Eigentum und Staatsbegründung in Kants 'Metaphysik der Sitten' [Reprint 2012 ed.] 9783110926293, 3110181665, 9783110181661

Unlike conventional interpretations of Kant's Rechtslehre, Rainer Friedrich demonstrates that Kant does not derive

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Eigentum und Staatsbegründung in Kants 'Metaphysik der Sitten' [Reprint 2012 ed.]
 9783110926293, 3110181665, 9783110181661

Table of contents :
Vorwort
Einleitung
1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten“
1. Die Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten“
2. Recht und Ethik
3. Rechtsbegriff und Rechtsgesetz
4. Die Einteilung der Rechtspflichten
5. Das angeborene Recht
2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten“
1. Eigentum und Sachenrecht
2. Der rechtliche Besitz
2.1 Der intelligible Besitz
2.2 Das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft
2.3 Das Erlaubnisgesetz
2.4 Deduktion und Anwendung des Begriffs eines intelligiblen Besitzes
2.5 Provisorischer und peremtorischer Besitz
3. Die ursprüngliche Erwerbung
3.1 Begriff und Prinzip der ursprünglichen Erwerbung
3.2 Sachenrecht und Gesamtbesitz
3.3 Ursprüngliche Erwerbung und allgemeiner Wille
3. Kapitel: Die Begründung des Staates in der „Metaphysik der Sitten“
1. Naturzustand und Staat
2. Äußeres Mein und Dein und Staatsimperativ
Literaturverzeichnis
Personenregister
Sachregister

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Rainer Friedrich Eigentum und Staatsbegründung in Kants Metaphysik der Sitten

w DE

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Kantstudien Ergänzungshefte im Auftrage der Kant-Gesellschaft herausgegeben von Gerhard Funke, Manfred Baum, Bernd Dörflinger und Thomas M. Seebohm

146

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Eigentum und Staatsbegründung in Kants Metaphysik der Sitten

Walter de Gruyter · Berlin · New York

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 3-11-018166-5

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < http://dnb.ddb.de > abrufbar.

© Copyright 2004 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandentwurf: Christopher Schneider, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen

Inhaltsverzeichnis Vorwort

VII

Einleitung 1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

1 ...

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1. Die Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten"

19

2. 3. 4. 5.

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Recht und Ethik Rechtsbegriff und Rechtsgesetz Die Einteilung der Rechtspflichten Das angeborene Recht

2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten". .

88

1. Eigentum und Sachenrecht 89 2. Der rechtliche Besitz 95 2.1 Der intelligible Besitz 95 2.2 Das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft 102 2.3 Das Erlaubnisgesetz 110 2.4 Deduktion und Anwendung des Begriffs eines intelligiblen Besitzes 118 2.5 Provisorischer und peremtorischer Besitz 129 3. Die ursprüngliche Erwerbung 134 3.1 Begriff und Prinzip der ursprünglichen Erwerbung 135 3.2 Sachenrecht und Gesamtbesitz 141 3.3 Ursprüngliche Erwerbung und allgemeiner Wille 148 3. Kapitel: Die Begründung des Staates in der „Metaphysik der Sitten" . . .

157

1. Naturzustand und Staat

165

2. Äußeres Mein und Dein und Staatsimperativ

174

Literaturverzeichnis

182

Personenregister

190

Sachregister

192

Vorwort Die ursprüngliche Fassung der vorliegenden Untersuchung wurde im Februar 2003 als Dissertation vom Fachbereich 2 (Philosophie - Geschichte - Theologie) der Bergischen Universität-Gesamthochschule Wuppertal angenommen. Meine Beschäftigung mit Kants Rechtsphilosophie und besonders der Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten" geht auf die Oberseminare von Professor Dr. Manfred Baum in Wuppertal zurück. Er hat diese Arbeit angeregt und kontinuierlich betreut. Hier ist der Ort, um ihm dafür herzlich zu danken. Mein Dank gilt außerdem folgenden Institutionen und Personen: dem Evangelischen Studienwerk Villigst e.V. für ein zweijähriges Promotionsstipendium; den Mitgliedern des deutsch-amerikanischen interdisziplinären DFGGraduiertenkollegs „Collegium Philosophiae Transatlanticum: Subjekt und Person in der Philosophie der Neuzeit", insbesondere dem Kolleg-Sprecher Herrn Professor Dr. Burkhard Tuschling (Marburg) sowie Herrn Dr. Gideon Stiening (Gießen) für die Möglichkeit der Teilnahme und Mitarbeit an diesem internationalen Forschungsprojekt sowie für die Gewährung eines Abschlußstipendiums; ganz besonders Herrn Andreas Thomas, M.A. (Wuppertal) für die intensive und kompetente inhaltliche Kritik meiner Arbeit in einer entscheidenden Phase ihres Entstehens; Herrn Dr. Dieter Hüning (Marburg) fur wichtige Anregungen und die kritische Begleitung meines Dissertationsprojekts; Herrn Professor Dr. Joachim Hruschka (Erlangen) als Zweitkorrektor der Dissertation und für wichtige Hinweise zu Kants Erlaubnisgesetz; Herrn Professor Dr. Jeffrey Edwards (Stony Brook), der die Arbeit im Rahmen des Kollegs als Co-Advisor mit betreut hat; Herrn Professor Dr. Laszlo Tengelyi (Wuppertal), der die mündliche Prüfung mit abgenommen hat; nicht zuletzt meiner Familie - meiner Frau Claudia, meinen Eltern und meiner Großmutter - für die Geduld, die moralische Unterstützung und die Finanzierung des Drucks. Wuppertal, im Oktober 2004

Rainer Friedrich

Einleitung Diese Untersuchung ist dem Fundierungsverhältnis von Kants Eigentumstheorie und seiner Staatstheorie in der 1797 erschienenen Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten" gewidmet. Gewiß ist mit der Frage nach dem Verhältnis von Eigentum und Staat ein Grundproblem der neuzeitlichen Rechtsphilosophie von Hobbes bis Hegel angesprochen. Der Versuch, eine erneute Beschäftigung mit diesem Thema zu rechtfertigen, dürfte daher keinerlei Schwierigkeiten bereiten. Überblickt man aber die Forschungsliteratur der jüngeren Zeit zu Kants Rechtsund Staatsphilosophie1, so stellen sich die Voraussetzungen fur ein solches Unternehmen ganz anders dar. Die vermehrte Aufmerksamkeit, die Kants Rechtslehre in den letzten Jahrzehnten erfahren hat und die sicher noch zunehmen wird, hat die Forschung gerade hinsichtlich des Problems des Übergangs vom Privatrecht 2mm öffentlichen Recht und des Begründungszusammenhangs von Eigentum und Staat um wesentliche Erkenntnisse bereichert. Gerade in dieser Frage scheint ein Konsens vorzuliegen, nach dem die Interpretation des genannten Problems in den Grundzügen feststeht. Eine neuerliche Interpretation der kantischen Rechtslehre unter diesem Gesichtspunkt scheint daher nicht mehr bieten zu können, als eine Synthese und gelegentliche Emendierung der gegebenen Forschungslage. Dies soll hier aber nicht geschehen. Stattdessen soll der angesprochene interpre1

Es sei hier nur auf die wichtigsten Monographien der letzten vier Dekaden verwiesen: George Vlachos, La pensée politique de Kant. Métaphysique de l'ordre et dialèctique du progrès. Paris 1962; Mary J. Gregor, Laws of Freedom. A Study of Applying the Categorical Imperative in the .Metaphysik der Sitten'. Oxford 1963; Jeffrey G. Murphy, Kant: The Philosophy of Right. London 1970; Gertrud Scholz, Das Problem des Rechts in Kants Moralphilosophie. Diss. Köln 1972; Richard Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant. Stuttgart 1973; Reinhardt Brandt, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant. Stuttgart, Bad Cannstatt 1974; Simone GoyardFabre, Kant et le problème du droit. Paris 1975; Gerhard Luf, Freiheit und Gleichheit. Die Aktualität im politischen Denken Kants. Wien, New York 1978; Susan Meld Shell, The Rights of Reason. Toronto 1980; Patrick Riley, Kant's Political Philosophy. Totowa 1983; Howard Williams, Kant's Political Philosophy. New York 1983; Hans-Georg Deggau, Die Aponen der Rechtslehre Kants. Stuttgart, Bad Cannstatt 1983; Kristian Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung. Zur Aktualität der Kantischen Rechts- und Eigentumslehre. Freiburg, München 1984; Claudia Langer, Reform nach Prinzipien. Untersuchungen zur politischen Theorie Immanuel Kants. Stuttgart 1986; Bemd Ludwig, Kants Rechtslehre. Hamburg 1988; Leslie Arthur Mulholland, Kant's System of Rights. New York 1990; Otfried Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien. Frankfurt a. M. 1990: Peter Unruh, Die Herrschaft der Vernunft. Zur Staatsphilosophie Immanuel Kants. Baden-Baden 1993; Wolfgang Kersting, Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1993 (1. Aufl. 1984); Allen D. Rosen, Kant's Theory of Justice. Ithaca, London 1993; Franco Zotta, Immanuel Kant. Legitimität und Recht. Eine Kritik seiner Eigentumslehre, Staatslehre und seiner Geschichtsphilosophie. Freiburg, München 2000; Otfried Höffe, .Königliche Völker'. Zu Kants kosmopolitischer Rechts- und Friedenstheorie. Frankfurt a. M. 2001.

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Einleitung

tatorische Konsens problematisiert und eine grundsätzlich andere Interpretation vorgeschlagen werden. Bevor die Hauptthese der vorliegenden Untersuchung expliziert wird, soll zunächst ein Überblick über die Geschichte der Kantforschung im Hinblick auf die genannte Fragestellung gegeben werden. Es ist zunächst festzuhalten, daß sich die einschlägige Forschung erst sehr spät der Frage nach dem Verhältnis von Eigentum und Staat in Kants Spätwerk zugewandt hat. Dafür lassen sich mehrere Gründe anführen. Zunächst ist die „Metaphysik der Sitten" erst in allerjüngster Zeit im Urteil der Forschung in den Rang eines rechts- und moralphilosophischen Klassikers aufgerückt. Kants Zeitgenossen und vor allem den unmittelbar nachfolgenden Generationen galt sie dagegen vielfach als ein Werk von minderer philosophischer Qualität.2 Es kam hinzu, daß mit den Systemen des deutschen Idealismus die kantische Philosophie insgesamt, insbesondere aber der naturrechtliche Rationalismus und das Vernunftrecht Kants, endgültig überwunden schien und etwa Fichte und Hegel selbst rechtsphilosophische Werke vorgelegt hatten, die die Diskussion im Positiven wie im Negativen beherrschten. So stellten etwa der rechtstheoretische Positivismus und der Historismus genauso eine Reaktion auf Hegels „Naturrecht" dar, wie die materialistische Kritik von Karl Marx. Man sollte meinen, daß die Rückwendung zu Kant in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im sogenannten Neukantianismus auch Kants Rechtsphilosophie wieder stärker in den Mittelpunkt des Interesses gerückt hätte. Dies war aber nur sehr bedingt der Fall. Insbesondere änderte sich an dem grundsätzlich negativen Urteil über die Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten" nichts. Ein Hauptgrund dafür war und blieb das Privatrecht der Kantischen Rechtslehre. Gerade hinsichtlich des Problems der Eigentumsbegründung hatte Kant für eine Lösungsvariante optiert, die schon zu Kants Zeiten wenig Kredit besaß und in der Folgezeit noch viel weniger: die Lehre von der prima occupatio. Bezeichnend ist, daß gerade die Kantianer Kants Eigentumstheorie nicht übernahmen, sondern sich an Lockes Modell einer arbeitstheoretischen Begründung des Eigentums orientierten. 3 Das gleiche gilt für Hegel und Schopenhauer. 4 Es dürfte klar sein, daß eine angemessene Behandlung des Begründungsverhältnisses von Privatrecht und öffentlichem Recht in Kants „Metaphysik der 2

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Geradezu berüchtigt ist Schopenhauers Urteil: „Kants Rechtslehre ist ein sehr schlechtes Buch: es gehört zu seinen spätesten Schriften und ist mir nur erklärlich aus seiner Altersschwäche .... Seine Rechts-Lehre ist durch und durch eine sonderbare Verflechtung einander herbeiziehender Irrthümer" (Arthur Schopenhauer, Metaphysik der Sitten. Philosophische Vorlesungen, Teil IV. Aus dem handschriftlichen Nachlaß herausgegeben von Volker Spierling. München, Zürich, 2. Aufl. 1988, S. 171; vgl. ders., Die Welt als Wille und Vorstellung, 4. Buch, § 62). Vgl. Manfred Brocker, Arbeit und Eigentum. Der Paradigmenwechsel in der neuzeitlichen Eigentumstheorie. Darmstadt 1992, S. 31 Of. Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Frankfurt a. M. 1976 (= Theorie Werkausgabe, Bd. 7), §56; Vgl. Schopenhauer, Metaphysik der Sitten, S. 153.

Einleitung

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Sitten" erst dann möglich war, als Kants Begründung des Eigentumsrechts nicht mehr a priori als verfehlt galt. Aber auch dann blieben noch genügend Einwände übrig, um eine systematische Rezeption der kantischen Eigentumstheorie zu verhindern. So meinte etwa Ernst Cassirer, in Kants Privatrecht einen „immer mehr vorherrschenden Zug[] zur Schematik" feststellen zu können, „der die konkreten Einzelfragen vielfach gewaltsam ein- und untergeordnet werden"5. Cassirers Einschätzung läßt sich diejenige von Wilhelm Metzger an die Seite stellen, derzufolge Kants „Behandlung privatrechtlicher Probleme (Eigentum usw.)" „scholastisch" und „in den schlimmsten naturrechtlichen Traditionen stecken geblieben" sei.6 Eine angemessene Interpretation des begründungstheoretischen Zusammenhangs von Privatrecht und Staatsrecht wird man hier nicht erwarten können. Die erste systematische Einzeluntersuchung des kantischen Privatrechts überhaupt hat Gerd Buchda 1929 vorgelegt.7 Allerdings kommt es im Gefolge des Neukantianismus zu einer ersten kritischen Rezeption und Aneignung der kantischen Rechtsphilosophie8 - wobei bei manchen Autoren ein starker Fichteanischer Einschlag zu bemerken ist. Begünstigt wurde dies durch die Veröffentlichung der handschriftlichen Vorarbeiten zur Rechtslehre aus Kants Nachlaß durch Reicke.9 Wilhelm Metzger scheint der erste gewesen zu sein, der dieses Material zumindest ansatzweise systematisch ausgewertet hat.10 Metzger behauptet daher als erster, daß in der Lehre von den erworbenen Rechten das „logische Zentralproblem"11 von Kants Rechtsphilosophie liege und der Nachweis der realen Möglichkeit des äußeren Mein und Dein die „Hauptaufgabe seiner Rechtslehre"12 sei. Nach Metzgers Analyse lassen sich an Kants Eigentumskonzeption sowohl individuelle als auch soziale „Momente" unterscheiden und diese seien wiederum mit der Unterscheidung von Naturzustand und bürgerlichem Zustand verknüpft. Metzger gelangt in dieser Frage zu keinem eindeutigen Urteil: „Die ganze Auffassung ist ... so kompliziert, daß es schwer zu sagen wäre, ob Kant das Eigentum oder den Staat fur das .frühere' 5 6

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Ernst Cassirer, Kants Leben und Lehre. Berlin, 2. Aufl., 1921 (ND Darmstadt 1994), S. 426. Wilhelm Metzger, Gesellschaft, Recht und Staat in der Ethik des Deutschen Idealismus. Heidelberg 1917 (ND Aalen 1966), S. 81. Gerd Buchda, Das Privatrecht Immanuel Kants (Der erste Teil der Rechtslehre in der Metaphysik der Sitten). Ein Beitrag zur Geschichte und zum System des Naturrechts. Jena 1929. Vgl. etwa Hermann Cohens Untersuchung „Kants Begründung der Ethik nebst ihren Anwendungen auf Recht, Religion und Geschichte" (1. Aufl., 1878; 2. Aufl. 1910). Diese erschienen zuerst in der altpreußischen Monatsschrift und dann sukzessive in drei Heften 1889, 1895 und 1898 unter dem Titel „Lose Blätter aus Kants Nachlaß". Vgl. Gerd Lehmann, Einleitung in die Abteilung des handschriftlichen Nachlasses, in: AA XIV, S. XVII-LXII, bes. S. XVIIIf. Die einschlägigen Vorarbeiten zur Rechtslehre wurden 1955 in Bd. XXIII der AkademieAusgabe abgedruckt. Dies im Gegensatz zu Cohen und zu Joseph Wicke, Kants Rechts- und Staatsphilosophie. Diss. Breslau 1913. Metzger, S. 90. Ebd., S. 93.

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Einleitung

gehalten habe."13 Immerhin ist damit ein klares Bewußtsein des Problems erreicht, um das es auch in der vorliegenden Untersuchung gehen soll. Auch Kurt Lisser14 gelingt es nicht, die von Metzger festgestellte Unklarheit aufzulösen. Zunächst stellt er fest, daß der Staat das Eigentum voraussetzen muß, weil andernfalls Kants naturrechtliche Staatsbegründung zirkulär würde.15 Kant lasse einerseits den Staatsimperativ aus einem Zustand der Rechtlosigkeit hervorgehen (dem Naturzustand), andererseits sei der Staat auf die Sicherung des Rechts als Zweck festgelegt. Also müsse es im Naturzustand ein Recht geben und dieses Recht sei das Eigentum, dessen „Begriff... bei Kant" allerdings „schwer zu charakterisieren" sei.16 Aber nur wenn dieses vorausgesetzt wird, „entstehe damit dann die Pflicht eines jeden, den Naturzustand zu verlassen"17. Somit werde der Staat relativ auf das Eigentumsrecht begründet; „Es besteht also keinerlei Pflicht an sich, in den Staat zu treten".18 Lisser gelangt zu dem Schluß: „Kant deduziert... den Begriff des Staates, indem er ihn nachweist als unumgängliche Bedingung der Möglichkeit des Eigentums." Das Eigentum wird so das „oberste Prinzip" der Staatsbegründung.19 Damit entstehe nun aber ein neues Problem. Diese Staatsdeduktion sei gerade vom Standpunkt der Eigentumsbegründung aus gesehen unbefriedigend, insofern nämlich das Eigentum zunächst (ursprünglich) nur als provisorisches Recht, d.h. im Hinblick auf den Staat, begründet werden kann. Hier zeige sich nun - so Lisser - , daß die Staatsbegründung bei Kant „in einen offenen Zirkelschluß hinausläuft]. Das provisorische Eigentum muß angenommen werden, damit eine Pflicht entstehen kann, es mit Hilfe des Staates in ein peremtorisches zu verwandeln ... . Diese Pflicht aber besteht nur insofern als man vor der bürgerlichen Verfassung oder von ihr abgesehen, ein Eigentum als möglich gesetzt hat."20

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Ebd., S. 96. Vgl. Kurt Lisser, Der Begriff des Rechts bei Kant. Mit einem Anhang über Cohen und Görland. Berlin 1922. 15 Vgl. ebd., S. 33. 16 Ebd., S. 36. 17 Ebd., S. 35. 18 Ebd. Dies ist gewiß nicht Kants Meinung. Die angesprochen Pflicht bestimmt Kant als Rechtspflicht a priori. " Ebd., S. 36; vgl. ebd., S. 38: „Der Staat selbst erzeugt bei Kant den Eigentumsbegriff nicht, er bestimmt auch nicht dessen Art und Grenze: er garantiert es nur." 20 Ebd., S. 36. Die offenkundige Lösung des Problems - daß nämlich die Notwendigkeit des äußeren Mein und Dein bzw. des Eigentums und die Notwendigkeit des Staates unabhängig voneinander im angeborenen Recht fundiert sind - meint Lisser, S. 36f., kategorisch ausschließen zu können, denn ,,[n]icht etwa werden im Naturzustand angeborene und darum aller positiven Rechtsordnung voraufgehende Menschenrechte verletzt, sondern nur jenes nicht positiv-rechtliche und darum naturrechtliche Eigentum, das vom physischen Besitz noch gar nicht unterschieden ist". Nach der hier vertretenen Auffassung ist es aber fllr den Kantischen - wie auch für den Hobbesschen Naturzustand wesentlich, daß darin primär das angeborene bzw. natürliche Recht verletzt wird. 14

Einleitung

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In seiner dem Problem des Widerstandsrechts in Kants Rechtslehre gewidmeten Untersuchung behauptet auch Werner Haensel21 die Abhängigkeit des Staatsimperativs vom Privatrecht. Gegenüber Lisser, dessen Zirkularitätsvorwurf er zurückweist, präzisiert er aber, daß sich die Notwendigkeit, in einen Zustand öffentlichen Rechts einzutreten, nicht nur speziell im Hinblick auf das (provisorische) Eigentumsrecht ergibt, sondern generell aus dem (provisorischen) äußeren Mein und Dein. „Aus der Möglichkeit, im äußeren Mein und Dein durch Gewalt beeinträchtigt zu werden, folgert Kant ,ein Recht, jedermann, mit dem wir irgend auf eine Art in Verkehr kommen könnten, zu nötigen, mit uns in eine Verfassung zusammenzutreten, worin jenes gesichert werden kann'."22 Durch die Zurückfuhrung der Begründung des Staates auf die Notwendigkeit des äußeren Mein und Dein gelangt Haensel zu der These, daß der status civilis im rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft und - vermittelt dadurch - letztlich im angeborenen Recht fundiert sei. Der Staat sei „gerechtfertigt, indem er als die notwendige Bedingung der Verwirklichung des Postulats eines äußeren Mein und Dein ... erwiesen ist, das seinerseits wieder als Ausfluß der Idee der äußeren Freiheit des Menschen ... Notwendigkeit besitzt."23 Die Möglichkeit einer direkten Begründung des Staates als „Ausfluß der Idee der äußeren Freiheit des Menschen" bleibt bei Haensel unberücksichtigt. In seiner eher verständnislosen Analyse des Verhältnisses von Recht und Ethik bei Kant gelangt Rudolf Dünnhaupt24 wiederum zu keinem eindeutigen Ergebnis hinsichtlich des Begründungsverhältnisses von Eigentum und Staat in der „Metaphysik der Sitten". Grundsätzlich sieht Dünnhaupt in diesem Werk eine unaufgelöste Spannung zwischen Kants Konzeption des Naturzustandes und dem Staat als apriorischer Vemunftidee.25 Dünnhaupt unterläßt es leider, eine mögliche begründungstheoretische Funktion des provisorischen Rechts herauszuarbeiten. Daher kommt er nur zu allgemeinen Aussagen bezüglich des Vorrangs des natürlichen Privatrecht: „erst durch die bürgerliche Verfassung sind überhaupt Rechtsverhältnisse möglich"; „Der Gedanke des Privatrechts, des Verhältnisses des äußeren Mein und Dein, fuhrt Kant... zum öffentlichen Recht und zum Staate als Garanten des Rechts."26 Inwieweit dadurch eine Pflicht zum Staat begründet ist, bleibt unklar. Offensichtlich sieht Dünnhaupt dies im Kontrast zur - von Kant angeblich ebenfalls vertretenen - naturrechtlichen Auffassung des „aus der Not heraus geborenen Staates." Diese Auffassung hat allerdings keinerlei Bezug zum 21

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Werner Haensel, Kants Lehre vom Widerstandsrecht. Ein Beitrag zur Systematik der Kantischen Rechtsphilosophie (=Kant-Studien Ergänzungsheft Nr. 60). Berlin 1926. Ebd., S. 41. Ebd. Rudolf Dünnhaupt, Sittlichkeit, Staat und Recht bei Kant. Autonomie und Heteronomie in der Kantischen Ethik. Diss. Greifswald 1926. Ebd., S. 107. Ebd., S. 81.

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Einleitung

Eigentum: Dem Staat „wird die Aufgabe, die durch den Gebrauch der Vernunft erlangte Freiheit - und das einzige natürliche Recht des Menschen zugleich - , die aber eine durch nichts als die Grenze der Macht behindernde Freiheit und völlig ohne Regel war, in eine gesetzmäßige Freiheit zu verwandeln."27 Gänzlich verfehlt, weil von einem unangemessenen Rechtsverständnis ausgehend, ist die Interpretation von Gustav Adolf Walz.28 In der Trennung von Privatrecht und öffentlichem Recht in Kants Rechtslehre zeige sich „der ganze unüberbrückbare Gegensatz des alten individualistischen Naturrechts und des positivistischen Gemeinschaftsrechts". Während nämlich ,,[d]as Kantische Privatrechtssystem ... ganz und gar 18. Jahrhundert mit all seiner naturwissenschaftlichen, liberalistischen Rechtsmethodik reinster Ausprägung" sei, verkünde „sein System des öffentlichen Rechts ... erst den Absolutismus des Rechts" und setze somit dem „Rechtsabsolutismus den Absolutismus des Zwecks und der Macht entgegen."29 Dieser Zwiespalt könne von Kant nicht überbrückt werden und kennzeichne vor allem Kants Staatsbegriff: „Einmal erscheint der Kantische Staat als der volle Träger der heiligen Rechtsordnung in höchster Würde ...; dann aber erscheint er an anderer Stelle wieder als bloße Krücke des vor ihm vorhandenen Privatrechts ,.."30. Walz gelingt es nicht, Eigentumsbegründung bzw. Privatrecht und Staatsbegründung bzw. öffentliches Recht in einen einsichtigen Zusammenhang zu bringen, indem er lediglich eine unlösbare Spannung zwischen den in beiden gelegenen heterogenen Rechtskonzeptionen (einer romanistisch-individualistischen und einer germanistisch-kollektivistischen) feststellt. In Wirklichkeit schreibt Kants öffentliches Recht jedoch nicht das ius publicum des Alten Reiches fort, sondern das rationalistische Staatsrecht von Thomas Hobbes. Dieses steht aber gerade nicht notwendig im Gegensatz zu der von Kant festgestellten Notwendigkeit eines individuellen äußeren Mein und Dein. Nach dem zweiten Weltkrieg hat die „Metaphysik der Sitten" - und damit auch Kants Privatrecht - eine beträchtliche Aufwertung in der Kant-Forschung erfahren. 1958 stellt Julius Ebbinghaus fest: „Die kantische Konstruktion des Privatrechts ... steht heute noch als ein einsamer, unbezwungener und unbearbeiteter Block da, fur den sich höchsten Kantforscher interessieren."31 Die Grundlage von Kants Privatrechtskonstruktion bilde dabei das „Recht der Menschheit", d.h. das angeborene Recht.32 Leider hat Ebbinghaus es unterlassen, den „Block" selbst zu 27 28 29 30 31

32

Ebd., S. 64. Gustav Adolf Walz, Die Kantische Staatsphilosophie. Diss. Tübingen 1928. Ebd., S. 201. Ebd., S. 211. Julius Ebbinghaus, Die Idee des Rechts, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2: Philosophie der Freiheit. Praktische Philosophie 1955-1972, hg. v. Georg Geismann und Hariolf Oberer. Bonn 1988, S. 141-198, S. 166. In der Tat gab es zu diesem Zeitpunkt kaum Untersuchungen, die sich speziell mit Fragen des Kantischen Privatrechts befassen. Zu nennen ist hier außer der Arbeit von Buchda: C. A. Emge, Das Eherecht Immanuel Kants, in: Kant-Studien 29 (1922), S. 243-279. Ebbinghaus, Die Idee des Rechts, S. 166.

Einleitung

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bearbeiten. Was aber die Begründung des Staates angeht, so plädiert er eindeutig für eine Konzeption, die das äußere Mein und Dein bzw. das Eigentum nicht voraussetzt. Stattdessen ergebe sich aus dem Prinzip des Menschenrechts unmittelbar die staatsrechtliche Konsequenz. Das ,,Recht[] der Menschheit auf Einschränkung der äußeren Freiheit eines jeden auf die Bedingungen der Vernunft" ist das eigentliche Recht des Rousseauschen Contrat social. Durch das kantische Menschenrecht wird der Vertrag nicht nur möglich, sondern sogar praktisch notwendig. Erst durch den Staatsvertrag bzw. durch die Etablierung einer öffentlichen Gesetzgebung unter der Idee eines allgemeinen Willens ist die in der Rechtsidee enthaltene Bedingung der wechselseitigen Einschränkung der äußeren Freiheit auf die Bedingung ihrer gesetzlichen Übereinstimmung erfüllt. Ein Recht zu haben ist daher gar nicht anders denkbar, als in einem solchen öffentlich-rechtlichen Zustand. Dies betrifft aber nur die Wirklichkeit des Rechts. Dagegen ist das „Prinzip des Rechtes der Menschheit" nach Ebbinghaus bei Kant sowohl Prinzip des Staatsvertrags, als auch „Prinzip aller möglichen Rechte der Menschen einschließlich ihrer privaten Rechte".33 Daraus folgt, daß sich Privatrecht und öffentliches Recht ihrer Geltung nach unabhängig voneinander begründen lassen (indem sie nämlich beide aus dem Recht der Menschheit ableitbar sind). Zugleich aber ist das äußere Mein und Dein und insbesondere das Eigentum seiner Wirklichkeit nach vom Staat abhängig. Es ist genau diese Ebbinghaussche Einsicht in das Begründungsverhältnis von Eigentum und Staat, die in der vorliegenden Untersuchung weiter ausgearbeitet werden soll. Im Gegensatz zu Ebbinghaus hat sich in der jüngeren Kant-Interpretation aber die These vom begründungstheoretischen Primat des Eigentums vor dem Staat weitestgehend durchgesetzt. Hinzu kommt, daß Kant nicht nur in philosophischsystematischer Perspektive, sondern gerade auch in historischer oder ideologiekritischer Hinsicht als ein Vertreter des Liberalismus bzw. einer besitzindividualistischen Gesellschafts- und Staatskonzeption erscheint.34 33 34

Ebd., S. 165f. Auf die Beurteilung von Kants politischem Denken seitens der Geschichtswissenschaft soll hier nicht näher eingegangen werden. Einige Hinweise sollen genügen. So hat Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848. 2. Aufl., Stuttgart 1975, eine Einordnung der Position Kants in den Kontext der preußischen Reformbestrebungen vorgenommen. Obwohl eine Übereinstimmung in den Zielvorstellungen bestehe, urteilt Koselleck, sei Kants Rechtslehre doch „voller Vorbehalte gegen das Landrecht" (ebd., S. 154). Tatsächlich gingen Kants Vorstellungen noch über die in dem Gesetzeswerk manifest gewordene Liberalisierung der Sozialordnung hinaus. Die Grenzen von Kants sozial- und verfassungsreformerischen Intentionen zeigten sich aber alsbald im politischen Bereich. Während Kant etwa für die Bauernbefreiung im Rahmen einer Agrarreform und gegen den Fideikommiss plädiert, bezeichnet Koselleck, S. 369f., die Allianz von „Adel und oberem Bürgertum" gerade im ostpreußischen Landtag als „sozial sichtbares Vermächtnis der Königsberger Aufklärung der Kant und Kraus". Die politische Ausgrenzung der besitzlosen Unterschichten bildete bekanntlich für Kant keinen Einwand gegen den Vemunftstaat der Freiheit. Das Verhältnis von Kant zum politischen Liberalismus beurteilt Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-

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Einleitung

Auf einer rechtsphilosophisch-systematischen Ebene macht Richard Saage in seiner Untersuchung von Kants politischer Philosophie35 nachdrücklich auf das problematische Verhältnis von Erlaubnisgesetz und Rechtsgesetz in der „Metaphysik der Sitten" hinsichtlich der Begründung von Eigentum und Staat aufmerksam: Ist der Staat durch das Rechtsgesetz einerseits auf die wirksame Herstellung allseitiger äußerer Freiheit durch die öffentliche Gesetzgebung festgelegt, so scheint das Erlaubnisgesetz andererseits zugleich eine (privatrechtliche) Befugnis zu geben, die Freiheit aller anderen durch unumschränkte Sachaneignung nach Belieben einzuschränken. Diese Spannung werde von Kant - so Saages Interpretation - zugunsten des Privatrechts aufgelöst. Dabei gehe Kant zwar „nicht so weit wie Locke, daß er jede kontraktualistische Bindung des Privateigentums überhaupt leugnete. Gleichwohl befindet sich doch offensichtlich die volonté générale gegenüber der privaten Verfügung über Eigentum in einer ,dienenden' Rolle: sie sanktioniert dieses rechtlich im nachhinein und übt erst in zweiter Linie auf es einen gewissen korrigierenden Einfluß aus." Damit verlagere sich „eindeutig das Schwergewicht auf das besitzindividualistische Moment des Eigentumsbegriffs." 36 Dem allgemeinen Willen, den Kant sowohl als Prinzip der Erwerbung, als auch der staatlichen Gesetzgebung auffaßt, komme bei der Eigentumsbegründung keinerlei konstitutive Funktion zu. Indem Kant daher einerseits „dem Privateigentum als ,Habe' durch dessen Fundierung in der Sphäre des Intelligiblen eine geradezu absolute Dignität [verleiht], die sich jeder strukturellen Relativierung durch soziale Bindung entzieht" und er andererseits „unter dem Aspekt der ,Erwerbung' ... eindeutig das besitzindividualistische Moment der privaten Disposition über Eigentum" betont, gehe „eine Inteipretation, die darauf, [das Eigentum] in mehr oder weniger modifizierter Form als creatio ex nihilo der volonté

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1866. Bürgerwelt und starker Staat. 3. Aufl., München 1985, S. 286, zurückhaltender. Nach seiner Auffassung hat die politische liberale Bewegung in Deutschland Kant nur in einem „ganz allgemein ,metapolitischen l Sinn" beerbt. Auf die eminent politische Stoßrichtung der Kantischen Theorie macht dagegen Hartwig Brandt, Der lange Weg in die demokratische Moderne. Deutsche Verfassungsgeschichte von 1800 bis 1945, Darmstadt 1998, aufmerksam, indem Kants Lehre nämlich die Demarkationslinie zwischen Demokratismus und Liberalismus markierte. So trat Kant mit seiner in den 1790er Jahren entwickelten „Theorie des Kontraktstaates der Eigentümer ... aus dem preußischen [aufgeklärt-abolutistischen] Gehäuse heraus", indem die „Gesamtheit der Eigentümer, der ökonomisch Selbständigen, ... den Staat konstituieren" sollte. Und weiter: „Nicht schon die Vemunftfähigkeit der Individuen als solche bilde den Grundstock des Staates, sondern die Beglaubigung der Vernunft durch ein materielles Substrat, durch Besitz. Es war dies der Punkt, wo die Aufklärung der radikal-politischen Denkart an die Grenzen ihrer Veränderungsmacht geriet oder doch der Liberalismus des Besitzes ihrer Veränderungsmacht Grenzen setzte" (ebd., S. 10f ). Daß allerdings diese Grenzen bei Kant philosophisch ausreichend begründet sind, soll in der vorliegenden Untersuchung bestritten werden. Richard Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant; vgl. auch ders., Besitzindividualistische Perspektiven der politischen Theorie Kants, in: ders., Vertragsdenken und Utopie. Studien zur politischen Theorie und zur Sozialphilosophie der Neuzeit. Frankfurt a. M. 1989, S. 192-234. Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft, S. 59.

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générale, die im Staat sich aktualisiert, [ausgiebt], ... an den Intentionen Kants vorbei."37 Dem Staat komme in Bezug auf die Gesellschaft bzw. die Eigentumsordnung lediglich eine „reine Polizei- bzw. Ordnungsfunktionen"38 zu. Eine weitere Konsequenz von Kants politischer Theorie sei es dann, daß er nicht mehr zwischen citoyen und bourgeois unterscheidet bzw. beide miteinander identifiziert: Nur der Besitzbürger (bourgeois) ist als Mitgesetzgeber (citoyen) qualifiziert.39 Wie unbefriedigend eine solche Interpretation - bei aller berechtigten Kritik, die sie an Kants Rechtslehre als politischer Theorie übt - in systematischrechtsphilosophischer Hinsicht letztendlich doch bleibt, zeigt beispielhaft die Untersuchung von Franco Zotta40, der interpretatorisch in den von Saage vorgegebenen Bahnen bleibt. Zotta sieht in Kants Rechtslehre ein „totalitär vorgestelltes Primat des Privateigentums"41 gegeben. Der naturrechtliche Privatbesitz werde dabei faktisch durch den „Vemunfttitel der Erwerbung", d.h. die Idee des allgemeinen Willens, gar nicht bzw. nur auf das Kriterium der Priorität der Zeit eingeschränkt. Eigentlich aber sei das „Aneignungsrecht ... infolge des Postulats der rechtlich-praktischen Vernunft prinzipiell unbeschränkt,"42 Nun sieht Zotta das „Hauptmovens" der Individuen im Naturzustand, Jenen Zustand zu verlassen und einen Staat mittels Gesellschaftsvertrag zu gründen" in der „Konservierung und Sicherung der vorbürgerlichen Vergesellschaftungsform, namentlich der entstandenen Eigentumsverhältnisse"43. „Der Eintritt in die bürgerliche Gesellschaft hat ... ausschließlich die Sicherung der vorbürgerlichen Verhältnisse, d.h. primär des Eigentumsbestandes, zum Zweck."44 Mit diesem „Aufweis der Notwendigkeit der Gründung eines bürgerlichen Rechtsstaates" sei die „Verklärung des rationalen, isolierten Egoisten zum Bürger und damit zum Menschen überhaupt abgeschlossen. Der nur sein Eigeninteresse verfolgende und zur Gemeinschaft gezwungene Bürger, der im Naturrecht auf Privateigentum seine Freiheit realisiert sieht, wird zum prototypischen Vertreter der menschlichen Gattung."45 Zotta verkennt dabei jedoch völlig, daß es sich bei Kants Rechtslehre um eine naturrechtliche Pflichtenlehre handelt Kant geht es nicht um die Frage, warum (aus welchem Beweggrund) die Individuen in einen status civilis eintreten. Sondern er will begründen, daß und warum sie es nicht nur sollen, sondern auch dazu gezwungen werden können. Der Staatsimperativ ist bei Kant keine Klug37 38 39 40

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Ebd., S. 75. Ebd., S. 98. Vgl. ebd., S. 123. Franco Zotta, Immanuel Kant. Legitimität und Recht. Eine Kritik seiner Eigentumslehre, Staatslehre und seiner Geschichtsphilosophie. Freiburg, München 2000. Ebd., S. 95. Ebd., S. 96f. Ebd., S. 103. Ebd., S. 101. Ebd., S. 104.

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heitsregel, sondern eine Rechtspflicht a priori. Daß sie objektiv dazu gezwungen werden können, liegt einerseits am Rechtsgesetz bzw. an der Art der juridischen Gesetzgebung, andererseits daran, daß Zwang und Recht analytisch im Begriff des letzteren verknüpft sind. Daß es aber auch eine subjektive Befugnis gibt, andere zu zwingen, mit mir in einen rechtlichen Zustand zu treten, liegt daran, daß ich mich mit ihnen ursprünglich in einem (Natur-)Zustand befinde, in dem niemand des Seinen (sowohl des inneren, als auch des äußeren) sicher sein kann. Da ich nun selbst „innerlich", d.h. durch das Recht der Menschheit in meiner Person verpflichtet bin, mich von anderen nicht rechtlich entehren zu lassen, ist es nicht nur klug, den Naturzustand zu verlassen, sondern praktisch notwendig. In der von Zotta im Anschluß an Saage vorgetragenen handlungstheoretischen Rekonstruktion des kantischen Staatsarguments wird diese moralphilosophisch-metaphysische Fundierung der Rechtslehre vollständig unterschlagen. Tatsächlich behandelt Zotta in seiner Untersuchung weder die Rechtspflichten a priori noch das Recht der Menschheit. Gleichermaßen gegen die Interpretation von Saage gerichtet, versuchen Gerhard Luf 46 und Kristian Kühl in ihren Untersuchungen - in jeweils verschiedener Perspektive - die vernunftrechtlichen Restriktionen der privatrechtlichen Aneignungsbefugnis bei Kant herauszustellen. Beruft Luf sich auf die Gleichheit, so Kühl auf die Freiheit als regulierendes Prinzip. Beiden stellt sich das Problem von Eigentum und Staat aber weniger als vernunftrechtlich-systematisches Problem, denn als Problem des Verhältnisses von Naturrecht und positivem öffentlichem Recht. Gefragt wird, welche Befugnisse der Staat in Bezug auf die naturrechtlich begründete Eigentumsordnung haben kann oder haben muß. Luf zufolge ist in Kants Vernunftrecht die Forderung leitend, „daß alle Formen sozialer Gestaltung auf einen obersten Zweck: die Ermöglichung individueller Autonomie, bezogen werden müssen. Nur dann sind sie legitim."48 Demnach solle das „Eigentum ... dazu dienen, daß der Mensch in seiner Freiheit als Zweck an sich selbst anerkannt... wird."49 Die Funktion des Eigentums hinsichtlich der Herstellung gleicher Autonomie äußere sich darin, daß die Gesellschaftsglieder in die Lage versetzt werden, „ihre soziale Position durch verantwortliches, durch die eigene Leistung geprägtes Handeln selbst zu bestimmen."50 Ein Vorrang des Staates gegenüber dem Eigentum läßt sich daraus aber nicht ableiten. Stattdessen konstatiert Luf auf der Ebene der philosophischen Theorie eine prinzipielle Einheit von Privatrecht und öffentlichem Recht. 46

Gerhard Luf, Freiheit und Gleichheit. Die Aktualität im politischen Denken Kants. Wien, New York 1978. 47 Kristian Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung. Zur Aktualität der Kantischen Rechts- und Eigentumslehre. Freiburg, München 1984. 4 ' Luf, S. 132. 4 ' Ebd., S. 130. 50 Ebd.

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Kühls Argument trifft Kants Intention ziemlich genau. Grundsätzlich ist vom Naturzustandsargument auszugehen. Die Notwendigkeit der Staatserrichtung ergebe sich aus einem „Widerspruch der äußeren Freiheit und es sei das „angeborene Recht des Menschen", das die Etablierung einer das Recht sichernden Gewalt fordert.51 „Alleinige Aufgabe des Staates ist der Rechtsschutz".52 Dabei sind Recht und Eigentum nicht identisch, sondern ,,[w]ie schon die nackte äußere Freiheit in ihrer Konsequenz zu einer souveränen staatlichen Gewalt strebt, verlangt auch das Eigentumsrecht nach einem bürgerlichen Zustand ,unter einer allgemeinen äußeren (d.i. öffentlichen) mit Macht begleiteten Gesetzgebung'. Und wie schon zur Sicherung seiner äußeren Freiheit jeder jeden andern zum Beitritt zu diesem Rechtsstaat zwingen darf, so ist es ihm auch wegen seines Eigentums erlaubt, jeden anderen, mit dem es zum Streit des Mein und Dein über ein solches Objekt kommt, zu nötigen, mit ihm zusammen in eine bürgerliche Verfassung zu treten'." 53 Eine an historischen Problemen orientierte Darstellung von Kants politischer Theorie hat Claudia Langer54 gegeben. Ihr geht es um Kants Verhältnis zu den preußischen Reformen. Dabei wird von der Übereinstimmung des Kantischen Konzepts einer „Reform von oben" mit der Praxis der preußischen Reformer um Svarez, Altenstein, Stein und Hardenberg ausgegangen und die Frage nach dem Bedingungsverhältnis von (philosophischer) Theorie und (reformerischer) Praxis gestellt. Es sei wesentlicher Bestandteil des kantischen Reformismus, daß einerseits ein natürliches „Recht des Individuums auf Eigentum, das der Staat zu respektieren hat", angenommen werden muß und andererseits ein „Recht des Staates auf Veränderung der gegebenen Eigentumsordnung nach einer kontraktualistisch konzipierten Gerechtigkeit, dem sich das Individuinn unterordnen muß."55 Daraus ergebe sich eine entsprechende doppelte Staatszweckbestimmung bei Kant, indem der Zweck des Staatsvertrags einmal die Sicherung der Rechtsordnung, sodann aber auch die Herstellung einer gerechten Ordnung überhaupt ist.56 Die Eigentumsordnung ist dann „Teil der Verfassung in melius mutabilis"57. Ein Vorrang des einen oder des anderen Rechtsinstituts läßt sich innerhalb dieser Konzeption aber gerade nicht ausmachen, da sie gerade von der Dialektik von Rechtsidee und Rechtswirklichkeit lebt.58

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* 57 58

Kühl, S. 163 f. Ebd., S. 166. Ebd., S. 162f. Claudia Langer, Reform nach Prinzipien. Untersuchungen zur politischen Theorie Immanuel Kants. Stuttgart 1986. Ebd., S. 24. Ebd., S. 64ff. Ebd., S. 24. Vgl. ebd., S. 13.

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Ebenfalls dialektisch interpretiert Hans-Georg Deggau59 das Verhältnis von Eigentum und Staat bei Kant. Nach Deggau erweist sich das „entwickelte Privatrecht ... nur als Moment der Totalität des Rechts. Es ist mangelhaft und unvollständig. Aus diesem Mangel geht das Postulat des öffentlichen Rechts hervor, welches ihn aufheben soll. ... Der staatliche Zustand des Rechts ist die Negation der Negativität des Naturzustandes. In ihm erscheint als nur individuell, was wesensmäßig allgemein ist. Systematisch ist das Postulat die Forderung der Negierung des Naturzustandes und bedeutet im Ergebnis die Aufhebung seines Ungenügens im Staat.... Es negiert aber nicht die Gesetze von Erwerb und Verlust des Eigentums, sondern deren Machtlosigkeit. ... Das Privatrecht allein erfüllt den Anspruch der Vernunft nicht. Erst das Postulat erhält die Forderung der Herstellung von dem Vernunftbegriff genügenden Verhältnissen, die die private Gewalt und Willkür ausschließen. ... Erst in der Entwicklung des Übergangs zum Staat werde der apriorische Rechtsbegriff erfüllt und gewinnt Wirklichkeit. Die Rechtslehre kann ohne Staatslehre so wenig bestehen wie eine isolierte privatrechtliche Eigentumslehre. Der Rechtszustand ist ohne Staat oder außerhalb des Staates nicht vorstellbar: Der Staat ist die Bedingung des Rechts."60 Dieses Argument spricht nicht eindeutig für ein begründungstheoretisches Primat des Staates. Deggau verweist darauf, daß die Auflösung der „Verbindlichkeit des Eigentums" die „Vernichtung des Privatrechts und die Unmöglichkeit der Staatsableitung" bedeuten würde.61 Ein ernstzunehmendes philosophisches Argument für das Primat des äußeren Mein und Dein bei der Staatsbegründung hat Reinhard Brandt in seinen einschlägigen Arbeiten gegeben. Sie bilden auch die Grundlage fur die Interpretationen anderer Autoren, die bezüglich des Begründungsverhältnisses von Eigentum und Staat zu einem ähnlichen Ergebnis kommen wie er. Für Brandt ist - im deutlichen Kontrast etwa zu Ebbinghaus62 - nicht das angeborene Recht der Menschheit, 59 60 61 62

Hans-Georg Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants. Stuttgart-Bad Cannstatt 1983. Ebd., S. 2 3 6 Í Ebd., S. 240. Reinhard Brandt, Das Erlaubnisgesetz, oder: Vernunft und Geschichte in Kants Rechtslehre, in: Rechtsphilosophie der Aufklärung. Symposium in Wolfenbuttel 1981, hg. v. Reinhard Brandt. Berlin, New York 1982, S. 233-285, S. 237, wendet sich ausdrücklich gegen die Position von Ebbinghaus, indem er auch dessen Interpretation der freiheitstheoretischen Grundlagen von Kants Rechtslehre zurückweist: „Ebbinghaus begeht den ... verhängnisvollen Fehler in der unmittelbaren Anwendung des allgemeinen Rechtsgesetzes auf das öffentliche Recht nach dem Vorbild des Rousseauschen Contrat social. ... Durch die Ausklammerung der Freiheitsbegründungsproblematik und der Begründung der Möglichkeit des äußeren Mein und Dein nimmt Ebbinghaus faktisch eine Rückdatierung der Kantischen Rechtslehre in die analytische Schulphilosophie vor. Dieser Anachronimus ermöglicht es, Probleme des Mein und Dein als Funktion des öffentlichen Rechts und nicht umgekehrt das öffentliche Recht als Funktion des - vielleicht problematischen Mein und Dein zu behandeln. Kants System des Gleichgewichts wird einseitig etatistisch interpretiert und gegen das transzendentalphilosophische tertium datur ein analytisches Deduktionsverfahren geltend gemacht, das das Zurück zu Kant in ein Zurück vor Kant verwandelt." (Zur diesbezüglichen Kritik an Ebbinghaus und den „Ebbinghausianem" vgl. auch: ders., Person

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sondern das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft, das sich auf die Notwendigkeit des äußeren Mein und Dein bezieht, „das einzig mögliche Fundament einer Rechtslehre" 63 und diese „ist wesentlich eine Lehre des äußeren Mein und Dein." 64 Daraus ergibt sich konsequenterweise, daß auch die Notwendigkeit der Staatsgründung im Privatrecht, d.h. im äußeren Mein und Dein, wurzelt: „der Übergang vom status naturalis in den status civilis wird vom Postulat bzw. Erlaubnisgesetz des §2 getragen" 65 , allerdings fungiert es dabei als „ratio fiendi des öffentlichen Rechts"; seine „ratio essendi" sei dagegen das „suum überhaupt", „also internum und externum". 66 Diese letztere - eigentlich zutreffende - Behauptung wird von Brandt jedoch relativiert, wenn er den von Kant ausdrücklich vertretenen „analytischen Charakter des Übergangszwanges" nur unter der Voraussetzung der „Synthesis des Postulats von §2" akzeptiert. 67 D.h. daß nach Brandt die Befugnis, andere zum Eintritt in den status civilis zu zwingen, analytisch (durch den Begriff des Rechts selbst) nur aus dem äußeren Mein und Dein folgt. In der Trennung von innerem und äußerem Mein und Dein liegt Brandt zufolge eine Schwierigkeit, der Kant an entscheidenden Stellen nicht immer gerecht geworden ist. Daraus ergibt sich das Problem einer doppelten Option für die Staatsbegründung. Der Staat ist auch nach Brandts Auffassung „faktisch und rechtlich selbstverständlich" auch fur das innere Mein „zuständig, er wird jedoch in seiner notwendigen Funktion nur im Hinblick auf das letztere entwickelt. Kants Staat ist kein Leviathan, der die gefährdeten Körper der Bürger in sich schützend aufnimmt, sondern ist konzipiert als ein liberales Rechtsgefuge, das sich wesentlich und eigentlich nur auf die einheitliche Regelung des Eigentums bezieht." 68 Insbesondere muß eingeräumt werden, daß das exklusiv öffentlich-

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und Sache. Hobbes ' „jus omnium in omnia et omnes " und Kants Theorie des Besitzes der Willkür einer anderen Person im Vertrag, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 47 (1998), S. 887-910; S. 907) Das von Brandt hier ins Feld geführte „transzendentalphilosophische tertium datur" repräsentiert genau den interpretatorischen Konsens, um dessen Problematisierung es in der vorliegenden Untersuchung geht. Mit Brandts Ebbinghaus-Kritik ist nun aber der Diskussionsrahmen aufgespannt, innerhalb dessen sich die folgende Diskussion der Rechtslehre Kants bewegen wird. Im übrigen darf unter Hinweis auf die aktuellen Entwicklungen der Rechtsphilosophie gerade wo sie sich auf Kant beruft - bezweifelt werden, daß durch die „Ausklammerung der Freiheitsbegründungsproblematik und der Begründung der Möglichkeit des äußeren Mein und Dein" notwendig ein Rückfall in das vorkantische Naturrecht verbunden sei. Als Belege dafür, daß dem nicht so ist, kann etwa auf die einschlagigen systematischen Arbeiten von Otfried Höffe und sogar auf diejenigen von Wolfgang Kersting, der gerade bezüglich der hier interessierenden Fragestellung die Ansicht von Brandt teilt, verwiesen werden. Brandt, Eigentumstheorien, S. 187. Brandt, Das Erlaubnisgeset:, S. 259. Ebd., S. 234. Ders., Person und Sache, S. 905, spricht von einer „Brückenfunktion" des gesamten 1. Hauptstücks des Privatrechts (d.i. der Besitzlehre) zwischen dem Privatrecht und dem öffentlichen Recht, wofür nicht nur das Postulat und das Erlaubnisgesetz in Anschlag zu bringen sind, sondern auch die Differenzierung von provisorischem und peremtorischem Besitz. Brandt, Das Erlaubnisgesetz, S. 234. Ebd., S. 267. Brandt, Person und Sache, S. 907.

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rechtliche Institut der Strafe und der damit verknüpfte Begriff der Strafgerechtigkeit eigentlich dazu „zwingt, die Basis des Staats nicht nur im Privatrecht mit seinem äußeren Mein und Dein zu suchen, sondern auch im inneren Mein und Dein, denn die angeborene Ehre und der eigene Körper eines jeden (das innere Seine) unterliegen ebenfalls der staatlichen Strafgerichtsbarkeit."69 Gleichwohl lautet das Resumée von Brandts Position: ,,[D]er Kantische Staat von 1797 ... [hat] nur das äußere Mein und Dein zu seiner Grundlage .... Er setzt das Privatrecht mit seinen drei Formen des Besitzes voraus und unternimmt es, das Seine eines jeden - d.h. das äußere zufallige Seine - gesetzlich zu bestimmen ... und zu schützen. Der Staat wird konzipiert als ein Staat des äußeren Besitzes (nicht des Eigentums, das nur den Besitz an Sachen ausmacht) - diese theoretische Entscheidung Kants ist eindeutig."70 Wolfgang Kersting hat sich in seiner inzwischen klassischen Gesamtinterpretation der Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten" eine „umfassende philosophische Rehabilitierung der Rechtsphilosophie Kants"71 zum Ziel gesetzt. Dabei hat er insbesondere betont, daß Kant mit seiner „transzendentalphilosophischen Eigentumsbegründung eine letzte philosophische Großtat gelungen"72 sei. Die darin enthaltene „veraunftrechtliche Eigentumstheorie" bildet den „rechtsphilosophischen Grund für seine Staatsphilosophie".73 Nach Kerstings Überzeugung hat „[k]ein Philosoph ... jemals Eigentum und Staat so eng miteinander verknüpft wie Kant"74; beide Begriffe stehen in einem „Verhältnis der wechselseitigen systematischen Abhängigkeit"75. Ist einerseits das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft die „normative Grundlage einer freiheitsgesetzlichen Regelung des Verhältnisses der Menschen zueinander hinsichtlich des Gebrauchs von Sachen"76, so erhebt Kant andererseits „die a priori vereinigte Willkür in den Rang einer notwendigen Rechtsbedingung des Eigentums."77 Wie Brandt, so behauptet auch Kersting die „Verankerung der rechtlichen Notwendigkeit des Staates im 69

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Reinhard Brandt, Gerechtigkeit und Strafgerechtigkeit bei Kant, in: Kant in der Diskussion der Moderne, hg. v. Gerhard Schönrich u. Yasushi Kato. Frankfurt a. M. 1996, S. 425-463, S. 440. Reinhard Brandt, Die politischen Institutionen bei Kant, in: Politische Institutionen im gesellschaftlichen Umbruch, hg. v. G. Göhler, K. Lenk, H. Münkler u. M. Walther. Opladen 1990, S. 335-357, S. 345; vgl. ders., Freiheit, Gleichheit, Selbständigkeit bei Kant, in: Die Ideen von 1789 in der deutschen Rezeption, hg. v. Forum fiir Philosophie Bad Homburg. Frankfurt a. M. 1989, S. 90127, S. 113: „Kant stellt den Staat auf die Prinzipien des äußeren Menschenrechts." Wolfgang Kersting, Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie (Taschenbuchausgabe). Frankfurt a. M. 1993, S. 88. Ebd., S. 91. Wolfgang Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags. Darmstadt 1994, S. 186. Ebd., S. 192. Ebd., S. 193. Diese Auffassung wird geteilt von Georg Römpp, Exeundum esse e statu naturali. Kants Begriff des Naturrechts und das Verhältnis von privatem und öffentlichem Recht, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 74 (1988), S. 46M76. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 92. Ebd., S. 93.

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natürlichen Privatrecht", wobei zugleich die naturrechtliche Begründung des Staates durch den Contrat social in den Hintergrund tritt.78 Der Staat ist aber nicht bloß äußerlich (als Schutzanstalt) - wie bei Locke und auch bei Humboldt - auf das Eigentum bezogen, sondern er ist „als zu aktualisierende Geltungsbedingung eigentumsrechtlicher Befugnisse ... integraler Bestandteil der Eigentumstheorie selbst"79. Allerdings gilt umgekehrt, „daß die von Kant als Fundament des reinen Privatrechts entwickelte geltungstheoretisch verschränkte Trias von allgemeinem Rechtsgesetz, Vernunftpostulat und Idee der vereinigten Willkür a priori selbst in die Forderung nach der Errichtung eines Staates einmündet."80 Für die von Kersting vertretene Auffassung ist entscheidend, daß bei Kant sowohl das Naturzustandstheorem als auch der Staatsvertrag eine grundsätzlich andere Funktion haben als bei Hobbes bzw. Rousseau. Insbesondere wird der Status beider als bloßer Vernunftideen betont. Bei Kant habe der Naturzustand, in dessen Mittelpunkt die „privatrechtliche Souveränität des Individuums" steht, lediglich „die systematische Aufgabe, die Bestimmungsbedürftigkeit des apriorischen Privatrechts aufzuzeigen."81 Die Reaktion auf diese Aufgabe ist das Postulat des öffentlichen Rechts.82 Der öffentlich-rechtliche Zustand ist bei Kant - im Unterschied zu Hobbes - aber nicht primär die Institutionalisierung einer überlegenen Macht, durch die die konfligierenden Lebensinteressen in eine soziale Ordnung gezwungen werden, sondern die Aufgabe des Staates besteht in der Sanktion privater Rechtsansprüche unter dem alle Individuen notwendig vereinigenden Prinzip des allgemeinen Willens: „Die in normativ-rechtstheoretischer Hinsicht primäre Funktion des Staates ist nicht die Sicherheitsgarantie durch die Monopolisierung der Gewalt, auch nicht die legislatorische Rechtsbestimmung, sondern die in seinem apriorischen Prinzip der sich selbst wechselseitig verbindenden Allgemeinheit verankerte, mit dem Gesetz der äußeren Freiheit übereinstimmende Zustimmung zu der mit dem Eigentumsrecht analytisch verknüpften freiheitseinschränkenden Befugnis. Daß diese Zustimmung gleichsam eingeholt werden muß, der Okkupationsbesitz mit der Hypothek der Sanktionsbedürftigkeit belastet ist, macht die Staatsgründung zur Rechtspflicht und die bürgerliche Gesellschaft

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Ebd. Ebd.; vgl. ebd., S. 333. Ebd., S. 93. Ebd., S. 332. Vgl. ders., Eigentum, Vertrag und Staat bei Kant und Locke, in: John Locke und/and Immanuel Kant, hg. v. Martyn P. Thompson. Berlin 1991, S. 109-134, S. 129 Fn. 36: „Aus einer wie auch immer gearteten Konfliktsituation läßt sich keine Rechtspflicht a priori zum Staatsbeitritt gewinnen; jedoch aus einem Zustand, in dem natürliche Gesetze des Mein und Dein in Geltung sind, die ihrerseits selbst nach einer positivrechtlichen Bestimmung verlangen, in dem Aneignungsbefugnisse gelten, deren erhoffte und aufgrund der reinen praktischen Vernunft auch notwendige eigentumsrechtliche Wirkung jedoch nur im Kontext der Gesetzgebung des allgemeinen Willens sich entfalten kann." Kersing interpretiert dies als Forderung nach der Selbstpositivierung des Vemunftrechts. Vgl. ders, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 189ff.

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zum alleinigen Ort des Eigentums im vollrechtlichen Sinne."83 Kersting gelangt zu einer ähnlichen Relativierung seiner Position wie Brandt: „Kant bindet zwar das .Postulat des öffentlichen Rechts' eng an die Aporetik des natürlichen Privatrechts, jedoch ist der von ihm entwickelte rechtliche Notwendigkeitsbeweis des Staates keinesfalls privatrechtsspezifisch.... Das ,Postulat des öffentlichen Rechts' ließe sich bereits aus dem reinen Rechtsgesetz im natürlichen Zustand ableiten."84 In Übereinstimmung insbesondere mit Brandt, aber auch mit Kersting, sieht Bernd Ludwig die praktische Notwendigkeit des Staates unmittelbar im rechtlichen Postulat begründet: „Da die Einrichtung von Verhältnissen des äußeren Mein und Dein Rechtspflicht (rechtliches Postulat der praktischen Vernunft) und somit der Anspruch eines jeden auf beliebige Gegenstände als die seinen ... ein rechtmäßiger ist, die Rechte an äußeren Gegenständen aber (dies entwickelt das Privatrecht) nur unter den Bedingungen eines verbindlichen Rechtsanspruchs möglich sind, so ist die Unterwerfung unter die Bedingungen des status civilis selbst Rechtspflicht. ... Die Rechtmäßigkeit des Anspruchs und die Unmöglichkeit seiner Realisierung im status naturalis führen ... zum ,Postulat des öffentlichen Rechts': Der Begriff eines Vernunftrechts, so wie ihn das Privatrecht entwickelte, enthält jenes Postulat ,analytisch'." 85 Da sowohl das Postulat, als auch der provisorische Besitz nur auf das Sachenrecht zielen, gilt, „daß der Übergang in den Kantischen status civilis letztlich über das Sach-Eigentum gestiftet wird", d.h. „die Pflicht, Eigentumsverhältnisse einzurichten, fallt mit der Konstitution eines allgemeinen gebietenden Willens, der des ,exeundum esse', in eins."86 „Der Staat ist Pflicht als Staat des Eigentums", denn nur „über das Eigentum ... läßt sich das Paradoxon auflösen, daß der Mensch Verpflichtungen unterworfen ist, die weder angeboren noch de facto selbst auferlegt sind".87 Ludwig bestreitet, daß die in der Einleitung zur Rechtslehre von Kant eingeführte apriorische Rechtspflicht, mit anderen in einen Zustand zu treten, in dem jedem das Seine gesichert sein kann, schon eine Pflicht zum Staat ist. Entsprechend kann er auch dem angeborenen Recht keine entscheidende Funktion bei der Staatsbegründung zuweisen. Hinsichtlich des Begründungsverhältnisses von Eigentum und Staat nimmt Ludwigs Interpretation durch ihr Plädoyer für ein ungebrochenes Primat des Eigentums eine Extremposition ein, gleichwohl ist er aber in gewisser Weise repräsentativ für eine bestimmte Forschungsrichtung. Diese geht - in Ludwigs eigenen Worten - von folgender Grundüberzeugung aus: „Der verborgene Leitfaden der Kantischen Rechtsreflexion ist das Eigentum, welches ihm ermöglicht, über alle Fragen nach Macht- oder Interpretationsmonopol hinaus 83 84

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Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 342. Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 191 f.; vgl. ders., Kants rechtliche Staatskonzeption, in: prima philosophia 1 (1988), S. 107-130, S. llOf. Bernd Ludwig, Kants Rechtslehre (=Kant-Forschungen, Bd. 2). Hamburg 1988, S. 156f. Ebd., S. 185. Ebd., S. 186.

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einen festen Punkt für die Vernunft-Begründung des Staats zu liefern, und diesen damit vom Verdacht, bloßes Produkt menschlicher Klugheit ... zu sein, befreien soll."88 Diese Behauptung soll hier bestritten werden. Es ist zu zeigen, daß sich die Rechtslehre Kants zu einer solchen Staatsbegründung - wie man sie etwa Locke zuschreiben könnte - kritisch verhält. Kant bezieht die beiden wichtigsten rechtlichen Institutionen - Eigentum und Staat - auf den Begriff der Freiheit: Beide werden als Bedingungen der Möglichkeit äußerer Freiheit begründet. Innerhalb dieser Konzeption gehen Kants Überlegungen zur Bestimmung und Sicherung des Rechts im Staat (das öffentliche Recht) bereits in die Begründung des Eigentums im vorstaatlichen Privatrecht ein. Die Prinzipien, nach denen das Eigentumsrecht im Naturzustand begründet wird, müssen ihrerseits den Staat als Bedingung der Möglichkeit der Übereinstimmung der allseitigen Freiheit der Individuen im Staat antizipieren bzw. voraussetzen. Der Staat wird bei Kant (im Gegensatz etwa zu Locke) nicht aus dem Eigentum bzw. dem äußeren Mein und Dein abgeleitet. Kant wendet in der „Metaphysik der Sitten" stattdessen die für das öffentliche Recht (Staatsrecht) als gültig erkannten Prinzipien auch auf das Privatrecht an. Dabei kommt dem Konzept des allgemeinen Willens eine überragende Bedeutung zu. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf dem Privatrecht. Die Schwierigkeiten, die mit der privatrechtlichen Begründung des Eigentums verbunden sind, ergeben sich m. E. daraus, daß die Besitzlehre und die Erwerbslehre in Bezug auf die Staatsbegründung eine je unterschiedliche Funktion erfüllen. Während etwa der provisorische Besitz und sein Prinzip in einem gewissen Gegensatz (Widerspruch) zum allgemeinen Rechtsgesetz stehen, ist die ursprüngliche (provisorische) Erwerbung durch ihren „Vernunfttitel" bereits mit den Bedingungen allseitiger Freiheit im Staat vermittelt. In beiden Fällen muß aber der Staat in der Idee vorausgesetzt werden. Gegenüber der Analyse der Eigentumstheorie nimmt die Erörterung der Staatsbegründung verhältnismäßig wenig Raum ein. Sie konzentriert sich auf den Übergang vom Privatrecht zum öffentlichen Recht. Eine Darstellung des gesamten Staatsrechts ist nicht beabsichtigt.

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Ebd., S. 186 Fn.

1. Kapitel Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten" Der erste Teil dieser Untersuchung ist der Darstellung der Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten" als Teil von Kants philosophischem System einerseits, als System der Pflichtenlehre andererseits sowie der Analyse der Grundprinzipien der Rechtslehre (dem Rechtsgesetz und dem angeborenen Recht) gewidmet. Der erste Abschnitt wird sich auf die Publikationsgeschichte der „Metaphysik der Sitten" und ihre Einordnung in Kants philosophisches System konzentrieren. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit der inneren Struktur der metaphysischen Sittenlehre, nämlich der Abgrenzung des Rechts von der Ethik innerhalb des Werkes. Im Mittelpunkt steht dabei die Unterscheidung zweier Pflichtarten: der Rechtspflichten und der Tugendpflichten. Diese sind hinsichtlich ihrer Hauptmerkmale zu bestimmen und voneinander abzugrenzen. Eine genauere Untersuchung des Verhältnisses der Rechtslehre zu den beiden moralphilosophisch-ethischen Vorgängerschriften - der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" und der „Kritik der praktischen Vernunft" - ist nicht beabsichtigt. Soweit dies fur die Untersuchung relevant ist, wird dies im dritten Abschnitt, der sich mit der Begründung des Rechtsgesetzes beschäftigt, vorgenommen. Die von Kant in der Einleitung zur Rechtslehre vorgenommene Einteilung der Rechtspflichten ist Gegenstand des vierten Abschnitts. Kant entwickelt sie anhand der drei klassischen Formeln des römischen Juristen Ulpian: „honeste vive", „neminem laede", „suum cuique tribue". Dieses Einteilungsschema enthält zugleich ein Argument, das auf die Begründung des Staates vorausweist. Darauf ist einzugehen. Bedeutsam an dieser Rechtspflichteneinteilung ist ferner der Begriff einer „inneren Rechtspflicht", die Kant mit dem Honeste vive gleichsetzt. Dieser Begriff stellt die Interpretation vor einige Probleme, die einer eingehenderen Erörterung bedürfen. Kant unterteilt im Anschluß daran das subjektive Recht in das angeborene Recht und das erworbene Recht. Letzteres ist Gegenstand des Privatrechts und wird in seiner besonderen Form des Eigentumsrechts oder Sachenrechts den Hauptgegenstand des zweiten Kapitels dieser Arbeit bilden. Das angeborene Recht oder „Menschenrecht" wird, da es nur ein einziges ist, von Kant nur sehr knapp im Einleitungsteil der Rechtslehre behandelt. Da es aber für die gesamte Rechtslehre und insbesondere auch für die Staatsbegründung von fundamentaler Bedeutung ist, wird es im letzten Abschnitt des ersten Kapitels dieser Arbeit ausführlich diskutiert.

Die Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten"

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1. Die Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten " Die „Metaphysik der Sitten" erschien 1797 in zwei Teilen, den „Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre" und den „Metaphysischen Anfangsgründen der Tugendlehre".89 Diese sind nicht nur zeitlich die letzten moralphilosophischen Werke, die Kant verfaßt hat, sondern sie bilden auch in systematischer Hinsicht den Abschluß des praktischen Teils seiner Philosophie. Auf die Kritik der praktischen Vernunft sollte, so schreibt Kant in der Vorrede zur „Metaphysik der Sitten", das „System" der Pflichten unter der Gesetzgebung der reinen praktischen Vernunft „folgen".90 Die philosophische Sittenlehre ist also Teil der kritischen Philosophie. Der systematische Ort jenes Spätwerks soll hier einleitend näher bestimmt werden. Zunächst aber einige Anmerkungen zur Entwicklungsgeschichte der „Metaphysik der Sitten". Kant steht in den 1790er Jahren offensichtlich auf dem Standpunkt, daß es eine philosophische Sittenlehre ohne vorhergehende Kritik des praktischen Vernunftvermögens nicht geben könne.91 Dies bedeutet, daß Kant erst nach Mitte 1780er Jahre - nachdem er das Prinzip der reinen Moral in der „Grundlegung zur Metaaphysik der Sitten" „entdeckt" hatte - überhaupt in der Lage war, eine kritische Sittenlehre zu geben. Tatsächlich war ja die „Metaphysik der Sitten" von 1797 auch erst unter den in den beiden Grundlegungsschriften erarbeiteten Prämissen möglich. Um so überraschender mag es erscheinen, daß Kants Pläne zu einem

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Beide Teile erschienen 1797 zunächst einzeln; die erste Ausgabe in der heutigen Gestalt 1798. Zur Publikationsgeschichte vgl. die Einleitungen von Bernd Ludwig in: Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Metaphysik der Sitten, Erster Teil, hg. v. Bernd Ludwig. Hamburg, 2. Aufl., 1998 (=PhB, Bd. 360); Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre. Metaphysik der Sitten, Zweiter Teil, hg. v. Bernd Ludwig. Hamburg 1990 (PhB, Bd. 430) sowie diejenige von Karl Vorländer, in: Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, hg. v. Karl Vorländer. Hamburg 1954 (=PhB, Bd. 42), S. IX-XXVI. Aus den Schriften Kants wird im Folgenden nach der von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin (1902ff.) begonnenen Ausgabe der Gesammelten Schriften (AkademieAusgabe = AA) zitiert. Römische Ziffern bezeichnen den Band, arabische die Seite (Beispiel: AA VI, 245 = Akademie-Ausgabe, Bd. VI, S. 245). Zitationen aus der „Kritik der reinen Vernunft" erfolgen, wie üblich, gemäß der Erst- (A) bzw. Zweitauflage (B). Benutzt wurde die Ausgabe von Jens Timmermann aus der Philosophischen Bibliothek (Bd. 505) des Felix Meiner Verlags (Hamburg 1998). AA VI, 205. Auf das Problem des kritischen Charakters der Rechtslehre kann hier nicht eingegangen werden. Die Diskussion wurde von Christian Ritter, Der Rechtsgedanke Kants nach den frühen Quellen. Frankfurt a. M. 1971, angestoßen, in dem die These vertreten wird, Kants Rechtsphilosophie haben ihren Ursprung in seiner vorkritischen Phase und keinen Anteil an der kritischen Wende. Werner Busch, Die Entstehung der kritischen Rechtsphilosophie Kants 1762-1780. Berlin, New York 1979, hat sich die Widerlegung dieser These zum Ziel gesetzt.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

solchen Werk, das dann allerdings mit jenem Spätwerk nur den Namen gemeinsam gehabt hätte, bis in die 1760er Jahre zurück reichen. In einem Brief an Lambert vom 31. Dezember 1765 meldet Kant, daß er das Material zu den projektierten „Metaphysischen Anfangsgründen der praktischen Weltweisheit" schon „fertig vor sich liegen" habe.92 In einem Brief an Herder vom 9. Mai 1768 heißt es dann: „ich arbeite jetzt an einer Metaphysik der Sitten wo ich mir einbilde die augenscheinlichen und fruchtbaren Grundsätze imgleichen die Methode angeben zu können wornach die zwar sehr gangbare aber mehrentheils doch fruchtlose Bemühungen in dieser Art der Erkenntnis eingerichtet werden müssen wenn sie einmal Nutzen schaffen sollen. Ich hoffe in diesem Jahre damit fertig zu werden"93. Diese Hoffnung hat sich bekanntlich nicht erfüllt. Wie die Preisschrift von 1764 zeigt, schwankte Kant zu dieser Zeit in der Moralphilosophie noch zwischen dem Perfektionismus Wolffs und der moral sense-Philosophie Shaftesburys und Hutchesons. In diese Zeit fallt bekanntlich auch Kants RousseauRezeption.94 Die Abkehr zumindest von der moral sense-Philosophie wird in einem weiteren Brief Kants an Lambert aus dem Jahr 1770 deutlich. Dort schreibt Kant im Zusammenhang mit seiner Dissertation: „Ich habe mir vorgesetzt, um mich von einer langen Unpäslichkeit die mich diesen Sommer über mitgenommen hat zu erholen, und gleichwohl nicht ohne Beschäftigung in den Nebenstunden zu seyn, diesen Winter meine Untersuchungen über die reine moralische Weltweisheit, in der keine empirische principien anzutreffen sind u. gleichsam die Metaphysic der Sitten, in Ordnung zu bringen u. auszufertigen. Sie wird in vielen Stücken den wichtigsten Absichten bey der veränderten Form der Metaphysick den Weg bähnen, und scheinet mir überdem bey denen zur Zeit noch so schlecht entschiedenen principien der practischen Wissenschaften eben so nöthig zu seyn."95 In Bezug auf die Metaphysik überhaupt deutet Kant im gleichen Brief die Notwendigkeit einer vorhergehenden Kritik an: „Es scheinet eine ganz besondere, obzwar bloß negative Wissenschaft (phaenomologia generalis) vor der Metaphysic vorher gehen zu müssen, darinn denen principien der Sinnlichkeit ihre Gültigkeit und Schranken bestimmt werden ,..".96 In einem Brief von Ende 1773 an Marcus Herz macht Kant auf das Grundproblem einer kritischen Morallehre aufmerksam: „Der oberste Grundsatz der Moralität muß nicht blos auf das Wohlgefallen schließen lassen er muß selbst im höchsten Grade Wohlgefallen den er ist keine bloß spekulative Vorstellung sondern muß Bewegkraft haben und daher ob er zwar intellectual ist so muß er doch eine gerade Beziehung auf die erste Triebfedern des Willens haben." 97 Im selben Brief äußert Kant auch seinen Wunsch, 92 93 94 95 96 97

Vgl. Vorlander, Einleitung, S. IX; Ludwig, Einleitung, XIV. A A X , 74. Vgl. dazu Klaus Reich, Kant und Rousseau. Tübingen 1936. A A X , 97. Ebd., 98. Ebd., 145.

Die Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten"

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von der „Transcendentalphilosophie" bzw. „Critik der reinen Vernunft" unverzüglich zur Metaphysik, und zwar zuerst zur Metaphysik der Sitten und dann erst zur Metaphysik der Natur, fortzuschreiten.98 In der Folgezeit konzentrierte sich Kant jedoch fast ausschließlich auf die Probleme der theoretischen Philosophie. Das Ergebnis dieser Arbeit ist die „Kritik der reinen Vernunft". In diesem Werk wird nun auch der Metaphysik der Sitten ihr fester Ort im System der kritischen (reinen) Philosophie angewiesen. In der theoretischen (spekulativen) Philosophie folgt die „Metaphysik" als „das System der reinen Vernunft (Wissenschaft), [d.h.] die ganze (wahre sowohl als scheinbare) philosophische Erkenntnis aus reiner Vernunft im systematischen Zusammenhange", stets auf die „Kritik" als einer Propädeutik (Vorübung), welche das Vermögen der Vernunft in Ansehung aller reinen Erkenntnis a priori untersucht".99 Propädeutik und metaphysisches System machen zusammen den reinen Teil der Philosophie, der auch als Ganzes „Metaphysik" heißen kann, aus. Davon zu unterscheiden ist die empirische Philosophie, d.h. die „Vernunfterkenntnis aus empirischen Prinzipien"100. Die Kritik der spekulativen Vernunft hat die Aufgabe, die Möglichkeit der Metaphysik neu zu begründen, d.h. fur Kant: die Möglichkeit reiner (synthetisch-apriorischer) Erkenntnis nachzuweisen. Sie ist als Transzendentalphilosophie das notwendige Fundament einer sich als Wissenschaft (und nicht als bloße dogmatische Spekulation) verstehenden Metaphysik. Diesen zunächst für die theoretische Philosophie entwickelten Aufbau der philosophischen Vernunfterkenntnis überträgt Kant auch auf den praktischen Teil der Philosophie. So wie in der theoretischen Philosophie die Metaphysik der Natur auf die Kritik der spekulativen Vernunft folgt und diese voraussetzt, so folgt im Praktischen die Metaphysik der Sitten auf die Kritik der praktischen Vernunft. Die Kritik der praktischen Vernunfterkenntnis legt das Fundament für eine mögliche reine Moral. An die reine Moral schließt sich sodann eine empirische Sittenlehre an, die Kant „praktische"101 oder „moralische Anthropologie"102 nennt. Das „Gegenstück" der „metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre" und der „Tugendlehre" bilden in der theoretischen Philosophie die „Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft".103 Damit ist für die Ausarbeitung einer Metaphysik der Sitten Wesentliches gewonnen. In einem Brief vom 11. Januar 1782 berichtet Hamann an Kants Verleger Hartknoch, daß Kant an der „Metaphysik der Sitten" arbeitet.104 Zunächst aber erscheint 1785 die „Grundlegung", die das einzig mögliche Prinzip 98 99 100 101 102 103 104

Vgl. ebd. Vgl. KrV, A841/B 869. Ebd., A 840/B 868. AAIV, 388 AA VI, 217. Vgl. ebd., 205. Vgl. Ludwig, Einleitung, S. XVII.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

einer reinen Moral darlegt, ohne aber ein System der Pflichten zu enthalten. Nachdem Kant die Arbeit an den „Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft" abgeschlossen hat, will er „ungesäumt zur völligen Ausarbeitung der Metaphysik der Sitten" fortschreiten.105 Dieses Vorhaben wird abermals aufgeschoben. Zunächst wird das „critische Geschäft" 106 mit der „Kritik der praktischen Vernunft" (1788) und der „Kritik der Urteilskraft" (1790) abgeschlossen. Beständige Ankündigungen und Gerüchte schürten die Erwartungen des Publikums auf das endliche Erscheinen des Werkes. Die politischen Ereignisse taten ein übriges. Nicht nur durch die Französische Revolution und ihre Wirkung in Deutschland, sondern auch durch die Diskussionen um das Preußische Landrecht waren die Erwartungen an die Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten" besonders hoch. Bereits 1795 hatte Kant ein aktuelles politisches Ereignis, den Baseler Sonderfrieden zwischen Preußen und dem revolutionären Frankreich, zum Anlaß genommen, sich zu rechtsphilosophischen Fragen zu äußern. Und schon vorher - in der Hufeland-Rezension und dem Gemeinspruch-Aufsatz - hatte Kant sich mit einschlägigen Problemen mehr oder weniger ausfuhrlich beschäftigt. Allerdings blieben viele Fragen noch offen. So konnte Fichte in seiner „Grundlage des Naturrechts" von 1796 kritisieren, daß sich aus Kants Schrift „Zum Ewigen Frieden" „nicht deutlich ersehen lasse", ,,[o]b Kant das Rechtsgesetz, nach der gewöhnlichen Weise vom Sittengesetz ableite, oder eine andere Deduktion desselben annehme."107 Ob dieser Begründungslücken hatten sich bereits einige „Kantianer" an die Arbeit gemacht und eigene Rechtslehren auf der Grundlage der kantischen Moralphilosophie vorgelegt. Zu nennen sind hier außer Fichte: Theodor Schmalz (Das reine Naturrecht. Königsberg 1792, 2. Aufl. 1795), Κ. H. Heydenreich (System des Naturrechts nach kritischen Principien. Leipzig 1794), Johann Benjamin Erhard (Über das Recht des Volkes zu einer Revolution. Jena 1795), Ludwig Heinrich Jakob (Philosophische Rechtslehre. Halle 1795), Karl Ludwig Pörschke (Vorbereitungen zu einem populären Naturrechte. Königsberg 1795), Johann Adam Bergk (Untersuchungen aus dem Natur-, Staats- und Völkerrechte mit einer Kritik der neuesten Kostitution der französischen Republik. 1796), Paul Johann Anselm Feuerbach (Versuch über den Begriff des Rechts. Niethammers Philosophisches Journal 1795; Kritik des natürlichen Rechts als Propädeutik zu einer Wissenschaft des natürlichen Rechts. Altona 1796; Antihobbes, oder über die Gränzen der höchsten Gewalt und das Zwangsrecht der Bürger gegen den Oberherrn. Gießen 1797) und Emst Ferdinand Klein (Grundsätze der natürlichen Rechtswissenschaft. Halle 1797). 105 106 101

Ebd. Ebd., S. XVIII. Johann Gottlieb Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaflslehre, hg. v. Fritz Medicus. 3. Aufl., Hamburg 1979 (=PhB, Bd. 256), S. 12.

Die Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten"

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Aus den meisten dieser Werke geht deutlich hervor, was Kants Zeitgenossen von seiner Rechtslehre erwarteten. Die Prinzipien der kritischen Ethik sollten das Fundament einer bürgerlich-republikanisch-demokratischen Rechts- und Staatsordnung abgeben: Freiheit und Eigentum waren gegenüber der Gewalt der Fürsten zu schützen, die Herrschaftsbefugnisse sollten durch den Staatsvertrag und den allgemein-vereinigten Willen der Bürger eingeschränkt werden, das „Volk" und insbesondere das Bürgertum waren an der politischen Gewalt zu beteiligen - kurz: die Forderungen der Französischen Revolution sollten auch auf die deutschen Verhältnisse angewendet werden. Als die Rechtslehre als erster Teil der „Metaphysik der Sitten" 1797 endlich erschien, waren nicht alle mit dem Ergebnis zufrieden. Die Kritik entzündete sich sachlich vor allem am Staatsrecht, etwa an Kants Bürgerbegriff oder an seiner Leugnung des Widerstandsrechts und der Rechtmäßigkeit von Revolutionen. Spätere Autoren (etwa Schopenhauer) bezogen ihre Kritk auch auf das Privatrecht. Eine objektive Schwierigkeit fur die Rezeption ergibt sich femer aus der Textgestalt. Gerd Buchda hat 1929 erstmals auf den falschen Texteinschub in §6 der Rechtslehre aufmerksam gemacht. Seitdem sind weitere Unstimmigkeiten im Text aufgedeckt worden. Auf einige davon wird an geeigneter Stelle noch einzugehen sein. An dieser Stelle ist noch etwas zu Systematik und Aufbau der Rechtslehre bzw. der „Metaphysik der Sitten" zu sagen. Obwohl Kant dem parallelen Aufbau von theoretischer und praktischer Philosophie in seinem kritischen System durchaus folgt, gibt es doch beträchtliche Unterschiede bei der Gewichtung der einzelnen Systemteile. Dies betrifft sowohl das Verhältnis von Metaphysik und Kritik innerhalb der reinen (theoretischen und praktischen) Philosophie, als auch die Beziehung von reiner und empirischer Philosophie innerhalb beider Bereiche. Während Kant es z.B. im Feld der Spekulation für unbedingt erforderlich hält, die Kritik vor dem metaphysischen System vorhergehen zu lassen, hält er die Kritik des praktischen Vernunftvermögens hinsichtlich der Sittenlehre fur „nicht von so äußerster Notwendigkeit"108. In der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" ist es Kant daher möglich, von der unkritischen „populären Moralphilosophie" direkt zur Metaphysik der Sitten überzugehen. Der Übergang vom gemeinen Moralbewußtsein zum obersten Pflichtprinzip ist analytisch. Der kategorische Imperativ ist das - wenn auch nur „auf dunkle Art"109 - bereits im „natürlichen gesunden Verstände"110 gelegene Prinzip eines absolut guten Willens. Daher kann „die menschliche Vernunft im Moralischen, selbst beim gemeinsten Verstände, leicht zu großer Richtigkeit und Ausführlichkeit gebracht werden"111. Zur Entdeckung des Moralprinzips bedarf es des Nachweises, daß es eine Spontaneität der Verm m 1,0 111

AAIV, 391. AA VI, 216. AA IV, 397. Ebd., 391.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

nunft auch im Praktischen gebe, daß die Vernunft sich also durch die bloße Vorstellung praktischer Gesetze zum Handeln bestimmen kann, ohne einen empirischen Bewegungsgrund vorauszusetzen, noch nicht. Kant erbringt diesen Nachweis gesondert in der „Kritik der praktischen Vernunft". Auch hinsichtlich des Verhältnisses von Apriorität und Empirie unterscheiden sich theoretische und praktische Philosophie. Allerdings ist es hier die theoretische Erkenntnis, die sich weniger streng an die Erkenntnislogik des kritischen Systems zu halten hat. In der Naturlehre, so sagt Kant, sei es hinsichtlich der Erkenntnis der Gesetze der Natur zulässig, „manches Prinzip auf das Zeugnis der Erfahrung als allgemein [anzunehmen]"112. Genau dies ist aber in der Moral schlechterdings nicht möglich, da die Gültigkeit moralischer Gesetze davon abhängt, daß sie „als a priori gegründet und notwendig eingesehen werden können"113. Da also „das sittliche Gesetz, in seiner Reinigkeit und Echtheit (woran eben im Praktischen am meisten gelegen ist), nirgend anders, als in einer reinen Philosophie zu suchen" ist, muß jeder empirischen Sittenlehre eine Metaphysik der Sitten „vorangehen, und ohne sie kann es überall keine Moralphilosophie geben"114. Die Metaphysik der Sitten ist daher zugleich im ethischen Sinne „unentbehrlich notwendig"115; eine Metaphysik der Sitten „zu haben ist selbst Pflichtl116. Die reinen Moralprinzipien können nicht durch empirisch bedingte praktische Regeln ersetzt werden. Wo dies versucht wird, wären „die Sitten selber allerlei Verderbnis unterworfen"117. Vergleicht man Kants konzeptionelle Entwürfe zum System seiner kritischen Philosophie mit der tatsächlichen Ausführung seines Systems der Pflichten, so lassen sich beträchtliche Unterschiede feststellen. Die Bedingungen, unter denen Kant hier inhaltlich bestimmte Pflichten aus obersten praktischen Prinzipien ableitet, lassen auf einen modifizierten Metaphysikbegriff in der Sittenlehre schließen. Kant hatte in der „Grundlegung" die Zugehörigkeit der Metaphysik der Sitten zur reinen Philosophie betont und sie vom empirischen Teil der Moral streng unterschieden. Die Aufgabe der Metaphysik der Sitten sei es, „die Idee und die Prinzipien eines möglichen reinen Willens [zu] untersuchen."118 Die sittlichen Prinzipien und Begriffe haben „völlig a priori in der Vernunft ihren Sitz und Ursprung"119, sind also im kritischen Sinne „rein". Die Festlegung der Metaphysik auf die Analyse reiner Begriffe und Prinzipien schließt jedoch die Berück112 1.3 1.4 115 116 117

118

AA VI, 215. Ebd., 215. AA IV, 390. Ebd., 389. AA VI, 216. Ebd., 390. Vgl. ebd., 378: „... wenn Eudämonie (das Glückseligkeitsprinzip) statt der Eleutheronomie (des Freiheitsprinzips der inneren Gesetzgebung) zum Grundsatze aufgestellt wird, so ist die Folge davon Euthanasie (der sanfte Tod) aller Moral." AA IV, 390. Ebd., 411.

Die Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten"

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sichtigung empirischer Elemente bei der materialen Bestimmung der Pflichten aus. Genau dies geschieht aber in der „Metaphysik der Sitten" von 1797. Diese bildet den materialen Teil der Sittenlehre. Kant folgt darin nicht der programmatischen Festlegung der früheren Schrift, sondern legt einen modifizierten Metaphysikbegriff zugrunde.120 Hatte Kant in der Grundlegungsschrift die Metaphysik der Sitten oder „reine Moral" von dem empirischen Teil der Sittenlehre, der moralischen Anthropologie, strikt unterschieden, so sieht die „Metaphysik der Sitten" von 1797 selbst die empirischen Bedingungen moralischer Praxis für das System der Pflichten als konstitutiv an. Dies ist der Grund dafür, daß Kant hinsichtlich der Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten" nicht von einer „Metaphysik des Rechts", sondern nur von „metaphysischen Anfangsgründen" sprechen möchte: Die Rechtslehre, als der erste Teil der Sittenlehre, ist nun das, wovon ein aus der Vernunft hervorgehendes System verlangt wird, welches man die Metaphysik des Rechts nennen könnte. Da aber der Begriff des Rechts als ein reiner, jedoch auf die Praxis (Anwendung auf in der Erfahrung vorkommende Fälle) gestellter Begriff ist, mithin ein metaphysisches System desselben in seiner Einteilung auch auf die empirische Mannigfaltigkeit jener Fälle Rücksicht nehmen müßte, um die Einteilung vollständig zu machen (welches zur Errichtung eines Systems der Vernunft eine unerläßliche Forderung ist), Vollständigkeit der Einteilung des Empirischen aber unmöglich ist, und, wo sie versucht wird (wenigstens um ihr nahe zu kommen), solche Begriffe nicht als integrierende Teile in das System, sondern nur als Beispiele in die Anmerkungen kommen können: so wird der für den ersten Teil der Metaphysik der Sitten allein schickliche Ausdruck sein: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre; weil in Rücksicht auf jene Fälle der Anwendung nur Annäherung zum System, nicht dieses selbst erwartet werden kann. (AA VI, 205)

Die „metaphysischen Anfangsgründe" der Rechtslehre enthalten also nicht das vollständige System, sondern gewissermaßen nur den Plan zu einem System der Rechte und Rechtspflichten. „Es wird daher hiermit, sowie mit den (früheren) metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft, auch hier gehalten werden: nämlich das Recht, was zum a priori entworfenen System gehört, in den Text, die Rechte aber, welche auf besondere Erfahrungsfalle bezogen werden, in zum Teil weitläufige Anmerkungen zu bringen; weil sonst das, was hier Metaphysik ist, von dem, was empirische Rechtspraxis ist, nicht wohl unterschieden werden könnte."121 Die „empirische Rechtspraxis" wird, da sie zum positiven Recht gehört, aus der metaphysischen Rechtslehre ausdrücklich ausgeklammert. Das Naturrecht oder die „metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre" bilden nur den philosophischen (apriorischen) Teil der Rechtslehre. Den anderen Teil würde die Lehre des positiven Rechts bilden. Das „Ius" in diesem übergeordneten Sinne 120 121

Vgl. Gregor, Laws of Freedom, S. 11-17. AA VI, 205/206.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

bestimmt Kant als den „Inbegriff der Gesetze, für welche eine äußere Gesetzgebung möglich ist".122 Das Naturrecht handelt von der äußeren Gesetzgebung, sofern sie bloß möglich ist, die Lehre des positiven Rechts handelt von ihr, bloß sofern sie wirklich ist. Der Gesetzgeber muß im Naturrecht ein äußerer sein können. Inhalt und Geltung der natürlichen Gesetze hängen dagegen von der praktischen Vernunft der Subjekte ab. Das positive Recht setzt als wirkliches Recht einen realen Gesetzgeber voraus. Der Wille des positiven Gesetzgebers muß nicht mit den apriorischen Prinzipien der Vernunft übereinstimmen. Daraus erhellt, daß der Geltungsgrund bloß positiver Gesetze die überlegene Macht des Gesetzgebers ist. Die positive und die natürliche Rechtslehre handeln also von gänzlich heterogenen Gegenständen, nämlich von apriorischen, aus der Vernunft hervorgehenden Rechtsprinzipien einerseits, von empirisch-manifesten Rechtsnormen andererseits. Für die Lehre des positiven Rechts kommt es darauf an zu sagen, ,,[w]as Rechtens sei (quid sit iuris), d.i. was die Gesetze an einem gewissen Ort und zu einer gewissen Zeit sagen oder gesagt haben"123. Das Naturrecht bzw. die ,¿ystematische[] Kenntnis der natürlichen Rechtslehre" handelt dagegen von den apriorischen Prinzipien des Rechts. Es kann daher auch die Frage beantworten, ob diese Gesetze auch recht sind. Diese Frage muß sich unabhängig von den tatsächlich geltenden positiven Rechtsnormen entscheiden lassen. Der Rechtsphilosoph fragt nach dem ,,allgemeine[n] Kriterium, woran man überhaupt Recht sowohl als Unrecht (iustum et iniustum) erkennen könne."124 Dieses allgemeine Kriterium stammt nun nicht aus der Erfahrung. Weder läßt sich unmittelbar aus ihr ein solches Kriterium entnehmen, noch kann durch Abstraktion von allen gegebenen positiven Gesetzen ein entsprechendes Merkmal gewonnen werden, „wiewohl" - wie Kant einräumt - zu dessen Auffindung ,jene Gesetze vortrefflich zum Leitfaden dienen können"125. Das Prinzip oder das Kriterium, nach dem sich entscheiden läßt, ob ein gegebenes Gesetz im Sinne des Naturrechts recht ist oder nicht, stammt allein aus der Vernunft. Dieses allgemeinste Kriterium hat grundlegende Funktion auch für die positive Rechtslehre. Die Funktion des apriorischen Rechtsprinzips besteht gerade darin, „zu einer möglichen positiven Gesetzgebung die Grundlage zu errichten."126 Dies bedeutet auch, daß die auf der Grundlage dieses Prinzips entwickelten Sätze des Naturrechts positivierbar sind. Naturrecht und positives Recht stehen nicht unvermittelt nebeneinander, sondern sind wesentlich aufeinander bezogen. Die bloß mögliche äußere Gesetzgebung des Naturrechts, kann (und soll) in die wirkliche Gesetzgebung eines positiven Gesetzgebers eingehen.

122 123 124 125 126

Ebd., 229. Ebd., 229. Ebd. Ebd., 230. Ebd.

Recht und Ethik

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Damit ist der philosophische Charakter der Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten" umrißhaft beschrieben. Im nächsten Abschnitt soll auf die Grundunterscheidung innerhalb des Werkes von 1797 zwischen Rechtslehre und Tugendlehre eingegangen werden, da sich anhand dieser Abgrenzung ein genauerer Begriff von Kants metaphysischer Rechtslehre gewinnen läßt.

2. Recht und Ethik Die „Metaphysik der Sitten" hat zwei Teile: die „Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre" und die „Metaphysischen Anfangsgründe der Tugendlehre". Entsprechend ist die „Sittenlehre (philosophia moralis)" überhaupt in das Recht (ius) und die Ethik (ethica) unterteilt. Da die Sittenlehre ferner eine Pflichtenlehre ist, die „Metaphysik der Sitten" also das „System der allgemeinen Pflichtenlehre" darbietet, so enthält sie in ihrem ersten Teil das System der Rechtspflichten und in ihrem zweiten Teil das System der ethischen Pflichten. Bedingung der Möglichkeit der Einteilung des Systems - so könnte man sagen ist also die Unterscheidbarkeit dieser beiden Pflichtarten. Bei der Begründung seiner Pflichtensystematik setzt Kant die Einsichten voraus, die er in der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" und in der „Kritik der praktischen Vernunft" in die Bedingungen und Strukturen der praktischen Vernunftgesetzgebung gewonnen hat. Kant begründet die Unterscheidung von Recht und Ethik bzw. Rechtslehre und Tugendlehre auf der Grundlage des Pflichtbegriffs in verschiedenen Hinsichten. Geht man etwa vom Grundbegriff der praktischen Philosophie, der Freiheit, aus, so ist „die Einteilung in die Pflichten der äußeren und inneren Freiheit notwendig"127. Die äußere Freiheit ist die Unabhängigkeit im Handeln von der bloßen Willkür eines anderen, die innerer Freiheit dagegen ist diç Unabhängigkeit der Bestimmung des Willens von sinnlichen Triebfedern. Kant spricht in diesem Zusammenhang auch von äußeren und inneren Pflichten. Ersteres sind Rechtspflichten, letzteres Tugendpflichten. Das am häufigsten genannte Unterscheidungskriterium betrifft jedoch nicht die Freiheit, sondern die Gesetzgebung, die beiden Pflichtarten jeweils zugrunde liegt. So heißt es z.B. am Ende der Einleitung in die Rechtslehre: Alle Pflichten sind entweder Rechtspflichten (officia iuris), d.i. solche, für welche eine äußere Gesetzgebung möglich ist, oder Tugendpflichten (officia virtutis s. ethica), fur welche eine solche nicht möglich ist; die letzteren können aber darum

127

Ebd., 406.

28

1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten" nur keiner äußeren Gesetzgebung unterworfen werden, weil sie auf einen Zweck gehen, der (oder welchen zu haben) zugleich Pflicht ist... (AA VI, 239) 128

Die äußere Gesetzgebung bezieht sich auf die allgemeingesetzliche Form äußerer Willkürhandlungen, die innere dagegen auf die Materie der Willkür (den Zweck). Daraus lassen sich weitere verbindlichkeitstheoretische Bestimmungen ableiten: „Der Pflichtbegriff ist an sich schon der Begriff von einer Nötigung (Zwang) der freien Willkür durchs Gesetz."129 Dieser Zwang kann im Falle der Rechtspflicht ein äußerer Sein, im Falle der Tugendpflicht aber nicht. Die Tugendpflicht läßt nur einen „inneren" oder „Selbstzwang" zu.130 Kant unterscheidet also Rechtspflichten und Tugendpflichten durch drei Merkmale: So enthält zunächst die Rechtslehre 1. das System derjenigen Pflichten, „welche äußerer Gesetze fähig [sind]", die Tugendlehre das System derjenigen Pflichten, „die deren nicht fähig [sind]".131 Sodann beziehen sich 2. Tugendpflichten material auf einen Zweck, den zu haben Pflicht ist. Die Rechtspflichten dagegen beziehen sich nur formal auf das freie Willkürverhältnis von Personen, abgesehen vom Zweck. Schließlich kann 3. die Erfüllung einer Rechtspflicht (äußerlich) erzwungen werden, die Erfüllung einer Tugendpflicht aber nicht, sondern sie beruht auf einem inneren Selbstzwang132. Das Recht ist also das System äußerer erzwingbarer Pflichten, die sich auf die äußere Freiheit des Menschen beziehen und Gegenstand einer äußeren Gesetzgebung sein können. Die Ethik dagegen ist das System derjenigen Pflichten, die nicht äußerlich erzwungen werden können, da sie die innere Freiheit des Menschen betreffen und Gegenstand einer inneren Gesetzgebung der Zwecke sind. Diese Unterscheidung wird sodann von Kant auch auf ältere pflichtensystematische Differenzierungen bezogen. In der „Metaphysik der Sitten" identifiziert Kant in einer Tafel der Einteilung der Pflichten „nach dem objektiven Verhältnis des Gesetzes zur Pflicht" die Rechtspflichten mit den vollkommenen Pflichten, die Tugendpflichten mit den unvollkommenen Pflichten. Kant erläutert dies nicht näher.133 Es ist dabei zu beachten, daß er die vollkommenen Pflichten nicht durch ihre Erzwingbarkeit, sondern durch die eindeutige Bestimmbarkeit der Handlung, die zu tun oder zu unterlassen ist, bestimmt. Kant hatte die Unterscheidung von vollkommenen und unvollkommenen Pflichten bereits zur Gliederung seiner Beispiele in der „Grundlegung" herangezogen. Vollkommene Pflichten sind dort jedoch Pflichten, „die keine Ausnahme zum Vorteil der Nei-

128 129 130 131 132 133

Vgl ebd., 379. Ebd., 379. Vgl. ebd., 383. Ebd., 379; vgl. ebd., 239. Ebd., 383. Vgl. Rosen, S. 95.

Recht und Ethik

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gung verstatte[n]". 134 Die Unterscheidung von vollkommenen und unvollkommenen Pflichten findet sich sodann auch in der „Tafel der Kategorien der Freiheit" in der „Kritik der praktischen Vernunft" unter dem Titel „Modalität". 135 In der „Metaphysik der Sitten" sind die vollkommenen und unvollkommenen Pflichten Pflichten von „enger" bzw. „weiter Verbindlichkeit". Da das Recht „Gesetze für die Handlungen [gibt]", die Ethik aber Gesetze „für die Maximen der Handlungen", so sind die „ethischen Pflichten ... von weiter, dagegen die Rechtspflichten von enger Verbindlichkeit". 136 Weite Pflichten bzw. Pflichten von weiter Verbindlichkeit erlauben bei ihrer Befolgung einen „Spielraum", d.h. die Handlung, durch die das im Gesetz Geforderte erfüllt wird, ist durch das Gesetz nicht genau bestimmt. Die Pflichtensystematik der „Metaphysik der Sitten" hängt nun nicht nur von der inhaltlichen Bestimmung der Pflichtarten ab, sondern insbesondere auch von der Art der Verbindlichmachung (Nötigung). Kant unterscheidet einen ethischen und einen juridischen Nötigungsmodus. Diese Unterscheidung ist Gegenstand der Lehre von der doppelten Gesetzgebung der Vernunft. Diese ist zunächst darzustellen, bevor dann zur Erörterung der Pflichten übergegangen werden kann. Da Kant die Rechts- und Tugendpflichten unter Bezug auf die Gesetzgebung (ob sie auch äußerlich oder nur innerlich sein kann) definiert, kann bei der Erörterung der Unterscheidung von Recht und Ethik von diesem Begriff ausgegangen werden. Tatsächlich unterscheidet Kant eine juridische und eine ethische Gesetzgebung der praktischen Vernunft 137 : Zu aller Gesetzgebung (sie mag nun innere oder äußere Handlungen, und diese entweder a priori durch bloße Vernunft oder durch die Willkür eines anderen vorschreiben) gehören zwei Stücke: erstlich ein Gesetz, welches die Handlung, die geschehen soll, objektiv als notwendig vorstellt, d.i. welches die Handlung zur Pflicht macht; zweitens eine Triebfeder, welche den Bestimmungsgrund der Willkür zu dieser Handlung subjektiv mit der Vorstellung des Gesetzes verknüpft; mithin ist das zweite Stück dieses: daß das Gesetz die Pflicht zur Triebfeder macht. Durch das erstere wird die Handlung als Pflicht vorgestellt, welches eine bloße theoretische Erkenntnis der möglichen Bestimmung der Willkür, d.i. praktischer Regeln ist; durch das zweite wird die Verbindlichkeit, so zu handeln, mit einem Bestimmungsgrunde der Willkür überhaupt im Subjekte verbunden. (AA VI, 218)

134

135 136 137

AA VI, 421 Fn. Kant weist an jener Stelle ausdrücklich daraufhin, daß es nach dieser Bestimmung auch innere vollkommene Pflichten gibt, „welches dem in Schulen angenommenen Gebrauch zuwider läuft". Vgl. AA V, 66. Vgl. AA VI, 388 und 390 (Überschriften). Kant selbst benutzt diese Termini nicht, genausowenig wie er von einer „doppelten Gesetzgebung der praktischen Vernunft" spricht. Letztere Begriff findet sich aber schon bei Heinrich Stephani, Anmerkungen zu Kants metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre. Erlangen 1797 (ND Brüssel 1968), S . l l . Kritisch dazu: Bernd Ludwig, Kants Rechtslehre, S. 88f. Fn. 13.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

Wenn Kant hier von „aller Gesetzgebung" spricht, so meint er nicht nur die Gesetzgebung der reinen praktischen Vernunft, um die es in der „Metaphysik der Sitten" geht, sondern auch die Gesetzgebung „durch die Willkür eines anderen"138, welche etwa auch die positive Gesetzgebung im Staat durch einen souveränen (äußeren) Willen einschließen würde. Kant denkt aber offensichtlich an eine Gesetzgebung hinsichtlich der Gesetze der praktischen Vernunft, die uns „a priori und unbedingt durch unsere eigene Vernunft" gegeben sind bzw. verbinden. Das Gesetz ist hier also das Gesetz unseres eigenen Willens oder kann zumindest als solches angesehen werden.139 Ein äußerer Gesetzgeber wäre hier (im Recht) derjenige, der Urheber der Verbindlichkeit nach dem Gesetz ist, aber nicht Urheber des Gesetzes selbst. Ein solcher Gesetzgeber wäre mit anderen Worten derjenige, der seine Gesetze so gibt, als wären sie aus einem (notwendig) allgemeinen Willen hervorgegangen.140 In diesem Fall würden die der Vernunft entstammenden apriorischen Gesetze der äußeren Freiheit äußerlich verbindlich gemacht, d.h. es handelt sich um eine äußere Gesetzgebung für praktische Vernunftgesetze.141

138 159

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141

Vgl. AA VI, 389. Dies soll jedoch nicht heißen, daß auch die juridische Gesetzgebung die Autonomie im Sinne der kritischen Ethik voraussetzt. Dies behauptet etwa Jacob Sigismund Beck in seinem „Commentar über Kants Metaphysik der Sitten" (Halle 1798, ND Brüssel 1970), S. 52f.: „Der Begriff von Gesetzgebung enthalt das moralische Bewußtsein, als dasjenige, was seinen Sinn ausmacht. Das Gesetz mag nun auch durch die Willkür eines Andern vorgeschrieben werden, so kann doch nur in so fern von Gesetzgebung die Rede seyn und dieser Andere Gesetzgeber genannt werden, als ich, kraft dieser moralischen Anlage, in der Bestimmbarkeit durch dieses bloße Gesetz, mir der Erhebung über den Natur-Mechanismus bewußt bin; widrigen Falls, wenn in diesen Begriffen von Gesetzgebung und Gesetzgeber, von dem Moralischen, das sie enthalten, weggesehen wird, der bloße Begriff eines physischen Zwanges übrig behalten wird." Beck zufolge ist es daher wesentlich für die juridische Gesetzgebung, daß alle Rechtspflichten zugleich indirekt-ethische Pflichten sind. Daher bin ich mir „auch in Ansehung der juridisch gebotenen Handlungen ... der Bestimmbarkeit meiner Willkühr durch diese bloße Vorstellung ihrer Gesetzmäßigkeit bewußt ... . Sondere ich dieses letzte Merkmal von der juridischen Gesetzgebung ab, dann ist sie gar keine (moralische) Gesetzgebung; das lus gehört dann nicht mehr zum Systeme der Moral-Philosophie, sondern ist etwa eine bloße Kunst, eine Art wilder Thiere zu bändigen" (ebd., S. 54); „... bloß deswegen, weil der Mensch einer ethischen Gesetzgebung fähig ist, ist er auch einer juridischen fähig, und seine den juridischen Gesetzen gemäßen Handlungen, wenn er sie gleich nicht aus Pflicht übt, heißen doch eben darum Pflichten, weil er eine ethische Gesetzgebung in dem Bewußtsein der Bestimmbarkeit des Willens durch die bloße Vorstellung der Gesetzmäßigkeit der Handlung in sich selbst trägt." (ebd., S. 57/58) In §46 der Rechtslehre schreibt Kant, „gesetzgebend" könne nur der „allgemein vereinigte Volkswille", durch den Jeder über alle und alle über einen jeden ebendasselbe beschließen" sein (AA VI, 314). Der ideale Souverän (der allgemein vereinigte Wille des Volkes) wird vom faktischen Souverän (dem Herrscher) lediglich repräsentiert. Einen Herrscher, der seine Gesetze so einrichtet, als ob sie von allen über alle beschlossen worden wären, der also die Gesetzgebung am apriorischen Vernunftrecht ausrichtet, nennt Kant im „Ewigen Frieden" den „moralischen Politiker" (AA VIII, 372f ). Vgl. AA VI, 227. Kant läßt außerdem die Möglichkeit zu, ethische Gesetze so anzusehen, als seien sie Gegenstand einer äußeren Gesetzgebung, insofern sie nämlich als göttliche Gebote betrachtet werden können. Aber auch in diesem Fall wäre Gott nur Urheber der Verbindlichkeit nach dem Gesetz, nicht der Gesetze selbst, die ihren Grund allein in der praktischen Vernunft haben.

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Recht und Ethik

Die Unterscheidung einer ethischen und einer juridischen Gesetzgebung der praktischen Vernunft beruht auf dem Begriff der Triebfeder. Die Triebfeder kann entweder eine innere oder eine äußere sein. Nur die juridische Gesetzgebung läßt eine äußere Triebfeder - den äußeren (physischen) Zwang - zu, die ethische Gesetzgebung dagegen beruht allein auf einer inneren Triebfeder. Kant spricht davon, daß „die Pflicht" selbst in diesem Fall Triebfeder sein soll. In der Tugendlehre bildet jedoch der Selbstzwang das ethische Gegenstück zum rechtlichen äußeren Zwang. Beides: der Selbstzwang und die Pflicht als Triebfeder sind offenkundig nicht dasselbe. Es ist daher zu fragen, worin die Unterschiede beider in ihrer Funktion als Triebfeder liegen und in welchem Verhältnis sie zum Begriff der Verbindlichkeit stehen. Zunächst ist aber eine Schwierigkeit hinsichtlich des ersten Elements der Gesetzgebung aufzulösen. Kant weist dem ersten Element der Gesetzgebung (dem „Gesetz") zwei Funktionen zu: es stellt 1. „die Handlung, die geschehen soll, objektiv als notwendig" vor; sie macht 2. „die Handlung zur Pflicht". Obwohl Kant selbst beide Aussagen als äquivalent präsentiert, könnte man dennoch der Meinung sein, es handle sich um verschiedene Inhalte. Es scheint so, als hätte das erste Element der Gesetzgebung einen theoretischen Aspekt - die Vorstellung einer objektiven Notwendigkeit - und einen praktischen Aspekt - ein Pflichtgebot. Mit anderen Worten: das erste Element der Gesetzgebung kann zum einen als Gesetz, zum anderen als Imperativ aufgefaßt werden. 142 Kant bestimmt den Zusammenhang von Imperativ, Pflicht und Verbindlichkeit in der Einleitung zur „Metaphysik der Sitten" wie folgt: Pflicht ist diejenige Handlung, zu welcher jemand verbunden ist. Sie ist also die Materie der Verbindlichkeit, und es kann einerlei Pflicht (der Handlung nach) sein, ob wir zwar auf verschiedene Art dazu verbunden werden können. ( A A VI, 222) Verbindlichkeit ist die Notwendigkeit einer freien kategorischen Imperativ der Vernunft. ( A A VI, 222)

Handlung

unter

einem

Der Imperativ ist eine praktische Regel, wodurch die an sich zufällige Handlung notwendig gemacht wird. Er unterscheidet sich darin von einem praktischen Gesetze, daß dieses zwar die Notwendigkeit einer Handlung vorstellig macht, aber ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob diese an sich schon dem handelnden Subjekte (etwa einem heiligen Wesen) innerlich notwendig beiwohne, oder (wie dem Men142

Diese Auffassung vertritt Mulholland, Kant's System of Rights, S. 145: „In effect, what Kant regards as the first element in lawgiving contains two parts: (a) a law which is valid for all rational beings, and (b) the presentation of the law as a law which the will of imperfect rational beings must be constrained to obey. ... The second part (b), may also be considered as the presentation of a law as an imperative." Mithin wird erst unter dem zweiten Aspekt, die objektiv notwendige Handlung als Pflicht vorgestellt. Sofem sie aber Pflicht ist, muß sie im Subjekt mit einer Triebfeder verbunden werden, die die Pflichtbefolgung eigentlich erst bewirkt: „The second element in lawgiving is not the same as the second part of the first element. The second element is the actual provision of the constraint in the form of an incentive which links the determining ground of the will with the representation of the law" (ebd.).

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten" sehen) zufallig sei; denn wo das erstere ist, da findet kein Imperativ statt. Also ist der Imperativ eine Regel, deren Vorstellung die subjektiv-zufallige Handlung notwendig macht, mithin das Subjekt als ein solches, was zur Übereinstimmung mit dieser Regel genötigt (nezessitiert) werden muß, vorstellt. (AA VI, 222)

Eine Pflichthandlung ist also Gegenstand einer Verbindlichkeit und die Verbindlichkeit einer Handlung ist ihrerseits Folge eines kategorischen Imperativs, so daß Handlungen nur insofern Pflicht sein können, als sie unter einem kategorischen Imperativ stehen. D.h.: wenn das erste Element der Gesetzgebung eine Handlung zur Pflicht macht, dann muß dieses erste Element ein kategorischer Imperativ sein. Da Kant nun aber das erste Element der Gesetzgebung ausdrücklich ein Gesetz nennt, so scheint für die Interpretation zu folgen, daß das erste Element der Gesetzgebung tatsächlich aus zwei Teilen besteht: Gesetz und Imperativ. In Wirklichkeit lassen sich Gesetz und Imperativ in der Lehre von der doppelten Gesetzgebung der praktischen Vernunft aber gar nicht auf diese Weise unterscheiden. Da es hier überhaupt nur um die Gesetzgebung fur Menschen und nicht um moralische Gesetze überhaupt geht, ist klar, daß „heilige Wesen" hier gar nicht in Betracht kommen können. Imperativ und Gesetzgebung gibt es schlechterdings nur für sinnlich affizierbare Wesen. Die Gesetzgebung ist in diesem Sinne ein Verfahren der Handlungsnormierung, d.h. der Erzeugung von Geboten und Verboten fur sittlich unvollkommene Wesen. Es ist daher von vornherein klar, daß die Gesetze, da sie hier Gebots-, Verbots- oder Erlaubnisgesetze sind, als Imperative verstanden werden müssen. Dies widerspricht keineswegs Kants Rede von einem „Gesetz". Gesetz und Imperativ sind in der Gesetzgebung sowohl ihrem Inhalt, als auch ihren Gültigkeitsbedingungen nach identisch. Ein Imperativ ist gar nichts anderes als ein moralisch-praktisches Gesetz. Kant nennt - ebenfalls in der Einleitung zur „Metaphysik der Sitten" - einen „Grundsatz, welcher gewisse Handlungen zur Pflicht macht, ... ein praktisches Gesetz. 143 . Insofern ist ein Gesetz „ein Satz, der einen kategorischen Imperativ (Gebot) enthält." 144 Das tertium comparationis von Gesetz und Imperativ liegt im Begriff der Verbindlichkeit: Der kategorische Imperativ ist ein „moralisch-praktisches Gesetz", insofern er „eine Verbindlichkeit in Ansehung gewisser Handlungen aussagt". Da der Begriff der Verbindlichkeit aber auch das Merkmal der ,flötigungi enthält, so ist der Imperativ in dieser Hinsicht zugleich „entweder ein Gebot- oder Verbotgesetz, [je] nachdem die Begehung oder Unterlassung als Pflicht vorgestellt wird." 145 Kants Gleichsetzung von objektiver Notwendigkeit einer Handlung und ihrem Status als Pflicht ist damit gerechtfertigt. Das zweite Element der Gesetzgebung besteht nun darin, daß dem Gesetz eine Triebfeder beigefügt wird, die „den Bestimmungsgrund der Willkür [zur] Hand143 144 145

AA VI, 225. Ebd., 227. Ebd., 222/223.

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lung subjektiv mit der Vorstellung des Gesetzes verknüpft". Kants Erläuterung: „mithin ist das zweite Stück dieses: daß das Gesetz die Pflicht zur Triebfeder macht", gilt nur für die ethische Gesetzgebung. Die juridische Gesetzgebung unterscheidet sich ja gerade dadurch von der ethischen, daß die Pflicht nicht unmittelbar zur Triebfeder gemacht wird. Alle Gesetzgebung also (sie mag auch in Ansehung der Handlung, die sie zur Pflicht macht, mit einer anderen übereinkommen, z.b. die Handlungen mögen in allen Fällen äußere sein) kann doch in Ansehung der Triebfedern unterschieden sein. Diejenige, welche eine Handlung zur Pflicht und diese Pflicht zugleich zur Triebfeder macht, ist ethisch. Diejenige aber, welche das letztere nicht im Gesetze mit einschließt, mithin auch eine andere Triebfeder als die Idee der Pflicht selbst zuläßt, ist juridisch. (AA VI, 218/219) Der Unterschied von ethischer und rechtlicher Gesetzgebung besteht nicht etwa darin, daß beide im Gesetz jeweils eine andere Triebfeder mit ihrem Gebot oder Verbot verknüpfen. Eine solche gesetzliche Verknüpfung gibt es nur in der Ethik. Nur durch die ethische Gesetzgebung wird ein bestimmter Modus der Gesetzesbefolgung festgeschrieben, daß nämlich die Pflicht zugleich Triebfeder ist. Die juridische Gesetzgebung verknüpft dagegen im Gesetz selbst überhaupt keine Triebfeder mit dem Gebot. Die juridische Gesetzgebung ist gegenüber dem Handlungsmotiv bzw. dem Befolgungsmodus indifferent, indem sie „auch eine andere Triebfeder als die Idee der Pflicht zuläßt". Die Triebfeder, die charakteristischerweise mit der juridischen Gesetzgebung verbunden wird, ist „von den pathologischen Bestimmungsgründen der Willkür der Neigungen und Abneigungen und unter diesen von denen der letzteren Art hergenommen", da „es eine Gesetzgebung, welche nötigend, nicht eine Anlockung, die einladend ist, sein soll."146 Die pathologischen Bestimmungsgründe der Willkür, die nötigend, nicht anlockend sind, können unter dem allgemeinen Begriff des Zwanges zusammengefaßt werden. Der Zwang ist jedoch keine Triebfeder, die schon im Gesetz selbst mit der Vorstellung der objektiven Verbindlichkeit der Handlung verknüpft wird. Sondern in der juridischen Gesetzgebimg wird der Zwang als bloß möglicher Bestimmungsgrund der Willkür betrachtet. Die Erfüllung einer Rechtspflicht kann erzwungen werden, sie muß es aber nicht. Die (analytische) Verknüpfung von Recht und Zwang liegt im Begriff des Rechts, nicht in der juridischen Gesetzgebung und schon gar nicht im Rechtsgesetz. Nur für den Begriff des Rechts gilt: „Recht und Befugnis zu zwingen bedeuten ... einerlei."147 Hatte Kant in seinen früheren moralphilo146 147

Ebd., 219. Ebd., 232. Kant hatte bereits 1786 in einer Rezesion zu Gottlieb Hufelands „Versuch über den Grundsatz des Naturrechts" dessen Behauptung kritisiert, die Befugnis zu zwingen könnte nur aus einer vorhergehenden Verbindlichkeit erklärt werden: „Denn daraus scheint zu folgen, daß man von seinem Rechte sogar nicht nachlassen könne, wozu uns ein Zwang erlaubt ist, weil diese Erlaubnis auf einer inneren Verbindlichkeit beruht, sich durchaus und mithin allenfalls mit Gewalt die uns

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

sophischen Schriften stets betont, daß die Moralität der Handlung es erfordert, daß die „Pflicht zur Triebfeder" gemacht wird, so wird in der „Metaphysik der Sitten" gerade von diesem Element abgesehen, um Raum für eine rechtliche Gesetzgebung der praktischen Vernunft zu schaffen. Die rechtliche Gesetzgebung der praktischen Vernunft ist Gesetzgebung fur die äußere Freiheit und läßt als Befolgungsmodus den äußeren Zwang, d.h. eine durch fremde Willkür ausgeübte Nötigung, zu. Die Unterscheidung einer Gesetzgebung, die die „Pflicht zur Triebfeder" macht, von einer Gesetzgebung, die „auch eine andere Triebfeder, als die Idee der Pflicht zuläßt", begründet nun aber nicht den Unterschied von Rechtspflichten und Tugendpflichten, sondern von Rechtspflichten und ethischen Pflichten. Kant kennzeichnet erstere als äußere Pflichten, letztere als innere Pflichten. Äußere Pflichten sind Pflichten zu äußeren Handlungen, deren Gesetzlichkeit zugleich erzwungen werden kann.148 Das Moment der Erzwingbarkeit der Gesetzeskonformität der Handlung ist das charakteristische Merkmal für die juridische Gesetzgebung - nicht etwa nur die Äußerlichkeit der Handlung selbst. Die ethische Gesetzgebung bezieht sich zwar primär auf innere Handlungen. Dies geschieht aber nicht - wie Kant betont - „mit Ausschließung der äußeren", sondern die ethische Gesetzgebung „geht auf alles, was Pflicht ist, überhaupt."149 Pflicht ist alles, was durch ein praktisches Gesetz bzw. durch einen kategorischen Imperativ geboten wird. Dies wird sowohl in der ethischen, als auch in der juridischen Gesetzgebung vorausgesetzt. Nun kann alles, was Pflicht ist, auch aus Pflicht erfüllt werden. Darum ist jede Pflicht als solche (sei sie nun Rechtspflicht oder ethische Pflicht) Gegenstand der ethischen Gesetzgebung. Obwohl es nach Kant einige Pflichten gibt, die genuin rechtliche Pflichten sind (z.B. die Pflicht, Verträge zu halten), so sind diese doch zugleich „indirekt-ethische"150 Pflichten,

148

149 150

gestrittene Vollkommenheit zu erringen." (AA VIII, 129). Nach Kant kann der rechtliche Zwang gar nicht durch ein Gesetz begründet, sondern kann nur als ein mit der äußeren Freiheit vereinbarer Nötigungsgrund gerechtfertigt werden. Vgl. AA VI, 219: „Die Pflichten nach der rechtlichen Gesetzgebung können nur äußere Pflichten sein, weil diese Gesetzgebung nicht verlangt, daß die Idee dieser Pflicht, welche innerlich ist, für sich selbst Bestimmungsgrund der Willkür des Handelnden sei, und, da sie doch einer für Gesetze schicklichen Triebfeder bedarf, nur äußere mit dem Gesetze verbinden kann." Gleichwohl spricht Kant auch von „äußeren Pflichten" bloß im Sinne von „Pflichten zu äußeren Handlungen". In diesem Sinne gibt es äußere Pflichten auch in der Ethik. Damit ist nicht nur gemeint, daß Rechtspflichten zugleich auch als indirekt-ethische Pflichten vorgestellt werden können. Sondern es gibt eine ganze Klasse ethischer Pflichten bzw. Tugenpflichten, die äußere Pflichten sind, nämlich die „Pflichten des Wohlwollens" (ebd., 220). Diese sind Pflichten zu äußeren Handlungen und zugleich ausschließlich Gegenstand der inneren, dh ethischen Gesetzgebung. Sie sind nicht ezwingbar. Die Gesetzgebung ist hier nur mittelbar auf die äußere Handlung gerichtet. Die Pflichten des Wohlwollens hängen insgesamt von einem Zweck ab, den zu haben Pflicht ist, nämlich „fremde Glückseligkeit". Diesen Zweck zu haben, kann schlechterdings nicht äußerlich geboten werden. Darum gehören die (äußeren) Pflichten des Wohlwollens ausschließlich zur Ethik. Ebd., 219. Vgl. ebd., 221.

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insofern durch ein Gesetz der praktischen Vernunft gefordert werden kann, etwa einen Vertrag allein aufgrund des Bewußtseins der Verpflichtung durchs Gesetz zu halten.151 Nun kann zwar die Erfüllung eines Vertrags äußerlich erzwungen werden, aber nicht seine Erfüllung aufgrund des Bewußtseins der Verpflichtung. Letzteres kann niemals Gegenstand einer äußeren Gesetzgebung sein und gehört daher ausschließlich in die Ethik. Die Erzwingbarkeit einer vertraglich zugesicherten Leistung gehört dagegen ausschließlich ins Recht und die entsprechende Pflicht ist Gegenstand der juridischen Gesetzgebung. Daher kann die ethische Gesetzgebung „zwar die Pflichten, die auf einer anderen, nämlich äußeren Gesetzgebung beruhen, als Pflichten in ihre Gesetzgebung zu Triebfedern [aufnehmen]", weil sie sie damit aber als „innere Triebfeder der Handlung (die Idee der Pflicht) in ihr Gesetz mit einschließt", so kann sie auch im angeführten Fall schlechterdings „keine äußere ... sein".152 Der Unterschied von rechtlicher und ethischer Gesetzgebung bezieht sich also weniger auf die materiale Bestimmung der Pflichten, sondern auf die Art der Verbindlichmachung, da zwar „alle Pflichten, bloß darum, weil sie Pflichten sind, mit zur Ethik gehören; aber ihre Gesetzgebung... darum nicht allemal in der Ethik enthalten [ist]"153. Für die Unterscheidung von Rechtslehre und Tugendlehre wird nicht nur die Lehre von der doppelten Gesetzgebung der praktischen Vernunft vorausgesetzt, sondern Tugendpflichten unterscheiden sich insbesondere dadurch von den Rechtspflichten, daß sie auf einen Zweck gerichtet sind, den zu haben Pflicht ist, während Rechtspflichten allein das formale Willkürverhältnis zwischen Personen betreffen. Daher lassen sich Rechtslehre und Tugendlehre genauer trennen als der Bereich der Pflichten, der Gegenstand der juridischen Gesetzgebung ist und der Bereich der Pflichten, der Gegenstand der ethischen Gesetzgebung ist: Rechtslehre und Tugendlehre unterscheiden sich ... nicht sowohl durch ihre verschiedenen Pflichten, als vielmehr durch die Verschiedenheit der Gesetzgebung, welche die eine oder die andere Triebfeder mit dem Gesetze verbindet. ( A A VI,

220)154

Auf ein mögliches Mißverständnis ist hier noch hinzuweisen. Man könnte nämlich der Auffassung sein, daß die von Kant beabsichtigte strikte Trennung von Recht und Ethik gerade an dem Lehrstück von der doppelten Gesetzgebung der praktischen Vernunft scheitert. Kant behauptet ja, daß jede Pflicht, d.h. insbesondere jede Rechtspflicht hinsichtlich ihres Inhalts auch Gegenstand der ethischen Gesetzgebung sein kann. Dies gilt umgekehrt aber nicht: ethische 151 152 153 154

Vgl. ebd., 219f. Ebd., 219. Ebd. Mit der „einen oder anderen Triebfeder" muß hier natürlich der äußere Zwang im Gegensatz zum Selbstzwang gemeint sein.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

Pflichten können aufgrund ihres materialen Gehaltes gerade nicht als Rechtspflichten vorgestellt werden. Aufgrund dieser Konstellation scheint die Ethik das Recht als Pflichtenlehre in sich zu enthalten. Es ist klar, daß diese Auffassung weder Kants Intention entspricht, noch durch die Struktur der „Metaphysik der Sitten" nahe gelegt wird. Die beiden Teile der „Metaphysik der Sitten" stehen in keinerlei Inklusionsverhältnis. Weder stellt die Rechtslehre eine Voraussetzung der Tugendlehre dar, noch ist die Tugendlehre eine Erweiterung oder Fortfuhrung (etwa unter dem Gesichtspunkt der moralischen Vervollkommnung) der Rechtslehre. Kant macht an der Lehre von der doppelten Gesetzgebung der Vernunft den aus der „Kritik der praktischen Vernunft" bekannten Unterschied von der Legalität und der Moralität einer Handlung deutlich. Dabei bezieht er sich nicht nur auf die Unterscheidung einer ethischen von einer juridischen Gesetzgebung der praktischen Vernunft, sondern auch auf die Gesetze der praktischen Vernunft selbst, insofern sie entweder juridische oder ethische Gesetze sind. In der zweiten Kritik hatte Kant im Zusammenhang mit der Unterscheidung von Moralität und Legalität von pflichtmäßigen Handlungen und Handlungen aus Pflicht gesprochen. Nur letztere haben einen sittlichen Wert. Pflichtmäßig ist eine Handlung, sofern sie bloß mit dem Gesetz übereinstimmt. Diese Übereinstimmung betrifft das objektive Verhältnis der Handlung zum Gesetz; subjektiv - d.h. in Bezug auf das Handlungsmotiv - liegt jedoch keine verallgemeinerungsfáhige Maxime der Handlung vor. Eine Handlung aus Pflicht ist dagegen nicht nur pflichtmäßig, sondern die Vorstellung des Gesetzes, die Achtung fürs Gesetz, ist hier auch Bestimmungsgrund der Willkür zur Handlung, andernfalls würde der Wille durch Neigung bestimmt. Die damit gegebene Moralität der Handlung betrifft das subjektive Verhältnis der Maxime zum Gesetz. Pflicht ist nicht nur die Tauglichkeit der Maxime zum Gesetz, sondern auch, die Vorstellung des Gesetzes selbst zum Bestimmungsrund der Willkür zu machen.155 In der „Metaphysik der Sitten" heißt es nun: Man nennt die bloße Obereinstimmung oder Nichtübereinstimmung einer Handlung mit dem Gesetze, ohne Rücksicht auf die Triebfeder derselben, die Legalität (Gesetzmäßigkeit); diejenige aber, in welcher die Idee der Pflicht aus dem Gesetze zugleich die Triebfeder der Handlung ist, die Moralität (Sittlichkeit) derselben. (AA VI, 219)

155

Vgl. AA V, 81: „Der Begriff der Pflicht fordert also an der Handlung objektiv Übereinstimmung mit dem Gesetze, an der Maxime derselben aber subjektiv Achtung fürs Gesetz, als die alleinige Bestimmungsart des Willens durch dasselbe. Und darauf beruht der Unterschied zwischen dem Bewußtsein, pflichtmäßig und aus Pflicht, d.i. aus Achtung fürs Gesetz, gehandelt zu haben, davon das erstere (die Legalitat) auch möglich ist, wenn Neigungen bloß die Bestimmungsgründe des Willens gewesen wären, das zweite aber (die Moralität), der moralische Wert, lediglich darin gesetzt werden muß, daß die Handlung aus Pflicht, d.i. bloß um des Gesetzes willen geschehe."

Recht und Ethik

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Vom Standpunkt der Ethik aus betrachtet, ist die Legalität einer Handlung moralisch defizitär. Die Handlung erfüllt zwar äußerlich das im Gesetz Geforderte, ihr fehlt aber der sittliche Wert. Die Legalität stellt also eine unzureichende Pflichterfüllung dar. Dies gilt allerdings nur hinsichtlich der ethischen Gesetzgebung, insofern diese ja gerade die Moralität der Handlung fordert und daher die Triebfeder in ihr Gebot mit aufnimmt. Die rechtliche Gesetzgebung kann aber gar nicht anderes als Legalität, die „Übereinstimmung einer Handlung mit dem Gesetze", fordern. Daher ist das Gesetz hier ein Prinzip der bloßen Legalität der Handlungen. Die Legalität ist hier nicht ein defizitärer Befolgungsmodus des Gesetzes, sondern sie bestimmt selbst dessen Inhalt. Sowohl die Moralität, als auch die Legalität können selbst Gegenstand einer Gesetzgebung der praktischen Vernunft sein. D.h. der Unterschied moralischer und legaler Handlungen betrifft nicht nur den Ausübungsmodus von Handlungen unter praktischen Gesetzen oder das Verhältnis von Handlung, Gesetz und Triebfeder, sondern diese Ausübungsmodi können auch selbst zum Inhalt von praktischen Gesetzen gemacht werden. Kant unterscheidet daher unter dem Oberbegriff der „Gesetze der Freiheit" bzw. „moralischen Gesetze" juridische und ethische Gesetze: [Die] Gesetze der Freiheit heißen, zum Unterschiede von Naturgesetzen, moralisch. So fern sie nur auf bloße äußere Handlungen und deren Gesetzmäßigkeiten gehen, heißen sie juridisch; fordern sie aber auch, daß sie (die Gesetze) selbst die Bestimmungsgründe der Handlungen sein sollen, so sind sie ethisch, und alsdann sagt man: die Übereinstimmung mit den ersteren ist die Legalität, die mit den zweiten die Moralität der Handlung. Die Freiheit, auf die sich die erstem Gesetze [d.i. die juridischen] beziehen, kann nur die Freiheit im äußeren Gebrauche, diejenige aber, auf die sich die letztere [d.i. die ethischen Gesetze] beziehen, die Freiheit sowohl im äußern als innern Gebrauche der Willkür sein, sofern sie durch Vernunftgesetze bestimmt wird. (AA VI, 214) 1 5 6

Es ist zu beachten, daß Kant hier den Unterschied von Recht und Ethik bzw. von juridischen und ethischen Gesetzen keineswegs mit der Differenz von Legalität und Moralität gleichsetzt. Letztere betrifft ja nur den subjektiven Befolgungsmodus moralischer Gesetze überhaupt. Dieser kann Gegenstand des Gesetzes sein oder auch nicht. Von Legalität ist aber auch dann zu sprechen, wenn ein ethisches Gesetz zwar befolgt wird, dies aber nicht um der gesetzlichen Form der Maxime willen geschieht. Die Legalität kommt dann einer Handlung zu, die nicht durch ein juridisches, sondern durch ein ethisches Gesetz notwendig gemacht wird. Andererseits können aber auch Handlungen, die unter einem juridischen Gesetz stehen, Moralität haben. Dies ist dann der Fall, wenn der subjektive Bestimmungsgrund zur Handlung nicht kontingent, sondern die 156

Vgl. AA VI, 225: „Die Übereinstimmung einer Handlung mit dem Pflichtgesetze ist die Gesetzmäßigkeit (legalitas), - die der Maxime der Handlung mit dem Gesetze die Sittlichkeit (moralitas) derselben."

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

allgemeingesetzliche Form der Maxime zur Handlung ist. Dies ist das durch den kategorischen Imperativ der „Grundlegung" geforderte Prinzip aller moralisch guten Handlungen. Bloß als Pflicht - also unabhängig davon, ob es sich um eine äußere oder innere Pflichten handelt - ist jede Handlung, die Gegenstand eines apriorischen Gebots- oder Verbotsgesetzes ist, Pflicht. Daher kann jede Pflicht zum Gegenstand der ethischen Gesetzgebung gemacht werden. Die Lehre von der doppelten Gesetzgebung ist keineswegs ausreichend, um die Trennung von Recht und Ethik (als Tugendlehre) zu begründen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn Kant beide Bereiche als System rechtlicher Verbindlichkeit einerseits und ethischer Verbindlichkeit andererseits unterschiede. Dies tut er aber nicht. Zwar wäre diese Charakterisierung für das Recht durchaus zutreffend. Aber die Ethik der „Metaphysik der Sitten" ist als Tugendlehre konzipiert. Der darin zugrunde gelegte Begriff der Tugendpflicht ist durch denjenigen eine Objekts ethischer Verbindlichkeit nicht vollständig bestimmt. Kant unterscheidet nämlich zwischen ethischen Pflichten und Tugendpflichten: Zwar „korrespondiert aller ethischen Verbindlichkeit der Tugendbegriff, aber nicht alle ethischen Pflichten sind darum Tugendpflichten."157 Wie bereits erwähnt, beziehen sich Tugendpflichten auf Zwecke, die zu haben Pflicht ist. Nun gibt es aber auch Pflichten, die nicht auf solche Zwecke gerichtet sind und die zugleich keine Rechtspflichten sind. Solche Pflichten nennt Kant im engeren Sinne „ethische Pflichten". Sie betreffen nicht einen Zweck, sondern nur das „bloß Förmliche der sittlichen Willensbestimmung". Eine solche „formale" ethische Pflicht ist die singulare Pflicht zu tugendhafter Gesinnung.158 Davon soll hier aber nicht gehandelt werden. Der Begriff einer Tugendpflicht wird bei Kant einerseits (in Analogie zum Begriff der Rechtspflicht) durch den Selbstzwang bestimmt, andererseits (in spezifischer Differenz zum Recht überhaupt) durch den Begriff eines Pflichtzwecks. Das erste Merkmal kann im Ausgang von Kants Bestimmung des Tugendbegriffs erläutert werden, das zweite erfordert ein Argument, das sich auf die Möglichkeit freier Handlungen unter einem kategorischen Imperativ der reinen praktischen Vernunft bezieht. Nach Kant ist der Begriff der Pflicht „an sich schon der Begriff von einer Nötigung (Zwang) der freien Willkür durchs Gesetz"159. Der Mensch ist kein heiliges Wesen, sondern er ist als ein ,,vernünftige[s] Naturwesen ... unheilig genug ..., daß [ihn] die Lust wohl anwandeln kann, das moralische Gesetz, ob [er] gleich dessen Ansehen selbst anerkenn[t], doch zu übertreten und, selbst wenn [er] es befolgft], es dennoch ungern (mit Widerstand [seiner] Neigung) zu tun".160 157 151 159 160

Ebd., 383. Vgl. ebd. Ebd., 379. Ebd.

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Daraus, daß der Mensch seine Neigungen überwinden muß, um das Gesetz zu befolgen, ergibt sich der Zwangscharakter der Pflicht. Dies betrifft die Triebfeder, die entweder innerlich (Selbstzwang) oder äußerlich sein kann. Bei den Rechtspflichten kann die Nötigung ein äußerer Zwang sein, bei den Tugendpflichten aber kann es einen solchen äußeren Zwang nicht geben, da sie schlechterdings keiner äußeren Gesetzgebung unterliegen. Also kann der Zwang hier nur ein innerer Zwang sein: ein Selbstzwang. Da es um die „innere Willensbestimmung (die Triebfeder)" geht, kann die Nötigung, sofern sie mit der „Freiheit der Willkür" vereinbar sein muß, nur ein solcher innerer Zwang sein, den das Subjekt auf sich selbst ausübt.161 Die Fähigkeit nun, sich unter innerem Zwang zur Überwindung der Neigungen und zur Befolgung des moralischen Gesetzes zu bestimmen, nennt Kant „Tugend". Unter Tugend (virtus) ist eine Art von „Tapferkeit (fortitudo)" zu verstehen, als „das Vermögen und der überlegte Vorsatz, einem starken, aber ungerechten Gegner Widerstand zu tun" - und zwar im Fall der Tugend eine moralische Tapferkeit „in Ansehung des Gegners der sittlichen Gesinnung in uns"\ die Tugend ist eine „fortitudo moralis".162 Der „Gegner der sittlichen Gesinnung in uns" sind die Neigungen. An diesem Punkt fuhrt Kant den Begriff eines moralischen Zwecks ein, der a priori bestimmt und den zu haben daher Pflicht ist: Der Mensch handelt notwendig unter Zwecken. Diese Zwecke können entweder durch Neigungen bedingt sein oder durch Vernunft. Die Neigungen verleiten zu Zwecken, „die der Pflicht zuwider sein können"163. Da der Mensch aber nicht anders als unter Zwecken handeln kann, so muß die praktische Vernunft dem Willen einen tugendhaften Zweck vorschreiben, der als ein Gegengewicht zu jenen unsittlichen Zwecken dienen kann. Dieser ,,moralische[] Zweck" muß „von der Neigung unabhängig a priori gegeben sein".164 Mit anderen Worten: ein moralischer Zweck ist ein Zweck, den zu haben Pflicht ist. Einen Zweck zu haben, kann schlechterdings nicht erzwungen werden, da das Setzen von Zwecken ein innerer Akt des Gemüts ist. Das Setzen eines Zwecks zur Pflicht zu machen, kann daher nur Gegenstand der inneren, ethischen Gesetzgebung sein. Sofern nun alle ethische Gesetzgebung auf das Setzen von Zwecken (als Inhalt der Pflicht) gerichtet ist, „kann die Ethik auch als das System der Zwecke der reinen praktischen Vernunft definiert werden."165 Ferner: „Daß die Ethik Pflichten enthalte, zu deren Beobachtung man von anderen nicht (physisch) gezwungen werden kann, ist bloß die Folge daraus, daß sie eine Lehre der Zwecke

161 162

163 164 165

Ebd., 380. Ebd.; vgl. ebd., 394: „Tugend ist die Stärke der Maxime des Menschen in Befolgung seiner Pflicht"; ferner AA V, 84: „... Tugend, d.i. moralische Gesinnung im Kampfe, und nicht Heiligkeit im vermeinten Besitz einer völligen Reinigkeit der Gesinnungen des Willens." AA VI, 380. Ebd., 381. Ebd.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

ist, weil dazu (sie zu haben) ein Zwang sich selbst widerspricht."166 Der Widerspruch besteht natürlich nur hinsichtlich eines äußeren, d.h. physischen, Zwangs. Dagegen ist ein innerer Zwang, Pflichtzwecke in seine Maxime aufzunehmen, nicht nur möglich, sondern fur das vernünftige Naturwesen Mensch sogar notwendig. Der Mensch kann keine Zwecke haben, außer wenn er sie selbst zu seinen Zwecken macht. Dies ist ein Akt der Freiheit.167 Während nun das Recht die wirklichen Zwecke der Gesetzlichkeit der Handlungen bzw. der Maximen der Handlungen unterordnet, so die Ethik umgekehrt die Maximen den Zwecken: [Im Recht] wird [es] jedermanns freier Willkür überlassen, welchen Zweck er sich für seine Handlungen setzen wolle. Die Maxime derselben aber ist a priori bestimmt: daß nämlich die Freiheit des Handelnden mit jedes Anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen könne. Die Ethik aber nimmt einen entgegengesetzten Weg. Sie kann nicht von den Zwecken ausgehen, die der Mensch sich setzen mag, und danach über seine zu nehmende Maxime, d.i. über seine Pflicht verfügen; denn das wären empirische Gründe der Maximen, die keinen Pflichtbegriff abgeben, als welcher (das kategorische Sollen) in der reinen Vernunft allein seine Wurzel hat... . - Also wird in der Ethik der Pflichtbegriff auf Zwecke leiten und die Maximen in Ansehung der Zwecke, die wir uns setzen sollen, nach moralischen Grundsätzen begründen müssen. (AA VI, 382)

Das Recht kann im Gegensatz zur Ethik empirische Zwecke voraussetzen, weil sich die juridische Gesetzgebung gar nicht auf die Zwecke der Handlungen bezieht, sondern bloß auf ihre formale Vereinbarkeit mit der allseitigen Willkür. Hier ist nicht der Zweck, d.h. die Materie der Willkür, sondern ihre Form „a priori bestimmt". Weil sich die rechtliche Gesetzgebung allein auf letztere a priori bezieht und die gesetzliche Form der Maxime zur Pflicht macht, hat der Pflichtbegriff im Recht statt. Eine Pflichtenlehre aber, die nicht unmittelbar auf die Maximen, sondern auf Zwecke bezogen ist, kann unmöglich empirische Zwecke voraussetzen. Handlungsregeln, die aus empirischen Zwecken abgeleitet sind, können nur relative Notwendigkeit haben, d.h. sie wären keine moralischen Gesetze. Eine ethische Gesetzgebung wird sich mithin nicht auf wirkliche Zwecke beziehen können, sondern auf gesollte Zwecke, d.h. Zwecke, die zu haben Pflicht ist. Diejenigen Pflichten nun, die sich auf einen Pflichtzweck beziehen, heißen Tugendpflichten. Nach Kant sind Pflichtzwecke Bedingungen der Möglichkeit kategorischer Imperative und damit der „Sittenlehre" überhaupt. Die Begründung dieser Behauptung beruht auf der Annahme, daß das Setzen von Zwecken grundsätzlich ein freier Akt der Willkür ist, denn „niemand [kann] einen Zweck haben ..., ohne

166 167

Ebd. Vgl. ebd.

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sich den Gegenstand seiner Willkür selbst zum Zweck zu machen".168 Der „Akt, der einen Zweck bestimmt" ist ein „praktisches Prinzip", das nicht auf die Mittel, sondern auf den Zweck bezogen ist. Dieser wird in der Ethik nicht nur irgendwie bestimmt, sondern geboten. Sich einen gebotenen Zweck selbst zum Zweck zu setzen ist ein Akt der Freiheit und zugleich Tugendpflicht. Hierbei handelt es sich natürlich um die innere Freiheit, die äußere Freiheit bezieht sich allein auf äußere Handlungen und diese betreffen nicht das Setzen der Zwecke der Handlungen. Eine äußerlich freie Handlung setzt nicht notwendig einen frei gesetzten Zweck voraus. Daher ist im Recht die Art des Zwecks, ob es ein frei gesetzter oder ein empirisch bedingter ist, gleichgültig. Ein praktisches Prinzip nun, daß einen Zweck gebietet, ist „ein kategorischer Imperativ der reinen praktischen Vernunft, mithin ein solcher, der einen Pflichtbegriff mit dem eines Zweckes überhaupt verbindet."169 Mit anderen Worten: kategorische Imperative sind in der Ethik praktische Prinzipien, die das Haben von Zwecken zur Pflicht machen. Die Möglichkeit von Zwecken a priori der praktischen Vernunft ist Bedingung der Möglichkeit einer Ethik bzw. Tugendlehre überhaupt. Sowohl in der „Grundlegung", als auch in der Tugendlehre argumentiert Kant, daß die Möglichkeit von Moralgesetzen als kategorischen Imperativen von dem Begriff eines notwendigen ethischen Zwecks abhängt. In der „Grundlegung" hatte Kant den ethischen Zweckbegriff als Zweck an sich selbst eingeführt. Zweck an sich selbst ist etwas, „dessen Dasein an sich selbst einen absoluten Wert hat" und daher „Grund eines möglichen kategorischen Imperativs" sein kann.170 Dieser absolute Zweck ist der Mensch als vernünftiges Wesen, als Person]li. Damit bezieht Kant sich auf das Vermögen des Menschen, nach selbstgesetzten Zwecken handeln zu können und in dieser Eigenschaft zugleich unter moralischen Gesetzen zu stehen, die aus seiner eigenen praktischen Vernunft hervorgehen. Dieser moralkonstitutive Zusammenhang wird in der Tugendlehre der „Metaphysik der Sitten" vorausgesetzt: Das Setzen von Zwecken ist ein freier Akt der Willkür, da der Mensch gar keine Zwecke haben kann, ohne sie sich selbst zu setzen. Nun geht es in der Tugendlehre aber nicht, wie in der „Grundlegung", um die Möglichkeit eines kategorischen Imperativs und damit um die Möglichkeit des moralischen Verpflichtetseins überhaupt, sondern um die Frage, welche materialen Zwecke zu haben Pflicht ist. Absolut frei gesetzte Zwecke haben zu ihrem Prinzip einen kategorischen Imperativ. Dieser aber verbindet „einen Pflichtbegriff mit dem eines Zweckes überhaupt".172 Der Begriff eines kategorischen Imperativs impliziert 168

169 170 171 172

Ebd., 385. Da ferner jede Handlung einen Zweck hat, so gilt auch, daß alle Handlungen des Menschen als freie Willkürakte zu betrachten sind. Dies ist die konstitutive Voraussetzung sowohl der Ethik, als auch des Rechts. Ebd., 385. A A I V , 428. Vgl. ebd. AA VI, 385.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

mithin, daß es zumindest einige Zwecke gibt, „die zugleich (d.i. ihrem Begriffe nach) Pflichten sind"173, weil davon die Möglichkeit kategorischer Imperative und damit der reinen Moral abhängt. War der Mensch in der „Grundlegung" als oberster Zweck ausgemacht worden, so unterscheidet Kant in der „Metaphysik der Sitten" zwei Momente an diesem obersten Zweck, die dann eine genauere Bestimmung der Pflichtzwecke erlauben. Der Mensch als Zweck an sich selbst ist einerseits ein Wesen, dessen „Würde" darin besteht, sich selbst durch selbstgesetzte Zwecke zum Handeln bestimmen zu können. Er ist andererseits ein Wesen, das unter moralischen Gesetzen handelt, dessen inneres und äußeres Handeln also nicht in seinem bloßen Belieben steht. Kant faßt beide Aspekte in Anknüpfung an eine von ihm vielfach kritisierte moralphilosophische Tradition als Streben nach Vollkommenheit einerseits, als Streben nach Glückseligkeit andererseits. Der Mensch handelt nach Zwecken und versucht dadurch, seine Glücksvorstellungen zu realisieren. Er handelt andererseits unter moralischen Gesetzen, die seiner eigenen Vernunft entspringen, d.h. er steht unter dem Anspruch sittlicher Vollkommenheit. Beide Aspekte fuhren nun auf die beiden obersten Pflichtzwecke: eigene Vollkommenheit und fremde Glückseligkeit. Diese bestimmen die Einteilung des Systems der Tugendpflichten in Pflichten gegen sich selbst und Pflichten gegen andere. Die genaue Begründung dieser obersten Pflichtzwecke braucht hier nicht zu interessieren. Wichtig war nur, zu einem zumindest formal - vollständig bestimmten Begriff der Tugendpflicht zu gelangen. Kant bemüht sich in der Einleitung zur Tugendlehre über die Unterscheidung von Recht und Ethik durch die Lehre von der doppelten Gesetzgebung hinaus um eine genauere Differenzierung von Rechtspflichten und Tugendpflichten. Der entscheidende Gesichtspunkt ist dabei - wie erwähnt - der Begriff des notwendigen Zwecks. Von diesem Kriterium macht Kant auch in der Rechtslehre bei der „Einteilung der Metaphysik der Sitten überhaupt"174 Gebrauch. In dem entsprechenden Abschnitt findet sich die bereits erwähnte Tafel, die die Einteilung der Pflichten „nach dem objektiven Verhältnis des Gesetzes zur Pflicht"175 darstellt. Die Einteilung der Pflichtarten erfolgt dabei durch die Hauptbegriffe „Recht" und „Zweck". Sie werden auf den Menschen in zweierlei Hinsicht bezogen, nämlich einmal auf den Menschen „nach der Eigenschaft seines Freiheitsvermögens", d.h. nach seiner Menschheit, als von physischen Bedingungen unabhängiger Persönlichkeit (homo noumenon)"176 und dann auf den Menschen

173 174 175 176

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

385. 239. 240. 239.

Recht und Ethik

43

„als mit jenen [physischen] Bestimmungen behaftete[s] Subjekt (homo phaenomenon)" 177 . Die Tafel hat vier Positionen: 1. 2. 3. 4.

Das Recht der Menschheit in unserer eigenen Person, [homo noumenon] Das Recht der Menschen, [homo phaenomenon] Der Zweck der Menschheit in unserer Person, [homo noumenon] Der Zweck der Menschen, [homo phaenomenon] (AA VI, 240)

Die ersten beiden Positionen begründen Rechtspflichten, die letzten beiden Tugendpflichten. Kant erweitert dieses Einteilungsschema durch die traditionellen Begriffspaare „vollkommene Pflicht - unvollkommene Pflicht" und „Pflicht gegen sich selbst - Pflicht gegen andere". Die vollkommenen Pflichten entsprechen den Rechtspflichten, die unvollkommenen den Tugendpflichten. Ferner - und daraus ergibt sich eine Abweichung zu dem von Kant zuvor Gesagten - begründen sowohl das „Recht der Menschheit in unserer eigenen Person", als auch der „Zweck der Menschheit in unserer Person" (Positionen 1. und 3.) eine „Pflicht gegen sich selbst". So gibt es eine vollkommene Pflicht gegen sich selbst als Rechtspflicht und eine unvollkommene Pflicht gegen sich selbst als Tugendpflicht im weiteren Sinne. Hatte Kant zuvor behauptet, die Pflichten gegen sich selbst, gehörten ausschließlich in den Bereich der Ethik - seien also insgesamt unvollkommene Pflichten - , so reserviert er in der Einteilungstafel einen eigenen Platz fur vollkommene Pflichten gegen sich selbst, die ausdrücklich als Rechtspflichten ausgewiesen sind und die ihren Grund im Recht der Menschheit in unserer eigenen Person haben. Die Rechtspflicht gegen sich selbst, die grundlegende Funktion für die Rechtslehre und insbesondere für die Begründung des Staates hat, wird im übernächsten Abschnitt ausführlich erörtert. Die Einteilungstafel wird vervollständigt durch die „Pflichten gegen andere". Die vollkommenen Pflichten gegen andere betreffen das „Recht der Menschen", die unvollkommenen den „Zweck der Menschen" (Position 2. und 4.). Gerade im Hinblick auf die innere Rechtspflicht ergeben sich besondere Probleme, wenn man etwa folgende Bestimmung der Unterscheidung von Rechtspflichten und Tugendpflichten betrachtet: Aller Pflicht korrespondiert ein Recht, als Befugnis (facultas moralis generatim) betrachtet, aber nicht aller Pflicht korrespondieren Rechte eines anderen (facultas iuridica), jemand zu zwingen; sondern diese heißen besonders Rechtspflichten. ... (AA VI, 383) Die Tugendpflicht ist von der Rechtspflicht wesentlich darin unterschieden: daß zu dieser ein äußerer Zwang moralisch möglich ist, jene aber auf dem freien Selbstzwange allein beruht. (AA VI, 383)

Es stellt sich die Frage, wie die innere Rechtspflicht mit einem äußeren Zwang verknüpft und vor allem, von wem er ausgeübt werden soll oder darf. Nimmt man 177

Ebd.

44

1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

hinzu, daß die innere Rechtspflicht - wie noch zu zeigen ist - Ausdruck der elementaren äußeren Freiheitsfähigkeit des Menschen ist, dann scheint der mit dieser Pflicht verbundene Zwang nur ein innerer Selbstzwang sein zu können. Andernfalls scheint die innere Rechtspflicht durch einen moralisch möglichen Zwang zur Freiheit bedingt zu sein. Daß dies nicht der Fall ist, wird im übernächsten Abschnitt gezeigt. Zunächst aber wird vom Begriff der Rechtspflicht zu dem dieser Pflicht zugrundeliegenden Gesetz - dem Rechtsgesetz - übergegangen.

3. Rechtsbegriff und Rechtsgesetz Pflichten sind praktisch notwendige Handlungen, die unter einem moralischen Gesetz stehen. Dieses Gesetz ist der objektive Grund ihrer Verbindlichkeit. Die Rechtspflichten stehen unter einem Rechtsgesetz, die Tugendpflichten unter einem Tugendgesetz. Rechtsgesetz und Tugendgesetz unterscheiden sich nicht nur durch die Art der Verbindlichmachung, sondern auch durch ihren Inhalt. Wie immer nun der Inhalt des Rechtsgesetzes von Kant bestimmt wird, eines ist klar: Wie aus dem Lehrstück von der doppelten Gesetzgebung der Vernunft hervorgeht, kann durch das Rechtsgesetz nicht gefordert werden, daß ein Bewußtsein der Verbindlichkeit Handlungsmotiv ist und daß das Subjekt selbst seine Handlungen auf die gesetzlichen Bedingungen einschränken muß. Daher wird das Rechtsgesetz ein Prinzip möglicher gesetzlicher - nicht Bestimmung, aber - Einschränkung der Freiheit durch fremde Willkür sein. Das Rechtsgesetz drückt zwar eine Verbindlichkeit aus, es ist aber gegenüber dem Grund der Verbindlichmachung oder dem Befolgungsmodus des Gesetzes indifferent. Es ist also gleichgültig, ob das Rechtsgesetz vom Subjekt aufgrund des Bewußtseins der Verbindlichkeit, d.h. der bloßen Vorstellung der praktischen Notwendigkeit der durch das Gesetz verbindlich gemachten Handlung, oder ob es aufgrund eines erlaubten äußeren Zwanges befolgt wird. Die Vernunft sagt durch das Rechtsgesetz nur, nach welchem Prinzip der äußere Freiheitsgebrauch objektiv eingeschränkt ist und - qua Rechtsbegriff vermittelst welcher Triebfeder er subjektiv eingeschränkt werden darf. Die im Sittlichen allgemein geforderte Allgemeingesetzlichkeit der Handlungen als Bedingung der (inneren und äußeren) Freiheit überhaupt kann im Rechtsgesetz gerade nicht als ein an das Subjekt gerichtete Sollen, durch das der subjektive Befolgungsmodus der Handlung zugleich mit festgelegt wird, gedacht werden. Sondern das Rechtsgesetz kann sich nur auf das äußere Verhältnis freier Personen, insofern diese sich gegenseitig auch äußerlich verpflichten können, beziehen. Ist das Rechtsgesetz aber gar kein Prinzip der sittlichen Bestimmung des Willens, d.h. der Moralität der Handlungen, sondern der Rechtlichkeit (Legalität) des äußeren Willkürgebrauchs (der Handlungen bzw. Maximen der Handlun-

Rechtsbegriff und Rechtsgesetz

45

gen 178 ), so bedarf es keiner Ableitung dieses Prinzips aus dem kategorischen Imperativ der „Grundlegung" und der „Kritik der praktischen Vernunft". Die „Grundlegung" hatte den kategorischen Imperativ als dasjenige Prinzip des Willens entdeckt, das sowohl die innere Gesetzmäßigkeit sittlich guter Handlungen ausdrückt, als auch den einzig zulässigen Bewegungsgrund zu solchen Handlungen enthält. Nur solche Handlungen können als moralisch gut gelten, deren Maxime als allgemeines Gesetz gewollt oder gedacht werden kann. Und nur derjenige Wille ist uneingeschränkt gut, der nicht nur seine Maximen gemäß diesem Prinzip bestimmt, sondern für den zusätzlich das Motiv der Befolgung des kategorischen Imperativs allein in der Vorstellung des Verpflichtetseins durch diesen Imperativ besteht. Der kategorische Imperativ leistet also zweierlei: Er bestimmt sowohl den Begriff des moralisch guten Willens, als auch den Begriff der ethischen Verbindlichkeit. Eine Ableitung des Rechtsgesetzes aus dem Pflichtprinzip der Ethik sieht sich vor folgende Schwierigkeit gestellt: The categorical imperative as a distinctively ethical command is the presupposition of applied moral philosophy as a whole. But from the supreme moral principle Kant must then abstract the criterion of legally right, as distinguished from morally good, action and so develop the first principle o f laws which express the conditions o f such freedom as can be realized independently of the agent's motive. Proceeding from Law to ethics - from the abstract to the concrete - he must then take up again considerations of the motive and, from the categorical imperative as a distinctively ethical principle, develop laws expressing the conditions of freedom in the interior attitude of will itself. 179

Nach dieser Auffassung führt der systematische Ableitungsweg vom ethischen kategorischen Imperativ (durch Abstraktion) zum Rechtsgesetz und von dort wiederum (durch konkretisierenden Zweckbezug) zum Tugendgesetz. Diese Anordnung ergibt sich, wenn man annimmt, daß die Rechtslehre systematisch auf der „Kritik der praktischen Vernunft" aufbaut - wie Kant es ja in der Vorrede zur „Metaphysik der Sitten" andeutet - und die Tugendlehre auf der Rechtslehre in der Weise, daß sie deren pflichtendogmatische Erweiterung darstellt. Diese Auffassung könnte dadurch plausibel erscheinen, daß Kant behauptet, alle Rechtspflichten könnten auch als indirekt-ethische Pflichten angesehen werden sowie dadurch, daß das Kriterium der Legalität der Handlung natürlich auch für alle unvollkommenen Pflichten (Tugendpflichten) gegen andere gilt. Diese Auffassung läßt sich aber durch die von Kant selbst innerhalb der „Metaphysik der Sitten" vorgestellte prinzipientheoretische Systematik nicht erhärten. Eine ethische Fundierung des Rechts würde sich außerdem mit schwer1,8

179

Ebd., 230, bestimmt die Rechtlichkeit mit Bezug auf die Maxime der Handlung („Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime ..."). Damit ist jedoch nicht die innere Bestimmung des Willens angesprochen, da Kant sich auf die „Maxime der Handlung und nicht des Handelnden" bezieht; vgl. Bernd Ludwig, Kants Rechtslehre, S. 95. Gregor, Laws of Freedom, S. 19.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

wiegenden verbindlichkeitstheoretischen Problemen belasten. So milßte etwa gezeigt werde, daß und warum die Bedingungen der Möglichkeit des kategorischen Imperativs zugleich die Bedingungen der Möglichkeit des Rechtsgesetzes sein sollen. Insbesondere müßte dann auch gezeigt werden, daß und warum auch im Recht der Freiheitsbegriff der „Grundlegung" und der zweiten Kritik vorausgesetzt werden muß. Demgegenüber muß zunächst festgehalten werden, worum es Kant bei der Ableitung oder Begründung des Rechtsgesetzes und des Tugendgesetzes eigentlich geht. Geht es im einen Falle darum, ein allgemeines moralisches Prinzip des äußeren Freiheitsgebrauch zu begründen, dessen Befolgung äußerlich erzwungen werden kann, so im anderen Falle darum, ein Prinzip der inneren Willensbestimmung zu geben, dessen Pflichthandlungen zugleich unter materialen (gebotenen) Zwecken stehen. Das übergeordnete Thema der „Metaphysik der Sitten" ist ja im deutlichen Kontrast zum Formalismus der beiden moralphilosophischen Vorgängerschriften - gerade die materiale Bestimmung der Rechte und Pflichten.180 Der kategorische Imperativ ist zwar ein „pflichtgebietender" Satz, damit ist aber nicht gemeint, daß sich aus diesem Prinzip selbst inhaltlich bestimmte Pflichten gewinnen lassen. Der kategorische Imperativ fordert lediglich, seine Maximen nicht anders zu nehmen als unter der Bedingung, sie zugleich als allgemeines Gesetz wollen zu können. In diesem Sinne dient er lediglich als Negativkriterium sittlichen Handelns. Wenn Kant in der „Grundlegung" behauptet, es gebe eine Pflicht zur Wohltätigkeit bzw. Hilfsbereitschaft, so ist die Begründung dafür nicht, daß diese Pflicht im kategorischen Imperativ enthalten ist und so unmittelbar aus ihm abgeleitet werden kann. Sondern die Pflicht, zum „Wohlbefinden" eines anderen beizutragen, oder die Pflicht, einem anderen „Beistande in der Not" zu leisten, entspringt aus der Unmöglichkeit, eine gegenteilige Maxime (als Naturgesetz) zu wollen.181 Auf diese Weise läßt sich aber kein vollständiges System der Rechtspflichten und der Tugendpflichten gewinnen. Der kategorische Imperativ wird lediglich auf gegebene Maximen angewendet und scheidet gesetzeswidrige Maximen als praktisch unmöglich aus. Für die hier interessierende Frage nach der Ableitung des Rechtsgesetzes ergibt sich im Hinblick auf den kategorischen Imperativ folgendes Problem: Der kategorische Imperativ müßte ein Prinzip in sich enthalten, das gerade von demjenigen Merkmal absieht, das für ihn als Moralgesetz konstitutiv ist: dem Gebot der Pflichterfüllung aus Pflicht. Nach der Auffassung der „Grundlegung"

1,1

Zum Verhältnis von Moralbegründung und Anwendung des Moralgesetzes vgl. Ludwig, Kants Rechtslehre, S. 92: „Alle MoralbegrOndung (über das .Faktum der Vernunft') findet daher im Felde der Ethik statt. Die Anwendung des so gegründeten Sittengesetzes in einer [Metaphysik der Sitten] wird nur die Verbindlichkeit desselben voraussetzen und sich nach weiteren moralisch möglichen Triebfedern umsehen dürfen." Vgl. A A I V , 423.

Rechtsbegriff und Rechtsgesetz

47

erscheint der kategorische Imperativ ja nicht primär als Prinzip der freien Willkür, sondern als Prinzip des guten Willens. Die praktische Realität der Freiheit ist in epistemologischer Hinsicht eine Folge dieses Prinzips. Wie aber soll das Gebot der Pflichterfüllung aus Pflicht zugleich ein Prinzip enthalten, daß auf die Erfüllung der Pflicht aus Pflicht verzichtet und stattdessen das Pflichtgebot mit einer heterogenen Triebfeder zu verknüpfen erlaubt. Die Unvereinbarkeit beider Prinzipien ist hier nicht formaler, sondern inhaltlicher Art. Aber gerade um den Inhalt des Gesetzes der äußeren Freiheit geht es ja. Die erwähnten Unterschiede der moralischen Gesetze - des kategorischen Imperativs der „Grundlegung" einerseits, des Rechtsgesetzes (und des Tugendgesetzes) der „Metaphysik der Sitten" andererseits - lassen eine direkte Ableitung der letzteren aus dem ersteren problematisch erscheinen. Fichtes Einlassung, die sich allerdings auf den „Ewigen Frieden" bezieht, daß „sich nicht deutlich ersehen" ließe, ,,[o]b Kant das Rechtsgesetz nach der gewöhnlichen Weise vom Sittengesetze ableite, oder eine andere Deduktion desselben annehme"182, kann durchaus auch auf die „Metaphysik der Sitten" bezogen werden. Sofern spätere Interpreten der Rechtslehre es nicht bei dieser Feststellung belassen, wird meist auf die offensichtliche „strukturelle Analogie"183 von Sittengesetz und Rechtsgesetz hingewiesen und das letztere als eine „Anwendung [des] kategorischen Imperativs auf die äußere, d.h. die soziale Lebenssphäre"184 verstanden. Beide Feststellungen lassen das Problem, wie es überhaupt möglich ist, aus einem Prinzip ethischer Verbindlichkeit ein Äec/?teprinzip zu gewinnen, außer acht. Will man das Recht, wie in älteren Interpretationen der Rechtslehre häufig geschehen, nicht gänzlich in den Dienst der Sittlichkeit stellen185, so muß jedenfalls von den spezifisch ethischen Implikationen des kategorischen Imperativs abgesehen werden. Genau dies tut Kant in der „Metaphysik der Sitten". Ausgangspunkt der Ableitung des Rechtsgesetzes ist nicht das ethische Pflichtprinzip der „Grundlegung" und der zweiten Kritik, sondern ein „oberster Grundsatz der Sittenlehre"186, der zwar selbst auch ein „kategorischer Imperativ" ist, der aber „überhaupt nur aussagt, was Verbindlichkeit sei".187 Der hier zugrunde gelegte Verbindlichkeitsbegriff kann weder ein spezifisch ethischer, noch ein spezifisch rechtlicher sein. Es handelt sich vielmehr um die Verbindlichkeit, die jeder praktische Satz (Gesetz) bei sich führen muß, um überhaupt nur als Pflichtprinzip 182

Fichte, Grundlage des Naturrechts, S. 12. " 3 Friedrich Kaulbach, Moral und Recht in der Philosophie Kants, in: Recht und Ethik. Zum Problem ihrer Beziehung im 19. Jahrhundert, hg. v. J. Blühdorn u. J. Ritter. Frankfurt a. M. 1971, S. 43-58, S. 50, vgl. auch S. 62. 184 Metzger, S. 83. 1,5 So etwa bei Bruno Bauch, Das Rechtsproblem in der Kantischen Philosophie, in: Zeitschrift ftlr Rechtsphilosophie 3 (1921), S. 1-26, in sachlicher Übereinstimmung mit Gustav Radbruch, Grundzüge der Rechtsphilosophie. Leipzig 1914. 186 AA VI, 226. 187 Ebd., 225.

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1. Kapitel: D i e Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

betrachtet werden zu können. Aus diesem rein formalen obersten sittlichen Prinzip können das Rechtsgesetz und das Tugendgesetz abgeleitet werden, dies nun aber nicht durch „Abstraktion", sondern durch Hinzufilgung im Rechtsbegriff bzw. im Tugendbegriff enthaltener „materialer" Momente. Der „oberste Grundsatz der Sittenlehre" lautet nun: „Handle nach einer Maxime, die zugleich als allgemeines Gesetz gelten kann."188 Kant erläutert dies: „Deine Handlung mußt du also zuerst nach ihrem subjektiven Grundsatze betrachten; ob aber dieser Grundsatz auch objektiv gültig sei, kannst du nur daran erkennen, daß, weil deine Vernunft ihn der Probe unterwirft, durch denselben dich zugleich als allgemein gesetzgebend zu denken, er sich zu einer solchen allgemeinen Gesetzgebung qualifiziere."189 Wenn hier gefordert wird, daß das Subjekt nur nach allgemeingesetzlichen Maximen handeln soll, so kann damit jedenfalls nicht gemeint sein, daß dieses allgemeine Prinzip der Verbindlichkeit ein Gesetz der inneren Bestimmung der Willkür ist. Andernfalls ließe es sich überhaupt nicht auf das Recht anwenden. In der Einleitung zur Tugendlehre macht Kant klar, daß nur die Ethik Gesetze für die Maximen der Handlungen gibt, wobei die Maximen zugleich den Zweck der Handlung betreffen. Die Rechtslehre dagegen gibt Gesetze fur (äußere) Handlungen.190 In der Rechtslehre heißt es zwar: „Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann"191, dabei ist allerdings die „Maxime der Handlung und nicht des Handelnden"192 gemeint. Wenn Kant sich im Zusammenhang mit dem obersten Grundsatz der Sittenlehre und insbesondere bezüglich der Rechtlichkeit von Handlungen auf den Begriff der Maxime bezieht, so kann nicht angenommen werden, daß damit eine innere Handlung gemeint ist. Der Begriff „Maxime" im obersten Grundsatz der Sittenlehre verhindert also nicht, diesen Grundsatz auch auf das Recht anzuwenden. Dieser ist das „gemeinsame Prinzip der Moral", unter dem sowohl Recht als auch Ethik begriffen werden können; es ist das „Prinzip der notwendigen Übereinstimmung der Maximen unserer Willensbestimmung mit möglichen allgemeinen Gesetzen" - seien diese nun „Maximen des Willens zur Bestimmung unserer äußeren Freiheit oder der Zwecke, die wir uns machen."193 188

Ebd., 226. Ebd., 225. 190 Vgl. ebd., 388. " ' Ebd., 230. 1,2 Ludwig, Kants Rechtslehre, S. 95. Ebbinghaus, Idee des Rechts, S. 167. Ders., Kant und das 20. Jahrhundert, S. 113, betont, daß gerade durch den Formalismus des Rechtsgesetzes das Verbindlichkeitsproblem gelöst werde. Kant emanzipiert „die im Rechtsbegriffe enthaltene Forderung von allen naturgegebenen Zwecken der Menschen, daß heißt von allen ihren möglichen empirisch bedingten Interessen ... . Aus einem Gesetz der Vereinigung der Menschen in ihren natürlichen Zwecken wird das Rechtsgesetz bei ihm zu einem Gesetz der Vereinigung aller in derjenigen (äußeren) Freiheit, deren sie bedürfen, wenn sie irgendwelche Zwecke, ganz gleich welche, sollen realisieren können." Daraus ergibt sich auch, 189

Rechtsbegriff und Rechtsgesetz

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Wie aber wird der oberste Grundsatz der Sittenlehre nun auf das Recht angewendet? Kants Rechtslehre beginnt mit dem Rechtsbegriff. Mit Hilfe dieses Begriffs kann das allgemeine Rechtsgesetz formuliert werden.194 Der Rechtsbegriff benennt die „Anwendungsbedingungen"195 des Rechts bzw. er grenzt denjenigen Bereich der praktischen Bezüge des Menschen ab, innerhalb dessen die rechtliche Gesetzgebung der praktischen Vernunft relevant ist. Daß es sich beim Recht um einen Bereich der Praxis - sogar der Moral - handelt, versteht sich von selbst. Es bedeutet hier aber insbesondere, daß sich das Recht auf die Korrelation äußerer Rechte und Pflichten zwischen Menschen bezieht. Kant spricht hier vom ,,moralische[n] Begriff' des Rechts. Die Definition des Rechtsbegriffs ist in sich dreifach gestuft: Der Begriff des Rechts, sofern er sich auf eine ihm korrespondierende Verbindlichkeit bezieht (d.i. der moralische Begriff desselben), betrifft erstlich nur das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar, oder mittelbar) Einfluß haben können. Aber zweitens bedeutet er nicht das Verhältnis der Willkür auf den Wunsch (folglich auch auf das bloße Bedürfiiis) des anderen, wie etwa in den Handlungen der Wohltätigkeit oder Hartherzigkeit, sondern lediglich auf die Willkür des anderen. Drittens in diesem wechselseitigen Verhältnis der Willkür kommt auch gar nicht die Materie der Willkür, d.i. der Zweck, den ein jeder mit dem Objekt, was er will, zur Absicht hat, in Betrachtung, z.B. wird nicht gefragt, ob jemand bei der Ware, die er zu seinem eigenen Handel von mir kauft, auch seinen Vorteil finden möge, oder nicht, sondern nur nach der Form im Verhältnis der beiderseitigen Willkür, sofern sie bloß als frei betrachtet wird, und ob dadurch die Handlung eines von beiden sich mit der Freiheit des andern nach einem allgemeinen Gesetze zusammen vereinigen lasse. (AA VI, 230)

Die genannten drei Bestimmungen sind der Reihe nach zu erläutern. Kant beschränkt das Recht zunächst auf das äußere praktische Verhältnis zwischen Personen. Betroffen ist aber nicht das praktische Verhältnis schlechthin, sondern nur insofern die Personen durch freie, zurechenbare Handlungen aufeinander einwirken, d.h. insofern sie ihre äußere Freiheit „selbsttätig" wechselseitig affizieren. Diese erste Bestimmung läßt sich auch als „Intersubjektivität in Reziprozität" charakterisieren.196 Die einschlägigen Definitionen für die Begriffe „Person", „Zu-

194

1,5

156

daß alle Rechtsinstitutionen, die analytisch durch das Rechtsgesetz gefordert sind, keiner materialen Voraussetzungen bedürfen. Dies gilt insbesondere für den Staat. Dieser wird unmittelbar durch das Rechtsgesetz - und das heißt auch: unabhängig von den materialen (äußeren) Rechten der Menschen - notwendig gemacht wird. Vgl. Manfred Baum, Probleme der Begründung Kantischer Tugendpflichten, in: Jahrbuch fur Recht und Ethik 6 (1998), S. 41-56, S. 43. Wie Baum zeigt, ist die Ableitung des Tugendgesetzes nicht ganz so einfach. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 127; vgl. ders., Der kategorische Rechtsimperativ. „Einleitung in die Rechtslehre", in: Immanuel Kant: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, hg. v. Otfried Höffe. Berlin 1998, S. 41-62, S. 49ff. Höffe, Der kategorische Rechtsimperativ, S. 49.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

rechnung" und „Tat" finden sich in der Einleitung zur „Metaphysik der Sitten": „Person ist dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind"197; „Zurechnung (imputado) in moralischer Bedeutung ist das Urteil, wodurch jemand als Urheber (causa libera) einer Handlung, die alsdann Tat (factum) heißt und unter Gesetzen steht, angesehen wird ,..".198 Person ist der Mensch, insofern er als frei handelndes Wesen, dessen Handlungen und ihre Folgen als Wirkungen seines freien Willensentschlusses anzusehen sind, betrachtet wird. Die Handlung ist der Person zurechenbar, insofern diese causa libera der Handlung ist. Als frei handelndes Wesen steht der Mensch (die Person) unter Gesetzen, denen gemäß eine Handlung nicht nur als sittlich gut oder schlecht, recht oder unrecht qualifiziert werden kann, sondern denen zufolge auch Schuld und Strafe möglich sind. ,Tat' heißt eine Handlung daher nicht nur insofern sie einer Person zugerechnet werden kann, sondern auch insofern sie eine Handlung ist, die unter Gesetzen steht.199 Die Zurechenbarkeit einer Handlung ist nicht nur notwendige, sondern auch hinreichende Bedingung des Rechts. In der Ethik wäre dies nicht der Fall. Eine hinreichende Bedingung für ethisches Handeln unter Gesetzen ist in der Ethik nicht nur die Zurechenbarkeit der Handlung, sondern die Willensfreiheit. Aus diesem Grunde kann sich das Recht mit dem negativen Begriff der Freiheit begnügen, d.h. mit der Unabhängigkeit der Bestimmung der Willkür von sinnlichen Antrieben.200 Das Recht ist ein praktisches Verhältnis zwischen Personen, d.h. es setzt eine Pluralität von handelnden Subjekten voraus. Weder bestünde ein Rechtsproblem, wenn es nur eine einzige Person gäbe, bzw. diese nicht in ein Willkürverhältnis zu anderen geraten könnte, noch gibt es eine (direkte) rechtliche Beziehung zwischen Personen und Sachen (es gibt nur Rechte in Bezug auf Sachen). Auch und gerade im Sachenrecht muß eine Pluralität von Personen vorausgesetzt werden. Personen stehen nur dann in einem „praktischen Verhältnis", wenn sie faktisch in Gemeinschaft miteinander stehen, wenn sie „in derselben Außenwelt" leben.201 Oberste Bedingung des Rechts - dies betont Kant mehrfach - ist die „unvermeidbare Sozialbeziehung", d.h. daß die Menschen unvermeidlich durch ihren äußeren Willkürgebrauch ihre äußere Freiheit wechselseitig einschränken.202 In der gemeinsamen Außenwelt finden sich Menschen - unbeschadet ihres Personenstatus - als körperlich reale Wesen. Der eigene Leib ist etwas, das durch die Handlungen anderer affiziert werden kann. Zugleich beziehen sich die leiblich anwesenden Personen in der gemeinsamen Außenwelt auch auf äußere Gegenstände, die für jedermann gleichermaßen Gegenstände der Willkür (d.i. des möglichen Ge197 198 199 200 201 202

A A VI, 223. Ebd., 227. Vgl. ebd., 223. Vgl. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 129; A A VI, 213. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 129. Vgl. A A VI, 237 u. 307.

Rechtsbegriff und Rechtsgesetz

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brauchs) sind oder sein können. Daß sich jeder Mensch aber auf Äußeres beziehen muß, liegt nicht nur an seiner Leiblichkeit, sondern auch an seinen (natürlichen oder künstlichen) Bedürfnissen, für deren Befriedigung er auf äußere Güter angewiesen ist. Einige dieser Güter stehen außerdem nicht unbegrenzt zur Verfügung, so daß das, was der eine besitzt, dem freien Willkürgebrauch der anderen schlechterdings entzogen ist. All das führt dazu, daß die Menschen als Bewohner einer gemeinsamen Welt unvermeidlich in einem wechselseitigen Verhältnis der Freiheitseinschränkung stehen.203 Die Lösung für das daraus erwachsende Freiheitsproblem ist das Recht. Die zweite Bestimmung, durch die Kant den Anwendungsbereich des Rechts festlegt, betrifft den Unterschied von Willkür und Wunsch. Willkür und Wunsch gehören beide zum oberen (begrifflichen) Begehrungsvermögen, das Kant auch ein „Vermögen, nach Belieben zu tun oder zu lassen" nennt. Sofern dieses Vermögen „mit dem Bewußtsein des Vermögens seiner Handlung zur Hervorbringung des Objekts verbunden ist, heißt es Willkür."™ Der „Aktus" des Begehrungsvermögens, der nicht mit jenem Bewußtsein verbunden ist, heißt „Wunsch".205 Das Verhältnis der Willkür auf den Wunsch kann zwar als praktisches Verhältnis zwischen Personen aufgefaßt werden und ist möglicherweise sogar für das wechselseitige Freiheitsverhältnis relevant, aber Kant scheint es kategorisch aus dem Regelungsbereich des Rechts ausschließen zu wollen. Dagegen hat es seinen Platz in der Ethik, denn die von Kant genannten „Handlungen der Wohltätigkeit oder Hartherzigkeit" beziehen sich auf das Verhältnis der Willkür des einen auf den Wunsch des andern. Kant sagt an dieser Stelle auch ausdrücklich, daß das „bloße Bedürfnis" dem Begriff des Wunsches subsumiert werden kann. Das Bedürfnis soll demnach ebenfalls im Recht keine Rolle spielen. Das Wünschen ist zwar eine zurechenbare Handlung einer Person, durch diese „Tat" (die also auch kein „factum" ist) kann aber die Freiheit keines anderen (gesetzlich oder ungesetzlich) affiziert werden. Das wechselseitige Wünschen stellt daher kein Problem des äußeren Freiheitsgebrauchs dar und gehört somit nicht ins Recht. 203

204 205

Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 127, nennt das, was als (von ihm so genannte) „Anwendungsbedingungen" in den moralischen Rechtsbegriff eingeht, eine „Rechtsanthropologie". Daß dies jedoch keine anthropologische Fundierung des Rechts bedeutet, zeigt der Vergleich mit dem vorkantischen Naturrecht von Hobbes bis Rousseau: „Der im Anschluß an Hobbes entbrannte Streit um die Fragen: warum sich die Menschen gegenseitig beeinflussen, ferner ob die Beeinflussung freundlicher oder feindlicher Natur ist und was die Gründe möglicher Feindlichkeit sind - all diese anthropologischen, teilweise auch sozial- oder geschichtsphilosophischen Zusatzprobleme löst Kant aus dem moralischen Rechtsbegriff heraus. Andererseits setzt er nicht einfach die gesamte Anthropologie beiseite. Er konzentriert sich auf das, was das Stichwort verlangt: auf invariante Bedingungen des Menschseins; in ihrem Rahmen hebt er eine unvermeidbare Sozialbeziehung hervor." (ebd., S. 130) AA VI, 213. Ebd.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

Kants Einlassung, wie der Wunsch, so sei auch das „bloße Bedürfnis" für das Recht irrelevant, wird meist als ein Plädoyer gegen soziale Rechte aufgefaßt. So urteilt etwa Wolfgang Kersting: „Bedürftigkeit vermag nicht rechtlich zu ververbinden, niemand ist rechtlich verpflichtet, auf sie zu reagieren. Eine Rechtsgemeinschaft ist keine Solidargemeinschaft der Bedürftigen, sondern eine Selbstschutzgemeinschaft der Handlungsmächtigen."206 Nach Otfried Höffe enthält Kants moralischer Rechtsbegriff eine „implizite Utilitarismuskritik", die gegen die staatsrechtliche Konzeption etwa von Christian Wolff und Moses Mendelssohn gerichtet ist, indem sie die „Aufgaben des Wohlfahrtsstaates" aus dem Rechtsbegriff ausschließt; „Kant wird zu einem Vertreter des politischen Liberalismus. Die Entwicklung des Sozialstaates wäre für Kant allenfalls in einem pragmatischen Sinn legitim ,.."207. In Übereinstimmung mit Kersting bestreitet Höffe die Möglichkeit einer juridischen Begründung des Sozialstaats bei Kant. Dagegen läßt sich eine politische Begründung sozialer Rechte auch und gerade im Anschluß an Kant sehr wohl geben.208 Die Subsumtion des Bedürfnisses unter den Wunsch ist jedoch nicht ohne weiteres plausibel. Kant meint wohl: sofern sich ein Bedürfnis nur als Wunsch äußert („bloßes" Bedürfnis), also gar nicht handlungsmächtig wird, kommt es im Recht nicht in Betracht. D.h. niemand kann durch einen solchen Wunsch rechtlich verpflichtet werden. Was aber, wenn das Bedürfnis zum Grund eines Willküraktes wird? Eine Person, die etwa ein Recht auf das Eigentum anderer reklamiert, könnte sich dabei auf ihr Bedürfnis nach Nahrung berufen. Als Argument wäre dies innerhalb der Kantischen freiheitsgesetzlichen Konzeption nur dann zulässig, wenn die Unmöglichkeit der Befriedigung des Bedürfnisses eine nach dem Rechtsgesetz unzulässige Freiheitseinschränkung darstellt - etwa wenn die Verhinderung des Gegenstandsgebrauch für ein Subjekt lebensbedrohliche Konsequenzen hätte. Aber auch in diesem Fall würde das Recht bzw. die Rechtsverletzung wiederum durch die Idee der allgemeingesetzlichen äußeren Freiheit bestimmt - und nicht unmittelbar durch das Bedürfnis. Nicht weil jemand sein Bedürfiiis - und sei es noch so elementar - nicht befriedigen konnte, sondern weil seine Freiheit eingeschränkt wurde, ist das Recht verletzt worden. In diesem Fall würde aber die Bedürfnisbefriedigung in die materiale Bestimmung der äußeren Freiheit eingehen. Kant stellt solche Überlegungen allerdings nicht an. Bei ihm gehören die angesprochenen Probleme in die Politik, d.i. die „ausübende Rechtslehre", nicht ins Recht als „Rechtsmetaphysik". Kant behandelt sie in der „allgemeinen Anmerkung C" zum Staatsrecht. Nach Kant gibt es eine Pflicht des Volkes zu seiner eigenen Erhaltung. Die Erfüllung dieser Pflicht wird im Staat vom Oberbefehls206 207 208

Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 98. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 133. Vgl. Alexander Kaufman, Welfare in the Kantian State. Oxford, New York 1999; vgl. auch Mary Gregor, Kant on Welfare Legislation, in. Logos 6 (1985), S. 49-60.

Rechtsbegriff und Rechtsgesetz

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haber übernommen, dem dann ein Recht zukommt, von den Bürgern Abgaben zur Unterhaltung sozialer Einrichtungen („milde oder fromme Stiftungen") einzutreiben. Der Grund der Unterstützungspflicht ist der Vertrag, durch den sich die Individuen (der „Volkswille") zu einer „Gesellschaft vereinigt [haben], welche sich immerwährend erhalten soll". Das Volk hat sich mithin „zu dem Ende ... der inneren Staatsgewalt unterworfen, um die Glieder dieser Gesellschaft, die es selbst nicht vermögen, zu erhalten." Daher ist „[die Regierung] [v]on Staats wegen ... berechtigt, die Vermögenden zu nötigen, die Mittel der Erhaltung derjenigen, die es, selbst den notwendigsten Naturbedürfnissen[!] nach, nicht sind, herbeizuschaffen; weil ihre Existenz zugleich als Akt der Unterwerfung unter den Schutz und die zu ihrem Dasein nötige Vorsorge des gemeinen Wesens ist, wozu sie sich verbindlich gemacht haben, auf welche der Staat nun sein Recht gründet, [die Vermögenden zu nötigen,] zur Erhaltung ihrer Mitbürger das Ihrige beizutragen."209 Es ist zwar richtig, daß die einzelnen Individuen gegeneinander keine Erhaltungspflicht haben, daß also weder Wunsch noch Bedürfnis als Grund einer Rechtspflicht in Frage kommen. Dies gilt schlechthin im Naturzustand, es gilt aber nur eingeschränkt im bürgerlichen Zustand. Sofern sich die Individuen um willen ihrer äußeren Freiheit vergesellschaftet haben, hat diese Vereinigung der Individuen (das „Volk"), die Pflicht, sich selbst zu erhalten. Kant folgert daraus zwar nicht unmittelbar ein Recht des Einzelnen, nach seinem Bedürfnis Unterstützung von der Gemeinschaft zu bekommen, sondern nur das Recht des Oberbefehlshabers (der Regierung), die Bürger zu Abgaben ftlr soziale Zwecke zu zwingen. Gleichwohl läßt sich unter Verweis auf die allgemeine äußere Freiheit als oberstem Zweck des Staates ein Recht auf materielle Unterstützung rechtfertigen auch wenn Kant selbst dies nicht ausdrücklich tut.210 Schließlich ist der Kantische Staat gemäß Kants Ausführungen in der „Allgemeinen Anmerkung C" zum öffentlichen Recht tatsächlich nicht nur eine „Selbstschutzgemeinschaft der Handlungsmächtigen", sondern auch eine „Solidargemeinschaft" von „Bedürftigen" und Vermögenden. Letztere wird von Kant allerdings nicht primär als Rechtsgemeinschaft gekennzeichnet. Kants dritte und letzte Bestimmung des moralischen Rechtsbegriffs bezieht sich darauf, daß im Recht nicht die Materie, sondern die Form der Willkür betrachtet wird. Die „Materie der Willkür" ist der „Zweck". Es kommt nicht darauf an, daß die Zwecke der interagierenden Personen vereinbar sind - etwa ob ein Geschäft zum beiderseitigen Vorteil abgeschlossen wird - sondern bloß

209 210

AA VI, 326. Dies hat besonders Jean-Christoph Merle, Funktionen, Bejugnisse und Zwecke der Staatsverwaltung. Zur Allgemeinen Anmerkung zu §52, B-D, in: Immanuel Kant: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, hg. v. Otfried Höffe. Berlin 1998, S. 195-212, betont, der von einem „Recht auf Subsistenz" als „geschuldetes Recht" spricht (ebd., S. 203).

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

darauf, daß die Willkür bzw. die Handlungen beider formal nach einem allgemeinen Gesetz der äußeren Freiheit vereinbar sind. Aus den von Kant angegebenen Bestimmungen ergibt sich, daß das Recht das formale Willkürverhältnis zwischen Personen, sofern diese in einem unvermeidlichen Verhältnis wechselseitiger Freiheitsaffektion stehen, betrifft. Die von Höffe so genannten „Anwendungsbedingungen" des moralischen Rechtsbegriffs enthalten eine Explikation des Rechtsproblems, d.h. des Problems der möglichen Zusammenstimmung der äußeren Freiheit von Wesen, die hinsichtlich ihres Willkürgebrauchs in einem Verhältnis unvermeidlicher Wechselwirkung stehen. Das Recht ist nun gar nichts anderes, als die Gesamtheit der Bedingungen, unter der dieses Problem gelöst werden kann. Mit Kants Worten: „Das Recht ist... der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann."211 Das Recht bezieht sich ausschließlich auf die Form des äußeren Willkürverhältnisses. Daher ist Jede Handlung ... recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann."212 Die allgemeingesetzliche Freiheit anderer zu behindern, ist unrecht. Kant spricht hier von einem „Prinzip aller Maximen". Dieses ist nun aber nicht - wie bereits erwähnt - ein Prinzip innerer Handlungen, sondern äußerer Handlungen. Der Zweck meiner äußeren Handlungen ist aber nicht die äußere Freiheit anderer, sondern ich handle um beliebiger selbstgesetzter Zwecke willen. Im Recht kann daher „nicht verlangt werden", daß ich die äußere Freiheit selbst „mir zur Maxime meiner Handlung mache-, denn ein jeder kann frei sein, obgleich seine Freiheit mir gänzlich indifferent wäre, oder ich im Herzen derselben gerne Abbruch tun möchte, wenn ich nur durch meine äußere Handlung ihr nicht Eintrag tue."213 Daraus ergibt sich, daß das Rechtsgesetz kein Exekutions-, sondern nur Dijudikationsprinzip der Willkür in Bezug auf äußere (freie) Handlungen sein kann. Das „allgemeine Rechtsgesetz: Handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne, [ist] zwar ein Gesetz, welches mir eine Verbindlichkeit auferlegt, aber ganz und gar nicht erwartet, noch weniger fordert, daß ich ganz um dieser Verbindlichkeit willen meine Freiheit auf jene Bedingungen selbst einschränken solle·, sondern die Vernunft sagt nur, daß sie in ihrer Idee darauf eingeschränkt sei und von anderen auch tätlich eingeschränkt werden dürfe ,..".214

211 2,2 213 214

AA VI, 230. Ebd. Ebd., 231. Ebd.

Rechtsbegriff und Rechtsgesetz

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Kant qualifiziert das Gebot des Rechtsgesetzes als ein „Postulat", das „gar keines Beweises weiter fähig ist." 215 Was ist damit gemeint? In der „Kritik der praktischen Vernunft" definiert Kant ein „Postulat der reinen praktischen Vernunft" als „einen theoretischen, als solchen aber nicht erweislichen Satz ..., sofern er einem a priori unbedingt geltenden praktischen Gesetze unzertrennlich an hängt" 216 . Ein Postulat ist demnach ein Satz der praktischen Philosophie (nicht notwendig auch ein praktischer Satz), der die Bedingung der Möglichkeit eines praktischen Begriffs anzeigt. Mit dieser Definition läßt sich im Kontext der Rechtslehre wenig anfangen. Denn das Postulat bezieht sich hier als praktischer Satz auf die Möglichkeit, die Willkür anderer einzuschränken. Das Rechtsgesetz ist sowohl das Prinzip der Rechtspflichten, als auch der Rechte. In Bezug auf die Rechtspflichten ist es für das Subjekt ein Imperativ; dagegen in Bezug auf die Rechte ein Postulat. Ist durch den Rechtsimperativ die eigene Freiheit eingeschränkt, so bin ich andererseits durch das Rechtspostulat befugt, die äußere Freiheit anderer einzuschränken. An dieser Stelle in der Rechtslehre wird durch das Postulat erstmals der Bezug zwischen Rechtspflicht und Recht als einer subjektiven Befugnis zur Einschränkung fremder Willkür hergestellt. Eine spezielle Form eines solchen Rechtspostulats führt Kant in §2 der Rechtslehre ein. Diese bezieht sich auf die rechtlich mögliche Einschränkung fremder Willkür in Bezug auf das äußere Mein und Dein. Dieses „rechtliche Postulat der praktischen Vernunft" wird später noch ausführlich diskutiert. Es war im Zusammenhang mit dem Lehrstück von der doppelten Gesetzgebung der praktischen Vernunft bereits klar geworden, daß die praktische Vernunft durch ihre juridische Gesetzgebung zwar einer Verbindlichkeit Ausdruck verleiht, daß sie mit dem Pflichtgesetz aber keine innere Triebfeder verknüpft. Zur Erfüllung einer Rechtspflicht kann das Subjekt durch äußeren Zwang genötigt werden. Die äußere Freiheit darf demnach auch „von anderen ... tätlich eingeschränkt werden". Der Wille, durch den die Freiheit auf die Bedingung ihrer allgemeingesetzlichen Vereinbarkeit mit der Freiheit aller anderen eingeschränkt wird, kann der eigene oder ein fremder sein. Darin ist bereits eine wichtige Prämisse der Staatsbegründung ausgesprochen: Die Herrschaftsgewalt im Staat ist ja idealiter gar nichts anderes, als ein zwangsbewehrter äußerer („fremder") Wille, durch den jedermann unfehlbar auf die Bedingung der Vereinbarkeit der eigenen Freiheit mit derjenigen aller anderen wirksam eingeschränkt wird. 217 Kants Staatsargument besteht eigentlich darin zu zeigen, daß nur ein solcher jedermann nach öffentlichen Gesetzen zwingender Wille in der Lage ist, dem Recht allseitige Gel215 2.6 2.7

Ebd. A A V , 122. Nach Ludwig, Kants Rechtslehre, S. 84, ist „in der Einleitung der Rechtslehre der bürgerliche Staat noch nicht präsent". Seiner Ansicht nach läßt Kant es dort noch offen, ob der äußere Zwang durch andere Individuen im Naturzustand ausgeübt werden kann, oder ob er durch eine öffentliche Herrschaftsgewalt im Staat ausgeübt werden muß (vgl. ebd., S. 101 f.).

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

tung zu verschaffen. In Übereinstimmung mit Hobbes und gegen Pufendorf, Locke und Rousseau zeigt Kant, daß vollgültige (peremtorische) rechtliche Verhältnisse in einem nicht-staatlichen („gesellschaftlichen") Naturzustand nicht nur unwahrscheinlich, sondern unmöglich sind. „Das Recht", d.h. sowohl das subjektive Recht, als auch die Gesetzgebung im Staat, „ist mit der Befugnis zu zwingen verbunden". 218 Diese Verbindung ist analytisch. Die im Recht analytisch enthaltene Zwangsbefugnis bezieht sich auf Handlungen seitens anderer, die ein Hindernis meiner eigenen allgemeingesetzlichen Freiheit darstellen. Eine solche Handlung wäre nämlich unrecht. Einem Unrecht Widerstand entgegen zu setzen ist aber - auch wenn dadurch die Freiheit des anderen eingeschränkt wird - selbst niemals unrecht; denn „... wenn ein gewisser Gebrauch der Freiheit selbst ein Hindernis der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen (d.i. unrecht) ist, so ist der Zwang, der diesem entgegen gesetzt wird, als Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmend, d.i. recht". 219 Für den Begriff des Rechts kann daher - anders als für den Begriff der Rechtspflicht - der Zwang als Definiens herangezogen werden. Die Zwangsbefugnis bestimmt den Begriff des strikten Rechts. In diesem Sinne kann das Recht als die „Möglichkeit eines mit jedermanns Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmenden durchgängigen wechselseitigen Zwanges vorgestellt werden." 220 Für die juridische Gesetzgebung hatte Kant auf der Unterscheidung von Gesetz und Triebfeder bestanden. Ohne eine solche Unterscheidung gäbe es gar keine juridische Gesetzgebung der praktischen Vernunft, sondern alle moralische Gesetzgebung wäre ethisch. In Bezug auf den Begriff des Rechts kann eine analoge Unterscheidung aber nicht getroffen werden: „das Recht darf nicht als aus zwei Stücken, nämlich der Verbindlichkeit nach dem Gesetze und der Befugnis dessen, der durch seine Willkür den anderen verbindet, diesen dazu zu zwingen, zusammengesetzt gedacht werden, sondern man kann den Begriff des Rechts in der Möglichkeit der Verknüpfung des allgemeinen wechselseitigen Zwanges mit jedermanns Freiheit unmittelbar setzen." Ein „striktes (enges) Recht", dem „nichts Ethisches beigemischt ist", ist nur das „völlig äußere". 221 Dieses Recht ,,fordert[!]" „keine anderen Bestimmungsgründe der Willkür als bloß die äußeren" 222 , d.h. den 218 219 220 221

222

AA VI, 231 (Überschrift §D). AA VI, 231. Ebd., 232 (Überschrift §E). Ebd.; Kant setzt den Begriff des strikten Rechts gegen den Begriff eines Rechts „im weiteren Sinne (ius latum)" ab (vgl. ebd., 233ff.). Zu diesem „wahren oder vorgeblichen", in jedem Falle aber „zweideutigen Recht (ius aequivocum)", gehören „die Billigkeit und das Notrecht". Für beide gilt das analytische Recht-Zwang-Verhältnis nicht, weswegen sie aus der Rechtslehre auszuschließen sind. Das erste ist ein „Recht ohne Zwang", das zweite ein „Zwang ohne Recht". Vgl. dazu auch Daniel O. Dahlstrom, Ethik, Recht und Billigkeit, in: Jahrbuch für Recht und Ethik 5 (1997), S. 5572. AA VI, 232.

Die Einteilung der Rechtspflichten

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Zwang. Diese „Forderung" wird sogleich durch Kants Versicherung konterkariert, daß sich auch das strikte Recht „auf das Bewußtsein der Verbindlichkeit nach dem Gesetze [gründet]", wenngleich dieses Bewußtsein nicht die im Gesetz geforderte Triebfeder sein darf. Damit ist zwar einerseits das Recht von der Ethik scharf unterschieden, zugleich wird aber die Einheit der Sittenlehre in einem gemeinsamen Bewußtsein der Verpflichtung durchs Gesetz gewahrt. Bevor Kant zur Lehre der subjektiven Rechte Ubergeht, bestimmt er inhaltlich drei Rechtspflichten a priori. Die erste dieser drei ist die innere Rechtspflicht. Nur unter Voraussetzung eines solchen ursprünglichen Verpflichtungsverhältnis, das näherhin besehen - zwischen dem noumenalen Menschen (der Menschheit) und dem empirischen Menschen besteht, kann der Mensch als ein gegenüber allen anderen Menschen berechtigtes Subjekt gedacht werden. Die zweite Rechtspflicht a priori ist die ursprüngliche Rechtspflicht gegen andere. Da in beiden Verhältnissen die Person (d.h. jeder Mensch) auch bereits als Träger von Rechten, d.h. als ein ursprünglich zur Freiheit berechtigtes Subjekt, auftritt, so bezieht sich die dritte Rechtspflicht a priori auf den Zustand der Subjekte, in den alle miteinander aufgrund ihrer unverletzlichen Rechtspersonalität treten müssen. Die drei genannten Rechtspflichten werden als Einteilungsschema der Rechtslehre präsentiert. Dies ist insofern zunächst mißverständlich, als dadurch nicht die Struktur der Rechtslehre vorgegeben wird. Die Einteilung betrifft vielmehr die Totalität der rechtlichen Bezüge, in denen die Rechtspersonen notwendig stehen. Es soll hier schon darauf hingewiesen werden, daß innerhalb dieses Schemas, das den gesamten Bereich rechtlicher Verpflichtung ausschöpft, der rechtliche Bezug zu Sachen (d.h. das Eigentum) keine Rolle spielt. Wie gezeigt werden soll, liegt mit der nun zu diskutierenden „Allgemeinen Einteilung der Rechtspflichten" bereits eine Begründung der Notwendigkeit eines rechtlichen Zustands vor, der ohne Rekurs auf das Eigentum, d.h. auf das äußere Mein und Dein, auskommt.

4. Die Einteilung der Rechtspflichten Kant bietet in der Einleitung zur Rechtslehre auch eine Bestimmung der Rechtspflichten, insofern sie als Prinzipien zur „Einteilung der Rechtslehre" dienen können. Er orientiert sich dabei an den drei klassischen Formeln des römischen Juristen Ulpian: „honeste vive", „neminem laede", „suum cuique tribue". Diese drei Formeln wurden im neuzeitlichen Naturrecht häufig zur Explikation des Gerechtigkeitsbegriffs herangezogen. Dabei wurde das Gebot „honeste vive" als das grundlegende Pflichtprinzip der Ethik betrachtet. Die beiden anderen dagegen wurden dem Recht zugeordnet. In dieser Form findet sich die Einteilung auch noch in Kants Vorlesung über die Metaphysik der Sitten Mitte

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

der 1790er Jahre und in den Vorarbeiten zur Tugendlehre 223 . Auch in der Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten" verwendet Kant die Ulpianischen Formeln als Einteilungsprinzipien. Allerdings werden sie hier sämtlich als Einteilungsprinzipien der Rechtslehre verwendet, d.h. Kant gibt nun auch dem Honeste vive einen juridischen Sinn. 224 Bestimmen das Neminem laede und das Suum cuique tribue äußere Rechtspflichten, so bezeichnet das Honeste vive eine innere Rechtspflicht. Kants Konzept einer inneren Rechtspflicht ist originell. Es findet sich jedoch keine ausreichende Begründung dieses neuen Begriffs in der „Metaphysik der Sitten". Die juridische Uminterpretation des Honeste vive als innere Rechtspflicht beinhaltet einige schwerwiegende systematische und begründungstheoretische Probleme, die sich kaum auflösen lassen. Darauf ist im folgenden etwas ausführlicher einzugehen. Zunächst aber zu den drei Ulpian-Formeln: Kant benutzt sie für die „allgemeine Einteilung der Rechtspflichten", indem er ihnen „einen Sinn unterlegt, den [Ulpian] sich dabei zwar nicht deutlich gedacht haben mag, den sie aber doch verstatten daraus zu entwickeln oder hineinzulegen". Seine Adaption der drei Formeln lautet nun folgerndermaßen: 1) Sei ein rechtlicher Mensch (honeste vive). Die rechtliche Ehrbarkeit (honestas jurídica) bestehet darin: im Verhältnis zu anderen seinen Wert als den eines Menschen zu behaupten, welche Pflicht durch den Satz ausgedrückt wird: .mache dich anderen nicht zum bloßen Mittel, sondern sei filr sie zugleich Zweck'. Diese Pflicht wird im folgenden als Verbindlichkeit aus dem Rechte der Menschheit in unserer eigenen Person erklärt werden (lex iusti). 2) Tue niemandem Unrecht (neminem laede), und solltest du darüber auch aus aller Verbindung mit anderen herausgehen und alle Gesellschaft meiden müssen (lex iuridica). 3) Tritt (wenn du das letztere nicht vermeiden kannst) in eine Gesellschaft mit anderen, in welcher jedem das Seine erhalten werden kann (suum cuique tribue). Die letztere Formel, wenn sie so übersetzt würde: „Gib jedem das Seine," würde eine Ungereimtheit sagen; denn man kann niemandem etwas geben, was er schon hat. Wenn sie also einen Sinn haben soll, so müßte sie so lauten: „Tritt in einen Zustand, worin jedermann das Seine gegen jeden anderen gesichert sein kann" (lex iustitiae). (AA VI, 236/237)

2

" Vgl. „Metaphysik der Sitten" Vigilantius, AA XXVII, 527; Vorarbeiten zur Tugendlehre, AA XXIII, 386; ferner: Naturrecht Feyerabend, AA XXVII, 1336f. und Praktische Philosophie Powalski, AA XXVII, 144. 224 Diese systematisch entscheidende Neubewertung des Honeste vive als Rechtspflicht verkennt Balimbanga Malibabo, Kants Konzept einer kritischen Metaphysik der Sitten. Würzburg 2000, völlig. Er behauptet, S. 116, sogar daß alle drei Pflichten „ethischer (moralischer) Natur" seien, da „ihre Erfüllung nicht erzwingbar" ist. Sie heißen nur darum ÄecAtepflichten, weil sie „die Handlungen anderer Subjekte beeinflussen" können. Insbesondere die „lex iusti" bzw. das Honeste vive sei auch noch in der „Metaphysik der Sitten" ein ethisches Prinzip und sogar auf die beiden obersten Pflichtzwecke der eigenen Vollkommenheit und fremden Glückseligkeit bezogen (vgl. ebd., S. 119). Schließlich sei das angeborene „Recht der Menschheit" der „Grund fiir die ethischen (moralischen) Pflichten", da es sich „auf den inneren Menschen" „erstreckt" (ebd., 116).

Die Einteilung der Rechtspflichten

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Kant behauptet, durch diesen neuen Sinn, den er den Ulpian-Formeln gegeben hat, das System der Rechtspflichten vollständig eingeteilt zu haben. Daß sich der Gesamtbereich des Rechts nicht in den letzten beiden Geboten, die nach der traditionellen Auffassung die Prinzipien der kommutativen bzw. der distributiven Gerechtigkeit sind, erschöpft, begründet Kant dadurch, daß die „Ableitung" der dritten Rechtspflicht, beide vorhergehenden voraussetzt. Dies insofern als die „drei klassischen Formeln" von Kant als „Einteilungsprinzipien des Systems der Rechtspflichten in innere, äußere und in diejenigen, welche die Ableitung der letzteren vom Prinzip der ersteren durch Subsumtion enthalten"225, aufgefaßt werden. Welches logische Ableitungsverfahren damit genau gemeint ist, bleibt dunkel.226 Es läßt sich aber erkennen, daß sowohl das Neminem laede, als auch das Suum cuique tribue vom Honeste vive abhängen. Insbesondere die Begründung des Suum cuique tribue setzt das Honeste vive als Prinzip voraus und damit auch die Möglichkeit einer inneren Rechtspflicht. Schon den zeitgenössische Kommentatoren hat Kants Systematisierung der Rechtspflichten mit Hilfe der Ulpianischen Formeln Verständnisschwierigkeiten bereitet. Heinrich Stephani etwa hält sie für systematisch Uberflüssig, da die Rechtslehre eine Wissenschaft rechtlicher Befugnisse und nicht rechtlicher Verbindlichkeiten (Pflichten) sei: wie man „aus dem Ganzen" ersehen könne, lasse Kant sich nur deswegen auf die Einteilung der Rechtslehre nach den Rechtspflichten ein, „um Gelegenheit zu haben, sich unsern römischen Gesetzgelehrten dadurch gefällig zu machen". Dazu muß er aber „derselben, um solche dazu tauglich zu machen, erst einen bessern Sinn" unterlegen; denn im Grunde enthält solche [Einteilung] sowohl Pflicht- als Rechtsgebote", d.h. sowohl ethische als auch juridische Pflichtprinzipien.227 Nach Stephani ändert Kants Uminterpretation des Honeste vive also gar nichts daran, daß es sich dabei doch um eine ethische Pflicht handelt. Dieser Auffassung hat Johann Heinrich Tieftrunk - ein anderer zeitgenössischer Kommentator von Kants Rechtslehre - nicht folgen wollen. Zunächst sieht Tieftrunk die Einteilung der Rechtspflichten in einer kategorialen Systematik angelegt. Aus dem „Begriffe der äußern Gesetzgebung" ergebe sich, daß die „entsprechende Pflicht, (der Quantität, Modalität und Realität nach,) allgemein und nothwendig verbindend sey." Die Rechtspflichten seien daher nach dem Kriterium der „Relation" zu unterscheiden: „Der Relation nach sind die Rechtspflichten entweder innere oder äußere-, die äußern entweder des eignen oder des gemeinsamen Gerichts." Wird das Rechtsgesetz auf die Relation zwischen den

225 226

227

AA VI, 237. Höffe, „Königliche Völker". Zu Kants kosmopolitischer Rechts- und Friedenstheorie. Frankfurt a. M. 2001, S. 157, verweist auf Kants Logik, §58 (AA IX, 120f ); vgl. aber auch unten die Interpretation von Tieftrunk. Stephani, S. 62.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

Rechtssubjekten und ihre mögliche Wirkung aufeinander bezogen, so ergeben sich drei rechtliche Grundverhältnisse, nämlich „erstlich des Verhältnisses des Subjekts zu sich selbst, in wie fern es Ursache der Veränderung seines eignen Zustandes seyn kann; zweitens des Verhältnisses zu andern, in wie fern es Ursache der Veränderung des Zustandes anderer seyn kann; und drittens des wechselseitigen Verhältnisses, in wie fern der Zustand der Subjekte durch gegenseitige Wirkung bestimmt werden kann."228 Dem entsprechen dann die drei Rechtspflichten nach Ulpian. Tieftrunk bemüht sich zwar, die spezifisch rechtliche Qualität der Pflichtformeln, insbesondere des Honeste vive, herauszustellen, er kann aber nicht verständlich machen, warum das „Verhältnis des Subjekts zu sich selbst, in wie fern es Ursache der Veränderung seines eignen Zustandes seyn kann" tatsächlich ein rechtliches Verhältnis ist und warum es hier eine Äec/itepflicht geben kann. Manche neueren Interpreten haben in Kants dreiteiligem Rechtspflichtenschema nach Ulpian einen eher untauglichen Systematisierungsversuch gesehen.229 Auf das Problem der Möglichkeit einer juridischen Begründung der inneren Rechtspflicht ist nun näher einzugehen, bevor der Inhalt dieser und der beiden anderen Rechtspflichten erörtert wird. Das Konstrukt einer inneren Rechtspflicht stellt die Interpretation vor zwei Schwierigkeiten. Zum einen scheint die Möglichkeit eines juridischen inneren Verpflichtungsverhältnisses schon durch Kants Bestimmung des Rechtsbegriffs selbst ausgeschlossen zu sein. Denn das Korrelationsverhältnis von Recht und Rechtspflicht ist ein äußeres Verhältnis: das Recht betrifft das moralische Verhältnis zwischen Personen, sofern sie ihre äußere Freiheit durch ihren Willkürgebrauch wechselseitig beeinflussen und einschränken können. Das moralische Verhältnis einer Person zu sich selbst scheint damit aus dem Regelungsbereich des Rechts ausgeschlossen zu sein. Der zweite Einwand gegen Kants Begriff einer inneren Rechtspflicht wäre, das dieser Pflicht überhaupt kein Recht im Sinne einer Zwangsbefugnis korrespondieren könnte. Zwar verwendet Kant den Begriff des Selbstzwanges in der Ethik. Dieser ist jedoch kein physischer Zwang, dessen Möglichkeit aber mit dem Recht analytisch verbunden ist. Mit der inneren Rechtspflicht scheint also ein Fall rechtlicher Verbindlichkeit vorzuliegen, der nicht Gegenstand einer äußeren Gesetzgebung sein kann. Legt man diese Kriterien: daß 228

229

Johann Heinrich Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen über das Privat und öffentliche Recht zur Erläuterung und Beurtheilung der metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre vom Herrn Prof. Imm. Kant. Ersther Theil. Halle 1797 (ND Brüssel 1969), S 161f. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 213, zufolge liegt der „triadischen Rechtspflichteneinteilung" bei Kant nicht nur die ,,klassische[] Formeltrias des Ulpian", sondern auch die ,,trichotome[] Struktur der Relationskategorie" zugrunde. Im übrigen urteilt auch Kersting, ebd., S. 214 Fn., daß die Interpretation hinsichtlich der Begründung der inneren Rechtspflicht „von vornherein nicht hoffen [kann], mehr als plausible Vermutungen hinsichtlich der Bedeutung der inneren Rechtspflicht in Kants Alterwerk zu entwickeln."

Die Einteilung der Rechtspflichten

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einer Rechtspflicht immer ein Recht eines anderen korrespondiert und daß dieses Recht zugleich analytisch die Befugnis des anderen impliziert, die Erfüllung jener Rechtspflicht zu erzwingen, zugrunde, so zeigt sich sofort der rechtlich anomale Charakter der inneren Rechtspflicht. Es ist nun zunächst zu fragen, inwiefern Kant überhaupt ein inneres Verpflichtungsverhältnis für möglich hält und dann, inwiefern diesem eine rechtliche Qualität zugesprochen werden kann. Da diese Fragen innerhalb der Rechtslehre von Kant gar nicht thematisiert werden, sieht sich die Interpretation auf die Tugendlehre und auf Kants Vorlesung über Metaphysik der Sitten aus den 1790er Jahren, die in einer Mitschrift von Vigilantius vorliegt, verwiesen. Die Möglichkeit eines inneren Verpflichtungsverhältnisses, d.h. einer Pflicht gegen sich selbst begründet Kant in der Vorlesung und in der Tugendlehre gleichermaßen durch die Aufspaltung des Menschen in homo noumenon und homo phaenomenon: Der Mensch nun, als vernünftiges Naturwesen (homo phaenomenon), ist durch seine Vernunft, als Ursache, bestimmbar zu Handlungen in der Sinnenwelt, und hierbei kommt der Begriff einer Verbindlichkeit noch nicht in Betrachtung. Ebenderselbe aber seiner Persönlichkeit nach, d.i. als mit innerer Freiheit begabtes Wesen (homo noumenon) gedacht, ist ein der Verpflichtung fähiges Wesen, und zwar gegen sich selbst (die Menschheit in seiner Person) betrachtet, so: daß der Mensch (in zweierlei Bedeutung betrachtet), ohne in Widerspruch mit sich zu geraten (weil der Begriff vom Menschen nicht in einem und demselben Sinn gedacht wird), eine Pflicht gegen sich selbst anerkennen kann. (AA VI. 418)

Das Verpflichtungsverhältnis ist hier ein innersubjektives: der noumenale Mensch tritt als Verpflichtender dem phänomenalen Menschen als Verpflichtetem in ein und derselben Person gegenüber. Auf diese Weise kann nun zwar ein inneres Verpflichtungsverhältnis gedacht werden. Nun behauptet Kant aber auch, daß die Pflicht gegen sich selbst entweder eine vollkommene oder eine unvollkommene Pflicht sein kann. Es ist klar, daß eine innere ÄecAttpflicht nur eine vollkommene Pflicht gegen sich selbst sein kann. Vollkommen aber ist die Pflicht gegen sich selbst, nicht weil sie erzwingbar ist, sondern weil sich das „Was" und „Wieviel" der Verbindlichkeit genau bestimmen läßt. Es gibt hier keinen Spielraum in Ansehung der Erfüllung der Pflicht. Nach Kant spalten sich die vollkommenen Pflichten gegen sich selbst in diejenigen gegen sich selbst „als animalisches Wesen" und diejenigen gegen sich selbst „als moralisches Wesen" auf. Allesamt sind sie negativ bestimmt, d.h. sie fordern eine Handlungsunterlassung. Zu den ersteren zählen das Verbot der „Selbstentleibung", der

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

„Selbstschändung" und der „Selbstbetäubung". Zu den letzteren das Lügeverbot sowie das Verbot von Geiz und Kriecherei. 230 Wie läßt sich nun aber die vollkommene Pflicht gegen sich selbst als innere Rechtspflicht erweisen? In seinen moralphilosophischen Vorlesungen der 1770er Jahre hatte Kant die Möglichkeit einer rechtlichen Verbindlichkeit gegen sich selbst kategorisch ausgeschlossen. 231 Dagegen entwickelt Kant in den 1790er Jahren, wie die „Metaphysik der Sitten Vigilantius" zeigt, eine Pflichtensystematik, die eine innere Rechtspflicht kennt. Diese unterscheidet sich aber wiederum insofern von derjenigen des Werks von 1797, als Kant hier die Rechtspflichten mit den vollkommenen Pflichten identifiziert und die Tugendpflichten mit den unvollkommenen Pflichten. Eine vollkommene Pflicht gegen sich selbst als Tugendpflicht, wie in der „Metaphysik der Sitten", würde es somit gar nicht geben. Um innerhalb dieser Konzeption eine innere Rechtspflicht annehmen zu können, kann der Zwang nicht als definierendes Merkmal von Rechtspflichten bzw. vollkommenen Pflichten akzeptiert werden. Rechtspflichten sind nicht eo ipso Zwangspflichten (erzwingbare Pflichten); „es giebt Rechtspflichten oder officia stricta, zu denen man gezwungen werden kann, ohne daß ein anderer mich zwingen kann; z.E. es ist strenge Pflicht der Menschheit in meiner eigenen Person, daß ich über meinen Körper nicht als Eigenthümer disponieren kann .,." 232 . Daher gibt es „Rechtspflichten sowohl gegen mich selbst als gegen andere", erstere heißen „innere" Rechtspflichten (officia iuris interna), letztere „äußere" Rechtspflichten (officia iuris externa). Nur die äußeren Rechtspflichten (gegen andere) sind „Zwangspflichten oder eigentliche officia jurídica". 233 In seiner Vorlesung präsentiert Kant das gleiche Einteilungsschema wie später in der „Metaphysik der Sitten". Werden zum einen der „Form" nach, d.h. nach „der Art wie man [durchs Gesetz] verbindlich wird" 234 , Pflichten von enger Verbindlichkeit (=vollkommene Pflichten) und Pflichten von weiter Verbindlichkeit (unvollkommene Pflichten) unterschieden, so zum anderen der „Materie" nach, d.h. 230

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232 233 234

Vgl. ebd., 267ff.; zur Diskussion der vollkommenen Pflichten gegen sich selbst als Tugendpflichten vgl. Vicente Durán Casas, Die Pflichten gegen sich selbst in der .Metaphysik der Sitten'. Frankfurt a. M „ Berlin, N e w York, Paris, Wien 1996, S. 209ff. Vgl. Kant, Eine Vorlesung Uber Ethik, hg. v. Gerd Gerhadt. Frankfurt a. M., S. 130: „Das erste Objekt [der Moral im Unterschied zur natürlichen Religion] ist aber die Pflicht gegen sich selbst. Diese wird nicht juridisch betrachtet, denn das Recht betrifft nur das Verhältnis gegen andere Menschen. Recht kann nicht gegen mich selbst beobachtet werden, denn w a s ich gegen mich selbst tue, das tue ich mit meiner Einwilligung. Ich handle nicht wider die Gerechtigkeit, wenn ich wider mich selbst handle." Wie spater in der „Metaphysik der Sitten" betont Kant hier bereits, daß die Moral mit den Pflichten gegen sich selbst beginnen müsse und bemängelt zugleich, daß in „der Moral ... kein einziges Stück mangelhafter abgehandelt [ist] als dieses Stück von den Pflichten gegen sich selbst." (ebd.) A A XXVII, 581. Ebd., 582. Ebd., 571.

Die Einteilung der Rechtspflichten

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nach dem „Object des Gesetzes der Verbindlichkeit"235, Pflichten gegen sich selbst (officia interna) und Pflichten gegen andere (officia externa). Daraus ergibt sich die Einteilung der Pflichten in vollkommene Pflichten gegen sich selbst, vollkommene Pflichten gegen andere, unvollkommene Pflichten gegen sich selbst und unvollkommene Pflichten gegen andere. Rechtspflichten und Tugendpflichten werden also grundsätzlich nach ihrer „Form", d.h. nach der Art der Verbindlichkeit, unterschieden. Rechtspflichten sind dann generell Pflichten zu Handlungen, die durch ein Gesetz, das hinsichtlich der Befolgung der Pflicht keinen Spielraum zuläßt, verbindlich gemacht werden. Die entsprechende Gesetzgebung kann aber nur dann äußerlich sein, wenn es sich um (vollkommene) Pflichten gegen andere handelt. Nur die Befolgung solcher Pflichten kann durch fremde Willkür erzwungen werden. Um nun aber verstehen zu können, warum Kant sowohl in der Vorlesung, als auch in der „Metaphysik der Sitten" die vollkommenen „inneren" Pflichten oder Pflichten gegen sich selbst „Rechtspflichten" (officia iuridica) nennt, muß auf den Grund dieser Pflicht geachtet werden. Der Grund der Pflichten gegen sich selbst überhaupt (der rechtlichen wie der ethischen) liegt im intelligiblen Menschen, d.h. der „Menschheit". Die Möglichkeit eines „inneren" Verpflichtungsverhältnisses setzt die Unterscheidung von homo noumenon und homo phaenomenon voraus. Die intelligible Qualität des Menschen nennt Kant auch die „Menschheit in seiner Person" und zwar in Bezug auf das „dem Menschen beygelegte[] Vermögen[] der Freiheit und der Zurechnungsfähigkeit". Durch die „Menschheit" in der Person eines jeden werden „Rechte und Pflichten ... bestimmt"236. Aus der „Menschheit" entspringen zunächst und unmittelbar die Pflichten gegen sich selbst oder „inneren" Pflichten. Die vollkommene Pflicht gegen sich selbst oder innere Rechtspflicht entspringt aus dem „Recht der Menschheit in unserer eigenen Person".237 Die unvollkommene Pflicht gegen sich selbst oder Tugendpflicht aus dem „Zweck der Menschheit in unserer eigenen Person". Dagegen entspringen die äußeren Rechtspflichten aus dem „Recht der Menschen gegeneinander" und die äußeren Tugendpflichten aus dem „Zweck gegen andere Menschen".238 Was ist nun mit dem „Recht der Menschheit in der Person eines jeden" gemeint und inwiefern wird dadurch eine innere Rechtspflicht möglich bzw. notwendig? Um diese Frage beantworten zu können, muß kurz auf Kants Ansicht über das Verhältnis von Recht und Freiheit eingegangen werden. Nach Kant ist es so, „daß alle Rechtspflichten und die davon zu formierenden Begriffe analytisch aus dem Begriff der Freiheit abgezogen" werden können.239 Dies deswegen, weil 235 236 237 238 239

Ebd., 579. Ebd., 579. Vgl. AA VI, 236. AA XXVII, 583 u. 603; vgl. AA VI, 240. AA XXVII, 583; vgl. Gau-Jeng Ju, Kants Lehre vom Menschenrecht und von den staatsbürgerlichen Grundrechten. Würzburg 1990, S. 68.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

diese Pflichten nicht aus einem Z w e c k abgeleitet sind, der erst „synthetisch aus der B e s t i m m u n g der menschlichen Natur bewiesen werden müßte" 2 4 0 (etwa die Selbsterhaltung oder die Glückseligkeit), sondern aus der bloßen F o r m der äusseren Freiheit im wechselseitigen Verhältnis der Subjekte. A u c h die juridische G e s e t z g e b u n g bezieht sich analytisch auf den Begriff der Freiheit. Kant bezeichnet in der Einleitung zur „ M e t a p h y s i k der Sitten" die juridische G e s e t z g e b u n g als diejenige, die „auch äußerlich sein kann". 2 4 1 N u n steht aber auch die innere Rechtspflicht unter einer Gesetzgebung. Diese kann aber schlechterdings nicht äußerlich sein. Die Gesetzgebung, aus der die innere Rechtspflicht resultiert, kann selbst nur eine innere sein. N a c h d e m in der „Metaphysik der Sitten" gegebenen Kriterium w ü r d e also die v o l l k o m m e n e Pflicht gegen sich selbst w i e d e r u m keine Rechtspflicht sein können, da diese Pflicht nicht Gegenstand einer möglichen äußeren (juridischen) G e s e t z g e b u n g ist. In der V o r l e s u n g begründet Kant daher den juridischen Status dieser Pflicht anders. Geht man davon aus, daß alles dasjenige z u m Recht gehört (d.h. Pflichten von enger Verbindlichkeit betrifft), w a s analytisch aus d e m Begriff der Freiheit abgeleitet w e r d e n kann, dann wären innere Rechtspflichten solche, die sich auf (innere) H a n d l u n g e n beziehen, die im Hinblick auf die äußere Freiheit unmittelbar n o t w e n d i g sind. D a ß f ü r die E r f ü l l u n g solcher (inneren) Pflichten kein äußerer Z w a n g möglich ist - sondern nur ein Selbstzwang - wäre dann kein E i n w a n d m e h r gegen ihren rechtlichen Status. D a z u notiert Vigilantius: Die interna juris stricti sind der Form nach alle Pflichten gegen sich selbst, die darum streng sind, damit, wenngleich keine äussere, dennoch eine innere Gesetzgebung (inde Selbstzwang) möglich ist, weil sie aus dem Begriff der Freiheit durch das Gesetz des Widerspruchs, mithin analytisch, abgeleitet werden, und also von der Art sind, daß sie eine Nothwendigkeit bey sich führen, die auch die Pflichthandlung selbst bestimmt; daher gehören der materie nach hieher alle officia juris interni stricta, z.E. die Pflicht, sich nicht zu verstümmeln, sich nicht zu verkaufen, sich nicht zu töten. (AA XXVII, 587) Die innere Rechtspflicht ist also zwar Gegenstand einer inneren G e s e t z g e b u n g und eines damit verbundenen Selbstzwanges, sie gehört aber dennoch z u m Recht, insofern sie sich auf Pflichthandlungen bezieht, deren E r f ü l l u n g eine analytische B e d i n g u n g der Möglichkeit äußerer Freiheit ist. Damit ist der rechtliche Status der „inneren" Pflicht begründet. W o r i n aber liegt die Plausibilität, ein Recht der Menschheit in unserer eigenen Person a n z u n e h m e n ? Die Frage ist, wodurch (durch welche andere Person) ich g e z w u n g e n werde, m i c h nicht zu verstümmeln, zu verkaufen oder zu töten. Meiner Pflicht zur 240

241

A A XXVII, 583. Nicht angesprochen ist hier der Fall von Zwecken, die nicht aus der Natur des Menschen „bewiesen" werden müssen, sondern die zu haben selbst Pflicht ist. Pflichten, die auf solche praktisch notwendigen Zwecke bezogen sind, nennt Kant „Tugendpflichten". Auch sie werden „synthetisch" aus dem Begriff der (inneren) Freiheit abgeleitet. Vgl. dazu auch ebd., 600. Vgl. A A VI, 2 2 0 .

Die Einteilung der Rechtspflichten

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Unterlassung solcher Handlungen muß ein berechtigtes Subjekt gegenüber stehen. Dieses Subjekt muß als Person gedacht werden können. Da im Falle einer inneren Rechtspflicht nur ich selbst als Träger des korrelativen Rechts vorgestellt werden kann, muß das Recht-Pflicht-Verhältnis als innersubjektives Verhältnis rekonstruiert werden können. Als Träger einer inneren Rechtspflicht stellt sich das Subjekt daher zugleich als Träger des Rechts und als Träger der korrelativen Rechtspflicht vor. Die innere Rechtspflicht bezieht sich mithin auf ein Verhältnis der Selbstverpflichtung. Wie bereits dargestellt, beruht die Möglichkeit der Selbstverpflichtung (bzw. des Selbstzwanges) auf der Unterscheidung von homo noumenon und homo phaenomenon. „Die Pflichten gegen sich selbst beziehen sich nicht auf den Menschen als ein physisches Subjekt, sondern jederzeit auf das Recht der Menschheit in seiner Person, oder das Recht was sie auf ihn und seine Person hat."242 Der homo noumenon tritt in die Stelle des Berechtigten ein. Sein Recht ist das Recht der Menschheit durch das er zugleich quasi äußerer Gesetzgeber für den empirischen Menschen wird. Der homo phaenomenon ist in dieser Relation der Verpflichtete. Mit anderen Worten: im Begriff der inneren Rechtspflicht wird die Einschränkung der empirischen Willkür des Menschen durch seine eigene gesetzgebende praktische Vernunft als Gegenstand einer Pflicht von enger Verbindlichkeit gedacht. In diesem Verhältnis kann das Moment der Nötigung nur als Selbstzwang, nicht aber als äußerer Zwang, der durch einen äußeren gesetzgebenden Willen ausgeübt wird, vorgestellt werden. Das Recht der Menschheit stellt daher keine mögliche Fremdverpflichtung dar, sondern ist tatsächlich ein apriorisches, d.h. analytisch im Begriff der äußeren Freiheit enthaltenes, Recht in unserer Person. Nach Kant kommt der inneren Rechtspflicht eine fundamentale Bedeutung für das gesamte System der Pflichten zu. Die „Rechtspflichten gegen sich selbst seien nach der Vigilantius-Mitschrift „die höchsten Pflichten unter allen"™. Bei der Ableitung der Pflichten von weiter Verbindlichkeit müssten die strengen Pflichten gegen sich selbst sogar vorausgesetzt werden. Diese sind die „höchsten" Pflichten, weil sie „das correspondierende Recht der Menschheit in seiner eigenen Person [betreffen]", so daß ,jede Pflichthandlung ... von dem Recht der Menschheit unerläßlich gefordert [wird]" und „an und für sich selbst Pflicht"244 ist. Obwohl Kant in der „Metaphysik der Sitten Vigilantius" erstmals sein Konzept einer inneren Rechtspflicht entwickelt und begründet,245 wird diese Pflicht noch nicht - wie in der „Metaphysik der Sitten" - dem Grundsatz „honeste vive" zugeordnet. Sondern dieser wird im Sinne der Tradition als „das Princip der Ethic, welches affirmative Pflichthandlungen bestimmen kann, da es auf Zwecke gerich242 243 244 245

Ebd., 603. Ebd., 604. Ebd. Vgl. J u , S . 61ff.

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1. Kapitel: D i e Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

tet ist"246, aufgefaßt. Dabei nennt Kant sogar ausdrücklich die beiden obersten Pflichtzwecke aus der Tugendlehre: „befördere die Glückseligkeit anderer nach deinen Kräften, suche dich zu vervollkommnen." Die Pflichten, die unter diesen beiden obersten Zwecken stehen, können nicht erzwungen werden. Man kann sie Handlungen aus Ehre nennen, insofern Ehre darauf beruht, daß uns kein anderer Grund von Uebertretung des moralischen Gesetzes abhält, als das Bewußtseyn, daß die Handlung dem Gesetz zuwider seyn würde. - Dies beruht aber endlich auf eigener Beurtheilung der Handlung; - hiernach heißt also honeste vive lebe ehrenwerth. Denn aus der selbsteigenen Befolgung des Gesetzes muß auch die Achtung Anderer gegen uns entspringen. Es enthält dieser Ausdruck des Ulpians also den ganzen Complexum der ethischen Pflichten, die er dadurch von den rechtlichen Pflichten abschneidet. (AA XXVII, 527) Es ist daher nicht ganz überraschend, daß sich das Recht der Menschheit in unserer Person gemäß Kants Ausführungen in der Vorlesung auch nicht eindeutig dem Recht zuordnen läßt. Insofern die innere Rechtspflicht nur einen Selbstzwang bei sich führen kann, ist auch das Recht der Menschheit in unserer Person lediglich Grund einer ethischen Verbindlichkeit. So sagt Kant in seiner Vorlesung: Das Recht der Menschheit in meiner eigenen Person „stellt in dem Menschen nur eine personificierte Person [=Idee?] dar, die seinen inneren Gebrauch der Freiheit bestimmt, ganz unverletzlich ist, und so unumschränkt ist, daß hiebey kein Zweck der Handlung zur Sprache kommen kann, noch eine Ausnahme macht. Es ist hier nicht von Rechten gegen Andere oder anderer gegen mich die Rede, sondern alles bestimmt die strenge Pflicht und das strenge Recht in eigener Person. Es kann indeß nie nach Rechtsgesetzen, sondern nur ethisch angenommen werden: ein Beweis, daß auch die Ethic nicht wesentlich mit Zweck verbunden ist, sondern strenges Recht im allgemeinen Sinne bey sich führt."247 Auf die Probleme und Widersprüche, die diese Behauptung innerhalb der Pflichtenkonzeption der Vorlesung und besonders für die Unterscheidung von Recht und Ethik verursacht, kann hier nicht eingegangen werden. Klar ist aber, daß weder das Problem der Begründung einer inneren Rechtspflicht, noch weniger aber dasjenige der Einordnung dieser Pflicht in ein allgemeines Einteilungsschema der Rechtspflichten, von Kant gelöst wurde. Wenn es stimmt, daß die in der „Metaphysik der Sitten Vigilantius" erprobte Konzeption in der Rechtslehre von 1797 vorausgesetzt wird,248 muß dies natürlich auch für Kants Alterswerk gelten. Es sind nun die drei Ulpian-Formeln als Einteilungsprinzipien der Rechtslehre ihrem Inhalt nach darzustellen. Die erste Rechtspflicht lautete: „Sei ein rechtlicher Mensch (honeste vive)'", d.h. „Mache dich andern nicht zum bloßen Mittel, sondern sei für sie zugleich Zweck". Denn darin besteht die „rechtliche Ehrbarkeit 246 247 248

AA XXVII, 527. Ebd., 543. So Ju, S. 65.

Die Einteilung der Rechtspflichten

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(honestas iuridica)": „im Verhältnis zu anderen seinen Wert als den eines Menschen zu behaupten". Es geht bei der rechtlichen Ehrbarkeit also nicht um ein erworbenes Ansehen, sondern um etwas, was jedem Menschen als solchem immer schon zukommt. „Jeder Mensch" - so hatte Kant in der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" postuliert - „existiert als Zweck an sich selbst".249 Dadurch aber - so sollte man meinen - ist jeder andere mir gegenüber verpflichtet. Auf diese äußere Relation, in der jeder Mensch zu jedem anderen Menschen steht und die aus der Selbstzweckhaftigkeit eines jeden resultiert (daß er nämlich überhaupt eine Rechtsperson ist), will Kant mit dem Gebot „Sei ein rechtlicher Mensch" aber gerade nicht hinaus. Sondern worauf es Kant ankommt, ist dies: jeder Mensch ist durch seine Rechtspersonalität immer schon sich selbst gegenüber verpflichtet, sich dieser Rechtspersonalität nicht zu begeben. Es gibt Handlungen, durch die ich meine Personalität, meine .rechtliche Ehrbarkeit' aufgebe oder zerstöre. Kraft des Rechts der Menschheit in meiner Person bin ich verpflichtet, solche Handlungen zu unterlassen. Die innere Rechtspflicht des honeste vive „sagt ... eigentlich die Möglichkeit: Rechte zu haben, aus, die Rechtlichkeit des Menschen, (wenn wir so sprechen dürfen,) die aber doch schon Handlung, und als solche Pflicht ist"250; „Jede Handlung ..., wodurch die Gesetzgebung der Freiheit im Subjekte selbst aufgehoben wird, ist ein Angriff auf das Recht der Menschheit an ihm selbst, folglich Verletzung der Rechtspflicht."251 Kants honeste vive bezieht sich auf eine „originäre rechtliche Ehrbarkeit". Es geht nicht darum, daß sich das Subjekt (negativ) nichts hat zuschulden kommen lassen, sondern darum, daß es (positiv, aktiv) „sich selbst als Rechtsgenosse behauptet"252: „Nur derjenige ist im fundamentalen, das Recht konstituierenden Sinne ehrbar, der sich der rechtlichen Entwürdigung verweigert."253 Zur Unterlassung welcher Handlungen ist das Subjekt gemäß der inneren Rechtspflicht nun verbunden? Kant sagt: alles ist zu unterlassen, wodurch ich für andere zum „bloßen Mittel" werde. Es liegt nahe, die innere Rechtspflicht auf die Unterlassung solcher Handlungen zu beziehen, die auch gemäß der vollkommenen Pflichten gegen sich selbst generell, d.h. auch wenn sie nicht Rechtspflichten sind, verboten sind. So nennt etwa Tieftrunk das Verbot, „sich willkührlich zu entleiben, muthwillig zu schwächen oder [zu] verstümmeln"254. All dies sind aber Verbote, die Kant in der Tugendlehre als Verstoß gegen eine vollkommene ethische Pflicht gegen sich selbst abhandelt. Zwar bezieht sich die Rechtspflicht auch darauf, „sein Daseyn selbst und die Bedingungen der Möglichkeit desselben, 249 250 251 252 253

254

A A I V , 428. Beck, Commentar, S. 117. Tieftrunk, Untersuchungen I, S. 162. Höffe, „Königliche Völker", S. 149. Ebd., S. 150; „Erst durch diese [innere Rechts-]Pflicht... wird aus der vorher nur möglichen eine wirkliche Rechtsfähigkeit: man etabliert sich oder behauptet sich als aktuales Rechtssubjekt" (ebd.). Tieftrunk, Untersuchungen I, S. 162.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

so weit das Subjekt über sie disponieren kann, nicht [zu] gefährden oder auf[zu]heben"255, dies aber nur insoweit, als das eigene „Dasein und die Bedingungen der Möglichkeit desselben" dadurch gefährdet werden, daß andere mich bloß als Mittel gebrauchen. Und letzteres sogar nur insoweit, als dieser Gebrauch von meiner eigenen Zustimmung abhängt - diese mag stillschweigend oder ausdrücklich gegeben sein. Die von Tieftrunk genannten Unterlassungspflichten: das Selbstmordverbot, das Verbot der Selbstschändung und das Verbot der Selbstbetäubung, sind Gegenstand von Tugendpflichten. Dagegen folgt aus der Rechtspflicht, sich „andern nicht zum bloßen Mittel" zu machen, „daß kein Mensch sich andern ... zum beliebigen Gebrauche darbieten darf, sondern seinen Dienst gegen andere auf die Bedingung einschränken müsse, daß er Zweck an sich, (Selbstzweck,) dabei bleibe. Niemand hat daher das Recht, sich selbst ... zum Leibeigenen oder Sklaven zu veräußern".256 Die Selbstversklavung ist sowohl als Selbstentrechtung, als auch als Selbstverdinglichung verwerflich.257 In beiden Fällen verletzt sie das Recht der Menschheit in unserer Person und stellt daher einen Bruch der inneren Rechtspflicht dar. In der Vorlesung über Metaphysik der Sitten entwickelte Kant die weiteren Bestimmungen der inneren Rechtspflicht im äußeren Verhältnis der Menschen zueinander am Leitfaden der Relationskategorien.258 An den Anfang der „analyse der officiarum debiti gegen sich selbst' stellt Kant dort den Grundsatz: „Der Mensch gehört sich selbst an, homo est sui juris." 259 Der rechtliche „Selbstbesitz" „gründet sich auf das Recht der Menschheit in seiner eigenen Person". Gemäß der Kategorie der Substanz darf der Mensch über seinen eigenen Körper nicht wie über eine Sache verfügen; gemäß der Kategorie der Kausalität darf er nicht „unbestimmt über seine Freiheit disponieren", d.h. er darf anderen nicht erlauben, über seine Kräfte uneingeschränkt zu verfügen260; schließlich ist er gemäß der Kategorie der Gemeinschaft verpflichtet, „in der Gemeinschaft [mit anderen] ... sich seine Ehre nicht rauben zu lassen, oder sich selbst deren zu berauben."261 Die Interpretation der anderen beiden Rechtspflichten - „neminem laede" und „suum cuique tribue" - stellt hinsichtlich ihres Status' als ÄecAtapflichten vor 255 256 257

258 259 260 261

Ebd., S. 163. Ebd. Vgl. Höffe, „Königliche Völker", S. 150; vgl. bei Kant A A VI, 2 7 0 u. 436. Nach Brandt lassen sich aus dem Honeste vive weitere subjektiv-rechtliche Konsequenzen ziehen, die gerade auch den Bereich des Politischen berühren, so etwa der „Republikanismus", insofern nur dieser verhindern kann, „daß der Mensch seine fundamentale Pflicht verletzt" (vgl. Reinhard Brandt, Freiheit, Gleichheit, Selbständigkeit bei Kant, S. 118). Ferner läßt sich nach Brandt, Revolution und Fortschritt im Spätwerk Kants, in: Aufklärung als Politisierung - Politisierung der Aufklärung, hg. v. Hans Erich Bödeker u. Ulrich Herrmann. Hamburg 1987, S. 211-221, S. 215, unter Hinweis auf die innere Rechtspflicht sogar ein Revolutionsrecht begründen. Vgl. A A XXVII, 593ff. und 601f. Ebd., 601. Ebd., 594. Ebd.

Die Einteilung der Rechtspflichten

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keine vergleichbaren Probleme wie das Honeste vive. Allerdings hatte das vorkantische Naturrecht beide Prinzipien nicht ganz genau unterscheiden können. Kant teilt in seiner Vorlesung über die Metaphysik der Sitten Mitte der 1790er Jahre mit, daß schon Ulpian unter diesen Prinzipien lediglich Begehungshandlungen einerseits, Unterlassungshandlungen andererseits als Pflichten subsumiert habe. Jedoch sei „dem Geist der Gesetze nach ... beides einerley: niemandem das Seinige vorenthalten", denn es ließe sich „ohne Widerspruch nicht annehmen, daß ich dem Anderen das Seinige nicht geben und es ihm doch nicht vorenthalten solle." 262 Beide Rechtspflichten lassen sich ihrem Inhalt nach wechselseitig auseinander ableiten. Die Unterscheidbarkeit ergibt sich daher weniger aus dem Inhalt, als vielmehr aus den „äußeren Pflichterfüllungsbedingungen" 263 . Gemeint ist der äußere Zustand, in dem die Menschen handeln, ob es nämlich ein Naturzustand oder ein bürgerlicher Zustand ist. Kant macht in seiner Vorlesung einen Interpretationsvorschlag, der einen erkennbaren Bezug zu seiner Auffassung in der „Metaphysik der Sitten" hat: Indeß läßt sich ein anderer Unterschied hierunter in der Rücksicht auffinden, ob der Mensch in statu naturali oder civili betrachtet wird. In statu naturali ist Jedermann im Zustand seines Privatrechts; er bestimmt sein und die Rechte Anderer Menschen nach eigenem Urtheil, und sucht sie sich nach eigener Gewalt zu verschaffen; es ermangelt hier eine öffentliche Gerechtigkeit, die Jedem das Seinige zusichert, und eine öffentliche Gewalt, die es ihm verschafft. Hieher kann man das Princip: nerñinem laede, ziehen. Tritt dagegen Jemand in statum civilem, so ist er zugleich schuldig, sich der öffentlichen Gerechtigkeit zu unterwerfen, welche ihm, da er nicht sein eigener Richter seyn kann, statt seiner seine Rechte bestimmt, und unter öffentlicher Gewalt verschafft; - hieher kann man das suum cuique tribue ziehen; und würde dies heißen: unterwirf dich der öffentlichen Gerechtigkeit oder einem solchen Zustande, w o Jedem von einem öffentlichen Gesetz seine Rechte geschützt werden." ( A A XXVII, 528)

Es ist erkennbar, daß Kant hier die Begründung des Staates durch das Hobbessche Naturzustandsargument in die Ableitung des Staates mit Hilfe der Ulpianischen Formeln integriert. Dieser Zusammenhang der beiden Staatsargumente tritt in der „Metaphysik der Sitten" nicht so deutlich zu Tage. Es kann aber davon ausgegangen werden, daß das suum cuique tribue auch in dem Werk von 1797 als Prinzip des öffentlichen Rechts bzw. des Staates intendiert ist, so daß mit den drei Ulpianischen Formeln im Einleitungsteil der Rechtslehre bereits eine vollständige Begründung des Staates vorliegt. Bevor aber auf das Ableitungsverhältnis der drei Rechtspflichten in der „Metaphysik der Sitten" eingegangen wird, sollen auch das Neminem laede und das Suum cuique tribue noch inhaltlich vorgestellt werden. „Neminem laede" ist eine äußere Rechtspflicht oder das Prinzip der äußeren Rechtspflichten gegen 262 263

Ebd., 527. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 221.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

andere im Naturzustand, eine „Formel der Fremdanerkennung".264 Diese Pflicht ist nicht das Resultat einer rechtlichen Handlung der anderen, sondern sie gilt a priori. Der andere verpflichtet mich nicht durch seinen Willen, sondern kraft des Rechts der Menschheit in seiner Person. Daß es sich hier um eine apriorische Rechtspflicht des Menschen gegen andere im Naturzustand handelt, wird daran deutlich, daß Kant ergänzt: „... und solltest du darüber auch aus aller Verbindung mit anderen herausgehen und alle Gesellschaft meiden müssen."265 Durch die wechselseitige Freiheitsaffektion (und die dadurch stets mögliche Freiheits/äs/ow) im unvermeidlichen Sozialverhältnis der Menschen entsteht das Rechtsproblem, das wirksam nur durch die Etablierung einer öffentlichen Zwangsgewalt - eines Staates - gelöst werden kann. Der Naturzustand wäre derjenige Zustand, in dem nicht nur die subjektiven Rechte aller, sondern auch die Erfüllung der apriorischen Rechtspflichten „honeste vive" und „neminem laede" in einem unvermeidlichen Widerspruch stünden. Kant geht - wie Hobbes - von einer notwendigen juridischen Widersprüchlichkeit des Naturzustandes aus, so daß sich die beiden genannten Rechtspflichten im Naturzustand tatsächlich nur dann erfüllen ließen, wenn die Sozialbeziehung für die einzelnen Subjekte vermeidbar wäre. Dies ist natürlich - nach Kant: notwendigerweise - nicht der Fall, so daß - ebenso notwendig - das Suum cuique tribue folgen muß: „Unter der Voraussetzung der Unvermeidbarkeit konfliktträchtiger menschlicher Begegnungen, impliziert die vernunftrechtliche Kardinalpflicht der Unrechtsvermeidung die andere, sich den Bedingungen eines Zustandes zu unterwerfen, der die Rechtsgewähr für jedermann bietet. Ich gebe jedem das Seinige, indem ich jeden durch Gehorsam der staatlichen Gewalt gegenüber die Sicherheit hinsichtlich seines Rechts gebe, indem ich die Rechtssicherungsleistungen des Staates nicht störe und so mit dafür sorge, daß jedem das auf rechtlich-politischem Wege zuteil wird, was ihm als vernünftigem Wesen von Vernunftrechts wegen gegenüber seinesgleichen zusteht."266 „Suum cuique tribue" kann nicht heißen: „Gib jedem das Seine", „denn man kann niemandem etwas geben, was er schon hat".267 Es kann aber auch nicht heissen: ,,Laß jedem das Seine", „denn dieses wurde in der zweiten Formel schon befohlen"268. Sondern „suum cuique tribue" muß heißen: Jedem sein Recht schützen, oder ihm für sein Recht die Gewähr leisten, so viel man kann."269 Der Appell 264

265 266 267 268

Vgl. Höffe, „Königliche Völker", S. 152Í; „Durch das Verbot des Unrechts wird der andere e contrario zu einer Person mit Rechten und durch den kategorischen Charakter des Verbots zu einer Person mit unverlierbaren Rechten, was ihn, positiv gesehen, zum gleichberechtigten Rechtsgenossen macht" (ebd., S. 153). Vgl. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 221. Ebd., S. 222. AA VI, 237, Tieftrunk, Untersuchungen I, S. 165. Ebd.

Die Einteilung der Rechtspflichten

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richtet sich nicht an eine oberste Gewalt, sondern an die Rechtssubjekte selbst, die gegeneinander a priori verpflichtet sind, sich einerseits nicht selbst rechtlich entehren zu lassen („honeste vive") und andererseits andere an ihrem Recht nicht zu verletzten („neminem laede"). Diese Subjekte müssen daher auch a priori verpflichtet sein, sich miteinander in einem Zustand zu befinden (oder sich in einen solchen zu begeben), in dem sie beide Rechtspflichten erfüllen können. Ein solcher Zustand muß ein Zustand sein, in dem jeder seines Rechts sicher sein kann, d.h. ich muß selbst die Gewähr dafür bekommen, daß niemand das Recht der Menschheit in meiner Person verletzt und zugleich muß jeder andere die Gewähr dafür haben, daß ich nicht das Recht der Menschheit in seiner Person verletze. Die Rechtspflicht a priori lautet daher: „Tritt in einen Zustand, worin jedermann das Seine gegen jeden anderen gesichert sein kann". Diese Pflicht gilt nicht etwa hypothetisch (fails sich der Naturzustand als ein Zustand des Unrechts herausstellen sollte), sondern kategorisch (weil der Naturzustand definiert ist als ein Zustand, in dem niemand des Seinen sicher sein kann). Kants Suum cuique tribue ist die positive Konsequenz aus einem Naturzustandsargument und damit das Äquivalent des Hobbesschen „exeundum esse e statu naturali". Tieftrunk hat eine sehr weitgehende Interpretation des Suum cuique tribue als Rechtspflicht unter Berücksichtigung des von Kant angedeuteten Ableitungsverfahrens gegeben. Dabei wird die Pflicht, in einen Zustand zu treten, in dem jedem das Seine gegen jeden anderen gesichert werden kann, zugleich in Verbindung mit der Idee des allgemeinen vereinigten Willens gebracht. Tieftrunk macht zunächst geltend, daß die Verletzung des (inneren oder äußeren) Rechts einer Person zugleich immer auch eine Verletzung des Rechts der Menschheit in dieser Person ist. Damit ist aber nicht nur das Recht dieser Person, sondern das Recht überhaupt verletzt, denn „dieses Recht ist ein und dasselbe in einem wie in allen Subjekten, der Verletzer desselben greift daher in der Person [eines] Dritten zugleich das Recht aller anderen an". Nun ist gemäß dem Prinzip „honeste vive" jedermann verpflichtet, „das Recht der Menschheit heilig zu halten"; er ist nicht nur befugt, sondern sogar verpflichtet, Rechtsverletzungen (Verstöße gegen das Neminem laede) zu ahnden. Daher gibt es nach Tieftrunks Auffassung eine „Pflicht..., überhaupt kein Unrecht zu dulden", die jedem Menschen als Menschen und a priori zukommt. Daher folgt Tieftrunks Übersetzung für das Prinzip „suum cuique tribue": „Gewähre jedem sein Recht" bzw. „Leiste dem Recht überhaupt die Gewähr", „aus dem Rechtsgesetze überhaupt, indem man die äußern Rechtspflichten unter das Princip der inneren Rechtspflicht subsumiert, oder sie als unter demselben enthalten vorstellt."270 Der Zweck der Rechtsgewähr kann nun nur dadurch erreicht werden, „daß der Wille aller ein einiger Wille sey und alle besondere Willkühr dem einigen und gemeinsamen Willen unterworfen werde."

210

Ebd., S. 166.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

Die Verbindung aller zu einem solchen gemeinsamen Willen ist Pflicht und „ergeht aus der durch bloße Vernunft gesetzgebenden Idee und verbindet jeden Menschen ursprünglich."271 Die „wirkliche Vereinigung aller" bedeutet die Positivierung des a priori notwendigen Zustandes der äußeren Rechtssicherheit.272 Das Recht wird mithin idealiter durch einen Aktus verwirklicht, durch den „das nur öffentlich als Pflicht erkannt und sanctioniert [wird], was auch vor und ohne denselben schon Pflicht und heilig war." Die Verwirklichung oder Positivierung des rechtlichen Zustandes ist selbst Pflicht: „Da ... die wirkliche Vereinigung Aller das unter Menschen einzig mögliche Mittel ist, wodurch dem Attentate auf das Recht der Menschheit eine alle angreifende Gewalt niederschlagende Gegenmacht errichtet und so das Recht unverletzlich erhalten werden kann; so ist es Pflicht, seine individuellen Kräfte zu den Kräften aller Individuen zu verbinden, um dadurch eine dem identischen Willen Aller angemessene Macht zu errichten."273 Daß die Unterwerfung unter eine öffentliche Herrschaft um des Rechts und der Freiheit willen nur durch die Vereinigung der „individuellen Kräfte" oder der Willkür aller, d.h. durch die Bildung einer volonté générale, möglich ist, ist ein Rousseauscher Gedanke. Die a priori vereinigte Willkür ist bei Kant sowohl ein Prinzip des Privatrechts (nämlich als Prinzip der Möglichkeit der Erwerbung), als auch des öffentlichen Rechts (nämlich als Prinzip der gerechten Gesetzgebung). Die Begründung der Notwendigkeit des rechtlichen Zustands läuft so zwar auf das hinaus, was Tieftrunk sagt, allerdings nimmt Kant im Zusammenhang mit der Rechtspflichteneinteilung keinerlei Bezug auf das Prinzip des allgemeinen Willens. Im Einleitungsteil der „Metaphysik der Sitten" bleibt es daher offen, ob der Zustand, in dem jedem das Seine gesichert werden kann, der Hobbessche Leviathan, die Rousseausche Republik oder ein spezifisch Kantisches Staatswesen ist. Es ist abschließend noch darauf hinzuweisen, daß der systematische Wert der „Allgemeinen Einteilung der Rechtspflichten" nicht in der Begründung der Struktur der Rechtslehre besteht. Die Einteilung der Rechtspflichten nach den Ulpianischen Formeln ist nicht mit der Einteilung der Rechtslehre in angeborenes Recht, Privatrecht und öffentliches Recht identisch.274 Die Ulpian-Formeln beziehen sich auf Rechtspflichten a priori, d.h. der Mensch wird darin als ein rechtlich 271 272

273 274

Ebd., S. 167. Nach Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 222, stellt Kants Interpretation des Suum cuique tribue die „Verbindung zwischen Vernunftrecht und positivem Recht her", so daß hier von einer „Selbstpositivierung des Vernunftrechts" gesprochen werden kann, die darin besteht, daß sich die Subjekte der faktischen Herrschaftsgewalt unterwerfen. Dagegen meint Höffe, „Königliche Völker", S. 155, daß „die dritte Rechtspflicht ... voll und ganz im Vernunftrecht" verbleibt, so daß die Art der positiven öffentlichen Gewalt durch die faktischen Herrschaftsverhältnisse in keiner Weise präjudiziell werde. M. E. sprechen das von Kant vertretene Revolutionsverbot und das politische Prinzip des Reformismus ftlr Kerstings Interpretation. Tieftrunk, Untersuchungen I, S. 167. Vgl. Höffe, „Königliche Völker", S. 154ff.

Das angeborene Recht

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verpflichtetes Wesen vorgestellt, unabhängig davon, ob er Rechte erworben hat oder nicht. Die Rechtspflichten würden auch dann gelten, wenn es unmöglich wäre, Äußeres als das Seine zu haben. Die Unterscheidung von angeborenem Recht (innerem Mein und Dein) und erworbenen Rechten (äußerem Mein und Dein) spielt für die apriorischen Rechtspflichten noch keine Rolle. Für die Einteilung der Rechtslehre in öffentliches Recht und Privatrecht ist sie jedoch wesentlich. Der Privatrechtsteil der „Metaphysik der Sitten" bezieht sich ausschließlich auf das äußere Mein und Dein. Zwar gehört auch das innere Meine, d.h. das angeborenen Recht, zum Privatrecht, dieses wird aber - weil es nur ein einziges ist - „in die Prolegomenen geworfen"275, d.h. im Einleitungsteil abgehandelt. Auch das öffentliche Recht zeigt eine einseitige Orientierung am äußeren Mein und Dein zumindest was die Begründung der Notwendigkeit des Staates angeht. Dies bezeugen vor allem Kants Ausführungen zum Übergang vom Privatrecht zum öffentlichen Recht. Diese einseitige Orientierung des öffentlichen Rechts am äusseren Mein und Dein ist durch das im Einteilungsschema der apriorischen Rechtspflichten enthaltene Argument für die Etablierung eines rechtlichen Zustande zu korrigieren. Das ist das Ziel dieser Arbeit. Bevor dies gezeigt wird, muß aber zunächst die subjektiv-rechtliche Grundlage von Kants Eigentums- und Staatstheorie (das innere und äußere Mein und Dein) dargestellt und diskutiert werden. Dies geschieht in den folgenden Abschnitten.

5. Das angeborene Recht Das angeborene Recht oder meum internum ist der Grund sowohl des Privatrechts, als auch des öffentlichen Rechts. Die Ableitung des äußeren Mein und Dein und des Staates aus dem angeborenen Recht wird später noch ausführlich behandelt. Zunächst soll es aber darum gehen, wie dieses ursprüngliche subjektive Recht selbst begründet ist. Kant gibt in der „Metaphysik der Sitten" weder eine ausdrückliche Begründung dafür, daß es überhaupt ein angeborenes Recht gibt, noch woraus genau sich sein Inhalt ergibt. Zunächst übernimmt er den traditionellen Begriff des subjektiven Rechts (meum, ius) als ,,(moralische[s]) Vermögen, andere zu verpflichten" aus dem Naturrecht. Dies ist nur eine der drei möglichen Bedeutungen von „ius", die das neuzeitliche Naturrecht kennt.276 Nach Hugo Grotius bezieht sich das Wort in einem allgemeinsten Sinne auf gerechte Handlungen. Gerecht ist zunächst alles, was der Sozial- und Vernunftnatur des 275 276

A A VI, 238. Vgl. Knud Haakonssen, Natural Law and Moral Philosophy. From Grotius to the Scottish Enlightenment. Cambridge, N e w York 1996; Brocker, Arbeit und Eigentum; Brandt, Eigentumstheorien; Hans Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit. 4. Aufl., Göttingen 1962.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

Menschen nicht widerspricht. 277 Es gibt nach Grotius aber auch noch eine speziellere Bedeutung des Begriffs „ius", die sich „direkt auf die Person bezieht" („personae competens"). In diesem Sinne ist „Recht" eine ,,[q]ualitas moralis ... ad aliquid juste habendum vel agendum" und dies zwar als „qualitas moralis perfecta" oder „minus perfecta". Erstere nennt Grotius „facultas", letztere „aptitudo". 278 In einem dritten Sinne identifiziert er „Recht" auch mit „lex" als einer objektiven Regel moralisch (gerechter) Handlungen. 279 Für das subjektive Recht ist aber die Bestimmung des ius als „facultas moralis" einschlägig. Zum subjektiven Recht zählen nach Grotius die libertas, d.h. die Herrschaft über sich selbst und andere (Kinder, Sklaven), das dominium, d.h. die Herrschaft über Sachen, und schließlich die Befugnis, das Schuldige von anderen zu fordern. 280 Grotius schließt sich mit diesen Bestimmungen begrifflich und inhaltlich weitestgehend an die Spätscholastik an. Francisco Suárez verstand in seinem Buch „De Legibus, ac Deo Legislatore" (1612) unter „ius naturale" sowohl das subjektive Recht, als auch das natürliche Gesetz. Das subjektive Recht wird von Suarez zunächst enger bestimmt, nämlich als Recht auf die Mittel zur Realisierung von durch das natürliche Gesetz bestimmten Zwecken, insbesondere als Recht der Selbsterhaltung. Daher definiert er das subjektive „ius naturale" unmittelbar als „facultas moralis" in Bezug auf Sachen („ad rem aliquam" bzw. „in re"). Diese Definition wird dann aber erweitert, so daß sich das Recht auch auf das „dominium" über sich selbst und andere erstreckt. 281 Eine damit übereinstimmende Definition des subjektiven Rechts findet sich auch bei anderen neuzeitlichen Autoren. Samuel Pufendorf definiert: „Jus est potentia moralis activa, personae competens ad aliquid ab altero necessario habendum". 282 Bei Thomas Hobbes heißt es: „Neque enim juris nomine aliud significatur quam libertas, quam quisque habet facultatibus naturalibus secundum rectam rationem utendi." 283 Ist die „erste Grundlage" des natürlichen Rechts die Selbsterhaltung, so hat jeder ein natürliches Recht, „utendi omnibus mediis, et

agendi omnem actionem, sine qua conservare se non potest,"284 Schließlich definiert Gottfried Achenwall: „Facultas hominis physica, quatenus nulli legi 277

278 279 280 281 282

283 284

Hugo Grotius, De jure belli ac pacis libri tres. Drei Bücher vom Recht des Krieges und des Friedens, Paris 1625, nebst einer Vorrede von Christian Thomasius zur ersten deutschen Ausgabe des Grotius vom Jahre 1707, hg. u. übers, v. Walter Schatzel. Tübingen 1950 (im Folgenden zitiert als: DJBP), I, 1,3. Vgl. Haakonssen, S. 26f.; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 199 Fn. 194. Grotius, DJBP, I, 1.4. Ebd., I, 1, 9. Ebd., I, 1,5. Vgl. die Nachweise bei Haakonssen, S. 23. Samuel Pufendorf, Elementorum jurisprudentiae universalis libri duo (1660), Definitio VIII; Nachweis bei: Thomas Behme, Samuel Pufendorf: Naturrecht und Staat. Eine Analyse und Interpretation seiner Theorie, ihrer Grundlagen und Probleme. Göttingen 1995, S. 80ff.; vgl. auch Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 199 Fn. 194. Thomas Hobbes, De Cive, in: Opera Latina, Bd. 2. London 1834 (ND Aalen 1966), I, 7. Ebd., 1,8.

Das angeborene Recht

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morali adversatur est facultas moralis et uno verbo ius (morale) late et subjective sive pro affectione personae sumtum" 285 ; die facultas moralis kann sich entweder auf eine obligatio perfecta oder imperfecta des anderen beziehen. Nur als Grund einer obligatio perfecta kann von einem subjektiven Recht (im engeren Sinne einer Befugnis zu zwingen) gesprochen werden. „Ea facultas moralis, quae posita obligatione alterius perfecta ponitur, hoc est ius naturale extorquendi aliquid alteri, seu vi exigendi ab altero, vocatur ius naturale strictum (ius perfectum) subjective sumtum". 286 Der Begriff des suum ist gegenüber dem ius subjective enger bestimmt, da er sich nur auf dasjenige bezieht, was nicht allen Subjekten gleichermaßen, sondern nur einem Subjekt unter Ausschluß aller anderen zukommt: „Dicitur etiam illud ius, quod alicui cum aliorum exclusione competit, ius suum."2*7 An diese Bestimmungen des natürlichen Rechts knüpft Kant in seinen Naturrechtsvorlesungen der 1780er Jahre - in direkter Auseinandersetzung mit Achenwalls Lehrbuch „Ius naturae" - an. In der Vorlesungsmitschrift von Feyerabend heißt es: „Eine Handlung ist recht, wenn sie unbeschadet der allgemeinen Freiheit zu einem allgemeinen Gesetz gemacht werden kann ... . Da braucht der Mensch dem andern nur nicht unrecht zu thun ,.."288. Kann die „Handlung mit der Freiheit aller nach einem allgemeinen Gesetz beisammen bestehe[n]", so ist sie „erlaubt und wir haben Befugniß." 289 Also gilt: „Das Recht formaliter ist, was nicht unrecht ist."290 „Recht" in diesem Sinne ist eine Eigenschaft von Handlungen („adjective" 291 ). Das subjektive Recht bezieht sich aber nicht nur auf Handlungen, sofern sie erlaubt sind (d.h. sie dem Gesetz der äußeren Freiheit nicht widersprechen), sondern sofern das Subjekt eine Befugnis (facultas, potentia) zu solchen (rechtsgesetzlichen) Handlungen hat. Da es sich ferner um eine rechtliche Befugnis (facultas iuridica) handelt und das Recht (subjective und objective) die Möglichkeit des Zwangs beinhaltet, so ist das Recht „materialiter betrachtet, etwas, wozu ich andere zwingen kann"; „Ich habe ein Recht wozu, wenn ich Grund habe, andren Willen zu nöthigen." 292 Die rechtliche Befugnis ist ein Vermögen, die äußere Freiheit anderer einzuschränken (sie zu nötigen). Das subjektive Recht ist für Kant also das Vermögen des Subjekts, die Freiheit anderer gemäß dem Rechtsgesetz (als dem Prinzip der Möglichkeit allseitiger äußerer Freiheit) durch Zwang einzuschränken. Den „Begriff des Sui und alieni in generale" hatte der „Autor" (d.i. Achenwall) bestimmt als das, „dessen sich jemand bedienen kann, mit Ausschliessung 285 286 287 288 289 2.0 2.1 2.2

Achenwall, lus Naturae, pars prior, § 23. Ebd., § 36. Ebd., § 53. AA XXVII, 1332/1333. Ebd., 1332. Ebd. Ebd., 1333. Ebd., 1332.

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1. Kapitel: D i e Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

anderer". Diese Bestimmung vervollständigt Kant durch das Element der Allgemeingesetzlichkeit des äußeren Freiheitsgebrauchs: „Dasjenige, in Ansehung dessen jemand jeden andren Willen nach Gesetzen der allgemeinen Freiheit einschränken kann, ist das meinige."293 Dies wird anhand des rechtlichen Gebrauchs einer Sache erläutert: Ist der „Gebrauch meiner Freiheit von der Sache ... der allgemeinen Freiheit nicht zuwider", so kann ich „damit machen, was ich will."294 Dies gilt etwa auch für den Fall der Aneignung einer herrenlosen Sache, wie z.B. des Bodens: „Das Land das zuerst keiner gebraucht hat, und das ich zuerst brauche, ist das Meinige. Mein Gebrauch dessen besteht mit der allgemeinen Freiheit. Also ists Recht. Was Recht ist, in Ansehung dessen kann ich die Freiheit andrer einschränken, wenn sie diesem Recht zuwider handeln sollten." Mit dieser Bestimmung des Mein oder Dein bzw. des „sui et alien" „kömmts nun" - so notiert der Mitschreiber in Kants Vorlesung - „aufs Autor Definition heraus."295 Dieses Recht, einen Gegenstand überhaupt ausschließlich zu gebrauchen und durch mein exklusives Gebrauchsrecht die Freiheit aller anderen in Übereinstimmung mit dem Gesetz wirksam einzuschränken, besteht allein in Bezug auf Sachen. „In Ansehung der Sache ist bloß Meum und Tuum zu nehmen."296 Ein anderer Mensch, d.h. eine Person, kann dagegen nicht das Seine eines anderen sein. Kant unterteilt in der Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten" das subjektive Recht in angeborenes Recht (meum internum) und erworbenes Recht (meum externum).297· Das erworbene Recht oder äußere Mein und Dein behandelt Kant im Privatrecht298, das innere oder angeborene Recht in der .Einleitung zur Rechtslehre'. Im Anschluß an die Einteilung behauptet Kant dort: „Das angeborene Recht ist nur ein einziges", nämlich die „Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht."299 Nun ist die Freiheit als Recht (meum) etwas, von dem ich Gebrauch machen kann. Kant 2

" Ebd., 1335. Ebd. 295 Ebd. 296 Ebd. 297 Vgl. A A VI, 237. 298 Der Sache nach gehört auch das angeborene Recht in das Privatrecht. Die Obereinteilung der subjektiven Rechte in angeborenes und erworbenes Recht strukturiert das Naturrecht als Recht im Naturzustand oder „Privatrecht". „Da es nun in Ansehung des angeborenen, mithin inneren Mein und Dein keine Rechte, sondern nur ein Recht gibt, so wird diese Obereinteilung, als aus zwei dem Inhalte nach äußerst ungleichen Gliedern bestehend, in die Prolegomenen geworfen und die Einteilung der Rechtslehre bloß auf das äußere Mein und Dein bezogen werden können." Entsprechend wird auch das angeborene Recht selbst ebenfalls „in die Prolegomenen geworfen" und dort abgehandelt. Die eigentliche Rechtslehre setzt dann sogleich mit der Behandlung der erworbenen Rechte bzw. mit der Bestimmung des Begriffs eines äußeren Mein und Dein ein und behandelt dann die verschiedenen Arten der erworbenen Rechte. 299 A A V I , 237. 294

Das angeborene Recht

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spricht daher von gewissen ,,Befugnisse[n]", die selbst nicht den Status eines selbständigen angeborenen Rechts haben, aber in diesem enthalten sind und nicht als „Glieder der Einteilung unter einem höheren Rechtsbegriff' [des meum internum] angesehen werden können. Diese .Befugnisse' liegen vielmehr „schon im Prinzip der angeborenen Freiheit" und sind also von dieser gar nicht „unterschieden". 300 Welches sind nun diese .Befugnisse'? Die angeborene Gleichheit, d l die Unabhängigkeit, nicht zu mehrerem von anderen verbunden zu werden, als wozu man sie wechselseitig auch verbinden kann; mithin die Qualität des Menschen, sein eigener Herr (sui iuris) zu sein, imgleichen die eines unbescholtenen Menschen (iusti), weil er vor allem rechtlichen Akt keinem Unrecht getan hat; endlich auch die Befugnis, das gegen andere zu tun, was an sich ihnen das Ihre nicht schmälert, wenn sie sich dessen nur nicht annehmen wollen; dergleichen ist: ihnen bloß seine Gedanken mitzuteilen, ihnen etwas zu erzählen oder zu versprechen, es sei wahr und aufrichtig oder unwahr und unaufrichtig (veriloquium aut falsiloquium), weil es bloß auf ihnen beruht, ob sie ihm glauben wollen oder nicht... (AA VI, 237/238) 301

Diese Befugnisse waren ihrem Inhalt nach nicht neu für das Naturrecht. N e u war allerdings, daß Kant sie nicht als mit dem angeborenen Recht der Freiheit gleichrangige natürliche Rechte betrachtete. So sah Kant sich etwa in Achenwalls Lehrbuch mit einer Liste von sechs iura connata konfrontiert, die sich inhaltlich teilweise mit Kants angeborenem Recht und den darin enthaltenen „Befugnissen" deckten. Nach Achenwall hat jeder ein angeborenes Recht auf seine Selbsterhaltung und auf alle „actiones naturaliter instas", insbesondere auf solche, „quaecumque conservationi alius vel aliorum non adversantur." 302 Zu den angeborenen Rechten gehört außerdem die natürliche Freiheit (libertas naturalis) 303 , die natürliche Gleichheit (aequalitas naturalis) 304 , das Recht der freien Meinungsäußerung (declaratio mentis) 305 , das Recht auf den guten Namen (existimatio) 3 0 6 und schliesslich das Recht, äußere Gegenstände gebrauchen zu können, sofern dadurch nicht das Recht eines anderen verletzt wird. 307 Für Kant bedeutete ein solches „Aggre300 301

302 303 304 305 306

307

Ebd., 238. Diese Aufzählung ist nicht vollständig. Zum angeborenen Recht würde etwa auch gehören: die Befugnis, einen physisch besessenen Gegenstand zu gebrauchen, die Befugnis, sich irgendwo auf dem Erdboden aufzuhalten, das Recht eines Kindes auf Versorgung durch seine Eltern u. ä. (vgl. Mulholland, Kant's System of Rights, S. 201). Der Grund, warum Kant diese Rechte und Befugnisse nicht eigens aufführt, mag darin liegen, daß er sie an geeigneter Stelle im Privatrecht behandelt. Nach Brandt, Person und Sache, S. 895, umfaßt das innere Meine „die angeborene Freiheit, meine Ehre und mein[en] Körper"; vgl. ders., Freiheit, Gleichheit, Selbständigkeit, S. 116. Achenwall, §64. Vgl. ebd., §69ff. Vgl. ebd., §80ff. Vgl. ebd., §87ff. Vgl. ebd., §96ff. Vgl. ebd., §106: Jus rebus in hoc orbe terrarum prostantibus utendi, quatenus ex eartim usu nemo laeditur". Dieses Recht kommt nach Achenwall jedem Menschen „vi ... libertatis naturalis" (ebd.) zu.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

gat' ursprünglicher subjektiver Rechte einen Mangel des Naturrechts, den er behob, indem er das natürliche Recht unmittelbar aus dem Rechtsgesetz ableitete. Gemäß dieser Ableitung konnte es nur ein einziges angeborenes, ursprüngliches Recht geben: das Recht der Freiheit. Das angeborene Recht ist gleichsam die subjektiv-rechtliche Seite des Rechtsgesetzes selbst. Dafür, daß er dann doch den Bedeutungsgehalt des angeborenen Rechts in mehrere Befugnisse auffächert, gibt Kant folgende Begründung: D i e Absicht, w e s w e g e n man eine solche Einteilung in das System des Naturrechts (sofern es das angeborene Recht angeht) eingeführt hat, geht darauf hinaus, damit, wenn über ein erworbenes [!] Recht ein Streit entsteht und die Frage eintritt, w e m die Beweisführung (onus probandi) obliege, entweder von einer bezweifelten Tat [quid facti?] oder, wenn diese ausgemittelt ist, von einem bezweifelten Recht [quid iuris?], derjenige, welcher diese Verbindlichkeit von sich ablehnt, sich auf sein angeborenes Recht der Freiheit (welches nun nach seinen verschiedenen Verhältnissen spezifiziert wird) methodisch und gleich als nach verschiedenen Rechtstiteln berufen könne." ( A A , VI 2 3 8 )

Kant zeigt in seiner Auflistung der „Befugnisse" also, wie das Subjekt in einem typischen Fall von seinem angeborenen Recht Gebrauch machen kann. Auf die einzelnen „Befugnisse" muß hier nicht näher eingegangen werden. Stattdessen soll die Frage geklärt werden, warum oder in welchem Sinne es überhaupt ein angeborenes Recht gibt und warum es nur ein einziges ist. Abschließend ist dann noch die Bedeutung von Kants Begründung des angeborenen Rechts im Kontext der Menschenrechtsdiskussion v.a. in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu würdigen. Wenn Kant den Begriff des „angeborenen" Rechts aus der naturrechtlichen Tradition übernimmt, so ist dies sicher nicht so zu verstehen, daß der Mensch durch seine Geburt ein solches Recht erwirbt. Die Geburt ist gar keine Handlung (Tat) des Subjekts, durch die etwas erworben werden kann.308 Mit der Kennzeichnung „angeboren" soll ja gerade ausgedrückt werden, daß dieses Recht nicht erworben wird: das angeborene Recht oder meum internum bildet den Gegenbegriff zum erworbenen Recht. Das angeborene Recht verdankt sich also weder einem rechtlichen Akt seines Trägers, noch ist es überhaupt von irgendwelchen empirischen Bedingungen abhängig. Das Recht ist „angeboren" bedeutet: der Mensch besitzt es „ursprünglich", nicht aufgrund irgendwelcher Handlungen, Verdienste o. ä., sondern es steht ihm „kraft seiner Menschheit" zu309. Der Ausdruck „angeboren" besagt nur, „daß der Mensch in der Möglichkeit, andere Menschen überhaupt rechtlich zu verbinden, d.h. eben in seinem möglichen Rechte, nicht von einer rechtlich normierten Handlung seiner Willkür, die ja erst auf die Geburt

308 309

Vgl. VIII, 293. AA VI, 237.

Das angeborene Recht

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folgen könnte, abhängt."310 Der Mensch besitzt dieses Recht immer schon, bloß weil er Mensch ist. Nimmt man hinzu, daß es sich bei einem Recht überhaupt um eine moralische Befugnis handelt, so läßt sich in Kenntnis des konkreten Inhalts des meum internum sagen: das angeborene Recht ist ein „subjektives Recht a prior/" und „beschreibt die Rechtsposition, die die reine praktische Vernunft jedermann in der von ihr entworfenen äußeren Freiheitsordnung zuweist", sie ist ein „Vermögen, ... das Vernunftgesetz [des Rechts] selbst geltend zu machen"311 Es ist das erste natürliche Recht des Menschen, das ursprüngliche Recht im Naturzustand.312 Der moralgesetzliche Grund des angeborenen Rechts kann nur ein praktisches (vernunftrechtliches) Prinzip a priori sein. Tatsächlich ist es das Rechtsgesetz selbst, demzufolge es Pflicht ist, äußerlich so zu handeln, „daß der freie Gebrauch [der] Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen [kann]".313 Da im Recht eine strenge Recht-PflichtKorrespondenz vorauszusetzen ist, entspricht der Verpflichtung durch das Rechtsgesetz (der Rechtspflicht) ein korrelatives Recht, durch fremde Willkür in der äußeren Freiheit nicht anders, als nach allgemeinen Gesetzen des äußeren Willkürgebrauchs eingeschränkt zu werden. Niemand kann ursprünglich verpflichtet sein, sich durch fremde Willkür beliebig nötigen zu lassen. Sondern die äußere Freiheit ist ursprünglich allein durch das Rechtsgesetz selbst eingeschränkt. Im angeborenen Recht wird diese vernunftgesetzliche Beschränkung des Willkürgebrauchs aber nicht als Einschränkung der eigenen Willkür gedacht, sondern als moralisch mögliche Einschränkung fremder Willkür durch mich. Mein angeborenes Recht schränkt die Willkür der anderen a priori ein. Die Verbindlichkeit aus dem angeborenen Menschenrecht und aus dem allgemeinen Rechtsgesetz sind identisch. Das angeborene Recht ist gleichsam gar nicht anderes, als „das objektive Rechtsprinzip unter subjektiv-rechtlicher Perspektive" betrachtet.314

310

311 312

313 314

Ebbinghaus, Das Kantische System, S. 260; vgl. ebd.: „Jeder ist jedem vom Augenblicke der Beendigung der Geburt durch das Recht der Menschheit verbunden. Das erstreckt sich auch auf den Säugling, der eines freien Gebrauches seiner Kräfte noch gar nicht fähig ist. Denn wenn das neugeborene Kind ein Gegenstand wäre, mit dem jeder Mensch rechtmäßig machen könne, was ihm beliebt, so wäre ja die Menschheit selber in ihrer möglichen Existenz dem Belieben der einzelnen Menschen unterworfen." Zur Frage des Verhältnisses von Rechtspersonalität und Geburt vgl. ferner ders., Rechtsfähigkeit des Menschen, metaphysische Embryologie und politische Psychiatrie, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2: Praktische Philosophie 1955-1972, hg. v. Georg Geismann u. Hariolf Oberer. Bonn 1988, S. 127-140; ders., Das Lebensrecht des Nasciturus und das Verbot der Schwangerschaftsunterbrechung. Eine Erwiderung, in: ebd., S. 199-208. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 202. Vgl. Mulholland, Kant's System of Rights, S. 200: „The account of the innate right is the characterization of the moral position of the individual in relations involving rights, independently of any acquisition of rights made possible by a civil condition and a general will." AA VI, 231. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 205.

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

Das angeborene Recht (meum internum) bezieht sich mithin allein auf das Vermögen des Subjekts zu rechtsgesetzlichen Handlungen und darauf, hinsichtlich seines äußeren Freiheitsgebrauchs nicht von fremder Willkür abzuhängen. Der Inhalt jenes Rechts ist ausschließlich die allgemeingesetzliche äußere Freiheit selbst im Verhältnis zu anderen. Kant spricht allerdings im Zusammenhang mit dem inneren Meinen auch von einem Selbstbesitz: „Ein Platz auf der Erde ist nicht darum ein äußeres Meine, weil ich ihn mit meinem Leibe einnehme (denn es betrifft hier nur meine äußere Freiheit, mithin nur den Besitz meiner selbst, kein Ding außer mir, und ist also nur ein inneres Recht) ,.."315. Der Selbstbesitz würde sich darum auch auf den eigenen Körper (Leib) und die eigenen physischen und mentalen Vermögen beziehen.316 Meine äußere Freiheit - so ließe sich argumentieren - wird ja nur dann durch den ungesetzlichen Willkürgebrauch anderer lädiert, wenn diese auf meinen Körper einwirken (indem sie mich etwa verletzen, behindern, festhalten etc.). Die Verletzung des angeborenen Rechts bezieht sich in dieser Argumentation auf den homo phaenomenon, nicht den homo noumenon. Nun ist es zwar richtig, daß eine Affektion meines Körpers zugleich eine Affektion meiner Freiheit und deswegen auch eine mögliche Läsion meines angeborenen Rechts darstellt. Daraus folgt aber keineswegs, daß das innere Meine mit meinem Körper und meinen Vermögen gleichzusetzen ist.317 Die Rede vom Selbstbesitz als Inhalt oder Voraussetzung des angeborenen Rechts ist daher mißverständlich. An der angeführten Stelle bezieht sich Kant darauf, daß der physische Besitz eines äußeren Gegenstandes kein äußeres Mein oder Dein begründet. Sofern der Boden, auf dem ich mich befinde, keinem anderen gehört, habe ich ein Recht, mich dort aufzuhalten. Ich habe dieses Recht, weil dieser Gebrauch der Freiheit mit der Freiheit aller anderen zusammenstimmt und ich dadurch also keinem anderen Unrecht tue. Niemand ist befugt, mich von dem Platz, an dem ich mich befinde, wegzustoßen. Der Grund dafür ist aber nicht der „Besitz meiner selbst", d.h. hier meines Leibes, sondern die äußere Freiheit. Ich besitze den Boden physisch und rechtmäßig, das erste vermittels meines Körpers, daß zweite vermittels meines angeborenen Rechts. Im rechtlichen Sinne sich selbst zu besitzen, bedeutet einfach: seine Freiheit (als Recht) zu besitzen. Natürlich besitze ich auch zugleich meinen eigenen Körper (rechtmäßig). Ich

315 316 317

AA VI, 254. Vgl. Mulholland, Kant's System of Rights, S. 204f. So aber Mulholland, Kant's System of Rights, S. 205. Der Grundfehler in Mulhollands Interpretation liegt darin, daß er das angeborene Recht und das innere Meine nicht synonym versteht (vgl. AA VI, 237: „Das angeborene Mein und Dein [=Recht] kann auch das innere (meum vel tuum internum) genannt werden ..."), sondern daß er ein Inklusionsverhältnis annimmt: „Kants regards the innate right as including the specific right of a person to what he possesses internally." (Mulholland, Kant's System of Rights, S. 214) Das innere Meine bezöge sich aber auf den Körper und dieser sei daher im angeborenen Recht enthalten. Vgl. zu Mulhollands Interpretation der angeführten Stelle aus der „Metaphysik der Sitten", ebd., S. 217ff.

Das angeborene Recht

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besitze ihn aber nicht als etwas Äußeres. Daher gehört der „Besitz meiner selbst" zum inneren Meinen. 318 Der Grund, warum es nur ein einziges angeborenes Menschenrecht gibt, ergibt sich aus seiner Ableitung aus dem Rechtsgesetz: aus der Pflicht zum rechtmäßigen Handeln folgt das Recht des allgemeingesetzlichen äußeren Freiheitsgebrauchs. Das Rechtsgesetz ist die oberste Bedingung allseitiger äußerer Freiheit. Kant bezieht das Recht - in deutlicher Abgrenzung zum vorkantischen Naturrecht - auf keinerlei materiale Zwecke. Weder die Selbsterhaltung, noch die Glückseligkeit, noch die Vollkommenheit, noch das allgemeine Wohl oder der individuelle oder gesellschaftliche Nutzen spielen bei ihm bei der Rechtsbegrilndung eine Rolle. Die einzige materiale subjektiv-rechtliche Bestimmung, die sich aus Kants Rechtsgesetz entnehmen läßt, ist die allgemeingesetzliche allseitige äußere Freiheit selbst, deren Prinzip das Gesetz ist. Alle weiteren subjektiv-rechtlichen Bestimmungen - auch solcher, die unmittelbar auf dem angeborenen Recht beruhen - lassen sich nur unter Berücksichtigung der „Anwendungsbedingungen" des Rechts, d.h. der empirischen Umstände und des Zustands der Menschen in der Welt, entwickeln. Daraus ergeben sich dann jene „Befugnisse", die Kant als im Recht der Freiheit enthalten ansieht, aber nicht als selbständige Rechte anerkennen will. Sicher könnte man gegen Kants Reduzierung des ursprünglichen Menschenrechts auf die Freiheit einwenden, daß doch die Gleichheit ebenso unmittelbar durch das Gesetz postuliert wird, wie die Freiheit. Die Rechte und Pflichten aufgrund des Freiheitsgesetzes gelten allgemein und wechselseitig, also für alle Menschen gleich. Diese Gleichheitsbedingung der Freiheit ist unmittelbar im Gesetz enthalten. 319 Die subjektiv-rechtliche Trennung von Freiheit und Gleichheit würde jedoch gerade an der Ableitung aller angeboren-ursprünglichen rechtlichen „Befugnisse" aus einem allgemeinen Gesetz des äußeren Willkürgebrauchs (dem Rechtsgesetz) scheitern. Denn die äußere Freiheit nach allgemeinen Gesetzen bedeutet die Befugnis zur wechselseitige Einschränkung der Freiheit nach einem solchen Gesetz oder die Befugnis der Subjekte, sich wechselseitig zu zwingen. Bezieht sich die Gleichheit einerseits auf die wechselseitig erzwingbare Einschränkung der Freiheit durch andere, so andererseits auf den gleichen Grad der Unabhängigkeit vom Belieben anderer und der Befugnis, sie zu verpflichten, d.h. zu zwingen. Diese Gleichheit ist die Gleichheit des subjektiven Rechts, also der nach einem allgemeinen Gesetz mit der Freiheit aller anderen kompatiblen äußeren Freiheit. Auf diese Weise ist die Gleichheit nicht nur im Rechtsgesetz (als

318

519

Zum Verhältnis von Leiblichkeit und Recht vgl. Deggau, S. 38ff.; zum Verhältnis von Leiblichkeit und äußerem Mein und Dein: Friedrich Wilhelm von Herrmann, Besitz und Leib, in: Philosophische Perspektiven 3 (1971), S. 195-216. Vgl. Mulholland, Kant's System of Rights, S. 221: „Innate equality is... an analytic consequence of the feature of universality contained in the concept of law "

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

Allgemeinheit), sondern auch im subjektiven Recht der Freiheit schon enthalten und - wie Kant sagt - „wirklich von ihr nicht... unterschieden". Dem Gleichheitspostulat ist in der Geschichte des Naturrechts ein ebenso prominenter Platz eingeräumt worden, wie der Freiheit. In Christian Wolffs Naturrechtslehre etwa liegt eine Konzeption vor, die in eigentümlicher Weise die Freiheit aus der Gleichheit abzuleiten versucht. Die Wesensgleichheit der Menschen als Menschen bedingt bei Wolff, daß die angeborenen Rechte und Pflichten für alle Menschen ursprünglich gleich gelten. 320 Daraus ergibt sich unmittelbar, daß die Menschen ursprünglich gleiche angeborene Rechte und Pflichten haben. 321 Aus dieser rechtlichen Gleichheit folgt, daß niemand das Recht hat, über andere zu bestimmen. Ein allgemeines ursprüngliches Herrschaftsrecht anzunehmen, ergibt einen Widerspruch - also sind alle Menschen von Natur aus frei. 322 Allerdings hat Wolff weder die Gleichheit, noch die Freiheit im eigentlichen Sinne als ursprüngliche, angeborene Menschenrechte aufgefaßt, aus denen sich konstante rechtliche Befugnisse des Menschen und Bürgers ergeben. Stattdessen orientiert sich Wolff am älteren naturrechtlichen Begriff der „Persönlichkeitsrechte" 323 . Während die Zahl der von Wolff angegebenen angeborenen Rechte „ins Uferlose" 324 geht, entbehren sie zugleich der für Grundrechte wesentlichen „Abwehrsubstanz" 325 . Achenwalls Bestimmung des ursprünglichen Rechts der Gleichheit unterscheidet sich sowohl von derjenigen Wollfs, als auch von derjenigen Kants. Das ius aequalitatis gehört - wie bereits erwähnt - für ihn ebenfalls in einen Katalog natürlicher Rechte, ist darin aber mit der Freiheit gleichrangig. Nach Achenwall ist im juridischen Sinne gleich, wer gleiche Rechte und Pflichten hat. Da alle Menschen im Naturzustand gleichermaßen unter dem natürlichen Gesetz stehen, haben sie gleiche Rechte und Pflichten. Also sind von Natur alle Menschen gleich. 326 Im (absoluten) Naturzustand hat niemand mehr oder größeres Recht als Andere. Der Naturzustand ist ein „status aequalitatis", in dem niemand „sub 320 321 322

323

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Wolff, lus naturae, §31. Wolff, Institutiones iuris naturae et gentium, §70; ders. lus naturae, §§78 u. 81. Wolff, lus naturae, §146. Vgl. Theo Kobusch, Die Entdeckung der Person. Metaphysik der Freiheit und modernes Menschenbild. 2. Aufl., Darmstadt 1997, S. 88f. mit den entsprechenden Nachweisen. Die Ableitung der Freiheit aus der Gleichheit bei Wolff ist jedoch in der Forschung nicht unumstritten: vgl. Hanns-Martin Bachmann, Die naturrechtliche Staatslehre Christian Wolffs. Berlin 1977, S. lOOff.; Emanuel Stipperger, Freiheit und Institution bei Christian Wolff (16791754). Zum Grundrechtsdenken in der deutschen Hochaufklärung. Frankfurt a. M. 1984, S. 44. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 209; dort Verweis auf Manfred Herrmann, Der Schutz der Persönlichkeitsrechte in der Rechtslehre des 16. bis 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1968. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 209. Diethelm Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts. Paderborn 1976, S. 77. Dies gilt für die iura connata des alteren deutschen Naturrechts generell; vgl. ebd., S. 75ff. Achenwall, lus naturae, pars prior, § 81 : ,Jiomines igitur qua homines natura aequa les sunt, seu o mues omni6us in omnibus sunt aequales".

Das angeborene Recht

potestate alterius" ist. 327 Kraft der natürlichen Gleichheit „nemo natura

83 obligator

agnoscere iura alterius plura vel malora suis, nec praerogativam aut praecedentiam quamdam alterius" 328 . Für Achenwall ist daher der absolute Naturzustand auch ein Zustand gleicher Freiheit: „a natura hominibus competat libertas omnibus cum omnibus aequalis". 329 Kant kommentiert dies in seiner Naturrechtsvorlesung (Mitschrifi von Feyerabend): „Das 2te Recht connatum ist: Alle sind einander gleich, nicht am Verstände, Kräften, sondern am Recht". 330 Die „Ungleichheit der Rechte" oder die „Vorrechte" entstehen erst „durch ein factum iuridicum". Ursprünglich aber haben alle „gleiche Rechte, weil wirklich jeder in Ansehung des andern kein affirmatives Recht hat." „Physisch und ethisch ist große Ungleichheit unter den Menschen, aber juristisch sind die Menschen gleich. Der Begrif des Rechts ist eben der Begrif der gleichen Wirkung und Gegenwirkung." 331 Die Gleichheit sei das „Recht", „wobei die allgemeine Freiheit bestehen kann." 332 Der Gedanke, daß es nur ein einziges ius connatum gibt, nämlich die Freiheit, findet sich bei Kant Ende der 1780er Jahre noch nicht. Es ist ganz unbestritten, daß die Gleichheit bei der Begründung der Moral überhaupt und besonders des Rechts eine wesentliche Rolle spielt. Dabei sind im Hinblick auf das Recht drei Gleichheitsbegriffe zu unterscheiden: Da ist zunächst die moralische Gleichheit, die sich daraus ergibt, daß alle Menschen gleichermaßen Vernunftwesen sind und unter den Gesetzen der praktischen Vernunft stehen. Diese praktische Subjektivität 333 bildet die Grundlage der Gesetze der Ethik und des Rechts. Die Gleichheit ist in den Gesetzen der praktischen Vernunft unmittelbar wirksam, indem sie die zu realisierende innere und äußere Freiheit auf die Bedingung der Gleichheit einschränkt. Dies wird besonders im Recht deutlich. Das Rechtsgesetz ist ein Prinzip der äußeren Freiheit, nach dem jedem eine gleich große Sphäre des äußeren Willkürgebrauchs zugeteilt wird.

327

Ebd., §82. Ebd., §84. Ebd., §86. 330 AA XXVII, 1338. 331 Ebd., 1339. Das Prinzip der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung zieht Kant in §D der Rechtslehre zur Begründung der Zwangsbefugnis heran (vgl. AA VI, 231). Als praktischem Erkenntnisprinzip entspricht dem die sogenannte Goldene Regel, die sowohl von Kant als auch von Achenwall im Zusammenhang mit der rechtlichen Gleichheit genannt wird. Vgl. bei Kant, XXVII, 1339: „Quod tibi non vis fieri, alteri ne facias. Was du fìlr dich als Recht haltst, mußt du auch allen anderen als Recht halten." Vgl. bei Achenwall, Jus naturae, pars prior, §§83: „quod iure tuo tibi non vis fieri ab altero, id nec altieri faciendum est, et contra quod iure tuo tibi vis fieri ab altero, id alteri quoque est facoendum. Quod iure tuo alteri facere non vis, id nec exigendum ab altero, ut libi faciat " Zur Goldenen Regel und dem kategorischen Imperativ als moralischem Erkenntnisprinzip allgemein vgl. Joachim Hruschka, Die Konkurrenz von Goldener Regel und Prinzip der Verallgemeinerung in der juristischen Diskussion des 17./18. Jahrhunderts als geschichtliche Wurzel von Kants kategorischem Imperativ, in: Juristen-Zeitung 42 (1987), S. 941-952. 532 AA XXVII, 1339. 333 Luf, S. 47ff., spricht in diesem Zusammenhang etwas mißverständlich von „gleicher Autonomie". 321 329

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1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

Von diesem Begriff der Gleichheit ist jene Befugnis zu unterscheiden, die Kant als schon „im Prinzip der angeborenen Freiheit" liegend ansieht und die „wirklich von ihr nicht ... unterschieden"334 ist: die „angeborene Gleichheit, d.i. die Unabhängigkeit, nicht zu mehrerem von anderen verbunden zu werden, als wozu man sie wechselseitig auch verbinden kann"335. Es läßt sich leicht zeigen, daß diese „angeborene Gleichheit" tatsächlich „schon im Prinzip der angeborenen Freiheit" enthalten und also nicht „wirklich von ihr unterschieden" ist. Die Gleichheit im von Kant angegebenen Sinne, d.h. als Befugnis, ist nicht Voraussetzung oder Bedingung der angeborenen Freiheit, sondern sie ist dieser nachgeordnet. Bevor dies gezeigt wird, soll zunächst noch der dritte bei Kant verwendete Gleichheitsbegriff genannt werden: die bürgerliche Gleichheit im Staat. Es ist klar, daß dieser Gleichheitsbegriff nur eine Folge des angeborenen Rechts der Freiheit sein kann. Die Rechte des Menschen als Bürger setzen offenkundig den Staat voraus. Dieser ist aber seinerseits eine vernunftrechtliche Folge des angeborenen Rechts. Der Staat ist Gegenstand einer Rechtspflicht a priori, die sich aus dem Rechtsgesetz ergibt und die außerdem Gegenstand einer im angeborenen Recht enthaltenen Befugnis ist, andere zu nötigen (zu zwingen), mit mir in einen Zustand unter einer öffentlich-rechtlichen Gesetzgebung einzutreten. Die Legitimität des Staates kann nach Kant gar nicht anders begründet werden, als unter Rekurs auf die apriorischen Grundlagen des Rechts überhaupt, d.h. unter Rekurs auf das Rechtsgesetz und seine subjektiv-rechtliche Konsequenz: das angeborene Recht.336 Die Gleichheit in dem zuletzt genannten Sinn bildet das Mittelglied der staatsbürgerlichen Rechtetrias „Freiheit, Gleichheit, Selbständigkeit". Kant spricht hier nicht von „Bürgerrechten" oder „Grundrechten", sondern von „rechtlichen, vom ... Wesen ... [des Staatsbürgers] unabtrennlichen Attribute[n]". Die „bürgerliche Gleichheit" besteht nun darin, „keinen Oberen im Volk in Ansehung seiner zu erkennen als nur einen solchen, den er ebenso rechtlich zu verbinden das moralische Vermögen hat, als dieser ihn verbinden kann".337 Dieser Gleichheitsbegriff muß hier nicht weiter erörtert werden. 334 335 336

337

A A VI, 238. Ebd., 237. Die Ableitung des Staates aus dem angeborenen Recht wird unten in einem eigenen Kapitel behandelt. A A VI, 314. Im Gemeinspruch-Aufsatz spricht Kant von der „Gleichheit als Unterthan", worunter die Gleichheit aller im Staat zu verstehen ist, sich wechselseitig rechtlich gemäß öffentlichen Gesetzen zwingen zu können. AudrUcklich ausgenommen von dieser Gleichheit ist „das Oberhaupt" ( A A VIII, 291). Im „Ewigen Frieden" bestimmt Kant unter dem ersten Definitivartikel („Die bürgerliche Verfassung in jedem Staat soll republikanisch sein"): „äußere (rechtliche) Gleichheit in einem Staate [ist] dasjenige Verhältnis der Staatsbürger, nach welchem keiner den andern wozu rechtlich verbinden kann, ohne daß er sich zugleich dem Gesetz unterwirft, von diesem wechselseitig auf dieselbe Art auch verbunden werden zu können." (ebd., 3 5 0 Fn.) Vgl. zum Verhältnis von angeborenem Recht und den Rechten des Bürgers: Julius Ebbinghaus, Das Kantische System.

Das angeborene Recht

85

Inwieweit ergibt sich nun die Gleichheitsbefugnis aus dem angeborenen Recht der Freiheit? Wie Kants Formulierung zeigt, lassen sich hinsichtlich des angeborenen Rechts drei relevante „Sachverhalte", die in seine Definition eingehen, unterscheiden. Der erste ist oben bereits behandelt worden: Das einzige angeborene Recht steht jedem Menschen „kraft seiner Menschheit" zu. Das angeborene Recht läßt sich daher auch als „Menschenrecht" oder „Menschheitsrecht" bezeichnen. Für das hier zu behandelnde Problem sind aber die beiden anderen Bestimmungen wesentlich. Kant sagt ferner, das angeborene Menschenrecht sei die „Freiheit ..., sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann", und schließlich, daß das angeborene Recht die „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür" ist.338 Die letztere Bestimmung bildet einen Klammerzusatz hinter dem Wort „Freiheit" in der zuerst genannten Bestimmung und stellt also eine Erläuterung der allgemeingesetzlichen Freiheit dar, die primärer Gegenstand des angeborenen Rechts ist. Um den von Kant intendierten Bezug herzustellen, muß man sich klar machen, daß es sich bei der so definierten Freiheit um ein subjektives Recht handelt, also eine Befugnis oder ein moralisches Vermögen, andere zu verpflichten. Das Verhältnis beider Bestimmungen stellt sich dann folgendermaßen dar: Wenn die (äußere) Freiheit, die nach einem allgemeinen Gesetz mit derjenigen aller anderen bestehen kann, als Befugnis gedacht wird, so bedeutet dies, daß ich (das Subjekt) das moralische Vermögen habe, alle anderen auf den Gebrauch ihrer Freiheit nach dem Gesetz, durch das die Freiheit aller a priori (objektiv) eingeschränkt ist, zu verpflichten. Mit anderen Worten: Durch mein angeborenes Recht verpflichte ich alle anderen auf den allgemeingesetzlichen Gebrauch ihrer äußeren Freiheit. Durch das Rechtsgesetz ist es ferner jedem untersagt, die Freiheit anderer willkürlich, d.h. anders als gemäß jenem Gesetz einzuschränken. Dabei ist zu beachten, daß im Falle einer rechtlichen Nötigung durch andere eine entsprechende Rechtspflicht des Subjekts, sich nötigen zu lassen, gegeben ist. Diese steht nun aber notwendig unter der obersten einschränkenden Bedingung des Rechtsgesetzes. Dies bedeutet, daß das Prinzip, nach dem andere mich rechtlich nötigen (bzw. zwingen) dürfen, ein Gesetz ist, daß einerseits aus meiner eigenen praktischen Vernunft hervorgeht und das andererseits jedem anderen die Form seiner Willkür, durch die ich gezwungen werden kann, a priori ebenso vorschreibt, wie es eine Zwangsbefugnis ihm gegenüber begründet. Das Rechtsgesetz verhindert also, daß andere mich durch ihre „bloße Willkür" zwingen können. Umgekehrt ist natürlich auch meine eigene Freiheit auf diese Bedingung eingeschränkt. Unter der Bedingung des Rechtsgesetzes bin ich (gegenüber anderen) zu jeder Handlung befugt, durch die ihre Handlungsfreiheit nicht ungesetzlich eingeschränkt wird, genauso wie niemand meine Freiheit

"* AA VI, 237.

86

1. Kapitel: Die Grundlagen des Rechts in der „Metaphysik der Sitten"

ungesetzlich einschränken darf. Darin besteht meine ursprüngliche „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür". Das angeborene Recht gehört systematisch zum Naturrecht im absoluten Naturzustand (status naturalis absolutus), d.h. das angeborene Recht bezieht sich auf mein moralisches Vermögen, andere zu nötigen, vor jeder rechtlichen Tat. In diesem Zustand aber, d.h. „ursprünglich", ist die einzige Grenze meines Freiheitsgebrauch das Rechtsgesetz, aber niemals der subjektiv-zufällige Wille anderer. Daraus erhellt, daß das angeborene Recht der Freiheit, die (oder sofern sie) mit der Freiheit aller anderen nach einem allgemeinen Gesetz zusammen stimmt, ursprünglich, d.h. im absoluten Naturzustand, im rechtlichen Verhältnis zu anderen gar nichts anderes bedeutet, als meine „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür". Die ursprüngliche Unabhängigkeit bleibt auch dann bestehen, wenn das Subjekt aktiv in Rechtsbeziehungen mit anderen eintritt. Allgemein beziehen sich die „im Prinzip der angeborenen Freiheit" enthaltenen „Befugnisse" auf die natürlichen Rechte im hypothetischen Naturzustand (status naturalis hypotheticus sive adventitius). Machen die Subjekte im Naturzustand von ihren natürlichen Rechten Gebrauch, so verpflichten sie dadurch andere. Die rechtliche Wirkung einer gesetzlichen Handlung (factum) ist auch im Naturzustand eine Rechtspflicht auf Seiten einer anderen Person. Durch sein (angeborenes) Recht ist ja jeder befugt, andere zu verpflichten. Für diese Verpflichtungsbefugnis bildet nun wiederum das angeborene Recht eines jeden eine Grenze. Die „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür" drückt sich hinsichtlich der Möglichkeit, andere verpflichten zu können (im hypothetischen Naturzustand), in der „Unabhängigkeit, nicht zu mehrerem von anderen verbunden ... werden [zu können], als wozu man sie wechselseitig auch verbinden kann" aus. Dies nennt Kant die „angeborene Gleichheit".339 Abschließend einige Bemerkungen zu Kants Stellung im Menschenrechtsdiskurs der Spätaufklärung. Überblickt man die zeitgenössische Diskussion, so sieht man sofort, welche Relevanz Kants Behauptung hat, es gebe nur ein angeborenes Menschenrecht und dies „einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht" sei die äußere Freiheit als Befugnis zu Handlungen, die unter dem Rechtsgesetz mit der Freiheit aller anderen vereinbar sind und - in eins damit - als „Unabhängigkeit von deren nötigender Willkür". Im deutlichen Kontrast zu dieser Minimallösung des Menschenrechtsproblems stehen die teilweise sehr umfangreichen Kataloge „natürlicher", „ursprünglicher", „unveräußerlicher", „absoluter", „heiliger" etc. Menschenrechte, mit denen Kants Zeitgenossen aufwarteten.340 Das Beispiel Christian Wolffs ist bereits erwähnt

340

Ebd. Kant war allerdings nicht der erste, der behauptet hat, es gebe nur ein einziges angeborenes Recht bzw. alle angeborenen Rechte könnten auf ein einziges - nämlich die Freiheit - reduziert werden.

Das angeborene Recht

87

worden. Nicht wenige Autoren knüpften in den 1780er und 1790er Jahren aber auch direkt an Kant an, indem sie den Gedanken der Selbstzweckhaftigkeit des Menschen, den Kant in der „Grundlegung" entwickelt hatte, zum Ausgangspunkt ihrer Menschenrechtstheorien machten. 341 Die Menschenrechtstheorien der Spätaufklärung waren sowohl gegen den absolutistisch-paternalistischen Fürstenstaat, als auch gegen die überkommene ständische Gesellschaftsordnung, kirchliche Bevormundung und Intoleranz gerichtet. Dagegen sollte die natürliche Freiheit und Gleichheit der Menschen geltend gemacht werden, was innerhalb der komplexen und verkrusteten politischen, sozialen und religiösen Strukturen vielen nicht anders möglich schien, als dadurch, daß sie detailliert angaben, genau welche gesellschaftlichen Freiheiten dem Menschen kraft seines natürlichen Menschenrechts zustehen sollten. Die Auswucherungen des Menschenrechtsdiskurses in der Spätaufklärung wird man daher nicht notwendig einer mangelnden prinzipientheoretischen Kompetenz dieser Autoren anlasten können, sondern sie waren größtenteils auch eine Reaktion auf die komplexen Strukturen der alten Gesellschaft. Ohne letztere aus dem Blick zu verlieren, ist es Kants Verdienst, den Gedanken des Menschenrechts auf sein ursprüngliches Prinzip - die Freiheit - zurückgeführt zu haben. Denn auch für die anderen Menschenrechtsautoren war die Freiheit philosophischer Ausgangspunkt und politisches Ziel ihrer Forderungen.

341

Ju, S. 121 f., nennt als Beispiele Carl Christian Erhard Schmid (Grundriß des Naturrechts. Frankfurt, Leipzig 1795) und Johann Christian Gottlieb Schaumann (Versuch eines neuen Systems des natürlichen Rechts. Halle 1796). Vgl. Klippel, S. 119ff.

2. Kapitel Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten" Kant hat sich erst in der Rechtslehre von 1797 dem Problem einer vernunftrechtlichen Begründung des Eigentums gewidmet. Zwar finden sich schon in den 1760er Jahren Notizen Kants (die sog. „Bemerkungen zu den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen"), in denen eigentumstheoretische Fragen angesprochen werden. Auch in Kants Vorlesungen über Naturrecht und über Metaphysik der Sitten finden sich einschlägige Überlegungen. Aber erst das rechtsphilosophische Spätwerk bringt eine ausgearbeitete philosophische Theorie des Eigentums. Kants intensive Beschäftigung mit dieser Thematik hat ihn dabei dazu bewogen, seinen prinzipientheoretischen Ansatz bei der Eigentumsbegründung gegenüber jenen früheren Überlegungen radikal zu ändern. Hatte er zunächst - seit den 1760er Jahren - im Anschluß an Locke und v.a. an Rousseau eine arbeitstheoretische Begründung des Eigentums gegeben, so knüpft er in der Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten" an die ältere Lehre der prima occupatio an, die im deutschen Naturrecht noch bis ins späte 18. Jahrhundert die Standardtheorie der Eigentumsbegründung war. Da hier nicht die Entwicklungsgeschichte der Kantischen Eigentumstheorie, sondern ihre systematische Gestalt in der „Metaphysik der Sitten" untersucht werden soll, werden Kants Überlegungen zur Arbeitstheorie des Eigentums hier nicht erörtert. Die folgende Untersuchung konzentriert sich ausschließlich auf die „Metaphysik der Sitten" und folgt dabei dem Aufbau des Privatrechtsteils der Rechtslehre in den einschlägigen Abschnitten. Die Lehre vom Eigentum (das auf Sachen bezogene äußere Mein oder Dein, das Recht in einer Sache, ius in re) ist Teil des Privatrechts und enthält zwei Teile, nämlich die Lehre vom rechtlichen Besitz (Das Privatrecht vom äußeren Mein und Dein überhaupt, Erstes Hauptstück: Von der Art, etwas Äußeres als das Seine zu haben; §§1-9 der Rechtslehre) und die Lehre von der (ursprünglichen) Erwerbung (Das Privatrecht vom äußeren Mein und Dein überhaupt, 2. Hauptstück: Von der Art, etwas Äußeres zu erwerben, Allgemeines Prinzip der äußeren Erwerbung und Erster Abschnitt: Vom Sachenrecht; §§10-17 der Rechtslehre). Entsprechend der Darstellung Kants wird beides hier getrennt untersucht.342 342

Die beiden anderen Abschnitte des zweiten Hauptstückes („Vom persönlichen Recht" und „Von dem auf dingliche Art persönlichen Recht") sowie das gesamte dritte Hauptstück des Privatrechts („Von der subjektiv-bedingten Erwerbung durch den Ausspruch einer öffentlichen Gerichtsbarkeit") bleiben hier unberücksichtigt.

Eigentum und Sachenrecht

89

Im Sachenrecht handelt Kant von der Lehre der ursprünglichen Erwerbung körperlicher Gegenstände (Sachen). Die Art, eine körperliche Sache ursprünglich zu erwerben, ist die prima occupatio. Kant spricht auch von „Bemächtigung". Die Lehre von der ursprünglichen Erwerbung - wie auch die Erwerbslehre insgesamt - setzt die Begründung der notwendigen Möglichkeit des äußeren Mein und Dein und die Bestimmung des Prinzips seiner Möglichkeit voraus. Ersteres geschieht durch das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft, letzteres ist der Begriff des intelligiblen Besitzes. Beides gehört in die Besitzlehre, die deswegen in der „Metaphysik der Sitten" vor der Erwerbslehre steht. Die Besitzlehre enthält ein Erlaubnisgesetz, durch das jeder befugt ist, äußere Gegenstände seiner Willkür in seinen Besitz zu nehmen und andere rechtlich von ihrem Gebrauch auszuschließen. Das damit geschaffene Problem der Vereinbarkeit der subjektiven Aneignungsbefugnis mit der äußeren (angeborenen) Freiheit aller anderen kann erst in der Erwerbslehre gelöst werden. Dort wird der aufgrund des Postulats provisorisch erworbene Besitz unter die zusätzliche Rechtsbedingung der vernunftgesetzlichen Appropriation durch die ideale vereinigte Willkür aller gestellt. Damit ist Kants naturrechtliche Eigentumstheorie vorerst abgeschlossen: Aufgrund der vernunftrechtlichen Prinzipien des Postulats und der Idee der allgemein-vereinigten Willkür ist ein provisorisches Eigentumsrecht im Naturzustand möglich. Die darüber hinausgehenden öffentlich-rechtlichen Implikationen dieses Rechts sind dann im letzten Kapitel dieser Arbeit zu diskutieren. Die nun folgende Untersuchung von Kants Eigentumstheorie soll mit einem kurzen Überblick darüber beginnen, was Kant unter den einschlägigen Begriffen eines äußeren Mein und Dein, eines Sachenrechts und des Eigentums versteht. Sodann sind seine Überlegungen in der Besitzlehre und im ersten Teil der Erwerbslehre ausführlich zu diskutieren.

1. Eigentum und Sachenrecht Das Privatrecht der Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten" ist die Lehre vom äußeren Mein und Dein, d.h. es betrifft das Recht in Bezug auf äußere Gegenstände der Willkür. Ist das „rechtlich Meine (meum juris) ... dasjenige, womit ich so verbunden bin, daß der Gebrauch, den ein anderer ohne meine Einwilligung von ihm machen möchte, mich lädieren würde"343, so ist ein äußeres Mein oder Dein „dasjenige außer mir, an dessen mir beliebigem Gebrauch mich zu hindern, Läsion (Abbruch an meiner Freiheit, die mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann), sein würde."344 Zum Begriffsinhalt des äußeren Mein und Dein gehört die Befugnis des Subjekts, 343 344

AA VI, 245. Ebd., 248/249.

90

2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

mit dem Gegenstand nach Belieben zu verfahren sowie die Befugnis, sich von anderen am Gebrauch des Gegenstandes nicht hindern zu lassen. Mit dem Recht der ausschließlichen Verfügungsgewalt über den Gegenstand ist zugleich das Recht verbunden, andere vom Gebrauch dieses Gegenstandes durch Zwang abzuhalten. Das äußere Mein und Dein oder das Recht an äußeren Willkürgegenständen setzt einen bloß-rechtlichen oder „intelligiblen" Besitz voraus. Der intelligible Besitz ist ein „Besitz ohne Inhabung",345 Es handelt sich dabei nicht um ein empirisches Besitzverhältnis, sondern um einen „Vernunftbesitz", d.h. der äußere Gegenstand wird hier nicht als raum-zeitlich bestimmtes Ding betrachtet, sondern lediglich als ein vom Subjekt (logisch) unterschiedener Gegenstand. 346 Von allen empirischen Bedingungen des Besitzes wird abstrahiert. „Die Art also, etwas außer mir als das Meine zu haben, ist die bloß rechtliche Verbindung des Willens des Subjekts mit jenem Gegenstande, unabhängig von dem Verhältnisse zu demselben im Raum und in der Zeit, nach dem Begriff eines intelligiblen Besitzes." 347 Kant erläutert dies durch folgende Beispiele: So werde ich einen Apfel nicht darum mein nennen, weil ich ihn in meiner Hand habe (physisch besitze), sondern nur, wenn ich sagen kann: ich besitze ihn, ob ich ihn gleich aus meiner Hand, wohin es auch sei, gelegt habe; imgleichen werde ich v o n dem Boden, auf den ich mich gelagert habe, nicht sagen können, er sei darum mein; sondern nur, wenn ich behaupten darf, er sei immer noch in meinem Besitz, ob ich gleich diesen Platz verlassen habe. Denn der, welcher mir im ersten Falle (des empirischen Besitzes) den Apfel aus der Hand winden oder mich von meiner Lagerstätte wegschleppen wollte, würde mich zwar freilich in Ansehung des inneren Meinen (der Freiheit), aber nicht des äußeren Meinen lädieren, wenn ich nicht auch ohne Inhabung im Besitz des Gegenstandes zu sein behaupten könnte; ich könnte also diese Gegenstände (den Apfel und das Lager) auch nicht mein nennen. ( A A VI, 2 4 7 / 2 4 8 )

Diese Beispiele beziehen sich nur auf körperliche Gegenstände, also auf Sachen. Der Begriff des äußeren Mein und Dein bezieht sich aber auf den rechtlichen Besitz äußerer Willkürgegenstände überhaupt. Kant unterscheidet drei Arten äußerer Willkürgegenstände, in Bezug auf die ein äußeres Mein und Dein möglich ist: Der äußeren Gegenstände meiner Willkür können nur drei sein: 1. Eine körperliche Sache außer mir; 2. die Willkür eines anderen zu einer bestimmten Tat (praestatio); 3. Der Zustand eines anderen in Verhältnis auf mich; nach den Kategorien der Substanz, Kausalität und Gemeinschaft zwischen mir und äußeren Gegenständen nach Freiheitsgesetzen. ( A A VI, 2 4 7 ) 3 4 8

345 3,6 347 348

Ebd., 246. Ebd., 245. Ebd., 253/254. Ebd., 247. Kants Behauptung, eine andere Person könne gleich einer Sache besessen werden und es gebe folglich außer dem Sachenrecht und dem persönlichen Recht auch noch ein „auf dingliche Art

91

Eigentum und Sachenrecht Diese

Dreiteilung

spielt

im

ersten

Hauptstück

des

Privatrechts

-

der

B e s i t z l e h r e - n o c h k e i n e g r ö ß e r e R o l l e . S i e b e g r ü n d e t dann aber die d r e i f a c h e U n t e r t e i l u n g d e s z w e i t e n H a u p t s t ü c k s - der Erwerbslehre - in d a s S a c h e n r e c h t , das p e r s ö n l i c h e R e c h t u n d d a s „ a u f d i n g l i c h e Art p e r s ö n l i c h e Recht". D i e letzten b e i d e n , d.h. das Vertrags-, S c h u l d - o d e r O b l i g a t i o n e n r e c h t u n d d a s „ R e c h t der häuslichen

Gemeinschaft"

(Ehe-,

Eltern-

und

Hausherrenrecht)

können

hier

v e r n a c h l ä s s i g t w e r d e n . E s interessiert hier a l l e i n das Sachenrecht. D i e s e r B e g r i f f ist z u n ä c h s t z w e i d e u t i g : er b e z e i c h n e t s o w o h l das s u b j e k t i v e Recht (ius in re), als a u c h d e n Jnbegriff

in einer

Sache

aller G e s e t z e , d i e d a s d i n g l i c h e M e i n u n d D e i n

b e t r e f f e n " . 3 4 9 N u n ist aber das S a c h e n r e c h t der „ M e t a p h y s i k der Sitten" s c h o n in d i e s e m doktrinalen S i n n e w e s e n t l i c h e n g e r gefaßt: e s ist T e i l der Erwerbslehre und betrifft darin e i n z i g u n d allein d a s P r o b l e m der u r s p r ü n g l i c h e n E r w e r b u n g körperlicher G e g e n s t ä n d e , a l s o k e i n e s w e g s alle G e s e t z e , „die das d i n g l i c h e M e i n u n d D e i n betreffen". W i e aber b e s t i m m t Kant d a s S a c h e n r e c h t als

subjektives

R e c h t ? D a s R e c h t in e i n e r S a c h e ist - s o d i e „ g e w ö h n l i c h e Erklärung" R e c h t gegen

jeden

Besitzer

derselben".

Dies

ist n a c h

Kant

eine

„das

„richtige

persönliches Recht", ist bereits von den Zeitgenossen kritisiert worden. Offenbar hat Kants Hinweis auf die Relationskategorien hier nicht Uberzeugen können. Im „Anhang erläuternder Bemerkungen" zur zweiten Auflage der Rechtslehre hat Kant darum noch einmal eine Rechtfertigung dieses „neuerdings gewagten Rechtsbegriffjs]" gegeben. Dort bezieht er sich aber nicht mehr auf die kategoriale Systematik, sondern auf die Bedingungen der vollständigen Konstruktion eines Systems der Vernunft. Danach sind alle Begriffe in ein Vernunftsystem aufzunehmen, die nicht in sich selbst widersprüchlich sind: „Die Topik der Prinzipien muß der Form des Systems halber vollständig sein, d.i. es muß der Platz zu einem Begriff (locus communis) angezeigt werden, der nach der synthetischen Form der Einteilung für diesen Begriff offen ist; man mag nachher auch dartun, daß einer oder der andere Begriff, der in diesen Platz gesetzt würde, an sich widersprechend sei und aus diesem Platz wegfalle." Die bisherigen Naturrechtssysteme sind unvollständig, da sie keine „synthetische Form der Einteilung" zugrundelegen, sondern lediglich eine analytische, an der kontradiktorischen Opposition von Person und Sache orientierte, Einteilung vornehmen. „Die Rechtslehrer haben bisher nun zwei Gemeinplätze besetzt: den des dinglichen und den des persönlichen Rechts. Es ist natürlich, zu fragen: ob auch, da noch zwei Plätze aus der bloßen Form der Verbindung beider zu einem Begriffe, als Glieder der Einteilung a priori, offen stehen, nämlich der eines auf persönliche Art dinglichen, imgleichen der eines auf dingliche Art persönlichen Rechts, ob nämlich ein solcher neuhinzugekommener Begriff auch statthaft sei und vorderhand, obzwar nur problematisch, in der vollständigen Tafel der Einteilung angetroffen werden müsse. Das letztere leidet keinen Zweifel. Denn die bloß logische Einteilung (die vom Inhalt der Erkenntnis - dem Objekt - abstrahiert) ist immer Dichotomie, z.B. ein jedes Recht ist entweder dingliches oder nicht-dingliches Recht. Diejenige aber, von der hier die Rede ist, nämlich die metaphysische Einteilung, kann auch Tetrachotomie sein, weil außer den zwei einfachen Gliedern der Einteilung noch zwei Verhältnisse, nämlich die der das Recht einschränkenden Bedingungen hinzukommen, unter denen das eine Recht mit dem anderen in Verbindung tritt, deren Möglichkeit einer besonderen Untersuchung bedarf. - Der Begriff eines auf persönliche Art dinglichen Rechts fällt ohne weitere Umstände weg; denn es läßt sich kein Recht einer Sache gegen eine Person denken." Dagegen ist - so Kant - die „Umkehrung dieses Verhältnisses", d.h. ein „auf dingliche Art persönliches Recht", „nicht allein ohne inneren Widerspruch, sondern [ist] selbst ... ein notwendiger (a priori in der Vernunft gegebener) zum Begriffe des äußeren Mein und Dein gehörender Begriff' (AA VI, 357/358). 349

Ebd., 261.

92

2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

Nominaldefinition". 350 Als rechtmäßiger Eigentümer einer Sache habe ich das Recht, „mich wegen eines äußeren Gegenstandes an jeden Inhaber desselben [zu] halten und ihn (per vindicationem) [zu] nötigen ..., mich wieder in Besitz desselben zu setzen" 351 . Die Frage, wie ein solches Recht möglich ist, führt auf die Idee der „vereinigten Willkür aller in einem [ursprünglichen] Gesamtbesitze" 352 . Nur unter dieser Idee können äußere Gegenstände ursprünglich erworben werden und kann durch den einseitigen Willkürakt der prima occupatio ein alle anderen verbindendes äußeres Mein oder Dein begründet werden. Dies wird im folgenden noch ausführlich diskutiert. Daß das Sachenrecht wesentlich als Vindikationsrecht bestimmt wird, setzt freilich voraus, was erst noch zu zeigen ist: daß nämlich das Recht in einer Sache ganz unabhängig von der Inhabung des Gegenstandes durch den Eigentümer besteht. Nur dann ist von einem äußeren Meinen in Bezug auf eine körperliche Sache zu sprechen, wenn zwischen Eigentümer und Besitzer unterschieden werden kann. 353 Der Ausgangspunkt von Kants Überlegungen zum Vindikationsrecht im dritten Hauptstück der Erwerbslehre, ,,[d]aß eine fortdauernde Sache, die mein ist, mein bleibe, ob ich gleich nicht in der fortdauernden Inhabung derselben bin, und von selbst ohne einen rechtlichen Akt (derelictionis vel alienationis) mein zu sein nicht aufhöre, und daß mir ein Recht in dieser Sache (ius reale), mithin gegen jeden Inhaber, nicht bloß gegen eine bestimmte Person (ius personale) zusteht" 354 , ist ein Resultat der Besitzlehre. Der Begriff des Eigentums (dominium) wird in Kants Privatrecht an einer nicht eben prominenten Stelle definiert. In einem Textstück, das unverbunden auf §17 (den letzten Abschnitt des Sachenrechts) folgt heißt es: Der äußere Gegenstand, welcher der Substanz nach das Seine von jemandem ist, ist dessen Eigentum (dominium), welchem alle Rechte in dieser Sache (wie Accidenzen der Substanz) inhärieren, über welche also der Eigentümer (dominus) nach Belieben verfügen kann (ius disponendi de re sua). ( A A VI, 270)

Daraus folgt - so fährt Kant fort - daß nur körperliche Gegenstände Eigentum einer Person sein können und insbesondere, daß niemand eine Person und damit auch nicht sich selbst als Eigentum haben kann. Jeder Mensch ist „sui juris", aber niemals „sui dominus". 355 Wichtiger ist aber die Feststellung, daß der Begriff des 350

351 352 353

554 555

Ebd., 260. Die Namenerklärung eines Begriffs ist „diejenige welche bloß zur Unterscheidung des Objekts von allen anderen zureicht" (ebd., 248). Dagegen ist die Sacherklärung eine Begriffsbestimmung, die zugleich anzeigt, wie der Gegenstand des Begriffs möglich ist, und die daher „auch zur Deduktion desselben (der Erkenntnis der Möglichkeit des Gegenstandes) zureicht" (ebd., 249). Die Bedingungen der Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein werden unten erörtert. Ebd., 260. Ebd., 261. Dieser Unterschied setzt die in §1 der Rechtslehre entwickelte Unterscheidung von possessio phaenomenon und possessio noumenon voraus. AA VI, 300. Ebd., 260.

Eigentum und Sachenrecht

93

Eigentums gemäß der angegebenen Definition im Sachenrecht gar keine größere Rolle spielt. Der rechtliche Begriff des Eigentums bezieht sich auf die Materie des erworbenen Rechts, dagegen bezieht sich das jus in re auf Form der Erwerbung. Dieser Unterschied geht klar aus der „Einteilung der Erwerbung des äußeren Mein und Dein" im Anschluß an § 10 hervor: 1. Der Materie (dem Objekte) nach erwerbe ich entweder eine körperliche Sache (Substanz) oder die Leistung (Kausalität) eines anderen, oder diese andere Person selbst, d.i. den Zustand derselben, sofern ich ein Recht erlange, über denselben zu verfügen (das Commercium mit derselben). 2. Der Form (Erwerbungsart) nach ist es entweder ein Sachenrecht (ius reale), oder persönliches Recht (ius personale), oder ein dinglich-persönliches Recht (ius realiter personale) des Besitzes (obzwar nicht des Gebrauchs) einer anderen Person als einer Sache. 3. N a c h dem Rechtsgrunde (titulus) der Erwerbung; w e l c h e s eigentlich kein besonderes Glied der Einteilung der Rechte, aber doch ein Moment der Art ihrer Ausübung ist: entweder durch den Akt einer einseitigen oder doppelseitigen oder allseitigen Willkür, wodurch etwas Äußeres (facto, pacto, lege) erworben wird. ( A A VI, 2 5 9 / 2 6 0 )

Der Begriff des Eigentums ist int (nicht unter dem) Begriff des Sachenrechts enthalten. 356 Bezieht sich der Begriff des Eigentums auf die Relation SubjektGegenstand, so bezeichnet der Begriff „Sachenrecht" die eigentliche interpersonale Rechtsbeziehung, unter der der Gegenstandsgebrauch stehen muß. Die von Kant selbst gegebene Definition des Eigentums scheint aber genau das Gegenteil dieser Behauptung zu implizieren: daß nämlich das Eigentum im Begriff des Sachenrechts enthalten ist. Der Begriff „Eigentum" bezeichnet denjenigen Aspekt eines Sachenrechts, demgemäß das Subjekt mit dem Gegenstand nach Belieben verfahren kann. Kant scheint in dem angeführten Zitat aber sagen zu wollen, daß dem Eigentum (im Sinne der gegebenen Definition) 1. alle Rechte in dieser Sache inhärieren und daß 2. der Eigentümer deswegen über diese Sache nach Belieben verfügen kann. Beachtet man, daß Kant das Sachenrecht als „ius in re" bestimmt, so ergibt sich hier ein ganz anderes begriffliches Ableitungsverhältnis: Das Eigentum ist ein auf eine körperliche Sache bezogenes substanzielles Besitzrecht; als solchem inhärieren ihm alle „Rechte in der Sache" (=Sachenrechte); zu diesen Rechten gehört auch das Recht, Uber die Sache nach Belieben zu verfügen. 356

Eigentum und Sachenrecht verhalten sich nicht zueinander wie Art und Genus, sondern das Eigentum ist die im Begriff des Sachenrechts enthaltene Teilbefugnis der Sachherrschaft - in Ergänzung zu der komplementären Befugnis, andere vom Gebrauch der Sache auszuschließen. In Kants Rechtslehre der Freiheit ist es letztere Befugnis, die sowohl die Erörterungen der Besitzlehre, als auch der Erwerbslehre bestimmen. Der zugrundeliegende Rechtsbegriff ist ja selbst nur auf das freie Willktlrverhältnis zwischen Personen bezogen, so daß es ein rechtliches Verhältnis zwischen Person und Sache gar nicht geben kann. Zur Geschichte der Differenzierung dieser beiden Teilaspekte des äußeren Mein und Dein in Bezug auf Sachen vgl. Damian Hecker, Eigentum als Sachherrschaft. Zur Genese und Kritik eines besonderen Herrschaftsanspruchs. Paderborn, München, Wien, Zürich 1990; zu Kant: S. 184ff.

94

2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

Daß diese Textstelle aber nicht Kants eigentliche Meinung wiedergibt, erhellt schon aus dem Umstand, daß er dem Eigentum weder dem Begriffe noch der Sache nach einen Platz bei der Einteilung des äußeren Mein und Dein bzw. in der Erwerbslehre angewiesen hat. Kant spricht an den systematisch entscheidenden Stellen ausschließlich vom „Sachenrecht". Ferner haben die definierenden Eigenschaften des Eigentums, auf die Kant sich hier bezieht, keinerlei Funktion für die Einordnung dieses Rechts in das System des Vernunftrechts. Kant hebt am Eigentum ja hervor, daß es sich einerseits auf die Substanz eines Willkürgegenstands bezieht, daß es andererseits als eine Befugnis vorgestellt werden muß, mit der besessenen Sache nach Belieben zu verfahren. Das entscheidende Moment des Rechts, daß es nämlich eine moralische Befugnis ist, andere auf eine bestimmte Handlungsweise zu verpflichten, ist damit gerade nicht angesprochen. Das Eigentum in dem von Kant selbst angeführten Sinne kann also moralisch nur gerechtfertigt werden, sofern es in einem Sachenrecht enthalten ist, denn dieses enthält die wesentliche rechtliche Bestimmung. Es ist eine fremdgerichtete Verpflichtungsbefugnis: ein „Recht gegen jeden Besitzer" der Sache, die mein Eigentum ist.357 Bisher wurden nur begrifflich-systematische Bestimmungen des Sachenrechts bzw. des Eigentums gegeben. Das Eigentum bildet einen rechtlichen Teilaspekt des Sachenrechts (nämlich die Befugnis, mit einer Sache nach Belieben zu verfahren). Das Sachenrecht überhaupt ist eine Befugnis gegenüber anderen, sie auf einen bestimmten Gebrauch oder den Nichtgebrauch einer Sache zu verpflichten. Das Sachenrecht hängt seinerseits vom Begriff des äußeren Mein und Dein überhaupt ab. In Bezug auf diesen Begriff zeigt Kant, daß er ein notwendiger Begriff der praktischen Vernunft ist. D.h. der Gebrauch äußerer Willkürgegenstände überhaupt unter Freiheitsgesetzen macht es notwendig, daß es ein äußeres Mein und Dein gibt. Durch den Begriff des äußeren Mein und Dein wird mittelbar auch der Begriff des Eigentums bzw. des Sachenrechts gerechtfertigt. Die metaphysischen Prinzipien des rechtlichen Besitzes äußerer Gegenstände der Willkür (also auch von Sachen) legt Kant im ersten Hauptstück des Privatrechts dar. Das eigentliche Sachenrecht, das ja ein Teil der Erwerbslehre ist, enthält also gar nicht die Rechtfertigung der Behauptung, daß es überhaupt Eigentum geben soll. Sondern das Sachenrecht enthält lediglich die vernunft357

Gleichwohl ist Kants Bestimmung des Eigentums mit seiner Lehre vom Sachenrecht vereinbar. Denn habe ich eine Sache als Eigentum, dann habe ich natürlich auch ein Sachenrecht in Bezug auf diese Sache, d . h . ich bin gegenüber alten anderen befugt, die Sache ausschließlich nach meinem Belieben zu gebrauchen. Allerdings ermöglicht diese Ausschlußbefugnis erst die rechtliche Herrschaft über die Sache. Es ist ferner zu beachten, in welchem Kontext Kants Eigentumsbestimmung steht. Es geht ihm nämlich darum, daß es ein Eigentum ausschließlich in Bezug auf Sachen geben kann, nicht aber in Bezug auf andere Personen (einschließlich des Subjekts selbst): „. .. ein Mensch [kann zwar] sein eigener Herr (sui iuris), aber nicht Eigentümer von sich selbst (sui dominus, über sich nach Belieben disponieren zu können), geschweige denn von anderen Menschen sein ..." (AA VI, 270).

Der rechtliche Besitz

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rechtlichen Prinzipien der ursprünglichen Erwerbung einer Sache, d.h. es stellt die Bedingungen dar, unter denen die Willkür sich überhaupt ihren Gegenstand verschafft (sofern es sich dabei um körperliche Gegenstände handelt). Zunächst aber zu Kants Behauptung der praktischen Notwendigekeit des äußeren Mein und Dein überhaupt und speziell in Bezug auf körperliche Gegenstände.

2. Der rechtliche Besitz Kant entwickelt im ersten Hauptstück des Privatrechts (der „Besitzlehre") zunächst den Begriff eines „bloß-rechtlichen" Besitzes, der als intellektuelles Besitzverhältnis vom physischen Besitz (der „Inhabung") abgegrenzt wird (§1). Der Begriff eines bloß-rechtlichen oder „intelligiblen" Besitzes (possessio noumenon) liegt dem Begriff des äußeren Mein und Dein zugrunde. In einem für das gesamte Privatrecht zentralen Abschnitt (§2) wird sodann die Möglichkeit des äußeren Mein und Dein durch das „rechtliche Postulat der praktischen Vernunft" als eine notwendige Bedingung des äußeren Freiheitsgebrauchs unter Gesetzen der rechtlich-praktischen Vernunft festgestellt. Unter dem Stichwort „Exposition des Begriffs vom äußeren Mein und Dein" (§4) wird der Begriff des intelligiblen Besitzes auf die drei möglichen Klassen äußerer Willkürgegenstände bezogen. Die „Definition des Begriffs des äußeren Mein und Dein" (§5) macht noch einmal klar, daß dieser Begriff nicht durch die physische Inhabung, sondern durch den in § 1 eingeführten intelligiblen Besitz bestimmt wird. In §6 wird die Frage nach der Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein als Frage nach der Möglichkeit eines synthetischen Rechtssatzes a priori exponiert und leitet so auf die „Deduktion des Begriffs eines nicht-empirischen Besitzes". Das Problem, wie der nichtempirische Vernunftbegriff eines intelligiblen Besitzes auf Erfahrungsgegenstände angewendet werden kann, löst Kant durch den „Verstandesbegriff des Besitzes überhaupt" oder den „Begriff des Habens" (§7). Die beiden die Besitzlehre beschließenden §§8 und 9 reflektieren auf den unterschiedlichen Modus des rechtlichen Besitzes im Naturzustand und im bürgerlichen Zustand als „provisorisches" bzw. „peremtorisches" äußeres Mein und Dein.

2.1 Der intelligible Besitz In der Einleitung zur Rechtslehre hatte Kant zweierlei Rechte als „moralische Vermögen, andere zu verpflichten", unterschieden: das angeborene Recht und das erworbene Recht. Das angeborene Recht kann auch das „innere" Mein und Dein genannt werden. Es ist das bereits bekannte Recht der Freiheit „sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann"

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

oder das Recht der Freiheit als „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür".358 Das angeborene Recht kommt „unabhängig von allem rechtlichen Akt jedermann von Natur zu[]"359. Dagegen sind alle Rechte, wozu ein solcher Akt erforderlich ist, erworbene (oder erwerbliche) Rechte. Das erworbene Recht heißt auch das äußere Mein und Dein: dieses muß also Jederzeit erworben werden."360 Da das angeborene Recht nur ein einziges ist, behandelt Kant es vor dem eigentlichen Privatrecht in der Einleitung zur Rechtslehre: die genannte „Obereinteilung" der Rechte in angeborenes und erworbenes Recht wird „in die Prolegomenen geworfen", so daß sich die „Einteilung der Rechtslehre bloß auf das äußere Mein und Dein" bezieht.361 Es versteht sich von selbst, daß die Rechtlehre insgesamt nicht nur vom äußeren Mein und Dein handeln kann. Aber auch das Privatrecht kann systematisch nicht als Lehre des äußeren Mein und Dein bestimmt werden. Sondern auch das angeborene Recht bzw. das innere Mein und Dein gehört der Sache nach dazu. Beide Arten moralischer Vermögen beziehen sich auf rechtliche Befugnisse von Subjekten, die diese haben oder haben können, ganz unabhängig davon, in welchem rechtlichen Zustand sie miteinander leben. Kants Privatrecht ist Naturrecht in dem Sinne, daß es der Inbegriff subjektiver Rechte im Naturzustand ist. Dazu aber zählen sowohl das angeborene Recht (das innere Mein oder Dein), als auch die erworbenen Rechte (das äußere Mein und Dein). Wenn Kant nun statt von Rechten oder von „moralischen Vermögen" vom inneren und äußeren Mein oder Dein spricht, so befindet er sich damit einerseits in Übereinstimmung mit dem Sprachgebrauch des Naturrechts. Andererseits betont er damit aber auch, daß es gleichsam eine subjektive Seite und eine objektive Seite eines Rechts gibt. Die subjektive Seite des Rechts wäre das Recht als „moralisches Vermögen" oder als „Befugnis, andere zu verpflichten". Die objektive Seite wäre der Gegenstand des Rechts, dasjenige wozu oder in Bezug worauf jemand ein Recht hat. Wie aus der Bezeichnung „inneres" und „äußeres" Mein oder Dein hervorgeht, gibt es „innere" und „äußere" Gegenstände des Rechts - innerlich und äußerlich jeweils in Bezug auf das Subjekt. Der dem Subjekt innere Gegenstand seines Rechts ist die äußere allgemeingesetzliche Willkürfreiheit, auf die jeder ein angeborenes (inneres) Recht hat.362 Wenn Kant dagegen vom äußeren Mein und Dein spricht, so ist damit ein Recht an äußeren Gegenständen der Willkür gemeint. Es liegt nahe, dabei an körperliche Gegenstände, also an Sachen zu denken. Kants Begriff eines äußeren Willkürgegenstandes ist aber umfangreicher. Er unterscheidet drei Arten möglicher Gegenstände für die Willkür: außer Sachen 358 359 360 361 362

Ebd., 237. Ebd. Ebd. Ebd., 238. Das innere Meine ist also nicht das Selbst, der eigene Körper, die eigenen Vermögen etc.

Der rechtliche Besitz

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subsumiert er diesem Begriff auch die Willkür und den Zustand einer anderen Person. Letztere beiden Arten von Willkürgegenständen können hier vernachlässigt werden, da der Begriff des Eigentums nach Kant nur für körperliche Sachen einschlägig ist. Das Privatrecht der „Metaphysik der Sitten" beruht auf der Annahme, nicht nur daß es ein äußeres Mein und Dein wirklich gibt, sondern auch daß es „praktische Realität" hat. Es ist also nicht einfach eine historische Tatsache, daß etwa das Eigentum (oder der Vertrag oder die Ehe) als gültiges Rechtsinstitut allgemein anerkannt wird, sondern das Eigentumsrecht kann auch nach vernunftrechtlichen Prinzipien gerechtfertigt werden. Es ist nicht nur ein positives Rechtsinstitut, sondern es ist außerdem und darüber hinaus nach Naturrechtsprinzipien notwendig. Den Nachweis der praktischen Realität des äußeren Mein und Dein - und damit auch eine philosophische Rechtfertigung des Eigentumsrechts363 - zu erbringen, ist die Aufgabe des ersten Hauptstücks des Privatrechts der „Metaphysik der Sitten": „Von der Art, etwas Äußeres als das Seine zu haben". Kant beginnt seine Überlegungen zur Rechtfertigung des äußeren Mein und Dein mit einer Untersuchung der Relation Subjekt-Gegenstand, wie sie im Begriff des äußeren Mein und Dein gedacht wird. Das Verhältnis des Subjekts zum Gegenstand ist danach als ein Ztes/Yzverhältnis aufzufassen. Dies geht bereits aus dem Begriff eines rechtlichen meum überhaupt hervor: Das Rechtlich-Meine (meum iuris) ist dasjenige, womit ich so verbunden bin, daß der Gebrauch, den ein anderer ohne meine Einwilligung v o n ihm machen möchte, mich lädieren würde. Die subjektive Bedingung des Gebrauchs ist der Besitz. ( A A VI, 2 4 5 )

Durch den Begriff ,,/?ec/i///c/i-Meines" wird kenntlich gemacht, daß es hier nicht um irgendeine Form des Besitzes geht. Die Substantivierung des Possessivpronomens „mein" kann sich natürlich auf verschiedene Formen des „ZugehörigSeins" oder des „Habens" beziehen. Der naturrechtliche Begriff „meum" bezieht sich aber selbstverständlich auf ein meum juris. Der Gegenbegriff zum „Rechtlich-Meinen", auf den Kant anspielt, den er aber nicht ausdrücklich nennt, wäre das „Physisch- oder Empirisch-Meine"364. 363

364

Zur vollständigen Theorie des Eigentumsrechts gehören natürlich auch die naturrechtlichen Prinzipien der ursprünglichen Erwerbung. Diese sind Gegenstand des „Sachenrechts" im zweiten Hauptstück des Privatrechts der „Metaphysik der Sitten". Allerdings erbringt Kant den Nachweis der praktischen Realität des Begriffs eines äußeren Mein und Dein (seine „Deduktion") in der Besitzlehre. Im Hinblick auf die Rechtfertigung des Eigentums insgesamt - die ja auch die Erwerbung betrifft - hat Gerhard Lehmann, Kants Besitzlehre, in: ders., Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants. Berlin 1969, S. 195-218, S. 198, daher - zutreffend - von einer „Gesamtdeduktion" gesprochen. Beck, Commentar, S. 142. Nach Beck ist das „Physisch- oder Empirisch-Meine ..., im Gegensatz des Rechtlich-Meinen, dasjenige, womit ich so verbunden bin, daß ich mir bewußt bin, einen beliebigen Gebrauch davon machen zu können; also dasjenige Object ist es, das meiner physischen

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

Das „Rechtlich-Meine" ist etwas, das rechtmäßig nur von mir bzw. in Abhängigkeit von meinem Willen gebraucht werden kann. Damit ist freilich nicht gemeint, daß das Rechtlich-Meine nur von mir gebraucht werden kann. Ein anderer kann aber nur dann rechtmäßig davon Gebrauch machen, wenn ich meine Zustimmung gegeben habe. Ich bin also derjenige, der allein über den Gebrauch des Rechtlich-Meinen (durch andere) bestimmen darf. Macht ein andere von dem Rechtlich-Meinen „ohne meine Einwilligung" Gebrauch, so lädiert er mich. Unter Läsion ist hier eine ungesetzliche Handlung durch den anderen zu verstehen: „Abbruch an meiner Freiheit, die mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann"365. Entscheidend ist aber, was Kant als die „subjektive Bedingung des Gebrauchs" bezeichnet: Um etwas überhaupt gebrauchen zu können, muß ich es besitzen. Diese Feststellung gilt allgemein, d.h. sie gilt sowohl für innere und äußere Willkürgegenstände, als auch für deren rechtmäßigen und unrechtmäßigen Gebrauch. Geht man nun davon aus, daß äußere Willkürgegenstände (durch andere) unrechtmäßig gebraucht werden können, stellt sich sogleich die Frage, welcher Art der Besitz ist, der einem rechtmäßigen Gebrauch zugrunde liegen würde. Jemand der einen äußeren Gegenstand seiner Willkür unrechtmäßig gebraucht, kann nicht zugleich der rechtliche Besitzer sein (denn dann wäre der Gebrauch rechtmäßig). Der rechtliche Besitz muß also von dem Besitz des Gebrauchenden grundsätzlich verschieden sein. Da jemand, der überhaupt nur einen Gegenstand seiner Willkür gebraucht (egal ob rechtmäßig oder unrechtmäßig) immer auch Inhaber der Sache sein muß, so muß ein bloß-rechtlicher Besitz (da er nicht eo ipso Inhabung ist) ein „Besitz ohne Inhabung' sein. Dies gilt - wie leicht einzusehen ist - nur im Hinblick auf äußere Gegenstände der Willkür. Kant formuliert dieses Erfordernis eines rechtlichen äußeren Mein und Dein so:

365

Macht unterworfen ist." Dazu zählt er „nicht allein die Gliedmaßen meines Körpers, die Functionen meines Gemtlths, die ich nach Gefallen ausüben kann" - dies würde wohl zum meum internum gezahlt - , "sondern auch jeder Gegenstand im Räume, zu dem ich mich nur bewegen darf [=muß], um von ihm Gebrauch zu machen". Nach dieser Definition ist das Physisch-Meine nicht identisch mit dem, was ich physisch besitze, also der possessio phaenomenon. Der von Beck beschriebene Sachverhalt entspricht stattdessen dem, auf den Kant sich zur Bestimmung eines Gegenstands meiner Willkür bezieht. „Ein Gegenstand meiner Willkür ... ist das, wovon beliebigen Gebrauch zu machen ich das physische Vermögen habe, dessen Gebrauch in meiner Macht (potentia) steht." (AA VI, 246) AA VI, 249. Der Einwand Bouterweks in seiner Rezension der „Metaphysischen Anfangsgrunde der Rechtslehre" (vgl. AA XX), der Begriff der Las ion müsse denjenigen des Mein und Dein schon voraussetzen (und könne also nicht zur Definition dieses Begriffs herangezogen werden) ist nicht triftig. Er bemängelt allerdings zurecht, daß Kant hier auf einen Begriff rekurriert, den er selbst noch gar nicht deflatorisch eingeführt hat (dies geschieht erst in §5 und in der 2. Auflage der „Metaphysik der Sitten"); vgl. dazu Ludwig, Kants Rechtslehre, S. 107. Nach Buchda, S. 18, nimmt Kant hier „den Begriff des Rechts als einer Verbindung zwischen Person und Gegenstand als gegeben an und spricht nur von der Folge, zu welcher der unerlaubte Gebrauch einer mit dem Subjekt verbundenen Sache führt, nämlich zur Verletzung der Freiheit des Subjekts."

Der rechtliche Besitz

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Etwas Äußeres aber würde nur dann das Meine sein, wenn ich annehmen darf, es sei möglich, daß ich durch den Gebrauch, den ein anderer von einer Sache macht, in deren Besitz ich doch nicht bin, gleichwohl doch lädiert werden könne. (AA VI, 245) Zwar ist nicht ohne weiteres verständlich, wie ich „durch den Gebrauch, den ein anderer von einer Sache macht, in deren Besitz ich ... nicht bin", „lädiert werden" kann, aber es ist doch klar, daß es ein solches äußeres Mein und Dein wirklich gibt. Es entspricht nämlich unserer gängigen Rechtspraxis, daß ich „einen Gegenstand im Räume (eine körperliche Sache) nicht mein nenne, außer wenn, obgleich ich nicht im physischen Besitz desselben bin, ich dennoch in einem anderen wirklichen (also nicht physischen) Besitz desselben zu sein behaupten darf." Entsprechend „werde ich einen Apfel nicht darum mein nennen, weil ich ihn in meiner Hand habe (physisch besitze), sondern nur, wenn ich sagen kann: ich besitze ihn, ob ich ihn gleich aus meiner Hand, wohin es auch sei, gelegt habe" und „der, welcher mir ... den Apfel aus der Hand winden ... wollte, würde mich zwar freilich in Ansehung des inneren Meinen (der Freiheit), aber nicht des äußeren Meinen lädieren, wenn ich nicht auch ohne Inhabung im Besitz des Gegenstandes zu sein behaupten könnte." Nur in diesem Fall kann ich den Apfel „mein nennen." 366 Kant bezieht sich bei solchen Überlegungen auf den Unterschied von physischem oder empirischem Besitz und nicht-empirischem, rechtlichem Besitz. Da es sich dabei um die Unterscheidung eines phänomenalen (empirischen) von einem noumenalen (intelligiblen) Besitzverhältnis handelt, spricht Kant auch von einer „Kritik der rechtlich-praktischen Vernunft im Begriffe des äußeren Mein und Dein" und bezieht sich damit auf eine „Antinomie" zweier „Sätze Uber die Möglichkeit eines solchen [rechtlichen] Besitzes". 367 Dieses Verfahren mutet jedoch etwas künstlich an. Es hat in den Vorarbeiten zur Rechtslehre breiten Raum eingenommen, in der veröffentlichten Fassung der Rechtslehre findet es dagegen nur kurz Erwähnung in einer Anmerkung am Ende von §7. Die Antinomie - so heißt es dort - sei Ausdruck einer ,,unvermeidliche[n] Dialektik, in welcher Thesis und Antithesis beide auf die Gültigkeit zweier einander widerstreitenden Bedingungen gleichen Anspruch machen", wodurch „die Vernunft auch in ihrem praktischen (das Recht betreffenden) Gebrauch genötigt [wird], zwischen dem Besitz als Erscheinung und dem bloß durch den Verstand denkbaren einen Unterschied zu machen" 3 6 8 : Der Satz lautet: Es ist möglich, etwas Äußeres als das Meine zu haben, ob ich gleich nicht im Besitz desselben bin. Der Gegensatz·. Es ist nicht möglich, etwas Äußeres als das Meine zu haben, wenn ich nicht im Besitz desselben bin.

366 367 36e

A A VI, 247/248. Ebd., 254. Ebd., 254/255.

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

Auflösung: Beide Sätze sind wahr: der erstere, wenn ich den empirischen Besitz (possessio phaenomenon), der andere, wenn ich unter diesem Worte den reinen intelligibelen Besitz (possessio noumenon) verstehe. (AA VI, 255)

Zu genau dem gleichen Ergebnis, daß nämlich „im Begriff des äußeren Mein und Dein" zwischen einem empirischen und einem intelligiblen Besitz unterschieden werden muß, kommt Kant auch - mit wesentlich weniger Aufwand unmittelbar im Anschluß an die Übertragung der allgemeinen Merkmale des Rechtlich-Meinen auf ein mögliches äußeres Mein oder Dein. Soll nämlich eine Läsion hinsichtlich eines vom Subjekt in einem nicht-trivialen Sinn besessenen Gegenstandes möglich sein, dann muß es einen nicht-empirischen Besitz geben. Unter Anwendung der für die kritische Philosophie kennzeichnenden Unterscheidung von mundus sensibilis und mundus intelligibilis nennt Kant den nichtempirischen Besitz den „intelligiblen" Besitz. Diese Unterscheidung von empirischem und intelligiblem Besitz ergibt sich in § 1 der Rechtslehre aber nicht aus einer Antinomie - die kritische Rechtslehre bedarf keiner transzendentalen Dialektik - sondern sie wird begriffsanalytisch 369 hergeleitet: „Daß das Äußere ein Gegenstand ist, in dessen Besitz ich nicht bin, folgt analytisch aus dem Begriff des Äußeren. Um aber durch seinen unerlaubten Gebrauch lädiert werden zu können, muß ich in seinem Besitz sein, das folgt hinwiederum analytisch aus dem Begriff der Läsion." 370 Das bereits bekannte Ergebnis der Analyse lautet: Also widerspricht es sich selbst, etwas äußeres als das Seine zu haben, wenn der Begriff des Besitzes nicht einer verschiedenen Bedeutung, nämlich des sinnlichen und des intelligiblen Besitzes, fähig wäre, und unter dem einen der physische, unter dem andern aber ein bloßrechtlicher Besitz ebendesselben Gegenstandes verstanden werden könnte. (AA VI, 245) 371

Ist auf diese Weise geklärt, in welchem Sinne „etwas Äußeres" rechtlich besessen wird, dann läßt sich umgekehrt nun auch sagen, in welchem Sinne sich ein intelligibler Besitz auf Äußeres bezieht. „Der Ausdruck: ein Gegenstand ist außer mir" kann nämlich zweierlei bedeuten: er kann „entweder soviel bedeuten als: er ist ein nur von mir (dem Subjekt) unterschiedener, oder auch ein in einer anderen Stelle (positus) im Raum oder in der Zeit befindlicher Gegenstand." Der Begriff des intelligiblen Besitzes ist offensichtlich kein empirischer Begriff, sondern er ist ein Vernunftbegriff. Nun kann auch der Besitz eines äußeren Gegenstandes nur sofern dieser als ein vom Subjekt bloß (logisch) unter369 370 371

Vgl. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 233. Ebd., S. 229/230. Vgl. Beck, Commentar, S. 143/144: „Die subjective Bedingung, einen äußeren Gegenstand gebrauchen zu können [d.i. der Besitz], ist also von zweyerley Art. Wenn der Gegenstand physisch mein ist, so besteht sie darin, daß ich mir bewußt bin, im Räume und in der Zeit so mit ihm verbunden zu seyn, daß ich das physische Vermögen habe, ihn gebrauchen zu können [=possessio phaenomenon]. Wenn er rechtlich mein ist, so ist diese Bedingung das Bewußtseyn, ihn ohne Läsion irgend eines Anderen gebrauchen zu können [=possessio noumenon] "

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schiedener vorgestellt wird, als „Vernunftbesitz gedacht w e r d e n " , andernfalls wäre er ein „empirischer". 3 7 2 Kant geht es b e i m rechtlichen Besitz nicht u m die empirische Unterscheidbarkeit des besessenen G e g e n s t a n d e s v o m besitzenden Subjekt, sofern sich beide in R a u m und Zeit befinden. Im Begriff des intelligiblen Besitzes wird von allen sinnlichen (raum-zeitlichen) Bedingungen des Besitzes abgesehen. Für das rechtliche Besitzverhältnis ist die empirische Relation von Subjekt und Gegenstand g a n z irrelevant: „Die Art ..., etwas außer mir als das M e i n e zu haben, ist die bloß rechtliche V e r b i n d u n g des Willens des Subjekts mit j e n e m Gegenstande, unabhängig von d e m Verhältnisse zu demselben in R a u m und in der Zeit, nach d e m Begriff eines intelligiblen Besitzes." 3 7 3 G e m ä ß den Ü b e r l e g u n g e n des §1 der Rechtslehre ist der Begriff eines intelligiblen Besitzes im Begriff des äußeren M e i n und Dein enthalten; das äußere Mein und Dein bezieht sich auf ein bloß-rechliches, intelligibles Besitzverhältnis von Subjekt und Gegenstand. Damit ist aber noch nichts über die praktische Realität des äußeren M e i n und Dein ausgemacht. Kant hat lediglich gezeigt, daß der Begriff des intelligiblen Besitzes aus d e m j e n i g e n eines äußeren Mein oder Dein „folgt". In diesem Sinne faßt Kant das A r g u m e n t in §5 noch einmal zusammen: Das äußere Meine ist dasjenige, in dessen Gebrauch mich zu stören Läsion sein würde, ob ich gleich nicht im Besitz desselben (nicht Inhaber des Gegenstandes) bin. - In irgend einem Besitz des äußeren Gegenstandes muß ich sein, wenn der Gegenstand mein heißen soll; denn sonst würde der, welcher diesen Gegenstand wider meinen Willen affizierte, mich nicht zugleich affizieren, mithin auch nicht lädieren. Also muß ... ein intelligibler Besitz (possessio noumenon) als möglich vorausgesetzt werden, wenn es ein äußeres Mein oder Dein geben soll ...374 D e r noch ausstehende N a c h w e i s , d a ß der Begriffs eines intelligiblen Besitzes nicht leer ist, wird im wesentlichen im folgenden §2 der Rechtslehre erbracht. Kant führt dort das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft ein, dessen Inhalt nichts anderes ist, als die B e h a u p t u n g (bzw. vernunftnotwendige Forderung) der Realität des äußeren M e i n und Dein o d e r die „reale Möglichkeit des Begriffs des Rechtlich-Meinen" als des „Begriffs von einem bloßen Vernunftbesitze" 3 7 5 . Damit zugleich ist auch die objektive Realität des Begriffs einer possessio n o u m e n o n als der notwendigen B e d i n g u n g der Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein behauptet. Gleichwohl hält Kant es darüber hinaus noch f ü r erforderlich, in §6 eine formelle „Deduktion des Begriffs des bloß rechtlichen Besitzes eines äußeren Gegenstandes (possessio n o u m e n o n ) " 3 7 6 zu geben. Der einzig plausible G r u n d d a f ü r ist, daß Kant in j e n e m Abschnitt die Frage nach der Möglichkeit eines 572 373 374 375 376

AA VI, 245. Ebd., 253/254. Ebd., 249. Zur syllogistischen Struktur dieses Arguments vgl. Brandt, Eigentumstheorien, S. 186. Beck, Commentar, S. 145. AA VI, 249 (Überschrift).

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

äußeren Mein und Dein bzw. eines intelligiblen Besitzes ausdrücklich als Frage nach der Möglichkeit eines synthetischen Rechtssatzes a priori formuliert. Daß das Postulat bzw. das aus ihm ableitbare Erlaubnisgesetz ein Satz dieses Typs ist (also ein metaphysischer Satz), hatte Kant aber auch schon in §2 festgestellt. 377 Da es sich weder bei dem Postulat, noch bei dem Erlaubnisgesetz um spekulative Prinzipien, sondern um praktische Gesetze handelt, ist klar, daß es sich bei der Deduktion in §6 nicht um eine transzendentale Deduktion handeln kann. 378 Was Kant dort als Deduktion anbietet, ist äußerst unbefriedigend. Die „Deduktion des Begriffs eines nicht-empirischen Besitzes" - so heißt es dort - „gründet sich auf dem rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft ... zugleich mit der Exposition des letzteren Begriffs [d.i. des äußeren Meinen], welcher das äußere Seine nur auf einen nicht-physischen [=intelligiblen] Besitz gründet, verbunden." Nun gilt aber auch für den Begriff des intelligiblen Besitzes, daß er in seiner „Möglichkeit ... keineswegs für sich selbst bewiesen oder eingesehen werden [kann] ..., sondern [selbst] ... eine unmittelbare Folge aus dem gedachten Postulat" ist. „Denn wenn es notwendig ist, nach jenem Rechtsgrundsatz zu handeln, so muß auch die intelligibele Bedingung (eines bloß rechtlichen Besitzes) möglich sein." 379 Der letzte Satz stellt gleichsam die angekündigte „Deduktion des Begriffs des bloß rechtlichen Besitzes eines äußeren Gegenstandes" in nuce dar. Die Erörterungen des §6 bringen daher eigentlich keine neuen Erkenntnisse. Sie sind als eine Zusammenfassung des in den vorhergehenden Abschnitten von Kant Gesagten zu lesen. Die nun folgende Untersuchung wird sich daher auch auf das in §2 vorgestellte Postulat selbst sowie seine Variation als Erlaubnisgesetz konzentrieren, wiewohl auf die Deduktion und das daraus sich ergebende Anwendungsproblem auch noch in eigenen Abschnitten eingegangen wird. Sodann ist noch ein genauerer Blick auf die abschließenden §§8 und 9 der Besitzlehre zu werfen, bevor dann zu Kants Lehre von der ursprünglichen Erwerbung übergegangen wird.

2.2 Das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft Das Privatrecht der „Metaphysik der Sitten" ist die Lehre vom äußeren Mein und Dein. Kant hatte in § 1 festgestellt, daß der Begriff eines intelligiblen Besitzes im Begriff des äußeren Mein oder Dein enthalten ist. 380 Damit ist aber noch 377

378 379 380

In Bezug auf das Erlaubnisgesetz sagt Kant dort: „Die Vernunft will, daß dieses als Grundsatz gelte, und das zwar als praktische Vernunft, die sich durch dieses ihr Postulat a priori erweitert." (ebd., 247) Brandt, Eigentumstheorien, S. 187, nennt sie eine „kritische Deduktion". AA VI, 252. Es ist in Bezug auf §1 der Rechtslehre auch von einer „Subdeduktion der Möglichkeit eines intelligiblen Besitzes" gesprochen worden, die die eigentliche Deduktion in §6 vorbereitet. Vgl.

Der rechtliche Besitz

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keineswegs gezeigt, daß es ein solches bloß-rechtliches Besitzverhältnis wirklich gibt. Aber nur wenn der Begriff einer possessio noumenon einen realen Bezug hat, kann er Grundlage eines interpersonalen rechtlichen Verpflichtungsverhältnisses hinsichtlich des Gebrauchs äußerer Willkürgegenstände sein und kann es also ein äußeres Mein und Dein geben. Das zentrale Thema der „Besitzlehre" ist daher der Nachweis, daß dies tatsächlich der Fall ist oder die „Deduktion" des Begriffs eines intelligiblen Besitzes als Bedingung der Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein. Diese Aufgabe stellt sich Kant ausdrücklich in §6 der Rechtslehre. Die Möglichkeit der Deduktion jenes Begriffs hängt wesentlich von einem Prinzip ab, das ein äußeres Mein und Dein als praktisch notwendig statuiert. Dieses Prinzip führt Kant in §2 der Rechtslehre ein. Es ist das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft. Bevor darauf näher eingegangen wird, scheint es sinnvoll zu sein, kurz noch auf seine Stellung innerhalb der von Kant beabsichtigten Deduktion einzugehen. In §5 hatte Kant außer der Nominaldefinition des Begriffs eines äußeren Mein und Dein („das äußere Mein und Dein ist dasjenige außer mir, an dessen mir beliebigem Gebrauch mich zu hindern, Läsion ... sein würde." 381 ) auch eine „Sacherklärung" dieses Begriffs gegeben. Die Sacherklärung ist diejenige Definition eines Begriffs, „welche auch zur Deduktion (der Erkenntnis der Möglichkeit des Gegenstandes) zureicht" 382 . Die Sacherklärung des Begriffs eines äußeren Mein und Dein enthält daher den Begriff eines intelligiblen Besitzes, denn dieser ist die Bedingung der Möglichkeit des äußeren Mein und Dein (wie Kant in § 1 gezeigt hatte). Die Sachdefinition lautet: Das äußere Meine ist dasjenige, in dessen Gebrauch mich zu stören Läsion sein würde, ob ich gleich nicht im Besitz desselben (nicht Inhaber des Gegenstandes) bin. (AA VI, 249) Wird das äußere Mein und Dein durch den Begriff des intelligiblen Besitzes bestimmt, insofern dieser die Bedingung seiner Möglichkeit darstellt, so läßt sich die Frage nach der Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein auf die Frage nach der Möglichkeit eines intelligiblen Besitzes zurückführen. Die erste Frage (,Wie ist ein äußeres Mein und Dein möglich?') ist in §1 bereits beantwortet worden: Bedingung der Möglichkeit des äußeren Mein und Dein ist der intelligible Besitz. Nun ist aber gemäß den Überlegungen des § 1 die possessio noumenon selbst nur als die Bedingung der Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein erkannt worden. Kants Analysen verbleiben bis dahin auf einer „logischen" oder „begrifflichen" Ebene. Ob es wirklich einen solchen bloß-rechtlichen, nicht-empirischen Besitz

3.1 3.2

dazu Gertrud Lübbe-Wolf, Begründungsmethoden in Kants Rechtslehre untersucht am Beispiel des Vertragsrechts, in: Rechtsphilosophie der Aufkärung, hg. v. Reinhard Brandt. Berlin 1982, S. 286310, S. 300. AA VI, 248/249. Ebd., 249.

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

gibt, hängt offensichtlich von der praktischen Realität des äußeren Mein und Dein selbst ab, d.h. davon, ob die Vernunft eine Gesetzgebung für den Gebrauch äußerer Willkürgegenstände gemäß dem Begriff eines intelligiblen Besitzes enthält. Kann aber die praktische Möglichkeit dieses Begriffs „nicht für sich selbst bewiesen oder eingesehen werden"383, so muß der Nachweis seiner Möglichkeit durch ein apriorisches Rechtsprinzip geführt werden, das diesen Begriff notwendig enthält. Weil aber der Begriff einer possessio noumenon eine Erweiterung des Besitzbegriffs über den einer possessio phaenomenon hinaus darstellt, wäre ein apriorisches Rechtsprinzip, in dem er notwendig enthalten ist, ein synthetischer Rechtssatz a priori. Dieser bedürfte zum Nachweis seiner eigenen Möglichkeit einer Deduktion. Daraus ergibt sich nun aber, daß das Prinzip, das die Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein statuiert, für die Deduktion des Begriffs einer possessio noumenon bzw. zur Beantwortung der Frage „Wie ist ein synthetischer Rechtssatz a priori möglich?" schon gegeben sein muß. Ist also zwar die primäre Funktion des Postulats die Sicherung der praktischen Realität des äußeren Mein und Dein, so ist es aber außerdem (dadurch) auch die Grundlage für die Deduktion des Begriffs einer possessio noumenon. Beide Funktionen hängen aufs engste mit einander zusammen. Nicht nur hängt das äußere Mein und Dein sowohl begrifflich, als auch seiner realen Möglichkeit nach, vom intelligiblen Besitz ab, sondern der intelligible Besitz ist auch notwendiges Element synthetischer praktischer Sätze a priori hinsichtlich des Gebrauchs äußerer Willkürgegenstände unter Gesetzen der äußeren Freiheit. Es ist klar, daß der in §6 angesprochene synthetische Rechtssatz a priori das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft des §2 ist. Die dort gegebene Begründung des Postulats bezieht sich aber nicht auf das Postulat, insofern es ein synthetisch-apriorischer Satz ist. Auf den - wie §1 gezeigt hatte - im äußeren Mein und Dein enthaltenen Begriff einer possesssio noumenon wird dort gerade nicht Bezug genommen. Kant bezieht sich dort ausschließlich auf die „Sachverhalte" „äußerer Gegenstand meiner Willkür" und „Gesetzgebung der reinen praktischen Vernunft". Er „beweist" das Postulat als die einzig mögliche Gesetzgebung der reinen praktischen Vernunft für den freiheitsgesetzlichen Gebrauch äußerer Willkürgegenstände. Würde Kant bei der Begründung des Postulats bereits vom Begriff des intelligiblen Besitzes Gebrauch machen, stünde das Deduktionsargument in der Gefahr, zirkulär zu werden. Die Gültigkeit des Postulats muß bei der „Deduktion des Begriffs des bloß rechtlichen Besitzes eines äußeren Gegenstandes" in §6 vorausgesetzt werden können.384 Das Postulat lautet nun:

383 384

Ebd., 252. Aus diesem Grunde ist es m.E. notwendig, das Postulat vor (und unabhängig von) der Deduktion in § 6 zu begründen. Die von Bernd Ludwig vorgeschlagene Integrierung von § 2 in den Text von §6 scheint mir daher aus systematischen Gründen Uberaus problematisch zu sein. Vgl. zur Diskussion

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Es ist möglich, einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben; d.i.: eine Maxime, nach welcher, wenn sie Gesetz würde, ein Gegenstand der Willkür an sich (objektiv) herrenlos (res nullius) werden müßte, ist rechtswidrig. (AA VI, 246) Die postulierte Möglichkeit, jeden äußeren Gegenstand der Willkür als das Seine haben zu können, wird in der von Kant angeschlossenen Erläuterung als praktische Unmöglichkeit der gegenteiligen zum Gesetz erhobenen Maxime reformuliert: Es kann kein allgemeines Gesetz der praktischen Vernunft geben, durch das äußere Willkürgegenstände der bloß-rechtlichen Verfügungsgewalt der Subjekte entzogen werden. Gegenstände der Willkür als objektiv herrenlos betrachten zu müssen, ist kein mögliches Gesetz der praktischen Vernunft.385 Der „Beweis" des Postulats ist apagogisch: die Wahrheit des postulierten Satzes von der Möglichkeit des äußeren Mein und Dein folgt aus der Unmöglichkeit seines Gegenteils. Kant schlägt diesen Weg der Argumentation ein, da das äußere Mein und Dein - wenn es möglich ist - zwar unter dem Rechtsgesetz (als der obersten einschränkenden Bedingung des äußeren Willkürgebrauchs überhaupt) stehen muß, aber nicht direkt (analytisch) aus diesem gefolgert werden kann. Aus dem Rechtsgesetz folgt unmittelbar lediglich, daß es ein angeborenes Recht des allgemeingesetzlichen äußeren Freiheitsgebrauchs gibt. Jeder Mensch ist dadurch befugt, sich durch andere in seinem äußeren Willkürgebrauch nicht anders als gemäß einem allgemeinen Gesetz äusserer Freiheit einschränken zu lassen. Das angeborene Recht folgt analytisch aus dem Rechtsgesetz. Aber weder das Rechtsgesetz, noch das angeborene Menschenrecht der Freiheit allein reichen aus, um ein äußeres Mein und Dein zu begründen. Hinsichtlich des Gebrauchs äußerer Gegenstände der Willkür folgt aus dem

,85

um die Textverschiebung: Bemd Ludwig, Der Platz des rechtlichen Postulats der praktischen Vernunft innerhalb der Paragraphen 1-6 der kantischen Rechtslehre, in: Rechtsphilosophie der Aufklärung. Berlin 1982, S. 218-232; ders., Kants Rechtslehre. Hamburg 1988; ders., Postulat, Deduktion und Abstraktion in Kants Lehre vom intelligiblen Besitz. Einige Reflexionen im Anschluß an den vorstehenden Aufsatz von Y. Saito, in: Archiv filr Rechts- und Sozialphilosophie 82 (1996), S. 250-259; Burkhard Tuschling, Das ,rechtliche Postulat der praktischen Vernunft': seine Stellung und Bedeutung in Kants ,Rechtslehre ', in: Kant. Analysen - Probleme - Kritik, hg. v. Hariolf Oberer u. Georg Seel. Würzburg 1988, S. 273-292; Anja Victorine Hartmann, Der Platz des rechtlichen Postulats in der Besitzlehre, in: Kant-Forschungen, Bd. 5: Autographen, Dokumente und Berichte. Zu Edition, Amtsgeschäften und Werk Immanuel Kants, hg. v. Reinhard Brandt u. Werner Stark. Hamburg 1994, S. 109-120; Yumi Saito, War die Umstellung von §2 der Kantischen ,Rechtslehre' zwingend?, in: Archiv filr Rechts- und Sozialphilosophie 82 (1996), S. 238-250; ders., Die Debatte weitet sich aus - zu Bernd Ludwigs vorstehender Replik, in: Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie 82 (1996), S. 259-265. Das Verbot der objektiven Herrenlosigkeit äußerer Willkürgegenstände kann sich natürlich nur auf Sachen beziehen. Weder die Willkür, noch der Zustand einer anderen Person können zur res nullius gemacht werden. Während also das Postulat selbst auf alle drei Gegenstandsklassen bezogen werden muß, kann die angeschlossene Erläuterung sinnvoll nur auf die erste Gegenstandsklasse bezogen werden. Beide Teilsätze sind nicht äquivalent. Vgl. Brandt, Das Erlaubnisgesetz, S. 259f. und ders., Person und Sache, S. 900ff Dieselbe Einschränkung gilt auch filr das Erlaubnisgesetz.

106

2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

Rechtsgesetz (analytisch) nur, daß ich dasjenige, was ich aktuell physisch besitze, auch rechtlich befugt bin ausschließlich zu gebrauchen, sofern es noch keinem anderen gehört. Das Recht zum Gebrauch äußerer Gegenständen kann gemäß dem angeborenen Recht nur auf den physischen Besitz bezogen werden. Das äußere Mein und Dein kann aber nicht im inneren Meinen, d.h. der angeborenen gesetzlichen Freiheit, enthalten sein. Die These, daß ich nur dasjenige Äußere als das Meine haben kann, was ich physisch besitze, ist der Kern der dem Postulat entgegengesetzten „Maxime". Mit Bezug auf die Vorarbeiten kann die darin formulierte Position als „Besitzrealismus" bezeichnet werden.386 Die besitzrealistische Maxime würde zu dem „Gesetz" führen: „Es kann nichts Äußeres Mein seyn (iuridice) und es gibt also kein erwerbliches Recht an Gegenständen außer mir"387. Darin enthalten ist die Annahme, es sei unmöglich, „daß anderer Willkühr durch den Gebrauch eines Gegenstandes außer mir meiner Freyheit Abbruch thue"388. Es gibt außer dem physischen Besitz eines Gegenstandes keine Verbindung zwischen Subjekt und Gegenstand, aufgrund deren eine Affektion des Gegenstandes zugleich eine Affektion des Subjekts - und im Fall einer widerrechtlichen Affektion des Gegenstandes also eine Läsion des Subjekts - wäre. Daher ist „eine Ausdehnung der rechtlichen Vernunftgesetzgebung über den Bereich der unmittelbaren interpersonalen Verhältnisse hinaus"389 nicht möglich. Rechtsschutz genießt lediglich das handelnde Subjekt in seiner Handlungsfreiheit, nicht aber in Bezug auf seine äußere Habe. Äußere Gegenstände können zum Seinen des Subjekts nur insofern gehören, als sie mit ihm physisch verbunden sind, d.h. insofern das Subjekt zugleich Inhaber der Sache ist. Wer mir den Apfel, den ich in der Hand halte, entreißt oder wer mich von dem Boden, auf dem ich mich gerade befinde, wegstößt, der hindert mich zwar am Gebrauch eines äußeren Gegenstands meiner Willkür, er lädiert mich aber dadurch an einem inneren Meinen: meinem angeborenen Recht der Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür. Dagegen: habe ich den Apfel aus der Hand gelegt und das Stück Boden verlassen, so findet unter der Bedingung des Besitzrealismus durch den anderen, der den Apfel aufnimmt oder den Boden besetzt, gar keine Läsion meiner statt. Gegenstand eines Rechts kann nach besitzrealistischer Auffassung nur meine äußere Freiheit selbst und die damit unmittelbar (d.h. physisch) verbundenen äußeren Gegenstände meiner Willkür sein. Sollte diese Argumentation stichhaltig sein,

386

387 3,8 389

Eine ausführliche Rechtfertigung des Besitzrealismus findet sich bei Kant ausschließlich in den Vorarbeiten. Die folgende Darstellung stützt sich auf die Interpretation von Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S, 233ff. Im §2 der Rechtslehre konzentriert sich Kant auf die Widerlegung dieser Position, ohne sie selbst näher zu erläutern. AA XXIII, 224. Ebd., 231. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 234.

Der rechtliche Besitz

107

gäbe es „kein vernunftrechtlich begründetes Privatrecht"390 des äußeren Mein und Dein. Für seine Behauptung, daß es eine Läsion im Besitz äußerer Gegenstände nicht unabhängig von deren physischer Inhabung gibt, kann der Besitzrealist ein analytisches Argument anführen: ... mir kan von Anderen nur Unrecht geschehen^] so fern meiner Freyheit[,] die mit der ihrigen nach allgemeinen Gesetzen zusammen stimmt[,] durch ihre Handlung Abbruch gethan wird. Nun ist aber die Verhinderung meines Besitzes eines Gegenstandes außer mir zwar eine Handlung[,] die meiner Willkühr[,] aber nicht meiner Freyheit Abbruch thut[,] weil das letztere in einem Einflus auf mich selbst besteht. Also geschieht mir kein Unrecht dadurch[,] daß ein Gegenstand meiner Willkühr außer mir dieser zuwieder von anderen im Besitz erhalten und ich von jedem Gebrauch desselben abgehalten werde. ( A A XXIII, 231)

Der Besitzrealist erkennt zwar an, daß ich durch den Gebrauch, den ein anderer von einem Gegenstand außer mir macht, hinsichtlich meines Willkürgebrauchs eingeschränkt werde. Denn indem der andere ihn zum Zwecke des Gebrauchs in seine Gewalt gebracht hat, ist er meiner Willkür entzogen. Es wird aber bestritten, daß mir dadurch auch Abbruch an meiner Freiheit geschieht. Denn die „Verhinderung meines Besitzes eines Gegenstandes außer mir" betrifft ja gar nicht „mich selbst". Der Gebrauch, den ein anderer von einem Gegenstand macht, in dessen physischem Besitz ich nicht bin, kann nach der besitzrealistischen Annahme schlechterdings nicht unrecht sein. Sind nun aber äußere Gegenstände nur insofern mit meiner äußeren Freiheit verbunden, als ich sie physisch besitze, dann entfällt auch die Möglichkeit, ein synthetisches Rechtsprinzip für die rechtliche Normierung des Verhältnisses des Subjekts zu äußeren, von ihm nicht physisch besessenen Gegenständen, zu entwerfen. Denn die Freiheit des Subjekts kann dann schlechterdings nur durch den unberechtigten Gebrauch eines Gegenstandes affiziert werden, von dem das Subjekt Inhaber ist. Die Unrechtmäßigkeit einer solchen Handlung aber läßt sich allein durch Anwendung des Rechtsgesetzes einsehen. Der Gegner des besitzrealistischen These, der Besitz idealist sieht sich bei der Widerlegung des Besitzrealismus in einem Dilemma: Die Behauptung eines bloßrechtlichen äußeren Besitzes läßt sich einerseits nicht direkt aus den bereits als gültig anerkannten rechtlichen Prinzipien ableiten. Andererseits verfügt der Besitzidealist aber auch über (noch) kein synthetisches Prinzip zu seinen Gunsten, daß seine Behauptung einer possessio noumenon als notwendig zum äußeren Mein und Dein stützen würde. Seine Argumentationsstrategie wird sich daher zunächst auf den Nachweis der praktischen Unmöglichkeit der besitzrealistischen These beschränken. Dabei genügt es, allein auf die besondere Art der rechtlichen Gesetzgebung der reinen praktischen Vernunft in Bezug auf den Gebrauch äußerer 390

Ebd.

108

2. Kapitel: D i e Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

Willkilrgegenstände zu rekurrieren. Dies läßt sich dann gleichsam in ein positives Argument für den Besitzidealismus umwidmen. Kant bezieht sich in seiner Begründung der notwendigen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein auf den Begriff eines äußeren Willktlrgegenstands einerseits und auf die praktische Vernunftgesetzgebung andererseits. Ein „Gegenstand meiner Willkür ist etwas, was zu gebrauchen ich physisch in meiner Macht habe" oder etwas, „wovon beliebigen Gebrauch zu machen ich das physische Vermögen habe, dessen Gebrauch in meiner Macht (potentia) steht".391 Diese Bestimmung ist ausreichend, um den Gegenstand als Gegenstand meiner Willkür „zu denken",392 Kant schließt ausdrücklich aus, daß ich den Gegenstand auch durch „einen Akt meiner Willkür" in meinen Besitz gebracht haben muß, um in einem praktischen Verhältnis zu ihm zu stehen. Es ist mithin nicht erforderlich, den Gegenstand „in meiner Gewalt (in potestatem meam redactum)" zu haben.393 In Bezug auf Willkürgegenstände im beschriebenen Sinne gilt nun: Sollte es nun doch rechtlich schlechterdings nicht in meiner Macht stehen, d.i. mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze nicht zusammen bestehen können (unrecht sein), Gebrauch von demselben zu machen: so würde die Freiheit sich selbst des Gebrauchs ihrer Willkür in Ansehung eines Gegenstandes derselben berauben, dadurch daß sie brauchbare Gegenstände außer aller Möglichkeit des Gebrauchs setzte, d.i. diese in praktischer Rücksicht vernichtete und zur res nullius machte ... (AA VI, 246) Der Besitzrealist behauptet nichts anderes, als daß äußere Gegenstände meiner Willkür, sofern ihr Gebrauch bloß physisch in meiner Macht steht, von mir nicht rechtlich besessen werden können, ihr Gebrauch daher auch nicht rechtlich in meiner Macht steht. Damit aber ist genau das eingetreten, was Kant in dem das Postulat erläuternden Satz als „rechtswidrig" bezeichnet hatte: ein Gegenstand der Willkür wird auf diese Weise an sich herrenlos, d.h. er ist der rechtlichen Brauchbarkeit durch irgendwelche Subjekte schlechthin (durch ein praktisches Vernunftgesetz) entzogen. Die Rechtswidrigkeit einer solchen „Maxime" ergibt sich aber nun gerade daraus, daß sie, als Gesetz gedacht, die praktische Vernunft in einen Widerspruch verwickelt. Die den Gegenstandsgebrauch betreffenden Gesetze der reinen praktischen Vernunft sind formal, d.h. sie abstrahieren „von der Materie der Willkür, d.i. der übrigen Beschaffenheit des Objekts, wenn es nur ein Gegenstand der Willkür ist"394. Ein formales praktisches Vernunftgesetz könnte nur dann ein Verbot des Gebrauchs äußerer Objekte enthalten (d.i.: diese objektiv herrenlos machen), wenn dieser Gebrauch schlechterdings niemals in Übereinstimmung mit der allseitigen

391 592 3,3 w

A A VI, 246. Ebd. Ebd, 246. Ebd.

109

Der rechtliche Besitz

g e s e t z l i c h e n äußeren Freiheit s e i n könnte. D i e s ist aber nicht der Fall. A u c h der B e s i t z r e a l i s t behauptet j a nicht, e s g e b e überhaupt

kein äußeres M e i n o d e r D e i n ,

sondern er w i l l d i e s e s nur a u f d e n e m p i r i s c h e n B e s i t z b e s c h r ä n k e n . D i e

vom

B e s i t z r e a l i s t e n b e h a u p t e t e K o i n z i d e n z v o n p h y s i s c h e m und r e c h t l i c h e m B e s i t z ist a l s o g e n a u der Fall, der e s fìlr d i e praktische V e r n u n f t u n m ö g l i c h m a c h t , e i n schlechthinniges

Verbot

des

rechtlichen

Gebrauchs

auszusprechen.

Da

aber

z u g l e i c h aufgrund der Formalität der V e r n u n f t g e s e t z g e b u n g der e m p i r i s c h e B e s i t z nicht

zur B e d i n g u n g

rechtlicher

Gebrauch

des

rechtlichen

äußerer

gemacht

werden

Willkürgegenstände

kann,

möglich

i n s o f e r n s i e als W i l l k ü r g e g e n s t ä n d e fürs Subjekt gedacht

folgt,

sein

daß

muß,

ein bloß

werden können. Stimmt

„die W i l l k ü r formaliter i m G e b r a u c h e der S a c h e n m i t j e d e r m a n n s äußerer Freiheit n a c h a l l g e m e i n e n G e s e t z e n z u s a m m e n [ ] " , s o kann d i e praktische V e r n u n f t , da s i e v o n der „übrigen B e s c h a f f e n h e i t d e s Objekts", d.h. v o n der e m p i r i s c h e n R e l a t i o n des

Willkürgegenstands

zum

Subjekt,

absieht,

„in

Ansehung

eines

solchen

G e g e n s t a n d e s kein a b s o l u t e s V e r b o t s e i n e s G e b r a u c h s enthalten, w e i l d i e s e s e i n W i d e r s p r u c h der äußeren Freiheit mit s i c h selbst s e i n w ü r d e . " 3 9 5 E t w a s formaliter Erlaubtes w ä r e hier z u g l e i c h materialiter verboten.

3,5

Ebd.; Nach Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 235, gipfelt Kants Widerlegung des Besitzrealismus in dem Vorwurf, daß der Besitzrealist „im Namen des Rechts und der Freiheit deren Abschaffung [betreibt]"3'5. Kersting bezieht sich dabei auf die Vorarbeiten, AA XXIII, 309/310, wo Kant den Vorwurf formuliert, durch die Leugnung der Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein werde das angeborenen Recht, d.h. die äußere Freiheit selbst zerstört: „Denn nehmet an[,] es gebe keinen biosrechtlichen Besitz der Objecte der Willkühr außer mir, d.i. es sey recht[,] jedermann im Gebrauch äußerer Objecte[,] in deren physischem Besitz er nicht ist[J am Gebrauch derselben zu hindem[,] so würde alles Brauchbare außer uns durch das Prinzip der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen für jedermann unbrauchbar gemacht (res nullius usus) werden (denn es bliebe alsdann nur die Befugnis des Subjects übrig sich seiner ihm selbst inhärierenden Bestimmungen ausschlieslich zu bedienen)[.] Weil aber in dem Verhältnis!,] darin dieses gegen äußere Objecte steht[,] die innere Bestimmungen auch von äußern Dingen abhängen und ohne dieselbe nicht existiren könnten[,] so würde es Recht seyn[,] jedermann zu hindem[,] die innere Bestimmungen zu haben[,] ohne die er doch sich auch seiner selbst nach dem Princip der Freyheit nicht bedienen kann, d.i. die Abhängigkeit des freyen Gebrauchs äußerer Gegenstände vom physischen Besitz hebt zugleich das angebohrne Recht aus dem Besitze seiner selbst auf oder die Willkühr beraubt sich selbst ihres angebohrnen Rechts[,] welches sich widerspricht." Kant argumentiert hier - im Gegensatz zu §2 - besitzidealistisch und betont den engen normativen Verweisungszusammenhang von innerem und äußerem Mein oder Dein: So wie einerseits das äußere Mein und Dein sein rechtliches Fundament im meum internum und im Rechtsgesetz hat, so bedarf andererseits das angeborene Meine zu seiner Realisierung des äußeren Mein und Dein. Die Gebrauchsfreiheit hinsichtlich äußerer Gegenstände kann nicht gedacht werden ohne ein vorgängiges Prinzip der Handlungsfreiheit und die Handlungsfreiheit kann nicht bestehen ohne die rechtlich verbürgte Gebrauchsfreiheit äußerer Gegenstände. Vgl. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 239: „Die Freiheit ist unteilbar, wenn sie nicht als Gerauchsfreiheit rechtlich gesichert werden kann, dann geht sie auch als Handlungsfreiheit und Unabhängigkeit zugrunde." Vgl. auch Brandt, Eigentumstheorien, S. 188: „Die Handlungsfreiheit läßt sich nur verwirklichen durch Handlungen mit äußeren Gegenständen und den Gebrauch des Bodens, den ich im Augenblick nicht physisch besitze; können diese Dinge von andern beliebig in ihren physischen Besitz gebracht werden, so haben sie die rechtliche Möglichkeit der Vernichtung der Freiheit einer Person ..." Gleichwohl muß gegenüber Kersting und Brandt darauf bestanden werden, daß sich systematisch zwischen innerem

110

2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

Ist nun ein Verbot des Gebrauchs äußerer Willkürgegenstände praktisch unmöglich, so muß die praktische Vernunft ein gegenteiliges Prinzip enthalten, d.h. es muß erlaubt sein, „einen jeden äußeren Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben" bzw. „einen jeden Gegenstand meiner Willkür als objektiv mögliches Mein und Dein anzusehen und zu behandeln" und dies ist eine „Voraussetzung a priori der praktischen Vernunft". 396 Als ÄecAtoprinzip gilt diese Befugnis allgemein und wechselseitig. Es muß also auch ein Postulat geben, daß mich verpflichtet, „gegen andere so zu handeln, daß das Äußere (Brauchbare) auch das Seine von irgend jemanden werden könne" 397 . Dieses Prinzip, das Grund einer Rechtspflicht ist, formuliert Kant allerdings erst in §6 der Rechtslehre.

2.3 Das Erlaubnisgesetz In §2 der Rechtslehre hatte Kant festgestellt, daß es eine „Voraussetzung a priori der praktischen Vernunft" ist, „einen jeden Gegenstand [sjeiner Willkür als objektiv mögliches Mein und Dein anzusehen und zu behandeln." Die praktische Vernunft, die von allen sinnlichen Bedingungen des Besitzes abstrahiert, muß hinsichtlich des Gebrauchs von Sachen die Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein fordern. Es gibt daher ein „rechtliches Postulat der praktischen Vernunft", dem gemäß es möglich ist, „einen jeden äußeren Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben". 398 Mit dem äußeren Mein und Dein ist in subjektiv-rechtlicher Hinsicht eine Befugnis des Subjekts verknüpft, alle anderen vom Gebrauch des rechtlich Seinen ausschließen zu können. Der rechtliche (individuelle, dauerhafte und ausschließliche) Besitz einer Sache durch ein Subjekt bedeutet eine Einschränkung der Freiheit aller anderen Subjekte, die durch den Besitzer vom Gebrauch des Gegenstandes rechtlich und durch Zwang ausgeschlossen werden können. Diese Befugnis, die Willkürfreiheit anderer Personen einzuschränken, folgt nicht unmittelbar aus dem allgemeinen Rechtsgesetz, sondern ist Folge des Postulats. Wenn es rechtlich möglich sein muß, Äußeres als das Seine zu besitzen, dann muß es auch eine Befugnis des rechtlichen Besitzers geben, alle anderen vom Gebrauch des rechtlich Seinen auszuschließen. Das Postulat ist dabei zunächst als theoretischer Satz aufzufassen, der lediglich die rechtlichen Bedingung nennt, unter der äußere Gegenstände nach Gesetzen der praktischen Vernunft ftlr die

m

3,8

und äußerem Mein und Dein unterscheiden läßt. Dies gilt insbesondere für die Begründung des Staates. Kants Argument fllr die Notwendigkeit der Staatserrichtung basiert - wie noch zu zeigen ist - ausschließlich auf dem inneren Mein und Dein. AA VI, 246. Vgl. zur syllogistischen Struktur dieses Beweises Brandt, Person und Sache, S. 898f. AA VI, 252. Ebd., 246.

Der rechtliche Besitz

111

äußere Freiheit gebraucht werden können. Diese Bedingung ist das äußere Mein und Dein und der darin enthaltene Begriff einer possessio noumenon. Die Befugnis des rechtlichen Besitzers einer Sache gegenüber allen anderen möglichen Besitzern derselben Sache ist ein subjektives Recht oder äußeres Seines. Diesem Recht bzw. dieser Befugnis korrespondiert auf der Seite aller anderen Subjekte eine Rechtspflicht, sich des nicht genehmigten Gegenstandsgebrauchs zu enthalten. Da jede Pflicht (und jedes Recht) von einem moralischen Gesetz abhängt, so muß auch die angesprochene rechtliche Verbindlichkeit ihren moralischen Grund in einem Gesetz der praktischen Vernunft haben. Nach Kant ist das Gesetz, das die im äußeren Mein und Dein enthaltene Befugnis begründet, ein Erlaubnisgesetz. Dazu schreibt Kant am Ende von §2: Man kann dieses Postulat ein Erlaubnisgesetz (lex permissiva) der praktischen Vernunft nennen, was uns die Befugnis gibt, die wir aus bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt nicht herausbringen könnten; nämlich allen anderen eine Verbindlichkeit aufzulegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände unserer Willkür zu enthalten, weil wir zuerst sie in unseren Besitz genommen haben. Die Vernunft will, daß dieses als Grundsatz gelte, und das zwar als praktische Vernunft, die sich durch dieses ihr Postulat a priori erweitert. (AA VI, 247)

Das Postulat statuiert die notwendige Möglichkeit des äußeren Mein und Dein. Also gibt es ein Erlaubnisgesetz, das dem Subjekt die Befugnis gibt, anderen eine Rechtspflicht aufzuerlegen, sich des Gegenstandsgebrauchs zu enthalten. Diese Befugnis liegt nicht in „bloßen Begriffen vom Rechte", d.h. sie folgt nicht analytisch aus dem Rechtsbegriff, sondern basiert auf einem synthetischen Satz a priori. Kant nennt an der zitierten Stelle einen zusätzlichen Grund, warum ich einen Gegenstand rechtlich besitzen und alle anderen von seinem Gebrauch ausschließen darf: Ich habe diese Befugnis, sofern ich „zuerst" ihn „in [meinen] Besitz genommen habe". Die prima occupatio ist nach Kant ein legitimer Grund des äußeren Mein und Dein. Ohne diese Erwerbshandlung sowie den Willen des Erwerbenden, den Gegenstand dauerhaft besitzen zu wollen, hätten die anderen Subjekte die entsprechende Verbindlichkeit nicht. Kant nennt an anderer Stelle die „physische Besitznehmung" den „empirische[n] Titel der Erwerbung" und des dadurch begründeten rechtlichen Besitzes. 399 Für einen vollständigen Besitztitel sind aber noch zwei weitere Bedingungen zu beachten: der ursprüngliche Gemeinbesitz und der allgemeine Wille. Dies wird in späteren Abschnitten noch ausführlich behandelt. 400 Hier soll nun näher auf den Begriff des Erlaubnisgesetzes eingegangen werden. Leider hat Kant den Begriff eines Erlaubnisgesetzes in der Rechtslehre nicht systematisch eingeführt. Dies hat zu Mißverständnissen in der Kant-Interpretation 3,9 100

Ebd., 263. Vgl. unten die Abschnitte 3.2. und 3.3.

112

2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

geführt. 401 Zunächst ist festzuhalten, daß es sich bei dem Erlaubnisgesetz der Rechtslehre keineswegs um eine Verlegenheitslösung für das Problem des Eigentumsrechts handelt. Auch wenn Kant hinsichtlich der Möglichkeit und des Verständnisses einer lex permissiva noch Mitte der 1790er schwankt, so gehört der Begriff doch seit dem Ende der 1760er Jahre zum festen Inventar des Naturrechts. Gottfried Achenwall, mit dessen Naturrechtslehrbuch Kant bestens vertraut war, hat das Erlaubnisgesetz in eine prinzipienlogische Systematik eingeordnet, auf die Kant sich in der Rechtslehre beziehen kann. 402 Dieser systematische Bezug gilt allerdings nicht für Kants frühere Werke. In den moralphilosophischen Vorlesungen der 1770er Jahre etwa werden Erlaubnisgesetze wenn überhaupt, dann nur beiläufig erwähnt. 403 Bekannt ist die Diskussion des Erlaubnisgesetzes im „Ewigen Frieden". Die dort festgehaltenen Bestimmungen lassen sich aber kaum auf die „Metaphysik der Sitten" anwenden. Das Erlaubnisgesetz bezieht sich in der Friedensschrift auf eine gegenwärtig als rechtmäßig anzuerkennende Erwerbungsart, die aber zukünftig als rechtlich verboten zu gelten hat. Gemeint ist damit etwa die vorläufig als rechtmäßig zu betrachtende, an sich aber unrechtmäßige Erwerbung eines Staates durch einen anderen durch „Erbung, Tausch, Kauf oder Schenkung" 404 . Das entsprechende Verbotsgesetz ist nach Kant eine lex lata, deren „Ausübung" oder „Vollführung" aufgeschoben werden kann. Kant erläutert dazu: „Das Verbot betrifft hier nur die Erwerbungsart, die fernerhin nicht gelten soll, aber nicht den Besitzstand, der, ob er zwar nicht den erforderlichen Rechtstitel hat, doch zu seiner Zeit (der putativen Erwerbung) nach der damaligen öffentlichen Meinung von allen Staaten für rechtmäßig gehalten wurde." 405 Solche Rechtsgesetze von weiter Verbindlichkeit müssen hinsichtlich ihrer Ausübung Erlaubnisgesetze sein. Erlaubnisgesetze formulieren nicht „Ausnahmen von der Rechtsregel" 406 , sondern die „einschränkenden Bedingungen" zu einem Verbotsgesetz. Diese müssen „in die Formel des Verbotsgesetzes mit hineingebracht werden", „wodurch es dann zugleich ein Erlaubnisgesetz [wird]". 407 Soweit zu Kants Verständnis des Erlaubnisgesetzes im „Ewigen Frieden", die sich - wie gesagt - von demjenigen in der Rechtslehre unterscheidet.

401

402

403 404 405 406 407

Vgl. Joachim Hruschka, The Permissive Lem of Practical Reason in Kant's Metaphysics of Morals, in: Law and Philosophy 23 (2004), S. 45-72. Hruschka wendet sich darin auch gegen die Interpretationen von Brandt und Kersting. Vgl. Joachim Hruschka, Das deontologische Sechseck bei Gottfried Achenwall im Jahre 1767. Zur Geschichte der deontischen Grundbegriffe in der Universaljurisprudenz zwischen Suarez und Kant. Hamburg 1986. Vgl. etwa die Moralphilosophie Collins, in: AA XXVII, 274. AA VIII, 344. Ebd., 347. Ebd., 346. Ebd., 348 Fn.

Der rechtliche Besitz

113

Bei der Erlaubnis im „Ewigen Frieden" handelte es sich um eine zeitweise Erlaubnis zu etwas an sich Verbotenem. In der Rechtslehre geht es dagegen um erlaubte Handlungen, zu denen das Subjekt im rechtlichen Sinne befugt ist, deren Erlaubtheit aber nicht unmittelbar (analytisch) aus dem Rechtsgesetz folgt. Kraft des Erlaubnisgesetzes ist das Subjekt befugt, die Willkür anderer einzuschränken (ihnen „eine Verbindlichkeit aufzulegen"), und zwar allein aufgrund seiner erlaubten Handlung (nämlich qua prima occupatio eine Sache in seinen Besitz gebracht zu haben). Kant diskutiert diese Art erlaubter Handlungen und die ihnen zugrunde liegenden praktischen Gesetze in der Einleitung der Rechtslehre. Dort unterscheidet er zwei Bedeutungen von „erlaubt".408 Eine Handlung kann entweder in dem Sinne erlaubt sein, daß sie nicht verboten ist - in Kants Worten: „Erlaubt ist eine Handlung (licitum), die der Verbindlichkeit nicht entgegen ist"409. In diesem Sinne zählen auch gebotene Handlungen zu den erlaubten Handlungen. In einem anderen - spezifischeren - Sinne sind solche Handlungen erlaubt, die weder geboten, noch verboten sind. Kant spricht dann von „bloß erlaubten" Handlungen: „Eine Handlung, die weder geboten, noch verboten ist, ist bloß erlaubt."410 „Bloß erlaubte" Handlungen stehen unter keinem „die Freiheit (Befugnis) einschränkende[n] Gesetz", „in Ansehung ihrer" gibt es „also auch keine Pflicht".411 „Erlaubte" Handlungen können dagegen auch Pflicht sein. Die Unterscheidung „erlaubter" und „bloß erlaubter" Handlungen ist von zentraler Bedeutung für das Verständnis des Erlaubnisgesetzes in der Rechtslehre. Sie entspricht genau derjenigen Achenwalls von „actio licita" (erlaubte Handlung) und „actio permissa" (bloß erlaubte Handlung).412 Allein aus der lateinischen Entsprechung „lex permissiva" für „Erlaubnisgesetz" erhellt, daß sich Erlaubnisgesetze auf bloß erlaubte Handlungen (actiones permissae), die weder geboten noch verboten sind, beziehen. Nun ist zu fragen, in welcher positiven Beziehung praktische Gesetze zu Handlungen stehen können, die weder ge- noch verboten sind und deren Begehung oder Unterlassung also auch nicht Pflicht ist. Einerseits bietet der Begriff eines Erlaubnisgesetzes „sich einer systematisch-eintheilenden Vernunft von selbst [dar]", wie Kant im „Ewigen Frieden" schreibt.413 Sind alle Handlungen entweder geboten, verboten oder bloß erlaubt und stehen zugleich alle (freien) Handlungen unter Gesetzen, so scheint es für jede Klasse von Handlungen ein Gesetz geben zu müssen, durch das eine Handlung entweder praktisch notwendig 408

Zu dieser Unterscheidung vgl. Theodor Ebert, Kants kategorischer Imperativ und die Kriterien gebotener, verbotener und freigestellter Handlungen, in: Kant-Studien 67 (1976), S. 570-583, S. 571 f. sowie die genannten Arbeiten von Hruschka. 409 AA VI, 222. 410 Ebd., 223. 4,1 Ebd. 412 Vgl. zur „actio permissa" bei Achenwall, Jus naturae, pars prior, §46. 4 " AA VIII, 348 Fn.

114

2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

oder praktisch unmöglich oder sittlich-gleichgültig gemacht wird. Andererseits, so wendet Kant selbst ein, sind praktische Gesetze Imperative, d.h. sie enthalten ein Moment der Nötigung. Nun gibt es aber in Bezug auf bloß erlaubte Handlungen erklärtermaßen „gar kein die Freiheit ... einschränkendes Gesetz und also auch keine Pflicht", mithin auch keine Nötigung und keinen Imperativ. „Ein Erlaubnisgesetz", so Kant wiederum im „Ewigen Frieden", würde „Nöthigung zu einer Handlung,... wozu jemand nicht genöthigt werden kann" enthalten.414 Mit diesem Einwand konfrontiert Kant sich auch in der Rechtslehre. Mit Bezug auf die bloß erlaubten oder sittlich-gleichgültigen Handlungen schreibt Kant dort: Man kann fragen: ob es dergleichen gebe und, wenn e s solche gibt, ob dazu, daß es jemandem frei stehe, etwas nach seinem Belieben zu tun oder zu lassen, außer dem Gebotsgesetze (lex praeceptiva, lex mandati) und dem Verbotsgesetze (lex prohibitiva, lex vetiti) noch ein Erlaubnisgesetz (lex permissiva) erforderlich sei. Wenn dieses ist, so würde die Befugnis nicht allemal eine gleichgültige Handlung (adiaphoron) betreffen; denn zu einer solchen, wenn man sie nach sittlichen Gesetzen betrachtet, würde kein besonderes Gesetz erfordert werden. ( A A VI, 2 2 3 )

Der letzte Hinweis ist wichtig: sittlich-gleichgültige Handlungen bedürfen keines besonderen Gesetzes, um erlaubt zu sein. Solche Handlungen sind eine Sache des bloßen Beliebens. Sie sind einerseits nicht geboten, widersprechen andererseits aber auch keiner Pflicht. Worauf aber beziehen Erlaubnisgesetze sich dann? Kant spricht von einer „Befugnis", die durch das Gesetz erteilt wird. Entsprechend hatte Kant auch in der bereits zitierten Stelle aus §2 von einer „Befugnis" gesprochen, anderen eine Verbindlichkeit aufzulegen. Handlungen, so muß man Kant wohl verstehen, in denen von einer solchen Befugnis Gebrauch gemacht wird, gehören einerseits - wie die adiaphora - zu den bloß erlaubten Handlungen, sie bedürfen andererseits aber einer moralgesetzlichen Grundlage, um vom Subjekt begangen werden zu können.415 Der Begriff der Befugnis facultas jurídica - ist aufs engste mit dem eines Erlaubnisgesetzes verknüpft. Bei Achenwall heißt es dazu: Appellatur nempe lex ... permittens, quod legislator vi talis legis facultatem largiatur, certam actionem tamquam permissam perpetrando 416

Achenwall bezieht sich hier auf die Einführung positiver Rechtsinstitute, wie z.B. des Eigentums oder der väterlichen Gewalt, durch einen Gesetzgeber. Darüber, daß genau dies die Funktion von Erlaubnisgesetzen ist, und daß bestimmte Rechtsinstitute - wie die genannten - zu ihrer rechtlichen Gültigkeit eines solchen Gesetzes bedürfen, herrscht im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts 414 4,s

416

Ebd. Vgl. Hruschka, Permissive Law, S. 54: ,,[A]ctions, even when they are free for me to do or not to do as I please, nonetheless may need to be based on a rule, which Kant calls a permissive law', or otherwise they would not be free for me to do as I plaese." Achenwall, Prolegomena, §90, zitiert nach Hraschka, Permissive Law, S. \2.

Der rechtliche Besitz

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weitestgehend Einigkeit. 417 Auch Kants Verständnis des Erlaubnisgesetzes knüpft an diese Tradition an. Während Kant in §2 von einer „Befugnis" spricht, die dem Subjekt durch das Erlaubnisgesetz verliehen wird, so spricht er an anderer Stelle in völliger Übereinstimmung mit Achenwall - von einem (moralischen) „Vermögen" (=facultas). 418 Ein solches Vermögen kommt dem Subjekt entweder kraft eines Gebotsgesetzes oder eines Erlaubnisgesetzes zu. Es ist klar, daß es im Falle des Gebotsgesetzes dem Subjekt nicht frei steht, von seinem Vermögen Gebrauch zu machen oder nicht, denn es ist hier „an implication of moral necessity which the law has imposed on me." 419 Im Falle des Erlaubnisgesetzes ist dies jedoch ins Belieben des Subjekts gestellt, da ja hier „ein moralisches Vermögen" (facultas) ein subjektives Recht - geschaffen wird, „that is not a consequence of moral necessity." 420 Es ist zu beachten, das es nicht das Belieben ist, daß durch das Erlaubnisgesetz moralisch möglich wird, sondern das Vermögen, in einem bestimmten rechtlich relevanten Fall (wie z.B. der Erwerbung von Eigentum) nach Belieben zu handeln (nämlich einen Gegenstand zu erwerben oder nicht zu erwerben). Das Erlaubnisgesetz ermöglicht es in diesem Fall, ein Eigentum als subjektives Recht zu erwerben, weil der Besitz der Sache rechtlich (nach einem Gesetz) erlaubt ist. So wie die Gesetzgebung der praktischen Vernunft sich durch das Postulat auf den Besitz äußerer Willkürgegenstände erweitert, so erweitert sich das moralische Vermögen der nach Gesetzen der äußeren Freiheit handelnden Individuen, die Willkür anderer gesetzlich einzuschränken. Das Erlaubnisgesetz erteilt ja nicht eine Befugnis zu Handlungen, zu denen das Subjekt schon durch das Rechtsgesetz ermächtigt ist. Sondern es bezieht sich auf Handlungen, die außerhalb des Regelungsbereichs des Rechtsgesetzes liegen. Die Rechtsinstitute des Eigentums oder der väterlichen Gewalt sind nicht durch das Rechtsgesetz notwendig. Gleichwohl „will" die praktische Vernunft, daß es ein Eigentumsrecht und das Recht der väterlichen Gewalt gibt. Sie werden durch ein Erlaubnisgesetz allererst eingeführt. Die zitierte Stelle bei Achenwall legt die Auffassung nahe, daß es sich bei Rechtsinstituten, die durch ein Erlaubnisgesetz eingeführt werden, um positivrechtliche Regelungen handelt. Dies ist - insbesondere bei Kant - aber nicht der Fall. Wie die Erlaubnisgesetze selbst, so gehört auch das Eigentum zum Naturrecht oder reinen Vemunftrecht. Dies liegt daran, daß es einem Gesetzgeber nicht frei steht, das Eigentumsrecht zu gewähren oder nicht zu gewähren, sondern den

417

Außer auf Achenwall verweist Hruschka, Permissive Fundamenta Juris Naturae et Gentium. 4 " Vgl. AA VI, 237 und 257. 419 Hruschka, Permissive Law, S. 58. 420 Ebd.

Law, S. 60, auch auf Christian Thomasius'

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

Staatsbürgern die Möglichkeit vorzuenthalten, Äußeres als ein Mein oder Dein (als Eigentum) zu besitzen, ist a priori unrecht. Insbesondere in Bezug auf den Eigentumserwerb benennt Kant eine weitere wichtige Folge aus dem Postulat bzw. Erlaubnisgesetz. Kraft des Erlaubnisgesetzes ist jedes Subjekt befugt, äußere Gegenstände seiner Willkür durch prima occupatio rechtlich in seinen Besitz zu bringen. Für die Stiftung eines alle anderen verbindenden Rechts ist in diesem Fall der einseitige Wille eines Einzelnen ausreichend. Es fragt sich, wie diese Befugnis des Eigentümers mit dem angeborenen Recht aller anderen auf die „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür" vereinbar sein soll. Denn nichts anderes scheint hier vorzuliegen: daß ein einziger alle anderen in Abhängigkeit von seinem eigenen Willen nötigen darf. Es ist klar, daß sich diese Befugnis nicht allein unter Verweis auf das Postulat rechtfertigen läßt. Kant löst das Problem in zwei Schritten: er zeigt zum einen, daß die (ursprüngliche) Erwerbung einer körperlichen Sache nur in Konformität mit der Idee des allgemeinen Willens als rechtmäßig gedacht werden kann, er zeigt zum anderen, daß der Erwerbung und dem Besitz äußerer Gegenstände nur unter der Bedingung der Wirklichkeit des allgemeinen gesetzgebenden Willens positiv-rechtliche Wirksamkeit verliehen werden kann. Davon handeln die folgenden Abschnitte dieser Arbeit. In der Besitzlehre kommt es jedoch nur darauf an, zu zeigen, daß es eine Befugnis geben muß, andere vom Gebrauch äußerer Willkürgegenstände auszuschließen, „weil wir zuerst sie in unseren Besitz genommen haben". Da es gemäß dem Postulat schlechterdings möglich sein muß, äußere Willkürgegenstände als ein rechtliches suum zu haben, muß es auch möglich sein, herrenlose Sachen rechtlich zu erwerben. Nun kann ich aber eine herrenlose Sache (gemäß dem Postulat) ohne weiteres in meine Gewalt bringen und tue dabei niemandem Unrecht. Ich kann aber eine Sache nur dann rechtlich besitzen, wenn ich sie so in meine Gewalt gebracht habe, daß dadurch das Recht aller anderen, ihrerseits Äußeres in ihre Gewalt zu bringen und zu erwerben, nicht verletzt wird. Diese Reziprozitätsbedingung folgt aus dem im angeborenen Menschenrecht enthaltenen Gleichheitsprinzip. Ist diese Bedingung erfüllt, dann bin ich als rechtlicher Besitzer (Eigentümer) der Sache befugt, alle anderen von ihrem Gebrauch auszuschließen und zwar allein deswegen, weil ich die Sache zuerst in meinen Besitz genommen habe. Daß alle anderen sich somit durch einen einseitigen Willkürakt meinerseits einer allgemeinen Zwangspflicht unterworfen sehen, ist freilich einen Zumutung, die noch einer weiteren Begründung bedarf. Abschließend ist zu fragen, wie sich das Erlaubnisgesetz zum Problem der (ursprünglichen) Erwerbung verhält. Vor dem Hintergrund der Kenntnis von Kants Theorie der ursprünglichen Erwerbung könnte ja angenommen werden, das Erlaubnisgesetz begründe unmittelbar die Rechtlichkeit der prima occupatio. Dies würde die Annahme implizieren, daß die Art, äußere Gegenstände ursprünglich zu

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erwerben, direkt aus dem Grundprinzip der Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein abgeleitet sei. Dies ist aber nicht der Fall. Dies schon deswegen nicht, weil sich ein rechtliches Prinzip, durch das Äußeres ursprünglich erworben werden kann, ganz unabhängig von einem Prinzip, das die Notwendigkeit der Möglichkeit behauptet, Äußeres als ein Rechtlich-Meines haben zu können, begründen läßt. Das neuzeitliche Naturrecht bis zu Kant ist ja davon ausgegangen, daß das Eigentumsrecht nicht vernunftnotwendig ist. Stattdessen wurde das Eigentumsrecht relativ auf den kulturhistorischen Zustand der Menschheit begründet. Vor Einfuhrung des Eigentums wurde eine Gütergemeinschaft als ursprünglicher Zustand der Menschheit angenommen. Gleichwohl mußten auch fur diese „relative Eigentumsbegründung" «aíarrechtliche Prinzipien der ursprünglichen Erwerbung angeben werden.421 Tatsächlich ist das Postulat bzw. das Erlaubnisgesetz kein Prinzip, durch das die Rechtlichkeit der ursprünglichen Erwerbung durch „Bemächtigung" statuiert wird, sondern lediglich die Rechtlichkeit der „ersten Besitznehmung'. Die Besitznehmung ist aber nur eines von drei „Momenten" der ursprünglichen Erwerbung. In der Erwerbslehre betrachtet Kant die prima occupatio als einen empirischen Akt, der einerseits notwendig, andererseits aber auch hinreichend ist, um ein wirkliches Besitzrecht zu begründen. Die prima occupatio ist notwendig im Hinblick auf den (ursprünglichen) rechtlichen Erwerb von Sachen, da sich nur deijenige nicht im Widerspruch mit der Freiheit aller anderen nach einem allgemeinen Gesetz befindet, der einen Gegenstand erwirbt, der noch niemandem gehört, der also herrenlos ist. Wer aber eine herrenlose Sache erwirbt, ist notwendig der erste, der sie erwirbt. Die prima occupatio ist aber auch hinreichend für die Erwerbung, da sich die empirische Seite der rechtlichen Erwerbung in der Bemächtigung erschöpft, d.h. in der Apprehension des Gegenstandes und der Deklaration des Besitzwillens. Die moralische Seite der rechtlichen Erwerbung oder ihr eigentlicher Rechtsgrund ist aber die Übereinstimmung der einseitigen Besitzwillkür mit dem notwendig vereinigten Willen aller. Die Zueignung des Gegenstandes durch den allgemeinen Willen macht erst den Besitz peremtorisch-rechtlich, der zunächst nur eine Präsumption der Rechtlichkeit für sich in Anspruch nehmen konnte. Für den (oder die) Anderen ist das Neminem laede in Bezug auf das äußere Mein und Dein eine Verpflichtung (Rechtspflicht), die weder aus dem allgemeinen Rechtsgesetz unmittelbar abgeleitet werden kann, noch die er (oder sie) selbst willentlich (etwa durch einen Vertrag) eingegangen ist. Das äußere Mein und Dein in Bezug auf einen körperlichen Gegenstand (eine Sache) hängt scheinbar allein vom Willen dessen ab, der den Gegenstand rechtlich besitzt. Hat 421

Diese Prinzipien der Erwerbung sind entweder von der Art der Erlaubnisgesetze (Wolff, Achenwall) oder der Verträge (Grotius, Pufendorf). Vgl. Brian Tierney, Permissive Natural Law and Property: Gratian to Kant, in: Journal of the History of Ideas 62 (2001), S.381-399.

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

dieser den Gegenstand so in seinen Besitz gebracht, daß keines anderen Willkür dadurch ungesetzlich eingeschränkt wurde und hat er den Willen, den Gegenstand als den Seinen zu haben, so ist diese formale und inhaltliche Bestimmung seines Willens ein notwendiger (aber kein hinreichender) rechtlicher Grund des äußeren Mein oder Dein. Damit zugleich ist sein subjektiver Wille ein notweniger (aber nicht hinreichender) rechtlicher Grund, andere vom Gebrauch dieses Gegenstandes rechtswirksam auszuschließen. Nur auf einer empirischen Ebene kann der Wille eines Einzelnen alle anderen hinsichtlich des Sachbesitzes rechtlich verpflichten. Tatsächlich bedarf diese Rechtspflicht zu ihrer Rechtfertigung aber auch noch der moralisch-rechtliche Kategorie des allgemeinen Willens. Das Erlaubnisgesetz ist ein synthetisches Prinzip der Einschränkung fremder Willkür. War die allseitige Willkür durch das Rechtsgesetz objektiv eingeschränkt, so ist nun durch das Erlaubnisgesetz die Möglichkeit einer subjektiven Einschränkung fremder Willkür hinsichtlich ihres Gegenstandes gegeben, d.h. einer Einschränkung durch den Akt einer einseitigen Willkür. Die Behauptung, ein Gegenstand meiner Willkür sei rechtlich mein, weil ich ihn zuerst in meinen Besitz gebracht habe, enthält eine ,,allgemeingeltende[] Gesetzgebung"422 durch die subjektive Willkür. Ich bin in diesem Fall befugt, alle anderen vom Gebrauch des Gegenstands auszuschließen und alle anderen haben die reziproke Pflicht, sich des Gebrauchs des von mir rechtlich besessenen Gegenstandes zu enthalten. Es ist klar, daß dem rechtlichen Besitz ein rechtlicher Akt der Erwerbung vorausgehen muß. Habe ich mich als erster in den Besitz eines Gegenstandes gebracht, der zuvor keinem anderen gehörte, dann gehört mir dieser als ein rechtliches meum. Er ist mein Eigentum. Die genauen Bedingungen der Rechtmäßigkeit dieser ursprünglichen Erwerbshandlung behandelt Kant im 2. Hauptstück des Privatrechts.

2.4 Deduktion und Anwendung des Begriffs eines intelligiblen Besitzes Nimmt man die Abschnitte der Besitzlehre als Ganzes in den Blick, so hat man den Eindruck, das Wesentliche zum Begriff des äußeren Mein und Dein sei in den §§1 und 2 gesagt worden: Der Begriff des intelligiblen Besitzes wurde expliziert und die Notwendigkeit des äußeren Mein und Dein durch das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft begründet. Damit zugleich war aber auch die objektive Realität des Begriffs einer possesssio noumenon erwiesen: Ist das äußere Mein und Dein praktisch notwendig, so gilt dies auch fur seine intelligible Bedingung: den bloß-rechtlichen Besitz. Kants Erörterungen in den folgenden Abschnitten können nicht immer überzeugen. Dies gilt vor allem für die §§3, 6 und 7. §4 und §5 enthalten eine in sich abgeschlossene Argumentation. Sie behandeln aber 422

AA VI, 253.

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lediglich die ,,Exposition des Begriffs vom äußeren Mein und Dein" (§4) und die Definition des Begriffs des äußeren Mein und Dein" (§5). Beide bieten also Begriffserklärungen, aber keine Argumente. Sieht man von §3 ab, der schon aufgrund seiner Kürze und weil er in §5 fast wörtlich wiederholt wird, deplaziert wirkt, so wird man den Fortgang des rechtsphilosophischen Gedankengangs in den §§6 und 7 zu erwarten haben. Sie handeln von der „Deduktion des Begriffs des bloß rechtlichen Besitzes eines äußeren Gegenstandes (possessio noumenon)" (§6) und von der „Anwendung des Prinzips der Möglichkeit des äußeren Mein und Dein auf Gegenstände der Erfahrung" (§7). In beiden Fällen handelt es sich also um eine Problematik, die schon für die Kritik der Vernunft sowohl in ihrem theoretischen, als auch in ihrem praktischen Gebrauche einschlägig war. Die folgende Interpretation dieser Abschnitte der „Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre" wird jedoch zu dem Ergebnis kommen, daß ihre Relevanz für die Rechtsphilosophie eher gering ist. Der Eindruck, daß Kant selbst mit diesen Fragestellungen im Rahmen seiner Besitzlehre nicht zu Rande gekommen ist, läßt sich schon an äußerlichen Merkmalen dieser beiden Abchnitte festmachen. Es ist bekannt, daß §6 durch einen falschen Texteinschub verdorben ist. Der Vorschlag Bernd Ludwigs, die Lücke, die durch Entfernung jenes Einschubs entsteht, durch den kompletten Text von §2 - also das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft - zu füllen, ist zwar in einigen Punkten (sowohl argumentationslogischer, als auch stilistischer und kompositorischer Art) plausibel, aber letztlich doch nicht ganz überzeugend. Das eigentliche Problem des §6 besteht aber darin, daß sich zwar eine genaue Explikation der Deduktionsproblematik findet, daß zugleich aber die angebotene Lösung keine andere ist, als die oben kurz referierte, die sich schon aus den § § 1 und 2 ergibt. Die Deduktion, so sagt Kant selbst in §6, ergebe sich im Grunde unmittelbar aus dem Postulat. Dies bedeutet insbesondere, daß es gar keiner spezifischen Methode bedarf, um die Deduktion zu leisten. Am Ende von §6 heißt es: „Es darf auch niemand befremden, daß die theoretischen Prinzipien des äußeren Mein und Dein [d.i. der bloß-rechtliche Besitz] sich im Intelligibelen verlieren und keine erweiterte Erkenntnis vorstellen"; der Begriff eines intelligiblen Besitzes ist ebensowenig einer „theoretischen Deduktion seiner Möglichkeit fähig" wie „der Begriff der Freiheit", auf dem die theoretischen Prinzipien des Mein und Dein beruhen, sondern kann „nur aus dem praktischen Gesetze der Vernunft (dem kategorischen Imperativ) als einem Faktum derselben geschlossen werden".423

423

Ebd., 252. Ganz im Gegensatz zu der hier vorgeschlagenen Interpretation hält Hans Friedrich Fulda, Kants Begriff eines intelligiblen Besitzes und seine Deduktion („Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre", §6), in: Jahrbuch für Recht und Ethik 5 (1997), S. 103-119, die in §6 gegebene Deduktion fur die „von Kant am sorgfältigsten ausgeführte" (ebd., S. 103) in der Rechtslehre. Fulda hält es auch nicht fur erforderlich, die vermeintliche Lücke zwischen den Abschnitten 3 und 9 - wie Bernd Ludwig es vorschlägt - durch den Text des §2 auszufüllen.

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

Was §7 angeht, kann der Einschätzung von Wolfgang Kersting gefolgt werden, dieser Abschnitt sei „kompositorisch unausgewogen": er komme „so recht nicht zu seinem Thema", indem er „neben einer Wiederholung der begrifflichen Bestimmungen des intelligiblen Besitzes eine Exemplifizierung der „Art, etwas außer mir als das Meine zu haben" hinsichtlich der drei Gegenstandsklassen der Willkür bietet und abrupt mit einem Thesengerüst der Antinomie des äußeren Rechts schließt."424 Will man sich angesichts der kompositorischen und inhaltlichen Schwierigkeiten, die die genannten Paragraphen der Besitzlehre bieten, nicht der These von der Senilität Kants zur Zeit der Abfassung der „Metaphysik der Sitten" anschließen, dann bleibt nur die Annahme, daß das zentrale Prinzip der Besitzlehre - das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft - in der Tat eine sehr späte „Entdeckung" Kants war, und daß er die Folgeprobleme dieses Prinzips hinsichtlich der Deduktion und Anwendung des implizierten Begriffs einer possessio noumenon daher nicht mehr vollständig bewältigen konnte. Im Folgenden sollen ausschließlich Kants Argumente zur Lösung der beiden von ihm in den §§6 und 7 aufgeworfenen Problem erörtert werden. Es handelt sich um zwei gegenläufige Fragestellungen. Geht es im einen Fall darum, die Abstraktionsleistung der reinen praktischen Vernunft im Hinblick auf einen Rechtsbegriff, der „ein reiner, jedoch auf die Praxis ... gestellter Begriff ist"425, zu rechtfertigen, so geht es im anderen Fall darum, jenes abstrakte Konzept wiederum auf „in der Erfahrung vorkommende Fälle" - nämlich des Gegenstandsgebrauchs - praktisch zu beziehen. Zunächst zum Deduktionsproblem: Den Ausgangspunkt bildet Kants Feststellung, bei dem rechtlichen Postulat handle es sich um einen synthetisch-praktischen Satz a priori, da es den Begriff einer possessio noumenon enthält. Daraus ergibt sich dann die klassische Fragestellungen für die Deduktionsproblematik der kritischen Philosophie: „Die Frage: Wie ist ein äußeres Mein und Dein möglich? löst dich nun in diejenige auf: Wie ist ein bloß rechtlicher (intelligibler) Besitz möglich? und diese wiederum in die dritte: Wie ist ein synthetischer Rechtssatz a priori möglich?"426 Kant erläutert zunächst, warum es sich hier um einen synthetischen praktischen Satz handelt. Sodann geht er auf den Unterschied zwischen praktischsynthetischen und synthetischen theoretischen Sätzen ein. Die eigentliche Deduktion fallt dann denkbar kurz aus. „Alle Rechtssätze sind Sätze a priori", da sie „Vernunftgesetze (dictamina rationis)" sind. Aber nicht alle Rechtssätze sind synthetisch. „Der Rechtssatz a priori in Ansehung des empirischen Besitzes ist analytisch', denn er sagt nichts mehr, als was nach dem Satze des Widerspruchs aus dem letzteren folgt, daß 424 425 426

Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 252f. A A VI, 205. Ebd., 249.

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nämlich, wenn ich Inhaber einer Sache (mit ihr also physisch verbunden) bin, deijenige, der sie wider meine Einwilligung affiziert..., das innere Meine (meine Freiheit) affiziere und schmälere, mithin in seiner Maxime mit dem Axiom des Rechts im geraden Widerspruch stehe. Der Satz von einem empirischen rechtmäßigen Besitz geht also nicht über das Recht einer Person in Ansehung ihrer selbst hinaus."427 Das äußere Mein und Dein bezieht sich nun aber auf die Vorstellung eines „Besitzes ohne Inhabung", also eines nicht-empirischen, intelligiblen Besitzes. Ist der rechtliche Besitz ein solcher intelligibler Besitz, so betrifft er jedenfalls nicht bloß das „Recht einer Person in Ansehung ihrer selbst", sondern bezieht sich auf deren äußere Habe. „Der Satz: von der Möglichkeit des Besitzes einer Sache außer mir nach Absonderung aller Bedingungen des empirischen Besitzes im Raum und Zeit, (mithin die Voraussetzung der Möglichkeit einer possessio noumenon) [geht] über jene einschränkenden Bedingungen hinaus und, weil er einen Besitz auch ohne Inhabung als notwendig zum Begriffe des äußeren Mein und Dein statuiert, so ist er synthetisch ,.."428 Dieser Satz nun, als synthetischer Satz a priori, bedarf einer Deduktion. Das Beweisverfahren der Deduktion ist aus der theoretischen Philosophie bekannt. Die Kritik des spekulativen Erkenntnisvermögens bedarf einer Rechtfertigung solcher Verstandesbegriffe (Begriffen von Gegenständen überhaupt), die ihrem Inhalte nach nicht aus der Erfahrung stammen. Kant hatte in der zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft" das Verfahren der Rechtfertigung der reinen Verstandesbegriffe (der Kategorien) transzendentale Deduktion genannt. Darauf bezieht er sich nun in der „Metaphysik der Sitten", um die Deduktion praktischer Sätze von theoretischen Abzugrenzen: „In einem theoretischen Grundsatze a priori müßte ... (zufolge der Kritik der reinen Vernunft) dem gegebenen Begriff eine Anschauung a priori untergelegt, mithin etwas zu dem Begriffe vom Besitz des Gegenstandes hinzugetan werden"429. Die Deduktion würde hier die Erweiterung der Erkenntnis betreffen, sofern diese durch eine apriorische Verknüpfung von Begriff und Anschauung zustande kommt. Dies ist aber bei der praktischen Erkenntnis gerade nicht der Fall. Diese geht aus einer Abstraktion von allem Empirischen hervor: „allein in diesem praktischen [Grundsatze a priori] wird umgekehrt verfahren, und alle Bedingungen der Anschauung, welche den empirischen Besitz begründen, müssen weggeschafft (von ihnen abgesehen) werden, tun den Begriff des Besitzes über dem empirischen hinaus zu erweitern und sagen zu können: ein jeder äußere Gegenstand der Willkür kann zu dem rechtlich Meinen gezählt werden, den ich (und auch nur sofern ich ihn) in meiner Gewalt habe, ohne im Besitz desselben zu sein."430 Dieser synthetisch-praktische Satz a priori enthält den Begriff einer 427 428 429 430

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

249/250. 250. 251/252. 252.

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

possessio noumenon. Indem die praktische Vernunft in ihrer Gesetzgebung für den äußeren Gegenstandsgebrauch von den empirischen Bedingungen des Besitzes des Gegenstandes absieht, erweitert sie „den Begriff des Besitzes über den empirischen hinaus". Nur aufgrund dieses erweiterten Besitzbegriffs, d.i. dem Vernunftbesitz ohne Inhabung, ist ein äußeres Mein und Dein möglich, dessen Prinzip - das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft - somit ein synthetischer Rechtssatz a priori ist. Nun hatte Kant in §2 bereits gezeigt, daß der problematische oder hypothetische Status des Begriffs eines intelligiblen Besitzes (als bloß logisch möglicher Begriff), der sich aus §1 ergab, durch das Postulat gleichsam aufgehoben wird. Das Postulat statuiert ja zunächst „nur" die Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein (d.i. seine praktische Notwendigkeit), weil die praktische Vernunft kein Gesetz enthalten kann, das den bloß-rechtlichen Besitz äußerer Gegenstände schlechthin verbietet. Diese Unmöglichkeit eines Verbots bedeutete aber gar nichts anderes, als daß der rechtliche Besitz äußerer Willkürgegenstände an sich (formal) gar nicht im Widerspruch zur allseitigen äußeren Freiheit steht. Allein daraus folgte, daß jeder äußere Gegenstand meiner Willkür ein mögliches rechtliches Mein ist - und so analog für beliebige Subjekte beliebige Gegenstände ihrer Willkür. Daraus ergibt sich aber, daß die objektive Realität des Begriffs einer possessio noumenon unmittelbar aus der notwendigen Gültigkeit des Postulats folgt, sofern man sich klar gemacht hat, daß das im Postulat als möglich behauptete äußere Mein und Dein als bloß-rechtliches Besitzverhältnis bestimmt ist. Daher gilt für die Rechtfertigung des intelligiblen Besitzes: Die Möglichkeit des letzteren [d.i. eines nicht-physischen Besitzes] aber kann keineswegs für sich selbst bewiesen oder eingesehen werden (eben weil es ein Vemunftbegriff ist, dem keine Anschauung korrespondierend gegeben werden kann), sondern ist eine unmittelbare Folge aus dem gedachten Postulat. Denn wenn es notwendig ist, nach jenem Rechtsgrundsatz zu handeln, so muß auch die intelligibele Bedingung (eines bloß rechtlichen Besitzes) möglich sein. (AA VI, 252)

Damit ist der Begriff eines intelligiblen Besitzes als Bedingung der Möglichkeit des synthetischen Rechtssatzes a priori „deduziert". Kant ist sich im klaren darüber, daß die derart „deduzierten" Prinzipien - anders als in der theoretischen Philosophie - „keine erweiterte Erkenntnis vorstellen". Die „theoretischen Prinzipien des äußeren Mein und Dein", d.i. die possessio noumenon als bloß-rechtlicher oder für ein äußeres Mein und Dein zureichender Besitz, „[verlieren] sich im Intelligibelen". Dies darf aber „auch niemand befremden", „weil der Begriff der Freiheit, auf dem sie [d.i. die theoretischen Prinzipien] beruhen, keiner theoretischen Deduktion seiner Möglichkeit fähig ist und nur aus dem praktischen Gesetze der Vernunft (dem kategorischen Imperativ) als einem

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Faktum derselben geschlossen werden kann."431 Die praktische Vernunft macht also zurecht Gebrauch von Begriffen, deren objektive Gültigkeit sich nicht theoretisch beweisen läßt, die aber durch ihren Gebrauch in praktisch notwendigen Sätzen hinreichend erwiesen ist. Zu diesen Begriffen zählt, wie die Freiheit selbst, auch der intelligible Besitz. Ist der Begriff eines bloß-rechtlichen, d.h. intelligiblen, Besitzes „deduziert", ist er also als objektiv real erwiesen, so stellt sich sogleich das Problem seiner praktischen Realität, d.h. seiner Anwendbarkeit auf empirische Gegenstände. Daß der rechtliche BesitzbegrifF oder das ,,Prinzip[] der Möglichkeit des äußeren Mein und Dein" praktische Realität hat, kann vor dem Hintergrund des Postulats und der Deduktion vorausgesetzt werden. Denn ist es praktisch notwendig, äußere (empirische) Gegenstände als ein äußeres Mein oder Dein haben zu können, dann muß der Begriff eines bloß-rechtlichen (intelligiblen) Besitzes auf diese Gegenstände anwendbar sein. Nun ist der Begriff eines bloß-rechtlichen Besitzes aber ein KerMMM/rbegriff, d.h. es ist fur ihn konstitutiv, von allen empirischen Bedingungen abzusehen. Das Problem besteht in der Vermittelbarkeit von Vernunftbegriff und seinem empirischen Gegenstand: „Der Begriff eines bloß rechtlichen Besitzes ist kein empirischer (von Raum- und Zeitbedingungen abhängiger) Begriff, und gleichwohl hat er praktische Realität, d.i. er muß auf Gegenstände der Erfahrung, deren Erkenntnis von jenen Bedingungen abhängig ist anwendbar sein."432 Für den Rechtsbegriff des Besitzes sind zwei Momente konstitutiv: er bezieht sich zum einen auf ein intelligibles, d.h. in der Anschauung nicht darstellbares, Verhältnis des Subjekts zum Gegenstand unter Rechtsgesetzen. Das rechtliche Besitzverhältnis ist ein ,,intellektuelle[s] Verhältnis zum Gegenstande" und der Gegenstand „ist mein, weil mein zu desselben beliebigem Gebrauch sich bestimmender Wille dem Gesetze der äußeren Freiheit nicht widerstreitet."433 Er ist zum anderen - ebendadurch - nicht Grund einer theoretischen Erkenntnis (des Gegenstandes), sondern einer praktischen Erkenntnis, d.h. er ist Grund einer „allgemeingeltenden Gesetzgebung-, denn eine solche ist in dem Ausdrucke enthalten: „dieser äußere Gegenstand ist mein"; weil allen anderen dadurch eine Verbindlichkeit auferlegt wird, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs desselben zu enthalten."434 Die Rechtsvernunft enthält die Prinzipien des wechselseitigen Willkürgebrauchs, nicht der Gegenstandserkenntnis. Das Rechtsurteil „Dieser Gegenstand ist mein" hat daher keine epistemologische, sondern normative Funktion. Nun ist in diesem Urteil, wenn auch keine (theoretische) Erkenntnis des Gegenstandes, so doch eine bestimmte Beziehung zum Gegenstand 431 432 453 434

Ebd. Ebd., 252/253. Ebd., 253. Ebd.

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gedacht. Diese Beziehung ist sogar notwendig, um zu jener Eigentumsbehauptung zu kommen. Es ist daher die Frage, wie sie begrifflich zu fassen ist. Der Begriff des intelligiblen Besitzes ist hier nicht ausreichend, da durch ihn lediglich die bloß-rechtliche Verbindung von Subjekt und Gegenstand überhaupt gedacht wird. Die Eigentumsbehauptung bezieht sich aber auf bestimmte Gegenstände, in Bezug auf die das Subjekt ein Eigentumsrecht behauptet. Um durch ein Eigentumsurteil den Begriff des rechtlichen Besitzes auf empirische Gegenstände beziehen zu können, muß ein vermittelnder Begriff gefunden werden, der einerseits die Abstraktheit des Vemunftbegriffs teilt, der aber andererseits auf empirisch bestimmte Gegenstände eindeutig bezogen werden kann. Ein solcher zwischen Vernunftbegriff und empirischem Gegenstand vermittelnder Begriff kann nur ein Verstandesbegriff sein. Kant erläutert das „Verfahren mit dem Rechtsbegriffe in Ansehung der [Gegenstände der Erfahrung] als des möglichen äußeren Mein und Dein" so: Der Rechtsbegriff, der bloß in der Vernunft liegt, kann nicht unmittelbar auf Erfahrungsobjekte und auf den Begriff eines empirischen Besitzes, sondern muß zunächst auf den reinen Verstandesbegriff eines Besitzes überhaupt angewandt werden, sodaß statt der Inhabung (detentio) als einer empirischen Vorstellung des Besitzes, der von allen Raumes- und Zeitbedingungen abstrahierende Begriff des Habens, und nur daß der Gegenstand als in meiner Gewalt (in potestate mea positum esse) sei, gedacht werde; da dann der Ausdruck des Äußeren nicht das Dasein in einem anderen Orte, als wo ich bin ..., sondern nur einen von mir unterschiedenen Gegenstand bedeutet. (AA VI, 253)

Der Verstandesbegriff des Besitzes bezieht sich nicht auf die Inhabung „als einer empirischen Vorstellung des Besitzes", sondern auf einen von allen empirischen Bestimmungen gereinigten Begriff des Habens. Die Subjekt-GegenstandRelation wird durch diesen Begriff als ein In-der-Gewalt-Haben vorgestellt. Zugleich wird die Äußerlichkeit des Gegenstandes rein logisch als Unterschiedenheit aufgefaßt. Beide Bestimmungen sind aus den §§1 und 2 bereits bekannt. In §1 hatte Kant gesagt, daß im „Vernunftbesitz", d.h. im bloß-rechtlichen, intelligiblen Besitzverhältnis, der Gegenstand als dem Subjekt im Sinne der Unterschiedenheit äußerlich gedacht wird. In §2 hatte Kant dann die Unterscheidung von In-seiner-Macht-Haben und In-seiner-Gewalt-Haben eines Gegenstandes eingeführt. Der Gebrauch eines Gegenstandes steht in meiner Macht, wenn ich das „physische Vermögen" dazu habe. Ein solcher Gegenstand wäre fürs Subjekt ein Gegenstand seiner Willkür. Um denselben Gegenstand in meiner Gewalt zu haben, muß ich aber nicht nur das Vermögen des Gebrauchs haben, sondern ich muß den Gegenstand durch einen „Akt [meiner] Willkür" auch in meinen Besitz gebracht haben. Der Besitz muß dabei nicht notwendig ein rechtlicher sein, denn auch einen Gegenstand, den ich widerrechtlich in meinen Besitz gebracht habe (und ihn also bloß physisch besitze), habe ich in meiner Gewalt. Der „Akt der Willkür", durch den das Subjekt den Gegenstand in seinen

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Besitz (und damit in seine Gewalt) gebracht hat, ist also im „reinen Verstandesbegriff eines Besitzes überhaupt", sofern er auf empirische Gegenstände angewendet wird, mitgedacht. Daß es sich beim In-der-Gewalt-Haben eines Gegenstandes um eine Form des Besitzes handelt ist, genau genommen, schon durch die Überlegungen des §2 klar. Der Begriff des Habens ist insofern in Bezug auf die empirische Besitzrelation abstrakt, als er bloß die „Form des Besitzes" betrifft; er ist ein „Begriff der Gewalt über etwas, des Vermögens, Ursache der Bestimmung eines Etwas zu seyn."435 In diesem Sinne ist das Haben der formale Begriff einer Handlung, durch die das Subjekt den Gegenstand in seinem Besitz erhält. Durch dieses „kategoriale Haben"436 findet die Sphäre des raum-zeitlich bedingten äußeren Willkürgebrauchs Anschluß an die Prinzipien der reinen Rechtsvernunft für den Gebrauch äußerer Willkürgegenstände überhaupt. Der Begriff des „Habens" ist also eigentlich kein neuer Begriff des Besitzes, sondern er ist das handlungstheoretische Korrelat des intelligiblen Besitzes selbst, sofern man sich vorstellt, daß der rechtlich mögliche Gebrauch eines Willkürgegenstands durchs Subjekt nicht nur einen Besitz des Gegenstandes überhaupt (der ein intelligibler sein muß) voraussetzt, sondern damit zugleich, daß das Subjekt den Gegenstand irgendwie durch einen Akt seiner Willkür in seiner Gewalt haben muß. Das rechtliche Besitzverhältnis kommt nicht allein dadurch zustande, daß der Gegenstand fürs Subjekt Gegenstand seiner Willkür ist (es seinen Gebrauch in seiner Macht hat), sondern dadurch, daß das Subjekt den Gegenstand durch einen Akt seiner Willkür in seine Gewalt gebracht hat. Durch diese Handlung wird der Begriff des äußeren Mein und Dein bzw. der intelligible Besitz auf den empirischen Gegenstand bezogen. Kants Überlegungen in §7 konzentrieren sich auf das Problem der Subsumierbarkeit des Besitzes empirischer Gegenstände unter die Gesetzgebung der rechtlichen Vernunft bzw. den Begriff des äußeren Mein und Dein. Die Frage ist dort also, wie das Verhältnis des Subjekts zu dem empirischen Gegenstand, der rechtlich besessen wird, gedacht werden muß, damit dieser Besitz als rechtlicher gültig sein kann. Die Antwort auf diese Frage basiert auf dem Verstandesbegriff des Besitzes: dem Begriff des Habens. Insofern stellen die Überlegungen des §7 nichts anderes dar, als eine „erneute Explikation des Konzepts eines bloß rechtlichen Besitzes"437. Nun ist aber auch deutlich geworden, daß das Haben auch einen empirischen Akt der Besitznehmung voraussetzt. Ich kann einen äußeren 435

436 437

Tieftnink, Philosophische Untersuchungen I, S. 210; vgl. ebd.: „der reine und formale Verstandesbegriff des äußern Eigenthums ist also der Begriff der Gewalt über etwas vom Subjekte Verschiedenes, der Vemunftbegriff der bloß rechtlichen Verbindung des Willens mit dem Etwas." Daher ist das „Princip der Anwendung des Rechtsbegriffs auf äußere Gegenstände" die „Gewalthabung durch den reinen Verstand vorgestellt (ebd., S. 212). Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 254. Ebd, S. 256: Vgl. Lehmann, Kants Besitzlehre, S. 203.

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Gegenstand meiner Willkür ja nur dann in meiner Gewalt haben (ihn besitzen), wenn ich ihn durch einen Akt meiner Willkür in meine Gewalt (d.h. in meinen Besitz) gebracht habe. Diesen der Abstraktion im Verstandesbegriff komplementären praktisch-empirischen Aspekt des Habens verfolgt Kant in der Besitzlehre nicht weiter. Er gehört sachlich in die Erwerbslehre. Das Resümée von §7 bzw. von der gesamten Besitzlehre lautet daher: „Die Art also, etwas außer mir als das Meine zu haben, ist die bloß rechtliche Verbindung des Willens des Subjekts mit jenem Gegenstande, unabhängig von dem Verhältnisse zu demselben im Raum und in der Zeit, nach dem Begriff eines intelligiblen Besitzes."438 Die Besitzlehre geht vom Vernunftbegriff des Besitzes aus und geht von dort aus zum „Haben" eines empirischen Gegenstandes über. Die Erwerbslehre wird genau umgekehrt verfahren: Sie geht vom empirischen Akt der Erwerbung zum rechtlichen Besitz, d.h. zum äußeren Mein und Dein. Ohne die Vorarbeiten zu kennen, ist bereits einigen Zeitgenossen Kants die Ähnlichkeit der Fragestellung des §7 der Rechtslehre mit derjenigen, die Kant im Schematismuskapitel der „Kritik der reinen Vernunft" und im Lehrstück von der „Typik der reinen praktischen Vernunft" in der zweiten Kritik behandelt, aufgefallen. So lauten Johann Heinrich Tieftrunks Erläuterungen zu §7: Soll demnach ein Rechtsbegriff auf Natur-Objekte angewandt werden, so wird es nur vermittelst eines Verstandesbegriffs möglich seyn, so daß es bloß die Form der Natur, die allgemeine Gesetzmäßigkeit derselben, ist, welche dem Vernunftbegriffe zum Typus und gleichsam zum Schema dient, um die Subsumtion der Objekte der Natur unter die Gesetzgebung der Vernunft zu vermitteln. Wie nun die bloße Form der Gesetzmäßigkeit der Natur das Schema oder die Regel der Urtheilskraft ist, wodurch sie die Handlungen der freien Willkühr unter das Sittengesetz überhaupt subsumirt; so wird es auch bloß der Begriff des Habens seyn, wodurch die Subsumtion der äußeren Dinge unter den Begriff des rechtlichen Besitzes vermittelt wird 4 3 9 Die Frage war: wie der Begriff des bloß rechtlichen Besitzes auf Gegenstände der Erfahrung anwendbar sey. Die Antwort ist: Durch Abstraktion von aller körperlichen Inhabung und Festhaltung des bloßen formalen Begriffs des Habens, der Gewalt über Etwas, als der Verstandesregel, die das Schema des bloß rechtlichen Besitzes ist. 440

Diese Ausführungen treffen natürlich nicht Kants Intention. Weder zieht Kant die Form der Naturgesetzlichkeit als Typus für die Prinzipien des äußeren Mein und Dein heran, noch kann das von ihm vorgeschlagene „Verfahren" als Verstandesregel aufgefaßt werden, die gemäß transzendentalen Zeitbestimmungen die kategoriale Synthesis von Anschauungsdaten ermöglicht. Da Kant selbst aber das Anwendungsproblem im Recht ursprünglich durch einen Schematismus lösen 438 439 440

A A VI, 253/254. Tieftnink, Untersuchungen I, S. 209. Ebd., S. 211.

Der rechtliche Besitz

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wollte, ist zu fragen, was er im Zusammenhang mit der Rechtslehre - im Gegensatz zu den ersten beiden Kritiken - darunter versteht. Es ist zu betonen, daß sich der Begriff „Schematismus" in der „Metaphysik der Sitten" selbst gar nicht findet, sondern ausschließlich in den Vorarbeiten zur Rechtslehre.441 Im Unterschied zur „Metaphysik der Sitten" behandelt Kant dort das Anwendungsproblem bzw. den Schematismus im Zusammenhang mit dem Problem der Erwerbung, d.h. mit dem Problem des Verhältnisses erwerblicher Rechte zu Erfahrungsgegenständen. Das Ausgangsproblem formuliert Kant an einer Stelle in den Vorarbeiten so: Da ... Objecte der Sinne nicht unter reine Verstandesbegriffe als Arten unter ihre Gattung subsumiert werden können so wird zur Erkentnis eines rechtlichen Erwerbs vorher ein Schematism der äußeren intellectuellen Verhältnisse der Willkühr zu ihren Objecten (gemäs den Gesetzen der Freyheit) angestellt werden müssen; denn nur durch diesen (der auch a priori aber in Beziehung auf die Verhältnisse in Raum und Zeit geschieht) kann allein die Bedingung der Möglichkeit des äußeren erwerblichen Rechts der Menschen als Gegenstandes der Erfahrung mithin die unter der allein der Gegenstand den Categorien subsumiert werden kann gegeben werden. ( A A XXIII, 221)

Die „Erkenntnis eines rechtlichen Erwerbs", d.h. die Beantwortung der Frage, ob ein äußerer Willkürgegenstand von einem Subjekt rechtlich erworben wurde (und also ein äußeres Mein gegründet wurde), setzt voraus, daß der Begriff des bloß-rechtlichen, intelligiblen Besitzes praktische Realität hat. Der Schematismus ist „Bedingung der Möglichkeit des äußeren erwerblichen Rechts". Aus dieser Fragestellung ergibt sich bereits, daß der Schematismus ursprünglich in die Besitzlehre gehört und daß er außerdem fur die rechtliche Erwerbung vorausgesetzt werden muß. Die Trennung von Besitzlehre und Erwerbslehre und insbesondere die Behandlung der Besitzlehre vor der Erwerbslehre in der „Metaphysik der Sitten" hat darin ihren sachlichen Grund. Wie sieht nun aber der Schematismus aus? Es ist klar, daß der Rechtsbegriff selbst schlechterdings nicht schematisierbar ist.442 Das Recht ist ein Begriff von der allseitigen Vereinbarkeit der äußeren Willkür nach Gesetzen. Dies gilt auch für das äußere Mein und Dein, sofern es eine Befugnis enthält, andere vom Gebrauch rechtlich besessener Willkürgegen441

442

Wie dieser Umstand und das Fehlen eines Schematismus in der veröffentlichten Fassung der Rechtslehre zu bewerten sei, war lange Zeit umstritten. Buchda, S. 33, spricht von einem „Anklang an den Schematismus der Kritik der reinen Vernunft" in der Besitzlehre. Er nennt den allgemeinen Begriff des Besitzes sogar ausdrücklich „Schema", und sagt, bei dem von Kant vorgeschlagenen „Verfahren [werde] der intelligibele Besitz regelrecht zur Kategorie". Nach Kurt Borries, Kant als Politiker. Zur Staats- und Gesellschaftslehre des Kritizismus. Leipzig 1928, S. 110, habe Kant in der Besitzlehre „die transcendentale Methode" zwar „nicht zur Durchführung gebracht", aber „unbestreitbar angestrebt" - wofilr der Schematismus in den Vorarbeiten ein Indiz sei. Vgl. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 258: „Es ist offenkundig, daß es einen Schematismus des Rechts ... nicht geben kann. Das Recht entzieht sich aufgrund seines Vemunftcharakters jeder Schematisierung".

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

stände auszuschließen. Das äußere Mein oder Dein als praktisch notwendiger Begriff läßt sich nicht anschaulich machen. Es bezieht sich auf den bloßrechtlichen Besitze eines äußeren Gegenstandes der Willkür. Der Begriff des rechtlichen Besitzes muß sich nun aber anschaulich machen lassen, da der besessene Gegenstand ein empirisches Objekt ist. Daher gibt es zwar keinen Schematismus des Rechts, wohl aber einen Schematismus des rechtlichen Besitzes,443 Das Schema des rechtlichen Besitzes ist nichts anderes als der physische Besitz, die Inhabung: Da der Vernunftbegrif vom Recht gleichwohl objective practische Realität hat, d.i. ihm ein Gegenstand (eine Handlung) in der sinnlichen Anschauung mithin in Raum und Zeit correspondierend muß gegeben werden können so muß ein Schematism der aber nicht direct dem Rechtsbegriffe sondern dem physischen Act der Willkür correspondiert aber so fern diese als frey betrachtet wird correspondiren welches nicht anders zu denken möglich ist als da die Freyheit der Willkühr nicht schematisiert werden kann der physische actus der Willkühr (die schon ihr physisches Schema hat) blos als das Schema des Besitzes betrachtet wird. (AA XXIII, 275)

Besteht einerseits der „rechtliche Besitz" (das äußere Mein und Dein) „blos in dem Vermögen der Willkühr die Willkühr anderer in Ansehung eines Objects der Sinne nach Gesetzen der Freyheit zu bestimmen", so muß andererseits in Bezug auf den Besitz der Gegenstände der physische Besitz die Inhabung ... als das Schema des intellectuellen Besitzes (des Rechts) durch die bloße Willkühr im (rechtlichen) Mein und Dein gedacht werden". 444 Das Schema ist erforderlich, damit das äußere Mein und Dein oder das subjektive Eigentumsrecht einen Gegenstand hat. Das Subjekt besitzt nicht Gegenstände seiner Willkür überhaupt, sondern bestimmte Gegenstände, die es durch einen empirischen Akt seiner Willkür, in seinen Besitz gebracht hat. Dieser empirische Willkürakt wird von Kant als Schema des intelligiblen Besitzes angesehen. 445 Der empirische Akt der Besitzergreifung, hat insofern eine rechtskonstitutive Funktion, als er die äußere Habe qualitativ und quantitativ bestimmt. 446 Die empirische Besitzergreifung ist aber - wie Kant betont - kein Geltungsgrund des äußeren Mein und Dein. Kein empirischer Akt der Aneignung äußerer Willkür-

443

444 445

444

Vgl. A A XXIII, 277: „Das Recht aber als Vernunftbegrif kann nicht anschaulich gemacht werden als nur durch den Schematism des Besitzes der empirisch seyn kann nicht des Rechts." Es handelt sich hier um ein Problem der Rechtserkenntnis: „Das Recht als Freiheitsbegrif richtet sich nicht nach dem empirischen Besitz sondern nach dem intellectuellen Dieser aber kann nur durch den Schematism Erkentnis werden sonst ist er leer." (ebd.) Ebd., 275. Vgl. ebd., 213/214: „Wir haben keine Erkentnis von der Wirklichkeit eines Besitzes als so fern er sich durch empirische Verknüpfung des Objects mit dem Subject in Raum u. Zeit kenntlich macht. Dieser Besitz wird aber nur durch den intellectuellen (idealen) rechtlich "; Ebd., 217: „... ohne die sinnliche Bedingungen des physischen Besitzes [kann] das Daseyn des intellectuellen nicht erkannt werden weil jener die Darstellung von diesem in einer möglichen Erfahrung ausmacht." Vgl. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 260.

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gegenstände begründet für sich ein Besitzrecht. Kant argumentiert vom Standpunkt des äußeren Mein und Dein: das Schema enthält die empirische Bedingung des Besitzrechts, aber nur so, daß der Besitzergreifung „die Funktion einer Subsumtion" 447 zukommt, nämlich der „Subsumirung unter den intellectuellen Begrif des Besitzes" 448 ; die Besitzergreifung hat keinesfalls den „Status eines rechtlichen Konstitutionsaktes". 449 Kant warnt ausdrücklich vor der Verwechslung von Schema und Rechtsgrund des Besitzes: Der Streit in Rechtsprincipien in Ansehung äußerer Gegenstände der Willkühr rührt daher daß man die Schemata des Rechts flir das Recht selbst nimt welches nur ein intellectuelles Verhältnis der Willkühr nach Freyheitsgesetzen ist. Dieses muß vorher zum Grunde liegen und die Regeln des Schematism stehen unter jenen nicht daß das Schema der Grund des Rechts sey. (AA XXIII, 274) Wenn man die empirischen Bedingungen der Darstellung des Mein und Dein d.i. diejenige woran man allein äußerlich den Unterschied derselben erkennen kan fur die Bedingungen des rechtlichen Besitzes selbst hält so kommt eine Antinomie des Rechts heraus. (AA XXIII, 229)

Die angesprochen Antinomie ist genau jene, die die praktische Vernunft zur „Kritik ... im Begriffe des äußeren Mein und Dein" veranlaßt, und die zu der in §1 eingeführten Unterscheidung von possessio noumenon und possessio phaenomenon führte. Kant stellt diese Antinomie am Ende von §7 noch einmal dar. Dies braucht hier nicht noch einmal erörtert zu werden.

2.5 Provisorischer und peremtorischer Besitz Die in den §§1-7 gegebene Begründung des Besitzrechtes ist noch nicht vollständig. Dies zeigt Kants Reflexion auf den Zustand, in dem sich die Rechtssubjekte ursprünglich befinden und für den die von Kant entwickelten Prinzipien Gültigkeit beanspruchen. Rechtsansprüche gelten wechselseitig, d.h. erhebt ein Subjekt einen Besitzanspruch auf einen bestimmten Gegenstand, so muß es - um der Gültigkeit seines eigenen Anspruchs willen - damit zugleich allen anderen Subjekten versichern, ihre gleichartigen Besitzansprüche auf andere Willkürgegenstände so anzuerkennen, wie diese den seinen anerkennen sollen: Wenn ich (wörtlich oder durch die Tat) erkläre: ich will, daß etwas Äußeres das Meine sein solle, so erkläre ich jeden anderen für verbindlich, sich des Gegenstandes meiner Willkür zu enthalten; eine Verbindlichkeit, die niemand ohne diesen meinen rechtlichen Akt haben würde. In dieser Anmaßung aber liegt zugleich das Bekenntnis: jedem anderen in Ansehung des äußeren Seinen 447 448 449

Ebd. AA XXIII, 308. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 260.

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

wechselseitig zu einer gleichmäßigen Enthaltung verbunden zu sein; denn die Verbindlichkeit geht hier aus einer allgemeinen Regel des äußeren rechtlichen Verhältnisses hervor. (AA VI, 255)

Nun ist diese wechselseitige Anerkennung der subjektiven Rechtsansprüche in einem angenommenen Naturzustand aber offenkundig nicht gegeben. Der Naturzustand ist geradezu dadurch definiert, daß es in ihm keine Rechtssicherheit, keine wechselseitige Anerkennung des Mein und Dein, gibt. Zugleich aber sollen die privatrechtlichen Prinzipien in diesem Zustand gelten. D.h. auch (und gerade) im Naturzustand ist jeder äußere Willkiirgegenstand ein mögliches äußeres Mein oder Dein. Wird aber nun - gemäß der Allgemeinheit und Wechselseitigkeit von Rechtsgesetzen - die Anerkennung fremden Besitzes davon abhängig gemacht, daß diese meinen Besitz als rechtlichen anerkennen, so ergibt sich unmittelbar eine negative Konsequenz: Ich bin ... nicht verbunden, das äußere Seine des anderen unangetastet zu lassen, wenn mich nicht jeder andere dagegen auch sicher stellt, er werde in Ansehung des Meinigen sich nach ebendemselben Prinzip verhalten; welche Sicherstellung gar nicht eines besonderen rechtlichen Aktes bedarf, sondern schon im Begriffe einer äußeren rechtlichen Verpflichtung wegen der Allgemeinheit, mithin auch der Reziprozität der Verbindlichkeit aus einer allgemeinen Regel enthalten ist. (AA VI, 255/256)

Im speziellen Fall des Sacheigentums geht es aber nicht einfach um die Schwierigkeit der wechselseitigen Anerkennung der äußeren Habe. Sondern das Problem besteht darin, daß einerseits gemäß dem Postulat ein berechtigter Anspruch auf den Besitz äußere Gegenstände besteht, die das Subjekt durch einen einseitigen Akt der Willkür in seinen Besitz gebracht hat. Zugleich aber widerspricht es den elementarsten Grundsätzen des Kantischen Vernunftrechts, daß der Wille eines Einzelnen alle anderen soll verpflichten können; „der einseitige Wille [kann] in Ansehung eines äußeren, mithin zufälligen Besitzes nicht zum Zwangsgesetz fur jedermann dienen, weil das der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen Abbruch tun würde."450 Das äußere Meine (bzw. das Postulat) berechtigt also den Besitzer zu einem Zwang, der für alle anderen ein Unrecht - nämlich die Einschränkung der Freiheit durch einen einseitigen empirischen Willen darstellen würde. Die Lösung dieses Dilemmas liegt nach Kant im Begriff des allgemeinen Willens, der sowohl die ursprüngliche Erwerbung, als auch den Staat ermöglicht. Die erste Besitzergreifung ist nur dann rechtlich und begründet ein äußeres Mein, wenn der Besitzwille als in einem notwendig vereingten Willen aller enthalten gedacht wird. Dieser allgemeine Wille ist zudem das Prinzip, nach dem eine äußere Gesetzgebung in einem öffentlich-rechtlichen Zustand möglich ist.

450

A A VI, 256.

Der rechtliche Besitz

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Zwar ist mit dem Recht, also auch mit dem äußeren Mein oder Dein, analytisch eine Befugnis zu zwingen verbunden: jeder ist im Naturzustand berechtigt, seinen äußeren Besitz mit Gewalt zu verteidigen. Es ist aber a priori klar, daß nach diesem Modus der Rechtssicherung niemals Rechtsverhältnisse unter den Naturzustandsbewohnern zustande kommen. Darauf bezieht sich Kant, wenn er sagt, der „einseitige Wille" könne in Bezug auf den äußeren Besitz „nicht zum Zwangsgesetz für jedermann dienen". Die allseitige Ausübung der subjektiven Zwangsbefugnis zur individuellen Besitzsicherung führt zu ihrem geraden Gegenteil: der allgemeinen Unsicherheit des äußeren Mein und Dein. Der Zwang ist nur dann ein Instrument der Rechtssicherheit, wenn er nicht aus dem empirischen Willen der Einzelnen hervorgeht, sondern wenn er selbst die Form der Allgemeinheit annimmt, d.h. wenn er durch einen allgemeinen Willen ausgeübt wird. Dieser Wille müßte ein £o//etóv-allgemeiner sein, in dem die Privatmacht aller zusammengefaßt wird. D.h. dieser Wille müßte ein Machtmonopol besitzen. Dies ist ein wesentliches Kennzeichen des Staates. Nur ein Jeden anderen verbindender [=verpflichtender], mithin kollektiv-allgemeiner (gemeinsamer) und machthabender Wille" kann die allgemeine und wechselseitige Sicherheit des Besitzes gewährleisten. Den „Zustand ... unter einer allgemeinen äußeren (d.i. öffentlichen), mit Macht begleiteten Gesetzgebung" nennt Kant den bürgerlichen Zustand (status civilis).451 Der bürgerliche Zustand ist also deijenige, in dem der äußere Besitz eines jeden als von allen anzuerkennendes äußeres Mein und Dein gesichert werden kann. Mithin ist ,,[e]twas Äußeres als das Seine zu haben ... nur in einem rechtlichen Zustande, unter einer öffentlich gesetzgebenden Gewalt, d.i. im bürgerlichen Zustande möglich."452 In §7 der Rechtslehre hatte Kant folgende Bestimmung der „Art, etwas Äußeres als das Seine zu haben" gegeben: „Die Art also, etwas außer mir als das Meine zu haben, ist die bloß rechtliche Verbindung des Willens des Subjekts mit dem Gegenstande, unabhängig von dem Verhältnisse zu demselben im Raum und in der Zeit, nach dem Begriff eines intelligiblen Besitzes."453 Legt man diese Definition zugrunde, dann erfordert die Möglichkeit, etwas Äußeres wirklich als das Seine zu haben, zwingend dessen Sicherung durch einen allgemeinen, öffentlich-gesetzgebenden und machthabenden Willen. Der bloß-rechtliche Besitz bleibt in einem Zustand, in dem die Sicherheit der äußeren Habe von der Macht des Einzelnen abhängt, stets prekär. Nun entwickelt Kant aber die Prinzipien des Besitzes im Privatrecht, also muß irgendeine Form des rechtlichen Besitzes auch schon im Naturzustand relevant sein. Dies ist tatsächlich der Fall. Kant kennt einen provisorisch-rzchxWchzn Besitz, der für den Naturzustand typisch ist: „Im Naturzustand kann doch ein wirkliches, aber nur provisorisches äußeres Mein und 451 452 453

Ebd. Ebd., 255 (Überschrift). Ebd., 254.

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

Dein statthaben."454 Genauer: „Die Art, etwas Äußeres als das Seine im Naturzustande zu haben, ist ein physischer Besitz, der die rechtliche Präsumtion fur sich hat, ihn durch Vereinigung mit dem Willen aller in einer öffentlichen Gesetzgebung zu einem rechtlichen zu machen, und gilt in der Erwartung komparativ fur einen rechtlichen."455 Kant kommt es bei dem provisorischen äußeren Mein und Dein darauf an, daß die Individuen im Naturzustand überhaupt Rechtsansprüche gegeneinander geltend machen können und damit auch einen rechtlichen Grund haben, Zwang gegeneinander auszuüben. Der rechtlich mögliche Zwang kann aber im Naturzustand nur die eine Funktion haben, Rechtsverhältnisse herzustellen. Jeder andere Zwang, auch wenn er im Namen des Rechts auftritt, führt in juridische Widersprüche. Kant formuliert in diesem Zusammenhang einen wichtigen „Folgesatz". Dieser ergibt sich aus der im Postulat statuierten Möglichkeit, äußere Gegenstände als ein rechtliches meum besitzen zu können. Der Folgesatz bezieht sich auf die Befugnis der Subjekte, Bedingungen herzustellen, unter denen über Rechtsstreitigkeiten entschieden werden kann. Er lautet: „Wenn es rechtlich möglich sein muß, einen äußeren Gegenstand als das Seine zu haben, so muß es auch dem Subjekt erlaubt sein, jeden anderen, mit dem es zum Streit des Mein und Dein über ein solches Objekt kommt, zu nötigen, mit ihm zusammen in eine bürgerliche Verfassung zu treten."456 Das Recht auf einen äußeren Gegenstand schließt das Recht auf die Bedingungen ein, unter denen der Gegenstand als ein äußeres meum gesichert werden kann. Daher wandelt sich die Befugnis, andere auf den Nicht-Gebrauch der Sache verpflichten zu können, gleichsam in eine Befugnis, andere in einen Zustand zu nötigen, in dem jedermanns äußere Habe durch einen allgemeinen, gesetzgebenden und machthabenden Willen bestimmt und gesichert werden kann. Kant geht davon aus, daß im Naturzustand zwar Rechtsansprüche erhoben werden können, daß über deren Berechtigung aber objektiv nicht entschieden werden kann. Die „bürgerliche Verfassung" würde also zweierlei leisten müssen: Es muß 1. eine Instanz geben, die verbindlich über Rechtsansprüche zu entscheiden befugt ist (einen Gerichtshof) und es muß 2. eine überlegene Macht geben, die die Entscheidungen jener Instanz durchsetzt und so das äußere Mein und Dein sichert (eine Exekutivmacht). Mit anderen Worten: die Etablierung rechtlicher Verhältnisse unter den Individuen bedeutet nicht nur die machtmonopolistische Sicherung einer vorgegebenen Besitzordnung, sondern insbesondere auch die rechtsverbindliche Bestimmung des äußeren Besitzes und damit zugleich die Überführung des Modus subjektiver Rechtsverfolgung von Privatkriegen in Gerichtsprozesse. Die naturzuständliche Besitzordnung steht beim Übergang in den status civilis nicht gänzlich zur Disposition des machthabenden Willens: „Das Naturrecht im 454 455 456

Ebd., 256 (Überschrift). Ebd., 257. Ebd., 256.

Der rechtliche Besitz

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Zustande einer bürgerlichen Verfassung ... kann durch die statutarischen Gesetze der letzteren nicht Abbruch leiden ..." Daher hat das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft auch im Verhältnis Staat-Bürger Gültigkeit. Der Staat würde durch seine Gesetzgebung die Rechte der Bürger verletzen, wenn er darin „nach einer Maxime verfahrt, nach der es unmöglich wird, einen Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben".457 Dies bedeutet unmittelbar, daß es die Bürger - genauso wie die Naturzustandsbewohner - selbst sind, von deren individuellen rechtlichen Akten ihre äußere Habe ihrer Möglichkeit nach abhängt. Würde der Staat ursprünglich darüber bestimmen, wem welche Gegenstände rechtlich gehören sollen, so würde er nach einer Maxime verfahren, nach der - zum Gesetz erhoben - nicht jeder äußere Gegenstand ein mögliches suum für jeden möglichen Besitzer ist. In diesem Sinne sagt Kant, die „bürgerliche Verfassung [sei] allein der rechtliche Zustand, durch welchen jedem das Seine nur gesichert, eigentlich aber nicht ausgemacht und bestimmt wird,"458 Das Eigentum ist kein positives Rechtsinstitut, daß sich dem überlegenen Willen eines absoluten Herrschers - wie bei Hobbes - verdankt. Sondern das äußere Mein und Dein kann bereits im privatrechtlichen Naturzustand aufgrund des rechtlichen Postulats der praktischen Vernunft als Erlaubnisgesetz „ausgemacht" und „bestimmt" werden. Unter den genannten Voraussetzungen läßt sich ein altbekanntes Rechtsprinzip rechtfertigen: „ W o h l dem der im Besitz ist (beati possidentes)".459 Dieses „Prärogativ des Rechts aus dem empirischen Besitzstande" beruht auf dem Postulat. Danach kommt Jedermann das Vermögen zu[], einen äußeren Gegenstand seiner Willkür als das Seine zu haben, mithin [ist] jede Inhabung ein Zustand ..., dessen Rechtmäßigkeit sich auf jenem Postulat durch einen Akt des vorhergehenden Willens gründet". Dieser Akt ist die prima occupatio, die aufgrund des Postulats ein äußeres Mein oder Dein begründet. Der empirische Besitz berechtigt das Subjekt, „wenn nicht ein älterer Besitz eines anderen von ebendemselben Gegenstande dawider ist, also vorläufig, nach dem Gesetze der äußeren Freiheit jedermann, der mit mir nicht in den Zustand einer öffentlich gesetzlichen Freiheit treten will, von aller Anmaßung des Gebrauchs eines solchen Gegenstandes abzuhalten".460 Dies bedeutet nun aber nicht, daß jeder provisorisch-rechtliche Besitz durch den allgemeinen Willen in einen peremtorischen überfuhrt werden muß, sondern das Vorrecht des empirischen Besitzers im Naturzustande besteht darin, daß er ,,[v]or dem Eintritt in [den rechtlichen] Zustand, zu dem das Subjekt bereit ist, ... denen mit Recht [widersteht], die dazu sich nicht bequemen und ihn in seinem einstweiligen Besitz stören wollen".461 Das Vorrecht bezieht sich also

457 458 459 460 461

Ebd. Ebd.; Hervorhebung von mir. Ebd., 257. Ebd. Ebd., 257.

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nicht auf die Garantie des Staates, sondern lediglich darauf, seinen Besitz gegen andere Individuen im Naturzustand zu verteidigen. Kants Argumentation scheint hier dem Staat durchaus auch eine rechtliche Befugnis der Bestimmung des Besitzes zuzubilligen. Der machthabende Wille im Staat wäre demnach nicht verpflichtet, die Besitzordnung genau so zu garantieren, wie sie aufgrund der zufälligen Machtverhältnisse zwischen den Individuen im status naturali zustande kam.462 Die „beati possidentes" sind nicht die Lockeschen Eigentümer, denen Rousseau im zweiten Discours einen betrügerischen Vertrag zur Sicherung ihres eigenen Besitzes gegen alle Nichtbesitzer vorwirft. Sondern auch der provisorische Besitz der „beati possidentes" steht hinsichtlich der Bedingung seiner Sicherung unter der Idee eines allgemeinen Willens und nur unter dieser Idee kann er peremtorischer, durch öffentliche Gesetze gesicherter, Besitz werden. Dieser Zusammenhang von naturrechtlicher Privatrechtsordnung und unter einer öffentlichen Gewalt gesicherten Eigentumsordnung wird im folgenden Abschnitt über die Erwerbung noch deutlicher werden.

3. Die ursprüngliche Erwerbung Auf die „Besitzlehre", in der die „Art etwas äußeres als das Seine zu haben" mit Hilfe des Begriffs eines intelligiblen Besitzes expliziert wurde, folgt die Erwerbslehre. Sie bildet das zweite Hauptstück des Privatrechts der „Metaphysik der Sitten", welches in drei Abschnitte unterteilt ist: das Sachenrecht, das persönliche Recht und das auf dingliche Art persönliche Recht. Nur der erste Abschnitt - das Sachenrecht - ist hier von Interesse. Die folgenden Abschnitte beschränken sich daher auf die Interpretation der §§10 („Allgemeines Prinzip der äußeren Erwerbung") und 11-17 („Sachenrecht"). Das Kernproblem, das Kant dort behandelt, ist die Möglichkeit einer ursprünglichen Erwerbung des Bodens nach Prinzipien der reinen praktischen Vernunft. Kant macht im Verlauf der Untersuchung zwei wichtige Bedingungen der ursprünglichen Erwerbung äußerer Willkürgegenstände namhaft: den ursprüngliche Gesamtbesitz des Bodens und die a priori vereinigte Willkür aller. Der ursprüngliche Gesamtbesitz ist der Grund des empirischen Erwerbstitels·, der (prima) occupatio oder „Bemächtigung". Die „Idee eines a priori vereinigten ... Willens" ist dagegen der „Vernunfttitel der Erwerbung".463 Hatte die Besitzlehre nach der Bedingung der Möglichkeit des rechtlichen Besitzes gefragt, so geht es nun um die Frage, wie eine ursprüngliche Erwerbung möglich ist. Auf der empirischen Handlungsebene stellt sich die ursprüngliche Erwerbung einer res nullius als einseitiger Akt des erwerbenden Subjekts, als 462 463

Vgl. ebd., 266. Ebd., 264.

Die ursprüngliche Erwerbung

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„Bemächtigung", dar. Sofern dadurch ein Recht erworben wird, muß dieser Akt zugleich als Grund einer Verpflichtungsbefugnis angesehen werden. Das Problem besteht also darin zu zeigen, wie ein einseitiger Akt der Erwerbung eine Verpflichtungsbefugnis gegenüber allen anderen enthalten kann, da die Rechtlichkeit äußerer Handlungen doch ganz und gar von ihrer Allgemeinheit und Wechselseitigkeit abhängt. Anders ausgedrückt: Wie läßt sich das Erlaubnisgesetz der praktischen Vernunft aus §2 mit den allgemeinen Kriterien rechtlicher Handlungen in Einklang bringen? Kant löst diese Schwierigkeit unter Rückgriff auf den Rousseauschen Gedanken einer volonté générale. Der einseitige (ursprüngliche) Erwerbsakt kann nur dann ein äußeres Mein begründen, wenn der subjektive Besitzwille als in einem allgemeinen Besitzwillen enthalten gedacht wird. Nur sofern es einen hinsichtlich des äußeren Sachbesitzes als notwendig (a priori) vereinigt gedachten allgemeinen Willen gibt, ist ein äußeres Mein und Dein, ist individuelles Eigentum möglich. Wie noch zu zeigen sein wird, hat die Vermittlung des äußeren Mein und Dein durch die Idee des allgemeinen Willens wichtige Konsequenzen für die Bestimmung des begründungstheoretischen Verhältnisses von Eigentum und Staat.

3.1 Begriff und Prinzip der ursprünglichen Erwerbung „Ich erwerbe etwas, wenn ich mache (efïicio), daß etwas mein werde." 464 An dieser Definition zeigt sich, was im Abschnitt über das Anwendungsproblem bzw. den „Schematismus" bereits angedeutet wurde: Ging Kant in der Besitzlehre vom Vernunftbegriff des äußeren Mein und Dein bzw. vom Begriff des intelligiblen Besitzes aus und fragte nach den Anwendungsbedingungen des Rechtsbegriffs auf Erfahrungsgegenstände, so wird jetzt umgekehrt verfahren. Die Frage bezieht sich nunmehr auf den empirischen Akt der Erwerbung als Ausgangspunkt und geht von dort zu den Bedingungen des rechtlichen Besitzes über. Was aber heißt, einen Gegenstand ursprünglich zu erwerben? Kant unterscheidet zwei Arten der Erwerbung. Die Erwerbung kann entweder abgeleitet sein oder sie ist ursprünglich. „Eine Erwerbung ... ist ursprünglich diejenige, welche nicht von dem Seinen eines anderen abgeleitet ist."465 Die Erwerbung der Willkür oder des Zustands einer anderen Person ist immer von dem Seinen eines anderen abgeleitet. Die Frage nach der ursprünglichen Erwerbung betrifft also weder das persönliche, noch das dinglich-persönliche Recht. Die ursprüngliche Erwerbung kann sich nur auf körperliche Gegenstände (Sachen) beziehen. Sie kann sich darüber hinaus auch nicht auf jede Sache beziehen, sondern ausschließlich auf den Boden, denn „das Bewegliche auf dem Boden 464 465

Ebd., 258. Ebd.

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

[kann] nicht das Seine von jemandem sein, wenn dieser nicht vorher als im rechtlichen Besitz desselben befindlich ... angenommen wird."466 Der Boden als alleiniger Gegenstand der ursprünglichen Erwerbung wird weiter unten noch ausfuhrlich dargestellt. Den Ausgangspunkt von Kants Lehre von der ursprünglichen Erwerbung bildet die Feststellung: „Nichts Äußeres ist ursprünglich mein; wohl aber kann es ursprünglich, d.i. ohne es von dem Seinen eines anderen abzuleiten, erworben sein."467 Da gemäß dem Postulat jeder äußere Willkürgegenstand ein mögliches Mein oder Dein ist, so muß er erworben werden können; da ferner kein äußerer Gegenstand ursprünglich mein ist, so müssen (zumindest einige) äußere Willkürgegenstände ursprünglich erworben werden können (nämlich der Boden). Die Annahme, daß nichts Äußeres ursprünglich ausschließlich mein ist, bedarf einer Erläuterung. Denn warum soll es nicht möglich sein, einen ursprünglich gemeinsamen Zustand des Mein und Dein, einen ursprünglichen Gesamtbesitz, anzunehmen? Eine solche Vorstellung findet sich bei den Kirchenvätern ebenso, wie bei Hugo Grotius.468 Kant lehnt sie jedoch entschieden ab: „Der Zustand der Ge466 467 468

Ebd., 261. Ebd., 258. In der Patristik bildete die ursprüngliche rechtliche Besitzgemeinschaft den normativen Maßstab der Besitzordnung. War für Cicero eine ursprüngliche Gütergemeinschaft nur der historische Ausgangspunkt seiner Theorie des Privateigentums, so war - im Unterschied dazu - etwa für Ambrosius die Gütergemeinschaft eine von Gott gesetze Norm, auf deren Grundlage das Privateigentum als Unrecht zu verurteilen war. Die von Cicero befürwortete occupatio wurde somit zur ungerechten usurpatio. Entsprechende Vorstellungen finden sich auch bei Clemens von Alexandrien, Cyprian von Karthago, Gregor von Nyzanz, Johannes Chrysosthomos, Basilius dem Großen, Gregor von Nyssa und Augustinus. Für diese Autoren ist das Privateigentum eine Folge des Sundenfalls, kann also allein aus der korrupten Natur des Menschen erklärt werden. Den Gegenentwurf zur moralisch fragwürdigen Privatrechtsordnung bildete die klösterliche Lebensgemeinschaft. Vgl. zu den Eigentumsvorstellungen der Kirchenvater den Überblick bei Brocker, Arbeit und Eigentum, S. 35ff. Auch Hugo Grotius ging von einer positiven Gemeinschaft des Mein und Dein aus: „Gott hat dem menschlichen Geschlecht gleich mit Erschaffung der Welt generell das Recht auf die Dinge niederer Art gegeben": „Alles gehört allen." (Grotius, DJBP, II, 2, 2, 1). Damit ging Grotius noch einen Schritt über die kanonische Eigentumsbegründung des Thomas von Aquin hinaus. Thomas hatte Gott als den alleinigen Eigentümer aller natürlichen Güter betrachtet, der aber den Menschen ein ursprüngliches Gebrauchsrecht zugebilligt hatte (vgl. Summa theologica, II-II, q. 66 a.l; Brocker, Arbeit und Eigentum, S. 41ff). Die grotianische Vorstellung einer positiven ursprünglichen Gütergemeinschaft wird endgültig von Samuel Pufendorf überwunden. Dessen Konzept einer communio negativa bezieht sich auf das ursprüngliche Gebrauchsrecht aller in Bezug auf natürliche Güter. Hinsichtlich des Besitzes aber gilt bei ihm, daß niemandem irgendetwas rechtlich gehörte. Diese Auffassung hat sich in der Folgezeit durchgesetzt. Vgl. bei Brocker, S. 66ff. und S. 75ff.; ferner zur Eigentumstheorie bei Grotius: Robert Feenstra, Der Eigentumsbegriff bei Hugo Grotius im Licht einiger mittelalterlicher und spätscholastischer Quellen, in: FS fur Franz Wieacker zum 70. Geburtstag. Göttingen 1978, S. 209-234; Brandt, Eigentumstheorien, S. 31-49; zu Pufendorfs Eigentumslehre: Behme, S. lOOff; allgemein: Hans Medick, Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Die Ursprünge der bürgerlichen Sozialtheorie als Geschichtsphilosophie und Sozialwissenschaft bei Samuel Pufendorf, John Locke und Adam Smith. Göttingen 1973.

Die ursprüngliche Erwerbung

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meinschaft des Mein und Dein (communio) kann nie als ursprünglich gedacht, sondern muß (durch einen äußeren rechtlichen Akt) erworben werden ,.."469. Etwas, was ursprünglich mein ist, gehört zum angeborenen Recht, zum meum internum. Dieses Recht bezieht sich allerdings nur auf die äußere Freiheit, keinesfalls auf die äußere Habe. Das äußere Recht muß dagegen Jederzeit erworben werden."470 Nun macht Kant aber den Gesamtbesitz des Erdbodens selbst zu einer Bedingung der ursprünglichen Erwerbung. Kant leugnet daher nicht den ursprünglich-gemeinsamen Besitz schlechthin, sondern nur den ursprünglichen gemeinsamen rechtlichen Besitz, den „Zustand der Gemeinschaft des Mein und Dein": „der Besitz eines äußeren Gegenstandes [kann] ursprünglich und gemeinsam sein".471 Hierbei denkt Kant offensichtlich an die ursprüngliche Bodengemeinschaft. Kant macht den Unterschied beider Formen der Besitzgemeinschaft deutlich, wenn er die erste als „auf Geschichte" gegründet betrachtet, die zweite als „auf Prinzipien" beruhend: Auch wenn man sich (problematisch) eine ursprüngliche Gemeinschaft (communio mei et tui originaria) denkt, so muß sie doch von der uranfänglichen (communio primaeva) unterschieden werden, welche als in der ersten Zeit der Rechtsverhältnisse unter Menschen gestiftet angenommen wird und nicht wie die erstere auf Prinzipien, sondern nur auf Geschichte gegründet werden kann; wobei die letztere doch immer als erworben und abgeleitet (communio derivativa) gedacht werden müßte. (AA VI, 258) Die ursprüngliche Besitzgemeinschaft kann - wenn es sie überhaupt gibt keine Gemeinschaft des rechtlichen Besitzes eines äußeren Gegenstandes sein. Das äußere Mein und Dein setzt einen rechtlichen Akt des Subjekts voraus, durch den es erworben wird. Dieser Akt ist eine Handlung in Raum und Zeit. Die Gemeinschaft des Mein und Dein ist von jener empirischen Bedingung der Erwerbung abhängig. Sie bezieht sich zwar selbst auf ein intelligibles Verhältnis der Subjekte zum Gegenstand (oder den Gegenständen), sie ist aber wesentlich durch jene zeitlichen Akte vermittelt. Sie kann also selbst nicht als „ursprünglich", d.h. unabhängig von ihrer „Stiftung" gegeben, angesehen werden. Die ursprüngliche Gemeinschaft kann nicht auf einen zeitlichen Akt der Subjekte, etwa einen Vertrag, gegründet werden, sondern beruht auf „Prinzipien". Der Besitz, auf den sie sich bezieht, ist noch kein rechtlicher. Sondern die ursprüngliche Besitzgemeinschaft läßt sich nur als Bedingung der Möglichkeit eines Sachenrechts bzw. der ursprünglichen Erwerbung eines äußeren Gegenstandes bestimmen.

469 470 471

A A VI, 258. Ebd., 237. Ebd., 258.

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

Damit ist fürs erste der Ausgangspunkt der Erwerbslehre - „a natura res omnes sunt res nullius"472 - begründet und Kant kann zum „allgemeinen Prinzip der äußeren Erwerbung" übergehen: Was ich (nach dem Gesetze der äußeren Freiheit) in meine Gewalt bringe, und wovon als Objekt meiner Willkür Gebrauch zu machen ich (nach dem Postulat der praktischen Vernunft) das Vermögen habe, endlich, was ich (gemäß der Idee eines möglichen vereinigten Willens) will, es solle mein sein: das ist mein. (AA VI, 258)

Wie schon das Postulat kann auch das „allgemeine" Prinzip der äußeren Erwerbung sinnvoll nur auf das Sachenrecht, d.h. auf die Erwerbung körperlicher Gegenstände bezogen werden. Kant selbst schlüsselt es unmittelbar im Anschluß nach den „Momenten" der ursprünglichen Erwerbung auf. Da dies in den folgenden Abschnitten noch ausführlicher diskutiert wird, braucht das allgemeine Prinzip der Erwerbung hier nur kurz erläutert zu werden. Kant gibt drei Prinzipien an, die im Prinzip der Erwerbung miteinander vermittelt werden: das „Gesetz der äußeren Freiheit", d.i. das Rechtsgesetz, das „Postulat der praktischen Vernunft" und die „Idee eines möglichen vereinigten Willens". Es wird zunächst gefordert, daß das Subjekt den Gegenstand „nach dem Gesetz der äußeren Freiheit" in seine „Gewalt" bringt. Der Akt der Besitzergreifung darf nicht das Recht einer anderen Person verletzten. Da das erwerbende Subjekt noch nicht Besitzer der Sache ist, darf sich die Sache nicht im Besitz (weder rechtlich noch physisch) einer anderen Person befinden, d.h. die Sache muß herrenlos (res nullius) sein. Gemäß dem Postulat - dies ist das zweite Prinzip - darf das erwerbende Subjekt dann von dem Gegenstand als „Objekt seiner Willkür" Gebrauch machen. Das Subjekt hat somit den Gegenstand nach Rechtsprinzipien in seine Gewalt gebracht bzw. Besitz von ihm ergriffen. Damit das Subjekt aber ein Recht erwirbt, ist noch ein Drittes nötig: der Wille des Subjekts, den Gegenstand rechtlich zu besitzen, steht unter der Bedingung seiner Konformität mit der „Idee eines möglichen vereinigten Willens". Erst die Übereinstimmung des subjektiven Besitzwillens mit dem vereinigten Willen aller verleiht dem Besitz rechtliche Qualität, d.h. begründet ein äußeres Mein oder Dein. Dies wird noch einmal anhand der „Momente (attenda) der ursprünglichen Erwerbung" deutlich: Die Momente (attenda) der ursprünglichen Erwerbung sind also: 1. die Apprehension eines Gegenstandes, der keinem angehört, widrigenfalls sie der Freiheit anderer nach allgemeinen Gesetzen widerstreiten würde. Diese Apprehension ist die Besitznehmung des Gegenstandes der Willkür im Raum und der Zeit; der Besitz also, in den ich mich setze, ist possessio phaenomenon. 2. Die Bezeichnung (declarado) des Besitzes dieses Gegenstandes und des Aktes meiner Willkür, jeden anderen davon abzuhalten. 3. Die Zueignung (appropriatio) als Akt eines äußerlich allgemein gesetzgebenden Willens (in der Idee), durch welchen jedermann zur Einstimmung mit meiner Willkür verbunden wird. (AA VI, 258/259)

472

AA XXVII, 1341.

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Die ersten beiden Momente der ursprünglichen Erwerbung bilden gleichsam deren subjektive Seite. Sie beziehen sich auf die Handlungen des Subjekts, durch die es den Gegenstand erwirbt. Das dritte Moment stellt die objektive Seite der Erwerbung dar. Durch die Zueignung wird erst der normative Bezug der Handlung zur Rechtsidee hergestellt. Nur dadurch erwirbt das Subjekt auch ein Recht. Die ursprüngliche Erwerbung, als praktischer Syllogismus betrachtet, zeigt den Übergang vom empirischen Akt der Besitzergreifiing zum Vernunftbesitz: Die Gültigkeit des letzteren Moments der Erwerbung, als worauf der Schlußsatz: der äußere Gegenstand ist mein, beruht, d.i. daß der Besitz als ein bloß rechtlicher gültig (possessio noumenon) sei, gründet sich darauf: daß, da alle diese Aktus rechtlich sind, mithin aus der praktischen Vernunft hervorgehen, und also in der Frage, was Rechtens ist, von den empirischen Bedingungen des Besitzes abstrahiert werden kann, der Schlußsatz: der äußere Gegenstand ist mein, vom sensibelen auf den intelligibelen Besitz richtig gefuhrt wurde. ( A A VI, 259)

Die „Aktus" oder „Momente" der ursprünglichen Erwerbung: die Apprehension, die Bezeichnung und die Zueignung sind „rechtlich", d.h. sie stehen unter den genannten rechtlichen Prinzipien der praktischen Vernunft. Die Besitzergreifiing (Apprehension) eines Gegenstandes ist insofern rechtlich (und damit geeignet, ein Recht zu begründen), als sie nicht der Freiheit einer anderen Person widerstreitet. Unter dem Rechtsgesetz kann die Apprehension als Moment der ursprünglichen Erwerbung nur auf Gegenstände bezogen werden, die noch keinem angehören. Andernfalls wäre sie Unrecht. Der Besitz ist aber dadurch noch kein rechtlicher, sondern zunächst nur „Inhabung". Gleichwohl hat das Subjekt aber den Willen, den Gegenstand rechtlich zu besitzen. Gemäß dem Postulat ist der Gegenstand (der zuvor nicht das Seine eines anderen Subjekts war) ein mögliches Mein oder Dein. Der Besitzer tut also niemandem Unrecht, wenn er seinen Willen bekundet, den Gegenstand dauerhaft (unabhängig von der Inhabung) und ausschließlich besitzen zu wollen und jeden anderen von seinem Gebrauch abzuhalten: das Subjekt bezeichnet gegenüber allen anderen Subjekten den Gegenstand als seinen Besitz. Schließlich impliziert das äußere Mein und Dein eine Verpflichtungsbefugnis des erwerbenden Subjekts gegenüber allen anderen. Diese aber kann nicht aus den einseitigen rechtlichen Handlungen des Erwerbenden - der Apprehension und der Deklaration - abgeleitet werden. Zwar hatte Kant in §2 ein entsprechendes Erlaubnisgesetz konstatiert, aber wie dieses in Übereinstimmung mit der allseitigen Freiheit bzw. dem angeborenen Recht eines jeden möglich sein soll, war noch nicht gezeigt worden. Die Möglichkeit nun, andere in Bezug auf den äußeren Gegenstandsgebrauch verpflichten zu können, steht unter der Bedingung der „Idee eines möglichen vereinigten Willens". Dieser allgemeine Wille ist das Subjekt eines Zueignungsaktes, durch den ich den Gegenstand als ein äußeres meum erhalte und durch den zugleich Jedermann zur Einstimmung mit meiner Willkür verbunden wird".

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

Die subjektive Seite der ursprünglichen Erwerbung bildet der Akt der Bemächtigung. Ein solcher Akt ist einseitig und er scheint somit in beliebigem Widerspruch zu der äußeren Freiheit aller anderen Subjekte stehen zu können. Ein rechtliches Prinzip der Erwerbung müßte aber ein Prinzip der Übereinstimmung von Erwerbshandlungen mit der allgemeinen äußeren Freiheit sein. Für die ursprüngliche Erwerbung muß daher gezeigt werden, wie sie a priori in Übereinstimmung mit der äußeren Freiheit aller stehen kann. Für Kant stellt sich das genannte Problem folgendermaßen dar: Es wird grundsätzlich zwischen ursprünglicher und abgeleiteter Erwerbung unterschieden. Unterteilt man die Erwerbung nach dem „Rechtsgrunde (titulus)", so kommt man sogar zu einer dreifachen Unterscheidung: das Subjekt erwirbt etwas, „entweder durch den Akt einer einseitigen oder doppelseitigen oder allseitigen Willkür", d.h. facto, pacto oder lege.473 Die letzteren beiden gehören zur abgeleiteten Erwerbung. Die ursprüngliche Erwerbung aber ist eine Erwerbung durch einseitige Willkür. Wenn Kant den empirischen Akt, durch den das Subjekt einen Gegenstand ursprünglich erwirbt, als ,ßemächtigung (occupatio)"474 bezeichnet, so sind für diesen Akt zwei Merkmale charakteristisch. Da die Bemächtigung „nicht anders als an körperlichen Dingen (Substanzen) stattfinden [kann]", so bedarf sie zum einen „zur Bedingung des empirischen Besitzes die Priorität der Zeit vor jedem anderen, der sich einer Sache bemächtigen will". Zum anderen darf sie als ursprüngliche Erwerbung „nur die Folge von einseitiger Willkür [sein]; denn wäre dazu eine doppelseitige erforderlich, so würde sie von dem Vertrage zweier (oder mehrerer) Personen, folglich von dem Seinen anderer abgeleitet sein."475 Vor dem Hintergrund von Kants Rechtsbegriff ist in der Tat „nicht leicht einzusehen", ,,[w]ie ein solcher Akt der Willkür ... das Seine für jemanden begründen könne".476 Wie er nach Kant aber doch möglich ist, war anhand des allgemeinen Prinzips der Erwerbung und der Momente der ursprünglichen Erwerbung bereits deutlich geworden: Die Momente der ursprünglichen Erwerbung müssen „rechtlich" sein, d.h. das erwerbende Subjekt darf durch seine empirischen Handlungen der Besitzergreifung und Bezeichnung weder das angeborene Recht anderer, noch das äußere Mein und Dein verletzen. Ferner kann durch den einseitigen Willkürakt nur dann ein äußeres Mein oder Dein begründet (erworben) werden, wenn die Erwerbung als unter der Idee eines allgemeinen vereinigten Willens stehend gedacht wird. Dieser Wille muß als Autor des individuellen, aus einer Bemächtigung hervorgegangenen, Besitzrechts gedacht werden, denn nur durch ihn kann das Subjekt „allen anderen eine Verbindlichkeit [auferlegen], die sie sonst nicht hätten, sich

473 474 475 476

AA VI, 260. Ebd., 259. Ebd. Ebd.

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des Gebrauchs gewisser Gegenstände zu enthalten", weil das Subjekt sie zuerst in seinen Besitz gebracht hat. 477 Nachdem Kants Theorie der ursprünglichen Erwerbung auf der Grundlage von § 10 skizziert worden ist, soll nun diese im Hinblick auf ihre beiden wesentlichen Begriffe: den ursprüngliche Gesamtbesitz des Bodens und die Idee des allgemeinen Willens erörtert werden. Die Argumentation in den §§11-17 hat folgende Struktur: Ausgangspunkt ist die Frage „Was ist ein Sachenrecht?" (§11). Diese Frage ist mit der Realdefinition jenes Begriffs zu beantworten, die den Begriff eines Gesamtbesitzes enthält. Hatte Kant zuvor bereits festgestellt, daß die ursprüngliche Erwerbung eines äußeren Willkürgegenstands auf der empirischen Handlungsebene auch die zeitlich erste sein muß, so stellt er nun fest, daß die „erste Erwerbung einer Sache keine andere als die des Bodens sein" kann (§12). Da jeder äußere Willkürgegenstand, der noch niemandem gehört, für jedermann ein mögliches Mein oder Dein ist und ferner der Boden jeweils zuerst (vor jeder anderen Sache) erworben werden muß, so folgt, daß ein ,jeder Boden ... ursprünglich erworben werden" kann. Da ein Sachenrecht gemäß der Realdefinition einen Gesamtbesitz voraussetzt, so gilt für die ursprüngliche Erwerbung des Bodens, daß „der Grund der Möglichkeit dieser Erwerbung ... die ursprüngliche Gemeinschaft des Bodens überhaupt" ist (§13). Die ursprüngliche Erwerbung des Bodens beruht auf einem Akt der Bemächtigung und begründet nur insofern ein äußeres Mein oder Dein, als der subjektive Besitzwille unter der Idee des allgemeinen Willens steht (§14). Da nun der allgemeine Wille, als der „Vernunfttitel" der Erwerbung, nur im bürgerlichen Zustand, im Staat, wirklich ist, so kann auch nur in diesem Zustand etwas peremtorisch erworben werden. Im Naturzustand ist die Erwerbung immer provisorisch (§15). Die bis dahin gegebenen Bestimmungen faßt Kant in der „Exposition des Begriffs einer ursprünglichen Erwerbung des Bodens" noch einmal zusammen (§16), bevor er schließlich die „Deduktion des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung" gibt, d.h. den Nachweis, daß unter der Idee des allgemeinen Willens aufgrund des empirischen Aktes der Bemächtigung tatsächlich ein Recht erworben werden kann.

3.2 Sachenrecht und Gesamtbesitz Die in der Überschrift zu §11 gestellte Frage „Was ist ein Sachenrecht?" läßt sich auf drei Weisen beantworten: 1. Das Sachenrecht (ius reale) ist der Jnbegriff aller Gesetze, die das dingliche Mein und Dein betreffen" 478 ; 2. Ein Sachenrecht als ius in re ist „das Recht gegen jeden Besitzer" der Sache479; 3. „Das Recht in 477 478 479

Ebd., 247. Ebd., 261. Ebd., 260.

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

einer Sache ist das Recht des Privatgebrauchs einer Sache, in deren (ursprünglichem oder gestiftetem) Gesamtbesitze ich mit allen anderen bin."480 Die erste Definition bezieht sich auf eine dogmatische Unterteilung des Privatrechts. Sie ist offenkundig für den Zusammenhang, innerhalb dessen Kant das Sachenrecht thematisiert, zu weit. Im Privatrecht der „Metaphysik der Sitten" ist das Sachenrecht Teil der Erwerbslehre. Es ist also hier nicht „Inbegriff aller Gesetze, die das dingliche Mein und Dein betreffen", sondern lediglich der Prinzipien seiner ursprünglichen Erwerbung. Diese Definition des Sachenrechts braucht hier nicht weiter erörtert zu werden. Die zweite Bestimmung ist eine Nominaldefinition. Diese „gewöhnliche Erklärung"481 des Sachenrechts ist nach Kant zwar richtig, aber unzureichend. Sie erklärt nicht, was es ist, „was da macht, daß ich mich wegen eines äußeren Gegenstandes an jeden Inhaber desselben halten und ihn (per vindicationem) nötigen kann, mich wieder in Besitz desselben zu setzen". Die von Kant gestellte Frage, ob das „äußere rechtliche Verhältnis meiner Willkür", das im Sachenrecht gedacht wird, „ein unmittelbares Verhältnis zu einem körperlichen Dinge" ist, ist rein rhetorisch. Daß es sich bei allen Rechtsverhältnissen um interpersonale Verhältnisse handelt, hatte Kant ja längst geklärt. Auch wird das Sachenrecht ja als Recht gegen andere definiert. Aber daraus, daß ein Sachenrecht für den Eigentümer eine Befugnis ist, andere zu verpflichten, folgt ja noch nicht, daß das Sachenrecht selbst bloß ein Element des rechtlichen Verhältnisses zwischen Personen ist. Es ist also auch unter der von Kant herangezogenen „gewöhnlichen Erklärung" noch möglich, sich „sein Recht [in einer Sache] nicht unmittelbar auf Personen, sondern auf Sachen bezogen" zu denken. Unter der Voraussetzung, daß „dem Recht auf einer Seite eine Pflicht auf der anderen korrespondiert", fuhrt dies zu der Vorstellung, „daß die äußere Sache, ob sie zwar dem ersten Besitzer abhanden gekommen, diesem doch immer verpflichtet bleibe, d.i. sich jedem anmaßlichen anderen Besitzer weigere, weil sie jenem schon verbindlich ist, und so mein Recht, gleich einem die Sache begleitenden und vor allem fremden Angriffe bewahrenden Genius, den fremden Besitzer immer an mich weise."482 Sich eine „Verbindlichkeit einer Person gegen Sachen und umgekehrt zu denken" ist aber „ungereimt", d.h. diese Vorstellung ist falsch.483 Um nun zu einer philosophisch gehaltvollen Bestimmung des „Rechts in einer Sache" zu kommen, muß die „Bedingung, unter der es allein möglich ist, daß ich jeden anderen Besitzer vom Privatgebrauch der Sache ausschließe"484, mit in die Definition aufgenommen werden. Eine solche Definition wäre die Realdefinition 480 481 482 483 484

Ebd., 260/261. Ebd., 260. Ebd. Ebd. Ebd., 261.

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des Sachenrechts. Die angesprochene Bedingung ist nun der „(ursprüngliche oder gestiftete) Gesamtbesitz".485 Das subjektive Eigentumsrecht würde demnach einen kollektiven Gesamtbesitz hinsichtlich der Sache voraussetzen. Seine Behauptung, daß der Gesamtbesitz „die einzige Bedingung" ist, „unter der es allein möglich ist, daß ich jeden anderen Besitzer vom Privatgebrauch der Sache ausschließe", begründet Kant damit, daß es sich, „ohne einen solchen Gesamtbesitz vorauszusetzen, ... gar nicht denken läßt, wie ich, der ich doch nicht im Besitz der Sache bin, von anderen, die es sind und die sie brauchen, lädiert werden könne."486 Inwiefern hier die Läsionsmöglichkeit, die Auschlußbefugnis und der Gesamtbesitz hinsichtlich des Sachenrechts in einen begründungstheoretischen Zusammenhang zu bringen sind, ist nicht ohne weiteres klar. Man muß sich dabei zunächst zwei Dinge vor Augen halten. Zum einen geht es auch hier um die Frage, wie das erwerbende Subjekt durch einen einseitigen Willkürakt andere verpflichten kann. Zum anderen muß der Begriff des Gesamtbesitzes auf den allgemeinen Willen bezogen werden. Kants Erläuterung lautet: Durch einseitige Willkür kann ich keinen anderen verbinden, sich des Gebrauchs einer Sache zu enthalten, wozu er sonst keine Verbindlichkeit haben würde: also nur durch vereinigte Willkür aller in einem Gesamtbesitze. Sonst müßte ich mir ein Recht in einer Sache so denken, als ob die Sache gegen mich eine Verbindlichkeit hätte, und davon allererst das Recht gegen j e d e n Besitzer derselben ableiten; welches eine ungereimte Vorstellungsart ist. (AA V I 261)

Da es nicht möglich („ungereimt") ist, sich eine Verbindlichkeit von Sachen gegenüber Personen zu denken, so muß die Verbindlichkeit von Personen in Bezug auf Sachen aus einem interpersonalen Rechtsverhältnis ableitbar sein. D.h. die mit dem Sachenrecht gegebene Verpflichtungsbefiignis muß als aus dem möglichen allgemeingesetzlichen Willen der Verpflichteten ableitbar gedacht werden können. Mit anderen Worten: das subjektive Eigentumsrecht verdankt sich

485

486

Ebd.; Nach Beck, Commentar, S. 204f., bezieht sich der Gesamtbesitz auf die Gesamtheit möglicher Willkürgegenstände fur die Allheit der Subjekte. Durch den praktisch-normativen Begriff des Gesamtbesitzes wird der (bereits durch das Postulat angezeigten) Notwendigkeit Ausdruck verliehen, daß niemand nach Gesetzen und schlechthin vom Gebrauch äußerer Gegenstände seiner Willkür ausgeschlossen werden darf. Dies gilt sowohl für einen möglichen ursprünglichen, als auch für den gestifteten Gesamtbesitz: „Der Begriff eines Gesammtbesitzes verlangt ..., daß die Sache, in deren Gesammtbesitz ich mich mit Andern befinde, ein mögliches Objekt meiner Willkühr seyn könne. (Auf Sachen im Monde kann ich kein Recht haben.) Indem nun jeder von denen, die in einem Gesammtbesitze einer Sache sich befinden, in diesem Verhältnisse zu dieser Sache steht: so besteht dieser Gesammtbesitz selbst, wenn er ursprünglich ist, darin: daß niemand schon durch seinen Begriff und a priori vom Gebrauche der Sache ausgeschlossen sey, sondern daß diese Ausschließung nur nach den a priori einzusehenden Regeln Statt finden könne, ohne welche ein Gegenstand der Willkühr objektiv-herrenlos seyn würde; und wenn er gestiftet ist, darin: daß diese Ausschließung obzwar nach willkührlichen Gesetzen, doch unter der allgemeinen Bedingung geschehe, unter der es überhaupt möglich ist, jeden Gegenstand als das Seine von irgend jemandem anzusehen." AA VI, 261.

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

einem Appropriationsakt eines idealen allgemeinen Besitzwillens. Nicht der subjektive Besitzwille, sondern ein (objektiver) allgemeiner Zueignungswille ist der Rechtsgrund des Privateigentums. Die im allgemeinen Prinzip der Erwerbung enthaltene „Idee eines möglichen vereinigten Willens" ist als die vereinigte Willkür aller möglichen Besitzer in einem physischen Gesamtbesitz (der Sache) anzusehen.487 Dieser Wille ist „gesetzgebend" insofern er das „austeilende Gesetz des Mein und Dein"488 enthält, d.h. insofern er jedem das Seine bestimmt. Mithin ist es nur unter Voraussetzung eines in einem ursprünglichen Gesamtbesitz als vereinigt gedachten allgemeinen Willens möglich, andere durch einen einseitigen Akt der Bemächtigung zu verpflichten. Die Bemächtigung selbst ist dabei aber nicht der Rechtsgrund der Ausschlußbefugnis, sondern lediglich der „empirische" Titel des Eigentumsrechts. Wie ist aber Kants Zurückführung der Läsionsmöglichkeit auf den Gesamtbesitz zu deuten? Kant hatte in der Besitzlehre die Läsion hinsichtlich eines äußeren Mein oder Dein vom Begriff des intelligiblen Besitzes abhängig gemacht: „Das äußere Meine ist dasjenige, in dessen Gebrauch mich zu stören Läsion sein würde, ob ich gleich nicht im Besitz desselben (nicht Inhaber des Gegenstandes) bin. - In irgend einem Besitz des äußeren Gegenstandes muß ich sein, wenn der Gegenstand mein heißen soll; denn sonst würde der, welcher diesen Gegenstand wider meinen Willen affizierte, mich nicht zugleich affizieren, mithin auch nicht lädieren. (AA VI, 249) Die Art also, etwas außer mir als das Meine zu haben, ist die bloß rechtliche Verbindung des Willens des Subjekts mit jenem Gegenstande, unabhängig von dem Verhältnisse zu demselben im Raum und in der Zeit, nach dem Begriff eines intelligiblen Besitzes. (AA VI, 253/254)

Das Privateigentum als vernunftnotwendige Form des Besitzes beruht seiner Möglichkeit nach auf dem Begriff einer possessio noumenon. Der Verweis auf die intelligible Bedingung des äußeren Mein und Dein ist im Zusammenhang mit der Begründung der Möglichkeit eines Sachenrechts aber nicht mehr ausreichend, weil der Begriff des intelligiblen Besitzes „lediglich die Möglichkeit des Eigentumsrechts, nicht jedoch die konkrete Berechtigung bezüglich einer bestimmten Sache begründet."489 Die mit dem Sachenrecht gegebene Befugnis, andere vom Gebrauch einer Sache wirksam ausschließen zu können, reagiert auf die Möglichkeit, daß meine eigene gesetzliche Freiheit durch einen als möglich angenommenen beliebigen Gebrauch jener Sache durch andere zerstört wird. Nur weil es möglich ist, mir durch einen solchen Gebrauch der Sache Unrecht zu tun, 487

488

489

Kant, ebd., spricht von der „vereinigte^] Willkür aller in einem Gesamtbesitze". Nach Beck, Commentar, S. 205 ist der Gesamtbesitz gar nichts anderes, als der „vereinigte Wille aller ... in Ansehung der Regeln für den Privatgebrauch der Sachen". A A VI, 267. Beides - der Gesamtbesitz und das „austeilende Gesetz des Mein und Dein" - muß natürlich auf den Boden bezogen werden. Kühl, S. 192.

Die ursprüngliche Erwerbung

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auch wenn ich selbst nicht im Besitz der Sache bin, muß das Recht in einer Sache eine Ausschlußbefugnis enthalten. Diese Befugnis hängt in ihrer Möglichkeit aber nicht vom Begriff des intelligiblen Besitzes ab. Die possessio noumenon zeichnet ja nur die Beziehung, in der ich mich zu dem Gegenstand befinde als rechtliche aus: ich besitze die Sache rechtlich, d.h. unabhängig von der Inhabung. Wer die Sache ohne meine Zustimmung gebraucht, lädiert mich. Sofern ich aber durch mein Recht befugt sein soll, alle anderen von jedem Privatgebrauch der Sache auszuschließen, müssen diese als in irgendeiner Beziehung zum Gegenstand stehend gedacht werden. Diese Beziehung ist nun der „ursprüngliche oder gestiftete Gesamtbesitz"490. Der Gesamtbesitz bedeutet mithin kein Recht an der Sache, er schafft vielmehr den rechtsrelevanten Sachverhalt der möglichen Rechtsverletzung durch jeden möglichen Mitbesitzer einer Sache und damit die Notwendigkeit, andere durch sein Recht vom Gebrauch der Sache ausschließen zu können: da ich befugt bin, Rechtsverletzungen abzuwehren, darf ich andere Besitzer auch vom Gebrauch des rechtlich Meinen wirksam ausschließen. Der ursprüngliche Gesamtbesitz ist weder mit dem Begriff eines intelligiblen Besitzes identisch, noch ist er ein bloßer empirischer Besitz. Er ist eine Idee oder ein „praktischer Vernunftbegriff': Der Begriff einer „communio possessionis originaria" ist „nicht empirisch und von Zeitbedingungen abhängig ..., wie etwa der gedichtete, aber nie erweisliche eines uranfänglichen Gesamtbesitzes (communio primaeva), sondern ein praktischer Vemunftbegriff, der a priori das Prinzip enthält, nach welchem allein die Menschen den Platz auf Erden nach Rechtsgesetzen gebrauchen können."491 Er bildet als Idee das argumentationslogische Korrelat der Idee des allgemeinen Willens und ermöglicht es so, „die das Ver490

4,1

Der Gesamtbesitz ist als ursprünglich zu denken, wenn im Naturzustand körperliche Gegenstände ursprünglich sollen erworben werden können. Er kann aber im bürgerlichen Zustand als gestiftet gelten. AA VI, 262. Der Gesamtbesitz ist also keine besondere Form der possessio noumenon, wie einige Interpreten angenommen haben. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 268, spricht zutreffend von einer „empirisch-intelligiblen Doppelnatur" des ursprünglichen Gesamtbesitzes: „Der Gemeinbesitz ist ursprünglich, durch keinen rechtlichen Akt konstituiert, eine Vernunftidee, ,nicht empirisch und von Zeitbedingungen abhängig'..., aber als ursprüngliche Bodengemeinschaft gleichwohl nicht von der natürlichen Beschaffenheit des menschlichen Lebensraumes ablösbar." Ähnlich interpretiert Luf, S. 89, den ursprünglichen Gesamtbesitz als einen praktischen Vemunftbegriff (d.h. eine Idee), „der das für die Grundlegung der Normativität privaten Sachgebrauchs maßgebliche Prinzip der Intersubjektivität sowohl in seinen sinnlichen als auch in seinen intelligiblen Aspekten, und zwar in der Einheit ihres wechselseitigen Bezuges zu erfassen sucht." Nach Kaulbach, S. 146, wird durch „das Adjektiv .ursprünglich ... der Begriff des empirische Besitzes auf alle Menschen überhaupt ausgedehnt ... und dadurch apriorisiert bzw. idealisiert, daß er [zur] Charakterisierung der vorgeschichtlichen ,Natur' des Menschen überhaupt herangezogen wird." Sowohl Kühl, S. 193, als auch Lehmann, S. 205, bestimmen den ursprünglichen Gesamtbesitz fälschlich als intelligiblen Besitz, wobei Lehmann umstandslos den Gesamtbesitz als Idee und den intelligiblen Besitz identifiziert: „... der Gesamtbesitz als Idee ist kein empirischer, sondern ein intelligibler Besitz. Oder umgewendet: jeder besondere intelligible Besitz hat einen intelligiblen Gesamtbesitz zur Voraussetzung: Woraus ersichtlich ist, daß die Idee der communio originaria bereits zur Begriffsbestimmung des intelligiblen Besitzes gehört..."

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

teilungsproblem auslösende ,empirische[] Gemeinschaft des Bodens'" und die „Rechtsbedingungen einer freiheitsgesetzlichen Verteilungsregelung"492 aufeinander zu beziehen. Die Gründe, die Kant dazu geführt haben, den ursprünglichen Gesamtbesitz als communio fundi originaria zu bestimmen, sind nun noch näher zu erörtern. Kant wendet sich diesem Problem in §12 zu. Unter dem Begriff einer Sache, so muß vorausgesetzt werden, können sowohl bewegliche, als auch unbewegliche Gegenstände verstanden werden. Ein Jmmobile" ist eine Sache, die der Materie nach unbeweglich ist.493 Beweglich ist eine Sache, wenn sie bewegt werden kann, ohne daß sie dabei ihrer Materie nach „zerstört" wird, wie etwa „ein Baum, Haus usw."494 Die unbewegliche Sache schlechthin ist der Erdboden495. Er kann nicht bewegt werden, ohne ihn seiner Materie nach zu zerstören. Kant bestimmt nun das Verhältnis von Immobilien (dem Boden) und Mobilien (den beweglichen Sachen auf dem Boden) analog der ontologischen Differenzierung von Substanz und Akzidenz: Bewegliche Gegenstände inhärieren dem Immobile „Boden" wie Akzidenzen der Substanz: „sowie im theoretischen Sinne die Accidenzen nicht außerhalb der Substanz existieren können, so kann im praktischen das Bewegliche auf dem Boden nicht das Seine von jemandem sein, wenn dieser nicht vorher als im rechtlichen Besitz desselben befindlich (als das Seine desselben) angenommen wird."496 Der Besitz des Bodens soll die Bedingung dafür sein, äußere beweglichen Willkürgegenständen als ein äußeres Mein und Dein erwerben zu können. Der rechtliche Privatbesitz einer äußeren Sache resultiert aus dem Verbot, äußere Willkürgegenstände objektiv zu res nullius machen zu können. Solche Gegenstände dem rechtlich möglichen Gebrauch durch andere schlechthin zu entziehen, stellt eine Rechtsverletzung dar. Nun wäre paradoxerweise eine solche Rechtsverletzung rechtlich möglich - d.h. ohne ein Unrecht zu begehen - wenn die ursprüngliche Erwerbung ausschließlich auf bewegliche Sachen bezogen würde und der Boden herrenlos bliebe: „Denn setzet, der Boden gehöre niemandem an; so werde ich jede bewegliche Sache, die sich auf ihm befindet, aus ihrem Platze stoßen können, um ihn selbst einzunehmen, bis sie sich gänzlich verliert, ohne daß der Freiheit irgend eines anderen, der jetzt gerade nicht Inhaber desselben ist, dadurch Abbruch geschieht ,.."497 Mit anderen Worten: das äußere Mein und Dein würde rechtlich unmöglich gemacht. Da dies aber (dem Postulat zufolge) nicht 492 493

494 495 496 497

Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 268/269; Verweis auf AA XXIII, 314. Würde man ein Jmmobile" eine Sache nennen, „die ohne Zerstörung ihrer Form nicht bewegt werden kann", so würde „das Mein und Dein an jener [Sache] nicht von der Substanz, sondern dem ihr Anhängenden verstanden, welches nicht die Sache selbst ist." (AA VI, 262; Hervorhebung von mir). AA VI, 262. Unter „Boden" ist „alles bewohnbare Land" zu verstehen; vgl. ebd., 261. Ebd. Ebd., 262.

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sein kann, folgt, daß das Recht an äußeren beweglichen Sachen ursprünglich den Besitz des Bodens, auf dem sie sich befinden, voraussetzt.498 Sollen also äußere Gegenstände der Willkür erworben werden können, dann gilt insbesondere, daß auch der Boden, auf dem sich alle beweglichen Gegenstände notwendig befinden, muß erworben - und zwar ursprünglich erworben - werden können. Diese Voraussetzung des äußeren Mein und Dein läßt sich unmittelbar zeitlich interpretieren: „Die erste Erwerbung einer Sache kann keine andere als die des Bodens sein."499 D.h. damit überhaupt ein äußeres Mein und Dein möglich ist, muß zuvor der Boden - nicht nur der Möglichkeit nach, sondern wirklich - rechtlich besessen bzw. erworben werden. Der empirische Akt, durch den das Subjekt ein Stück Boden ursprünglich erwirbt, wäre also eine prima occupatio oder eine Bemächtigung, die jeder anderen Erwerbung vorhergehen muß.500 Gemäß dem Postulat sind äußere Gegenstände der Willkür - und insbesondere Sachen - ein mögliches Mein oder Dein. Da nicht jede Erwerbung einer Sache abgeleitet sein kann, so muß es möglich sein, zumindest einige Sachen ursprünglich zu erwerben. Da nun der Boden - wie gezeigt - ursprünglich vor jeder beweglichen Sache auf dem Boden erworben werden muß, so ergibt sich unmittelbar, daß der Satz: „Ein jeder Boden kann ursprünglich erworben werden" sich „auf dem Postulat der praktischen Vernunft"501 gründet. Da die Erwerbung des Bodens die Voraussetzung dafür ist, äußere Gegenstände überhaupt ursprünglich erwerben zu können und jeder äußere Gegenstand der Willkür ein mögliches äußeres Mein oder Dein ist, so folgt unmittelbar, daß Jeder Boden" ursprünglich erworben werden können muß. Das Postulat verbürgt aber nur die Möglichkeit, daß der Boden ursprünglich erworben werden kann. Der „Grund der Möglichkeit dieser Erwerbung" ist aber wiederum „die ursprüngliche Gemeinschaft des Bodens überhaupt".502 Dieses Konzept der ursprünglichen Bodengemeinschaft wird von Kant in §13 näher erläutert. Dabei gilt es, zwei Gesichtspunkte hervorzuheben: zum einen ist die Besitzgemeinschaft als ursprüngliche Besitzgemeinschaft zu rechtfertigen, zum anderen muß begründet werden, warum hier von einer Besitzgemeinschaft zu sprechen ist. Zum ersten Punkt: Der ursprüngliche Besitz verdankt sich nicht einem rechtlichen Akt des „Besitzers", sondern gleichsam einem „Akt der 4,8

500

501 502

Damit ist nicht gesagt, daß der Boden nur als Privateigentum besessen werden darf. Wie Beck, Commentar, S. 207, völlig zutreffend bemerkt, kann der Akt der ursprünglichen Erwerbung des Bodens auch darin bestehen, „daß durch ihn ein jeder vom Privatgebrauche des Bodens ausgeschlossen und derselbe für subjectiv-herrenlos, (für einen bloßen Gesammtbesitz Aller,) erklärt wird, nach welchem rechtlichen Act es allererst Unrecht wäre, die Sache eines Andern von dem Platze zu stoßen, auf dem sie steht." AA VI, 261 (Überschrift). Vgl. ebd., 263f. Die „ursprüngliche Erwerbung .. eines abgemessenen Bodens durch Bemächtigung" steht natürlich auch unter der Bedingung der Appropriation durch den „a priori vereinigten ... absolut gebietenden Willen" aller (ebd.). Ebd., 262. Ebd. (Hervorhebung von mir).

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

Natur". Der ursprüngliche Besitz des Bodens ist kein rechtlicher Besitz, sondern ein rechtmäßiger. „Alle Menschen sind ursprünglich (d.i. vor allem rechtlichen Akt der Willkür) im rechtmäßigen Besitz des Bodens, d.i. sie haben ein Recht, da zu sein, wohin sie die Natur oder der Zufall (ohne ihren Willen) gesetz hat."503 Die Menschen können einander durch ihr bloßes Dasein auf Erden kein Unrecht tun. Da das bloße Dasein keinen Akt des Subjekts voraussetzt, muß der ursprüngliche Besitz („possessio") „vom Sitz (sedes) als einem willkürlichen, mithin erworbenen dauernden Besitz" unterschieden werden.504 Wie aber folgt aus dem Recht jedes Subjekts, „da zu sein, wohin ... die Natur oder der Zufall" es gesetzt haben, ein „ursprünglicher und gemeinsamer" Besitz? „Es ist ein gemeinsamer Besitz, wegen der Einheit aller Plätze auf der Erdfläche als Kugelfläche: weil, wenn sie eine unendliche Ebene wäre, die Menschen sich darauf so zerstreuen könnten, daß sie in gar keine Gemeinschaft miteinander kämen, diese also nicht eine notwendige Folge von ihrem Dasein auf Erden wäre."505 Die Einheit der Erdoberfläche als gemeinsamer Platz der empirischen Menschheit ist dadurch gegeben, daß die Menschen auf der endlichen Kugelfläche der Erde (zumindest potentiell) in einem unvermeidlichen wechselseitigen Willkürverhältnis stehen. Dies ist gleichsam die oberste empirische Bedingung des Rechts, weil andernfalls das Rechtsproblem (eine Lösung für die allseitige unvermeidliche Freiheitsaffektion zu finden) gar nicht bestehen würde. Nur weil es jenes Wechselverhältnis der äußeren Willkür unter den empirischen Bedingungen der Menschheit auf Erden gibt, ist die Etablierung rechtlicher Verhältnisse notwendig; nur deswegen muß aus dem angeborenen Recht ein Privatrecht und ein öffentliches Recht aus reiner praktischer Vernunft entwickelt werden.

3.3 Ursprüngliche Erwerbung und allgemeiner Wille In der Lehre von der ursprünglichen Erwerbung kommt in ausgezeichneter Weise das Problem der Vermittlung von subjektivem Recht (dem Mein oder Dein) und Rechtsidee zur Darstellung. Eine der Rechtsidee angemessene Einheit subjektiven Rechts erfordert das objektive Recht, d.h. die Sicherung des Mein und Dein in einem Zustand, in dem gemäß der Idee der Vereinbarkeit der allseitigen äußeren Willkürfreiheit (d.i. der Rechtsidee), jedem das Seine bestimmt und gesichert wird. Das entscheidende Organisationsprinzip der rechtlichen Ordnung ist der allgemeine Wille. Er ist sowohl das praktische Prinzip, unter dem die ursprüngliche rechtliche Erwerbung äußerer Gegenstände im Naturzustand allein möglich ist, als auch das Prinzip, dessen Wirklichkeit in einer öffentlichen Gesetzgebung erst 503 504 505

Ebd. Ebd. Ebd.

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denjenigen Zustand schafft, in dem es möglich ist, Äußeres als das Seine gesichert zu haben. Soll es überhaupt ein Recht der Menschen in Bezug auf Sachen geben, d.h. soll es überhaupt Eigentumsrechte geben, dann muß der allgemeine Wille als wirksames Rechtsprinzip vorausgesetzt werden. Der allgemeine Wille ist daher nicht nur Prinzip des öffentlichen Rechts (wie bei Rousseau), sondern bei Kant gerade auch des Privatrechts. Mit anderen Worten: Nicht nur die peremtorische Besitzordnung im bürgerlichen Zustand, sondern auch schon die provisorische Erwerbung im Naturzustand setzen jenes Prinzip voraus. Jedes äußere dingliche Mein und Dein verdankt sich der Appropriation durch die volonté générale. Im Begriff des allgemeinen Willens - und speziell in seiner Bedeutung fur die ursprüngliche Erwerbung von Sachen - liegt der Schlüssel für die in der KantForschung umstrittene Frage nach den Voraussetzungen des Staatsbegründung. Kant sagt ausdrücklich, daß fur die Befugnis, andere in einen bürgerlichen Zustand zu nötigen, ein provisorisches äußeres Mein und Dein - und also auch ein provisorisches Eigentumsrecht - vorausgesetzt werden muß. Nun ist der allgemeine Wille bei Kant aber nicht erst die Idee nach subjektive Rechte im bürgerlichen Zustand möglich sind, sondern ist die Idee, nach der Rechte überhaupt - sowohl im status naturalis, als auch im status civilis - möglich sind. Kant sagt in §14 der Rechtslehre ausdrücklich, daß nur nach dem Prinzip eines „notwendig vereinigtein] und darum gesetzgebende[n] Wille[ns] ... Übereinstimmung der freien Willkür eines jeden mit der Freiheit von jedermann, mithin ein Recht überhaupt und also auch ein äußeres Mein und Dein möglich" ist.506 Es läßt sich jedoch sogleich der Einwand machen, daß auch nicht-sachliche Rechte einen solchen Zwang erlauben und daß insbesondere auch mein angeborenes Recht mir eine Erlaubnis gibt, andere in einen gemeinsamen Zustand zu nötigen, in dem die allseitigen Rechte gesichert sind. Kant scheint allerdings sowohl im Privatrecht selbst, als auch beim Übergang vom Privatrecht zum öffentlichen Recht der „Metaphysik der Sitten" den Nachweis der Befugnis des Subjekts, andere in einen Zustand des öffentlichen Rechts zu nötigen, allein aus dem (provisorischen) Sachenrecht ableiten zu wollen. In diesem Punkt kann aber bestenfalls von einer innerhalb der „Metaphysik der Sitten" unaufgelösten Spannung zwischen der eigentumszentrierten Staatsbegründung und dem am angeborenen Recht orientierten Naturzustandsargument gesprochen werden. Um hier zu einer eindeutigen Auflösung dieser Spannung zu kommen - und zwar zugunsten der Fundierung des Staatsimperativs im angeborenen Recht - muß die Funktion des allgemeinen Willens in Kants Eigentumstheorie genauer untersucht werden. Es zeigt sich dann, daß die Idee der Rousseauschen volonté générale als eines „notwendig zu vereinigenden Willens" gar nichts anderes ist, als die Idee des Staates selbst. Die

506

Ebd, 263.

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Vorstellung der notwendig zu vereinigenden Willkür bedeutet, daß es praktisch notwenig ist, die subjektive Willkür einem solchen allgemein gesetzgebenden Willen zu unterwerfen, daß es also a priori Rechtspflicht ist, mit allen anderen in einen bürgerlichen Zustand einzutreten. Die Notwendigkeit der Vereinigung der Rechtssubjekte zu einem Staat ist aber nicht Ergebnis oder Konsequenz ihres subjektiv-rechtlichen Besitzwillens, sondern dessen Voraussetzung. Nicht nur die peremtorische Erwerbung im Staat, sondern die provisorische Erwerbung im Naturzustand und das dadurch begründete äußere Mein und Dein enthalten bereits die Idee des Staates. Auf diese Weise ist der Staat in der Idee in jedem äußeren Mein und Dein bereits vorausgesetzt und bedingt dessen (ursprüngliche) Erwerbung. Obwohl aber der Staat in der Idee die Bedingung des äußeren Mein und Dein ist, so können doch nur im Naturzustand äußere Gegenstände (der Boden) ursprünglich erworben werden. Eine solche Erwerbung muß zwar gemäß dem Postulat rechtlich-möglich sein, d.h. sie ist eine „wahre Erwerbung"507, sie gilt aber nur provisorisch. Kant hatte bereits in den §§8 und 9 ein provisorisches und ein peremtorisches äußeres Mein und Dein unterschieden. Diese Unterscheidung kann auch auf den Begriff der Erwerbung angewendet werden. Dabei ist zunächst von der Pflicht der Subjekte auszugehen, in einen öffentlich-rechtlichen Zustand einzutreten: Die bürgerliche Verfassung, obzwar ihre Wirklichkeit subjektiv zufallig ist, ist gleichwohl objektiv, d.i. als Pflicht notwendig. Mithin gibt es in Hinsicht auf dieselbe und ihre Stiftung ein wirkliches Rechtsgesetz der Natur, dem alle äußere Erwerbung unterworfen ist. (AA VI, 264) Das Rechtsgesetz der Natur ist der hobbesianische Staatsimperativ: exeundum est e statu naturali. Diesem Gesetz nun soll alle äußere Erwerbung unterworfen sein und zwar insofern, als jede äußere Erwerbung rechtlich nur im Hinblick auf die Gründung und die Prinzipien des Staates legitim ist. Die rechtliche Erwerbung steht notwendig unter dem Vorbehalt ihrer möglichen Billigung durch den als oberste rechtliche Bedingung der Gesetzgebung zu verwirklichenden allgemeinen Willen. Hinsichtlich der Privatrechtsbegründung unterscheidet sich Kant in diesem Punkt deutlich von Hobbes. Für diesen war der Naturzustand ein rechtlich widersprüchlicher Zustand, so daß in ihm von einem äußeren Mein oder Dein keine Rede sein konnte. Privateigentum konnte es nur unter der Bedingung einer äußeren jedermann unwiderstehlich zwingenden Gewalt - dem Leviathan - geben. Also nur im Staat, aber nicht schon „in Hinsicht a u f denselben und seine „Stiftung", war fìir Hobbes ein Eigentumsrecht möglich. Die direkte Gegenposition zu Hobbes' Leugnung der Möglichkeit von Eigentum im Naturzustand war von John Locke bezogen worden. Für Locke ist die ursprüngliche Erwerbung des Bodens 507

Ebd., 264.

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im Naturzustand aber nicht bloß provisorisch gültig, sondern sie ist bereits peremtorisch. 508 Das Erfordernis, eine provisorische Erwerbung als gültig im Naturzustand anzunehmen, ergibt sich bei Kant zunächst daraus, daß einerseits die Etablierung eines öffentlich-rechtlichen Zustands a priori Pflicht ist, daß aber andererseits Äußeres (der Boden) muß ursprünglich erworben werden können. Im bürgerlichen Zustand kann es keine ursprüngliche Erwerbung geben, d.h. in diesem Zustand ist jede Erwerbung abgeleitet. Zugleich aber stehen auch nicht-peremtorische subjektive Rechte unter der Bedingung des allgemeinen Willens. Kant zeigt dies am deutlichsten am Beispiel der ursprünglichen (provisorischen) Erwerbung eines äußeren Mein und Dein. Der empirischen Titel der ursprünglichen Erwerbung ist „die auf ursprüngliche Gemeinschaft des Bodens gegründete physische Besitznehmung (apprehensio physica)" 509 , d.h. die „Bemächtigung". Um durch Bemächtigung ein äußeres Mein zu begründen, ist es erforderlich, den physischen Akt der Besitznehmung unter den Vernunftbegriff des Rechts zu bringen. Wie aus §7 bekannt, kann aber nur ein „ Verstandesbegriff unter Rechtsbegriffe subsumiert werden" 510 . Daher muß auch hinsichtlich der Erwerbung dem empirischen Begriff einer solchen Handlung ein intelligibler „korrespondieren": So wie „dem Besitz nach Vemunftbegriffen des Rechts nur ein Besitz in der Erscheinung untergelegt werden kann", entspricht auch der apprehensio physica der Begriff einer „intellektuellen Besitznehmung (mit Weglassung aller empirischen Bedingungen in Raum und Zeit)" 511 . Nur unter dieser Bedingung kann der Satz begründet werden: „Was ich nach Gesetzen der äußeren Freiheit in meine Gewalt bringe, und will, es solle mein sein, das wird mem. Der „Vernunfttitel der Erwerbung" ist die „Idee eines a priori vereinigten (notwendig zu vereinigenden) Willens aller".513 Diese Idee muß als „unumgängliche Bedingung" des äußeren Mein und Dein vorausgesetzt werden, da sich andernfalls gar nicht denken läßt, wieso die bloß einseitige empirische Besitz508

Es ist für die Lockesche Position charakteristisch, daß sie über gar keine der Kantischen entsprechende Unterscheidung von Privatrecht und öffentlichem Recht verfügt. So gibt es insbesondere für das Eigentum keinen Vernunfttitel der Erwerbung (es sei denn den Besitz der eigenen Person), der den empirischen Titel der Bemächtigung (bei Locke: der Bearbeitung) erganzen müßte, um eine Rechtspflicht für alle anderen zu stiften. Ein weiteres Indiz dafür, daß der Zustand, in dem die Subjekte ihre Rechte ausüben, für die Gültigkeit des Rechts keine Rolle spielt, ist, daß es für Locke eine subjektive Strafbefugnis im Naturzustand gibt. Diese wird - wie auch der Schutz des property (=life, liberty, estate) - lediglich durch den Staatsvertrag an die Regierung übertragen. Für Kant dagegen ist die Strafbefugnis ein genuines Recht der öffentlichen Gewalt. Im Naturzustand haben die Subjekte keine solche Befugnis. 509 AA VI, 264. 510 Ebd., 253. 5,1 Ebd., 264. 512 Ebd. 5 " Ebd.

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nehmung ein Recht begründen kann, das eine Befugnis enthält, alle anderen vom Gebrauch der erworbenen Sache abzuhalten: „denn durch einseitigen Willen kann anderen eine Verbindlichkeit, die sie für sich sonst nicht haben würden, nicht auferlegt werden."514 Hinsichtlich des subjektiven Rechts, das durch den empirischen Akt der Erwerbung unter den genannten Prinzipien des Rechts erworben wurde, ist zu unterscheiden, in welchem Zustand sich die Subjekte als Träger von Rechten miteinander befinden. Die Subjekte befinden sich entweder in einem Zustand unter einem wirklich zur Gesetzgebung vereinigten Willen aller oder nicht. Im letzteren Fall unterliegen sie einer Rechtspflicht a priori, in einen solchen Zustand einzutreten. Den Zustand, in dem der Wille aller noch nicht zu einer wirklichen Gesetzgebung vereinigt ist, nennt Kant in Übereinstimmung mit der Tradition „Naturzustand" - in spezifisch kantischer Terminologie: „privatrechtlicher Zustand". In diesem Zustand ist der allgemeine Wille als Idee, d.h. als Prinzip, nach dem allein ein äußeres Mein und Dein möglich ist, wirksam - und zwar auf zweierlei Weise: Zum einen bildet die Idee des allgemeinen Willens ein Element des allgemeinen Prinzips der Erwerbung. Nur unter dieser Idee ist es möglich, einen äußeren Gegenstand als das Seine zu erwerben. Zum anderen betrifft die Idee des allgemeinen Willens aber auch den Zustand, in den die Subjekte treten sollen. Die Idee eines „notwendig zu vereinigenden Willens" bedeutet gar nicht anderes, als daß es a priori Pflicht ist, den bloß privatrechtlichen Zustand zu verlassen und in einen öffentlich-rechtlichen Zustand einzutreten. Diese Pflicht besteht zweifellos ganz unabhängig davon, ob die Subjekte etwas Äußeres erworben haben bzw. etwas Äußeres besitzen. Denn der Grund der Notwendigkeit, in den status civilis einzutreten, ergibt sich nach Kant „analytisch aus dem Begriffe des Rechts im äußeren Verhältnis im Gegensatz der Gewalt (violentia)"515, nicht aber aus dem äußeren Besitz. Daraus ergibt sich unmittelbar, daß die Wirklichkeit des Eigentums keine Bedingung der Pflicht sein kann, in den Staat einzutreten. Es folgt jedoch noch nicht, daß die Notwendigkeit, einen äußeren Gegenstand der Willkür als das Seine haben zu können (d.h. das Postulat) nicht doch eine Voraussetzung des Staatsimperativs sein kann. „Der Zustand ... eines zur Gesetzgebung allgemein wirklich vereinigten Willens ist der bürgerliche Zustand."516 Im Gegensatz dazu kennzeichnet es den Naturzustand, daß die Wirklichkeit jenes Willens als Gesetzgeber nicht gegeben ist. Im Naturzustand ist der allgemeine Wille Prinzip der ursprünglichen Erwerbung. Im bürgerlichen Zustand ist er das ideale Prinzip der Gesetzgebung. Wenn Kant daher sagt, daß „nur in Konformität mit der Idee eines bürgerlichen Zustandes, d.i. in Hinsicht auf ihn und seine Bewirkung, aber vor der Wirklichkeit desselben (denn sonst wäre die Erwerbung abgeleitet), mithin nur provisorisch ... 5,4 515 516

Ebd. Vgl. ebd., 307. Ebd., 264.

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etwas Äußeres ursprünglich erworben werden [kann]"517, so bedeutet dies, daß die Erwerbung im Naturzustand nicht im Gegensatz zu einer durch einen wirklich vereinigten, allgemein gesetzgebenden Willen im Staat gegebenen Besitzordnung stehen kann. Die Bemächtigung, sofern sie unter den von Kant genannten rechtlichen Prinzipien der praktischen Vernunft erfolgt, entbehrt also nicht gänzlich jeder rechtlichen Qualität. Sie ist eine „wahre Erwerbung", wenn und insofern sie den rechtlichen Kriterien der Apprehension und der Deklaration genügt und der Gegenstand außerdem durch einen möglichen allgemeinen Willen zugeeignet werden kann. Ist der empirische Akt der Erwerbung gemäß dem Rechtsgesetz und dem Postulat rechtlich, so kann unter der Idee des allgemeinen Willens der einseitige Akt der Bemächtigung (apprehensio physica; prima occupatio) als rechtliche Erwerbung angesehen werden. Unter den von Kant im allgemeinen Prinzip der Erwerbung genannten, aus der Vernunft hervorgegangenen Rechtsbedingungen des äußeren Gegenstandsgebrauchs korrespondiert dann dem „Besitz in der Erscheinung" der Begriff einer „intellektuellen Besitznehmung". Mit anderen Worten: Die Besitzergreifung läßt sich - gemäß dem Grundsatz: „Was ich nach Gesetzen der äußeren Freiheit in meine Gewalt bringe, und will, es solle mein sein, das wird mein" - dem Rechtsbegriff des äußeren Mein und Dein subsumieren.518 Unter den genannten Bedingungen wird der Schluß „vom sensibelen auf den intelligibelen Besitz richtig geführt", d.h. es wird ein wahres Mein oder Dein begründet. Die Unterscheidung von provisorischer und peremtorischer Erwerbung betrifft also nicht den Unterschied von empirischem Titel der Erwerbung und Vernunfttitel der Erwerbung. Sondern auch die provisorische Erwerbung basiert als wahre Erwerbung auf deren Vernunfttitel (der Idee des allgemeinen Willens). Die Unterscheidung von provisorischer und peremtorischer Erwerbung ist ausschließlich vom Begriff des allgemeinen Willens her zu verstehen. Die Realisierung dieses Willens als Subjekt einer allgemeinen Gesetzgebimg ist praktisch notwendig, d.h. fur jedes Subjekt ist es Pflicht, in einen Zustand unter der Gesetzgebung des allgemeinen Willens einzutreten. Die Gesetzgebung durch den allgemeinen vereinigten Willen ist objektiv notwendig, aber subjektiv zufällig. Dies bedeutet, daß die Wirklichkeit jener Idee (der öffentlich-rechtliche Zustand; der Staat) von den rechtsgesetzlichen Handlungen der Subjekte abhängt und von diesen allererst gestiftet werden muß. Die Idee des allgemein-vereinigten Willens ist aber zugleich die Norm für die Erwerbung bzw. fur die Begründung eines äußeren Mein oder Dein auch in einem Zustand, in dem dieser Wille noch keine Wirklichkeit hat. Da es die Norm ist, die das Recht als Befugnis, andere verpflichten zu können, begründet (und nicht umgekehrt), so ist der allgemeine Wille als Prinzip ursprüng517 5,8

Ebd. Ebd.

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licher als das äußere Mein und Dein. D.h. dieses Vernunftprinzip reagiert nicht erst auf die faktische Unsicherheit der empirisch erworbenen äußeren Habe, sondern es ist bereits Bedingung der Möglichkeit des rechtlichen Haben-Könnens äußerer Gegenstände überhaupt. Kant nennt die provisorische Erwerbung eine „wahre" Erwerbung, weil sie die gleichen subjektiv-rechtlichen Merkmale aufweist, wie eine peremtorische Erwerbung. Auch aufgrund eines provisorisch erworbenen äußeren Mein oder Dein ist das Subjekt befugt, gegen andere Zwang auszuüben: „nach dem Postulat der rechtlich-praktischen Vernunft ist die Möglichkeit [der Erwerbung], in welchem Zustande die Menschen nebeneinander sein mögen (also auch im Naturzustande), ein Prinzip des Privatrechts, nach welchem jeder zu demjenigen Zwange berechtigt ist, durch welchen es allein möglich wird, aus jenem Naturzustande herauszugehen, und in den bürgerlichen, der allein alle Erwerbung peremtorisch machen kann, zu treten." 519 Die Möglichkeit der Erwerbung basiert auf dem Postulat insofern eine (ursprüngliche) Erwerbung möglich sein muß, um überhaupt Äußeres wirklich als ein äußeres Mein oder Dein haben zu können. Das Postulat bezieht sich lediglich auf die Möglichkeit, Äußeres überhaupt rechtlich besitzen zu können und andere von dem Gebrauch des rechtlich Seinen ausschließen zu können. Um aber etwas Äußeres rechtlich haben zu können, muß ich es erst durch einen empirischen Akt meiner Willkür, der ein äußeres Mein begründet, in meinen Besitz bringen, d.h. ich muß es erwerben. Habe ich aber etwas erworben, so bin ich durch das Postulat (als Erlaubnisgesetz) befugt, „allen anderen eine Verpflichtung aufzulegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände [meiner] Willkür zu enthalten, weil [ich] zuerst sie in [meinen] Besitz genommen habe." 520 Mein durch die Erwerbung begründetes Recht enthält die Befugnis zu einem Zwang, „durch welchen es allein möglich wird, aus jenem Naturzustande herauszugehen, und in den bürgerlichen ... zu treten." Der Zwang, durch den dieser Übergang möglich sein soll, muß offensichtlich ein rechtlicher Zwang sein. Dies bedeutet zum einen, er muß dem Rechtsgesetz gemäß sein, d.h. dem anderen darf dadurch kein Unrecht geschehen. Die Befugnis, andere zu zwingen gründet zum anderen immer in einem Recht desjenigen, der den Zwang ausübt. Dieses Recht mag ein angeborenes oder ein erworbenes sein. Offenkundig spricht Kant an der zitierten Stelle in §15 ausschließlich vom erworbenen Recht. Nun hatte Kant in §2 festgestellt, daß das Postulat ein Erlaubnisgesetz ist, durch daß der rechtliche Besitzer einer Sache andere vom Gebrauch der Sache durch Zwang abhalten darf. Es ist klar, daß eine solche Befugnis - obwohl sie rechtlich ist - im Naturzustand in einem jederzeit möglichen Widerspruch zum Recht aller anderen steht. Eine an ein provisorisch erworbenes äußeres Mein und Dein geknüpfte Zwangsbefugnis ist für sich selbt 519 520

Ebd. Ebd., 247.

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kein Mittel, einen rechtlichen Zustand herzustellen. Sie ist nur dann ein Mittel der Rechtsverwirklichung, wenn sie unter dem Prinzip der Idee einer allgemeinen vereinigten Willkür steht. D.h. das Subjekt darf einen Zwang zum Schutz seiner äußeren Habe nur so ausüben, daß dadurch das unter der Bedingung der Möglichkeit der Appropriation des Äußeren durch einen allgemeinen Willen Erworbene ein peremtorisches äußeres Mein oder Dein werden kann. Die Unterscheidung von provisorischer und peremtorischer Erwerbung betrifft den Modus der Erwerbung. Nun kann aber auch gefragt werden, ob die von Kant vorgeschlagenen Prinzipien des Besitzes und der Erwerbung auch Anhaltspunkte für die quantitative Bestimmung der äußeren Habe enthalten. Diese Frage stellt sich zumal im Hinblick auf den Naturzustand bzw. die provisorische Erwerbung. Die Naturrechtstheoretiker vor Kant hatten zur Lösung dieses Problems externe Prinzipien herangezogen. So heißt es etwa bei Locke: „The measure of Property, Nature has well set, by the Extent of Mens Labour, and the Conveniency of Life·. No Mans Labour could subdue, or appropriate all: nor could his Enjoyment consume more than a small part".521 Der Rekurs auf die Arbeit und auf die Bedürfnisse des Lebens bzw. die Selbsterhaltung findet sich auch bei Rousseau: En général, pour autoriser sur un terrain quelconque le droit de premier occupant, il faut les conditions suivantes. Premièrement que ce terrain ne soit encore habité par personne; secondement qu'on n'en occupe que la quantité dont on a besoin pour subsister: En troisième lieu qu'on prenne possession, non par une vaine cérémonie, mais par le travail et la culture, seul signe de propriété qui au défaut de titres juridiques doive être respecté d'autrui.522

Für Kant kommen solche Prinzipien der Erwerbsbeschränkung nicht in Frage. Kant gibt folgende Antwort: die „Befugnis der Besitznehmung eines Bodens" erstreckt sich [s]o weit als das Vermögen, ihn in seiner Gewalt zu haben, d.i. als der, so ihn sich zueignen will, ihn verteidigen kann; gleich als ob der Boden spräche: wenn ihr mich nicht beschützen könnt, so könnt ihr mir auch nicht gebieten. Danach müßte also auch der Streit über das freie oder verschlossene Meer entschieden werden; z.B. innerhalb der Weite, wohin die Kanonen reichen, darf niemand an der Küste eines Landes, das schon einem gewissen Staat zugehört, fischen, Bernstein aus dem Grunde der See holen u. dgl. (AA VI, 265)

Die Befugnis der Besitznehmung hängt der Quantität nach also auch vom subjektiven physischen Vermögen des Erwerbenden ab, den Gegenstand in seiner Gewalt zu halten und ihn gegebenenfalls gegen andere zu verteidigen. Das Recht des Stärkeren, sich soviel aneignen zu dürfen, wie er gegen andere verteidigen 521

522

John Locke, Second Treatise, §36, in: ders., Two Treatises of Government, ed. Peter Laslett. Cambridge 1988. Jean-Jacques Rousseau, Du contrat social, in: Œuvres complètes, tome III, ed. Bernard Gagnebin et Marcel Raymond. Paris 1964, S. 366.

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2. Kapitel: Die Begründung des Eigentums in der „Metaphysik der Sitten"

kann, steht aber im eklatanten Widerspruch zum Rechtsgesetz. Die physischen Fähigkeiten des einen stehen ja in keinerlei prästabilierter Harmonie mit der äußeren gesetzlichen Freiheit der anderen. Das provisorische Recht bedingt daher auch die juridische Widersprüchlichkeit des Naturzustandes. Nun hat aber zunächst ,,[e]ine solche Erwerbung", die doch eine Form des Rechts des Stärkeren darstellt, „eine Gunst des Gesetzes (lex permissiva) in Ansehung der Bestimmung der Grenzen des rechtlich möglichen Besitzes für sich; weil sie vor dem rechtlichen Zustande vorhergeht und, als bloß dazu einleitend, noch nicht peremtorisch ist"523. Die „Gunst des Gesetzes" - und damit auch des Rechts des Stärkeren - reicht aber nicht weiter, als bis zur Etablierung eines status civilis durch die wirkliche Vereinigung der Willkür aller in einer allgemeinen Gesetzgebung. Die rechtlichen Befugnisse aus der lex permissiva richten sich nur gegen diejenigen, die sich der Vereinigung zu einer öffentlich gesetzgebenden Gewalt verweigern.

523

Ebd., 267.

3. Kapitel Die Begründung des Staates in der „Metaphysik der Sitten" Die Haupteinteilung der Rechtslehre der „Metaphysik der Sitten" ist diejenige in das Privatrecht und das öffentliche Recht. Die Prinzipien des Privatrechts sind soweit sie das äußere Mein und Dein überhaupt und speziell das Eigentum (Sachenrecht) betreffen - in den vorigen Abschnitten behandelt worden. Im folgenden soll es um das öffentliche Recht der „Metaphysik der Sitten" gehen. Beabsichtigt ist allerdings nicht eine vollständige inhaltliche Analyse dieses Teils der Rechtlehre. Sondern im Mittelpunkt der Untersuchung steht das, was Kant das „Postulat des öffentlichen Rechts" nennt. Von diesem Postulat sagt Kant, es würde „aus dem Privatrecht im natürlichen Zustande" hervorgehen. Zugleich ist es systematisch identisch mit dem von Hobbes erstmals formulierten Satz, daß es notwendig sei, aus dem Naturzustand herauszugehen („exeundum est e statu naturali") und sich einer öffentlichen Herrschaftsgewalt zu unterwerfen bzw. in einen öffentlich-rechtliche Zustand einzutreten. Es liegt daher nahe, die Unterscheidung von Privatrecht und öffentlichem Recht in der Rechtslehre mit der naturrechtlichen Differenzierung von status naturalis und status civilis gleichzusetzen. Dabei ist allerdings zu beachten, daß sich beide Unterscheidungen auf das Naturrecht beziehen. Das Naturrecht definiert Kant als das „nicht-statutarische, ... a priori durch jedes Menschen Vernunft erkennbare Recht"524. Es ist Teil der Rechtslehre überhaupt, die aber auch die Lehre des positiven Rechts umfaßt. Die „Metaphysik der Sitten" enthält nur die natürliche Rechtslehre.525 Die Gesetze des natürlichen Rechts sind solche, die zwar äußerlich sind (da sie nicht ethisch sind), die aber nicht notwendig auch äußerlich (durch einen äußeren Gesetzgeber) gegeben werden müssen. Die natürlichen Gesetze sind also äußere Gesetze, „zu denen die Verbindlichkeit auch ohne äußere Gesetzgebung a priori durch die Vernunft erkannt werden kann"526. Positive Gesetze sind solche, die nur verbinden, sofem sie wirklich äußerlich gegeben werden. Daraus ergibt sich sofort, daß das öffentliche Recht der „Metaphysik der Sitten" keine Lehre des positiven Rechts ist, d.h. die apriorischen Prinzipien des öffentlichen Rechts setzen keinen äußeren Gesetzgeber voraus. Wie bestimmt Kant nun das Privatrecht und das öffentliche Recht als Teile seiner natürlichen Rechtslehre? In einer Einteilungstafel am Anfang der Rechts524 525 526

Ebd., 296. Vgl. ebd., 229. Ebd., 224.

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3. Kapitel: Die Begründung des Staates in der „Metaphysik der Sitten"

lehre unterteilt Kant diese in das „Privatrecht in Ansehung äußerer Gegenstände" d.h. den „Inbegriff derjenigen Gesetze, die keiner äußeren Bekanntmachung bedürfen" und das „öffentliche Recht als dem „Inbegriff" der Gesetze, die einer öffentlichen Bekanntmachung bedürfen". 527 Letztere Bestimmung findet sich auch am Anfang des öffentlichen Rechts der „Metaphysik der Sitten" in §43. Darin präzisiert Kant: „Der Inbegriff der Gesetze, die einer allgemeinen Bekanntmachung bedürfen, um einen rechtlichen Zustand hervorzubringen, ist das öffentliche Recht."52* Kant fährt fort: Das öffentliche Recht „ist also ein System von Gesetzen für ein Volk, d.i. eine Menge von Menschen, oder für eine Menge von Völkern, die, im wechselseitigen Einflüsse gegeneinander stehend, des rechtlichen Zustandes unter einem sie vereinigenden Willen, einer Verfassung (constitutio), bedürfen, um dessen, was Rechtens ist, teilhaftig zu werden."529 Das öffentliche Recht ist also Inbegriff derjenigen Gesetze oder Bedingungen, die den Zustand der Menschen zu einem rechtlichen im Sinne des Suum cuique tribue machen. Der öffentlich-rechtliche Zustand ist derjenige, „worin jedermann das Seine gegen jeden anderen gesichert sein kann". Das „Seine" meint hier natürlich die Rechte der einzelnen Individuen. Daraus ergibt sich, daß das natürliche Privatrecht (das Privatrecht im natürlichen Zustande) die a priori durch jedes Menschen Vernunft erkennbaren Prinzipien des äußeren Freiheitsgebrauchs enthält, die außerdem keiner Bekanntmachung bedürfen, um verbindlich zu sein. Der Unterschied zum öffentlichen Recht besteht aber nun nicht darin, daß die Gesetze der letzteren einer „allgemeinen Bekanntmachung" bedürfen, um verbindlich zu sein. Denn auch die Gesetze des öffentlichen Rechts sind in Kants Rechtslehre natürliche Gesetze. Diese sind aber per definitionem a priori durch die Vernunft erkennbar. D.h. sie verbinden auch ohne allgemeine Bekanntmachung. Allerdings bedürfen die Gesetze des öffentlichen Rechts einer allgemeinen Bekanntmachung, um einen rechtlichen Zustand hervorzubringen. Die natürlichen Gesetze müssen hier also öffentlich gemacht werden, nicht um ihrer Verbindlichkeit willen, sondern um ihrer Wirkung willen. Die Wirkung der Gesetze des öffentlichen Rechts ist die Hervorbringung eines rechtlichen Zustands. Sie betreffen nicht eigentlich die Handlungen oder „Pflichten der Menschen unter sich", sondern „nur die rechtliche Form ihres Beisammenseins (Verfassung)" und daher müssen sie „notwendig als öffentliche gedacht werden".530 Privatrecht und öffentliches Recht stehen nicht in einem Konkurrenzverhältnis. Da Kant auch von einem privatrechtlichen und einem öffentlich-rechtlichen Zustand spricht, könnte man dies annehmen. Die natürlichen privatrechtlichen Gesetze bleiben in Kraft, auch wenn die Gesetze des 527 528 529 530

Ebd., 209. Ebd., 311; Hervorhebung von mir. Ebd. Ebd., 306.

3. Kapitel: Die Begründung des Staates in der „Metaphysik der Sitten"

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öffentlichen Rechts ihre Wirkung entfalten und einen rechtlichen Zustand hervorbringen. Die „Materie des Privatrechts", d.h. die Rechte und Pflichten der Menschen im wechselseitigen Verhältnis, bleibt im (öffentlich-)rechtlichen Zustand erhalten.531 Kant nennt den Naturzustand einen „Zustand des Privatrechts" und den bürgerlichen Zustand einen „Zustand des öffentlichen Rechts". Kant übernimmt die strikte Trennung von Naturzustand und bürgerlichem Zustand von Hobbes. Die Gleichsetzung dieser Unterscheidung mit derjenigen eines (natürlichen) Privatrechs und eines (natürlichen) öffentlichen Rechts ist gegen das deutsche Naturrecht und insbesondere gegen Achenwall gerichtet.532 Gegen diesen polemisiert Kant: Der nicht-rechtliche Zustand ... heißt der natürliche Zustand (status naturalis). Ihm wird nicht der gesellschaftliche Zustand (wie Achenwall meint), und der ein künstlicher (status artificialis) heißen könnte, sondern der bürgerliche (status civilis) ... entgegengesetzt; denn es kann auch im Naturzustande rechtmäßige Gesellschaften (z.B. eheliche, väterliche, häusliche überhaupt und andere beleibige mehr) geben, von denen kein Gesetz a priori gilt: ,Du sollst in diesen Zustande treten', wie es wohl vom rechtlichen Zustande gesagt werden kann, daß alle Menschen, die miteinander (auch unwillkürlich) in Rechtsverhältnisse kommen können, in diesen Zustand treten sollen.533 Man kann den ersteren und zweiten Zustand den des Privatrechts, den letzteren und dritten aber den des öffentlichen Rechts nennen. (AA VI, 306) Der öffentlich-rechtliche Zustand, ist ein Zustand, in den zu treten Pflicht ist. Dagegen befinden sich die Menschen ursprünglich (von Natur aus) immer schon in einem privatrechtlichen Zustand. Das Privatrecht schließt sowohl das Vertragsrecht, als auch das „auf dingliche Art persönliche Recht" ein. Beide natürlichen Privatrechtsarten ermöglichen es, mit anderen in eine rechtliche Gemeinschaft zu treten. Insgesamt ändert dies aber gar nichts daran, daß sie im Verhältnis zu allen anderen, die nicht Teil der privatrechtlich gestifteten Gemeinschaft sind, sich nach wie vor im Naturzustand befinden. Das Kriterium der Pflicht a priori, das Kant zur Unterscheidung des „natürlichen" gesellschaftlichen Zustande und des „rechtlichen" gesellschaftlichen Zustande heranzieht, muß aber erst noch gerechtfertigt werden. Zur vorläufigen terminologischen Unterscheidung von status naturalis und status civilis beruft Kant sich daher auf ein anderes - traditionell naturrechtliches - Merkmal: die distributive Gerechtigkeit: der „nicht-rechtliche" 531 532 533

Ebd.. Vgl. Achenwall, lus naturae, pars prior, §60 und AA XIX, 325.; femer AA VI, 242. Vgl. AA VIII, 289: „Verbindung vieler zu irgendeinem (gemeinsamen) Zwecke (den alle haben), ist in allen Gesellschaftsverträgen anzutreffen; aber Verbindung derselben, die an sich selbst Zweck ist (den ein jeder haben soll), mithin die in einem jeden äußeren Verhältnisse der Menschen Uberhaupt, welche nicht umhin können, in wechselseitigen Einfluß aufeinander zu geraten, unbedingte und erste Pflicht ist: eine solche ist nur in einer Gesellschaft, sofern sie sich im bürgerlichen Zustande befindet, d.i. ein gemeinsames Wesen ausmacht, anzutreffen."

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3. Kapitel: Die Begründung des Staates in der „Metaphysik der Sitten"

oder natürliche Zustand ist „derjenige, in welchem keine austeilende Gerechtigkeit ist". Dagegen ist der rechtliche Zustand ein Zustand „öffentlicher Gerechtigkeit", dessen Kern die justitia distributiva ist: Der rechtliche Zustand ist dasjenige Verhältnis der Menschen untereinander, welches die Bedingungen enthält, unter denen allein jeder seines Rechtes teilhaftig werden kann, und das formale Prinzip der Möglichkeit desselben, nach der Idee eines allgemein gesetzgebenden Willens betrachtet, heißt die öffentliche Gerechtigkeit, welche in Beziehung entweder auf die Möglichkeit oder Wirklichkeit oder Notwendigkeit des Besitzes der Gegenstände (als der Materie der Willkür) nach

Gesetzen, in die beschützende (iustitia tutatrix), die wechselseitig erwerbende (iustitia commutativa) und die austeilende eingeteilt werden kann. (AA VI, 305/306)

Gerechtigkeit

(iustitia distributiva)

Die natürlichen Gesetze des öffentlichen Rechts beziehen sich zunächst auf die Regelungsmaterie des Privatrechts: „Das Gesetz sagt hierbei erstens bloß, welches Verhalten innerlich der Form nach recht ist (lex iusti); zweitens, was der Materie nach auch äußerlich gesetzmäßig ist, d.i. dessen Besitzstand rechtlich ist (lex iuridica)". 534 Insoweit enthält das öffentliche Recht gar nicht „mehr oder andere Pflichten der Menschen unter sich, als [im Privatrecht] gedacht werden können" 535 . Sodann bezieht sich aber ausschließlich das öffentliche Recht auf die „rechtliche Form des Beisammenseins" und deren Prinzip ist nun die justitia distributiva. Also sagt das Gesetz im rechtlichen Zustand auch: „drittens, was und wovon der Ausspruch vor einem Gerichtshofe in einem besonderen Falle unter dem gegebenen Gesetze diesem gemäß, d.i. Rechtens ist (lex iustitiae), wo man denn auch jenen Gerichtshof selbst die Gerechtigkeit eines Landes nennt, und ob eine solche sei oder nicht sei, als die wichtigste unter allen rechtlichen Angelegenheiten gefragt werden kann." 536 Der rechtliche Zustand - dies war bereits angeklungen - ist nicht nur ein Zustand, in dem zu sein oder in den zu treten fur die Individuen im Naturzustand Pflicht ist. Sondern der Imperativ „exeundum est e statu naturali" gilt auch für Staaten. Insofern das öffentliche Recht der „Metaphysik der Sitten" die apriorischen Prinzipien enthält, die einer allgemeinen Bekanntmachung bedürfen, um einen rechtlichen Zustand hervorzubringen, wird Kants Rechtslehre auch die apriorischen Prinzipien für einen rechtlichen Zustand unter den Staaten enthalten müssen. Kant wird diesem Erforderais aber nicht nur dadurch gerecht, daß das öffentliche Recht das Völkerrecht enthält, sondern es muß darüber hinaus als Drittes auch noch ein Weltbürgerrecht enthalten. Auf diese innere Struktur von Kants öffentlichem Vernunftrecht soll hier abschließend noch eingegangen werden.

534 535 536

A A VI, 306. Ich folge hier der Textkorrektur von Natorp bzw. Vorländer. Ebd. Ebd.

3. Kapitel: Die Begründung des Staates in der „Metaphysik der Sitten"

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Das Staatsrecht bildet in der „Metaphysik der Sitten" den ersten Teil des öffentlichen Rechts. Staatsrecht und öffentliches Recht sind also keineswegs identisch. Insgesamt hat das öffentliche Recht drei Teile: das Staatsrecht (§§43-49), das Völkerrecht (§§53-61) und das Weltbürgerrecht (§62). Wenn Kant daher von der praktischen Notwendigkeit spricht, in einen öffentlich-rechtlichen Zustand einzutreten, so ist dies zweideutig. Es kann zum einen bedeuten, es sei notwendig, in einen staatsrechtlichen Zustand einzutreten; es kann zum anderen bedeuten, es sei notwendig, in einen Staats-, Völker- und Weltbürgerrecht umfassenden öffentlich-rechtlichen Zustand einzutreten. Beides ist natürlich nach Kant richtig. Kants Rechtslehre bezieht sich ja nicht nur auf die Befriedung staatlich verfaßter Gesellschaften nach Gesetzen der äußeren Freiheit, sondern ihr Zielpunkt ist eine weltumspannende vernünftige Rechtsordnung, eine Weltfriedensordnung, der „Ewige Friede" unter den Staaten. Das öffentliche Recht ist nach Kant als der Inbegriff derjenigen Rechtsbedingungen zu bestimmen, deren Zweck die Hervorbringung des „höchsten politischen Gut[s]", d.i. des „ewigen Frieden[s]", ist537; die „allgemeine und fortdauernde Friedensstiftung ... [macht] den „ganzen Endzweck der Rechtslehre innerhalb den Grenzen der bloßen Vernunft aus[]"538. In geschichtsphilosophischer Perspektive ist der Frieden das Produkt des Rechts, in rechtsphilosophischer ist er ratio essendi des Rechts im allgemeinen und des öffentlichen Rechts im besonderen. Der Appell, den Naturzustand zu verlassen und in einen öffentlich-rechtlichen Zustand einzutreten, richtet sich sowohl an Individuen, als auch an Staaten. Auch Staaten sind nach Kant äußerlich frei handelnde Rechtssubjekte (Personen), die den Gesetzen der rechtlich-praktischen Vernunft unterliegen. Sie befinden sich gleich den Individuen ursprünglich in einem Naturzustand, in dem eine ständige Kriegsgefahr herrscht.539 Für sie begründet das Gebot, den Naturzustand zu verlassen, allerdings keine Pflicht, sich einer äußerlich nach Gesetzen zwingenden Gewalt zu unterwerfen, sondern ist als Friedensimperativ auf das Eingehen von Bündnissen gerichtet. Kant ordnet das Staatsrecht in den Kontext einer solchen vemunftnotwendigen Weltfriedensordnung ein. Dies hindert allerdings nicht, die Begründung des Staates aus einem Zustand, in dem sich die Individuen „von Natur aus" befinden, unter Absehung von Kants Völker- und Weltbürgerrecht zu thematisieren. Dies soll hier geschehen. Obwohl im Folgenden also nur das Staatsrecht behandelt wird, sind im Hinblick auf die anderen beiden Teile des öffentlichen Rechts noch zwei Dinge anzumerken. Das erste betrifft die Systematik des öffentlichen Rechts bzw. der

537 558 539

Ebd., 355. Ebd. Wie weit die Analogie von Individuum und Staat in moralischer und rechtlicher Perspektive, vor allem hinsichtlich der Begründung der Notwendigkeit eines öffentlich-rechtlichen Zustandes tatsächlich geht, wäre Gegenstand einer eigenen Untersuchung.

162

3. Kapitel: Die Begründung des Staates in der „Metaphysik der Sitten"

Rechtslehre insgesamt, das zweite die Darstellungsweise. Kant weist in §43 der Rechtslehre ausdrücklich darauf hin, daß die drei Teile des öffentlichen Rechts keine genetische Stufenfolge bilden und in diesem Sinne aufeinander aufbauen, sondern daß sie in einem gegenseitigen normativen Bedingungsverhältnis stehen. Kant bestimmt das öffentliche Recht als den „Inbegriff der Gesetze, die einer allgemeinen Bekanntmachung bedürfen, um einen rechtlichen Zustand hervorzubringen"540. Diese Gesetze können sich nun entweder auf eine Menge von Menschen beziehen, sofern sie „im wechselseitigen Einflüsse gegeneinander stehenf]", oder auf eine ebensolche „Menge von Völkern" oder auf das wechselseitige Verhältnis von (einzelnen) Menschen und Völkern. Diesen drei Verhältnissen von Rechtssubjekten oder Personen können die drei Rechtsmaterien des öffentlichen Rechts: das Staatsrecht, das Völkerrecht und das Weltbürgerrecht, zugeordnet werden.541 Diese drei Teile des öffentlichen Rechts scheinen aufeinander aufzubauen oder genetisch auseinander hervorgehen, indem etwa das Völkerrecht (das nach Kant eigentlich „Staatenrecht (ius publicum civitatum)"542 heißen sollte), das Staatsrecht vorauszusetzen scheint. In diesem Sinne würde das Staatsrecht gleichsam die „materiale Grundlage" des Völkerrechts sein, Staatsrecht und Völkerrecht zusammen die des Weltbürgerrechts. Diese Auffassung legt sich nahe, wenn Kant schreibt: Dieser [rechtliche] Zustand der einzelnen im Volke in Verhältnis untereinander heißt der bürgerliche (status civilis), und das Ganze derselben in Beziehung auf seine eigenen Glieder der Staat (civitas), welcher ... in Verhältnis ... auf andere Völker eine Macht (potentia) schlechthin heißt..., was sich auch wegen (anmaßlich) angeerbter Vereinigung sein Stammvolk (gens) nennt und so, unter dem allgemeinen Begriffe des öffentlichen Rechts, nicht bloß das Staats-, sondern auch ein Völkerrecht (ius gentium) zu denken Anlaß gibt; welches dann, weil der Erdboden eine nicht grenzenlose, sondern sich selbst schließende Fläche ist, beides zusammen zu der Idee eines Völkerstaatsrechts (ius gentium) 543 oder des Weltbürgerrechts (ius cosmopoliticum) unumgänglich hinleitet... (AA VI, 311)

Kant stellt das Staatsrecht, das Völkerrecht und das Weltbürgerrecht nun aber gerade nicht in den angedeuteten genetischen Zusammenhang, sondern setzt sie in ein normatives Verhältnis. Insofern das öffentliche Recht gerade die Bedingung ist, unter der Rechte peremtorisch sein können, zeigt sich gerade die umgekehrte 540 541

542 543

A A VI, 311. Es handelt sich in allen drei Fallen jeweils um Personenverhältnisse, da auch Völker als Staaten „moralische Personen" sind; vgl. dazu auch: B. Sharon Byrd, The State as a ,Moral Person ', in: Proceedings of the Eighth International Kant Congress, Memphis 1995, Vol I, Part I, ed. Hoke Robinson, S. 171-189. A A VI, 343. Kant, ebd., bevorzugt für das Völkerrecht, da es ja ein „Recht der Staaten in Verhältnis zueinander" ist, den Terminus „Staatenrecht (ius publicum civitatum)". Bernd Ludwig schlägt in seiner Ausgabe der Rechtslehre mit Bezug auf A A VIII, 357 als lateinisches Äquivalent fur „Völkerstaatsrecht" vor. „ius civitatis gentium".

3. Kapitel: Die Begründung des Staates in der „Metaphysik der Sitten"

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Abhängigkeit des Staatsrechts vom Völkerrecht und beider vom WeltbürgerTecht. Die Binnenstruktur des öffentlichen Rechts spiegelt daher wider, was sich bei der Betrachtung des Bedingungsverhältnisses von Privatrecht und öffentlichem Recht bereits zeigte: die praktisch-normative Abhängigkeit peremtorischer subjektiver Rechte vom öffentlichen Recht. In Abwesenheit völkerrechtlicher Strukturen befinden sich Staaten in einem privatrechlichen Zustand, d.h. im status naturalis. Auch hier gilt, daß die Wirklichkeit von im Naturzustand bloß provisorisch erworbenen subjektiven Rechten davon abhängig ist, daß die Rechtssubjekte sich in einen objektiv-rechtlichen Zustand, d.h. einem Zustand öffentlichen Rechts, begeben. Das öffentliche Recht auf der Stufe des Staatsrechts und damit auch die subjektiven Rechte der Menschen im bürgerlichen Zustand sind daher davon abhängig, daß sich der Staat nach außen (gegenüber anderen Staaten) in einem rechtlichen Zustand befindet. Kant sagt in Bezug auf die drei Teile des öffentlichen Rechts: ... w e n n unter diesen drei m ö g l i c h e n Formen d e s rechtlichen Zustandes es nur einer an d e m die äußere Freiheit durch G e s e t z e einschränkenden Prinzip fehlt, [muß] das G e b ä u d e aller übrigen unvermeidlich untergraben werden und endlich einstürzen ... ( A A VI, 3 1 1 ) 5 4 4

Aus diesem umfassenden Begriff des öffentlichen Rechts ergibt sich ferner, daß nicht vorausgesetzt werden kann, öffentliches Recht und positives Recht seien identisch. Eine positive Gesetzgebung, durch die ein Souverän über die Untertanen-Bürger herrscht, kann es nur im Staat geben, nicht aber auf inter- oder supranationaler Ebene, da Kant dort nicht von einem Weltstaat, sondern von einem Staatenbund ausgeht.545 Es kann im Völkerrecht und im Weltbürgerrecht daher keinen Souverän geben, der als Gesetzgeber auftritt. Der „Inbegriff der Gesetze", die das öffentliche Recht bilden, betrifft im Völkerrecht und im Weltbürgerrecht, aber auch im Staatsrecht, ganz oder teilweise das reine Naturrecht oder Vemunftrecht. Kants öffentliches Recht ist gerade auch im Staatsrecht nicht positives Recht, sondern Norm für eine mögliche äußere (positive) Gesetzgebung. Diese steht gegenüber dem Privatrecht lediglich unter der zusätzlichen Bedingung, daß ihre Gesetze „einer allgemeinen Bekanntmachung bedürfen, um einen rechtlichen Zustand hervorzubringen". Dies bedeutet 544

5,5

Vgl. hinsichtlich der Abhängigkeit der Rechte im Staat vom Völkerrecht den siebenten Satz in Kants Schrift „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" von 1784: „Das Problem der Errichtung einer vollkommenen bürgerlichen Verfassung ist von dem Problem eines gesetzmäßigen äußeren Staatenverhältnisses abhängig und kann ohne das letztere nicht aufgelöset werden " (AA VIII, 24) Kant selbst spricht, AA VI, 350, von einem ,J>taatenverein" oder einem permanenten Staatenkongreß", im „Ewigen Frieden" von e i n e m , f e d e r a l i s m freier Staaten" (AA VIII, 354), von einem „Bund von besonderer Art..., den man den Friedensbund (foedum pacificum) nennen kann" (ebd., 356), der aber nur als das ,/iegative Surrogat" „an die Stelle der positiven Idee einer Weltrepublik" (ebd., 357) tritt. Letztere würde den ewigen Frieden realisieren, ersterer dient nur dazu, den Krieg abzuwehren.

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3. Kapitel: Die Begründung des Staates in der „Metaphysik der Sitten"

allerdings, daß die Prinzipien des öffentlichen Rechts im Staat durch die Öffentlichkeit der Gesetzgebung positiviert werden müssen. Die öffentliche (und allgemeine) Gesetzgebung und das positive Recht, ferner die Rechtsprechung nach öffentlichen Gesetzen, sind Merkmale des Kantischen Rechtsstaats. Insofern es nun wirklich Staaten mit einer öffentlichen Gesetzgebung gibt, gibt es nicht nur ein (wirkliches) Staatsrecht, sondern man hat auch „Anlaß", sich ein Völkerrecht „zu denken" und dieses fuhrt „unumgänglich" zu der Jdee eines Völkerstaatsrechts" bzw. des „Weltbürgerrechts" hin. Der staatliche Rechtspositivismus läßt sich allerdings auf diesen beiden Ebenen nicht wiederholen. Die Positivierung der Prinzipien des öffentlichen Rechts durch Gesetze setzt eine öffentliche Gesetzgebung voraus. Diese ist aber in Kants internationalem Recht nicht vorgesehen. Ein letztes noch: Das öffentliche Recht der „Metaphysik der Sitten" fällt deutlich kürzer aus, als das Privatrecht. Es umfaßt 21 Paragraphen und eine allerdings sehr umfangreiche - „allgemeine Anmerkung" zum Staatsrecht. Gemessen an der Zahl der Paragraphen ist das Privatrecht etwas mehr als doppelt so umfangreich. Kant hat daher in der „Vorrede" zur „Metaphysik der Sitten" eingeräumt, daß er ,,[g]egen das Ende des Buches ... einige Abschnitte mit minderer Ausführlichkeit bearbeitet [hat], als in Vergleichung mit den vorhergehenden [d.i. dem Privatrecht, R. F.] erwartet werden konnte". Dies betrifft vor allem das Völker- und das Weltbürgerrecht. Letzteres wird in einem einzigen Paragraphen abgehandelt. Als Gründe gibt Kant an, daß ihm diese Abschnitte aus den vorhergehenden Teilen „leicht gefolgert werden zu können schienen" und daß die Probleme des öffentlichen Rechts - dies wohl die wichtigere Begründung - „eben jetzt so vielen Diskussionen unterworfen und dennoch so wichtig sind, daß sie den Aufschub des entscheidenden Urteils auf einige Zeit wohl rechtfertigen können."546 Kant ist bekanntlich nicht mehr dazu gekommen, sein „entscheidendes Urteil" zu fällen. Nach den „Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre" hat er keine rechtsphilosophischen Schriften mehr veröffentlicht. Gerade fur das Staatsrecht gilt aber, daß es in den wesentlichen Prinzipien bereits Mitte der 1790er Jahre feststand. Die „Metaphysik der Sitten" bringt hier eigentlich nichts Neues gegenüber den früheren staatsphilosophischen Schriften: dem „Gemeinspruch" und dem „Ewigen Frieden". Insofern sieht sich die Interpretation hinsichtlich der verfügbaren Textbasis vor keinerlei Probleme gestellt. Dies würde für die anderen beiden Abschnitte des öffentlichen Rechts nicht gelten. Diese sind hier aber nicht Thema.

546

A A VI, 209

Naturzustand und Staat

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1. Naturzustand und Staat Kants Staatsphilosophie ordnet sich in den Zusammenhang der neuzeitlichen Sozialvertragstheorien von Hobbes bis Fichte ein. Diesen Konzeptionen sind zwei Theorielemente gemeinsam: das Naturzustandsargument und der Sozialvertrag oder Staatsvertrag. Es ist vielfach darauf hingewiesen worden, daß aus dieser Tradition besonders zwei Autoren als Vorläufer Kants genannt werden müssen: nämlich Thomas Hobbes und Jean-Jacques Rousseau.547 Von Hobbes übernimmt Kant die Konzeption der strikten juridischen Widersprüchlichkeit des Naturzustandes und der daraus resultierenden Notwendigkeit, den Naturzustand zu verlassen und in einen rechtlichen Zustand einzutreten bzw. sich einer öffentlichen Herrschaftsgewalt zu unterwerfen. Von Rousseau übernimmt Kant den spezifischen Vertragsgedanken, durch den die Individuen ihre Einzelwillen zu einem Gesamtwillen - einer volonté générale - vereinigen. Der Vertragsabschluß bedeutet bei Rousseau keinen Freiheits- oder Rechtsverzicht, sondern er schafft die Bedingungen fur Freiheit und Recht. Kants Synthese dieser beiden Konzeptionen läuft darauf hinaus, daß sich aufgrund der juridischen Widersprüchlichkeit des Naturzustands für die Individuen die praktische Notwendigkeit (Rechtspflicht a priori) ergibt, sich durch Abschluß eines Vertrages zu einem allgemeinen Willen zu vereinigen, der dann als oberste Norm der Gesetzgebung in einem Zustand dient, in dem das Seine eines jeden gegen jeden anderen durch eine alle Individuen gleichermaßen zwingende Herrschaftsgewalt gesichert werden kann. Diese Kantische Konzeption ist nun nachzuzeichnen. Es ist dann insbesondere danach zu fragen, ob innerhalb dieser Konzeption dem äußeren Mein und Dein bzw. seinem Prinzip (dem Postulat) eine besondere Rolle zukommt oder nicht. Es wird daher auch Kants Differenzierung von provisorischem und peremtorischem äußeren Mein und Dein zu berücksichtigen sein. Zunächst soll aber kurz auf den Zusammenhang des Naturzustandsarguments mit Kants Interpretation der Ulpian-Formeln im Einleitungsteil der Rechtslehre eingegangen werden. Dazu kann ein kurzer Briefwechsel zwischen Kant und seinem Schüler Johann Benjamin Erhard, dem radikaldemokratischen Verfasser der 1795 erschienenen Schrift „Über das Recht des Volkes zu einer Revolution", herangezogen werden. Erhard berichtet seinem ehemaligen Lehrer in einem Brief aus dem Jahre 1791 von einer Diskussion mit dem Kammergerichtsrat und Mitautor des preußischen Allgemeinen Landrechts Ernst Ferdinand Klein in Berlin. Für Klein war Kants Moralphilosophie ebenfalls ein wichtiger Bezugspunkt.548 Das Gespräch zwischen Klein und Erhard drehte sich wohl in erster Linie um 547

541

Vgl. Ebbinghaus, Das Kantische System, S. 262Í; Georg Geismann, Kant als Vollender von Hobbes und Rousseau, in: Der Staat 21 (1982), S. 161-189. Klein versichert in einem Brief vom 23. April 1789 an Kant: „Mein System des NaturTechts verträgt sich ... mit keinem besser, als dem Ihrigen" (AA XII, 30).

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3. Kapitel: Die Begründung des Staates in der „Metaphysik der Sitten"

strafrechtliche Fragen.549 In einigen Punkten wurde aber auch das Problem der Staatsbegründung berührt. Erhard hat die „Hauptpunkte" des Gesprächs, in denen er mit Klein übereinstimmte, in seinem Brief an Kant in dreizehn Thesen festgehalten. Von diesen Thesen beziehen sich vier auch auf das Problem von Begründung und Zweck des Staates: 9) Das moralische Gesetz giebt mir nicht allein die Vorschrift wie ich andere behandeln soll, sondern auch wie ich mich von andern soll behandeln lassen, es verbietet mir so wohl, den Misbrauch anderer Menschen, als die Erduldung desselben, die Wegwerfung meiner Selbst. 10) Es ist mir daher eben so wohl befohlen kein Unrecht zu leiden als keines zu thun, aber ersteres ist mir allein ohne Hülfe zwar im Vorsatz aber nicht in der Ausführung möglich, und dadurch ist mir und allen Menschen die Aufgabe gemacht, ein Mittel zu finden durch welches meine physischen Kräfte meinen moralischen Forderungen gleich würden. Hieraus entspringt der moralische Trieb und die Verbindlichkeit zur Geselligkeit. 11) Durch die Gesellschaft wird nun das Erlaubte zum Recht, und die Übertretung der Sittengesetze zum Verbrechen. Nur nach der Entwicklung der Rechte, läße sich die Verbrechen richtig ihrer Größe nach bestimmen. 12) Die Gesellschaft in so fern sie den Schutz der Rechte und die Bestraffiing der Verbrechen zur Hauptabsicht hat heißt bürgerliche Gesellschaft. Sie ist daher nicht bloß nützlich sondern heilig. (AA XI, 307/308)

Sieht man einmal davon ab, daß Erhard und Klein bei ihrem staatsrechtlichen Argument unzutreffenderweise vom „Moralgesetz" ausgehen, so läßt sich eine auffallende Ähnlichkeit mit dem von Kant im Zusammenhang mit den UlpianFormeln vorgetragenen Argument nicht verkennen. Aus dem Moralgesetz folgt nicht nur - so teilt Erhard mit - , wie ich andere behandeln soll und wie andere mich behandeln sollen, sondern auch, wie ich mich von anderen behandeln lassen darf und wie nicht. Im äußeren wechselseitigen Verhältnis gibt es nicht nur eine Pflicht gegen andere, sondern auch eine Pflicht gegen mich selbst: ich darf mich von anderen nicht mißbrauchen lassen. Dies wäre „Wegwerfung meiner selbst". Durch das Moralgesetz bin ich ebenso verpflichtet, „kein Unrecht zu leiden, als keines zu thun". Die Pflicht, „kein Unrecht zu leiden" entspricht Kants rechtlicher Interpretation des Honeste vive, ohne daß bei Erhard aber von einer inneren Rechtspflicht die Rede ist. Auch für Kant ist das Honeste vive zu Beginn der 1790er Jahre noch keine innere Rechtspflicht, wiewohl er zu dieser Zeit schon über diesen Begriff verfügt. Die Erfüllung der Pflicht des Honeste vive durch eigene Kräfte sichern zu wollen, ist unmöglich. Sofern jeder aber unter dieser Pflicht steht, ist ihm die „Aufgabe gemacht", ein Mittel zu finden, mit dessen Hilfe er seine Pflicht erfüllen 549

Zu dieser Zeit war Klein mit der Endrevision der strafrechtlichen Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts befaßt. Die Ausarbeitung der letzten Fassung des Gesetzbuchs (sog. Svarezsche Revision) fällt in die Jahre 1789-1792; vgl. Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. Göttingen 1967, S. 330.

Naturzustand und Staat

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kann. Dieses Mittel ist die „Geselligkeit". Da diese ein Mittel der moralischen Pflichterfüllung ist, sprechen Erhard und Klein von einem „moralischen Trieb" oder einer „Verbindlichkeit" zur Geselligkeit. Wenn beide hier von „Geselligkeit" oder „Gesellschaft" sprechen, so meinen sie wohl die „bürgerliche Gesellschaft", den „status civilis" oder „Staat", denn erst in der „Gesellschaft" wird „das Erlaubte zum Recht und die Übertretung der Sittengesetze zum Verbrechen". Dies geschieht offensichtlich durch die Sanktion einer öffentlichen Gewalt, d.h. im Staat. Der Staat nun - das ist der abschließende Gedanke - hat den „Schutz der Rechte" und die „Bestrafung der Verbrechen" zum Zweck. Dieser Zweck ist ein Zweck, den jeder haben soll oder ein praktisch notwendiger Zweck. Er ist aus der ursprünglichen Pflicht abgeleitet, kein Unrecht zu dulden. Der Staat ist also - ohne weitere Qualifikation - an sich selbst Pflicht; in Erhards Worten: er ist „nicht bloß nützlich, sondern heilig". Kant hat sich für die Beantwortung von Erhards Brief mehr als ein Jahr Zeit gelassen. Seine Antwort war auch nur kurz, aber zustimmend: „das Meiste" - so ließ er Erhard wissen - sei „vortreflich und ganz nach [s]einem Sinne". Kant macht zu der oben zitierten Passage folgende Anmerkungen: ad. N. 9, 10. Beyde Sätze sind wahr, obgleich in den gewöhnlichen Moralen ganz verkannt. Sie gehören zu dem Titel von den Pflichten gegen sich selbst, welcher in meiner unter den Händen habenden Metaphysik der Sitten, besonders, und auf andere Art als wohl sonst geschehen, bearbeitet werden wird. Ad N. 12 Auch gut gesagt. Man trägt im Naturrecht den bürgerlichen] Zustand, als auf ein beliebiges pactum sociale gegründet, vor. Es kann aber bewiesen werden, daß der status naturalis ein Stand der Ungerechtigkeit, mithin es Rechtspflicht ist in den statum civilem überzugehen. (AA XI, 399)

Kant bezieht sich hier auf die Möglichkeit, Pflichten gegen sich selbst - und zwar gerade auch solche im Verhältnis zu anderen Menschen - aus dem Sittengesetz abzuleiten. Er bezieht sich zum anderen auf das Hobbessche Diktum der Notwendigkeit, den Naturzustand zu verlassen. Es ist allerdings zu beachten, das Kant hier noch keinen Zusammenhang zwischen der Pflicht gegen sich selbst und dem Staatsimperativ herstellt. Dies erfolgt erst in der „Metaphysik der Sitten" im Zusammenhang mit der „Allgemeinen Einteilung der Rechtspflichten". Dieser Briefwechsel ist erstaunlich nicht nur wegen seines Inhalts, sondern v. a. auch wegen seines Zeitpunkts. Die beiden Briefe datieren aus den Jahren 1791 und 1792. Zu dieser Zeit hatte Kant noch gar keine staatsrechtlichen Schriften veröffentlicht. Der Gemeinspruch-Aufsatz erschien erst 1793 in der „Berlinischen Monatsschrift", der „Ewige Frieden" noch zwei Jahre später (1795). Erhard und Klein konnten daher noch nicht wissen, wie Kants Ableitung der Pflicht zum Staat aussehen würde. Die Ähnlichkeit mit Kants späterer Staatsbegründung betrifft nicht nur die Behauptung einer rechtlichen Pflicht gegen sich selbst, sondern auch die Ableitung einer Pflicht zum Staat aus dieser Pflicht. Was Kant in der Rechts-

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3. Kapitel: Die Begründung des Staates in der „Metaphysik der Sitten"

lehre als die „Ableitung" der äußeren Rechtspflicht vom Prinzip der inneren Rechtspflicht bezeichnet hat, nämlich die Pflicht „in einen Zustand" zu treten, „worin jedermann das Seine gegen jeden anderen gesichert sein kann"550, identifiziert Erhard als die „Heiligkeit" der bürgerlichen Gesellschaft, sofern sie „den Schutz der Rechte und die Bestrafung der Verbrechen zur Hauptabsicht hat". Bezüglich der Konzeption des Naturzustandes folgt Kant weitestgehend der Lehre von Thomas Hobbes. Kant hatte bereits erkannt, daß Hobbes der erste war, der für die praktisch-juridische Notwendigkeit der Staatserrichtung argumentierte, indem er zeigte, „daß es nicht willkürlich sey, aus dem Stande der Natur herauszugehen, sondern nothwendig nach Regeln des Rechts."551 Hobbes' Argument basiert auf der juridischen Widersprüchlichkeit eines angenommenen Naturzustandes, in dem die äußere Willkür der Individuen nicht durch eine allgemeine und öffentliche gesetzliche Herrschaftsgewalt eingeschränkt wird.552 Ein solcher Zustand, in dem die Rechtsbestimmung allein vom subjektiven Urteil des Einzelnen und die Rechtsdurchsetzung allein von seiner physischen Stärke abhängt, ist faktisch ein allgemeiner Kriegszustand und daher eigentlich gar kein Rechtszustand. Der Naturzustand ist ein Zustand, in dem das Recht auf Leben und der äußere Besitz nicht gewährleistet werden kann. Das Recht hängt von der Macht und der physischen Stärke des Einzelnen ab. Daher ist der Naturzustand bei Hobbes (anders als etwa bei Locke) eo ipso ein Kriegszustand, d.h. ein Zustand in dem das Recht des einen in beliebigem Widerspruch zum Recht aller anderen steht. Daraus folgt, daß der Naturzustand verlassen werden muß und - sofern das Recht nur durch eine äußerlich zwingende Gewalt gesichert werden kann - in einen Zustand einzutreten ist, in dem alle Individuen gleichermaßen einer souveränen, rechtssichernden Gewalt unterworfen sind. Der Nachweis der Notwendigkeit des Staates ergibt sich bei Hobbes aus diesem Naturzustandsargument, dessen Kern nicht etwa die egoistische Natur des Menschen ist, sondern die rationale Rekonstruktion der juridischen Widersprüchlichkeit jenes Zustandes. Das Hobbessche Argument wird von Kant übernommen. Dabei nimmt er jedoch einige wesentliche Modifikationen vor, denn ,,[k]einer qualifiziert vor Kant die Notwendigkeit der Staatserrichtung als in der reinen Rechtsvernunft begründet, keine Naturzustandstheorie außer der kantischen interpretiert das allen gemeinsame Ergebnis als Inhalt einer Rechtspflicht a priori."553 Waren bei Hobbes noch anthropologische Elemente in die Naturzustandskonzeption eingegangen, so gibt Kant eine anthropologiefreie Interpretation des status naturalis. Insbesondere 550 551 552

553

AA VI, 237. AA XIX, 100 (Refi. 6593). Vgl. Dieter Hüning, Freiheit und Herrschaft in der Rechtsphilosophie des Thomas Hobbes. Berlin 1998; Georg Geismann, Die „Grundlegung" des Vemunftstaates der Freiheit durch Hobbes, in: Jahrbuch für Recht und Ethik 5 (1997), S. 229-266. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 325f; vgl. ders., Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 188.

Naturzustand und Staat

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wird das bellum omnium in omnes nicht anthropologisch begründet. Der Naturzustand ist bei Kant nicht ein als real vorgestellter Experimentierraum für das Verhalten rationaler Egoisten, sondern er ist bloße „Vemunftidee" 554 , deren „systematische Aufgabe" darin besteht, „die Bestimmungsbedürftigkeit des apriorischen Privatrechts aufzuzeigen"555, d.h. zu zeigen, „daß es notwendig ist, sich im Rahmen der Regeln des prozeduralen Rationalismus zu einem gesetzgebenden allgemeinen Willen zu vereinigen, der durch die positive Privatrechtsordnung die Bestimmungslücken des reinen Privatrechts ausfüllt und die natürlichen Regeln des Mein und Dein konkretisiert."556 Damit wäre eine „Begründung des ,Postulats des öffentlichen Rechts'" auf der Grundlage der „Bestimmungsbedürftigkeit des apriorischen Privatrechts" gegeben.557 Nun richtet sich aber das exeundum est e statu naturali bei Kant nicht auf die Unterwerfung unter eine beliebige Herrschaftsgewalt, sondern diese steht ihrerseits unter einem Rechtskriterium. Die Individuen im Naturzustand können nämlich nur verpflichtet sein, sich einer solchen Herrschaftsgewalt zu unterwerfen, die sich apriori in Übereinstimmung mit ihrer angeborenen Freiheit befindet. Eine solche Herrschaftsgewalt muß daher vom Willen der Individuen abgeleitet sein und zwar so, daß sie idealiter gar nichts anderes ist, als der notwendig vereinigte Wille der Individuen selbst. Mit diesem Gedanken tritt Kant das Rousseausche Erbe an. Kant formuliert in §42 der Rechtslehre ein „Postulat des öffentlichen Rechts", das mit seiner Neuinterpretation der Ulpian-Formel „suum cuique tribue" identisch ist: Aus dem Privatrecht im natürlichen Zustande geht nun das Postulat des öffentlichen Rechts hervor: du sollst, im Verhältnisse eines unvermeidlichen Nebeneinanderseins mit allen anderen, aus jenem heraus in einen rechtlichen Zustand, d.i. den einer austeilenden Gerechtigkeit übergehen. (AA VI, 307) Das Postulat unterscheidet sich allerdings insofern vom Suum cuique tribue, als es vom Recht („dem Privatrecht im natürlichen Zustande") ausgeht und nicht von einer Rechtspflicht a priori. Geht man von den subjektiven Rechten im Naturzustand aus, ergibt sich das bekannte Szenario des Hobbesschen Naturzustandes als Kriegszustandes. Im interpersonalen Verhältnis ist im Recht strenge Wechselseitigkeit zu fordern: Ich schulde dem anderen nur das, was er mir umgekehrt ebenso zubilligt. Niemand ist verbunden, sich des Eingriffs in den Besitz des anderen zu enthalten, wenn dieser ihm nicht gleichmäßig auch Sicherheit gibt, er werde ebendieselbe 554 555 556 557

Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 331. Ebd., S. 332. Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 189. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 331. Nach Kersting, ebd., S. 191, läßt sich „das Kantische Naturzustandsargument auch als Argument von der notwendigen Selbstpositivierung des Vernunftrechts verstehen."

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3. Kapitel: Die Begründung des Staates in der „Metaphysik der Sitten" Enthaltsamkeit gegen ihn beobachten. Er darf [=muss] also nicht abwarten, bis er etwa durch eine traurige Erfahrung von der entgegengesetzten Gesinnung des letzteren belehrt wird; denn was sollte ihn verbinden, allererst durch Schaden klug zu werden, da er die Neigung der Menschen überhaupt, über andere den Meister zu spielen (die Überlegenheit des Rechts anderer nicht zu achten, wenn sie sich der Macht oder List nach diesen überlegen fühlen), in sich selbst hinreichend wahrnehmen kann, und es ist nicht nötig, die wirkliche Freindseligkeit abzuwarten; er ist zu einem Zwange gegen den befugt, der ihm schon seiner Natur nach damit droht. (AA VI, 307)

Ich bin nur verpflichtet das Recht des anderen zu achten, wenn er umgekehrt auch meines achtet. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, bin ich dem anderen nicht verpflichtet. Diese Wechselseitigkeit gilt im interpersonalen Verhältnis, d.h. auf der Ebene des Neminem laede. Dagegen bleibt das Honeste vive bedingungslos in Kraft. Die innere Rechtspflicht bildet daher gleichsam den archimedischen Punkt der Staatskonstruktion. Sie verhindert, daß ich mich angesichts der faktischen Suspendierung des Neminem laede im Naturzustand in einen fatalen Konkurrenzkampfbegebe, bei dem ich den Verlust meiner Freiheit in Kauf nehme. Da ich mir selbst gegenüber (durch das Recht der Menschheit in meiner Person) immer schon verpflichtet bin, mich nicht rechtlich entehren zu lassen, so bin ich a priori verpflichtet, in einen Zustand mit allen anderen zu treten, in dem meine rechtliche Ehrbarkeit gegen alle anderen gesichert ist. Die Menschen bedrohen einander im Naturzustand durch ihre bloße Existenz. Damit ist nicht gemeint, daß es in der Natur der Menschen liegt, einander schaden zu wollen. Gemeint ist, daß es unter Naturzustandsbedingungen kein Unrecht ist, wenn ich dem Unrecht, das ein anderer mir antun könnte, gewaltsam zuvorkomme. Dies ist keine anthropologische Aussage. Allein dadurch, daß jemand nicht mit mir in einen Zustand unter einer das Recht sichernden öffentlichen Gewalt tritt, stellt er für mich eine Bedrohung dar. Die Bedrohung ergibt sich aus einer beobachtbaren Handlungsunterlassung, die rechtlich relevant ist. Daher bin ich rechtlich befugt, auf die Bedrohung mit Gewalt zu reagieren. Dies ist auch kein Verstoß gegen das Neminem laede, denn: Bei dem Vorsatze, in diesem Zustande äußerlich gesetzloser Freiheit zu sein und zu bleiben, tun sie einander auch gar nicht unrecht, wenn sie sich untereinander befehden; denn was dem einen gilt, das gilt auch wechselseitig dem anderen, gleich als durch eine Übereinkunft (uti partes de iure suo disponunt, ita ius est)... (AA VI, 307)

Nun ist es aber nicht ins Belieben der Kontrahenten gestellt, in diesem „Zustande äußerlich gesetzloser Freiheit" zu verbleiben. Sondern das Rechtsgesetz: „Handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne" schränkt ja gerade einerseits „in der Idee" den Willkürgebrauch objektiv auf die Bedingung seiner Verträglichkeit mit der Freiheit aller anderen ein und

Naturzustand und Staat

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postuliert außerdem, daß die Freiheit von anderen (durch Zwang) auf diese Bedingung eingeschränkt werden darf. Geht man davon aus, daß der allseitige rechtsgesetzliche Freiheitsgebrauch nur unter der Bedingung einer äußeren jedermann rechtmäßig zwingenden Gewalt möglich ist, dann kann die angesprochene Befugnis, selbst andere auf die Bedingung der Rechtsgesetzlichkeit ihrer Handlungen einschränken zu dürfen, nichts anderes heißen, als: ich darf sie zwingen, mit mir in einen rechtlichen Zustand einzutreten. Nun hatte Kant aber gesagt, ich tue dem anderen, mit dem ich mich im Naturzustand befinde, gar nicht unrecht, wenn ich ihn befehde. Also habe ich im Naturzustand offensichtlich ein Recht, andere selbsttätig in ihrem Freiheitsgebrauch einzuschränken, ohne sie dadurch schon zu nötigen, mit mir in einen rechtlichen Zustand zu treten. Dieses Paradox, das den eigentlichen Kern des Kantischen Naturzustandsarguments bildet, wird durch eine Unterscheidung aufgelöst. Kant sagt zwar, daß die beiden „bei dem Vorsatz, in diesem Zustande äußerlich gesetzloser Freiheit zu sein und zu bleiben", „einander ... gar nicht unrecht tun", er fahrt dann aber fort: „aber überhaupt tun sie im höchsten Grade daran unrecht, in einem Zustande sein und bleiben zu wollen, der kein rechtlicher ist, d.i. in dem niemand des Seinen wider Gewalttätigkeit sicher ist."558 In einer Anmerkung erläutert Kant, daß hier eine Unterscheidung dessen, was formaliter und was materialiter unrecht ist, zugrunde liegt. Materialiter unrecht tut jemand, der das Seine eines anderen verletzt, der einen Vertrag bricht, jemanden beraubt etc. Formaliter („überhaupt im höchsten Grade") tut jemand unrecht, wenn jemand durch seine Handlungen „dem Begriff des Rechts selber alle Gültigkeit [nimmt] und alles der wilden Gewalt gleichsam gesetzmäßig [überliefert] und so das Recht der Menschen überhaupt [umstürzt]. „Formal" unrecht zu tun, bedeutet nicht nur in einem einzelnen Fall gegen das Rechtsgesetz zu verstoßen, sondern durch sein Verhalten zu erkennen zu geben, daß man die Gültigkeit des Rechtsgesetzes (die Wechselseitigkeit der Freiheitseinschränkung) gar nicht anerkennt. Genau dies tut jemand mit dem Vorsatze, in einem Zustand äußerer gesetzloser Freiheit (d.h. im Naturzustand) bleiben zu wollen. Dies aber ist „formal", d.h. „überhaupt in höchstem Grade" unrecht. Kant hatte gesagt, daß niemand verbunden ist, durch Schaden klug zu werden, und also die Feindseligkeit des anderen abzuwarten, bevor er Zwang gegen ihn gebraucht, „da er die Neigung der Menschen überhaupt, über andere den Meister zu spielen ..., in sich selbst hinreichend wahrnehmen kann". Dies klingt so, als wolle Kant die angesprochene Befugnis im Naturzustand von einer empirischanthropologischen Bedingung - der genannten Neigung, die jeder in sich selbst wahrnehmen kann - abhängig machen. Wie Kant aber an anderer Stelle deutlich macht, ist dies ausdrücklich nicht der Fall. In § 44 der Rechtslehre heißt es:

558

AA VI, 307/308.

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3. Kapitel: Die Begründung des Staates in der „Metaphysik der Sitten" Es ist nicht etwa die Erfahrung, durch die wir von der Maxime der Gewalttätigkeit der Menschen belehrt werden und ihrer Bösartigkeit, sich, ehe eine äußere machthabende Gesetzgebung erscheint, einander zu befehden, also nicht etwa ein Faktum, welches den öffentlich gesetzlichen Zwang notwendig macht, sondern, sie mögen auch so gutartig und rechtliebend gedacht werden, wie man will, so liegt es doch a priori in der Vernunftidee eines solchen (nicht-rechtlichen) Zustandes, daß, bevor ein öffentlich gesetzlicher Zustand errichtet worden, vereinzelte Menschen, Völker und Staaten niemals vor Gewalttätigkeit gegeneinander sicher sein können, und zwar aus jedes seinem eigenen Rechte, zu tun, was ihm recht und gut dünkt, und hierin von der Meinung des anderen nicht abzuhängen ... (AA VI, 312)

Es ist nach Kant in diesem Zustand völlig gleichgültig, ob die Menschen rechtlich gesinnt oder bösartig sind. Der subjektive Wille, dem anderen sein Recht zu lassen, ändert gar nichts an der Notwendigkeit, auf Rechtsverletzungen mit Gewalt zu reagieren. Das christliche Gebot, auch noch die andere Backe hinzuhalten, ist keine vernunftrechtliche Option. Sie basiert auf einer jenseitigen Hoffnung, nicht auf der irdischen Vernunft. Im „Ewigen Frieden" hatte Kant auf die ethische Indifferenz des Vernunftrechts aufmerksam gemacht, indem er postulierte: „Das Problem der Staatserrichtung ist, so hart wie es auch klingen mag, selbst fur ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben) auflösbar ,..".559 D.h. die Einrichtung des Staates nach Rechtsprinzipien neutralisiert die böse Gesinnung der Subjekte, so daß sich auch deren verständige Willkür notwendig in Übereinstimmung mit einem allgemeinen Rechtswillen befindet. Für das Naturzustandsproblem muß man den umgekehrten Fall annehmen. Nicht nur für Subjekte mit böser Gesinnung, sondern auch für solche mit guter Gesinnung, ist es notwendig, ihren natürlichen Zustand zu verlassen und in einen Zustand unter einer öffentlichen Zwangsgewalt einzutreten. Auch die subjektive rechtliche Willkür der Individuen befindet sich unter Naturzustandbedingungen nicht a priori in Übereinstimmung mit der rechtlichen Willkür aller anderen. Daher könnte man in Anlehnung an Kants Diktum den Satz formulieren: „Das Problem der Staatserrichtung stellt sich, so hart wie es auch klingen mag, selbst fur ein Volk von Engeln". Das Postulat des öffentlichen Rechts läßt sich als ein Gebot auffassen, einen Zustand der Gewalt durch einen Zustand des Rechts zu ersetzen. Recht und Gewalt stehen in einem kontradiktorischen Gegensatz. Dies vorausgesetzt, folgt das Postulat „analytisch aus dem Begriffe des Rechts im äußeren Verhältnis".560 Der Naturzustand war von Kant als ein Zustand beschrieben worden, in dem die Individuen einander nach Maßgabe ihrer subjektiven Stärke mit Gewalt begegnen, ohne einander dadurch notwendig unrecht zu tun. Allerdings taten sie damit aber auch „überhaupt und in höchstem Grade" unrecht, indem sie „dem Begriff des Rechts alle Gültigkeit" nahmen. Daher: 559 560

AA VIII, 366. AAVI, 307.

Naturzustand und Staat

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das erste, was [dem Menschen] zu beschließen obliegt, wenn er nicht allen Rechtsbegriffen entsagen will, der Grundsatz sei: man müsse aus dem Naturzustande, in welchem jeder seinem eigenen Kopfe folgt, herausgehen und sich mit allen anderen (mit denen in Wechselwirkung zu geraten er nicht vermeiden kann) dahin vereinigen, sich einem öffentlich gesetzlichen äußeren Zwange zu unterwerfen, also in einen Zustand treten, darin jedem das, was für das Seine anerkannt werden soll, gesetzlich bestimmt und durch hinreichende Macht (die nicht die seinige, sondern eine äußere ist) zu Teil wird, d.i. er solle vor allen Dingen in einen bürgerlichen Zustand treten. (AA VI, 312) Für Kant ist der Naturzustand nicht wie für Hobbes ein Zustand, in dem es schlechterdings kein Recht gibt. Der Naturzustand ist kein Zustand, in dem die Begriffe „recht" und „unrecht" einfach keinen Sinn haben. Sondern der Naturzustand ist ein Zustand, in dem niemand seines Rechts teilhaftig wird, d.i. er ist ein „Zustand der Rechtlosigkeit (status iustitia vacuus)", aber nicht ein „Zustand der Ungerechtigkeit ([status] iniustus)".561 Letzterer wäre ein Zustand, in dem die allgemeine Gewalt die Stelle des Rechts vertritt, d.h. in dem die Subjekte „einander nur nach dem bloßen Maße [ihrer] Gewalt... begegnen".562 Dagegen ist ein Zustand der Rechtlosigkeit ein solcher, in dem, „wenn das Recht streitig (ius controversum) war, sich kein kompetenter Richter fand, rechtskräftig den Ausspruch zu tun".563 In diesem Zustand gibt es also Rechte, denn, wie Kant im Privatrecht gezeigt hatte, muß etwas Äußeres als das Seine zu haben schlechterdings möglich sein. Die Erwerbung im Naturzustand „durch Bemächtigung oder Vertrag" geschieht aber nur „nach jedes seinen Rechtsbegriffen" und gilt daher nur provisorisch. Nur aus diesem Grunde kann Kant den Naturzustand einen „privatrechtlichen" Zustand nennen. Mit der Identifizierung von Naturzustand und privatrechtlichem Zustand ist nun genau dasjenige Problem angesprochen, das Thema des folgenden Abschnitts ist: Kant hatte den ersten Teil der Rechtslehre überschrieben: „Das Privatrecht vom äußeren Mein und Dein überhaupt".564 Wenn das Postulat des öffentlichen Rechts nun aus diesem „Privatrecht im natürlichen Zustande" hervorgehen soll, so scheint dies zu bedeuten, daß der Staat gar nichts anderes ist, als eine Funktion der praktischen Notwendigkeit, äußere Gegenstände der Willkür als das Seine haben zu können. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist nun zu untersuchen.

561 562 563 564

Ebd., 312. Ebd. Ebd. Ebd., 245.

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3. Kapitel: Die Begründung des Staates in der „Metaphysik der Sitten"

2. Äußeres Mein und Dein und Staatsimperativ Um die These vom Vorrang des äußeren Mein und Dein in Bezug auf die Staatsbegründung zu prüfen, ist auf zwei Theoreme des Kantischen Privatrechts noch einmal näher einzugehen. Das eine ist die Unterscheidung von provisorischem und peremtorischem Besitz, das andere das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft in §2 der Rechtslehre. Im Falle der Unterscheidung von provisorischem und peremtorischem Recht unterliegt es gar keinem Zweifel, daß Kant das äußere Mein und Dein und insbesondere das Eigentum prinzipienlogisch auf den Staat bezieht. Wolfgang Kersting hat hier von einer „geltungstheoretischen Verschränkung von Eigentum und Staat gesprochen."565 Die Frage ist allerdings, ob dieser Bezug auch eine begründungstheoretische Relevanz hinsichtlich des öffentlichen Rechts hat. Kant hatte gleichsam als Fazit des ersten Hauptstücks des Privatrechts („Von der Art, etwas äußeres als das Seine zu haben") die Behauptung aufgestellt: „Die Art also, etwas außer mir als das Meine zu haben, ist die bloß-rechtliche Verbindung des Willens des Subjekts mit jenem Gegenstande, unabhängig von dem Verhältnisse zu demselben im Raum und in der Zeit, nach dem Begriff eines intelligibelen Besitzes."566 Der intelligible Besitz ist ein „Besitz ohne Inhabung'567. Durch den Begriff des intelligiblen Besitzes bin ich befugt, andere vom Gebrauch des Gegenstandes abzuhalten, auch wenn ich den Gegenstand gar nicht physisch besitze. Daß dies keine unzulässige Einschränkung fremder Willkür durch meinen Besitzwillen darstellt, also nicht unrecht ist, hatte Kant gezeigt. Vielmehr tut deijenige Wille Unrecht, durch den es unmöglich gemacht wird, äußere Gegenstände auf diese Art zu besitzen. Die vernunftrechtliche Grundlage des äußeren Mein und Dein bzw. der Möglichkeit, einen äußeren Gegenstand bloß-rechtlich besitzen zu können, ist das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft. Zunächst aber folgt aus dem Postulat noch nicht, daß es im Naturzustand ein wirkliches äußeres Mein und Dein gibt. Das intelligible Besitzverhältnis ist unter Naturzustandsbedingungen höchst problematisch. Daher gilt: „Die Art, etwas Äußeres als das Seine im Naturzustande zu haben, ist ein physischer Besitz, der die rechtliche Präsumtion fur sich hat, ihn durch Vereinigung mit dem Willen aller in einer öffentlichen Gesetzgebimg zu einem rechtlichen zu machen".568 Kant nennt dies einen „provisorisch-rechtlichen Besitz"569. Dieser Begriff soll die Schwierigkeit lösen, in die Kants Vernunftrechtslehre dadurch gerät, daß sie 565 566 567 568

Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 341. AA VI, 253/254. Ebd., 246. Ebd., 257. Ebd.

Äußeres Mein und Dein und Staatsimperativ

175

einerseits ein Prinzip enthält, das es schlechterdings notwendig macht, äußeres als das Seine haben zu können, und daß sie andererseits behaupten muß, daß „etwas Äußeres als das Seine zu haben, nur in einem rechtlichen Zustande möglich ist"570. Letzteres lag daran, daß zum einen das äußere Mein und Dein im Hinblick auf die Möglichkeit des Gebrauchs äußerer Gegenstände unter Freiheitsgesetzen praktisch notwendig ist. Zum anderen aber hängt das äußere Mein und Dein vom subjektiven Besitzwillen des Besitzers ab und dieser kann andere nur dann auf den Nichtgebrauch des Seinen verpflichten, wenn sein Wille als eine dem Rechtsgesetz gemäße Gesetzgebung für andere gedacht werden kann. Mit dieser Bedingung waren gleich zwei Schwierigkeiten verknüpft. Die erste besteht darin, daß ein einseitiger Wille nicht ohne weiteres als eine alle anderen Subjekte verpflichtende Gesetzgebung gedacht werden kann. Die zweite besteht darin, daß der Besitzwille - sofern er rechtsgesetzlich ist - wechselseitig gelten muß. Die Wirklichkeit des äußeren Mein und Dein ist daher an die Bedingung geknüpft, daß die Subjekte ihre Besitzansprüche wechselseitig anerkennen. Die erste Schwierigkeit löst Kant durch die Idee des allgemeinen Willens, die zweite durch den rechtlichen Zustand. Steht daher die Rechtsgültigkeit des äußeren Mein und Dein unter der Bedindung der in der Idee vereinigten Willkür aller, so die Wirklichkeit des äußeren Mein und Dein unter der Bedingung der zur Gesetzgebung wirklich vereinigten Willkür aller. Letzteres kennzeichnet den Zustand, in dem ein peremtorischer Besitz möglich ist. Das Konzept eines provisorischen Besitzes drückt aus, daß es im Naturzustand tatsächlich gar nicht möglich ist, etwas Äußeres kraft eigenen Willens nach dem Begriff einer possessio noumenon als das Seine zu haben. Sondern das Postulat, dessen Inhalt die praktisch-notwendige Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein ist, gibt mir lediglich eine Befugnis, andere vom Gebrauch solcher Gegenstände abzuhalten, die ich als erster in meinen Besitz gebracht habe und die ich dann dem Rechtsgesetz gemäß in meiner Gewalt habe. Einen solchen Gegenstand besitze ich provisorisch-rechtlich und kann seinen Besitz durch Vereinigung meiner Willkür mit derjenigen aller anderen in einer öffentlichen Gesetzgebung peremtorisch machen. Aus diesen Überlegungen ergibt sich lediglich, daß die Wirklichkeit des äußeren Mein und Dein von der Wirklichkeit des öffentlich-rechtlichen Zustandes abhängt. An diesem Befund ändert auch Kants Hinweis nichts, daß „bürgerliche Verfassung ... allein der rechtliche Zustand [ist], durch welchen jedem das Seine nur gesichert, eigentlich aber nicht ausgemacht und bestimmt wird." Da nun ,,[a]lle Garantie ... das Seine von jemandem (dem es gesichert wird) ... voraussetzt]", so müsse „vor der bürgerlichen Verfassung (oder von ihr abgesehen) ein äußeres Mein und Dein als möglich angenommen werden".571 Daß ein äußeres Mein und Dein „vor" oder „abgesehen von" der bürgerlichen Verfassung möglich 570 571

Vgl. ebd., 255 (§8, Überschrift). Ebd., 256.

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3. Kapitel: Die Begründung des Staates in der „Metaphysik der Sitten"

ist, sagt das Postulat. Die Möglichkeit des äußeren Mein und Dein folgt aber nicht daraus, daß der Zweck des Staates darin besteht, ,jedem das äußere Seine zu sichern". Allerdings ist es zutreffend, daß der Staat nicht der Grund des äußeren Mein und Dein im Sinne des Naturrechts ist. Der Staat als wirklicher allgemeiner Wille beglaubigt gewissermaßen die naturrechtlichen Besitzansprüche der Individuen, er sichert sie und kann sie in bestimmten Fällen wohl auch einschränken. Daher schwankt Kant manchmal darin, die Aufgabe des Staates nur in der Sicherung oder auch in der Bestimmung des äußeren Mein und Dein zu sehen. Die Funktion des Staates besteht jedenfalls nicht darin, jedem das Seine zu geben. Dies zu behaupten wäre ungereimt, „denn man kann niemandem etwas geben, was er schon hat".572 Die Beurteilung dessen, was das Seine eines jeden ist (sein Recht), hängt ursprünglich (im Naturzustand) vom eigenen Urteil eines jeden ab. Das subjektive Rechtsurteil ist aber so lange fur alle anderen unverbindlich, als alle miteinander im Naturzustand verbleiben. Der Übergang vom Naturzustand in den Rechtszustand besteht nun darin, die eigene Willkür, d.h. sowohl den Willen, Äußeres als das Seine zu besitzen, als auch die Befugnis, sein Recht selbst zu beurteilen, mit der Willkür aller anderen zu vereinigen um so ein allgemeinverbindliches äußeres Mein und Dein und ein ebensolches Rechtsurteil zu ermöglichen. Aus diesem Grunde kann und muß der äußere Besitz seiner notwendigen Möglichkeit nach bei der Staatsbegründung vorausgesetzt werden und kann der Staat selbst als Sicherungsinstanz für das äußere Mein und Dein angesehen werden. Nun hängt aber die subjektive Pflicht eines jeden, in den rechtlichen Zustand einzutreten keineswegs davon ab, daß jeder Verpflichtete etwas Äußeres als das Seine hat oder haben will. Jeder Mensch steht als solcher unter dieser Pflicht zum Staat. Nun gilt aber aufgrund der strikten Wechselseitigkeit des Rechts, daß jeder den anderen nur dann hinsichtlich des äußeren Seinen verpflichten kann, wenn er ihn wechselseitig auch sicher stellt, dessen äußeren Besitz zu achten. Durch den Willen, etwas Äußeres als das Seine zu haben, tritt der Besitzer nicht in eine einseitige Rechtsbeziehung zu allen anderen ein, sondern in eine wecheselseitige Recht-Pflicht-Beziehung. Daher ist jeder Besitzer auch verpflichtet, mit allen anderen möglichen Mitbesitzern der Sache in einen rechtlichen Zustand zu treten. Diese Pflicht entspringt aber nicht aus dem äußeren Mein und Dein, sondern sie ist ursprünglicher: sie entspringt aus dem Recht der Menschheit in der Person eines jeden, der gemäß jeder Einzelne Träger einer inneren Rechtspflicht und eines angeborenen Rechts ist und dergemäß jeder jedem anderen gegenüber verpflichtet ist, sein Recht und damit ihn selbst als frei handelnde Person nicht zu verletzten. Daraus entspringt eine Rechtspflicht a priori, durch die jeder Mensch als solcher verbunden ist, mit anderen in einen Zustand zu treten, „worin jedermann das Seine

572

Ebd., 237.

Äußeres Mein und Dein und Staatsimperativ

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gegen jeden anderen gesichert sein kann". Der Staat ist mithin nicht bloß „geltungstheoretischer Bestandteil des vollständigen Rechtsbegriffs des Eigentums" 573 , sondern er ist „geltungstheoretischer Bestandteil" des Rechts überhaupt. Aus der geltungstheoretischen Abhängigkeit des äußeren Mein und Dein vom angeborenen Recht ergibt sich im übrigen, daß es völlig unmöglich ist, den Staat allein aus dem äußeren Mein und Dein bzw. dem Eigentum begründen zu wollen. Der Staat ist bei Kant nichts anderes als die vernunftnotwendige Realisationsbedingung der äußeren Freiheit unter allgemeinen Gesetzen. Insofern das äußere Mein und Dein bzw. das Eigentum selbst eine solche vernunftnotwendige Realisationsbedingung der äußeren Freiheit sind, läßt sich der Staat natürlich auch auf diese beziehen. Allerdings ist zu beachten, daß das Verhältnis angeborenes Recht - Staat analytisch ist; die Pflicht zum Staat folgt aus keiner rechtlichen Tat des Subjekts - also auch nicht aus dem Erwerb eines Rechts. Genau dies würde aber vorausgesetzt, wenn man den Staatsimperativ als Pflicht des Besitzers gegenüber allen Mitbesitzern begründen wollte. Die einzige nicht rein rationale Bedingung, unter die Kant das Postulat des öffentlichen Rechts stellt, ist aber diejenige des unvermeidlichen Sozialverhältnisses, durch die der äußere Willkürgebrauch des einen jederzeit mit demjenigen aller anderen beliebig in Konflikt geraten kann. Nicht vorausgesetzt wird dagegen der „Streit des Mein und Dein über ein [äußeres] Objekt". Aus den bisherigen Erörterungen sollte klar geworden sein, daß auch das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft aus §2 der Rechtslehre nicht als Fundamentalsatz der kantischen Staatsphilosophie gelten kann. Das Postulat ist ein Prinzip des äußeren Mein und Dein und setzt das angeborene Recht voraus. Mit der These von der Begründungsfunktion des Postulats für den status civilis verknüpft sich ein weiteres Argument. So wird behauptet, daß erst das Postulat dem Subjekt diejenige Zwangsbefugnis erteilt, durch die es möglich wird, mit allen anderen in einen öffentlich-rechtlichen Zustand einzutreten. Diese These ist von Reinhard Brandt mit Nachdruck vertreten worden: „Das Postulat" sei „das einzig mögliche Fundament einer Rechtslehre" 574 ; insbesondere werde „der Übergang vom status naturalis in den status civilis ... vom Postulat bzw. Erlaubnisgesetz des §2 getragen." 575 Damit ist nicht gemeint, das Postulat sei die ganze ratio essendi des öffentlichen Rechts. Aus dem Postulat allein ergibt sich nicht die praktische Notwendigkeit des Staates. Es ist aber der moralische Grund für die Möglichkeit seiner Verwirklichung. Das Postulat ist nach Brandt die ratio fienài

573 574 575

Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 333. Brandt, Eigentumstheorien, S. 187. Brandt, Erlaubnisgesetz, S. 234.

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3. Kapitel: Die Begründung des Staates in der „Metaphysik der Sitten"

des öffentlich-rechtlichen Zustande und nehme insofern eine zentrale Stellung hinsichtlich der Staatsbegründung ein.576 Kant betont in der Tat mehrfach, daß der Besitzer aufgrund des provisorischen äußeren Mein und Dein, befugt ist, andere zum Eintritt in den öffentlichrechtlichen Zustand zu zwingen. So etwa in dem oben bereits erwähnten „Folgesatz" in §8 der Rechtslehre: „Wenn es rechtlich möglich sein muß, einen äußeren Gegenstand als das Seine zu haben, so muß es auch dem Subjekt erlaubt sein, jeden anderen, mit dem es zum Streit des Mein und Dein über ein solches Objekt kommt, zu nötigen, mit ihm zusammen in eine bürgerliche Verfassung zu treten."577 Entsprechend heißt es im folgenden Paragraphen, daß mit der Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein im Naturzustand zugleich ein Recht angenommen werden müsse, Jedermann, mit dem wir irgend auf eine Art in Verkehr kommen können zu nötigen, mit uns in eine Verfassung zusammenzutreten, worin jenes gesichert werden kann."578 Die stärkste These in dieser Hinsicht findet sich aber in §44. Dort heißt es: Wollte man vor Eintretung in den bürgerlichen Zustand gar keine Erwerbung, auch nicht einmal provisorisch für rechtlich erkennen, so würde jener selbst unmöglich sein. Denn der Form nach enthalten die Gesetze über das Mein und Dein im Naturzustande ebendasselbe, was die im bürgerlichen vorschreiben, sofern dieser bloß nach reinen Vemunftbegriffen gedacht wird: nur daß im letzteren die Bedingungen angegeben werden, unter denen jene zur Ausübung (der distributiven Gerechtigkeit gemäß) gelangen. - Es würde also, wenn es im Naturzustand auch nicht provisorisch ein äußeres Mein und Dein gäbe, auch keine Rechtspflichten in Ansehung desselben, mithin auch kein Gebot geben, aus jenem Zustand herauszugehen. (AA VI, 313) 579

576

Vgl. ebd., S. 234. Es ist klar, daß diese Interpretation auf eine Entwertung des Vertragsgedankens hinauslauft. Vgl. etwa Bemd Ludwig, Kants Verabschiedung der Vertragstheorie - Konsequenzen für eine Theorie sozialer Gerechtigkeit, in: Jahrbuch filr Recht und Ethik 1 (1991), S. 221-254. Nach Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 358 Fn. 48, ist der Vertrag „als der notwendige Vereinigungsakt aller" als „Verbindlichkeitsgrund des Eigentums" notwendig gefordert. 577 AA VI, 256. Dieser „Folgesatz" wird von Hermann Cohen, Kants Begründung der Ethik, S. 412, im genau entgegen gesetzten Sinne interpretiert: „Hier ist nun endlich klar und bündig ausgesprochen, worin der Zusammenhang zwischen dem Rechte und dem Zwang eigentlich besteht; worauf er beruht: nämlich auf dem Vernunftrecht zur Nötigung zur bürgerlichen Verfassung. Das ist der Zwang, der allerdings im Rechte, als ein Merkmal seines Begriffes, liegt; mithin begrifflich in ihm als Voraussetzung enthalten ist... . Das Urrecht ist die Nötigung zum Staat. Der Begriff des Staates ist die Voraussetzung für das Urrecht; für den ursprünglichen Besitz, und auf Grund dessen für den Privatbesitz." 378 AA VI, 256. 579 Vgl. Brandt, Person und Sache, S. 906 für eine analogisierende Interpretation des letzten Satzes: „Wie es keine synthetische Einheit der Apperzeption in der transzendentalen Erkenntnistheorie gibt, ohne daß diese Einheit im Hinblick auf die Sinnlichkeit eine Funktion ausübt, so ist auch der allgemeine Wille an diese seine ursprüngliche Funktion der gesetzlichen Einheit singulärer Willkürakte gebunden. Das bedeutet aber, daß das Privatrecht sich umgekehrt schon auf die Möglichkeit der synthetischen Einheit in staatlichen Gesetzen beziehen muß."

Äußeres Mein und Dein und Staatsimperativ

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Im Unterschied zu den zuvor angesprochenen Passagen geht es hier aber nicht um den Besitz und eine damit verknüpfte subjektive Zwangsbefugnis, sondern um die Erwerbung und die vernunftrechtlichen Prinzipien, nach denen deren Möglichkeit im Naturzustand gedacht werden kann. Im Unterschied zum Besitz ist der allgemeine Wille für die (ursprüngliche) Erwerbung im Naturzustand aber nicht nur Realisationsbedingung, sondern Geltungsbedingung. Die rechtliche Erwerbung ist nur unter dieser Idee möglich. Dagegen hängt die Möglichkeit des Besitzes vom Postulat, seine Wirklichkeit aber von der zu einer allgemeinen Gesetzgebung vereinigten Willkür aller ab. Überspitzt könnte man sagen: der Staat ist für den Besitz nur Wirklichkeitsbedingung, für die Erwerbung dagegen auch schon Möglichkeitsbedingung. Wie oben bereits gezeigt wurde, hängt die Möglichkeit der ursprünglichen Erwerbung von Eigentum im Naturzustand von der Idee des Staates ab und setzt diese voraus. Die Erwerbung eines äußeren Gegenstandes kann im Naturzustand nur unter der Bedingung als rechtlich anerkannt werden, daß der Wille des Erwerbenden als unter der Idee des allgemeinen Willens stehend angesehen werden kann. Der allgemeine Wille ist dasjenige Prinzip, durch das die empirische Willkür jedes einzelnen überhaupt erst als rechtmäßig gedacht werden kann, indem sie nämlich mit der Willkür aller anderen notwendig vereinigt ist. Die Möglichkeit der apriorischen Übereinstimmung der Willkür aller durch ihre Vereinigung zu einem allgemeinen Willen ist sowohl Bedingung der Möglichkeit, etwas Äußeres als das Seine im Naturzustand rechtlich erwerben zu können, als auch der öffentlichen Gesetzgebung im Staat. Dasselbe Prinzip also, durch das der Eintritt in den das Recht sichernden status civilis möglich ist, gibt schon im Naturzustand jedermann einen Rechtstitel (den „Vernunfttitel der Erwerbung"), einen äußeren Gegenstand ursprünglich zu erwerben. Da es sich hierbei um ein natur- oder vemunfirechtliches Prinzip handelt, kann seine Gültigkeit bzw. seine Anwendbarkeit auf das äußere Verhältnis der Subjekte nicht davon abhängen, daß diese sich bereits in einem Zustand befinden, in dem die Willkür aller in einer öffentlichen Gesetzgebung wirklich vereinigt ist. Wollte man diesem Prinzip seine naturrechtliche Gültigkeit, d.h. seine Gültigkeit für die rechtliche (provisorische) Erwerbung im Naturzustand nehmen, so wäre ein Zustand, der nach diesem Prinzip selbst praktisch notwendig ist, unmöglich gemacht. Für die Etablierung des bürgerlichen Zustandes nach Rechtsprinzipien müssen bestimmte naturrechtliche Prinzipien vorausgesetzt werden, da der status civilis selbst nach Naturrechtsprinzipien notwendig ist, mithin setzt dieser Zustand das „Privatrecht im natürlichen Zustande" voraus. Nun ist es trivial, daß die „Rechtspflichten in Ansehung desselben", d.h. des äußeren Mein und Dein, eben dieses voraussetzen. Damit ist aber nichts anderes gesagt, als das, was oben bereits erörtert wurde: daß ich nämlich denjenigen, mit dem es zum „Streit des Mein und Dein" über einen äußeren Gegenstand der Willkür kommen kann, zwingen darf, mit mir in einen Zustand zu treten, in dem

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3. Kapitel: Die Begründung des Staates in der „Metaphysik der Sitten"

jedem das Seine gesichert werden kann. Diese Befugnis ist offensichtlich eine Folge aus dem rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft in §2 der Rechtslehre - allerdings nur unter Voraussetung des „Axioms des Rechts" d.h. des Rechtsgesetzes. Es ist bei dem Folgesatz zu beachten, daß Kant nicht behauptet, aus dem Postulat ergebe sich eine Pflicht, in den bürgerlichen Zustand einzutreten. Sondern Kant sagt lediglich, die reale Möglichkeit, einen äußeren Gegenstand als das Seine zu haben, hänge - da es im Naturzustand kein wirkliches Mein und Dein geben kann - von der Möglichkeit ab, andere wirksam verpflichten zu können (d.h. sie zu zwingen), mit mir in einen rechtlichen Zustand zu treten. Der moralische Grund dafür, daß ich sie entgegen ihrer empirischen Willkür zwingen darf, in einen solchen Zustand einzutreten, ist, daß sie a priori, d.h. durch das Rechtsgesetz, immer schon dazu verpflichtet sind. Ich verschaffe also durch die von mir ausgeübte Nötigung nicht so sehr meinem rechtlich unbestimmten subjektiven Besitzwillen Geltung, sondern vielmehr dem Rechtsgesetz. Daher habe ich die Zwangsbefugnis aus meinem (provisorischen) äußeren Mein auch nur insoweit, als sich mein Besitzwille in einer möglichen Übereinstimmung mit der vereinigten Willkür aller befindet.580 Im übrigen behauptet der „Folgesatz" nur für den speziellen Fall des äußeren Mein und Dein, was fur jedes Mein oder Dein überhaupt gilt. Es ist a priori klar, daß die Erfüllung einer Rechtspflicht erzwungen werden kann. Wer seine Rechtspflicht mir gegenüber verletzt, den darf ich zur Unterlassung solcher Rechtsverletzungen zwingen. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob der andere mich an meinem angeborenen Recht oder an meinem äußeren Besitz verletzt. Insbesondere bin ich aber in beiden Fällen befugt, den anderen zu zwingen, grundsätzlich Rechtsverletzungen mir gegenüber zu unterlassen und dies bedeutet nichts anderes als: ich bin befugt, ihn zu zwingen, mit mir in einen rechtlichen Zustand zu treten, „worin jedem das Seine gegen jedermann gesichert sein kann." Kant hatte dies bereits als Gegenstand einer Rechtspflicht a priori - des Suum cuique tribue bestimmt. In der Einleitung zur Rechtslehre war aber noch offen geblieben, wer befugt ist, die Erfüllung dieser Pflicht zu erzwingen. Da es sich um eine Pflicht der Individuen im Naturzustand handelt ist klar, daß der Zwang nicht von einem äußeren Gesetzgeber ausgehen kann. Im Naturzustand sind nur die Individuen selbst Träger einer rechtlichen Zwangsbefugnis. Also darf im Naturzustand jeder jeden anderen rechtmäßig zwingen, mit ihm in einen rechtlichen Zustand einzutreten. Diese Befugnis ist analytisch mit dem subjektiven Recht der Individuen verknüpft. Das subjektive Recht ist entweder angeboren oder erworben. Die Befugnis, andere zu zwingen, besteht selbstverständlich in Bezug auf beide Rechte. Kant bezieht den „Folgesatz" lediglich auf das äußere Mein und 580

Aus diesem Grunde kann sich bei Kant das nach naturrechtlichen Prinzipien erworbene Eigentum auch niemals im Widerspruch zu allseitigen rechtlichen Freiheit befinden. Rousseaus Kritik an Lockes Vertragskonzeption läßt sich daher auch nicht auf Kant anwenden.

Äußeres Mein und Dein und Staatsimperativ

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Dein, da er hier nur vom „Privatrecht vom äußeren Mein und Dein überhaupt" handelt. Die spezifisch privatrechtliche Problematik drückt sich ferner darin aus, daß Kant sagt, es müsse erlaubt sein, , jeden anderen, mit dem es zum Streit des Mein und Dein ... kommt, zu nötigen". Über das angeborene Recht kann es aber keinen Streit geben, es kann „nur" verletzt werden.

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Personenregister Achenwall, G.: 74f., 77, 77 Fn. 309, 80, 82 Fn. 328, 83 Fn. 333, 112-115, 113 Fn. 414, 117 Fn. 423,159 Ambrosius: 136 Fn. 471 Augustinus: 136 Fn. 471 Bachmann, H.-M.: 82 Fn. 326 Basilius der Große: 136 Fn. 471 Bauch, B.: 47 Fn. 183 Baum, M.: 49 Fn. 194 Beck, J. S.: 97 Fn. 366, 142 Fn. 487, 144 Fn. 489, 147 Fn. 500 Behme, Th.: 74 Fn. 284, 136 Fn. 470 Bergk, J. Α.: 22 Bornes, K.: 127 Fn. 444 Bouterwek, Fr.: 98 Fn. 367 Brandt, H.: 8 Fn. 34 Brandt, R : 1 Fn. 1, 8 Fn. 34. 12-16, 68 Fn. 259, 73 Fn. 278, 77 Fn. 303, 101 Fn. 376, 102, Fn. 380, 105 Fn. 387, 109 Fn. 397, 110 Fn. 398, 112 Fn. 403, 177, 178 Fn. 582, Brocker, M : 2 Fn. 3,136 Fn. 470 Buchda, G.. 3 , 2 3 , 9 8 Fn. 367, 127 Fn. 443 Buhle, J. G.: 2 Fn. 3 Busch, W.: 19 Fn. 91 Byrd, Sh. B.: 162 Fn. 544 Cassirer, E : 3 Cicero: 136 Fn. 471 Clemens von Alexandrien: 136 Fn. 471 Cohen, H.: 3 Fn. 8,3 Fn. 10,178 Fn. 580 Cyprien von Karthago: 136 Fn. 471

Geismann, G.: 165 Fn. 550,168 Fn. 555 Goyard-Fabre, S.: 1 Fn. 1 Gregor, M. J.: 1 Fn. 1, 52 Fn. 208 Gregor von Nyssa: 136 Fn. 471 Gregor von Nyzanz: 136 Fn. 471 Grotius, H.: 73f., 117 Fn. 423, 136, 136 Fn. 470 Haakonssen, K.: 73 Fn. 278, 74 Fn. 283 Haensel, W.: 5 Hamann, J G.: 21 Hartknoch, J. F.: 22 Hartmann, Α. V.: 105 Fn. 386 Hecker, D : 93 Fn. 360 Hegel, G. W. Fr.: lf. Herder, J. G.: 20 Herrmann, Fr. W. v.: 80 Fn. 322 Herz, M.: 20 Heydenreich, Κ. H.: 22 Hobbes, Th.: 1, 6, 15, 51 Fn. 203, 55, 70, 74, 133, 150, 157, 159, 165, 168,173 Höffe, Ο.: 1 Fn. 1, 13 Fn. 61, 51ff„ 51 Fn. 203, 69 Fn. 266, 71 Fn. 274 Hruschka, J.: 112 Fn. 403, 114 Fm 417, 116 Fn. 419 Hüning, D.: 168 Fn. 555 Hutcheson, Fr.: 20 Jakob, L. H.: 22 Johannes Chrysosthomos: 136 Fn. 471 Ju, G.-J.: 87 Fn. 342

Ebbinghaus, J.: 6f„ 12, 12 Fn. 62, 48 Fn. 193, 78 Fn. 312,84 Fn. 339, 165 Fn. 550 Ebert, Th.: 113 Fn. 411 Emge, C. Α.: 6 Fn. 31 Erhard, J. B.: 2 Fn. 3,22,165-168

Kaufinan, Α.: 52 Fn. 208 Kaulbach, Fr.: 47 Fn. 183,145 Fn. 493 Kersting, W.: 1 Fn. 1, 13 Fn. 62, 14ff., 51f., 60 Fn. 229, 71 Fn. 274, 106 Fn. 388, 109 Fn. 397, 112 Fn. 403, 120, 127 Fn. 444, 145 Fn. 493,169 Fn. 560,178 Fn. 579 Klein, E. F.: 2 2 , 1 6 5 f f , 167 Fn. 552, Klippel, D.: 82 Fn. 327 Kobusch, Th.: 82 Fn. 326 Koselleck, R.: 7 Fn. 35 Kühl, Κ.: 1 Fn. 1, lOf, 145 Fn. 493

Feenstra, R.: 136 Fn. 471 Feuerbach, P. J. Α.: 22 Fichte, J. G.: 2 , 2 Fn. 3,22,47, 165 Fulda, H. Fr.: 119Fn.425

Lambert, J. H.: 20f. Langer, C.: 1 Fn. 1, 11 Lehmann, G.: 3 Fn. 9 , 9 7 Fn. 395, 145 Fn. 493 Lisser, K.: 4f.

Dahlstrom, D. O.: 56 Fn. 221 Deggau, H.-G.: 1 Fn. 1, 12,80 Fn. 320 Dünnhaupt, R.: 5

192

Personenregister

Locke, J.: 2, 8, 15, 17, 55, 88, 150, 155, 168, 180 Fn. 583 Ludwig, Β.: 1 Fn. 1, 16f., 29 Fn. 137, 44 Fn. 178, 46 Fn. 180, 55 Fn. 217, 98 Fn. 367, 104 Fn. 386,119, 119 Fn. 425,162 Fn. 546 Lübbe-Wolf, G.: 103 Fn. 382 Luf, G.: 1 Fn. 1,10f., 145 Fn. 493 Malibabo, B.: 58 Fn. 224 Marx, K.: 2 Medick, H : 136 Fn. 471 Merle, J.-Chr : 53 Fn.210 Metzger, W.: 3 f., 47 Fn. 184 Mulholland, L. Α.: 1 Fn. 1, 31 Fn. 142, 77 Fn. 303, 79 Fn. 314, 80 Fn. 319, 81 Fn. 321 Murphy, J. G.: 1 Fn. 1

Saage, R : 1 Fn. 1, 8ff. Saito; Y.: 105 Fn. 386 Schaumann, J. Chr. G.: 86 Fn. 344 Schmalz, Th.: 2 Fn. 3,22 Schmid, C. Chr. E.: 2 Fn. 3, 86 Fn. 344 Scholz, G.: 1 Fn. 1 Shaftesbury: 20 Shell, S. M.: 1 Fn. 1 Stephani, H.: 29 Fn. 137, 59 Stipperger, E.: 82 Fn. 326 Suarez, F.: 74 Thomas von Aquin: 136 Fn. 471 Thomasius, Chr.: 115 Fn. 422 Tieftrunk, J. H.: 59f, 67, 71f., 125 Fn. 437, 126 Tierney, B.: 117 Fn. 424 Tuschling, B.: 109 Fn. 386

Nipperdey, Th.: 8 Fn. 34 Unruh, P.: 1 Fn. 1 Pörschke, K. L.: 22 Pufendorf, S.: 55, 74, 74 Fn. 284, 117 Fn. 423, 137 Fn. 470 Radbruch, G.: 47 Fn. 185 Reich, K.:20 Fn. 94 Riley, P.: 1 Fn. 1 Ritter, Chr.: 19 Fn. 91 Römpp, G.: 14 Fn. 75 Rosen, A. D.: 1 Fn. l , 2 8 F n . 133 Rousseau, J.-J.: 15, 20, 51 Fn. 203, 55, 88, 134, 148,155,165,180 Fn. 583

Vlachos, G.: 1 Fn. 1 Wieacker, F.: 166 Fn. 352 Wolff, Chr.: 21, 52, 81f„ 81 Fn. 324, 86, 117 Fn. 423 Zotta, F.: 1 Fn. l , 9 f .

Sachregister aneignen, Aneignung: 75, 89, 128,155 apprehensio, Apprehension: 117, 138f., 151, 153 appropriatio, Appropriation: 89, 138, 143, 147 Fn. 502, 149,154, Arbeit: 155 s. a. Bearbeitung Autonomie: 30 Fn. 139, 83 Fn. 335 Bearbeitung: 150 Fn. 510 s. a. Arbeit beati possidentes: 133 f. bellum omnium in omnes: 169 s. a. Kriegszustand Bemächtigung: 89,117, 134, 14Í, 144, 147,150 Fn. 510, 151fif., 173 Besitzergreifung: 128ff., 138f., 153 Besitzgemeinschaft: 136 Fn. 470,137, 147 Besitzidealismus: 108 Besitzrealismus: 106f., 106 Fn. 388 Bodengemeinschaft: 137,145 Fn. 493, 147 Bürger: 23, 52, 82f„ 132f„ 163 s. a. Staatsbürger bürgerlicher Zustand: 69, 53, 95, 131, 141, 145 Fn. 492, 149, 151f„ 159, 159 Fn. 586, 163, 173, 178ff. s. a. status civilis declaratio: 138 detentio: 124 Ehrbarkeit: 58, 66f„ 170 Erlaubnis: 33 Fn. 147, 113,149 Erlaubnisgesetz: 32, 89, 102, 102 Fn. 379, 105 Fn. 387, 111-118, 117 Fn. 423, 133, 135, 139, 154, 177 Erwerbung: 73, 89f., 92, 94, 96, 112f., 116-119, 127f., 132, 135-143, 145, 147-157, 173, 178f. exeundum est e statu naturali: 71,150, 157, 160, 169 Friedensimperativ: 161 Gesamtbesitz: 92, 134, 136Í, 140-146, 142 Fn. 487, 144 Fn. 489, 144 Fn. 490, 145 Fn. 492, 145 Fn. 493 Gerechtigkeit: 57f„ 69, 61 Fn. 231, 69, 160, 169, 178

Gesellschaft: 52, 58, 69, 159, 159 Fn. 536, 161, 166ff. Gesetzgeber: 26, 30, 30 Fn. 139, 64, 114f„ 152, 157, 163, 180 Gleichheit: 77f., 81-84, 81 Fn. 324, 83 Fn. 333, 84 Fn. 339, 86 Glückseligkeit: 24 Fn. 117, 34 Fn. 148, 42, 58 Fn. 224,63,65, 80 herrenlos, Herrenlosigkeit: 75, 105, 108, 116f., 138, 143 Fn. 487, 146, 147 Fn. 500 Herrschaft: 55, 55 Fn. 217, 71 Fn. 274, 72f., 81, 94 Fn. 359, 157, 165, 168f. honeste vive: 18, 57-60, 57 Fn. 224, 65-68, 68 Fn. 259, 70f., 166,170 Kriegszustand: 168f. Legalität: 36f., 36 Fn. 155,44f. Menschenrecht: 79f., 82, 84, 86f., 116 s. a. Recht der Menschheit Menschheit. 42f., 56, 61ff., 76, 78 Fn. 312, 84, 86, 148 Moralität: 20,33,36f., 36 Fn. 155, 44 Naturrecht: 25f., 51 Fn. 203, 57, 68, 73, 76 Fn. 300, 77, 80f., 85, 88, 96, 112, 114, 117, 132,157, 159, 163, 165 Fn. 551, 167,176 Naturzustand: 53, 55, 55 Fn. 217, 69ff, 76 Fn. 300, 82, 85f., 95f., 130-133, 141, 145 Fn. 492, 148-152, 151 Fn. 510, 154f., 157, 159ff, 163, 165, 167-176, 178ff. s. a. status naturalis neminem laede. 18, 57ff., 68-71, 117,170 prima occupatio: 88f., 92, 111, 113, 116Í, 133, 147, 153 Recht der Menschheit: 43, 58, 58 Fn. 224, 6372,68 Fn. 312, 170, 176 res nullius. 105, 105 Fn. 387, 108, 109 Fn. 397, 134, 137f., 146 Schema, Schematismus: 126-129, 127 Fn. 443, 127 Fn. 444, 128 Fn. 445, 135

194

Sachregister

Selbstbesitz: 68, 89f. Selbsterhaltung: 63, 74, 80, 175 Seibstzwang: 28, 30f., 35 Fn. 154, 38, 43, 60, 64ff. souverän, Souveränität: 29, 30 Fn. 140, 163, 168 Sozialvertrag: 165 s. a. Staatsvertrag Staatsbürger: 84, 84 Fn. 339, 116 s. a. Bürger Staatsimperativ: 149f., 152,167,177 Staatsvertrag: 23, 151 Fn. 510, 165 s. a. Sozialvertrag status civilis: 131Í, 149, 152, 156Í, 159, 162, 167,177,179 s. a. bürgerlicher Zustand

status naturalis: 85f„ 149, 157, 159, 163, 167f„ 177 s. a. Naturzustand suum cuique tribue: 18, 57ff., 68-71, 71 Fn. 274, 158, 169, 180 transzendental: 100,102,121,126,178 Fn. 582 Verfassung: 84 Fn. 339, 132f., 150, 158, 163 Fn. 547, 175, 178, 178 Fn. 580 Volk: 23, 52f„ 84, 158, 162, 172 Volkswille: 30 Fn. 140 Wohlfahrtsstaat: 52