Du Contract Social I.5.: „Vor der Untersuchung des Akts, durch den ein Volk einen König wählt, dürfte es gut sein, den Akt zu untersuchen, durch den ein Volk ein Volk ist; denn dieser Akt, notwendigerweise dem anderen vorhergehend, ist die eigentliche Gründung der Gesellschaft.“ (Übersetzung: B.T.) 82 „Der Act, wodurch sich das Volk selbst zu einem Staat constituirt, eigentlich aber nur die Idee desselben, nach der die Rechtmäßigkeit desselben allein gedacht werden kann, ist der ursprüngliche Contract, nach welchem alle (omnes et singuli) im Volk ihre äußere Freiheit aufgeben, um sie als Glieder eines gemeinen Wesens, d.i. des Volks als Staat betrachtet (universi), sofort wieder aufzunehmen“ (VI 31530-35).

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[3.3.] um sie […] sofort wieder aufzunehmen“, [3.4.] und zwar „als Glieder eines gemeinen Wesens, [3.5.] d.i. des Volks als Staat betrachtet (universi)“. Es folgen eine kritische Abgrenzung und der kritisch bereinigte Begriff der Freiheit unter Gesetzen: [3.6.] „und man kann nicht sagen: der Staat, der Mensch im Staate habe einen Theil seiner angebornen äußeren Freiheit einem Zwecke aufgeopfert, [3.7.] sondern er hat die wilde, gesetzlose Freiheit gänzlich verlassen, [3.8.] um seine Freiheit überhaupt in einer gesetzlichen Abhängigkeit, d.i. in einem rechtlichen Zustande, unvermindert wieder zu finden [3.9.] weil diese Abhängigkeit aus seinem eigenen gesetzgebenden Willen entspringt.“ (VI 31530-3166) All das bedeutet: Das Volk wird tätig, konstituiert sich, und zwar nicht nur als Volk wie bei Rousseau, sondern – und dies ist spezifisch kantisch – ,zum‘ Staat. Dadurch werden sie nicht nur Teil eines Volks, sondern „des Volks als Staat betrachtet“; sie sind also selbst, in der Idee, der Staat. Dies geschieht durch das Tun der omnes et singuli, das heißt: aller als einzelner. Indem sie so ihre äußere, diese „wilde, gesetzlose Freiheit gänzlich verlassen“, d.i. das von Hobbes so genannte ,Recht auf alles‘ (ius in omnia) und insbesondere das ipse-judex-Prinzip (selbst Richter in eigener und fremder Sache zu sein) und das Recht auf Widerstand gegen die Staatsgewalt, sich ihr unterwerfend, aufgeben83, verändern sie sich selbst in mehrfacher Dimension: • Sie werden aus vereinzelten Individuen zu „Gliedern eines gemeinen Wesens“, d. h. zu Staatsbürgern und zum Volks als Staat betrachtet, zu universi; • Sie verwandeln ihre „wilde, gesetzlose Freiheit“ in die „Freiheit überhaupt in einer gesetzlichen Abhängigkeit, d.i. in einem rechtlichen Zustande“. • Sie sind und bleiben dadurch, wie schon von Montesquieu84 und Rousseau85 intendiert, autonom, d.i. sich selbst das Gesetz gebend und allein der Herrschaft des Gesetzes, damit sich selbst unterworfen. 83 Hobbes, de cive II.3. marg.: „Erstes besonderes Gesetz der Natur: das Recht auf alles ist nicht beizubehalten [muss aufgegeben werden]“. De cive V.7.: „Jeder verpflichtet sich durch den Vertrag einem jeden gegenüber, dem Willen des Menschen oder dem der Versammlung, dem er sich unterworfen hat, nicht zu widerstehen.“ (Übersetzung: B.T.) 84 De l’Esprit des Lois II.11.6.: „Weil in einem freien Staat jeder, dem eine freie Seele zugeschrieben wird, durch sich selbst beherrscht sein soll, muss das Volk als Körperschaft die gesetzgebende Gewalt besitzen.“ (Übersetzung: B.T.) 85 Du Contrat Social I.6.: „Eine Form der Vergesellschaftung zu finden, die mit der gesamten gemeinsamen Macht die Person und die Güter eines jeden Mitglieds verteidigt und schützt, und in der jeder, indem er sich mit allen vereinigt, dennoch nur sich selbst gehorcht und so frei bleibt wie zuvor. Dies ist das Grundproblem, dessen Lösung der Gesellschaftsvertrag ist.“ (Übersetzung: B.T.)

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• Denn es ist ihr eigener Wille, der „diese Abhängigkeit aus seinem eigenen gesetzgebenden Willen“, das Öffentliche Recht als „das Recht der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen“ erzeugt, ja, dieses Recht ist. • Last not least ist diese Identität ihres eigenen Willens mit dem allgemeinen Willen in der Idee, dieses ,Enthaltensein‘ ihres Willens im allgemeinen, dasjenige allein, was ihren Willen zu einem rechtlichen, unbedingt und allgemein gültigen, alle andern freien Individuen, alle Menschen verpflichtenden und berechtigenden Willen macht – im „Staat in der Idee“ (§ 45, VI 31311-13) oder in der Idee eines „a priori vereinigten […] absolut gebietenden […] allein gesetzgebende[n] Wille[ns]“. (§ 14, VI 26319-30) Jedes einzelne Moment dieser Idee des „ursprünglichen Kontrakts“ verdiente es, noch weiter ausgelegt, kommentiert und ausgewertet zu werden. Hier sei nur noch knapp angemerkt: Wie nach ihm Hegel lehnt auch Kant, sich dadurch von einem angelsächsisch-liberalistischen Staats- und Freiheitsverständnis abgrenzend, den Gedanken ab, die Unterwerfung unter die Staatsgewalt, unter Gesetz und Recht sei ein Opfer. Er unterstreicht im Gegenteil, dass nicht die „wilde, gesetzlose Freiheit“, sondern „Freiheit […] in einer gesetzlichen Abhängigkeit“ (§ 47, VI 3162-4), Unterwerfung unter den Zwang „in einem rechtlichen Zustande“, Freiheit also unter Gesetzen allein wahrhafte Freiheit ist. Hobbes und Rousseau folgend begründet er dies abschließend (in 3.8. und 3.9.) mit der Identität des jedem eigenen „gesetzgebenden Willens“ mit dem „allgemein vereinigten“ und „gesetzgebenden Willen des Volkes“ in freier Selbstbestimmung: allein kraft dieser Identität und Autonomie ist Freiheit unter Gesetzen Recht. „Freiheit überhaupt in einer gesetzlichen Abhängigkeit“ ist sein eigener, sich selbst das Gesetz gebender Wille.86 2.5. Autonomie als Substanz des Staates In § 48 werden die von Locke und Montesquieu87 ausführlich problematisierten Beziehungen der verschiedenen Staatsgewalten zueinander von Kant kurz und knapp, wie in § 45 an der Logik der Vernunftschlüsse orientiert, als Verhältnisse der Bei- und Unterordnung vorgestellt. Diese Beziehungen der drei Gewalten zueinander, ihre Trennung, schließlich aber auch ihre Einheit werden in § 49 spezifiziert.88 86

§ 47, VI 3162-4; vgl. auch erneut den „Grundsatz“ in § 44, VI 31212-21: „[…] mithin das Erste, was ihm zu beschließen obliegt, wenn er nicht allen Rechtsbegriffen entsagen will, der Grundsatz sei: man müsse aus dem Naturzustande, in welchem jeder seinem eigenen Kopfe folgt, herausgehen und sich mit allen anderen […] dahin vereinigen, sich einem öffentlich gesetzlichen äußeren Zwange zu unterwerfen, also in einen Zustand treten, darin jedem das, was für das Seine anerkannt werden soll, gesetzlich bestimmt und durch hinreichende Macht (die nicht die seinige, sondern eine äußere ist) zu Theil wird, d.i. er solle vor allen Dingen in einen bürgerlichen Zustand treten.“ 87 John Locke, Second Treatise of Government, ch. X–XV; Montesquieu, De l’Esprit des Lois II.11.6. 88 „Der Regent des Staats (rex, princeps) ist […] als moralische Person betrachtet […] das Directorium, die Regierung.“ (§ 49, VI 31624-30) Seine „Befehle an das Volk und die Magisträte und ihre Obere (Minister), welchen die Staatsverwaltung (gubernatio) obliegt, sind Verord-

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Dort wird u. a. die Immunität des Souveräns und aller Magistrate „aus Begriffen des äußeren Rechts überhaupt von selbst folgend“ (VI 31312) abgeleitet. Damit ist zugleich auch der Grund gelegt für Kants emphatische Ablehnung der Hinrichtung Karls I. von England (1649) und Ludwigs XVI. von Frankreich (1793)89, die seiner nicht nur geschichtsphilosophischen90 Befürwortung, sondern in demselben Kontext der Rechtslehre auch rechtstheoretisch91 begründeten Sanktionierung der Französischen Revolution nicht widerspricht. Das Prinzip der Autonomie macht sich nicht nur in der gesetzgebenden, sondern auf pointierte Weise auch in der richterlichen Gewalt und ihrer vernunftnotwendigen Trennung von den beiden anderen Gewalten mit der These ,Das Volk richtet sich selbst‘ geltend.92 Die von Kant modifizierte Konzeption der Gewaltenteilung kulminiert dann im letzten Absatz des § 49 in der Idee, dass die strikt getrennt agierenden Staatsgewalten dennoch nicht absolut getrennt, sondern nur vereint die Autonomie des Staates konstituieren: „In ihrer Vereinigung besteht das Heil des Staats (salus reipublicae suprema lex est);“ und zwar als Annäherung an „den Zustand der größten nungen, Decrete (nicht Gesetze)“. (VI 31630-33) Die Regierung darf nicht „zugleich gesetzgebend“ sein, denn dann wäre sie „despotisch“ (VI 31634f.). Sie darf auch nicht „väterlich[]“, sondern nur „vaterländisch[]“ oder „patriotisch[]“ sein. (§ 49, VI 3171-4) Der Regent, d.i. die Exekutivgewalt, „steht unter dem Gesetz und wird durch dasselbe folglich von einem Anderen, dem Souverän, verpflichtet.“ (VI 3179-11) Der Souverän kann ihn daher „absetzen, oder seine Verwaltung reformiren, aber ihn nicht strafen“. Denn die Exekutive ist die Rechtszwangsgewalt. Sie selbst dem Rechtszwang zu unterwerfen, widerspricht sich selbst. (§ 49, VI 31711-18) Vgl. dazu nochmals Montesquieu, De l’Esprit des Lois II.11.6.: „Wenn die gesetzgebende Gewalt und die Exekutivgewalt in einer Person oder in derselben institutionellen Körperschaft vereinigt sind, gibt es keine Freiheit […]. Es gibt auch keine Freiheit, wenn die richterliche Gewalt nicht von der gesetzgebenden und der Exekutivgewalt getrennt ist. Wäre sie mit der gesetzgebenden Gewalt vereinigt, dann wäre die Gewalt über Leben und Freiheit der Bürger willkürlich: denn der Richter wäre Gesetzgeber. Wäre sie mit der Exekutive vereint, besäße der Richter die Gewalt eines Unterdrückers. Alles wäre verloren, wenn ein und derselbe Mensch oder dieselbe Körperschaft von Aristokraten, Edlen oder des Volkes diese drei Gewalten ausübte: die Gewalt, Gesetze zu geben, staatliche Beschlüsse auszuführen oder über Vergehen und Rechtsstreitigkeiten der Bürger untereinander zu urteilen.“ (Übersetzung: B.T.) 89 Allgemeine Anmerkung nach § 49, Ziffer A., VI 32110-26. 90 Streit der Fakultäten II, insbesondere VII 85 ff. 91 Allgemeine Anmerkung nach § 49, Ziffer A., VI 32216-32312. – Auch Kants Reflexionen über die sog. Koalitionskriege gegen die Französische Republik (VI 32314-20), an denen bis 1795 auch Preußen beteiligt war, sind nicht nur historisch, sondern auch rechtstheoretisch relevant. 92 „Endlich kann weder der Staatsherrscher noch der Regierer richten, sondern nur Richter als Magisträte einsetzen. Das Volk richtet sich selbst durch diejenigen ihrer Mitbürger, welche durch freie Wahl, als Repräsentanten desselben, und zwar für jeden Act besonders dazu ernannt werden.“ (§ 49, VI 31719-22). – Unmittelbar anschließend begründet Kant ausführlicher, weshalb nur bei strikter Trennung der Gewalten allein „das Volk selbst“ das Urteil spricht, und leitet daraus das Prinzip ab: „Also kann nur das Volk durch seine von ihm selbst abgeordnete Stellvertreter (die Jury) über jeden in demselben, obwohl nur mittelbar, richten.“ (VI 31735f.)

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Übereinstimmung der Verfassung mit Rechtsprincipien […], als nach welchem zu streben uns die Vernunft durch einen kategorischen Imperativ verbindlich macht.“ (§ 49, VI 3184-14) Recht ist danach nur in größtmöglicher Annäherung an einen rechtsstaatlichen Zustand, d. h. in einer Verfassung möglich, die, wie insbesondere von Montesquieu gefordert, die drei Gewalten trennt und sie dennoch zugleich in der übergreifenden Einheit der Einen Staatsgewalt vereint. In diesem systematischen Kontext arbeitet Kant auch die öffentlich-rechtliche Dimension von Autonomie heraus: „Also sind es drei verschiedene Gewalten (potestas legislatoria, executoria, iudiciaria), wodurch der Staat (civitas) seine Autonomie hat, d.i. sich selbst nach Freiheitsgesetzen bildet und erhält. – In ihrer Vereinigung besteht das Heil des Staats […]“ (VI 3184-7).

Kant bringt hier, wie so oft in einem einzigen Satz, äußerst knapp und klar zum Ausdruck: Dies, die separate Wirksamkeit der drei Gewalten und ihre „Vereinigung“, die „das Heil des Staats (salus reipublicae suprema lex […])“ ist, ist auch die Substanz oder das Wesen des Staates. Denn Konstituens, Substrat und durchgängiger Bestimmungsgrund des Staates (der bürgerlichen Verfassung, des rechtlichen Zustands) ist der in § 45 eingeführte „allgemein vereinigte[] Wille[] in dreifacher Person (trias politica)“. Von Substanz der Verfassung zu sprechen, begriffen als Organisationsstruktur und Bestimmungsgrund des Handelns der in ihr vereinigten Menschen, im aristotelisch-leibnizianischen Sinne also als substantielle Form, heißt hier, den Staat als Aktivität oder emeqceia zu begreifen, als ein der Handlung fähiges Seiendes93 und Entelechie94, ein sich selbst als Zweck verwirklichendes und vollendendes Subjekt. So begriffen ist der Staat Aktivität, emtekeweia, Energie, die „sich selbst nach Freiheitsgesetzen bildet und erhält.“ Er ist also zielgerichtete gesellschaftliche Tätigkeit, die das Recht, das Mein und Dein, damit das Suum cuique, Gerechtigkeit, „den Zustand der größten Übereinstimmung der Verfassung mit Rechtsprincipien“ (VI 31811f.) erzeugt, d.i. die entelechetisch, d. h. nicht mechanisch, sondern organisch wirksam werdende Aktivität von Vernunft und Freiheit, spezifiziert zum und aktualisiert im „allgemein vereinigte[n] Wille[n] in dreifacher Person“, der „trias politica“. Darin kommt bereits zum Ausdruck: die Substantialität des Staates ist Subjektivität. Wie bei Aristoteles und Leibniz ist die Substanz auch bei Kant Subjekt95. Der 93

Leibniz, Principes de la Nature et de la Grace § 1, VI 598: als „un estre capable d’action“; vgl. dazu auch Kant: ,Wo Substanz ist, da ist Handlung, mithin Kraft […]‘ (Kritik der reinen Vernunft, B 250). 94 Leibniz, Monadologie § 18; Baumgarten, Metaphysica § 191: „Ens vel non potest exsistere, nisi ut determinatio alterius (in alio), vel potest, §. 10. Prius Accidens*) (praedicamentale s. physicum, cf. §. 50, cuius esse est inesse, sulbebgjor), posterius est Substantia**) (ens per se subsistens, forma, emtekeweia, ousia, upostasir, emeqceia), quod potest exsistere, licet non sit in alio, licet non sit determinatio alterius. *) ein nur in andern. **) ein vor sich bestehendes Ding.“ (XVII 66 f.) 95 Vgl. dazu vom Verfasser, Die Substanz ist das Subjekt: Aristoteles, Leibniz, Kant, Hegel, in: BDJþ?BCM, Festschrift für N. V. Motroschilova, Moskau 2009, 162 – 180.

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Staat ist ein Selbst: sich selbst das Gesetz gebend ist und besitzt er als der „allgemein vereinigte[] Wille[] in dreifacher Person (trias politica)“ Autonomie. So ist er in mehrdimensionaler Reflexivität auf sich selbst bezogen: er, der Staat, bildet, entwickelt und, eo ipso, erhält sich – sich selbst ,bildend‘ und verändernd – selbst. Ebenso ist dieses Selbst, der „allgemein vereinigte[] Wille[]“, Person, und zwar die Eine, die trias politica in sich vereinigende Person – drei Personen in Einer – und umgekehrt: die Eine Person des Staates und seines „allgemein vereinigte[n] Wille[ns] in dreifacher Person“. Das ist sicherlich als Anspielung auf die christliche Trinitas Dei intendiert, zugleich aber, philosophisch begriffen,96 ist diese trias die Differenzierung des Vernunftschlusses in die Momente der Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelnheit, die eo ipso der Eine Schluss, die Eine Vernunft sind. Last not least ist nicht zu vergessen: Es sind die „omnes et singuli“ (§ 47. VI 31534), die Menschen, vereint im „Zustand der größten Übereinstimmung der Verfassung mit Rechtsprincipien“ (VI 31811f.), also das sich zum Staat konstituierende Volk (§ 47. VI 31531f.), „der Staat in der Idee“ (VI 31311-13) oder das Volk „in der Idee“. Es sind die zum Staat vereinigten Individuen selbst, die durch Transformation ihrer „wilde[n], gesetzlose[n] Freiheit“ in die „Freiheit überhaupt in einer gesetzlichen Abhängigkeit, d.i. in einem rechtlichen Zustande“ (§ 47. VI 3164), ihren „eigenen gesetzgebenden Willen“ (VI 3165f.) verwirklichen. Sie also sind es, die in dieser Vereinigung der drei Gewalten (potestas legislatoria, executoria, iudiciaria), „wodurch der Staat (civitas) seine Autonomie hat, d.i. sich selbst nach Freiheitsgesetzen bildet und erhält“ (VI 3185-6), sich ihrerseits selbst nach Freiheitsgesetzen bilden und erhalten – und zwar „als Glieder eines gemeinen Wesens, d.i. des Volks als Staat betrachtet (universi)“ (§ 47, VI 31534-36). Staatsrechtlich nimmt Autonomie also die Bedeutung an, dass die Einzelnen in der Subjektivität des gewaltenteilig verfassten Staates sich selbst das Gesetz geben, ihr eigener, sich selbst das Gesetz gebender Wille und der Wille des Staates als allgemein gesetzgebender Wille daher identisch sind; dass sie also dieses Selbst der Vereinigung oder den Staat als Subjekt konstituieren. Dies ist, wie es dann in § 52 heißt, „die einzige bleibende Staatsverfassung, wo das Gesetz selbstherrschend ist und an keiner besonderen Person hängt; der letzte Zweck alles öffentlichen Rechts, der Zustand, in welchem allein jedem das Seine peremtorisch zugetheilt werden kann“ (VI 3411-4). Herrschaft des Gesetzes und des Rechts in einer gewaltenteilig organisierten Verfassung des Staates, der die Trennung der Gewalten zugleich in ihrer Vereinigung aufhebt: dies ist Kants Ansatz, den Widerspruch der Identität und Nichtidentität des Willens der freien Einzelnen und des Staates aufzulösen. Hobbes hatte ihn exponiert, Locke ihn gewaltenteilig zu lösen versucht und reproduziert, Rousseau hatte ihn verschärft. Kant transformiert ihn in § 49, wie vorstehend zitiert, in den Prozess der Annäherung an den „Zustand der größten Übereinstimmung der Verfassung mit Rechtsprincipien“, exponiert ihn dann in § 52 in der Idee „einer reinen Republik“ 96

Vgl. erneut den Beitrag „Trias politica“ von Michael Wolff in diesem Band.

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(VI 34032.), um ihn schließlich – über Völkerrecht und Weltbürgerrecht vermittelt – in die Idee „continuirlicher Annäherung zum höchsten politischen Gut, zum ewigen Frieden“ (VI 35529f.) zu überführen. Ob der Widerspruch aufgehoben ist, ist damit noch nicht ausgemacht. 2.6. Römer 13.1.: „eine Idee als praktisches Vernunftprincip […]: der jetzt bestehenden gesetzgebenden Gewalt gehorchen zu sollen […].“ An den § 49 hat Kant eine „Allgemeine Anmerkung“ angeschlossen, in der er in fünf Exkursen, A.–E. beziffert, die folgenden Problemkomplexe behandelt: Unbedingte Herrschaft, unbedingte Unterwerfung, kein Widerstandsrecht (A.) (VI 31818-32320) – Obereigentum des Herrschers am Boden, Rechtswidrigkeit des Status „aller Unterthanen als grundunterthänig (glebae adscripti)“ und der Grundherrschaft von Ständen und Orden – Finanz- und Steuerhoheit des Staats – Polizei (B.) (32321-32532) – „Armenwesen, die Findelhäuser und das Kirchenwesen, […] milde oder fromme Stiftungen“ (C.) (VI 32533-3285) – Ämter und Würden, insbesondere der Erblichkeit des Adels (D.) (VI 3286-33037) – kleine Abhandlung über das Straf- und Begnadigungsrecht (E.) (VI 3311-33720). Aus der komplexen Fülle dieser „Anmerkungen“ sei nur die erste kurz referiert, die in folgenden Thesen kulminiert: • Der im Brief des Paulus an die Römer XIII.1. formulierte, von Kant geringfügig modifizierte Satz „Alle Obrigkeit ist von Gott“ bedeute „nicht einen Geschichtsgrund der bürgerlichen Verfassung, sondern eine Idee als praktisches Vernunftprincip […]: der jetzt bestehenden gesetzgebenden Gewalt gehorchen zu sollen, ihr Ursprung mag sein, welcher er wolle.“ (VI 3192-11) • „Hieraus folgt nun der Satz: der Herrscher im Staat hat gegen den Unterthan lauter Rechte und keine (Zwangs-)Pflichten.“ (VI 31912f.) • „Ja es kann auch selbst in der Constitution kein Artikel enthalten sein, der es einer Gewalt im Staat möglich machte, sich im Fall der Übertretung der Constitutionalgesetze durch den obersten Befehlshaber ihm zu widersetzen, mithin ihn einzuschränken.“ (VI 31919-22) • „Wider das gesetzgebende Oberhaupt des Staats giebt es also keinen rechtmäßigen Widerstand des Volks;“ (VI 32011 f.)97 • „Eine Veränderung der (fehlerhaften) Staatsverfassung, die wohl bisweilen nöthig sein mag – kann also nur vom Souverän selbst durch Reform, aber nicht vom Volk,

97 „[…] denn nur durch Unterwerfung unter seinen allgemein-gesetzgebenden Willen ist ein rechtlicher Zustand möglich; also kein Recht des Aufstandes (seditio), noch weniger des Aufruhrs (rebellio), am allerwenigsten gegen ihn als einzelne Person (Monarch) unter dem Vorwande des Mißbrauchs seiner Gewalt (tyrannis) Vergreifung an seiner Person, ja an seinem Leben (monarchomachismus sub specie tyrannicidii). Der geringste Versuch hiezu ist Hochverrath (proditio eminens), und der Verräther dieser Art kann als einer, der sein Vaterland umzubringen versucht (parricida), nicht minder als mit dem Tode bestraft werden.“ (VI 32011-21)

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mithin durch Revolution verrichtet werden, und wenn sie geschieht, so kann jene nur die ausübende Gewalt, nicht die gesetzgebende treffen.“ (VI 3211-3223) Diese Thesen unterstreichen mit der Kant eigenen Deutlichkeit und Striktheit, dass die Staatsgewalt absolut, Widerstand rechtswidrig, Aufstand ein Verbrechen, Veränderung der Feudalherrschaft nur durch Reform, nicht durch Revolution rechtens ist. Das könnte dazu führen, Kant wie Hobbes, beide fälschlicherweise, als Befürworter des Absolutismus zu qualifizieren. Dem stehen nicht nur in demselben Kontext vorgetragene, hier nicht zitierte Ausführungen Kants, sondern auch die folgende – prima vista überraschende und 1797 in Preußen kühne – Position entgegen: „Übrigens, wenn eine Revolution einmal gelungen und eine neue Verfassung gegründet ist, so kann die Unrechtmäßigkeit des Beginnens und der Vollführung derselben die Unterthanen von der Verbindlichkeit, der neuen Ordnung der Dinge sich als gute Staatsbürger zu fügen, nicht befreien, und sie können sich nicht weigern, derjenigen Obrigkeit ehrlich zu gehorchen, die jetzt die Gewalt hat. Der entthronte Monarch (der jene Umwälzung überlebt) kann wegen seiner vorigen Geschäftsführung nicht in Anspruch genommen, noch weniger aber gestraft werden […]“ (VI 32216-3237).

Die Unterwerfung der revolutionär von der Feudalverfassung befreiten Staatsbürger unter die Staatsgewalt der erfolgreich gegründeten Republik Frankreich ist daher aus Vernunftprinzipien ebenso unbedingt wie die unter das Ancien Régime. Und dies gilt nicht nur für die zu Citoyens erhobenen Mitglieder des Dritten Standes, sondern ebenso für die ihnen vor der Revolution übergeordneten beiden Stände des Klerus und des Adels. Sie sind ebenso unbedingt zu Gehorsam der Republik gegenüber verpflichtet wie der Tiers État, ihr Widerstand und ihre Kriegführung gegen die neue Staatsgewalt der Republik ist daher ebenso rechtswidrig und verbrecherisch wie die zuvor gegen das Ancien Régime gerichtete revolutionäre Gewalt. Dass Kant unmittelbar anschließend (VI 3235-20) auch in diesem Kontext die Immunität des revolutionär gestürzten Herrschers, eo ipso auch die Rechtswidrigkeit seiner Bestrafung, bekräftigt und in diesem Kontext sogar die Frage der Rechtmäßigkeit der sog. Koalitionskriege gegen die Französische Republik aufwirft, an denen bis 1795 auch Preußen beteiligt war, sei nur noch angemerkt. 2.7. Die Idee einer „reinen Republik“ – Die „einzig bleibende Staatsverfassung […] der letzte Zweck alles öffentlichen Rechts“ Die §§ 51 und 52 stellen die drei Staatsgewalten der trias politica als „Verhältnisse des vereinigten, a priori aus der Vernunft abstammenden Volkswillens“ und die „reine Idee von einem Staatsoberhaupt, […] [d]ieses Oberhaupt (de[n] Souverän) […] [als] ein (das gesamte Volk vorstellendes) Gedankending“ (§ 51, VI 33822-30) vor. Sie nehmen damit nicht nur die in den §§ 46 – 48 exponierte Idee der Volkssouveränität wieder auf, sondern exponieren „aus dem Begriff eines gemeinen Wesens überhaupt (respublica latius dicta) hervorgehen[d]“ (§ 51, VI 33822f.)

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den „letzte[n] Zweck alles öffentlichen Rechts“98. Mit dieser Exposition der „einzig[en] bleibend[en] Staatsverfassung“ erhebt Kant den Anspruch, • wie Platon oder Cicero die beste Staatsverfassung exponiert, das Prinzip der Gerechtigkeit entwickelt und damit das Problem des ,Jedem das Seine‘ abschließend gelöst; • „die Freiheit zum Princip, ja zur Bedingung alles Zwanges […], der zu einer rechtlichen Verfassung im eigentlichen Sinne des Staats erforderlich ist“, gemacht (§ 52, VI 34035-37); • eo ipso, Montesquieu99 und Rousseau100 folgend, Selbstbestimmung zum Prinzip des Staatsrechts erhoben, „das Gesetz selbstherrschend“ (VI 3411f.) gemacht, eben damit • die einzig mögliche Rechtsform staatlicher Verfassung, den heute so genannten Rechtsstaat, a priori entwickelt; • und den „letzte[n] Zweck alles öffentlichen Rechts“ (§ 52, VI 3412f.), das öffentliche Recht also insgesamt, aus Naturrechtsprinzipien als unbedingt gebotenen Selbstzweck101 und „in continuirlicher Annäherung zum höchsten politischen Gut, zum ewigen Frieden“ (VI 35529 f.), das summum bonum politicum deduziert zu haben. Der in § 52 erreichte Abschluss ist allerdings nur vorläufig, nur das Staatsrecht betreffend. Dieses verweist, wie zu § 43 notiert, systematisch über sich selbst hinaus auf das Völkerrecht als unverzichtbar für die Verwirklichung des Rechtszustands auch nur in einem einzelnen Land.102 Dennoch ist und bleibt dieser vorläufige Ab98 „Dies ist die einzige bleibende Staatsverfassung, wo das Gesetz selbstherrschend ist und an keiner besonderen Person hängt; der letzte Zweck alles öffentlichen Rechts, der Zustand, in welchem allein jedem das Seine peremtorisch zugetheilt werden kann; indessen daß, so lange jene Staatsformen dem Buchstaben nach eben so viel verschiedene mit der obersten Gewalt bekleidete moralische Personen vorstellen sollen, nur ein provisorisches inneres Recht und kein absolut-rechtlicher Zustand der bürgerlichen Gesellschaft zugestanden werden kann.“ (§ 52, VI 3411-8) 99 De l’Esprit des Lois II.11.6. 100 Du Contract Social I.6. 101 „Verbindung Vieler zu irgend einem (gemeinsamen) Zwecke (den Alle haben) ist in allen Gesellschaftsverträgen anzutreffen; aber Verbindung derselben, die an sich selbst Zweck ist (den ein jeder haben soll), mithin die in einem jeden äußeren Verhältnisse der Menschen überhaupt, welche nicht umhin können in wechselseitigen Einfluß auf einander zu gerathen, unbedingte und erste Pflicht ist: eine solche ist nur in einer Gesellschaft, so fern sie sich im bürgerlichen Zustande befindet, d.i. ein gemeines Wesen ausmacht, anzutreffen. Der Zweck nun, der in solchem äußern Verhältniß an sich selbst Pflicht und selbst die oberste formale Bedingung (conditio sine qua non) aller übrigen äußeren Pflicht ist, ist das Recht der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen, durch welche jedem das Seine bestimmt und gegen jedes Anderen Eingriff gesichert werden kann.“ (Gemeinspruch, VIII 28916-28) 102 „[…] der Staat (civitas), welcher seiner Form wegen, als verbunden durch das gemeinsame Interesse Aller, im rechtlichen Zustande zu sein, das gemeine Wesen (res publica latius sic

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schluss – unbeschadet der Schwierigkeit, die in dem aus § 52, VI 3411-8 zitierten Satz zum Ausdruck kommt – der systematische Höhepunkt der bislang deduzierten Verfassung des Rechts und des Staates: „Alle wahre Republik aber ist und kann nichts anders sein, als ein repräsentatives System des Volks, um im Namen desselben, durch alle Staatsbürger vereinigt, vermittelst ihrer Abgeordneten (Deputirten) ihre Rechte zu besorgen. Sobald aber ein Staatsoberhaupt der Person nach (es mag sein König, Adelstand, oder die ganze Volkszahl, der demokratische Verein) sich auch repräsentieren läßt, so repräsentirt das vereinigte Volk nicht bloß den Souverän, sondern es ist dieser selbst; denn in ihm (dem Volk) befindet sich ursprünglich die oberste Gewalt, von der alle Rechte der Einzelnen, als bloßer Unterthanen (allenfalls als Staatsbeamten), abgeleitet werden müssen […]“ (§ 52, VI 3419-18).

Diese Idee der Volkssouveränität oder eines „repräsentative[n] System[s] des Volks“ ist auch „der Geist jenes ursprünglichen Vertrages (anima pacti originarii)“. Denn allein der Geist des Gesellschaftsvertrags „enthält die Verbindlichkeit der constituirenden Gewalt, die Regierungsart jener Idee angemessen zu machen und so sie, wenn es nicht auf einmal geschehen kann, allmählich und continuirlich dahin zu verändern, daß sie mit der einzig rechtmäßigen Verfassung, nämlich der einer reinen Republik, ihrer Wirkung nach zusammenstimme, und jene alte empirische (statutarische) Formen, welche bloß die Unterthänigkeit des Volks zu bewirken dienten, sich in die ursprüngliche (rationale) auflösen, welche allein die Freiheit zum Princip, ja zur Bedingung alles Zwanges macht, der zu einer rechtlichen Verfassung im eigentlichen Sinne des Staats erforderlich ist“. (§ 52, VI 34027-37). Erneut ist hier die Idealität des Gesellschaftsvertrags, der Volkssouveränität und „der einzig rechtmäßigen Verfassung“ (VI 34031) zu beachten, womit sich Kants Konzeption von der der Tradition der Vertragstheorie, insbesondere von derjenigen Rousseaus, grundlegend unterscheidet. Kant ist kein Theoretiker des Gesellschaftsvertrags und kann es kraft seiner Prinzipien von Vernunftrecht und unbedingter Geltung des Naturrechts auch nicht sein103. Die Selbstbestimmung des Volks als allein dicta) genannt wird, in Verhältniß aber auf andere Völker eine Macht (potentia) schlechthin heißt […] und so unter dem allgemeinen Begriffe des öffentlichen Rechts nicht bloß das Staats-, sondern auch ein Völkerrecht (ius gentium) zu denken Anlaß giebt: welches dann […] beides [sc. Staatsrecht und Völkerrecht] zusammen zu der Idee eines Völkerstaatsrechts (ius gentium) oder des Weltbürgerrechts (ius cosmopoliticum) unumgänglich hinleitet: so daß, wenn unter diesen drei möglichen Formen des rechtlichen Zustandes es nur einer an dem die äußere Freiheit durch Gesetze einschränkenden Princip fehlt, das Gebäude aller übrigen unvermeidlich untergraben werden und endlich einstürzen muß.“ (§ 43, VI 31115-29). 103 Vgl. dazu auch die „Folgerung“ aus dem Gemeinspruch: „Hier ist nun ein ursprünglicher Contract, auf den allein eine bürgerliche, mithin durchgängig rechtliche Verfassung unter Menschen gegründet und ein gemeines Wesen errichtet werden kann. – Allein dieser Vertrag [Hervorhebung B.T.] (contractus originarius oder pactum sociale genannt), als Coalition jedes besondern und Privatwillens in einem Volk zu einem gemeinschaftlichen und öffentlichen Willen (zum Behuf einer bloß rechtlichen Gesetzgebung), ist keinesweges als ein Factum vorauszusetzen nöthig (ja als ein solches gar nicht möglich) [Hervorhebung B.T.]; gleichsam als ob allererst aus der Geschichte vorher bewiesen

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gesetzgebender Souverän, Freiheit als „Bedingung alles Zwanges“ und die Herrschaft des Gesetzes, d.i. „die einzige bleibende Staatsverfassung, wo das Gesetz selbstherrschend ist“, sind und bleiben ,bloße‘ Idee, was in der die drei Staatsformen betreffenden Paradoxie kulminiert: In allen drei Staatsformen, auch in der Demokratie, muss das Volk sich repräsentieren lassen, um als Souverän wirksam sein, fungieren zu können. Dann aber gilt, wie zitiert: „es ist dieser selbst“. In dieser aus der Vernunft deduzierten Form konzipiert Kant, eher Montesquieu folgend, das Repräsentativsystem des Volkes als einzig rechtmäßige, allein Freiheit auch als politische Freiheit verwirklichende Verfassung und entscheidet sich damit zugleich gegen Rousseaus Konzeption direkter Demokratie. Noch eine weitere Paradoxie wird leicht übersehen: Solange dieser „letzte Zweck alles öffentlichen Rechts“ nicht verwirklicht ist, bleibt alles Recht „nur ein provisorisches inneres Recht und […] der bürgerlichen Gesellschaft“ kann „kein absolutrechtlicher Zustand“ (§ 52, VI 3415-8) zugestanden werden. Die alles entscheidende Frage ist also, schon das Staatsrecht für sich genommen betreffend, ob diese Ideen als reine Vernunftbegriffe überhaupt historisch-empirisch verwirklicht werden können. Die Vernunft gebietet es kategorisch; und Kant nimmt dies auch in diesem Kontext explizit an.104 Die Frage bleibt offen, ob eine solche Auflösung der „alten empirischen (statutarischen) Formen“ in die rationale Form der Idee nach Kants eigenen Prinzipien überhaupt möglich ist. VI. Völkerrecht, Völkerbund – der Naturzustand der Völker 1. Völkerrecht und Völkerbund Die im Staatsrecht in letzter Konsequenz nicht beantwortete Frage stellt sich noch verschärft, wenn wir zum Völkerrecht übergehen, in dessen letztem Paragraphen werden müßte, daß ein Volk, in dessen Rechte und Verbindlichkeiten wir als Nachkommen getreten sind, einmal wirklich einen solchen Actus verrichtet und eine sichere Nachricht oder ein Instrument davon uns mündlich oder schriftlich hinterlassen haben müsse, um sich an eine schon bestehende bürgerliche Verfassung für gebunden zu achten. Sondern es ist eine bloße Idee der Vernunft, die aber ihre unbezweifelte (praktische) Realität hat: nämlich jeden Gesetzgeber zu verbinden, daß er seine Gesetze so gebe, als sie aus dem vereinigten Willen eines ganzen Volks haben entspringen können, und jeden Unterthan, so fern er Bürger sein will, so anzusehen, als ob er zu einem solchen Willen mit zusammen gestimmt habe. Denn das ist der Probirstein der Rechtmäßigkeit eines jeden öffentlichen Gesetzes.“ (VIII 2972-21) 104 So etwa, wenn er „die Verbindlichkeit der constituirenden Gewalt“, wie oben aus § 52, VI 34027-37 zitiert, erläutert: sie solle „die Regierungsart jener Idee angemessen […] machen und [ggf.] allmählich und continuirlich dahin […] verändern, daß sie mit der einzig rechtmäßigen Verfassung, nämlich der einer reinen Republik, ihrer Wirkung nach zusammenstimme“. In der Konsequenz der Erfüllung dieser „Verbindlichkeit der constituirenden Gewalt“ sollen sich dann „jene alte[n] empirische[n] (statutarische[n]) Formen, welche bloß die Unterthänigkeit des Volks zu bewirken dienten, […] in die ursprüngliche (rationale) [d.h. in die von Kant aus dem Begriff der Vernunft entwickelte Form] auflösen“.

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Kant unumwunden erklärt: „so ist der ewige Friede (das letzte Ziel des ganzen Völkerrechts) freilich eine unausführbare Idee“ (§ 61, VI 35016f.). Ehe wir versuchen, diese neuerliche Schwierigkeit oder Aporie zu begreifen, ist zunächst zu betrachten, wie es zu dieser Verschärfung der Problematik im Völkerrecht kommt. Das sog. Völkerrecht ist der rechtlose oder Naturzustand. Kant konstatiert dies unter dem Titel der „Elemente des Völkerrechts“ ganz lakonisch: „Die Elemente des Völkerrechts sind: 1) daß Staaten, im äußeren Verhältnis gegen einander betrachtet, (wie gesetzlose Wilde) von Natur in einem nicht-rechtlichen Zustande sind; 2) daß dieser Zustand ein Zustand des Krieges (des Rechts des Stärkeren), […] ist; […] 3) daß ein Völkerbund nach der Idee eines ursprünglichen gesellschaftlichen Vertrages nothwendig ist, sich zwar einander nicht in die einheimische Mißhelligkeiten derselben zu mischen, aber doch gegen Angriffe der äußeren zu schützen; 4) daß die Verbindung doch keine souveräne Gewalt (wie in einer bürgerlichen Verfassung), sondern nur eine Genossenschaft (Föderalität) enthalten müsse; eine Verbündung, die zu aller Zeit aufgekündigt werden kann, mithin von Zeit zu Zeit erneuert werden muß, – ein Recht in subsidium eines anderen und ursprünglichen Rechts, den Verfall in den Zustand des wirklichen Krieges derselben untereinander von sich abzuwehren (foedus Amphictyonum).“ (§ 54, VI 3446-23)

Dass der als Medium der Aufhebung des Naturzustands und des Übergangs in den rechtlichen Zustand zwischen Völkern und Staaten konzipierte Völkerbund dieses Ziel nicht nur nicht erreicht, sondern nicht erreichen kann, ergibt sich zwingend aus mindestens zwei der oben zitierten Bestimmungen: Zum einen ist „eine Verbündung, die zu aller Zeit aufgekündigt werden kann“, das kontradiktorische Gegenteil absoluter Verbindlichkeit eines kategorischen Imperativs: ihre Begründung wie ihre Kündigung und ihre Erneuerung „von Zeit zu Zeit“ ist Zufälligkeit und Willkür unterworfen, kann also nicht unbedingt und allgemein gültiges Recht schaffen. Zum anderen ergibt sich dies auch daraus, „daß die Verbindung doch keine souveräne Gewalt (wie in einer bürgerlichen Verfassung), sondern nur eine Genossenschaft (Föderalität) enthalten müsse“: die Bündnispartner sind also Genossen, nicht einer gesetzgebenden Gewalt oder richterlichen Gewalt unterworfen. Sie sind vielmehr, dem ipse-judex-Prinzip folgend, selbst Richter über Recht und Unrecht in eigener und fremder Sache zu sein, allein gesetzgebend und entscheidend. Der Völkerbund reproduziert daher schon kraft dieses seines Begriffs – also ganz unabhängig vom guten oder bösen Willen der Beteiligten – das Prinzip, Richter in eigener Sache (ipse-judex) zu sein, und damit den Krieg aller gegen alle, d.i. den Naturzustand zwischen den Völkern, den er doch gerade beenden sollte. Die Ausführungen des § 44 gelten daher auch im Völkerrecht; hier insbesondere bezüglich des Völkerbunds: Es ist, wie Kant dort unterstreicht, nicht die Erfahrung – etwa die Erfahrung gelingender oder misslingender Abstimmungen und Kompromisse im UN-Sicherheitsrat oder in der UN-Vollversammlung –, sondern liegt im Begriff oder „a priori in der Vernunftidee“105 eines Völkerbunds wie es heute die UN sind, 105 „Es ist nicht etwa die Erfahrung, durch die wir von der Maxime der Gewaltthätigkeit der Menschen belehrt werden und ihrer Bösartigkeit, sich, ehe eine äußere machthabende Ge-

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dass sie zur Aufhebung „eines solchen (nicht-rechtlichen) Zustandes“ nicht in der Lage sind. Denn kraft dieses ihres Begriffs gibt kein Mitglied der UN seine Souveränität auf, sondern entscheidet als nationaler Souverän allein, kraft „jedes seinem eigenen Recht zu tun, was ihm recht und gut dünkt“, als ipse judex, Richter in eigener und fremder Sache also, darüber, was recht ist – ob also etwa auch von ihm selbst abgegebene Voten, Gesetze oder Verträge eingehalten, Urteile oberster Gerichte befolgt und die Ausübung der Staatsgewalt Rechtsprinzipien unterworfen ist oder nicht. Dies ist genau das, was Kant ebendort als die „Vernunftidee eines solchen (nichtrechtlichen) Zustandes“ bezeichnet. Daher gilt für die UN wie für den Völkerbund und den sogleich noch zu betrachtenden, in § 61 der Rechtslehre vorgestellten „permanenten Staatenkongreß“: kraft der der Verfassung übernationaler Institutionen wie Völkerbund oder UN immanenten „Vernunftidee eines solchen (nicht-rechtlichen) Zustandes“ reproduziert sich der Naturzustand. Konflikte werden allenfalls gelegentlich, und auch dann nur annäherungsweise, wie von Kant erhofft, „auf civile Art, gleichsam durch einen Proceß, nicht auf barbarische (nach Art der Wilden), nämlich durch Krieg“ (§ 61, VI 3516-8) entschieden. Eben dies folgt auch aus einer weiteren, heutzutage für Kriegführung überall in der Welt in Anspruch genommenen Bestimmung, aus dem von Kant so genannten „ursprünglichen Rechte zum Kriege freier Staaten gegen einander im Naturzustande (um etwa einen dem rechtlichen sich annähernden Zustand zu stiften)“106. Es dient heute, modifiziert zum Kampf für Demokratisierung, für Humanität oder Menschenrechte oder gegen den sogenannten „Terrorismus“, zur Begründung der Kriege etwa im Kosovo, im Irak oder in Afghanistan. Das ,Quis judicabit?‘, die Frage ,Was ist Recht?‘ wird nicht nach Prinzipien von Recht, Gesetz und Gericht, sondern durch den „Zustand des Krieges (des Rechts des Stärkeren“ (§ 54, VI 3448f.), das Gottesurteil des Erfolgs, beantwortet. Ein Votum der UN hebt den nichtrechtlichen Zustand nicht nur nicht auf, es bekräftigt und reproduziert ihn, indem es dem Krieg den Schein der Rechtmäßigkeit verleiht. Dass Zustimmung oder der „consensus hominum“ als solcher kein Recht schafft, Grund des Rechts nicht sein kann, wusste schon Thomas setzgebung erscheint, einander zu befehden, also nicht etwa ein Factum, welches den öffentlich gesetzlichen Zwang nothwendig macht, sondern, sie mögen auch so gutartig und rechtliebend gedacht werden, wie man will, so liegt es doch a priori in der Vernunftidee eines solchen (nicht-rechtlichen) Zustandes, daß, bevor ein öffentlich gesetzlicher Zustand errichtet worden, vereinzelte Menschen, Völker und Staaten niemals vor Gewaltthätigkeit gegen einander sicher sein können, und zwar aus jedes seinem eigenen Recht zu tun, was ihm recht und gut dünkt, und hierin von der Meinung des Anderen nicht abzuhängen;“ (Rechtslehre § 44, VI 3122-12). 106 „Bei jenem ursprünglichen Rechte zum Kriege freier Staaten gegen einander im Naturzustande (um etwa einen dem rechtlichen sich annähernden Zustand zu stiften) erhebt sich zuerst die Frage: welches Recht hat der Staat gegen seine eigene Unterthanen sie zum Kriege gegen andere Staaten zu brauchen, ihre Güter, ja ihr Leben dabei aufzuwenden, oder aufs Spiel zu setzen: so daß es nicht von dieser ihrem eigenen Urtheil abhängt, ob sie in den Krieg ziehen wollen oder nicht, sondern der Oberbefehl des Souveräns sie hineinschicken darf?“ (§ 55, VI 34425-32)

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Hobbes.107 Das sogenannte „Recht des Stärkeren“ ist kein Recht, das Wort „Recht“ ist in dieser Verbindung ein nichtssagender Leertitel oder ,Galimathias‘108. 2. Weltbürgerrecht und „permanente[r] Staatenkongreß“ Der erste Satz der Friedensschrift von 1795 nimmt hypothetisch an: „Ob diese satirische Überschrift auf dem Schilde jenes holländischen Gastwirths, worauf ein Kirchhof gemalt war, die Menschen überhaupt, oder besonders die Staatsoberhäupter, die des Krieges nie satt werden können, oder wohl gar nur die Philosophen gelte, die jenen süßen Traum träumen, mag dahin gestellt sein.“ (VIII 3432-6) In § 61 der Rechtslehre von 1797 dagegen stellt Kant es ganz und gar nicht mehr „dahin“, sondern vielmehr kategorisch fest: „der ewige Friede (das letzte Ziel des ganzen Völkerrechts) [ist] eine unausführbare Idee.“109 Doch hält er hier eine Lösung parat: „continuirliche Annäherung“ an den Ewigen Frieden des peremtorischen Rechtszustands als „eine auf der Pflicht, mithin auch auf dem Recht der Menschen und Staaten gegründete Aufgabe“ soll „das letzte Ziel des ganzen Völkerrechts“ erreichbar machen und das Recht am Ende doch noch Wirklichkeit werden lassen.110 Zweifel sind allerdings angebracht. Denn erneut wird als institutionelle Lösung eine auf Willkür, nicht auf Vernunft basierende Vereinigung vorgeschlagen, die deshalb auch nicht notwendig, sondern zufällig und jederzeit auflösbar ist. Deutlicher noch als der Völkerbund des § 54, ja, ausdrücklich, wird der „permanente Staatenkongreß“ des § 61 als „willkürliche“ Vereinigung, „zu aller Zeit auflöslich“ (VI 3511-3) und insofern nicht a priori, nicht auf Vernunft gegründet, daher nicht als notwendig und allgemein verbindlich qualifiziert. Er ist eine nicht-staatliche Vereinigung, im Gegensatz zu den „amerikanischen Staaten“, d.i. den USA, „welche […] auf einer Staatsverfassung gegründet und daher unauflöslich“ sind.111 Unbeschadet dieser Schwierigkeit hält Kant an seinem mehrfach dimensionierten Anspruch fest: die „Idee“ und mit ihr Vernunft soll Wirklichkeit werden können; „allein“ durch „den permanenten Staatenkongress […] [soll] die Idee eines zu errichtenden öffentlichen Rechts der Völker […] realisirt werden“ können (§ 61, VI 3515-8); dasjenige schließlich, was da realisiert werden soll, nämlich das letzte Ziel des ganzen Völkerrechts, 107

„Die Gesetze der Natur von der Zustimmung derjenigen abzuleiten, die sie eher brechen als befolgen, ist absurd […]. Das natürliche Gesetz ist keine Übereinkunft zwischen Menschen, sondern ein Diktat der Vernunft.“ (de Cive 2.1. bzw. de Cive 2.1. marg. – Übersetzung B.T.) 108 Rousseau, Du Contrat Social I 3. 109 § 61, VI 3506-17. 110 „Die politischen Grundsätze aber, die darauf abzwecken, nämlich solche Verbindungen der Staaten einzugehen, als zur continuirlichen Annäherung zu demselben [d.i. zum Ewigen Frieden] dienen, sind es nicht [sc. nicht unausführbar], sondern, so wie diese eine auf der Pflicht, mithin auch auf dem Recht der Menschen und Staaten gegründete Aufgabe ist, allerdings ausführbar.“ (§ 61, VI 35017-22) 111 § 61, VI 35023-3518.

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involviert erneut eine konstitutive Funktion. Diese „Idee eines zu errichtenden öffentlichen Rechts der Völker“ soll, wie schon die Verfassung des „Staats in der Idee“ des Staatsrechts, als substantielle Form fungieren, d.i. als Prinzip den Rechtszustand, ja die Verfassung „eines zu errichtenden öffentlichen Rechts“ der internationalen Beziehungen zwischen Völkern und Staaten konstituieren und strukturieren. Auch wenn dieser Anspruch auf Verwirklichung von Vernunft und Idee durch das „gleichsam durch einen Proceß“ wieder abgeschwächt wird, so wird er doch nicht zurückgenommen. Ebenfalls nicht zurückgenommen, sondern durch den ersten Satz des „Weltbürgerrechts“ entschieden bekräftigt wird der Anspruch, dass es sich hier nicht um Moral oder Ethik, sondern um Recht handelt.112 Unter oder aus dieser Voraussetzung wird dann das entwickelt, was so weder vor noch nach Kant behauptet oder gar deduziert worden ist, ein Weltbürgerrecht als ,Recht‘ auf den bloßen Versuch, „sich zum Verkehr untereinander anzubieten“.113 Auch dieses Weltbürgerrecht ist jedoch, wie das systematisch vorhergehende Völkerrecht, selbst bei Umsetzung durch einen Völkerbund, nur ein Substitut des Rechts, Ersatzrecht, nicht striktes Recht, sondern „ein Recht in subsidium eines anderen und ursprünglichen Rechts, den Verfall in den Zustand des wirklichen Krieges derselben untereinander von sich abzuwehren.“ (§ 54, VI 34421-23) VII. Der Ewige Friede: Endzweck der Rechtslehre innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, unbedingt geboten und unausführbar Der 1797 als systematischer Höhepunkt und Abschluss der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre konzipierte Ewige Friede ist anderes und mehr als „Ein philosophischer Entwurf“ (VIII 341), den die Friedensschrift von 1795 vorstellt. Die als Bestandteil des Rechtssystems begriffene Idee macht „den ganzen Endzweck der Rechtslehre innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft aus“ (VI 3557-9, Hervorhebung B.T.), ist das tekor, das „höchste[] politische[] Gut“ (VI 35529f.), die Vollendung und einzig mögliche Form der Verwirklichung des Rechts und der Gerechtigkeit. Kurz: Der Ewige Friede ist das „Recht der Menschen unter öffentlichen Zwangsge112 „Diese Vernunftidee einer friedlichen, wenn gleich noch nicht freundschaftlichen, durchgängigen Gemeinschaft aller Völker auf Erden, die untereinander in wirksame Verhältnisse kommen können, ist nicht etwa philanthropisch (ethisch), sondern ein rechtliches Princip.“ (§ 62, VI 3526-9) 113 „[…] so stehen alle Völker ursprünglich in einer Gemeinschaft des Bodens, nicht aber der rechtlichen Gemeinschaft des Besitzes (communio) und hiemit des Gebrauchs, oder des Eigenthums an demselben, sondern der physischen möglichen Wechselwirkung (commercium), d.i. in einem durchgängigen Verhältnisse eines zu allen Anderen, sich zum Verkehr untereinander anzubieten, und haben ein Recht, den Versuch mit demselben zu machen, ohne daß der Auswärtige ihm darum als einem Feind zu begegnen berechtigt wäre. — Dieses Recht, so fern es auf die mögliche Vereinigung aller Völker in Absicht auf gewisse allgemeine Gesetze ihres möglichen Verkehrs geht, kann das weltbürgerliche (ius cosmopoliticum) genannt werden.“ (§ 62, VI 35214-25)

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setzen, durch welche jedem das Seine bestimmt und gegen jedes Anderen Eingriff gesichert werden kann.“ (Gemeinspruch, VIII 28926-28, Rechtslehre § 44, VI 31214-33). Peremtorisches Mein und Dein ist gemäß §§ 8, 9, 14 – 17 und 44 nur im bürgerlichen Zustand möglich. Nun gilt: „Die gesetzgebende Gewalt kann nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen. Denn da von ihr alles Recht ausgehen soll, so muß sie durch ihr Gesetz schlechterdings niemand unrecht thun können. […] Also kann nur der übereinstimmende und vereinigte Wille Aller, so fern ein jeder über Alle und Alle über einen jeden ebendasselbe beschließen, mithin nur der allgemein vereinigte Volkswille gesetzgebend sein.“ (§ 46, VI 313 f.) [1. Prämisse; kurz: P 1]. „Dies ist die einzige bleibende Staatsverfassung, wo das Gesetz selbstherrschend ist und an keiner besonderen Person hängt; der letzte Zweck alles öffentlichen Rechts, der Zustand, in welchem allein jedem das Seine peremtorisch zugetheilt werden kann […]. […] in ihm (dem Volk) befindet sich ursprünglich die oberste Gewalt, von der alle Rechte der Einzelnen, als bloßer Unterthanen (allenfalls als Staatsbeamten), abgeleitet werden müssen“ (§ 52, VI 3411-4, 15-18) [P 2]. „Alle wahre Republik aber ist und kann nichts anders sein, als ein repräsentatives System des Volks, um im Namen desselben, durch alle Staatsbürger vereinigt, vermittelst ihrer Abgeordneten (Deputirten) ihre Rechte zu besorgen. Sobald aber ein Staatsoberhaupt der Person nach (es mag sein König, Adelstand, oder die ganze Volkszahl, der demokratische Verein) sich auch repräsentiren läßt, so repräsentirt das vereinigte Volk nicht bloß den Souverän, sondern es ist dieser selbst; denn in ihm (dem Volk) befindet sich ursprünglich die oberste Gewalt“ (§ 52, VI 3419-16) [Conclusio].

Mit der vorstehenden Conclusio scheinen die distributive Gerechtigkeit, äußeres Mein und Dein und die Volkssouveränität abschließend deduziert, die Realisierung dieser Idee gesichert zu sein. Dem steht jedoch entgegen, was Kant an den zentralen Satz der zuvor zitierten Passage („der letzte Zweck alles öffentlichen Rechts, der Zustand, in welchem allein jedem das Seine peremtorisch zugetheilt werden kann“) unmittelbar angeschlossen hat: „indessen daß, so lange jene Staatsformen dem Buchstaben nach eben so viel verschiedene mit der obersten Gewalt bekleidete moralische Personen vorstellen sollen, nur ein provisorisches inneres Recht und kein absolutrechtlicher Zustand der bürgerlichen Gesellschaft zugestanden werden kann.“ (VI 3411-4-8) Daraus folgt: selbst innerstaatlich – vom nichtrechtlichen Zustand des Völkerrechts also noch ganz abgesehen – ist alles Recht „nur ein provisorisches inneres Recht“, daher nicht allgemeingültig und unbedingt verpflichtend, solange diese Idee der reinen Republik (§ 52, VI 34029-32), diese „einzige bleibende Staatsverfassung“, „der letzte Zweck alles öffentlichen Rechts“, „ein repräsentatives System des Volks“ nicht historisch-empirisch – und zwar global, das „ganze menschliche Geschlecht“ (§ 15, VI 26636) umfassend – verwirklicht worden ist. Ob diese Idee, ob Ideen überhaupt historisch-empirisch verwirklicht werden können, ist jedoch nach wie vor fraglich, obwohl nach Kants Prinzipien a priori entschieden. Unabhängig davon jedoch gilt: Insofern und insoweit alles Recht „nur ein pro-

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visorisches inneres Recht“ ist, herrscht auch innerstaatlich der Naturzustand. Dasselbe gilt, wie wir gesehen haben, a fortiori für die internationalen Beziehungen, wenn man die einschlägigen Lehrsätze der §§ 15114, 54 und 61 in Rechnung stellt: Die Beziehung zwischen Völkern und Staaten – ihr innerer Zustand mag sein, welcher er will, rechtlich oder nicht-rechtlich – ist „der Naturzustand der Völker“ (§ 61, VI 3506). Daher ist „alles Recht der Völker und alles durch den Krieg erwerbliche oder erhaltbare äußere Mein und Dein der Staaten bloß provisorisch und kann nur in einem allgemeinen Staatenverein (analogisch mit dem, wodurch ein Volk Staat wird) peremtorisch geltend und ein wahrer Friedenszustand werden.“ (§ 61,VI 3508-12) [P 1] Nun ist ein „Völkerstaat[] über weite Landstriche“ unmöglich. (ebd. VI 35012-16) [P 2] Also „ist der ewige Friede (das letzte Ziel des ganzen Völkerrechts) freilich eine unausführbare Idee“ (ebd. VI 35016-18) [Conclusio].

Die Konsequenz bedeutet u. a. auch: „alles Recht der Völker“, alles Staatsrecht also, mit ihm alles Mein und Dein – selbst wenn es, wie § 8 (Titel) gefordert, „unter einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt, d.i. im bürgerlichen Zustande“ bestimmt worden ist –, kurz: alles Recht überhaupt, ist und bleibt provisorisch oder „kann nur in einem allgemeinen Staatenverein (analogisch mit dem, wodurch ein Volk Staat wird) peremtorisch geltend und ein wahrer Friedenszustand werden.“ Hier kommt nun ins Spiel, was Kant als letzten Ausweg konzipiert: „Die politische[n] Grundsätze aber, die darauf abzwecken, nämlich solche Verbindungen der Staaten einzugehen, als zur continuirlichen Annäherung zu demselben dienen, sind es nicht [d.h. nicht unausführbar], [P 1], sondern […] ausführbar.“ [P 2], weil auf Pflicht gegründet, „mithin [eine] auch auf dem Recht der Menschen und Staaten gegründete Aufgabe“ (§ 61, VI 35017-22). Doch auch dieser Weg ist kein Ausweg. Denn der „allgemeine“ (VI 35010) oder „permanente[] Staatencongreß“ ist „nur eine willkürliche, zu aller Zeit auflösliche Zusammentretung verschiedener Staaten, nicht eine solche Verbindung, welche (so wie die der amerikanischen Staaten) auf einer Staatsverfassung gegründet und daher unauflöslich ist“. (VI 35024-3514) Und dennoch soll durch ihn „allein die Idee eines zu errichtenden öffentlichen Rechts der Völker, ihre Streitigkeiten auf civile Art, gleichsam durch einen Proceß, nicht auf barbarische (nach Art der Wilden), nämlich durch Krieg, zu entscheiden, realisirt werden“ können. (VI 3511-8) Dieser Ausweg ist ein permanentes Sollen, eine moralische Aufgabe, die „das moralische Gesetz […] in uns selbst“ (VI 3553) stellt. Denn „die moralisch-praktische 114

„Die Unbestimmtheit in Ansehung der Quantität sowohl als der Qualität des äußeren erwerblichen Objects macht diese Aufgabe (der einzigen ursprünglichen äußeren Erwerbung) unter allen zur schwersten sie aufzulösen. Irgend eine ursprüngliche Erwerbung des Äußeren aber muß es indessen doch geben; denn abgeleitet kann nicht alle sein. Daher kann man diese Aufgabe auch nicht als unauflöslich und als an sich unmöglich aufgeben. Aber wenn sie auch durch den ursprünglichen Vertrag aufgelöst wird, so wird, wenn dieser sich nicht aufs ganze menschliche Geschlecht erstreckt, die Erwerbung doch immer nur provisorisch bleiben.“ (§ 15, VI 26628-37)

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Vernunft in uns [spricht] ihr unwiderstehliches Veto aus: Es soll kein Krieg sein; weder der, welcher zwischen Mir und Dir im Naturzustande, noch zwischen uns als Staaten, die, obzwar innerlich im gesetzlichen, doch äußerlich (in Verhältniß gegen einander) im gesetzlosen Zustande sind“ (VI 35420-24) Und es „ist nicht mehr die Frage: ob der ewige Friede ein Ding oder Unding sei, und ob wir uns nicht in unserem theoretischen Urtheile betrügen, wenn wir das erstere annehmen, sondern wir müssen so handeln, als ob das Ding sei, was vielleicht nicht ist, auf Begründung desselben und diejenige Constitution, die uns dazu die tauglichste scheint (vielleicht den Republicanism aller Staaten sammt und sonders) hinwirken, um ihn herbei zu führen und dem heillosen Kriegführen, worauf als den Hauptzweck bisher alle Staaten ohne Ausnahme ihre innere Anstalten gerichtet haben, ein Ende zu machen.“ (VI 35425-33) All dies – „diese allgemeine und fortdauernde Friedensstiftung […], […] de[r] ganze[] Endzweck der Rechtslehre innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (VI 3558f.) – „der Friedenszustand […] der unter Gesetzen gesicherte Zustand des Mein und Dein“ (VI 35510f.) – diese Idee einer „besten Verfassung“ (35520) – der „Republicanism aller Staaten“ (35430) – ist nur „durch allmähliche Reform nach festen Grundsätzen […] in continuirlicher Annäherung zum höchsten politischen Gut, zum ewigen Frieden“ (VI 35528-30) möglich. Fazit: Das Exeundum, den Naturzustand zu verlassen und in den rechtlichen Zustand einzutreten, damit das Suum cuique tribuere, das Recht zu verwirklichen, ist und bleibt durchgängig aufgegeben, durch alle Versuche der Bewältigung auf immer höherer, allgemeinerer Ebene reproduzierte, sich in immer neuer anspruchsvollerer Form stellende, letztlich jedoch ungelöste Aufgabe. Denn die Konstitution des Rechtszustands, das Gebot, der kategorische Imperativ der Vernunft, den Zustand des permanenten Rechtsfriedens zu schaffen, ist nicht erfüllt: der Ewige Friede ist und bleibt „unausführbare Idee“. VIII. Rückblick und Auswertung Nach ,einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie‘ ist es in der Kant-Forschung Mode geworden, den Kant der mittleren und späten 1790er Jahre, vorsichtig versteht sich, als senil, seiner Gedanken und Texte nicht mehr so ganz mächtig und nicht mehr viel Neues liefernd, zu disqualifizieren. Diese These wird in philosophischer wie in editorischer Absicht und Konsequenz vorgetragen. Die Rechtslehre widerlegt die Propagandisten dieser These in ihren beiden Dimensionen, philosophisch und editorisch. Philosophisch bietet Kants kritisches Naturrecht, wie vorstehend gezeigt, vieles Außergewöhnliche. Aus der Fülle der oben exponierten Besonderheiten seien hier nurmehr die folgenden, stichwortartig, rekapituliert: • Die Stringenz und Konsistenz, mit der Kant durchgängig die Bestimmungen des Rechts a priori analytisch aus dem Begriff entwickelt – zunächst aus dem Begriff

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der Freiheit und, darauf basierend, „aus bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt“, dann, nach synthetischer Erweiterung der praktischen Vernunft durch sich selbst, „aus dem Gesetz der äußeren Freiheit“ (§ 7, VI 25326f.) bzw. „aus Begriffen des äußeren Rechts überhaupt“ (§ 45, VI 31312) – sind im Naturrecht vor Kant nicht anzutreffen. • „Die Vernunft will, daß dieses als Grundsatz gelte, und das zwar als praktische Vernunft, die sich durch dieses ihr Postulat a priori erweitert“ (§ 2, VI 2476-8): Dieser Satz ist das Fundament „des äußeren Rechts überhaupt“, begründet seine systematische Unabhängigkeit von der Ethik, den Begriff des „bloß rechtlichen“ oder „intelligiblen“ Besitzes, d.i. Eigentum, und das Öffentliche Recht, vermittelt über die Erweiterung des reinen Willens zum allgemeinen Willen in der Idee des „a priori vereinigten […] absolut gebietenden […] allein gesetzgebende[n]“ (§ 14, VI 26319-27) und „synthetisch-allgemeinen Willen[s]“ (§ 17, VI 26915). • Die aus dieser Erweiterung resultierende analytisch-synthetische Methode der Argumentation und der Beweise: Zunächst wird, in Umkehrung des Verfahrens der theoretischen Vernunft „in diesem praktischen“ (§ 6, VI 2523f.), die Beziehung der Begriffe und synthetischen Urteile a priori auf Objekte unter Abstraktion von „allen Bedingungen der Anschauung“ (§ 6, VI 2524f.) demonstriert. Sodann erlaubt die synthetische Erweiterung des allgemeinen Rechtsbegriffs zu dem auf alles „Äußere (Brauchbare)“ (§ 6, VI 25213-15) bezogenen Begriff „des äußeren Rechts überhaupt“ alle weiteren Deduktionen und das Beweisen „auf analytische Art“ (§ 7, VI 25521). Die für das Privatrecht wichtigsten Ergebnisse dieses Verfahrens, die oben ausführlich dargestellt worden sind, seien nurmehr zusammengefasst unter der Formel der durchgängigen Idealität des Rechts, von Aneignung, Erwerb, Eigentum und Vertrag. All diese rechtlichen Bestimmungen als „intellectuelle[] Verhältni[sse]“ (§ 7, VI 25323) zu begreifen, ist nicht nur für Kants Vernunft- und Ideenlehre, immanent-systematisch also, relevant, sondern für das Funktionieren des Rechts auch in der gesellschaftlichen Praxis nicht nur „tauglich“, sondern unverzichtbar. Dasselbe gilt für Kants Begriff vom „Staat in der Idee“ und für die daraus abgeleiteten Begriffe • der trias politica, die die Teilung der drei grundlegenden Staatsgewalten und die Notwendigkeit ihrer Vereinigung in einer einzigen ausdrückt und, nach Vernunftprinzipien, organisiert; • des zur Idee transformierten Gesellschaftsvertrags; • der Idealität der volonté générale und der Souveränität des Volkes, seiner gesetzgebenden Gewalt und seiner Funktion als „reine Idee von einem Staatsoberhaupt“ (§ 51, VI 33825);

Recht aus dem Begriff

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• der Idee „der einzig rechtmäßigen Verfassung, nämlich der einer reinen Republik“ (§ 52, VI 34031f.), d.i. der „einzig[] bleibende[n] Staatsverfassung, wo das Gesetz selbstherrschend ist und an keiner besonderen Person hängt; der letzte Zweck alles öffentlichen Rechts, der Zustand, in welchem allein jedem das Seine peremtorisch zugetheilt werden kann“ (§ 52, VI 3411-4), kulminierend in der Formel: • „Alle wahre Republik aber ist und kann nichts anders sein als ein repräsentatives System des Volks […]“ (§ 52, VI 3419ff.): all dies sind philosophisch außerordentliche und politisch durchaus kühne Konzeptionen. Von den vielen Momenten, die in der Rezeption der Rechtslehre kaum oder gar nicht beachtet werden, sei abschließend nur noch die systematische Integration des Ewigen Friedens (…) und damit der Weltgeschichte, nicht mehr nur als „Idee […] in weltbürgerlicher Absicht“, sondern als dem System der Rechtsbegriffe und Rechtsgesetze immanent begriffen (…) in das Naturrecht hervorgehoben. Ewiger Friede ist nicht mehr geschichtsphilosophisches Projekt oder „Versuch“ wie 1784 oder 1795: er ist als „der letzte Zweck alles öffentlichen Rechts“ (§ 52, VI 3412f.), „diese allgemeine und fortdauernde Friedensstiftung“ als „de[r] ganze[] Endzweck der Rechtslehre innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (,Beschluss‘, VI 3557-9), „in continuirlicher Annäherung zum höchsten politischen Gut“ (VI 35529f.) dem System des Rechts immanent, zu verwirklichende Aufgabe, durch politische Grundsätze und kontinuierliche Reform der Staatsverfassungen erreichbares115 tekor der Entwicklung der Menschengattung von der Natur zur Freiheit. Hiermit geht Kant ohne großes Aufheben über die projets de paix perpétuelle des Abbé de St. Pierre und Rousseaus hinaus: der Rechtsstaat, diese „einzig[e] bleibende [] Staatsverfassung, wo das Gesetz selbstherrschend ist“, „Der Zweck […], der in solchem äußern Verhältniß an sich selbst Pflicht und selbst die oberste formale Bedingung (conditio sine qua non) aller übrigen äußeren Pflicht ist, […] das Recht der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen, durch welche jedem das Seine bestimmt und gegen jedes Anderen Eingriff gesichert werden kann“. Ewiger Friede ist nicht mehr Utopie, nicht imaginiert, sondern in der Freiheit, dem „reinen Willen, in welchem die sittlichen Begriffe und Gesetze ihren Ursprung haben“ (VI 22117f.), verankert und in allmählicher Reform des Öffentlichen Rechts und „continuirlicher Annäherung zum höchsten politischen Gut“ zu verwirklichen. Hegel, philologisch genauer und exzellenter Kant-Kenner, der er ist, ist einer der wenigen, die diesen systematischen Höhepunkt der Rechtslehre wahrgenommen haben. Er hat Kants Systematik des Öffentlichen Rechts begriffen, sich zueigen gemacht und c. Die Weltgeschichte als die bei Kant noch ungelösten Widersprüche des Völkerrecht aufheben115

„[…] so ist der ewige Friede (das letzte Ziel des ganzen Völkerrechts) freilich eine unausführbare Idee. Die politische Grundsätze aber, die darauf abzwecken, nämlich solche Verbindungen der Staaten einzugehen, als zur continuirlichen Annäherung zu demselben dienen, sind es nicht, sondern, so wie diese eine auf der Pflicht, mithin auch auf dem Recht der Menschen und Staaten gegründete Aufgabe ist, allerdings ausführbar.“ (§ 61, VI 35016-22)

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des Drittes nach a. Inneres Staatsrecht und b. Das äußere Staatsrecht in seine Systematik des Staatsrechts aufgenommen116 und sich dadurch erneut als in der Nachfolge Kants stehend erwiesen – ein Umstand, der zum Schaden auch der Kant-Interpretation von der herrschenden Lehre der Kant- wie der Hegel-Forschung geflissentlich übersehen wird. Abschließendes Fazit: Kants Rechtslehre ist in der Fülle ihrer Neuerungen und systematischen Ergebnisse ein Meisterwerk des Naturrechts, ja, der praktischen Philosophie schlechthin. Die Behauptung der Senilität Kants hält in ihrer philosophischen wie editorischen Intention der Prüfung nicht stand. Dies gilt, last not least, für die synthetische Selbsterweiterung der Vernunft zur rechtlich-praktischen durch ihr an der Spitze der Rechtslehre in § 2 stehendes Postulat, welches das systematische Fundament von Kants Naturrecht ist. Diesen § 2 wie so vieles andere, dann aber sogar als Ganzes aus dem Text zu eliminieren, ist unverantwortlich. Denn eine so verfahrende Edition wie diejenige Bernd Ludwigs oder die der CUP edition of Kant’s Works zerstört mit dem Fundament des § 2 Kants Rechtslehre innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft insgesamt. Den Dekonstrukteuren sei daher abschließend ein zweifacher kategorischer Imperativ entgegengehalten: postulatum iuridicum rationis practicae non esse delendum, sed integre restituendum – principia prima cognitionis metaphysicae iuris restituenda sunt.

116 Dies die letzte Version von Hegels Systematik des Naturrechts in den §§ 537 ff., 547 und 548 ff. der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830).

Die frühe Rezeption der Konzeption des Naturrechts Kants in Russland Alexei N. Krouglov Zum ersten Mal wurde die Metaphysik der Sitten (1797) Kants in Russland noch 6 Jahre vor dem Erscheinen des Buchs erwähnt, nämlich in der Beschreibung des Besuchs Kants im Jahre 1789 vom russischen Historiker, Schriftsteller und Staatsmann Nikolaj Michajlovicˇ Karamzin (1766 – 1826), der 1791 auf Russisch seine Briefe eines reisenden Russen1 veröffentlicht hat. Die Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre wurden in Russland am Ende des 18. –, am Anfang des 19. Jahrhunderts vor allem vom Standpunkt der kantischen Konzeption des Naturrechts aus rezipiert. Zuerst wurde die Verbreitung der Rechtslehre Kants in Russland auch vom Staat unterstützt. Der erste russische Zeitschriftenbeitrag, der im vollen Maße Kant gewidmet war, wurde in dem Sankt-Petersburger Zˇurnal, im offiziellen Organ des Innenministeriums Russlands, veröffentlicht, und zwar mit der Anmerkung der Redaktion, dass Kant „in seinen philosophischen Werken von den Rechten der Gesellschaft und von der Gesetzgebung geschrieben hat, deshalb gehört er ohne Zweifel zu den Staatsschriftstellern […]“2. Der Grund einer solchen staatlichen Sympathie der kantischen Philosophie gegenüber bestand wohl in der Hoffnung, durch den Unterricht des kantianisch geprägten Naturrechts „Schwärmereien der Gleichheit und der wilden Freiheit“ verhindern zu können3. An den russischen Universitäten wurde das Naturrecht von Anfang an angeboten, d. h. seit der Gründung der Moskauer Universität im Jahre 1755. Anfang des 19. Jahrhundert wurde beschlossen, diese Disziplin auch in Gymnasien und Militärschulen zu unterrichten4. 1809 hat der russische Zar Alexander I (1777 – 1825) nach der In1 Karamzin, Nikolaj Michajlovicˇ, Pis’ma russkago putesˇestvennika, Kenigsberg, Ijunja 8/ 19, 1789, in: Moskovskij zˇurnal, Tl. 1, Nr. 2, Moskau 1791, S. 155 – 160. Zu Deutsch erschienen bereits 1799 – 1802: Karamzin, Briefe eines reisenden Russen, aus dem Russischen von J. Richter, Leipzig 1799 – 1802. 2 Villers, Karl [Viller, Charle], Emmanuil Kant, in: Sankt-Petersburgskij Zˇurnal, 1804, Nr. 10, S. 125 Anm. 3 Kolubovskij, Jakov Nikolaevicˇ, Filosofija u russkich [Philosophie bei den Russen], in: Ibergveg-Gejnce, [Überweg, Friedrich, Heinze, Max] Istorija novoj filosofii v szˇatom ocˇerke, übers. aus der 7. deutschen Ausgabe, hg. von Kolubovskij, Sankt-Petersburg 1890, S. 534, § 52. 4 Vgl. Ustav ucˇebnych zavedenij, podvedomych Universitetam. 5 nojabrja 1804 [Das Statut der ausbildenden Anstalten, die zu den Universitäten gehören], in: Sbornik postanovlenij po Ministerstvu narodnogo prosvesˇcˇenija, Bd. 1, Sankt-Petersburg 21875, Sp. 335, § 23

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itiative seines Reformers Michail Michajlovicˇ Speranskij (1772 – 1839) den russischen Beamten befohlen, eine Prüfung abzugeben, um höhere Titel und Stellen beanspruchen zu dürfen. Diese Prüfung setzte auch „eine gründliche Kenntnis des Naturrechts“5 voraus. Den ersten russischen Universitätskurs über die kantische Philosophie hat Professor Johann Matthias Schaden (1731 – 1797) 1795/97 in Moskau angeboten6, dennoch war der Gegenstand seiner Vorlesungen die Ethik Kants aufgrund der Kritik der praktischen Vernunft (1788) und der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785): die Metaphysik der Sitten ist erst in seinem Todesjahr erschienen. Und bereits Schadens Nachfolger auf dem Lehrstuhl des Naturrechts an der Moskauer Universität, Professor Michail Ivanovicˇ Skiadan (40Vr Jahre des 18. Jahrhunderts – 1802), war ein ausgeprägter Gegner Kants, dessen Philosophie er als eine „aufgewärmte Sˇcˇi-Suppe, crambe biscoctum“7 bezeichnet hat. Sowohl Schaden als auch Skiadan haben das Naturrecht nach Samuel Pufendorf (1631 – 1694) gelesen. Der Anfang der eigentlichen Rezeption des Naturrechts Kants ist in Russland mit der Tätigkeit Buhles und Reinhards verbunden. Johann Gottlieb Buhle (1763 – 1821) ist 1804 aus Göttingen nach Moskau gekommen. 1805/06 hat er Philosophie, Naturrecht und Völkerrecht gelesen8, 1806/07 kommen dazu noch „philosophische Systeme Kants, Fichtes und Schellings“9, 1808/09 Naturrecht und eine „kritische Metaphysik auf Latein“10. Die Nachschrift seiner Vorlesungen über Philosophie aus [Nr. 64]; Plan voennogo vospitanija. 21 marta 1805 [Plan der Militärerziehung], in: op. cit., Sp. 405, § 15 [Nr. 81]. 5 O pravilach proizvodstva v cˇiny po grazˇdanskoj sluzˇbe i ob ispytanijach v naukach, dlja proizvodstva v kollezˇskie asessory i statskie sovetniki. 6 avgusta 1809 [Von den Regeln der Ernennung und Beförderung im staatlichen Dienst und von den Prüfungen in Wissenschaften für die Ernennung zum Kollegienassessor und zum Staatsrat], in: op. cit., Sp. 586 [Nr. 163]. 6 Vgl. Schaden, Johann Matthias, Institutiones philosophiae Moralis Secundum praecepta Philosophiae Criticae ad ductum Johann Matthias Schaden [Kurs nravstvennoj filosofii, cˇitannyj v Moskovskom universitete Sˇadenom, 1795 g.], in: RGADA [Russisches staatliches Archiv der alten Akte, Moskau], f. 17, op. 1, d. 8 dopoln. 7 Timkovskij, Il’ja Fedorovicˇ, Pamjatnik Ivanu Ivanovicˇu Sˇuvalovu, osnovatelju i pervomu kuratoru Imperatorskogo Moskovskogo Universiteta [Denkmal für Ivan Ivanovicˇ Sˇuvalov, den Gründer und den ersten Kurator der Kaiserlichen Moskauer Universität], in: Moskovitjanin, hg. von Michail Petrovicˇ Pogodin, Moskau 1851, Tl. 3, Bd. 1 – 2, Nr. 9 – 10, S. 29. 8 Vgl. Catalogus praelectionum in Universitate Literarum Caesarea Mosquensi a. D.XVII AVG. CICICCCCV habendarum promulgatus auctoritate Conventis Academici, =oskau 1805, p. 14. 9 Ob’’javlenie o publicˇnych ucˇenijach, v Imperatorskom Moskovskom Universitete prepodavaemych, s 1806 goda avgusta 17 po 1807 ijunja 28, po naznacˇeniju soveta [Ankündigung der öffentlichen Veranstaltungen an der Kaiserlichen Moskauer Universität vom 17. August 1806 bis 28. Juni 1807], Moskau 1806, S. 1. 10 Ob’’javlenie o publicˇnych ucˇenijach, v Imperatorskom Moskovskom Universitete prepodavaemych, s 1808 goda avgusta 17 po 28 ijunja 1809 [Ankündigung der öffentlichen Veranstaltungen an der Kaiserlichen Moskauer Universität vom 17. August 1808 bis 28. Juni 1809], =oskau 1808, S. 2.

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dem Jahre 1808 ist erhalten11: Ein wesentlicher Abschnitt dieser Vorlesungen erläutert Kant und seine Philosophie. Es ist davon auszugehen, dass auch die Vorlesungen Buhles über das Naturrecht an der Moskauer Universität mehr oder weniger kantianisch gesinnt waren. Wenigstens steht fest, dass ein russischer Student, nämlich Alexandr Ivanovicˇ Turgenev (1785 – 1846), der Buhle noch in Göttingen kurz vor dessen Abreise nach Moskau gehört hat, im April 1803 nach seiner Vorlesung über das Naturrecht ins Tagebuch geschrieben hat: „Ein umfassendes universelles Genie – Kant“12. Noch wichtiger für die Verbreitung der Rechtslehre Kants in Russland war wohl die Lehrtätigkeit Philipp Christian Reinhards (1764 – 1812), der 1803 aus Köln nach Moskau gekommen ist. Reinhard hat unter anderem auch das Naturrecht unterrichtet13. In Russland sind zwei Übersetzungen seiner Schriften erschienen: das Naturrecht und das System der praktischen Philosophie. In der praktischen Philosophie ist Reinhard als ein ausgesprochener Anhänger Kants aufgetreten14. In einem der ersten russischen Lehrbücher des Naturrechts des 19. Jahrhunderts – in der Schrift Der Abriß des Naturrechts (1808)15 von Ivan Mokeevicˇ Naumov (177?–1833) – sind keine Spuren der kantischen Philosophie zu entdecken. Nach dem Unterricht Buhles und Reinhards an der Moskauer Universität sah die Situation allmählich anders aus. Als Grundstein für ein eigenes Lehrbuch des Naturrechts hat Reinhard eben die kantische Philosophie gelegt. Er behauptet, dass Kant, „nachdem er das Aussehen der ganzen Philosophie reformiert hat, eine neue Art und Weise ein-

Cˇaadaev, Michail Jakovlevicˇ, Kurs filosofii, prochodimyj na privatnych lekcijach g-na Bule, professora, P. O., pri imp. Moskovskom universitete, pisannyj 1808-go goda [Kurs der Philosophie, gehört in den privaten Vorlesungen des Hrn. Buhle, des ordinären Professors an der Kaiserlichen Moskauer Universität, geschrieben im Jahre 1808], in: Handschriftenabteilung IRLI [Institut der russischen Literatur, Sankt-Petersburg], f. 494, ed. chr. 1067. 12 Turgenev, Aleksandr Ivanovicˇ, Gettingenskij dnevnik [Göttinger Tagebuch], in: Pis’ma i dnevniki Aleksandra Ivanovicˇa Turgeneva gettingenskogo perioda (1802 – 1804 gg.) i pis’ma ego k A. S. Kajsarovu i brat’jam v Gettingen, hg. von Vasilij Michajlovicˇ Istrin, SanktPetersburg 1911, S. 217. 13 Vgl. Ob’’javlenie o publicˇnych ucˇenijach, v Imperatorskom Moskovskom Universitete prepodavaemych, s 1809 goda avgusta 17 po 28 ijunja 1810 [Ankündigung der öffentlichen Veranstaltungen an der Kaiserlichen Moskauer Universität vom 17. August 1809 bis 28. Juni 1810], =oskau 1809, S. 2; Ob’’javlenie o publicˇnych ucˇenijach, v Imperatorskom Moskovskom Universitete, prepodavaemych s 1811 avgusta 17dnja [Ankündigung der öffentlichen Veranstaltungen an der Kaiserlichen Moskauer Universität vom 17. August 1811], =oskau 1811, S. 1. 14 Vgl. Rejngard, Christian Philipp [Reinhard, Ph. Chr.], Sistema prakticˇeskoj filosofii [System der praktischen Philosophie], übers. aus dem Französischen von Sergej Kuvicˇinskij, =oskau 1807, S. XVI. 15 Naumov, Ivan Mokeevicˇ, Nacˇertanie estestvennogo prava, prinadlezˇasˇcˇee k pervoj cˇasti prakticˇeskogo pravovedenija dlja grazˇdan [Abriß des Naturrechts, der zum ersten Teil der praktischen Rechtswissenschaft für Bürger gehört], 2 Tle., =oskau 1808. 11

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geführt hat, sowohl die Sittenlehre als auch das Naturrecht zu erörtern“16. Den Sinn der Neuerungen Kants erklärt Reinhard folgendermaßen: „Vor Kant waren fast alle darin einig, daß sie, erstens, Naturrechte aus dem Trieb zur Selbsterhaltung abgeleitet, und zweitens, alle Gesetze auf diesem Trieb gegründet und aus ihm allein ihre Kraft geschöpft haben […] Kant behauptet dagegen, daß alles, was die praktische Philosophie betrifft, auf der reinen Idee vom sittlichen Gesetz gegründet sein soll, auf der Idee, die in jedem vernünftigen Wesen unbedingt vorhanden ist“.17 Auch zur kantischen Unterscheidung der äußeren und der inneren Freiheit in der Metaphysik der Sitten hat Reinhard in seinem Lehrbuch gegriffen: „Nachdem Kant die Grundlagen der theoretischen und der praktischen Philosophie gelegt hat, hat er das Buch unter dem Titel Metaphysik der Sitten veröffentlicht. In diesem Buch wird die ganze Lehre von den äußeren Rechten aus folgendem Grund abgeleitet: Handle so, damit neben Deiner Freiheit auch die Freiheit aller anderen existieren könnte, d. h. wolle nicht von Deiner Freiheit Gebrauch so weit machen, daß alle anderen Freiheit weniger als Du genießen. Diesem in vielen Hinsichten exzellenten Anfangsgrund schadet nur, wie es scheint, ein nicht ganz bestimmtes und mehrdeutiges Wort ,Freiheit‘“18. Der Einfluß Buhles und Reinhards auf die Verbreitung des kantianischen Naturrechts in Russland bezeugen auch Rechtsgelehrten wie Cvetaev und Filimonov19. Der Professor an der Moskauer Universität Lev Alekseevicˇ Cvetaev (1777 – 1835) hat zuerst bei Schaden und Skiadan in Moskau und später auch in Göttingen studiert, wo er auch eine Prüfung in der praktischen Philosophie bei dem dortigen Professor August Ludwig Schlözer (1735 – 1809) abgelegt hat. Während dieser Prüfung hat Cvetaev erklärt, dass er nach dem kantischen System studiert habe. Mit Befremden hat Schlözer darauf gesagt: „Ich verstehe Kant nicht […]. Ich habe nach Wolff gelernt. Sagen Sie bitte doch, wieso haben Sie Wolff gelassen und Kant genommen?“20 Cvetaev war kein direkter Schüler Reinhards und schrieb sein eigenes Werk des Naturrechts unter der Einwirkung von Theodor Anton Heinrich Schmalz (1760 – 1831). Aber auch die Schriften Buhles waren ihm nah. Cvetaev war dazu noch als ein Mitarbeiter in den von Buhle nach dem Beispiel der Göttingischen Gelehrten Anzeigen in Moskau herausgebenden Moskauer Gelehrten Nachrichten tätig. Dennoch hat Cvetaev in Russland die Tradition Reinhards fortgesetzt, das Naturrecht auf die kantische Philosophie zu gründen (sowie die Tradition Schadens und Buhles in der Auslegung 16

Rejngard, Ph. Chr. [Reinhard, Ph. Chr.], Estestvennoe pravo [Naturrecht], übersetzt aus dem Lateinischen von Ivan Sycˇugov, Kazan’ 1816, S. 21, § 49. 17 Op. cit., S. 21, § 50. 18 Op. cit., S. 21 – 22, § 51. 19 Professor des Rechts Grigorij Samuilovicˇ Fel’dstejn (1868–?) hat auf der Grundlage der Manuskripte seines Vorgängers im Demidov-Gymnasium in Jaroslavl’ Gerasim Fedorovicˇ Pokrovskijs (1774 – 1833) behauptet, dass dieser Schüler Reinhards das Naturrecht auch im Sinne Kants unterrichtet hat. Vgl. Fel’dstejn, Grigorij Samuilovicˇ, Glavnye tecˇenija v istorii nauki ugolovnogo prava v Rossii [Hauptströmungen in der Geschichte des Strafrechts in Rußland], Jaroslavl’ 1909, S. 469 – 470. 20 Zitiert nach: Barsukov, Nikolaj Platonovicˇ, Zˇizn’ i trudy Pogodina [Leben und Werke Pogodins], Bd. 1, Sankt-Petersburg 1888, S. 248.

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der Moralphilosophie Kants). Seine Definition des Naturrechts lautet: „Das Naturrecht ist eine Wissenschaft von den äußeren und vollkommenen [unbedingten?21] Pflichten und Rechten eines Menschen und von deren Veränderungen hinsichtlich seiner Verhältnisse; eine Wissenschaft, die aus der Vernunft stammt und die Grundzüge ihrer Verhältnisse [darstellt]“22. Dadurch unterscheidet sich das Naturrecht von der Sittenlehre, die „die inneren und nicht vollkommenen Pflichten als ihren Gegenstand hat“23. Wie stark Cvetaev in seinem Naturrecht unter dem Einfluss der kantischen Philosophie steht, zeigt sich, wenn er den kategorischen Imperativ als ein allgemeines Gesetz der Sittlichkeit präsentiert.24 Vladimir Sergeevicˇ Filimonov (1787 – 1858), der nach dem Besuch der Moskauer Universität Gouverneur in Archangel’sk wurde, hat vermutlich bei Reinhard studiert. In seinem System des Naturrechts heißt es: „Das Naturrecht soll sich in seinen Grundsätzen auf die praktische Philosophie stützen“25. Der wichtigste Begriff der praktischen Philosophie ist für ihn der Begriff der praktischen Vernunft: „Die Vernunft, die als ein Gesetzgeber der menschlichen Sittlichkeit betrachtet wird, heißt die praktische Vernunft“26. Eben die praktische Vernunft ist ein für jeden Menschen charakteristisches Vermögen: „Dieses hervorragende Vermögen der Vernunft, unter eigenen Gesetzen zu stehen und in den Handlungen frei zu sein, prägt den unterscheidenden Charakter eines Menschen, der als moralischer Charakter bezeichnet wird“27. Aber nicht nur an der Moskauer Universität war das Naturrecht im Geiste Kants zu Hause. In Kazan’ hat der aus Göttingen gekommene Professor Johann Christophor Fincke (1773 – 1814) das Naturrecht von 1809 bis zu seinem Tod unterrichtet. Die russische Übersetzung seines Lehrbuchs ist erst 1816 erschienen (zugunsten der Veteranen des Vaterländischen Krieges). Bereits auf den ersten Seiten erklärt er: „In wichtigen Anfangsgründen bin ich dem großen Königsberger Philosophen gefolgt, obwohl ich an vielen Stellen von ihm abgewichen bin“28. Fincke hat die Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre kurz behandelt29 und seine Aufmerksamkeit 21

Vgl. auch AA VI, S. 240, 390. Cvetaev, Lev Alekseevicˇ, Pervye nacˇala prava estestvennogo, izdannye dlja rukovodstva ucˇasˇcˇichsja [Anfangsgründe des Naturrechts, hg. für die Anleitung der Studierenden], Moskau 1816, S. 1. 23 Op. cit. 24 Op. cit., S. 6. Obschon Cvetaev ein eigenes Lehrbuch des Naturrechts konzipiert hat, hat er diese Disziplin an der Moskauer Universität nicht unterrichtet, wenigstens nicht vor dem Vaterländischen Krieg gegen Napoleon im Jahre 1812. 25 Filimonov, Vladimir Sergeevicˇ, Sistema estestvennogo prava [System des Naturrechts], Sankt-Petersburg 1811, S. 3, § 1. 26 Op. cit., S. 4 Anm. 27 Op. cit., S. 5, § 3. 28 Finke, Ivan Christoforovicˇ [Fincke, J. Chr.], Estestvennoe cˇastnoe, publicˇnoe i narodnoe pravo [Naturrecht, privates, öffentliches und Völkerrecht], übersetzt aus dem Deutschen, Kazan’ 1816, S. II. 29 Vgl. op. cit., S. 6, § 13; S. 13 – 14, § 24. 22

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auf die Unterscheidung Kants zwischen legalen und moralischen Handlungen gelenkt.30 Das Hauptverdienst Kants vor dem Recht sah er in der Grundlegung des Fundaments des Naturrechts: „Allein dem großen Philosophen Immanuel Kant ist es gelungen, den entscheidenden Einfluß auf das Naturrecht auszuüben. Er allein hat es gegründet und im Wesen definiert; obwohl er die praktische Vernunft überhaupt als eine Gesetzgeberin der Freiheit und als eine gemeinsame Quelle sowohl der Sittenlehre als auch des Naturrechts anerkannt hat, hat er die beiden Wissenschaften mit Hilfe folgender zwei Grundsätze voneinander ganz gut unterschieden: der inneren und der äußeren Freiheit des Menschen“31. Das Schicksal dieses Lehrbuchs in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts war traurig: Wie auch andere kantianisch geprägte Lehrbücher wurde die Schrift Finckes nach dem Befehl des Kurators der Kazaner Universität Michail Leont’evicˇ Magnickij (1778 – 1855) aus der Universitätsbibliothek entfernt und verboten.32 Ein ähnliches Schicksal hat auch das Lehrbuch eines anderen Kazaner Professors, Gavriil Il’icˇ Solncevs (1786 – 1866), erlebt. Die Verfolgung Solncevs hat dazu geführt, dass sein Hauptwerk des Naturrechts heute nur aus der Sekundärliteratur bekannt und im Original nicht mehr zugänglich ist33. Als wichtigster Verfolger Solncevs ist wiederum Magnickij aufgetreten, der über den Kurs des Naturrechts bei Solncev empört war, weil der, so Magnickij, die Grundlagen der Gesellschaft und der Kirche ruiniere34. 1822 hat in Kazan’ ein vom Kurator der Universität initiiertes Universitätsgerichtsverfahren über Professor Solncev wegen seiner Ansichten im Bereich des Rechts angefangen. In der Anklage wurde behauptet, Solncev lasse neben der Lehre unseres Erlösers „noch einen anderen Anfangsgrund des Naturrechts zu, nämlich irgendeine praktische Vernunft“35. In einem Anklagefragebogen 30

Vgl. op. cit., S. 7 – 8, § 15. Darüber hinaus zitiert Fincke auch die kantische Schrift Über den Gemeinspruch; vgl. Finke, Estestvennoe cˇastnoe, publicˇnoe i narodnoe pravo, S. 112, § 177; S. 119, § 189. 31 Op. cit., S. 23, § 32. Vgl. auch über Fincke: Sˇersˇenevicˇ, Gabriel’ Feliksovicˇ, Nauka grazˇdanskogo prava v Rossii [Die Wissenschaft des Bürgerrechts in Russland], Moskau 2003 (11893), S. 38 – 39. 32 Vgl. Zagoskin, Nikolaj Pavlovicˇ, Istorija Imperatorskogo Kazanskogo Universiteta za pervye sto let ego susˇcˇestvovanija [Geschichte der Kaiserlichen Kazaner Universität während der ersten 100 Jahre ihrer Existenz], Bd. 3, Kazan’ 1904, S. 485 – 487. 33 Vgl. Ausschnitte in: Gavriil, archimandrit (Voskresenskij, Vasilij Nikolaevicˇ), Istorija filosofii [Geschichte der Philosophie], Teil VI, Kazan’ 1840, S. 100 – 114. Vor der Oktoberrevolution 1917 wurde das Manuskript der Schrift Solncevs über das Naturrecht im Archiv der Kazaner Universität aufbewahrt; vgl. Fel’dsˇtejn, Gavriil Il’icˇ Solncev, in: Solncev, Gavrila Il’icˇ, Rossijskoe ugolovnoe pravo [Kazan’ 1820], hg. von Fel’dsˇtejn, Jaroslavl’ 1907, S. IV. 34 Die Zitate Solncevs in der Monographie über Magnickij Feoktistovs beweisen, dass Solncev unter einem starken Einfluß Finckes stand. Einige Sätze Solncevs wiederholen das Lehrbuch seines deutschen Vorgängers fast wörtlich, vgl. Feokstistov, Evgenij Michajlovicˇ, Magnickij, Sankt-Petersburg 1865, S. 80; Finke, Estestvennoe cˇastnoe, publicˇnoe i narodnoe pravo, S. 23, § 32. 35 Zit. nach: Zagoskin, Istorija Imperatorskogo Kazanskogo Universiteta za pervye sto let ego susˇcˇestvovanija, Bd. 3, S. 528.

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wurde Solncev gefragt, „in welchen Hinsichten die Definition des Rechts bei Kant exzellent ist?“36 Die Zuneigung für Kant hat Solncev viel gekostet: 1823 wurde er nach dem Gerichtsurteil aus der Kazaner Universität entlassen.37 Aber auch die kantische Philosophie wurde in demselben Urteil nicht vergessen: „Die praktische Vernunft ist der alten Schlange ähnlich, die unsere Urmutter Eva und dadurch auch unseren Urvater Adam verführt hat […]“38. Die wichtigsten Sünden des modernen Naturrechts stammen, so Magnickij, ein glänzender Absolvent des berühmten Universitätsgymnasiums in Moskau, aus Kants Schriften: Die Wissenschaft des Naturrechts „war immer gefährlich. Als Kant aber als Praetur die von ihm so genannte reine Vernunft gesetzt hat, die die Gotteswahrheit gefragt hat: Was ist die Wahrheit? und darüber hinausgegangen ist, wurde die Wissenschaft des Naturrechts spekulativ, sie wurde zum vollständigen System dessen, was wir in der Tat in der französischen Revolution gesehen haben; [sie wurde] zum gefährlichen Ersatz der evangelischen Offenbarung; sie widerlegt diese nicht, aber kommt zum Schweigen, sie beginnt mit der Voraussetzung, dass die Offenbarung nie existiert habe, sie nimmt aus der Gotteshand das Urglied der goldenen Kette der Gesetzgebung weg und wirft es in das Chaos ihrer Sophistereien und, letztendlich, nachdem sie den Gottesaltar widerlegt hat, versetzt sie gotteslästerische Schläge gegen die Throne der Zaren, gegen die Regierungen und gegen das Sakrament der Ehe, d. h. sie sägt im Fundament diese drei Säulen an, die das Gewölbe des gesellschaftlichen Gebäudes tragen“.39 Oder in kurzer Form: „Positive Religion, Zarenmacht, Polizei. Das Naturrecht, dieses Kind der Philosophie, greift sie ständig an“.40 36

Op. cit. Trotz dieser Geschichte an der Universität konnte er danach 20 Jahre lang als Staatsanwalt der Kazaner Provinz erfolgreich tätig sein. 38 Zagoskin, Istorija Imperatorskogo Kazanskogo Universiteta za pervye sto let ego ˇ ˇ suscestvovanija, Bd. 3, S. 536. 39 Magnickij, Michail Leont’evicˇ, Dva mnenija popecˇitelja Kazanskogo ucˇebnogo okruga M. L. Magnickogo [Zwei Stellungnahmen des Kurators des Kazaner Lehrkreises M. L. Magnickijs], in: Russkij archiv, Moskau 1864, Nr. 3, Sp. 322 – 323; oder: ders., Mnenie dejstvitel’nogo statskogo sovetnika Magnickogo, o Nauke Estestvennogo prava [Eine Stellungnahme des wirklichen Staatsrates Magnickijs zur Wissenschaft des Naturrechts], in: Cˇtenija v imperatorskom obsˇcˇestve istorii i drevnostej pri Moskovskom universitete, Moskau 1861, Buch 4, Oktober-Dezember, S. 157 – 158. 40 Zitiert nach: Feokstistov, Magnickij, S. 65 Anm. Ob diese Ansichten Magnickijs selbständig oder unter dem Einfluss einiger deutschen Gegner der Philosophie Kants sowie der Episteln Joseph de Maistres (1753 – 1821) über die Volksausbildung geformt wurden, ist nicht klar. Es steht nur fest, dass Magnickij Frankreich als Vorbild des Kampfes gegen die Philosophie zu betrachten versuchte. Jedenfalls ist kaum zu bezweifeln, dass Magnickij in seiner Stellungnahme zur kantischen Rechtsphilosophie in Europa gar nicht allein gewesen ist, vgl.: Dreyerley Desorganisationen gegen das Ende unseres Jahrhunderts, in: Philosophisches Archiv, hg. von Johann August Eberhard, Bd. 2, St. 3, Berlin 1794; De Maistre, Joseph, Pis’mo grafa Iosifa-de Mestra o narodnom obrazovanii k gr. A. K. Razumovskomu, ministru narodnogo prosvesˇcˇenija, ot 26 ijunja 1810 g. [Der Brief des 37

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Als Mitstreiter Magnickijs in der Verfolgung Solncevs war Professor Grigorij Nikolaevicˇ Gorodcˇaninov (1771 – 1852) tätig. Nachdem Magnickij den Bericht Gorodcˇaninovs über Philosophie und Naturrecht im November 1821 gelesen hatte, schrieb er: „[…] es ist unmöglich, das Licht Gottes mit der Leuchte der gefallenen Natur zu vereinigen […] es ist unmöglich, Kants praktische Vernunft und Zerspaltung des Willens mit der Lehre der Evangelien zu vereinigen“41. In der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Kazaner Bote hat Gorodcˇaninov in Anknüpfung an Magnickij in einem Beitrag unter dem vielsagenden Titel Die Meinung eines Christen über das Naturrecht geschrieben: „[…] endlich hat der bekannte Kant die praktische Vernunft als eine Quelle und die äußere Freiheit eines Menschen als ein Gegenstand des Naturrechts anerkannt. Was ist das aber für eine Vernunft, die keinen Glauben als Grundlage hat?“42 Später entwickelt er diese Gedanken in seiner Universitätsrede aus dem Jahr 1826 weiter: „[…] werfen wir einen kurzen und konsequenten Blick auf das System Kants, des sogenannten Reformers der philosophischen Wissenschaften. Er erkennt irgendwelche praktische Vernunft als die oberste Regel unserer Handlungen an, und bezeichnet sie als eine gesetzgebende Vernunft und als eine gemeinsame Quelle der Sittenlehre und des Naturrechts“43. Eben darin besteht nach Gorodcˇaninov der Hauptirrtum Kants: „[…] die gefallene menschliche Vernunft kann nicht die oberste Regel unserer Handlungen sein; die Quelle der Widersprüche und der Streitereien kann keine Quelle der Sittenlehre und des Naturrechts sein“44. Auf welche Weise Gorodcˇaninov mit diesen neuen philosophischen Ansichten gekämpft hat, teilt das Vorlesungsverzeichnis der Universität auf das akademische Jahr 1825/26 mit: hier wird angekündigt, dass Professor Gorodcˇaninov den Studenten „die Theorie des Naturrechts im entlarvenden Sinne, nach eigener Schrift, die vom Universitätsrat gebilligt war, unterrichten wird“45.

Grafen Joseph de Maistres über die Volksausbildung an den Graf A. K. Razumovskij, an den Minister der Volksaufklärung], in: Vasil’cˇikov, 1leksandr 1lekseevicˇ, Semejstvo Razumovskich, Bd. 2, Sankt-Petersburg 1880, S. 280. 41 Zit. nach: Zagoskin, Istorija Imperatorskogo Kazanskogo Universiteta za pervye sto let ego susˇcˇestvovanija, Bd. 3, S. 474. 42 Gorodcˇaninov, Grigorij Nikolaevicˇ, Mnenie Christianina o Prave Estestvennom [Die Meinung eines Christen über das Naturrecht], in: Kazanskij vestnik, isd. pri Imperatorskom Kazanskom Universitete, Kazan’ 1821, Tl. 2, Nr. 6, S. 87. 43 Gorodcˇaninov, O zabluzˇdenijach razuma v izyskanii istiny (Iz recˇi v torzˇestvennom Sobranii pri Kazanskom Universitete 17 janvarja 1826 g.) [Von den Irrtümern der Vernunft bei der Erforschung der Wahrheit (Aus einer Rede in der feierlichen Sitzung an der Kazaner Universität am 17. Januar 1826)], in: Kazanskij vestnik, Kazan’ 1826, Tl. 17, Nr. 6, S. 101 – 102. 44 Op. cit., S. 103. 45 Katalog prepodavanij v Imperatorskom Kazanskom universitete na 1825 – 1826 akademicˇeskij god [Katalog der Veranstaltungen an der Kaiserlichen Kazaner Universität auf das 1825/26 akademische Jahr], Kazan’ 1826, S. 1 – 2. Vielleicht ist in der Tradition der Begründung einer alternativen Theorie des Naturrechts, die der Orthodoxie entspricht, auch die Schrift Archimandrits Gavriil zu betrachten, nämlich: Gavriil, archimandrit, Filosofija pravdy

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Neben den Universitäten in Moskau und Kazan’ waren die kantischen Ideen des Naturrechts auch in Sankt-Petersburg vertreten. Wenn Magnickij als Hauptgegner des Naturrechts in Kazan’ tätig gewesen ist, hat in Sankt-Petersburg der Kurator der Universität Dmitrij Petrovicˇ Runicˇ (1780 – 1860) mit dieser Tradition gekämpft. Eines seiner ersten Opfer war der Professor der Rechtswissenschaft Aleksandr Petrovicˇ Kunicyn (1793 – 1840), der unter anderem auch in Göttingen und Heidelberg studiert hatte. Seit 1811 hat er begonnen, die Sittenlehre und das Recht im Carskosel’skij Lyzeum (sein berühmtester Absolvent war Aleksandr Sergeevicˇ Pusˇkin, 1799 – 1837), seit 1817 – das Recht im Obersten Pädagogischen Institut und seit 1819 – an der Sankt-Petersburger Universität zu unterrichten. Die Zerschlagung Runicˇs hat mit dem Buch Kunicyns über das Naturrecht angefangen. Das Werk wurde als eine den christlichen Wahrheiten widersprechende Schrift befunden, die die Leser zum Sturz der Staats- und Familienverbindungen aufruft. 1821 wurde Kunicyn aus der Universität entlassen. Mehr noch, im selben Jahre wurde seine Schrift nach dem Vorschlag Runicˇs aus den Bibliotheken entfernt und vernichtet, und zwar nicht nur in Sankt-Petersburg, sondern auch in Kazan’46. Doch der Vorschlag Runicˇs, das Naturrecht in allen Gymnasien und Universitäten Russlands zu verbieten, wurde wegen der starken Opposition im Obersten Vorstand der Bildungsanstalten abgelehnt. Inwieweit war aber das Lehrbuch Kunicyns in der Tat kantianisch gesinnt?47 Wenn man nach den entfernten Parallelen nicht sucht, findet man im ganzen Buch Kunicyns nur einen einzigen kantianisch klingenden Ausdruck, wenn auch an einer zentralen Stelle: „Jetzt hat die kritische Philosophie den exakten Unterschied zwischen diesen Wissenschaften [dem Naturrecht und der Politik] gezeigt, indem sie den Grundsatz des Wohlstands durch den formalen Grundsatz der Vernunft ersetzt“48. Es war aber genug, um eine Reaktion bei Runicˇ oder Magnickij hervorzurufen. Darüber hinaus kann man den Einfluß Kants auch in anderen Thesen Kunicyns finden, wenn auch ohne direkten Hinweis auf den Königsberger Philosophen: die Unterscheidung der inneren und der äußeren Freiheit oder die Art der Unterscheidung der Sittenlehre und des Naturrechts49. Die Definition des Naturrechts50 erinnert bei Kunicyn ebenfalls an Kant.

[Die Philosophie der Wahrheit], in: Ucˇenye zapiski Kazanskogo universiteta, Kazan’ 1842, Nr. IV. 46 Vgl. Zagoskin, Istorija Imperatorskogo Kazanskogo Universiteta za pervye sto let ego susˇcˇestvovanija, Bd. 3, S. 488. 47 Die These vom Kantianismus im Lehrbuch Kunicyns wird z. B. im Aufsatz von L. S. Gimisˇjan zum Ausdruck gebracht, vgl. Gimisˇjan, Liliana Sedrakovna, Vlijanie filosofii I. Kanta na formirovanie vzgljadov A. P. Kunicyna [Der Einfluss der Philosophie Kants auf die Bildung der Ansichten A. P. Kunicyns], in: Vestnik Volzˇskogo universiteta im. V. N. Tatisˇeva, serija „Jurisprudencija“, Tl. 27, Tol’jatti 2003. 48 Kunicyn, Aleksandr Petrovicˇ, Pravo estestvennoe [Das Naturrecht], 3 Bde., Sankt-Petersburg 1818, S. 11. 49 Vgl. op. cit., S. 5 – 6, § 8; S. 6, § 9. 50 Vgl. op. cit., S. 9 – 10, § 13.

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Petr Dmitrievicˇ Lodij (1764 – 1829) hat seit 1803 Philosophie im Obersten Pädagogischen Institut und später auch an der Sankt-Petersburger Universität unterrichtet. Neben der Philosophie hat er auch die Vorlesungen in Recht gehalten. Noch 1809 hat er nach dem Ukaz vom 8. August 1809 seine russische Übersetzung des Natürlichen Privat-Rechts Franz von Zeillers (1751 – 1828) veröffentlicht51. In dieser Schrift wird Kant und werden seine Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre mehrmals erwähnt und zitiert, wobei manchmal auch im polemischen Sinne. Die eigene Theorie der allgemeinen Rechte hat Lodij 13 Jahre nach dem Erscheinen seiner Logik52 veröffentlicht, in der er Kant scharf kritisiert hat. Im Werk über die Rechte kommen weder der Name Kants noch die Titel seiner Schriften vor. Nur ein einziges Mal hat Lodij Verdienste der kritischen Philosophie gepriesen, ohne dabei den Namen ihres Begründers zu nennen: „Obwohl bereits Grotius darauf beharrt hat, daß die Sittenlehre von der Politik unterschieden ist, ist doch diese Unterscheidung erst dann vollzogen worden, als die kritische Philosophie begonnen hat, diese Wissenschaften und Gegenstände zu behandeln, die vor ihr zur praktischen Philosophie gehört haben. Seitdem wurde mit Sorgfalt die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, die Rechtslehre von der Ethik und von der Politik zu unterscheiden“53. Eine solche Veränderung im späten Werk Lodijs ist folgendermaßen zu deuten. Wegen der Tätigkeit von Personen wie Magnickij, Runicˇ und ihre Mitstreiter wurde sogar der Gegenstand des Naturrechts verdächtig. Seit 1820 wurde Lodij komischerweise ebenfalls verfolgt: Er war doch als strikter Gegner der Kritik der reinen Vernunft bekannt. Eben diese Ereignisse können erklären, warum Kant im Werk Lodijs aus dem Jahre 1828 nicht auftaucht: Trotz der heftigen Kritik an Kant im Bereich der theoretischen Philosophie, war Lodij mit seiner philosophischen Begründung des Rechts in vielen Hinsichten zufrieden, durfte das aber nicht offen sagen. Allem Anschein nach war Lodij gezwungen, das Naturrecht nach Carl Anton von Martini (1726 – 1800)54 zu unterrichten. Der Einfluss der kantischen Philosophie an der Universität in Char’kov wurde vom Professor Johann Baptist Schad (1750 oder 1758 – 1834) vermittelt, der 1805 51

Cejller, F. fon (Zeiller, Franz von), Estestvennoe cˇastnoe pravo, Sankt-Petersburg 1809. Lodij, Petr Dmitrievicˇ, Logicˇeskie nastavlenija rukovodstvujusˇcˇie k poznaniju i razlicˇeniju istinnogo ot lozˇnogo [Logische Anleitungen, die Erforschung und Unterscheidung des Wahren vom Falschen steuern], Sankt-Petersburg 1815. 53 Lodij, Feorija obsˇcˇich prav, soderzˇasˇcˇaja v sebe filosofskoe ucˇenie o estestvennom vseobsˇcˇem gosudarstvennom prave [Die Theorie der allgemeinen Rechte, die eine philosophische Lehre über das allgemeine Staatsrecht enthält], Sankt-Petersburg 1828, S. 448, § 398. 54 Vgl. Martini, Carl Antonius de, Positiones de lege naturali, Wien 1782; Ob’’javlenie publicˇnogo prepodavanija nauk v Imperatorskom Sanktpeterburgskom universitete na sej 1826 god ot Rektora i Soveta universiteta [Ankündigung der öffentlichen Veranstaltungen an der Kaiserlichen Sankt-Petersburger Universität auf das Jahr 1826 vom Rektor und vom Universitätsrat], Sankt-Petersburg 1826, S. 3; Ob’’javlenie publicˇnogo prepodavanija nauk v Imperatorskom Sanktpeterburgskom universitete na sej 1827 god ot Rektora i Soveta universiteta [Ankündigung der öffentlichen Veranstaltungen an der Kaiserlichen Sankt-Petersburger Universität auf das Jahr 1826 vom Rektor und vom Universitätsrat], Sankt-Petersburg 1827, S. 3. 52

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in die Ukraine gekommen ist und hier bis 1816 unterrichtete. Er hat das lateinische Lehrbuch des Naturrechts veröffentlicht, in dem seine Gegner den Einfluss der Philosophie Schellings entdeckt haben, den Schad selbst bestritten hat. Der Paragraph 13 dieser Schrift ist der kantischen Philosophie gewidmet und behandelt unter anderem auch den kategorischen Imperativ55. Nikolaj Grigor’evicˇ Belousov (1799 – 1854) war nach dem Studium an der Char’kover Universität Professor der Rechtswissenschaft am Gymnasium in Nezˇin in der Ukraine, wo er kurze Zeit auch das Naturrecht unterrichtet hat. 1827 entstand dort ein Konflikt zwischen dem Professor Belousov und seinem Kollegen, dem Professor der politischen Wissenschaften Michail Vasil’evicˇ Bilevicˇ (1779 bis nach 1839), der im Mai 1827 einen Bericht mit den Anklagen abgegeben hat. Bilevicˇ soll „bei einigen Schülern gewisse Merkmale der Freidenkerei festgestellt haben, die aus den Irrtümern aufgrund des Naturrechts stammen, das nicht nach dem System de Martinis sondern nach den Grundsätzen der Philosophie Kants und Schads unterrichtet würden“56. Belousov hat der Konferenz des Gymnasiums seine Manuskripte vorgelegt und versucht zu beweisen, dass er seine Vorlesungen nach Martini gehalten hat, wie das auch vorgeschrieben worden war. In bezug auf die Anklagen Bilevicˇs hat er erklärt, dieser „kann kein Richter seiner Vorlesungen sein, allein aus dem Grund, daß er von der Philosophie Kants keine Ahnung hat“57. Für Belousov hat seine Aussage unter anderen auch ein junger Gymnasiast namens Janovskij gemacht58, der in Nezˇin von 1821 bis 1828 gelernt hat. Später wurde er unter anderem Namen bekannt: es handelt sich um Nikolaj Vasil’evicˇ Gogol’ (1809 – 1852). Dennoch wurde Belousov im Oktober 1830 wegen seines „schädlichen Einflusses auf die Jugend“ aus dem Gymnasium entlassen. Während dieser langen Untersuchung stellte sich heraus, dass der Gymnasiast Nestor Vasil’evicˇ Kukol’nik (1809 – 1868), der später auch ein bekannter Schriftsteller und Dichter geworden ist, in diesen Jahren im Gymnasium Kants Schrift Zum ewigen Frieden gelesen hat59. Sein Vater, Vasilij Grigor’evicˇ Kukol’nik (1765 – 1821), war, zusammen mit Lodij, ein Schüler von Professor Ignaz Aurel Feßler (1756 – 1839) in Lehmberg, bekleidete den Lehrstuhl für Physik im Obersten Pädagogischen Institut in Sankt-Petersburg, hielt öffentliche Vorlesungen über das Recht für russische Beamten, von 1813 bis 1817 unterrichtete er Römisches Recht und das russische Bürgerrecht für die großen Fürsten Michail Pavlovicˇ und Nikolaj Pavlovicˇ (d. h. für den zukünftigen russischen Zar Nikolaj I.), und zuletzt war er Professor im Gymnasium in Nezˇin geworden, wo auch sein Sohn gelernt hat. Im Lehrbuch des Rechts aus 55

Vgl. Schad, Johannes, Institutiones juris naturae, Charkov 1814, p. 46 – 51, § 13. Jurij Nikiticˇ Bartenev. 1833 – 1844, in: Russkij archiv, 1897, Bd. III, Nr. 12, S. 617. 57 Op. cit. 58 Vgl. ein Ausschnitt aus der Aussage Gogol’s vom 3. November 1827: Lavrovskij, Nikolaj Alekseevicˇ, Gimnazija Vyssˇich Nauk Knjazja Bezborodko [Gymnasium der oberen Wissenschaften des Fürsten Bezborodko], in: Gimnazija vyssˇich nauk i licej knjazja Bezborodko, Sankt-Petersburg 21881, S. 94. 59 Vgl. op. cit. 56

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dem Jahre 1815 hat Kukol’nik senior folgende Definition des Naturrechts unter dem Einfluss der kritischen Philosophie gegeben: „Das Naturrecht ist ein Teil der Philosophie, der Gesetze erörtert, die uns die reine Vernunft entdeckt, und die als Grundlage für das positive Recht dienen sollen, die den heiligen Schutz der Rechte der Bürger bilden, die durch diese Gesetze verwaltet werden“60. Aber in anderen Schriften rechtlicher Thematik61 tauchen bei Kukol’nik ähnliche Sätze nicht auf. Nach der Zerschlagung an den Universitäten62 Kazan’, Sankt-Petersburg und teilweise auch Char’kov hat sich die Situation hinsichtlich des Naturrechts in Russland wesentlich geändert. Der nach dem Abschluss an der Universität Wien nach Russland gekommene Adam Andreevicˇ Fischer (1799 – 1861) wurde 1832 unter Vermittlung des russischen Ministers für die Volksaufklärung Semen Semenovicˇ Uvarovs (1786 – 1855), Professor der Philosophie im Obersten Pädagogischen Institut, später an der Universität in Sankt-Petersburg. Von 1843 bis 1853 war er als Professor der Philosophie an der Geistlichen Akademie Sankt-Petersburg tätig. Im Unterschied zu seinen Vorgängern in Sankt-Petersburg hat Fischer beinahe wie Magnickij gegen die kantische Tradition im russischen Recht gekämpft, die als Grundlage für das Naturrecht gelegt worden war: „Rasereien des metaphysischen Phanatismus, die die Köpfe der Philosophen im vorigen Jahrhundert erobert haben, haben unter anderen schimärischen Abstraktionen auch die Wissenschaft des Naturrechts und des politischen Rechts hervorgerufen, die von keinem sittlichen Gesetz abhängig sind“63. Als einen der Hauptschuldigen solcher Entwicklung nennt Fischer Immanuel Kant: „Diese einmal entstandene Zerspaltung zwischen der Sittenlehre und dem Naturrecht sollte nach der Natur der Dinge immer wieder größer sein, um letztendlich zu einem vollkommenen Bruch zu führen, welchen wir seit der Zeit Kants beobachten“64. Ein Jahr vor diesem Aufsatz ist in Russland ein neues Universitätsstatut in Kraft getreten (1835), nach dem das Naturrecht aus dem Unterricht ausgeschlossen und durch die Enzyklopädie des Rechts ersetzt wurde65. Doch nicht nur Fischer kann die Rezeption des Naturrechts im Sinne Kants neben den russischen Universitäten auch in den kirchlichen Ausbildungsanstalten bezeu60 Kukol’nik, Vasilij Grigor’evicˇ, Rossijskoe cˇastnoe grazˇdanskoe pravo [Das russische private Bürgerrecht], Tl. 2, Sankt-Petersburg 1815, S. 14, § 12. 61 Vgl. Kukol’nik, Nacˇal’nye osnovanija rossijskogo cˇastnogo grazˇdanskogo prava dlja rukovodstva i prepodavanija onogo na publicˇnych kursach [Anfangsgründe des russischen privaten Bürgerrechts als Anleitung bei dessen Unterricht an den öffentlichen Vorlesungen], Sankt-Petersburg 1813. 62 Als Anlaß dazu diente die Ermordung August Friedrich Ferdinand von Kotzebues (1761 – 1819). 63 Fischer, Adam Andreevicˇ, O novejsˇem estestvennom prave [Vom jüngsten Naturrecht], in: Zˇurnal ministerstva narodnogo prosvesˇcˇenija, Sankt-Petersburg 1836, Nr. 1, S. 1. 64 Op. cit., S. 8. 65 Obsˇcˇij ustav Imperatorskich Rossijskich Universitetov. 26 ijulja 1835 [Das allgemeine Statut der russischen Universitäten], in: Sbornik postanovlenij po Ministerstvu narodnogo prosvesˇcˇenija, Bd. 2, Abt. 1, Sankt-Petersburg 21875, Sp. 971 [Nr. 417].

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gen. 1822 wurden Preisfragen über die Geschichte der philosophischen Systeme für die Studierenden an der Moskauer Geistlichen Akademie formuliert, darunter auch das folgende Thema: „Begriff von der Freiheit, vom allgemeinen Gesetz der Sittlichkeit, von deren Gegenstand und deren Antriebe, von dem Unterschied und von den Grundgesetzen der Ethik und des Naturrechts“66. Deutliche Spuren des Studiums der Metaphysik der Sitten Kants kann man auch in den Vorlesungen über die Moralphilosophie des Professors der Kiever Geistlichen Akademie Ivan Michajlovicˇ Skvorcovs (1795 – 1863) entdecken, aber eher aus dem Teil über die Tugendlehre. So behandelt er die kantische Unterscheidung verschiedener Pflichten67. Doch besonders ausführlich stellt er die kantische Begründung der Pflichten eines Menschen gegen sich selbst dar68. Aber auch in der russischen Prosa damaliger Zeit hat die Rechtsphilosophie Kants ihre Spuren hinterlassen. In den Russischen Nächten (1844) Vladimir Fedorovicˇ Odoevskijs (1804 – 1869) wird ein Richter erwähnt, der durch sein Werk über die Rechtswissenschaft, in dem er „das Kantische System angewandt hat“69, eine große Berühmtheit erworben hat. Abgesehen von der physischen Geographie und im wesentlichen Unterschied zur Ethik (als dem zweiten Bestandteil der Metaphysik der Sitten) war das Naturrecht wohl die einzige philosophische Disziplin in Russland, in der Kant vom Ende des 18. bis Anfang der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts eine unbestreitbare Autorität genossen hat. Handelt es sich um die Universität in Moskau, Kazan’, Sankt-Petersburg oder auch in Char’kov, Kant wurde als ein moderner Patriarch des Naturrechts betrachtet. Auch in den Ausbildungsanstalten der Russischen Orthodox-Kirche war das Naturrecht Kants bekannt. Detailliert wurde seine Konzeption des Naturrechts, wie sie in der Metaphysik der Sitten vorliegt, wohl nicht diskutiert. Eher wurden von den russischen Denkern (Solncev, Lodij, Kunicyn, Cvetaev, Filimonov, Kukol’nik u. a.) einige Thesen als Grundsätze für eigene Systeme wahrgenommen, Thesen, die diese Gelehrten mehr oder weniger begründet Kant zugeschrieben haben: • die exakte Unterscheidung des Rechts von der Ethik und von der Politik; • die Unterscheidung der inneren und der äußeren Freiheit; 66 Obozrenie predmetov dlja otkrytogo ispytanija studentov Moskovskoj duchovnoj akademii pri okoncˇanii ucˇebnogo kursa [Übersicht der Disziplinen für die öffentliche Prüfung der Studenten der Moskauer Geistlichen Akademie beim Abschluß des dritten akademischen Jahres], Moskau 1822, S. 12 – 13. 67 Vgl. Scvorcev [Skvorcov], Ivan Michajlovicˇ, Zapiski po nravstvennoj filosofii [Denkschriften über die Moralphilosophie], in: Sbornik iz lekcij byvsˇich professorov Kievskoj Duchovnoj Akademii, archimandrita Innokentija, protoiereja I. M. Skvorceva, P. S. Avseneva (archimandrita Feofana) i Ja. K. Amfiteatrova, izdannyj akademiej po slucˇaju pjatidesjatiletnego jubileja ee (1819 – 69), Kiev 1869, S. 13 – 14. 68 Vgl. op. cit., S. 40. 69 Odoevskij, Vladimir Fedorovicˇ, Russkie nocˇi [Die russischen Nächte], in: ders., Socˇinenija v 2 tomach, Bd. 1, Moskau 1981, S. 132.

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• die äußere Freiheit als Grundstein des Rechts; • die Ableitung der Gesetze des Naturrechts aus der reinen Vernunft, ohne religiöse Quellen; und • die Grundlegung dieser Gesetze als Fundament der positiven Gesetzgebung. Die Hauptvorwürfe der Gegner des kantianischen Naturrechts in Russland der 20er bis 30er Jahre des 19. Jahrhunderts wiederholen teilweise die Liste der wichtigsten Verdienste Kants auf dem Gebiet des Naturrechts vom Standpunkt seiner russischen Anhänger aus. Generell kann man sie folgenderweise darstellen: • die Ablehnung der Ableitung des rechtlichen Fundaments aus der göttlichen Offenbarung; • die Nichtübereinstimmung mit der evangelischen Lehre; • eine Setzung der (verfallenen) Vernunft als unabhängige Quelle der Gesetzgebung; • die strenge Unterscheidung der Moral und des (Natur-)Rechts, die als Amoralität des Rechts gedeutet wird; • eine Brandstiftung der revolutionären Stimmungen, die Selbstherrschaft und orthodoxe Kirche vernichten; und • die persönliche Teilnahme der Anhänger des kantianischen Naturrechts in Russland in der Bewegung der Freimaurer und der Illuminaten70. Die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts bilden die Zeit der Entfaltung des Naturrechts in Russland. Es ist wahr, dass die russische Regierung einen bestimmten Impuls dafür gegeben hat. Inwieweit dabei die Hoffnung begründet war, das Naturrecht Kants gegen die revolutionierenden Strömungen aus Europa zu benutzen, ist fraglich; jedenfalls bestreitet Kant in der Metaphysik der Sitten die Legitimität der Revolution71. Dennoch darf man diese staatliche Einwirkung für eine solche erfolgreiche Entwicklung nicht überschätzen: In dieser oder jener Form wäre das auch ohne staatliche Einmischung, aus eigener Kraft, der Fall. Dagegen war der Bruch dieser Tradition des Naturrechts in Russland ohne die staatliche Zerschlagung der Universitäten in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts – das war keine freie öffentliche Diskussion – kaum denkbar. Im Laufe der 20er bis 30er Jahre ist Kant in Russland von einem Pfeiler des Staates und des Rechts plötzlich zum Vernichter des Staats, der Kirche und der Familie geworden. 70 Im Bericht an den russischen Zar’ Nikolaj I unter dem Titel Die Entlarvung des Weltkomplotts gegen Altäre und Throne durch öffentliche Ereignisse und juristische Akte. – Von der Errichtung des Illuminatentums in Russland klagt Magnickij auch das Lehrbuch des Naturrechts Kunicyns an, vgl.: [Magnickij], Dva donosa 1831 goda [Zwei Denunziationen aus dem Jahr 1831], mitgeteilt von Nikolaj Karlovicˇ Sˇil’der, in: Russkaja starina, Sankt-Petersburg 1899, Bd. 97, S. 612. 71 Vgl. AA, VI, 322.

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Die Zeit der aktiven Tätigkeit Magnickijs, Runicˇs u. a. im Namen des Staates war zwar relativ kurz, doch mit schwerwiegenden Konsequenzen verbunden. Nachdem der Versuch Runicˇs gescheitert war, den Unterricht des Naturrechts in Russland zu verbieten, hat Magnickij 1823 ein neues Projekt entworfen: nicht nur das Naturrecht, sondern auch die gesamte Philosophie an den russischen Universitäten zu verbieten. Nach der dreijährigen Diskussion wurde dieses Projekt damals noch abgelehnt. Einer der wenigen Mitglieder des Obersten Vorstandes der Bildungsanstalten, die dieses Projekt doch unterstützt haben, war Platon Aleksandrovicˇ Sˇirinskij-Sˇichmatov (1790 – 1853). 1850 wird er zum Minister für die Volksaufklärung. Im Bericht beim Amtseintritt an Nikolaj I (1796 – 1855) wiederholte er seine Argumente gegen die Philosophie aus dem Gutachten über das Projekt Magnickijs und setzte sich mit dem Verbot der Philosophie endlich durch. Im Streit mit seinen Opponenten brachte er einen legendären Spruch zum Ausdruck: „Der Nutzen von der Philosophie ist nicht bewiesen, die Schäden von ihr sind aber gut möglich“72. Und als erstes ist diesem Kampf gegen die philosophischen Schäden in Russland des 19. Jahrhunderts das Naturrecht im Sinne Kants zum Opfer gefallen.

72

Zit. nach: Barsukov, Zˇizn’ i trudy Pogodina, Bd. 11, Sankt-Petersburg 1897, S. 21.

IV. Grundfragen und spezifische Probleme der Tugendlehre

A Tale of Two Ends Obligatory Ends and Material Determining Grounds in Kant’s Metaphysics of Morals1 Jeffrey Edwards Minime vero illud probo quod, cum docuistis ut vobis videmini solum bonum esse quod honestum sit, tum rursum dicitis initia proponi necesse esse apta et accommodata naturae quorum ex selectione virtus possit existere. Non enim in selectione virtus ponenda erat, ut id ipsum quod erat bonorum ultimum aliud aliquid acquireret. […] Videsne ut quibus summa [bonorum] est in voluptate perspicuum sit quid iis faciendum sit aut non faciendum? ut nemo dubitet eorum omnia officia quo spectare, quid sequi, quid fugere debeant? Sit hoc ultimum bonorum quod nunc a me defenditur; apparet statim quae sint officia, quae actiones. Vobis autem, quibus nihil est aliud propositum nisi rectum atque honestum, unde offici, unde agendi principium nascatur non reperietis. Hoc igitur quaerentes omnes, et ii qui quodcumque in mentem veniat aut quodcumque occurrat se sequi dicunt et vos, ad naturam revertemini. Quibus natura iure responderit non esse verum aliunde finem beate vivendi, a se principia rei gerendae peti; esse enim unam rationem qua et principia reurm agendarum et ultima bonorum continerentur, […] (Cicero, De finibus 4. 46 – 47)

1

Kant’s works are cited by volume, page, and line numbers of Kants gesammelte Schriften, Königlich Preußiche (now Deutsche) Akademie der Wissenschaften (Berlin: G. Reimer [now De Gruyter], 1902-. The following abbreviations are used in conjunction with the numerical references to the Academy Edition: GMS Grundlegung zur Metaphysik der Sitten KpV Krikik der praktischen Vernunft KrV Krtik der reinen Vernunft KU Kritik der Urteilskraft MdS Metaphysik der Sitten RGV Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft In the main body of my contribution, all Kant quotations are given in English translation. The relevant German passages are found in the footnotes. Because of the syntactical disparities between German and English, I have generally found it advisable to quote more of the original Kantian texts than is strictly warranted by translated phrases and sentences. Wherever feasible, I have used Mary Gregor’s English translations of GMS, KpV, and MdS, (in Immanuel Kant, Practical Philosophy, ed. and trans. M. Gregor [Cambridge: Cambridge University Press, 1996]). But I have substantially altered the Gregor translation when I have found it appropriate to do so.

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I. Kant’s Metaphysik der Sitten is based on the understanding of moral laws as laws of freedom. Kant holds that the practical part of philosophy is a morally practical doctrine to the extent that it has freedom of the power of choice (Freiheit der Willkür) as its theme. The metaphysical theory of morals, which makes up the a priori part of this doctrine, gives a systematic account of the fundamental prescriptive laws by which reason can determine the power of choice in relation to what can be brought about through action. For human beings, the power of choice is free just to the extent that it can be determined by these a priori laws of (pure) practical reason. The choice-determining laws of practical reason are therefore laws of freedom that apply to human agents’ ability to bring about objects of the faculty of desire, i. e., to achieve the purposes that such agents set for themselves as ends of action.2 The laws of freedom established in the Metaphysik der Sitten are set forth by means of the examination of the prescriptive role that reason plays with respect to actions. The analysis of this role focuses on what Kant calls ‘the form of aptness of a maxim of the power of choice to be universal law’.3 Kant’s conception of the laws of morally practical reason revolves around this notion of the suitability of subjective principles of action for universal prescription. Only the maxim of my action that satisfies the condition of its aptness for being universal law can furnish a law of freedom; and only a law of freedom can serve for the articulation and exposition of practical reason’s universally prescriptive role in relation to the conditions of action in general and the determining grounds of actions.4 According to Kant, all practical propositions that can be thought of as moral laws are necessarily laws of freedom pertaining to the power of choice (Willkür).5 As laws of freedom, moral laws are, for human beings, imperatives that command or prohibit unconditionally. They are, for us, the categorical imperatives of morally practical reason. A categorical imperative, then, is a morally practical law. It is, on Kant’s account, a practical proposition that (a) asserts obligation, which Kant defines modally in terms of the necessity of a free action;6 and (b) presents a duty in accordance with the interpretation of duty as the matter (or content) of obligation (die Ma-

2 On the assertions put forward in this paragraph, see MdS 6:213.14 – 214.30, 216.28 – 218.8, 218.10 – 221.13, 226.4 – 227.9, 230.7 – 23, 239.4 – 21, 379.4 – 382.5. 3 ‘die Form der Tauglichkeit der Maxime der Willkür zum allgemeinen Gesetze’ (MdS 6:214.7 – 8). 4 ‘Der positive [Begriff der Freiheit der Willkür] ist: das Vermögen der reinen Vernunft für sich selbst praktisch zu sein. Dieses ist aber nicht anders möglich, als durch die Unterwerfung der Maxime einer jeden Handlung unter die Bedingung der Tauglichkeit der erstern zum allgemeinen Gesetze’ (MdS 6:213.35 – 214.4). See also MdS 6:214.4 – 22, 221.6 – 24. 5 See (again) MdS 6:213.37 – 214.22, 221.6 – 24. On Kant’s account of practical propositions, see KpV 5:19.7 – 20.29. 6 See MdS 6:222.3 – 4.

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terie der Verbindlichkeit).7 The supreme principle of all obligation and all duties – the most basic principle of Kant’s entire doctrine of morals – is furnished by the theoretical formula according to which a maxim can be known to satisfy morally practical reason’s overarching universality requirement: ‘act on a maxim that can also hold as a universal law’.8 (226.1 – 2; also 225.7 – 8). This formulation of the supreme principle of the doctrine of morals is found in the general introduction to the Metaphysik der Sitten. It presents us with the inclusive formulation of the principle of imperation that underlies Kant’s conception of morally practical reason and its relation to the conditions of human volition. It thereby provides (according to Kant) the sufficient basis for determining whether a maxim of the power of choice qualifies for a universal lawgiving when one thinks of oneself as being capable of legislating for all rational agents through that given maxim.9 Kant holds that all lawgiving, understood as a procedure of prescription, has two essential components.10 First, there is a law that objectively represents an action as something necessary to perform. Second, there is an incentive (Triebfeder) that connects a ground determining an agent’s power of choice with the representation of the law in question, this connection being the subjective feature of lawgiving by which the law represented makes a duty the incentive to act. In virtue of the first component of lawgiving, an action is represented as a duty. In virtue of the second component, the obligation to that action (or type of action) ‘is combined in the subject [agent] with a determining ground of the power of choice in general’ (italics mine).11 It is with reference to the second component of practical reason’s lawgiving function that two basic types of morally rational prescription must be distinguished: ethical lawgiving and juridical lawgiving. Ethical lawgiving is the type of universally prescriptive thinking that (a) makes an action a duty and (b) connects the obligation to this action with a ground for determining the power of choice by making the duty itself the agent’s incentive for acting in conformity with law.12 Thus, ethical lawgiving makes the rational concept of duty (die Idee der Pflicht) the incentive for performing the action that a practical law represents as necessary for any agent to perform. Kant maintains that this sort of lawgiving cannot be external since the idea of duty itself, as distinguished from the particular action or action-type that the law represents as objectively necessary, can only 7

See MdS 6:222.32. ‘Der oberste Grundsatz der Sittenlehre ist also: handle nach einer Maxime, die zugleich als allgemeines Gesetz gelten kann’ (MdS 6:226.1 – 2; see also 225.7 – 8). 9 See MdS 6:225.8 – 13. 10 See MdS 6:218.11 – 23. 11 ‘Durch das erstere wird die Handlung als Pflicht vorgestellt, welches ein bloßes theoretisches Erkenntniß der möglichen Bestimmung der Willkür, d.i. praktischer Regeln, ist: durch das zweite wird die Verbindlichkeit so zu handeln mit einem Bestimmungsgrunde der Willkür überhaupt im Subjecte verbunden’ (MdS 6:218.19 – 23). 12 This is in keeping with Kant’s basic definitional account of duty in MdS: ‘Pflicht ist diejenige Handlung, zu welcher jemand verbunden ist’ (6:222.31). 8

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be an internal incentive to action.13 Ethical lawgiving, then, ‘includes the internal incentive of the action (the idea of duty) within its law’.14 Ethical lawgiving does this insofar as its law is given by the agent in whom obligation to action is combined with a ground for determining the power of choice. There can be no external lawgiver for this kind of legislation.15 Juridical lawgiving, however, does admit an incentive other than the idea of duty. It therefore grants the possibility of external incentives for action. Consequently, juridical lawgiving can be external. For this type of lawgiving does not require that an internal incentive to action must be included within the law as given to the agent. Juridical lawgiving requires only that a particular law (or laws) for action yielded by practical reason’s prescriptive procedure must be consistent with what is demanded by the most general formula of the principle of all categorical imperatives. An external lawgiver is thus possible for this type of legislative enactment. The main divisions in the architectonic configuration of Kant’s doctrine of morals – the Doctrine of Right (ius) and the Doctrine of Virtue (ethica) – depend on the different ways in which incentives to action are linked to the concepts of practical law and duty in the account of the basic types of reason’s lawgiving function. Juridical lawgiving can be external because it does not require an internal incentive for the conformity of actions to law. Accordingly, the laws and corresponding duties established by this type of lawgiving – notably, the specifically juridical laws and duties presented and proved in the Doctrine of Right – can have their source in an external lawgiver. And because this universally lawgiving source can be external to any particular agent that is subject to juridical laws, the duties that these laws present must be understood as supplying the matter of obligation to external actions. Juridical laws are the practical laws by which the freedom of the power of choice (and hence freedom in action) of each agent can coexist with the freedom of the power of choice of every other agent. Since this form of freedom pertains only to external actions (i. e., to the actions that concern practical relations between different persons), juridical laws are external laws that present duties of outer freedom for every agent. The laws that accord with this description do not, taken by themselves merely as laws, require any agent to make the idea of duty the incentive to action.16

13 Like any concept of reason, the idea of duty is a representation. All representations – whether conceptual or intuitive; and whether a priori or empirical – are internal to a knowing subject. And the idea of duty is the a priori conceptual representation by which the obligation to a law-determined action is combined in the practically reasoning subject – i. e., in the agent who can be conscious of the necessity of the types of action prescribed by practical laws – with a determining ground of choice. 14 See the passage in note 15 below. 15 ‘eben darum, weil die ethische Gesetzgebung die innere Triebfeder der Handlung (die Idee der Pflicht) in ihr Gesetz mit einschließt, welche Bestimmung durchaus nicht in die äußere Gesetzgebung einfließen muß, so kann die ethische Gesetzgebung keine äußere (selbst nicht die eines göttlichen Willens) sein, […]’ (MdS 6:219.24 – 28). 16 See MdS 6:219.17 – 30, 224.7 – 8, 7 – 11, 406.29 – 33.

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Things are more complicated with respect to the laws and duties generated by the other type of lawgiving. In the case of ethical lawgiving, the source of legislation cannot be external to the law-determined agent since the incentive by which obligation is combined with the determining ground of the power of choice must be internal to that agent. This is true even if duties with which ethics is concerned may be yielded by juridical lawgiving. All duties, just because they are duties, belong to ethics. But this does not mean that the lawgiving for all duties is contained in ethics.17 Even if the scope of ethics extends to the external duties that are made known by external laws governing outer freedom, the lawgiving by which these juridical duties can belong to ethics is entirely distinct from (although, according to Kant, necessarily consistent with) juridical lawgiving. As a doctrine of virtue, ethics is therefore distinguished from the juridical theory of right not so much by the duties that it includes as by the kind of obligation – i. e., the manner, way, or mode of obligation (die Art der Verpflichtung)18 – that is peculiar to it. For what is distinctive about ethical lawgiving is that one is bound to ‘perform actions just because they are duties and to make the principle of duty itself, wherever duty may come from, the sufficient incentive for the power of choice’.19 Consider carefully the relation between the duties that we are obligated to perform and the principle of duty itself. In other words, consider the relation between, on the one hand, the actions that we are bound to perform because they qualify as the matter of obligation and, on the other hand, the principle of practical reason that requires us to act on a maxim that can also hold as a universal law. If all duties belong to ethics, then we are in principle obligated to perform every action that can be objectively represented as necessary (i. e., represented as a duty or matter of obligation) just because it can be so represented. And we are able to satisfy this obligation because, on Kant’s account of ethical lawgiving, the principle of duty itself provides us with the sufficient incentive to action even if we disregard the particular type of incentive that juridical lawgiving allows. Yet precisely because that principle of duty provides such an incentive – that is, the internal incentive to action denoted by the idea of duty – there must still be something distinctive about the duties presented by practical laws which issue from ethical lawgiving, but which cannot issue from juridical lawgiving because of the (external) incentive that juridical lawgiving allows.20 As we have just seen, ethics is distinguished from the juridical theory of right by the kind of obligation that characterizes ethical lawgiving. But even if this kind of obligation extends to all duties, there must be some mark, or marks, by which we can pick out the duties pre17

See MdS 6:219 – 31 – 34. See MdS 6:220.34. 19 ‘Denn Handlungen bloß darum, weil es Pflichten sind, ausüben und den Grundsatz der Pflicht selbst, woher sie auch komme, zur hinreichenden Triebfeder der Willkür zu machen, ist das Eigenthümliche der ethischen Gesetzgebung’ (MdS 6:220.34 – 37). 20 That is, there must be something distinctive about the directly ethical duties that are determined by ethical lawgiving even if ethical lawgiving makes all other duties indirectly ethical (see MdS 6:221.1 – 3). 18

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sented by laws that are peculiar to ethical lawgiving. In other words, we must be able to identify the particular properties of the duties made known by laws that are uniquely characteristic of the type of legislation that is contained in ethics. Otherwise, Kant’s fundamental architectonic division of labor between the juridical theory of right and ethics as a doctrine of virtue could have adequate no grounding in the analysis of the distinctive roles that juridical and ethical lawgiving play with respect to the different sorts of duties that provide the matter of obligation, as distinguished from the different kinds (or forms) of obligation itself. While ethics must be able to include all duties as the matter of obligation for the type of lawgiving that is contained in ethics, not every duty that belongs to ethics can qualify as a matter of obligation for the type of lawgiving that cannot be contained in ethics on account of the particular incentive to action which juridical lawgiving allows. For if all duties belong to ethics simply in virtue of being duties, and if every duty that belongs to ethics could qualify as a matter of obligation for juridical lawgiving, then all of the laws that present us with duties would be able to issue from the type of lawgiving that cannot be contained in ethics because of the sort of incentive that it allows. But this would have the following implication when taken in conjunction with Kant’s standpoint that ethical lawgiving cannot be external. It would entail that all practical laws can issue from juridical lawgiving as well as from ethical lawgiving, although there must be some practical laws that can issue from ethical lawgiving alone, and not from juridical lawgiving at all, on account of the internal incentive to action that ethical lawgiving requires. How, then, in keeping with that standpoint on ethical lawgiving, does one preclude the possibility of such fundamental systemic inconsistency in a metaphysical theory of morals that depends on the analysis of practical reason’s lawgiving function in terms of an essential distinction between different forms of obligation? Kant addresses the problematic just delineated by specifying essential distinctions between generically different matters of obligation – that is to say: between different types of duty – and by insisting that the kind of obligation essential to ethical lawgiving must be understood in connection with the description of ends of a certain type, namely, the type of ends that furnish duties of virtue (Tugendpflichten). The distinction drawn between juridical and ethical lawgiving in terms of different forms of obligation hinges on the conceptual determination of these ends, and thus on the understanding of the ethical obligation to ends (die ethische Verbindlichkeit zu Zwecken)21 that is asserted by the laws of virtue issuing from ethical lawgiving alone. With this, we have arrived at Kant’s conception of a doctrine of virtue as a moral doctrine of ends. II. The general doctrine of virtue presented in Kant’s Tugendlehre of 1797 revolves around the concept of objectively necessary end. An objectively necessary end is a moral end that is also an end of action. More precisely, it is an end that (pure) practical 21

See MdS 6:395.1 – 2.

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reason requires us to have by virtue of our obligation to act in accordance with laws for the maxims of our actions, and not just in accordance with laws for actions as such. The objectively necessary ends at issue in Kant’s doctrine of virtue are therefore ends that we are to promote and bring about through our actions, and not merely to respect or honor as limiting conditions of our freedom to act.22 According to the arguments presented in the 1797 Introduction to the Doctrine of Virtue, there can be two such objectively necessary ends of morally practical reason: one’s own perfection and others’ happiness.23 As an end of action (or actions), each of these ends can furnish a matter of the power of choice, and thus also the matter (or content) of a maxim. Morally practical reason requires us to have ends of this description by binding us to the adoption of maxims to promote them, i. e., by obligating us to make such endpromoting maxims the subjective principles of our action or actions. An objectively necessary end must therefore be conceived as an end that itself furnishes a matter of obligation, i. e., a duty. It is an end that is also a duty (ein Zweck, der zugleich Pflicht ist). It is, for us, an obligatory end that we are to promote through our actions insofar as ‘duty’ must be understood as designating the type of action that furnishes some matter of obligation. For the imperative that sets forth obligation with respect to action aiming at such an end is necessarily a morally practical law, i. e., a law of freedom.24 A law of freedom of this type, however, is one that makes duty, as the matter of obligation, the internal incentive to action.25 It is therefore a law of inner freedom by which I command myself to make something my end independently of all possibility of external constraint by others.26 For Kant, then, an end that is also a duty is ‘an end that is in itself a duty’.27 In the context of the Doctrine of Virtue, the term objectively necessary end expresses the concept of being an intrinsically obligatory end of action. It expresses the concept by which I make a duty (qua matter of obligation28) both the internal incentive to action and the end that I am obligated to promote through my action because it is an end that 22

See MdS 6:354.10 – 11, 380.23 – 25, 384.33 – 385.14, 388.32 – 33, 395.15 – 16. The doctrine of ends presented in the Tugendlehre presupposes, of course, that the human being and in general every rational being exists as an end in itself (see, e. g., GMS 4:428.3 – 431.18, 438.8 – 439.24; KpV 5:87.16 – 30, 131.20 – 132.5; MS 6:236.24 – 30, 390.30 – 391.3). Moreover, the supreme principle of the doctrine of virtue determines how the human being is to be an end for himself as well as for others inasmuch as it prescribes the means by which the human being in general is to be made the end of human beings (see MdS 6:395.15 – 32). For a detailed treatment of this principle and its deduction, see Manfred Baum: Probleme der Begründung Kantischer Tugendpflichten, in: Jahrbuch für Recht und Ethik 6 (1998), 47 – 49. 23 See MdS 6:385.30 – 388.30. 24 See MdS 6:222.31 – 223.5, 389.12 – 26, 396.24 – 31, 410.21 – 25. 25 See MdS 6:218.18 – 19, 379.25 – 380.6. 26 See MdS 6:214.19 – 30, 380.16 – 18, 396.1 – 24, 405.11 – 22, 406.29 – 407.2. 27 Daß ich […] verbunden bin mir irgend etwas, was in den Begriffen der praktischen Vernunft liegt, zum Zwecke zu machen, […]: dieses würde der Begriff von einem Zweck sein, der an sich selbst Pflicht ist’ (MdS 6:381.9 – 15). 28 See MdS 6:222.21 – 22.

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all (finite) rational agents are obligated to have as an end of their actions.29 According to this concept, an action is for me a duty (or matter of obligation) insofar as I make it my maxim to promote an end that everyone is bound to make a matter of the power of choice (Materie der Wilkür).30 Such is the interpretation of ‘end’ that Kant’s formula of the supreme principle of the Doctrine of Virtue presupposes: ‘act in accordance with a maxim of ends that it can be a universal law for everyone to have’.31 Notice that the Doctrine of Virtue’s account of the objectively necessary ends of practical reason differs fundamentally from the treatment of the concept of end in itself given in the 1786 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. To explicate this concept, Kant used the distinction between subjective and objective ends. In the context of the Grundlegung, ‘subjective end’ denotes the type of end that, as the possible effect of a rational being’s action (i. e., as a possible material end), can serve merely as a means to be used by such a being as a matter of preference.32 By contrast, objective ends are rational beings themselves, i. e., ‘beings [Dinge] the existence of which is in itself an end, and indeed one such that no other end, to which they would serve merely as a means, can be put in its place’.33 Since ends of this type are furnished by beings whose nature ‘limits all power of choice’,34 the concept of objective end provides the ground of the principle according to which humanity qualifies as ‘the supreme limiting condition of the freedom of actions of every human being’35. It is by means of this principle that generic humanity (qua rational nature) is ‘represented not as an object that we of ourselves actually make our end, but as an objective end that, whatever ends we may have, ought as law to constitute the supreme limiting condition of all subjective ends’36. In the context of the Doctrine of Virtue, however, the specification of the type of end that must figure in a maxim of ends cannot be achieved simply by bringing to bear the classic Grundlegung distinction between a subjective end of action and the objective end that is represented as something that ought to constitute the supreme 29 More precisely, it is an end that all agents are obligated to have unless there is some agent – notably, a holy being – who cannot be obligated to have such an end because it necessarily already has this as the end of its actions. On this, see MdS 6:222.3 – 12. 30 See MdS 6:380.22 – 381.3, 389.16 – 26. 31 ‘Das oberste Princip der Tugendlehre ist: handle nach einer Maxime der Zwecke, die zu haben für jedermann ein allgemeines Gesetz sein kann’ (MdS 6:395.15 – 16). 32 See GMS 4:427.19 – 428.2. 33 ‘[…] Dinge, deren Dasein an sich selbst Zweck ist und zwar ein solcher, an dessen Statt kein anderer Zweck gesetzt werden kann, dem sie bloß als Mittel zu Diensten stehen sollten’ (GMS 4:428.27 – 29). 34 ‘alle Willkür einschränkt’ (GMS 4:428.24). 35 ‘die oberste einschränkende Bedingung der Freiheit der Handlungen eines jeden Menschen’ (430.29 – 431.1). 36 ‘[wird] als Gegenstand, den man sich von selbst wirklich zum Zwecke macht, sondern als objectiver Zweck, der, wir mögen Zwecke haben, welche wir wollen, als Gesetz die oberste einschränkende Bedingung aller subjectiven Zwecke ausmachen soll, vorgestellt’ (GMS 4:431.7 – 8).

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limiting condition of all subjective ends. That is because the existence of any end that can serve in a maxim of ends that it can be a law for everyone to have is something that must be representable as a possible effect of our action (or actions), even if it cannot be a merely subjective end; and this is true even if such an effect – that is to say, the possible outcome – is the end at which our action must aim precisely because this is an end that is, in itself, our duty to bring about or promote. What Kant’s supreme principle of the Doctrine of Virtue presupposes, then, is a concept of duty that picks out the property of being a non-subjective (or at least not-merely-subjective) end of action, a property which in turn furnishes not only a matter of the power of choice but also a ‘material determining ground’37 (italics mine) of this same essential feature of the faculty of desire. As far as I can see, this concept of duty is not found in Kant’s critical practical philosophy prior to the 1797 Introduction to the Doctrine of Virtue. Before 1797, Kant did not expressly acknowledge that any matter or material ground of the power of choice could supply both an end of action and the matter (i. e., the propositional content) of a maxim which could qualify for a universal lawgiving. Nor, by implication, did he explicitly recognize that the maxim to promote such an end could furnish a practical law that makes it a duty for everyone to act in accordance with a maxim of ends. Thus, while the 1797 account of objectively necessary ends is by no means incompatible with the Grundlegung consideration of objective ends, there is no indication that Kant was willing to make any deontic concept of material determining ground a constitutive component of his foundational theory of ethics before he composed the Introduction to the Doctrine of Virtue.38 As far as I can tell, the concept of a material determining ground that is both the concept of a promotable end of action and the concept of an end that is also a duty (not to mention a matter of the power of choice) is something fundamentally new that emerges in Kant late moral philosophy.39 37

‘[Daß ich aber auch verbunden bin mir irgend etwas, was in den Begriffen der praktischen Vernunft liegt, zum Zwecke zu machen,] mithin außer dem formalen Bestimmungsgrunde der Willkür (wie das Recht dergleichen enthält) noch einen materialen, einen Zweck zu haben, […] ‘(MdS 6:381.11 – 13 – italics mine). Cf. MdS 6:213.14 – 29, 389.16 – 24, 395.11 – 13 and GMS 4:427.32 – 428.1. 38 Kant writes: ‘Praktische Principien sind formal, wenn sie von allen subjectiven Zwecken abstrahiren; sie sind aber material, wenn sie diese, mithin gewisse Triebfedern zum Grunde legen. Die Zwecke, die sich ein vernünftiges Wesen als Wirkungen seiner Handlung nach Belieben vorsetzt, (materiale Zwecke) sind insgesammt nur relativ; denn nur bloß ihr Verhältniß auf ein besonders geartetes Begehrungsvermögen des Subjects giebt ihnen den Werth, der daher keine allgemeine für alle vernünftige Wesen und auch nicht für jedes Wollen gültige und nothwendige Principien, d.i. praktische Gesetze, an die Hand geben kann’ (GMS 4:427.30 – 428.1; cf. also KpV 5:21.14 – 16, 22.6 – 8, 27.3 – 6, 29.14 – 22, 39.5 – 41.38). These remarks are consistent with the 1797 definitional account of the objectively necessary ends as ends that are to be effected through action. For such ends are by no means merely subjective; nor are they ends that a rational being proposes according to mere preference (nach Belieben) in virtue of its having a specially constituted faculty of desire. 39 The passage from Kant’s published works that has perhaps the most direct bearing on this claim is one found in the Preface to the Religion of 1793: see RGV 6:3.14 – 4.3 (with note: 6:3.19 – 4.37). What Kant argues there about the relationship between formal and material

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As I mentioned before, Kant argues that one’s own perfection and others’ happiness are the ends that can be thought of as objectively necessary. The thought that each of us is obligated to further our own perfection and that everyone is obligated to make others happy is, to be sure, nothing at all new to Kant’s ethical theory of the late 1790 s. The radical novelty of the late moral doctrine of ends lies, instead, in the following. For the purposes of ethics per se, Kant specifies the rational concept (Vernunfbegriff) of duty in terms of the dispositional qualities and states of agents that must be made the ends of action; and he holds that human agents are dispositionally capable of making these qualities and states the ends of their actions insofar as they are able to make certain material determining grounds of the power of choice the matter of maxims of ends that furnish laws for maxims of actions. Kant requires such a specification of the concept of duty – a specification that in turn is grounded in the particular interpretation of end-making through law-yielding maxims which I have just described. He requires this kind of specification, thus grounded, in order to clarify how ethical lawgiving can be known to generate its distinctive practical laws and duties, i. e., the particular set of laws and duties that accord with the rational concept of the ethical obligation to ends. Thus, the laws peculiar to ethics as a doctrine of virtue are laws that, in keeping with this idea of obligation, present us with duties of virtue. Duties of virtue are distinguishable from all of the duties that can be yielded by juridical lawgiving because they are set forth by practical laws that represent ends of action as objectively necessary ends of practical reason on the basis of the specifically ethical obligation to ends. And the possibility of this kind of obligation rests on the idea that there is a type of material ground which, insofar as it provides for the representation of the matter of maxims of ends, supplies a necessary condition of laws for maxims of actions. According to Kant, of course, every duty stands in immediate relation to a law. This direct relation between duty and practical law is already indicated by ‘the formal principle of duty’ that the so-called universal-law formula of the categorical imperative contains: ‘act so that the maxim of your action could become a universal law’ (MdS 6:389.1 – 3 – italics mine).40 But taken by itself, this strictly formal principle of duty requires nothing more than that the maxims on which an agent acts must qualify for a universal lawgiving. It thereby provides the sufficient basis for determining laws determining grounds, and about one’s own perfection and the happiness of others as ends of action, seems to entail that no matter or material determining ground of the power of choice can furnish a ground that could feature in any concept of duty. For the purposes of this paper, however, I will have to forego the analysis of Kant’s 1793 line of argument. 40 ‘Der Pflichtbegriff steht unmittelbar in Beziehung auf ein Gesetz (wenn ich gleich noch von allem Zweck als der Materie desselben abstrahire); wie denn das formale Princip der Pflicht im kategorischen Imperativ: “Handle so, daß die Maxime deiner Handlung ein allgemeines Gesetz werden könne” es schon anzeigt’ (MdS 6:388.34 – 389.3). Notice how close this formulation of the formal principle of duty in the categorical imperative is to the so-called formula of universal law presented in the Grundlegung zur Metaphysik der Sitten: ‘handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde’ (GMS 4:421.7 – 8 – italics mine).

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for actions that govern everyone’s freedom of the power of choice in relation to one another.41 It cannot, however, deliver the laws for maxims of actions that are required by ethics insofar as this part of the general theory of morals (Sittenlehre) is to offer a theory of the duties of virtue. That is to say, the purely formal principle of duty supplied by the universal-law formula cannot, by itself, make it a law for an agent to have as her maxim precisely the subjective principle of action by which she can freely make a certain matter of the power of choice her end in virtue of the internal incentive to action that the idea of duty provides. Laws for maxims of actions can be established only on the additional basis of some representation of an end of action, this being the type of end that an agent can have as the matter of the power of choice. But no such representation can refer to a merely subjective end that one may happen to have as such a matter. For the promotion or achievement of an end of action can satisfy the ethical obligation to ends if, and only if, that end itself furnishes a material determining ground that can be represented as objectively necessary for action, i. e., represented according to this deontic modality as an end that is in itself a duty. III. Kant argues that one’s own perfection and the happiness of others are the ends of action whose conceptual determination can satisfy the condition just stated.42 What, then, is the relationship between these intrinsically obligatory ends of morally practical reason? And how exactly do we determine what we are obligated to do when the matter of ethical obligation is supplied by ends that are, in themselves, also duties? One’s own perfection involves two essential features: (a) the cultivation of one’s faculties or capacities for furthering all the ends set forth by reason; and (b) the nurturing of one’s moral cast of mind (sittliche Denkungsart) or, in other words, the cultivation of morality in us (Kultur der Moralität in uns).43 The first facet of own-perfection as an obligatory end provides the law for the maxim to ‘cultivate your powers of body and mind so that they are fit to realize any ends you might encounter’.44 The second facet marks ‘the greatest perfection of a human being,’ i. e., the cultivated disposition ‘to do one’s duty from duty,’ whereby ‘the law is not merely the rule but also the incentive for actions’.45 For the purposes of his moral doctrine of ends, Kant defines happiness as ‘contentment with one’s state as far as one is assured of its last-

41

See MdS 6:380.19 – 381.17, 383.1 – 16, 388.34 – 389.15. See MdS 6:384.31 – 386.14, 398 (Das Schema der Tugendpflichten: 1 & 2). 43 See MdS 6:386.30 – 387.5, 391.29 – 393.10. 44 ‘”Baue deine Gemüths- und Leibeskräfte zur Tauglichkeit für alle Zwecke an, die dir aufstoßen können”’ (MdS 392.17 – 19). 45 ‘Die größte moralische Vollkommenheit des Menschen ist: seine Pflicht zu thun und zwar aus Pflicht (daß das Gesetz nicht blos die Regel, sondern auch die Triebfeder der Handlungen sei)’ (MdS 6:392.20 – 23). 42

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ing’.46 Accordingly, the happiness of others as an end that is also a duty must feature physical welfare (physische Wohlfahrt),’ i. e., strength, health, and well-being in general combined with the external goods needed for prosperous living. Others’ happiness must also include their moral well-being (moralisches Wohlsein), this being understood in terms of the ability of agents to live conscientiously and without violating the requirements of morally practical reason.47 ‘Perfection’ and ‘happiness’ are not interchangeable terms in the account of ends that are also duties. The perfection of another human being, as a person or moral agent, consists in his achieving the state in which ‘he himself is capable of setting his end in accordance with his own concepts of duty’48 Thus, it is not possible to require me to make it my duty to do something that only another can make it his duty to do. It is, Kant maintains, ‘a contradiction for me to make another’s perfection my end and to hold myself obligated to promote it’.49 Nor can one’s own happiness be conceived as an end that anyone ‘is obligated to promote with all one’s powers’.50 Kant holds that own-happiness (die eigene Glückseligkeit) is an end that all human beings unavoidably have without being constrained to make it their end.51 All duties, however, involve a concept of necessitation or constraint of free choice through law.52 Hence (according to Kant) it is self-contradictory to assert that any human agent is constrained to make his end something that he unavoidably has as an end apart from every deontic constraint.53 These arguments, of course, give rise to a number of questions. First, it is not immediately obvious why I cannot self-consistently also hold myself obligated to promote the perfection of another agent insofar as I act to bring about the conditions under which human beings can promote their own perfection. Second, there is a significant systematic difficulty that stems from Kant’s claim about every human being unavoidably having his own happiness as his end. 46 ‘Glückseligkeit, d.i. Zufriedenheit mit seinem Zustande, sofern man der Fortdauer derselben gewiß ist, […]’ (MdS 6:387.26 – 27). Cf. KpV 5:12 – 20, 61.18 – 29; MdS 6:480.23 – 25. 47 See MdS 6:394.1 – 10. The particular components of others’ happiness as an obligatory end are thus to be understood in accordance with the concept of natural good that underlies Kant’s interpretation of ‘highest physical good’ and ‘highest moral-physical good’ (see 7:276.1 – 277.23, 15:490.8 – 493.2; cf. 8:1 – 19, 335.4 – 18). 48 ‘Denn darin besteht eben die Vollkommenheit eines andern Menschen, […], daß er selbst vermögend ist sich seinen Zweck nach seinen eigenen Begriffen von Pflicht zu setzen’ (MdS 6:386.10 – 12). 49 ‘[…] es [ist] ein Widerspruch: eines anderen Vollkommenheit mir zum Zweck zu machen und mich zu deren Beförderung für verpflichtet zu halten’ (MdS 6:386.8 – 10 – italics mine). 50 ‘Es widerspricht sich also zu sagen: man sei verpflichtet seine eigene Glückseligkeit mit allen Kräften zu befördern’ (6:386.6 – 7). 51 See MdS 6:386.1 – 2. 52 See MdS 379.15 – 17, 394.24 – 25. 53 See MdS 6:386.3 – 7.

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Let us take these two issues in reverse order. Consider the claim that each of us unavoidably pursues his own happiness. Kant clearly understands this claim as furnishing a theoretical tenet about what necessarily motivates every human being to act insofar as he has the natural capacity to set his own happiness as an end and to promote it through action. Moreover, it may seem that Kant requires this anthropological tenet if he is to establish conclusively that own-happiness cannot be an end that is also a duty. For even if I cannot be constrained to have as an end something that I already have as my end without being constrained so to have it, I could still be constrained to make this my end in case I did not unavoidably have it as my end. Now quite apart from any problems that may arise in the attempt to clarify the kind of natural necessity at issue in Kant’s unavoidability claim, there seems to be a worrisome systematic implication of Kant’s line of argument, at least in the passage in which this claim is advanced.54 The argument, as presented, makes the metaphysical exposition of what is supposed to be an a priori concept of practical reason – namely, the concept of duty – appear to be dependent on an anthropological assumption. The chief difficulty in this regard, then, lies in the following. According to Kant’s conception of practical anthropology, which is a discipline that includes the principles of empirical moral psychology, the truth of such an assumption can be determined only by the empirical investigation of the conditions of motivation that are specific to (though not necessarily unique to) human beings.55 The metaphysics of morals, however, is not supposed to rely on any empirically based description of human motivational conditions, although it allows for the integration of this kind of description with the theory of the a priori concepts and laws of morally practical reason. Happily, Kant’s overall account of own-perfection and others’ happiness contains the resources needed to deal effectively the problems just touched upon. Let me begin with the second problem mentioned. Kant’s metaphysical exposition does not really require the anthropological necessity claim just discussed. All that Kant actually needs to do is to bring to bear the basic principle of his standard refutation of ethical egoism, that is, the principle that no maxim of self-love can qualify for a universal lawgiving.56 In the systematic framework of the Doctrine of Virtue, Kant has merely to establish, and in fact does establish, the following two points.57 (1) Since no maxim of self-love can qualify for a universal lawgiving, no maxim to promote one’s own happiness can be a maxim of ends that it can be a universal law for everyone to have. (2) Since no such maxim can be a universal law for everyone to have, own-happiness cannot be an end that is itself also a duty. This line of argument entails that no human agent could be constrained to have her own happiness as an intrinsically obligatory end, even in the event that she did not, by nature, have it as one of her ends to begin with. 54

See MdS 6:386.1 – 7. See MdS 6:216.28 – 217.27. 56 See KpV 5:25.37 – 26.33, 27.20 – 28, 35.27 – 38.11; see also GMS 421.24 – 422.36 and RGV 6:36.1 – 33, 45.21 – 46.37. 57 See MdS 6:393.15 – 23, 450.34 – 451.19. 55

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Notice, however, that this entailment does not at all exclude the principle that we are, each of us respectively, obligated to promote our own happiness and not just the happiness of others. For it is by contributing to our own prosperity and general wellbeing that each of us wards off the temptations that can lead to the non-fulfillment or violation of duty.58 When we look to our own happiness by reason of this kind of obligation, however, the end that we are bound to pursue is the integrity of character that is essential to the own-perfection of each one of us as a moral agent. To the extent, therefore, that I am so bound, my end is not (and cannot be) my own happiness. Instead, my end is my own perfection, which I am bound to promote by acting in accordance with a maxim of ends that it can be a universal law for everyone to have.59 The same considerations apply to any agent who can be bound to promote intrinsically obligatory ends of action. Thus, even if seeking to realize the conditions and elements of one’s own happiness is indirectly a duty, own-happiness cannot be an end that is also a duty for everyone (or anyone at all) to have. It cannot be an end that is in itself a duty if it can only be a means to such an end. Parallel considerations apply to the question of making others’ perfection one’s end. Even if the perfection of a human person must be understood in terms of an agent’s capability of setting her ends in accordance with her own concepts of duty, this hardly keeps me from, in effect, making her perfection my own end when I act to bring about the conditions under which human beings can cultivate their bodily and mental powers as well as their moral cast of mind. Consequently, it is clear that I can, and do, make another’s perfection my end whenever I seek to put in place the conditions under which human beings can develop their naturegiven faculties for achieving ends set forth by reason as well as the disposition to act from duty.60 (Obviously, we do this sort of thing with our children day-in and day-out. If we didn’t, there would be little point to our educating them.) Yet whenever I make that perfection of another my end in this way, I cannot self-consistently hold myself obligated to promote it by making it my end to do something that only another can make it her duty to bring about. Specifically, I cannot further it as an integral component of my own perfection, i. e., the perfection that does qualify as an end that is also a duty for me to bring about by making it my maxim to develop my capacity for realizing ends of reason, and by making it my maxim to cultivate my moral 58

See MdS 6:388.17 – 20. See MdS 6:388.21 – 30. 60 Cf. Henry Sidgwick: The Methods of Ethics, 7th edn. (London: Macmillan, 1907; repr. Indianapolis: Hackett Publishing Company, 1981), pp. 11 (note 1) and 240; W. D. Ross: The Right and the Good, ed. Philip Stratton-Lake (Oxford: Oxford University Press, 2002 [1930]), p. 26. Both Sidgwick and Ross understand Kant as asserting that one cannot make the perfection of another one’s own end when one acts in such a way that one enables another to promote her own perfection. The fallacy on which this sort of understanding rests has long played a role in a good deal of Anglophone commentary on Kant’s ethics. (It would be tedious to cite the more recent non-specialized literature reflecting the fallacy.) One might hope that conceptual analysis of the type offered in this paragraph would put an end to the matter. But that, no doubt, would be to hope for far too much. 59

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cast of mind, this being the greatest perfection of which I am capable. Instead, the obligation that I am under pertains to the duty that I have to promote the physical welfare and the moral well-being of others. That is to say, it pertains (directly) to the happiness of others as an end of action that is also a duty for me to promote. Thus, the duty that I have with respect to others’ perfection lies in the matter of my obligation to promote the happiness of others. That duty does not lie in the own-perfection that supplies an end that others are obligated to promote. In short: I can make the perfection of others my own end by promoting their happiness (especially their moral well-being), which is for me an end that is also directly a duty; but I cannot possibly make the own-perfection of others my end if perfection is to be such an intrinsically obligatory end for me. So even if I can (and in fact selfconsistently do) make another’s perfection my own end, I cannot hold myself obligated to promote this as the perfection that is also a duty for me to promote as my own perfection – namely, the perfection of myself as an agent who can make the perfection of others my end only by promoting others’ happiness as a means by which they can promote their own perfection. IV. I have just discussed the relationship between the ends of action that, taken together, furnish the matter of the ethical obligation to ends, and hence the basis for the specification of duties of virtue. Now just what are we obligated to do by virtue of this relationship between ends of action whenever we act in accordance with a maxim of ends that it can be a universal law for everyone to have? According to Kant, duties of virtue are duties of wide obligation.61 They are, in other words, wide duties or imperfect duties since the laws that present us with duties of virtue are laws for maxims of actions, not laws for actions.62 Unlike the laws for actions that prescribe juridical duties, all of which are duties of narrow obligation, laws for maxims do not determine the practical necessity of specific actions (or specific courses of action). Thus, all duties of virtue are duties of wide obligation that leave free choice a good deal of latitude in satisfying the demands of the different laws that prescribe them as ends of action. Still, the latitude that wide duties leave to free choice must not be understood as the permission to make exceptions to maxims that qualify for universal lawgiving. That latitude may only be regarded as the authorization to “limit” one such maxim by another maxim that satisfies the overarching universality requirement of morally practical reason.63 Maxims to do well for human beings in general (i. e., maxims pertaining to the practical love of humanity or universal benevolence) may be considered – indeed must be considered – in relation to other maxims of other-directed benevolence that can also qualify for universal

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See MdS 6:390.1 – 2. See jointly MdS 6:388.32 – 33, 389.12 – 26, 390.2 – 18. 63 See MdS 6:390.2 – 12.

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lawgiving, e. g., maxims pertaining to the care of one’s parents and children.64 Moreover, although wide duties of other-directed benevolence may involve the sacrifice of a part of one’s own welfare to that of others, it is impossible to set specific limits on the proper extent of this sacrifice. How far the sacrificing of one’s welfare (hence one’s own happiness) should extend ‘depends in large part on what each person’s true needs are in view of his sensibilities, and it must be left to each to decide this for himself’.65 This does not mean, however, that an exception may be made to maxims of actions that, in qualifying for universal lawgiving, furnish the practical laws that present us with duties of virtue. Instead, it means that the particular moral requirement expressed by (or implicit in) a maxim of other-directed benevolence will be counterweighed through consideration of the maxim not to sacrifice the permitted means that are conducive to one’s own perfection, and vice versa. Thus, Kant’s interpretation of the ethical obligation to ends in terms of wide obligation demands that a clear distinction be drawn between (a) the (conceptually inadmissible) claim that exceptions may be made to maxims that can furnish practical laws and (b) the assertion that the universal prescription contained in one law-yielding maxim of ends is subject to limitation by a corresponding prescription contained in another law-yielding maxim (or other law-yielding maxims) of ends. The latitude left to free choice by duties of virtue derives exclusively from the principle of deliberation at issue in the latter assertion. It represents the field in which the exercise of moral judgment is required for the action-guiding employment of the principles of duty that derive from ethical lawgiving alone.66 The field itself is quite broad; and the only boundary markers for judgment that can be set in place from within this field are those determined by considering different maxims’ qualification for universal lawgiving as well the different moral prescriptions contained in the maxims that qualify for such lawgiving. Kant illustrates this last point by taking account of the relationship between selfsacrifice, own-happiness, the happiness of others, and the basic formal universality requirement of morally practical reason. When considering the degree of demandingness involved in beneficent action under given empirical conditions, we must realize that no self-sacrificing maxim to do well for others can qualify for a universal lawgiving. For ‘a maxim to promote others’ happiness at the sacrifice of one’s own happiness, one’s true needs, would conflict with itself if it were made a universal law’.67 Thus, if I made it my maxim to sacrifice my own happiness for the sake of others; if you made it your maxim to do this as well; and if she also made it her maxim to do the same, and so forth for everyone, then no one could ever be made happy, except per64

See MdS 6:390.12, 451.21 – 26, 452.1 – 19. ‘Es kommt sehr darauf an, was für jeden nach seiner Empfindungsart wahres Bedürfniß sein werde, welches zu bestimmen jedem selbst überlassen bleiben muß’ (6:393.27 – 29). 66 See MdS 6:390.12, 411.10 – 23. 67 ‘Denn mit Aufopferung seiner eigenen Glückseligkeit (seiner wahren Bedürfnisse) Anderer ihre zu befördern, würde eine an sich selbst widerstreitende Maxime sein, wenn man sie zum allgemeinen Gesetz machte’ (MdS 6:393.30 – 32). 65

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haps by sheer masochistic bad luck.68 So it follows that no maxim of material selfabnegation or misplaced altruism can possibly qualify for a universal lawgiving, and no practical law of other-directed benevolence can require me, or anyone else, to make such a maxim the subjective principle of an action – including any action that does involve the sacrifice of own-happiness for the sake of others. While I may not be able to promote the happiness of others without sacrificing (part of) my own happiness, this does not entail that I may, in effect, act on a maxim to make my unhappiness the end of my self-sacrificing action. (That would be incompatible with the duty that I have to promote my own happiness as a permitted means of furthering my own perfection.) V. So much for the relationship between obligatory ends and the character of the obligation that has such ends as its matter. Let me draw together the main results of my analysis thus far. We have seen that Kant’s metaphysical theory of morals demands the portrayal of own-perfection and others’ happiness as intrinsically obligatory ends of action. This is a portrayal based on the notion that there must be certain material determining grounds of the power of choice which, when represented as the matter of maxims of ends, furnish laws for maxims of actions. Yet it is also a portrayal that is fully integrated with Kant’s account of the ultimate basis of morality, namely, freedom. For it is only by inserting the concepts of own-perfection and others’ happiness into his foundational account of the free power of choice (freie Willkür) that Kant can adequately explain practical reason’s universally prescriptive role in relation to the duties that ethical lawgiving alone can generate. The practical laws that present us with duties of virtue – that is, the laws for maxims of actions that cannot issue from juridical lawgiving as laws for actions – are thus laws grounded in the portrayal of own-perfection and others’ happiness as a priori specifiable rational ultimate ends.69 These obligatory ends of morally practical reason are mutually supportive. They are mutually supportive in the sense that each of the concepts of end in question has at least one constitutive feature that cannot be understood (or even identified) without reference to some feature of the other concept. Own-perfection requires ‘the cultivation of morality in us,’ and the disposition to cultivate morality as a subjective trait cannot be 68 In which event the appropriate response might be for everyone just to drop dead— assuming, of course, that self-killing for the sake of contentment with one’s condition is not a morally permissible course of action, at least to the extent that it makes lasting contentment with one’s condition something rather less than assured. 69 Sidgwick (Methods, p. 9) characterizes perfection (or excellence) and happiness as rational ultimate ends. For Kant, however, perfection and happiness can qualify as ultimate ends of reason only when specified as own-perfection and others’ happiness. It should be noted here that such ends of reason are ultimate ends of action. The concept of ultimate end (letzter Zweck) here at issue is not the concept of an ultimate end of nature (on this, see KU 5:426.15 – 427.25, 429.25 – 434.3, 436.14 – 37).

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understood without reference to the capacity of each agent to hold herself obligated to promote the happiness of others. Similarly, others’ happiness cannot be coherently entertained in thought without picking out the ‘moral well-being’ that belongs to the cultivation of morality in every human being that is, by nature, capable of ethical lawgiving. Precisely because of these features of mutual reference, there would be no point to giving either one of the two concepts of rational end at issue theoretical priority over its counterpart in the account of intrinsically obligatory ends. Thus, a certain “Dualism of the Practical Reason” is built into Kant’s foundational theory of ethics by virtue of his understanding of rational ultimate ends of action.70 But what about the principles that are supported by this foundational doctrine? What are the implications of Kant’s dualistic theory of ultimate ends for our understanding of the action-guiding principles that Kant systematically presents in the main body of the 1797 Tugendlehre? These questions, of course, give rise to any number of divergent lines of investigation. One such line would be to use the conceptual linkage between ethical lawgiving, intrinsically obligatory ends, and material determining grounds of the power of choice as a means to shed light on some well-known difficulties concerning the programmatic coherence of the Doctrine of Virtue as a whole.71 (Contrary to what one might expect from reading the Introduction to the Doctrine of Virtue, Kant includes various perfect duties in the main textual body of the doctrine itself. Moreover, his systematic presentation suggests that these duties of narrow obligation should be regarded as duties of virtue, which is apparently at odds with the Introduction’s interpretation of all duties of virtue as duties of wide obligation.72) But I will not pursue 70 Cf. Sidgwick, Methods, p. 404. Sidgwick holds, of course, that this dualism leads to a conflict between self-interest and the requirements of duty connected with the happiness of others. For Kant, however, the dualistic foundational doctrine of obligatory ends cannot generate such a conflict as long as this doctrine is clearly distinguished from the account of mere rules of prudence. This is true even if (according to Kant) the sensible nature of human beings makes them unavoidably subject to the conflict between own-happiness and duty. 71 For succinct discussion of these difficulties, see Bernd Ludwig’s introduction to Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre (Hamburg: Felix Meiner, 1990), pp. xx-xxiv. 72 When discussing the objective division of duties to oneself, for example, Kant clearly maintains that negative duties pertaining to moral self-preservation are duties of virtue (see MdS 6:419.15 – 25). Yet precisely these duties to self are treated as perfect duties in the first book of the Doctrine of Virtue. Thus, the suggested entailment seems to be that perfect duties to oneself that pertain to moral self-preservation are duties that belong to ethics (qua doctrine of virtue) merely on account of the obligation of virtue (Tugendverpflichtung) attributable to every duty. In other words, the systematic upshot seems to be that there are perfect duties which belong to ethics simply on account of the obligation of virtue that is attributable to every duty as a matter of obligation, including every matter of obligation that does not necessarily furnish an intrinsically obligatory end of action (see 6:410.11 – 32). But if this is in fact the case, then it also follows that the perfect duties to oneself treated in Book I of the Doctrine of Virtue are duties that belong to ethics as duties of virtue (Tugendpflichten). It is difficult to understand how this implication can be made consistent with what Kant argues concerning (a) the non-coincidence of ethical duties in general and duties of virtue in particular and (b) the

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this sort of issue here. Instead, I want to follow a line of inquiry that links one of the systematic components of Kant’s moral doctrine of ends to some highly disputed territory in the domain of contemporary normative ethics. I have in mind here the longstanding (not to mention seemingly interminable) debates that have to do with the relationship between deontological and consequentialist ethical theories. Let me begin the consideration of this relationship by stating a principle of moral permissibility traditionally upheld by proponents of consequentialism in ethics: An act (or action) is morally permissible if and only if it tends to produce the best consequences, results, or outcomes with reference to the good (whatever the proper account of the good may be).

The following comments are in order regarding the assumptions that underlie my understanding of this principle in the following discussion of consequentialism and deontology in ethics: (1) In formulating the principle at hand, I have chosen what I take to be the strongest feasible version of the consequentialist account of the moral permissibility of actions. I do not attempt to qualify or restrict the consequentialist position on moral permissibility in light of the epistemic limitations to which human agents may be (and in fact normally are) subject when considering the consequences of their actions. Thus, for example, I do not refer to the best expectable consequences of actions. Moreover, in keeping with the choice just mentioned, I take it that every theory which builds on the stated principle of permissibility must be one of a straightforwardly maximizing and optimizing type. (I am not interested, here, in the possibility of “satisficing” forms of consequentialist ethical theory.73) (2) A purely formal point that pertains to the biconditional formulation of the permissibility principle in question: In keeping with basic tenets of standard deontic logic, I hold that the definition of moral impermissibility implied in this formulation is one that can serve as a basis for determining moral obligation with respect to actions. (If it is not morally permissible not to perform act (action) p on condition c, then it is morally obligatory to perform p on condition c.) Accordingly, without going into the particulars of the relevant inference steps, I also hold that the stated consequentialist principle of permissibility entails, as a fundamental principle of action guidance and criterion of action assessment, that it is morally obligatory to promote the good. (3) I hold that universalistic versions of consequentialism link the basic consequentialist position on the moral permissibility (hence the moral obligatoriness) of actions to an interpretation of ‘overall good’ – that is, to an interpretation of the good for human beings that is couched in terms of the well-being (however described)

properties of actions and the dispositional qualities of agents in virtue of which duties of virtue must be understood as duties of wide obligation or as wide duties (see 6:383.9 – 17, 389.12 – 15, 390.4 – 17, 394.24 – 395.8, 410.21 – 35). 73 See note 80 below.

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of everyone, as considered from a transpersonal or impartial point of view.74 Thus, I hold that a proponent of universalistic consequentialism in ethics – a classic gardenvariety utilitarian, for example – must be able to employ some specification of the concept of overall good as the basis for his description of the state or states of affairs in which are produced the best consequences of actions. (4) I hold that every self-consistent proponent of the consequentialist approach to ethical theory must take the position that the moral relevance of all normatively salient properties of actions – the properties identified in the description of actions as, say, doing or intending harm, lying, making and breaking promises, etc. – can only be determined in relation to the intrinsic moral significance of the good that is to be promoted through action. Consequently, I take it that universalistic consequentialism in ethics necessarily involves the claim that particular action-guiding principles – i. e., principles involving the identification of particular normatively salient properties of actions – are principles which derive their prescriptive character from the consideration of the intrinsic moral significance of the overall good (however specified). In keeping with the positional considerations just listed, I hold that a self-consistent proponent of the consequentialist approach to ethical theory must accept the following general tenets, which concern the nature of morally permissible and morally obligatory action: • There is no morally permissible option not always to promote the good as best one can.75 • No constraint can be placed on the requirement to promote the good as best one can, such that the range of morally permissible choice with respect to the good is restricted. • Deontology in ethics, as I understand it, involves the rejection of these consequentialist tenets regarding options and constraints.76 Deontologists accept the notion 74 On this, see Shelly Kagan: Normative Ethics (Boulder CO: Westview, 1998), pp. 63, 194, 215. 75 Needless to say, to imply that one is always obligated to promote the good as best one can is not to assert that one always ought to promote the good through each action that one performs. This is true even if an action is held to be morally permissible only if it promotes the good by virtue of its tendency to produce the best consequences, outcomes, or results with respect to the good. For always acting on the principle that one always ought to promote the good through every one of one’s actions may well have as a consequence that one performs actions that are not conducive to bringing about any good at all. (Experience confirms the point, particularly when one considers the roads to hell that have been paved with do-gooders’ good intentions.) For related considerations, see J. S. Mill’s classic criticism of the overdemandingness objection standardly leveled against utilitarian moral thinking: John Stuart Mill: Collected Works, vol. 10 (Toronto: University of Toronto Press, 1969), pp. 219 – 220 [Utilitarianism, chapter 2, paragraph 19]. See also Sarah Broadie: Ethics With Aristotle (Oxford: Oxford University Press, 1991), pp. 8 – 17, 24 – 50. 76 My understanding of the relationship between consequentialist and deontological theories – in particular, my use of the notions of deontic constraints and options – is much indebted to Shelly Kagan’s work on this topic. Apart from the book cited in note 74 above, see the

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that there are constraints which erect barriers to the promotion of the good, thereby restricting the range of morally permissible choice with respect to the good. The acceptance of constraints is the basic defining feature of a deontological theory, but the proponent of this type of theory can also accept that there are options. Unlike deontic constraints, options increase the range of morally permissible choice by limiting whatever requirement there may be to promote the good – including, of course, the overall good. Let us now turn to the problem of consequentialism vs. deontology as it applies to Kant’s foundational theory of the intrinsically obligatory ends of action. The first thing to ask in this regard concerns the interpretation of overall good that is linked to this dualistic theory. To get clear about this interpretation, I refer to the duty of beneficence that Kant treats, in Part II of the Doctrine of Virtue’s Elementarlehre (§§ 26 – 28), in connection with the idea of practical love for all human beings (allgemeine Menschenliebe). In the context of his treatment of this duty, Kant understands practical love in general as active benevolence. He understands active benevolence (i. e. Beneficence) as promoting the happiness of others by making others’ happiness one’s own end. He understands the happiness of others terms of their well-being. And finally, he understands that the universal law which makes this type of benevolence a duty is one which makes the happiness of all human beings, including oneself, an end to be promoted by everyone’s beneficent actions.77 Kant’s considerations on the concept of practical love and its corresponding duties thus show that his account of intrinsically obligatory ends grounds a duty of mutual and universal benevolence as a duty of virtue. Moreover, those same considerations show that the end that is to be promoted through such active benevolence is one that satisfies the interpretation of ‘overall good’ presented above, namely, interpretation of the good for human beings in terms of the well-being (however described) of everyone, as considered from an impartial point of view. It is worth noting in here, at least in passing, that the concept of happiness at issue in Kant’s references to human well-being in the sections under consideration (§§ 26 – 28) is the concept of a natural good of each human being: contentment with one’s state as far as one is assured of its lasting. Broadly speaking, then, we can say that the interpretation of overall good that is implicit in the Doctrine of Virtue amounts to a naturalistic account of a good for human beings.78 relevant discussions in Kagan’s The Limits of Morality (Oxford, Clarendon Press, 1989) and “Consequentialism for Kantians,” in: Immanuel Kant, Groundwork for the Metaphysics of Morals, ed. Allan Wood (New Haven: Yale University Press, 2002), pp. 111 – 156. 77 See MdS 6:450.16 – 19, 450.31 – 451.19, 452.26 – 30, 453.2 – 4. 78 Although Kant leaves open-ended the construal of ‘contentment’ (Zufriedenheit) in ‘contentment with one’s state’ (see again MdS 6:387.26 – 27), the concept of overall good at issue in the Tugendlehre is fully intelligible without reference to the idea of the highest good (das höchste Gut), which is necessarily linked to morally practical reason’s a priori postulates, especially the postulates concerning immortality and God. On Kant’s view, the first component of the highest good – morality – represents something that can be fully accomplished only in an eternity (see KpV 5:124.11). The idea of morality therefore leads to the postulate of

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Having shed some light on these points concerning the interpretation of overall good in connection with the Kantian account of universal benevolence, we are in a position to ask a second question: Does the naturalistic account of overall good that underlies Kant’s treatment of the duty of universal benevolence support the notion that Kant’s ethics, as a moral doctrine founded on the theory of intrinsically obligatory ends, involves options in the sense explicated above? As we have already had occasion to observe when discussing the properties of duties of wide obligation in general, the law of duty that demands active concern for universal human welfare and well-being by no means cancels the pull of the various forms of “special obligation” to which each of us is subject. Notice, however, that there is nothing in Kant’s entire account of the duties of wide obligation which entails that I am not bound to make it my maxim to promote the happiness of all human beings (including myself) as far as I am able to do so, given the circumstances in which I exist. To be sure, the portrayal of those duties opens up a range of options for the practice of moral judgment. That is because obligation not only extends to the whole of humanity (and to rational nature in general), but also encompasses special relations to others as well as the self-relation that underlies the rational demand for own-perfection as an ultimate end.79 Yet the options for judgment that Kant’s portrayal allows do not increase the range of morally permissible choice by limiting the scope of the requirement to promote the overall good. Quite the contrary: it is by opening up the range of options for moral judgment that the overall good can coherently be thought of as an end that all human agents are obligated to promote, i. e., to strive to bring about as best we can.80 Duties of wide obligation involve options for the exercise of moral judgment. But options for moral judgment by no means restrict the obligation to promote the overall good of everyone. So much for options with respect to the promotion of the overall good. What about deontic constraints? Do the laws and duties that are grounded in Kant’s analysis of obligatory ends erect barriers to the promotion of the overall good? Since the acceptance of constraints is basic to the deontological rejection of the consequentialist approach, the response to this question calls for discussion more extensive than what I have provided for the notion of deontic options. I will therefore consider the different relations of obligation contained in Kant’s general views on the happiness and perfectibility of moral agents, especially human moral agents.

personal immortality. The second component – an agent’s happiness proportioned to morality – requires that the existence of God be postulated as the intelligibility condition for our pursuit of the highest good as a task of pure practical reason (see KpV 5:124.29 – 125.7; cf. KU 5:448.17 – 450.25). Taken by itself, Kant’s foundational theory of obligatory ends does not generate the kind of account of good just described (see note 47 above). 79 See note 72 above and MdS 6:417.5 – 418.23, 444.9 – 447.17. 80 I will not here consider how this point applies to satisficing versions of consequentialism. See, however, Ben Bradley: “Against Satisficing Consequentialism,” in: Utilitas (18.2) 2006, 97 – 108.

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Let us proceed by asking whether the consideration of one’s own happiness as a permissible end of action can ground a constraint on the promotion of the overall good. From the arguments presented in §§ 26 – 30 of the Doctrine of Virtue, it is clear that own-happiness is necessarily covered by the duty of universal benevolence at issue in Kant’s discussion of the practical love of all human beings. That is because there can be no happiness of all (as distinguished from the happiness of all others) unless one is permitted to promote one’s own happiness as one’s natural end. For it is analytically true that (my) own happiness and the happiness of (all) others are the components of universal happiness as far as human beings are concerned. To the extent, then, that one’s own happiness is a permissible end of action that is also a component of the overall good, the permissibility of promoting one’s own happiness clearly does not erect any barrier to the promotion of that universal good. To be sure, since action to further one’s own happiness must be compatible with the promotion of others’ happiness as an intrinsically obligatory end, there must obviously be some restriction placed on the extent to which one is permitted to promote one’s own happiness; and this is true even if that restriction cannot be precisely fixed by applying the laws that prescribe duties of wide obligation. But it by no means follows from this, of course, that there is any constraint placed on the promotion of the overall good. Quite the contrary: the obligation to promote the overall good would not be possible as categorical requirement of morally practical reason if the pursuit of one’s own happiness were not necessarily a permissible end of action. Recall, however, that Kant’s conceptual portrayal of objectively necessary and intrinsically obligatory ends establishes that own-perfection is an end that grounds the obligation of every agent to promote her own happiness as a permitted means of furthering the form of perfection that qualifies as an end that is also a duty. Does this indirect relation of ethical obligation erect a barrier to the promotion of the overall good? Clearly, the fact that own-happiness is indirectly a duty (though not an intrinsically obligatory end) will place a constraint on the promotion of others’ happiness to the extent that the promotion of one’s own happiness is a means of perfecting oneself that cannot be pursued by promoting the happiness of others. But here again, it does not follow from this that there is any constraint on promoting the overall good. Even if every agent is obligated to promote her own happiness as a permitted means of furthering her own perfection, all agents can still be obligated – and, according to Kant, necessarily are obligated – to promote the overall good. Thus far, I have taken happiness – own-happiness, others’ happiness, and the happiness of all – as the main platform for the potential derivation of constraints on the promotion of the overall good. But what happens when we approach this issue specifically in view of the perfectibility of human beings? Let us address this question by tracing out the relations of ethical obligation that obtain when own-happiness is considered in connection with own-perfection and the perfection of others. We have just seen that I am obligated, not merely permitted, to promote my own happiness since I ought to make this a means to an end that is, for me, an intrinsically obligatory end: my own perfection as a moral agent. I cannot, however, hold myself bound to promote

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the perfection of others by making either my own perfection or, even more indirectly, my own happiness the means to this end. For the obligation that I am under to further my own perfection (hence, indirectly, my own happiness) binds me to an end that is in itself a duty, while the perfection of others cannot be such an end for me, or for anyone else. That is why only the happiness of all, and not the universal perfection of human beings, can fulfill the definitional requirements of overall good. To the extent, then, that any human agent can make the perfection of all human beings some kind of end of action, he can do this only by promoting the happiness of others, which is an intrinsically obligatory end, and by promoting his own happiness as a means to furthering his own perfection. That is all that anyone can do with respect to the perfectibility of human beings. This limitation, however, does not restrict the scope of the obligation to promote the overall good. Quite the contrary: everyone is bound to promote the happiness of everyone, including oneself, since others’ happiness and own-happiness are (on Kant’s interpretation) the components of the overall good. The obligation to promote the happiness of others is indeed limited by the requirement to further one’s own perfection to the extent that (a) own-happiness represents a means to this obligatory end and (b) the obligation to perfect oneself by pursuing this means is limited by the requirement to promote the happiness of others. But these limitations can place no constraint on the promotion of the overall good. Instead, they are conditions that make possible the promotion of this universal natural good of human beings. Consider, however, the components of own-perfection itself. Is the requirement to promote the overall good not limited by the obligation to cultivate one’s physical capacities for achieving rationally grounded ends as well as one’s moral cast of mind, i. e., ‘the morality in us’? No – not if the concept of own-perfection is what grounds the obligation to pursue one’s own happiness as a means of cultivating those capacities; and not if the cultivation of morality in us requires each of us to promote the happiness of others as we strive to achieve the greatest perfection of which we are capable in this natural world: the disposition to do our duty from duty.81 Since the law that defines this degree of perfection is one that requires every agent to strive, one way or another, to bring about the happiness of all, then the obligation to develop one’s end-achieving capacities as well as to cultivate one’s moral cast of mind can place no constraint on the promotion of the overall good. Quite the contrary: the development of these characteristics is precisely what enables each agent to strive to bring about this universal natural good as best she can. In sum, Kant’s moral doctrine of ends logically excludes both deontic constraints and options with regard to the obligation to promote the overall good. The laws that prescribe duties of virtue cannot erect barriers to the promotion of the overall good of everyone. Nor can those laws increase the range of morally permissible choice by 81 ‘Die größte moralische Vollkommenheit des Menschen ist: seine Pflicht zu thun und zwar aus Pflicht (daß das Gesetz nicht blos die Regel, sondern auch die Triebfeder der Handlungen sei)’ (MdS 6:392.20 – 21; see also 391.3 – 7).

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limiting the requirement to promote the overall good. That is to say, neither options regarding nor constraints on the promotion of the overall good are established by the laws that prescribe duties of virtue as long as (in keeping with Kant’s stated programmatic intentions) each of these laws is in fact grounded in a concept of an end that is also a duty.82 This being the case, the general conclusion seems inescapable: Kant’s foundational account of the obligatory ends of morally practical reason necessarily grounds a consequentialist understanding of the practical law of beneficence that requires the promotion of the happiness of all human beings. Given the long history of construing Kant’s ethics as a paradigm instance of the deontological approach to moral philosophy, this conclusion is of course apt to appear more than a little remarkable – if not downright perverse. Yet I confess that what I find most striking about my general conclusion is how unremarkable – indeed, how trivial – it ought to appear, at least once we are clear about the systematic and historical import of Kant’s theory of intrinsically obligatory ends. In fact, I think that this conclusion will be found remarkable or perverse only if one neglects to take proper account of the following three factors, each of which pertains to the systematic foundations of Kant’s metaphysics of morals. First – very briefly – my conclusion applies only to a law of Kant’s ethics as a doctrine of virtue. It does not apply to any of the juridical laws that Kant presents in his doctrine of right. The argument that supports that conclusion neither presupposes nor implies that any Kantian law of right (ius) is necessarily linked to some concept of promotable good.83

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See page 163 above. Kant’s metaphysical theory of the foundations of right treats only the formal conditions under which different subjects whose powers of choice are reciprocally linked can make free use of these powers in conformity with practical reason’s universal juridical prescription (see MdS 6:231.10 – 12). Since it concerns nothing more than the reciprocal relation of the power of choice (das wechselseitiges Verhältnis der Willkür), the laws of right that determine the form of this practical relation take no account of any matter of the power of choice, i. e., any end that an agent might have has in mind with an object he might want (see 6:231.9 – 11). Laws for maxims of actions can have no place in this sort of theory since they are necessarily founded on the exposition of concepts of ends. Moreover, given the analytic connection that Kant establishes between strict right and possible external compulsion (Zwang) (see 6:232.2 – 29), the universal laws that prescribe basic juridical duties must be understood as the imperatives by which each of us can be subject to external constraints on our freedom of action. These are precisely the laws that specify a fundamental set of external deontic constraints with respect to the free use of the power of choice; and these constraints have no bearing on any concept of promotable good. They can have no such bearing because the account of the laws that specify external constraints on our freedom of action is one that abstracts from every concept of end. Thus, it is exceedingly difficult to see how Kant’s view of the laws of right could be open to any kind of consequentialist interpretation as long as we hold that consequentialists must take the position that an act is morally permissible only if it tends to produce the best outcome with reference to the good as an end to be promoted through action. At any rate, the arguments presented in this paper most certainly do not support such an interpretation of Kant’s metaphysical theory of the foundational laws of right. 83

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Second, the consequentialist interpretation that I have offered is possible because of the features of mutual reference exhibited by the two concepts of obligatory end that lie at the foundation of Kant’s ethics as a doctrine of virtue. It is only through the joint employment of the concepts of others’ happiness and one’s own perfection that the promotion of the overall good of everyone is established in Kant’s moral doctrine of ends as a categorical requirement of morally practical reason. Moreover, this joint employment presupposes that the ultimate foundational ends of morally obligatory action must be conceptually represented as reciprocally non-reducible as well mutually exhaustive. The a priori specification of ends that generates Kant’s dualistic theory of the objectively necessary ends of action is therefore essentially non-reductive in its application to all types of ends that can be promoted through human action under naturally given conditions for the possible achievement of ends.84 There is, then, according to Kant’s idea of a moral doctrine of ends, no single end of action – in particular: no single summum bonum – the concept of which could be employed to ground the laws which present duties of virtue.85 At the same time, however, the laws grounded through the joint employment of the two concepts of obligatory end necessarily include the law that makes a single universal end of action – namely, the happiness of all human beings as an object of practical love – an end that must be promoted by all rational agents. This is the law according which it is obligatory for everyone to promote the happiness of all human beings as best each one of us can in accordance with the laws of virtue that are grounded in the portrayal of own-perfection and the happiness of others as intrinsically obligatory ends of morally practical reason. Third, although I have offered a consequentialist interpretation of the law of beneficence that makes universal benevolence a duty, my argument does not entail that this law for maxims is based on an appeal to the intrinsic moral significance of any promotable good. While happiness, qua contentment with one’s condition, may well be thought of as a potentially achievable good for the human subject, it figures as a ground of the law of beneficence in question only insofar as it furnishes a constitutive feature of a deontic concept: a concept of an end that is also a duty. Thus, my interpretation of the law that prescribes the promotion of everyone’s happiness is by no means inconsistent with the claim that Kant’s ethics is foundationally non-consequentialist, at least in the sense that it does not purport to ground that law in any concept of good which could in turn be employed to exclude the possibility of deontic constraints and options with respect to the promotion of the good. Now one could, of 84 That is to say: promoted through human action without necessary reference to the intelligibility conditions for thinking the achievement of the highest good. On this, see note 78 above. 85 It is worth thinking about what Cicero says in the De finibus passage that serves as the preface to this contribution. It is also worth thinking about the implications of Cicero’s line of argument in De finibus 4.17.46 – 48 for the history of modern moral philosophy. See, for example, David Hume’s letter to Francis Hutcheson of September 17, 1739 in: The Letters of David Hume, ed. J. Y. R. Greig, 2 vols. (Oxford: Clarendon Press, 1932), vol. 1, p. 35.

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course, mount an objection to this claim by asking why even this foundational aspect of Kant’s ethics should be characterized as non-consequentialist, i. e., as deontological in the sense just indicated. For it is far from obvious that either one of the ends that are also duties can be adequately specified without substantive reference to happiness as a natural good for human beings. This point is, I think, very well taken. But it concerns a question that is not directly relevant to the consistency claim that I am making. Specifically, it concerns the question whether standard ways of drawing the distinction between ‘deontological’ and ‘consequentialist’ are ultimately of any use in making sense of the theoretical project that underlies Kant’s dualistic account of intrinsically obligatory ends. Whatever answer may be given to this question, it will not alter the fact that each of the concepts of end at issue in this dualistic account is a deontic concept. Neither one of them is the concept of the good. Nor is either one of them the concept of a good. In point of fact, neither concept is a concept of good at all. To the extent that it figures in the account of obligatory ends, not even the concept of others’ happiness is a concept of good, even if the end that it picks out is one that qualifies as a natural good for human beings. While it is the concept by which we think of others’ happiness as a natural good that is also an objectively necessary end of our actions, it is not itself a concept of happiness qua natural good. It is a concept of duty qua matter of obligation. So what is the upshot of this last line of commentary? The main upshot is this: While the appropriately restricted notion of “Kantian consequentialism” ought to be considered entirely unremarkable, the significance of Kant’s dualistic foundational doctrine of obligatory ends is anything but uninteresting.86 For it is by examining the key tenets of this theory of ends in view of the three factors just considered, that we can see how the historically predominant way of classifying Kant’s moral philosophy is both systematically untenable and philosophically beside the point. The consideration of these factors shows that ethics can perfectly well do two things that are not in keeping with the constraints imposed by the still prevalent classificatory scheme for understanding how ethical theories are supposed to work with respect to concepts of good and concepts of ends of action. Specifically, our consideration shows how ethics, as a doctrine of virtue, can ground a principle of universal benevolence using a concept of end that cannot be a concept of good, although a natural good for human beings furnishes the defining constitutive feature of this concept of end. Our consideration also shows how ethics can accomplish this theoretical task by 86

For recent discussion of Kant and consequentialist ethics, see David Cummiskey: Kantian Consequentialism (Oxford: Oxford University Press, 1996); R. M. Hare: Sorting Out Ethics (Oxford: Oxford University Press, 1997), pp. 147 – 165; Shelly Kagan: “Consequentialism for Kantians,” in: Immanuel Kant, Groundwork for the Metaphysics of Morals, ed. Allan Wood (New Haven: Yale University Press, 2002), pp. 111 – 156. See also chapters 16 – 17 of Derek Parfit’s forthcoming On What Matters (Oxford: Oxford University Press). None of these discussions focus on Kant’s theory of obligatory ends, and I doubt that the interpretations of Kantian consequentialism that they offer are subject to appropriate restriction in view of the crucial significance of this theory for our understanding of Kant’s moral philosophy.

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conjoining the same concept of end with a concept of perfection in such a way that (a) no barrier is erected to the promotion of the overall good of everyone and (b) the range of morally permissible choice is not increased by limiting the requirement to promote the good. *** I have attempted to lay bare what I take to be several interesting implications of Kant’s moral doctrine of ends by focusing on a concept of good as it is currently employed in one strand of contemporary discussion in ethics. In choosing to concentrate on the implications of this doctrine for contemporary views of consequentialist ethics, I have in effect linked Kant’s treatment of benevolence in the universal love of human beings (das Wohlwollen in der allgemeinen Menschenliebe)87 to a strain of modern moral philosophy that stretches from seventeenth- and eighteenth-century portrayals of universal benevolence through the universalistic hedonism of classic modern utilitarianism, and to various contemporary utilitarian approaches which reject the assumption that the explanation of obligation requires grounding by means of a substantial account of happiness.88 Casting the net more broadly, however, it would be possible to call attention to similarly interesting implications that Kant’s moral doctrine of ends holds for other theoretical approaches standardly taken in contemporary normative ethics.89 Indeed, I would be hard pressed to name any contemporary approach that would not yield exceptionally surprising results when investigated using the conceptual tool chest offered by the Tugendlehre of 1797. But doesn’t our very propensity to find such results surprising indicate the extent to which contemporary debates in moral theory involve the flogging of horses that have been dead for the last 200 years and more? In posing this question, of course, I am by no means suggesting that little of great value can be obtained by grinding up skeletons. Far from it! But in doing the grinding we should be very clear about the differences between flaking bone and living muscle tissue. And I can think of no better way to get clear about these differences than to work out the systematic entailments and the historical ramifications of a moral doctrine of ends – namely, the type of theory of rational ends 87

See MdS 6:451.21. For relevant discussion, see Jeffrey Edwards: “Hutcheson’s Sentimentalist Deontology?”, in: Journal of Scottish Philosophy 4:1 (2006), 17 – 36; Jeffrey Edwards: “Natural Law and Obligation in Hutcheson and Kant,” in: Contemporary Perspectives on Natural Law: Natural Law as a Limiting Concept, ed. Ana Marta González (Aldershot: Ashgate, 2008), pp. 87 – 103; R. M. Hare: Sorting Out Ethics, pp. 63 – 81 and 149 – 165; J. B. Schneewind: The Invention of Autonomy: A History of Modern Moral Philosophy (Cambridge: Cambridge University Press, 1998), pp. 101 – 117, 330 – 342, 404 – 424. 89 For instance, I could have examined Kant’s arguments on imperfect duties of self-perfection (see §§ 19 – 22 of the Doctrine of Virtue) in connection with contemporary forms of perfectionist ethics and virtue ethics that rely on historically available interpretations of eudaimonia. See, for example, Thomas Hurka: Perfectionism (Oxford: Clarendon Press, 1993), especially pp. 53 – 68); Thomas Hurka: Virtue, Vice, and Value (Oxford: Oxford University Press, 2003), pp. 219 – 256; Rosalind Hursthouse: On Virtue Ethics (Oxford: Oxford University Press, 1998), pp. 25 – 42. 91 – 238. 88

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of action that is grounded in the metaphysical exposition of the concept of an end that is both the concept of a material determining ground and the concept of an end that is also a duty. In the history of Western philosophical ethics, as far as I can tell, only Immanuel Kant has provided such a grounding for a theory of ends.

Kant über moralische Gefühle Von den Vorlesungen zur Metaphysik der Sitten1 Paul Guyer I. Einführung Kant erklärt in wohlbekannten Sätzen, dass moralisch wertvolles Handeln ausgeführt werden muss, ohne dass man sich auf Gefühl stützt. In seinen Beispielen für als moralisch zu würdigende Handlungen aus Pflicht in Abschnitt I der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten2 sagt er, dass „die Handlung ohne alle Neigung lediglich aus Pflicht“ getan „alsdann […] erst ihren ächten moralischen Werth“ hat (4:398.25 – 27) und dass „eine Handlung aus Pflicht den Einfluß der Neigung […] ganz absondern“ solle. (4:400.29 – 31). In der Kritik der praktischen Vernunft heißt es, „das Wesentliche alles sittlichen Werths der Handlungen kommt darauf an, daß das moralische Gesetz unmittelbar den Willen bestimme“, was anscheinend ebenfalls bedeutet: nicht „vermittelst eines Gefühls“ (5:71.28 – 30). Dieser Satz steht jedoch am Anfang eines „Hauptstücks“, in dem Kant dafür argumentiert, ein Gefühl der Achtung sei die „Triebfeder“ der reinen praktischen Vernunft, und selbst in der Grundlegung macht er, kaum dass er gesagt hat, moralisch wertvolles Handeln beruhe nicht auf Neigung, eine Kehrtwendung und behandelt Achtung als ein Gefühl. Der gesamte Satz, der seine Analyse der Pflicht zusammenfasst – aus dem auch mein zweites Zitat aus der Grundlegung stammt – lautet vollständig zitiert wie folgt: „Nun soll eine Handlung aus Pflicht den Einfluß der Neigung und mit ihr jeden Gegenstand des Willens ganz absondern, also bleibt nichts für den Willen übrig, was ihn bestimmen könne, als objectiv das Gesetz und subjectiv reine Achtung für dieses praktische Gesetz, mithin die Maxime, einem solchen Gesetze selbst mit Abbruch aller meiner Neigungen Folge zu leisten.“ (4:400.29 – 401.2).

1 Dieser Beitrag, von Burkhard Tuschling ins Deutsche übersetzt, ist auf der Tagung in Wolfenbüttel in englischer Sprache vorgetragen worden. Eine Kurzfassung ist unter dem Titel „Moral Feelings in the Metaphysics of Morals“ erschienen in: Lara Denis, editor, Kant’s Metaphysics of Morals: A Critical Guide (Cambridge, Cambridge University Press, 2010), pp. 130 – 51. 2 Kants Werke, vom Verfasser nach den führenden englischen Übersetzungen wiedergegeben, sind in der Übersetzung durchgängig aus der Akademie-Ausgabe von Kants Gesammelten Schriften unter Angabe der Band- und Seitenzahl, wo möglich auch der Zeilenzahl zitiert worden. Daraus ergeben sich u. a. Differenzen gegenüber der heute üblichen Rechtschreibung.

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Man könnte meinen, dass „reine Achtung“ hier nur eine abstrakte Bekräftigung des moralischen Gesetzes ist, ohne Bezug auf irgendeine Phänomenologie des Fühlens. Aus der Perspektive des intellegiblen Willens betrachtet, den Kant in Abschnitt III der Grundlegung einführt, könnte man meinen, dass diese Haltung aus reiner Achtung eine Bestimmung des intellegiblen Willens sein muss, ohne dass irgendeine phänomenale Bestimmung eine Rolle spielt. In einer Fußnote zum nächstfolgenden Absatz jedoch verteidigt sich Kant gegen den Vorwurf, er suche „hinter dem Worte Achtung nur Zuflucht in einem dunkelen Gefühle“ (4:401.17 f.), verbunden mit der Erklärung, Achtung sei zwar ein Gefühl, „doch kein durch Einfluß empfangenes, sondern durch einen Vernunftbegriff selbstgewirktes Gefühl und daher von allen Gefühlen der ersteren Art, die sich auf Neigung oder Furcht bringen lassen, specifisch unterschieden.“ (4:401.19 – 22) In diesen Ausführungen räumt Kant ganz offensichtlich einem Gefühl, nämlich dem Gefühl der Achtung, einen wesentlichen Ort im moralischen Handeln ein. Wie ist das mit seiner These zu vereinbaren, dass der Wille im moralischen Handeln durch das moralische Gesetz unmittelbar bestimmt ist, ohne irgendeinen Anteil von Neigung überhaupt? Ein Ansatz zur Lösung dieser Schwierigkeit – einmal abgesehen davon, dass man Kants Unterscheidung zwischen dem Gefühl der Achtung und der Neigung akzentuieren könnte – besteht darin, das Gefühl der Achtung als Begleiterscheinung zu behandeln, d. h. als die empirische, phänomenale Manifestation oder das Bewusstsein der Bestimmtheit des intellegiblen Willens durch das moralische Gesetz allein, wobei jedoch dem Gefühl keine weitere kausale Funktion in der Verursachung moralisch wertvollen Handelns auf der phänomenalen Ebene zugestanden wird.3 Das Gefühl der Achtung wird danach behandelt als Wirkung oder Ausdruck der Bestimmtheit des Willens, sich das moralische Gesetz zu seiner fundamentalen Maxime zu machen, aber auch alle weiteren besonderen Maximen im Lichte dieser fundamentalen Verpflichtung zu wählen und Handlungen unter der Ägide dieser besonderen Maximen zu initiieren, das Gefühl jedoch nicht als Ursache auf irgendeiner Stufe moralischen Handelns anzusehen. Ich werde stattdessen dafür argumentieren, dass moralisches Gefühl für Kant eine unentbehrliche kausale Funktion zumindest in der Erscheinung der Verursachung moralisch wertvollen Handelns übernimmt. Ich werde sogar dafür plädieren, dass Kants abschließende Exposition des moralischen Gefühls in der Tugendlehre der Metaphysik der Sitten verschiedenen Arten von moralischen Gefühlen kausale Funktionen auf unterschiedlichen Stufen der phänomenalen Ätiologie moralisch wertvollen Handelns zuschreibt. Sowohl das allgemeine Gefühl der Achtung, das Kant in diesem Spätwerk spezifisch als moralisches Gefühl bezeichnet, als auch besondere Gefühle 3 Dieser Ansatz findet sich u. a. bei: Andrews Reath, „Kant’s Theory of Moral Sensibility: Respect for Moral Law and the Influence of Inclination“, in: Kant-Studien 80 (1989), 284 – 302, wieder abgedruckt in: Andrews Reath, Agency and Autonomy in Kant’s Moral Theory: Selected Essays (Oxford, Clarendon Press, 2006), pp. 8 – 32, e. g., p. 11; und bei Daniel Guevara, Kant’s Theory of Moral Motivation (Boulder, Westview Press, 2000), ch. 3, pp. 93 – 125, e. g., pp. 98 – 100.

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wie das Gefühl der „Theilnehmung“, d.i. der Sympathie für andere, oder das Gefühl der Achtung für sich selbst spielen unterschiedliche Rollen im Übergang von der empirischen Vorstellung des moralischen Gesetzes zur Ausführung besonderer Handlungen, die aus Pflicht notwendig sind. Nach diesem Modell kann das Gefühl der Achtung oder das moralische Gefühl im allgemeinen immer noch als „selbstgewirkt“ von der praktischen Vernunft als intellegiblem Handlungssubjekt angesehen werden. Spezifischere moralische Gefühle wie das der Sympathie und der Selbstschätzung können danach betrachtet werden als Gefühle, kultiviert als Resultat der Autorität, die dem moralischen Gefühl, vermittelt durch das allgemeine Gefühl der Achtung, zu verdanken ist. Ebenso können sie als weitere Stufen oder als eine weitere Stufe in der Verursachung moralisch wertvollen Handelns angesehen werden. Doch obwohl Kant das zweifellos nicht beabsichtigt hat, könnte dieses späte Modell der Tugendlehre auch so verstanden werden, als ob es die Theorie, dass das allgemeine Gefühl der Achtung intellegibel selbstgewirkt ist, aufgegeben habe und stattdessen einfach behaupte, dass unsere natürlichen Dispositionen zu moralischen Gefühlen und besonderen Gefühlen der Sympathie und Selbstschätzung im Lichte des Bewusstseins des moralischen Gesetzes so kultiviert und verstärkt werden können, dass sie angemessene Impulse zur moralisch geforderten Handlung in einem bestimmten Moment der Entscheidung liefern können. D.h. der phänomenale Akt der Kultivierung natürlicher Dispositionen zum moralischen Gefühl könnte angesehen werden als Ersatz der Idee phänomenaler Gefühle, die intelligibel „selbst bewirkt“ sind. Selbst wenn Kant der Idee verpflichtet bleibt, dass die Vorstellung des moralischen Gesetzes unabhängig von allen sinnlichen Bedingungen aus der reinen praktischen Vernunft stammen muss, dass es also intellegibel gegeben ist, könnte er doch gute Gründe haben, die reine Vorstellung des Sittengesetzes zu trennen von der Bestimmung des Willens durch das Gesetz, und zwar als ein Vermögen der Willkür, sich das moralische Gesetz zur fundamentalen Maxime zu machen, und zuzulassen, dass letztere etwas ist, das in der Erscheinungswelt geschieht, verursacht durch die Macht des moralischen Gefühls. Das heißt, es könnte durchaus gute Gründe für Kant geben, die Vorstellung des moralischen Gesetzes und die noumenale oder intelligible Bestimmung des Willens voneinander zu trennen, um das notorisch schwierige Problem zu lösen, dass der intelligibel frei Handelnde nur in Übereinstimmung mit dem moralischen Gesetz handeln kann4, und genau dies tut Kant in der Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Kant hatte zweifellos nicht die Absicht, die Vorstellung des moralischen Gesetzes und die Bestimmung des Willens, es zu befolgen, so scharf zu trennen, dass er ersteres vollständig intelligibel und letzteres vollständig phänomenal gemacht hätte. In jedem Fall ist die Beziehung zwischen dem intelligiblen 4 Dies ist das Problem des „intelligiblen Fatalismus“, das von Carl Christian Erhard Schmid als erstem bereits 1790 konstatiert wurde; vgl. dazu Rüdiger Bittner und Konrad Cramer, Materialen zu Kants ,Kritik der praktischen Vernunft‘. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1975, 249 – 51. 100 Jahre später hat es Henry Sidgwick herausgestellt in einem 1888 in Mind erschienen Artikel: vgl. Sidgwick, Methods of Ethics, seventh edition (London, Macmillan, 1907), pp. 511 – 16.

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Willen und dem phänomenalen Prozess des Wollens oder zwischen dem intelligiblen und dem empirischen Charakter für uns unerforschlich, und wir können nicht verlangen, von der noumenalen Basis des Wollens mehr zu wissen, als für strikt praktische Zwecke erforderlich ist. Daher werden wir in dieser Diskussion durchgängig mit der ,offiziellen‘ oder ,orthodoxen‘ Kant-Auffassung arbeiten, dass das komplexe Modell moralischen Fühlens, das die Metaphysik der Sitten bietet, nur ein empirisches Modell für die Bestimmung des Willens ist, moralisch geforderte und wertvolle Handlungen auszuführen, ein Modell, das zweifellos die noumenale Bestimmung des Willens zum Ausdruck bringt, in dem moralische Gefühle jedoch eine empirisch unentbehrliche kausale Rolle spielen. Unabhängig davon können wir die Möglichkeit offen lassen, dass das in Kants Spätwerk angebotene System moralischer Gefühle auch für sich genommen als ein plausibles und attraktives empirisches Modell moralischer Motivation gelten könnte, unabhängig von Kants transzendental-idealistischer Theorie der Freiheit des Willens.

II. Kants frühe Auffassung von moralischem Gefühl in den Vorlesungen und in der Grundlegung In seinen vor Abfassung der Grundlegung gehaltenen Vorlesungen zur Moralphilosophie schreibt Kant moralischem Fühlen ganz offensichtlich eine unverzichtbare kausale Funktion zu und belastet die Sache auch nicht durch irgendeine Beziehung auf eine mögliche transzendental-idealistische Lösung des Problems der Freiheit des Willens, die er vielleicht erst spät im Prozess der Abfassung der Kritik der reinen Vernunft endgültig formuliert hat. Zu Beginn des 8. Abschnitts der Einführung in die Vorlesung mit dem Titel „Vom obersten Principio der Moralität“ unterscheidet er zwischen der Richtschnur der Beurteilung dessen, was sittlich gut ist oder nicht einerseits und der Triebfeder oder dem „Principio der Exekution“ für moralisch richtige Handlungen andererseits und ist der Auffassung, dass nur letzteres und nicht ersteres ein moralisches Gefühl ist – so also verwirft Kant schon hier seine frühere Annäherung an die moral-sense-Theorie von Shaftesbury und Hutcheson, der zufolge moralisches Gefühl beides ist, Richtschnur und Triebfeder5 – oder in der Terminologie Hutchesons ausgedrückt, „justifying reason“ und „exciting reason“6 – für moralisch angemessenes und wertvolles Handeln. Kant erklärt, es müsse „(1) das Prin5

Heath translates Triebfeder as „motive,“ but I am substituting „incentive“ for the sake of consistency with the Gregor translations of the Groundwork and Critique of Practical Reason to be quoted below; see Lectures on Ethics, pp. 65 – 6. 6 Zu dieser Unterscheidung vgl. Francis Hutcheson, Illustrations upon the Moral Sense (1728), Section I, in: An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections, with Illustrations on the Moral Sense, ed. Aaron Garrett (Indianapolis, Liberty Fund, 2002), pp. 141 – 6. Kants ursprüngliche Nähe zur moral sense theory ist nachzulesen in seiner Preisschrift von 1764 Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und Moral, Vierte Betrachtung, § 2, 2:299 – 300, und in: M. Immanuel Kants Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbenjahre von 1765 – 1766, 2:311 – 12.

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cipium der Dijudication, der Verbindlichkeit, und (2) das Principium der Execution oder Leistung der Verbindlichkeit“ unterschieden werden. Er fährt fort: „Wenn die Frage ist: was ist sittlich gut oder nicht, so ist das das principium der Dijudication, nach welchem ich die Bonitaet und pravitaet der Handlungen beurtheile. Wenn aber die Frage ist, was bewegt mich diesem Gesetze gemäß zu leben? So ist das das principium der Triebfeder. Die Billigung der Handlung ist der objective Grund, aber noch nicht der subjective Grund. Dasjenige, was mich antreibt, das zu thun, worin der Verstand sagt, ich soll es thun, das sind die motiva subjective moventia. Das oberste principium aller moralischen Beurtheilung liegt im Verstande, und das oberste Principium des moralischen Antriebes, diese Handlung zu thun, liegt im Herzen. Diese Triebfeder ist das moralische Gefühl.“ (Moralphilosophie Collins, 27:274 – 275)

Offensichtlich ist Kant hier der Auffassung, dass das intellektuelle Begreifen und selbst die Billigung7 der Handlung – was hier eher dem Verstand als der praktischen Vernunft zugeschrieben wird – notwendig, aber nicht hinreichend ist, den Handelnden zu derjenigen Handlung zu bewegen, die die Moralität fordert. Dafür ist ein zusätzliches Moment, eher ein Gefühl im Herzen als der Verstand, erforderlich. Es ist nur natürlich anzunehmen, dass Kants in der Kritik der praktischen Vernunft formulierte Forderung, dass im moralischen Handeln das moralische Gesetz den Willen unmittelbar bestimmt, als Revision dieser seiner früheren Auffassung intendiert ist. Was ich jedoch zeigen will ist dies: Kants reife Konzeption der Achtung oder dessen, was er später sogar moralisches Gefühl nennt, ist eher seine Einsicht in das offensichtliche Faktum, dass ein abstraktes Prinzip der Moralität einen handelnden Menschen nicht ohne Wirkung auf sein „Herz“ zum Handeln bewegen kann, d. h. nicht ohne Einwirkung auf menschliche Gefühle. Seine Position ist, dass es ein Gefühl der Achtung geben muss, das „selbstgewirkt“ durch den Vernunftbegriff des moralischen Gesetzes ist; denn nur durch ein solches Gefühl kann ein Mensch von Fleisch und Blut zum Handeln bewegt werden. In der Grundlegung, publiziert kurz nachdem Collins im Wintersemester 1784/85 die Vorlesung – obwohl vermutlich mit einer älteren Nachschrift in der Hand – gehört hat8, deutet Kant jedoch auf eine vermutete kausale Funktion des Gefühls der Achtung in seiner ersten Vorstellung dieses Gefühls lediglich hin. Sehen wir also zunächst einmal zu, was Kant zu diesem seinem Begriff von Achtung in der Grundlegung hinzufügt, ehe er damit beginnt, die kausale Funktion dieses Gefühls in der Kri-

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Heath translates Billigung as „appraisal“, but since he has also used that word as the translation of Dijudication, that choice is confusing. 8 Da Collins‘ Notizen denjenigen Kaehlers von 1777 ähnlicher sind als der Anfang der fragmentarischen Nachschrift Mrongovius, datiert 3. Januar 1785 (29:597 – 633), ist es wahrscheinlich, dass Collins nur ältere Nachschriften abgeschrieben hat. Dieselbe Passage erscheint jedoch in Mrongrovius’ ausführlicheren Notizen aus dem Wintersemester 1782/83; vgl. dazu Akademie-Ausgabe 27:1052, die einschlägige Passage 27:1422 – 3. Entweder war Kant also immer noch dieser Auffassung, kurz vor der Publikation der Grundlegung oder auch Mrongovious hat nur aus älteren Nachschriften aus den 1770er Jahren abgeschrieben.

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tik der praktischen Vernunft zu klären und seine Exposition der kausalen Rolle moralischer Gefühle in der Metaphysik der Sitten abzuschließen. Achtung wird von Kant hauptsächlich in der Fußnote zu Abschnitt I der Grundlegung erörtert, auf die ich mich schon früher bezogen habe. Zwei Punkte in dieser Fußnote sind besonders bemerkenswert. Erstens gibt es eine gewisse Ambivalenz in Kants Darstellung des Ursprungs des Gefühls der Achtung. Einerseits sagt er, wie früher schon zitiert, sie sei ein „durch einen Vernunftbegriff selbstgewirktes Gefühl“ (4:401.20 f.). Und: „Was ich unmittelbar als Gesetz für mich erkenne, erkenne ich mit Achtung, welche bloß das Bewußtsein der Unterordnung meines Willens unter einem Gesetze ohne Vermittelung anderer Einflüsse auf meinen Sinn bedeutet.“ (4:401.22 – 25) Der Satz, dass das Gefühl der Achtung durch einen Vernunftbegriff selbstgewirkt und dass das Erkenntnis des Gesetzes Erkenntnis mit Achtung ist, könnte nahelegen anzunehmen, dass die bloße Vorstellung des moralischen Gesetzes das Gefühl der Achtung erzeugt. Das wiederum würde es erlauben, dem Gefühl der Achtung eine kausale Rolle in der Bestimmung des Willens, das Gesetz zu befolgen, einzuräumen. In diesem Fall wäre das Gefühl der Achtung das Produkt der Erkenntnis, dass ich meinen Willen dem Gesetz unterordnen soll, und würde dann eine kausale Funktion im tatsächlichen Vollzug der Unterordnung meines Willens unter das Gesetz erfüllen. Dieser Deutungsvorschlag wirft allerdings das Problem auf, dass Kant in Abschnitt III der Grundlegung seine transzendentale Theorie der Freiheit des Willens einführt, derzufolge sich die wirkliche Bestimmung des Willens, das moralische Gesetz zu befolgen, in einer intellegiblen Sphäre abspielt, die der Grund der Erscheinung ist. Das aber würde bedeuten, dass das Gefühl der Achtung, das etwas Erscheinendes ist, keine kausale Rolle in der Bestimmung des Willens zur Befolgung des Gesetzes spielen könnte, die ein intellegibles „Ereignis“– in Anführungszeichen zu setzen, weil die intellegible Bestimmung des Willens nicht zeitlich ist, wir aber keine andere als zeitliche Sprache haben, um uns darauf zu beziehen – sein muss. Einige weitere Formulierungen in dieser Fußnote legen jedoch andererseits nahe, dass es nicht die bloße Vorstellung des Gesetzes, sondern die Bestimmung des Willens durch dieses Gesetz ist, die das Gefühl der Achtung erzeugt. So besagt der auf das letzte Zitat folgende Satz: „Die unmittelbare Bestimmung des Willens durchs Gesetz und das Bewußtsein derselben heißt Achtung, so daß diese als Wirkung des Gesetzes aufs Subjekt und nicht als Ursache desselben angesehen wird.“ (4:401.25 – 28) Und Kant macht weitere Bemerkungen in derselben Richtung: „Der Gegenstand der Achtung ist also lediglich das Gesetz, […] das wir uns selbst und doch als an sich nothwendig auferlegen. Als Gesetz sind wir ihm unterworfen, ohne die Selbstliebe zu befragen; als uns von uns selbst auferlegt ist es doch eine Folge unseres Willens“ (4:401.25 – 28). Diese Bemerkungen implizieren, dass es nicht einfach die Vorstellung des Gesetzes, sondern die Selbst-Auferlegung des Gesetzes, d. h. die Bestimmung des Willens, sich an das Gesetz zu halten, ist, die das Gefühl der Achtung erzeugt. Die These, dass es das Gefühl der Achtung ist, welches die „unmittelbare Bestimmung des Willens“ konstituiert, wäre demnach vereinbar mit der Auffassung, dass die Selbstbestimmung des Willens durch das moralische

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Gesetz in der intellegiblen Sphäre stattfindet, wo sie nicht durch das Gefühl in der Erscheinung verursacht ist, dass also das Gefühl der Achtung stattdessen der erscheinende Ausdruck dieser intellegiblen Selbstbestimmung ist. Diese Konsequenz scheint ihrerseits vereinbar mit dem metaphysischen Modell der Freiheit des Willens zu sein, das Kant in der Grundlegung, der Kritik der praktischen Vernunft und der Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft vorträgt, und soll vermutlich als Kants offizielle Position in seinem reifen Werk betrachtet werden. Doch selbst wenn das bedeutet, dass das Gefühl der Achtung letzten Endes nur Begleiterscheinung der noumenalen Selbstbestimmung des Willens ist, könnte man immer noch vermuten, dass es eine unentbehrliche kausale Funktion im Erscheinungsprozess erfüllt, der die intellegible Bestimmung des Willens, das Gesetz zu befolgen, zum Ausdruck bringt. Diese zumindest phänomenal unentbehrliche kausale Funktion des Gefühls der Achtung wird im Mittelpunkt meiner Argumentation im folgenden stehen. Der zweite Punkt, der in der Fußnote deutlich wird, ist, dass das Gefühl der Achtung auch in der Erscheinung phänomenal komplex ist. Obwohl sich Kant nicht ausdrücklich auf Lust und Schmerz so bezieht, wie er das in der Kritik der praktischen Vernunft wiederholt tut, macht er doch auch hier deutlich, dass das Gefühl der Achtung sowohl angenehme als auch schmerzliche Seiten hat. Er erklärt: „Eigentlich ist Achtung die Vorstellung von einem Werthe, der meiner Selbstliebe Abbruch thut. Also ist es etwas, was weder als Gegenstand der Neigung, noch der Furcht betrachtet wird, obgleich es mit beiden zugleich etwas Analogisches hat. […] Als Gesetz sind wir ihm unterworfen, ohne die Selbstliebe zu befragen; als uns von uns selbst auferlegt, ist es doch eine Folge unsers Willens und hat in der ersten Rücksicht Analogie mit Furcht, in der zweiten mit Neigung.“ (Grundlegung, 4:401.28 – 30, 32 – 35)

Das Sichselbstauferlegen eines Gesetzes, das nicht der Selbstliebe dient, sondern ihr eher Abbruch tut, erzeugt ein der Furcht ähnliches Gefühl, d.i. ein Gefühl der Aversion, des Schmerzes angesichts des Verlusts der Geschenke der Selbstliebe. Das Faktum jedoch, dass diese Einschränkung der Selbstliebe unsere eigene Tat, Produkt unseres Willens ist, erzeugt ein der Neigung ähnliches, ein positives oder angenehmes Gefühl.9 Kant behält diese Analyse des Gefühls der Achtung in der Kritik der praktischen Vernunft ganz offensichtlich bei, obwohl, zumindest bislang, die kausale Bedeutung dieser zweifachen Phänomenologie unerklärt bleibt: Üblicherweise ist die Erwartung von Schmerz und Lust Triebfeder für Handlungen, doch bisher hat Kant nur vorgetragen, dass diese schmerzlichen und angenehmen Seiten des Gefühls der Achtung Wirkung der Selbstbestimmung des Willens sind, das moralische Gesetz zu befolgen, ohne zu spezifizieren, dass sie Ursache von irgendetwas anderem sind.

9 Daniel Guevara argumentiert, vom Text der Kritik der praktischen Vernunft ausgehend, dafür, dass das Gefühl der Achtung gänzlich positiv ist, obwohl es auch „ein Gefühl des Schmerzes, verursacht durch die Achtung vor dem Gesetz“ zur Folge hat (Kant’s Theory of Moral Motivation, p. 111). Er zieht jedoch diese von mir aus der Grundlegung herangezogene Passage nicht in Betracht, die schmerzliche wie angenehme Entsprechungen von Furcht und Neigung klarerweise einem und demselben Gefühl der Achtung zuschreibt.

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Wir sollten auch beachten, was Kant kurz vor Abschluss der Grundlegung anmerkt: „Um das zu wollen, wozu die Vernunft allein dem sinnlich-afficirten vernünftigen Wesen das Sollen vorschreibt, dazu gehört freilich ein Vermögen der Vernunft, ein Gefühl der Lust oder des Wohlgefallens an der Erfüllung der Pflicht einzuflößen, mithin eine Causalität derselben, die Sinnlichkeit ihren Principien gemäß zu bestimmen. Es ist aber gänzlich unmöglich einzusehen, d.i. a priori begreiflich zu machen, wie ein bloßer Gedanke, der selbst nichts Sinnliches in sich enthält, eine Empfindung der Lust oder Unlust hervorbringe; denn das ist eine besondere Art von Causalität, von der wie von aller Causalität wir gar nichts a priori bestimmen können, sondern darum allein die Erfahrung befragen müssen. Da diese aber kein Verhältniß der Ursache zur Wirkung, als zwischen zwei Gegenständen der Erfahrung an die Hand geben kann, hier aber reine Vernunft durch bloße Ideen (die gar keinen Gegenstand für Erfahrung abgeben) die Ursache von einer Wirkung, die freilich in der Erfahrung liegt, sein soll, so ist die Erklärung, wie und warum uns die Allgemeinheit der Maxime als Gesetzes, mithin die Sittlichkeit interessire, uns Menschen gänzlich unmöglich.“ (Grundlegung, 4:460.8 – 24)

Kant erklärt nicht die Beziehung zwischen dem Gefühl der Achtung in der Erfüllung der Pflicht, auf die er sich hier bezieht, und dem Gefühl der Achtung, das er zuvor erörtert hat. Es scheint jedoch natürlich zu sein anzunehmen, dass er sich auf einen Aspekt dieses Gefühls bezieht, was impliziert: Welche Rolle auch immer der negative Aspekt des Gefühls der Achtung spielen mag, fest steht auf jeden Fall: Der positive Aspekt hat eine wesentliche Funktion für die Erklärung unserer Pflichterfüllung. Die Fortsetzung der zitierten Passage bestätigt die zuvor vorgetragene Interpretation, dass das Gefühl der Achtung die erscheinende Wirkung von etwas Intellegiblem ist, obwohl Kant hier dazu zurückkehrt, sich auf den intellegiblen Grund der Achtung als einen „bloßen Gedanken“, statt als aktuelle Selbstbestimmung des Willens durch diesen Gedanken zu beziehen: Kants Auffassung ist, dass wir kausale Beziehungen gewöhnlich durch die Erfahrung von beidem, von Ursache und Wirkung, begreifen, aber dass wir hier einer kausalen Verbindung zwischen dem Gedanken und dem Gefühl gewiss sind, obwohl wir ersteres nicht erfahren und deshalb die Beziehung nicht begreifen. Man könnte vielleicht fragen, wie wir denn so sicher sein können, dass es eine kausale Beziehung gibt, wenn der eine ihrer Terme, die Ursache, notwendigerweise jenseits der Erfahrung bleibt. Kant wird versuchen, dieses Problem in der Kritik der praktischen Vernunft anzusprechen, indem er argumentiert, dass wir a priori wissen können, dass sowohl Schmerz als auch Lust mit der intellegiblen Beziehung des Willens durch reine praktische Vernunft verbunden werden müssen, ohne dass wir die Mechanismen kennen, durch die diese Verknüpfungen erzeugt werden. Einige Interpreten haben große Anstrengungen unternommen, Kants Argumentation in diesem Punkt zu begreifen.10 Ich verzichte darauf und werde mich stattdessen auf die Frage konzentrieren, welche kau10 Vgl. Lewis White Beck, A Commentary on Kant’s Critique of Practical Reason (Chicago, University of Chicago Press, 1960), ch. XII, § 6, pp. 219 – 21; Guevara, Kant’s Theory of Moral Motivation, ch. 3, §§ 7, 9, pp. 108 – 12, 115 – 19.

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sale Funktion dem Gefühl der Achtung zugeschrieben werden kann, wenn die Bestimmung des Willens durch das moralische Gesetz selbst als bloß noumenal vorausgesetzt wird und daher wohl nicht die Wirkung von irgend etwas Phänomenalem wie dem Ereignis eines Gefühls der Achtung sein kann. III. „Die Triebkräfte der reinen praktischen Vernunft“ in der Kritik der praktischen Vernunft Während Kant für das Gefühl der Achtung in der Grundlegung nur eine Fußnote übrig hat, widmet er diesem Thema in der Kritik der praktischen Vernunft das ganze dritte Hauptstück der Analytik der praktischen Vernunft. Dieses Hauptstück betrachtet er als ein Analogon zur Transzendentalen Ästhetik der Kritik der reinen Vernunft, obwohl es am Ende der Analytik steht statt ihr voranzugehen. Denn anders als die theoretische Philosophie kann die praktische nicht mit Formen a priori beginnen, die in der Sinnlichkeit allein zu finden sind. Vielmehr beginnt alles moralische Denken der Argumentation der praktischen Vernunft zufolge mit einem „Faktum der Vernunft“, dem Bewusstsein unserer Verpflichtung durch das moralische Gesetz (5:31.24), und sowohl die Wirklichkeit der Freiheit als auch die Einwirkung des moralischen Gesetzes auf die Sinnlichkeit müssen daraus abgeleitet werden (5:16.22 – 26). Viele Kommentatoren bemängeln, dieses Kapitel sei redundant oder noch schlimmer. Deshalb werde ich mich, insbesondere um mich mit Kants Erörterung moralischer Gefühle in der Metaphysik der Sitten ausführlicher auseinandersetzen zu können, auf einige wenige Punkte der Diskussion beschränken müssen. Das dritte Hauptstück der Kritik der praktischen Vernunft beginnt mit dem Satz „Das Wesentliche alles sittlichen Werths der Handlungen kommt darauf an, daß das moralische Gesetz unmittelbar den Willen bestimme.“ (5:71.28 – 30) Daraus zieht Kant den Schluss, wir müssten nach keiner „anderweitige[n] Triebfeder“ suchen, um dem Gesetz „Einfluß auf den Willen zu verschaffen“ (5:72.13 f.). „Hier geht kein Gefühl im Subject vorher, das auf Moralität gestimmt wäre.“ (5:75.26 f.) Daher „bleibt nichts übrig, als blos sorgfältig zu bestimmen, auf welche Art das moralische Gesetz Triebfeder werde, und was, indem sie es ist, mit dem menschlichen Begehrungsvermögen als Wirkung jenes Bestimmungsgrundes auf dasselbe vorgehe.“ (5:72.17 – 21). Kant sagt des weiteren, die Frage danach, „wie ein Gesetz für sich und unmittelbar Bestimmungsgrund des Willens sein könne“, sei „ein für die menschliche Vernunft unauflösliches Problem und mit dem einerlei: wie ein freier Wille möglich sei.“ (5:72.21 – 24) Denn dafür wäre die Kenntnis kausaler Mechanismen in der für uns unzugänglichen intelligiblen Sphäre erforderlich. Nichtsdestotrotz könnten wir a priori zeigen, was, wenn „das moralische Gesetz in sich eine Triebfeder abgebe, […], so fern es eine solche ist, sie im Gemüthe wirkt (besser zu sagen, wirken muß)“. (5:72.25 – 27) Kants Gebrauch des Ausdrucks „Gemüth“, der stets den Geist als empirisches Phänomen bedeutet, legt es nahe, die anschließende Erörterung des Gefühls der Achtung als Darstellung der empirischen Manifestation oder Erscheinungsweise der Bestimmung des Willens durch das mo-

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ralische Gesetz zu verstehen. Sein Insistieren darauf, dass weder der Inhalt des moralischen Gesetzes noch die Bestimmung unseres Willens durch das Gesetz von einem vorausgehenden Gefühl abhängen könne, ist offenbar Ausdruck seiner grundsätzlichen Ablehnung der moral-sense-Philosophie, die er einst selbst bewundert hat. Dass die unmittelbare Bestimmung des Willens durch das moralische Gesetz eine Wirkung auf unsere Sinnlichkeit erzeugt und nicht einfach daran vorbeigeht, ist sein Zugeständnis an diese Schule. Bislang ungeklärt ist allerdings, ob diese Wirkung nur Begleiterscheinung ist oder an einem bestimmten Punkt der Verursachung moralischen Handelns eine unverzichtbare Rolle zu spielen hat. Anfänglich legt Kant nahe, eine kausal unverzichtbare Funktion des Gefühls der Achtung anzunehmen, die aber mit seiner Prämisse nur schwer zu vereinbaren ist, dass das Gefühl der Achtung ausschließlich Wirkung der Bestimmung des Willens durch das moralische Gesetz ist und dass diese Bestimmung eine intelligible Handlung ist, die nicht von einem Ereignis in der Sinnenwelt affiziert werden kann. Später jedoch wird er eine kausale Funktion für das Gefühl der Achtung vorschlagen, die mit diesen Voraussetzungen nicht in Konflikt gerät. Kant unterstreicht, der schon in der Grundlegung exponierten Konzeption folgend: „Das Wesentliche aller Bestimmung des Willens durchs sittliche Gesetz ist: daß er als freier Wille, mithin nicht blos ohne Mitwirkung sinnlicher Antriebe, sondern selbst mit Abweisung aller derselben und mit Abbruch aller Neigungen, so fern sie jenem Gesetze zuwider sein könnten, blos durchs Gesetz bestimmt werde.“ (5:72.27 – 32) Bedingungslose Unterwerfung unter das Sittengesetz bedeutet die Bereitschaft auf alles Handeln aus Neigung gegen das Gesetz zu verzichten, und in der Wirklichkeit des menschlichen Lebens erfordert dies den tatsächlichen Verzicht darauf, aus Neigung zu handeln, und so die Neigung zu enttäuschen. Aus der Prämisse „die negative Wirkung aufs Gefühl (durch den Abbruch, der den Neigungen geschieht) ist selbst Gefühl“ (5:73.1 – 2) zieht Kant den Schluss: „Folglich können wir a priori einsehen, daß das moralische Gesetz als Bestimmungsgrund des Willens dadurch, daß es allen unseren Neigungen Eintrag thut, ein Gefühl bewirken müsse, welches Schmerz genannt werden kann, und hier haben wir nun den ersten, vielleicht auch einzigen Fall, da wir aus Begriffen a priori das Verhältniß eines Erkenntnisses (hier ist es einer reinen praktischen Vernunft) zum Gefühl der Lust oder Unlust bestimmen konnten.“ (5:73.2 – 8)

Im selben Atemzug sagt Kant jedoch auch, dass das moralische Gesetz, welches die Einschränkung unserer Neigungen fordert, „aber doch etwas an sich Positives ist, nämlich die Form einer intellectuellen Causalität, d. i. der Freiheit, so ist es […] zugleich […] ein Gegenstand der größten Achtung, mithin auch der Grund eines positiven Gefühls, das nicht empirischen Ursprungs ist und a priori erkannt wird. Also ist Achtung fürs moralische Gesetz ein Gefühl, welches durch einen intellectuellen Grund gewirkt wird, und dieses Gefühl ist das einzige, welches wir völlig a priori erkennen, und dessen Nothwendigkeit wir einsehen können.“ (5:73.27 – 37) Anders ausgedrückt: Weil das Gesetz, das unsere Handlungen aus Neigung einschränkt, das

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Produkt unserer eigenen „Kausalität“ oder Aktivität, Produkt unserer Freiheit ist, haben wir ein positives Gefühl, sogar ein angenehmes Gefühl – trotz der schmerzhaften Aussichten auf die Einschränkung unserer Neigungen. Diese Verknüpfung wird a priori erkannt. Wenn Kant behaupten würde, dass diese positive, ja angenehme Wirkung des moralischen Gesetzes aufs Gefühl die einzige ist, die a priori erkannt wird, würde er der vorausgehenden These widersprechen, dass die schmerzliche Wirkung des moralischen Gesetzes das einzige a priori Erkennbare ist. Dieser Widerspruch ist nur zu vermeiden, wenn man Kant so versteht, dass er sagen will: Was a priori erkannt wird, ist ein einziges Gefühl mit sowohl schmerzlichen als auch angenehmen Dimensionen. Dass es genau dieses komplexe Gefühl ist, das wir a priori erkennen, ergibt sich aus seinen nächstfolgenden Thesen: „Also ist das moralische Gesetz auch subjectiv ein Grund der Achtung. Da nun alles, was in der Selbstliebe angetroffen wird, zur Neigung gehört, alle Neigung aber auf Gefühlen beruht, mithin, was allen Neigungen insgesammt in der Selbstliebe Abbruch thut, eben dadurch nothwendig auf das Gefühl Einfluß hat, so begreifen wir, wie es möglich ist, a priori einzusehen, daß das moralische Gesetz, indem es die Neigungen und den Hang, sie zur obersten praktischen Bedingung zu machen, d. i. die Selbstliebe, von allem Beitritte zur obersten Gesetzgebung ausschließt, eine Wirkung aufs Gefühl ausüben könne, welche einerseits blos negativ ist, andererseits und zwar in Ansehung des einschränkenden Grundes der reinen praktischen Vernunft positiv ist, und wozu gar keine besondere Art von Gefühl unter dem Namen eines praktischen oder moralischen als vor dem moralischen Gesetze vorhergehend und ihm zum Grunde liegend angenommen werden darf.“ (5:74.29 – 75.5).

Offensichtlich bezieht sich die Behauptung einer Einsicht a priori auf eine einzelne Wirkung aufs Gefühl, die selbst ein Gefühl ist, das sowohl positiv wie negativ ist11. Das macht jedoch einige Schwierigkeiten. Ein eklatantes Problem ist die Beantwortung der Frage, ob die Behauptung, dass die Wirkung eines Gefühls stets die Form eines weiteren Gefühls annimmt; dass ein Gefühl des Schmerzes über die Einschränkung unserer Neigungen oder ein Gefühl der Lust dank der Erkenntnis, dass diese Einschränkung unser eigenes Werk ist, etwas a priori Erkennbares ist; ob wir also tatsächlich a priori wissen, dass die Bestimmung des Willens durch das Gesetz ein Gefühl des Schmerzes und der Lust erzeugen muss. Dieses Thema will ich jedoch, wie schon gesagt, nicht weiter verfolgen. Es scheint klar genug zu sein, dass die Einschränkung unserer Neigungen typischerweise Schmerz und die Entdeckung unserer moralischen Fähigkeiten typischerweise Lust erzeugt. Kants These jedenfalls, dass wir a priori erkennen, dass ein solches Gefühl wie das der Achtung existiert, ist nicht die Prämisse für weitere Schlussfolgerungen in seiner Argumentation. Es macht deshalb keine Schwierigkeit, seine Behauptung der Existenz dieses 11

Aufgrund von Passagen wie der zuletzt zitierten muss Guevaras Behauptung (Kant’s Theory of Moral Motivation, pp. 108 – 11) verworfen werden, das negative Gefühl, das aus der Einschränkung von Neigung resultiert, sei nicht Teil des Gefühls der Achtung, das seinerseits nur identisch sei mit dem positiven Gefühl, das aus der Einsicht folgt, dass die Einschränkung die eigene Tat ist.

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Gefühls als gut empirisch beglaubigt wenn auch nicht als a priori erwiesen anzusehen. Ein ernsteres Problem ist vielleicht Kants oben zitierte These, dass unbedingte Unterwerfung unter das moralische Gesetz allen unseren Neigungen Eintrag tut. Das ist sicherlich falsch, und zwar sowohl faktisch als auch von Kants Standpunkt aus. Denn es gibt viele Fälle, in denen das Handeln aus Neigung mit den Forderungen der Moral vollkommen übereinstimmt, unsere Neigungen sogar Beweggründe zum Guten sind,12 obwohl ebenso offensichtlich das Handeln aus einigen anderen unserer Neigungen mit der Moralität konfligiert. Kant löst jedoch dieses Problem mit der Erklärung, dass das moralische Gesetz nicht „vernünftige Selbstliebe“ (5:73.18), sondern nur „Eigendünkel“ oder „Arroganz“ niederschlägt. Vernünftige Selbstliebe ist Einschränkung der Eigenliebe „als natürlich und noch vor dem moralischen Gesetz in uns rege, […] auf die Bedingung der Einstimmung mit diesem Gesetze“ (5:73.16 – 17), während der Eigendünkel „die Selbstliebe [ist] […], wenn sie sich gesetzgebend und zum unbedingten praktischen Princip macht“ (5:74.17 – 19) oder „die subjectiven Bedingungen […] als Gesetze vorschreibt“ (5:74.22 f.). Anders gesagt: Ein Handeln, das der Selbstliebe dient, ist in vielen Fällen mit Moralität durchaus vereinbar, ja sogar von ihr gefordert, zum Beispiel um sein Leben zu erhalten oder seine Fähigkeiten zu bilden. Unvereinbar mit Moralität ist es, sich die Selbstliebe zum Gesetz zu machen, d. h. aus Selbstliebe zu handeln, ob vereinbar mit Moralität oder nicht. Eigendünkel ist dasselbe, was Kant später das radikale Böse nennt, d. h. dass der Mensch „die Triebfeder der Selbstliebe und ihre Neigungen zur Bedingung der Befolgung des moralischen Gesetzes macht, da das letztere vielmehr als die oberste Bedingung der Befriedigung der ersteren […] aufgenommen werden sollte.“ (6:36.29 – 33) Kant behauptet daher nicht, dass das moralische Gesetz alle Neigungen niederschlägt, dass also die negative Seite des Gefühls der Achtung das schmerzliche Gefühl der totalen Unterdrückung von Neigungen ist. Das moralische Gesetz fordert nur, dass Selbstliebe nicht unser oberstes Prinzip sein darf und die negative Dimension des Gefühls der Achtung unser Fühlen der Unterdrückung in denjenigen Fällen sein müsse, in denen selbst dieser eingeschränkte Zwang des Gesetzes unser Handeln aus bestimmten Neigungen überwindet. Der positive Aspekt des Gefühls der Achtung bleibt unser Gefühl der Befriedigung darüber, dass das Gesetz, welches solchen Eigendünkel beschränkt, das Erzeugnis unserer eigenen intellektuellen Aktivität ist. Dieses Problem ist also gelöst. Die nächste Schwierigkeit mit Kants Begriff des Gefühls der Achtung ist, dass Kant, seiner ursprünglichen Behauptung zuwider, dass dieses Gefühl die Wirkung der unmittelbaren Bestimmung des Willens durch das moralische Gesetz sei, so fortfährt, als ob dieses Gefühl die Wirkung des bloßen Denkens an das moralische Gesetz und dieser Gedanke wiederum die empirische Ursache der daraus folgenden Bestimmung, in Übereinstimmung mit dem Gesetz zu handeln, 12 Vgl. Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1794), Erstes Stück, 6:26 – 8.

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sei. Das aber scheint der ursprünglichen Behauptung zu widersprechen, dass „das Wesentliche alles sittlichen Werts der Handlungen“ gerade darin bestehe, „daß das moralische Gesetz unmittelbar den Willen bestimme“ (5:71.28 – 30). So schreibt Kant: „Vielmehr ist das sinnliche Gefühl, was allen unseren Neigungen zum Grunde liegt, zwar die Bedingung derjenigen Empfindung, die wir Achtung nennen, aber die Ursache der Bestimmung desselben liegt in der reinen praktischen Vernunft, und diese Empfindung kann daher ihres Ursprunges wegen nicht pathologisch, sondern muß praktisch gewirkt heißen: indem dadurch, daß die Vorstellung des moralischen Gesetzes der Selbstliebe den Einfluß und dem Eigendünkel den Wahn benimmt, das Hinderniß der reinen praktischen Vernunft vermindert und die Vorstellung des Vorzuges ihres objectiven Gesetzes vor den Antrieben der Sinnlichkeit, mithin das Gewicht des ersteren relativ (in Ansehung eines durch die letztere afficirten Willens) durch die Wegschaffung des Gegengewichts im Urtheile der Vernunft hervorgebracht wird. Und so ist die Achtung fürs Gesetz nicht Triebfeder der Sittlichkeit, sondern sie ist die Sittlichkeit selbst, subjectiv als Triebfeder betrachtet, indem die reine praktische Vernunft dadurch, daß sie der Selbstliebe im Gegensatze mit ihr alle Ansprüche abschlägt, dem Gesetze, das jetzt allein Einfluß hat, Ansehen verschafft. […] Dieses Gefühl (unter dem Namen des moralischen) ist also lediglich durch Vernunft bewirkt. Es dient nicht zur Beurtheilung der Handlungen, oder wohl gar zur Gründung des objectiven Sittengesetzes selbst, sondern blos zur Triebfeder, um dieses in sich zur Maxime zu machen.“ (5:75.30 – 76.8, 76.16 – 19)

Dieser Abschnitt stellt gegen die Schule des moral sense klar, dass bloß empirische Gefühle der Billigung oder Mißbilligung von Verhaltensweisen nicht die Quelle des Inhalts des moralischen Gesetzes sein können – dass es vielmehr aus der Vernunft stammt. Jedoch scheint der Text nahezulegen, dass das Gefühl der Achtung durch die bloße Vorstellung des moralischen Gesetzes erzeugt wird, nicht durch die vorausgehende Bestimmung des Willens, in Übereinstimmung mit dem Gesetz zu handeln; und dass es „die Wegschaffung“ der empirischen Gefühle oder Neigungen durch das Gefühl der Achtung ist, das „dem Gesetze […] Ansehen verschafft“ und den Handelnden dazu führt, sich das moralische Gesetz statt des Eigendünkels – d.i. nicht vernünftige Selbstliebe, sondern „Selbstliebe im Gegensatz zu den Ansprüchen der reinen praktischen Vernunft“ – zur fundamentalen Maxime zu machen. Wie das geschehen kann ist nicht das Problem – wir können uns leicht vorstellen, dass das „Hindernis“, in Übereinstimmung mit dem Gesetz der reinen praktischen Vernunft zu handeln, dadurch kausal bewirkt wird, dass das Gefühl der Achtung begleitet ist von der Erwartung des Schmerzes der Demütigung, aus Eigendünkel zu handeln, und begleitet wird von der Aussicht auf das Vergnügen, stets in Übereinstimmung mit dem moralischen Gesetz zu handeln. Dadurch wird unsere ursprüngliche Erwartung des Angenehmen, aus Eigendünkel zu handeln und des Schmerzes der Unterdrückung dieses Eigendünkels modifiziert und unwirksam. Das Problem hier ist vielmehr dieses: Dieses kausale Modell scheint die Bestimmung des Willens, sich das moralische Gesetz zur höchsten Autorität zu machen, dem Gefühl der Achtung eher folgen als vorausgehen zu lassen und dadurch die Bestimmung des Willens

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durch das moralische Gesetz eher zu einem phänomenalen als zu einem noumenalen Vorgang zu machen. Wie früher schon gesagt dürfte Kant ein solches Ergebnis wohl vermeiden wollen. Daher meint er vielleicht mit der Bestimmung in der Mitte dieses Abschnitts, sc. „Und so ist die Achtung fürs Gesetz nicht Triebfeder zur Sittlichkeit, sondern sie ist die Sittlichkeit selbst, subjectiv als Triebfeder betrachtet“ (5:76.4 – 6), dass dieses kausale Modell der Vorstellung des moralischen Gesetzes als Modifikation unserer Erwartung von Lust und Schmerz und als Beseitigung des Hindernisses, sich das moralische Gesetz zur Maxime zu machen und ihm die erforderliche Autorität zu gewähren, nur die phänomenale Manifestation der noumenalen Bestimmung des Willens ist. Oder, in der Sprache der Kritik der reinen Vernunft gesagt: Erstere ist der „empirische Charakter“ der letzteren, die „intelligiblen Charakters“ ist (A 539 / B 567). Und vielleicht ist dies die angemessene Lösung des scheinbaren Widerspruchs zwischen Kants ursprünglicher Behauptung, dass die Bestimmung des Willens dem Gefühl der Achtung vorausgeht, und seinem empirischen Modell des Gefühls der Achtung, wonach es ein empirisches Hindernis, uns das moralische Gesetz zur fundamentalen Maxime zu machen, beseitigt und ihm die erforderliche Autorität dadurch verschafft, dass es unseren Aussichten auf Schmerz und Lust ein anderes Gewicht verschafft. Eine weitere Passage aber bietet eine alternative, durchaus nicht unverträgliche Lösung für dieses Problem. Einige Seiten nach der zuletzt zitierten Passage fügt Kant einen Abschnitt ein, der mit derselben Darstellung des Gefühls der Achtung als Beseitigung eines phänomenalen Hindernisses beginnt, eines Hindernisses für das, was eo ipso der phänomenale Akt der Annahme des moralischen Gesetzes sein muss. Dann aber zielt er darauf ab, dass die empirische Wirkung des Gefühls der Achtung nicht die Annahme des moralischen Gesetzes als fundamentale Maxime selbst ist, sondern vielmehr die Annahme besonderer Maximen des Verhaltens. Kant schreibt: „Denn eine jede Verminderung der Hindernisse einer Thätigkeit ist Beförderung dieser Thätigkeit selbst. Die Anerkennung des moralischen Gesetzes aber ist das Bewußtsein einer Thätigkeit der praktischen Vernunft aus objectiven Gründen, die blos darum nicht ihre Wirkung in Handlungen äußert, weil subjective Ursachen (pathologische) sie hindern. Also muß die Achtung fürs moralische Gesetz auch als positive, aber indirecte Wirkung desselben aufs Gefühl, so fern jenes den hindernden Einfluß der Neigungen durch Demüthigung des Eigendünkels schwächt, mithin als subjectiver Grund der Thätigkeit, d. i. als Triebfeder zu Befolgung desselben, […] angesehen werden.“ (5:79.9 – 17)

Bis hierher scheint er dasselbe Konzept anzunehmen wie vorher, nämlich dass die bloße Vorstellung („Anerkennung“) des moralischen Gesetzes eine Veränderung in Gefühlen bewirkt – Kant erwähnt hier nur die Demütigung oder die Erwartung des Schmerzes anlässlich des Handelns aus Eigendünkel – und dadurch eine empirische Triebfeder der Befolgung des Gesetzes erzeugt. All dies ist wie zuvor ein empirisches Modell der Bestimmung des Willens, das ganz unverfänglich die empirische Manifestation einer intellegiblen Bestimmung beschreibt.

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Kant setzt den vorstehend unterbrochenen Satz jedoch fort, indem er den zuletzt erwähnten subjektiven Grund der Tätigkeit erläutert durch „d. i. als Triebfeder zu Befolgung desselben und als Grund zu Maximen eines ihm gemäßen Lebenswandels“ (5:79.17 f.). Das heißt, er nimmt nun an, dass das Gefühl der Achtung nicht oder nicht nur Triebfeder zur Annahme des moralischen Gesetzes als grundlegender Maxime, sondern mehr noch Triebfeder zur Annahme besonderer Maximen der Lebensführung ist, wie z. B. der Maxime, seine Anlagen weiter zu entwickeln, Anderen wohl zu tun, Andere zu respektieren usw. Hier bestünde nicht mehr die Gefahr, dass das Gefühl der Achtung sowohl Ursache als auch Wirkung der Annahme des Gesetzes als einer fundamentalen Maxime wäre. Das Gefühl der Achtung wäre vielmehr die Wirkung der intellektuellen Bestimmung, sich das moralische Gesetz zur fundamentalen Maxime zu machen, darüberhinaus aber wäre es eine anderen Neigungen entgegenwirkende Ursache, die andernfalls der eigenen Disposition zu solchen besonderen Maximen entgegenwirken würden. Denn die Wahl besonderer Maximen ist in jedem Fall etwas, was man sich nur als Vorgang in der Erscheinungswelt vorstellen kann – wir können nur empirisch wissen, dass Menschen anders als andere Tiere ihre Anlagen ausbilden müssen, um ihre eigenen Zwecke oder die Anderer auszuführen; dass Menschen anders als andere Tiere Hilfe voneinander brauchen und fähig sind, sie zu leisten – die Vorstellung, dass diese Wahl empirisch stattfinden muss und von der empirischen Abwägung zwischen Lust und Schmerz aus dem Gefühl der Achtung beeinflusst werden kann, ist ganz natürlich und würde von uns nicht verlangen, uns für eine der beiden Alternativen zu entscheiden, denen zufolge Kant entweder seiner grundlegenden Theorie der noumenalen Bestimmung des Willens widerspricht oder nur ihre empirische Manifestation behauptet. In der vorletzten der zitierten Passagen bezieht sich Kant auf das Gefühl der Achtung „unter dem Namen des moralischen“ Gefühls (5:76.16). Nun exponiert Kant in der Einleitung in die Tugendlehre der Metaphysik der Sitten nicht weniger als vier „Ästhetische Vorbegriffe der Empfänglichkeit des Gemüths für Pflichtbegriffe überhaupt“ (Einleitung in die Tugendlehre XII, 6:399), unter denen das „moralische Gefühl“ und „Achtung“ getrennt voneinander thematisiert werden. Was er hier „Achtung“ nennt, ist nicht die Achtung vor dem Gesetz im allgemeinen, sondern Selbstachtung im besonderen. Er folgt dabei dem Leitfaden seiner Überlegungen in der Kritik der praktischen Vernunft, insofern er den Ausdruck „moralisches Gefühl“ zur Bezeichnung dessen benutzt, was er zuvor mit dem allgemeinen Gefühl der Achtung fürs Gesetz bezeichnet. Kant nimmt damit an, dass „Empfänglichkeit für Pflichtbegriffe überhaupt“ sowohl allgemeine als auch besondere „ästhetische Vorbegriffe“ erfordert. Eben damit nimmt er zugleich ein zumindest zweistufiges empirisches Modell der Motivation zu moralisch geforderten Handlungen an, woran sowohl allgemeine als auch spezifische oder besondere Gefühle beteiligt sind. Sind die (mindestens) zwei Stufen, die er in der Tugendlehre anerkennt, dasselbe Modell wie die zwei Stufen der Bestimmung zur Annahme besonderer Maximen, die er in der Kritik der praktischen Vernunft vorgetragen hat? Kants Bezug auf eine Mehrzahl von Pflichtbegriffen legt nahe zu vermuten, dass er sich mit besonderen Maximen

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der Pflicht beschäftigt. Er diskutiert jedoch in der Metaphysik der Sitten nicht eindeutig empirische Bedingungen für die Wahl besonderer Maximen. Was er vorträgt, scheint eher eine Theorie der Triebkräfte zu sein, die empirisch notwendig sind, nach bestimmten Maximen zu handeln. Aber es wäre nicht unangemessen anzunehmen, dass besondere moralische Gefühle in diesen beiden Funktionen eine Rolle spielen. Wir wollen nun jedenfalls einen Blick werfen auf Kants späte Theorie „ästhetischer Vorbegriffe der Empfänglichkeit für Pflichtbegriffe“ und herausfinden, ob sie vielleicht mit der Theorie der Achtung der Kritik der praktischen Vernunft zusammenstimmt. IV. Ästhetische13 Voraussetzungen der Empfänglichkeit für Pflicht in der Tugendlehre Kants Erörterung der „Ästhetische[n] Vorbegriffe der Empfänglichkeit des Gemüths für Pflichtbegriffe überhaupt“ in Abschnitt XII der Einleitung in die Tugendlehre (6:399) ist kurz, wirft aber viele Fragen auf. Das beginnt bereits mit der Überschrift des Abschnitts. Ich benutze „aesthetic preconditions“ (ästhetische Voraussetzungen) als eine Übersetzung von Kants Ausdruck ästhetische Vorbegriffe, und beide Wörter in diesem Satz sind problematisch. Vorbegriffe könnte wörtlicher übersetzt werden mit „preconcepts“, aber das ist kein Englisch, oder auch mit „preconceptions“, was aber bloßes Vorurteil bedeutet, und das wäre irreführend. Ich habe „preconditions“ im Lichte der Bedeutung von „natural predispositions of the mind“ (natürliche Gemütsanlagen des Gemüts) und „Praedispositio“ gewählt, das Kant in seiner eigenen Erklärung dafür benutzt, was er ausdrücken möchte. Das aber lässt immer noch die Frage offen, was er hier eigentlich unter „ästhetisch“ versteht. Mary Gregor hat diesen Ausdruck paraphrasiert mit „on the part of feeling“14, aber das scheint mir zu vage und zu spezifisch zugleich: zu vage, denn es ist nicht klar, welche Relata in dieser Relation oder diesen Relationen durch den Ausdruck „on the part of“ miteinander verbunden sind; und es ist zugleich zu spezifisch, denn es scheint zu implizieren, dass jedes der vier Beispiele für „ästhetische Vorbegriffe“, die Kant anschließend diskutiert, selbst ein Gefühl ist, und das stimmt nicht ganz: Moralisches Gefühl, Liebe und Selbstachtung, drei der vier Beispiele, die Kant diskutiert, mögen Gefühle sein, aber das vierte, Gewissen, scheint kein Gefühl zu sein, obwohl es auf Gefühle eine Wirkung haben kann. Ganz allgemein gilt: Kant scheint die empirischen Aspekte der Empfänglichkeit des menschlichen Gemüts für Begriffe der Pflicht zu erörtern, die zwar Gefühle einschließen, sich aber nicht in einer Mannigfaltigkeit von Gefühlen erschöpfen. Da der Ausdruck „ästhetisch“ oder „Ästhetik“ vage genug ist, all das und mehr einzuschließen, scheint es am besten, Kants Ausdruck einfach zu übernehmen statt ihn zu paraphrasieren. Die nach13

s. den Kommentar im „postscriptum“ des Übersetzers. Ihre Übersetzung der Überschrift lautet: „Concepts of What is Presupposed on the Part of Feeling by the Mind’s Receptivity to Concepts of Duty as Such“ (Practical Philosophy, p. 528). 14

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folgende Exposition mag dann für sich selbst stehen. Wenden wir uns also Kants Exposition zu. Sie beginnt mit dem folgenden Absatz, der sich auf die ästhetischen Vorbegriffe der Empfänglichkeit für Pflicht bezieht, die im Titel des Abschnitts erwähnt werden: „Es sind solche moralische Beschaffenheiten, für die, wenn man sie nicht besitzt, es auch keine Pflicht geben kann sich in ihren Besitz zu setzen. – Sie sind das moralische Gefühl, das Gewissen, die Liebe des Nächsten und die Achtung für sich selbst (Selbstschätzung), welche zu haben es keine Verbindlichkeit gibt: weil sie als subjective Bedingungen der Empfänglichkeit für den Pflichtbegriff, nicht als objective Bedingungen der Moralität zum Grunde liegen. Sie sind insgesamt ästhetisch und vorhergehende, aber natürliche Gemüthsanlagen (praedispositio) durch Pflichtbegriffe afficirt zu werden; welche Anlagen zu haben nicht als Pflicht angesehen werden kann, sondern die jeder Mensch hat und kraft deren er verpflichtet werden kann. – Das Bewußtsein derselben ist nicht empirischen Ursprungs, sondern kann nur auf das eines moralischen Gesetzes, als Wirkung desselben aufs Gemüth, folgen.“ (Einleitung XII, 6:399.4 – 16)

Eine Reihe von Punkten sind hier festzuhalten. Erstens: Kants wiederholter Gebrauch des Ausdrucks „Gemüth“ in diesem Absatz wie im Titel des Abschnitts macht klar, dass er durchgängig über empirische Bedingungen der Empfänglichkeit für Pflichtbegriffe und so über empirische Faktoren in der empirischen Pflichterfüllung oder beim Versuch empirischer Pflichterfüllung spricht. Zweitens: Kant sagt, dass diese empirischen Faktoren vom Bewusstsein affiziert werden, und zwar vom Bewusstsein des moralischen Gesetzes, nicht, wie in dem ersten Satz der Erörterung des Gefühls der Achtung in der Kritik der praktischen Vernunft, durch das Bestimmtsein des Willens durch das moralische Gesetz. Das lässt die Möglichkeit offen, dass die empirischen Wirkungen auf Gefühle und andere empirische Faktoren, die hier vorgestellt werden, selbst kausal unentbehrliche Faktoren in der Bestimmung des Willens zur Pflichterfüllung sind, zumindest auf phänomenaler Ebene, auch wenn das in letzter Konsequenz zu beziehen ist auf das noumenale Bestimmtsein des Willens, worüber Kant in der Metaphysik der Sitten nur wenig zu sagen hat. Drittens: In der Beschreibung dieser ästhetischen Voraussetzungen der Empfänglichkeit des Gemüts wechselt Kant im sprachlichen Ausdruck zwischen Singular und Plural; er spricht also sowohl von der Empfänglichkeit für den Pflichtbegriff als auch für Pflichtbegriffe. Das könnte ein Problem sein, es sei denn, man nimmt an, Kant wolle damit ausdrücken, dass er im Begriff ist, einige empirische Faktoren zu beschreiben, die in unsere allgemeine Bindung an das moralische Gesetz oder die Entscheidung, es zur Grundmaxime unseres Handelns zu machen, eingehen und dass er einige weitere Gefühle beschreibe, die in unsere Bindung durch besondere moralische Maximen eingehen. Eben dies will ich herausarbeiten als das, was er intendiert.15 Schließlich: Kants Insistieren darauf, dass wir nicht verpflichtet sind, diese 15 Meine Argumentation in diesem Abschnitt kann als Antwort auf Harald Köhls Einwand verstanden werden, nach Kants Darstellung sei „das Achtungsgefühl die einzige und alleinige moralische Motivationsquelle“, im Gegensatz zu einer Konzeption à la Strawson, die viele unterschiedliche Haltungen der Motivation und Reaktion anerkennt; vgl. dazu Köhl, Kants

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empirischen Gefühle und Faktoren zu haben, weil sie zu haben die Vorbedingung dafür ist, tatsächlich unter der Verpflichtung zu stehen, wird ergänzt im folgenden durch sein wiederholtes Insistieren darauf, dass wir die Pflicht haben, diese Dispositionen zu kultivieren und zu verstärken. Nach Kants üblicher Darstellung ist die Kultivierung dieser Vorbedingungen, wenn sie, wie sie soll, stattfindet, Produkt der Willkür, wofür wir gelobt und für deren Unterlassung wir verantwortlich gemacht und getadelt werden können. Wenn aber einige dieser Faktoren im Übergang vom bloßen Bewusstsein des moralischen Gesetzes zur tatsächlichen Bestimmung des Willens, sich ans Gesetz zu halten, wirksam sein sollten, dann entstünde ein schlechter Zirkel: Wir wären verpflichtet zur Moralität, die Kultivierung dieser Gefühle frei zu wählen, könnten aber nicht eher dazu verpflichtet sein, als wenn wir diese Gefühle tatsächlich schon gepflegt hätten. Dieses Problem entstünde nicht im Fall der Kultivierung von Gefühlen, die nur Voraussetzungen für die Empfänglichkeit und das Handeln gemäß besonderen Pflichtmaximen sind, und ich werde dafür argumentieren, dass Nächstenliebe und Selbstachtung so zu verstehen sind. Dieses Problem scheint sich jedoch zu stellen im Fall des moralischen Gefühls und des Gewissens, jedenfalls dann, wenn diese einerseits frei wählbar kultiviert werden können und andererseits die Voraussetzungen für die Bindung ans moralische Gesetz sein sollen. Ein Weg zur Lösung dieses Problems wäre natürlich wieder zu behaupten, der Übergang vom Bewusstsein des moralischen Gesetzes durch die ästhetischen Voraussetzungen von moralischem Gefühl und Gewissen hindurch zur tatsächlichen Bindung ans moralische Gesetz als oberste Maxime sei nur der empirische Ausdruck der freien, allerdings unerforschlichen Wahl des moralischen Gesetzes zur obersten Maxime. Kant erwähnt jedoch diese seine transzendentale Theorie der Freiheit des Willens an keiner Stelle im Kontext dieser Erörterung der ästhetischen Vorbegriffe. Wir müssen deshalb überlegen, ob es eine Lösung dieses Problems auf der Erscheinungsebene geben kann. Im Bewusstsein dieser Fragestellung wenden wir uns nunmehr der Betrachtung der vier ästhetischen Vorbegriffe selbst zu. 1. Das moralische Gefühl Kant definiert es als „die Empfänglichkeit für Lust oder Unlust blos aus dem Bewußtsein der Übereinstimmung oder des Widerstreits unserer Handlung mit dem Pflichtgesetze.“ (6:399.19 – 21) und erklärt: „Alle Bestimmung der Willkür aber geht von der Vorstellung der möglichen Handlung durch das Gefühl der Lust oder Unlust, an ihr oder ihrer Wirkung ein Interesse zu nehmen, zur That“. Er fügt noch hinzu, dass das Gefühl der Lust und Unlust – die Verknüpfung zwischen mögGesinnungsethik. Berlin, de Gruyter, 1990, 154 – 5, dessen Darstellung der kausalen Funktion von moralischem Gefühl bei Kant mir im übrigen sehr hilfreich erscheint. Meine These ist genauer gesagt diese, dass Kants Ansatz „ästhetischer Vorbegriffe“ in der Tugendlehre Platz schafft für eine mindestens phänomenale Funktion einer Vielzahl moralischer Gefühle, auch wenn er nicht so viele davon aufzählt wie manche zeitgenössische Autoren.

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lichem und wirklichem Handeln –, wenn es der Vorstellung des moralischen Gesetzes vorhergeht, pathologisch, wenn es ihr folgt, moralisch ist (6:399.24 – 28). Hierzu sind die folgenden Punkte festzuhalten. Erstens: Im ersten und dritten Satz der zitierten Passage beschreibt Kant das moralische Gefühl als ein Gefühl der Lust und Unlust, das durch die Vorstellung des moralischen Gesetzes erzeugt wird. Bisweilen, so etwa in vielen Passagen der Kritik der Urteilskraft, scheint Kant, wenn er sich auf das Gefühl der Lust oder der Unlust bezieht, tatsächlich nur das Gefühl der Lust zu intendieren, also die Aktivierung unseres Vermögens, Lust oder Unlust zu empfinden ausschließlich in der einen Richtung, der der Lust.16 Aus Kants Beschreibung jedoch, dass das moralische Gefühl entweder daraus resultiert, dass unser Handeln dem Gesetz entspricht oder ihm widerspricht, ergibt sich ganz klar, dass das moralische Gefühl entweder im ersten Fall Lust, oder wie im zweiten Fall, Unlust ist, also nicht einfach das Gefühl der Lust. Nun könnte die eingangs zitierte Definition den Eindruck erwecken, Kant bezöge sich damit auf eine bereits vollzogene Handlung, so dass das moralische Gefühl eine retrospektive Reaktion auf eine bereits realisierte Handlung wäre. In diesem Fall wäre es entweder ein angenehmes Gefühl, wenn nämlich die Handlung mit dem Gesetz übereinstimmt, oder ein unangenehmes Gefühl, wenn die Handlung es verletzt hätte. Aber damit wäre das moralische Gefühl ein Produkt der moralischen Selbsterkenntnis, die Kant erst in § 14 der Tugendlehre thematisiert, nicht das Produkt des Bewusstseins des moralischen Gesetzes allein. Auf jeden Fall aber macht Kants zweiter Satz deutlich, dass er das moralische Gefühl bezogen auf mögliches Handeln, d.i. prospektiv thematisiert, nicht als retrospektives Urteil über eine bereits vollzogene Handlung. Moralisches Gefühl resultiert also aus dem Gedanken an die Übereinstimmung einer künftigen Handlung mit dem Gesetz oder an den Verstoß gegen das Gesetz, nicht primär aus der Beurteilung einer vorausgehenden Handlung. Das lässt zwar immer noch die Möglichkeit offen, dass es zwei getrennte Arten von moralischem Gefühl gibt, das angenehme moralische Gefühl im Gedanken an eine mögliche pflichtgemäße Handlung und das unangenehme Gefühl einer möglichen pflichtwidrigen Handlung. Wenn wir jedoch über Kants Annahme, menschliche Handlungen betreffend, nachdenken, sehen wir, dass solche moralischen Gefühle nicht getrennt voneinander auftreten. Kant geht vielmehr davon aus, dass wir üblicherweise darüber reflektieren, angesichts der möglichen Alternative einer Handlung aus Selbstliebe eine Handlung in Übereinstimmung mit der Pflicht zu vollzie16 In § 1 der Kritik der Urteilskraft z. B. thematisiert Kant das ästhetische Urteil als auf dem „Gefühl der Lust oder Unlust“ beruhend (5:203.12), während er in Abschnitt VII der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft bereits klargemacht hatte, dass das Urteil über das Schöne auf dem Gefühl der Lust allein beruhe (5:190). Dass Kant das ästhetische Urteil in § 1 mit dem „Gefühl der Lust oder Unlust“ verknüpft, hat dazu beigetragen, dass einige Interpreten annehmen, Kant brauche ein reines Urteil über das Hässliche als Analogon zum Urteil über das Schöne. Gegen diese Auffassung habe ich argumentiert in „Kant on the Purity of the Ugly“ in meinen Values of Beauty: Historical Essays in Aesthetics (Cambridge, Cambridge University Press, 2005), ch. 6, pp. 141 – 62.

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hen. Wenn wir also annehmen, dass wir vom Gedanken an das moralische Gesetz bestimmt werden, dann erfahren wir sowohl Unlust beim Gedanken an die uns mögliche Handlung gegen das Gesetz als auch das Gefühl der Lust beim Gedanken an die uns ebenso offene Alternative, pflichtgemäß zu handeln. Kants Beschreibung des moralischen Gefühls hier in der Tugendlehre hat m.a.W. dieselbe komplexe Struktur wie das Gefühl der Achtung in den vorausgegangenen Werken. Ist es aber ein und dasselbe Gefühl? Der zweite von Kants oben zitierten Sätzen, wonach das moralische Gefühl die Verbindung zwischen der Vorstellung einer moralischen Handlung und ihrem tatsächlichen Vollzug ist, könnte die Annahme nahelegen, dass es nicht dasselbe ist wie das Gefühl der Achtung. Im Rückblick auf die Kritik der praktischen Vernunft könnte man annehmen, dass das Gefühl der Achtung schon seine Funktion, dem moralischen Gesetz Autorität zu verleihen, erfüllt hat, und zwar dem moralischen Gesetz, mit dem man seine mögliche Handlung verglichen hat oder noch genauer – wie wir gerade gesehen haben –, mit dem man alternative Verläufe des Handelns, die uns offen sind, verglichen hat. Aber was jetzt moralisches Gefühl genannt wird oder heißt, ist ein weiteres Gefühl, das vom Vergleich möglicher Handlungen zum Vollzug einer dieser Handlungen selbst führt. Einige Bemerkungen Kants in den beiden folgenden Absätzen der Darstellung des moralischen Gefühls in der Metaphysik der Sitten zeigen jedoch, dass er dies nicht im Sinn hat, sondern vielmehr dies: Das moralische Gefühl ist dasjenige, was uns empfänglich macht für die allgemeine Idee, in Übereinstimmung mit der Pflicht oder aus Pflicht zu handeln. Es ist also dasjenige, was der Idee des moralischen Gesetzes selbst Autorität verleiht und deshalb von Beginn an an der Ursachenkette beteiligt ist, die zum Vollzug einer Handlung aus Pflicht führt und nicht erst in der Mitte der Ursachenkette zutage tritt oder einwirkt. Kants nächster Absatz besagt: „Nun kann es keine Pflicht geben ein moralisches Gefühl zu haben, oder sich ein solches zu erwerben; denn alles Bewußtsein der Verbindlichkeit legt dieses Gefühl zum Grunde, um sich der Nöthigung, die im Pflichtbegriffe liegt, bewusst zu werden: sondern ein jeder Mensch (als ein moralisches Wesen) hat es ursprünglich in sich; die Verbindlichkeit aber kann nur darauf gehen, es zu cultiviren und selbst durch die Bewunderung seines unerforschlichen Ursprungs zu verstärken […]“ (6:399.28 – 400.1).

Im letzten, dem moralischen Gefühl gewidmeten Absatz versetzt er zunächst der moral sense Theorie einen Seitenhieb mit den Worten: „Dieses Gefühl einen moralischen Sinn zu nennen ist nicht schicklich; denn unter dem Wort Sinn wird gemeiniglich ein theoretisches, auf einen Gegenstand bezogenes Wahrnehmungsvermögen verstanden […]“ (6:400.5 – 7). Dann fügt er hinzu: „Wir haben aber für das (Sittlich-) Gute und Böse eben so wenig einen besonderen Sinn, als wir einen solchen für die Wahrheit haben, ob man sich gleich oft so ausdrückt, sondern Empfänglichkeit der freien Willkür für die Bewegung derselben durch praktische reine Vernunft (und ihr Gesetz), und das ist es, was wir das moralische Gefühl nennen.“ (6:400.15 – 20)

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Kants Erläuterungen, dass es „der Begriff der Pflicht“, „praktische reine Vernunft (und ihr Gesetz)“ sind, die unsere Empfänglichkeit fürs moralische Gesetz aktivieren, macht deutlich: Dieses Gefühl wird geweckt durch das moralische Gesetz im allgemeinen, und seine Funktion in der Verursachung bestimmter moralischer Handlungen besteht darin, das moralische Gesetz überhaupt in uns wirksam werden zu lassen. Das aber impliziert: Was Kant jetzt moralisches Gefühl nennt, ist tatsächlich dasselbe, was er früher das Gefühl der Achtung genannt hat, und es ist nichts davon Verschiedenes. Diese Schlussfolgerung wird bestätigt durch das Faktum, dass Kant schon früher „moralisches Gefühl“ als Synonym für das Gefühl der Achtung benutzt (KpV, 5:76) und durch das Faktum, dass er fortfahren wird, verschiedene besondere moralische Gefühle einzuführen, z. B. Nächstenliebe und Selbstachtung, die der Ausführung von bestimmten moralischen Handlungen näher sind. Moralisches Gefühl und Achtung scheinen also ein und dasselbe zu sein. Sodann aber scheint Kant auch zu sagen, dass es die Kultivierung des moralischen Gefühls ist, die die Autorität des moralischen Gesetzes selbst stärkt. Damit sind wir anscheinend wieder bei dem Problem angekommen, wonach die Kultivierung des moralischen Gefühls sowohl die Wirkung eines Akts der Willkür, begründet durch die Bindung ans moralische Gesetz, als auch ein kausaler Faktor ist, der zur Bestimmung des Willens durch das Gesetz führt, d. h. die Willkür dazu bringt, sich der Autorität des moralischen Gesetzes zu unterwerfen. Sehen wir also zu, ob Kants Exposition des zweiten „ästhetischen Vorbegriffs der Empfänglichkeit für Pflichtbegriffe überhaupt“, des Gewissens, neues Licht auf diese Problematik wirft. 2. Vom Gewissen Kant erklärt: „Gewissen ist die dem Menschen in jedem Fall eines Gesetzes seine Pflicht zum Lossprechen oder Verurtheilen vorhaltende praktische Vernunft. Seine Beziehung also ist nicht die auf ein Object, sondern blos aufs Subject (das moralische Gefühl durch ihren Act zu afficiren); also eine unausbleibliche Thatsache, nicht eine Obliegenheit und Pflicht.“ (6:400.27 – 31) „Die Pflicht ist hier nur sein Gewissen zu cultiviren, die Aufmerksamkeit auf die Stimme des inneren Richters zu schärfen und alle Mittel anzuwenden (mithin nur indirecte Pflicht), um ihm Gehör zu verschaffen.“ (6:401.19 – 21)

Gewissen ist selbst nicht moralisches Gefühl, sondern verursacht, „affiziert“ es. Es löst also moralisches Gefühl als Vorbegriff der Empfänglichkeit für Verpflichtung aus. Insofern es aber auch ästhetischer, d. h. auf Wahrnehmung und Sinnlichkeit bezogener17 Vorbegriff für diese Empfänglichkeit ist, obwohl es nicht Empfindung ist, muss das Gewissen auch empirisches Phänomen sein. Es muss das empirische Bewusstsein des moralischen Gesetzes sein, das die erscheinende Disposition zum moralischen Gefühl aktiviert, um ein tatsächliches Ereignis von moralischem Gefühl in 17

Siehe dazu den Exkurs im „postscriptum“ des Übersetzers.

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der Erfahrung des Handelnden zu erzeugen. Weil die Kultivierung eine Aktivität ist, die in der Zeit geschieht, sich in der faktischen Erfahrung des Handelnden vollzieht, impliziert die Verpflichtung, nicht das Gewissen zu erwerben – denn es ist „nicht etwas Erwerbliches, […] jeder Mensch, als sittliches Wesen, hat ein solches ursprünglich in sich.“ (6:400.23 – 25) –, sondern zu kultivieren, dass das Gewissen selbst eine empirische Erscheinung ist. Man sollte auch beachten, dass Kants Definition involviert, dass Gewissen das empirische Bewusstsein des moralischen Gesetzes überhaupt, nicht von besonderen moralischen Maximen ist. Daher ist das moralische Gefühl, welches durch das Gewissen ausgelöst wird, ein ganz allgemeiner Impuls zu tun, was das moralische Gesetz von uns fordert. Es ist m.a.W. das moralische Gefühl, das im vorhergehenden Unterabschnitt „a.“ von Abschnitt XII der Einleitung in die Tugendlehre vorgestellt wird, von dem ich gezeigt habe, dass es mit dem Gefühl der Achtung identisch ist. Kants Reihenfolge der Problemexposition scheint daher die kausale Stellung von moralischem Gefühl und Gewissen umzukehren: Gewissen als empirisches Bewusstsein des moralischen Gesetzes ist der Auslöser für die Kultivierung der natürlichen Disposition zum moralischen Gefühl. Dieses Bild braucht angesichts Kants späterer Erörterung des Gewissens in der Tugendlehre unter der Rubrik „Die Pflicht des Menschen gegen sich selbst, blos als ein moralisches Wesen“ (6:428.28 f.) nicht revidiert zu werden, obwohl Kant das Gewissen dort in juridischer und theologischer Metaphorik beschreibt. Unter dem spezifischeren Titel „Von der Pflicht des Menschen gegen sich selbst, als den angebornen Richter über sich selbst“ (6:437.29 f.) stellt Kant das Gewissen in § 13 der Tugendlehre als „Gerichtshof […] im Inneren des Menschen“ (6:439.4 f.) vor, vor dem seine Gedanken einander anklagen oder entschuldigen. „Jeder Mensch hat Gewissen und findet sich durch einen inneren Richter beobachtet, bedroht und überhaupt im Respect (mit Furcht verbundener Achtung) gehalten, und diese über die Gesetze in ihm wachende Gewalt ist nicht etwas, was er sich selbst (willkürlich) macht, sondern es ist seinem Wesen einverleibt.“ (6:438.13 – 17) Diese Autorität muss nach Kant als eine „andere Person“ gedacht werden. Denn es wäre „eine ungereimte Vorstellungsart von einem Gerichtshofe“, wenn „der durch sein Gewissen Angeklagte mit dem Richter als eine und dieselbe Person vorgestellt“ würde (6:438.30 – 32). Dies könnte nahelegen, Kants Konzeption eines inneren Richters als Modifikation von Adam Smith’s Begriff eines inneren Zuschauers aufzufassen. Kant aber geht darüber hinaus: Weil „eine solche idealische Person (der autorisirte Gewissensrichter)“ nicht nur „Herzenskündiger“, sondern „auch allverpflichtend“ sein muss und „zugleich alle Gewalt […] haben muß, weil [sie] sonst nicht (was doch zum Richteramt nothwendig gehört) [ihren] Gesetzen den ihnen angemessenen Effect verschaffen könnte“. Deshalb kann der innere Richter nur als Gott und „das Gewissen als subjectives Prinzip einer vor Gott seiner Thaten wegen zu leistenden Verantwortung gedacht werden“. (6:439.3 – 15) Gleich danach jedoch fügt Kant hinzu: „Dieses will nun nicht so viel sagen als: der Mensch, durch die Idee, zu welcher ihn sein Gewissen

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unvermeidlich leitet, sei berechtigt, noch weniger aber: er sei durch dasselbe verbunden ein solches höchste Wesen außer sich als wirklich anzunehmen; denn sie wird ihm nicht objectiv, durch theoretische, sondern blos subjectiv, durch praktische, sich selbst verpflichtende Vernunft ihr angemessen zu handeln gegeben“. Diese Erklärung, dass wir eine praktische Idee von Gott als „eine bloße Leitung, die Gewissenhaftigkeit ([…] religio […]) als Verantwortlichkeit vor einem von uns selbst unterschiedenen, aber uns doch innigst gegenwärtigen heiligen Wesen (der moralischgesetzgebenden Vernunft) sich vorzustellen“ (6:439.17 – 440.6) haben, ist für den Kant der späten 1790er Jahre charakteristisch. Sie geht in die Richtung, seine frühere Konzeption eines Postulats der reinen praktischen Vernunft als Behauptung der Existenz Gottes zu ersetzen durch eine andere, die eher auf praktischen als theoretischen Prinzipien beruht.18 Die Charakterisierung des Gewissens als Gerichtshof und insbesondere als ein Gericht, in dem der Richter Gott ist, scheinen daher weitere Aspekte des empirischen Bewusstseins des moralischen Gesetzes selbst zu sein, und die These, dass der Richter in diesem Gericht den Handelnden „im Respect (mit Furcht verbundener Achtung)“ hält, scheint eine weitere Bekräftigung dafür zu sein, dass es das empirische Bewusstsein des moralischen Gesetzes selbst ist, was das moralische Gefühl verursacht. Das Bild vom Gerichtshof könnte also nahelegen anzunehmen, das Gewissen bringe besondere, bereits begangene Handlungen vor Gericht, wo sie dann im Lichte von Gesetzen bewertet werden, die spezifischer als das Sittengesetz sind. In dieser Hinsicht könnte es so scheinen, als differiere die gegenwärtige Präsentation von Gewissen von derjenigen in der Einleitung in die Tugendlehre. Den ersten Punkt betreffend fügt Kant allerdings gleich anschließend hinzu: „In einer Gewissenssache […] denkt sich der Mensch ein warnendes Gewissen […] vor der Entschließung“ (6:440.10 – 12). Hier also konzipiert er wie zuvor das Gewissen als prospektive Beurteilung von Handlungen, nicht als Urteilsinstanz über bereits vollzogene Handlungen. Den zweiten Punkt betreffend deutet Kant wiederholt an, dass der Gerichtshof des Gewissens künftige besondere Handlungen aufgreift für die Beurteilung nach besonderen Gesetzen oder besonderen Pflichtbegriffen. Sobald er aber dazu kommt zu erklären, welche konkrete Bindung wir tatsächlich bezüglich der Pflicht haben, läuft das, was er sagt, darauf hinaus, dass man verpflichtet ist, sich selbst zu erkennen (zu erforschen, zu ergründen) (§ 14, 6:441.4). Dies wiederum wird ausgeführt als das Erfordernis der „Unparteilichkeit in Beurtheilung unserer selbst in Vergleichung mit dem Gesetz und Aufrichtigkeit im Selbstgeständnisse seines inneren moralischen Werths oder Unwerths“ (6:441.31 – 33). Das impliziert: Vor dem Gerichtshof des Ge18 Der Gegensatz zwischen der Idee und der Existenz Gottes bzw. zwischen der Idee Gottes und Gott als Substanz ist besonders zentrales Thema in Kants Opus postumum; vgl. dazu meinen Aufsatz „The Unity of Nature and Freedom: Kant’s Conception of the System of Philosophy,“ in: Sally Sedgwick, ed., The Reception of Kant’s Critical Philosophy (Cambridge, Cambridge University Press, 2000), pp. 19 – 53, wiederabgedruckt in meiner Aufsatzsammlung „Kant’s System of Nature and Freedom: Selected Essays“ (Oxford, Clarendon Press, 2005), ch. 11, pp. 278 – 313, at 305 – 13.

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wissens erwägen wir unsere möglichen Taten und Motivationen und vergleichen sie mit dem moralischen Gesetz selbst. Das aber scheint mit Kants früherer Charakterisierung des Gewissens vereinbar zu sein. Auch ist zu beachten, dass Kant, während er jetzt Unparteilichkeit und Aufrichtigkeit als besondere Verpflichtung gegen sich selbst und notwendig fürs volle Gewicht des Gewissens behandelt, dennoch nichts zurücknimmt von seiner früheren These, wir seien verpflichtet, die Stimme unseres Gewissens zu kultivieren, aber auch nichts zu ihr hinzufügt. Unparteilichkeit und Aufrichtigkeit der Selbstbewertung sind jedoch selbst Neigungen, die kultiviert und gestärkt werden müssen, und zwar auch dann, wenn wir natürliche Dispositionen zu ihnen voraussetzen. Fazit: Wir müssen sowohl verpflichtet sein, unsere Aufmerksamkeit auf die Stimme unseres Gewissens zu schärfen als auch Unparteilichkeit und Aufrichtigkeit der Selbsteinschätzung im Lichte dieser Stimme zu kultivieren. Diese späte Darstellung von Gewissen bereichert deshalb nicht nur sein Begreifen als empirisches Bewusstsein des moralischen Gesetzes, sondern auch die Vorstellung unserer Pflicht, das Gewissen zu kultivieren und zu kräftigen. Damit scheint sich jedoch nichts zu ändern an der Konzeption, dass das empirische Bewusstsein des moralischen Gesetzes das moralische Gefühl erzeugt. Dies wiederum bringt uns zurück zu der bislang ungelösten Frage, ob sich ein Zirkel verbirgt in Kants Modell einer empirischen Vorstellung des moralischen Gesetzes, die ein moralisches Gefühl auslöst, selbst aber empirischer Vorbegriff für die Unterwerfung unter das moralische Gesetz sein soll. Vielleicht ist das Folgende eine Antwort auf diese Frage: Das Gewissen als bloß empirische Vorstellung des moralischen Gesetzes löst natürlicherweise einen gewissen Grad von moralischem Gefühl aus, der uns in einer moralischen Entscheidungssituation vielleicht nicht dazu bringt, uns an das moralische Gesetz zu binden, wohl aber hinreichend sein mag, uns in Momenten moralischer Ruhe zu motivieren, etwas zu tun, was sowohl unser Gewissen als Aufmerksamkeit auf das moralische Gesetz stärkt, als auch das moralische Gefühl selbst vertieft – was immer das sein mag (intensive Betrachtung moralisch erhebender Beispiele im Verhalten anderer ist ein von Kant häufig thematisiertes Medium moralischer Erziehung).19 Diese Auflösung des drohenden Zirkels auf der Erscheinungsebene ist, offen gesagt, bloße Vermutung, scheint aber mit allen empirischen Annahmen Kants zusammenzustimmen. Dies einmal dahingestellt droht sicher kein Zirkel in der Annahme, dass eine allgemeine Verpflichtung, sich, gestärkt durch Kultivierung des Gefühls der Achtung, an das moralische Gesetz zu halten, uns dazu bringen kann, natürliche Dispositionen zu besonderen moralischen Gefühlen zu kultivieren, die dann ihrerseits Triebkräfte zum Vollzug von Handlungen nach dem Gebot besonderer moralischer Maximen sein können. Wenden wir uns nunmehr den letzten beiden von Kants ästhetischen Vorbegriffen zu, um zu sehen, was er mit ihnen intendiert. 19 Eine hilfreiche neuere Erörterung von Kants Konzeption der Kultivierung moralischer Dispositionen findet sich in: Laura Papish, „The Cultivation of Sensibility in Kant’s Moral Philosophy“, in: Kantian Review 12/2 (2007): 128 – 46.

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3. Menschenliebe Kant erörtert den dritten Vorbegriff für die Empfänglichkeit für Pflichtbegriffe unter der Überschrift „Von der Menschenliebe“. Das Folgende zeigt dann allerdings, dass er sich auf Nächstenliebe im Zusammenhang mit der Pflicht zum „Wohlthun“ (6:402.14) bezieht. Enttäuschenderweise ist seine Darstellung gänzlich negativ. Er beginnt mit der These „Liebe ist eine Sache der Empfindung, nicht des Wollens, und ich kann nicht lieben, weil ich will, noch weniger aber, weil ich soll (zur Liebe genöthigt werden); mithin ist eine Pflicht zu lieben ein Unding.“ (6:410.24 – 26) Dann aber fügt er hinzu: „Wer diese oft ausübt, und es gelingt ihm mit seiner wohlthätigen Absicht, kommt endlich wohl gar dahin, den, welchem er wohl gethan hat, wirklich zu lieben.“ (6:402.14 – 16) Anders gesagt, die Liebe zu bestimmten Anderen ist eine Wirkung des Wohltuns, nicht eine ästhetische Voraussetzung oder Ursache. Kant kehrt jedoch zum Thema der Liebe gegenüber anderen zurück, wenn er im Haupttext der Tugendlehre Liebespflichten erörtert. Dort beschreibt er besondere Gefühle gegenüber nicht näher spezifizierten Anderen, Gefühle, welche ästhetische Voraussetzungen der Empfänglichkeit für Verpflichtung sind und daher tatsächlich kausale Funktion für die Initiierung von Handlungen des Wohltuns erfüllen. Er teilt Liebespflichten ein: „A) Pflichten der Wohlthätigkeit, B) der Dankbarkeit, C) der Theilnehmung.“ (6:452.11 – 12). Die erste dieser Pflichten ist, „anderen Menschen in Nöthen zu ihrer Glückseligkeit, ohne dafür etwas zu hoffen, nach seinem Vermögen beförderlich zu sein“ (§ 30, 6:453.2 – 4); die zweite ist die Pflicht, eine Haltung gegenüber anderen einzunehmen, nämlich „die Verehrung einer Person wegen einer uns erwiesenen Wohlthat.“ (454.31 f.) Das erfordert keine Handlung, die das Glück des Wohltäters unmittelbar befördert, sondern wohl eher irgendeine Handlung, die die Dankbarkeit ausdrückt. Die dritte Pflicht – „Theilnehmung“ (6:452.12) oder „Theilnehmende Empfindung“ (6:456.18) erfordert Kultivierung von Gefühlen, insbesondere von natürlichen Gefühlen der Sympathie für andere – und zwar von „Theilnehmung“ nicht aufgrund bereits erwiesener Wohltaten, sondern von Sympathie für alle, die Hilfe brauchen – als Mittel des Vollzugs wohltätiger Akte zu ihren Gunsten, wie sie zur Erfüllung der ersten Liebespflicht, des Wohltuns, erforderlich sind. In Kants Worten: „Schon die Natur [hat] in den Menschen die Empfänglichkeit“ zu „Mitfreude und Mitleid“ gelegt, die „als Mittel zu Beförderung des thätigen und vernünftigen Wohlwollens zu gebrauchen […] eine besondere, obzwar nur bedingte Pflicht unter dem Namen der Menschlichkeit“ ist. (6:456.20, 23 – 27) Daher ist es eine „indirecte Pflicht, die mitleidige natürliche (ästhetische) Gefühle in uns zu cultiviren und sie als so viele Mittel zur Theilnehmung aus moralischen Grundsätzen und dem ihnen gemäßen Gefühl zu benutzen.“ (6:457.26 – 29) Die Sympathiegefühle der Mitfreude und des Mitleids können durch verschiedene Aktivitäten kultiviert werden, zu denen wir sonst nicht direkt verpflichtet werden, wie z. B. Kranke oder Schuldner im Gefängnis zu besuchen, was unsere natürliche Disposition zum Mitgefühl verstärken dürfte. Kant folgert daraus, dass wir daher eine

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Pflicht haben, solche Handlungen zu vollziehen, um die „in uns von der Natur gelegten Antriebe […] dasjenige zu thun, was die Pflichtvorstellung für sich allein nicht ausrichten würde“, zu kultivieren und zu stärken (§ 35, 6:457.33 – 35). Um Missverständnisse zu vermeiden, müssen diese Thesen sehr genau interpretiert werden. Erstens: Nichts in Kants zum letzten Punkt führenden Sätzen deutet darauf hin, dass Sympathiegefühle nur dann kultiviert werden sollen, wenn die Vorstellung der Pflicht für sich genommen zu schwach ist, um zu einem wohltätigen Akt zu bewegen. Die vorhergehenden Ausführungen, wonach Sympathiegefühle von der Natur in uns gelegte Mittel zur Beförderung des Wohltuns sind, implizieren eher, dass Sympathiegefühle das Medium sind, durch welches hindurch die allgemeine Vorstellung natürlicher Pflichten wirksam ist, um uns zu Wohltaten zu bewegen – sie sind nicht letzte Hilfsmittel, falls die Vorstellung der Pflicht nicht wirkt, sondern vielmehr Mittel, durch die hindurch die Vorstellung der Pflicht in aller Regel arbeitet. Das eröffnet den Weg zum Verständnis von Kants Bemerkung, wir sollten Mitleid und Mitfreude „in uns […] cultiviren und sie als so viele Mittel zur Theilnehmung aus moralischen Grundsätzen und dem ihnen gemäßen Gefühl […] benutzen“ (§ 35, 6:457.27 – 29). Letzteres, ein einzelnes Gefühl, dürfte das Gefühl der Achtung sein, das die Vorstellung der allgemeinen Idee der Pflicht begleitet und zumindest empirisch wirksam werden lässt. Das allgemeine moralische Gefühl, das Gefühl der Achtung, wäre so die Ursache der Kultivierung spezifischerer Gefühle, nämlich der „teilnehmenden Empfindungen“, die ihrerseits ästhetische Vorbedingungen in Form von nächsten Ursachen für Wohltaten wären – besondere Handlungen allerdings innerhalb der Grenzen der Bestimmbarkeit für unvollkommene Pflichten – Handlungen, die das moralische Gesetz im allgemeinen und daraus folgende besondere Maximen von uns unvollkommenen vernünftigen Wesen verlangen. Mit anderen Worten: Kants Entgegensetzung von teilnehmenden Empfindungen im Plural und dem moralischen Gefühl im Singular impliziert das vielstufige Modell moralischer Gefühle, das ich oben bereits vorgetragen habe: Das allgemeine moralische Gefühl oder Gefühl der Achtung ist mit der Autorität des moralischen Gesetzes als die aktualisierte empirische Quelle der Autorität dieses Gesetzes (obwohl vielleicht nur als empirischer Ausdruck für die zugrunde liegende intellegible Bestimmung des Willens durch dieses Gesetz) verknüpft. Diese Autorität des Gesetzes wird dann übertragen auf die spezifischen Maximen der Pflicht, wie die „Pflicht der Wohlthätigkeit“ (6:452.14), die das Gesetz für vernünftige Wesen in unserer spezifischen Situation zur Konsequenz hat. Diese Autorität führt dann zur Kultivierung noch spezifischerer Gefühle wie des Gefühls der Sympathie für andere, die die nächsten Ursachen für solche Handlungen sind, welche die Maximen fordern. Wenn das allgemeine moralische Gefühl, wie in der Kritik der praktischen Vernunft angedeutet, gedacht wird als Medium der Übertragung der Autorität des moralischen Gesetzes als oberster Grundsatz auf spezifischere Pflichtmaximen, was notwendigerweise ein Prozess in der Erscheinung ist, weil die spezifischen Maximen nur in unserer aktuell empirischen Welt formuliert werden können, dann bleibt dieses Modell gültig: Das allgemeine moralische Gefühl stattet besondere Maximen wie die der Wohltätigkeit mit Autorität aus;

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diese Maxime wiederum wird dann nicht nur zur Ausführung bestimmter wohltätiger Handlungen unter spezifischen Umständen aufrufen, sondern uns auch dazu führen, Gefühle der Teilnahme gegenüber anderen zu kultivieren und zu stärken, Gefühle, zu denen wir von Natur aus disponiert sind. Diese Gefühle schließlich, so gestärkt, würden dann den Vollzug wohltätiger Handlungen unter angemessenen Bedingungen initiieren.20 „Theilnehmende Empfindung ist überhaupt Pflicht“, heißt es schon im Titel des § 34 (6:456), und sie als Triebkraft zum Handeln zu nutzen, ist natürlich ebenfalls, wie Kant ausdrücklich bemerkt, Pflicht, aber nur bedingt. Denn selbst wohlkultivierte starke Gefühle der Teilnehmung können uns bisweilen zu moralisch unzulässigen Handlungen motivieren. Das zeigt etwa schon das vielzitierte Fallbeispiel von Barbara Herman: Man ist verpflichtet, jemandem nicht zu helfen, der mit schwerem Gepäck zu kämpfen hat, wozu man normalerweise durch seine wohlkultivierten Gefühle bewegt werden kann, wenn der Betreffende dabei ist, einen Raub zu begehen21. In solchen Fällen muss die Triebkraft zur Teilnahme überwunden werden durch den Gedanken an die universaleren Implikationen des moralischen Gesetzes, an die eigene Verpflichtung durch dieses Gesetz und alle seine Implikationen, die eher im allgemeinen moralischen Gefühl als im besonderen Gefühl der Teilnahme zum Ausdruck 20

Marcia Baron und Nancy Sherman sind der Auffassung, dass die Funktion von Gefühlen der Teilnahme nur epistemisch ist, d. h. dass sie dafür da sind, uns aufzurütteln, wenn unsere Hilfe gefragt ist; vgl. dazu Marcia Baron, Kantian Ethics Almost without Apology (Ithaca, Cornell University Press, 1995), p. 220 („they draw our attention to human need and to ways in which we might help“), und Nancy Sherman, Making a Necessity of Virtue: Aristotle and Kant on Virtue (Cambridge, Cambridge University Press, 1997), p. 146 („Given a practical interest in the moral law […] we still require further information about when and where and how to deploy our practical interest. And such information is often provided through the emotions“). Die Motivation solcher Interpretationen ist der Wunsch zu vermeiden, dass Emotionen wie Gefühle der Teilnahme als Ursache wohltätiger Handlungen anstelle der oder als Ergänzung zur Pflicht angenommen werden. So sagt Baron etwa „One way that cannot be what Kant has in mind is this: the sympathetic impulses join forces with the motive of duty so that their combined strength is more able to combat competing forces than the motive of duty alone“ (p. 219). Es gibt jedoch keinerlei Anzeichen für eine solche bloß epistemische Funktion in Kants Darstellung der „theilnehmende[n] Empfindung“ in den §§ 34 und 35, und Kants Terminus Antriebe involviert, dass diese Gefühle eher als erste Ursachen denn als bloße Informationen fungieren. Der hier gewählte Ansatz, Kants These zu interpretieren, diese Gefühle seien Antriebe, die die Natur in uns gelegt hat, das zu tun, was die bloße Vorstellung der Pflicht allein nicht erreicht, besteht darin, diese Gefühle als Teil des kausalen Prozesses in der Erscheinung zu begreifen, in dem, wie oben gezeigt worden ist, die intelligible Bindung an die Pflicht zum Ausdruck kommt. Es besteht kein Konflikt zwischen ihrer kausalen Funktion in diesem erscheinenden Prozess und dem intelligiblen Faktum der Bestimmung des Willens durch das moralische Gesetz allein. Denn der kultivierte und kausal wirksame Status dieser Gefühle ist, wie Kant seit der Grundlegung wiederholt unterstreicht, auf der noumenal-intelligiblen Ebene selbstgewirkt durch das Gesetz und seine Bestimmung des Willens. 21 Barbara Herman, The Practice of Moral Judgment (Cambridge, Mass., Harvard University Press, 1993), pp. 4 – 5.

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kommen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Pflicht, das Gefühl der Teilnahme zu kultivieren, bedingt ist. Nur die Verpflichtung, der teilnehmenden Empfindung entsprechend zu handeln, ist bedingt, d. h. beschränkt auf angemessene Umstände, die vom moralischen Gesetz unter Berücksichtigung aller relevanten besonderen Maximen bestimmt werden. (Nur die Gesamtheit dieser Maximen kann darüber entscheiden, dass „unvollkommene Pflichten […] allezeit den vollkommenen Pflichten [unterliegen], sowie mehrere unvollkommene Pflichten […] eine einzelne [überwiegen];“ (Vigilantius, 27:537.31 – 33). Die Pflicht, diese Gefühle zu kultivieren, ist indirekt, aber unbedingt. Denn nur durch sie sind wir überhaupt imstande, diejenigen Akte der Wohltätigkeit auszuführen, zu denen uns die Maxime der Wohltätigkeit unter angemessenen Umständen aufruft.22 Die Darstellung von „teilnehmender Empfindung“ in den §§ 34 und 35 der Tugendlehre bietet so ein positives Bild der Funktion solcher besonderen Gefühle anstelle der bloß negativen Darstellung der Liebe in Abschnitt XII der Einleitung zur Tugendlehre. Um beide Abschnitte miteinander zu vereinbaren, ist es erforderlich zu unterscheiden zwischen der Nächstenliebe, die nur wohltätigen Handlungen folgt, und teilnehmenden Gefühlen, die vorhergehen und eine spezifische Wohltat verursachen. Kant thematisiert das jedoch nicht. Deshalb will ich es auch nicht näher erläutern, wie diese Unterscheidung zu machen ist. Vielmehr wende ich mich jetzt dem letzten der ästhetischen Vorbegriffe Kants zu, dem Gefühl der (Selbst-)Achtung. 4. Selbstschätzung Kants Exposition des letzten der vier ästhetischen Vorbegriffe ist sehr kurz. Der Abschnitt ist „Von der Achtung“ überschrieben, also mit Kants allgemeinstem Terminus für moralisches Gefühl, und die ersten drei Sätze bieten auch wohlbekannte Punkte der Erklärung dessen, was dieses allgemeine Gefühl der „Achtung (reverentia)“ bedeutet: Achtung ist ein subjektives Gefühl, es zu haben kann keine Pflicht sein, denn es ist nur der subjektive Zustand, der die Pflicht vorstellt. Nach einem Gedankenstrich jedoch scheint Kant das Thema in Richtung des noch stärker subjektiven Gefühls der Selbstschätzung zu wechseln: „Wenn es demnach heißt: Der Mensch hat eine Pflicht der Selbstschätzung, so ist das unrichtig gesagt, und es müßte vielmehr heißen: das Gesetz in ihm zwingt ihm unvermeidlich Achtung für sein eigenes Wesen ab, und dieses Gefühl (welches von eigner Art ist), ist ein Grund gewisser Pflichten, d. i. gewisser Handlungen, die mit der Pflicht gegen sich selbst zusammen bestehen können“ (6:402.34 – 403.4). Und nochmals unterstreicht Kant: „nicht: er habe eine Pflicht der Achtung gegen sich; denn er muß Achtung vor dem Gesetz in sich selbst haben, um sich nur eine Pflicht überhaupt denken zu können.“ (6:403.4 – 6) Dabei bleibt unausgesprochen, was in den vorausgehenden Abschnitten 22 Diese Schlussfolgerung impliziert natürlich, dass Kants Beispiel des Philanthropen, in dem alles Gefühl der Teilnahme ausgelöscht ist (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 4:398), nur ein Gedankenexperiment zur Erhellung des Textes, nicht seine eigene Auffassung von realistischer Darstellung moralischer Motivation ist.

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ausgeführt worden war: dass nämlich, obwohl es keine Pflicht geben kann, ein Gefühl zu haben, welches der Vorbegriff der Empfänglichkeit für Pflicht ist, man durchaus verpflichtet ist, seine natürliche Disposition zu solch einem Gefühl zu kultivieren und zu verstärken, um seine Empfänglichkeit für Pflicht und die Geneigtheit zu erhöhen, seine Pflicht zu tun. – All dies gilt, obwohl Kant im Schlusssatz des Abschnitts von der Darlegung des besonderen Gefühls der Selbstachtung („Selbstschätzung“), das er im vorhergehenden Satz eingeführt hat, zur Erörterung des allgemeinen Gefühls der Achtung zurückzukehren scheint. Diese Unklarheit können wir ausräumen, indem wir Kant so verstehen, er argumentiere, wie so oft, damit, dass die Erfüllung der Pflichten gegen sich selbst eine Bedingung für die Erfüllung der Pflichten gegen andere ist. Wenn man sein eigenes moralisches Wesen nicht vervollkommnet hat, ist man nicht in der Lage, seine Pflichten gegen andere zu kennen, oder nicht disponiert, sie zu erfüllen. Und dies nur dann, wenn man dafür gearbeitet hat, das nur unvollkommen erreichbare Ziel, seine eigenen physischen und nicht-sittlichen intellektuellen Anlagen zu vervollkommnen, wird man imstande sein, das Glück anderer zu fördern, indem man ihnen bei der Verwirklichung ihrer eigenen Zwecke beisteht. Man könnte Kant also folgendes Bild zuschreiben: Wie immer bewegt einen – zumindest auf der Erscheinungsebene, in diesem Fall jedoch vielleicht nur kraft des Mechanismus, in dem sich die intellegible Bestimmung des Willens ausdrückt – das allgemeine Gefühl der Achtung zur Moralität und zur Erfüllung seiner Pflicht im allgemeinen, im besonderen aber zur Kultivierung seiner natürlichen Disposition zu Gefühlen der Selbstschätzung, die ihrerseits von der Natur bereitgestellte Mittel zur Erfüllung von Pflichten gegen sich selbst sind. Diese Erfüllung der Pflichten gegen sich selbst wiederum – die Vervollkommnung unserer moralischen und nicht-moralischen Fähigkeiten eingeschlossen – ist das Mittel zur Erfüllung der Pflichten gegen andere, was zumindest teilweise auch die Kultivierung der Disposition zu teilnehmenden Gefühlen anderen gegenüber als natürliches Mittel, die Pflichten der Wohltätigkeit zu erfüllen, involviert. Daher könnte Kants Modell der phänomenalen Ätiologie der Pflichterfüllung nicht nur zwei, sondern sogar drei Stufen enthalten: Das allgemeine Gefühl der Achtung, verursacht durch das Gewissen als Repräsentant der Pflicht, stärkt unsere Bindung an die Pflicht; dies wiederum führt uns zur Kräftigung unserer Selbstachtung als Mittel der Erfüllung der Pflichten gegen sich selbst; dies schließlich führt zur Stärkung der Gefühle der Teilnahme als Mittel für die Erfüllung der Pflichten gegen andere. Diese Rekonstruktion von Kants Konzeption der Funktion des Gefühls der Selbstachtung mag genauer sein als das, was er explizit vor Augen hatte. So gesehen reichert Kant die knappe Darstellung der Selbstschätzung in der Einleitung auch im Haupttext der Tugendlehre nicht an. Seine Vorlesungen zur Moralphilosophie jedoch, frühere wie spätere, lassen keinen Zweifel daran, dass er den Gefühlen der Selbstachtung große Bedeutung in seinem empirischen Modell moralischer Motivation beigemessen hat. Er kommt in den Nachschriften Collins aus den 70er bzw. 80er Jahren und in der späten Nachschrift Vigilantius, abgefasst 1793 – 94, d. h. in der Zeit der Vorbereitung auf die Metaphysik der Sitten, häufig auf dieses Thema zu sprechen

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und stellt mindestens zwei Punkte heraus. Erstens betont er besonders häufig: Der Vergleich unserer Fähigkeiten mit den rigiden Anforderungen des moralischen Gesetzes soll das Gefühl der Demut in uns erzeugen. „In der Vergleichung mit andern aber haben wir keine Ursache eine geringe Meinung von uns zu hegen, denn ich kann mich ebenso Werth halten als ein anderer.“ (Collins, 27:349.7 – 10) Dieses Gefühl des Selbstwerts und der Angemessenheit im Vergleich mit anderen, erzeugt vielleicht durch einige Beispiele, „eine gute Handlung aus guten Gesinnungen ausgeübt“ zu haben (Collins, 27:351.17), soll jeden Menschen davon überzeugen, sofern es nicht in Eigendünkel oder Arroganz ausartet, „daß er noch mehr dergleichen zu thun fähig sey“ (Collins, 27:351.18) und ihn darin bestärken, es zu tun. Das Gefühl der Demut, von dem Kant hier spricht, muss diejenige Demut sein, die der negative Aspekt des allgemeinen Gefühls der Achtung ist, und man könnte versucht sein anzunehmen, das Gefühl des Selbstwerts, von dem er hier spricht, sei nur die positive Seite dieses allgemeinen Gefühls, nicht ein besonderes Gefühl der Selbstachtung. Da Kant aber dieses Gefühl als ein Gefühl beschreibt, das aus dem Vergleich seiner selbst mit anderen resultiert, scheint dieses positive Gefühl, solange es nicht in Eigendünkel umschlägt, ein spezifisches vergleichend-selbstbezügliches Gefühl zu sein, und zwar ganz anders als das Gefühl der Achtung. Insbesondere scheint es eine Rolle zu spielen bei der Stärkung eigener Anstrengungen, seine Pflichten zu erfüllen, beginnend mit den Pflichten gegen sich selbst, was Kant in den Vorlesungen als Vorbedingung für die Erfüllung der Pflicht gegen andere herausstellt (27:341). Der zweite Punkt, den Kant unterstreicht, ist, dass ein angemessener Grad von Selbstachtung in der Beziehung zu anderen einem dabei hilft, die eigene Würde sowohl in seinen eigenen Augen als auch in den Augen anderer zu bewahren. Er merkt z. B. an, ein adäquater Grad von Selbstachtung, nicht nur innerlich sondern auch äußerlich, etwa durch angemessene Kleidung ausgedrückt, helfe einem dabei, sich anderen nicht verächtlich zu machen. Ja, man gewinne sogar „Einfluß auf Andere“ und „befördert“ – erneut unter der Voraussetzung, dass Selbstachtung nicht zu Eigendünkel verkommt – „die Ausbreitung der Tugend, wozu wir doch verbunden sind; er erwirbt sich und der moralischen Vollkommenheit selbst bei Anderen einen Einfluß, der in dem Geschmacksgefühl liegt.“ (Vigilantius, 27:635.22 – 25) Hier scheint Kants Gedanke zu sein, dass man durch Kultivierung eines angemessenen Gefühls der Selbstachtung und durch seinen Ausdruck im äußeren Verhalten, ja sogar in der Kleidung, auf unterschiedliche Weise zur eigenen moralischen Vervollkommnung beiträgt, indem man z. B. verächtlicher Behandlung durch andere aus dem Wege geht. Das würde einem dann erlauben zu verachten, es ihnen auf unmoralische Weise heimzuzahlen, und auf der Erscheinungsebene sogar zur moralischen Entwicklung der Anderen durch kausalen Eindruck des eigenen guten Beispiels beitragen. Das ist allerdings sicherlich keine besondere Pflicht, weder gegen sich selbst noch gegen andere, die Kant hier ausdrücklich thematisiert. Manches Detail fehlt, doch scheint Kant sich ein Modell vorzustellen, wonach sowohl das allgemeine Gefühl der Achtung als auch das spezifische Gefühl der Selbstschätzung kausale Funktion übernehmen in der Erfüllung der Pflichten gegen sich selbst und gegen andere,

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zumindest bisweilen in der Erfüllung der Pflichten gegen andere, vermittelt durch die Zwischenstufe der Erfüllung von Pflichten gegen sich selbst. Solange wir in den Grenzen der Interpretation von Texten bleiben, gibt es keine Grundlage dafür, Kant ein genaueres und vollständiges Modell der Funktion von Gefühlen im empirischen Verlauf moralischer Motivation zuzuschreiben, als ich das hier getan habe. Ich hoffe jedoch, hinreichend Belege für die These beigebracht zu haben, dass Kant in der Tat über ein komplexes Modell dieser Funktion verfügt. Danach erzeugt das Gewissen oder empirische Bewusstsein des moralischen Gesetzes ein allgemeines Gefühl der Achtung, das unsere Verpflichtung, dem Gesetz gemäß zu handeln, zumindest auf der Erscheinungsebene verursacht oder verstärkt. Das wiederum bringt uns dazu, besondere Gefühle, wie Teilnahme oder Selbstachtung, zu kultivieren, die dazu beitragen, spezifische Pflichten gegen uns selbst und gegen andere zu erfüllen; dies natürlich nur, wenn eine Prüfung unserer einschlägigen Disposition zum Handeln mit Blick auf das moralische Gesetz unsere geplanten Handlungen autorisiert. Wie hier durchgängig eingeräumt worden ist, ist es authentisch transzendentale Theorie, dass dieser komplexe empirische Prozess nur als Manifestation der intellegiblen Bestimmung des Willens, dem moralischen Gesetz zu folgen, zu verstehen ist. Er gilt jedoch nicht als ursprüngliche, für sich selbst hinreichende Erklärung dafür, wie wir von der bloßen Vorstellung des Gesetzes, zur tatsächlichen Bestimmung des Willens gelangen, sich das moralische Gesetz zur obersten Maxime zu machen. Wenn man jedoch dazu bereit, wenn nicht sogar glücklich darüber ist, Kants transzendentale Theorie der Funktion des Willens als historisch erledigt anzusehen, dann behält man eine immer noch plausible empirische Theorie der Funktion von Gefühlen für die Bindung ans moralische Gesetz ganz allgemein, an besondere Maximen der Verpflichtung und für die Motivation zu besonderen Handlungen im Lichte dieser Maximen: eine interessante und vielversprechende Theorie, obwohl manche ihrer Details unklar bleiben. Postscriptum des Übersetzers, Burkhard Tuschling, zur Wiedergabe und zum Verständnis von „Ästhetische Vorbegriffe der Empfänglichkeit des Gemüths für Pflichtbegriffe“ – zu ästhetisch & Ästhetik Kants Verwendung von „ästhetisch“ in diesem in der Tat schwer verständlichen, wohl nicht übersetzbaren Sinn ist möglicherweise nichts anderes als der Versuch der Wiedergabe von aishgtijom und aishgta. Danach kann man den Titel „Ästhetische Vorbegriffe der Empfänglichkeit des Gemüths für Pflichtbegriffe überhaupt“ und diesen Gebrauch des Terminus auch im fortlaufenden Text so verstehen, dass diese Vorbegriffe eben nicht reine Vernunftbegriffe, nicht (nur) mogta, sondern (auch) aishgta sind und insofern essentiell mit Sinnlichkeit, Empirie und Wahrnehmung (aishgsir , aishameshai) zu tun haben.

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Dass aishgtijom … ästhetisch nicht nur so verstanden werden kann, sondern so verstanden und philosophisch verwendet worden ist, ergibt sich besonders prägnant, für den sachlichen Zusammenhang der Ästhetischen Vorbegriffe der Empfänglichkeit des Gemüths für Pflichtbegriffe überzeugend und einschlägig aus Platons Timaios 67a8, wo von einem tqitom aishgtijom em glim leqor [einem „dritten Wahrnehmungsbereich“ (Platon, Werke in 8 Bänden, hrsg. v. der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Bd. 7, Timaios, Kritias, Philebos. Deutsche Übersetzung von Hieronymus Müller & Friedrich Schleiermacher, Darmstadt 1972) – einem „dritten sinnlich Wahrnehmbaren in uns“ (BT), nämlich dem Hören] und aus 67c4 f., wo von einem tetaqtom … cemor aishgtijom [„einer vierten Art der Sinneswahrnehmungen“ (Schleiermacher/Müller) – „einem vierten Genos des sinnlich Wahrnehmbaren“ (BT)] die Rede ist. Liddell & Scott geben aishgtijom durch „of or for sense perception, sensitive, perceptive“ wieder; aishgtijom eweim eautou durch “to be conscious of oneself doing … II. of things perceptible“ (Greek-English Lexicon, compiled by H.G. Liddell & R. Scott, Oxford UP, repr. 1961): Wie man daran sieht, ist ästhetisch schon in seiner ursprünglich griechischen Etymologie genau so vieldeutig wie in Kants „Ästhetische Vorbegriffe“. Das alles passt sehr gut zu Paul Guyers zentraler These, dass Gefühle nicht nur Begleiterscheinungen von Moralität sind, sondern dass Kant der moral sense theory zumindest zugesteht, dass moralische Gefühle neben dem Sittengesetz durchaus auch kausal relevant für die Befolgung des Gesetzes sind. Guyer hat angesichts von Mary Gregors wenig überzeugender Paraphrase sicher auch recht damit, ästhetisch einfach stehenzulassen, – so wie Frede/Patzig in ihrer Kommentar-Ausgabe von Aristoteles, Metaphysik Z ousia nicht durch deutsche Un-Worte übersetzen, sondern ausdrücklich erklärend reproduzieren (Michael Frede / Günther Patzig, Aristoteles, Metaphysik Z. Text, Übersetzung, Kommentar, München 1988) –, obwohl man ihr inhaltlich sicher etwas abgewinnen kann. Paul Guyer unterstützend verweise ich auf das wenige, was Kant ein paar Zeilen später, wie üblich en passant und, wenn ich recht sehe, gerademal zweimal, indiziert: „[…] moralische Beschaffenheiten, […]. Sie sind insgesammt ästhetisch und vorhergehende, aber natürliche Gemüthsanlagen (praedispositio) durch Pflichtbegriffe afficirt zu werden“ (6:3994-12)

„ästhetisch“ heißt hier also „sinnlich affizierbar“, „fassbar“, daher auch „[sinnlich] wahrnehmbar“. Noch deutlicher: Das moralische Gefühl „ist die Empfänglichkeit für Lust oder Unlust blos aus dem Bewußtsein der Übereinstimmung oder des Widerstreits unserer Handlung mit dem Pflichtgesetze. Alle Bestimmung der Willkür aber geht von der Vorstellung der möglichen Handlung durch das Gefühl der Lust oder Unlust, an ihr oder ihrer Wirkung ein Interesse zu nehmen, zur That; wo der ästhetische Zustand (der Afficirung des inneren Sinnes) nun entweder ein pathologisches oder moralisches Gefühl ist.“ (6:39918-25)

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Dass es hier also um Affektion der Sinnlichkeit geht, wird von Kant klar genug gesagt, ebenso, dass diese Affektion ein Zustand des durch Pflichtbegriffe afficirt zu werden des inneren Sinnes, empirisch und daher wahrnehmbar ist, weshalb er eben ästhetisch heißt, nicht im Sinne der ästhetischen Urteilskraft und der Ästhetik des Schönen, sondern der transzendentalen Ästhetik der Kritik der reinen Vernunft, die eine Theorie der sinnlichen Bedingungen oder Vorbegriffe der Möglichkeit der Anschauung und ihrer Gegenstände, der aishgsir, des aishameshai, des aishgtijom und der aishgta ist. Deshalb habe ich an einer einzigen Stelle (S. 197 [15] = [p. 24] English version) der Verständlichkeit halber ästhetisch durch, d. h. auf Ästhetik und Sinnlichkeit bezogener Vorbegriff (Vorbegriff im Sinne von „to be able to become aware of“) erläutert und im Kontext Guyers „as an aesthetic precondition of receptiveness to duty“ wie folgt übersetzt: „Gewissen ist also selbst nicht moralisches Gefühl, sondern verursacht, ,affiziert‘ es. Es löst also moralisches Gefühl als Vorbegriff der Empfänglichkeit für Verpflichtung aus. Insofern es aber auch ästhetischer, d. h. auf Ästhetik und Sinnlichkeit bezogener Vorbegriff für diese Empfänglichkeit ist, obwohl es nicht Empfindung ist, muss das Gewissen auch empirisches Phänomen sein.“

Person und Persönlichkeit Ansätze zum konkreten Personalismus1 in Kants Metaphysik der Sitten Andrej Sudakow In der Struktur der Ethik Immanuel Kants nimmt das Konzept der Menschheit (der vernünftigen Natur) als eines Zwecks an sich selbst nicht von ungefähr eine zentrale Stellung ein. Kants transzendentalkritischer Ansatz in der Philosophie hat es schon seit der Kritik der reinen Vernunft mit sich geführt, dass der Mensch als Person in diesem Philosophieren nicht mehr als eine materiale Naturgegebenheit, sondern als ein erst auszuführender Zweck der Tätigkeit und als Handlungssubjekt aufgefasst wurde. Die Freiheit ist in diesem Kontext nicht mehr eine Tatsache der intelligiblen Welt, sozusagen nicht mehr Substanz, sondern eine Kausalität der Vernunft, ein Handlungsvermögen, und diese intelligibele Kausalität handelt nicht auf Tatsachen in der Sinnenwelt, sondern bestimmt auf eine gewisse Weise die empirische, sinnlich vermittelte, Kausalität der Wesen in dieser Sinnenwelt. Schon in der ersten Kritik war die Freiheit als Wirksamkeit nichts anderes als das Vermögen des Gesetzes intelligibler Kausalität (des intelligibelen Charakters, wie Kant sagt), das Gesetz der empirischen Kausalität desselben Weltwesens zu bestimmen. Der „Ort“ der Freiheit ist also der Kreuzungspunkt von intelligibler und empirischer Kausalität, – welches bedeutet, dass der „noumenale Mensch“ der überlieferten Metaphysik seine stumpfe Ontologizität verliert und zur Bestimmungsinstanz der Kausalitätsketten dieser Erfahrungswelt nach Grundsätzen der Vernunftwelt wird. Der Mensch als Person ist aus Kants philosophischer Sicht Subjekt der Vereinigung von Sinnen- und Verstandeswelt, Subjekt der Beeinflussung empirischer Begebenheiten in sich und in der Umwelt entsprechend dem intelligiblen Zweck. Der Mensch ist daher, eigentlich und wesentlich, weder bloß homo phaenomenon, – seine Weltaufgabe besteht daher nicht in der Befreiung vom angeblich totalitär-ideologischen „Zwang“ der anma1

Der Terminus „Personalismus“ hat sich im russischen fachphilosophischen Sprachgebrauch zumindest seit Berdjajew (der sich mit problematischem Recht als Personalisten bezeichnet hat) eingebürgert. Und zwar wird unter „Personalismus“ in der russischen Philosophie, wie in der amerikanischen, aber anders als in Frankreich, nicht bloss PersönlichkeitsTheorie, und auch nicht eine Philosophie, die einfach die Würde der (egal wie verstandenen) Person verteidigt, sondern eine Philosophie, die eine metaphysische „Wesenhaftigkeit“ des menschlichen und göttlichen Personseins behauptet, für welche das Sein selbst personhafter Natur ist, und die Menschenwürde also ontologisch begründet ist. In diesem Sinne einer persönlichkeitszentrierten Metaphysik wird auch hier der Terminus „Personalismus“ gebraucht.

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ßungsvollen Vorkämpfer irgend einer Noumenalität, – noch ist er auch bloß noumenal, und ist also nicht auf die bloße Selbstbefreiung vom empirischen Lebensinhalt, und das heißt vor allem: von den vielfältigen Genussfreuden des Lebens, zugunsten dieser Noumenalität einzuüben. Der Anarchist der Lustbefriedigung und der Idealist der Seelenbefreiung sind mit ihren Menschenbildern, mit ihren Sichtweisen des wahren Personseins gleichermaßen einseitig und daher abstrakt. Der metaphysische Personbegriff auf der Grundlage der transzendentalen Philosophie Kants kann aber den vollen Menschen, sowohl in der Theorie des Erkennens, als auch in der praktischen Philosophie nicht etwa dadurch zur Geltung bringen, dass er diesen beiden abstraktdogmatischen Person- bzw. Persönlichkeitsbegriffen einfach gleichermaßen recht gibt, sondern erst dadurch wird es möglich, dass man philosophisch – und zwar philosophisch überzeugend – aufzeigt, dass und auf welche Weise die unterschiedlichen, zu einander widerstreitenden Menschenbildern und normativen Programmen Anlass gebenden Aspekte (Sichtweisen bzw. Daseinsschichten) des Menschlich-Sittlichen gleichermaßen, aber nicht gleichberechtigt, – d. h. in hierarchischer Wertabstufung – stattfinden können: nur so gewinnt man theoretisch und normativ eine Sicht der nicht halbierten, halb tugendhaften, oder gar halb toten, – sondern einer ganzheitlich wirksamen, durch ihre zweckmäßigen Handlungen sowohl als die Zweckprinzipien dieser Handlungen (Maximen) die Zwecke der allgemein gesetzgebenden Vernunft froh und wacker verfolgenden Persönlichkeit. In der Grundlegung der Moralphilosophie, wo es sich um die bloße Form des Moralisch-Gesetzlichen handelt, (wie auch in der allgemeinen Erkenntnislehre) werden diese differenzierten Aspekte des Menschlichen, wie etwa die, unterschiedlichen Wertschichten gemäß, unterschiedlichen Vernunftgesetzgebungen, noch kaum eingehend behandelt und aufeinanderbezogen. So kommen z. B. in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten der Rechtsbegriff und einige juridische Einzelthemen zwar vor, die Differenzierung der Gesetze, Gesetzgebungen, der Pflichten und der Verpflichtungsarten in ethische und juridische, die Rückbeziehung dieser Pflichtarten aufeinander werden hier aber gar nicht thematisiert. Auch da ist freilich acht zu geben, dass diese Absicht der abgestuft-hierarchischen Gesetzgebung des durch jedes Vernunftwesen möglichen Reiches der Zwecke (auch seiner Zwecke) nicht irgendwie durch die (bündigen oder barocken) Formulierungen der Moral vereitelt werde, und anstatt des ethischen Personalismus, d. h. des lebendigen Ganzen vernünftiger Wesen in der schönen Form der allgemeinen Gesetze, nicht etwa der dürre Intellektualismus oder Mystizismus der Pflicht gepredigt wird. Schon da also ist der Personbegriff auf transzendentalkritischer Basis von den Einseitigkeiten rationalistischer oder sentimentalistischer, freundlicher oder feindlicher, Auslegung (eigentlich Zerlegung) behutsam fernzuhalten. Wo es Kant selbst im harten Widerstreit der erkenntnistheoretischen und moralischen Prinzipien nicht gelingt, da bleibt seine Art, die Abgrenzung herauszuarbeiten oder zu übersehen, für den Leser, für den philosophischen Interpreten dennoch als Anregung oder als philosophiehistorisch bedingter Fehlgriff jederzeit willkommener Denkansatz. Konkret aber wird es nur

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in dem System der Ethik, in der konkreten Moralphilosophie Kants: in der Metaphysik der Sitten2. Die Person wird in der Metaphysik der Sitten als „dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind“ (223), definiert. Dieses muss notwendig ein „mit Freiheit begabtes Wesen“ sein (280), also ist die Persönlichkeit „nichts anderes als die Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen“ (223), nach welchen die Zurechnung dann geschehen kann. Dadurch wird das Gefüge der Personalitätslehre der Metaphysik der Sitten unmittelbar auf die Freiheitslehre der Kritik der reinen Vernunft zurückbezogen. Auch hier ist konsequenterweise die freie Person synthetische Aktivität, Einheit des Mannigfaltigen. Zunächst ist sie eine absolute (278), unzertrennliche (279) Einheit aller ihrer Glieder. Die Persönlichkeit ist aber zugleich damit zweifach, sie ist eine Zwei-Einheit. Einerseits ist sie rein, andererseits empirisch behaftet. Der Mensch ist sich im Gewissen laut Kant eines „doppelten Selbst“ (439 A.) bewusst. Die Menschheit als angeborene freie Persönlichkeit, d.i. als Noumenon, wird vom empirisch-menschlichen Einzelwesen, dem Phänomenalen, rigoros unterschieden. In der ersten Qualität ist der Mensch Subjekt der Freiheitsgesetze, der Selbstgesetzgebung der Vernunft (439 A.), Vernunftwesen, mit „innerer Freiheit“ begabt (418), in dieser Qualität ist seine Persönlichkeit „von physischen Bestimmungen unabhängig“ (239), von keinem Sinn erreichbar (418), „ganz übersinnlich“ (239). Dieses ist die Persönlichkeit als die „Menschheit in unserer Person“, dieses ist das moralische Wesen Mensch, im Grunde die gesetzgebende Vernunft selbst. Dies ist der Sittenrichter, der eigentliche Kläger in uns; die „Menschheit, die in uns wohnt“. Obwohl ganz übersinnlicher Natur, lässt sich doch dieses eigentliche Selbst des Menschen im Moralischen, und zwar „durch den Einfluss der Vernunft auf den innerlich gesetzgebenden Willen“ (418), oder durch die Gründung des guten, des intensiv gesetzmäßigen Willens in uns erkennen. Der Wille als oberes Begehrungsvermögen ist auch gleichsam anthropologisches Korrelat des noumenalen Menschen in uns. Andererseits aber ist derselbe Einzelmensch zugleich als „Sinnenwesen“ (418), „physisches Wesen“ (430), mit physischen Bestimmungen behaftetes Subjekt (239), als ein „mit Vernunft begabter Sinnenmensch“ (439 A.), also als der Mensch, ein Exemplar der Tiergattung Mensch, zu betrachten. In der ersten Eigenschaft ist der Mensch gesetzgebungs- und zurechnungsfähig, in der zweiten aber eher Untertan des moralischen und des Rechtsgesetzes, zugleich aber verbrechensfähig (335). Diesem Sinn des Menschen- und Personbegriffs entspricht anthropologisch die natürlich bestimmte Willkür. Dieser zweite Mensch in uns ist gleichsam eine „andere Person (homo phaenomenon)“ (335), aber es ist doch auch eine Person, und zwar eine solche, die der noumenalen Persönlichkeit eben desselben Menschen „zur Erhaltung anvertrauet“ ist (423). Damit nun Pflichten gegen sich selbst denkbar werden, muss die moralische Persönlichkeit in beiden Bedeutungen zugleich genom2 Die Metaphysik der Sitten zitieren wir im Folgenden nach der Akademie-Ausgabe: Immanuel Kant’s gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften. Erste Abtheilung: Werke. Bd. VI. Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Die Metaphysik der Sitten. Berlin, G. Reimer, 1914.

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men werden. Die von Kant an dieser Stelle aufgelöste Antinomie der Personalitätspflicht ist also eine exakte ethische Transposition der Freiheitsantinomie der ersten Kritik. Kant triumphiert über naturalistische und abstrakt-mystische Personbegriffe durch seine Unterscheidung des homo noumenon und homo phaenomenon in ebendemselben Menschenwesen; zur erfolgreichen Konstruktion der kritischen Ethik sollen jedoch das Noumenale und das Phänomenale nicht bloß auseinandergezogen, sondern auch aufeinander bezogen werden, oder die Menschheit als moralisches Wesen in uns muss durchgängig auf die empirische Menschlichkeit wirksam vorgestellt werden. Die moralische, autonom gesetzgebende Persönlichkeit im Menschen ist zwar „die Menschheit in unserer Person“, aber sie ist noch nicht der ganze Mensch: auch das (seiner selbst, oder seines Selbst) würdige Personsein des äußeren, oder akkurater ausgedrückt: des außerhalb seiner Selbst wirksamen, Menschen soll in einer wahrhaft konkreten Ethik abgesichert werden. Auch dieser homo phaenomenon ist zwar nicht der ganze Mensch, seine äußere, oder nach außen wirksame, Persönlichkeit darf also nicht mit der moralischen Persönlichkeit identifiziert werden, dieser homo ist nur dank der innewohnenden moralischen Menschheit in ihm zurechnungsfähig, also praktisch frei; diese seine praktische Freiheit soll jedoch auch in seinem äußeren Dasein vernünftig gestaltet werden. Nur durch eine vernünftige Synthese im Personbegriff, nur vermittelst eines konkreten Persönlichkeitskonzepts ist also eine wirklich transzendentalkritische Moralphilosophie als System zu verwirklichen. Sie ist jedoch kaum zu verwirklichen, falls die hier, im Begrifflich-Grundsätzlichen, erforderlichen Differenzierungen eliminiert werden, die diese durchgängige systematische Rückbeziehung der Personbegriffe, und entsprechend der sittlichen Teilbereiche, mehr oder weniger untergraben. Ein Beispiel dafür ist etwa die Gleichsetzung der Person schlechthin mit der moralischen Person als homo noumenon, oder der Menschheit in unserer Person: die Person bloß nach ihrer Menschheit betrachtet ist der noumenale Mensch (295). Andererseits ist die These, noumenale Menschheit sei innere Freiheit (420), Freiheit des zwecksetzenden und in vernünftiger Disziplin Zwecke verfolgenden Wesens, für sich genommen philosophisch richtig und unschädlich: solange es nämlich nicht um ein System konkreter Moralphilosophie geht. Das sieht man daran, wie Kant mit seiner metaphysischen Unterscheidung im Personbegriff weiter umgeht. Er gibt nämlich dieser eine ethische Interpretation. Als homo noumenon darf der Mensch seine empirische Persönlichkeit nicht instrumentalisieren, er darf sie nicht als Mittel zu seinen beliebigen Zwecken brauchen, oder seine willkürlich gewählten Zwecke dürfen nicht den inneren, natürlichen Zweck der Menschheit unterdrücken; die subjektiven Zwecke sind also an den Naturzweck „gebunden“ (430). Der noumenale Mensch als Gesetzessubjekt ist „Zweck an sich selbst“, besitzt Würde als „absoluten inneren Wert“ (435), und darf also nicht als Mittel für Zwecke anderer oder sogar für seine eigenen empirischen Zwecke angesehen (ebenda) und bloß als ein solches Mittel gebraucht werden: er soll „jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden“ (420). Moralische Würde ist also eben diese Zweckhaftigkeit der Person, – nur mit dem Vorbehalt, dass sie immer zugleich Zweck, weil jederzeit „animalisches (physisches) und zugleich moralisches […] Wesen“

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(420), zugleich Tiermensch, manchmal nichtswürdig und schwach im Weltsystem, und würdevoller Vernunftmensch (434 – 435) ist, zugleich „Person überhaupt“ (moralisches Individuum) und verpflichtete Person (ebenda), ja sogar zugleich Natursache und Person, und der Mensch muss also in verschiedenen Beziehungen jeweils verschieden „behandelt werden“, d. h. die Behandlungsgrundsätze, oder Maximen, seines Tuns sollen diese Beziehungen jeweils beachten und dürfen einander nicht Abbruch tun: diese Maximen sollen ein Ganzes vernünftig zulässiger, rechtlich notwendiger und moralisch gebotener Zwecke, ein persönliches Ganze der Zwecksetzungen des ganzen lebendigen Selbst und der moralischen Menschheit als solcher, das personale und universale Reich der Zwecke konkret ermöglichen, nicht aber den Rechtsbereich durch die „Diktatur des Gewissens“ oder den Gewissensbereich durch die polizeirechtlichen oder der „Regierbarkeit“ dienenden Maßregeln verdrängen. Dieses echt transzendentalkritische „zugleich“ geht freilich leicht verloren, wenn man die Vernichtung der Persönlichkeit, d. h. den Verlust oder den bewussten Verzicht des Menschen auf seine Person thematisiert. Kant kennt nämlich zwei Fälle, in denen ein solcher Verlust bzw. Verzicht auf das Personsein des Einzelnen stattfindet: eins im Natur- und eins im bürgerlichen Zustande der Gemeinschaft. Der erste Fall tritt bei sinnlichen Affekten ein, da der „Sinnenmensch“ den Trieben und Neigungen seiner tierischen Natur, seines unteren Begehrungsvermögens nachgibt und sich ihre Befriedigung zum alleinigen Zweck macht. Der Genuss von Sachen, u. a. auch von Personen als Sachen, zur Allgemeinheit einer Maxime erhoben, hat unweigerlich zur Folge, dass der Mensch sich (sein Selbst, oder seine Persönlichkeit) zum Mittel der Befriedigung des Tierischen im Menschen macht, und dadurch die wahre moralische Wertordnung umkehrt, und dadurch seine Persönlichkeit wegwerfend aufgibt (425). Dieses, d. h. die Instrumentalisierung und eigentliche Aufgabe der moralischen Persönlichkeit, kann nach Kant die Befriedigung des Nahrungstriebs ebenso begleiten wie die des Triebs zum Geschlecht oder den Spirituosen- und Rauschmittelgenuss. Diese Handlungsweise, oder genauer, Handlungsmaxime des selbstzweckhaften animalischen Genusses einer Sache, einschließlich auch einer Person („gleich als Sache“, sagt Kant vorsichtig und meint es, denn er hat nicht umsonst das „zugleich“ in seine Formel des moralischen Imperativs eingefügt), ist selbst nicht bloß viehisch oder animalisch, sondern erniedrigt den Menschen sogar „selbst unter das Vieh“ (425). Dieser Herabwürdigung des moralischen Selbst gilt also ein kategorisches Verbot der Vernunft, oder, wie Kant sagt, der entsprechende Gebrauch seines animalischen Vermögens steht „unter einem einschränkenden Pflichtgesetz“ (424). Die Maxime dieser Selbsterniedrigung ist unsittlich, der uneingeschränkte animalische Genuss widerspricht also der Pflicht des Menschen gegen sich selbst, die ihm die Erhaltung der angeborenen Freiheit oder Persönlichkeit, der eigentlichen „Menschheit in seiner Person“, die sittliche Selbsterhaltung des Lebens, und nur in diesen Schranken die Erhaltung des homo phaenomenon auferlegt. Der radikal denkende Genussmensch denkt – und handelt folglich – in diesen Fällen wider die Vernunftpflicht, gibt seine und/oder des anderen Persönlichkeit auf und wird daher in seiner Fleischeslust zur bloßen Sache, zum „Menschen

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ohne Persönlichkeit“ (241), oder zum Sklaven, der keine Rechte haben, keine Verträge schließen oder halten kann, „sondern nur Gewalt anerkennt“ (283). Der seiner Persönlichkeit entäußerte Mensch ist also weder rechtlich mündig und vertragsfähig noch dem Pflichtbewusstsein zugänglich, für ihn sind innere Handlungsmotive nichtig, er gehorcht nur den äußeren, nämlich dem äußeren Zwang, oder der „Gewalt“. Er wirkt nicht vernünftig, sondern mechanisch-elementar, er ist gleichsam eine Maschine: so heißt es bei Kant charakteristischerweise über die Maxime des vorsätzlichen Lügners, dass sich der Mensch nicht zur „Sprachmaschine“ machen darf, die an den „inneren Zweck“ nicht gebunden wäre (430). Die Versachlichung der Person wird von Kant ferner in einer Situation als möglich vorgestellt, wo eine Person nur einen Teil der anderen besitzt, der sie sich ganz hingibt (278): dadurch hat nur die eine Partei volle Handlungsbefugnis über die Person der anderen und ist also in Ansehung dieser Person praktisch frei. Die vorsätzliche Selbstinstrumentalisierung der Person, der Verzicht auf das Personsein der Menschheit in uns ist laut Kant mit der vorsätzlichen Vertilgung der „Sittlichkeit seiner Existenz nach“ (423), die aber vernünftiger Selbstzweck ist. Dieser Verzicht ist aber, obwohl moralisch verwerflich, durch keinen rechtskräftigen Akt, etwa einen Vertrag, möglich: „Durch einen Vertrag kann sich niemand zu einer solchen Abhängigkeit verbinden, dadurch er aufhört, eine Person zu sein; denn nur als Person kann er einen Vertrag machen“ (330). Die Vernichtung der persönlichen Würde im Menschen, der Menschheit in unserer Person seiner Existenz nach, ist also durch gegenseitigen Willen von Personen nicht möglich: ein solcher Vertrag wäre null und nichtig. Es ist jedoch durch den einseitigen, seinen Affekten verfallenen Willen oder durch den Willen aller im Staat durchaus möglich. Der zweite Fall, nämlich der des Verzichts auf das Personsein des Einzelnen, ist laut Kant der Persönlichkeitsentzug infolge eines Verbrechens: ein Verbrecher kann sich seiner Persönlichkeit verlustig machen (283), diese einbüßen und zum Leibeigenen oder Sklaven (wohl nicht einer Privatperson, sondern der ihn richtenden Gesamtheit, des Staates selbst) werden, also dem Staate als zeitweilig unmündige Arbeitskraft zur Verfügung stehen (333), – wenn er nämlich dazu verurteilt wird (331). Bei der Erörterung des Strafrichterspruchs thematisiert Kant ganz deutlich den Unterschied des noumenalen und des empirischen Menschen (im Verbrecher). Dieser Zusammenhang verdient indessen für unser Thema ganz besondere Beachtung, denn hier wird explizit hervorgehoben, dass es sich dabei um zweierlei Persönlichkeiten handelt: einmal die angeborene moralische des Freiheitssubjekts, zum anderen die „bürgerliche“ Persönlichkeit. Auch wenn der Verbrecher die letztere zu verlieren verurteilt wird, kann er doch als vernünftig-frei Handelnder die erstere nie einbüßen. Die moralische Persönlichkeit ist also im Gegensatz zur bürgerlichen unveräußerlich: „Der Persönlichkeit kann der Mensch sich nicht entäußern, […] solange er lebt“ (422). Und zwar ist es deswegen so, weil nach Kants allgemeinphilo-

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sophischer Überzeugung „die vernünftige Natur als Zweck an sich selbst“ existiert3, weil also weder der Einzelne noch auch die zufällig vereinte Willkür Vieler über diese „Menschheit in seiner eigenen Person“ frei zu disponieren berechtigt ist. Da nun das Subjekt dieses „Rechts der Menschheit in meiner Person“ über meine Dispositionssphäre erhaben ist, so kann ich erstens dieses Subjekt nicht als solches, sondern höchstens gleich als Sache, „auf dingliche Art“, besitzen. Zweitens kann dieses Recht durch keine Handlung, nur durch meine Handlungsmaxime lädiert werden, insbesondere wenn es um Handlungen geht, die der Mensch zur Befriedigung seiner Naturtriebe oder im Rahmen des vernunftnotwendigen Rechtsvollzugs ausübt, die er also gewissermaßen um der Ganzheit seiner Selbstverwirklichung willen nicht unterlassen kann. Vor diesem Hintergrund sind nun die beiden Abschnitte (nämlich die beiden Fälle: 424 – 425 und 331 – 333), in denen Kant den Verzicht auf die Person und die Wiedererlangung der Persönlichkeit erörtert, nicht nur von historischer, sondern auch von unvergänglicher philosophisch-anthropologischer Bedeutung. Nach den fürchterlichen sozialen Erfahrungen des vorigen Jahrhunderts ist jedoch das Thema der massenhaften Zwangsarbeit für staatliche Großprojekte, wie überhaupt die Befugnis des Staates, seine Bürger „vorsorglich“-pädägogisch in Leibeigene zu verwandeln, mehr als suspekt geworden. Daher bleibt ein einziges, aber, wegen der sachgemäßen Verschränkung der anthropologischen, rechtlichen und moralischen Aspekte, ganz besonders spannendes Thema zum Weiterdenken des kantischen Personalismus, – nämlich Kants Ehe- und Familienrecht. Kant führt sein Konzept des „auf dingliche Art persönlichen Rechts“ als „das Recht des Menschen, eine Person außer sich als das Seine zu haben“ (358), als das Besitzrecht der einen Person auf die andere, als ein Recht und zugleich ein Besitz der Person als des Meinen und daher als das Recht der Menschheit schlechthin (276) ein. Zwischen den Subjekten dieses Rechts besteht eine naturnotwendige Gemeinschaft, die der Befriedigung von Naturtrieben (der gegenseitigen Ernährung oder dem Geschlechtstrieb) dient, deren rechtliche Gestaltung daher sie weder per Gesetz aufheben, noch diesen Dienst der Lustbefriedigung legalisieren kann. Der Trieb muss befriedigt, und andererseits die personhafte Menschheit in uns vollkommen geachtet werden. Eine Person gibt sich der anderen zum Zweck des Genusses hin; macht sie es uneingeschränkt, also bloß zum Genuss des anderen, so macht sie sich durch eine solche Handlung zur bloßen Sache und verstößt gegen „das Recht der Menschheit in seiner eigenen Person“ (278). Die Person darf einen anderen nicht auf diese Weise gebrauchen, darf ihn also auch nicht zum Genuss einmalig und einseitig als Sache besitzen: besitzen aber muss sie ihn, also ist es nur unter zwei Bedingungen möglich: dass es ein auf dingliche Art persönlicher Besitz, und zwar für das ganze Leben ist. Kant bezieht dieses Recht auf die Kategorie der Gemeinschaft, auf den 3 Kant, I., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Immanuel Kant’s gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften. Band IV. Berlin, G. Reimer, 1913, S. 429.

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„wechselseitigen Einfluß“ und also auf gegenseitige Willensäußerung, auf einem Vertrag basierend. Das Familienrecht ist also das Recht des wechselseitigen Besitzes der Person eines Anderen als einer äußeren Sache „und des Gebrauchs desselben als einer Person“ (276). Die Ehe insbesondere ist „wechselseitiger Besitz der Personen“ (280). Die Eheleute erwerben einander wechselseitig als Personen (280), Eltern und Kinder besitzen einander als Personen von Natur her, nur im ungleichen Verhältnis. Dies ist aber gerade der springende Punkt. Kann ich, auch nur einseitig, die Person des anderen als solche, die Menschheit in seiner Person, die transzendentale Persönlichkeit des anderen besitzen, oder kann der andere diese aufgeben? Wir wissen schon Kants definitiv verneinende Antwort darauf. „Der Mensch […] ist keine Sache“4. Diese Persönlichkeit ist nach Kant freie Wirksamkeit, und zwar innere, auf den empirischen Charakter der Willkür gehende Wirksamkeit, kann also sogar vertraglich nur für einzelne Leistungen in der Sinnenwelt, keineswegs aber ganz und auf lebenslänglich veräußert werden. Auch im vertragsrechtlichen Bereich habe ich es nicht mit dem anderen als Person, sondern mit einer Tatkraft eines vernünftigen Naturdinges zu tun5. Durch meine Maxime kann ich dem Naturrecht der Menschheit in meiner oder des Anderen Person durchaus Abbruch tun. Das Recht 4 Kant, I., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Immanuel Kant’s gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften. Band V. Berlin, G. Reimer, 1913. S. 429. 5 Zu dieser bemerkenswerten Verschränkung der moralischen und der rechtlich-bürgerlichen Persönlichkeit in Kants konkreter Ethik ist noch folgendes anzumerken. Kants merkwürdige Neigung, sich im Metaphysischen in einem Entweder-Oder-Lexikon, in Dichotomien auszudrücken, und dabei an jeder gedanklichen Kreuzung ein „zugleich“ oder ein „auch“ hinzuzusetzen, ist der konkreten (zweieinheitlichen) Sicht der Person an der Grenze der praktisch-philosophischen Bereiche sehr günstig. Der Mensch in moralphilosophischer Betrachtung, d. h. in der Ethik im engeren Sinn, ist keine Sache, ist Person, weil er eine innere Würde besitzt, ein innerlich, im Gewissen zurechenbares Selbst ist. Der Mensch im Recht ist schon in einem gewissen Sinne Sache, oder gleich als Sache zu betrachten, indem das Recht Gesetze für Handlungen, nicht für die Maximen der Handlungen, vorschreibt, das Innere der vernünftigen Natur ausklammert und jedes Subjekt bloß als eine nach außen wirkende Naturkraft betrachtet, so dass es eine durchgängige Übereinstimmung von Handlungen solcher (vernünftiger) Naturkräfte als Grundbedingung ihrer Rechtmäßigkeit fordern kann. Der Mensch im Recht ist mithin ein äußerlich tätiges vernünftiges Naturwesen, also immer zugleich Sache. Der Mensch in seinem Gefühlsleben endlich ist aufnehmend, d. h. passiv, genießend. Er geht auf Genuss aus und formt entsprechende Maximen. Im Genuss, und sofern er genießt, wird seine Beschaffenheit als moralisches Wesen gleichsam ausgeklammert. Dieser Sachverhalt wird nun von Kant als gefährlich für den moralischen Menschen empfunden, weil er eine Versuchung zum Selbstverzicht der moralischen Persönlichkeit in ihm, der „Menschheit, die in uns wohnt“, beinhaltet. Diese „Menschheit, die in uns wohnt“, hat jedoch unbestreitbar Gefühle, passive (aufnehmende) Bedürfnisse, Genusssinne: sie muss naturnotwendig auch genießen. Das ethisch Spannende in der Metaphysik der Sitten ist nun eben und gerade der Aufweis Kants, dass – und wie sehr – auch in der eigentlichen Ethik im engeren Sinn der Genussmensch als solcher auf seine Kosten kommen soll. Kant ist zugleich bestrebt, eine moralisch würdige Art zu genießen aufzuzeigen, damit sich der Mensch (und zwar nicht allein die heilige moralische Person in ihm, ferner auch nicht bloß die Rechtsperson, sondern der ganze lebendige Mensch „unter beiderlei Gestalten“) sich nicht durch den Genuss „entmensche“.

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aber betrifft nur das äußere praktische Verhältnis freier Personen, „sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander […] Einfluß haben können“ (230). Es kann also im Recht nur um den Verlust und Rechtsschutz der bürgerlichen, nach außen wirksamen Persönlichkeit gehen, (also im einzelnen um den Schutz des einen Ehepartners oder des Kindes gegen die unrechtmäßigen Handlungen des anderen Ehepartners oder der Eltern, um die Eingrenzung der tätigen Willkür). Man wird sagen: Kants Eherecht ist ja, als Bestandteil des natürlichen Rechts, unabhängig von der staatlichen positiven Gesetzgebung, kann aber durch sie positiviert werden. Dies völlig zugegeben (damit komme ich zum letzten Moment und damit zum Schluss), erhebt sich aber gegen die Beweisführung der Ehelehre Kants noch eine zweite Frage: kann denn ich eine andere Person besitzen? Kann im Familienrecht ich als Individuum, als „einseitige Willkür“ das Subjekt des Besitzes eines Anderen als Person sein? Sonderbarerweise macht Kant im Text den Anschein, als ob ich als Einzelwillkür es auch wirklich könnte und täte, – im Kontext aber, im axiomatischen Gerüst des Familienrechts, bestreitet er es. Ich besitze einen Anderen als Person, sagt er nämlich, nicht durch einseitige, nicht durch beiderseitige Willkür, sondern allein durch die zur Gesetzgebung vereinigte Willkür aller, durch das Gesetz (lege); es ist ein Recht „gegen diejenige moralische Person, welche […] die Idee der a priori vereinigten Willkür aller ist“ (274). Dann liegt aber die Vermutung nahe, dass, sofern ich als einseitige Willkür dies von rechts wegen nicht tun darf, sofern auch unser beiderseitiger Wille es nicht darf, so sind vor der Vernunft (wie es nun uns selbst auch vorkommen mag) nicht ich alleine und nicht wir zwei gegenseitige Besitzsubjekte, so sind in diesem Rechtsverhältnis weder ich noch wir beide Besitzer, Rechtspersonen. Wir sind es vielmehr nur in einer höheren, kollektiven Person, die aber – und hier ist das Vortreffliche in Kants Konzept gegenüber den Ideologen des konservativen Etatismus und des rationalen Kosmopolitismus – weder der Staat6 noch auch die Menschheit als Ganzes zu sein braucht, sondern die zunächst die Gesellschaft der Familie, die „häusliche Gemeinschaft“, die Persönlichkeit der Familie ist. Diese „Gemeinschaft freier Wesen, die […] eine Gesellschaft von Gliedern eines Ganzen (in Gemeinschaft stehender Personen) ausmachen“ (276) besitzt nach Kant ein spezifisch häusliches Mein und Dein, welches, als ein Mein und Dein auf Personen, kein bloßes Recht und kein bloßer Besitz, sondern notwendig beides zugleich ist, und das von der Vernunft diktierte „natürliche Erlaubnisgesetz“ (ebenda) ist wohl nichts anderes als die rechtliche Voraussetzung, unter welcher der Genuss des Naturmenschen mit der Würde des Vernunftmenschen zusammen bestehen kann. In dieser Behauptung hat der Moralist Kant vollkommen recht, wie auch in der These, dass das eheliche Verhältnis der ein ganzes Leben lang währenden pflichtbewussten Familiengemeinschaft eben diese Rechts6

Beachtenswert ist, dass es bei Kant ein Familienrecht (ein Ehe- und Elternrecht) nur im privatrechtlichen Bereich gibt. Hingegen ist für die standesmäßige, also auch für die Familienmoral innerhalb der Systematik der Tugendlehre ein Ort durchaus vorgesehen. Der Staat hat in Kants Staatrecht kein Augenmerk auf die Angelegenheiten der Familie, wohl deshalb nicht, weil er keine Souveränität auf diesem Felde hat.

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bedingung des menschenwürdigen Genusses7 und „nach Rechtsgesetzen der reinen Vernunft notwendig“ ist (278). Nur eins stimmt aber nicht: dies Verhältnis ist nach Kant selbst nicht vertraglich, sondern gesetzlich begründet, und dessen eigentliches Rechtssubjekt ist bei Kant selbst weder die rechtliche Einzelperson noch die verhandelnde Willkür der Einzelnen. Es ist vielmehr die häusliche Gemeinschaft als moralische Person der Familie. Kant redet zwar einmal vom Staat als moralischer Person (343), nicht aber von untergeordneten moralischen Personen, ausgenommen die des Gerichts. Andererseits verfällt er immer wieder, den Leser verwirrend, auf den Gedanken des rechtsgründenden Ehevertrages. Aber im Gefüge seiner Metaphysik der Sitten ist dieser Gedanke der (als Besitzsubjekt) rechtsfähigen moralischen Person der häuslichen Gemeinschaft als ein weiterführender Denkansatz zum ganzheitlich-personalistischen und Gemeinschaftsbild in meiner Sicht durchaus des Nachdenkens wert. Dieser Denkansatz ermöglicht es der ethisch bewussten Rechtsphilosophie, die in der Tat gefährliche Verdinglichung des anderen und/oder des eigenen Selbst um des Genusses willen nicht durch ein Leben lang dauernde Wechselseitigkeit eines bloßrechtlichen, ja kontraktualen Verhältnisses zu verewigen. Er ermöglicht es, im Gegensatz zum abstrakten Moralismus oder Juridismus einiger Theoretiker, aber auch, den Genuss nicht von Rechts wegen oder der hochfliegenden Tugendgesinnung willen nicht zu verbieten, oder die Rechtsvollstreckung in scheinbar frommen oder tugendhaften Absichten nicht philosophisch verdächtig erscheinen zu lassen. Kurz formuliert: Der Philosoph Kant steht auch in seinem Alterswerk einer Metaphysik der Sitten, auch in seinen Selbstwidersprüchen, der ganzheitlichen Anthropologie näher als mancher formell schulgerechte Kantianer aus späterer Zeit.

7 Es handelt sich freilich dabei um den Genuss (Gebrauch) des Anderen als einer Person, – also nicht um einen karnalen, sondern um einen personalen, menschlich-vernünftigen Genuss der ganzen Persönlichkeit des Anderen. Laut Kants Definition des Familienrechtes selbst ist also die Realisierung des Eheverhältnisses nicht die „eheliche Beiwohnung“, sondern die persönliche Lebensgemeinschaft innerhalb des Ganzen der häuslichen Gemeinschaft. Letzteres ist ja nach Kant ein personales Ganze von Gliedern, also wohl nicht nur „ein Fleisch“, sondern auch gewissermaßen eine Person.

Die Tugendlehre im System der praktischen Philosophie Kants Werner Euler Ich werde versuchen, mich Kants Tugendlehre (TL) von seinem in der KrV von 1781 entworfenen, in der Folgezeit gelegentlich modifizierten Begriff von Philosophie aus anzunähern.1 Ich spanne also zunächst einen weiten Rahmen auf, den ich anschließend mit Hilfe der von Kant aufgestellten Systemanforderungen schrittweise verengen und konkretisieren werde. In einem längeren ersten Abschnitt spreche ich deshalb zunächst über Kants Ansicht von einem kritisch bereinigten System der Philosophie und über Systeme innerhalb (und ausserhalb) desselben; zweitens über das System der praktischen Philosophie, drittens über das System der Metaphysik der Sitten (MS); viertens über das System der TL, problematisch genommen. Das Merkmal der Systematizität soll auf diese Weise dazu verhelfen, die TL formal und inhaltlich in ihrem Aufbau zu verstehen und in Kants System der praktischen Philosophie einzuordnen und begreifbar zu machen, welche Idee von einer Wissenschaft der Ethik Kant vorschwebte. Im Laufe dieser Untersuchung werden sich Schwierigkeiten auftun, die darauf hindeuten, dass die TL bzw. die „Ethik“ (möglicherweise) kein eindeutiges und abgeschlossenes System ergibt, sondern sich in bestimmter Weise und aus notwendigen Gründen als unabgeschlossen erweist. Ferner ist bei dem Verfahren der Annäherung zu beachten, dass die Einteilungen gemäß der Natur ihrer jeweils übergeordneten Prinzipien unterschiedliche Bestimmungsgrade aufweisen. I. System der Philosophie und Systeme in Kants Philosophie In der Kritik der Urteilskraft unterscheidet Kant zwischen der Philosophie in einem engeren und in einem weiteren Sinne. Der enger gefasste Begriff von Philo-

1 Kants Werke zitiere ich nach den von der königlich preußischen bzw. Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften hrsg. Gesammelten Schriften, unter Angabe der Band-, Seiten- und Zeilenzahl. Die Kritik der reinen Vernunft zitiere ich in der üblichen Weise mit den Seitenzahlen der beiden Originalauflagen als A bzw. B. Innerhalb des Textes verwende ich folgende Abkürzungen: KrV (Kritik der reinen Vernunft), KpV (Kritik der praktischen Vernunft), KU (Kritik der Urteilskraft); EE (Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft); Prol. (Prolegomena); MAN (Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft); MS (Metaphysik der Sitten); RL (Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre); TL (Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre).

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sophie bezieht sich auf das, was er gelegentlich das „reale System der Philosophie“2 oder auch das „doktrinale System“3 nennt. Mit Rücksicht auf dieses System wird dann das Problem seiner Einteilung untersucht.4 Das Problem besteht nicht bloß in der Frage, in welche und in wie viele Teile sich die Realphilosophie gliedert und ob und inwiefern ein „Übergang“ vom einen zum anderen angenommen werden muss; das eigentliche Problem ist vielmehr ein Begründungsproblem. Es besteht in der Frage, welches der sachliche Grund dafür ist, dass bestimmte Teile zueinander und zu einem gemeinsamen Ganzen notwendig so in Beziehung stehen, dass der Verlust oder der Verzicht eines Teils auch das Dasein aller übrigen und der übergeordneten Einheit des Ganzen in Frage stellt. Die Einengung des Philosophiebegriffs erfolgt (neben der Ausblendung der „Logik“) durch die Abgrenzung von der „Kritik der reinen Vernunft“5, womit nicht der Titel der Schrift von 1781/87 gemeint ist, sondern das in den drei Kritiken ausgeführte Gesamtprogramm einer Kritik der Erkenntnisvermögen. Dem gemäß ist Philosophie (in engerer Bedeutung) „das System der Vernunfterkenntnis durch Begriffe“.6 Diese Erklärung bleibt allerdings unverständlich, solange nicht geklärt wird, was Kant unter einem solchen System versteht. Der Systembegriff wird von Kant in allgemeiner Bedeutung an mehreren Stellen seiner kritischen Hauptschriften und in verschiedenen Kontexten verwendet.7 Er bezieht sich also nicht nur auf das Gesamtbauwerk der Philosophie, sondern auch auf viele sich darin verteilende Nebengebäude und Vorhöfe. Beispielsweise handelt die KrV von einem Kategoriensystem8 und einem „System aller Grundsätze des reinen Verstandes“ (KrV, B 187 – 294 / A 148 – 235), von einem „System der Wissenschaft“ (KrV, B XXII), einem solchen der „Metaphysik“9 bzw. besonderen Teilen derselben, wie der „Rechtslehre“,10 der „Transzendentalphilosophie“ (KrV, B 25 / A 12), einem

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Kritik der Urteilskraft, Erste Einleitung (EE), I. Abschnitt, 3. Abs. (20:195.15). KU, EE XI, 14. Abs. (20:246.29 – 30). 4 Ganz besonders hinzuweisen ist auf Kants Anstrengungen in dieser Richtung im vorletzten Abschnitt (XI.) der EE. 5 EE I, 1. Abs. (20:195.5). 6 EE I, 1. Abs. (20:195.4 – 6). 7 Zu den Schwierigkeiten einer sorgfältigen Ermittlung der Eindeutigkeit in Kants Systembegriff vgl. Höffe, Architektonik und Geschichte (1998), 617 – 645; Baum, Systemform (2001), 25 – 40; König, Selbsterkenntnis der Vernunft (2001), 41 – 52; Zöller, Die Seele des Systems (2001), 53 – 72. 8 KrV, B 89 / A 64 f., B 92 / A 67, B 106 / A 80 f.; Prol., § 39, Anhang zur reinen Naturwissenschaft (4:322 – 326). Das „System der Kategorien” verdient besondere Beachtung, da es nach Kant jede metaphysische Behandlung eines Gegenstandes der reinen Vernunft zum System führt (vgl. Prol., § 39 (4:325), vgl. Baum, Systemform (2001), 34 – 41; vgl. Dörflinger, Leben theoretischer Vernunft (2000), 150 – 183). 9 KrV, B XXIII; KU, Vorrede VI (5:168.30 f.). 10 MS, Vorrede, 6:205. 3

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„System der reinen Vernunft“ (KrV, B 25 / A 12, B 869 / A 841). In der dritten Kritik stoßen wir auf eine Reihe ähnlicher Bezeichnungen, auffallend häufig in der EE. Die reichhaltigste Quelle, aus der Theorieelemente geschöpft werden können, um den vorausgesetzten Begriff von Philosophie zu bestimmen, ist aber das Dritte Hauptstück der „transzendentalen Methodenlehre“ der KrV (unter dem Titel: „Die Architektonik der reinen Vernunft“) (KrV, B 860 ff. / A 832 ff.). Diesem Textabschnitt möchte ich die folgenden Hinweise entnehmen.11 Kant versucht im Architektonik-Kapitel, den Begriff der Philosophie genau zu fassen, auf die Systemidee zu beziehen und eine Einteilung vorzunehmen. Die Überlegungen in diesem Kapitel können insbesondere deshalb für die Interpretation und Einordnung der Tugendlehre von Nutzen sein, weil in deren Einleitung (besonders am Ende) zur Lösung des Einteilungsproblems explizit und implizit vom Gedanken der Architektonik und des Systems Gebrauch gemacht wird. Die Vergleichbarkeit mit der Architektonik in der KrV hat jedoch dort ihre Grenze, wo das Verhältnis zwischen Kritik und Realphilosophie (Metaphysik) bedacht werden muss. Die erste wesentliche Bestimmung, die zur Erklärung der Bedeutung des Philosophiebegriffs beitragen könnte, ergibt sich aus dem, was „Vernunfterkenntnis“ „aus Begriffen“ genannt wird.12 Denn diese wird als philosophische ausgewiesen, eben weil sie „aus Begriffen“ erfolgt und darin von der „mathematischen“, die „aus der Konstruktion der Begriffe“ gewonnen wird, zu unterscheiden ist.13 Die positive Bestimmung der philosophischen Vernunfterkenntnis lässt sich nur herausfinden, wenn man den Text im ersten Hauptstück der Methodenlehre der KrV (ab B 745 / A 717) ein Stück weit verfolgt. Sie ist demnach als synthetisches Urteilen a priori zu verstehen und hat „transzendentale“ Sätze zum Ergebnis (B 748 / A 720). Ein „transzendentaler“ Satz ist „ein synthetisches Vernunfterkenntnis nach bloßen Begriffen“ (B 750 / A 722). Im Unterschied nämlich zur mathematischen Vernunfterkenntnis kann die philosophische (im Gebrauch transzendentaler Begriffe) nicht aus dem Begriff a priori, über den sie synthetisch urteilen soll, zur Anschauung „hinausgehen“ (B 749 f. / A 721 f.) und daher auch nichts bestimmen („kein[en] bestimmende[n] synthetische[n] Satz hervorbringen“). Sie bezieht sich aber innerhalb des Begriffs auf das, was auf der Begriffsseite dem Wahrnehmungs- oder Anschauungsgegenstand korrespondiert: auf den Begriff des „Dinges überhaupt“ (B 748 / A 720). Die Vernunfterkenntnis aus Begriffen kann, obwohl sie nicht bestimmt ist, z. B. prüfen, inwiefern allem, was ist (dem Etwas überhaupt) transzendentale Bestimmungen zukommen; wie z. B. „ob und wiefern es ein Quantum ist oder nicht“ (B 752 / A 724).

11 Zur genaueren Analyse vgl. vom Vf.: Kants Philosophiebegriff in der „Architektonik der reinen Vernunft“ (KrV, B 865 – 879 / A 837 – 851) (erscheint demnächst in den Akten des XI. Internationalen Kant-Kongresses). 12 KrV, B 865 / A 837; vgl. EE I, 2. Abs. (20:195.13 – 14). 13 KrV, ebd.; vgl. auch die Begriffskonstruktion in bezug auf den Begriff des Rechts, in: MS, 6:233.

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Die zweite dem Architektonik-Kapitel der KrV zu entnehmende Bestimmung, die für die Auslegung des von Kant verwendeten Philosophiebegriffs relevant sein dürfte, resultiert aus der Unterscheidung zwischen „historischer“ und „rationaler“ Erkenntnis (KrV, B 863 f. / A 835 f.).14 Es geht bei der historischen Erkenntnis allein um den rezipierenden Erwerb überlieferter Wissensinhalte, also um Kenntnisse, die keine eigene kritische Beurteilung voraussetzen. Rationale Erkenntnis „aus Vernunft“ muss demgegenüber produktiven Charakter haben, d. h. „erzeugend“ sein und nicht bloß nachahmend. Der Erzeuger ist der mit Vernunftbegriffen operierende Philosoph. Dieser subjektive Aspekt der Philosophie als das sie „erzeugende“ Philosophieren ist nun aber laut Kant – wenn die Philosophie zum System von Erkenntnis gebildet werden soll – notwendig damit verbunden, sie auch „objektiv“ zu machen, indem sie als „Urbild der Beurteilung aller Versuche zu philosophieren“ gefasst wird (B 866 / A 838). Jedes subjektive Philosophieren hat sich an diesem Muster zu orientieren. Die Philosophie hat auf diese Weise keine fertige Gestalt; sie ist „eine bloße Idee von einer möglichen Wissenschaft, die nirgend in concreto gegeben ist […]“ (ebd.). Philosophieren bedeutet dann, diese ursprünglich nur allgemein und abstrakt vorhandene Idee auszuführen mit dem Ziel, das Resultat mit dem „Urbild“ in Übereinstimmung zu bringen und ihr dadurch Objektivität zu verleihen. Kants Ausführungen machen somit deutlich, dass der von ihm gebrauchte Begriff von Philosophie notwendig den subjektiven und den objektiven Aspekt, das Erzeugen und Bilden ebenso wie das Voraussetzen einer vorgefassten Idee, enthalten muss. Bezogen auf den von Kant verwendeten Begriff von Philosophie bedeutet dies, dass dieser zunächst in seiner abstrakten Unbestimmtheit gesetzt werden muss, eben weil die konkreten Bestimmungen aus den Inhalten resultieren, die das, was als das „reale System der Philosophie“ bezeichnet wird, erst zu entwickeln hat. Was lässt sich nun über das „Urbild“ oder die Vernunftidee, von der das Philosophieren ausgeht, Bestimmtes sagen? Eine Antwort darauf möchte ich in den beiden folgenden Bestimmungen des Philosophiebegriffs geben, die ich wiederum dem Architektonik-Kapitel der KrV entnehme. Der dritte und wohl wichtigste Aspekt für die Bestimmung des Philosophiebegriffs, den Kant verwendet (z. B. am Anfang der EE), ist der der Wissenschaftlichkeit, der Systematik, des Organismus in Hinsicht auf Erkenntnis. Dieser Gedanke nimmt in dem im Architektonik-Kapitel gegebenen Systementwurf die erste Stelle ein, insofern er von wissenschaftlichem Rang ist.15 Wissenschaftliche Erkenntnis (zu der die Philosophie paradigmatisch gehört) ist folglich an Bedingungen gebunden: Sie muss erstens eine „systematische Einheit“ 14

Vgl. MAN, Vorrede (4:468). In der Vorrede zu den MAN heißt es: „Eine jede Lehre, wenn sie ein System, d. i. ein nach Prinzipien geordnetes Ganze der Erkenntniß, sein soll, heißt Wissenschaft.“ (4:467.18 – 19) 15

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aufweisen, die sie von einer bloßen, ungeordneten Wissensakkumulation in einem bestimmten Sinne in ein System versetzt (B 860 / A 832). Zweitens beruht die systematische Einheit auf einer Vernunftidee im objektiven Sinne (die jener oben angeführten „Urbild“-Funktion gleichkommt), die nicht mit der subjektiven Vorstellung und Absicht eines Wissenschaftlers zusammenfällt und für die gelten muss, dass sie die begriffliche „Form eines Ganzen“ (um die Form des Ganzen wird es auch in der letzten der unten besprochenen Systemskizzen der TL gehen) und den „Zweck“ beinhalten muss: „Ich verstehe aber unter einem System die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee. […] Der szientifische Vernunftbegriff enthält also den Zweck und die Form des Ganzen, das mit demselben kongruiert.“ (KrV, B 860 / A 832)

Der Vernunftbegriff erweist sich also dadurch als wissenschaftstauglich, dass er einen bestimmten Zweck und die Form der Einheit aufweist, die jenem Zweck entspricht. Die Form regelt die Beziehungen der Teile des Ganzen untereinander, der Zweck bezieht sie auf die Einheit dieses Ganzen, so dass durch die Idee als Zweck der „Umfang des Mannigfaltigen“ (und damit die Grenzen des Systems) sowie „die Stelle der Teile untereinander“ a priori bestimmt werden. Auf diese Weise soll jeder Teil nicht bloß zufällig, sondern notwendig zu dem Ganzen gehören, innerhalb dessen er durch seine bestimmte Stelle nicht bloß Teil, sondern „Glied“ ist (KrV, B 861 / A 833). Kant gebraucht den Ausdruck des Organischen hier nicht. Aber die Systemstruktur des Wissens als eines in sich zweckmäßig gegliederten Ganzen weist auf die Bestimmung des „organisierten Wesens“ in § 65 der KU voraus. Die Ordnung der Teile wird zudem mit biologischen Begriffen umschrieben, die der zeitgenössischen Evolutionstheorie (Theorie der Präformation) entnommen zu sein scheinen.16 So ist von der Idee als einem „Keim“ in der Vernunft die Rede, in dem die Teile vollständig, aber mikroskopisch verkleinert „eingewickelt“ und verborgen seien. Aus diesem „ursprünglichen Keim“ entwickelt sich der wissenschaftliche Gliederbau, indem sich die Vernunft „auswickelt“ (B 862 f. / A 834 f.).17 Wir werden sehen, dass dieser Aspekt der Evolution einer moralischen Anlage im Menschen, die der Entwicklung einer allgemeinen Idee korrespondiert, auch in Kants Ethik eine Rolle spielt. Der organische Zusammenhang der Teile, der sie zu funktionierenden Gliedern eines Ganzen macht, ergibt sich wesentlich daraus, dass die Idee als Zeck, und zwar als ein einziger, bestimmter, „innerer“ und „oberster“ Zweck („Hauptzweck“ der Vernunft) zu verstehen ist, also als ein Zweck, der von der Vernunft durch ihre Tätigkeit a priori gesetzt wird, somit nicht als ein beliebiger, zufälliger, Veränderun16

Vgl. dazu Tonelli, Kant’s Critique (1994), 249; Dörflinger, Leben theoretischer Vernunft (2000), 7 – 26. 17 Deutlicher wird der Organismus-Aspekt bei Kant in der Vorrede zur zweiten Auflage der KrV (B XXIII), wo er aber nicht direkt auf die Philosophie oder das „System der Metaphysik“ bezogen wird. Vgl. KrV, B XXXVII f.: die reine Vernunft als organischer Gliederbau; vgl. Baum, Systemform (2001), 32.

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gen unterworfener Zweck. Die Zweckgerichtetheit der Teile macht sie zu Gliedern eines Systemganzen und ist umgekehrt Voraussetzung der „Einteilung des Ganzen in Glieder“, die der Idee gemäß sein soll. Aus einer solchen systematischen Einheit soll dann die Wissenschaft „entspringen“ können (B 861 f. / A 833 f.).18 Der Begriff von Philosophie als eine „bloße Idee von einer möglichen Wissenschaft“ ist so unbestimmt wie diese Idee selbst. Da aber das philosophische System der Erkenntnis an einen Zweck gebunden sein soll, bestimmt Kant diese Idee in der KrV ab B 866 / A 833 schrittweise durch die Konkretisierung des Zweckbegriffs: Zunächst hat das gesuchte System nur (d. h. nach dem „Schulbegriff“ von Philosophie) die „systematische Einheit“ des Wissens als solche, bzw. die „logische Vollkommenheit der Erkenntnis“ zum Zweck.19 Kant behauptet aber darüber hinaus, dass der „Benennung“ der Philosophie als eines Systems (bzw. des Philosophen) nicht nur ein „Schulbegriff“, sondern auch ein „Weltbegriff“ zugrunde liege (B 866 / A 838), der das betreffen soll, was notwendig im Interesse jedes Menschen liege (B 867 / A 839, Fn.). Philosophie ist insofern „die Wissenschaft von der Beziehung aller Erkenntnis auf die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft (teleologia rationis humanae)“ (B 867 / A 839). Die Vernunft ist in Hinsicht auf diese Zwecke gesetzgebend. In diesem Zweckverband muss es einen einzigen höchsten Zeck geben, der erst die systematische Vernunfteinheit zur Vollkommenheit bringt und dem alle anderen Zwecke als dessen Mittel untergeordnet sind. Das ist der „Endzweck“. Dieser wird nun inhaltlich determiniert als „die ganze Bestimmung des Menschen“. Die Philosophie, die sich damit befasst, ist die „Moral“. Somit wäre der höchste Zweck ein moralischer Zweck, und die Moral hätte auch über die systematische Vollständigkeit der Philosophie als Vernunftwissenschaft zu entscheiden (B 868 / A 840). Der zuletzt angeführte Systemanspruch in bezug auf Kants Begriff von Philosophie ist in der „Methodenlehre“ am Ende der KU als Grundriss eines Systems der Zwecke zu erkennen, an dessen Spitze der Mensch in seiner moralischen Qualität als „Endzweck“ der Schöpfung steht (KU, §§ 82 – 84, 86). 18 In der Vorrede zur KpV charakterisiert Kant die Bestimmung von Seelenvermögen auf die Weise, die er „philosophisch und architektonisch“ nennt, durch das Erfordernis, „die Idee des Ganzen richtig zu fassen und derselben alle jene Theile in ihrer wechselseitigen Beziehung auf einander vermittelst der Ableitung derselben von dem Begriffe jenes Ganzen in einem reinen Vernunftvermögen ins Auge zu fassen. Diese Prüfung und Gewährleistung ist nur durch die innigste Bekanntschaft mit dem System möglich […]“ (KpV, 5:10.8 – 14). Auf diese Weise hat systematische Erkenntnis eine quasi kreisförmige Verlaufsform, deren Ende „eine synthetische Wiederkehr zu demjenigen ist, was vorher analytisch gegeben worden“ (ebd., 5:10.17 – 18; vgl. Fortschritte, 20:300). Ist diese Bewegung des Erkennens am Ziel, kann von der Vollkommenheit von Erkenntnis gesprochen werden. Denn erst eine systematische Einheit, die vollständig entwickelt ist, ist der Idee des Ganzen angemessen und damit vollkommen. 19 Vollkommenheit im Sinne einer „vollständige[n] zweckmäßige[n] Einheit“: „Die größte systematische, folglich auch die zweckmäßige Einheit ist die Schule und selbst die Grundlage der Möglichkeit des größten Gebrauchs der Menschenvernunft“ (KrV, B 722, A 694). Vgl. die vorhergehende Fn. (18).

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Wenn nun Philosophie als die „Gesetzgebung der menschlichen Vernunft“ verstanden werden kann (B 868), so drückt sie sich hinsichtlich ihrer beiden Gegenstände – Natur und Freiheit – in Form des Naturgesetzes und des Sittengesetzes aus. Diese sollen dann in zwei besondere philosophische Systeme (unter den Titeln „Metaphysik der Natur“ und „Metaphysik der Sitten“)20 gehören und am Anfang der Ausführung der Idee des philosophischen Systems stehen, am Ende aber wieder „in einem einzigen philosophischen System“ vereint werden.21 Die „Metaphysik der Sitten“ soll nach diesem Entwurf diejenigen Prinzipien enthalten, „welche das Tun und Lassen a priori bestimmen und notwendig machen“ (B 869 / A 841).22 Sie ist „eigentlich die reine Moral“, weil und insofern „Moralität“ „die einzige Gesetzmäßigkeit der Handlungen, die völlig a priori aus Prinzipien abgeleitet werden kann“, bedeutet. Deshalb kann ihr auch „keine Anthropologie (keine empirische Bedingung) zum Grunde gelegt“ werden (ebd.). Der Gebrauch des Namens einer Metaphysik auch für die Sittenlehre wird damit gerechtfertigt, dass „reine Sittenlehre doch gleichwohl zu dem besonderen Stamme menschlicher und zwar philosophischer Erkenntnis aus reiner Vernunft gehört“ (B 870 / A 842). An der Ausschließung einer empirischen Anthropologie aus dem Begründungszusammenhang der „Metaphysik der Sitten“ wird Kant auch in der späteren Schrift von 1797 festhalten. Es fehlt in der KrV aber noch der Hinweis darauf, dass eine solche Anthropologie notwendig zur Anwendung und Realisation einer Ethik gehören müsse.23 Ebensowenig findet sich ein Ausblick auf eine noch zu konzipierende KpV als notwendiger erkenntniskritischer Propädeutik für die Ausführung einer Moralmetaphysik. Wir halten also fest: Bereits in der KrV wird die Zweckidee der reinen Vernunft mit der Gesetzgebung der eigenen Vernunft verbunden, und diese ursprüngliche Einheit ist zugleich der Grund der analytischen Einteilung der Philosophie in eine „Metaphysik der Natur“ und eine „Metaphysik der Sitten“ (die Betrachtung des Verhältnisses von Philosophie überhaupt und „Metaphysik“ übergehe ich hier)24. Eine solche Zielvorstellung von der Abgeschlossenheit eines Systems philosophischer Erkenntnis entspricht Kants Idee von einer Architektonik der reinen Vernunft, die die Erwartung nährt, „es dereinst bis zur Einsicht der Einheit des ganzen reinen Vernunftvermögens (des theoretischen sowohl als praktischen) bringen und alles aus einem Princip ableiten zu können“ (KpV, 5:91.2 – 5). Dieses Bestreben entspringt einem „Bedürfnis der menschlichen Vernunft“, das erst dann erfüllt ist, wenn ihre Erkenntnisse zu einer „vollständig systematischen Einheit“ gelangt sind (5:91.5 – 7). 20

Vgl. KrV, B 869 / A 841). KrV, B 868 / A 840; vgl. MS, Vorrede, 6:205. 22 Kants Gebrauch dieses Titels ist tatsächlich älter und variiert in der Bedeutung; vgl. dazu Allen Wood, The Final Form (2002), p. 1 – 5. 23 Zur Entstehung und zur Funktion einer „praktischen Anthropologie“ bei Kant, vgl. Allen Wood, The Final Form (2002), p. 2. 24 s. dazu vom Vf.: Kants Philosophiebegriff in der „Architektonik der reinen Vernunft“ (KrV, B 865 – 879 / A 837 – 851), 4. und 5. Abschnitt. Vgl. KrV, B 869 / A 841. 21

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Der Systemgedanke mit den drei vorgestellten wesentlichen Implikationen, insbesondere der einer allgemeinen Zweckidee, die sich aus sich selbst heraus entwickeln und konkretisieren soll, lässt sich bis in Kants Tugendlehre hinein verfolgen. Von dem Ausdruck Architektonik macht Kant auch im XIII. Einleitungsabschnitt der TL Gebrauch (6:412.14), wenn er von der Einteilung spricht, „welche die praktische Vernunft zu Gründung eines Systems ihrer Begriffe in einer Ethik entwirft“ und diese Einteilung „die architektonische“ nennt (vgl. auch 6:242.9). Zu beachten ist hierbei aber folgendes: Auf der Grundlage der KrV ist die architektonische Idee der Philosophie eine regulative Idee, in der KU eine bloß reflektierende, in beiden also keine Idee einer bestimmten Erkenntnis. Als praktische Idee aber liefert sie Erkenntnis und ist bestimmend. Daraus folgt aber nicht, dass die im Architektonik-Kapitel der KrV entwickelten Kriterien für Systematizität in der MS keine Gültigkeit mehr hätten – im Gegenteil: Die hier vorgenommenen Einteilungen unter begriffsinhaltlichen Gesichtspunkten sind zugleich Umwandlungen (Ausgestaltungen) der regulativen Idee eines Systems der Philosophie zu konkreten praktischen Ideen, die willensabhängig und handlungsbestimmend sind. Sie sind nicht bloß regulativ und reflektierend, sondern produzierend und determinierend. Die Idee wird abhängig von Begriffsinhalten und produziert neue Begriffsinhalte. Es geht bei ihnen auch um Erkenntnis in Form des Bestimmens von Begriffen (z. B. der Pflicht). Man könnte daher sagen: In der praktischen Philosophie kommt die Philosophie (ihrem Begriff nach) zu sich selbst, sie erfüllt ihren Begriff als Verbindung der Zweckidee mit der Gesetzgebung aus eigener Vernunft. II. Was heißt „Einteilung“? Begriffliche Einteilungen sind nicht bloß Beiwerk zur leichteren Übersicht von Textanordnungen, sondern betreffen den inneren begrifflichen Aufbau einer Abhandlung selbst. Wie wichtig für Kant die Einteilung eines Begriffes für die Bildung eines philosophischen Systems und überhaupt für das Problem begrifflichen, wissenschaftlichen Erkennens ist, geht schon aus der augenscheinlich gesicherten Tatsache hervor, dass in der gesamten Metaphysik der Sitten eine Vielzahl von Einteilungen, teils in Tafeln, teils in ausformulierten Sätzen an zentralen Stellen vorkommt.25 Auf die Bedeutung von Begriffseinteilungen weist eine Reflexion hin, die sich in einer Fußnote zur Überschrift des dritten Abschnittes der Einleitung in die MS befindet. Kant redet hier davon, dass die „Deduction der Eintheilung eines Systems“ eine der Bedingungen für den Systemaufbau sei, die „am schwersten zu erfüllen“ sei. Unter „Deduction“ versteht er an dieser Stelle einen Beweis, in welchem die Vollständigkeit und die Stetigkeit der Einteilung nachzuweisen sei, wobei Stetigkeit bedeuten soll, dass sich beim „Übergang“ vom einzuteilenden Begriff zu den Gliedern der Einteilung durchgängig (d. h. durch alle Subdivisionen hindurch) kein „Sprung“ zeige. M.a.W., die Beziehung der Begriffe zu den verschiedenen Begriffsebenen dürfe 25 U.a. an den folgenden Stellen: 6:210, 6:218 – 219, 6:236 – 237, 6:239; 6:240 – 242; 6:398, 6:410 – 413, 6:448, 6:452; 6:492 – 493. Zur Bedeutung einer nach Prinzipien abgefassten Einteilung in Form einer Tafel vgl. KpV, 5:67.12 – 14, 20 – 23.

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keine Fehler und Lücken enthalten (so dass gewährleistet ist, dass die Einteilung jederzeit mittels eines Gliedes innerhalb einer Kette von Begriffen zum nächsten Zwischenglied fortschreiten kann), und sie müsse somit eine notwendige sein. Offenbar besteht die erste Schwierigkeit bereits darin, angemessen zu erkennen, welches überhaupt „der oberste eingetheilte Begriff“ einer Einteilung sein muss, um ihn nicht mit einem Glied der Einteilung zu verwechseln.26 Eine Richtlinie zum Verständnis der systembildenden Funktion begrifflicher Einteilung bietet auch die folgende Erklärung aus der EE in die KU: „Die Einteilung eines Umfanges von Erkenntnissen gewisser Art, um ihn als System vorstellig zu machen, hat ihre nicht gnug eingesehene Wichtigkeit, aber auch ihre ebenso oft verkannte Schwierigkeit. Wenn man die Teile zu einem solchen möglichen Ganzen schon als vollständig gegeben ansieht, so geschieht die Einteilung mechanisch, zufolge einer bloßen Vergleichung, und das Ganze wird Aggregat […]. Kann und soll man aber die Idee von einem Ganzen nach einem gewissen Prinzip vor der Bestimmung der Teile voraussetzen, so muß die Einteilung szientifisch geschehen, und nur auf diese Art wird das Ganze ein System.“27

Geht es um eine Begriffseinteilung, so betrifft sie anscheinend (zunächst) nur dessen Extension. Aber unter diesem Gesichtspunkt lässt sich lediglich eine mechanische Einteilung vornehmen, also eine Zusammenfassung bereits gegebener Teile durch den Vergleich von Ähnlichkeitsmerkmalen. Dies ist jedoch nicht die Einteilungsart, auf die es Kant eigentlich ankommt. Diejenige, die er „szientifisch“ nennt, geht umgekehrt vor: Von einem gegebenen Ganzen (als Idee) aus müssen die Teile, die dazu gehören sollen, erst erschlossen werden. Diese Teile sicher zu ermitteln und zu bestimmen, so dass sich aus ihrem inhaltlichen Zusammenhang ein „System“ ergibt, das macht die „Schwierigkeit“ aus, auf die Kant in der zitierten Fußnote hinweist.28 Bemerkenswert ist also an dieser Äußerung für uns die Hervorhebung der Bedeutung der Einteilungsart, die Kant „szientifisch“ nennt, für die Systembildung eines bestimmten Wissensbereiches, sei er theoretischer oder praktischer Natur, und die Abhängigkeit einer solchen systemischen Einteilung von der Idee eines Ganzen, die einem Prinzip folgt und der Bestimmung der Teile vorhergeht. Auf diese Bedeutung werde ich bei der Ausführung der folgenden Abschnitte noch zurückkommen. Es sollte an dieser Stelle nicht versäumt werden, darauf hinzuweisen, dass Kant auf der Grundlage seiner Logik-Vorlesungen mindestens zwei Arten des Einteilens wissenschaftlicher Begriffe unterscheidet; die eine bezeichnet er als „logische Ein26 Darauf deutet das Beispiel der Einteilung in Recht und Unrecht hin, das Kant in der zitierten Fußnote nennt (6:218.30 – 36). Vgl. auch die Einteilung des Naturrechts (6:242.12 – 19). 27 KU, EE XII, 1. Abs. (20:247). 28 Streng genommen bezieht sich diese Forderung weder auf theoretische noch auf praktische Erkenntnis bestimmend, weil die Idee (auf der Grundlage der KU) nur reflektierend gebraucht wird.

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teilung“, die andere als „analytische Einteilung“. Sie unterscheiden sich – verkürzt gesagt – darin, dass die Glieder der logischen Einteilung in einem kontradiktorischen Gegensatzverhältnis zueinander stehen – ihre Einteilung stellt deshalb eine Dichotomie dar – und die Glieder der analytischen Einteilung in einem konträren Verhältnis.29 Kant scheint der Meinung zu sein, dass sich beide Einteilungsarten aufeinander beziehen und deshalb bei der Untersuchung eines wissenschaftlichen Gegenstandes miteinander zu kombinieren sind. Darauf deutet eine Bemerkung hin, die er in seiner Vorlesung über Logik fallen ließ: „alle Eintheilungen“ seien „zum System nöthig, damit eine gewisse Ordnung darin statt finde“.30 Daneben kann eine Einteilung auch durch eine inhaltliche Vorgabe relativiert werden, so dass es für ein und denselben Gegenstand in verschiedener Hinsicht mehrere Einteilungen nebeneinander geben kann.31 Und Kant macht in der TL, in der die meisten Untergliederungen der äußeren Form nach Dichotomien sind, manche aber auch Trichotomien, auch von dieser Möglichkeit Gebrauch.32 Ein solches Verfahren liegt offenbar auch seinem Schema der Gesamteinteilung der Ethik am Ende der Einleitung in die TL (s. Abschnitt XVIII und die beiden Tafeln) zugrunde.33 Zur Frage der Bedeutung begrifflicher Einteilungen für bestimmte philosophische Lehrstücke wie die TL kann eine weitere Vorentscheidung getroffen werden: Kant dürfte sich bloß für die Form des Einteilens interessieren, die er für wissenschaftlich relevant hält. Diese Vorstellung stimmt mit dem überein, was er sonst die Architektonik des Systems nennt.34 Eine „Trichotomie“ ist eine dreigliedrige Einteilung, über die sich Kant u. a. in einer Fußnote zum neunten Abschnitt der Einleitung in die KU, in der er den Begriff der Einteilung in groben Zügen bestimmt, äußert. Mit dieser Bestimmung erweitert und modifiziert er zugleich den in seiner Logik gebrauchten Einteilungsbegriff. Nach seiner Vorstellung handelt es sich hier um eine synthetische Einteilung, die, im Unterschied zur Mathematik, „aus Begriffen a priori“ und nicht aus der Anschauung vorgenommen wird. Kant bezieht sich dabei auf Operationen in der „reinen Philosophie“ (d.i. in der „Transzendentalphilosophie“) (was allerdings das Problem der Übertragbarkeit eines Prinzips der transzendentalen Logik für die theoretische Erkenntnis von Objekten auf Gegenstände der praktischen Vernunft mit sich bringt). Während die in dieser Fußnote „analytisch“ genannte Einteilung „nach dem Satz 29 Davon weicht Kants Reflexion über die Einteilung der Einteilungen in KU, E IX, letzte Fußnote, allerdings ab. Zur Frage logischer Einteilung von Begriffen vgl. Euler, Einheit der Abstammung (2011), 80 – 82. 30 Vgl. Logik Bauch, in: Kant, Logik-Vorlesung I, KF 8, 170. 31 Vgl. Logik Hechsel, in: Kant, Logik-Vorlesung II, KF 9, 421. 32 Das gilt auch für die RL; vgl. 6:357.32 – 358.5. 33 Vgl. 6:413. 34 So spricht Kant in der KrV von einem natürlichen „Interesse“ der Vernunft, welches architektonisch sei: „Die menschliche Vernunft ist ihrer Natur nach architektonisch, d. i. sie betrachtet alle Erkenntnisse als gehörig zu einem möglichen System, und verstattet daher auch nur solche Prinzipien, die eine vorhabende Erkenntnis wenigstens nicht unfähig machen, in irgendeinem System mit anderen zusammen zu stehen“ (KrV, B 502 f. / A 474 f.).

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des Widerspruchs“ erfolgt (und deshalb immer zweigliedrig ist), wird die synthetische gemäß der an eine „synthetische Einheit überhaupt“35 gestellten Forderungen (nach dem Muster eines Syllogismus) in drei aufeinander folgenden Schritten durchgeführt, die im Ergebnis eine sich aus der „Natur der Sache“ ergebende Trichotomie aus folgenden Stücken darstellt „1) Bedingung, 2) ein Bedingtes, 3) der Begriff, der aus der Vereinigung des Bedingten mit seiner Bedingung entspringt“ (5:197.25 – 27).36 Sind diese drei Kriterien erfüllt, so kann die Einteilung als vollständig angesehen werden.37 In der KrV hat Kant nach diesem Muster die dreigliedrige Zusammenstellung der vier Kategorienklassen erklärt.38 Der oben propagierte Szientismus der Einteilung und damit ihre Systemfähigkeit ist nicht von der Frage abhängig, ob die Einteilung zwei- oder dreiteilig ist. Sie hängt aber davon ab, ob die Einteilung gemäß ihrem Prinzip stetig und vollständig ist. Die von Kant in der Einleitung in die TL präsentierten Einteilungsschemata vermitteln den Eindruck, als ob alle in diesem Lehrstück gebrauchten Titel dichotomisch angeordnet seien. Die Untereinteilungen, die nicht als Titel mehr erscheinen, sind jedoch oft dreigliedrig (die Ethische Elementarlehre weist Beispiele dafür auf), und Dichotomien können Teile übergeordneter Trichotomien sein. Zweiteilungen müssen auch nicht immer und ausschließlich durch das Widerspruchsprinzip erfolgen (d. h. nicht notwendig „analytisch“ bzw. „logisch“ sein), indem es z. B. koordinierte Zwischenglieder, Ausnahmen, Übergänge u. ä. gibt. Da das Gesamtgebilde der MS und insbesondere der TL eine Mischform aus zwei- und dreigliedrigen Begriffseinteilungen darstellt, muss von Fall zu Fall untersucht werden, welcher Form der Einteilung ein bestimmtes Glied des Ganzen unterzogen wurde, und an welcher Stelle einer Einteilung der Leser sich gerade befindet. Liegt z. B. bezüglich des Verhältnisses der obersten Prinzipien der Sittenlehre, der Rechtlehre und der Tugendlehre zueinander eine Trichotomie der in der Einleitung in die KU beschriebenen Form vor?39 Man kann die allgemeine Formel des kategorischen Imperativs als Bedingung des allgemeinen Rechtsgesetzes lesen. Aber ist dann auch das oberste Prinzip der TL als „Ver-

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Damit ist die Synthesis nach reinen Verstandesbegriffen gemeint (vgl. KrV, B 104 – 105 / A 78 – 79). 36 Zur Aufhellung dieser dunklen Stelle vgl. die Interpretation von Michael Wolff, Die Vollständigkeit (1995), 163 – 170. 37 Zum Vollständigkeitsnachweis vgl. Michael Wolff, ebd., 168 – 170. 38 s. dazu KrV, B 111 – 113 (§ 11). Wenn dieser Vergleich angebracht ist, dann wäre zu untersuchen, wie die Entstehung des dritten Gliedes aus der Verbindung der beiden anderen aufgefasst werden muss. In KrV, B 111, weist Kant nämlich darauf hin, dass diese Synthese nicht so missverstanden werden dürfe, als mache sie die dritte Kategorie zu „ein[em] bloß abgeleitete[n]“ Verstandesbegriff. Vielmehr bedürfe es zu seiner Herleitung eines “besonderen Aktes des Verstandes“, der sich von den Verstandeshandlungen der ersten und zweiten Kategorie spezifisch unterscheide. Zur Unterscheidung zwischen analytischer und synthetischer Einteilung vgl. Michael Wolff, Die Vollständigkeit (1995),163 – 170, und speziell zur Einteilung der Urteilsformen ebd., 170 – 174. 39 s. dazu Georg Geismann, Kant und kein Ende, Bd. 2 (2010), 36.

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einigung“ beider interpretierbar? Einen Versuch in diese Richtung kann ich aus Platzgründen hier nicht vorführen.40 Einfacher ist es, als einzuteilenden Begriff den der Pflicht (Pflicht überhaupt) zu wählen und dann die von Kant vorgegebenen Kriterien aufzusuchen.41 Näher am Text aber scheint mir die folgende Einteilung zu sein, die übrigens nicht deckungsgleich ist mit der Einteilung der MS in Rechtslehre und Tugendlehre42: Alle Pflichten, für die insgesamt kennzeichnend ist, dass sie als gesetzliche Verbindlichkeit aus einem Akt freier Willkür hervorgehen, teilen sich dichotomisch in Rechtspflichten und Tugendpflichten (in der Unbestimmtheit ethischer Pflichten überhaupt). Merkmal der ersteren ist, dass für sie „eine äußere Gesetzgebung möglich ist“, und Merkmal der zweiten und zugleich Bedingung durch die erste, dass für sie eine solche Gesetzgebung „nicht möglich ist“ (6:239.4 – 7). Die Ausschließung der äußeren Gesetzgebung hat ihren Grund wiederum in dem spezifischen Merkmal der Tugendpflicht, dass ihre Pflicht auf einen Zweck gerichtet ist (6:239.7 – 11).43 Der Zweck ist der Rechtspflicht kontradiktorisch entgegengesetzt. Das zu bildende dritte Glied muss eine Vereinigung des Zwecks (als dem Bedingten) mit einem Merkmal der Rechtspflicht sein, das (als deren Bedingung) der Tugendpflicht widerspricht. Dafür kommt der Zwang (die Nötigung) in Frage, die auch als Verbindlichkeit überhaupt aufgefasst werden kann. So ist also das dritte Glied bestimmt durch die Merkmale gesetzlichen Zwangs und der Zweckbestimmung. Ein solcher Begriff ist der (bestimmte) Begriff der Tugendpflicht selbst. Dasselbe Verfahren könnte auf der anderen Seite der Einteilung auch von der Rechtspflicht ihren Ausgang nehmen. Zu diesen Ausführungen auf der Grundlage des Zitats aus der KU muss noch ein Gedanke hinzugefügt werden, der dort nicht explizit ausgesprochen wird: Es muss ein Prinzip gefunden werden, dass die Glieder der Einteilung unter der Idee eines Ganzen vereinigt. Ein solches Prinzip hat dann gewissermaßen die Funktion eines vereinigenden Bandes, das die sukzessiven Einteilungsoperationen unter einer Idee zusammenhält (die Idee ist nichts anderes als der eingeteilte Begriff). In dem oben gewählten Beispiel dürfte das Prinzip ein praktisches Vernunftprinzip sein, nämlich die Selbsterkenntnis der eigenen Freiheit als Freiheit der Willkür, welches festlegt, dass alle erforderlichen Willensakte vernunftbestimmt sein müssen und dass bei den Einteilungsakten von Begriffen aus praktischer Vernunft diese Linie nie verlassen wird, so dass die Folgen des Einteilens, die Glieder der Einteilung, als Wir40

Vgl. die Skizze von Georg Geismann: Kant und kein Ende, Bd. 2 (2010), 36 f. Ich folge damit versuchsweise dem von Michael Wolff herausgearbeiteten Modell (Wolff, ebd., 168 – 170). 42 Deshalb gibt es im Text noch eine zweite Einteilung der Metaphysik der Sitten unter dem Aspekt der Differenz zwischen rechtlicher und ethischer Gesetzgebung (in Abschnitt III. der Einleitung in die Metaphysik der Sitten, 6:218 – 221). 43 Die Einteilung der Pflichten wird an der betreffenden Textstelle nur bis zu diesem Schritt verfolgt. Es folgt eine weitere Unterteilung nach dem Gesichtspunkt des Unterschiedes zwischen homo noumenon und homo phaenomenon (II) und schließlich (III) die Betrachtung der Seite der Rechtspflichten (vgl. 6:239 – 242). 41

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kungen der Kausalität von Freiheitsakten aufzufassen sind. M.a.W., die Einhaltung des entsprechenden Vernunftprinzips ist der Garant für die von Kant in bezug auf systemrelevante Begriffseinteilungen geforderte Stetigkeit. Da der Zweck ein von ihr selbst erzeugter Gegenstand der freien Willkür ist, wird er nicht bloß äußerlich (durch einen Sprung) mit der Pflicht verbunden. In gewisser Weise bestimmt dabei das Prinzip auch die Art des Einteilens, z. B. in der Hinsicht, ob es sich zufolge des Kausalprinzips um ein mechanisches Ganzes (ein Aggregat) handelt oder um ein teleologisches (ein architektonisches System). III. Das System der praktischen Philosophie In der KU sieht Kant nur eine einzige Möglichkeit, das „reale System der Philosophie“ einzuteilen.44 Das Kriterium der Einteilung sind die wissenschaftlichen Gegenstände dieser Realphilosophie (d. h. die Gegenstände des Denkens45 bzw. der wissenschaftlichen Bearbeitung) und die Prinzipien, die sich auf dieselben beziehen. Da die Einteilung ein Unterscheiden voraussetzt, behauptet Kant, dass sich die realphilosophischen Objekte „ursprünglich“ unterscheiden, und dass dementsprechend auch die wissenschaftlichen Prinzipien „wesentlich“ voneinander verschieden sind (20:196.16 – 17). Die Ursprünglichkeit dieses Unterschiedes soll besagen, dass die Verschiedenheit nicht wieder von noch anderen Bedingungen abhängt, sondern schlechthin durch den Begriff der Philosophie (im realen Sinne) gesetzt ist. Aus dem Text der EE in die KU (und aus anderen Quellen) ist zu erschließen, dass es genau zwei solche Objekte gibt, nämlich Natur und Freiheit. Sie bilden demnach eine vollständige Disjunktion. Aus dieser Unterscheidung resultiert die Einteilung der Realphilosophie in theoretische und praktische Philosophie, die zur Abfassungszeit der KU für Kant schon eine lange Tradition hat.46 Die theoretische Philosophie handelt von der Philosophie der Natur, die praktische von den Sitten. Während zu der ersteren auch empirische Prinzipien gehören, kann die letztere, so behauptet Kant, nur „reine Prinzipien a priori“ enthalten. Im letzten und ausführlichsten Absatz des Haupttextes des ersten Einleitungsabschnittes der KU folgt eine Problemexposition. Das Problem besteht kurz gesagt darin, dass nicht alles Praktische überhaupt (alle Disziplinen, die praktische Sätze enthalten) unter dem Dach der praktischen Philosophie vereint werden kann, sondern nur diejenigen praktischen Sätze, die sich vom Inhalt her von theoretischen unterscheiden, dafür geeignet sind. Kant hält es für angebracht, ein Missverständnis auszuräumen, das der üblichen, von ihm kritisierten Zuordnung von Fächern zur praktischen Philosophie zugrunde liegt. Dieser „Mißverstand“ hat nicht bloß formal betrachtet negative Auswirkungen 44

KU, EE I, 3. Abs. (20:195.15). s. ebd., 2. Abs. 46 Zur Geschichte dieser Einteilung vgl. Höffe, Architektonik (1998), 622 f.

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auf das Verständnis dessen, was praktische Philosophie heißt; sondern er bringt auch Nachteile für die methodische Behandlung („Behandlungsart“) der Wissenschaft mit sich. Die Tatsache, dass bestimmte Fachdisziplinen – Kant nennt u. a. Staatswirtschaft, Vorschriften zur Gesunderhaltung, Diätetik der Seele und des Körpers – gewisse praktische Sätze enthalten, ist kein hinreichender Grund dafür, sie – wie geschehen – der praktischen Philosophie zuzuordnen (EE I, 4. Abs. [20:195.27 – 196.4]). Kant wendet ein: „Allein praktische Sätze sind zwar der Vorstellungsart, darum aber nicht dem Inhalte nach von den theoretischen, welche die Möglichkeit der Dinge und ihre Bestimmungen enthalten, unterschieden, sondern nur die allein, welche die Freiheit unter Gesetzen betrachten“ (EE I, 1. Abs.; 20:196.4 – 7).

Kant meint hier natürlich nur diejenigen praktischen Sätze, aus denen die von ihm vorher aufgezählten Fächer bestehen. Die praktischen Sätze im eigentlichen Sinne, d. h. die, deren Zuordnung zur praktischen Philosophie berechtigt und notwendig ist, weisen sich inhaltlich dadurch aus, dass sie „die Freiheit unter Gesetzen betrachten“. Das können nur die Gesetze der reinen praktischen Vernunft sein, die a priori den Willen bestimmen, d.i. das „moralische Gesetz“ als solches und auch die Gesetze, die aus der rechtlichen und aus der ethischen Gesetzgebung der praktischen Vernunft resultieren und die Freiheit der Willkür, indem sie sie bestimmen, eben auch beschränken. „Die übrigen insgesamt sind nichts weiter, als die Theorie von dem, was zur Natur der Dinge gehört, nur auf die Art, wie sie von uns nach einem Prinzip erzeugt werden können, angewandt, d. i. die Möglichkeit derselben, durch eine willkürliche Handlung (die ebenso wohl zu den Naturursachen gehört), vorgestellt.“ (ebd., 20:196.7 – 12)

„Die übrigen“, das sind eben die Sätze, die nicht die Freiheit zum Gegenstand haben, sondern sich auf Verhältnisse der Natur beziehen. Das ihnen anhaftende Praktische ist ihr Gebrauch, und zwar ein spezieller Gebrauch: Sie sind zwar auch vom menschlichen Willen „nach einem Prinzip erzeugt“ und beruhen somit auf einer Willenshandlung, aber nur insofern, als dieser Wille naturabhängig bzw. –bestimmt ist (Naturgesetzen folgt), nicht insofern er im strengen Sinne frei ist. Später wird Kant solche Sätze zur deutlicheren Unterscheidung „technisch-praktische“ Sätze nennen. Die Grundbestimmung der praktischen Philosophie, sofern sie aus der Einteilung der Philosophie in einen theoretischen und einen praktischen Teil resultiert – dass sie nämlich auf dem Freiheitsbegriff und entsprechenden moralisch-praktischen Prinzipien beruht – hat Kant in der Einleitung in die KU in aller Deutlichkeit dargelegt. Es ist sein Verdienst, diese Klärung als erster vorgenommen zu haben. Die Bedeutung dieser Entdeckung wird dadurch unterstrichen, dass er es in der Einleitung in die MS (Abschnitt II., 7. Abs. [6:217.28 ff.]) für angebracht hält, auf seine Untersuchung in der KU nochmals hinzuweisen und besonders an seine Erklärung zu erinnern, dass das Praktische, das einen eigenständigen Teil der Philosophie für sich beanspruchen soll, nur das „Praktische nach Freiheitsgesetzen“ (6:217.34) betreffen könne. Diejenigen praktischen Sätze hingegen, die Naturgesetze zur Bedingung ihrer Gültigkeit

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haben, sind Folgerungen aus der Theorie der Natur (Anwendungsbereiche bestimmter Naturwissenschaften) und gehören als Kunst in die theoretische, nicht in die praktische Philosophie (z. B. Feldmesskunst, Staatswirtschaft u. a.). Mit dieser „Obereinteilung“ (6:217.28) ist über die Inhaltsbestimmung der praktischen Philosophie noch nicht viel gewonnen. Zu ihrer genaueren Bestimmung bedarf sie ihrerseits erst einer Einteilung, d. h. einer Unterscheidung, die eine nähere Kennzeichnung ihres Gegenstandes ermöglicht. Insofern – so Kant – ein „System der Erkenntnis a priori aus bloßen Begriffen“ als „Metaphysik“ bezeichnet wird – wobei das gemeint ist, was er auch System der realen Philosophie nennt – setze die praktische Philosophie eine Metaphysik der Sitten voraus, mehr noch: sie ,bedürfe‘ sogar einer solchen.47 IV. Das System der Metaphysik der Sitten und seine Prinzipien Wir haben oben (in Abschnitt I.) gesehen, dass Kant den Ausdruck „Metaphysik der Sitten“ in der KrV bereits für die Beschreibung eines Wissenschaftsprojekts benutzt, das die Idee der Philosophie als einer Wissenschaft in der Morallehre zur Vollendung bringen soll (KrV, B 869 / A 841) (s. o. S. 227). In der KU bezieht sich dieser Ausdruck auf ein Hauptglied der Einteilung der Realphilosophie oder Metaphysik (5:170.25 – 27). In der gleichnamigen Schrift von 1797 bezeichnet der Titel „Metaphysik der Sitten“ schließlich ein „System der Erkenntnis a priori“ aus solchen Begriffen, die entweder Gebots- oder Verbotscharakter haben für das Handeln von jedermann und die unmittelbar der praktischen Vernunft entstammen, die sich also nicht auf Beobachtung und Erfahrung stützen (vgl. 6:216.7 ff.).48 Mit dem Terminus „Sittengesetz“ bezeichnet Kant ein praktisches Gesetz, das er sonst auch „moralisches Gesetz“ nennt.49 Angezeigt ist damit zwar der kategorische Imperativ (in seiner allgemeinsten Bedeutung), denn ein solches Gesetz (ein moralisch-praktisches) sei ein „Satz“, der einen kategorischen Imperativ enthalte (6:227.10 f.); diese Erklärung trifft aber nicht immer zu. Unbedingte praktische (moralische) Gesetze gründen sich nämlich auf den positiven Begriff der Freiheit (6:221.19 f.). Das moralische Gesetz ist damit nicht schlechthin identisch mit dem kategorischen Imperativ. Imperativen Charakter nimmt es nur in Hinsicht auf menschliche Wesen an, insofern „deren Willkür sinnlich afficirt und so dem reinen Willen nicht von selbst angemessen, sondern oft widerstreitend ist“ (6:221.20 – 24). Adressat des moralischen Imperativs mit seiner kategorischen Ausdrucksweise ist also der Mensch als vernünftiges Naturwesen, nicht das vernünftige Wesen überhaupt (z. B. kein göttliches Wesen) (6:379.17). Der kategorische Imperativ ist 47

Einleitung in die MS, II, 5. Abs. (6:216.28 ff.). Vgl. auch Kants Gebrauch dieses Titels in der Vorrede zur Grundlegung (4:388 – 391). 49 Vgl. u. a. 5:32.22; 6: 221.19 – 24.

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auch nicht schlechthin identisch mit dem sog. praktischen Grundgesetz der reinen Vernunft überhaupt (obwohl Kant dieses in der KpVauch als „moralische[s] Gesetz“ bezeichnet), das eine weitere Bedeutung hat, an einen größeren Adressatenkreis gerichtet ist und die „Autonomie der reinen praktischen Vernunft“ zum Ausdruck bringt.50 Kategorische Imperative sind nach den Bestimmungen, die sich der MS abgewinnen lassen, unbedingte moralisch-praktische Gesetze unter der Einschränkung, dass sie die sinnlich affizierte Willkür des Menschen betreffen.51 Genaugenommen ist aber der Imperativ noch von einem „praktischen Gesetze“ zu unterscheiden. Demgemäß bezeichnet Kant ihn als eine „praktische Regel“, durch welche „die an sich zufällige Handlung nothwendig gemacht wird“ (6:222.5 f.; vgl. 6:225.12 f.). Kategorischen und unbedingten Charakter erhält der Imperativ erst dadurch, dass er die Handlung nicht vermittelst eines Handlungszweckes, sondern „durch die bloße Vorstellung dieser Handlung selbst (ihrer Form), also unmittelbar, als objectiv-nothwendig denkt und nothwendig macht“ (6:222.15 – 20). In dieser Form sagt der kategorische Imperativ „eine Verbindlichkeit in Ansehung gewisser Handlungen“ aus (wobei „Verbindlichkeit“ die „Nothwendigkeit einer freien Handlung unter einem kategorischen Imperativ der Vernunft“ heißt (6:222.3 – 4)) und ist insofern ein „moralischpraktisches Gesetz“.52 Zu beachten ist, dass der Grund der Möglichkeit des kategorischen Imperativs ausdrücklich in der Freiheit der Willkür liegt (6:222.23 – 26). Halten wir fest: Erstens wird behauptet, der (kategorische) Imperativ unterscheide sich grundlegend von einem praktischen Gesetz, insofern ein solches unberücksichtigt lasse, ob die Notwendigkeit der Handlung „an sich schon dem handelnden Subjecte (etwa einem heiligen Wesen) innerlich nothwendig beiwohne“, oder ob es in bezug auf den Menschen zufällig sei (und also notwendig gemacht werden müsse). Das Merkmal des Machens zur objektiven Notwendigkeit bestimmt den imperativen Charakter der Regel, die kraft ihrer Ausführung zum Gesetz wird (sich dazu qualifiziert). Dadurch wird auch die zweite Behauptung, der kategorische Imperativ sei ein moralisch-praktisches Gesetz, nachvollziehbar. Er ist ein praktisches Gesetz, insofern er die Anweisung enthält, die in ihm enthaltene Regel so umzusetzen, dass ein Gesetz daraus wird. Wie das geschehen kann, wird auch gesagt: Die Vorstellung einer bestimmten Handlung soll „unmittelbar“ als objektiv-notwendig gedacht und (zugleich) notwendig gemacht werden (6:222.18 – 20). Ein bestimmter Denkakt der Vernunft führt also – so ist die Behauptung – mit derselben Notwendigkeit, mit der er ausgeübt wird, die Handlung, die Gegenstand des Denkens ist, herbei. Ein wenig später, aber noch innerhalb desselben Einleitungsabschnittes verdeutlicht Kant, was dieser Denkakt beinhaltet. Er vollzieht sich in zwei Schritten, die in der Formel des kategorischen Imperativs („handle nach einer Maxime, welche zu50 Vgl. u. a. 5:39.5 – 6; 5:43.22 – 25; s.. dazu die überzeugende Untersuchung von Michael Wolff, Faktum der Vernunft (2009), S. 524, 525, 527 u. ö. 51 Einleitung in die MS, IV, 6:221.19 – 24; vgl. KpV, 5:20.21 – 21.11. 52 6:222.35 – 223.1; vgl. 6:222.20 – 22, 6:225.6 – 7.

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gleich als ein allgemeines Gesetz gelten kann!“ (6:225.7 – 8)) auch angelegt sind: Zuerst muss die vom Subjekt vorgestellte Handlung mit der Handlungsmaxime (als derjenigen „Regel des Handelnden, die er sich selbst aus subjectiven Gründen zum Princip macht“ (6:225.2 – 3; vgl. 6:225.34 – 36) und die insofern kein praktisches Gesetz ist) konfrontiert werden (6:225.8 – 9).53 An zweiter Stelle muss durch ein Vernunftexperiment geprüft werden, ob der gewählte subjektive Grundsatz auch für eine allgemeine Gesetzgebung tauglich sei, und erst wenn dies der Fall ist, ist der subjektive Grundsatz auch „objectiv gültig“ und gilt als Gesetz (6:225.9 – 13). Deshalb kann Kant sagen, ein moralisch praktisches Gesetz sei „ein Satz, der einen kategorischen Imperativ (Gebot) enthält“ (6:227.10 – 11). Der sittliche kategorische Imperativ ist zugleich der „oberste Grundsatz der Sittenlehre“ (6:226.1) und sagt als solcher aus: „handle nach einer Maxime, die zugleich als allgemeines Gesetz gelten kann“ (6:226.1 – 2; vgl. 6:225.7 – 8). Eine Maxime kann nur dann zur Moral gehören, wenn sie sich zu diesem Grundsatz „qualificirt“ (6:226.2 – 3). Wie diese Qualifikation zustande kommt, wurde oben bereits zusammenfassend gesagt: Diese Qualifikation erwirbt sie dadurch, dass durch eine „Probe“ der Vernunft festgestellt werden kann, ob der subjektive Grundsatz (die Maxime) auch objektiv gültig sei, d. h. ob er „als allgemein gesetzgebend“ gedacht werden kann (6:225.8 – 13). „Maxime“ heißt dabei die „Regel des Handelnden, die er sich selbst aus subjectiven Gründen zum Princip macht“ (6:225.2 – 3; vgl. 6:225.34 – 36).54 Qualifiziert zu einem allgemeinen Gesetz wird sie aber selbst zu einem Grundsatz, der „Handlungen zur Pflicht macht“ und damit ein „praktisches Gesetz“ (6:225.1 – 2).55 Der kategorische Imperativ ist nach Kant ein relativ einfaches Gesetz, aus dem sich mannigfaltige Folgerungen ziehen lassen (6:225.14 f.). Durch die Qualifikation zum moralischen Gesetz wird die subjektive Willkür bestimmt und die Eigenschaft der Freiheit ausgedrückt (6:225.17 – 26). Deshalb vergleicht Kant den Erkenntnisstatus dieser praktischen Gesetze insgesamt (nämlich als Folgerungen aus dem kategorischen Imperativ als oberstem Grundsatz der Sittenlehre) mit demjenigen von mathematischen Postulaten und charakterisiert sie insofern als „unerweislich und doch apodiktisch“ (6:225.26 – 28). Eine Erläuterung oder Begründung dieses Vergleichs fehlt an dieser Stelle.56 Da sich auch der kategorische Imperativ in der Version des obersten Prinzips der Tugendlehre als eine Folgerung aus der allgemeinsten Formel begreifen lässt (6:385), so muss – was für die spätere Betrachtung wichtig ist – das Prinzip der Tugendpflichten ebenfalls Postulatcharakter haben. 53 Zur Unterscheidung von Maxime, Regel, Gesetz, Imperativ s. Grundlegung, 4:420.36 f., 421.26 – 30. 54 Zu Bedeutungsunterschieden und Herkunft von Kants Maximenbegriff vgl. Michael Albrecht, Kants Maximenethik (1994), 129 – 146. 55 Zur Bedeutung der Maxime als „allgemeines Gesetz“ vgl. u. a. Grundlegung, 4:447.11 – 12. 56 Zum Postulatcharakter praktischer Gesetze und ihrer Verwandtschaft mit mathematischen Postulaten vgl. Michael Wolff, Faktum der Vernunft (2009), S. 521 – 524, 527 – 531.

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Kant zählt den kategorischen Imperativ zu denjenigen Begriffen, die „der Metaphysik der Sitten in ihren beiden Theilen gemein“ sind (6:222.1 – 2). Das bedeutet, dass dieser Imperativ über der Rechtslehre und der Tugendlehre und damit auch über deren besonderen Prinzipien steht. So sagt Kant beispielsweise, dass aus dem moralischen Imperativ der Begriff des Rechts entwickelt werden könne (6:239.19 – 21) (hingegen werden von dem Freiheitsbegriff „alle moralische Gesetze, mithin auch alle Rechte sowohl als Pflichten ausgehen“, 6:239.16 – 18). Während aber der Imperativ eine „praktische Regel“ ist, durch welche „die an sich zufällige Handlung nothwendig gemacht wird“ (6:222.5 – 6), und zwar durch die Vorstellung dieser Regel, ist das, was Kant zur besseren Unterscheidung „praktische[s] Gesetz“ nennt (d.i. das, was wir weiter oben auch als Grundgesetz der praktischen Vernunft bezeichnet haben), dadurch gekennzeichnet, dass es davon abstrahiert, ob die Handlung „an sich schon dem handelnden Subjecte (etwa einem heiligen Wesen) innerlich nothwendig beiwohne, oder (wie dem Menschen) zufällig sei“ (6:222.9 – 11). Der Imperativ ist für Kant eine unmittelbare Folge des praktischen Grundgesetzes.57 Nur in Bezug auf den Menschen kann es einen Imperativ geben; wo die Handlung „an sich“ schon dem Subjekt notwendig angehört, sind Gebote bzw. Verbote überflüssig und unangebracht, sie bedürfen keines Imperativs. Der kategorische Imperativ aber macht die Handlung allein durch die Vorstellung dieser Handlung selbst (als der bloßen „Form“ der Handlung), d. h. „unmittelbar“ und nicht etwa mittels eines Zwecks als Materie der Handlung, objektiv notwendig (6:222.15 – 20) und erzeugt damit „Verbindlichkeit“ (6:222.3 – 4, 20 – 21, 35 – 36). Damit qualifiziert er sich zum moralisch-praktischen Gesetz, das Gebote oder Verbote ausspricht.58 Nun soll die so als MS entworfene praktische Philosophie die „Freiheit der Willkür“ zum Gegenstand haben (6:216.30), d.i. die Freiheit desjenigen Vernunftvermögens in uns, dessen Bestimmungsgründe zum Handeln in der menschlichen Vernunft selbst und nicht in sinnlichen Motiven zu suchen sind (6:213.14 ff., 35 ff.). Die Vernunft wird als freie Willkür „für sich selbst praktisch“ (6:214.1), und zwar in Form ihrer unbedingten Gesetzgebung.59 Für sich selbst praktisch zu sein kann viererlei 57

Vgl. 5:31.36 – 37; s. dazu Michael Wolff, Faktum der Vernunft (2009), 524. Vgl. 6:223.1 – 5; 6:214.11 f. S. dazu im Einzelnen die Ausführungen in 6:227.10 – 13. 59 Willkür, Wunsch und Wille sind nach Kant Aspekte der Bestimmung des Begehrungsvermögens nach Begriffen, d. h. des Begehrungsvermögen soweit es selbstbestimmend und nicht objektbestimmt ist (6:213). Zugleich sind es besondere Handlungsweisen desselben. So ist z. B. die Willkür der „Actus“, der „mit dem Bewußtsein des Vermögens seiner Handlung zur Hervorbringung des Objects verbunden ist“, wogegen der Wunsch der „Actus“ ohne ein solches Bewusstsein ist (6:213.17 – 19). Der Wille entspricht im Unterschied dazu der Betrachtungsweise des Begehrungsvermögens nicht „in Beziehung auf die Handlung“ sondern in Beziehung auf den „Bestimmungsgrund der Willkür zur Handlung“. Er hat selbst eigentlich keinen Bestimmungsgrund, sondern bestimmt die Willkür, d. h. er ist insofern „die praktische Vernunft selbst“ (6:213.22 – 26). „Freie Willkür“ nennt Kant die Willkür, „die durch reine Vernunft bestimmt werden kann“ (6:213.29 f.). Dabei bestimmt sich die Freiheit der Willkür, sofern sie menschliche Willkür ist, ihrem negativen Begriff nach als Unabhängigkeit ihrer Bestimmung von sinnlichen Antrieben, ihrem positiven Begriff nach aber als „das Vermögen der reinen Vernunft für sich selbst praktisch zu sein“ (6:214.1). Dieses Vermögen ist im 58

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bedeuten: erstens, selbst gesetzgebend zu sein; zweitens, aus eigenem Antrieb tätig zu sein; drittens, nur sich selbst zum Zweck zu haben; viertens, nur solche Handlungen zur Folge zu haben, die Kant „innere Handlungen“ nennt. Das „Für sich selbst praktisch“-Sein scheint auch der ausschlaggebende Grund dafür zu sein, dass die praktische Philosophie, angesichts ihres spezifischen Gegenstandes, der „Freiheit der Willkür“, eine MS notwendig voraussetzen muss. Denn ohne die begriffliche Erkenntnis a priori von der Art der Sittengesetze und von den Bedingungen ihrer Wirkung oder Anwendung wüssten wir gar nichts Bestimmtes von der Existenz einer solchen Gesetzgebung (6:216.33 f.) und folglich auch nichts über ein entsprechendes Vermögen der Gesetzgebung. Ihre besondere Begründungsfunktion für die praktische Philosophie, sofern diese auf die Erkenntnis menschlicher Freiheit ausgerichtet ist, ist es wohl, die Kant im Auge hat, wenn er in der Überschrift zum zweiten Abschnitt der Einleitung in die Metaphysik der Sitten (und nur an dieser Stelle) von der „Idee und der Nothwendigkeit einer Metaphysk der Sitten“ spricht (6:214.32 – 33). Diese Idee ist es aber auch, von der Kant meint, jeder Mensch habe sie in sich, wenn auch für gewöhnlich „nur auf dunkle Art“ (6:216.32 f.) – ja, es sei „selbst Pflicht“, sie zu „haben“ (d. h. sie sich zu einem Anliegen, zum Gegenstand seines Interesses zu machen, jedenfalls für denjenigen, der sich mit praktischer Philosophie befasst, sofern diese nämlich „die Freiheit der Willkür zum Objecte hat“) (6:216.29 – 32); diese Verpflichtung erwächst im Grunde genommen daraus, dass bei der ethischen Gesetzgebung, wie Kant behauptet, die Idee der Pflicht bereits im Gesetz mit eingeschlossen ist (6:219.24 – 26). Erschöpft sich aber die praktische Philosophie in der MS? Eindeutig: nein! Nach der Analyse der „Metaphysik der Natur“ auf dem Gebiet der theoretischen Philosophie, für die es auch Prinzipien der Anwendung ihrer obersten Grundsätze auf Gegenstände der Erfahrung geben muss (Physik), kann auch die MS nicht darauf verzichten, die Folgerungen aus den moralischen Prinzipien an der besonderen Natur des Menschen darzustellen. Diese ist jedoch ein Gegenstand der Erfahrung (6:216.34 – 217.4). Das Anwendungsgebiet nennt Kant hier „Anthropologie“ oder genauer „moralische Anthropologie“ (nicht zu verwechseln mit der pragmatischen Anthropologie). Damit kündigt er aber nicht etwa das Untersuchungsfeld der TL an. Denn er bezeichnet sie als „Gegenstück“ einer MS (insofern sie eben nicht unabhängig von Erfahrung erkannt werden kann) und als „das andere Glied der Eintheilung der praktischen Philosophie überhaupt“ (6:217.9 – 10).60 Kant verbindet mit einer Grunde nichts anderes als die Autonomie der reinen Vernunft. Die Unbedingtheit der Gesetzgebung der reinen Vernunft besagt, dass das Praktischsein der reinen Vernunft nur als möglich gedacht wird, „durch die Unterwerfung der Maxime einer jeden Handlung unter die Bedingung der Tauglichkeit der erstern zum allgemeinen Gesetze“ (6:214.1 – 4). (Zur Bestimmung der Willkür vgl. auch 6:218 f.; 6:226; 6:407). 60 Es kann also nicht Aufgabe der MS oder der TL sein, auf die „besondere Natur des Menschen“ Bezug zu nehmen (s. dagegen Andrea Esser: Ethik für Endliche (2004), 243); dazu genauer: 5:8. Vgl. die Ausführungen in Kants Vorlesung, „Moral Mrongovius II“, aus dem Wintersemester 1784/5: „Die Metaphysic der Sitten oder Metaphysica pura ist nur der

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solchen Disziplin die Vorstellung, dass sie etwas über die subjektiven Faktoren lehrt, die die Ausführung der in der MS dargelegten Gesetze entweder behindern oder fördern, des weiteren andere, auf Erfahrung gegründete Bedingungen (wie Erziehung, Schulunterricht usw.) enthält. Wie immer eine solche Anthropologie auszusehen hätte – sie müsste der MS nachgeordnet sein. Ich werde weiter unten in Abschnitt X. näher auf mögliche systematische Probleme eingehen, die sich mit dem Entwurf eines solchen Projektes eröffnen. Nur unter der Voraussetzung, dass jeder Mensch, wie Kant behauptet, die Metaphysik der Sitten der Idee nach in sich habe (m.a.W., als Anlage oder Keim in sich trage)61 und insofern die Metaphysischen Anfangsgründe der Tugendlehre selbst zur Pflicht werden und das „erste[] Gebot aller Pflichten gegen sich selbst“ in der „moralische[n] Selbsterkenntniß“ besteht (6:441, §§ 14 und 15), macht es Sinn, eine praktische Anthropologie als Folgerung aus der Metaphysik der Sitten zu fordern, die gleichwohl nicht zum System einer rationalen Metaphysik gehören kann. Notwendig wird sie, weil Kant der Auffassung ist, dass eine ethische Verpflichtung die Existenz des Menschen als homo phaenomenon zwingend voraussetzt.62 Die (dichotomische) Einteilung der praktischen Philosophie in Metaphysik der Sitten und Anthropologie ist aber problematisch, insofern ihre beiden ,Glieder‘ einander fremd sind und sich ausschließen, obwohl sie sich wie Grund und Folge aufeinander beziehen sollen. Einander fremd sind sie sich in der Hinsicht, dass Kant wiederholt hervorhebt, dass sich die Sittenlehre schon ihrem Begriff nach von der Naturlehre, die auf empirischen Prinzipien beruht bzw. aus Erfahrungserkenntnis hervorgeht – als eine solche ist nämlich auch die projektierte moralische Anthropologie zu betrachten – absondere (vgl. 6:385, 6:406). Es drängt sich die Frage auf: Was veranlasst Kant überhaupt zum Entwurf eines solchen Lehrstücks? Warum und inwiefern ist das zweite Glied der praktischen Philosophie aus systematischen Gründen notwendig?63 – Diese Fragen müssen erste Theil der Moral – der 2te Theil der Moral ist philosophia moralis applicata, moralische Anthropologie, wozu die empirischen Principien gehören. – […] Moralische Anthropologie ist auf den Menschen angewandte Moral. Moralia pura ist auf nothwendigen Gesetzen gebaut, daher kann sie sich auf die besondere Beschaffenheit eines vernünftigen Wesens, des Menschen, nicht gründen – Die besondre Beschaffenheit des Menschen, und die Gesetze, die sich darauf gründen, kommen in der moralischen Anthropologie vor, unter dem Namen Ethic.“ (29:599). 61 So redet Kant in den §§ 14 und 15 der TL selbst von einer „Entwicklung der nie verlierbaren ursprünglichen Anlage eines guten Willens“ bzw. auch von einer „Anlage zum Guten“ im Menschen (6:441.17 – 18; 6:441.24). 62 „Das nöthigende (verpflichtende) Subject muß also erstlich eine Person sein, zweitens muß diese Person als Gegenstand der Erfahrung gegeben sein: weil der Mensch auf den Zweck ihres Willens hinwirken soll, welches nur in dem Verhältnisse zweier existirender Wesen zueinander geschehen kann (denn ein bloßes Gedankending kann nicht Ursache von irgend einem Erfolg nach Zwecken werden)“ (TL, § 16, 6:442.11 – 16). 63 In der KrV ist diese Möglichkeit noch nicht in Sichtweite: Die Moralität ist „die einzige Gesetzmäßigkeit der Handlungen, die völlig a priori aus Prinzipien abgeleitet werden kann.

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aus dem System der MS heraus beantwortet werden. Mir scheint, dass es nicht nur eine, einfache Antwort gibt. Vorläufig kann gesagt werden: Eine notwendige Folge und insofern unentbehrlich für das Gesamtkonzept der Sittenlehre ist die Abhängigkeit von Erfahrung (zumindest auf dem Gebiet der Ethik) deswegen, weil das Praktischwerden der allgemeinen Handlungsregeln sich in letzter Konsequenz erst im konkreten Handlungsvollzug einzelner Subjekte realisieren kann. V. Die Glieder der Einteilung: Rechtslehre und Tugendlehre Im schwierigen dritten Abschnitt der Einleitung in die MS zeigt Kant, dass sich die MS dadurch in RL und TL einteilt, dass sich ihre beiden Teile, die von einer Reihe von Begriffen gemeinsamen Gebrauch machen, allen voran von dem der praktischen Freiheit,64 allein durch die Verschiedenheit in der Art ihrer Gesetzgebung, genauer gesagt in der Art ihrer Verbindlichkeit, d. h. nicht hinsichtlich der Gesetze (6:227.10 – 20) und auch nicht durch die Art ihrer Pflichten voneinander unterscheiden (6:220.15 – 18). Denn es kann sehr wohl „äußere Pflichten“ geben – also Pflichten, die eine Verbindlichkeit zu äußeren Handlungen65 ausdrücken (6:220.30) –, die ein handelndes Subjekt, abgesehen vom rechtlichen Zwang, sich selbst zur (inneren) Pflicht und Triebfeder machen und mit der moralischen Gesetzgebung verbinden kann. Auf diese Weise sieht sich Kant zu der Behauptung berechtigt, alle Pflichten überhaupt gehörten als Pflichten in die Ethik (6:219.31 f.) – oder, wie er sich am Ende des III. Abschnittes der Einleitung in die Metaphysik der Sitten ausdrückt: Alle Pflichten, soweit sie nicht im engeren Sinne schon zur Ethik gehören, werden durch die innere Gesetzgebung insgesamt zu „indirect-ethischen“ (6:221.1 – 3), gewissermaßen zu ethischen Pflichten zweiter Ordnung. Das Umgekehrte gilt allerdings nicht: Eine innere Pflicht (die „Idee der Pflicht“) kann nicht zum Antrieb der äußeren (rechtlichen) Gesetzgebung gebraucht werden (6:219.26 f.). Für die innere (ethische) Gesetzgebung ist nämlich ausschließlich die Pflicht selbst (oder die Idee derselben) die Triebfeder für das Gesetz (6:219.2 – 3). Die juridische Gesetzgebung hingegen bindet die Idee der Pflicht nicht in das Gesetz mit ein, sondern beschränkt sich auf die sog. äußeren Pflichten (6:219.17 – 21). Ihre eigentliche Triebfeder ist der „äußere Zwang“ (6:220.4). Kant kennzeichnet die ethische Gesetzgebung (und damit auch die Ethik vor dem Recht) durch die Eigentümlichkeit, Pflichten als solche (bloß für sich genommen) zur hinreichenden Triebfeder (Motivation) der Willkür zu machen (6:220.34 – 37). Die ethische Gesetzgebung macht zwar in erster Linie „innere Handlungen“ zur Pflicht, schließt dabei aber Daher ist die Metaphysik der Sitten eigentlich die reine Moral, in welcher keine Anthropologie (keine empirische Bedingung) zum Grunde gelegt wird“ (B 869 f. / A 841 f.). 64 s. Einleitung in die MS, Abschnitt IV, 6:222 ff. 65 Was äußere Handlungen im Unterschied zu inneren auszeichnet, wird, soweit ich sehe, von Kant an keiner Stelle genau expliziert.

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die äußeren nicht aus, „sondern geht auf alles, was Pflicht ist, überhaupt“ (6:219.21 – 24). Sie kann keine äußere Gesetzgebung sein, weil sie im Unterschied zu dieser die „Idee der Pflicht“ als „innere Triebfeder“ „in ihr Gesetz mit einschließt“ (6:219.24 – 28), obwohl sie die Pflichten, die Wirkungen der äußeren Gesetzgebung sind und auf dieser beruhen, „als Pflichten in ihre Gesetzgebung zu Triebfedern aufnimmt“ (6:219.29 f.). M.a.W., die Ethik nimmt das Gesetz und die diesem korrespondierende Pflicht „aus der Rechtslehre als gegeben an“ (6:219.37 – 220.1). Rechtspflichten können (in beschränktem Umfang und in besonderen Fällen) Kants Erklärung zufolge offenbar als Triebfedern moralischer Handlungen gebraucht werden, so dass die moralische Motivation in der Ethik eine zweifache sein kann: die allgemeine Idee der Pflicht als solche und die besondere Idee der Pflicht als Rechtspflicht. Aus diesem Grunde ist es einleuchtend, wenn Kant z. B. auch behauptet, das „Rechthandeln“ sich zur Maxime zu machen, sei eine Forderung, die von der Ethik erhoben werde (6:231.8 – 9). Die Ethik vermag nur nicht auch noch die rechtliche Triebfeder, nämlich den äußeren Zwang, zusammen mit der Rechtspflicht zu übernehmen und aus sich heraus zu begründen. Wenn jemand, wie Kant in einem Beispiel ausführt, einen Vertrag ausgehandelt hat, in den er ein bestimmtes Versprechen hat einfließen lassen, so unterstellt er sich damit einem Gesetz, das gegebene Versprechen auch einzuhalten. Aber dieses Gesetz und die dazu gehörige Pflicht bezieht er aus der rechtlichen Gesetzgebung. Die Einhaltung eines Versprechens ist notwendigerweise eine Rechtspflicht und keine Tugendpflicht. Andernfalls würde nämlich die daraus resultierende Handlung der Treueleistung der elementfremden Klasse der Handlungen des Wohlwollens (also äußeren Tugendpflichten) zugeordnet werden. Die Ethik verwandelt die Rechtspflicht, die sie aufnimmt, aber in der Weise, dass sie den äußeren Zwang weglässt. Sie wechselt gewissermaßen die Triebfeder aus, indem „die Idee der Pflicht allein schon zur Triebfeder hinreichend“ ist (6:219.34 – 220.18). Voraussetzung dafür, dass die Ethik äußere Pflichten aus der Rechtslehre aufnehmen kann, ist die weiter oben dargestellte gemeinsame Abstammung der juridischen und der ethischen Gesetze von den moralischen „Gesetze[n] der Freiheit“ (6:214.13 – 30; s. oben Abschnitt IV., S. 238). Die „Gesetze der Freiheit“ heißen insgesamt, insofern sie sich von den Naturgesetzen unterscheiden, „moralisch“ (6:214.13 f.). Darunter beziehen sich die juridischen Gesetze ausschließlich auf „äußere Handlungen und deren Gesetzmäßigkeit“. Die ethischen aber fordern zudem, dass die Gesetze selbst „Bestimmungsgründe der Handlungen sein sollen“ (6:214.14 – 17). Sie zeichnen sich durch die Besonderheit aus, dass die Freiheit, auf die sie sich beziehen, nicht nur diejenige im äußeren Gebrauch ist, sondern „die Freiheit sowohl im äußeren als innern Gebrauche der Willkür […], sofern sie durch Vernunftgesetze bestimmt wird“ (6:214.19 – 22). Der Grund dafür ist, dass der Freiheitsgebrauch, gleichgültig ob er äußerer oder innerer Natur ist, von den für ihn geltenden Gesetzen, die „reine praktische Vernunftgesetze für die freie Willkür überhaupt“ sind, verlangt, dass sie „zugleich innere Bestimmungsgründe“ der freien Willkür sein müssen (6:214.26 – 30). Mit einer Analogie zur „theoretischen Philosophie“ wird diese Besonderheit der ethischen Gesetzgebung verdeutlicht: In ihr werden die Formen der Anschauung so unterschieden, dass im Raum allein die Gegenstände äußerer Anschauung seien, in der

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Zeit aber die Gegenstände sowohl des äußeren als auch des inneren Sinnes; und als Grund für diese Unterscheidung wird auf den Vorstellungsstatus der diesbezüglichen Gegenstände verwiesen; da nun für Vorstellungen im allgemeinen gilt, dass sie „insgesammt zum inneren Sinne gehören“, so müssen in der Zeit alle Gegenstände überhaupt (soweit sie Gegenstände möglicher Erfahrung sind) angeschaut werden (6:214.22 – 26).66 Was hier über die Vorstellungen in der Zeit gesagt wird, gilt im übertragenen Sinne in der praktischen Philosophie von der Freiheit und von den Pflichten: Freiheit im äußeren Gebrauch von Pflichten setzt, weil Pflichten insgesamt innerlich von praktischen Vernunftgesetzen bestimmt werden, innere Freiheit voraus. Die Ethik enthält also neben ihren „besonderen Pflichten“ (6:220.32 f.), womit die Tugendpflichten gemeint sind (d. h. einerseits die Pflichten gegen sich selbst, andererseits die Pflichten gegen Andere, wie z. B. die Pflichten des Wohlwollens67) auch äußere (allgemeine), deren Gesetzgebung damit aber nur innerlich sein kann (6:220.29 – 32). Äußere Pflichten (als Pflichten im äußeren Verhältnis zu Anderen) hat sie mit dem Recht gemeinsam.68 Nicht gemeinsam mit dem Recht hat sie aber die Art des Verpflichtens. Beiden Gesetzgebungsarten ist also gemeinsam, dass sie äußere Pflichten begründen können, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Das Eigentümliche der ethischen Gesetzgebung besteht nämlich nach Kant darin, Handlungen bloß deshalb, weil sie Pflichten sind, auszuüben und den Grundsatz der Pflicht selbst zur hinreichenden Triebfeder der Willkür zu machen (6:220). Diese Eigentümlichkeit bezieht sich aber nicht nur auf die besonderen Pflichten der Tugendlehre, sondern auf alle Pflichten überhaupt (d. h. auch auf die aus der RL importierten äußeren Pflichten). 66

Vgl. KrV, B 50 f. / A 34. Vgl. TL, §§ 27 – 31, 6:450 – 453; das Wohlwollen muss sich als Wohltun äußern: ebd., §§ 27 – 28 und bes. § 29, 2. Abs. 68 Umgekehrt könnte gezeigt werden, dass die RL einen Bereich des „inneren Rechts“ aufweist, der Pflichten enthält, die den Tugendpflichten zwar nahe kommen, aber ihrem Ursprung nach keine ethischen Pflichten im engeren Sinne sein können. Ich schließe mich damit der Auslegung von Alessandro Pinzani an, der zufolge ein Kernbestand innerer Rechtspflichten als vollkommenen Pflichten gegen sich selbst angenommen werden muss (zusammengefasst in der Formel vom „Recht der Menschheit in unserer eigenen Person“), der zwar kein Recht im strikten Sinne sein kann, der aber Ausdruck einer inneren Haltung rechtlicher Ehrbarkeit ist und dem Recht im engeren Sinne vorausgehen muss (Pinzani, Der Stellenwert (2005), 72 – 79) (vgl. dazu auch Metaphysik Vigilantius, 27, 2.1:604). Dass Recht überhaupt eine solche (ethische) Selbstverpflichtung voraussetzt, kann zugleich auch als Bedingung dafür erachtet werden, dass Rechtspflichten als äußere Pflichten in die Tugendlehre aufgenommen werden können. Mit dieser Annäherung der Bestimmungen von Tugendpflichten und Rechtspflichten ist das Bindeglied zwischen Recht und Ethik in der Metaphysik der Sitten gefunden. Dazu nochmals Pinzani: „Jeder Verpflichtung, sei sie rechtlich oder moralisch, geht […] eine Selbstbehauptung als Wesen voraus, das imstande ist, Verpflichtungen überhaupt wahrzunehmen; diese Selbstbehauptung besteht letztlich in einer Selbstverpflichtung, in einer Verbindlichkeit gegenüber der Menschheit in meiner Person. Dies ist der Berührungspunkt von Rechts- und Tugendlehre, von Recht und Moral.“ (Pinzani, ebd., 78). 67

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Es sind also nicht etwa besondere Pflichten, die die Ethik in Gestalt von Pflichten gegen sich selbst auch enthält, noch sind es die Pflichten, die unmittelbar und ausschließlich aus ihrer inneren Gesetzgebung resultieren („direct-ethische Pflichten“, 6:221.1), sondern die in ihrer Gesetzgebung gegründete „Art der Verpflichtung“ (d.i. die Selbstverpflichtung aufgrund einer eigenen Willensbestimmung), die die Ethik vom Recht unterscheidet (6:220.32 – 34). Es ist „das Eigenthümliche der ethischen Gesetzgebung“, „Handlungen bloß darum, weil es Pflichten sind“ auszuüben „und den Grundsatz der Pflicht selbst, woher sie auch komme [Hervorhebung WE], zur hinreichenden Triebfeder der Willkür zu machen“ (6:220.34 – 37). Kann aber die Tugendlehre dadurch, dass sie äußere Pflichten (wie etwa Rechtspflichten) ihrer inneren Gesetzgebung unterstellt, diese auch zu Tugendpflichten machen? Insofern äußere Pflichten der juridischen Gesetzgebung entstammen und obendrein der inneren Gesetzgebung unterworfen werden sollen, indem die Pflicht als solche zur alleinigen Triebfeder gemacht wird (unter Abstraktion vom äußeren Zwang), bleiben sie äußere Pflichten.69 Aber als äußere Pflichten können sie auch an Zwecke (als Voraussetzung einer Tugendpflicht) nachträglich gebunden werden. Dies dokumentiert auch die Tafel im elften Abschnitt der Einleitung in die TL, die das „Materiale der Tugendpflicht“ anzeigen soll (6:398),70 der zufolge die Klasse der ethischen Pflichten gegen Andere als „äußere Tugendpflichten“ ausgewiesen sind. Nur ist dabei zu beachten, dass die Zwecke, die in dieser Tafel als Triebfedern äußerer Tugendpflichten erscheinen (unter „4.“), m. E. identisch mit den Pflichten als solchen sind. M.a.W. es sind Zwecke, die durch die innere Gesetzgebung zum Selbstzweck erhoben sind, Zwecke, deren Inhalt darin besteht, Pflichtgebote als solche zu befolgen. Es wird sich übrigens noch zeigen, dass die innere Gesetzgebung und die objektive Zweckbestimmung der Pflicht auf ein und demselben Akt der praktischen Vernunft beruhen. Die Ethik bezieht sich über die Instanz der inneren Gesetzgebung und innerer Handlungen aber auch noch auf eine andere Art auf äußere Handlungen (gegenüber Anderen) und enthält insofern auch äußere Pflichten als indirekte Pflichten, die sie aber eben durch die Art der inneren Gesetzgebung und ihrer spezifischen Triebfeder zu ethischen Pflichten macht, ohne sie zugleich in besondere Tugendpflichten zu verwandeln. Die äußeren Pflichten, die die Ethik aus der Rechtslehre aufnimmt, verbindet sie also nicht mit selbstgemachten Zwecken (nicht mit Zwecken, die zugleich Triebfedern sind, wie dies bei den äußeren Tugendpflichten der Fall ist), obwohl die äußere („äußerliche“) Gesetzgebung Handlungen vorschreiben kann, die Zwecke zur Folge haben, „ohne daß das Subject sie sich zum Zweck macht“ (6:239.11 – 12).

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Vgl. dazu 6:220.2 – 5; 220.29, 37. Diese Einteilung werde ich an späterer Stelle deuten. Dabei wird sich die Frage erheben, ob die beiden Tafeln am Ende der Einleitung in die TL vielleicht gewissermaßen Auseinanderfaltungen dieser Tafel sind; vgl. dazu auch die „Eintheilung“ der Tafel in 6:240. 70

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Eben deswegen dürfen sie nicht mit jenen äußeren Tugendpflichten verwechselt werden. Wenn Kant in der Einleitung in die RL die Einteilung der „Metaphysik der Sitten überhaupt“ als Disjunktion aller Pflichten in Rechtspflichten und Tugendpflichten versteht, deren strikte Unterscheidung darin begründet ist, dass für die Rechtspflichten „eine äußere Gesetzgebung möglich ist“, für die Tugendpflichten hingegen nicht (so dass sie auch keiner äußeren Gesetzgebung unterliegen können) (6:239.4 – 8) (s. o. Abschnitt II.), so bedeutet dies nicht, dass sich auch Recht und Ethik gemäß dieser Klassifizierung schon hinreichend genau voneinander unterscheiden lassen.71 Denn es ist erst die Art der Beziehung der Pflichten auf Zwecke, die die Differenz der Pflichten begründet, und nicht ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten Teilgebiet der Sittenlehre. Für die Tugendpflichten ist nämlich eine äußere Gesetzgebung eben deswegen unmöglich, weil die Zwecke immer zugleich Pflichten sind, insofern sie allein auf einem „innere[n] Act des Gemüths“ beruhen (6:239.10 – 11); ein solcher spontaner Akt freier Selbstbestimmung als einziger Bestimmungsgrund schließt die Mitwirkung einer äußeren gesetzgebenden Instanz aus, und zwar obwohl auch äußere Handlungen zweckführend sind; denn deren Zweck kann nicht auf einer subjektiven Selbstsetzung beruhen (6:239.11 – 12). Die Ethik (in Gestalt der TL) enthält aber nicht nur Tugendpflichten, sondern, wie gesehen, auch Rechtspflichten. Gleichwohl scheint sich eine Dominanz der Ethik über das Recht daraus zu ergeben, dass Kant (unter historischem Rekurs auf Ciceros Pflichtenlehre) auf die plausible Tatsache verweist, dass die subjektive Freiheit als Ursprung aller moralischen Gesetze, aller Rechte und Pflichten nur mittels des moralischen Imperativs für uns zu erkennen ist. Aber daraus lässt sich schließlich keine systematische und durchgängige Überordnung der Ethik über das Recht ableiten. Kants Erläuterung soll vielmehr das Missverständnis aufklären, als beschränke sich der Gegenstand der Moral unter Vernachlässigung der Rechte nur auf Pflichten. Dass der „Begriff des Rechts“ (als „das Vermögen, andere zu verpflichten“) „nachher“ – d. h. nachdem wir uns unserer eigenen Freiheit durch die Kenntnis des moralischen Imperativs bewusst geworden sind – aus dem Pflichtgebot des moralischen Imperativs „entwickelt werden kann“ (6:239.19 – 21), betrifft in erster Linie die Seite der Darstellung des Begriffs der eigenen Freiheit (d. h. die Reihenfolge der Gedanken in der wissenschaftlichen Behandlung wesentlicher Aspekte der Sittenlehre). Die von der Ethik unabhängige Stellung des Rechts im System der MS bleibt dabei gewahrt. Unter „Darstellung“ wird hier die „Construction des Rechtsbegriffs“ (6:233.10) in Analogie zur Konstruktion eines Begriffs in der Mathematik als Darstellung desselben in der reinen Anschauung a priori verstanden, jedoch mit dem Unterschied, dass philosophische Begriffe durch Selbstkonstruktion in ihren inhaltlichen Momenten dargestellt werden.72 Möglich 71

Zum Verhältnis von Recht und Ethik in der MS vgl. auch Baum, Recht und Ethik (2007), 213 – 226. 72 „Die gleichsam durch den Verstand gemachte Darstellung bedeutet dem scharfsinnigen Mathematiker nichts weiter, als die einem Begriffe correspondirende (empirische) Verzeich-

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wird eine solche Konstruktion des Rechtsbegriffs durch den allseitigen äußeren Zwang (vgl. § E, Anm., 6:232.30 – 233.23). So kann Kant über das ethisch ungetrübte strikte oder enge Recht sagen, es gründe sich „zwar auf dem Bewußtsein der Verbindlichkeit eines jeden nach dem Gesetze; aber die Willkür darnach zu bestimmen, darf und kann es, wenn es rein sein soll, sich auf dieses Bewußtsein als Triebfeder nicht berufen, sondern fußt sich deshalb auf dem Prinzip der Möglichkeit eines äußeren Zwanges, der mit der Freiheit von jedermann nach allgemeinen Gesetzen zusammen bestehen kann.“ (6:232.16 – 23).73 ] Die betrachtete „Eintheilung der Metaphysik der Sitten überhaupt“ wird auch bildlich dargestellt in der weiter oben schon erwähnten Tafel mit dem Titel „Eintheilung nach dem objectiven Verhältniß des Gesetzes zur Pflicht“ (6:240). Sie stellt Rechtspflichten (als vollkommene Pflichten) den Tugendpflichten (als unvollkommenen Pflichten) unter dem Gesichtspunkt der Unterscheidung zwischen homo noumenon (Recht bzw. Zweck der „Menschheit in unserer eigenen Person“) und homo phaenomenon (Recht bzw. Zweck „der Menschen“) einander gegenüber (6:240; vgl. 6:239.23 – 30). Diese Unterscheidung, die die Pflichten gegen sich selbst und gegen Andere betrifft, muss in den späteren Tafeln zur Einteilung der Ethik (etwa die in 6:413) mit bedacht werden, weil sie dort nicht mehr explizit auftaucht. Die Betrachtungen in diesem Abschnitt haben gezeigt, dass Kant das Verhältnis zwischen Rechts- und Tugendlehre als zwei Seiten eines Ganzen so konzipiert hat, dass beide in gewisser Hinsicht Übereinstimmungen aufweisen, in anderen jedoch einander entgegengesetzt sind. Übereinstimmung besteht darin, dass beide erstens von Gesetzesbestimmungen abhängen, die durch praktische Vernunftbegriffe bestimmt sind, zu allererst aber von der freien Selbstbestimmung der Vernunft ausgehen; und die zweitens Auswirkungen des Gebrauchs freier Willkür auf Handlungen, Handlungsmaximen und Triebfedern aufzeigen; drittens dass beide von Pflichten handeln, die auf das Verhältnis von Subjekten sowohl auf sie selbst (innere Pflichten) als auch auf andere Menschen abzielen (äußere Pflichten). Rechts- und Tugendlehre sind einander entgegengesetzt, insofern sie verschiedene Arten von Gesetzgebung und Verbindlichkeit (Verpflichtung) zum Gegenstand haben: Die Rechtslehre ist eine Gesetzgebung, die die Möglichkeit äußeren Zwangs zum Beweggrund hat und äußere Handlungen verbindlich macht; die Tugendlehre beruht auf einer inneren Gesetzgebung, deren Triebfeder im Gesetz und der Pflicht als solcher besteht und nur die Maximen subjektiven Handelns gesetzmäßig bestimmt.

nung einer Linie, bei der bloß auf die Regel Acht gegeben, von den in der Ausführung unvermeidlichen Abweichungen aber abstrahirt wird; wie man es in der Geometrie auch an der Construction der Gleichungen wahrnehmen kann.“ (6:208.12 – 18). Kant benutzt den Terminus außerdem noch in einer mehr sinnlich affizierten Bedeutung (6:406.20 f; 6:468.12; 6:480.33). Zum Gebrauch der Darstellung bei den Kategorien der Freiheit in der KpV nach dem Vorbild der KrV vgl. Stephan Zimmermann, Kants „Kategorien der Freiheit“ (2011), 36 – 41. 73 Vgl. dazu den Beitrag von Burkhard Tuschling in diesem Band.

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VI. Das System der Tugendlehre Rechtslehre und Tugendlehre sind komplementäre Gegenstücke eines Ganzen, des „Systems der allgemeinen Pflichtenlehre“ (Einleitung in die TL, I., 6:379) oder der „Sittenlehre“74. In diesem System erfüllt die TL die Funktion, die innere Freiheit unter Gesetze zu bringen (I., 6:380.16 – 18). Im Unterschied zur RL hat sie es – Kants Erklärung zufolge – nicht nur mit den formalen Bedingungen der (äußeren) Freiheit zu tun, sondern sie hat auch noch die Materie (als Gegenstand freier Willkür) zu liefern. Dieser Gegenstand der Willkür ist laut Kant ein Zweck, und zwar ein objektiv-notwendiger, von individuellen Neigungen unabhängiger und ihnen entgegengesetzter Zweck a priori der gesetzgebenden Vernunft (6:380.22 – 381.3), der gleichwohl die Freiheit der Willkür in bestimmender Weise beeinflusst:75 „Zweck ist ein Gegenstand der freien Willkür, dessen Vorstellung diese zu einer Handlung bestimmt (wodurch jener hervorgebracht wird).“ (6:384.33 f.)

Zwecke sind also zuerst einmal durch Gegenstandsbegriffe (Vorstellungen) hervorgebrachte Objekte.76 So wie in der Natur zufolge unserer teleologischen Beurteilung Zwecke in Gestalt organisierter Wesen erzeugt werden, so (oder so ähnlich) bringt auch das menschliche Handeln, das auf freier Willkür beruht, Gegenstände in Form bestimmter Zwecke hervor. Unter „Handlung“ ist in diesem Zusammenhang immer eine sog. „innere“ Handlung zu verstehen, d. h. eine Handlung als Tätigkeit der Vernunft. Die Zwecke solchen Handelns sind keine Wirkungen der Natur, sondern Resultate von Freiheitsakten, die – und das ist das Besondere daran – Zwecke dadurch bestimmen, dass sie sie nicht nur kausal hervorbringen, sondern sie auch gebieten, d. h. mit Pflichten verbinden (vgl. 6:385.1 – 9). Die Freiheit der Willkür wird also mindestens (abgesehen von der Bestimmung durch „Triebfedern“) auf zweifache Weise bestimmt: zum einen durch den vorgegebenen praktischen Zweck, zum anderen durch das Gebot der praktischen Vernunft, die das, was Zweck ist, zugleich verbindlich macht, d. h. der Notwendigkeit eines Selbstzwangs unterwirft.77 Dieser „moralische Zweck“ ist zwar auf der einen Seite ein Erzeugnis menschlicher Freiheit und Selbständigkeit; er kann insofern nicht von Anderen äußerlich erzwungen werden. Er ist aber zugleich auch Zweck, „der an sich selbst Pflicht ist“ (6:381.14 – 15). Als Pflicht steht er unter einem Gebot, dessen Vereinbarkeit mit Freiheit nicht von vornherein selbstverständlich ist. Sofern er jedoch dem Zwang moralischer Gesetze der praktischen Vernunft unterliegt, enthält der Zweckbegriff einen „Selbstzwang“ (6:381.16) (bloßer Zwang würde allerdings dem Zweckbegriff widersprechen). Der Zweckbegriff ist hier deshalb von hoher Bedeutung, weil er geeignet ist, die Willkür als unabhängig von der zwingenden Willkür Anderer zu bestimmen 74

Zum Begriff der „Sittenlehre“ s. 6:205, 6:215 f., 6:383.22 u. ö. Tugend ist nicht das logische Gegenteil von Laster. Beide bilden vielmehr einen konträren (realen) Gegensatz (6:384.5 – 8). 76 Vgl. KU, Einleitung IV, 4. Abs. (5:180.31 – 37). 77 Zur Freiheit der Willkür s. oben Fn. 59. 75

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(denn er beruht auf freiwilligem Selbstzwang und ebensolcher Selbstunterwerfung). Weil die wesentlichen Inhalte der Ethik (als TL) für Kant menschliche Zwecke sind, stellt sie sich ihm gleich als ein ganzes „System der Zwecke“ dar (6:381.18). Ein so beschaffenes System, das aus der Autonomie der Vernunft hervorgeht, hat Kant – wie schon bemerkt – verschiedentlich als die adäquate System-Form der Philosophie insgesamt beschrieben und gefordert. Das System der Tugendlehre passt sich also nicht nur dem System der MS und dem System der praktischen Philosophie an, sondern erweist sich unter dem Gesichtspunkt der Vernunftautonomie des Menschen als konsequente Konkretisierung der Kantischen Idee der Philosophie überhaupt. Kants Rekurs auf Zwecke ruft zumindest für die TL allerdings auch systematische Schwierigkeiten hervor: Weil er der Auffassung ist, dass mit der Festsetzung von (subjektiven) Zwecken aus freier Willkür empirische Gründe in die Bestimmung von Maximen einfließen, die einem Pflichtbegriff zuwiderlaufen (6:382.17 – 22), fordert er, dass die TL – im Gegensatz zur RL – von Maximen ausgehen und über den Pflichtbegriff die Zwecke erst aufsuchen müsse (6:382.11), um auf diesem Wege die Maximen nach moralischen Grundsätzen zu begründen (6:382.24 – 27). Wenn es das Spezifikum des Gegenstandes der TL ist, von der Materie der Willkür als dem objektiv notwendigen Zweck zu handeln, wie kann dann der Zweck (als subjektiver) zugleich ein erst noch zu suchender sein? Es ist eine bestimmte Klasse von Zwecken, die Kant als moralische Zwecke für die TL reservieren möchte. Das sind diejenigen Zwecke, die zugleich Pflichten sind (s. Einleitung in die TL, IV.; 6:385 ff.) und also nur aus inneren Handlungen hervorgehen können. Man könnte behaupten, der Begriff des Zwecks, der zugleich Pflicht ist, sei diejenige Idee des Zwecks, die für die TL in besonderer Weise systembildend ist (wenn wir uns an das erinnern, was vorhin allgemein vom System der Philosophie gesagt wurde). Von diesem Begriff des Zwecks, der der Idee nach zugleich Pflicht ist, geht nämlich die weitere Einteilung aus, durch die sich die innere Systematik der TL für uns erschließen soll. Die Unterscheidung besonderer Zwecke, sofern sie zugleich Pflichten sind, wie z. B. die Pflicht zur eigenen Vervollkommnung und zur Beförderung fremder Glückseligkeit (Einleitung in die TL, IV. und V.) ist alles andere als problemlos und einfach nachvollziehbar. Wenn z. B. das „moralische Gefühl“ (als ein besonderer Sinn) als Ausdruck ,sittlicher Vollkommenheit‘ betrachtet wird, die darin besteht, „jeden besonderen Zweck, der zugleich Pflicht ist, sich zum Gegenstande zu machen“ (6:387.22 – 23), und dies, weil die Wirkung des gesetzgebenden Willens auf das Handlungsvermögen auch gefühlt werden müsse (6:387.16 f.), dann ist der Verdacht naheliegend, dass ein sinnliches Prinzip zur Unterstützung der Zwecksuche aufgeboten wird.78 Ähnlich problematisch ist die Pflicht zu fremder Glückseligkeit (insofern es dem Begriff des Zwecks widerstreitet, mir etwas zum Zweck zu machen, das ei-

78 Zur Funktion und Problematik des moralischen Gefühls in Kants Ethik vgl. den Beitrag von Paul Guyer in diesem Band.

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gentlich der Zweck eines Anderen ist) (vgl. 6:388.5 – 16). Ist Kants Begründung für die Pflicht zu fremder Glückseligkeit also überzeugend? Oder ist vielleicht die Einteilung der (Haupt-)Zwecke in der TL in Wahrheit schon im vorhinein bestimmt, so dass sie nicht erst in Befolgung von Maximen bestimmt werden, sondern in der Bedeutung aufgrund der ihnen beigemessenen Pflichtbegriffe bereits festliegen? Es ist die Frage, ob sie aus einem gemeinschaftlichen Prinzip in ihrer Anordnung notwendig folgen oder einfach aus anderen Kontexten aufgenommen werden. Die letztere Vermutung scheint jedoch abwegig zu sein, wenn man nur bedenkt, welche Bedeutung Kant der systematischen Einteilung von Begriffen für die wissenschaftliche Untersuchung eines Sachproblem beimisst, wie ich in den ersten beiden Abschnitten dieses Beitrages verdeutlichen wollte. Das Pflichtgebot schreibt lediglich die Verwirklichung der beiden Hauptzwecke der TL, d.i. das Erreichen eines Zweckes, vor. In diesem Sinne erklärt Kant auch, der der Ethik eigentümliche Zweck, der zugleich Pflicht ist, begründe für sich genommen bereits ein Gesetz für die Handlungsmaximen, wobei der von jedermann gewollte subjektive Zweck dem Zweck, der objektiv sein soll, untergeordnet werde (6:389.12 – 15). Die wichtige Frage der Herleitung, Bestimmung und Rechtfertigung der beiden Haupttugenden – der Pflichten zur eigenen Vollkommenheit bzw. zur fremden Glückseligkeit – und deren Verhältnis zueinander sowie die Beantwortung weiterer damit in Zusammenhang stehender Fragen muss ich an dieser Stelle (vorläufig) ausklammern.79 Das Prinzip der Einteilung der TL muss nach Kant mehrere Klassen von Kriterien erfüllen, die ich im einzelnen hier nicht nenne; sie sind teils formaler, teils materialer Natur und werden im XVII. Einleitungsabschnitt unter dem Titel „Vorbegriffe zur Einteilung der Tugendlehre“ abgehandelt. Insbesondere bemerkt Kant, dass die Einteilung nur auf Tugendpflichten abziele (Einleitung in die TL, XVII., zu Drittens; 6:410.20 ff). Die materialen Kriterien beziehen sich darauf, dass die TL nicht nur eine Pflichtenlehre, sondern auch eine Zwecklehre ist, so dass die Verbindlichkeit sich sowohl auf das Subjekt als Zweck seiner selbst als auch darauf, sich andere Menschen als seine Zwecke zu denken (6:410.13 ff.), erstreckt. Unter den formalen Kriterien führt die Bestimmung, dass die ethische Pflicht als weite (bzw. unvollkommene) Pflicht gedacht werden muss, zu der Konsequenz, dass sie unvermeidlich in eine Kasuistik driftet. Denn wegen des Entscheidungsspielraumes wird die Urteilskraft aufgefordert, zu ermitteln, „wie eine Maxime in besonderen Fällen anzuwenden sei“ (6:411.12 – 13). Trotzdem fügt der Autor auch der Behandlung der vollkommenen Pflichten gegen sich selbst jeweils einen Katalog mit „casuistische[n] Fragen“ bei (vgl. 6:423, 426, 428, 431). Gemäß der allgemeinen Aufgabenstellung der Kasuistik sucht die Urteilskraft nach einem Prinzip der Anwendung 79 Vgl. dazu die Ansätze von Jeffrey Edwards in diesem Band. Edwards zeigt vor allem in Abschnitt III. seiner Untersuchung, dass es eine stichhaltige Begründung für die Zweiteilung der objektiven Zwecke sowie der entsprechenden Klassifizierung der Tugendpflichten in Kants Tugendlehre gibt (S. 157 – 161).

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und findet eine neue (untergeordnete) Maxime, zu der wiederum das Anwendungsprinzip gesucht werden muss usf. ad infinitum. Aber mit diesem unvermeidlichen Ausgang der Untersuchung in einer Kasuistik ist eine weitere Konsequenz verbunden, die die Einheit des Systems in Frage stellen könnte. Als Glied der Elementarlehre (s. Tafel, 6:413) müsste sie selbstverständlich als ein separater Teil zum System der TL gehören. Entgegen dieser Erwartung stellt Kant jedoch fest, die Kasuistik sei weder Wissenschaft noch Teil einer Wissenschaft; sie ist also damit nicht im strengen Sinne systemtauglich, ist eigentlich gar keine Lehre (nicht einmal Teil einer solchen), sondern eine praktische „Übung“, wie die Wahrheit gesucht werden soll. M.a.W., sie sei nicht „systematisch“ sondern „fragmentarisch“ in die Lehre verwoben, wie „Scholien zum System hinzu gethan“ (6:411.18 – 23) – und so findet man sie auch im Text fortlaufend an die Vorstellung der einzelnen Tugendpflichten angehängt. VII. Exposition der Tugendpflichten Um die für die Einleitung in die TL (und im weiteren Verlauf auch für deren Haupttext) relevanten Themen der „Exposition“ der Tugendpflichten (Abschnitt VIII.) und der „Deduktion“ des obersten Prinzips der Tugendlehre (Abschnitt IX.) hinreichend verständlich zu machen, ist es unerlässlich die davor abgehandelten Abschnitte (I. bis VII.) zu skizzieren, kurz zu erläutern und ihren Zusammenhang darzustellen. Die Einleitung in die TL gliedert sich in 18 Abschnitte, die mehr oder weniger aufeinander aufbauen.80 Der erste Abschnitt hat eine „Erörterung des Begriffs der Tugendlehre“ zum Gegenstand. Auf dem Weg zu diesem Ziel werden aber weitere zen-

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Bernd Ludwig nimmt in seiner Edition der Tugendlehre eine Gliederung in 19 Abschnitte vor. Er macht aus dem von Kant in Abschnitt XIII. eingerichteten Unterabschnitt „Von der Tugend überhaupt“ (6:405 f.) einen neuen Abschnitt XIV. Dadurch verschiebt sich die Bezifferung der folgenden Abschnitte um eine Einheit. Als Begründung wird lediglich das Vergessen der Zahl XIV „in der ersten Ausgabe“ angeführt (Ludwig, Tugendlehre, 146 [Anm. zu S. 40, Z. 1]). Ludwig übernimmt daher die von Paul Natorp favorisierte Korrektur der zweiten verbesserten Auflage (1803) (Ludwig, ebd., XXVII). Ich halte diesen Eingriff weder für erforderlich noch für überzeugend. Meiner Ansicht nach haben die drei Absätze von XIII., die mit „Von der Tugend überhaupt“ überschrieben sind, lediglich die Funktion einer erläuternden Anmerkung (wie sie z. B. auch in Abschnitt XIV. vorkommt), die Bezug nimmt auf den zuletzt in Abschnitt XIII. thematisierten Kontrast zu den „Allgemeine[n] Grundsätzen der Metaphysik der Sitten“ im älteren Verständnis des Tugendbegriffs (6:405.2 – 9); sie stehen daher im Original zu recht innerhalb des 13. Abschnittes. Eine kritische Auseinandersetzung mit Ludwigs Kritik am Textkorpus der TL, insbesondere deren Einleitung (Ludwig, Tugendlehre, S. XVIIf.) werde ich an anderer Stelle nachholen. Ludwig spricht von einem „unausgewogene[n] Opus“ mit einer überdimensionalen Einleitung, in der er eine vierteilige Struktur zu erkennen glaubt (Ludwig, ebd., XVII). Konzeptionsschwächen werden auch an einzelnen Abschnitten der Einleitung diagnostiziert, so z. B. an Abschnitt XII., der (aufgrund schwacher Indizien) nach seiner Überlegung eher zwischen XV. (d.i. XIV.) und XVI. (d.i. XV.) stehen sollte (Ludwig, ebd., XVIII).

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trale Begriffe entwickelt und benutzt, die für die späteren Erörterungen grundlegend sind. Kants „Erörterung“ in Abschnitt I. beginnt mit einer Analyse des Pflichtbegriffs und seiner inhaltlichen Komponenten des gesetzmäßigen Zwangs und der freien Willkür, deren Vereinigung durch den Begriff des „Selbstzwangs“ ermöglicht wird. Der „Selbstzwang“ richtet sich gegen pflichtwidrige Naturantriebe und beruht auf dem Vermögen der „Tugend“ (als der Widerstandsneigung gegen die feindseligen, sinnlich bedingten Naturantriebe). Aus diesen Überlegungen entspringt der Begriff der „Tugendlehre“ als demjenigen Teil der „allgemeine[n] Pflichtenlehre“, der die innere Freiheit eigenen Zwangsgesetzen unterwirft (6:380.16 – 18). Von diesem Begriff der Tugendlehre wird sogleich der der Rechtslehre als dem anderen Teil der „allgemeinen Pflichtenlehre“ deutlich abgegrenzt. Der entscheidende Aspekt ist hierbei, dass die Tugendlehre („Ethik“) über die formalen Bedingungen des Gebrauchs der Willkür hinaus als Materie, d. h. als Gegenstand der freien Willkür, einen objektiv notwendigen Zweck der reinen Vernunft enthält. Diesem Zweckbegriff haftet zugleich der der Pflicht an, weil die praktische Vernunft dazu nötigt, sinnlich bedingten Zwecken einen moralischen Zweck entgegenzusetzen. Kant nimmt dies zum Anlass, über den Zweck als Gegenstand der Willkür zu reflektieren. Er arbeitet so den Begriff von einem Zweck heraus, „der an sich selbst Pflicht“ ist (6:381.14 f.).81 Die Lehre von einem solchen Begriff des Zwecks nennt Kant „Ethik“. Daraufhin zeigt er, dass die Ethik eine Tugendlehre ist, und begründet dies mit dem Argument des Tugendbegriffs als innerem Widerstandsvermögen in Übereinstimmung mit der speziellen Art der Verpflichtung, die von einem Zweck ausgeht, der an sich selbst Pflicht ist, d. h. der auf der eigenen freien Zwecksetzung ohne äußeren Zwang durch Andere beruht. Wie aber ein solcher Zweck der Sache nach (nicht bloß logisch) – d. h. die objektive Realität seines Begriffs betreffend – möglich ist, das will Kant im anschließenden zweiten Abschnitt zeigen. Der zweite Abschnitt erörtert also den Begriff „von einem Zwecke, der zugleich Pflicht ist“ (6:382 – 384). In der ersten Hälfte dieses Abschnittes (Absatz 1 – 2) wird gezeigt, dass in der Ethik nach einem der RL entgegengesetzten Verfahren (das im Text nicht hinreichend deutlich wird) das Verhältnis des Zwecks zur Pflicht so gedacht wird, dass der Pflichtbegriff „auf Zwecke leiten und die Maximen in Ansehung der Zwecke, die wir uns setzen sollen, nach moralischen Grundsätzen begründen“ muss (6:382.24 – 27). Es wird in diesem Abschnitt noch von der vollständigen Bestimmung eines Zwecks, „der an sich Pflicht ist“, abgesehen. Diese Determination wird erst im vierten Abschnitt vorgenommen. In der zweiten Hälfte (Absatz 4 – 6) soll nur der Name der „Tugendpflicht“ gerechtfertigt werden, d. h. die Frage beantwortet werden, „daß und warum“ eine Pflicht diesen Namen führt. Dies geschieht dadurch, dass die Tu81 Zu diesem gegenüber der Grundlegungsschrift neuartigen Begriff des Zwecks vgl. den Beitrag von Edwards in diesem Band (Abschnitt II.).

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gendpflicht von der Rechtspflicht und von anderen ethischen Pflichten abgegrenzt wird. Unter ethischen Pflichten, die im strengen Sinne keine Tugendpflichten sind, versteht Kant solche, die keinen Zweck sondern „blos das Förmliche der sittlichen Willensbildung […] betreffen“ (6:383.10 – 13). Das Förmliche bedeutet hier die bloße Form der ethischen Verpflichtung, d. h. „daß die pflichtmäßige Handlung auch aus Pflicht geschehen müsse“ (6:383.12 – 13), m.a.W. dass die Verpflichtung auf der bloßen Gesetzmäßigkeit als dem Grund der Verpflichtung beruht, der aber vom handelnden Subjekt selbst auch gewollt sein muss. Von dieser Art der Verpflichtung gibt es nur eine einzige.82 Diese scheint für Kant in die „Sittenlehre“ zu fallen, die „eine Autonomie der praktischen Vernunft ist“ (6:383.22 – 23). Sie wird ausgedrückt im Sittengesetz (moralischen Gesetz) und ist als allgemein notwendiger (aber nicht hinreichender) Grund aller Verpflichtung sowohl der RL als auch der TL vorgeordnet (nicht hinreichend für die Rechtspflichten ist er insofern, als die Pflichten nicht die Rechte Anderer einschließen, „jemand zu zwingen“, 6:383.6 – 7; bzw. für die Tugendpflichten insofern, als sie sich nicht auf einen Zweck als Materie der Willkür beziehen, 6:383.10 – 13). Die Tugendlehre enthält demgegenüber ein „aus dem sittlichen kategorischen Imperativ richtig geschlossenes Vermögen […], über seine dem Gesetz widerspenstige Neigungen Meister zu werden“ („Autokratie“ der praktischen Vernunft) (6:383.24 – 27). Die „menschliche Moralität“ geht selbst „in ihrer höchsten Stufe“ nicht über die „Tugend“ hinaus (6:383.27 – 29). Kompliziert aber aufschlussreich ist der dritte Abschnitt (III.), in dem der „Grund“ dafür gesucht wird, „sich einen Zweck, der zugleich Pflicht ist, zu denken“ (6:384.31 – 32). Der gesuchte Grund ist die Autonomie, der Freiheitsakt der praktischen Vernunft, der zugleich ein praktisches Prinzip ist und den Zweck der Handlungen bestimmt. Auf den „Act der Freiheit“ schließt Kant durch die Überlegung, dass der „Zweck“ ein „Gegenstand der freien Willkür“ ist, dessen Vorstellung dieselbe Willkür zu einer Handlung bestimmt, so dass eine Handlung des Subjekts nicht ohne Zweck auskommt. Einen solchen Zweck (der sich auf einen Akt der Freiheit gründet) kann man nur dadurch erwerben, dass man sich den Gegenstand der Willkür „selbst“ zum Zweck macht (6:384.33 – 385.4). Derselbe freie Akt, der den Zweck bestimmt, soll aber andererseits ein „praktisches Princip“ sein, das den Zweck auch unbedingt „gebietet“. Dieses Prinzip – so ist zu vermuten – wird eine Rolle spielen bei der Frage der systematischen Gliederung (Einteilung) der Tugendlehre. Kant 82 Vgl. Abschnitt XVII., 3. Abs., dieser Einleitung (6:410.21 – 35). Es scheint sich hiervon ausgehend ein Dilemma anzubahnen: Entweder man fasst die vollkommenen Pflichten gegen sich selbst im Ersten Buch der „Elementarlehre“ als ethische Pflichten, nicht aber als Tugendpflichten im strengen Sinne auf – dann kann der Satz, „alle Eintheilung der Ethik“ gehe „nur auf Tugendpflichten“ (6:410.32 f.), nicht uneingeschränkt gelten; oder man hält sich streng an den zuletzt zitierten Satz – dann aber müssen auch die vollkommenen Pflichten gegen sich selbst im vollen Sinne als Tugendpflichten anerkannt werden können. Dazu müsste dann aber gezeigt werden, dass jene Pflichten nicht nur das „Förmliche“ zum Ausdruck bringen, sondern sich auch auf Zwecke an sich selbst beziehen. Ich werde weiter unten auf diese Problemstellung zurückkommen, um die zweite Deutungsmöglichkeit argumentativ zu unterstützen.

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bezeichnet es hier aufgrund seines Gebotscharakters als einen „kategorische[n] Imperativ der reinen praktischen Vernunft“, dem die Funktion zugeschrieben wird, einen Pflichtbegriff mit dem Begriff eines „Zwecks überhaupt“ zu verbinden (6:385.5 – 9). Zwar sind diese moralischen Zwecke Gegenstände der freien Willkür, aber sie sind insofern nicht sinnlichen und natürlichen Ursprungs als sie auf Anordnung der praktischen Vernunft willkürlich hervorgebracht werden. Die freie Willkür operiert unter den „Gesetzen“ der praktischen Vernunft, die ihr vorschreiben, welche Gegenstände sie sich „zum Zweck machen soll.“ (6:385.19 – 21). Dieser hier genannte kategorische Imperativ stellt nichts anderes dar als das oberste Prinzip der Tugendlehre; er ist insofern zu unterscheiden von dem allgemeinen Imperativ der Sittenlehre (dem Sittengesetz oder moralischen Gesetz). Die Abschnitte IV. und V. sind der Erörterung der beiden einzigen Zwecke, die zugleich Pflichten sind, vorbehalten. Sie bereiten die „Exposition“ der Tugendpflichten in dem wichtigen Abschnitt VIII. vor. In Abschnitt IV. werden sie ohne nähere Rechtfertigung bloß eingeführt und benannt als „eigene Vollkommenheit“ und „fremde Glückseligkeit“. Dass sie die einzigen Zwecke dieser Art sind, kann man daraus entnehmen, dass sie nicht zu den Zwecken gehören, die naturgemäß „ein jeder unvermeidlich schon von selbst will“ (6:386.4); ein solcher Zweck wäre z. B. die „eigene Glückseligkeit“. Abschnitt V. erläutert diese beiden grundlegenden moralischen Zweckbegriffe einzeln für sich. Die eigene Vollkommenheit ist ein Zweck, den sich der Mensch selbst (als „Wirkung von seiner That“) machen muss, weil es für ihn „an sich selbst Pflicht“ ist (6:386.30 – 34). Sie gliedert sich in zwei Aspekte oder besondere Pflichten: die Kultur seines physischen Vermögens und die Kultur seines Willens hin zum moralischen Gefühl (6:387). Die Pflicht zur fremden Glückseligkeit wird keiner analogen Einteilung unterzogen. Kant verwendet seine Erörterung dieses Zwecks vielmehr dafür zu begründen, weshalb die eigene Glückseligkeit keinen Anspruch darauf erheben kann, zu den Zwecken zu gehören, die zugleich Pflichten sind, obwohl man sich dazu den selbst gewählten Zweck Anderer auch zu seinem eigenen Zweck machen muss (6:388). Im sechsten Abschnitt (VI.) will Kant zeigen, dass die Vorschriften der Ethik sich nicht gesetzgebend auf Handlungen sondern nur auf deren Maximen beziehen. Dazu wird auf indirektem Wege in einem ersten Schritt dargelegt, dass Pflichten überhaupt (der Pflichtbegriff als solcher) nicht dazu hinreichen, die geforderte Bestimmung der Maximen vorzunehmen. Kant geht hier von der unmittelbaren Beziehung des Pflichtbegriffs (unabhängig von Zwecken) auf ein Gesetz aus (6:388.34 – 35). Dieser Zusammenhang war bereits im ersten Abschnitt der Einleitung in die TL dargelegt worden (vgl. 6:379.15 f.). Das „formale Princip der Pflicht“ (6:389.1) drücke sich im kategorischen Imperativ aus und zeige jene unmittelbare Beziehung zwischen Pflichtbegriff und Gesetz an. Dass das „Gesetz“ (der kategorische Imperativ als formales Pflichtprinzip) in seiner Formulierung vom Begriff der „Maxime“ Gebrauch macht, bedeutet nicht, dass es sich

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ausschließlich auf Maximen im Sinne von subjektiven Grundsätzen bezieht.83 Vielmehr kann es sich als Gesetz auch direkt auf Handlungen beziehen. Kant weist nämlich indirekt darauf hin, dass dieser Imperativ einer zweifachen Auslegung und Ausrichtung fähig sei: Er kann als Gesetz den je eigenen Willen ansprechen oder den Willen überhaupt; adressiert an den letzteren kann er auch den Willen Anderer einschließen. Nur als der je eigene, subjektive Wille bezieht sich das Gesetz aber unmittelbar auf Maximen (statt unmittelbar auf Handlungen), und als solches hat es seinen angemessenen Platz in der Ethik. Nicht in die Ethik (als Tugendlehre) scheint dagegen der Imperativ zu gehören, insofern er an den Willen überhaupt adressiert ist und die Bedingungen einer allgemeinen Gesetzgebung ausdrückt, weil er nach Kant diesbezüglich auch so ausgelegt werden kann, dass er eine „Rechtspflicht“ darstellt („nicht des Willens überhaupt, der auch der Wille Anderer sein könnte: wo es alsdann eine Rechtspflicht abgeben würde“ [6:389.4 – 5, Hervorhebungen vom Vf.]), für die aber dann gilt, dass sie „nicht in das Feld der Ethik gehört“ (6:389.5 f.),84 während von den Maximen nur gefordert wird, sich zur allgemeinen Gesetzgebung zu „qualificiren“ (6:389.8), d. h. die subjektiven Zwecke des Handelns durch objektive Zwecke der reinen Vernunft so zu bestimmen, dass formal betrachtet aus der Maxime ein allgemeines, für jedermann gültiges Gesetz werden kann. Diese Charakterisierung der Ethik als einer Vernunfterkenntnis, die Rechtspflichten aus ihrem „Feld“ ausschließt,85 ist nicht unproblematisch. Denn an anderer Stelle 83 Michael Wolff macht darauf aufmerksam, dass der Begriff der Maxime bei Kant in zweifacher Bedeutung vorkommt, nämlich als subjektiver Grundsatz und als objektives Gesetz (M. Wolff, Faktum der Vernunft, 526, Fn. 28). Dieser Aspekt wird in der neueren Literatur zu Kants Metaphysik der Sitten oft übersehen (s. u. meine Kritik an Fulda, Fn. 133). 84 Wolfgang Kersting interpretiert die zitierte Stelle (6:389) so, als ob es Kant darum gehe, die Rechtspflicht generell vom kategorischen Imperativ zu unterscheiden (wobei nicht gesagt wird, um welche Deutungsvariante des kategorischen Imperativs es sich hier handelt) (Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (1993), 182). Kant will aber an der bezeichneten Stelle nicht den kategorischen Imperativ (als formales Pflichtprinzip) von der Rechtspflicht abrücken, sondern deutlich machen, dass dieser in der Ethik einer besonderen Spezifikation bedarf, die sich von der rechtlich verpflichtenden Spezifikation genuin unterscheidet. Kersting scheint zu übersehen, dass Rechtspflichten, eben weil sie als Spezifikation des kategorischen Imperativs (als des formalen Pflichtprinzips) ausgelegt werden können, auch Eingang in die Ethik finden können (obwohl sie erklärtermaßen nicht in deren „Feld“ gehören; s. dazu die folgende Fn.). 85 Kants Verwendung des Begriffs des „Feldes“ hat seit der KU eine terminologisch festgelegte systematische Funktion, nämlich die, den Bereich der Gegenstände zu markieren, auf den sich Begriffe a priori nur durch unser „Erkenntnisvermögen überhaupt“ beziehen (ohne Rücksicht darauf, ob von diesen Gegenständen Erkenntnis möglich ist) (KU, Einleitung II, 5:174.10 – 13). Es gibt aber zugleich auch ein „Feld des Übersinnlichen“ (als ein besonderer Bezirk des Feldes), von dem sich zumindest sagen lässt, dass auf ihm zwar keine theoretische Erkenntnis möglich ist, das aber mit Ideen besiedelt ist, denen wir „in Beziehung auf die Gesetze aus dem Freiheitsbegriffe keine andere als praktische Realität verschaffen können“ (5:175.32 f.). Auf diesem Teil des „Feldes“ liegt also das „Gebiet“, auf dem die praktische Vernunft alleinige Gesetzgebungsbefugnis hat. Wenn das der Begriff des „Feldes“ ist, an den Kant bei der Charakterisierung der Ethik denkt, dann will er damit sagen, dass Rechtspflichten innerhalb der Ethik keine praktische Realität erlangen können (insofern ihre Befolgung nämlich nicht durch die Anwendung äußeren Zwangs erwirkt werden kann), nicht aber, dass

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weist Kant ausdrücklich darauf hin, dass es auch zur Ethik gehören kann, äußere Pflichten sich zur Maxime zu machen, und dass überhaupt, wie bereits von mir dargelegt, der Unterschied der Pflichten kein Kriterium zur Unterscheidung zwischen Tugendlehre und Rechtslehre sein könne, sondern dass es hierbei allein auf die Art der Gesetzgebung ankomme (s. o. S. 241 – 246). Es zeigt sich auch daran, dass in Kants Metaphysik der Sitten, wie oben bereits angedeutet, zwischen mindestens zwei (eigentlich sogar drei) Bedeutungen von „Ethik“ unterschieden werden muss, nämlich im Hinblick auf einen rein formalen und einen materialen Gesichtspunkt zwischen einer Ethik im weiteren und einer Ethik im engeren Sinne oder einer Ethik als formaler Pflichtenlehre, die Rechtspflichten (deren genaue Betrachtung ausschließlich Aufgabe der RL sind) formell einschließt, und einer Tugendlehre, die bloß Tugendpflichten (und gelegentlich Pflichten, die zumindest indirekt der inneren Gesetzgebung unterliegen, wie z. B. Rechtspflichten, sofern sie als äußere Pflichten auch Gegenstand der Tugendlehre sein können) enthalten kann. Die erstere erstreckt sich auf die ganze Sittenlehre, die letztere beschränkt sich auf die Tugendlehre.86 Rechtspflichten können als äußere Pflichten (nicht als äußere Tugendpflichten) nämlich auch in der Tugendlehre vorkommen, insofern sie von außen aufgenommen werden. Substantiell bleiben sie aber Rechtspflichten, weil sie nicht der inneren Gesetzgebung entspringen können, also ihre Entstehung einem anderen Modus der Kausalität des Willens verdanken als die Tugendpflichten.87 Allein die Tugendpflicht (der „Begriff eines Zwecks, der zugleich Pflicht ist“, 6:389.12) kann ein Gesetz für Handlungsmaximen begründen (6:389.12 – 14), und dies geschieht dadurch, dass „der subjective Zweck (den jedermann hat) dem objectiven (den sich jedermann dazu machen soll) untergeordnet wird“ (6:389.14 – 15). Der „subjective Zweck“, der sich in der Verfügungsgewalt jedes einzelnen handelnden Subjekts befindet, insofern dieses selbst durch einen freien Akt seiner Willkür Autor und Exekutor desselben ist, ist einerseits ein einzelner, je besonderer Zweck; andererseits ist er überhaupt Bedingung der Möglichkeit einer „freie[n] Handlung“ und in Anbetracht eines Zwecks, der zugleich Pflicht ist (eines objektiven Zwecks), ist der subjektive Zweck die Maxime und damit „Mittel zu Zwecken“ (so denke ich, muss der schwierige zweite Absatz von Einleitung VI., hier 6:389.16 – 26, sie (als Pflichten überhaupt) in der Ethik gar nicht vorkommen können oder generell nichts darin zu suchen hätten. 86 Vgl. zur Differenzierung des Begriffs der Ethik auch den Beitrag von Heiner Klemme in diesem Band (S. 48). In der Einleitung in die Tugendlehre (6:379.3 – 12) weist Kant selbst auf den traditionellen zweifachen Gebrauch des Terminus Ethik hin, ohne sich davon zu distanzieren. Mir scheint, dass Kants Sprachgebrauch in der MS an der doppelten Bedeutung des Wortes festhält. Sie zeigt sich am Ende der Einleitung insbesondere an der zweifachen Einteilung der Ethik (Abschnitt XVIII.). Innerhalb der Tugendlehre kann nochmals unterschieden werden zwischen derjenigen ethischen Lehre, die ausschließlich Tugendpflichten (direkt ethische Pflichten) und derjenigen, die Rechtspflichten als formale äußere Pflichten mit einschließt. 87 Vgl. im Unterschied dazu den Beitrag von Burkhard Tuschling in diesem Band S. 72 f., 79, 81, 83.

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interpretiert werden). Damit enthält der subjektive Zweck als Maxime zugleich die „Bedingung der Qualification zu einer möglichen allgemeinen Gesetzgebung“ (6:389.21 f.). Die Bedingung besteht darin, dass Maximen als „subjective Grundsätze“ (6:389.7) für alle anderen möglichen subjektiven Zwecke von jedermann dadurch zur gesetzgebenden Norm gebracht werden, dass sie objektiven Zwecken (Zwecken, die zugleich Pflicht sind) als Mittel ihrer Verwirklichung unterstellt werden. Der objektive Zweck hingegen kann „es zu einem Gesetz machen […], eine solche Maxime zu haben“ (6:389.22 – 24), mit der das „Willkürliche der Handlungen“ aufgehoben wird (6:389.29 f.). Dieses Machen zum Gesetz, eine Maxime zu haben usw., bringt den (von Kant nicht explizit behaupteten) Postulatcharakter des kategorischen Imperativs in Gestalt des obersten Prinzips der Tugendlehre zum Ausdruck, kraft dessen mit hoher Wahrscheinlichkeit von Kant die Unbeweisbarkeit dieses Prinzips behauptet werden kann. Der Beweisgang würde mit der Konstituierung des Prinzips selbst zusammenfallen (s.u. die Besprechung von Abschnitt VIII. der Einleitung). Abschnitt VII. scheint nach der Ankündigung der Überschrift, dass die „ethischen Pflichten“ von „weiter“, die Rechtspflichten dagegen als von „enger“ Verbindlichkeit zu betrachten seien (6:380.2 – 3), dem Thema einen ganz neuen Gedanken hinzuzufügen. Kant aber stellt ihn bewusst in unmittelbare Nähe zum gerade besprochenen Gegenstand, indem er bemerkt, „dieser Satz“ (in der Überschrift zum siebten Abschnitt) sei „eine Folge aus dem vorigen“ (6:390.4). Dass die ethischen Pflichten von weiter Verbindlichkeit sind, folgt nämlich daraus, dass das Gesetz, das durch den Imperativ ausgedrückt und das durch den objektiven Zweck erst zu einem Gesetz gemacht werden kann, sich nicht direkt sondern mittelbar, d. h. mittels Maximen, auf Handlungen bezieht und sich nur in dieser Weise darauf beziehen kann (weil menschliche Wesen immer unter Bezug auf ihre subjektive Willkür handeln). Maximen aber unterliegen der subjektiven Zwecksetzung der freien Willkür, so dass sich darin ein „Spielraum“ dokumentiert (6:390.6 f.). Dieser „Spielraum“ lässt der freien Willkür den Modus der Befolgung des Gesetzes durch die Handlung offen; er determiniert nicht, „wie und wie viel durch die Handlung zu dem Zweck, der zugleich Pflicht ist, gewirkt werden solle“ (6:390.7 – 9). Abschnitt VIII. der Einleitung in die TL ist überschrieben: „Exposition der Tugendpflichten als weiter Pflichten.“ (6:391). Er untergliedert sich in zwei Unterabschnitte: „1. Eigene Vollkommenheit als Zweck, der zugleich Pflicht ist.“ (6:391) „2. Fremde Glückseligkeit als Zweck, der zugleich Pflicht ist.“ (6:393) Diese beiden Topoi werden später in der Ethischen Elementarlehre, Erster Theil, in den beiden Abschnitten des Zweiten Buches (§§ 19 – 22), bzw. im Zweiten Theil, Erstes Hauptstück, 1. und 2. Abschnitt (§§ 23 – 44) näher ausgeführt.88 Als Tugendpflichten ging ihnen aber im fünften Einleitungsabschnitt (6:386 ff.) bereits eine „Erläute88 Die Ausführung ist (und bleibt vorläufig) ein Problem. Wo wird denn die fremde Glückseligkeit eigentlich verhandelt? Kann man zeigen, dass das Wohlwollen bzw. Wohltun für Andere den Zweck der fremden Glückseligkeit erfüllt? (s. den Beitrag von Edwards in diesem Band, Abschnitt III.).

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rung“ ihrer Begriffe voraus. Ist also die „Exposition“ in Abschnitt VIII. eine abschließende oder eine vorläufige (oder was folgt auf VIII. noch?). Was will Kant mit der Exposition der Tugendpflichten als weiter Pflichten eigentlich zeigen? Gemäß Kants Sprachgebrauch in der KrV wird der Ausdruck „Exposition“, der sich auf einen a priori gegebenen Begriff bezieht, ersatzweise im Sinne einer philosophischen (analytischen) Definition (Begriffserklärung) gebraucht, die im Unterschied zu einer mathematischen Definition nicht durch Konstruktion „ursprünglich gemachter Begriffe“ zustande kommt, sondern „nur analytisch durch Zergliederung (deren Vollständigkeit nicht apodiktisch gewiß ist)“ (KrV, B 758).89 Strenggenommen kann es demzufolge in der Philosophie keine Definitionen geben, weder solche von empirischen, noch von a priori gegebenen, noch auch von willkürlich gedachten Begriffen.90 Statt des Ausdrucks „Definition“ will Kant deshalb für philosophische Erklärungen nur den Ausdruck „Exposition“ verwenden (einen Ausdruck, „der immer noch behutsam bleibt, und bei dem der Kritiker sie auf einen gewissen Grad gelten lassen und doch wegen der Ausführlichkeit noch Bedenken tragen kann“) (B 757 / A 729). Nur die Mathematik enthält Definitionen im echten Sinne, denn die Begriffe, die sie beim Definieren denkt, kann sie a priori in der Anschauung konstruieren; und der Gegenstand der Anschauung kann in diesem Fall „nicht mehr noch weniger enthalten, als der Begriff“, weil dieser Begriff ursprünglich und unmittelbar durch die Erklärung gegeben wurde. (B 757 – 758 / A 729 – 739). M.a.W., Begriff und Gegenstand sind ursprünglich adäquat. Diese Art des Gegebenseins gedachter Gegenstände in Begriffen in der Mathematik unterscheidet sich offenbar nach Kant grundlegend vom Gegebensein von Begriffen a priori in der Philosophie, die in diesem Sinne nicht gemacht (durch „willkürliche Synthesis“ (KrV, B 757) hervorgebracht) sind.91 In der Philosophie geht die Erklärung „verworren“ (als „unvollständige Exposition“) und nur versuchsweise voran, ehe die Definition das Werk in angemessener Deutlichkeit beschließt, indem sie zur „vollständigen Exposition“ gelangt (KrV, 89 Vgl. KrV, B 755 – 760; B 508, B 510, B 536. S. zu dieser Unterscheidung M. Wolff, Faktum der Vernunft (2009), 514 – 516. Nach Wolffs Feststellung weicht der Gebrauch des Terminus Exposition in Kants Moralphilosophie von dem in der KrV geforderten Schema ab (M. Wolff, ebd., 516). 90 Vgl. KrV, B 755 / A 727 – B 757 / A 729. 91 Die nichtmathematische Begriffserklärung einer Exposition scheint sich auf Kants theoretische Philosophie zu beschränken (zur Nachahmung der mathematischen Methode vgl. MAN, 4:478.22 – 31). Da die praktische Philosophie ihre Begriffe a priori tätig hervorbringt, benutzt Kant in der KpV „Deklarationen“ (s. dazu M. Wolff, Faktum der Vernunft (2009), 516, bes. Fn. 9). Auffälligerweise haben wir es aber in der MS, Tugendlehre, explizit mit Expositionen zu tun. Und auch in der RL kommen neben Definitionen auch Expositionen vor (s. bes. Anfang von § 5: aus einer vollständigen und bestimmten Exposition eines Begriffs geht seine „Namenerklärung“ als eine Begriffserklärung hervor, die „bloß zur Unterscheidung des Objects von allen andern zureicht“ (6:248.32 – 34)) (Hängt das vielleicht damit zusammen, dass Kant zwar für die Rechtslehre ein quasi-mathematisches Konstruktionsverfahren anstrebt, das er jedoch für die TL ausschließen möchte? [vgl. MS, RL, § E., Anm., 6:232.30 – 233.23]).

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B 758 f.).92 Die Unvollständigkeit der ersten Exposition ergibt sich daraus, dass der vorläufig nur „verworren“ gegebene Begriff „viel dunkle Vorstellungen enthalten kann, die wir in der Zergliederung übergehen, ob wir sie zwar in der Anwendung jederzeit brauchen: so ist die Ausführlichkeit der Zergliederung meines Begriffs immer zweifelhaft, und kann nur durch vielfältig zutreffende Beispiele vermutlich, niemals aber apodiktisch gewiß gemacht werden“ (KrV, B 756 – 757 / A 728 – 729). Sofern in der Philosophie überhaupt von Definitionen gesprochen werden kann, steht die Definition nicht wie in der Mathematik am Anfang, sondern bildet den Abschluss einer Untersuchung (KrV, B 759 / A 731). Aber selbst dieser Beschluss lässt noch offen, ob die Analyse und damit die Einteilung wirklich vollständig nachgewiesen worden ist. Die Feststellung, dass ethische Pflichten im Unterschied zu Rechtspflichten Pflichten von „weiter“ Verbindlichkeit sind, indem sie nicht direkt auf Handlungen, sondern auf Handlungsmaximen wirken und somit Entscheidungsspielräume öffnen, war der eigentlichen „Exposition“ (Einleitung in die TL, VIII.) bereits als Erläuterung, d. h. als unvollständige Exposition, in Abschnitt V. vorangegangen. In der eigentlichen („vollständigen“) „Exposition“ gliedern sich der Zweck der eigenen Vollkommenheit und der der fremden Glückseligkeit nach dem physischen und dem moralischen Gesichtspunkt. Die Argumentation (die hier im einzelnen nicht verfolgt werden kann) läuft darauf hinaus zu zeigen, dass die entsprechenden Pflichten solche von weiter Verbindlichkeit, also Tugendpflichten sind. Damit ist die Exposition abgeschlossen und die Definition der Tugendpflicht in concreto erreicht. Sie schließt m.a.W. die Erklärung über das Nominale hinausgehend mit einer Sacherklärung ab. Die Exposition hat nachgewiesen, dass es Tugendpflichten gibt, warum es sie gibt und welche das sind, indem erklärt werden konnte, dass es Zwecke an sich selbst sind, d.i. Zwecke, die „ihrem Begriffe nach“ zugleich Pflichten sind (vgl. 6:385.12 – 14). Abschnitt IX. wendet sich einem anderen Begriff zu, dem der „Deduktion“ des obersten Prinzips der Tugendlehre. VIII. Deduktion des obersten Prinzips der Tugendlehre (Einleitung, Abschnitte IX. und X.) Der neunte Abschnitt der Einleitung enthält Kants Hinweisen zufolge (6:395.23, 396.15) eine „Deduction“ des obersten Prinzips der Tugendlehre „aus der reinen praktischen Vernunft“ (6:395.23 – 24). Es soll sich dabei um eine Deduktion ohne Beweisanspruch handeln. Bevor ich mich der Deduktion selbst zuwende, die auf den kurzen letzten Absatz des neunten Abschnittes beschränkt ist (6:395.22 – 32), möchte ich die wichtigsten Inhalte des Abschnittes, die der Deduktion vorausgehen, kurz erläutern. 92 Eine „vollständige[] und bestimmte[] Exposition des Begriffs“ ist allein schon notwendig, um eine Sache nur dem Namen nach zu erklären (6:248.32 – 34) (s. vorherige Fn.). Im Unterschied dazu erfordert eine „Deduction“ darüber hinaus auch eine „Sacherklärung“ (d.i. eine Definition) (6:249.3 – 5).

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Es geht Kant in diesen Vorbemerkungen zur Vorstellung des obersten Prinzips der Tugendlehre vor allem darum, den Unterschied zwischen Rechtspflicht und Tugendpflicht zu verdeutlichen, der grob gesprochen darin besteht, dass die Tugendpflicht über das Formale des Gesetzes hinaus die Materie – als Zweck, der zugleich Pflicht ist – enthalten muss. Kant nähert sich dem Begriff der Tugendpflicht über die Erläuterung des Tugendbegriffs. Tugend, so stellt er in einer ersten Überlegung fest, bedeutet nicht bloß „Selbstzwang“, sondern ist zugleich auch „ein Zwang nach einem Princip der inneren Freiheit“ (6:394.20 – 22), und dieses Prinzip ist ein formales Gesetz, das eine Pflicht vorschreibt. Für die ethischen Pflichten genügt dabei eine innere Gesetzgebung, für die Rechtspflichten ist dagegen „auch eine äußere Gesetzgebung möglich“ (6:394.26 – 27). Tugend ist insofern das „moralische Vermögen“, das Zwang bzw. Nötigung aus sich selbst heraus, d. h. aus innerer Freiheit und Gesetzlichkeit, ausübt. Sie ist eine „Gesinnung“, die Kant als „Achtung fürs Gesetz“ ausweist (6:394.29). Die daraus folgende Handlung ist eine ethische und wird „Tugendhandlung“ genannt. Nun ist aber auffällig, dass das „Gesetz“, das hierbei zum Tragen kommt, eine „Rechtspflicht“ zum Gegenstand oder propositionalen Inhalt hat. Aus dem Tugendbegriff folgt also, formal betrachtet, zuerst eine Rechtspflicht und keine Tugendpflicht, und zwar aufgrund des bloß formalen Charakters des moralischen Gesetzes als eines solchen, das allen Pflichten überhaupt den Status einer Verbindlichkeit verleiht.93 Was über den Begriff der Tugend hinaus eine Pflicht zur Tugendpflicht macht, das ist erst die „Materie“ der Maximen, nämlich die Zwecke, die zugleich als Pflichten angesehen werden müssen. Was also Pflichten eigentlich und im vollwertigen Sinne erst zu Tugendpflichten macht, ist nicht der freie Selbstzwang des Menschen allein (denn der begründet formal ebenso die Rechtspflicht), sondern der besondere Umstand, dass sie „den Zweck bestimmen, der zugleich Pflicht ist.“94 Dieser Gedanke wird, wie sich gleich noch zeigen wird, in Abschnitt X. der Einleitung wiederholt. Tugendpflicht ist also die Verbindlichkeit zu einer Maxime, die als Materie eine Zweckvorschrift enthält, d. h. einen Zweck, der zugleich zur Pflicht erhoben wird (6:395.11 – 14). Auf diese Überlegung folgt die allgemeine Formulierung des obers93 Aus dieser begründungslogischen Vorrangigkeit der Rechtspflicht gegenüber der Tugendpflicht folgt noch nicht, dass das Recht der Ethik in Kants MS übergeordnet ist oder ihm gegenüber Priorität besitzt (s. dagegen Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (1993), 196). Aber ebenso wenig kann aus einer etwaigen ethischen Beimischung in der RL von einer Vorrangigkeit der Ethik vor dem Recht gesprochen werden. Man könnte sogar sagen: wie es auf der einen Seite innerhalb der RL eine Art „inneres“ Recht geben mag (vgl. dazu Pinzani, Der systematische Stellenwert (2005), 71 – 94), so auf der anderen Seite in der TL eine „äußere“ Tugend als dem Teil der Ethik, der äußere Pflichten enthält, die an sich Rechts- und nicht Tugendpflichten sind. 94 „Da aber die ethische Verbindlichkeit zu Zwecken, deren es mehrere geben kann, nur eine weite ist, weil sie da blos ein Gesetz für die Maxime der Handlungen enthält und der Zweck die Materie (Object) der Willkür ist, so giebt es viele nach Verschiedenheit des gesetzlichen Zwecks verschiedene Pflichten, welche Tugendpflichten (officia honestatis) genannt werden; eben darum weil sie blos dem freien Selbstzwange, nicht dem anderer Menschen unterworfen sind und die den Zweck bestimmen, der zugleich Pflicht ist“ (6:395.1 – 8).

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ten Prinzips der Tugendlehre: „handle nach einer Maxime der Zwecke, die zu haben für jedermann ein allgemeines Gesetz sein kann“ (6:395.15 f.). Dieses Prinzip, das dem Wortlaut nach nicht mit der sog. „Zweck-an-sich-Formel“ des kategorischen Imperativs in der Grundlegungsschrift (4:429.10 – 12) übereinstimmt, wird sogleich so ausgelegt, dass „für jedermann“ bedeutet: „sowohl sich selbst als Andern Zweck“ zu sein, und schließlich in die präzise Formel gebracht: „den Menschen überhaupt sich zum Zwecke zu machen ist an sich selbst des Menschen Pflicht“ (6:395.20 f.). Mit dieser Formel soll mehr ausgesagt werden als die bloße Negation der Befugnis, sich selbst und Andere „blos als Mittel zu gebrauchen“ (6:395.18 – 19), denn dieses Verbot ließe noch die Möglichkeit einer indifferenten Haltung zu. Es ist aber von großer Wichtigkeit, diese Möglichkeit zu negieren, denn sie spielt eine erhebliche Rolle im Argumentationsgang der „Deduktion“, wie wir gleich noch sehen werden. Dass das „oberste Princip der Tugendlehre“ nicht gleichbedeutend (identisch) sein kann mit dem „obersten Princip der Moralität“ bzw. „der Sittlichkeit“95 folgt (indirekt) auch aus dem, was Michael Wolff in seiner Untersuchung zur Differenz zwischen dem Autonomieprinzip und dem kategorischen Imperativ nachgewiesen hat, dass nämlich das Prinzip der Willensautonomie als alleiniges Prinzip der Moral zugleich oberstes Prinzip der Moralität bzw. Sittlichkeit ist, demgegenüber der kategorische Imperativ (als moralisches Gesetz oder Sittengesetz) als ein untergeordneter Folgesatz und als eine Spezifizierung des praktischen Grundgesetzes zu betrachten sei.96 Wir haben weiter oben (bei der Betrachtung des Einleitungsabschnittes III.) gesehen, dass Kant auch in der MS der Handlung der Zwecksetzung (und damit indirekt auch dem obersten Prinzip der Tugendlehre, das den Pflichtbegriff mit dem Begriff eines Zwecks verbindet) den Freiheitsakt der praktischen Vernunft als ein „praktisches Princip“ voraussetzt (vgl. 6:385.1 – 18). Das „oberste Princip“ wird von Kant hier „Grundsatz der Tugendlehre“ genannt (in Analogie zum „oberste[n] Grundsatz der Sittenlehre“ (6:226.1)), und dieser ist, wie der nachfolgende Abschnitt X. der Einleitung zeigt, synthetisch (darauf ist weiter unten zurückzukommen). Erläuterungsbedürftig ist Kants Erklärung, dass dieser Grundsatz ein „kategorischer Imperativ“ sei und aus diesem Grunde „keinen Beweis, aber wohl eine Deduction aus der reinen praktischen Vernunft“ erlaube (6:395.22 – 24). Was ist mit dieser Behauptung genau gemeint? Welches Argument versagt den Beweis? Was wird hier deduziert? Und was bedeutet hier eigentlich „Deduction“? Michael Wolff hat mit Bezug auf das „Grundgesetz der praktischen Vernunft“ in § 7 der KpV, von dem Kant gleichfalls behauptet, es verlange nach einer Deduktion ohne Beweis, gezeigt, dass es sich bei diesem Grundsatz zwar um einen synthetischen Satz a priori handelt, der aber auf Kants Anweisung hin97 in Analogie zur Geo95

Vgl. Grundlegung, 4:392.4, 4:463.22; 4:440.15. Vgl. M. Wolff, Faktum der Vernunft (2009), S. 524 f., 547 f. Vgl. Grundlegung, 4:440.13 – 32. 97 KpV, erste „Anmerkung.“ zu § 7, 5:31.2 – 10; vgl. KU, § 91, 5:470.11. 96

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metrie als Postulat gedeutet werden müsse, genauer: als praktisches Postulat (KpV, 5:46.11); ein solches Postulat bedürfe keines Beweises (vgl. KrV, B 285 f.), weil es das Verfahren anzeige, durch das Begriffe erzeugt werden in dem Sinne, dass ihnen durch Konstruktion (in der Anschauung) ein Inhalt verschafft werde.98 Sowohl das praktische Grundgesetz (als oberstes Prinzip der Sittenlehre) als auch das Sittengesetz können demnach als praktische Postulate aufgefasst werden.99 Eine Deduktion ohne (theoretisch geführten) Beweis sei eine Rechtfertigung oder Verteidigung oder auch die Einsicht in die Möglichkeit eines synthetischen Satzes a priori.100 Eine solche Deduktion unterscheidet sich offensichtlich von dem in der KrV angewandten gleichnamigen Beweisverfahren für die Verstandesgrundsätze. Es spricht viel dafür, dass diese Begründung der Nichtbeweisbarkeit eines synthetischen Grundsatzes a priori auf das oberste Prinzip der Tugendlehre übertragbar ist. Eine genauere Untersuchung dieser Vermutung kann ich an dieser Stelle nicht erbringen. Zwar erwähnt Kant innerhalb des noch zu diskutierenden Deduktionsabschnittes (IX.) den Postulatcharakter nicht, und er stellt auch keinen Vergleich zur Mathematik her, aber an anderen Stellen finden wir doch entsprechende Hinweise, so z. B. in der Einleitung in die Metaphysik der Sitten, IV. (6:225.27): Praktische Gesetze, zu denen der kategorische Imperativ (der Sittlichkeit) in gewissem Sinne gehört, sind mit mathematischen Postulaten vergleichbar, insofern sie „unerweislich und doch apodiktisch“ befunden werden (6:225.26 – 28). Zur Erklärung dieses Gesetzes verweist Kant darauf, dass es die Freiheit der Willkür, die weder aus Gründen der spekulativen Vernunft noch durch Erfahrung erkannt werden könne, darlege (6:225.17 – 31). – In der Einleitung zur RL findet sich ein entsprechender Vergleich mit Bezug auf das allgemeine Rechtsgesetz (6:231.18; 232.30 – 233.23). Die Vernunft sage im allgemeinen Rechtsgesetz „als ein Postulat, welches gar keines Beweises weiter fähig ist“ (6:231.17 f.), dass der Gebrauch der freien Willkür durch die Bedingung der Verträglichkeit mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz eingeschränkt sei (6:231.15 f.). Die Anmerkung zu § E erläutert, inwiefern das „Gesetz eines mit jedermanns Freiheit nothwendig zusammenstimmenden wechselseitigen Zwanges unter dem Princip der allgemeinen Freiheit“ (der Zwang nimmt hier die Rolle der Anschauung ein) nach der Analogie mit der „reinen Mathematik“ die Konstruktion des Rechtsbegriffs darstellt (6:232.30 – 233.23). Für die Tugendlehre soll – das ist zu beachten – diese Analogie mit der mathematischen Begriffskonstruktion nur eingeschränkt gelten können (vgl. 6:233.21 – 23). Der Rest des letzten Absatzes des neunten Einleitungsabschnittes (6:395.24 – 32) enthält m. E. die angekündigte Deduktion, die sich in 5 Argumentationsschritte glie98

Vgl. M. Wolff, ebd., 527 f. Vgl. M. Wolff, ebd., 524; KpV, 5:31.36 – 37. 100 Die Einzelheiten der Begründung übergehe ich hier (vgl. dazu M. Wolff, Faktum der Vernunft (2009), 522, 541 f.); s. auch KrV, B 285 / A 233; KpV, 5:46.20 – 22. Worin die Rechtfertigung oder Verteidigung in diesem Falle besteht, muss offen gelassen werden (mit Bezug auf die KpV ist es der nichttranszendente Vernunftgebrauch des Freiheitsbegriffs, dessen Nachweis Ziel der Deduktion ist; vgl. dazu erneut: M. Wolff, ebd., 542 – 545). 99

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dert. Gemäß Abschnitt X., 2. Abs. enthält die Deduktion die Möglichkeit des obersten Prinzips der Tugendlehre (6:396.15 f.). Die Deduktion muss diese Möglichkeit aufzeigen. Die Argumentation setzt ein mit einem Behauptungssatz: (1) „Was im Verhältniß der Menschen zu sich selbst und anderen Zweck sein kann, das ist Zweck vor der reinen praktischen Vernunft“ (6:395.24 – 26). Die beiden Hervorhebungen in diesem Satz („kann“, „ist“) deuten auf eine modale Differenz zwischen den beiden Teilaussagen desselben hin. Der erste Teil des Satzes lässt sich daher so umformulieren: Alles dasjenige, welches in menschlichen Verhältnissen als Zweck möglich ist (wofür es logisch und sachlich keine hinreichenden Gründe seiner Unmöglichkeit gibt) … – und entsprechend der zweite Teilsatz: … von dem muss immer schon gelten, dass es in Beziehung auf die praktische Vernunft faktisch und notwendig Zweck (Vernunftzweck) „ist“. M.a.W. jeder überhaupt mögliche Zweck im ethischen Verhältnis der Menschen zueinander ist notwendig (unhintergehbar) daran gebunden, dass er Zweck der praktischen Vernunft ist, (weil diese überhaupt das Vermögen der Zwecke ist), oder noch anders formuliert: dass etwas Zweck menschlichen Handelns sein kann, ist ethisch relevant nur insofern, als der subjektive Zweck objektiv ein Vernunftzweck ist.101 (2) Der Grund für diese notwendige Verbindung ist die Bestimmung der praktischen Vernunft als eines Vermögens „der Zwecke überhaupt“ (6:395.26). (3) Es folgt daraus der Schluss, dass eine Haltung der Indifferenz oder Interesselosigkeit gegenüber der praktischen Vernunft ein Widerspruch wäre (6:395.26 – 28). Dieser Schluss passt zu der Überlegung, nach der die inhaltliche Auslegung des obersten Prinzips der Tugendlehre mehr verlangt als Indifferenz gegenüber sich und anderen Menschen (6:395.19). (4) Der anschließende Weil-Satz erläutert noch einmal zusätzlich, weshalb jene Indifferenz einen Widerspruch der praktischen Vernunft einschließt: Die praktische Vernunft hebt sich bei Interesselosigkeit selbst als Begriff auf, insofern sie ohne Beziehung auf Zwecke keine Handlungsmaximen mehr bestimmen könnte, denn Handlungen sind immer an Zwecke gebunden. Zwecke überhaupt werden aber von der praktischen Vernunft allein erzeugt. (5) Es kommt aber nicht nur darauf an, die praktische Vernunft als alleinigen Autor der Zwecke anzuerkennen, durch die Maximen zu Handlungen bestimmt werden können. Wenn das Haben von Zwecken zugleich ein allgemeines Gesetz für jedermann sein können soll (wie die Formel des kategorischen Imperativs vorschreibt), so müssen sie geboten werden. Zwecke als solche kann die reine Vernunft aber nicht gebieten, es sei denn, sie macht sie zugleich zur Pflicht („als Pflicht ankündigt“). Eine solche Pflicht, die zugleich Zweck a priori ist, heißt bei Kant „Tugendpflicht“ (6:395.30 – 32). Die spezifische Bedeutung (der Inhalt) des Begriffs der Tugendpflicht ist also die Bedingung, die den kategorischen Imperativ gemäß der ZweckFormel in der MS möglich macht. Sie enthält das zentrale Argument der Deduktion. Man sieht nun, dass die Deduktion des Prinzips der Tugendlehre auf wackeligen Bei101 Das was „Zweck sein kann“, muss nach der inhaltlichen Erläuterung des obersten Tugendprinzips (6:395.17) der Mensch selbst oder der „Mensch überhaupt“ sein.

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nen stünde, würde sie nicht die Exposition des Begriffs der Tugendpflicht voraussetzen können. Nur weil es aufgrund der Doppelfunktion der praktischen Vernunft als Gesetzgeber und als Urheber von Zwecken, die beide auf dem Autonomieprinzip des Willens beruhen (wie die Betrachtung von Abschnitt III. der Einleitung ergeben hat), Tugendpflichten gibt, die zum Inventar der reinen praktischen Vernunft gehören, kann das Handeln nach Zweckmaximen ein allgemeines Gesetz für jedermann werden.102 Kant behauptet in Abschnitt X. der Einleitung, das oberste Prinzip der Tugendlehre sei synthetisch, insofern es den Pflichtbegriff über den der äußeren Freiheit hinaus erweitere (6:396.12 – 13). Der synthetische Charakter bzw. die Erweiterung bestehe darin, dass es mit dem Begriff der äußeren Freiheit „nach allgemeinen Gesetzen“ einen Zweck verbinde, „den es zur Pflicht macht“ (6:396.13 – 14). Die äußere Freiheit steht, so scheint es, unter der einschränkenden Bedingung der inneren Freiheit,103 insofern diese „das bloße Förmliche“ der „durchgängigen Zusammenstimmung“ der äußeren organisiert, indem sie den äußeren Zwang durch den „Selbstzwang“ ersetzt, der „durch reine praktische Vernunft“ unvermittelt „aufgestellt wird“ (6:396.17 – 22). In der inneren Freiheit und dem Selbstzwang liegt also noch nicht das Moment der Erweiterung, das das oberste Prinzip der Tugendlehre auszeichnet. Sondern solche Erweiterung „besteht darin und erhebt sich dadurch über die Rechtspflicht: daß durch sie Zwecke aufgestellt werden, von denen überhaupt das Recht abstrahirt“ (6:396.22 – 24). In Bezug auf den kategorischen Imperativ bedeutet diese Erweiterung, dass in demjenigen Imperativ, der die Tugendpflicht gebietet, gegenüber den „Elemente[n]“ des moralischen Imperativs, die den Begriff der Rechtspflicht konstituieren (Gesetz, Handlungsvermögen, Wille), „noch über den Begriff eines Selbstzwanges der eines Zwecks“ hinzukommt. Von diesem Zweck soll gelten, dass wir ihn nicht einfach „haben“, „sondern haben sollen, den also die reine praktische Vernunft in sich hat, deren höchster, unbedingter Zweck (der aber doch immer noch Pflicht ist) darin gesetzt wird: daß die Tugend ihr eigener Zweck […] sei“ (6:396.28 – 34). Aus der Perspektive dieses gerade referierten dritten Absatzes von Abschnitt X. der Einleitung wird Kants These von der Unbeweisbarkeit des obersten Prinzips der Tugendlehre (Abschnitt IX.) verständlicher. Der kategorische Imperativ, der die Tugendpflicht gebietet, kann nicht bewiesen werden und bedarf keines Beweises, weil die Zwecke, die zu seinen Elementen gehören, zwar zum moralischen Imperativ hinzugedacht werden müssen, aber direkt (nicht vermittelst von Neigungen) aus der praktischen Vernunft fließen und insofern objektiv (zugleich allgemein verpflichtend) sind. Aber das Prinzip der Tugendlehre bedarf einer Deduktion im Sinne einer Erläuterung und Rechtfertigung seines Gebrauchs, weil es nicht von selbst ein-

102 Zur Deduktion des obersten Prinzips der Tugendlehre vgl. Baum, Probleme der Begründung (1999), 46 – 49. 103 Vgl. Baum, Probleme der Begründung (1999), 46.

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leuchtet, dass und warum die praktische Vernunft a priori Pflichten mit bestimmten Zwecken kombiniert. IX. Die zweifache Einteilung der Ethik (Einleitung, Abschnitt XVIII. und Tafeln) – sechs Fragen zum Textverständnis Der letzte Abschnitt der Einleitung in die TL (XVIII.), dem meiner Ansicht nach eine Schlüsselstellung im Hinblick auf die Begründung der Einteilung der Tugendlehre bzw. Ethik104 zukommt, ist nicht einfach zu durchschauen und erfordert daher eine gründliche Interpretation. Er trägt selbst keine Überschrift. Ich gehe davon aus, dass auch die beiden Übersichten (6:413) noch Bestandteil von Abschnitt XVIII. sind, dass diese also den fortlaufenden Text unterbrechen, der dann mit dem letzten Satz der Einleitung (6:413.15 – 16) endet. Inhaltlich gehört zum Kontext dieses Abschnittes auch der Abschnitt „XVII. Vorbegriffe zur Eintheilung der Tugendlehre“ (6:410.1 – 412.11); dieser erfüllt eine die nachfolgende Einteilung vorbereitende Funktion und lässt sich außerdem ganz gut beziehen auf die (für sich genommen ziemlich rätselhafte) „Tafel der Eintheilung der Ethik“ (6:492 – 493), die den Abschluss der Metaphysischen Anfangsgründe der Tugendlehre bildet. An den Gesamttext des Abschnittes XVIII. richten sich in der Hauptsache meine folgenden Fragen, die wiederum eine Anzahl speziellerer Fragen involvieren: 1. Wie ist die Form der Einteilung der Ethik eigentlich bestimmt? 2. Welches sind die „zweierlei Principien“ (6:412.15), nach denen die Einteilung erfolgen soll? 3. Wodurch unterscheiden sich die beiden Einteilungsvarianten, in die sich die Einteilung gemäß den beiden Prinzipien gliedert? Wie beziehen sie sich aufeinander? 4. Wie beziehen sich die im Haupttext von XVIII. beschriebenen beiden Einteilungsarten auf die beiden Übersichten (6:413) und schließlich auf die „Tafel der Eintheilung der Ethik“ (6:492 f.)? 5. Auf welches Einheitsprinzip gründen sich die Einteilungen? 6. Welche Schlüsse ergeben sich aus der Beantwortung der vorstehenden Fragen für den Systemaufbau der „Tugendlehre“?

104 Im Text von Abschnitt XVIII. spricht Kant durchgängig von „einer“ oder „der“ Ethik. Aber insbesondere die Übersicht, die mit „Zweite Eintheilung der Ethik“ überschrieben ist (6:413.9 ff.), macht deutlich, dass sie zugleich einen Bauplan für die im Anschluss an die Einleitung ausgeführte Tugendlehre darstellen soll, finden sich doch die hier gebrauchten Titel in der Textgliederung sowie in der „Tafel der Eintheilung der Ethik“ ganz am Ende des Werkes (6:492 f.) größtenteils wieder. Zum Begriff der Ethik vgl. Abschnitt XVII. u. a.

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Um diese Fragen der Reihe nach beantworten zu können, soll der Text von Abschnitt XVIII. nun Zeile für Zeile betrachtet und dabei in eine Folge von Gedankenschritten gegliedert werden. Zunächst gibt der Text kurz bekannt, um welche Einteilung es sich im folgenden handeln wird, nämlich um eine Einteilung, die „die praktische Vernunft zu Gründung eines Systems ihrer Begriffe in einer Ethik entwirft“ (6:412.13 f.). Die Einteilung gibt also nicht bloß einen formalen Überblick über die Anordnung der Teile eines Ganzen, sondern hat eine bestimmte Begründungsfunktion; und diese muss den Zweck erfüllen, die „Begriffe“ der praktischen Vernunft in ein „System“ zu bringen. Ausgeübt (,entworfen‘) wird diese Funktion, die in Abschnitt II. meiner Untersuchung in Bezug auf Kants Philosophie insgesamt und der in sie eingebauten Subsysteme bereits erläutert wurde, in diesem Falle von der praktischen Vernunft selbst. Das Einteilen ist demnach eine ordnungsstiftende Operation, die nach einem Prinzip erfolgt. Der Ort, an dem diese Begründung hier entfaltet werden soll, heißt „Ethik“. Insofern es sich bei der anvisierten Einteilung zunächst nur um eine Art von Entwurf, d. h. um eine vorläufige Einteilung handelt, wird sie „die architektonische“ genannt. Wenn wir einfach unterstellen, dass es sich bei diesem Wortgebrauch um die Bedeutung von Architektonik handelt, die wir am Anfang im Zusammenhang mit dem Gedanken der Philosophie als eines Systems, wie er im Architektonik-Kapitel der KrV präsentiert wird, erläutert haben, dann wird auch der Einteilung der Ethik notwendig eine Idee der praktischen Vernunft zugrunde liegen müssen, die zugleich einen Zweck enthält, der die Glieder der Einteilung in einen notwendigen Zusammenhang bringt. Davon ist aber an der betrachteten Stelle jedenfalls explizit nicht die Rede.105 Das Einteilen der Ethik kann nun – so besagt der zweite Gedankenschritt – auf zweifache Weise, nämlich „nach zweierlei Principien“, vorgenommen werden. Um welche Prinzipien es sich dabei handeln soll, wird nicht mitgeteilt; ihre Bedeutung erschließt sich aus ihren nachfolgend (dritter Gedankenschritt) angegebenen Aufgaben: das erste Prinzip soll „das subjective Verhältniß der Verpflichteten zu dem Verpflichtenden der Materie nach“ vorstellen (nennen wir es deshalb: subjektives materiales Prinzip ethischer Verpflichtung), das zweite dagegen „das objective Verhältniß der ethischen Gesetze zu den Pflichten überhaupt in einem System der Form nach“ (6:412.16 – 19) (und dieses mag entsprechend objektives formales Prinzip ethischer Verpflichtung heißen). Der vierte Gedankenschritt (hinter dem Gedankenstrich) erläutert anscheinend das jeweilige Ergebnis der zwei Weisen des Einteilens. Er unterscheidet gemäß dem jeweils geltenden Prinzip zwischen einer ersten und einer zweiten Einteilung. Die erste Einteilung soll die „Wesen“ betreffen, hinsichtlich deren von einer „ethische[n] Verbindlichkeit“ gesprochen werden kann (6:412.19 – 21). Ihr entspricht dem Wortlaut nach die „Erste Eintheilung der Ethik“ in der graphischen Übersicht 105 Gemäß Abschnitt X. der Einleitung in die TL besteht der „höchste[], unbedingte[] Zweck“ der „reine[n] praktische[n] Vernunft“ darin, „daß die Tugend ihr eigener Zweck“ ist (6:396.31 – 33).

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(6:413), wo sich der Begriff des Wesens in der Untereinteilung der Pflichten wiederfindet. Hinsichtlich der zweiten Einteilung ist nicht mehr von Wesen, sondern von Begriffen als Gliedern der Einteilung die Rede. Diese Einteilung müsste der Analogie nach dem entsprechen, was in der Übersicht 6:413 „Zweite Eintheilung der Ethik“ genannt wird. Dort tauchen aber rein wörtlich genommen „Begriffe“ nicht auf, wenn auch darauf verwiesen werden kann, dass Kant unter dem Titel „Elementarlehre“ im Gegensatz zur „Methodenlehre“ üblicherweise alle diejenigen Grundbegriffe klassifiziert, in die eine Wissenschaft unter dem Systemaspekt eingeteilt werden muss.106 Diese Begriffe sollen die Pflichten bezeichnen, die gemäß der Ersten Einteilung den Wesen zugeordnet werden (wodurch sich bereits ein Zusammenhang zwischen der ersten und der zweiten Einteilung andeutet). Als Begriffe „der reinen ethisch-praktischen Vernunft“ kann ihnen nichts Empirisches beigemengt sein. M.a.W. die Begriffe der Lust und Unlust, soweit sie sinnlicher Natur (empirischen Ursprungs) sind, können nicht zu den Kategorien einer „Elementarlehre“ gehören.107 Eben deswegen wird im sechsten Gedankenschritt (6:412.22 – 25) ausdrücklich erklärt, dass jene Begriffe der „reinen ethisch-praktischen Vernunft“ auch nur Gegenstand der Ethik sind, sofern sie unter dem Aspekt der Wissenschaftlichkeit in Erwägung gezogen werden. Und das bedeutet siebtens: Die sich auf die Pflichten beziehenden Begriffe, auf die sich die Zweite Einteilung richtet, sind notwendig „zu der methodischen Zusammensetzung“ derjenigen „Sätze“, die zufolge der ersten Einteilung „aufgefunden“ worden sind (6:412.23 – 25). Soviel mag zur übersichtartigen textanalytischen Betrachtung zunächst genügen. Ich werde nun die oben gestellten Hauptfragen der Reihe nach beantworten. Die Bestimmtheit der Einteilung der Ethik mit Rücksicht auf die Form, nach der ich zuerst gefragt habe, kann vorläufig nur ganz allgemein angegeben werden. Sie wird sich schrittweise durch die Beantwortung der anderen Fragen in Bezug auf die Einteilung konkretisieren. Da das einteilende Vermögen die praktische Vernunft ist, müssen es auch ihre Begriffe bzw. Prinzipien sein, die die Einteilung der Ethik bestimmen. Das sind aber zugleich die Begriffe, auf die sich die Begründungsfunktion der praktischen Vernunft richtet, um sie zu einem System zu vereinen (6:412.14). Dieser Sachverhalt lässt sich daher auch so ausdrücken, dass die Aufgabe der praktischen Vernunft darin bestehe, ihre Begriffe, sofern sie ethischer Natur (d. h. Pflichtbegriffe) sind, durch sich selbst zu bestimmen. Da nun die Einteilung „nach zweierlei Principien“ gemacht werden kann, so wird wohl auch ihre Bestimmung auf zweierlei Weise erfolgen können. Die genauere Bestimmung wird also (u. a.) von der Bestimmung dieser beiden Prinzipien abhängen sowie von der Frage, ob es nicht noch ein höheres, beiden gemeinsames drittes Prinzip gibt, das an dieser Stelle nicht explizit 106

Vgl. KrV, B 29 / A 15. So bereits Kants Feststellung in der KrV, B 29. Dieser Befund gilt m. E. auch noch für die TL. Allerdings nimmt Kant mit der Bedeutung des moralischen Gefühls für die Pflichtenlehre in der TL eine Revision der Bestimmung von Lust und Unlust vor, insofern von ihnen auch ein nicht-„pathologischer“ Gebrauch gemacht werden kann. – Zur Unterscheidung in Elementarlehre und Methodenlehre s. auch 6:412.4 – 11. 107

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genannt wird, das aber durch den Verweis auf den architektonischen Charakter der Einteilung und das Systembauwerk der Ethik naheliegend ist. Wie müssen die beiden Prinzipien aufgefasst werden, die der anvisierten Einteilung zugrunde liegen? (Frage 2) Sie unterscheiden sich, wie bereits festgestellt, durch den subjektiv-materialen bzw. objektiv-formalen Aspekt eines Verhältnisses. Das subjektive Verhältnis betrifft die Verpflichteten gegenüber dem Verpflichtenden als ein Verhältnis der (realen) Zweckmäßigkeit, da es „der Materie nach“ vorgestellt wird (6:412.16 f.). Der Zweck aber ist die Materie oder das Objekt der Willkür (6:395.4) desjenigen Wesens, welches seine Pflichten in Beziehung auf sich selbst oder ein anderes Wesen ausübt. Ein objektives Verhältnis besteht dagegen zwischen den „ethischen Gesetze[n]“ und den „Pflichten überhaupt“ (d. h. es betrifft nicht bloß die Tugendpflichten im engeren oder direkten Sinne, sondern auch Rechtspflichten, soweit sie Gegenstand der Ethik sein können), und das muss ein inneres Zwangsverhältnis sein (vgl. 6:394.24 ff.). „Objektiv“ heißt es deswegen, weil die moralischen Gesetze allgemein verbindlich sind und insofern objektiven Charakter haben.108 Die Subjekte als Wesen, von denen diese Gesetze ausgehen und an die sie adressiert sind, bleiben in dieser Sichtweise unberücksichtigt. Dieses objektive Verhältnis muss in einem System „der Form nach“ vorgestellt werden (6:412.18 f.), weil sowohl die Gesetze als auch die Pflichten überhaupt (die von Zwecken abstrahieren) nur die Form ihrer Beziehung aufeinander betreffen können. Die ethischen Gesetze bilden neben den juridischen eine Unterklasse der Freiheitsgesetze. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie selbst „die Bestimmungsgründe der Handlungen“ (nämlich der Handlungen der Vernunft bzw. freien Willkür, also innerer Handlungen, die die Maximen einschließen) sind (6:214.13 – 19). Im Abschnitt über die „Vorbegriffe“ dieser Einteilung (XVII.) wird die Unterscheidung zwischen dem Materialen und dem Formalen des Prinzips der Einteilung der Tugendlehre vorab erläutert. Unter „diese[m] Princip der Eintheilung“ (6:410.3) sind hier anscheinend die „Vorbegriffe“ in ihrer Gesamtheit gemeint (als Elemente des Prinzips), die in demselben Abschnitt erörtert werden. Außerdem scheint Kants Ausdrucksweise zu Beginn des Abschnittes XVII. eine Anbindung an das „Princip der inneren Freiheit“ von Abschnitt XIV., Anmerkung, zu intendieren (vgl. 6:407). Das Formale bezeichnet zufolge des ersten Absatzes von XVII. die Gesamtheit der Bedingungen, die die formspezifischen Merkmale der TL zur Abgrenzung von der RL ausmachen, und zwar 1) dass es für Tugendpflichten keine äußere Gesetzgebung gibt und geben kann, 2) dass in der Ethik (als TL) das Pflichtgesetz unmittelbar nur für Handlungsmaximen gilt und 3) dass demzufolge die ethische Pflicht nur als weite Pflicht gedacht werden kann (6:410.3 – 12). Schon unter dem Aspekt des Formalen der Verbindlichkeit unterscheidet sich also die Ethik (als TL) von der RL in spezifischer Weise. Das Materiale betrifft die Ethik dagegen 108 Gesetze, sofern sie auf einer Gesetzgebung „durch blose Vernunft“ beruhen, stellen „die Handlung, die geschehen soll, objectiv als nothwendig“ vor und machen damit „die Handlung zur Pflicht“ (6:218.13 – 15).

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„nicht blos als Pflichtenlehre überhaupt, sondern auch als Zwecklehre“ (6:410.13 – 14). Die Verbindlichkeit (als subjektive, materiale ethische) bezieht sich demzufolge einerseits auf den Menschen als Zweck gegenüber sich selbst, andererseits auf andere Menschen, insofern er sie „als seinen Zweck zu denken verbunden ist“ (6:410.15 – 16). Was Kant hier nicht expressis verbis sagt: In beiden Fällen ist die Verbindlichkeit eine innere, d. h. eine solche, durch die sich das Subjekt um der Pflicht willen selbst verpflichtet.109 In Abschnitt XVII. der Einleitung schließt Kant noch eine dritte Bemerkung zur Unterscheidung des Materialen (Zweckmäßigen) und des Formalen (Gesetzmäßigen) hinsichtlich des Pflichtprinzips an. Darin wird noch einmal der Begriff der Tugendpflicht klargestellt, dessen Vielheit auf der Kombination von Pflichten und Zwecken beruht und dadurch erst eine Einteilung erfordert. Aus einer scharfen Abgrenzung zwischen der Einheit der „Tugendverpflichtung“ (die auch von den Rechtspflichten zu gelten hat) und der Vielheit der Tugendpflichten folgt, dass sich „alle Eintheilung der Ethik nur auf Tugendpflichten“ richtet. Dass es „nur Eine Tugendverpflichtung, aber viel Tugendpflichten“ gibt (6:410.27 – 28), besagt: Die Art der Verpflichtung ist in der Ethik (im allgemeinen) stets dieselbe, nämlich die einzige „tugendhafte Gesinnung als subjectiver Bestimmungsgrund seine Pflicht zu erfüllen“ (6:410.29 – 30); sie äußert sich aber nicht immer und ausschließlich als Tugendpflicht, sondern objektiviert sich auch als Rechtspflicht („welche sich auch über Rechtspflichten erstreckt, die aber darum nicht den Namen der Tugendpflichten führen können“, 6:410.30 – 32). Die Pluralität der Tugendpflichten, die hier der Einheit der Tugendverpflichtung gegenüber gestellt wird, beruht schließlich darauf, dass es eine Vielzahl von Objekten gibt, die sich für uns zu Zwecken eignen, die zugleich Pflicht sind (6:410.28 – 29). Die Konsequenz aus dieser Betrachtung lautet: „alle Eintheilung der Ethik [geht] nur auf Tugendpflichten“ (6:410.32 – 33). Das würde dann bedeuten, dass die sog. äußeren Pflichten (nicht die äußeren Tugendpflichten) von der Einteilung nicht berücksichtigt und in den diesbezüglichen Übersichten, wie es der Fall ist, nicht erfasst werden. Den Status der Wissenschaftlichkeit erlangt die Ethik (als TL), insofern sie „ihrem formalen Princip nach betrachtet“ wird, nur als eine solche Verbindlichkeit, die die formale Bedingung der Abstraktion der Tugendpflichten von äußerer Gesetzgebung erfüllt (6:410.6 – 7, 6:410.33 – 35). Wird diese Bedingung erfüllt, so decken die Tugendpflichten scheinbar allein und für sich genommen den Gegenstandsbereich der Ethik (als Wissenschaft) ab. In Wahrheit jedoch erklärt Kant, dass der Form nach die Pflichten überhaupt das Gegenstandsfeld der Tugendlehre besetzen. Dass die äußere Gesetzgebung keinen bestimmenden Einfluss auf die ethische Ver109

Dies gilt unbeschadet der Unterscheidung zwischen dem Materialen und dem Formalen der Tugendpflicht im „Schema der Tugendpflichten“ in Abschnitt XI. der Einleitung in die TL (6:398). Nach dieser Darstellung ist der „Zweck Anderer“ (zweiter Titel) ein Zweck, „der zugleich Triebfeder“ ist (vierter Titel). Als dieser Zweck ist er aber zugleich auch Pflicht, und zwar „äußere Tugendpflicht“ und gehört zur formalen Seite der Tugendpflicht.

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pflichtung ausüben kann, bedeutet noch nicht, dass Pflichten, die sich der äußeren Gesetzgebung verdanken, nicht Gegenstand jener Verpflichtung sein und als Triebfedern der inneren Gesetzgebung fungieren könnten: „Die ethische Gesetzgebung […] macht zwar auch innere Handlungen zu Pflichten, aber nicht etwa mit Ausschließung der äußeren, sondern geht auf alles, was Pflicht ist, überhaupt“ (6:219.21 – 24; vgl. 219.27 – 30; 6:412.17 – 19). Die Zweckgebundenheit der Tugendpflichten folgt dann in einem weiteren Schritt aus dem Fehlen äußerer Gesetzgebung (und des dem eigenen Zweck widersprechenden äußeren Zwangs: 6:381.30 – 34). Das Fehlen der äußeren Gesetzgebung wiederum ergibt sich aus der Unvereinbarkeit damit, dass die ethische Gesetzgebung die „Idee der Pflicht“ als Triebfeder in das Gesetz mit einschließt (6:219.24 – 30). Das Verhältnis von Materie und Form der Ethik ist nach diesem „Vorbegriff“ also so determiniert, dass die Form den Inhalt (die Materie) bestimmt. Die Frage nach der Beschaffenheit der beiden Prinzipien des Einteilens der Ethik (in eine formale Pflichtenlehre und eine materiale Zwecklehre) ist durch die zurückliegende Betrachtung noch nicht hinreichend beantwortet. Das eine Prinzip, das die Einteilung der Tugendpflichten unter dem Formaspekt begründet, zählt den Zweckbegriff nicht zu seinen Elementen. Es regelt das Verhältnis zwischen Pflichten überhaupt (von denen allerdings stillschweigend angenommen wird, dass sie zugleich Zwecke sind) und (Zwangs-)Gesetzen, die auf der inneren Selbstgesetzgebung der praktischen Vernunft beruhen. Als objektiv-formales Pflichtprinzip entspricht es dem kategorischen Imperativ der Sittlichkeit, der aber auf die spezifische Bedingung ethischer Verpflichtung hin eingeschränkt ist, dass die Pflichten nur die eigene Innerlichkeit des Handelns angehen, nicht aber die Gesetze des äußeren Handelns: „Der Pflichtbegriff steht unmittelbar in Beziehung auf ein Gesetz (wenn ich gleich noch von allem Zweck als der Materie desselben abstrahire); wie denn das formale Princip der Pflicht im kategorischen Imperativ: ,Handle so, daß die Maxime deiner Handlung ein allgemeines Gesetz werden könne‘ es schon anzeigt; nur daß in der Ethik dieses als das Gesetz deines eigenen Willens gedacht wird, nicht als des Willens überhaupt, der auch der Wille Anderer sein könnte: wo es alsdann eine Rechtspflicht abgeben würde, die nicht in das Feld der Ethik gehört.“ (6:388.34 – 389.6)

Die beiden Prinzipien der Einteilung der Ethik sind also erstens das „formale Princip der Pflicht“, das durch den kategorischen Imperativ ausgedrückt wird (6:389.1 – 3), aber in seiner spezifischen Abwandlung ethischer Verpflichtung (dieses Prinzip wird als Formel von Kant nirgends eingeführt), und zweitens die ZweckFormel des Imperativs als des obersten Prinzips der Tugendlehre (6:389.16 – 18). Zur näheren Erläuterung: Zu der dargelegten Bestimmung der Form des Verhältnisses des praktischen Gesetzes und der Pflicht gehören die Funktion und die Bestimmung des kategorischen Imperativs als des obersten Prinzips der Sittenlehre.110 Das Förmliche des kategorischen Imperativs besteht u. a. darin, dass er die Handlung 110 Die Formel des kategorischen Imperativs (6:225.7 – 8) stimmt fast wörtlich mit dem „oberste[n] Grundsatz der Sittenlehre“ überein (6:226.1 – 2).

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nicht durch die Vorstellung eines Zwecks der Handlung, sondern durch die „bloße Vorstellung dieser Handlung selbst (ihrer Form), also unmittelbar, als objectiv-nothwendig denkt und nothwendig macht“ (6:222.15 – 20). Der formale Charakter des Imperativs lässt sich auf die Funktion der reinen Vernunft als eines Vermögens der Prinzipien in ihrer Anwendung auf die Willkür zurückführen. Diese Funktion beschränkt sich nämlich (für menschliche Wesen) darauf, nur „die Form der Tauglichkeit der Maxime der Willkür zum allgemeinen Gesetz selbst zum obersten Gesetz und Bestimmungsgrund der Willkür [zu] machen und, da die Maximen des Menschen aus subjectiven Ursachen mit jenen objectiven nicht von selbst übereinstimmen, dieses Gesetz nur schlechthin als Imperativ des Verbots oder Gebots vor[zu]schreiben“ (6:214.7 – 12; vgl. 6:226 – 227). Das zweite Prinzip, von dem in der zweiten Hauptfrage gesprochen wird, schließt den Zweckbegriff als materialen Aspekt ein und begründet dadurch das Verhältnis der verpflichtenden Subjekte gegenüber den Verpflichteten. Es ist ein subjektiv-materiales Prinzip. Wir können es mit dem kategorischen Imperativ in der Funktion als oberstes Prinzip der Tugendlehre identifizieren. Wie sich die beiden Prinzipien aufeinander beziehen lassen, so dass sie nur als verschiedene Seiten ein und desselben Prinzips erscheinen, bleibt der Beantwortung der fünften Hauptfrage vorbehalten. (s. unten S. 283 f.) Die dritte Hauptfrage – nach dem Unterschied und der Beziehung der beiden Einteilungsvarianten – lässt sich nur beantworten, wenn erklärt werden kann, was es heißen soll, dass die beiden Einteilungsprinzipien „einzeln oder zusammen verbunden“ (6:412.15) in Betracht gezogen werden können. Ein Hinweis in diese Richtung ist bereits der Formulierung des Satzanfangs zu entnehmen. Es ist nämlich dort nur von der Einteilung (im Singular) die Rede. Demnach kann es sich nicht um zwei verschiedene Arten des Einteilens handeln. Der Unterschied, der mit den „zweierlei Principien“ ins Spiel kommt, kann nur ein solcher der Betrachtungsweise sein. An sich gehören beide Aspekte des Einteilens zu ein und demselben „Verhältnis“ der Begriffe, nur das eine Mal mit der Betonung der subjektiven, das andere Mal der objektiven Seite. Der Sache nach sind also die „zweierlei Principien“ eng miteinander verknüpft („zusammen verbunden“), insofern sich beide auf dieselbe Einteilung der Begriffe der praktischen Vernunft beziehen. D.h. beide drücken ein Kausalverhältnis aus, welches im einen Fall eine Beziehung des Gesetzes als Ursache auf die Pflicht als Wirkung bezeichnet; im anderen Falle eine Beziehung eines Subjekts in Form einer Maxime als Mittel und Ursache auf ein Subjekt als Zweck und Wirkung. Die Kausalität des Gesetzes und die Kausalität der Zwecke haben aber einen gemeinsamen Ursprung, nämlich die reine praktische Vernunft, die, wie oben gezeigt, sowohl ursprünglicher Gesetzgeber als auch Autor objektiver moralisch-praktischer Zwecke ist. Dass sie trotzdem aber auch „einzeln“ (jede für sich unter Abstraktion von der anderen) in Erwägung gezogen werden können (und müssen), betrifft nur die Darstellung ihrer jeweiligen Funktion.

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Wie ist dieses Teilergebnis der dritten Hauptfrage auf die Unterscheidung zwischen erster und zweiter „Einteilung“ (d.i. die der „Wesen“ und die der „Begriffe“) im Text von Abschnitt XVIII., hinter dem Gedankenstrich (6:412.19 ff.), zu beziehen? Muss man die nachfolgenden Überlegungen111 als eine Erläuterung zu der vorgeschlagenen Einteilung nach Prinzipien auffassen, oder beginnt mit ihm ein neuer Gedanke, der als Hinführung zu den beiden Tafeln am Ende der Einleitung (6:413) gedacht ist? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir etwas weiter ausholen. Wir gehen damit zur Betrachtung der vierten Hauptfrage über, d.i. der Frage nach dem Verhältnis der Einteilungen zu den beiden Übersichten (6:413) und zur „Tafel der Eintheilung der Ethik“ (6:492 f.). Innerhalb der beiden Schlussabschnitte der Einleitung in die Tugendlehre lassen sich insgesamt 5 Systemskizzen ausmachen, die in unterschiedlicher Weise die Frage der Einteilung der Ethik behandeln; man findet sie an folgenden Textstellen: 1) 6:412.4 – 11; 2) 6:412.13 – 19; 3) 6:412.19 – 26; 4) 6:413.1 – 8; 5) 6:413.9 – 16. Wie passen diese Gliederungen zusammen, und worin unterscheiden sie sich voneinander? Im Vorfeld der Ausführungen in Abschnitt XVIII., an die sich die beiden Tafeln anschließen, rechtfertigt Kant in der „Anmerkung“, die noch zu den „Vorbegriffe[n]“ des Abschnittes XVII. gehört, die Einführung der Einteilung der Ethik in „Elementarlehre und Methodenlehre“, insbesondere in der Hinsicht, dass eine entsprechende Einteilung in der Rechtslehre nicht vorgenommen werden müsse. Er begründet diesen Schritt mit der Besonderheit der Tugendpflichten als weiter (bzw. unvollkommener) Pflichten, deren Bestimmung und Befolgung einer „allgemeinen Vorschrift“ für die Verfahrensweise der Urteilskraft bedürfe (6:411.2 – 9). Denn die besondere Art der ethischen Pflichten, einen subjektiven Entscheidungsspielraum offen zu lassen, impliziert die Frage an die Urteilskraft, „wie eine Maxime in besonderen Fällen anzuwenden sei und zwar so: daß diese wiederum eine (untergeordnete) Maxime an die Hand gebe (wo immer wiederum nach einem Princip der Anwendung dieser auf vorkommende Fälle gefragt werden kann)“ (6:411.12 – 16). Ein solcher Progress fortschreitender Besonderung der Maximen und Anwendungsprinzipien führe notwendig in eine „Casuistik“ (6:411.16 – 17). Die Kasuistik ist erklärtermaßen keine Wissenschaft und nicht systemkonstitutiv (6:411.18 – 23). Als Verfahrensvorschrift für die Urteilskraft fällt sie allem Anschein nach auch nicht in die Methodenlehre, sondern in die Elementarlehre der Ethik (als deren nichtwissenschaftlicher Teil). Dies entspricht ja auch der tatsächlichen Ausführung des Textes der Tugendlehre, in der die Kasuistik anmerkungsweise den Elementarbegriffen beigefügt wird. Die Methodenlehre soll es demgegenüber damit zu tun haben, die moralisch-praktische Ver111

Im Wortlauf: „Die erste Eintheilung ist die der Wesen, in Beziehung auf welche eine ethische Verbindlichkeit gedacht werden kann; die zweite wäre die der Begriffe der reinen ethisch-praktischen Vernunft, welche zu jener ihren Pflichten gehören, die also zur Ethik nur so fern sie Wissenschaft sein soll, also zu der methodischen Zusammensetzung aller Sätze, welche nach der ersteren aufgefunden worden, erforderlich sind.“ (6:412.19 – 25)

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nunft in der Theorie und Praxis des Pflichtengebrauchs zu üben, und diese Übungen sind Gegenstand der späteren „Katechetik“ und der „Ascetik“ (6:411.24 – 412.3). Die Darlegung der Einteilung in Elementarlehre und Methodenlehre endet in Abschnitt XVII. mit der Schlussfolgerung, die das zum Inhalt hat, was ich oben als die erste von 5 Systemskizzen ausgewiesen habe: „Nach diesen Grundsätzen werden wir also das System in zwei Theilen: der ethischen Elementarlehre und der ethischen Methodenlehre aufstellen. Jeder Theil wird in seine Hauptstücke, welche im ersten Theile nach Verschiedenheit der Subjecte, wogegen dem Menschen eine Verbindlichkeit obliegt, im zweiten nach Verschiedenheit der Zwecke, welche zu haben ihm die Vernunft auferlegt, und der Empfänglichkeit für dieselbe in verschiedene Capitel zerfällt werden.“ (6:412.4 – 11).

Es ist nicht eindeutig, was Kant mit „diesen Grundsätzen“ am Anfang des Zitates meint. Grundsätze im strengen Wortsinne kommen in der „Anmerkung“ nicht vor. Deshalb spielt er offenbar an die (eben dargelegten) Argumente an, mit denen er die anvisierte Einteilung rechtfertigt. Doch beziehen sich diese Argumente zurück auf die „Vorbegriffe“ im Haupttext desselben Abschnittes, die u. a. Regeln, die das Formale und Materiale der Ethik als eines besonderen Teils der „allgemeinen Sittenlehre“ im Unterschied zur Rechtslehre betreffen, enthalten. Deshalb können mit den „Grundsätzen“ auch eben diese Regeln bezeichnet werden.112 Auffällig stimmt mit dieser ersten Systemskizze die fünfte überein, nämlich die „Zweite Eintheilung der Ethik“ der zweiten Tafel (6:413.12 – 14). Denn genau die 6 zentralen Begriffe der „Anmerkung“ sind auch die Glieder der Einteilung bzw. Untereinteilung. Die Systemprinzipien in der Überschrift der „Zweite[n] Eintheilung der Ethik“ dürften somit identisch sein mit den in der Systemskizze 1 genannten „Grundsätzen“. Nun stößt man aber auf Schwierigkeiten, wenn es darum geht, auch die zweite Hälfte der ersten Systemskizze mit der „Zweite[n] Eintheilung“ in Einklang zu bringen. Gemäß jener Beschreibung (6:412.6 – 11) sollen „Elementarlehre“ und „Methodenlehre“ jeweils in „Hauptstücke“ gegliedert werden, und zwar so, dass diese „im ersten Theile“ (d.i. der Elementarlehre) „verschiedene Capitel“ in Hinsicht auf die „Verschiedenheit der Subjecte“ der verbundenen Menschen, „im zweiten“ unter dem Aspekt der „Verschiedenheit der Zwecke“ der gebietenden Vernunft, enthält. Die Tafel „Zweite Eintheilung der Ethik“ (6:413.9 – 14) lässt aber eine solche Unterscheidung zwischen Subjekten und Zwecken nicht erkennen. Allein die erste Tafel (6:413.1 – 8) gliedert die Subjekte nach dem Pflichtverhältnis, das von Menschen auf andere Wesen ausgeht. Diese Gliederung findet sich in der „Ethische[n] Elementarlehre“, Erster und Zweiter Teil, in vier Hauptstücken, wenigstens teilweise ausgeführt. Demzufolge ist Tafel 1 als nähere Aufschließung des Titels „Elementarlehre“ aus der zweiten Tafel aufzufassen. Zur „Methodenlehre“ existiert weder eine analoge 112 Zur Zweideutigkeit des Ausdrucks „Prinzip“ vgl. KrV, B 356/A 300; vgl. dazu vom Vf.: Einheit der Abstammung oder Gattungseinteilung? (2011), 66.

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Tafel, noch ist eine entsprechende Untergliederung nach Vernunftzwecken in der Durchführung der „Ethische[n] Methodenlehre“ zu entdecken. Das braucht aber insofern nicht zu verwundern, als Kant in der Vorrede der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre – wenn auch bloß mit Blick auf die RL – ausdrücklich darauf hinweist, er habe gegen Ende des Buches „einige Abschnitte mit minderer Ausführlichkeit bearbeitet“ (6:209.8 – 14). Gleiches könnte auch mit Blick auf das Endstück der TL gesagt werden, so dass der Leser also dazu aufgerufen ist, selbst durch sein Nachdenken die erforderlichen Ausführungen vorzunehmen, um damit offene Stellen im Text auszufüllen. In diesem Sinne könnte man folgende hypothetische Lösung des angeführten Problems favorisieren, indem man die Ausdrücke „im ersten Theile“ und „im zweiten“ beide auf die „Elementarlehre“ und deren „Hauptstücke“ bezieht. Diese Lösung wird durch Kants Erläuterung in den „Vorbegriffe[n]“ des Einleitungsabschnittes XVII. gedeckt. Dieser gemäß wurde ja das „Materiale“ der Tugendlehre als „Zwecklehre“ identifiziert, der zufolge „der Mensch sowohl sich selbst, als auch jeden anderen Menschen sich als seinen Zweck zu denken verbunden ist“ (6:410.15 – 16). Die Zwecke, deren Verschiedenheit nach Skizze 1 Inhalt des „zweiten“ Teils sein sollen, sind Zwecke, die die Vernunft dem Menschen „auferlegt“, d. h. objektive Zwecke, und solche Zwecke gehören ausweislich der ausgeführten Methodenlehre nicht zu deren Gegenständen. Das Verhältnis der Pflichten des Menschen zu anderen Subjekten, das wir von Tafel 1 ablesen, ist also kein Verhältnis der Pflichten überhaupt, sondern zugleich ein Zweckverhältnis. Über die „Methodenlehre“ (der ersten Systemskizze) wird darin aber gar nichts ausgesagt. Der Mangel dieser Auslegung der ersten Systemskizze besteht nun höchstens noch darin, dass auch die Methodenlehre (denn es heißt: „jeder Theil“, d.i. Elementarlehre und Methodenlehre) in analoger Weise in zwei Hauptstücke oder „Theile“ untergliedert werden müsste, über die die Textausführungen aber an keiner Stelle nähere Auskunft geben. Kommen wir nun zur zweiten Systemskizze (6:412.13 – 19). Nach dem in ihr enthaltenen Plan der Einteilung verdoppelt sich das System je nach Maßgabe des Prinzips, unter dem es betrachtet wird. Demzufolge stellt das erste Prinzip „das subjective Verhältniß der Verpflichteten zu dem Verpflichtetenden der Materie nach“ vor und das zweite „das objective Verhältniß der ethischen Gesetze zu den Pflichten überhaupt in einem System der Form nach“ (6:412.16 – 19). Die Unterscheidung bezieht sich also zum einen auf den Unterschied zwischen Materie und Form der Verpflichtung, zum anderen auf den Gegensatz des subjektiven und objektiven Gesichtspunkts eines Verhältnisses. Beide Verhältnisse scheinen zugleich zu einer Übereinstimmung gebracht werden zu können, weil sie beide Instrumente der praktischen Vernunft sind, die zur Begründung eines Systems ethischer Begriffe gebraucht werden und in einem einzigen gemeinsamen System solcher Begriffe enden; sie können insofern – genau wie weiter oben von ihren beiden Prinzipien dargestellt – auch miteinander „verbunden“ werden. Die Einteilung wird insgesamt als Entwurf (oder Architektonik), die die praktische Vernunft selbst zum Zweck der Begründung eines Systems ihrer Begriffe vornimmt, verstanden. Wieder scheint die Betrachtung allein auf die „Elementarlehre“ konzentriert zu sein. In der Darstellung der beiden Tafeln er-

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scheint die Einteilung, die „einzeln oder zusammen verbunden, gemacht werden“ kann (6:412.15), getrennt in ihre Glieder, nach Vorgabe des jeweiligen Prinzips. Die Prinzipien sind im zweiten Fall das weiter oben von mir so bezeichnete objektiv formale Prinzip der Verpflichtung, d. h. der kategorische Imperativ als oberstes Prinzip der Sittenlehre (mit der Einschränkung auf den je eigenen Willen) und im ersten Fall das subjektiv materiale Prinzip der Verpflichtung, d. h. der kategorische Imperativ als oberster Grundsatz der Tugendlehre, der aus dem ersten (als dem höheren Prinzip) hervorgeht. Da die beiden Prinzipien Ausdrucksweisen der Kausalität aus Freiheit sind und da sie und ihre Folgen einander ergänzen wie Materie und Form bzw. subjektives und objektives Verhältnis, sind sie nur verschiedene Aspekte ein und derselben Wissenschaft (der Ethik). Ich vertrete die These, dass entgegen dem unmittelbaren Anschein des Textes die Beschreibung der beiden Einteilungen zufolge der beiden Tafeln (6:413) nicht punktgenau mit den beiden Aspekten des Einteilens in der ersten Hälfte des Textes von Abschnitt XVIII. (zweite Systemskizze) übereinstimmt; die beiden Tafeln beziehen sich zwar so auf die Beschreibung von Skizze 2, dass etwa die erste Tafel das erste Prinzip (das subjektiv materiale) widerspiegelt und die zweite Tafel das zweite (objektiv formale) – aber übereinander gelegt würde die erste Einteilung nur partiell zur zweiten passen, nämlich zu deren Glied der „Elementarlehre“, und zwar innerhalb derselben bloß zur „Dogmatik“. Das „objective Verhältniß der ethischen Gesetze zu den Pflichten überhaupt“ (6:412.18) ist der „Zweite[n] Eintheilung der Ethik“ (6:413.9) insofern zuzuordnen, als die „ethischen Gesetze“ zugleich „Principien eines Systems der reinen praktischen Vernunft“ (6:413.10) sind. Außerdem soll auch diese „Zweite Eintheilung der Ethik“ „die Form der Wissenschaft“ betreffen. Das objektive Verhältnis ist übrigens verwandt mit dem gleichnamigen Verhältnis innerhalb der „Eintheilung nach dem objectiven Verhältniß des Gesetzes zur Pflicht“ in der Einleitung in die RL (6:240). Objektiv mag dieses Verhältnis vielleicht deswegen genannt werden, weil es auf praktischen Grundsätzen beruht, die im Unterschied zu subjektiven Grundsätzen nicht bloß Maximen enthalten, sondern allgemeingültig („für den Willen jedes vernünftigen Wesens gültig“, 5:19.11 – 12), d. h. praktische Gesetze sind.113 Die kategorischen Imperative sind praktische Gesetze, insofern sie die Kausalität des Willens bestimmen,114 und dies nicht der Materie, sondern bloß der Form nach.115 Das „subjective Verhältniß der Verpflichteten zu den Verpflichtenden der Materie nach“ verweist auf die „Erste Eintheilung der Ethik“ (6:413.1). Denn diese Einteilung erfolgt unter dem Gesichtspunkt des „Unterschiede[s] der Subjecte und ihrer Gesetze“ (6:413.2). Dieser Unterschied besteht wesentlich in einem Verhältnis der Unterordnung eines Empfängers von Pflichten (des Pflichtleistenden oder „Verpflichteten“) gegenüber einem pflichtgebietenden Gesetzgeber (oder „Verpflichten113

Vgl. dazu KpV, § 1, 5:19.5 – 12. Vgl. KpV, § 1, Anmerkung, 5:20.14 – 20. 115 Vgl. KpV, § 4, 5:27.3 – 6. 114

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den“), das nicht umkehrbar ist (aus dem also umgekehrt keine Verpflichtung wie z. B. Dankbarkeit erwächst). Das Verhältnis ist ein materiales, insofern die Verpflichtung einen bestimmten Zweck als Grund der Verpflichtung einschließt (z. B. Glückseligkeit). Von solchen Zwecken verrät die „Erste Eintheilung der Ethik“ allerdings nichts. Die dritte Skizze (6:412.19 – 25) nimmt gleichfalls Bezug auf eine „erste Eintheilung“ und eine „zweite“. Die erste lässt sich ohne Schwierigkeiten und ziemlich eindeutig beziehen auf die Untergliederung der ersten Tafel („Erste Eintheilung der Ethik“) (Skizze 4). Denn die „Wesen, in Beziehung auf welche eine ethische Verbindlichkeit gedacht werden kann“, werden dort im Einzelnen benannt (wenn sie auch in der Ausführung im Text nicht alle thematisiert werden). Die „ethische Verbindlichkeit“ findet ihr Pendant im Titel der „Pflichten“. Problematischer ist die zweite Einteilung innerhalb der dritten Skizze. Sie bedarf einer Reihe von Erläuterungen. Welches sind die „Begriffe der reinen ethisch-praktischen Vernunft“, die zu den Pflichten der Wesen gehören sollen, die Gegenstand der ersten Einteilung waren? Wie sind diese Pflichten mit jenen Begriffen verbunden? Aus der zweiten Tafel lässt sich darauf keine Antwort geben, denn sie führt nur die Obertitel auf. Da sie aber den Pflichten der ersten Einteilung zugeordnet sind, erhalten wir durch die Einteilung der ethischen Verbindlichkeiten zugleich Anhaltspunkte zur Identifizierung der gesuchten Begriffe. Zufolge des ausgeführten Textes der TL beschränken sich die Begriffe auf das Verhältnis der Verpflichtung des Menschen gegenüber menschlichen Wesen. Nicht-menschliche Wesen bleiben aus den bereits dargelegten Gründen ausgeblendet.116 Die Begriffe, die Kant im Auge hat, sind, bezogen auf die einzelnen Lehrstücke der „Elementarlehre“, unterschiedlicher Natur. Da zumindest das erste, vielleicht auch das zweite Hauptstück (Erster Theil, Erstes Buch) von vollkommenen, obzwar „nur von negativen Pflichten“ handelt (6:421.22), sind auch die entsprechenden Begriffe, auf die sich die Verbindlichkeit richtet, negativ bestimmt (obwohl es auch ein positives Gegenstück dazu gibt), und zwar als „Selbstmord“ (§ 6), „Selbstschändung“ (§ 7), „wohllüstige Selbstbetäubung“ (§ 8), „Lüge“ (§ 9), „Geiz“ (§ 10), „Kriecherei“ (§ 11). Die unvollkommenen Pflichten des zweiten Buches haben andere Begriffe zum Gegenstand: natürliche und moralische „Vollkommenheit“ (§§ 19 – 22). Begriffe, die den Tugendpflichten des Menschen gegen andere Menschen zugeordnet werden, sind „Liebe“ („Wohlthätgkeit“, „Dankbarkeit“, „Theilnehmung“) (§§ 23, 29 – 34); „Achtung“ („Würde“, bzw. deren Gegenstücke: „Hochmuth“, „Afterreden“, „Verhöhnung“) (§ 37, §§ 38 – 44); „Freundschaft“ (§ 46). Inwiefern folgt daraus („also“), dass jene Begriffe zur Ethik als „Wissenschaft“ notwendig sind? Was qualifiziert sie zur Wissenschaft im Unterschied zu dem, was der gemeine Verstand schon vermag, nämlich „ohne Unterweisung“ zu unterscheiden, „welche Form in der Maxime sich zur allgemeinen Gesetzgebung schicke, 116 Vgl. dazu die Erläuterung der „Pflicht gegen Gott“ in § 18, 6:443.27 – 444.8; vgl. auch 6:442.8 – 11.

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welche nicht“ (5:27.21 – 22)? Solches Unterscheiden gehört zur Exposition eines Begriffs. Der gemeine Verstand kann also offenbar keine Begriffe deduzieren, d. h. er kann nicht den Grund der Gültigkeit des praktischen Gesetzes erkennen, er kann insbesondere nicht erkennen, dass es bloß die „allgemeine gesetzgebende Form“ in seiner Vorstellung ist, die, indem sie alleiniger Bestimmungsgrund jedes Willens ist, seine Maxime zum Gesetz qualifiziert. Er weiß deshalb auch weder, was ein freier Wille ist, noch dass er einen solchen hat.117 Die projektierte Wissenschaft der Ethik („Ethik, nur so fern sie Wissenschaft sein soll“) hat wohl die in Skizze 2 (6:412.13 – 14) beschriebene Gestalt eines „Systems“ von Begriffen der praktischen Vernunft anzunehmen, analog zu Kants Projekt der Philosophie als Metaphysik in Form einer zweckorientierten Einheit eines in sich gegliederten Ganzen (s. o.). Ein solches System ist aber als noch nicht vollständig ausgeführte Idee oder Architektonik auch noch keine vollendete Wissenschaft. Um diese Idee auszuführen, müssen zuerst ihre Teilbegriffe als Glieder aufgestellt, erläutert und in Beziehung zueinander gesetzt werden. Deren Zusammenhang soll sich aber offensichtlich mit Hilfe der Ordnung der Pflichten ergeben, die den Wesen der ersten Einteilung eigen sind. Aber das kann nur der erste Schritt sein. Eigentlich resultiert daraus erst die Wissenschaft in Form einer „methodischen Zusammensetzung“ von Sätzen (6:412.23 f.). Was bedeutet nun die Wissenschaft der Ethik als ,methodischer‘ Zusammenschluss aller aufgefundenen Sätze, um welche Sätze handelt es sich dabei? – und was heißt: „nach“ (d.i. mit Hilfe) der ersten Einteilung seien diese Sätze „aufgefunden“ worden (6:412.24)? Kant meint mit den Sätzen hier praktische Grundsätze, d. h. Sätze, „welche eine allgemeine Bestimmung des Willens enthalten, die mehrere praktische Regeln unter sich hat“,118 und zwar solche, die auch Gesetzesstatus haben, also z. B. Gebote.119 Entsprechende Sätze befinden sich im Text der Tugendlehre am Anfang bestimmter Abschnitte der ethischen Elementarlehre, z. B. das „erste[] Gebot aller Pflichten gegen sich selbst“: Erkenne Dich selbst.120 „Gefunden“ werden jene Sätze durch die Analyse der Pflichtbegriffe, denn „ein jeder Pflichtbegriff enthält objective Nöthigung durchs Gesetz (als moralischen, unsere Freiheit einschränkenden Imperativ)“ (6:437.32 f.) und durch die Reflexion auf die Wesen als potentielle Träger solcher Pflichten. Das Finden ist Aufgabe einer „Dogmatik“ (als einer Art von Analytik) (vgl. 6:411.19 f.). Es besteht in der Zerlegung von Begriffen oder Sätzen in Elementarbegriffe, d. h. in solche Begriffe, die nicht weiter beweisbar oder auf andere Begriffe zurückführbar sind, aber ihrerseits Grundlage der Verwendung von Pflichtbe117

Vgl. KpV, § 5, 5:29.6 – 9. KpV, 5:19.7 – 8. 119 Vgl. z. B. 6:419.32 – 36. Praktische Gesetze sind nach Kants Erklärung in der KpV (§ 1) Sätze dann, wenn die in ihnen enthaltene allgemeine Willensbestimmung „als objectiv, d. i. für den Willen jedes vernünftigen Wesens gültig, erkannt wird“ (5:19.11 – 12). 120 TL, § 14 (6:441.2,4). Entsprechend auch § 27 (6:450), § 28 (6:451), § 29 (6:452). 118

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griffen sein müssen. „Methodische[] Zusammensetzung“ aller aufgefundenen Sätze soll wahrscheinlich besagen, dass sie eine Ordnung gemäß eines (höheren) Prinzips (oder mehrerer Prinzipien) bilden, deren erste Stelle der kategorische Imperativ als Sittengesetz einnimmt. Diese Ordnung ist ein System von Sätzen, aber nur der Form nach, wie sich aus Skizze 2 ergab; d. h. unter Absehung von Zwecken als dem Inhalt oder der Materie der Pflichten. Sie enthält außerdem keine Sätze, die sich auf eine Verpflichtung des Menschen „gegen nicht menschliche Wesen“ beziehen, weil das ,Auffinden‘ auch zu der Entdeckung geführt hat, dass es ein solches Verhältnis nicht geben kann. Zur Ethik als Wissenschaft gehört demnach allein die ethische Elementarlehre innerhalb der Tugendlehre, und aus dieser nur der dogmatische Teil, ohne die Kasuistik.121 Denn nur dieser erfüllt im Besonderen die allgemeinen Anforderungen eines Systems, insbesondere das Kriterium der Vollständigkeit. Deshalb beschreibt Skizze 3 nur einen Ausschnitt aus der zweiten Übersichtstafel (Skizze 5). Insgesamt ist die „Zweite Eintheilung der Ethik“ (6:413) deshalb nur eine Projektskizze oder ein Systemgerüst, nicht das fertige Gebäude eines abgeschlossenen Systems; damit rechtfertigt sich erneut, dass Kant (zunächst) nur die Absicht hat, metaphysische Anfangsgründe einer TL (analog zur RL, vgl. 6:205), aber keine fertige Metaphysik oder Wissenschaft der Ethik zu liefern. Dennoch heißt es im Anschluss an die zweite Tafel abschließend: „Die letztere Eintheilung muß also, weil sie die Form der Wissenschaft betrifft, vor der ersteren als Grundriß des Ganzen vorhergehen.“ (6:413.15 – 16). Der zitierte Satz hat die Form einer Conclusio. Das „also“ kann sich nur auf Skizze 3 als die letzte Aussage unmittelbar vor den beiden Tafeln beziehen. Diese Einteilung (gemäß Skizze 3) gibt aber nicht die vorgefertigten Bauteile des Systems erschöpfend wieder, sie „betrifft“ nur die „Form der Wissenschaft“, d. h. nicht nur sofern sie die Elementarlehre dogmatisch enthält, sondern auch die übrigen Teile nominell aufführt (ohne dass diese selbst bereits Teile einer Wissenschaft sein müssen). An einer vergleichbaren Parallelstelle in der RL präsentiert Kant eine Einteilungstafel, die „nicht bloß die Materialien, sondern auch die architektonische Form einer wissenschaftlichen Sittenlehre enthält“ (6:242.9 f.).122 Dort wird also deutlicher, was mit der „Form der Wissenschaft“ am Ende der Einleitung in die TL gemeint ist: die Idee eines Ganzen als eines Systems oder die Architektonik, deren konkrete Gestaltung noch praktische Aufgabe der Wissenschaft selbst ist. Vorausgehen muss nun die zweite Einteilung der ersten Einteilung deshalb, weil diese ja wesentlich die Zweckverhältnisse menschlicher Wesen zueinander zum Gegenstand hat (von der die zweite Einteilung abstrahiert), die durch das System der Begriffe und Sätze der praktischen Vernunft zwar erst begründet werden, aber innerhalb des Systems nicht vollständig entwickelt werden können. Die Berücksichtigung 121 „Die Casuistik ist also weder eine Wissenschaft, noch ein Theil derselben; denn das wäre Dogmatik und ist nicht sowohl Lehre, wie etwas gefunden, sondern Übung, wie die Wahrheit solle gesucht werden;“ (6:411.18 – 21). 122 Diese Tafel ergänzt übrigens die mit ihr im Grunde identische Tafel 2 der Einleitung in die TL (6:413).

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menschlicher Wesen erfordert nämlich mehr als nur ein System formaler Pflichten, nämlich aus naheliegenden Gründen auch eine Berücksichtigung der zwecksetzenden Willkür und ihrer objektiven Bestimmung als Handlungsorientierung (und darüber hinaus noch eine Kasuistik und eine Methodenlehre als Lehre von der praktischen Anwendung ethischer Pflichten und Einübung pflichtgemäßen Verhaltens). In einen solchen Zusammenhang muss die Pflichtenlehre eingeordnet werden. Aber wird damit der Kontext der Begründung nicht zirkulär, da doch andererseits die Sätze, die Grundlage und Teil des Bauplans („Grundriß“) „des Ganzen“ sein sollen, aus der ersten Einteilung erst ,gefunden‘ wurden? Ich meine: nein. Das „Vorhergehen“ der zweiten Einteilung als „Grundriß des Ganzen“ (6:413.16) ist als ein Voraussetzen im Sinne einer leitenden Idee zu verstehen, die den modalen Status einer hypothetischen Annahme hat, deren Ausgestaltung Aufgabe einer Ethik sein soll. Das „Ganze“, von dem im Nachsatz zur zweiten Einteilungstafel die Rede ist, ist die Elementarlehre plus die Methodenlehre, d. h. die Ethik als Wissenschaft wie sie sein soll. Die „Erste Eintheilung der Ethik“ bezieht sich aber, wie wir festgestellt haben, ausschließlich auf die Elementarlehre. Weshalb muss dafür der „Grundriß des Ganzen“ vorhergehen? Die Antwort steckt in dem kausalen Nebensatz: „weil sie [d.i. die zweite Einteilung] die Form der Wissenschaft betrifft“. An welche Bedingung der Status der Wissenschaftlichkeit der Ethik gebunden ist, verriet bereits Skizze 3, nämlich an die „Begriffe der reinen ethisch-praktischen Vernunft“, die mit den Pflichten menschlicher Wesen notwendig verbunden sind (6:412.21 – 22). Zufolge Skizze 5 (Tafel 2) und dem anschließenden Nachsatz sind jene Begriffe nicht nur mit den Pflichten verbunden, sondern gehen diesen (begründend) voraus, und diese Voraussetzung ist zugleich eine inhaltliche, nicht bloß eine formale. Erst durch die „Begriffe der reinen ethisch-praktischen Vernunft“ ist die zweite Einteilung mit den Mitteln ausgestattet, die „Form der Wissenschaftlichkeit“ zu konstituieren, insofern sie ein System von Sätzen zur Folge hat. Die erste Einteilung enthält eine Zusammenstellung der Teile, die von den Teilen selbst (nämlich den Pflichten, d. h. zunächst bloß von der analytischen Einteilung in zwei Klassen) ausgeht, aber keinen Grund der Notwendigkeit dieser Einteilung angibt und bloß auf sich gestellt zu keiner systematischen Einheit führt. Denn wie bereits dargestellt, reicht die Einteilung der Pflichten nicht hin, um die TL von der RL abzugrenzen. Was die erste Einteilung nicht besitzt und ihr durch die zweite erst verliehen werden muss, ist die Idee des Ganzen, die die Ausführung der in der ersten Einteilung aufgeführten Teilaspekte zu einer Angelegenheit von Wissenschaft macht. Und die Ausführung der Idee einer Ethik, die den „Principien eines Systems der reinen praktischen Vernunft“ folgt (6:413.10 f.), deckt auch Gründe auf, die zur Konsequenz haben, dass die Pflichten „des Menschen gegen nicht menschliche Wesen“ nicht Gegenstand der Wissenschaft der Ethik sein können (weil sie den moralischen Personenbegriff nicht erfüllen, d. h. nicht Teil einer wechselseitigen Verpflichtung sein können). Die Tafel der zweiten Einteilung ist in der Tafel „Von der Eintheilung der Moral, als eines Systems der Pflichten überhaupt“ am Ende der Einleitung der Rechtslehre (6:242.3 – 8) mit enthalten. Die „Elementarlehre“ wird in dieser Übersicht durch die

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Rechtspflichten und deren Untereinteilung erweitert. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass sich die Einteilung der RL der „Zweite[n] Eintheilung der Ethik“ anschließen ließe, führt diese doch auch den ganz allgemeinen Untertitel „nach Principien eines Systems der reinen praktischen Vernunft“ (6:413.10 f.). Die „Form der Wissenschaft“, die der ersten Einteilung „als Grundriß des Ganzen“ vorhergehen soll, tangiert die materiale Einteilung der Pflichten selbst (gemäß der ersten Tafel der Einteilung) nicht oder nur indirekt. Diese soll (Skizze 4) den Unterschied der Subjekte betreffen, d. h. der Subjekte überhaupt als Menschen, nicht den Einzelnen, für den die allgemeine Einteilung der Pflichten nicht zureicht, für die es also eine besondere Anthropologie und eine Kasuistik geben muss, die sowohl auf den individuellen Charakter eines Subjekts als auch auf die speziellen empirischen Umstände (den „Fall“) zugeschnitten ist. Für solche Fälle ließen sich innerhalb der kantischen Schriften und des Briefwechsels mehrfache Belege anführen. Auch die Einteilung der Wesen, von denen Pflichten ausgehen und an die sie adressiert sind, stellt implizit in den Tafeln der Einteilung am Ende der Einleitung in die TL eine Art Grundriss dar zu einem Ganzen, das nur als Idee erscheint, in der Ausführung der TL aber keine eindeutige Entsprechung findet. Denn die Pflichten „des Menschen gegen nicht menschliche Wesen“ werden im Text der Tugendlehre nicht abgehandelt, ja, sie gehören erklärtermaßen gar nicht in eine philosophische Ethik, welche nur die Verpflichtung des Menschen gegen den Menschen zum Gegenstand haben kann.123 Dies gilt in Analogie zu übermenschlichen „geistige[n] Wesen (Engel, Gott)“ (6:442.32) auch im Verhältnis zu „untermenschliche[n] Wesen“ (6:413) (Tieren).124 Im Grunde genommen sind die (indirekten) Pflichten gegen nichtmenschliche Wesen nichts anderes als (direkte) Pflichten des Menschen gegen sich selbst (z. B. ist „Religion zu haben […] Pflicht des Menschen gegen sich selbst“, 6:444.7 – 8). Dass wir sie für Pflichten gegen nichtmenschliche Wesen halten, liegt daran, dass wir durch eine „Amphibolie der moralischen Reflexionsbegriffe“ getäuscht werden, indem wir sie bloß für Pflichten des Menschen gegen andere Wesen halten und damit Pflichten gegen uns selbst mit ihnen verwechseln (TL, § 16, 6:442).125 Auf diese Verwechslung kann die Einteilung der Pflichten 123 Vgl. TL, § 16 (6:442). Das Verhältnis zu übermenschlichen Wesen wird an wenigen Stellen angedeutet: 6:443 f. (§ 18): die Religionspflicht ist keine Pflicht gegen Gott; 6:487.37 – 488.4: Pflichten gegen Gott liegen „jenseit aller Grenzen der rein-philosophischen Ethik hinaus“; entsprechend auch 6:491.5 – 12. 124 Zu den Pflichten gegen Tiere vgl. TL, § 17 (6:443). 125 Der Begriff der Amphibolie wird in der KrV eingeführt und ausführlicher erläutert (KrV, B 316 – 336 / A 260 – 280). In der KpV, der KU und der Grundlegung kommt sie nicht vor. Kant versteht unter einer „transzendentalen Amphibolie“ die „Verwechslung“ zwischen Ding an sich (als eines „reinen Verstandesobjekts“) und Erscheinung (B 326 / A 270). Sie beruht darauf, dass Begriffen, die Gegenstand eines Vergleiches miteinander sind, einem ihnen nicht adäquaten Erkenntnisvermögen (als ihrem „transzendentalen Ort“, B 324 / A 268) zugewiesen werden. Ein solcher Fehler schleicht sich mangels transzendentaler Reflexion (s. Fn. 82) in die Urteilsbildung ein.

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in der ersten Tafel (6:413), wie es scheint, keine Rücksicht nehmen.126 Sie muss nämlich neben den wahren auch die scheinbaren Pflichten aufführen. In der Tafel wird ihr Name nur als Platzhalter für besondere Pflichten angeführt für den noch nicht geprüften Fall, dass sie für die Pflichtenlehre eine wirkliche Bedeutung haben.127 Dass der Haupttext der Tugendlehre die Pflichten, die auf einer Amphibolie beruhen, ausführlicher behandelt, wäre aus der Sicht des Lesers zur Verständniserleichterung zwar wünschenswert, unbedingt erforderlich ist es aber nicht.128 Bezieht man Tafel 1 auf das „Schema der Tugendpflichten“ in Abschnitt XI. der Einleitung (6:398), das insgesamt vier Titel in Form von vier (sich überkreuzenden) Paarungen von Tugendpflichten („Innere Tugendpflicht“: 1. und 3.; „Äußere Tu126 Bernd Ludwig kritisiert in diesem Zusammenhang Kants Vorgehen dergestalt, dass der „Gegenstand“ der ersten Tafel mit dem Titel „Erste Eintheilung der Ethik“ am Ende der Einleitung (XVIII.) (6:413) nicht als Einteilungsschema der Schrift erscheine, sondern nur indirekt beim Thema „Amphibolie“ in § 16 zur Sprache komme, indem dort die Pflichten gegen „übermenschliche“ und „untermenschliche“ Wesen auf Pflichten gegen sich selbst „zurückgeführt“ werden (Ludwig, Einleitung, S. XX). Dieser Einwand ist im Hinblick auf Bedeutung und Funktion der Amphibolie der „moralischen Reflexionsbegriffe“ (s. dazu Fn. 128) zurückzuweisen. Der Ausdruck „Amphibolie“ bedeutet hier das scheinbare Vorliegen einer Pflicht aufgrund einer Verwechslung von Begriffen der praktischen Vernunft. Es ist Kants Anliegen, diese Verwechslung und deren Grund in § 16 aufzudecken und somit diese besonderen Pflichten als bloß scheinbare Pflichten zu enttarnen. Deshalb gehören diese Pflichten gar nicht zu den in der Elementarlehre abzuhandelnden Grundbegriffen. Sie beruhen aber auch nicht auf den Pflichten gegen sich selbst, da sie keine eigene Klasse bilden; deshalb ist es irreführend im Sinne eines Reduktionismus zu sagen, sie würden auf solche Pflichten ,zurückgeführt‘. In der Einteilung der Tugendpflichten in Abschnitt XVIII. der Einleitung müssen sie aber vorkommen, weil die Einteilung der Pflichten gemäß der Einteilung der Philosophie überhaupt alles enthalten muss, was entweder wahre oder scheinbare Pflicht ist. 127 Vgl. MS, Anhang zur RL: „Die Topik der Principien muß der Form des Systems halber vollständig sein, d. i. es muß der Platz zu einem Begriff (locus communis) angezeigt werden, der nach der synthetischen Form der Eintheilung für diesen Begriff offen ist: man mag nachher auch darthun, daß einer oder der andere Begriff, der in diesen Platz gesetzt würde, an sich widersprechend sei und aus diesem Platze wegfalle.“ (6:357.17 – 23) 128 Verwunderlich ist in diesem Zusammenhang das Auftauchen der „Reflexionsbegriffe“, die sonst weder in der MS noch in der Grundlegung, noch in der KpV vorkommen. In der KrV nennt Kant Reflexionsbegriffe solche Begriffe, die im Unterschied zu den Kategorien des reinen Verstandes dazu dienen, gegebene Vorstellungen noch vor jedem Urteil miteinander zu vergleichen. Dieser Vergleich setzt (zwecks Vermeidung einer „Amphibolie“, s. Fn. 125) die „transzendentale Überlegung“ voraus, in der die Erkenntniskraft bestimmt wird, zu der die verglichenen Begriffe gehören (KrV, B 317 – 319 / A 261 – 263). Die Mittel des Vergleichs sind die „Reflexionsbegriffe“, zu denen Kant in seiner „Tafel der Reflexionsbegriffe“ (B 326 / A 270) vier Begriffspaare aufführt: „1. Einerleiheit und Verschiedenheit“, „2.Einstimmung und Widerstreit“, „3. Das Innere und Äußere“, „4. Materie und Form“ (resp. Bestimmbares und „Bestimmung“ als Bestimmung des Bestimmbaren) (B 317 / A 261; B 319 – 324 / A 263 – 268); vgl. M. Wolff, Urteilstafel (1995), 153. Von diesen Begriffen unterschiedene besondere Titel „moralischer Reflexionsbegriffe“ führt Kant nicht an. Deshalb kann angenommen werden, dass er darunter die schon genannten Titel zum Vergleich moralisch-praktischer Vorstellungen (wie der Pflichten) versteht, von denen sichergestellt sein muss, dass sie Begriffe der reinen praktischen Vernunft sind, damit ihr Vergleich fehlerfrei praktischen Urteilen vorausgehen kann.

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gendpflicht“: 2. und 4.; „Das Materiale der Tugendpflicht“: 1. und 2.; „Das Formale der Tugendpflicht“: 3. und 4.) enthält, so impliziert dieses Schema eine weitere Differenzierung der ersten Tafel am Ende der Einleitung, indem es nämlich das Pflichtverhältnis der Subjekte, das sich bereits gemäß der Materie-Form-Differenz von der zweiten Tafel unterschied, ein weiteres Mal unter dem Aspekt des Unterschiedes zwischen dem Formalen und dem Materialen der Tugendpflicht gliedert. So erweist es sich, dass der formale Aspekt in der unteren Reihe des „Schema[s]“ (6:398, Nr. 3. und 4.) auf den Handlungsantrieb gerichtet ist, so dass im Falle der Pflichten gegen sich selbst zum einen „das Gesetz“ (d. h. das Sittengesetz) die „Triebfeder“ bildet (vgl. Einleitung in die TL, VIII. 1) b), 6:392.20 – 23)129, zum anderen aber der Zweck; dieser Zweck kann das „Recht der Menschheit“ sein (vgl. Einleitung in die TL, VII., 3. Abs., 6:390.30 – 391.7). Entsprechend ist in den beiden Fällen des „Zwecks“ („der mir zugleich Pflicht ist“) entweder der Zweck oder das Gesetz als Triebfeder zu denken.130 Es ist zwar nicht offensichtlich, dass 1. und 4. bzw. 2. und 3. (im „Schema der Tugendpflichten“) problemlos miteinander kombiniert werden können; ich sehe aber keinen Grund, weshalb der Zweck der eigenen Vollkommenheit (1.) nicht auch den Zweck zur Triebfeder (4.) und weshalb der Zweck als die Glückseligkeit Anderer (2.) nicht auch das „Gesetz“ zur Triebfeder (3.) haben kann. Da man die Unterscheidung zwischen Innerem und Äußerem bzw. zwischen Materie und Form so deuten kann, dass hier jeweils von Reflexionsbegriffen Gebrauch gemacht wird, um Aspekte der Tugendpflichten (die man wiederum als Freiheitskategorie der „unvollkommenen Pflicht“ unter der „Modalität“ lesen kann (vgl. KpV, 5:66)) miteinander zu vergleichen, kann die Frage auch so gestellt werden: Ist das Materiale einer inneren Tugendpflicht (der Zweck eigener Vollkommenheit) mit dem Formalen einer äußeren Tugendpflicht (dem Zweck als Triebfeder) vergleichbar? Ohne Frage stehen sich die direkten Paarungen zufolge ein und derselben Reflexionsbestimmung näher als die, die diagonal aufeinander bezogen werden (wie 1. und 4.). Trotzdem kann es eine doppelte Differenz geben derart, dass der eigene Zweck, „der mir zugleich Pflicht ist“, sich nicht bloß auf das Gesetz als Triebfeder bezieht (3.), sondern auch mit dem Formalen des Zwecks als Triebfeder verglichen werden kann, sofern der letztere nur ein Zweck ist, der zur äußeren Tugendpflicht gehört (4.). 129 Es bleibt zu erklären, weshalb im Falle des Zwecks der eigenen Vollkommenheit nach dem „Schema“ in XI. primär nicht der Zweck, sondern „das Gesetz“ die Triebfeder sein soll (6:398). Die „Grundsätze[]“, nach denen das „Schema“ aufgestellt wird, erscheinen in den Abschnitten VIII. und IX. der Einleitung. 130 Es trifft also nicht zu, dass, wie Ludwig meint, das „Schema der Tugendpflichten“ in Einleitung XI. (6:398) in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Abhandlung stehe (Ludwig, Einleitung, S. XX). Der Zusammenhang ist allerdings nicht auf den ersten Blick zu durchschauen, sondern erfordert zusätzliche Überlegungen zur Interpretation des dargestellten Schemas. Die Titel 1., 2. und 3. beziehen sich auf Ausführungen im Text der Einleitung bzw. der Elementarlehre, die uns bereits bekannt sind. Lediglich der vierte Titel bedarf einer zusätzlichen Erläuterung: „Der Zweck, der zugleich Triebfeder ist“, ist als Aspekt äußerer Tugendpflicht das Recht der Menschheit als Gegenstand der Achtung (Einleitung VII., 3. Abs. (6:390.30 – 35).

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Im Amphiboliekapitel der KrV weist Kant übrigens noch darauf hin, dass die Reflexionsbegriffe Materie und Form „so sehr […] mit jedem Gebrauch des Verstandes unzertrennlich verbunden“ sind, dass sie „aller anderen Reflexion zum Grunde gelegt werden“ (B 322 / A 266). Ihnen kommt somit dieselbe ausgezeichnete Stellung zu wie den Modalitätskategorien innerhalb des Kategoriensystems. Das bedeutet: Jede Art des Gebrauchs von Reflexionsbegriffen ist zumindest implizit an die gleichzeitige Verwendung der Begriffe von Materie und Form gekoppelt. Somit liegt auch (im „Schema der Tugendpflichten“, 6:398) der Differenzierung in äußere und innere Pflichten der Gesichtspunkt der Unterscheidung nach Materie und Form zugrunde; d. h. von innerer Tugendpflicht kann erst dann gesprochen werden, wenn eine Unterscheidung zwischen eigenem Zweck (als Materie) und Gesetz als Triebfeder (als Form) getroffen wird, der zufolge das Gesetz den Zweck bestimmt; Entsprechendes muss von der äußeren Tugendpflicht gelten. Das Gleiche kann dann womöglich auch in Bezug auf die Gliederung des ersten Buches der Elementarlehre in vollkommene und unvollkommene Pflichten gegen sich selbst gesagt werden: Das erste Buch behandelt die Tugendpflichten gegen sich selbst als vollkommene Pflichten, und zwar unter dem Aspekt der Form (des Gesetzes) und ist zugleich bestimmend in Bezug auf die unvollkommenen Pflichten des zweiten Buches. Dieses wiederum handelt von den unvollkommenen Pflichten gegen sich selbst der Materie nach oder insofern der Zweck, nämlich die eigene Vollkommenheit als Inhalt der Pflicht gegen sich selbst, das durch die Form zu Bestimmende ist. Bestimmt wird dadurch die Pflicht in der Hinsicht, dass entschieden werden kann, ob der Inhalt der Form (der Zweck dem Gesetz) angemessen ist, d. h. ob die eigene Vollkommenheit als Zweck für sich selbst erreicht wird oder nicht. Diese Einteilung setzt aber stillschweigend voraus, dass Tugendpflichten insgesamt und dem Wesen nach als unvollkommene Pflichten schon bestimmt, d.h kategorial von den Rechtspflichten als vollkommenen Pflichten unterschieden sind.131 Mit diesen abschließenden (zugegebenermaßen bloß experimentell angestellten) Überlegungen zum Unterschied zwischen vollkommenen und unvollkommenen Plichten in der Elementarlehre der Tugendlehre soll die vierte Hauptfrage beantwortet sein. Die im Haupttext von Abschnitt XVIII. der Einleitung beschriebenen beiden Einteilungsarten beziehen sich so auf die beiden Übersichten (6:413) und schließlich auf die „Tafel der Eintheilung der Ethik“ (6:492 f.), dass sie verteilt auf 5 identifizierbare Systemskizzen, zu denen die beiden Übersichten gehören, jeweils nur partielle Übereinstimmungen ergeben. Wir haben dazu zunächst die 5 in den beiden Schlußabschnitten der Einleitung vorgefundenen Systemskizzen zur Einteilung der Ethik analysiert, um ihr Verhältnis zueinander zu klären. In allen diesen Darstellungen dokumentierte sich die Differenz zwischen einem subjektiv-materialen Ver131

Zur Einteilung der Pflichten gegen sich selbst und gegen andere in vollkommene und unvollkommene mit einem Ausblick auf die künftige MS vgl. Grundlegung, 4:421.21ff; unvollkommene und vollkommene Pflichten: 4:421.31 – 38; engere und weitere Pflichten: 4:424.10 ff.; dazu auch Zimmermann, Kants „Kategorien der Freiheit“ (2011), 285. Vgl. Achenwall / Pütter, Anfangsgründe des Naturrechts (1750 / 1995), § 197, S. 64 / 65.

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hältnis und einem objektiv-formalen Verhältnis der Verpflichtung als bestimmendes Einteilungskriterium. Das Verhältnis der beiden Einteilungsübersichten am Ende der Einleitung in die TL ließ sich so bestimmen, dass sich die erste Tafel nur auf den Titel der Elementarlehre in der zweiten Tafel bezieht und diesen näher aufschließt, indem es den Unterschied der Subjekte als Menschen zum Gegenstand hat. Die zweite Tafel skizziert kein abgeschlossenes System, sondern die Architektonik zu einer Ethik als Wissenschaft der Form nach. Mit Hilfe der Begriffe der ethisch-praktischen Vernunft, die sich nach inhaltlichen Gesichtspunkten gliedern lassen, begründet sie eine solche Wissenschaft und geht damit der Einteilung nach Zweckverhältnissen menschlicher Wesen in der ersten Tafel als „Grundriß“ voraus. Diese zweite Tafel ist schließlich zum Teil in der Gliederung der „Tafel der Eintheilung der Ethik“ (6:492 f.) wiederzufinden. Was die fünfte Hauptfrage betrifft, d.i. die Frage nach dem Einheitsprinzip, auf das sich die in XVIII. thematisierten Einteilungen der Ethik gründen (s. S. 264), so ist ihre Beantwortung mit Schwierigkeiten verbunden, weil Kant keine klaren Hinweise darauf gibt, um welches Prinzip es sich dabei handelt. Angesprochen wird es mit dem ersten Satz von Abschnitt XVII. (6:410.3 – 6)132, von dem wir weiter oben angenommen haben, dass er sich auf das Prinzip der inneren Freiheit in Abschnitt XIV., Anm., zurückbezieht. Schon Abschnitt X., 3. Abs., machte deutlich, dass der moralische Imperativ (der kategorische Imperativ der Sittlichkeit) ebenso wenig wie der Imperativ der Tugendpflicht mit dem Freiheitsgesetz zusammenfällt. Freiheit wurde vielmehr als notwendige Voraussetzung „zum Behuf“ des moralischen Imperativs und der in ihm enthaltenen „Elemente“ des Begriffs der Rechtspflicht gedacht (6:396.24 – 28). Es muss sich also um dasjenige Prinzip handeln, das die unterschiedlichen Aspekte des Formalen und des Materialen, unter denen die Einteilung der Ethik als Tugendlehre erfolgt, vereinheitlicht (das m.a.W. Grund der Einheit und Zusammengehörigkeit zweier Unterschiedener ist) und das zugleich das Kriterium der Abgrenzung der Tugendlehre von der Rechtslehre sowie der weiteren Unterteilung der Tugendlehre (sowohl in Elementarlehre und Methodenlehre als auch in unterschiedliche Verhältnisse zwischen verpflichtenden Subjekten und Verpflichteten) enthält. Damit kann nur das Prinzip der inneren Freiheit gemeint sein, das Kant in Abschnitt XIV. (und X.) der Einleitung thematisiert hat. In den Abschnitten XV. und XVI. werden keine weiteren Prinzipien vorgestellt, sondern die Momente des Prinzips der inneren Freiheit (vgl. X., 3. Abs.) entwickelt. Nun formuliert Kant in Abschnitt IX. das „oberste Princip der Tugendlehre“ als kategorischen Imperativ unter dem materialen Aspekt des Zwecks („handle nach einer Maxime der Zwecke, die zu haben für jedermann ein allgemeines Gesetz sein kann“ (6:395.15 f)). Es enthält die Bedingung der Einteilung des subjektiven Verhältnisses der Verpflichtung unter Menschen (entspre132 „Dieses Princip der Eintheilung muß erstlich, was das Formale betrifft, alle Bedingungen enthalten, welche dazu dienen, einen Theil der allgemeinen Sittenlehre von der Rechtslehre und zwar der specifischen Form nach zu unterscheiden […]“. (6:410.3 – 6)

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chend der ersten Einteilung, 6:413), insofern zufolge jenes Imperativs „der Mensch sowohl sich selbst als Andern Zweck“ ist (6:395.17) und das Verpflichtungsverhältnis der Subjekte „der Materie nach“ gelten soll (6:412.17). X. Offene Fragen und Probleme 1. Das Problem der ,Ableitung‘ der speziellen Imperative vom moralischen Imperativ und vom Freiheitsgesetz Man kann die Ableitbarkeit spezieller Imperative vom allgemeinen moralischen Imperativ aus guten Gründen von vornherein bestreiten oder sie bejahen und dann einen Nachweis verlangen. Diese Entscheidung hängt davon ab, was man unter ,Ableitung‘ verstehen will. Soweit ich sehe, ist dieses ,Problem‘, sofern es als solches zugestanden wird, trotz einiger z. T. bemerkenswerter Vorschläge nicht befriedigend gelöst. Die (an die Darstellung von Ebbinghaus gerichtete) Empörung über die „monströse Behauptung“, „daß das Recht unter dem Kategorischen Imperativ der Sittlichkeit stehe“, sei als eine Rechtsmaxime auszulegen,133 ließe sich z. B. leicht beruhigen, wenn nur mit Hilfe einer präzisen Textauslegung gesagt würde, was Maximen in Bezug auf die RL bedeuten und was sie nicht bedeuten können. Da ich diese Frage an dieser Stelle nicht in ausreichendem Maße behandeln kann und ich deshalb auch nur zurückhaltend darauf antworten möchte, gehört sie m. E. zu den offenen Fragen der Interpretation der MS. ,Ableitung‘ kann hier natürlich nicht bedeuten zu verlangen, alle inhaltlichen Bestimmungen der speziellen Imperative in der Rechts- und der Tugendlehre müssten auf Bestimmungen der allgemeinen Formel des kategorischen Imperativs zurückgeführt werden. Es muss aber zumindest eine formale Übereinstimmung der betreffenden Grundsätze untereinander und eine inhaltliche Differenzierungsmöglichkeit geben, die es erlaubt, ein notwendiges Subordinationsverhältnis der einzelnen Prinzipien zu behaupten. Und diese Übereinstim133

Hans Friedrich Fulda, Notwendigkeit des Rechts (2006), 176. Vgl. dazu Julius Ebbinghaus: Kants Rechtslehre, in: J. Ebbinghaus, Gesammelte Schriften. Bd. 2 (1988), 242. Ebbinghaus’ Auslegung, so Fulda (S. 176), führe zu der „monströsen Behauptung“, die Aussage Kants, das Recht stehe unter dem kategorischen Imperativ der Sittlichkeit, bedeute, dass es „eine Maxime der Bestimmung der Freiheit der Willkür in bezug auf deren äußeres Verhältnis“ sei (Ebbinghaus-Zitat). Nach Fuldas Urteil desavouiert diese Ansicht den Rechtsbegriff selbst. Er fragt: „Soll es etwa Maximen geben, in denen die Willkür überhaupt nicht auf einen bestimmten Zweck und ein Motiv seiner Verfolgung festgelegt ist, sondern nur auf ein bestimmtes willentliches Handeln bei einer gewissen Gelegenheit, obwohl sie doch als Maximen oberste subjektive, aufs ganze künftige Leben gehende Grundsätze in bestimmter Weise motivierten und damit auf Zwecke ausgerichteten Handelns sind?“ Diese Frage ist jedoch falsch gestellt. Der erste Teil der Frage ist zu bejahen, der zweite zu negieren. Fulda anerkennt Maximen nur in der Bedeutung subjektiver Grundsätze und ignoriert deren zweite Bedeutung als objektiver Normen (Gesetze). Dabei ist doch schon durch den Textbefund nicht zu übersehen, dass das allgemeine Rechtsprinzip der RL den Maximen-Begriff in seiner Formel enthält (vgl. 6:230, § C). Fulda kommt zu dem Schluss, „daß alle direkt aus der gebietenden Kraft des Kategorischen Imperativs der Sittlichkeit argumentierenden Rechtsbegründungen scheitern müssen“ (ebd., 177).

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mung und Differenz muss über die bloße Kompatibilität der drei Prinzipien hinausgehen. Soll nämlich die innere Einteilung der Metaphysischen Anfangsgründe der RL bzw. der TL nach Prinzipien erfolgen – und das muss sie –, dann müssen diese Prinzipien auch Anweisungen dafür enthalten, wie man durch eine lückenlose Folge von Gedankenschritten vom Allgemeinen zum Konkreten gelangen kann. Kant selbst fordert eine wissenschaftliche Behandlungsart sowohl des Rechts als auch der Ethik; für diese ist, wie meine bisherigen Betrachtungen gezeigt haben sollten, eine systematische Einteilung der Begriffe unverzichtbar. Der oberste eingeteilte Begriff der Metaphysik der Sitten ist der praktische Vernunftbegriff der Freiheit, und diesem zufolge teilt die Vernunft sich selbsttätig in ihre untergeordneten Begriffe und Teilgebiete ein. Im folgenden möchte ich ein paar Hinweise für eine hoffentlich erfolgversprechende Bearbeitung in dieser Richtung geben. Dabei beschränke ich mich auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem moralischen Imperativ und dem allgemeinen Rechtsgesetz. Dass es überhaupt einen systematischen Zusammenhang zwischen dem moralischen Imperativ (dem obersten Grundsatz der Sittenlehre) und dem obersten Rechtsprinzip (bzw. dem allgemeinen Rechtsgesetz) geben muss, scheint außer Zweifel zu stehen.134 Wie genau aber ist dieses Verhältnis zu beschreiben? Liegt in dem angegebenen Sinne eine ,Ableitung‘ vor? Enthält m.a.W. der kategorische Imperativ der Sittenlehre einen Grund, der es einsichtig macht, dass aus ihm das allgemeine Rechtsgesetz und die Imperativformel der Tugendlehre folgen müssen? Kant sagt (Einleitung der Metaphysik der Sitten überhaupt, I.), der moralische Imperativ sei ein pflichtgebietender Satz, aus dem „nachher das Vermögen, andere zu verpflichten, d.i. der Begriff des Rechts, entwickelt werden“ könne (6:239.18 – 21). Wie kann man das Recht von einem Satz her ,entwickeln‘, der inhaltlich vom Begriff der Maxime Gebrauch macht, der in Rechtsgrundsätzen anscheinend keine Rolle spielt? 134

Friedrich Fulda fragt, ob der „oberste Grundsatz der Sittenlehre“ als oberster Grundsatz sowohl der Rechts- als auch der Tugendlehre auch für die juridische Gesetzgebung „begründend“ sei (Fulda, Notwendigkeit des Rechts (2006), 167). Als Hindernis für eine bejahende Antwort sieht er die von dem Imperativ der Sittlichkeit ausgehende Verpflichtung in Hinsicht auf Maximen des Willens (ebd.). Die Bestimmung des „obersten Distinctions-Princips“ sei „an sich sehr schwierig“ und „noch bis jetzt nicht […] entwickelt worden“. Fuldas Frage lautet: Warum gibt es unter der Voraussetzung des kategorischen Imperativs der Sittlichkeit notwendig überhaupt Recht? Dazu untersucht er die Frage, worin das oberste Distinktionsprinzip zwischen rechtlichen und ethischen Prinzipien besteht, „sofern sich daraus die gesuchte Notwendigkeit des Rechts ergibt“ (ebd., 170). Auf diese Fragen habe Kant keine explizite Antwort gegeben. Der „Schlüssel“ zur Einsicht in die Notwendigkeit des Rechts und zur Lösung des Distinktionsproblems befinde sich an ganz anderer Stelle, nämlich im „Übergang von praktischen Prinzipien überhaupt zu denen der Sittlichkeit“ in der KpV (5:118). M.a.W., in den „Kategorien der Freiheit“ sieht Fulda die Instrumente zur Lösung des Distinktionsproblems und der Beantwortung der Frage nach der Notwendigkeit des Rechts (vgl. Fulda, ebd., 192). Zum Zusammenhang von Recht und Ethik in der Funktion der Verbindlichkeit des kategorischen Imperativs s. auch Wolfgang Bartuschat, Der moralische Begriff des Rechts (2008), 31 – 34.

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Welche Handlung „recht“ ist, liegt in der Bestimmung des allgemeinen Rechtsprinzips, in dessen Formulierung der Begriff der „Maxime“ vorkommt.135 Dieses Prinzip nennt Kant nämlich das „Princip aller Maximen“, 6:231.4); d. h. es normiert alle Maximen (soweit sie für das Recht überhaupt relevant sein können) durch die äußere Gesetzgebung und schränkt sie dadurch in ihrem Gebrauch ein; aber es kann durch den, der nach diesem Prinzip handelt, nicht selbst wieder zu einer Maxime erhoben werden, die allein der eigenen subjektiven Willkür entspringt und deren Überwachung unterliegt (6:231.3 – 9).136 Deshalb kann sich das „allgemeine Rechtsgesetz“, das auf das Rechtsprinzip folgt und das unausgesprochen den Begriff der Maxime in sich enthält (und enthalten muss), explizit auf das „äußerlich[e]“ Handeln beziehen (6:231.10 – 12). Die Verbindlichkeit, die dieses Gesetz ausdrückt, kann nicht verlangen, dass die eigene Freiheit unter der Bedingung der Verträglichkeit mit der Freiheit von jedermann durch Selbsteinschränkung zustande komme, m.a.W.: das Rechtsgesetz als solches darf (etwa im Unterschied zu äußeren Pflichten) seinem rechtlichen Geltungsanspruch nach nicht als Triebfeder der eigenen Handlung ausgelegt werden (vgl. 6:231.20 f.). Es gibt nur wenige, dafür aber recht eindeutige Textstellen, die meine These belegen können. In der Einleitung in die Tugendlehre (I.) erinnert Kant an die Thematik der Rechtslehre, um den Unterschied zur Ethik hervorzuheben: Die Rechtslehre habe es „blos mit der formalen Bedingung der äußeren Freiheit“ (als Inbegriff des Rechts) zu tun; diese Bedingung besteht offenbar in der „Zusammenstimmung“ der äußeren Freiheit „mit sich selbst“ (indem nämlich die eigene Freiheit mit derjenigen jedes anderen nach einem allgemeinen Gesetz in Einklang steht), die dann erfüllt ist, wenn die „Maxime“ der Rechtslehre „zum allgemeinen Gesetz gemacht wurde“ (6:380.20 f.); – diese letzte Formulierung kommt der Formel des moralischen Imperativs sehr nahe und zeigt die Verwandtschaft bzw. Abstammung aus dem Sittengesetz an. Sie wird noch durch eine andere Stelle bestätigt und verstärkt: Im zweiten Abschnitt der Einleitung in die Tugendlehre erläutert Kant das „Verhältniß des Zwecks zur Pflicht“ als ein zweifaches, das zum Unterscheidungskriterium zwischen Rechtslehre und Ethik wird. Dabei ist für die Rechtslehre kennzeichnend, dass es erstens „jedermanns freier Willkür überlassen“ bleibe, „welchen Zweck er sich für seine Handlungen setzen wolle“. Aber zweitens sei die „Maxime“ (als eine rechtliche Maxime) „a priori bestimmt“, und diese Bestimmung besteht in der Bedingung, die Inhalt des allgemeinen Rechtsprinzips bzw. des allgemeinen Rechtsgesetzes (§ C) ist:

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„Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.“ (Einleitung in die Rechtslehre, § C, 6:230.29 – 31). 136 So gesehen gibt es durchaus Rechtsmaximen ohne Bindung an objektive Zwecke, nicht aber ohne Bindung an äußere Gesetze (vgl. dazu den Beitrag von Jeffrey Edwards in diesem Band, S. 171 (Fn. 83)).

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„daß nämlich die Freiheit des Handelnden mit Jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen könne“ (6:382.13 – 16).137 Es wird von mir nicht behauptet, dass auch alle anderen konkreteren Rechtsgesetze ihre Bestimmung dem Imperativ der Sittlichkeit verdanken, noch dass rechtliche Verbindlichkeit reduzierbar wäre auf die durch den Imperativ gegebene allgemeine Verbindlichkeit, sondern es wird behauptet, dass Kant der Auffassung sei, der Begriff des Rechts lasse sich aus der Formel des moralischen Imperativs über den Begriff der Maxime, unter Absehung von bestimmten Zwecken, gewinnen. In Bezug auf das oberste Prinzip der Tugendlehre sei kurz gesagt, dass es von einem Begriff des Zwecks (d.i. objektiv notwendiger Zwecke a priori) Gebrauch macht, der im kategorischen Imperativ der Sittenlehre nicht vorkommt und aus ihm nicht direkt herzuleiten ist. Eben deswegen bedarf dieses Prinzip ja auch einer Deduktion im Sinne einer Erläuterung und Rechtfertigung, durch die gezeigt wird, dass die ethisch postulierte Zwecksetzung (mittels Tugendpflichten) auf derselben ursprünglichen, freien Vernunfthandlung beruht wie der Rechtsbegriff und somit untrennbar mit dem Freiheitsakt praktischer Gesetzgebung in Bezug auf die eigene Willensbestimmung verbunden ist. Deshalb scheint auch die Selbstverpflichtung sowohl in Hinsicht auf die ethische als auch auf die rechtliche Verbindlichkeit eine nicht unerhebliche Rolle zu spielen. Nach § 2 der Elementarlehre (6:417 f.) muss nämlich der moralisch Handelnde vorher wissen, was Verbindlichkeit überhaupt bedeutet, um anderen eine Verbindlichkeit auferlegen und sich selbst als verbunden begreifen zu können. Wenn die „äußere[n] Pflichten“ in diesem Paragraphen (6:417.25) die Rechtspflichten mit einschließen, dann ist es notwendig, dass der moralische Imperativ das Bewusstsein einer Verbindlichkeit überhaupt verschafft, damit auch der Rechthandelnde weiß, was Rechtsbefolgung und Rechtsgehorsam bedeuten.138 2. Das Problem der Beifügung kasuistischer Fragenkataloge Die Kasuistik, die Kant, wie oben bereits bemerkt, der Elementarlehre der Ethik an verschiedenen Stellen anheftet, enthält Fallbeispiele zur praktischen Anwendung 137 Es ist ein Problem, den Anfang des ersten Absatzes dieses zweiten Einleitungsabschnittes mit der vorgeschlagenen Interpretationslinie in Einklang zu bringen. Es heißt dort: Man könne sich das rechtliche Verhältnis des Zwecks zur Pflicht (im Unterschied zur Ethik) so denken, dass „von dem Zweck ausgehend, die Maxime der pflichtmäßigen Handlungen […]“ ermittelt werde (6:382.8 – 11). Das kann nur bedeuten, dass die Rechtslehre mit der Abstraktion von bestimmten Zwecken den Anfang macht (weil es für das rechtliche Handeln irrelevant ist, welchen subjektiven Zweck sich der Einzelne setzen mag) und dass die Bestimmung der Maxime deshalb über die Norm eines Gesetzes der formalen Übereinstimmung der beiderseitigen Willkür und nicht über einen subjektiv gewollten oder objektiv gesetzten Zweck a priori erfolgt. Die Maxime hat in rechtlicher Hinsicht hier also die Bedeutung einer zweckfreien Handlungsnorm. 138 Vgl. dazu auch Geismann, Kant und kein Ende, Bd. 2, S. 36, Fn. 142; vgl. Pinzani, Der systematische Stellenwert (2005), 77 f.

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verschiedener Lehrsätze der Tugendlehre. Sie ist eine praktische „Übung“ zur Wahrheitssuche, die sich an den richtet, der moralisch entscheiden und handeln will. Daher verfährt sie nicht systematisch, sondern fragmentarisch (s. oben S. 250). Ihre allgemeine Aufgabenstellung besteht darin, Entscheidungshilfen (Leitlinien) für die Wahl der Maximen und ihre Anwendung auf bestimmte, empirisch gegebene Fälle anzubieten. Ihr Inhalt ist daher willkürlich gewählt und entzieht sich dem systematischen Aufbau der Tugendlehre, obwohl sie thematisch mit bestimmten Sätzen in Zusammenhang steht. Von solchen Beispielen macht Kant sporadisch auch schon in der KpV Gebrauch,139 obwohl dort ebenso wenig wie in der Grundlegung von der Notwendigkeit einer „Kasuistik“ die Rede ist. Beispiele überlassen die Beurteilung und Entscheidung in einem konkreten Fall dem autonomen Subjekt der Handlung. Sie sind vergleichbar mit Gedankenexperimenten, die eine moralische Person anstellt, um die Gründe ihres moralischen Handelns zu erfragen und ihre Motivation zu rechtfertigen.140 Die Notwendigkeit einer solchen Kasuistik folgt erst aus der Erkenntnis, dass die Ethik es im Unterschied zur Rechtslehre mit weiten Pflichten zu tun hat, die dem moralisch Handelnden einen Entscheidungsspielraum für die Wahl seiner Maximen lässt. Dieser „Spielraum“, der für die freie Willkür besteht, folgt daraus, dass das „Gesetz“, das eine Maxime zur ethischen Pflicht machen soll und dabei durch einen Zweck bestimmt wird, der zugleich Pflicht ist (Einleitung in die TL, VI., 6:388 f.), „nicht bestimmt angeben könne, wie und wie viel durch die Handlung zu dem Zweck, der zugleich Pflicht ist, gewirkt werden solle“ (Einleitung in die TL, VII., 6:390.7 – 9). Ethische Pflichten sind insofern (im Unterschied zu Rechtspflichten) insgesamt von „weiter“ Verbindlichkeit. Die Ethik enthält weite Pflichten, die als eine „Einschränkung einer Tugendpflicht durch die andere“ (6:390.11 f.) zu verstehen sind; sie führen aber zu einer Erweiterung der „Tugendpraxis“. D.h. die Vollkommenheit einer Tugendhandlung steht in einem umgekehrten Verhältnis zur Tugendpflicht und deren Verbindlichkeit: Je weiter die Tugendpflicht und je unvollkommener die Verbindlichkeit ist, desto vollkommener ist die Tugendhandlung. Das liegt daran, dass sich der ethisch Handelnde bei der Befolgung seiner Maxime an der engen Pflicht des Rechts orientiert und also innerlich bestrebt ist, seine Handlungsmöglichkeiten immer stärker einzuschränken (6:390.9 – 17). Will er nämlich seine Maxime in eine Tat umsetzen, die dem moralischen Gesetz gerecht wird, so muss er zuvor alle denkbaren Alternativen ausschließen. Um den keiner konkreten Verpflichtung unterliegenden Spielraum auszugestalten, bedarf es also einer solchen Kasuistik (s. oben S. 249 f., 271), die jedoch, da es sich um Beispiele handelt, die Entscheidung des Falles wiederum offen lässt und bloß eine Abwägungsweise als Verfahrensvorschlag für die Urteilskraft vorstellt. 139 s. KpV, § 4, Anm. (5:27.22 – 28.3); § 8, Anm. II (5:35.19 – 36.8); vgl. zum ersten Beispiel: Konrad Cramer, „Depositum“ (2001), 116 – 130. 140 s. dazu Kants eingehende Beschreibung des moralisch-praktischen Experiments eines potentiellen Lügners und den Vergleich mit chemischen Versuchsverläufen (KpV, 5:92.27 – 93.10).

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Das wirft die Frage auf, ob ethische Begriffe (Zwecke) zur objektiven Gültigkeit auf Erfahrung angewiesen sind und ob deswegen das System der Tugendlehre als unabgeschlossen gelten muss,141 wodurch der Ausdruck „Metaphysische Anfangsgründe“ im Titel der Schrift zu rechtfertigen wäre. Die Notwendigkeit des Erfahrungsbezuges ethischer Gesetze ist dadurch gegeben, dass sie sich als abstrakte Gebote und Verbote auf das Handeln von Menschen beziehen, die auch Naturwesen sind und deren Handlungsentscheidungen daher auch neigungsabhängig sind und auf dem Boden einer naturgesetzlich geregelten Wirklichkeit umgesetzt werden müssen. Aber auch unabhängig von der weiten Verpflichtung innerhalb der Ethik ist, wie übrigens hinsichtlich der Rechtsgesetze auf analoge Weise, diese Notwendigkeit in der Allgemeinheit der Gesetze begründet, deren Anwendung auf spezielle empirische Einzelfälle eine reflektierende Betrachtung solcher Fälle voraussetzt. – Das Sonderproblem des unendlichen Regresses der Prinzipien (s. S. 250) ist schließlich darauf zurückzuführen, dass es sich um empirische Prinzipien handelt. Warum aber ist es erforderlich, auch eine Kasuistik für „vollkommene“ Pflichten (gegen sich selbst; denn von den Pflichten gegen Andere wird diese Einteilung nicht ausdrücklich angezeigt)142 aufzustellen? Sie ist den §§, die von den vollkommenen Pflichten handeln, als ein Katalog von „Fragen“, deren Beantwortung weitgehend offen bleibt, angehängt.143 Da Tugendpflichten insgesamt zu unvollkommenen oder weiten Pflichten erklärt werden,144 können und müssen sie auch alle kasuistisch erläutert werden. Dieses Kriterium müssen also auch die „vollkommenen“ Pflichten gegen sich selbst erfüllen. D.h., obwohl sie als „vollkommene“ Pflichten bezeichnet werden, sind sie doch ihrer Grundbestimmung nach unvollkommene Pflichten. Ich gehe davon aus, dass Kant die vollkommenen Pflichten tatsächlich auch zu den Tugendpflichten rechnet, obwohl sie Verbote aussprechen (denn was sollten sie sonst sein?)145 ; worin besteht dann aber ihre ,Vollkommenheit‘? 141 Zur allgemeinen Problematik der Abgeschlossenheit des kantischen Systems der Philosophie vgl. Dieter Henrich, Systemform und Abschlussgedanke (2001), 94 – 115. 142 s. aber die Unterscheidung zwischen Liebespflichten und Achtungspflichten, der zufolge die „Pflicht der freien Achtung gegen Andere, weil sie eigentlich nur negativ ist“ und gleichwohl eine Tugendpflicht, eine „enge“, die Liebespflicht dagegen eine „weite“ Pflicht ist (6:449.31 – 450.2). 143 s. z. B. 6:423, 426, 428, 431 u. ö. 144 Für die Pflichten der eigenen Vollkommenheit und der fremden Glückseligkeit wird in Abschnitt VIII. der Einleitung in die TL gezeigt, dass sie weite Pflichten ohne festgesetzte Grenzen sind, so dass sich das Gesetzesgebot an die Maxime der Handlung, nicht an die Handlung selbst richtet (vgl. 6:392.10, 392.23 – 30, 393.32 – 35, 419.15 ff. (Von den Verboten der vollkommenen Pflichten gegen sich selbst und gegen Andere wird dies in dem betreffenden Einleitungsabschnitt dagegen nicht ausdrücklich festgestellt). 145 Zwar wird in den Titeln zur Gliederung nicht ausdrücklich von Tugendpflichten gesprochen. Aber erklärtermaßen geht „alle Eintheilung der Ethik nur auf Tugendpflichten“ (6:410.32 – 33); und dann umfasst die „Erste Eintheilung der Ethik nach dem Unterschiede der Subjecte und ihrer Gesetze.“ auch die Pflichten des Menschen „gegen sich selbst“

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Meiner Ansicht nach hilft Kants Unterscheidung zwischen negativen und positiven Pflichten bei der Beantwortung der zuletzt gestellten Frage weiter. Vollkommene Pflichten gegen sich selbst sind demzufolge als „negative“ (d. h. „einschränkende“) Pflichten zu verstehen, unvollkommene (gegen sich selbst) als „positive“ oder „erweiternde“. „Vollkommen“ heißen die ersteren dann deswegen, weil sie sich durch ihren Verbotscharakter den Rechtspflichten (als engen Pflichten) durch Einschränkung immer mehr annähern. Sie sind m.a.W. in einem relativen Sinne vollkommen, insofern sie sich den engen Pflichten graduell annähern und dabei „dem Begriffe einer engen Verbindlichkeit so nahe als möglich“ gebracht werden (6:391.10 – 11).146 So (oder so ähnlich)147 könnte also die anscheinende Sprachverwirrung bei der Bezeichnung einer bestimmten Klasse von Tugendpflichten (der Pflichten gegen sich selbst) als unvollkommener und zugleich vollkommener Pflichten (und im analogen Fall der in einem zweifachen Sinne unvollkommenen Pflichten gegen sich selbst auf gleiche Weise) aufgelöst werden.148 3. Das Problem der anthropologischen Erweiterung Wir haben weiter oben (in Abschnitt IV., S. 239 f.) bereits die Problematik erwähnt und grob skizziert, die mit Kants Forderung einer moralischen Anthropologie als dem zweiten Glied der Einteilung der praktischen Philosophie, das zugleich eine Folgerung aus der Metaphysik der Sitten sein soll, verbunden ist. Das Problem, das (6:413.1 – 8), d. h. also auch die sog. „vollkommenen“ Pflichten gegen sich selbst. Verbote sind übrigens zumindest indirekt auch mit Zwecken verbunden, nämlich z. B. mit dem Zweck „seiner Natur“ (damit ist nicht der Naturzweck des Menschen gemeint, sondern sein Wesen als Mensch, der Zweck also, der seine „moralische Selbsterhaltung“ betrifft (6:419.21)). Negative oder einschränkende Pflichten („Unterlassungspflichten“) und positive oder erweiternde Pflichten („Begehungspflichten“) sind beide „Tugendpflichten“ (vgl. 6:419.23 – 25). 146 Graduelle Angleichung bzw. Unterscheidung von Begriffen bedeutet – entsprechend einer Erklärung Kants in der KU – dann aber auch, dass sich vollkommene und unvollkommene Pflichten nicht spezifisch voneinander unterscheiden (vgl. KU, Einleitung IX, 2. Fußnote). 147 Man könnte auch versuchen, das Problem mit Hilfe der Verwendung der Freiheitskategorien aus der KpV aufzulösen, indem man berücksichtigt, dass die Unterscheidung zwischen vollkommenen und unvollkommenen Pflichten einer Spezifizierung der Kategorie der Freiheit unter dem Gesichtspunkt der Modalität entstammt. Es müsste dann diese kategoriale Differenzierung im ersten Teil der Ethischen Elementarlehre so betrachtet werden, dass sie auf sich selbst angewendet würde. Zur Interpretation der Freiheitskategorien in der KpV vgl. neuerdings Stephan Zimmermann, Kants „Kategorien der Freiheit“ (2011), (spez. zu den Modalitätskategorien S. 267 ff., 291). 148 Manfred Baum scheint den wahren Grund des Problems und dessen Lösungsmöglichkeit in der „Summe aller Tugendpflichten“ übersehen zu haben. Die Unterscheidung zwischen dem „Zweck der Menschheit in unserer eigenen Person“ und dem „Zweck der Menschen“ hilft an dieser Stelle nicht weiter, da beide zu den unvollkommenen Pflichten gezählt werden (vgl. die Tafel der „Eintheilung“ der Metaphysik der Sitten überhaupt in 6:240; vgl. Baum, Probleme der Begründung Kantischer Tugendpflichten (1998), 48).

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darin besteht, dass das geforderte Lehrstück auf Erfahrung beruht, eine Erfahrungswissenschaft aber nicht Teil eines metaphysischen Systems sein kann, hat eine ähnliche Wurzel wie das der Kasuistik. Es ist darauf zurückzuführen, dass die praktische Verwirklichung der allgemeinen moralischen Gesetze der Ethik subjektiv-empirischen Anforderungen genügen muss. Diese haben m.a.W. nur dann objektiv praktische Realität, wenn sich zeigen lässt, dass sie im Tun der Menschen tatsächlich ihren positiven Niederschlag finden. Denn es sind auch die einzelnen Menschen (als physische und moralische Personen), in denen ein ursprünglicher Keim zum moralischen Handeln verborgen liegt. Um jenen Nachweis führen zu können, muss die „praktische Anthropologie“ besondere subjektive Bedingungen beinhalten, die die „Ausführung“ der in der Metaphysik der Sitten aufgestellten moralischen Gesetze behindert oder begünstigt (6:217.9 – 13). Und solche subjektiven Bedingungen müssen über die allgemeinen Voraussetzungen noch hinausgehen, die Kant in Abschnitt XII. der Einleitung in die TL unter der Überschrift „Ästhetische Vorbegriffe der Empfänglichkeit des Gemüths für Pflichtbegriffe überhaupt“ aufführt (6:399 – 403) und dann im Haupttext der Tugendlehre auch thematisiert (u. a. 6:438 – 440).149 Diese Voraussetzungen sind zwar subjektiver Natur und beziehen sich auch auf das sinnliche Vermögen des Menschen, sie berücksichtigen aber keine individuell-charakterlichen Merkmale der physischen Natur des Menschen. Im Unterschied zur Kasuistik soll die moralische Anthropologie, deren mögliche Gegenstände weiter oben vorgestellt wurden (s. Abschnitt IV. S. 239 f.), zum System der praktischen Philosophie gehören.150 Aber gerade dieser Anspruch macht sie zum Problem. Wie kann ein Übergang von einer reinen Wissenschaft aus Prinzipien a priori zu einer Erfahrungswissenschaft, die auf Empirie angewiesen ist, begründet werden (vergleichbar mit dem Problem eines Übergangs von den MAN zur Physik oder auch dem des Übergangs von transzendentalen zu empirischen Naturgesetzen in der Kritik der teleologischen Urteilskraft), ohne dass deren Prinzipien dadurch „pathologisch“ (empirisch infiziert und relativiert) werden? Kant stellt diese Frage im Rahmen der MS nicht, und deshalb fehlt auch jeder Hinweis auf eine mögliche Antwort. Anders als die MS gibt aber die Vorrede zur Grundlegung näheren Aufschluss über Sinn und Bedeutung eines Lehrstückes namens „praktische Anthropologie“, das Kant in seinen Druckschriften nirgends ausführt.151 Die an dieser Stelle mit Vehemenz geforderte Trennung einer „reine[n] Moralphilosophie“ von allem Empiri149

Band.

Vgl. dazu im Detail die Untersuchung von Paul Guyer in seinem Beitrag zu diesem

150 Vgl. die Systemskizze in der Grundlegung: „Auf solche Weise entspringt die Idee einer zwiefachen Metaphysik, einer Metaphysik der Natur und einer Metaphysik der Sitten. Die Physik wird also ihren empirischen, aber auch einen rationalen Theil haben; die Ethik gleichfalls, wiewohl hier der empirische Theil besonders praktische Anthropologie, der rationale aber eigentlich Moral heißen könnte“ (4:388.9 – 14; vgl. 4:388.32 – 37). 151 Ich habe in Kants Nachlass, spez. im Opus postumum, nicht nach Spuren einer Weiterbeschäftigung Kants mit dieser Problemfrage gesucht.

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schen einer „Anthropologie“152 soll aus dem Grunde durchgeführt werden, damit man wisse, „wie viel reine Vernunft […] leisten könne, und aus welchen Quellen sie selbst diese ihre Belehrung a priori schöpfe“ (4:388.37 – 389.2). Die ,Quelle‘ der reinen (praktischen) Vernunft in Hinsicht auf die wissenschaftliche Aufklärung ihres Leistungsvermögens durch moralische Gesetze kann aber nicht die Erfahrung sein, weil empirische Bedingungen als Bestimmungsgrund moralischer Gesetze deren strenge Allgemeinheit und objektive Gültigkeit unmöglich machen würden. Darüber hinaus leuchtet es nach Kant schon „aus der gemeinen Idee der Pflicht und der sittlichen Gesetze“ „von selbst“ ein, dass es „reine Moralphilosophie“ geben müsse. Denn niemand komme an dem Eingeständnis vorbei, „daß ein Gesetz, wenn es moralisch, d. i. als Grund einer Verbindlichkeit, gelten soll, absolute Nothwendigkeit bei sich führen müsse“ (4:389.11 – 13). Eine solche geforderte Notwendigkeit, die Grund aller Verbindlichkeit sein muss, könne weder „in der Natur des Menschen“ noch in „den Umständen in der Welt“ (d.i. den ,Fällen‘) gesucht werden, denn die Allgemeinheit der Verbindlichkeit fordert in Bezug auf alle Sittengesetze die Ausweitung ihrer Gültigkeit auf alle vernünftigen Wesen überhaupt (4:389.13 – 16), und diese Erweiterung erfordert reine Vernunftbegriffe a priori (als die einzigen Begriffe, die a priori diesen Allgemeinheits- und Notwendigkeitsgrad mit sich bringen) als Bestimmungsgrund und Grund der Verbindlichkeit (4:389.18 – 19). Daraus folgert Kant: „Also unterscheiden sich die moralischen Gesetze sammt ihren Principien unter allem praktischen Erkenntnisse von allem übrigen, darin irgend etwas Empirisches ist, nicht allein wesentlich, sondern alle Moralphilosophie beruht gänzlich auf ihrem reinen Theil, und auf den Menschen angewandt, entlehnt sie nicht das mindeste von der Kenntniß desselben (Anthropologie), sondern giebt ihm, als vernünftigem Wesen, Gesetze a priori, die freilich noch durch Erfahrung geschärfte Urtheilskraft erfordern, um theils zu unterscheiden, in welchen Fällen sie ihre Anwendung haben, theils ihnen Eingang in den Willen des Menschen und Nachdruck zur Ausübung zu verschaffen, da dieser, als selbst mit so viel Neigung afficirt, der Idee einer praktischen reinen Vernunft zwar fähig, aber nicht so leicht vermögend ist, sie in seinem Lebenswandel in concreto wirksam zu machen.“ (4:389.24 – 35)

In dem zitierten Text (4:389.30 – 33) stellt Kant selbst implizit einen Zusammenhang zwischen der (erst in der MS so betitelten) „Kasuistik“ und der „Anthropologie“ her. Was aber viel wichtiger ist, ist der versteckte Hinweis auf die eigentliche Problemlage, nämlich: „auf den Menschen angewandt“ (4:389.27) erfordern die allen Vernunftwesen gleichermaßen gegebenen Gesetze a priori „noch durch Erfahrung geschärfte Urtheilskraft“ und damit eben sowohl eine Kasuistik als auch eine Anthropologie als das empirische Material, dessen die Übung der Urteilskraft für ihre Aufgabe der Beziehung (Anwendung) allgemeiner Moralgesetze a priori auf einen konkreten Fall in einem konkreten Subjekt bedarf. Dieses Bedürfnis tangiert jedoch in keiner Weise das Problem der moralphilosophischen Grundlegung und Begründung; denn es soll ja dazu ausdrücklich „nicht das mindeste“ aus der Kenntnis des Menschen „entlehnt“ werden. Die Urteilskraft bedarf jener Übung deshalb, weil eine „all152

Vgl. Grundlegung, 4:389.5 – 9; vgl. 4:388.32 – 37; vgl. 6:217.17 – 27.

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gemeine Gesetzgebung“ (wie schon im Fall der Metaphysik der Natur) nicht direkt auf konkrete Fälle bezogen werden kann, sondern dafür auch „Principien der Anwendung“ auf Erfahrungsgegenstände (bzw. Subjekte) benötigt (6:216.34 – 217.1). Diese nun zu entwickeln, ist Aufgabe einer Metaphysik der Sitten (bzw. der Natur). In der praktischen Philosophie ergibt sich diese Notwendigkeit noch daraus, dass ja von Kant behauptet wird, jedermann habe die allgemeinen moralischen Gesetze und deren Prinzipien a priori unentwickelt (sozusagen als Keim) in sich153 – und er besitzt sie nicht bloß, sondern er hat sie zugleich als „Pflicht“ („eine solche zu haben ist selbst Pflicht“, 6:216.31 – 32), d. h. als Aufgabe, sie aus sich selbst heraus zu entwickeln und zu kultivieren, so dass es für jeden Menschen im Besonderen (auch individuell auf ihn zugeschnittene, spezifische) Prinzipien ihrer Anwendung geben muss (wenn dieser Keim oder diese Anlage ihrem Zweck gemäß entwickelt werden können soll und wenn jener Pflicht gemäß überhaupt gehandelt werden können soll). Das bedeutet aber, dass die Metaphysik der Sitten insgesamt sich „die besondere Natur des Menschen“ auch zum Gegenstand machen muss (6:217.1 – 3); d. h. auch die Rechtslehre muss sie sich, wenn auch in anderer Weise als die Ethik, zum Gegenstand machen.154 Die besondere Natur des Menschen wiederum muss Gegenstand einer Erfahrungswissenschaft sein, da sie „nur durch Erfahrung erkannt wird“ (6:217.2). Die Aufgabe einer solchen Erfahrungswissenschaft soll darin bestehen, an der Erfahrung „die Folgerungen aus den allgemeinen moralischen Principien zu zeigen“ (6:217.3 – 4). D.h. sie sollen in ihrer Effektivität sichtbar gemacht werden, indem ihre praktischen Auswirkungen in der sinnlich bedingten Natur dargestellt werden. Fragt man: weshalb? so könnte die Antwort lauten: damit ein jeder an Beispielen erkennen kann, wozu er selbst kraft der auch in ihm wirksamen allgemeinen moralischen Gesetze durch sein Handeln in jeder beliebigen Lebenssituation in der Lage ist. Das philosophische Problem, das hierbei entsteht (und das von Kant weder als solches benannt noch diskutiert wird), steckt aber in der Frage: Wie kann die unbedingte Gültigkeit der allgemeinen Moralgesetze auch unter den besonderen empirischen Gegebenheiten eines jeden Einzelfalles und bezogen auf ein jeweiliges empirisches Individuum nachgewiesen werden (wenngleich der Geltungsgrund von solchen Bedingungen völlig unabhängig ist)? Oder – mehr mit Kants eigenen Worten ausgedrückt – wie können jene „Folgerungen“ an der Erfahrung gezeigt werden, „ohne daß jedoch dadurch der Reinigkeit“ der allgemeinen moralischen Prinzipien „etwas benommen, noch ihr Ursprung dadurch zweifelhaft gemacht wird“ 153

Dass jeder Mensch von Geburt aus das moralische Gesetz in sich trägt und aufgrund seiner Naturveranlagung schon mit Hilfe der allgemeinen Menschenvernunft imstande ist, seine Maximen danach zu beurteilen und in Handlungen umzusetzen, zeigt Kant im Ersten Abschnitt der Grundlegung (4:393 ff., bes. 397, 402 – 405) sowie in der „Methodenlehre“ der KpV (5:155.12 ff.). 154 Diese letzte Frage möchte ich aber hier ausklammern und mich stattdessen nur auf die mir plausibler erscheinenden Überlegungen in Hinsicht auf die Tugendlehre beziehen. Ich komme in Abschnitt XI. kurz auf die Frage des Verhältnisses einer Metaphysik des Rechts zu einer empirischen Rechtskunde zurück.

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(6:217.4 – 6); bzw. wie kann eine Metaphysik der Sitten, die sich nicht auf Erfahrung, also auch nicht auf Anthropologie gründen kann, „doch auf sie angewandt werden“ (6:217.7 – 8); oder noch drastischer formuliert: Wie ist die Disjunktion (der bipolare Gegensatz) zwischen den beiden Gliedern der Einteilung der praktischen Philosophie, nämlich der auf Prinzipien a priori beruhenden Metaphysik der Sitten und der allein auf Erfahrung sich gründenden Anthropologie, die zugleich eine Folgerung aus der Metaphysik der Sitten sein soll, aufzulösen? Die Erklärung, dass die „Prinzipien der Anwendung“ auf Erfahrung selbst noch zur Metaphysik der Sitten (analog zur Metaphysik der Natur) gehören sollen (6:216.34 – 217.1) – sie sind wohl innerhalb der „Methodenlehre“ zu suchen – entschärft das Problem noch nicht. Der geforderte Nachweis kann a priori nicht erbracht werden; er muss sich vielmehr in der Praxis des Einzelfalles selbst zeigen. Die Erfahrung praktischen Handelns der Menschen muss konkret das enthalten, was die moralischen Gesetze jedem einzelnen vorschreiben. Allein eine solche Übereinstimmung zu erkennen, ist wegen der Ungleichartigkeit einer reinen Prinzipienlehre und bloßer Erfahrung ein Problem. Damit wäre aber auch an dieser Stelle das System der Ethik kein abgeschlossenes System, sondern ein System mit notwendigerweise offenen Stellen. Das andere Glied der Einteilung der praktischen Philosophie (neben der Sittenlehre) kann somit kein wissenschaftliches sein, was es doch, gemessen am Anspruch des Autors, (als immerhin zum System der praktischen Philosophie notwendig gehörig) sein müßte. Besonders deutlich zeigt sich das im Zusammenhang mit der Einführung einer moralischen Anthropologie und ihrer Begründung skizzierte systematische Problem in § 45 der Tugendlehre (dem einzigen zentralen Paragraphen des Zweiten Hauptstückes). Dieser handelt von „Tugendpflichten“, die ausweislich der Überschrift des Paragraphen „Pflichten der Menschen gegeneinander in Ansehung ihres Zustandes“ sind (6:468.15 – 16) und damit ausdrücklich keine „Principien der Verpflichtung der Menschen als solcher gegen einander“ enthalten (6:468.20 – 21). Mit dem „Zustand“, in dem sich die Menschen in einem gegenseitigen Verpflichtungsverhältnis befinden, ist hier die Gesamtheit der Lebensumstände eines Subjekts gemeint, also u. a. Standeszugehörigkeit, Alter, Geschlecht, ökonomische Verhältnisse etc. Daraus ergeben sich aber, wie Kant betont, nicht verschiedene ethische Verpflichtungsarten, sondern „Arten der Anwendung“ (6:469.5 – 7). Solche Anwendungsarten können „nicht, als Abschnitte der Ethik und Glieder der Eintheilung eines Systems (das a priori aus einem Vernunftbegriffe hervorgehen muß), aufgeführt, sondern nur angehängt werden“ (6:469.8 – 10). Wenngleich diese Anwendungen nicht zum System selbst gehören können, so sind sie doch unverzichtbar, insofern sie „zur Vollständigkeit der Darstellung“ des Systems gehören (6.469.11 – 12). Der zitierte Paragraph ist inhaltlich insofern nicht ausgewogen, als es darin einerseits um die Ethik und um Tugendpflichten, andererseits aber um die MS insgesamt geht. Die hier thematisierten Tugendpflichten gehören, wie ich meine, noch nicht zum empirischen Teil einer Ethik namens moralische (oder praktische) Anthropolo-

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gie; streng genommen gehören sie aber auch nicht mehr zur „reinen Ethik“, d. h. zu den „metaphysischen Anfangsgründen der Tugendlehre“. Ihr Ort ist vielmehr der Übergang von der Metaphysik der Sitten zur Anthropologie (von der zwar in § 45 nicht wörtlich gesprochen wird, die aber der Sache nach gemeint ist), denn sie enthalten Regeln der Anwendung reiner Pflichtprinzipien auf Erfahrung. Es handelt sich bei ihnen laut Kant um empirisch bedingte, „modificirte Regeln“, um Prinzipien, die „nach Verschiedenheit der Subjecte der Anwendung des Tugendbegriffs (dem Formalen nach) auf in der Erfahrung vorkommende Fälle (das Materiale)“ abgewandelt sind (6:468.22 – 25). Dasselbe muss von der „Freundschaft“ (§§ 46 – 47) und von den sog. „Umgangstugenden“ (§ 48) gelten. Solche Pflichten werden zwar als Tugendpflichten angesehen; sie können aber aus prinzipiellen Gründen nicht Glied einer systematischen Einteilung sein,155 weil sie sich auf empirische Einzelfälle in der Erfahrung nicht nur beziehen, sondern auch danach richten und deshalb „wie alle empirische Eintheilungen keine gesichert-vollständige Classification zulassen“ (6:468.25 – 26). Der Übergang (der Metaphysik der Sitten) wird verglichen mit dem auf besonderen Regeln beruhenden „Überschritt“ „von der Metaphysik der Natur zur Physik“ (6:468.27). Die Grenzen sind so unscharf wie der Begriff der Tugendpflicht. Durch die „Anwendung reiner Pflichtprincipien auf Fälle der Erfahrung“ werden jene Prinzipien „gleichsam“ schematisiert und „zum moralisch-praktischen Gebrauch fertig“ dargelegt (6:468.29 – 31).156 XI. Fazit (abschließende Beantwortung der Frage nach dem Systemaufbau der Tugendlehre) Welche Schlüsse ergeben sich aus der Beantwortung der vorrangig diskutierten Fragen für den Systemaufbau der „Tugendlehre“ (6. Hauptfrage, S. 264)? Die Beantwortung der Fragen 1) bis 5) hat zu folgenden Ergebnissen geführt: Erste Feststellung: Eine Skizze des Gesamtaufbaus (eine Grobgliederung), die lückenlos in sich konsistent wäre, kann auch am Ende dieser Untersuchung nicht vorgelegt werden; dazu müßten noch konkrete und genaue Textanalysen unternommen werden. Trotz der geleisteten Erklärungen bleiben also Zweifel und Unsicherheiten in nicht geringem Ausmaß bestehen. Zweite Feststellung: Eine schlüssige Systemskizze der TL und ihrer Stellung und Funktion innerhalb des Systems der MS bzw. des Systems der praktischen Philosophie Kants muss die in meiner Untersuchung sichtbar gewordene Mehrdeutigkeit in Kants Gebrauch des Ausdrucks „Ethik“ berücksichtigen. In Übereinstimmung mit dem am Anfang meiner Untersuchung beschriebenen kantischen Begriff von Philosophie kann auch die Ethik als die Idee einer möglichen 155

Vgl. die weiter oben bereits zitierte Stelle in 5:469.8 – 10 („[…] die also nicht […]). Für diese Idee der Schematisierung moralischer Prinzipien ist vermutlich die TypusLehre der KpV relevant. 156

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Wissenschaft (der Form nach) charakterisiert werden, nämlich der Wissenschaft von den Tugendpflichten, die in concreto nicht gegeben ist, die in der Tugendlehre aber begrifflich immerhin so weit entwickelt wird, dass die allgemeinen Regeln und Bedingungen spezifischer Handlungsmaximen aufgestellt werden; sie bedarf jedoch über die TL hinaus noch einer Weiterentwicklung, insofern erst der empirische Gebrauch der in diesen Pflichten enthaltenen Gesetze in subjektiv bedingten Handlungsweisen einzelner empirischer Subjekte des Handelns und empirisch gegebenen Handlungssituationen solche konkreten Folgen ergibt, die die allgemeine Gültigkeit der Handlungsmaximen, d. h. ihre Übereinstimmung mit dem moralischen Gesetz unter Beweis stellen, obwohl auf der anderen Seite deren objektive und allgemeine Gültigkeit entscheidend vom moralischen Gesetz abhängt. Dritte Feststellung: Einigermaßen gesichert erscheint mir durch meine Untersuchung der systematische Zusammenhang der drei oberen Imperative (der in der Forschungsliteratur auch Befürworter hat) und ihre Abhängigkeit vom Autonomieprinzip, wenn auch eine strenge Ableitung der Rechtsprinzipien und der ethischen Prinzipien aus dem Imperativ der Sittlichkeit in diesem Beitrag nicht vorgeführt werden konnte. Vierte Feststellung: Sicher ist auch der weitere Gliederbau der Ethik in Tugendpflichten gegen sich selbst und gegen Andere (einschließlich der negativen Pflichten). Fünfte Feststellung: Das Verhältnis zwischen Recht und Ethik stellt sich so dar, dass weder die Behauptung ihrer strikten Unabhängigkeit voneinander noch die einer bloßen Herleitung der einen aus der anderen aufrecht zu erhalten sind. Die Unterscheidung zwischen Recht und Ethik verdankt sich der Analyse der Idee der Metaphysik der Sitten und damit der Herleitung der Prinzipien beider aus dem obersten Prinzip der Sittenlehre, d. h. dem Autonomieprinzip und dem moralischen Imperativ, ohne dass dieses oberste Prinzip hinreichender Bestimmungsgrund der konkreteren Prinzipien der praktischen Vernunft sein kann. Dennoch ist zunächst das Recht der Ethik übergeordnet; denn die Rechtspflicht enthält der Form nach bereits die Bestimmung des gesetzlichen Zwangs und der Verbindlichkeit, die auch in die Bestimmung der Tugendpflicht eingeht. Umgekehrt ist aber auch die Ethik dem Recht übergeordnet, insofern allein die Tugendpflicht die Bestimmung des Pflichtbegriffs durch die Verbindung mit dem Zweck zur Vollendung bringt und dadurch mittelbar die Rechtspflicht erweitert. Sechste Feststellung: Ist das System der Ethik als Wissenschaft von den Tugendpflichten als offen oder als geschlossen zu betrachten? Die Auskünfte des Textes dazu sind nicht eindeutig. Die Beantwortung der Frage hängt von der Erfüllung der Systemkriterien ab. Wir haben festgestellt, dass von einer systematischen Geschlossenheit als Bedingung für Wissenschaftlichkeit in eindeutiger Weise allenfalls in Bezug auf die Dogmatik der Elementarlehre zur Tugendlehre gesprochen werden kann. Gemessen an den Kriterien für Systematizität – Vollständigkeit der Glieder der Einheit und Stetigkeit – ist die Frage jedoch nicht hinreichend untersucht worden. Es

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müsste nämlich noch geklärt werden, ob die Einteilung der Tugendpflichten überhaupt vollständig ist. Ein Hinweis darauf, dass die Vollständigkeitsforderung erfüllt ist, ergibt sich bisher lediglich aus der Dichotomie der Pflichten gegen sich selbst und der Pflichten gegen Andere. Aber können nicht auch Tiere und übermenschliche Vernunftwesen zu den ,Anderen‘ gehören? Einerseits scheint also systematische Vollständigkeit vorzuliegen, so dass das System als geschlossen betrachtet werden kann, andererseits bleibt ein Rest an Unsicherheit, der eine eindeutige Festlegung verweigert. Vielleicht kann man sagen: Die Tugendlehre bildet zumindest in einem engen inneren Bezirk ein in sich abgeschlossenes System von Pflichten und Prinzipien, das aber das System der praktischen Philosophie bei weitem nicht abschließt. Denn das Restproblem der Integration der Kasuistik und der moralischen Anthropologie bleibt ungelöst. Es scheint hier so etwas wie eine Antinomie in der Systembegründung vorzuliegen, die vielleicht prinzipiell nicht auflösbar ist. Sie zeigt sich analog zur TL auch an der RL und wird in bezug auf die letztere von Kant deutlicher ausgedrückt: Eine „Metaphysik des Rechts“ würde, um als „metaphysisches System“ gelten zu können, die Rücksichtnahme auf die „empirische Mannigfaltigkeit“ der Rechtsfälle verlangen, „um die Eintheilung vollständig zu machen“ (wie es von der Vernunft für ein System gefordert wird). Nun ist aber die „Vollständigkeit der Eintheilung des Empirischen“ unmöglich; die durch einen solchen Versuch aufgefundenen Begriffe gelangen „nicht als integrirende Theile in das System, sondern nur als Beispiele in die Anmerkungen“ (6:205.18 – 19). Die Anwendungsfälle (als Teile „empirische[r] Rechtspraxis“) bewirken somit, dass die Rechtslehre nur eine „Annäherung zum System“ darstellt und deshalb auch nur als „metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre“ betitelt werden kann. Denn das Recht als ein a priori entworfenes metaphysisches System muss von der empirischen Rechtspraxis prinzipiell getrennt werden (6:205.8 – 206.3). Es zeigt sich also: Wenn man Kants Anspruch, mit der MS und damit auch mit der TL ein Teilgebiet der praktischen Philosophie als Wissenschaft nach systematischen Gesichtspunkten ausgearbeitet zu haben, auf seine konsequente Umsetzung hin nachprüft, hat man zwar auf der einen Seite eine gute Handhabe, sich Ordnung und Zusammenhang der einzelnen Lehrabteilungen zu erschließen (und ich meine: auch eine Arbeitserleichterung bei der Interpretation besonders schwieriger Textabschnitte); auf der anderen Seite werden sich die sachlichen und methodischen Schwierigkeiten eines Textverständnisses, die die TL durchziehen, umso deutlicher zeigen. Sie, wo es geht, zu beheben, muss die erste Aufgabe philosophischer Interpretation sein. Literatur Achenvall, Gottfried / Pütter, Johann Stephan: Anfangsgründe des Naturrechts (Elementa iuris naturae). Hg. und übersetzt von Jan Schröder. Frankfurt a. M. und Leipzig 1995 (Bibliothek des deutschen Staatsdenkens. Hg. von Hans Maier und Michael Stolleis, Bd. 5) (Original: Goettingae 1750).

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Die Tugendlehre im System der praktischen Philosophie Kants

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Kant, Immanuel: Logik-Vorlesung. Unveröffentlichte Nachschriften I, II. Bearbeitet von Tillmann Pinder. 2 Bde., Hamburg 1998 (Kant-Forschungen Bd. 8 und Bd. 9) Kersting, Wolfgang: Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie. Mit einer Einleitung zur Taschenbuchausgabe 1993: Kant und die politische Philosophie der Gegenwart. Frankfurt a.M. 1993. König, Peter: Die Selbsterkenntnis der Vernunft und das wahre System der Philosophie bei Kant. In: Architektonik und System 2001, 41 – 52. Pieper, Annemarie: Zweites Hauptstück (57 – 71), in: Otfried Höffe (Hg.), Immanuel Kant. Kritik der praktischen Vernunft. Berlin 2002 (Klassiker Auslegen Bd. 26), 115 – 133. Pinzani, Alessandro: Der systematische Stellenwert der pseudo-ulpianischen Regeln in Kants Rechtslehre, in: Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 59 (2005), 71 – 94. Tonelli, Giorgio: Kant’s Critique of pure reason within the tradition of modern logic. A Commentary on its History. Edited from the Unpublished Works of Giorgio Tonelli by David H. Chandler. Hildesheim u. a. 1994, 241 – 300. Wolff, Michael: Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel. Mit einem Essay über Freges Begriffsschrift. Frankfurt am Main 1995 (Philosophische Abhandlungen Bd. 63). – Warum das Faktum der Vernunft ein Faktum ist. Auflösung einiger Verständnisschwierigkeiten in Kants Grundlegung der Moral. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 57 (2009), 511 – 549. Wood, Allen: The Final Form of Kant’s Practical Philosophy. In: Marc Timmons (Ed.), Kant’s Metaphysics of Morals. Interpretative Essays. New York 2002, p. 1 – 22. Zimmermann, Stephan: Kants „Kategorien der Freiheit“. Berlin / Boston 2011 (Kantstudien-Ergänzungshefte 167). Zöller, Günter: „Die Seele des Systems“: Systembegriff und Begriffssystem in Kants Transzendentalphilosophie. In: Architektonik und System 2001, 53 – 72.

Personenverzeichnis Abbé de St. Pierre 127 Achenwall 48 (Fn. 25) Alexander I. (russischer Zar) 129 Aristoteles 112, 208 Baron 203 (Fn. 20) Bartuschat 285 (Fn. 134) Baum 6, 153 (Fn. 22), 245 (Fn. 71), 263 (Fn 102), 290 (Fn. 148) Baumgarten 31, 32 (Fn. 12), 35 – 37, 39, 112 (Fn. 94) Beck, L. W. 184 (Fn. 10) Beckermann 29 (Fn. 6), 40 Belousov 139 Berdjajew 211 (Fn. 1) Bilevicˇ 139 Bittner 179 (Fn. 4) Buhle 130 – 132 Cicero 64, 85 (Fn. 40), 105 (Fn. 73), 116, 147, 172 (Fn. 85) Collins 181, 205, 206 Cramer 179 (Fn. 4), 288 (Fn. 139) Cvetaev 132, 133, 141 Denis 177 (Fn. 1) Dennett 38, 40 Dlugatsch 12 Ebbinghaus 43 (Fn. 1, 3), 73, 284 Edwards 174 (Fn. 88), 249 (Fn. 79), 251 (Fn. 81), 256 (Fn. 88), 286 (Fn. 136) Esser 239 (Fn. 60) Fel’dstejn 132 (Fn. 19) Feßler 139 Fichte 130 Filimonov 132, 133, 141 Fincke 133, 134 Fischer 140 Frankfurt 38

Friedrich 24 Fulda 254 (Fn. 83), 284 (Fn. 133), 285 (Fn. 134) Gogol’ 139 Gorodcˇaninov 136 Gregor 21, 23, 147, 180 (Fn. 5), 192, 208 Grotius 138 Guevara, D. 178 (Fn. 3), 183 (Fn. 9), 184 (Fn. 19), 187 (Fn. 11) Gulyga 12 Guyer 21, 208, 209, 248 (Fn. 78), 291 (Fn. 149) Habermas 30, 41 Heath 180 (Fn. 5), 181 (Fn. 7) Hegel 16, 45, 68, 95 (Fn. 55), 96, 110, 127 Herman 203 Hobbes 44 – 48, 51, 52, 85 (Fn. 43), 87, 89, 95 (Fn. 57), 109, 110, 113, 115, 121 Höffe 17, 222 (Fn. 7), 233 (Fn. 46) Horn 51 (Fn. 39), 52 (Fn. 43) Hume 38, 172 (Fn. 85) Husserl 15 Hutcheson 172 (Fn. 85), 174 (Fn. 88), 180 Jaeschke 44, 45 James 27 (Fn. 1) Janovskij 139 Kaehler 181 (Fn. 8) Kagan 166 (Fn. 74, 76, 173 (Fn. 86)) Karamzin 129 Karl I. (König von England) 111 Karneades 85 (Fn. 40) Kersting 43 (Fn. 3), 254 (Fn. 84), 259 (Fn. 93) Klemme 255 (Fn. 86) Köhl 193 (Fn. 15) Kotzebue, von 140 (Fn. 62) Kukol’nik (junior) 139 – 141

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Personenverzeichnis

Kukol’nik (senior) 139, 140 Kunicyn 137, 141, 142 (Fn. 70) Ladd 21 – 23 Laplace 41, 42 Leibniz 112, 113 Libet 33 (Fn. 16) Locke 31, 52, 59 (Fn. 3), 76, 95 (Fn. 54), 96, 99, 102, 106, 107, 110, 113 Lodij 137 – 139, 141 Ludwig XVI. (König von Frankreich) 111 Ludwig, B. 6, 21 – 23, 57, 58, 61, 63 (Fn. 10), 69, 128, 164 (Fn. 71), 250 (Fn. 80), 280 (Fn. 126), 281 (Fn. 130) Magnickij 134 – 138, 140, 142, 143 Martini 138, 139 Meier, G. F. 35 (Fn. 17), 36 (Fn. 18, 19) Mill 166 (Fn. 75) Montesquieu 106, 107, 109, 110, 111 (Fn. 88), 112, 116, 118 Moore, G. E. 38 Motroshilova 5 Mrongovius 181 (Fn. 8), 239 (Fn. 60) Naumov 131 Nikolaj I (russischer Zar) 139, 143 Oberer 52 (Fn. 44), 73 (Fn. 4), 81 (Fn. 31, 33) Odoevskij 141 Papish 200 (Fn. 19) Paulus 114 Pavlovicˇ, Fürst Michail 139 Pavlovicˇ, Fürst Nikolaj (russischer Zar Nikolaj I.) 139 Pinzani 243 (Fn. 68), 259 (Fn. 93) Platon 64, 104, 116, 208 Pokrovskijs 132 (Fn. 19) Prinz 30 Pufendorf 47, 130 Pusˇkin 137 Pütter 62 Reath 178 (Fn. 3) Reinhard 130 – 133

Ross 160 (Fn. 60) Rousseau 68, 79, 107 – 110, 113, 116 – 118, 127 Runicˇ 137, 138, 142, 143 Schad 138, 139 Schaden 130, 132 Schelling 130, 139 Schlözer 132 Schmalz 132 Schmid, C. C. E. 179 (Fn. 4) Sherman 203 (Fn. 20) Sidgwick, H. 160 (Fn. 60), 163 (Fn. 69), 164 (Fn. 70), 179 (Fn. 4) Sˇirinskij-Sˇichmatov 143 Skiadan 130, 132 Skvorcov (Skvorcev) 141 Smith 198 Solncevs 134, 136 Speranskij 130 Strawson 38, 193 (Fn. 15) Tetens, H. 31 – 34 Thomasius 22 Tonelli 17 Turgenev 131 Tuschling 5, 6, 177 (Fn. 1), 246 (Fn. 73), 255 (Fn. 87) Ulpian 46 (Fn. 16), 47 (Fn. 19), 48, 91 Uvarov 140 Willaschek 43 (Fn. 3) Wolff, Chr. 132 Wolff, M. 29 (Fn. 3), 83 (Fn. 36), 106 (Fn. 74), 113 (Fn. 96), 231 (Fn. 36 – 38), 232 (Fn. 41), 236 (Fn. 50), 237 (Fn. 56), 254 (Fn. 83), 257 (Fn. 89), 260, 261 (Fn. 100) Wood 19, 21, 227 (Fn. 22, 23) Zeiller, von 138 Zimmermann 246 (Fn. 72), 282 (Fn. 131), 290 (Fn. 147)

Sachwortverzeichnis Ableitung 284 Achtung 275, 281 (Fn. 130) – gegen Andere 289 (Fn. 142) – Begriff 181, 182, 183, 191 – mit Furcht verbunden 199 – als Gefühl 177, 178, 179, 181 – 191, 193, 196 – 198, 200, 202, 204 – 207 – fürs (moralische) Gesetz 186, 187, 189, 190, 191, 259 – vor dem Gesetz 183 (Fn. 9), 191, 204 – vor dem Menschen 49 – Pflicht 204, 289 (Fn. 142) – reine 177, 178 – für sich selbst 193 – Theorie 192 – vor der Würde des Menschen 50 actio, action (Handlung) 19, 112 (Fn. 93), 147 – 157, 159 – 167, 169 – 173 Affekt 215, 216 Affektion, affizieren 31 (Fn. 11), 186, 197, 208, 209, 236, 246 (Fn.) Aggregat 229, 233 Akademie-Ausgabe 6, 13, 21 Akt – der Aneignung 88 – der Barbarei 51 – ursprünglicher Erwerbung 83, 96 – der Freiheit 252, 255 – Konstitution 108 – phänomenaler 179, 190 – rechtlicher 47, 92, 216 – freier Selbstbestimmung 245 – der praktischen Vernunft 244 – freier Willkür 232 – wohltätiger 202 Amphibolie 279 (Fn. 125), 280 – der moralischen Reflexionsbegriffe 279, 280 (Fn. 126) Analogie (der Erfahrung) – Zweite 27, 28, 30, 38, 41 Analytik 276

– der praktischen Vernunft 185 analytisch (analytic) 75 – 79, 90, 91, 93, 94, 100, 103, 126, 169, 171 (Fn. 83), 226 (Fn. 18), 227, 230, 231, 257, 266, 278 Ancien Régime 115 Anlage 191 – 193, 208, 240, 293 – intellektuelle 205 – moralische 225 Anschauung 76, 100 (Fn. 64), 126, 209, 223, 230, 242, 245, 257, 261 Anthropologie (anthropology) 159, 213, 217, 220, 227, 290, 292, 294, 295 – empirische 292, 294 – moralische (praktische) 227 (Fn. 23), 239, 240, 241 (Fn.), 279, 290, 291, 294, 297 – pragmatische 239 Anthropologie in pragmatischer Hinsicht 52 (Fn. 43) Antinomie 77, 297 – Dritte (Freiheitsantinomie) 27 – 30, 32 – 34, 37, 38, 40, 214 – der Persönlichkeitspflicht 214 – des Rechts 95 (Fn. 57) – im Weltbegriff 77 Antrieb(e) 141, 181, 202, 203 (Fn. 20), 239, 241, 251, 281 – sinnliche 31, 35 – 37, 39, 72, 186, 189, 238 (Fn. 59) arbitrium (Willkür) 19 – brutum 31 (Fn. 11) – liberum 31 – sensitivum 31, 35 Architektonik (architectonic) 223, 224, 227, 228, 230, 265, 267, 273, 276, 277, 283 Arroganz 188, 206 Ästhetik 185, 192, 207, 209 Aufmerksamkeit 17, 197, 200 Aufrichtigkeit 199, 200 Autokratie 69 – der praktischen Vernunft 252 Autonomie 52, 110 – 112

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Sachwortverzeichnis

– – – –

naturgesetzliche 33 des Rechts 48 des Staates 110, 112, 113 der (praktischen) Vernunft 236, 239 (Fn. 59), 248, 252 Autonomieprinzip 41 (Fn. 29), 260, 263, 296 Autorität 198 – des moralischen Gefühls 179 – des moralischen Gesetzes 189, 190, 196, 197, 202 Aversion 183 Axiom – der äußeren Freiheit 100, 104 Bedingung, Bedingtes 44 – 47, 60, 66, 71 (Fn. 3), 72, 73 (Fn. 6), 74 – 76, 78, 80 (Fn. 28), 82, 83 (Fn. 34), 84 (Fn. 39), 85, 86, 94, 95 (Fn. 56 – 57), 96, 98 – 102, 105, 116 – 118, 126, 128, 148 (Fn. 4), 154 (Fn. 35 – 36), 179, 187 – 189, 192, 193, 203 – 205, 209, 217, 224, 227, 228, 231 – 234, 239 – 241, 243 (Fn. 68), 247, 251, 254 – 256, 261 – 263, 267 – 269, 278, 283, 286, 291 – 293, 295, 296 Befugnis 77, 78, 87, 217, 260 Begehrungsvermögen (faculty of desire) 155 (Fn. 38), 185 – nach Begriffen 238 (Fn. 59) – oberes (Wille) 213 – sinnliches 31 Begriff 71, 80, 85, 102, 103 – 107, 126, 228, 257, 258, 262, 280 (Fn. 127) – Einteilung 228 – 232, 280 (Fn. 127), 285 – der Freiheit 30, 31 – 35, 37, 45, 46, 71, 72, 78, 79, 103, 105, 106, 109, 126, 141, 148 (Fn. 4), 235, 238 (Fn. 59), 263 – von Philosophie 71, 107, 133, 221, 223, 224, 226, 228, 233, 295 – des Rechts 47, 73 (Fn. 6), 74, 103, 126, 223 (Fn. 13), 238, 245, 285, 287 – des Staates 58, 105, 116, 127 – der Vernunft a priori 71, 104, 118 (Fn. 104), 120, 133 – von einem Zweck 153 (Fn. 27), 248, 251, 253, 255, 260, 263, 287

Besitz 49, 60, 63, 74, 75 (Fn. 13), 77 (Fn. 19), 78, 80 (Fn. 28), 81, 84, 86, 87, 91 (Fn. 51), 92, 95, 97, 193 – des Bodens 99 – in der Erscheinung 101 (Fn. 66) – intelligibler 5, 75, 77, 84, 87, 97, 100 – noumenaler 76, 101 (Fn. 66) – der Person 217 – 219 – physischer 96, 98, 102 – rechtlicher 74, 75, 88, 89, 96, 98 Bestimmung 19, 280 (Fn. 128) – der Gewalten 106, 108 – des Menschen 226 – des Philosophiebegriffs 223, 224, 235 – rechtliche 97, 99 – des Staates 95 (Fn. 55) – des Willens 35, 94, 102, 178 – 180, 182, 183, 185, 186, 188 – 191, 193, 194, 197, 202, 203 (Fn. 20), 205, 207, 276 – der Willkür 194, 208, 284 (Fn. 133) Bestimmungsgrund 40, 112 – moralischer Gesetze 292 – des Staates 112 – des Willens 41 (Fn. 30), 185, 186, 276 – der Willkür, materieller und formeller 72, 75 (Fn. 13), 80 (Fn.28), 149 (Fn. 11), 238 (Fn. 59), 270 Beweis 28, 29 (Fn. 3, 5), 38, 42, 75 – 77, 94, 100 (Fn. 64), 228, 260, 261 Bewusstsein 182, 190, 193, 194, 208, 238 (Fn. 59), 246 – der Verbindlichkeit 196, 246 Billigung 181, 189 Böses 196 – radikales 188

Cambridge Edition of the Works of Immanuel Kant (CUP) 5, 21 – 23 causa noumenon 27 Charakter 133, 279 – empirischer 180, 190, 218 – intelligibler 180, 190 – moralischer 133 Char’kover Universität 138 – 141 citoyens 115 Consequentialism (Konsequentialismus) 165 – 167, 168 (Fn. 80), 173

Sachwortverzeichnis Dankbarkeit 201, 275 Darstellung 59 (Fn. 3), 64, 67, 70 (Fn. 15), 182, 185, 190, 194, 196, 200, 201, 203 (Fn. 20), 204, 270, 273, 282 – des Begriffs der Freiheit 245, 246 (Fn. 72) – der Grundsätze der reinen praktischen Vernunft 29 (Fn. 3) – als Konstruktion eines Begriffs in der Mathematik 245 – als Konstruktion des Rechtsbegriffs 245 – des Systems 294 Deduktion 79, 84, 101 (Fn. 67), 102, 104, 126, 228, 258, 260, 262 – des intelligiblen Besitzes 5, 23 – des Begriffs des bloß rechtlichen Besitzes 23 – des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung 100 – des Begriffs der Freiheit 78 – des ersten Hauptstücks des Privatrechts 96 – der Einteilung eines Systems 228 – des rechtlichen Postulats der praktischen Vernunft 91 – des obersten Prinzips der Tugendlehre 153 (Fn. 82), 250, 258, 260, 262, 263, 287 – von Staat und Volk 102, 104 Definition 16, 257, 258 (Fn. 92) – des Familienrechts 220 (Fn. 7) – der praktischen Freiheit 35, 36 – des moralischen Gefühls 195 – des Gesetzes 81 (Fn. 33), 90 – des Gewissens 198 – overall good 170 – moral impermissibility 165 – mathematische 257, 258 – des Naturrechts 133, 137, 139 – der Pflicht 149 (Fn. 12) – philosophische 257, 258 – des Rechts 60, 135 – des Staates 59, 67 – der Tugendpflicht 258 – objektiv notwendiger Zwecke 155 (Fn. 38) Deklaration 257 (Fn. 91) – der Menschenrechte 107 (Fn. 79) Demokratie 68, 118 – direkte 68, 108, 118 Demut, Demütigung 189, 190, 206 Denkungsart 42, 157

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Deontologie (deontology) 165 – 167, 174 (Fn. 88) Determinismus 27 – 30, 34, 40 deutsch-russische Ausgabe von Kants Werken 5, 6, 11, 12, 73 dialektisch 37, 44 Dichotomie 218 (Fn. 5), 230, 231, 297 dictamina rationis 79, 81 (Fn. 33), 84 Ding überhaupt 223 Dinge an sich 11, 12, 40, 42, 49, 279 (Fn. 125) Disposition 156, 157, 160, 163, 165 (Fn. 72), 170, 191, 194, 197, 207, 217 – moralische 200 (Fn. 19) – natürliche 179, 192, 198, 200, 201, 205

Editionsprobleme 12, 21, 23, 91, 128, 250 (Fn. 80) Egoismus (egoism) 159 Ehe- und Familienrecht 135, 217, 218, 219 (Fn. 6) eidos (eidor) Eigendünkel 188 – 190, 206 Eigenliebe 188 Eigentum 74 – 76, 87 – 89, 96, 102, 126 Einteilung (division) 69 (Fn. 14), 228 – 233, 244 (Fn. 70), 258, 265 – analytische und synthetische 230, 231 (Fn. 38), 278 – architektonische 228, 265, 267 – eines Begriffs 228, 229, 249, 266 – der Einteilungen 230 (Fn. 29) – Form 231 – eines Ganzen 226, 229, 232, 265 – logische 230 – materiale (nach Zwecken) 279, 283 – mechanische 229 – der Metaphysik der Sitten 232, 241, 245 – der Pflichten 232 (Fn. 43), 266, 278, 279, 280 (Fn. 126), 282 (Fn. 131) – der Philosophie 222, 223, 227, 233 – 235, 280 (Fn. 126) – der praktischen Philosophie 235, 240, 290, 294 – der Rechtslehre 103, 271, 279, 285 – systematische 229, 249, 285, 295 – szientifische 229, 231 – Trichotomie 230, 231

306

Sachwortverzeichnis

– der Tugendlehre 248, 249, 252, 253, 264, 283, 285 – der Tugendpflichten 269, 280 (Fn. 126), 282, 283, 289, 297 – der Begriffe der praktischen Vernunft 270 Elementarlehre 167, 231, 250, 252 (Fn. 82), 256, 266, 271 – 278, 280 (Fn. 126), 281 (Fn. 130), 282, 283, 287, 290 (Fn. 147), 296 Empfänglichkeit 194 – fürs moralische Gesetz 197 – für Lust oder Unlust 194, 208 – für Mitfreude und Mitleid 201 – für Pflicht (Verpflichtung) 193, 197, 201, 205, 209 – des Gemüts für Pflichtbegriffe (überhaupt) 191 – 193, 197, 201, 207, 208, 291 – der freien Willkür 196 – für Zwecke 272 Empfindung 184, 189, 197, 201, 209 – teilnehmende 201 – 204 Empirismus 31, 41 (Fn. 30) ends (Ziele, Zwecke) 147, 148, 152 – 165, 167 – 175 Endzweck 226 – der Philosophie 226 – der Rechtslehre 91, 122, 125, 127 energeia (emeqceia) 112 Entelechie (emtekeweia) 112 Erfahrung 27, 28, 29 (Fn. 5), 31 – 36, 38, 39, 41, 42, 71 (Fn. 3), 75, 76 (Fn. 15), 119, 184, 198, 217, 235, 239 – 241, 243, 261, 289, 291 – 294 Erfahrungsbeweis 34, 35 Erfahrungswelt 33, 41, 211 Erfahrungswissenschaft 32, 291 Erkenntnis 32, 35, 42, 48, 182, 186, 187, 195, 212, 222 – 230, 232, 235, 237, 239, 240, 254 (Fn. 85), 288 – historische 224 – philosophische 71, 107, 227 – praktische 292 – rationale (Vernunft-) 222 – 224, 239, 254 – theoretische 230 Erkenntnisvermögen 222, 254 (Fn. 85), 279 (Fn. 125), 280 (Fn. 128) Erlaubnisgesetz 51 (Fn. 41), 74, 78, 219 Erscheinungswelt 27, 40, 179, 191

Erwerbung 78, 82, 94 (Fn. 53), 96 – 102, 124 (Fn. 114) – äußere 96 – 98, 100, 101, 124 (Fn. 114) – peremtorische 99 – provisorische 100 (Fn. 63) – ursprüngliche 82, 83, 97, 99, 100, 105, 124 (Fn. 114) Erziehung 130 (Fn. 4), 240 – moralische 200 Ethik 13, 16, 22, 43, 48 – 50, 72 – 74, 78, 79, 81, 83, 84, 85 (Fn. 40), 86 (Fn. 44), 122, 126, 130, 138, 141, 211, 213, 214, 218 (Fn. 5), 221, 225, 227, 228, 230, 241 – 246, 248, 249, 251, 252 (Fn. 82), 253 – 255, 259 (Fn. 93), 264 – 267, 269, 271, 272, 274, 275, 278, 285 – 289, 291, 293 – 296 – Bedeutungsunterschiede 48, 255 – Einteilung 228, 246, 255 (Fn. 86), 264 – 266, 267-280, 282-284, 289 (Fn. 145) – Feld 83, 254, 269 – Materie und Form 269, 272 – philosophische 279 – reine 295 – als Wissenschaft 221, 274 – 278, 283 eudaimonia 174 (Fn. 89) Exekutive 59 (Fn. 3), 64 – 66, 111 (Fn. 88) exeundum e statu naturali 74, 99, 102, 104, 125 Existenz 27, 33, 46, 65, 67, 108 (Fn. 80), 187, 239 – praktischer Freiheit 35 – Gottes 199 – des Menschen 240 – der Sittlichkeit 216 Exposition 84, 101 (Fn. 67), 102, 106 (Fn. 76), 116, 148, 159, 171 (Fn. 83), 174, 193, 197, 204, 257, 258, 276 – des Exeundum 104 – des moralischen Gefühls 178, 182 – der Tugendpflichten 250, 253, 256, 257, 263 – vollständige / unvollständige 257, 258 Faktum 44, 45, 108, 181, 183, 197, 203 (Fn. 20) – der reinen Vernunft 47, 185 Familie, Familienrecht 142, 217 – 220 Fatalismus 179 (Fn. 4)

Sachwortverzeichnis Feld 254 – der Ethik 83, 254, 269 – des Übersinnlichen 254 (Fn. 85) Feudalherrschaft, Feudalverfassung 115 Föderalität 119 Form, Formen (forma) 112 (Fn. 94), 117, 118, 123, 274, 276, 280, 281 – der Anschauung 242 – des reinen Denkens 76 – substantielle 104, 112, 122 – des Systems 248, 265, 267, 273, 277, 280 (Fn. 127) – einer Wissenschaft 274, 277 – 279, 283, 296 Formeln – des kategorischen / moralischen Imperativs 81, 215, 231, 236, 237, 260, 262, 269, 284 – 287 – des Postulats praktischer Vernunft 80 (Fn. 28) – des rechtlichen Postulats 82, 83, 87 – 90 – der Idealität des Rechts 126 – des höchsten Prinzips der Tugendlehre 154 – ulpianische 46 (Fn. 16), 47 (Fn. 19), 48 – ursprüngliche 74 (Fn. 9), 80 (Fn. 29), 83, 89, 90 Französische Revolution 64, 107, 111, 115, 135 Freiheit (freedom) 19, 27, 31, 36, 40, 44 – 50, 52, 60, 71, 72, 75 (Fn. 14), 76, 78, 79, 86 – 88, 91, 93, 95 (Fn. 55), 98, 103, 105, 106, 109, 110, 111 (Fn. 88), 112, 113, 116 – 118, 126 – 128, 132, 134, 141, 148, 150, 153, 154, 157, 163, 171 (Fn. 83), 180, 182, 183, 185 – 187, 211, 213, 227, 232 – 239, 242, 243, 245 – 247, 254 (Fn. 85), 261, 274, 276, 283, 284 (Fn. 133), 285 – 287 – angeborene 46, 52, 106, 109, 215 – äußere 24, 75 (Fn. 13), 80 (Fn. 28), 87 – 91, 97, 100, 101, 103, 104, 108, 126, 132, 134, 136, 137, 142, 151, 247, 263, 286 – und Determinismus 27 – gesetzliche / gesetzlose (wilde) 61, 62, 107, 109, 110, 113, 129 – innere 132, 153, 213, 214, 243, 247, 251, 259, 263, 267, 283 – als Menschenrecht 72, 106 – moralische 36, 43 (Fn. 3)

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– – – – –

negative 72 politische 118 praktische 30 – 35, 37 – 39, 214, 241 subjektive 245 transzendentale 29, 30, 32 – 34, 37 – 39, 72, 194 „Freiheit der Feder“ 51 Freiheitsakt 252, 260, 287 Freiheitsantinomie 214 Freiheitsbeweis 42 Freiheitsgebrauch 46, 47, 242 – äußerer 243 Freiheitsgesetz (law of freedom) 45, 46, 69 (Fn. 13), 73 (Fn. 6), 74, 75 (Fn. 13), 80 (Fn. 28), 94, 100 (Fn. 64), 108, 112, 113, 148, 153, 213, 242, 267, 283, 284 Freiheitskategorie(n) 246 (Fn. 72), 281, 282 (Fn. 131), 285 (Fn. 134), 290 (Fn. 147) Freiheitsrecht 45, 47, 52 Freiheitsregel (regula libertatis) 36 Freundschaft 275, 295 Frieden, ewiger 51 (Fn. 39), 91, 114, 116, 121-127, 139 Furcht 178, 183, 198, 199 Gebot 46, 51, 81 (Fn. 33), 102, 104, 105, 125, 200, 237, 240, 247, 276 Gedanke, bloßer 184, 188, 195, 196, 203 Gedankending 60, 61, 66, 68, 115, 240 (Fn. 62) Gefühl(e) 177, 181, 184 – 194, 196, 197, 201 – 208, 218 (Fn. 5) – der Achtung 177 – 179, 181 – 191, 193, 196 – 199, 202, 204 – 207 – angenehmes (positives) / unangenehmes 183, 186, 187, 195 – der Aversion, des Schmerzes 183, 187, 188 – der Demut 206 – dunkles 178 – empirisches, sinnliches 189, 194 – in der Erscheinung 183 – der Lust / Unlust, des Wohlgefallens 184, 186, 187, 194 – 196, 208 – menschliches 181 – moralisches 177 – 182, 185, 189, 191 – 200, 202 – 204, 208, 209, 248, 253, 266 (Fn. 107) – phänomenales 179

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Sachwortverzeichnis

– positives / negatives 187 – selbstgewirktes 178, 182 – der Teilnehmung (Sympathie, Selbstschätzung) 179, 201 – 206 Gegenstand 15 – der Achtung 182, 186, 242, 243, 281 (Fn. 130) – der Anschauung 209, 223, 257 – von Erfahrung 27, 28, 32, 36, 41, 71 (Fn. 3), 76 (Fn. 15), 184, 239, 240 (Fn. 62), 243, 293 – intelligibeler 76 – der Willkür, als (äußerer) Besitz 23, 49, 74 – 76, 78, 80 – 84, 86 – 92, 93 (Fn. 52), 96, 97, 99, 100 (Fn. 65), 101 (Fn. 66) – freier Willkür, als Zweck (Materie) 233, 247, 251 – 253 Gehirn, Gehirnforschung 30, 32, 33 (Fn. 16) Gemeinschaft – des Bodens 97, 98, 122 (Fn. 113) – bürgerliche 215 – häusliche (Familie) 219, 220 – Kategorie der 217 – der Völker 122 (Fn. 112, 113) Gemeinspruch 50 (Fn. 39), 60 (Fn. 4), 83 (Fn. 34), 95, 101, 116 (Fn. 101), 117 (Fn. 103), 123, 134 (Fn. 30) Gemüt 185, 191 – 193, 207, 208, 245, 291 Gemütsanlage – natürliche (praedispositio) 192, 193, 208 Genuss 212, 215, 217, 218 (Fn. 5), 219, 220 Geometrie 246 (Fn. 72), 260 Gerechtigkeit (justice) 51 (Fn. 41), 59, 63 (Fn. 9), 74, 85 (Fn. 40), 87 – 89, 91, 101, 112, 116, 122 – distributive (austeilende) 103 (Fn. 71), 104, 123 Gericht, Gerichtsbarkeit 47, 50, 61, 63, 66, 120, 121, 134, 135, 199, 220 Gerichtshof 65, 66, 198, 199 – des Gewissens, im Inneren des Menschen 198, 199 Gesamtgut (overall good) 165 – 172, 174 Geschmacksgefühl 206 Gesellschaft 107 (Fn. 80), 108, 109 (Fn. 85), 116 (Fn. 101), 129, 134, 219 – bürgerliche (-kapitalistische) 75, 95 (Fn. 55), 116 (Fn. 98), 118, 123

Gesellschaftsvertrag 108, 110 (Fn. 85), 116 (Fn. 101), 117, 119, 126 Gesetz (law) 14, 36, 38, 41 – 43, 46 – 48, 50, 52, 59 – 61, 63 – 65, 68, 71 (Fn. 3), 72, 73 (Fn. 6), 74, 75 (Fn. 13), 76, 77, 79, 80, 83, 84, 86 – 94, 97, 99 – 103, 105 – 107, 109, 110, 111 (Fn. 88), 113, 116, 117 (Fn. 102), 118 (Fn. 103), 120, 121, 122 (Fn. 113), 123, 125 – 128, 132, 133, 140 – 142, 148, 149 (Fn. 8), 150 – 153, 154 (Fn. 31, 36), 156, 157, 159, 161, 162 (Fn. 67), 163, 168 – 172, 177, 179, 181 – 191, 194 – 199, 202 – 204, 207, 208, 211 – 213, 215, 217, 218 (Fn. 5), 219, 234 – 237, 239, 241, 242, 246, 247, 249, 253 – 256, 259 – 263, 267, 269, 270, 274, 276, 281 – 283, 286 – 289, 292, 296 – juridisches 150, 171 – für Maximen und Handlungen 150, 153, 156, 157, 161, 163, 171 (Fn. 83) – moralisches (ethisches) 39, 47, 125, 148, 177 – 179, 181 – 183, 185 – 191, 193 – 200, 202 – 204, 206, 207, 212, 213, 234 – 236, 238, 242, 245, 247, 252, 253, 259, 260, 265, 267, 273, 274, 288, 289, 291 – 294, 296 – moralisch-praktisches 81 (Fn. 33), 236 – 238 – praktisches 30, 36, 45, 71 (Fn. 3), 78, 79, 86, 90, 148, 150 – 152, 155 (Fn. 38), 156, 162, 163, 177, 235 – 238, 261, 269, 274, 276 – sittliches (Sitten-) 127, 132, 133, 140, 179, 186, 189, 199, 208, 227, 235, 239, 252, 253, 260, 261, 277, 281, 286 Gesetzesausführung 63 – 65 Gesetzesbefolgung 208, 258 Gesetzesherrschaft 68, 118 Gesetzgeber, Gesetzgebung (lawgiving, legislation) 24, 47, 50, 59 (Fn. 3), 60 – 63, 65, 67, 68, 74, 75 (Fn. 13, 14), 76 (Fn. 15), 78, 79, 82, 84 – 86, 88, 90, 92 – 102, 106 (Fn. 75), 107, 109 – 111, 113 – 115, 118 (Fn. 103), 119, 120 (Fn. 105), 123, 124, 126, 127, 129, 133 – 136, 142, 149 – 152, 155, 156, 159, 161 – 163, 187, 212 – 214, 219, 226 – 228, 232, 237 – 239, 241 – 243,

Sachwortverzeichnis 247, 248, 253 – 256, 263, 269, 270, 274 – 276, 287, 293 – ethische (moralische) 72, 77, 79, 149 – 152, 156, 162 – 164, 199, 232 (Fn. 42), 234, 239, 241 – 244, 268, 269 – innere / äußere 241, 242, 244 – 246, 255, 259, 267, 269, 286 – positive 142, 219 – rechtliche (juridische) 72, 79 (Fn. 24), 84, 118 (Fn. 103), 149 – 152, 156, 163, 232 (Fn. 42), 241, 242, 244, 246, 285 (Fn. 134) Gesetzmäßigkeit (Legalität) 14, 91, 227, 240 (Fn. 63), 242, 252, 268 Gesinnung 206, 220, 259, 268 Gewalt 103, 198, 216 – ausübende 64, 104, 115, 120 – föderative 59 (Fn. 3) – gesetzgebende 60 – 62, 65, 82, 86, 88, 92, 94, 95, 101, 107, 109 (Fn. 84), 111 (Fn. 88), 114, 119, 123, 124, 126 – konstituierende 105, 117, 118 (Fn. 104) – konstitutionelle 68 – oberste 116 (Fn. 98), 117, 123 – politische 50, 52, 58, 59 (Fn. 3), 60 – 62 – rechtsetzende 60 – revolutionäre 115 – richterliche (judikative) 63, 64, 106 (Fn. 75), 111, 119 – souveräne 119 – staatliche 57, 58, 60 – 62, 107, 109, 110, 115, 120 – vollziehende (exekutive) 64, 65, 106 (Fn. 75), 111 (Fn. 88) Gewaltenteilung (drei Gewalten) 57 – 59, 61, 63 – 67, 106 – 108, 110 – 114, 126 Gewaltenteilungstheorie 57, 106 Gewaltmonopol des Staates 94 Gewissen 192 – 194, 197 – 200, 205, 207, 213, 215, 218 (Fn. 5) – als Gerichtshof 198, 199 – als empirisches Phänomen (Bewusstsein) 197, 198, 207, 209 Gewissensrichter 198 Gleichheit 106, 129 – bürgerliche 61, 62, 107, 108 (Fn. 80) Glückseligkeit (happiness) 157, 158, 161, 167 – 174, 201, 275, 281

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– eigene 158 – 160, 162, 163, 166, 167, 169, 170, 253 – fremde 153, 156 – 163, 167, 169, 170, 172, 173, 248, 249, 253, 256, 258, 289 (Fn. 144) Gott 63 (Fn. 9), 114, 120, 135, 136, 142, 150 (Fn. 15), 198, 199, 211 (Fn. 1), 235, 275 (Fn. 116), 279 – als Richter 63 (Fn. 9), 198, 199 Grundgesetz – des (Natur-)rechts 85, 101, 141 – der praktischen Vernunft 28, 236, 238, 260, 261 „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ 13, 17, 36 (Fn. 20), 39, 43, 73, 79, 130, 154, 155, 156 (Fn. 40), 177, 178, 180 – 186, 203 (Fn. 20), 204 (Fn. 22), 212, 217 (Fn. 3), 218 (Fn. 4), 235 (Fn. 48), 237 (Fn. 53, 55), 251 (Fn. 81), 260, 279 (Fn. 125), 280 (Fn. 128), 282 (Fn. 131), 288, 291, 292 (Fn. 152), 293 (Fn. 153) Grundsatz 74 (Fn. 10), 83, 86, 90, 91 (Fn. 51), 92, 105, 110 (Fn. 86), 125, 126, 134, 137, 141, 211, 215, 222, 239, 250 (Fn. 80), 260, 261, 272, 274, 276, 281 (Fn. 129), 284 – moralischer 202, 210, 248, 251 – des Naturrechts 133 – der Pflicht 151 (Fn. 19), 243, 244 – der Philosophie 139 – politischer 121 (Fn. 110), 124, 127 – des Rechts 84, 86, 285 – der Sittenlehre 149 (Fn. 8), 237, 260, 269 (Fn. 110), 285 – subjektiver 39, 237, 254, 256, 274, 284 (Fn. 133) – synthetischer 76, 261 – der Tugendlehre 260, 274, 285 (Fn. 134) Gut, gut (good) 31, 115, 119, 120, 158, 165 – 174, 180, 181, 188, 196, 206, 213, 240 (Fn. 61) – höchstes 91, 114, 116, 122, 125, 127, 128, 158 (Fn. 47), 167 (Fn. 78), 172 (Fn. 84)

Handeln 32 (Fn. 12), 33, 40, 46, 49, 50, 51 (Fn. 39), 60, 74, 76, 89, 104, 112, 125, 149 (Fn. 11), 177, 181, 186, 189, 192 – 196, 198, 199, 203, 204, 207, 216, 235 – 238, 241, 242, 246, 247, 252, 254 – 256, 262,

310

Sachwortverzeichnis

263, 269, 284 (Fn. 133), 286, 287, 289, 293, 294, 296 – gesellschaftliches 104 – individuelles 105 – moralisches 50, 178 – 181, 186, 287, 288, 291 – aus Neigung 188 – rechtliches 75, 81, 83, 90, 93, 97, 104, 287 (Fn. 137) Handlung(en) (action) 14, 19, 27, 28, 29 (Fn. 6), 32 (Fn. 12), 36 (Fn. 19), 37 (Fn. 21), 38 – 41, 63, 72, 73 (Fn. 6), 86, 90, 112, 136, 148 – 157, 159, 161 – 163, 165, 166, 170 (Fn. 81), 172, 177 – 181, 183, 185, 186, 189 – 191, 194 – 196, 199 – 204, 206 – 208, 213, 215 – 217, 218 (Fn. 5), 219, 227, 231 (Fn. 38), 234, 236, 238, 239, 240 (Fn. 63), 241 – 244, 246, 247, 252 – 254, 256, 258 – 260, 262, 263, 267, 270, 278, 281, 286 – 289, 293 (Fn. 153), 296 – äußere 42, 150, 241, 242, 244 – 246, 269 – freie 39, 40, 73 (Fn. 4), 81 (Fn. 33), 133, 148, 150, 154, 171 (Fn. 83), 236, 237, 255 – innere 239, 241, 244, 247, 248, 267, 269 – intelligible 186 – moralische 134, 180, 196, 197, 203, 242 – als (aus) Pflicht 149 (Fn. 11, 12), 150, 151 (Fn. 19), 166, 172, 177, 179, 195, 237, 244, 252, 267 (Fn. 108), 268, 287 (Fn. 137) – wohltätige 162, 167, 203, 204 Handlungsantrieb (incentive) 149 – 153, 157, 180 (Fn. 5), 181, 202, 239, 281 Handlungsmaxime 153, 156, 157, 161 – 163, 171 (Fn. 83), 237, 246, 249, 255, 256, 258, 259 (Fn. 94), 262, 267, 269, 289 (Fn. 144), 296 Handlungszweck (end of action) 148, 152 – 157, 160 – 164, 169, 170, 172 – 174, 212, 236, 252, 256, 260, 270, 288 Heilige, heilig, Heiligkeit 23, 49, 50, 63 (Fn. 9), 140, 199, 218 (Fn. 5), 236, 238 Herrenlosigkeit, herrenloser Gegenstand der Willkür (res nullius), 49, 74, 80, 88 – 90, 96 Herrschaft 41 (Fn. 30), 69, 114, 115, 142 – des Gesetzes 68, 109, 113, 118 – staatliche 52 Herrschaftsverhältnis 67

Herz, Herzenskündiger 42, 181, 198 Hindernis 72, 189, 190

Idealität 76, 108, 117, 127 – des Rechts 75, 76, 104, 126 Idee 77, 99, 102, 104, 107, 108, 110, 114, 118, 120, 121, 123, 126, 132, 179, 184, 198, 199, 224 – 226, 228, 229, 232, 278 – architektonische 228, 276, 277 – einer Wissenschaft der Ethik 221, 278, 295 – der (transzendentalen) Freiheit 30, 34, 37, 38 (Fn. 23), 86, 93 – des ewigen Friedens 114, 119, 121, 123 – 125, 127 – eines Ganzen 229, 232, 277 – 279 – des moralischen Gesetzes 132, 196 – der Gewaltentrias (Trias politica) 66 – 68, 111 – als Keim 225 – einer Metaphysik der Sitten 239, 240, 296 – der Pflicht 14, 149, 150, 196, 202, 239, 241, 242, 269, 292 – der Philosophie 224, 226 – 228, 235, 248 – praktische 228, 265, 292 – des (Natur-)Rechts 51, 104, 137 – regulative 228, 278 – einer Republik 68, 69, 113, 115, 123, 125, 127 – des Staates 57, 59 – 63, 66 – 68, 104, 105, 107 – 110, 113, 122, 126 – von einem Staatsoberhaupt 59, 69, 115, 126 – des Systems 223, 225, 227, 277 – des ursprünglichen Vertrages (Gesellschaftsvertrages) 62, 68, 108, 119, 126 – eines Völkerstaatsrechts 77 (Fn. 19), 103, 117 (Fn. 102), 122, 125 – der Volkssouveränität 102, 115, 117, 123 – der Weltgeschichte 127 – eines vereinigten allgemeinen Willens 78, 79, 84, 88, 94 (Fn. 53), 96 – 98, 107, 110, 126, 219 – eines bürgerlichen Zustandes 79, 82, 94 – als Zweck 225, 227, 228, 248 Imperativ (imperative) 148, 153, 171 (Fn. 83), 235 – 238, 254, 256, 270, 276, 284, 287, 296

Sachwortverzeichnis – kategorischer 39 – 41, 57, 72, 73, 78 – 81, 84, 86, 94, 112, 119, 125, 128, 133, 139, 148, 150, 156, 231, 235 – 238, 252 – 254, 256, 260 – 263, 269, 270, 274, 277, 283 – 285, 287 – moralischer (ethischer) 43, 47, 48, 51, 79, 215, 235, 238, 245, 263, 283 – 287, 296 – der Sittenlehre, der Sittlichkeit 253, 287, 296 – der Tugendlehre, der Tugendpflicht 254, 263, 283, 285 – Zweckformel 269, 284 Imputabilität 38 Inkompatibilität 27 ipse-judex-Prinzip 109, 119 „ius in omnia“ (s. Recht auf alles) Judikative 59 (Fn. 3), 63, 65, 66, 69 justice 22 Kanon-Kapitel 31, 33 – 39 Kant-Ausgabe(n) 5, 12, 21, 23, 91, 128, 250 (Fn. 80) – Cambridge Edition 5, 21, 128 – deutsch-russische 6, 73 Kant-Rezeption – russische 11 – 19, 129 – 131, 133, 138 – 143, 211 (Fn. 1) Kasuistik 249, 250, 271, 277 – 279, 287 – 289, 291, 292, 297 Kategorien 42, 217, 222, 231, 246 (Fn. 72), 266, 280 (Fn. 128), 281, 282, 285 (Fn. 134), 290 (Fn. 147) Kausalgesetz 28, 29 (Fn. 5), 41, 211 Kausalität 27 – 33, 36, 39, 178, 180, 187, 190, 206, 277 – empirische, (Natur-) 33, 35, 41, 43 (Fn. 3), 211 – des Gefühls 180 – 184, 186, 189, 193, 194 (Fn. 15), 197, 198, 201, 203 (Fn. 20), 206, 208 – intelligible, (aus Freiheit) 33, 40, 41, 185, 211, 233, 247, 274 – der Vernunft 33, 35, 36, 38, 39, 211 – des Willens 255, 274 – der Zwecke 270 Kausalketten, Kausalreihen 28, 30, 211

311

Kausalprinzip 30, 38, 233 Kazaner Universität 133 – 137, 140, 141 Keim 225, 240, 291, 293 Kompatibilismus 27 – 30, 34, 38, 39 Konsequentialismus (consequentialism) 165 – 167, 168 (Fn. 80), 173 Konstruktion – von Begriffen 223, 245, 257, 261 – des Rechtsbegriffs 246, 261 Körperschaft 58 – 66, 68, 109 (Fn. 84), 111 (Fn. 88) Krieg 52, 111 (Fn. 91), 115, 119 – 122, 124, 125, 133 – im Naturzustand (aller gegen alle) 119 Kritik 223 – der Erkenntnisvermögen 222 „Kritik der Urteilskraft“ 195, 221, 223, 291 „Kritik der praktischen Vernunft“ 28, 29 (Fn. 3), 38, 40 – 42, 47, 73, 79, 130, 177, 181, 183 – 185, 191 – 193, 196, 202 – der rechtlich-praktischen Vernunft 74 (Fn. 11), 76 (Fn. 15), 77, 94 „Kritik der reinen Vernunft“ 11, 12, 27, 28, 31, 34, 38, 73, 76, 77, 138, 180, 185, 190, 209, 211, 213, 214, 222 Kultivierung 198 – natürlicher Dispositionen 179, 194, 198, 205 – von Gefühlen 194, 197, 200 – 202, 206 – des moralischen Gefühls 197 Kultur 253 – der Moralität 157 – russische 15 – 17

Laplacescher Dämon 41, 42 Laws of freedom (Freiheitsgesetze) 148 Leben 111 (Fn. 88), 114 (Fn. 97), 120 (Fn. 106), 181, 186, 188, 191, 212, 215, 217 – 220, 284 (Fn. 133), 292 – 294 Lebenswelt 15, 16, 18 Legalität (Gesetzmäßigkeit) 14, 50 Leviathan 22, 52, 87 (Fn. 47), 89 libertas – arbitrio sensitivo mixta 31 (Fn. 11) – moralis simpliciter sic dicta 31, 35 – pura 31 (Fn. 11), 35 Liebe 192, 193, 201, 204, 275

312

Sachwortverzeichnis

Liebespflicht 201, 289 (Fn. 142) Logik 110, 138, 222, 229, 230 Lust (Unlust) 183, 184, 186, 187, 190, 191, 194 – 196, 208, 212, 215, 217, 266, 275

Macht 65, 79, 82, 84, 86, 92 – 94, 103, 104, 109 (Fn. 85), 110 (Fn. 86), 117 (Fn. 102), 120 (Fn. 105), 135, 179 Mathematik 230, 245, 257, 258, 261 Maxime (maxim) 14, 30, 32 (Fn. 12), 39, 40, 72, 74, 80, 86, 89 – 91, 120 (Fn. 105), 148, 149, 151, 153 – 157, 159, 161 – 163, 168, 171 (Fn. 83), 172, 177, 189 – 191, 194, 203, 204, 207, 212, 215 – 218, 236, 237, 239 (Fn. 59), 242, 246, 248 – 251, 253 – 256, 258 – 260, 262, 263, 267, 269 – 271, 274 – 276, 283 – 288, 289 (Fn. 144), 293 (Fn. 153) – besondere, spezifische 161, 178, 190 – 194, 198, 200, 202, 204, 207, 271, 296 – fundamentale 178, 179, 189 – 191, 193 – als Gesetz 89, 90, 177, 184, 190, 254 – des Rechts, der Rechtslehre 284 – 286 – res-nullius 90 Mechanismen, Mechanismus 32 (Fn. 12), 184, 185, 205 Mein und Dein 5, 48, 49, 58 (Fn. 2), 74 – 78, 80 – 82, 84, 85, 87 – 94, 96 – 102, 105, 112, 123 – 125, 219 Mensch, menschlich 27, 29 – 31, 33 (Fn. 16), 36, 39 – 46, 48 – 52, 59, 62, 63 (Fn. 9), 67, 72, 73 (Fn. 5), 75 (Fn. 14), 81 (Fn. 30), 83 (Fn. 34), 99, 102 (Fn. 69), 103 – 105, 109, 110, 111 (Fn. 88), 112, 113, 116 (Fn. 101), 117 (Fn. 103), 121 (Fn. 107), 124, 127, 133, 148, 149, 153 (Fn. 22), 154, 157 – 161, 164, 165, 167 – 174, 181, 184 – 186, 188, 191 – 193, 195 – 199, 201, 203 (Fn. 20), 204, 206, 212 – 219, 225 – 227, 234 – 236, 238 – 240, 246, 248, 249, 253, 256, 259, 262, 267, 270, 272, 273, 275, 277 – 279, 280 (Fn. 126), 283, 284, 289, 290 (Fn. 145), 291 – 294, 297 – der (praktisch) freie 31, 42, 134, 136, 141, 239, 247 – der handelnde 32 (Fn. 12), 156, 158, 159, 165, 168, 170, 172, 247, 262, 289, 291, 294

– homo phaenomenon (Sinnenmensch) 46 (Fn. 15), 213, 215, 240 – als Maschine, als Sache 215, 216 – noumenaler (homo noumenon) 211, 213, 214 – als Person 160, 211, 214, 215 – als moralisches (sittliches) Wesen 198, 213, 226, 252 Menschenliebe 167, 174, 201 Menschenrecht 44, 46, 50 – 52, 72, 83 (Fn. 34), 95, 100, 101, 106, 110, 116 (Fn. 101), 120, 121, 123, 124, 128, 217 Menschenwürde 43, 44, 49, 50, 211 (Fn. 1), 220 Menschheit (humanity) 18, 43, 45, 46, 48 – 52, 72, 154, 161, 168, 211, 213, 214, 217 – 219, 246, 281, 290 (Fn. 148) – in unserer Person (in seiner eigenen Person) 47, 48, 50, 213 – 218, 243 (Fn. 68), 246 Metaphysik 41, 130, 140, 148, 152, 159, 163, 171 (Fn. 83), 174, 183, 208, 211, 212, 214, 218 (Fn. 5), 222, 223, 225 (Fn. 17), 227, 235, 240, 243 (Fn. 68), 276, 277, 291, 293 (Fn. 154), 297 – Baumgarten 35, 36, 112 (Fn. 94) – dogmatische 34 Metaphysik der Natur 227, 239, 291 (Fn. 150), 293 – 295 Metaphysik der Sitten 177, 227, 235, 239 (Fn. 60), 241 (Fn. 63), 291 (Fn. 150), 293, 294, 296 „Metaphysik der Sitten“ (metaphysics of morals) 5, 6, 11 – 14, 17 – 19, 21, 40, 43 (Fn. 3), 48, 57, 71 – 73, 79, 81 (Fn. 33), 86, 107, 129, 130, 132, 141, 142, 147 – 149, 159, 171, 178, 180, 182, 185, 191 – 193, 196, 205, 211, 213, 218 (Fn. 5), 220, 221, 227, 228, 232 (Fn. 42), 235, 238 – 241, 243 (Fn. 68), 245, 246, 250 (Fn. 80), 254 (Fn. 83), 255, 261, 285, 290, 291, 293 – 295 „Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre“ 5, 6, 22, 57, 60 (Fn. 4), 63 (Fn. 9), 69, 71, 122, 129, 133, 138, 273, 285, 289, 297 „Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre“ 6, 178, 191, 240, 264, 277, 285, 289, 295

Sachwortverzeichnis Methode 21, 71, 76, 107, 126, 160 (Fn. 60), 234, 257 (Fn. 91), 266, 271 (Fn. 111), 272 (Fn. 112), 276, 277, 297 Methodenlehre 31, 223, 226, 266, 271 – 273, 278, 283, 293 (Fn. 153), 294 Mitfreude, Mitleid 201, 202 Moral, (moral) 12 – 18, 31, 35, 36, 41 (Fn. 30), 85 (Fn 40), 122, 142, 188, 212, 213, 219, 226, 227, 237, 239 (Fn. 60), 243 (Fn. 68), 245, 260, 278, 291 (Fn. 150) – angewandte / reine 240 (Fn. 60) Moralgesetz, Sittengesetz (moral law) 47, 148, 203 (Fn. 20), 292, 293 Moralität, „moralnost“ 13 – 18, 50, 157, 163, 164, 167 (Fn. 78), 170, 180, 181, 185, 188, 193, 194, 205, 208, 227, 240 (Fn. 63), 252, 260 Moralphilosophie (philosophia moralis) 13, 22, 32 (Fn. 12), 36, 38, 48, 130 (Fn. 6), 141, 148, 152, 155, 165, 171, 172 (Fn. 85), 173, 174, 180, 181, 205, 212 – 214, 218 (Fn. 5), 227, 235, 240 (Fn. 60), 257 (Fn. 89), 291, 292 moral-sense-Theorie 180, 186, 189, 196, 208 Moskauer Universität 129 – 133, 135, 137, 140, 141 Motivation 159, 191, 200, 203 (Fn. 20), 241, 288 – moralische 180, 193 (Fn. 15), 204 (Fn. 22), 205, 207, 242 Nächstenliebe 193, 194, 197, 201, 204 Natur 28 – 30, 32 (Fn. 12), 34, 37 (Fn. 12), 38, 40, 41, 45, 72, 78, 98, 99, 101, 119, 136, 147, 163 (Fn. 69), 164, 170, 201 – 203, 205, 211, 215, 217 – 219, 234, 235, 239, 242, 247, 289, 291 – 293 – und Freiheit 75 (Fn. 14), 127, 199 (Fn. 18), 227, 233 – übersinnliche 213 naturalistische Interpretation (von Kants Rechtslehre) 43 – 45, 167, 168, 214 Naturforschung 27, 30 Naturgesetz(e) 27 – 33, 39 – 42, 72, 76, 85, 109 (Fn. 83), 121 (Fn. 107), 227, 234, 242, 291 Naturkausalität 33, 43 (Fn. 3) Naturmechanismus 32 (Fn. 12)

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Naturnotwendigkeit 32 (Fn. 12), 159, 217 Naturphilosophie, Naturlehre 233, 240 Naturrecht 5, 6, 22, 44, 47, 62, 71, 85, 89, 116, 117, 125, 126 – 143, 218, 229 (Fn 26) – Rezeption in Russland 129 – 143 Natur(an)trieb 217, 251 Naturursache(n) 27, 29 (Fn. 6), 32, 35, 36, 37 (Fn. 21), 41, 42, 234 Naturwissenschaft 221 (Fn. 1), 222 (Fn. 8), 235 Naturzustand 44, 51 (Fn. 39), 58 (Fn. 2), 74, 87, 95, 96, 98, 99, 101 – 105, 110 (Fn. 86), 118, 120, 123, 215 Naturzweck 214, 290 (Fn. 145) Neigung 177, 178, 183, 186 – 191, 200, 215, 247, 251, 252, 263, 289, 292 Neurowissenschaft 30, 32, 33 (Fn. 16) „nrawy“ (Sitten) 15, 16 „nrawstwennost“ (Sittlichkeit) 13, 16 Objekt 15, 24, 50, 75 – 77, 83, 87, 90, 97, 100 (Fn. 65), 102, 124 (Fn. 114), 126, 148, 154, 171 (Fn. 83), 172, 197, 230, 233, 238, 245, 247, 257 (Fn. 91), 259 (Fn. 94), 267, 268, 279 (Fn. 125) Objektivität 95 (Fn. 55), 224 obligation (Verbindlichkeit) 148 – 154, 156, 157, 160 – 165, 168 – 170, 173, 174 Offenbarung 135, 142 Öffentliches Recht 5, 51 (Fn. 41), 58 (Fn. 2), 74, 77 (Fn. 19), 78, 87, 90, 91, 93 (Fn. 52), 94, 101 – 103, 105, 107, 110, 113, 115, 116, 117 (Fn. 102), 118, 122 – 128 Öffentlichkeit 51 Opus postumum 5, 199 (Fn. 18), 291 (Fn. 151) Ordnung 115, 225, 230, 265, 276, 277, 297 – gesetzliche 30 – logische 230 overall good (s. Gesamtgut) Person 47, 48, 50, 59, 61, 62, 73 (Fn. 6), 100 (Fn. 65), 106, 107, 109 (Fn. 85), 112, 113, 114 (Fn. 97), 116 (Fn. 98), 117, 123, 127, 150, 158, 160, 162, 198, 211 – 220, 240 (Fn. 62), 243 (Fn. 68), 246, 278, 290 (Fn. 148) – idealische 106, 198, 201, 211

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Sachwortverzeichnis

– moralische 57, 58, 60, 62, 64, 67, 68, 111 (Fn. 88), 116 (Fn. 98), 123, 214, 218 (Fn. 5), 219, 220, 288, 291 – physische 58 – 61, 63, 68, 69 Personalismus 211, 212, 217 Persönlichkeit 43 (Fn. 3), 46 (Fn. 15), 108 (Fn. 80), 211 – 219 Pflicht (duty) 14, 46 (Fn. 15), 47 – 49, 57, 67, 69 (Fn. 13), 78, 81, 83, 86, 95 – 98, 100, 101, 104, 114, 116 (Fn. 101), 121, 124, 127 (Fn. 115), 128, 133, 141, 148 – 161, 163, 164, 167, 169 – 171, 173, 175, 177, 179, 191, 192 – 197, 199 – 209, 212, 214, 228, 232, 233, 237 – 249, 251 – 253, 255, 256, 258 – 260, 264, 265 – 270, 271 (Fn. 111), 273 – 278, 280, 282, 286 – 289, 291 – 293, 296 – an sich selbst 153, 160, 247, 251, 253 – äußere 96, 101, 116 (Fn. 101), 127, 241 – 246, 255, 259 (Fn. 93), 268, 282, 286, 287 – direkte, indirekte 160, 161, 169, 197, 201, 244, 279 – Einteilung 266, 279, 280 (Fn. 126), 282 (Fn. 131) – Erfüllung 184, 193, 205 – 207 – ethische 212, 232, 241, 242, 244, 249, 252, 255 (Fn. 86), 256, 258, 259, 271, 278, 288 – zu fremder Glückseligkeit 158, 248, 249, 253, 289 (Fn. 144) – innere 133, 241, 246, 282 – des Menschen (gegen sich selbst) 260, 279, 289 (Fn. 145) – negative 275, 290, 296 – formales Prinzip 156, 157, 253, 268, 269, 274 – rechtliche 5, 47, 48, 50, 74, 81 – 83, 90, 91, 93, 95, 97, 101 (Fn. 67), 102, 105, 212, 232, 242, 243 (Fn. 68), 244 – 246, 252, 254, 255, 258, 259, 263, 267 – 269, 279, 282, 283, 287, 288, 290, 296 – unvollkommene (weite) 202, 204, 246, 249, 271, 275, 281, 282, 289, 290 – vollkommene (enge) 133, 204, 246, 249, 252 (Fn. 82), 282, 289, 290 – zur eigenen Vollkommenheit 248, 249, 289 (Fn. 144) – weite, enge 256, 257, 267, 271, 282 (Fn. 131), 288 – 290

– gegen nichtmenschliche Wesen 278, 279, 280 (Fn. 126) – Wohltätigkeit, Dankbarkeit, Teilnehmung 167 – 169, 172, 201, 202, 205 Pflichten gegen (für) Andere 46, 205, 206, 243, 244, 246, 289, 297 Pflichten gegen sich selbst 198, 204, 206, 207, 213, 215, 240, 243, 244, 246, 252 (Fn. 82), 276, 281, 289, 290, 297 Pflichtenlehre 13, 46 (Fn. 15), 245, 247, 249, 251, 255, 266 (Fn. 107), 268, 269, 278, 280 Pflichtgebote 244, 245, 249, 276 Pflichtgesetze 194, 215, 267 Pflichtprinzipien 151, 162, 295 Pflichtverhältnis 272 – 275, 281, 283, 284, 294 Philosophia practica universalis 71, 78 (Fn. 20), 79, 81, 90, 105 Philosophie 5, 16, 22, 28, 34, 37, 38, 71, 75 (Fn. 14), 125, 136, 138, 143, 186, 211 (Fn. 1), 221 – 224, 225 (Fn. 17), 226 – 228, 230, 233, 235, 248, 257, 258, 276, 295 – Einteilung 227, 233, 234, 280 (Fn. 126) – kantische 129 – 133, 135, 138, 139, 212, 265, 289 (Fn. 141), 295 – kritische 137 – 139, 140 – praktische 72, 73, 128, 131 – 133, 138, 141, 180, 205, 211 – 214, 220, 221, 228, 233 – 235, 238 – 240, 243, 248, 257 (Fn. 91), 290 – 295, 297 – reale 222, 223, 233, 235 – russische (s. russisch) – Schulbegriff, Weltbegriff 226 – als System 221, 222, 224, 226, 228, 233, 235, 248, 265 – theoretische 138, 185, 233, 239, 242, 257 (Fn. 91) philosophieren 211, 224 Physik 139, 239, 291, 295 Politik 59 (Fn. 3), 137, 138, 141 Possessio noumenon 23, 75 (Fn. 13), 76, 77, 82, 84 (Fn. 39), 101 (Fn. 66) Postulat 100, 167 (Fn. 78), 260, 261 – mathematisches 237, 261 – des Öffentlichen Rechts 101 (Fn. 67), 103 – praktisches 260, 261 – rechtliches 5, 23, 24, 49, 74, 77 – 94, 99 (Fn. 62), 102 (Fn. 69), 128

Sachwortverzeichnis – der reinen praktischen Vernunft 46, 86, 88, 97, 98, 126, 199 power of choice (Willkür) 19, 148 – 151, 153 – 157, 163, 164, 171 (Fn. 83) Prädeterminismus 28, 39, 40 primus occupans 92, 93, 95 (Fn. 57), 96 principium der Dijudikation, principium der Exekution 181 Prinzip (principle) 165, 166, 272 (Fn. 112), 289, 294 – der Einteilung der Ethik 264 – 271, 273, 277, 283 – der Moral 212, 239, 260, 293 – der Moralität (der Sittlichkeit) 181, 260, 285 (Fn. 134) – des Rechts, der Rechtslehre 74, 85, 87, 90, 93, 97, 100, 101, 107, 109, 112 – 114, 116, 117, 119 – 122, 231, 238, 286, 296 – oberstes Prinzip der Sittenlehre 149, 231, 261, 269, 274, 296 – oberstes Prinzip der Tugendlehre 153 (Fn. 22), 154, 155, 231, 237, 238, 250, 253, 256, 258 – 263, 269, 270, 287 – praktisches 199, 234, 252, 285 (Fn. 134) – subjektiv materiales, objektiv formales ethischer Verpflichtung 265, 267 – 270, 274 Privatrecht 5, 58 (Fn. 2), 74, 79, 90, 91, 94, 96, 99 (Fn. 62), 101, 102, 107, 126, 219 (Fn. 6) „proiswol“, „proiswolenije“ (Willkür) 18, 19 Prolegomena 27 Psychologie (psychology) 37 – empirische 34 – 37, 159

Recht 5, 18, 22, 23, 43 – 46, 48, 60, 67, 72 – 74, 76, 77, 94 – 98, 100 – 104, 107, 110, 112, 117 – 122, 126, 127, 133 – 135, 137, 142, 155 (Fn. 37), 212, 217 – 219, 229 (Fn. 26), 238, 243, 245, 263, 284 – 286, 297 – auf alles (ius omnium in omnia) 95 (Fn. 57), 109 – eines Anderen 47, 252 – angeborenes (unveräußerliches) 45, 46, 50, 106 – Antinomie 95 (Fn. 57)

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– äußeres, inneres 47, 73, 77, 85, 105, 107, 111, 116 (Fn. 98), 126, 132, 243 (Fn. 68), 259 (Fn. 93) – Begriff 22, 47, 48, 72, 73 (Fn. 6), 74, 75 (Fn. 13), 77 – 81, 86, 88, 89, 91 (Fn. 51), 93, 94, 96, 98, 103 – 105, 107, 110 (Fn. 86), 111, 117 (Fn. 102), 126, 127, 212, 223 (Fn. 13), 238, 245, 246, 261, 284 (Fn. 133), 285 – 287 – aus dem Begriff 47, 71, 85, 94, 125 – und Ethik 48, 72, 73, 85 (Fn. 40), 138, 141, 241, 243 (Fn. 68), 244, 245, 259 (Fn. 93), 285, 296 – Grenzen (summus rector) 67 – Grund, Begründung 46, 48, 120, 138, 171 (Fn. 83), 284 (Fn. 133) – Idealität 104, 126 – zum Krieg 120 – der Menschen (unter öffentlichen Zwangsgesetzen) 51, 83 (Fn. 43), 95, 101, 110, 116 (Fn. 101), 122, 127, 246 – der Menschheit in uns (in der eigenen Person) 43, 47, 48, 50, 51, 71, 217, 243 (Fn. 68), 246, 281 – natürliches 219 – im Naturzustand 95 (Fn. 57) – Öffentliches 5, 51 (Fn. 41), 58 (Fn. 2), 74, 87, 90, 91, 94, 101, 103, 105, 107, 110, 113, 115, 116, 117 (Fn. 102), 118, 121, 122 – 125, 127, 128 – positives 52, 140 – des primus occupans 93 – provisorisches inneres 118, 123, 124 – römisches 139 – russisches 139, 140 – des Stärkeren 119, 120 – striktes (eigentliches, enges) 47, 49, 72, 84, 171 (Fn. 83), 243 (Fn. 68), 246 – in subsidium 119, 122 – überhaupt 75, 77, 78, 81, 85, 86, 88, 89, 91 (Fn. 51), 94, 98, 99, 105, 124, 126 – Unabhängigkeit (Autonomie) 43 (Fn. 3), 48, 79, 96 – ursprüngliches 45, 46, 72, 119, 120, 122 – auf Widerstand 50, 51, 64, 67, 109, 114 Rechtsgesetz(e) 59, 64, 72, 73 (Fn. 4), 75, 78 – 80, 83, 85, 86, 90, 93, 98, 101, 105, 127, 171, 213, 220, 286, 287, 289

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Sachwortverzeichnis

– allgemeines 74, 89 – 91, 93, 94, 97, 231, 261, 285, 286 Rechtslehre (Doctrine of Right) 5, 6, 18, 21 – 23, 43 – 45, 47 – 50, 52, 58 (Fn. 2), 71 – 74, 77, 79 – 82, 86 – 88, 90, 91, 100, 101, 103, 111, 120, 121, 123, 125 – 129, 131, 138, 139, 150 – 152, 171, 222, 231, 232, 238, 241, 242, 243 (Fn. 68), 244, 246, 247, 251, 255, 257 (Fn. 91), 271, 272, 278, 283, 284, 286 – 288, 293 Rechtsmaxime 284, 286 (Fn. 136) Rechtsperson 218 (Fn. 5), 219 Rechtspflege, Rechtspraxis 65, 67, 297 Rechtspflicht(en) 5, 50, 74, 81 – 83, 90, 91, 93, 95, 97, 101 (Fn. 67), 102, 105, 232, 242, 243 (Fn. 68), 244 – 246, 252, 254 – 256, 258, 259, 263, 267 – 269, 279, 282, 283, 287, 288, 290, 296 Rechtsphilosophie 73, 135 (Fn. 40), 138, 141, 220 Rechtsprechung 62, 63, 65, 66 Rechtsprinzip 105, 107, 112 – 114, 120, 285, 286, 296 – allgemeines 74, 284 (Fn. 133), 286 Rechtssatz 81 – synthetischer a priori 75 – 78, 80, 81, 84, 86, 90, 91, 94, 98, 100 (Fn. 64) Rechtsschutz 140, 219 Rechtsstaat 96, 116, 127 Rechtsstreit 63, 66, 111 (Fn. 88) Rechtsverhältnis 91 – 93, 97, 219 Rechtsverletzung, Rechtswidrigkeit 51, 83, 89, 91, 114, 115 Rechstvollzug, -vollstreckung 217, 220 Rechtswille 84, 98 Rechtszustand 50, 116, 121, 122, 125 Rechtszwang 65, 72, 111 (Fn. 88) rector et gubernator civitatis 64 Reflexionsbegriffe 279 – 282 Reform 51 (Fn. 41), 114, 125, 128, 130, 131, 136 – der Verfassung 127 – der Verwaltung 65, 111 (Fn. 88) Regent (summus rector) 59 (Fn. 3), 64, 65, 67, 111 (Fn. 88) Regierung 62 – 65, 67, 111 (Fn. 88), 135, 142 Regierungsart 68, 117, 118 (Fn. 104) Regierungsgewalt 63 – 65

Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft 155 (Fn. 39), 179, 183 Repräsentativsystem 69, 117, 118, 123, 124, 127 Republik 59, 63, 66 – 69, 105 (Fn. 73), 113, 115, 123 – Frankreich 111 (Fn. 91), 115 – reine, wahre 58, 114, 115, 117, 118 (Fn. 104), 123, 124, 127 res nullius 74, 80, 87 – 90 res publica latius sic dicta 58, 59, 103, 115, 117 (Fn. 102) res publica noumenon 60 Revolution 115, 134 (Fn. 33), 142 – französische 64, 107, 111, 135 Richter 59 (Fn. 3), 62, 63, 65, 66, 106 (Fn. 75), 109, 111 (Fn. 88, 92), 119, 120, 141, 198, 199 – innerer 197, 198 Richteramt 63, 198 Russland, russisch 11, 12 – 19, 129 – 133, 137 – 143, 211 (Fn. 1) – Philosophie 16, 17, 141, 143, 211 (Fn. 1) Sankt-Petersburger Universität 137, 138 (Fn. 54), 139 – 141 Satz 27, 235, 237, 256, 276, 277, 285 – praktischer 233, 234 – synthetischer a priori 260, 261 – synthetisch-praktischer a priori 24 – technisch-praktischer 234 – transzendentaler 223 Schmerz 183, 184, 186 – 191 Selbst 113, 213 – 215, 218 (Fn. 5), 220 Selbstachtung 191, 192, 194, 197, 204 – 207 Selbständigkeit 247 – bürgerliche 61, 62, 68, 107, 108 (Fn. 80) Selbstbestimmung 110, 116, 117, 182 – 184, 245, 246 Selbsterhaltung 132, 215, 290 (Fn. 145) Selbsterkenntnis 195, 232, 240, 277 Selbstliebe (self-love) 159, 182, 183, 187 – 189, 195 Selbstschätzung 179, 193, 204 – 206 Selbsttätigkeit (Spontaneität) 38, 108 Selbstverpflichtung 92, 93, 243 (Fn. 68), 244, 287 Selbstzwang 48, 247, 248, 251, 259, 263

Sachwortverzeichnis Selbstzweck 95, 116, 215, 216, 244 Sinn(e), sinnlich 31, 35 – 39, 71 (Fn. 3), 72, 75 (Fn. 13), 82, 86, 88, 100 (Fn. 65), 105, 179, 182, 184, 186, 189, 196, 208, 209, 211, 213, 215, 218 (Fn. 5), 235, 236, 238, 266, 291, 293 – innerer 209, 243, 246 (Fn. 72), 248, 251, 253 – moralischer 196 Sinnenmensch, Sinnenwesen 213, 215 Sinnenwelt 34, 42, 186, 211, 218 Sinnlichkeit 31 (Fn. 11), 37, 76, 80 (Fn. 28), 184 – 186, 189, 197, 207, 209 Sitten 12 – 15, 17, 18, 21, 76 (Fn. 14), 233 Sittengesetz 41, 72 – 76, 79, 81, 84, 90, 94, 179, 186, 189, 199, 208, 227, 235, 239, 252, 253, 260, 261, 277, 281, 286, 292 Sittenlehre (philosophia moralis, Doctrine of Morals) 13, 48, 132 – 134, 136 – 138, 140, 149 (Fn. 8), 157, 227, 231, 237, 240, 241, 245, 247, 252, 253, 255, 260, 261, 269, 272, 274, 277, 283 (Fn. 132), 285, 287, 294, 296 Sittlichkeit 13, 17, 18 Sollen 36, 37, 49, 124, 184, 251, 263 Souverän 51, 68, 69, 107, 111, 114, 117 – 120, 123 Souveränität 44, 50 – 52, 65, 102, 106 (Fn. 75), 107, 117, 120, 123, 126, 219 (Fn. 6) Sozialstaat 67 Sphäre – intelligible 182, 183, 185 Spontaneität 38, 45 – absolute 30, 32 – 34, 37, 38, 72 Staat 58 – 60, 67, 74, 94 – 96, 102 – 114, 116, 117, 119 – 122, 124, 125, 216, 217, 219, 220 – amerikanische (USA) 121, 124 – angelsächsisch-liberalistischer 110 – aristokratischer 68 – in der Idee 57, 59 – 62, 66, 67, 102, 104, 105, 107, 108, 110, 113, 122, 126 – republikanischer 63, 66 – 68, 125 – russischer 129, 142 – in der Substanz, Subjektivität 102, 107, 110, 112, 113 Staatenkongress 120 – 122, 124

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Staatenverein 124 Staatsbürger 60 – 62, 68, 69, 107 – 109, 115, 117, 123 Staatsformen 68, 116, 118, 123 Staatsfunktionen 69, 107 Staatsgewalten 57 – 62, 63 (Fn. 10), 65, 67, 106 – 112, 114, 115, 120, 126 Staatsoberhaupt 57, 59, 65, 69, 107, 114, 115, 117, 121, 123, 126 Staatsrecht 58 (Fn. 2), 66, 70 (Fn. 15), 74, 102 – 104, 116, 117 (Fn. 102), 118, 119, 122, 124, 128 Staatsverfassung 57, 62, 66, 67, 70, 113, 114, 116, 118, 121, 123, 124, 127 Staatsverwaltung 64, 65, 111 (Fn. 88) Staatswirtschaft 234, 235 Staatswürde 61, 62, 63 (Fn. 9), 64, 65, 67, 108 status civilis (bürgerlicher Zustand) 47, 50 (Fn. 39), 51 Stetigkeit 228, 231, 233, 296 Subjekt, Subjektivität 102, 108, 112, 113, 182, 211, 213, 217, 218 (Fn. 5), 219, 237, 238, 241, 249, 252, 268, 270, 288, 292 Subkontrarietät 27 Substanz 102, 106, 107, 110, 112, 113, 199 (Fn. 18), 211 summum bonum (politicum) 116, 172 suum cuique tribuere 5, 74, 87, 91, 125 Sympathie 179, 201, 202 System 104, 130, 222, 225, 229, 230, 248, 265 – 267, 277, 278, 294, 297 – (ab)geschlossenes / unabgeschlossenes (offenes) 221, 283, 289, 294, 296, 297 – architektonisches 233, 276 – doktrinales 222 – der Ethik 213, 267, 294, 296 – der Form nach 225, 248, 265, 267, 273 – kantisches 130, 132, 136, 141 – der Metaphysik 222, 225 (Fn. 17), 235, 240, 297 – des Naturrechts 71, 133, 135 – der Philosophie 71 (Fn. 1), 76 (Fn. 14), 199 (Fn. 18), 214, 221, 222, 224, 225 (Fn. 17), 226, 227, 233, 235, 248 – der praktischen Philosophie 72, 131, 221, 233, 248, 291, 294, 297 – von Rechtsverhältnissen, Rechtsbegriffen, Rechtsgesetzen 97, 127

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Sachwortverzeichnis

– repräsentatives 69, 117, 123, 124, 127 – der Metaphysik der Sitten 221, 235, 241, 245, 248 – der Tugendlehre 221, 247, 248, 250, 272, 273, 289, 297 – der reinen Vernunft 223 – als Wissenschaft 224 (Fn. 15) – der Zwecke 248

Tat 50, 183, 187 (Fn. 11), 288 Teufel 51 (Fn. 39) Tiere, Tiergattung 191, 213, 279, 297 transzendentaler Idealismus 27 – 29, 43, 44, 48, 49, 51, 73, 180 Transzendentalphilosophie 28, 34, 37, 40, 42, 212, 222, 230 trias politica 57, 58, 59 (Fn. 3), 62, 63 (Fn. 9), 66 – 68, 106, 107, 112, 113, 115, 126 Trichotomie 230, 231 Trieb 132, 215, 217 Triebaufschub 31 Triebfeder (incentive) 14, 42, 72, 149 – 153, 155 (Fn. 38), 157, 170 (Fn. 81), 177, 180, 181, 183, 185, 188 – 192, 200, 203, 241, 242 – 244, 246, 247, 268, 269, 281, 282, 286 Tugend 85 (Fn. 40), 206, 247 (Fn. 75), 249, 250 (Fn. 80), 251, 252, 259, 263, 265 (Fn. 105), 295 Tugendgesinnung 220, 268 Tugendhandlung, Tugendpraxis 259, 288 Tugendlehre (Doctrine of Virtue) 13, 18, 43, 48, 49, 52, 141, 150 – 156, 159, 164, 167, 169, 171, 172 – 174, 178, 179, 191, 192, 194 (Fn. 15), 195, 196, 198, 199, 201, 204, 205, 219 (Fn. 6), 221, 223, 228, 231, 232, 237, 238, 240, 241, 243, 244, 246 – 256, 257 (Fn. 91), 258 – 264, 267 – 271, 273, 274, 276, 277, 279, 280, 282 – 289, 291, 293 (Fn. 154), 294 – 297 Tugendpflicht(en) (duties of virtue) 84, 152, 156, 157, 161, 162 – 164, 167, 170 – 172, 232, 237, 242 – 246, 249 – 253, 255 – 259, 262, 263, 267 – 269, 271, 275, 280 – 283, 287 – 290, 294 – 297 Tyrannenmord 51 tyrannis 114 (Fn. 97)

Übersetzungsprobleme kantischer Texte 11 – 19 – englische 14, 19, 21 – 24, 192 Übung 250, 271, 277 (Fn. 121), 278, 288, 292 Ulpianische Formeln 46 (Fn. 16), 47 (Fn. 19), 48, 91 Umgangstugenden 295 UN 119-121 Unabhängigkeitsthese 43 (Fn. 3), 73, 80, 126, 296 Universitäten 140 – russische 129 – 143 Untertan 61, 63, 67, 108, 213 Unterwerfung 72, 110, 114, 115, 148 (Fn. 4), 186, 188, 200, 239 (Fn. 59), 248 Urbild 224, 225 Ursache 27 – 32, 34 – 36, 37 (Fn. 21), 38 – 42, 72, 178, 182 – 184, 188 – 191, 196, 201, 202, 203 (Fn. 20), 206, 215, 234, 240 (Fn. 62), 270 Urteil(e) 111 (Fn. 92), 121, 125, 135, 195, 280 (Fn. 128) – ästhetisches 195 (Fn. 16) – des Gerichts 120, 135 – praktische 280 (Fn. 128) – synthetische a priori 76, 78, 126, 223 Urteilskraft 209, 249, 271, 288, 291, 292 „utschenie o nrawach“ (Sittenlehre) 13 Verbindlichkeit (obligation) 43, 45, 47 – 50, 73 (Fn. 4, 6), 74, 75 (Fn. 13), 78, 81, 84, 86, 88, 91 (Fn. 51), 92, 93, 94 (Fn. 53), 95, 98, 100 (Fn. 65), 101 (Fn. 66), 115, 117, 118 (Fn. 103, 104), 119, 148 – 154, 160, 161, 163, 164, 168 – 170, 173, 174, 181, 196, 232, 236, 238, 241, 243 (Fn. 68), 246, 249, 259, 267, 268, 285 (Fn. 134), 286 – 288, 292, 296 – ethische 152, 156, 157, 161, 162, 169, 259 (Fn. 94), 265, 271 (Fn. 111), 272, 275 – kategorische 43, 50 – moralische 43, 48, 49, 165 – rechtliche 47, 48, 74, 75 (Fn. 13), 78, 81, 86, 92, 93, 287 – weite und enge 161, 164, 165 (Fn. 72), 168, 169, 256, 258, 288, 290 Verbot 215, 235, 238, 260, 270, 289, 290

Sachwortverzeichnis – des Gebrauchs eines Gegenstandes 87, 88, 91 – der Philosophie 143 Verbrechen 50, 52, 115, 216 Verfassung 51 (Fn. 41), 57, 58, 62, 66 – 68, 70, 103 – 107, 112 – 118, 120, 122 – 125, 127 – bürgerliche 78, 98, 100 – 102, 112, 114, 118 (Fn. 103), 119 Vernunft (reason) 31, 32, 36, 37, 41, 44 (Fn. 3), 46, 50 (Fn. 39), 68, 72, 74 (Fn. 10), 81, 86, 90, 91, 106 – 108, 112, 113, 115, 118, 121 – 123, 125 – 127, 133, 135 – 137, 140, 142, 148, 150, 157, 160, 180, 184, 185, 189, 199, 212, 213, 215, 219, 222 (Fn. 8), 223, 225 – 228, 236 – 238, 246 – 248, 251, 254, 261, 262, 267, 270, 272, 273, 285, 292, 297 – synthetische Erweiterung 73 – 77, 81 – 84, 90, 126, 128 – Faktum 29 (Fn. 3), 47, 185 – praktische 49, 73 – 77, 79 – 92, 94, 97, 98, 100, 101 (Fn. 66), 124, 133 – 136, 148, 149 – 154, 155 (Fn. 37), 156, 159, 163, 164, 168 (Fn. 78), 171 (Fn. 83), 179, 181, 185, 190, 197, 199, 228, 230, 232, 234, 235, 238, 244, 247, 251 – 253, 254 (Fn. 85), 260, 262 – 266, 269, 270, 272, 273, 276, 277, 280 (Fn. 126), 296 – ethisch-praktische 266, 271 (Fn. 111), 275, 278, 283 – moralisch-praktische 125, 148, 153, 157 – 159, 161 – 163, 167 (Fn. 78), 169, 171, 172, 271 – rechtlich-praktische 74 – 78, 84, 90, 94, 97, 99 (Fn. 62), 102 (Fn. 69) – reine praktische 24, 28, 29 (Fn. 3), 46, 49, 51, 87, 177, 179, 184 – 187, 189, 196, 197, 236, 253, 258, 260, 262, 263, 270, 274, 278, 279, 280 (Fn. 128), 292 – spekulative (theoretische) 33, 71 (Fn. 3), 76, 126, 261 – Wille 81, 83 – 86, 91, 92, 126 Vernunftautonomie 236, 239 (Fn. 59), 248, 252 Vernunftbegriff, reiner (Idee) 46 – 48, 71, 98, 104, 118, 120, 122 (Fn. 112), 178, 181,

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182, 207, 224, 225, 246, 270, 275, 278, 280 (Fn. 126, 128), 283, 285, 292, 294 – szientifischer 225 Vernunfterkenntnis 71 (Fn. 1, 2), 222 – 224, 227, 254 – mathematische (aus der Konstruktion von Begriffen in der Anschauung) 223 – philosophische (aus Begriffen) 222, 223 Vernunftexperiment (Probe) 237 Vernunftgesetz 78, 81 (Fn. 33), 91 (Fn. 51), 92, 148, 212, 213, 220, 234, 236, 238, 242, 243, 247, 260 Vernunftkausalität 31, 33, 35, 36, 38, 39, 71 (Fn. 3), 105, 211 Vernunftprinzip(ien) 39, 114, 115, 127, 232, 233, 296 Vernunftschluss (Syllogismus) 110, 113 – praktischer 58, 59, 106 Vernunfttätigkeit 31, 32, 35, 190, 225, 247, 267, 287 Vernunftzweck 163 (Fn. 69), 262, 273 Verpflichtung 77, 78, 81 (Fn. 33), 82, 87, 92, 93, 97, 99, 100, 104, 151, 164 (Fn. 72), 178, 185, 194, 197, 198, 200, 201, 203, 204, 207, 209, 212, 239, 240, 243 (Fn. 68), 244, 246, 251, 252, 265, 268, 269, 273 – 275, 277 – 279, 283, 284, 285 (Fn. 134), 287 – 289, 294 Verstand 32 (Fn. 12), 36, 38, 51 (Fn. 39), 76, 181, 222, 245 (Fn. 72), 275, 276, 282 Verstandesbegriff(e) 75 (Fn. 13), 80 (Fn. 28), 84 (Fn. 39), 101 (Fn. 66), 231 (Fn. 35, 38), 280 (Fn. 128) Verstandesgrundsätze 76, 222, 261 Verstandeswelt 211 Vertrag 108, 109 (Fn. 83), 110 (Fn. 85), 116 (Fn. 101), 117, 120, 126, 127, 216, 218, 220, 242 – ursprünglicher 68, 99, 117, 119, 124 (Fn. 114) Vertragstheorie 117 Vervollkommnung 205, 206, 248 Volk 50, 51 (Fn. 39), 60, 61, 64, 68, 69, 102 – 104, 105 (Fn. 73), 107 – 111, 113 – 115, 117 – 119, 120 (Fn. 105), 122 – 125 – von Teufeln 51 (Fn. 39) Völkerbund 118 – 122

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Sachwortverzeichnis

Völkerrecht, Völkerstaatsrecht 74, 77 (Fn. 19), 78, 102, 103, 114, 116-123, 124, 125, 127 – 128, 130 Volksaufklärung, Volksausbildung 135 – 136 (Fn. 40), 140, 143 Volkssouveränität 102, 107, 115, 117, 123, 126 Volkswille 60, 65, 68, 69, 107, 110, 115, 123 Vollkommenheit (perfection) 65, 157, 158, 160, 161, 163 (Fn. 69), 169, 170, 173, 174, 175, 206, 226, 248, 275, 288, 289 – eigene 153, 156 – 163, 168 – 170, 172, 249, 253, 256, 258, 281, 282, 289 (Fn. 144) – logische 226 volonté générale, volonté de tous 68, 79, 94, 107, 126 Vorbegriffe – ästhetische (aesthetic preconditions) 191 – 194, 200, 204, 207 – 209, 291 – zur Metaphysik der Sitten 71, 73 (Fn. 4), 81 (Fn. 33) – zur Einteilung der Tugendlehre 249, 264, 267, 271 – 273 Vorlesungen zur Moralphilosophie 32 (Fn. 12), 180, 205, 206 – Nachschrift Collins 181, 205, 206 – Nachschrift Mrongovius 181 (Fn. 8), 239 (Fn. 60) – Nachschrift Vigilantius 204 – 206, 243 (Fn. 68) Vorstellung 31, 37, 68, 181, 183, 191, 194, 196, 198, 208, 234, 236, 238, 243, 247, 252, 258, 269, 276, 280 (Fn. 128) – des moralischen Gesetzes 179, 182, 189, 190, 195, 200, 207 – der Pflicht 200, 202

Wahl (choice) 19, 68, 108 (Fn. 81), 111 (Fn. 92), 148, 150 (Fn. 13), 165 – 168, 171, 174, 181 (Fn. 7) – freie 158, 161, 162 – von Maximen 191, 192, 194, 288 Welt 27 – 29, 33, 34, 37 (Fn. 21), 40, 41, 179, 186, 191, 202, 211, 215, 218, 292 – intelligible 40, 42, 211 – phänomenale vs. noumenale 40, 41 Weltbegriff 77, 226

Weltbürgerrecht 74, 77 (Fn. 19), 78, 102, 103, 114, 117 (Fn. 102), 121, 122 Weltgeschichte 127, 128 Wert 155 (Fn. 38), 183, 206, 212, 214 – moralischer, sittlicher 177, 185, 189, 199, 215 „weschtsch sama po sebe“ (Ding an sich selbst) 11, 12 Wesen 198, 204, 211, 240 (Fn. 62), 243 (Fn. 68), 265 – 267, 270, 271 (Fn. 111), 272, 275, 276, 279, 289 – gemeines 58 – 60, 62, 66, 69, 103, 105, 108 (Fn. 80, 82), 109, 113, 115, 117 (Fn. 102, 103), 219 – höchstes, göttliches, heiliges 199, 235, 236, 238, 279 – menschliches, nichtmenschliches 46, 213, 214, 235, 256, 270, 275, 277 – 279, 280 (Fn. 126), 283, 290 (Fn. 145) – moralisches, sittliches 196, 198, 205, 213, 214, 218 (Fn. 5) – organisiertes 225, 247 – physisches (animalisches) 213, 214 – vernünftiges 39, 44 (Fn. 3), 48, 49, 51 (Fn. 39), 132, 155 (Fn. 38), 184, 202, 212 – 214, 218 (Fn. 5), 235, 240 (Fn. 60), 274, 276 (Fn. 119), 292, 297 Widerspruchsprinzip 231 Widerstandsrecht 50, 51, 67, 109, 114, 115 Widerstreit 27, 29 (Fn. 5), 96, 212, 235, 280 (Fn. 128) – zwischen Handlung und Pflichtgesetz 194, 208 Wille (voluntas, „wolja“, will) 18, 19, 29, 33 (Fn. 16), 36, 38, 44, 45, 62, 75 (Fn 13), 78, 79, 82, 83, 85, 92, 94, 96 – 100, 109 (Fn. 83), 136, 177, 182, 183, 189, 207, 216, 218, 219, 228, 234, 238 (Fn. 59), 263, 292 – allgemeiner 79, 84, 94, 95, 110, 126 – Anderer 83, 85, 95, 254, 269 – aneignender 99, 100 – als oberes Begehrungsvermögen 213 – besonderer, einzelner 78, 79, 84, 85, 98 – Bestimmung 35, 41 (Fn. 30), 177-191, 193, 194, 197, 202, 203 (Fn. 20), 205, 207, 234, 244, 276, 287 – eigener 83, 110, 182, 254, 269, 274

Sachwortverzeichnis – einseitiger 78, 84, 93 (Fn. 52), 94 (Fn. 53), 97, 98 – empirischer 68 – freier 29, 38 – 41, 44, 45, 107, 180, 185, 186, 276 – gebietender 78, 79, 85, 96, 98 – gesetzgebender 78, 82, 84, 85, 92 – 94, 96 – 98, 109, 110, 113, 114 (Fn. 97), 213, 248 – göttlicher 150 (Fn. 15) – guter 240 (Fn. 61) – intelligibler 178 – 180 – Kausalität 255, 274 – machthabender 79, 82, 84, 92 – 94 – öffentlicher 118 (Fn. 103) – reiner 35, 36, 71 (Fn. 3), 72, 82 – 84, 105, 126, 127, 235 – des Staates 113 – subjektiver 254 – synthetisch allgemeiner 74, 82, 88, 101, 102, 126 – überhaupt 83, 85, 254, 269 – vereinigter 60, 65, 69, 78, 84, 85, 88, 94 (Fn. 53), 95 – 100, 102, 104, 105, 106 (Fn. 75), 107, 112, 113, 118 (Fn. 103), 123 – vernünftiger 41, 81 (Fn. 30), 83, 84, 91, 107, 274 – des Volkes 115 – und Willkür 18, 19 Willensakte 33 (Fn. 16), 80 (Fn. 28), 99, 232, 234 Willensautonomie 260, 263 Willensbildung 252, 253 Willensentscheidungen 33 (Fn. 16), 41 Willensfreiheit 27 – 30, 38, 39, 45, 180, 182, 183, 194 Willensgesetz (lex arbitrii) 36 Willensmaximen 30, 285 (Fn. 134) Willkür (arbitrium, „proiswolenije“, power of choice) 17 – 19, 24, 37, 44 – 47, 60 (Fn. 4), 73 (Fn. 6), 74, 78, 80 – 84, 86 – 88, 108 (Fn. 80), 119, 121, 148 – 150, 154, 171 (Fn. 83), 179, 194, 197, 213, 238 (Fn. 59), 270, 278, 287 (Fn. 137) – Akt, Handlung 197, 219, 238 (Fn. 59), 252, 255 – äußere, innere 47, 151 – Bestimmung(sgrund) 71 (Fn. 3), 75 (Fn. 13), 80 (Fn. 28), 84, 105, 149

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(Fn. 11), 155 (Fn. 37), 194, 208, 238 (Fn. 59), 246, 270 – freie (arbitrium liberum) 31 (Fn. 11), 40, 41, 43, 44, 48, 98, 148, 163, 196, 232, 233, 238, 242, 246 – 248, 251 – 253, 256, 267, 286, 288 – Gebrauch 43, 46, 47, 87, 88, 242, 251, 261 – Gegenstand (Objekt) 24, 74, 75 (Fn. 13), 78, 80 – 84, 86 – 90, 92, 93 (Fn. 52), 97, 99, 101 (Fn. 66), 247, 251, 252 – Materie 90, 153 – 157, 163, 164, 171 (Fn. 83), 248, 252, 259 (Fn. 94), 267 – Maxime 148, 149, 270 – menschliche 31, 72, 238 (Fn. 59) – nötigende (zwingende) 45, 46, 72, 247 – politische 52 – sinnliche (arbitrium sensitivum) 31, 35, 235, 236 – subjektive 237, 256, 286 – Triebfeder 151, 241, 243, 244 – vereinigte, Vereinigung 85, 96, 98, 217, 219 Willkürfreiheit 44, 47, 50, 72, 148, 150, 157, 232, 234, 236, 238, 239, 247, 261, 284 (Fn. 133), 286 (Fn. 135) Wirkung 27, 28, 29 (Fn. 5), 38 – 41, 58, 68, 117, 118 (Fn. 104), 122 (Fn. 113), 155 (Fn. 38), 181 – 188, 190 – 194, 197, 201, 208, 253, 270 – des Gefühls 187, 190 – des moralischen Gesetzes 187, 193, 239, 270 – naturgesetzliche 27, 28, 29 (Fn. 5), 39, 247 – rechtliche 58, 63 (Fn. 9), 66, 67, 242 – des Willens 28, 38, 178, 186, 188, 197, 248 Wissenschaft 133 – 140, 221, 222, 224 – 226, 228, 234, 235, 250, 266, 268, 271, 274 – 279, 283, 291, 294, 296, 297 Wohlwollen, Wohltätigkeit (benevolence, beneficence) 161 – 163, 167 – 169, 171 – 174, 201, 202, 204, 205, 242, 243, 256 (Fn. 88) Würde 43, 49, 50, 62, 63, 65, 66, 206, 211 (Fn. 1), 214, 216, 218 (Fn. 5),, 219, 275

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Sachwortverzeichnis

Zum ewigen Frieden 51 (Fn. 39), 91, 121, 122, 139 Zurechenbarkeit (Imputabilität) 38, 218 (Fn. 5) Zwang 48, 49, 72, 110, 114, 116, 120 (Fn. 105), 171 (Fn. 83), 211, 232, 247, 248, 251, 259, 261, 296 – äußerer 48, 110 (Fn. 86), 216, 241, 242, 244, 246, 251, 254 (Fn. 85), 263, 269 – des Gesetzes 188 – unter moralischen Gesetzen 247 – rechtlicher 65, 72, 99 (Fn. 62), 111 (Fn. 88), 241 Zwangsarbeit 217 Zwangsgesetz 83 (Fn. 34), 93 (Fn. 52), 95, 101, 102 (Fn. 69), 110, 116 (Fn. 101), 117, 118, 123, 127, 251, 269 Zwangsgewalt 65, 111 (Fn. 88) Zwangsrecht 65, 72 Zwangsverhältnis 267 Zweck (end) 46 (Fn. 15), 48, 50, 91, 94, 95, 109, 112, 113, 115, 123, 125, 127, 152 – 155, 157 – 160, 163, 164, 167, 169, 170, 171 (Fn. 83), 172, 173, 175, 180, 211, 212, 214, 215, 217, 225, 226, 232, 233, 239, 240 (Fn. 62), 244 – 249, 251 – 253, 258, 260, 262, 264, 265, 267 – 270, 272, 273, 275, 277, 281, 282, 284, 287, 289, 290 (Fn. 145), 293, 296 – besonderer 248, 255 – eigener 159 – 161, 167, 191, 205, 253, 269, 281 – der Handlung 152 – 155, 157, 161, 163, 167, 169, 170, 171 (Fn. 83), 172, 173, 236, 238, 252, 262, 270, 284 (Fn. 133), 286 – innerer 153, 157, 159, 161, 164 (Fn. 72), 169, 170, 216 – letzter (des öffentlichen Rechts) 113, 115, 116, 118, 123, 124, 127, 163 (Fn. 69), 168

– materialer, materieller 154, 155 (Fn. 38), 156 (Fn. 40), 283 – Maxime 153, 154 (Fn. 31), 155, 251, 255, 260, 263, 283 – der Menschheit, der Menschen 290 (Fn. 148) – menschlicher 153 (Fn. 22), 158, 168, 248, 260, 267, 273, 284 – moralischer 152, 215, 226, 247, 248, 251, 253, 270 – natürlicher 169, 214, 290 (Fn. 145) – objektiv notwendiger 152, 153, 173, 247, 248, 251, 287 – objektiver 154, 248, 249 (Fn. 79), 254 – 256, 273, 286 (Fn. 136), 287 (Fn. 137) – im Verhältnis zur Pflicht 158, 286, 287 (Fn. 137) – Reich 212, 215 – subjektiver 154, 155, 157, 214, 248, 249, 254 – 257, 262, 287 (Fn. 137) – als Triebfeder 281, 282 – als Gegenstand der freien Willkür 154, 252, 253, 267 Zweck, der zugleich (an sich selbst) Pflicht ist 83 (Fn. 34), 96, 101, 153, 157 – 161, 169 – 172, 175, 245, 251, 252, 255, 256, 258, 259, 262, 268, 288 Zweck-an-sich-Formel (des kategorischen Imperativs) 50, 154, 214, 260, 262, 269 Zweck an sich selbst (end in itself) 154 (Fn. 33), 211, 214, 217, 252 (Fn. 82), 258 Zweckidee 227, 228, 248 Zwecklehre 249, 268, 269, 273 Zweckmäßigkeit 267, 268 Zwecksetzung 156, 215, 251, 256, 260, 278, 287 Zweckverhältnis 273, 277, 283

Autorenverzeichnis Jeffrey Edwards ist Associate Professor of Philosophy an der Stony Brook University (State University of New York). Zu seinen Publikationen gehören “Substance, Force, and the Possibility of Knowledge: On Kant’s Philosophy of Material Nature” (University of California Press); neuerdings ist er Co-editor des “Bloomsburg Hegel Companion” (Bloomsbury Publishing, UK). Professor Dr. Jeffrey Edwards State University of New York at Stony Brook Department of Philosophy, Harriman Hall, Stony Brook, New York, NY 11794 – 3750, USA [email protected] Werner Euler ist Professor Visitante am Departamento de Filosofia der Universidade Federale in Florianópolis (SC, Brasilien). Veröffentlichungen zu Spinoza, Leibniz, Christian Wolff, Kant, F. H. Jacobi und Hegel. Professor Dr. Werner Euler Departamento de Filosofia do Centro da Filosofia e Humanitas, Universidade Federale de Santa Catarina, 88040 – 900 Florianópolis (SC), Brasil [email protected] Paul Guyer ist Jonathan Nelson Professor of Humanities and Philosophy an der Brown Universität und Florence R.C. Murrray Professor in the Humanities emeritus an der Universität von Pennsylvania. Paul Guyer Jonathan Nelson Professor of Humanities and Philosophy Department of Philosophy, 54 College Street Box 1918 Brown University Providence, RI 02912 [email protected] [email protected] Heiner F. Klemme ist Universitätsprofessor für Philosophie der Neuzeit an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Leiter der Kant-Forschungsstelle sowie Honorarprofessor/Gastprofessor für Philosophie an der Universität Wuhan (2012 – 2015). Publikationen, Aufsätze und Editionen vor allem zur Philosophie der Aufklärung (insbesondere Kant und Hume) sowie zur Ethik und Rechtsphilosophie. Bücher (Auswahl): „Kants Philosophie des Subjekts. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Verhältnis von Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis“ (1996); „Immanuel Kant“ (2004); „David Hume zur Einführung“

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Autorenverzeichnis

(2007); (als Mit-Hrsg.): „The Dictionary of Eighteenth-Century German Philosophers“ (2010); „Kants ,Grundlegung zur Metaphysik der Sitten‘. Ein systematischer Kommentar“ (2013). Professor Dr. Heiner F. Klemme Philosophisches Seminar / Kant-Forschungsstelle Johannes Gutenberg-Universität Mainz, D-55099 Mainz [email protected] Alexei N. Krouglov studierte Philosophie und Geschichte an der Moskauer Lomonosov-Universität und an der Twerer Staatlichen Universität, Promotion am Institut für Philosophie der Russischen Akademie der Wissenschaften, Moskau. Alexei N. Krouglov ist Professor am Lehrstuhl für Geschichte der Philosophie an der Russischen Staatlichen Universität für Geisteswissenschaften in Moskau. Zu seinen letzten Veröffentlichungen gehören: „Tetens, Kant und die Diskussion über die Metaphysik in der deutschen Philosophie der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts“ (Moskau 2008, russisch), „Die Philosophie Kants in Russland am Ende des 18. Jahrhunderts – in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ (Moskau 2009, russisch). Professor Dr. Alexei N. Krouglov Lehrstuhl für Geschichte der Philosophie Philosophische Fakultät Russische Staatliche Universität für Geisteswissenschaften Miusskaja Pl. 6 125993 Moskau, Russland [email protected] Nelly Motroshilova ist Leiterin der Abteilung der Geschichte der Philosophie am Institut für Philosophie der russischen Akademie der Wissenschaften. Sie wirkt als Mitherausgeberin, zusammen mit B. Tuschling (Marburg), der zweisprachigen deutsch-russischen Ausgabe der Hauptwerke von I. Kant (4 Bände in 5 Büchern sind publiziert, der 5. Band – „Metaphysik der Sitten“ – ist im Druck). Frau Motroshilova ist Preisträgerin der Alexander von Humboldt-Stiftung; sie ist Mitglied der Redaktionskollegien internationaler Zeitschriften, u. a. der „Deutschen Zeitschrift für Philosophie“, der „Studia Spinozana“; sie ist Chefredakteurin des „Jahrbuches für Geschichte der Philosophie“. Ihre letzten Buchpublikationen sind: „,Ideen‘ Edmund Husserls als Einführung in die Phänomenologie“ (Moskau 2003), „Denker Russlands und westliche Philosophie“ (Moskau 2005), „Zivilisation und Barbarei in der Epoche der Globalisation“. (Moskau 2010). Professor Dr. Nelly Motroshilova Russische Akademie der Wissenschaften, Institut für Philosophie Volhonka 14, 119842 Moskau, Rußland [email protected] Andrej Sudakow ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Sektion Philosophie der Religion am Institut der Philosophie der Russischen Akademie der Wissenschaften (Wolchonka 14, Moskau, Russland). Dr. Andrej Sudakow 127018 Oktjabskaja ulitsa 38 – 7 – 218, Moskau, Rußland (russisch) 127018 ?[cpRamb[Qp d\. 38, [_a`db 7, [S.218, =_b[SQ, A_bbYp [email protected]

Autorenverzeichnis

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Burkhard Tuschling war Professor für Philosophie an der Philipps-Universität Marburg (im Ruhestand). Zusammen mit Nelly Motroshilova (Moskau) Mitherausgeber der zweisprachigen deutsch-russischen Ausgabe der Werke Immanuel Kants. Aufsätze und Buchpublikationen zur Philosophie Kants und Hegels. Professor Dr. Burkhard Tuschling Rossgarten 10, D-35041 Marburg [email protected] Michael Wolff ist Professor für Philosophie an der Universität Bielefeld, seit 2007 emeritiert. Seine letzte Buchveröffentlichung: „Abhandlung über die Prinzipien der Logik“. Frankfurt, zweite Auflage 2009. Professor Dr. Michael Wolff Wertherstraße 143, 33615 Bielefeld [email protected]

Vita Burkhard Tuschling Prof. Dr. Burkhard Tuschling wurde am 15. 12. 1937 in Königsberg/Pr. geboren. Er studierte Philosophie, deutsche und lateinische Sprachen und Literatur an den Universitäten von Hamburg, Köln und Marburg mit Abschlüssen in Marburg (1961) und Köln (1963). 1965 promovierte er in Philosophie bei Klaus Reich in Marburg (Thema der Dissertation: Metaphysische und transzendentale Dynamik in Kants opus postumum). 1972 erfolgte seine Berufung als Professor der Philosophie an die Philipps-Universität Marburg, in deren Gremien er engagiert mitarbeitete und der er bis zu seiner Emeritierung angehörte. 1991, 1993, 1997 übte er Gastprofessuren in den USA aus. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre waren: Klassische Systeme der Philosophie der Neuzeit von Descartes bis Hegel, insbesondere bei Leibniz, Kant, Hegel – Politische Philosophie der Antike und der Moderne, Philosophie des Rechts, insbesondere von Hobbes bis Hegel. Zu seinen wichtigsten Projekten gehörten: das erste deutsch-amerikanische Graduiertenkolleg in Philosophie („Collegium philosophiae transatlanticum“, 1999 – 2002); sowie die Herausgabe der ersten zweisprachigen, deutsch-russischen Ausgabe von Kants Werken (in Kooperation mit Prof. Nelly Motroschilova als Mitherausgeberin), von denen der fünfte Band („Die Metaphysik der Sitten“) im Erscheinen ist. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen zählen: Metaphysische und transzendentale Dynamik in Kants opus postumum, Berlin/New York 1971; Die „offene“ und die „abstrakte“ Gesellschaft. Habermas und die Konzeption von Vergesellschaftung der klassisch-bürgerlichen Rechts- und Staatsphilosophie, Berlin 1978; Kritik des Logischen Empirismus, Berlin 1983; Necessarium est idem simul esse et non esse. Zu Hegels Revision der Grundlagen von Logik und Metaphysik, in: Logik und Geschichte in Hegels System, hg. v. H.-C. Lucas und G. Planty-Bonjour, Stuttgart 1989, 199 – 226; Intuitiver Verstand, absolute Identität, Idee. Thesen zu Hegels früher Rezeption der „Kritik der Urteilskraft“, in: Hegel und die ,Kritik der Urteilskraft‘, hg. von H. F. Fulda und R.-P. Horstmann, Stuttgart 1990, 174 – 188; Übergang: Von der Revision zur Revolutionierung und Selbst-Aufhebung des Systems des transzendentalen Idealismus in Kants Opus postumum. In: W. G. Jacobs, H.-D. Klein, J. Stolzenberg (Hg.), System der Vernunft. Kant und der Deutsche Idealismus, Hamburg 2001, 128 – 170; Transzendentaler Idealismus ist Spinozismus: Reflexionen von und über Kant und Spinoza, in: E. Schürmann, N. Waszek, F. Weinrich (Hg.), Spinoza im Deutschland des 18. Jahrhunderts. Zur Erinnerung an Hans-Christian Lucas (1942 – 1997), Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, 139 – 167.