Juristische Methodik und Politisches System: Elemente einer Verfassungstheorie II [1 ed.] 9783428436927, 9783428036929

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Juristische Methodik und Politisches System: Elemente einer Verfassungstheorie II [1 ed.]
 9783428436927, 9783428036929

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FRIEDRICH

MÜLLER

Juristische Methodik und Politisches System

Schriften

zur

Rechtetheorie

Heft 51

Juristische Methodik und Politisches System E l e m e n t e einer Verfassungstheorie

II

Von

Friedrich Müller

DUNCKER

&HUMBLOT/BERLIN

Alle Rechte vorbehalten (0 1976 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1976 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany I S B N 3 428 03692 1

Vorwort 1. Diese Arbeit hat zwei praktische Ziele. Einmal: beizutragen zur Konzeption einer Juristenausbildung, die nicht länger vorwiegend dazu dient, sekundäre Absicherungstechniken einzuüben; sondern die lernt, die Regeln juristischer Methodik für das Ermitteln von Ergebnissen einzusetzen. Sie w i r d es dann auch nicht mehr nötig haben, die w i r k lichen Gründe einer Entscheidung zu verbergen. Juristische Methodik sollte auch i n Ausbildung und Alltagspraxis von Rechtfertigungskunde zur Rechtserzeugungswissenschaft werden. Das w i r d ohne Einsicht i n ihre Stellung i m Politischen System nicht möglich sein. Zweitens ist es nötig, diese Stellung zu untersuchen, wenn die Verteidigung der freiheitlichen Wirkungen des verfaßten Rechtsstaats glaubhaft sein soll. 2. Aus diesen praktischen Zielen ergibt sich der theoretische Umkreis der Argumentation. Die Arbeit definiert mehrere Bezugsrahmen für die Zusammenhänge zwischen juristischer Methodik und Politischem System als genauere Fassung der viel debattierten Beziehung „Recht und Politik". Die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion des Rechts und nach dem Wissenschaftscharakter der Jurisprudenz erscheint als die ineinander verschränkte Grundfrage juristischer Methodik. I n dieser Perspektive untersucht die Studie Themen wie die sozial- und entscheidungswissenschaftlichen Elemente der Rechtsfindung, die Sonderstellung der Justiz, die Realitätsgrundlage der juristischen Methodik, die mehrfache Bedeutung von „Rationalität" i m bürgerlichen Rechtsstaat und die Funktionswandlungen dieses Verfassungsstaats. Sie diskutiert damit Fragen, die nicht nur zur juristischen Methodik, sondern ebenso i n eine Verfassungslehre gehören. Das gilt auch für den Abschnitt über Dezision, Implikation und Explikation, der sich m i t dem Bundesverfassungsgericht und m i t Fehlentwicklungen i n dessen neuerer Spruchpraxis auseinandersetzt. Er entwickelt an Fällen aus der Judikatur Maßstäbe für das Einwirken politischer Momente auf die richterlichen Zurechnungstechniken und Begründungsmuster; dabei w i r d versucht, die Debatte über politische Faktoren i n Rechtsprechung und Verwaltungspraxis durch strukturierende Typenbildung zu versachlichen. Schließlich ergänzt die Studie die Konzeption der Normstruktur (strukturierende Normtheorie und Methodik) durch Vorschläge zu

Vorwort

β

einer Textstruktur des Rechtsstaats und einer Geltungsstruktur positiven Rechtsordnung.

der

Der Zusatztitel deutet nicht auf den Plan hin, eine Verfassungstheorie aus Bausteinen zusammenzusetzen. Er sagt nur aus, daß eines ihrer wesentlichen Elemente die Frage darstellt, wie sich grundlegende Eigenschaften des verfaßten Politischen Systems auf die normorientierte Arbeit der Rechtspraktiker und Rechtswissenschaftler auswirken. 3. Abgesehen von Vorhaben, die schon ins Werk gesetzt sind, nehme ich m i t dieser Schrift Abschied von meiner bisherigen Praxis des Veröffentlichens wissenschaftlicher Texte. Die Ergebnisse meiner künftigen Forschungsarbeit werde ich für die Lehre verwenden. Heidelberg, Dezember 1975 Friedrich

Müller

Inhaltsverzeichnis Vorwort

5

0 Ausgangspunkt

9

1 Theoretische Bezugsrahmen

11

11 Bezugsrahmen I : Funktionen — Strukturen — Arbeitsweisen

11

111 Nachpositivistischer Realismus

11

112 Rationalität rechtsstaatlicher Methodik

13

113 Formalitäts- und Geltungsvorsprung positiven Rechts

15

12 Bezugsrahmen I I : Einwirkungen des Politischen Systems auf die juristische Methodik

16

121 Allgemeine Wirkungen auf die Arbeitsbedingungen juristischer Methodik

16

122 Allgemeine Wirkungen auf die Voraussetzungen Methodik

juristischer

17

123 Spezielle Wirkungen Methodik

juristischer

auf

die

Voraussetzungen

18

124 Spezielle Wirkungen auf die Arbeitsbedingungen juristischer Methodik 124.1 Beispiele für politische Faktoren in der Verfassungsrechtsprechung 124.10 Zur Fragestellung 124.11 Dezision durch Rechtsverbiegung 124.12 Dezision durch Rechtsunterstellung 124.13 Gesellschaftliche Implikation und wissenschaftliche E x plikation 124.131 Explikation 124.14 Primäre normative Implikation 124.15 Sekundäre normative Implikation 124.2 Parallelbeispiel aus der Verwaltungspraxis 124.3 Einige allgemeine Aspekte zu: Dezision — Implikation — Explikation 125 „Recht" und „Politik" im bürgerlichen Rechtsstaat — Bestandsaufnahme und Prognose

49

13 Bezugsrahmen I I I : Die Realitätsgrundlage der juristischen Methodik

52

18 18 18 19 24 28 33 36 37 41 44

130 Fragestellungen

52

131 Nichtnormieren und normatives Offenhalten

53

132 Verwirklichen von Normen 132.1 Grundfragen

53 54

Inhaltsverzeichnis

8 132.2 132.3

Beispiel: Straf recht — Norm, Sanktion, „Dunkelfeld" . . Die Abhängigkeit der Norm„anwender" und Normadressaten von sozialer Ungleichheit 132.4 Bechtsstaatliche Rationalität und soziale Schichtung . . 132.5 Beispiel: Der Allgemeine Gleichheitssatz 132.51 Begrenztheit des Normbereichs? 132.52 Realitätsgrundlage des Gleichheitssatzes 132.53 Art. 3 Abs. 1 GG als Willkür„verbot" 132.6 Weitere Generalisierungstendenzen 132.7 Beispiel: Die Verwirklichung von Grundrechten 132.8 Das Grundrecht auf Methodengleichheit 2 Einzelfragen 21 „Rechts- und Sozialwissenschaften"

54 55 57 58 58 59 60 61 63 65 68 68

211 Zur wissenschaftsgeschichtlichen Lage

68

212 „Entscheidungswissenschaft"

71

213 Juristenausbildung

72

22 Sonderfunktionen der Rechtsprechung

73

221 Zum politischen Standort der Rechtsprechung

74

222 „Soziale Garantien" der Normkonkretisierung

75

223 „Subjektive" und „objektive" Auslegung

76

224 Zur rechtsstaatlichen Grenzfunktion des Wortlauts — Gewaltenteilung und juristische Methodik — Rechtsnormen und Entscheidungsnormen

77

225 Normbindung — konstitutionelle und aktuelle Gewalt

80

226 Entscheidung gegen das Postulat der Normbindung

82

227 Zusätzliche Legitimationswirkungen der Justiz

84

23 Wissenschaftliche und politische Funktionen rechtsstaatlicher M e thodik

86

24 Politische Funktionen des bürgerlichen Rechtsstaats. Ziel rechtsstaatlicher Methodik

90

3 Entwurf eines theoretischen Gesamtrahmens

94

31 Normstruktur

94

32 Textstruktur

95

33 Geltungsstruktur

98

34 Anknüpfungspunkte

102

35 Offene Fragen — Vorschläge für weitere Forschung

104

Literaturverzeichnis

109

Register

117

0 Ausgangepunkt Dieser Text ist kein weiterer Beitrag zur allgemeinen Diskussion über „Recht und Politik". Angesichts des Umfangs dieser m i t Hingabe geführten akademischen Debatte 1 ist das auch gar nicht nötig. Er bringt vielmehr Beobachtungen, Folgerungen und vor allem Fragestellungen, die i m Konzept einer nachpositivistischen juristischen Methodik i m p l i ziert sind. Zulänglich, das heißt: sowohl grundsätzlich als auch umfassend, kann das gegenständlich genauere Thema „Juristische Methodik und Politisches System" n u r i m Rahmen einer Verfassungstheorie behandelt werden. Soweit sich aber die Fragen an eine Verfassungstheorie aus der Binnenstruktur, aus den Arbeitserfahrungen und Funktionen j u r i s t i scher Methoden formulieren lassen, sind sie hier zu formulieren. Dieser Zusammenhang ist notwendig. Juristische Methodik ist die Arbeitsmethodik von Funktionsträgern 2 . Diese sind nie Glasperlenspieler; und i n unserem Rechtssystem sind sie auch nicht Honoratioren. Es sind nach Herkunft und Ausbildung typisierbare, von „Standes"konventionen gerade i n Fragen der alltäglichen Arbeitsweise überformte, „professionalisierte" Funktionäre, „Rechtsarbeiter" 8 . I h r „Status", ihre „Rolle", ihre „Funktion" sind durch den Gesellschaftstypus inhaltlich und durch die Rechtsordnung positiv festgelegt. Normen sind Strukturierungsmechanismen für soziale Wirklichkeit. Normkonkretisierung, genauer: das Setzen von Entscheidungsnormen unter Berufung auf „dahinter" stehende allgemeine Rechtsnormen, ist i m Grundsatz nicht nur Interpretation von Normtexten, sondern auch Analyse von Normbereichen. Daher ist Rechtsarbeit nicht nur als Entscheidungsarbeit i m funktionellen Sinn „politisch", sondern ist sie auch arbeitsmethodisch unmittelbar m i t gesellschaftlicher Wirklichkeit befaßt. Dieser Sachverhalt ist hier durch Fragestellungen näher zu kennzeichnen, die sich aus dem E n t w u r f einer systematisch angelegten Me1 Überblick bei Grimm; Schuppert I, v. a. S. 115 ff. Aus der jüngsten Diskussion vgl. etwa Hagen, S. 14 ff., 80 ff.; Rottleuthner I, S. 166 ff.; in

historischer Skizze bei Goerlich, S. 143 ff.; von der Gesetzgebungswissenschaft her: Noll, S. 58 ff. 2 F. Müller, Juristische Methodik, 2. Aufl. 1976, 311.1. 8

Dazu F. Müller VI.

10

0 Ausgangspunkt

thodik ergeben. „Methodik" ist dabei nicht eine „Methodenlehre der Rechtswissenschaft" 4 , sondern die tatsächliche alltägliche Argumentationsweise von Rechtsarbeitern, hier zunächst dargestellt nach ihrem rechtsstaatlich geforderten „Soll-Zustand". Das Bestimmtsein dieser Argumentation durch die Grundzüge des Politischen Systems ist aufzudecken: durch K r i t i k , die Verbesserbares verbessert, wie durch K r i t i k auch an dem Unverbesserlichen, w e i l „Systemnotwendigen". Lebenslügen sind auch dort beim Namen zu nennen, wo sie wichtige soziale Funktionen erfüllen. Solche Funktionen durch Verbreitung von Illusion oder Ideologie zu honorieren, ist nicht Sache der Wissenschaft 5 . Der Zusammenhang „Juristische Methodik und Politisches System" ist auf beiden Seiten auf die vom Grundgesetz verfaßte Gesellschaftsordnung begrenzt. Es w i r d hier ja auch keine „allgemeine" Rechtsmethodik vorausgesetzt. Es handelt sich vielmehr u m eine juristische Methodik dieses Typus von Rechtsordnung und, was methodenrelevante Rechtssätze (im Verfassungsrecht, i m materiellen Gesetzesrecht, i m Verfahrensrecht) angeht, sogar um eine Methodik gerade dieser Rechtsordnung. Nicht nur Methoden, auch Methodiken sind von ihrem Gegenstand abhängig. „Die" juristische Methodik zu schreiben, wäre Anmaßung; oder es wäre rechts- und methodenvergleichende Kompilation von Methodiken, die dann doch i m einzelnen erst auszuarbeiten blieben. Auch empirische Forschung ist i n unterschiedlichen Gesellschaften nicht m i t derselben Methodik möglich; die sozialen Verhältnisse der jeweiligen Menschengruppe und Kulturgemeinschaft sind vielmehr entscheidend für die Möglichkeiten der empirischen Methodologie®. M i t dem „Politischen System" ist nicht nur der Staatsapparat gemeint; sondern alle Faktoren, die i n einer Form Gesellschaft und Politik bestimmen, die entweder direkt normiert und institutionalisiert ist, oder die i n Institutionen und Normen ihre Grundlage hat; das zuletzt Gesagte gilt beispielsweise für Parteien, Massenmedien, die W i r t schaft oder für Interessenverbände. Sowohl das „staatliche" wie das „gesellschaftliche" Moment sind, so gesehen, durch die Rechtsverfassung normiert, zumindest für legitim erklärt. 4 5

Wie bei Larenz.

Das ist wieder eine Aussage zum „Soll-Zustand"; diesmal zu dem der Wissenschaft. Daß das Verbreiten von Illusion und Ideologie tatsächlich auch Sache der Wissenschaft ist, stellt zugleich eine Aussage über das Politische System dar; und, soweit Juristen betroffen sind, über dessen Verkettung mit juristischer Methodik. • Vgl. das Beispiel bei Mühlmanns Feldforschungen in Indien über die heutige Rolle des Gandhiismus für die indische Sozialpolitik: Die auf Einzelinterviews abzielenden Fragebogen „griffen" nicht, die strukturierten Befragungen von Individuen ließen sich nicht durchführen. Aus den Versuchen konventioneller Interviews wurden stets spontane Gruppendiskussionen der Personen, die sich um den Befragten versammelten; Mühlmann, S. 2.

1 Theoretische Bezugsrahmen Die Zusammenhänge zwischen Verfassungs- und Rechtsordnung auf der einen Seite, Politischem System und Gesellschaftsordnung auf der anderen sind m i t einer einzigen Formel inhaltlich nicht zu erfassen. A n deren Stelle t r i t t eine Mehrheit von Fragengruppen.

11 Bezugerahmen I: Funktionen—Strukturen—Arbeitsweisen Die Zusammenhänge können zunächst nach Funktionen — Strukturen — Arbeitsweisen befragt werden 7 . Daß Bewußtsein und Nichtbewußtes, m i t dem der Handelnde seine Aufgaben angeht und seine Wertungen steuert, daß diese „Haltung" von seiner tatsächlichen Lebenssituation abhängt, von Rolle, Status, Schichtzugehörigkeit und Lebensgeschichte, ist unter dem Sammelnamen „Vorverständnis" gerade für die Arbeitsweisen, den besonderen Arbeitsbereich der juristischen Methodik, geklärt worden und nicht mehr zu bestreiten. Daß darüber hinaus die Strukturen der Rechtsordnung von den Strukturen des Politischen Systems abhängig und daß ihre Funktionen wissenschaftlich angebbar sind, ist durch zahlreiche Ansätze der Politischen Soziologie und der Rechtssoziologie hinreichend plausibel gemacht. 111 Nachpositivistiscfaer Realismus Eine allgemeine inhaltliche Formel über „Abhängigkeiten" bzw. über „Wechselwirkung" zwischen Rechtsordnung und politökonomisch gefaßter Gesellschaftsordnung ist auch auf diesem Weg nicht zu erwarten 8 . Insofern gilt dasselbe wie zum Politischen System. Dieses 7 Dazu F. Müller V I ; zum zunächst folgenden vgl. auch Rottleuthner I. — Die Konzeption der Normbereichsanalyse wird in vergleichbarem Zusammenhang aufgenommen bei Rottleuthner I I , S. 206, 262 ff. u. ö. 8 Vgl. dazu die Versuche einer globalen Bestimmung gesellschaftlicher

Systeme bei Galbraith, Shonfield,

ferner bei Rostow, Baran und Meadows .

Primäre Reflexion auf die Rolle des Staatsapparats und seiner Funktionen bei Mïliband, z. B. S. 71 ff., 160 ff., 187 ff. zu hier besonders interessierenden Aspekten; zu den Legitimationsvorgängen ebd., S. 239 ff., 290 ff. — I m besonderen zum Gesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland: Ciaessens l

Klönne / Tschoepe, Ellwein,

Waterkamp, Jaeggi; in verfassungsrechtlicher

Reflexion: Pre uß; unter Aspekten krisenhafter Entwicklung: Gurr, Hudson. — I n der Hoffnung, die Diskussion der „Ordnungspolitik" energisch „von

12

1 Theoretische Bezugsrahmen

bietet sich hier aus Gründen fachgebundener Arbeitsteilung als Bezugsfeld für Aussagen über Strukturu n d Funktionszusammenhänge des Rechts„systems" m i t anderen „Untersystemen" der Gesellschaft an. Dagegen vermag bei den Arbeitsweisen der Rechtsfunktionäre, also bei den Vorgängen, die den „Ist-Zustand" juristischer Methodik ausmachen, über den Bezugsrahmen „Politisches System" hinaus die allgemeine tatsächliche Lebenssituation (Status, Rolle, Schichtzugehörigkeit, sektorale Berufs- und Standes- neben den allgemeinen Ideologien) erfahrungsgemäß 9 audi direkt „durchzuschlagen" — eben w e i l es hier u m unmittelbares Handeln bestimmter Menschen geht. Ohne eine auf das alltägliche funktionsgebundene Handeln dieser Menschen zielende juristische Methodik kann keine Dogmatik, aber auch keine Rechtstheorie und Rechtspolitik realistisch sein. So verkennt der Gesetzespositivismus m i t seiner großen Klientel den Charakter juristischer Tätigkeit als Arbeit, die nicht nur von den bekannten Merkmalen der „Standes"überformung und allgemeiner der Professionalisierung 10 betroffen ist, sondern grundsätzlich auch von der jeweiligen Form der Teilung der gesellschaftlichen Arbeit, von der Form der sich daraus ergebenden Funktionsverteilung, -Zuweisung, -Umschreibung, Funktionsbegrenzung und -kontrolle. Da dies so ist, da Rechtsfunktionäre Professionelle sind und damit weder ungesellschaftliche Glasperlenspieler noch private Honoratioren, und da die gesellschaftliche Aufgabenbestimmung dem jeweils herrschenden gesellschaftlichen Status quo i m großen und ganzen entspricht, ist anzunehmen, daß die Binnenstruktur der Normierung, Institutionalisierung, Stilisierung, der primären und sekundären Rationalisierung (d. h.: Entscheidungsvorgang und Entscheidungs,, gründe "), der Auseinandersetzung und der Selbstdarstellung wissenschaftspraktischer Arbeitsvorgänge gesamtgesellschaftlich typisierbar ist. Die Wirkung der „historischen", „politischen", „sozialen" Wirklichkeit vermittelt sich unablässig durch diese Arbeitsvorgänge selbst; und nicht durch „Geschichte", „Politik", „Sozietät" als durch isolierbare Felder, die ihrerseits durch Teilwissenschaften „in sich" erfaßbar wären. ideologischen Rechtfertigungsversuchen freizuhalten": Albert. Zur Spiegelung gesellschaftlicher Entwicklungen in sozialwissenschaftlichen Interpreta-

tionen vgl. ζ. B. Schluchter.

• Zum gegenwärtigen Stand der „Justizforschung" in der Bundesrepublik

Deutschland vgl. ζ. B. Kaupen, Opp / Peuckert, Lautmann I I I , Litten, Wassermann I - III, Richter, Kaupen / Rasehorn, Zwingmann, Rasehorn I - III. Zu

historischen, gesellschaftlichen, politischen Voraussetzungen und Wirkungen ideologischer Elemente der Rechtspraxis und methodologischer Haltungen vgl. die intensive Untersuchung von Rosenbaum, z. B. S. 19 ff., 64 ff., 116 ff., 124 ff., 154 ff., 188 ff., 198 ff. 10 Hierzu Η. Α. Hesse, ν. a. S. 33 ff., 69 ff., 74 ff.; für die juristischen Berufe fehlen allerdings noch zureichende Spezialuntersuchungen.

11 Bezugsrahmen I: Funktionen — Strukturen — Arbeitsweisen

13

Politik braucht Form, Herrschaft braucht Institutionen, Steuerimg menschlicher Gruppen braucht Normen. Rechtsordnung und Rechtsarbeit bestehen kraft dieses gesellschaftlichen Bedarfs. Von sonstigen gesellschaftlichen Institutions- und Normzusammenhängen hebt sich die Rechtsordnung durch spezifische Formalisierung und gesteigerte Verbindlichkeit ab. Entscheidend ist dabei der latente Charakter gewaltsamer Sanktionierung der Rechtsnormen und die damit verbundene und durchgesetzte Legitimitäts„ordnung"; nur zweitrangig dagegen die Frage nach der (nicht gegebenen) Lückenlosigkeit der Rechtsverwirklichung bzw. nach der normgemäßen Verteilung von Sanktion und „Dunkelziffer", allgemein: von Sanktion und von ihrem Ausbleiben. 112 Rationalität rechtsstaatlicher Methodik Verschiedene Aspekte der Grundlagen der Rechtsordnung werden arbeitsteilig von verschiedenen Teilwissenschaften behandelt: Funktionen — i m soziologischen Sinn, nicht i m staatsrechtlichen der Gewaltenteilung 1 1 — von Verfassungstheorie und Politischer Soziologie; Strukturen ebenso, daneben ferner i n sektoralen Rechtsdogmatiken, i m Organisationsrecht, i n der Verwaltungslehre; die Arbeitsweisen i n der juristischen Methodik. Diese verleugnet nicht ihren Standort, das heißt ihre politische und gesellschaftliche Bedingtheit, wenn sie sich arbeitsteilig auf „Soll-Zustand" und „Ist-Zustand" juristischer A r beitstechniken konzentriert. Sie verdrängt nicht, daß die damit gemeinte „Rationalität" selbst geschichtlich-gesellschaftlich bedingt und an den bürgerlichen Verfassungsstaat gebunden ist. Es ist die Rationalität des bürgerlichen Zeitalters, des „Staats als Betrieb", dem sie zu dienen hat 1 2 . Die zweite Variante dieser bürgerlichen Rationalität, nämlich der Vorsatz, auf dem Weg über Einsehbarkeit einen Konsens zu erreichen, ist von dieser ersten nicht abzulösen. So begriffene Rationalität ist deshalb die Voraussetzung dieser Methodik, w e i l diese Methodik nicht eine allgemein-abstrakte, sondern w e i l sie die Methodik dieses Typus von Rechtsordnimg und dieser bestimmten Rechtsordnung ist. Durch das detaillierte Ausarbeiten einer solchen Methodik werden deren gesellschaftliche Voraussetzungen ausgewiesen. Der zugrunde liegende Typus „bürgerlicher" Rechtsordnung ist weit gespannt, da i n der Gegenwart, abgesehen von vorbürgerlichen Gesellschaften, tendenziell i m Weltmaßstab wirksam 1 3 . Die Prägung der Strukturen gilt i n Einzelheiten wie i m Grundsatz. Daß überhaupt eine generalisierende und systematische Methodik erfordert wird, geht zurück auf Zentrali11

Dazu F. Müller, Juristische Methodik, 311. » Hierzu ebd., 3.123.1. 18 Ebd., 3.123.12.

14

1 Theoretische Bezugsrahmen

sierung und Bürokratisierung durch den i. S. Max Webers „kontinentalen" Anstaltsstaat, auf die Notwendigkeit gesellschaftlicher Rationalität i. S. betriebswirtschaftlicher Berechenbarkeit aller relevanten „öffentlichen" Bereiche. Daß überhaupt solche Rationalität als legitimierend gesehen wird, hat zum Hintergrund das Ende überweltlicher Rechtfertigungsquellen der vorbürgerlichen Welt wie göttliche Satzung oder Naturrecht. Der bürgerliche Verfassungsstaat legitimiert sich als Betrieb, das heißt: innerweltlich, durch Funktionieren, durch „Verfassen" als sprachliches Vermitteln von Gewalt, als tendenzielles Z u rückdrängen aktueller Gewalt durch „konstitutionelle Gewalt" 1 4 . I n haltlich gelingt es ihm, seine Legitimität als die geltende durchzuhalten, insoweit es i h m gelingt, die dominierenden Interessen der bürgerlichen Gesellschaft, nämlich die wirtschaftlichen, von staatlichem Eingriff (geschichtlich zunächst i. S. des Absolutismus) abzuschirmen, sie ihrer Eigengesetzlichkeit zu überlassen. Dieser globalen Funktion entsprechen ins einzelne gehende Strukturen der Rechtsordnung, die dieser Hauptfunktion dient. Sie sind geschichtlichem Wandel unterworfen, bleiben aber innerhalb des Funktionstypus: Gewaltenteilung, Organisation der Gerichtsbarkeit, Prozeß- und Verfahrensrecht, Rechtsquellensystem, Rückwirkungsverbote und so fort. Der Vorrang der Verfassung schreibt gesellschaftliche Inhalte positiv (Grundrechte) oder, meist wirkungsvoller, durch Ausspaten fest. Der Vorrang des Gesetzes versucht, die unter repräsentativer M i t w i r k u n g bürgerlich besetzter Parlamente formulierten Normen gegenüber den konstitutionell/monarchischen Reservaten Heer und Bürokratie abzusichern: gegen „gerichtsfreie Hoheitsakte", „Besondere Gewaltverhältnisse", gegen den „Vorbehalt" einer Organisationsgewalt, gegen „rechtsfreie Räume". I n eben diesem Zusammenhang ist der Vorbehalt des Gesetzes eine politisch vorgeschobene Kampfposition des liberalen Wirtschaftsbürgertums i m deutschen 19. Jahrhundert. Es dürfte sich nicht leicht eine Strukturnorm, eine Institution finden lassen, die nicht aus ihrer politischen Funktionalität genetisch verständlich würde. Auch die Frage nach den Funktionen der Tätigkeit von Normsetzern und Normkonkretisierern hat eine grundsätzliche und eine ins einzelne gehende Seite. Grundsätzlich lautet sie: Was ist die Funktion der Rechtsarbeit, deren Techniken juristische Methodik entwickelt? Die Funktion der Rechtsarbeit ist Steuerung, Differenzierung, Stabilisierung, Verteilung; ist Herrschaft m i t den M i t t e l n des Rechts. U n d was ist i m einzelnen die Funktion einer Methodik der Rechtsarbeit? Sie ist rechtstheoretisch die, Regeln für das erfolgreiche Zurechnen gesetzter 14

Dazu F. Müller VI.

11 Bezugsrahmen I: Funktionen — Strukturen — Arbeitsweisen

15

Entscheidungsnormen an abstrakte Rechtsnormen aufzustellen. Das heißt, sie ist zugleich politisch die, Verantwortung für Entscheidungen, für Herrschaft i m Einzelfall, auf jeweils entferntere, abstraktere I n stanzen zu verschieben; vor allem auf Normsetzer, die ihrerseits i m Einzelfall als aktuell verantwortlich nicht faßbar sind. 113 Formalitäts- und Geltungsvorsprung positiven Rechts Diese Aussagen überlagern die aus der allgemeinen Debatte zu „Recht und Politik" bekannten Fragestellungen, ob beide „wesenhaft" voneinander unterschieden seien; ob beide dasselbe seien oder ob nicht das Redit als „wechselbezügliches" Handlungssystem i n relativer Selbständigkeit von „der" Politik festgehalten werden müsse 15 . Die Anlage dieser Diskussion erinnert an die von „Sein und Sollen", die sich m i t ihren vermittelnden Kategorien die irrige Fragestellung bereits hat aufdrängen lassen 16 . Die der Rechtsordnimg aufgegebenen Inhalte, die sie durchzusetzen, zu stabilisieren, aufrechtzuerhalten hat, sind nicht „juristisch", sondern „politisch" entschieden und durchgesetzt worden, das heißt m i t den M i t t e l n des politischen Kampfes. Diese jeweils zur Zeit normativen, aber „politisch" wieder veränderbaren Inhalte bleiben der politischen Disposition unterworfen; sie bleiben aber für das spezifisch formalisierte und auf gesteigerte Verbindlichkeit angewiesene „Handlungssystem" Rechtsordnung bis auf weiteres maßgebend. Auch die notwendig selbständigen Entscheidungsakte der Rechtsfunktionäre müssen sich i n diesem Rahmen halten; müssen also m i t Hilfe von Regeln (des Erarbeitens der Entscheidung und) der argumentativen Begründungstechnik sich an den abstrakten Rechtsnormen ausweisen, sich rechtfertigen. Auch die i n „Lücken" operierende oder selbständig Rechtsnormen („Richterrecht") setzende Praxis bleibt m i t ihren Setzungen der jederzeitigen Disposition politischer Instanzen unterworfen (Vorrang der Verfassung, Vorrang des Gesetzes, Vorbehalt des Gesetzes, Bildung von Richter recht—wie auch von Gewohnheitsrecht— nicht contra legem und contra constitutionem). Das derzeit geltende Redit verdankt also die Maßgeblichkeit seiner Inhalte für die Rechtsordnung einem aufhebbaren Formalitätsvorsprung und damit Geltungsvorsprung vor anderen Inhalten des politischen Kampfes. Die Rede von der Aufhebbarkeit rechtlicher Inhalte verdeckt nicht, daß dieser Vorsprung an Formalität und Geltung, systematisch gesehen, ein Stabilisierungsfaktor ersten Ranges und eine unersetzliche Voraussetzung komplexer Gesellschaften vom Typus der Industriegesellschaft ist 1 7 . Damit ist angedeutet, was m i t „Wechselbezüglichkeit", dieser 15

Vgl. die Nachweise bei Grimm; Schuppert I, S. 115 ff.

16

Dazu ausführlich F. Müller I. Vgl. dazu etwa Luhmann V.

17

16

1 Theoretische Bezugsrahmen

vordialektischen Kategorie der Politischen Romantik, der Sache nach gemeint sein soll. „ P o l i t i k " und „Recht" sind zwei (von mehreren!) Seiten derselben Sache; sind zwei relativ selbständige, das heißt wissenschaftlich sinnvoll unterscheidbare Untersysteme derjenigen gesellschaftlichen Handlungskomplexe, die auf Steuerung von Verhalten innerhalb der sozialen Gruppe abzielen. Von wesensmäßiger Differenz kann nicht die Rede sein; wohl aber von kennzeichnenden Unterschieden i m Grad der Formalisierung und i n der Handlungs-, Entscheidungs-, Kontroll- und Rechtfertigungstypik. Es ist oben gesagt worden, daß formale Bestimmungen des bürgerlichen Rechtsstaats wie Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, Vorrang der Verfassung und überhaupt das Rechtsquellensystem genetisch als inhaltliche Kampfpositionen liberaler Politik zu verstehen sind. Gerade i n ihrer Formalisierung konnten und können sie aber bekanntlich auch von ihrer Genese abgekoppelt und i n anderen geschichtlichen Lagen, also zum Beispiel antiliberal, eingesetzt werden. A u f diesem Weg kann Formalität auch eine Trennung von „Recht" und „ P o l i t i k " suggerieren, die illiberal wirkt 18 und die zudem ideologische, nämlich von der Normstruktur und Rechtsfunktion her wissenschaftlich nicht begründbare, sondern widerlegbare Aussagen i m (entpolitisiert „neutralen") Rechtsstaat zur herrschenden Doktrin werden läßt.

12 Bezugsrahmen I I : Einwirkungen des Politischen Systeme auf die juristische Methodik I m Anschluß an den Raster „Funktionen — Strukturen — Arbeitsweisen" soll nun ein zweiter Bezugsrahmen für wissenschaftliche Fragestellungen zum Thema „Juristische Methodik und Politisches System" gegeben werden. Er typisiert die Einwirkungen auf die Rechtsarbeit. 121 Allgemeine Wirkungen auf die Arbeitsbedingungen juristischer Methodik Wie w i r k t das Politische System allgemein auf die Arbeitsbedingungen juristischer Methodik ein? Dazu gehören die schon genannten und i n der hier vorausgesetzten Rechtsmethodik implizierten Aussagenkomplexe: Rechtsarbeit ist an solche gesetzten Normen „gebunden"—d.h. sie ist gehalten, sich regulär an ihnen auszuweisen —, die politisch bestimmt und durchgesetzt w u r den. Normänderungen binden die Rechtsarbeit als neue Normsetzungen; Rechtswissenschaft und -praxis bleiben insofern stets i n abhängiger Hilfestellung. Die Grundlage juristischer Arbeit steht politisch zur 18

Dazu Hagen, S. 60 ff., 64 f.

12 Bezugsrahmen II: Einwirkungen des Politischen Systems

17

Disposition. A u f Rechtsarbeit wirken zusätzlich politische Entscheidungen i n Form methodenbezogener Normen (Rechtsstaatspostulate, Verfahrensrecht) ein. „Rechtspolitik" ist ferner Politik; Rechtswissenschaft und -praxis kommen über Hilfestellung auch insoweit nicht hinaus. Die Arbeitsfunktionen der juristischen Methodik sind durch den Rahmen begrenzt, den die allgemeinen Einwirkungen dieses Politischen Systems ihr ziehen. 122 Allgemeine Wirkungen auf die Voraussetzungen juristischer Methodik Das erinnert an die noch allgemeinere Frage: Wie w i r k t das Politische System generell auf die Voraussetzungen juristischer Methodik ein? Diese Frage betrifft die hier gemachten Aussagen zum Verfassungstypus und zu seiner gesellschaftlichen Funktionalität. Die Formalität der juristischen Methodik geht zurück auf die Formalität des Rechts dieser Gesellschaft insgesamt: Messung, Bewertung, Kontrolle, Rechtfertigimg sind an formale Qualitäten und an deren Beachtung oder Nichtbeachtung gebunden — statt etwa an Momente personalisierter Herrschaft oder genossenschaftlicher Solidarität. I n juristischer Methodik findet sich solche Formalität notwendig gesteigert wieder. Sie hat ihre Grundlage i n der Struktur der Rechtsordnung des bürgerlichliberalen Verfassungsstaats, also etwa i n der diesem eigentümlichen Zentralisierung, Bürokratisierung, Professionalisierung. Diese Merkmale sind nicht nur i m bürgerlichen Verfassungsstaat anzutreffen. Sie haben i n i h m aber eine besondere geschichtliche Gestalt gewonnen 19 . Diese Struktur der Rechtsordnung hat ihre Funktion für die modernbürgerliche Wirtschafts- und Verkehrsgesellschaft, der sie die erforderliche technische (funktionelle) Rationalität, Berechenbarkeit, Betriebsförmigkeit zu liefern hat: Recht als Mittel kalkulierbarer Sozialsteuerung. Zugleich hat eben diese Rationalität zusätzliche Funktionen für den Anspruch des Verfassungsstaats auf politische Rechtfertigung. Auch diese Voraussetzung aus dem Politischen System prägt dessen juristische Methodik: Diese w i r d dort, wo sie hinter ihrer selbst beanspruchten rationalen Technizität zurückbleibt, das Zurückbleiben durch rhetorische Manöver, durch sekundäre Rationalisierung, durch argumentative Allgemeinplätze zu verschleiern suchen, damit kein Defizit an Legitimität sichtbar werde. Diese beiden Gruppen von Fragen nach allgemeinen Einwirkungen des Politischen Systems auf Voraussetzungen und alltägliche Arbeitsbedingungen der Juristentätigkeit werden ergänzt durch einen Blick auf besondere Verbindungslinien. » Vgl. z. B. F. Müller, 2 Müller

Juristische Methodik, 312.31 - 312 u. ö.

18

1 Theoretische Bezugsrahmen 123 Spezielle Wirkungen auf die Voraussetzungen juristischer Methodik

Wie w i r k t das Politische System speziell juristischer Methodik ein?

auf die Voraussetzungen

Diese Frage betrifft die formellen und informellen Folgerungen aus den allgemeinen Voraussetzungen: institutionell die sich aus den Normsetzungs-, Normkonkretisierungs-, Normkontrollmechanismen, aus Behörden- und Gerichtsorganisation und Verfahrensrecht ergebenden Bedingungen; informell die Konsequenzen aus den Mechanismen der Vorverständnisse und der schichtgebundenen Haltungen. Eine K l a m mer zwischen beiden Gruppen bilden die Normen über Rekrutierung, Auslese, Ausbildimg, Konditionierung und Kontrolle des für die Rechtsfunktionen erforderlichen Personals. 124 Spezielle Wirkungen auf die Arbeitsbedingungen juristischer Methodik 124.1 Beispiele für politische Faktoren in der Verf assungsrechtsprechung

124.10 Zur Fragestellung Die Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft belegt, daß j a h r zehntelang über das „Verhältnis" von Recht und Wirklichkeit 2 0 oder über das „Verhältnis" von Politik und Recht philosophiert bzw. theoretisiert werden kann; und die Bereiche menschlichen Zusammenlebens, die m i t „ P o l i t i k " , „Recht" und gar insgesamt als „Wirklichkeit" sprachlich symbolisiert werden, funktionieren — was die jeweilige „Verhältnis"bestimmung betrifft — unanalysiert i n der Alltäglichkeit ihrer Probleme, Konflikte und Kompromisse, i n der Alltäglichkeit von K o m petenzen, Arbeitsweisen und Kontrollen, von Normen, Institutionen und von der Veränderung beider. Das sagt pauschal weder etwas gegen Philosophie noch gegen Theorie. Es sagt aber, daß die Fragestellung möglicherweise nicht sinnvoll ist; und das heißt hier: i h r Abstraktionspegel ist zu hoch angesetzt, oder genauer gesagt: ist vor der Zeit so hoch angesetzt worden. Verfassungsrecht ist gesteigert politisches Recht. Verfassungsrechtsprechung hat i n aller Regel m i t politischen Konflikten zu tun, das heißt m i t der rechtlichen Form gesellschaftlicher Konflikte u n d m i t Konflikten über Organisation und Grenzen staatlicher Herrschaft 21 . » Dazu eingehend F. Müller I, v. a. S. 24 ff., 77 ff., 94 ff., 114 ff. und durchgehend. 11 Die politischen Komponenten der Verfassungsgerichtsbarkeit sind dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum nicht verborgen geblieben; vgl. nur etwa F. Klein, H. H. Klein, Feldmann, jeweils mit Nachweisen. — Die Ver-

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Dabei sind die sogenannten hochpolitischen Fälle wie etwa die Fragen der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik, der Überprüfung der Ostverträge oder des Grundlagenvertrags m i t der DDR für die Funktion der Verfassungsjustiz nicht einmal die aufschlußreichsten. I n hochpolitischen Fällen hat die Rechtsprechung i n der Regel wenig Spielraum für speziell juristische Lösungsbeiträge. Wesentlich aufschlußreicher kann die Alltagspraxis der Verfassungsjudikatur sein. Sie ist daraufhin zu prüfen, ob die Entscheidungserheblichkeit politischer Faktoren strukturiert werden kann; ob die politischen Faktoren, die auf sie einwirken, zugunsten genauerer Diskussion und Kontrolle typisiert werden können. Eine möglichst exakte Diskussion und Kontrolle ist sowohl juristisch als auch politisch wichtig. Es braucht nicht eigens begründet zu werden, daß dieselbe wissenschaftliche Aufgabe gegenüber der Verwaltungsrechtsprechung, der Z i v i l - und der Strafjustiz wie überhaupt gegenüber allen Formen institutionalisierten und formalisierten Handelns der Staatsgewalt i m Rechtsstaat besteht. 124.11 Dezision durch Rechtsverbiegung Als erstes der allgemein bekannten Fallbeispiele soll der Konkordats-Prozeß dienen. I n i h m ging es um die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes über das öffentliche Schulwesen i n Niedersachsen vom 14.9. 1954 (GVB1. S. 89) i m Hinblick vor allem auf A r t . 23 des Reichskonkordats von 1933 und auf A r t . 123 Abs. 2 des Grundgesetzes. Das Gericht anerkennt, A r t . 123 Abs. 2 GG sei „gerade i m Hinblick auf das Reichskonkordat geschaffen worden" 2 2 . Es anerkennt die Tatbestandsvoraussetzungen des A r t . 123 Abs. 2 GG, läßt aber die Rechtsfolgeseite zu kurz kommen. Es betont die Fortgeltung der fraglichen Norm, stellt aber die Länder gleichzeitig von Bindung frei. A n entscheidenden Stellen des Urteils stützt eine tautologische Leerformel die andere ab 2 8 . Die innere Schwäche der Begründung ist der Fachdiskussion nicht verborgen geblieben. Das Urteil wurde i n der Wissenschaft so gut wie einhellig wegen unhaltbarer innerer Widersprüchlichkeit angegriffen. Das Gericht mißachtet hier seine eigenen Grundsätze der Verfassungsauslegung; so beispielsweise den der Maßgeblichkeit eines deutlichen fassungsjustiz so gut wie nur politisch sieht Esser I : Die für die „sogenannte Verfassungsinterpretation" erforderlichen „politischen Entscheidungen" hätten „eine andere eigene finale Qualität gegenüber den Entscheidungen, die auf den Durchblick in das Rechtsbewußtsein und den Erwartungshorizont des um Rechtsschutz ansuchenden Bürgers gerichtet sind", ebenda, S. 196 ff., 199. — Vgl. audi die insoweit berechtigte Kritik an Esser bei Koch I I , vor allem an Essers Rationalitäts-Vorschlägen. » BVerfGE 6, S. 351. 28 ζ. B. BVerfGE 6, S. 342, 344, 350, 351. Vgl. hierzu eingehend F. Müller V I I I , v. a. S. 84 ff.; die Nachweise zur wissenschaftlichen Kritik am Konkordats-Urteil finden sich ebendort, S. 51 ff.



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Wortlauts oder den einer bloßen Hilfsfunktion von Argumenten aus der Entstehungsgeschichte 24 . Das Gericht sieht sich zu der These des „dreigliedrigen" Bundesstaats gedrängt, nach welcher der Bundesstaat aus dem Bund, den Ländern und einem (imaginären) Gesamtstaat bestehen soll. Dieser „Gesamtstaat" hat nun allerdings gerade für das Konkordats-Urteil eine sehr konkrete Funktion. Sie besteht darin, daß er die Erfüllung übernommener völkerrechtlicher Verpflichtungen nach außen versprechen, nach innen aber nicht gewährleisten kann. Von solchen Konsequenzen, die weit über den Anlaß hinauszugehen drohten, hat sich das Bundesverfassungsgericht denn auch bei der nächsten geeigneten Gelegenheit distanziert — i m Neugliederungsurt e i l 2 6 unter Bezug auf das erste Fernseh-Urteil. Gleichsam aufatmend kehrt das Bundesverfassungsgericht dort zu der herrschenden Zweigliedrigkeitslehre zurück. Das Beispiel des Konkordats-Prozesses w i r d hier nicht deshalb aufgegriffen, u m die ausgedehnte Schreibtischkritik an dieser Judikatur zu verlängern. Es geht hier nicht darum, zu zeigen, daß man es besser wisse als der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts. Der Zweite Senat wußte es — wie angesichts der Diskussion der Problematik angenommen werden muß — selbst besser. Jede K r i t i k an dieser Rechtsprechung, die das übersieht, verfährt naiv. Die zu entscheidende Frage war i m oben genannten Sinn nicht „hochpolitisch". Sie war aber i m Lauf des Konkordats-Prozesses außenpolitisch wie kulturpolitisch delikat geworden. Außenpolitisch wie völkerrechtlich sollte die Bonität der Bundesrepublik nicht Schaden nehmen. Innen-, und zwar k u l t u r politisch paßte die Garantie der Konfessionsschule zunehmend weniger ins Konzept. Das politisch erwünschte Ergebnis, beidem gerecht werden zu sollen, erkaufte das Bundesverfassungsgericht m i t einer methodisch und dogmatisch i n sich widersprüchlichen Entscheidung. Eine korrekte Entscheidung hätte auf Verfassungswidrigkeit der fraglichen Vorschriften des niedersächsischen Gesetzes über das öffentliche Schulwesen erkannt. Verfassungspolitisch hätte sich der daraus resultierende Druck auf den Bund und die abschlußkompetenten Länder, zu inhaltlich neuen Verträgen zu kommen, dann übrigens als i m Sinn der neuen kulturpolitischen Tendenzen ausreichend erweisen können. Das hier Wesentliche an diesem Typus politischer Rechtsprechung — die sich i n Strafprozessen m i t politischem Einschlag beispielsweise i n Beweiswürdigung und Strafzumessung äußert — liegt darin, daß 1. i n einem nicht hochpolitischen, aber politisch delikaten Fall 24 So ζ. B. BVerfGE 6, S. 349, 351 und dazu F. Müller V I I I , S. 87 f., 97 ff. Zur Lehre vom „dreigliedrigen" Bundesstaat: BVerfGE 6, S. 346 u. ö. 25 BVerfGE 13, S. 77 f.; das I. Fernseh-Urteil in BVerfGE 12, S. 205 ff., bes. 255 ff.

12 Bezugsrahmen II: Einwirkungen des Politischen Systems

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2. vom politisch erwünschten Ergebnis her 3. unter einer nach den üblichen dogmatischen und methodischen Maßstäben der Rechtsstaatlichkeit nicht haltbaren Abweichung v o m geltenden Recht bzw. von der herrschenden Rechtspraxis entschieden wird. Dieser Typus von Entscheidung ist also normativ nicht abgestützt; genauer gesagt: die formulierte Entscheidungsnorm läßt sich nicht nach den allgemein anerkannten und praktizierten Regeln juristischer Methodik auf die beanspruchte Rechtsnorm zurückführen. M a n kann diesen Typus als Dezision bezeichnen. Dieser Begriff w i r d hier ersichtlich als terminus technicus vorgeschlagen; er hat nichts zu t u n m i t der vom sogenannten Dezisionismus entwickelten Mythologie der „Entscheidung". Die Untersuchung der Judikatur i m hier gemeinten Sinn zeigt zwei Hauptgruppen von Dezision: 1. Gruppe: Die zu entscheidende Frage ist rechtlich geregelt (ist also m i t den M i t t e l n rechtsstaatlicher Methodik korrekt auf eine Rechtsnorm zurückführbar). Die Entscheidung (also die i m Einzelfall formulierte Entscheidungsnorm) behauptet aber, sie sei nicht geregelt; oder, so der Normalfall, sie behauptet eine inhaltlich abweichende Regelung. Dieser i m Konkordats-Urteil erscheinende Typus kann also näher definiert werden als Dezision durch Rechtsverbiegung 2e. 2. Gruppe: Die Frage ist nicht geregelt (es gibt also keine Rechtsnorm, auf die die gewünschte Entscheidungsnorm methodisch regulär zurückgeführt werden kann); die Entscheidung (also die Entscheidungsnorm) behauptet aber, sie sei geregelt; und zwar i n dem politisch erwünschten Sinn. Ein Beispiel aus der jüngeren Rechtsprechung für eine derartige Dezision durch Rechtsunterstellung w i r d i m folgenden unter 124.12 besprochen. Zum Konkordats-Urteil als einem Beispiel für Dezision durch Rechtsverbiegung ist noch eine notwendige Selbstkritik nachzutragen. Die Aussage, jenes U r t e i l habe i m genannten Sinn zu einer Dezision geführt, ist — wie i n jedem juristischen Normalfall — nicht zwingend. 28 Das Moment der Dezision liegt also hier gerade in der Rechtsverbiegung. Dagegen bestimmt Carl Schmitt den von ihm gemeinten Dezisionismus aus der allgemeinen These, normativ gesehen sei jede juristische Entscheidung „aus einem Nichts geboren"; denn: Die „rechtliche Kraft der Dezision ist etwas anderes als das Resultat der Begründung"; Schmitt, S. 42. Das ist, wie das Funktionieren der Entscheidungs- und Kontrollmechanismen einer rechtsstaatlichen Rechtsordnung in Normallage zeigt, so nicht richtig. Aber es gibt immer wieder einzelne Entscheidungen, die in der Tat normativ aus einem Nichts geboren sind, weil für die entscheidende Stelle die Anpassung an ihre politische Funktion übermächtig geworden ist. Die Instrumente juristischer Methodik und Dogmatik werden insoweit bewußt zur Verschleierung der wirklichen, der ungesagten (weil unmittelbar politischen) Entscheidungsgründe verwendet.

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1 Theoretische Bezugsrahmen

Sie ist nur gut vertretbar, ist an anderer Stelle eingehend begründet worden und kann sich zudem auf die so gut wie einhellige Meinung i n der wissenschaftlichen Literatur stützen. „Eindeutig" ist sie nicht. I m vorliegenden Zusammenhang geht es u m den Versuch einer Typologie. Eine solche kann dort, wo Eindeutigkeit nicht herrscht, also i m methodisch-dogmatischen Normalfall rechtlicher Entscheidung, Eindeutigkeit auch nicht zusätzlich erzeugen. Die hier gegebene Bewertimg ist also folgendermaßen einzuschränken: Das Konkordats-Urteil ist eine Dezision durch Rechtsverbiegung für alle, die i n i h m sonst anerkannte dogmatische Aussagen und rechtsstaatlich-methodische Regeln i m Zusammenhang m i t politischen Obertönen des damals zu entscheidenden Falls verfehlt sehen. Dagegen ist es natürlich nicht Dezision, sondern korrekte Entscheidung, vielleicht gar bloße „Anwendung" oder „Subsumtion" unter („klare"?) Normen für die allerdings ganz vereinzelten Stimmen, die hier schlicht eine richtige Entscheidung nach Rechtslage erblicken 2 7 . Die insoweit noch nicht gänzlich beigelegte dogmatische Debatte kann hier auf sich beruhen; es kommt hier auf die Strukturierimg der Maßstäbe für politische Faktoren i n der Rechtspraxis an und für die Auswahl dieses ersten wie aller Beispiele darauf, daß nach vielfältig begründeter und gut vertretbarer Meinung eine Entscheidimgsinstanz aus politischen Gründen gegen die regulärerweise anzunehmende Rechtslage judiziert hat. M i t dieser Maßgabe steht das Konkordats-Urteil für eine Dezision durch Rechtsverbiegung. Ein anderes Beispiel dieses Typus bietet das „ A b h ö r - U r t e i l " des Bundesverfassungsgerichts, das sich m i t der Frage der Verfassungsmäßigkeit nicht nur des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses vom 13. 8.1968 (BGBl. I S. 949), sondern audi m i t der des gleichzeitig ergangenen 17. Änderungsgesetzes zum Grundgesetz zu befassen hatte 2 8 . I n diesem U r t e i l hat sich das Gericht u m den Aussprudi der weitgehenden Verfassungswidrigkeit des Änderungsgesetzes durch Dezision herumgemogelt. I n der Fachdiskussion ist daraufhin das Wort von der „verfassungswidrigen Verfassungsrechtsprechung" 29 aufgekommen. Diese und auch die weitgespannte sonstige K r i t i k an der Entscheidimg hat sich vorwiegend auf inhaltliche und dogmatische Fragen konzentriert. Es kann aber bereits an der Methodik der Mehrheitsmeinimg klar gezeigt werden, wie der politische Wille, möglichst viel an Verfassungsmäßigkeit zu „retten", zu einer mehrfach belegbaren Dezision führt: 27

So Maunz, Rdnrn. 10 ff. Urteil vom 15.12.1970, BVerfGE 30, S. I f f . ; die Abweichende Meinung der dissentierenden Richter ebendort, S. 33 ff. 29 So Häberle I I , S. 156. — Methodologische Einwände gegen das AbhörUrteil z.B. bei F. Müller, Juristische Methodik, 222.31, 321.125.1, 321.25 (jeweils in Anmerkungen). 28

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1. Ein verfassungsänderndes Gesetz kann bei der Prüfung seiner Verfassungsmäßigkeit nicht schon nach den Grundsätzen ausgelegt werden, die für eine Auslegung von Verfassungsnormen gelten; ob es eine gültige Verfassungsnorm ist, muß j a gerade erst geprüft werden. So war das Bundesverfassungsgericht auch sonst stets verfahren, besonders deutlich beispielsweise i m Kirchenbausteuer-Urteil 30 . Ein verfassungsänderndes Gesetz ist der Versuch des Gesetzgebers, neues Verfassungsrecht zu schaffen. Ob dieser Versuch i m Ergebnis geglückt ist, hängt von der Einhaltung der Voraussetzungen des A r t . 79 Abs. 1 GG (formale Bedingungen), 79 Abs. 2 GG (parlamentarische Bedingungen) und 79 Abs. 3 GG (inhaltlich-normative Grenzen) ab. Dagegen interpretiert die Mehrheitsmeinimg i m „Abhör-Urteil" ohne jede dogmatische oder methodische Begründung, vielmehr nur zur Stützung des erwünschten Ergebnisses i m Weg der Dezision, A r t . 10 Abs. 2 S. 2 n. F. GG als bereits gültiges Verfassungsrecht unter Aspekten wie „Einheit der Verfassung" — „Gesamtsicht" — „Kontext der Verfassung" — „Sinnzusammenhang, i n dem A r t . 10 Abs. 2 S. 2 GG steht" 8 1 , wobei als „Sinnzusammenhang" nicht derjenige des zu prüfenden Änderungsgesetzes, sondern der des Grundgesetzes herangezogen wird. Der zweite Hauptfehler liegt darin, daß die systematische Auslegung i m genannten Zusammenhang nicht m i t Normen des Grundgesetzes erfolgt, sondern m i t dem nicht-normativen verfassungspolitischen Aspekt der „streitbaren Demokratie". Dieser Aspekt ist hier gerade nicht heranzuziehen, da es sich vorliegend u m die Fälle wie A r t . 9 Abs. 2, 18, 21 Abs. 2 GG und u m vergleichbare vom Grundgesetz speziell normierte Fälle nicht handelt, die man sprachlich als „Ausdruck einer streitbaren Demokratie" durchaus bezeichnen kann. 2. Kurz danach erfolgt eine Wendung u m 180 Grad. Jetzt wird, u m das erwünschte Ergebnis noch weiter zu stützen, die zu prüfende Norm nicht mehr als Verfassungsrecht aufgefaßt, sondern als Gesetzesrecht — wiederum ohne dogmatische und methodische Begründung. Die Funktion dieses Bruchs innerhalb der durch Dezision einmal gewählten Maßstäblichkeit liegt darin, die Vorschrift nunmehr auch noch „verfassungskonform" zu interpretieren. Die Minderheitsmeinung 82 hat diese Widersprüchlichkeit zu Recht hervorgehoben. Sie hebt auch hervor, daß diese „verfassungskonforme" Auslegung des A r t . 10 Abs. 2 S. 2 n. F. GG den normativen Inhalt der zu prüfenden Vorschrift verändert. Eine solche Änderung ist aber allein Sache des Gesetzgebers; das Bundesverfassungsgericht verM 81 82

BVerfGE 19, S. 206, 220. a.a.O., (E 30), S. 19 ff., 21. Ebendort, S. 34.

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1 Theoretische Bezugsrahmen t r i t t zur Figur der verfassungskonformen Auslegung sonst selbst diesen Standpunkt i n ständiger Judikatur.

A u f dogmatisch bedenkliche Aspekte dieses Urteils — so z.B. die Auffassung, A r t . 79 Abs. 3 GG vertrage und erlaube „systemimmanente Modifikationen" — kommt es i n diesem Zusammenhang nicht näher an. A n den methodischen Widersprüchen läßt sich am klarsten die Qualität dieses Urteils als Dezision durch Rechtsverbiegung erkennen. 124.12 Dezision durch Rechtsunterstellung Bei diesem Typus politisch motivierter Rechtsentscheidung ist die Frage, auf die es ankommt, vom geltenden Redit nicht geregelt; die Entscheidung behauptet aber, sie sei — und zwar i m politisch erwünschten Sinn — von der Rechtsordnung „vorentschieden". Als Beispiel für diesen Typus drängt sich das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1973 über die Verfassungsmäßigkeit des Vorschaltgesetzes für ein Niedersächsisches Gesamthochschulgesetz, das sogenannte Hochschul-Urteil auf 8 8 . Das Urteil liefert eine Reihe von Exempeln für Elemente politischer Dezision, die den zu konkretisierenden Rechtsnormen m i t den Mitteln regulärer rechtsstaatlicher Methodik nicht mehr zurechenbar sind: so die A r t der Berufung auf die Funktion des A r t . 5 Abs. 3 S. 1 GG als „wertentscheidende Grundsatznorm" 8 4 und auf eine „objektive Wertordnung", die i n den Grundrechten „verkörpert" sein soll 8 5 oder die „Ableitung" eines bis zur Prozentrechnung präzisierten „maßgebenden Einflusses" bzw. „ausschlaggebenden Einflusses" der „eigentlichen Hochschullehrer" aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG 8 e . Insgesamt w i r d i m Hochschul-Urteil unter dem Etikett der „wertentscheidenden Grundsatznorm" aus dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit eine A r t von Halb- bis Fertigfabrikat einer Rahmengesetzgebung des Hochschulorganisationsrechts herauspostuliert. Aus dem Satz „Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei" werden nicht nur, was legitim und notwendig ist, die Aspekte der stets 88

BVerfGE 35, S. 79 ff. BVerfGE 35, S. 79ff., 114ff., 120ff., z.B. 123; zutreffend ist dagegen der auf die Mephisto-Entscheidung (BVerfGE 30, S. 173 ff.) zurückgreifende subjektivrechtliche Ansatz: BVerfGE 35, S. 112. 86 a.a.O., S. 114; zur Unbrauchbarkeit der „Wertordnung" für eine rechtsstaatlich-rationale Konkretisierung des Grundgesetzes vgl. Goerlich, v. a. S. 31 ff., 131 ff., 173 ff. 8 · Es ist in der Tat „nicht überall der Versuchung widerstanden worden, Art. 5 Abs. 3 G G mit hochschulpolitischen Forderungen . . . aufzuladen, um dann Regelungen und Vorgänge im Hochschulbereich, die sich diesen Forderungen nicht fügen wollen, als der Verfassungsnorm widersprechend zu kennzeichnen"; so das BundesVerfassungsgericht selbst ebendort, S. 112. — Kritik unter methodischen Gesichtspunkten audi bei Schlink I I ; vgl. ferner die funktionellreditlidie Kritik bei Hesse I, S. 230. 84

12 Bezugsrahmen II: Einwirkungen des Politischen Systems

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sowohl „subjektiven" als auch „objektiven" Grundstruktur wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit entwickelt; sondern weit darüber h i n aus ins einzelne gehende Behauptungen über Hochschulorganisation, über die Stellung der „eigentlichen Hochschullehrer", über die Zusammensetzung von Kollegialorganen bei Entscheidungen über Lehre, Forschung und die Berufung von Hochschullehrern, über die Zusammensetzung von nicht beschließenden Berufungskommissionen, über die Definition der „Hochschullehrer" i n den Hochschulgesetzen der Länder und schließlich über die A r t der Beteiligung von Studenten und nichtwissenschaftlichen Bediensteten bei Entscheidungen der genannten A r t . Das U r t e i l ist nicht i n demselben Sinn Dezision wie etwa das Konkordats-Urteil oder das Abhör-Urteil. Es verfälscht nicht, sondern es unterstellt eine rechtliche Regelung. Alles, was hier unterstellt wird, das heißt also das Hochschul-Urteil, soweit es Dezision ist, stützt sich argumentativ auf die „auch objektive" Funktion der Grundrechte. Das ist ein dogmatisches Element. Es kann sowohl zu den normbezogen-dogmatischen als auch zu den nicht-normbezogen dogmatischen Konkretisierungsfaktoren gehören 87 . Sowohl das Erfassen der Struktur dessen, was als sachlicher Gehalt des Grundrechts bezeichnet werden kann — also die stets „objektiven" Ergebnisse einer rationalen Normbereichsanalyse —, als auch diejenigen „objektiven" gesellschaftlichen und politischen Wirkungen eines Grundrechts, welche die Resultante seiner individualrechtlichen Realisierungen sind, gehören zu den normbezogenen dogmatischen Faktoren der Konkretisierung des fraglichen Grundrechts. Die vom Bundesverfassungsgericht i m Hochschul-Urteil einerseits ohne methodisch einsichtige Normbereichsanalyse gewonnenen, andrerseits sogleich i m Vorgriff auf „objektiver" Ebene angesiedelten „auch objektiven" Funktionen des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit sind i n dieser Form nicht auf die Rechtsnorm des A r t . 5 Abs. 3 S. 1 GG m i t den M i t t e l n regulärer rechtsstaatlicher Methodik zurückführbar. Sie gehören insoweit zu den nicht-normbezogenen Konkretisierungselementen. Sie haben nur verfassungspolitische Brauchbarkeit und sind i m Fall methodologischer Konflikte auf eine zweitrangige Rolle gegenüber den unmittelbar normbezogenen Gesichtspunkten beschränkt 88 . Diese bloß verfassungspolitische Variante unter den Verständnismöglichkeiten des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit, die vom Bundesverfassungsgericht herausgegriffen und ganz i n den Vordergrund gestellt wird, versteht die „auch" zu beachtende „Objektivität" des Grundrechts i m Sinn einer inhaltlich fixierten und fixierenden Organisationsanweisung; sie mißversteht somit das 87 Hierzu grundsätzlich F. Müller, 323.3. 88 Hierzu ebenda, 332.

Juristische Methodik, 323, besonders

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1 Theoretische Bezugsrahmen

liberale Grundrecht als fixierte und fixierende Gebotsnorm, Kompetenznorm und Maßstabsnorm für die Selbstverwaltung der Hochschulen und somit für die interne Organisation eines Bereichs der Exekutive, damit also eines Teils der Staatsgewalt. Sie deutet das Freiheitsrecht zu einer Ausgestaltungsnorm der Herrschaftsorganisation um. Das ist m i t rechtsstaatlicher Methodik nicht mehr auf diese Rechtsnorm, nämlich auf A r t . 5 Abs. 3 S. 1 dieses Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland zurückführbar; Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG enthält ein Bündel primär individualrechtlicher Positionen von gesellschaftlicher und politischer Relevanz. Korrekt hätte das Hochschul-Urteil i n folgender Richtung argumentieren können: Ob A r t . 5 Abs. 3 S. 1 GG verletzt ist, bleibt stets eine Frage des zu entscheidenden Einzelfalls. Das Grundrecht kann von solchen Gremien, wie sie i m Hochschul-Urteil als verfassungsrechtlich fixiert behauptet sind, i m Einzelfall verletzt, von den nach diesem U r teil angeblich verfassungswidrig zusammengesetzten Gremien dagegen respektiert und gewahrt werden — und umgekehrt. Bloße Vermutungen über mögliche allgemeine „Neigungen" oder zu erwartende „Tendenzen" der Entscheidungspraxis von Gremien des einen oder des anderen Typus sind i n ihrem Verbindlichkeitscharakter politisch; sie sind i n keinem Fall normativ. Sie als normativ, das heißt als „Bestandteil" des Grundrechts, als „Ableitung" aus A r t . 5 Abs. 3 S. 1 GG auszugeben, ist ein rein politisches Element dieser insoweit nur vorgeblich juristischen Entscheidung. Es ist Dezision durch Rechtsunterstellung. Ob nämlich A r t . 5 Abs. 3 S. 1 GG verletzt ist oder nicht, ist sachlich ausschließlich eine Frage des möglicherweise grundrechtsverletzenden Einzelakts, also des konkreten Falls und seiner Vermittlung m i t den methodisch aufweisbaren rechtlichen Direktiven. Diese Gesamtkonstellation kann nicht verbindlich und damit nicht m i t normativer Wirkung antizipiert werden; die wie immer motivierte Ahnimg oder Vermutimg der rechtlichen Qualifizierbarkeit solcher künftigen Konstellationen bleibt unverbindlich, also ohne normative Aussagekraft. A r t . 5 Abs. 3 S. 1 GG schafft subjektive Rechtspositionen, normiert aber keine organisationsrechtlichen Direktiven. Sollte dies angenommen werden können, so müßte es normiert sein; das heißt m i t anderen Worten: m i t den Elementen rechtsstaatlicher Normkonkretisierung erwiesen werden können. Das ist aber, wie schon oben gezeigt wurde, nicht der Fall. A r t . 5 Abs. 3 S. 1 GG ist gegenüber der Detailfrage der Mitbestimmungsparitäten i n Selbstverwaltungsgremien der Hochschulen ohne Aussagekraft. Daß die dieses Urteil tragende Dezision auch von solchen durch die Entscheidimg begünstigten Interessenten begrüßt wird, die sonst — etwa i n Fragen der Vereinbarkeit von Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit — eine betont rechtsstaatliche Linie verfolgen, be-

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stätigt den A r g w o h n gegen die Praxis, die Forderungen u n d Maßstäbe der rechtsstaatlichen Verfassungsordnung j e nach politischer Option i m Einzelfall zu betonen oder hintanzustellen, sie also i m abwertenden Sinn instrumenteil zu verwenden. Das Bundesverfassungsgericht ist inzwischen offenbar gesonnen, nach der A b h ö r - und Hochschulentscheidung auf dem Weg über Grundlagenvertrags·, Abtreibungs- u n d Radikalenjudikat 8 · das Verfahren der methodisch inkorrekten, rechtlich dubiosen u n d sprachlich schwammigen Dezision zu einem f ü r die rechtsstaatliche Demokratie sinistren Fortsetzungsroman auszuweiten. Das Gericht macht — nach der überwiegend redlichen u n d kontrollierbar nüchternen A r b e i t der G r ü n dungssenate — Miene, i n einer A r t von „rechtsstaatlichem Masochismus" ohne Schonung seiner eigenen A u t o r i t ä t u n d derjenigen des Grundgesetzes die bösen Sprüche („justizförmige P o l i t i k " usw.) w a h r zu machen, die böse Feen i h m an der Wiege gesungen hatten. Daß Dezisionen juristisch intelligenter bemäntelt werden können, als das i n den genannten Judikaten geschieht, macht den Tatbestand rechtlich nicht besser, aber politisch — nämlich f ü r das Vertrauen der Bürger auf einen garantierten Respekt vor dem geltenden Verfassungsrecht — eher noch schlimmer. Es ist zu hoffen, daß dieser Abschnitt i n der Geschichte der Verfassungsjustiz der Bundesrepublik Deutschland Episode bleiben w i r d . I n der demokratischen Ordnung des Grundgesetzes darf die (Verfassungs-) Gerichtsbarkeit nicht f u n k t i o n e l l zum „ P r ä t o r " , darf i h r „Richterrecht" nicht funktionell zum „amtsrechtlichen" E d i k t werden, das die demokratisch entstandene u n d verantwortete Rechtsordnung überspielt.

88 I n diese Reihe gehört — jedenfalls in bezug auf Methodenfehler — audi der Soraya-Beschluß BVerfGE 34, S. 269 ff.; zur Kritik an dieser Entscheidung vgl. etwa Ipsen, S. 100 ff. m. Nw.en; Hesse I, S. 80; sowie F. Müller, Juristische Methodik, 211, 222.14, 222.32, 313.3, 323.3 (jeweils in Anmerkungen); berechtigte Kritik ferner bei Ridder und Menger. — Die anderen im Text genannten Entscheidungen sind: Urteil zum Grundlagenvertrag vom 31.7.1973, BVerfGE 36, S. I f f . ; § 218 iStGB-Urteil vom 25. 2.1975, BVerfGE 39, S. 1 ff.; Radtkalen-Beschluß vom 22. 5.1975, BVerfGE 39, S. 334 ff. Kritisch zum § 218 StGB-Urteil z.B. unter grundsätzlichen Aspekten Zippelius; scharfe methodologische Kritik bei Esser I I , S. 555 f.; vgl. ferner F. Müller, Juristische Methodik, 321.124, 321.291 (jeweils in Anmerkungen). Kritik am Radikalen-Besdiluß z.B. bei Esser I I , S. 557f.; unter vorwiegend prozeßrechtlichen Gesichtspunkten bei Zuck: „Das BVerfG wird als Regierungsstelle tätig. . . . Wer Rechtssicherheit im Verfassungsrecht, Meßbarkeit der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen und Autorität des BVerfG uneingeschränkt bejaht, muß immer wieder verlangen, daß das BVerfG sich in seiner Spruchpraxis auf seine Gerichtsqualität besinnt", ebd., S. 698.

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1 Theoretische Bezugsrahmen

Praktisches Gegenmittel gegen Dezisionen sowohl durch Rechtsverbiegung als auch durch Rechtsunterstellung ist eine umfassend ausgearbeitete juristische Methodik. Sie erzwingt kontrollierbare Argumentationsschritte der Entscheidungsinstanzen. I n dem Maß, i n dem das Argumentationsnetz durch detaillierte Ausformulierung rechtsstaatlicher Regularität enger wird, kann auch die Kontrolle durch institutionalisierte Instanzen (Obergerichte, Verfassungsgerichtsbarkeit) wie auch durch informelle Instanzen (Wissenschaft, politische Öffentlichkeit) schärfer und genauer ansetzen; einschließlich praktischer Anstöße für Rechtspolitik und Rechtsänderung. Juristische Methodik i m Sinn einer konsequenten Rechtsstaatlichkeit ist juristische und zugleich politische Praxis. Die Grenzen ihrer Möglichkeiten liegen allgemein i m Politischen System; in den Einzelheiten h i l f t jedoch die Regularität rationaler juristischer Methodik, die innerhalb des Politischen Systems mögliche Freiheitlichkeit und die Berechenbarkeit und Begrenztheit staatlicher Herrschaft zu aktualisieren. Die juristische Methodik ist keine Kontrollinstanz. Solche Kontrollinstanzen sind Obergerichte und Verfassungsgerichte und sind innerhalb kontrollierender Justiz Institutionen wie die der Publikation von Abweichenden Meinungen oder sonstige Formen der Intraorgankontrolle. Juristische Methodik ist aber das Mittel für formelle wie informelle Kontrollinstanzen, die Bindimg staatlicher Herrschaftspraxis an geltendes Recht auf dem Weg einer Kontrolle der Rationalität und Regularität der dabei verwendeten juristischen Arbeitsweisen zu gewährleisten. Natürlich erkennt eine nicht nur zur Erzielung richtiger Entscheidungen, sondern audi zur K r i t i k gefällter Entscheidungen eingesetzte juristische Methodik auch solche nicht vertretbaren Entscheidungen als unrichtig, die nicht Dezisionen, weil nicht politisch motiviert, sondern die ohne erkennbare derartige subjektive Motivation schlicht Fehlentscheidungen aufgrund von Sachfehlern, Denkfehlern oder Rechtsfehlern sind 4 0 . 124.13 Gesellschaftliche Implikation wissenschaftliche Explikation

und

A m 18. J u l i 1972 ließ der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts sein Urteil zum absoluten Numerus clausus ergehen 41 . Anlaß zu dem 40 Für das Strafrecht gibt es umfassendere Untersuchungen von „Fehlerquellen" der Entscheidungspraxis, so vor allem bei Peters. — Zu Strapazierungen des geltenden Redits, die weniger Irrtümer als politisch motivierte Dezisionen durch Rechtsverbiegung oder Rechtsunterstellung sind, neigt erfahrungsgemäß eine im engeren Sinn politische Justiz: ausgiebige Beispiele und Erörterung bei Kirchheimer I I . — Schließlich ist eine ganze „Theorie der Rechtsgewinnung" darauf verwendet worden, den Unterschied zwischen offener Entscheidungsbegründimg und den verdeckten tatsächlichen Gründen der Entscheidung herauszustellen; hierzu Kriele und zu diesem die Kritik bei F. Müller I X .

12 Bezugsrahmen II: Einwirkungen des Politischen Systems

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Verfahren waren zwei Verwaltungsprozesse i n Hamburg und i n Bayern. I n ihnen ging es u m die Zulassung zum Studium der Humanmedizin. Daß diese Entscheidung i n der hochschulpolitischen Öffentlichkeit von vielen Seiten als „salomonisch" Beifall fand, ist aufschlußreich für ein Urteil, bei dem es zunächst um das scheinbar kompromißlose Gegensatzpaar: verfassungsmäßig oder verfassungswidrig ging. Näheres Zusehen zeigt, daß das „Salomonische" dieses Judikats von anderer A r t ist als i m Konkordats-, i m Abhör- oder i m Hochschul-Urteil. Das Numerus-clausus-Urteil kennzeichnet sich durch ein H i n und Her von Aussage und Einschränkung, von Position und Gegenposition. Das B i l d der Grundrechte schwankt zwischen Abwehrrechten und Teilhaberechten; die Teilhaberechte ihrerseits zwischen „derivativen" (Art. 12 Abs. 1 GG iVm. A r t . 3 Abs. 1 GG iVm. dem Sozialstaatsprinzip) und „originären" Positionen i n der Richtung auf soziale Grundrechte. I m Ergebnis läuft alles auf die konventionelle systematische Auslegung, also auf bloß „derivative" Positionen hinaus. Auch auf dieser Grundlage meint das Gericht eine Verfassungswidrigkeit nicht feststellen zu können. Teilhaberechte stünden immer „unter dem Vorbehalt des Möglichen i m Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann". Eine „evidente" Verletzung des möglicherweise anzunehmenden „Verfassungsauftrags" lasse sich „namentlich für den Bereich des Medizinstudiums derzeit nicht feststellen" 4 2 . Schon daran zeigt sich die Struktur der Argumentation: Das Gericht verleugnet hier nicht, wie etwa i m Konkordats- und i m Abhör-Urteil, seine eigenen Auslegungsgrundsätze. Es negiert nicht seine eigene ständige Rechtsprechung. Es verbiegt nicht den Wortlaut von Verfassungsrecht. Seine Argumentation spielt sich weitgehend i m Bereich des Meinungsmäßigen ab. Das H i n und Her, das Zwar und Aber, das „ i n erster Linie", „prinzipiell" und „evident" entwertet statt dessen jeden der begonnenen Ansätze für eine konsequente Entfaltung. Treibende Kraft ist dabei aber nicht ein bestimmtes politisch erwünschtes Einzelergebnis. Das Ergebnis w i r d denn audi nicht entfernt mit der Deutlichkeit der bisher besprochenen Urteile gegen geltendes Recht und methodische Praxis durchgesetzt. Vielmehr laviert hier das Gericht weitestgehend i n Übereinstimmung m i t dem geltenden Recht. Die Widersprüche des Urteils kommen aus Widersprüchen der Rechtsordnung und diese offenkundig aus Widersprüchen der sozialen Wirklichkeit, hier i m Bereich „Ausbildung". 41 42

BVerfGE 33, S. 303 ff. a.a.O., S. 333.

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1 Theoretische Bezugsrahmen

Was soll „evidente" Verfassungsverletzung heißen, wenn sie i n der Humanmedizin „derzeit nicht" gegeben sein soll — also i n dem Ausbildungsbereich, von dem das Gericht soeben gesagt hat, 1. es handle sich hier u m „krasse Ungleichheit"; 2. anders als bei finanziellen Leistungen sei hier durch Umverteilung nicht zu helfen; es sei also so, daß hier „ein Teil der Bewerber alles und der andere T e i l . . . nichts erhält"; daß es sich hier 3. u m „Lebensentscheidungen", um die Zuteilung von „Lebenschancen" handelt und daß „sozial schwächere Bewerber" gegenüber wohlhabenderen vervielfacht benachteiligt seien; daß endlich 4. gerade beim Medizinstudium „die Zahl der abgewiesenen . . . sogar weit mehr als die Hälfte der Bewerber" übersteigt 43 . Wenn all dies „eine Verfassungsverletzung nicht ersichtlich" 44 machen kann, so w i r d klar: Das „Mögliche", unter dessen Vorbehalt Teilhaberechte stehen sollen, ist nicht das tatsächlich gesellschaftlich Mögliche, sondern das kalkulatorisch Erwünschte. Hinter dem imbestimmt gelassenen Sozialstaatsgedanken verbirgt sich hier der Maßstab der Kostenminimierung i n der Perspektive der angenommenen Zuwachsraten des Bruttosozialprodukts. Dabei gibt es i m Normbereich des A r t . 12 Abs. 1 GG nicht nur diesen einen, sondern drei bildungsökonomische Planungsansätze zur Organisation des Ausbildungssektors 46 : 1. „Nachfrage-Ansatz": Er geht davon aus, die Nachfrage nach B i l dungsmöglichkeiten sei abzuleiten aus gesellschaftlichen Zielvorstellungen. Solche Zielvorstellungen bietet das Grundgesetz etwa m i t den Grundrechten des A r t . 12 Abs. 1, des A r t . 5 Abs. 3 S. 1, m i t dem demokratischen Prinzip und dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit i n A r t . 2 Abs. 1 GG. Die Verwirklichung dieses Planungsansatzes ist finanziell ersichtlich aufwendig. 2. „Ertragsraten-Ansatz": Er betrachtet Weiterbildung als persönliches Risiko. Dieses Risiko hat ein individuelles K a l k ü l der für den erstrebten Nutzen aufgewendeten Kosten zum Inhalt — der Gedanke der „Lebensentscheidung" i m Numerus-clausus-Urteil. Dieser Ansatz minimiert die gesellschaftlichen i m Sinn der finanziellen Kosten, ist aber redit fragwürdig — was das Bundesverfassungsgericht implizit durchaus erkennt. 3. Der sogenannte Manpower-Ansatz: Er orientiert den Ausbildungsbedarf an der projektierten Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts. 49

a.a.O., S. 328, 332, 333. a.a.O., S. 335. 45 Vgl. die Stichworte bei Görlitz; S. 159 ff. 44

ferner die Ausführungen bei

Denninger,

12 Bezugsrahmen I I : Einwirkungen des Politischen Systems

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Er kalkuliert i h r Verhältnis zum Faktor menschliche Arbeitskraft, soweit hier deren Entwicklung durch Hochschulausbildung i n Frage steht. Die realen gesellschaftlichen Widersprüche, die — hier i m Ausbildungswesen — durch die Verfassungsordnung nicht gelöst sind, treten unausweichlich als Widersprüche i n der Argumentation des Verfassungsgerichts auf. Diese Widersprüche wetterleuchten nicht nur i n den Entscheidungstext hinein; sie treiben vor allem der Sache nach die Argumente hin und her. Das Gericht kann sich prozessual einer Entscheidung nicht entziehen; zugleich wäre es von i h m zuviel verlangt, über den Schatten der gesellschaftlichen Gegebenheiten springen zu können. Das Numerus-clausus-Urteil ist nicht etwa i m Sinn des Konkordats-, des Abhör- oder des Hochschul-Urteils falsch. Folgt man dem oben skizzierten Nachfrage-Ansatz, und zwar deshalb, weil er noch am meisten dem geltenden Verfassungsrecht entspricht, so erweist sich das U r teil allerdings i m Ergebnis als unrichtig. Der methodisch präzise Befund würde dann dahin gehen, das Numerus-clausus-Urteil verfehle das geltende Hecht nicht schon — wie die drei anderen hier untersuchten Entscheidungen — wegen eines Verstoßes gegen das Normprogramm der fraglichen Vorschriften, sondern wegen eines Verstoßes gegen Konkretisierungselemente, die zum Teil erst Ergebnis einer Normbereichsanalyse sind; zum Teil allerdings gehören sie als systematische A r g u mente aus A r t . 5 Abs. 3 S. 1, A r t . 2 Abs. 1 und dem demokratischen Prinzip durchaus auch zum herkömmlich bestimmten Normprogramm des A r t . 12 Abs. 1 GG. Dagegen kann man aber sowohl aus Normbereichsargumenten als auch aus systematischen Argumenten neben den genannten A r t i k e l n noch die Vorschrift des A r t . 109 Abs. 2 GG heranziehen, nach welcher der Gesetzgeber insgesamt den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen hat 4 6 . I m Ergebnis ist also das Numerus-clausus-Urteil i n der Tat rechtlich gut vertretbar. Die politischen Elemente, die hier deutlich werden, sind andere als bei den beiden Formen der Dezision. Sie können Implikation genannt werden. Implikationen sind systemnotwendig gegebene sachliche Grenzen legislatorischer, exekutivischer und judizieller Entscheidungsalternativen. Sie sind also, unabhängig von der Motivation der entscheidenden Stelle, vom Politischen System und seiner Rechtsordnimg sachlich vorgezeichnet. I n der Frage des Numerus clausus liegt die gesellschaftliche Implikation i n der Grenze der Leistungsfähigkeit liberaler Grundrechte und einer liberalen Verfassungsordnung, die sozialökonomisch auf dem Marktmodell beruht: Grundrechtliche Teil46 Das Bundesverfassungsgericht spielt kurz auf diesen Aspekt an: a.a.O., S. 333 u. f.

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1 Theoretische Bezugsrahmen

habeansprüche können von vornherein nicht anerkannt werden, und es stellt sich spätestens nach dem Ausspruch der Verfassungswidrigkeit einer gegen das liberale Grundrecht gerichteten Praxis heraus, daß für den betroffenen einzelnen Grundrechtsträger sanktionierbare A n sprüche auf materielle Bereitstellung staatlicher Leistungen nicht bestehen. Eine Entscheidung, die diesen Zusammenhang deutlich herausbringt, i h n expliziert, wäre methodisch korrekt. Inkorrekt, wenn audi i m Ergebnis juristisch vertretbar, ist dagegen eine Entscheidung, die wie das Numerus-clausus-Urteil auf der Grundlage der gesellschaftlichen Implikationen i n ihren Aussagen allzu unbestimmt bleibt. Wenn A r t . 12 Abs. 1 GG iVm. A r t . 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip einschlägige Grundrechte einräumt, dann ist hier deren gesetzliche Einschränkbarkeit zu untersuchen. Als äußerste Grenze des Regelungsvorbehalts ergibt sich aus A r t . 19 Abs. 2 GG, daß das Grundrecht nicht sozial leerlaufen darf 4 7 . Die Praxis der Hochschulzulassung darf also nicht unterhalb des mit sozialwissenschaftlichen Methoden ermittelten sozialen Bedarfs (plus der statistischen Raten von Studienabbruch und Studienwechsel) bleiben. Das individuelle Leerlaufen des Grundrechts (Zumutbarkeit von Wartefristen) muß sich dabei allgemein i m Rahmen des „sozialen Leerlaufens", das heißt „oberhalb" der normativen Grenze des A r t . 19 Abs. 2 GG halten, da es sich u m Leistungsansprüche handelt, die aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten und politisch zu verantworten sind. Wo aber, wie hier, der Staat ein faktisches Monopol innehat 4 8 , ist A r t . 3 Abs. 1 GG positiv als Gebot inhaltlicher Chancengleichheit zu verstehen. Auch die ebenfalls herangezogene Sozialstaatsnorm geht i n dieselbe Richtung, nämlich hier zum Schutz sozial schwacher Studienbewerber 49 unter den Bedingungen des Monopolcharakters staatlicher Hochschulausbildung die Voraussetzungen für positiv verstandene, also inhaltliche Gleichheit der Bildungs- und Ausbildungschancen zu schaffen. Das verfassungsrechtlich noch besser als jenes des Numerus-clausus-Urteils vertretbare Ergebnis läuft also darauf hinaus, daß der dort zu beurteilende Zustand verfassungswidrig ist; daß daraus aber wegen der Grenze der normativen Leistungsfähigkeit liberaler Grundrechte und allgemein einer liberalen Verfassung praktisch sanktionierbare Leistimgsansprüche des einzelnen Grundrechtsträgers nicht abgeleitet werden können. Der wesentliche politische Gehalt dieser Problematik, eben ihre gesellschaftliche Implikation, wäre durch ein solches Ergebnis und eine solche Begründung nicht verschleiert, sondern klargestellt worden. 47 48 49

BVerfGE 33, S. 333. So audi das Bundesverfassungsgericht a.a.O., S. 331 f. a.a.O., S. 328.

12 Bezugsrahmen II: Einwirkungen des Politischen Systems

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124.131 Explikation Die wissenschaftliche A n t w o r t auf die Bedeutung gesellschaftlicher Implikationen innerhalb der Rechtsarbeit muß eine schrittweise zu erstellende Bestandsaufnahme des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs sein. Soweit diese Bestandsaufnahme geleistet ist und i n juristischen Argumentationen i m Einzelfall von Belang wird, müssen die „einschlägigen" Teilergebnisse von einer i m rechtsstaatlichen Sinn rationalen juristischen Methodik i m Rahmen des Entscheidungsvorgangs selbst expliziert werden. Diejenigen Teile der notwendigen Bestandsaufnahme, die juristische Arbeit besonders angehen, sind also wiederum die juristische Methodik, ferner eine Rechtstheorie, welche die tatsächlichen Funktionen und Strukturen der Rechtsordnung herausarbeitet, und schließlich eine Verfassungslehre der rechts- und sozialstaatlichen Demokratie. Diese Verfassungslehre kommt nicht ohne eine entwickelte juristische Methodik und Rechtstheorie aus, kann aber i n ihnen nicht aufgehen. Rechtsarbeit hat notwendig gesellschaftliche Implikationen und ist notwendig funktionell politisch. Juristen sollten auf diese Sachverhalte nicht abwehrend reagieren, sondern methodisch bewußt: durch juristische Praxis, die weder diese Tatbestände hinter Dezisionen verbirgt, noch die gesellschaftlichen Implikationen verdrängt, sondern die sie explizit voraussetzt, verarbeitet und offenlegt. Die Explikation, die auf Dezision als vielfach auftretendes Symptom und auf Implikationen als unausweichliche Voraussetzung der Rechtsarbeit wissenschaftlich antwortet, besteht also i n den miteinander zu verbindenden Anstrengungen von juristischer Methodik, Rechtstheorie und Verfassungstheorie vor dem Hintergrund des Versuchs einer sozialwissenschaftlichen Gesamtanalyse des Gemeinwesens. Daran zeigt sich schon, daß wissenschaftliche Explikation für die Juristenausbildung etwas bedeutet, das nicht nur inhaltlich der Lehre hinzugefügt werden kann, sondern das nicht zuletzt auch neue Lehrformen erfordert. Das bedeutet formal eine erheblich stärkere Verklammerung traditioneller Lehrformen miteinander, also von Kollegs und Übungen, Vertiefungskollegs und Seminaren, von Übungen und Projektseminaren; ganz allgemein ein stärkeres Gewicht auf projektorientierter Zusammenarbeit i n Einzelgruppen, beginnend m i t Tutorien bzw. Arbeitsgemeinschaften. Inhaltlich bedeutet es einmal von der traditionellen Funktionenlehre her: nicht nur Rechtsprechungs-, sondern ebenso Gesetzgebungs- und Verwaltungsanalysen; für die Planung Analysen der Planungsvorgänge und -Stadien; für die Verwaltungswissenschaft Vorhaben des operational research und Untersuchungen zum decision making i n Simulation. Für juristische Methodik und Rechtstheorie bedeutet es das Einbeziehen der Arbeit an beobachteten bzw. provozierten Fällen, an Fallanalysen i n Simulation und an funktioneller Methodenvergleichung 3 Müller

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1 Theoretische Bezugsrahmen

sowohl i m Sinn des Vergleichs analoger wissenschaftlicher Instrumente als audi i m Vergleich der Arbeitsweisen verschiedener Herrschaftsfunktionen und ihrer Einzelinstanzen. Für die Formen schriftlicher Zusammenfassung so erarbeiteter Teilergebnisse bieten sich über die herkömmlichen Querschnittsuntersuchungen hinaus vor allem Längsschnittuntersuchungen i m Sinn von umfassenden, den Faktor Zeit einbeziehenden Fallstudien und ferner Planspiele an, die vor allem Probleme der Planung selbst, der Gesetzgebungslehre und auch ganz allgemein der Rechtspolitik betreffen würden 6 0 . Eine wissenschaftliche Juristenausbildung, die sich an solchen Vorstellungen orientiert, ist finanziell aufwendig. Ihre Chancen sinken i n dem Maß, i n dem bildungsökonomisch der Nachfrage-Ansatz, wie oben zum Numerus-clausus-Urteil besprochen, vom Ertragsraten- bzw. vom Manpower-Ansatz verdrängt wird. Die „Nachfrage" der Gesellschaft nach ausgebildeten Juristen w i r d dann kostenminimierend und i n diesem Sinn effizient gemäß dem statistischen Bedarf bestimmt: wievieler ausgebildeter Juristen die Gesellschaft bedarf; und nicht i m qualitativen Sinn: welche Art von Fähigkeiten der ausgebildeten Juristen diese Gesellschaft braucht. Wie weit können, abgesehen von Juristenausbildung und wissenschaftlicher Forschungsarbeit, Explikationen von der juristischen „Praxis" verlangt werden, das heißt von den Normsetzungs- bzw. Entscheidungsinstanzen i n Gesetzgebimg, Rechtsprechung und Exekutive? Für die Legislativorgane ist das eine Frage der Explikation i m Gesetzgebungsverfahren selbst (Ausschuß- und Plenararbeit, amtliche Begründung), für die Exekutive i n erheblichem Umfang eine Frage der Explikation von Bedingungen, Zielen und M i t t e l n staatlicher und öffentlicher Planung. Für die Rechtsprechung läßt sich i n dieser Kürze folgendes sagen: Explikation i n dem genannten anspruchsvollen Sinn kann nicht allgemein verlangt werden, wohl aber für Grundsatzentscheidungen, wie etwa bei der Änderung von Entscheidungen der Vorinstanz i n grundlegenden Fragen, wie i n Fällen der Formulierung von fall-übergreifenden Entscheidungsnormen, also von Richterrecht, und audi i n sonstigen Fällen der sogenannten Rechtsfortbildung; schließlich auch i n Fällen der Änderung der eigenen Rechtsprechung oberster Spruchinstanzen. Explikation ist dort normativ geboten, wo — wie etwa i m Hochschul-Urteil und i m Numerus-clausus-Urteil — die „Rechtslage" ganz wesentlich durch gesellschaftliche Implikationen geprägt ist, und ferner überall dort, wo nach dem Typus der zu konkretisierenden Vorschriften eine Normbereichsanalyse erforderlich wird. I m übrigen, also vor allem i n den Fällen, die durch herkömmliche Interpretation 60

Vgl. als Einzelbeispiele etwa Vogel, Kirchhof,

F. Müller I I I und IV.

12 Bezugsrahmen II: Einwirkungen des Politischen Systems

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von Normtexten bewältigt werden können, sind angesichts der Fallabhängigkeit der Rechtsprechung abstrakte Direktiven über das soeben Gesagte hinaus kaum angebracht. In jedem Fall ist aber zu verlangen, daß die Explikation den tatsächlich eingeschlagenen Weg aufdeckt, der zur Entscheidung des Falles beschritten wurde; daß also das Erarbeiten der Entscheidungsnorm und die an Adressaten und Öffentlichkeit gegebene Darstellung dieses Arbeitsvorgangs sich sachlich decken. Mehr oder weniger formal institutionalisierte Hilfen dafür, diese Deckungsgleichheit zu erreichen und dafür, gesellschaftliche Implikationen nicht zu verschweigen bzw. sich nicht aus politischen Gründen zu Deztsionen nötigen zu lassen, liegen i n der Einrichtung des dissenting vote und i n einer ständigen Praxis jedenfalls der oberen Verwaltungs- und der Verfassungsgerichtsbarkeit i m Sinn der nordamerikanischen political question-doctrine . Voraussetzung ist dabei, daß die Abweichende Meinung auch wirklich zur Explikation i m genannten Sinn verwendet und daß die richterliche Zurückhaltung angesichts einer „political question" ehrlich gehandhabt wird. I n den Sozialwissenschaften w i r d unter „Explikation", zum Unterschied von Interpretation (als Suche nach der „adäquaten" Absicht des Verfassers eines Begriffs, einer Theorie), der Versuch verstanden, „den Ausdruck so zu präzisieren, daß der präzisierte Ausdrude für die Zwecke des Sozialwissenschaftlers brauchbar ist" 5 1 . I m vorliegenden Zusammenhang w i r d i m Verfahren der Explikation ebenfalls klargelegt, wie bestimmte Ausdrücke arbeitshypothetisch zu verstehen seien, das heißt genauer: wie sie i m sich entwickelnden Arbeitsvorgang tatsächlich verwendet werden. Der Begriff i m oben definierten Sinn ist hier aber einmal funktionell auf Rechtsarbeit zugeschnitten und zum anderen etwas allgemeiner gefaßt als von der genannten Methodologie der Sozialwissenschaften. Es muß bei Explikation i m hier vorgeschlagenen Sinn nicht nur u m die Präzisierung einzelner Ausdrücke bzw. Begriffe gehen. I n der Regel handelt es sich u m die Darlegung der von einer Entscheidungsinstanz vorausgesetzten Axiome und der unterstellten Ausgangspunkte i m Bereich des Tatsächlichen; Ausgangspunkt der Explikation ist dabei regelmäßig ein einzelner Ausdruck bzw. Begriff: alltagssprachliche Ausdrücke, dogmatische oder theoretische Fachausdrücke i n Normtexten, rechtspolitische Zielbegriffe und so weiter. Ferner ist, anders als i m soeben genannten Beispiel zur sozialwissenschaftlichen Methodenlehre, die Explikation nicht erst dann „adäquat", wenn die Präzisierung den vorausgesetzten und dargelegten Kriterien entspricht; sondern schon dann, wenn durch sie die Arbeitsvoraussetzungen, das „Vorverständnis" der normorientiert entscheidenden und argumentierenden Instanz — des Gerichts, des Gesetzgebers, der Verwal61

3*

Opp, S. 158 ff., 159 mit weiteren Nachweisen.

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1 Theoretische Bezugsrahmen

tungsinstanz, des Rechtswissenschaftlers — nachprüfbar und diskutierbar werden. Diese Bedeutungsunterschiede von Explikation i n rechtsbzw. sozialwissenschaftlichen Zusammenhängen liegen an der Verschiedenheit der gesellschaftlichen Praxis beider Gruppen von Wissenschaften. Nur der Jurist hat einen i m engeren Sinn normativ verbindlichen Bereich und muß i h n demgemäß auch explizit von den normativ nicht verbindlichen Faktoren seiner Argumentation — z.B. von theoretischen, lösungstechnischen, rechtspolitischen Konkretisierungselementen — unterscheiden. Wenn es u m theoretische, rechtspolitische, lösungstechnische oder nicht direkt-normbezogen dogmatische Ausdrücke geht, dann erscheint Explikation dieser Ausdrücke i m soeben präzisierten weiteren Sinn. Handelt es sich dagegen u m Begriffe, die Bestandteile von Normtexten sind, dann ist Explikation eine solche i n dem engeren Sinn, der sozialwissenschaftlich gemeint ist. Als Beispiel kann der Begriff „freiheitliche demokratische Grundordnung" aus A r t . 21 Abs. 2 GG dienen, wie er i m SRP- und i m K P D - U r t e i l vom Bundesverfassungsgericht 62 expliziert wird. 124.14 Primäre normative

Implikation

„Normativ" sind solche gesellschaftlichen Implikationen, die nicht nur über Normbereiche, sondern auch über Normprogramme i n das geltende Recht hineinwirken. Die tatsächlichen Verhältnisse i m Hochschulbereich w i r k t e n i n den oben untersuchten Beispielen des Numerusclausus-Urteils und der Hochschul-Entscheidung kraft ihrer Tatsächlichkeit i n die rechtliche Argumentation hinein. Es gibt aber Fälle, i n denen die Rechtsordnung i n Gestalt bestimmter Normprogramme sozusagen jeweils ein Einfallstor für vom Normprogramm her nicht definierte gesellschaftliche Implikationen auf Dauer schafft. Das ist, i m vorliegenden Zusammenhang gesehen, die Wirkung von Generalklauseln wie etwa von § 242 oder § 826 BGB i m Bürgerlichen Recht, der polizeilichen Generalklausel i m Verwaltungsrecht oder beispielsweise i m Strafprozeßrecht der Durchbrechungen des Legalitätsprinzips. Es handelt sich hier nie u m nur technische Normen. Ihrer tatsächlichen Funktion nach sind es ausgleichende Generalklauseln — und zwar i n einer Gesellschaft, die, wie jede bisherige Gesellschaft, auf tatsächlicher « BVerfGE 2, S. I f f . , 12 f.; 5, 85 ff., 140 f., 317 f. — Ein anderes Beispiel: Die Mephisto-Entscheidung, BVerfGE 30, S. 173 ff., bietet ebendort S. 188 ff. ein leider nicht zu Ende geführtes Exempel für eine Explikation des „Allgemeinen Teils" der Grundrechtsdogmatik. Von der Einsicht in die sachliche Eigenständigkeit der einzelnen Grundrechte, in die Notwendigkeit einer Analyse ihrer Normbereiche, in die rechtsstaatliche Unzulässigkeit von „Gemeinwohlvorbehalten" oder „Schrankenübertragungen" gleitet die Entscheidung im weiteren Verlauf wieder allzu stark in die inzwischen schon traditionsreiche Technik der „Abwägung" von rational unscharf konturierten Umständen des Einzelfalles ab.

12 Bezugsrahmen II: Einwirkungen des Politischen Systems

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Ungleichheit gründet; mit der Besonderheit, daß sie sich aus dem A n spruch einer wirksamen Gleichheit vor dem Gesetz wesentlich legitimiert. Vorschriften, die das Opportunitätsprinzip i n die Rechtsordnung einführen, sind i n diesem Sinn normative Implikationen; und zwar sind sie es „primär", das heißt der vom Normsetzer unmittelbar beabsichtigten Funktion nach. Generalklauseln helfen, den Druck i n haltlicher gesellschaftlicher Ungleichheit gegen die Anforderung legitimierender formaler Gleichheit aller anscheinend systemkonform durchzuhalten. Sie erlauben auch solche Entscheidungen, die gerade gleichheitswidrig sind: das Anwenden der polizeilichen Generalklausel unter (in der Regel verschwiegenen) Aspekten der gesellschaftlichen Stellung der Betroffenen oder die Einstellung eines Verfahrens nach der Strafprozeßordnung aus demselben Grund. Generalklauseln, seien sie materiell- oder prozeßrechtlicher A r t , machen es damit i m unmittelbaren Bereich rechtlicher Entscheidung — und nicht nur, w i e allgemein, i m gesellschaftlichen Vorfeld der Beziehungen unter den Normadressaten — verhältnismäßig leicht, je nach gesellschaftlicher Position oder politischer Wahlverwandtschaft „ausgleichend" zu entscheiden. Darauf und auf den grundlegenden Gesichtspunkt der schichtspezifisch zu differenzierenden Unterschiedlichkeit i n der Chance, von der Rechtsordnung gegebene Positionen auch zu verwirklichen, w i r d hier noch zurückzukommen sein. Dabei w i r d nicht verkannt, daß die Rechtsordnungen des bürgerlichen Verfassungsstaates der Neuzeit den unmittelbaren normativen Ausdruck solcher Ungleichheit, also ihre primären normativen Implikationen, gegenüber den ständischen Rechtssystemen auf ein Mindestmaß reduziert haben. Wären aber, u m das Beispiel aufzugreifen, bei der Ausgestaltung des Legalitätsprinzips i m Strafprozeßrecht nur gesellschaftliche Implikationen wirksam, dann gäbe es von der inhaltlichen und formalen Gleichheit aller vor dem Strafgesetz und vor dem Strafverfolgungsanspruch des Staates keine normativ gestützten Ausnahmen. Wenn es, wie i n den §§ 153 ff. StPO, solche normativen Ausnahmemöglichkeiten gibt, dann handelt es sich i n dem Maß, i n dem sie generalklauselartig gefaßt und von der Praxis überwiegend zugunsten von Angehörigen der höheren Sozialschichten verwendet werden, u m i m hier definierten Sinn primäre normative I m plikationen. 124.15 Sekundäre normative

Implikation

Normative Implikationen ermöglichen es nach dem Gesagten allgemein, gesellschaftliche Implikationen unmittelbar i n rechtliche Entscheidungen hinein „durchschlagen" zu lassen. Auch wo es sich dabei — wie bei gleichheitswidrigen Entscheidungen — u m Dezisionen handelt, können diese dank der materiell- oder prozeßrechtlichen Implikations-

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1 Theoretische Bezugsrahmen

norm verhältnismäßig unkontrolliert erfolgen und durch „Ableitung" von der ganz besonders vagen Generalklausel verhältnismäßig leicht als legitim, w e i l legal dargestellt werden. Implikationsnormen sind dann „primär", wenn derartige Auswirkungen auf Seiten der Normsetzer und der normkonkretisierenden Stellen entweder als beabsichtigt oder als gerne i n Kauf genommen unterstellt werden dürfen. U m sekundäre normative Implikationen handelt es sich dort, wo beispielsweise Kompetenznormen oder Regeln des Prozeß- und des sonstigen Verfahrensrechts primär nur technischer Natur sind, und zwar i m Sinn von inhaltlich neutral, verfahrenstechnisch. Unter bestimmten Voraussetzungen können sie aber sekundär zu inhaltlichen Implikationen entarten, die die rechtsstaatliche Funktion eines Rechtsmittels oder eines Prozeßinstituts insgesamt i n Frage stellen. Dieser Typus von Implikation, herkömmlich gesprochen eine Fallgruppe des „Mißbrauchs" von Verfahrensregeln, ist für die juristische Alltagspraxis ebenso wichtig wie aufschlußreich. Als Beispiel soll ein unveröffentlichter 5 · Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 29.1.1973 dienen. I n i h m w i r d i m Vorprüfungsverfahren durch den Dreierausschuß nach § 93 a Bundesverfassungsgerichtsgesetz die Annahme der Verfassungsbeschwerde eines Rundfunkredakteurs gegen eine gerichtliche Ordnungsstrafe unter Berufung auf grundrechtlich gestützte Zeugnisverweigerungsrechte abgelehnt. Der Beschluß nimmt i m Weg der Dezision durât Rechtsverbiegung eine Verfassungsbeschwerde als unzulässig nicht zur Entscheidung an, die nach der gesamten bis dahin zum Thema ergangenen Judikatur des Bundesverfassungsgerichts als zulässig behandelt werden mußte 5 4 . Eine Begründung für die Dezision w i r d nicht gegeben. Die Aufgabe einer langen Rechtsprechimg zu der stets auch objektiven Funktion der Verfassungsbeschwerde hätte aber begründet werden müssen. Es w i r d nicht einmal deutlich gemacht, daß hier ein Bruch m i t der bisherigen Rechtsprechung vorliegt. Der Ausschuß kann dazu kommen, einen derartigen Bruch i n der Judikatur und derartige Lücken i n der Begründung zu riskieren, weil es sich u m eine Entscheidung i m Verfahren nach § 93 a Bundesverfassungsgerichtsgesetz handelt. Hier beginnt die Fragestellung unter dem Aspekt der sekundären normativen Implikation: 1. Die Entscheidungen i m Vorprüfungsverfahren brauchen nach § 93 a Abs. 5 Bundesverfassungsgerichtsgesetz nicht begründet zu werden. W i r d die Annahme abgelehnt, so gibt sich das Gesetz m i t dem H i n weis auf den maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkt zufrieden. 2. Die Ablehnung kann nach § 93 a Abs. 3 Bundesverfassungsgerichtsgesetz dann ausgesprochen werden, wenn die Beschwerde „unzuM 64

Vgl. aber die Wiedergabe bei F. Müller I I I , S. 19 f. Eingehend dargelegt bei F. Müller I I I , S. 25 ff., 77 ff.

12 Bezugsrahmen II: Einwirkungen des Politischen Systems

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lässig ist oder aus anderen Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat". § 93 a Bundesverfassungsgerichtsgesetz steht nicht für eine gesellschaftliche Implikation etwa i m Sinn der Problematik „Abwehrrechte — Teilhaberechte — soziale Grundrechte". Die Norm ist audi keine p r i märe normative Implikation wie etwa die Durchbrechungen des Legalitätsprinzips i m Strafprozeß oder wie materiell-rechtliche Generalklauseln. Sie ist i n der Tat primär eine technische Regelung. I h r Zweck ist es primär, die Überlastung des Bundesverfassungsgerichts durch eine Unmasse von Verfassungsbeschwerden zu verhindern, durch quantitative Entlastung seine Funktionsfähigkeit sicherzustellen. A u f dieser Linie liegt auch der Wegfall des Begründungszwangs i n Abs. 5 der Vorschrift. Er war i m Dritten Änderungsgesetz 1963 eingeführt worden und ging auf damalige Stellungnahmen des Präsidenten und des Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts vor dem Rechtsausschuß des Bundestages zurück. Die Freistellung des Dreierausschusses von jeder i m rechtsstaatlichen Sinn zulänglichen Begründung sollte demnach der technischen Vereinfachung des Verfahrens und damit ebenfalls der quantitativen Entlastung der Verfassungsgerichtsbarkeit dienen. Was eine verfahrenstechnische, eine i n diesem Sinn nur quantitativ gezielte Norm bewirken kann, zeigt der vorliegende Fall, eine geradezu klassische Dezision. § 93 a Bundesverfassungsgerichtsgesetz ist i n seiner jetzigen Gestalt so angelegt, daß er Dezisionen institutionell ermöglicht, ohne zugleich Möglichkeiten ihrer Verhinderung bzw. Kontrolle zu bieten. Solche Möglichkeiten werden i n der jetzigen Fassung der Norm gerade abgeschnitten. Primär soll die technische Funktionsfähigkeit des Gerichts gewahrt werden; sekundär w i r d durch § 93 a Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine Dunkelzone nicht-öffentlicher Entscheidungspraxis institutionalisiert. Die Vorschrift ist technisch gemeint, aber schon bei der Normsetzimg i n einer Richtung mißglückt, daß sie zur (sekundären) normativen Implikation werden muß. Die rechtsstaatliche Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit ist i n der Tat auch durch technisch entlastende Normen zu sichern. Durch § 93 a Bundesverfassungsgerichtsgesetz i n seiner jetzigen Form w i r d sie dagegen i n Frage gestellt. Diese Funktion besteht subjektiv darin, zu verhindern, daß Grundrechte von der öffentlichen Gewalt ohne die Möglichkeit von Kontrolle und Abhilfe verletzt werden. Objektiv besteht diese Funktion i n Klärung und Fortbildung verfassungsrechtlicher Streitfragen anhand von grundsätzlich wichtigen Einzelfällen. Hier ist jedoch die Entscheidung darüber, welcher Fall rechtsstaatlich bearbeitet und welcher durch Dezision erledigt wird, nicht kontrollierbar. Sie ist solange

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1 Theoretische Bezugsrahmen

nicht kontrollierbar, als für das Vorprüfungsverfahren nach § 93 a Bundesverfassungsgerichtsgesetz der allgemeine rechtsstaatliche Begründungszwang aufgehoben bleibt. Das Gericht bräuchte RoutineEntscheidungen nicht m i t weit ausholender dogmatischer und theoretischer Perspektive zu entwickeln. Es ist, wie ausgeführt, nicht allgemein zu wissenschaftlichen Explikationen verpflichtet. Es hat praktische Fälle auf rechtsstaatlich kontrollierbare und damit i m Ergebnis häufig auch kontrollierte A r t zu entscheiden. Zwischen einer wenn auch knapp begründeten Entscheidung, die ihre Gründe durch Offenlegen am geltenden Recht und an der sonstigen Entscheidungspraxis ausweist, und einem „Hinweis" i m Sinn von § 93 a Abs. 5 Bundesverfassungsgerichtsgesetz liegt allerdings eine rechtsstaatlich unüberbrückte K l u f t . Diese Norm fordert Dezisionen geradezu heraus. Dezisionen sind aber allen an „Gesetz und Recht" i m Sinn von A r t . 20 Abs. 3 GG und an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) gebundenen Entscheidungsinstanzen verwehrt. Dezisionen, deren Wahrscheinlichkeit wie hier institutionalisiert ist, erzeugen auf Dauer nicht ausgleichbare Lücken der rechtsstaatlichen Legitimität. Die Einrichtung der Verfassungsgerichtsbarkeit — hier: des Verfassungsbeschwerdeverfahrens — ist nicht nur und nicht vorwiegend ein „Kunstgriff" i m Sinn bloß technischer Rechtsstaatlichkeit. Sie ist eine politisch legitimierende Entscheidung der Verfassungsordnung. Normen wie § 93 a Bundesverfassungsgerichtsgesetz eröffnen aber rechtsstaatswidrige Systemlücken m i t Ausstrahlungswirkung weit über die nach solchen Regeln erledigten Einzelfälle hinaus. Die Möglichkeit der Flucht aus rechtsstaatlich kontrollierbarer methodischer Normkonkretisierung steht auch hinter solchen Fällen, i n denen von ihr kein Gebrauch gemacht wird. § 93 a Bundesverfassungsgerichtsgesetz hat eine Mischfunktion: nämlich die rechtsstaatliche Funktion, das Verfassungsbeschwerdeverfahren zum Teil n o d i zu garantieren; daneben aber die nicht mehr rechtsstaatliche, nur den Schein dieser Sicherung aufrechtzuerhalten und stattdessen inhaltliche Kontrolle durch unkontrollierbar bürokratische Erledigung i m Namen einer nur noch formalen „Effektivität", „Funktionsfähigkeit" abzulösen. Effektiv, funktionsfähig ist ein solches Verfahren i n der Tat — nur eben i m Dienst einer anderen Funktion als der, nach deren Gesetz die verfassungsgerichtliche Judikatur zum Beschwerdeverfahren anzutreten hatte. Es ist eine formale und damit politisch natürlich nicht neutrale Effizienz bürokratisch-autoritärer Fallerledigung. Als Gegenmittel gegen eine sekundäre normative Implikation ist eine Revision der fraglichen Vorschrift erforderlich. Erst dann w i r d rechtsstaatliche Kontrolle und K r i t i k von Dezisionen wieder möglich. Rechtspolitisch ist dabei i m genannten Beispiel vor allem darauf zu dringen, die allgemeine Begründungspflicht auch für das Vorprüfungsverfahren

12 Bezugsrahmen II: Einwirkungen des Politischen Systems

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wieder einzuführen 65 . Ganz allgemein sind rechtspolitische K r i t i k und Revision mißglückter oder allzu leicht mißbrauchbarer Normen die eigentlichen Mittel gegen sekundäre und übrigens auch primäre normative Implikationen; nur sind Normänderungen bei der primären Variante wegen der Massivität dahinterstehender Interessenstandpunkte ungleich weniger aussichtsreich als bei den tatsächlich primär technischen Vorschriften. Dagegen sind, wie klar geworden ist, gesellschaftliche Implikationen m i t spezifisch juristischen M i t t e l n überhaupt nicht zu ändern. Sie können allerdings begriffen, expliziert und als Explikation i n die Rechtsarbeit offen einbezogen werden: einmal, damit über deren Bedingtheit und Funktion keine Illusionen fortbestehen und zum andern, u m die Legalität und Legitimität juristischer Entscheidungsarbeit i m Einzelfall beurteilbar zu machen. 124.2 Parallelbeispiele aus der Verwaltungspraxis

Daß die bisherigen Beispiele dem Verfassungsrecht entstammen, beruht nicht auf einer andersartigen Situation dieses Gebiets gegenüber dem Verwaltungsrecht. Auch i n diesem wirken politische Dezisionen und Implikationen grundsätzlich auf dieselbe A r t i n Normsetzung, Normvollzug und Rechtsprechung. Implikationen äußern sich i m Verwaltungsrecht besonders deutlich dort, wo über das herkömmliche dogmatische System hinausgegangen werden muß, also i n Bereichen wie Planung und Verwaltungslehre. Beide sind auf erhebliche Strecken von gesellschaftlichen Implikationen bestimmt; die Praxis beider ist vielfach von Dezisionen durchsetzt. Das sagt etwas zum Stellenwert der Verwaltungslehre. Sie ist nicht einfach technischer Überbau zum Verwaltungsrecht unter sozialwissenschaftlich sublimierten Zielvorstellungen von „Effizienz" und „Zweckmäßigkeit"; sondern sie ist auf das politische Gemeinwesen bezogen und kann nicht isoliert von einer Verfassungslehre entwickelt werden. Von der Sache her ist Verfassungslehre gegenüber der Verwaltungslehre nicht kategorial abgrenzbar. Verfassungslehre ist nicht nur die Theorie von den Normen und Institutionen „der" Verfassung i m Sinn von: des auf die Verfassungsurkunde zurückgeführten Rechts. Sie ist vielmehr zugleich auch Verwaltungslehre i n dem Sinn, daß sie überhaupt die Theorie des verfaßten politischen Gemeinwesens i m ganzen sein sollte. Auch bei der Planung zeigt sich rasch, daß das Erarbeiten einer demokratischen und sozialstaatlichen Planungstheorie und -praxis wesentliche Elemente der Verfassungslehre, hier die Demokratiekonzeption des bürgerlichen Verfassungsstaates, nicht unberührt läßt. So sind ζ. B. Kompetenz- und Verfahrensnormen, etwa i m Verfahren der Willensermittlung und 55

Vgl. hierzu den rechtspolitischen Vorschlag bei F. Müller

I I I , S. 80 f.

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1 Theoretische Bezugsrahmen

Entscheidungsbildung für politische Gremien oder der Verfahren von Planungsvorgängen, von recht verschiedener Funktion — je nachdem, ob sie unter der Zielvorstellung inhaltlicher Mitbestimmimg auf der einen Seite oder bürokratisch-autoritär „durchgezogener" Beteiligungsformen i m Sinn formal legitimierender Pflichtübungen auf der anderen Seite konzipiert sind. Als Beispiel hierfür genügt das Stichwort „Bürgerinitiativen" 5 ·. Dieses Stichwort bietet ein Exempel dafür, welche Sperren und Widerstände gegen Explikation auch gerade i n der Verwaltungspraxis herrschen; d. h. wie nahe dort die Neigung liegt, i m Einzelfall m i t Dezisionen zu arbeiten und sich allgemein hinter Implikationen zu verschanzen — vom Argument der „Sachzwänge" bis zu methodisch undifferenzierten Topoi von Praktikabilität oder pragmatischer argumenta ad absurdum. Der Drang nach Teilhabe an öffentlichen Entscheidungsprozessen, der i n den Bürgerinitiativen hervorkommt, hat mehrere Ursachen. Die umfassendste unter ihnen ist eine Legitimationskrise des formalen Repräsentationssystems. Eine i n Deutschland historisch begründete Schwäche des Bedürfnisses nach Demokratie zeigt sich allgemein darin, daß — i n den herkömmlichen Metaphern gesprochen — der „zwischen" Staat und Privatbereich liegende „öffentliche" Bereich zu wenig strukturiert ist. Demokratie als demokratische Teilnahme ist aber i n Flächenstaaten und vor allem i n entwickelten Industriegesellschaften praktisch ein Problem der Organisierung von Teilnahme. Die hergebrachte Struktur des insgesamt blühenden deutschen Verbändewesens sagt hier genug. Wirtschaftlich interessengebundene Verbände herrschen vor, politische Vereinigungen i m Sinn von attitude groups oder civic organizations (Meinungsgruppen, Selbsthilfe-Initiativen) fehlen weithin. Das starke Aufkommen von ad-hoc-Gruppen i n der A r t von Bürgerinitiativen seit mehreren Jahren bringt insofern für den deutschen Bereich Neues. Das Ausmaß an Teilhabebedürfnis als Äußerung demokratischer „Potentiale", das hier erscheint, w i r d aber sogleich durch gesellschaftliche Implikationen wieder begrenzt. Die unteren sozialen Schichten der Bevölkerung sind, obwohl organisierbar, nicht organisiert. I n den bestehenden Verbänden und deren Führungspositionen sind sie schwach vertreten. Staat, Gemeinden, Verbände könnten sie durch Organisationshilfen praktisch unterstützen; etwa durch Einstellen von „social-organizers" zur „Mobilisierung von Gastarbeitern, Mietern, Lehrlingen" 5 7 , u m aktive Teilhabe auch i n diesen sozialen 66

Vgl. allgemein Naschold / Väth;

grundsätzlich unter Aspekten der Ver-

waltungslehre: König, der Demokratietheorie: Zimpel.

57 So Steinberg, S. 52; zum Gesamtproblem ebendort, durchgehend, mit zahlreichen weiteren Nachweisen.

12 Bezugsrahmen I I : Einwirkungen des Politischen Systems

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Bereichen möglich zu machen. Es ist bekannt, daß die Bürokratien entgegengesetzt reagieren. Anhörungsverfahren werden i n aller Regel als lästig behandelt, Anwaltsschaftsgruppen eher m i t Mißtrauen beobachtet — der Sachverstand ist bekanntlich i n der staatlichen und i n der Verbändebürokratie am besten aufgehoben. Grundlegende Alternativen, vor allem Planungsalternativen unter Offenlegen ihrer gesellschaftlichen Implikationen frühzeitig i n Planungsvorgängen zu veröffentlichen, sie der Diskussion durch Sachverständige und Betroffene auszusetzen, ist für den S t i l der Behörden und Verbände gerade nicht kennzeichnend. Statt dessen ist kennzeichnend eine sich immer besser einspielende Strategie, Konflikte zu vermeiden. Längst Geplantes lassen die Verwaltungen durch entsprechende Regie von Bürgerinitiativen fordern, u m den Schein inhaltlicher Teilhabe an Entscheidungen zu inszenieren. Es kann nicht wundernehmen, daß gerade Planung von Implikationen gesteigert festgelegt, für Dezisionen jedenfalls tendenziell gesteigert anfällig ist. I m System einer formal repräsentativen Demokratie kann inhaltliche M i t w i r k u n g der Betroffenen nicht isoliert gerade i m Planungsverfahren glücken, wenn bzw. soweit sie sonst nicht glückt. Illusionen i n dieser Richtung sind vermeidbar wiederum nur durch methodisch kontrolliertes Einführen der politischen Bestandteile von Planungsarbeit i n die wissenschaftliche Argumentation; durch Explikation des Rahmens der gegebenen Bedingungen, durch Differentialdiagnose des Möglichen und des Unmöglichen. Juristische Methodik m i t ihren rechtsstaatlichen Formanforderungen kann audi Planung als Rechtsgebiet aufarbeiten: Planstruktur — Entscheidungsstrukturen — Stadien des Planungsvorgangs — Kontrollstrukturen. Planung ist nicht als Naturgegebenheit hinzunehmen, als „rein technischer" Wildwuchs sui generis. Sie muß sich, wie andere Herrschaftsfunktionen, Herrschaftsinstrumente auch, normativen Leitlinien unterordnen, die politisch zu verantworten sind. Gefordert ist auch hier Explikation: nicht nur eine „pragmatische" 5 8 , sondern auch eine politische Theorie der Planung. Keine Gesetzgebungs-, Regierungs-, Verwaltungs- und Justizpraxis darf sich gegenüber den Kontrollkriterien von Theorie i m m u n i sieren; und diese w i e alle Theorie ist Praxis insofern, als sie politisch verantwortet werden muß. Bei all dem ist für Hochstimmung über den gegenwärtigen Stand der Möglichkeiten theoretischer Explikation kein Anlaß. Nicht zuletzt Explikation ist von ihrer gesellschaftlichen F u n k tion nicht ablösbar. Nicht zuletzt Explikation w i r d durch die kompakte M a d i t der materiellen Interessen festgelegt, die i m gesellschaftlichen und politischen System die bestimmenden sind. Hinter den Implikationen stehen nicht nur faktische Gegebenheiten, sondern vor allem rechtlich überformte Fakten und nicht zuletzt auch Dezisionen. Das M

Dazu grundsätzlich Kaiser, Bd. I, S. 11 ff.; Bd. II, S. 11 ff.

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1 Theoretische Bezugsrahmen

macht wissenschaftliche Explikation, die ihre eigene Bedingtheit offenlegt, nur um so notwendiger. Das bedeutet etwa für das Beispiel einer Explikation i m Planungsverfahren unter M i t w i r k u n g der Planungsbetroffenen: Die Explikation hat nicht nur auf die hinter der M i t w i r kung stehenden Zielvorstellungen abzuheben, also auf den Gedanken demokratischer Selbstbestimmung, auf die Hebung der Bereitschaft der Betroffenen zur Erfüllung der Planziele und inhaltlich auf mögliche Verbesserungen der Planungsinhalte. Sondern sie sollte auch Voraussetzungen für die Beteiligung überhaupt und Kriterien für ihre Qualität i m Einzelfall darlegen: also Zahl und Umkreis der Betroffenen, den Grad des Betroffenseins der einzelnen Bürger, Möglichkeiten größerer oder geringerer Verhaltenssteuerung der Betroffenen, die Voraussetzungen für hinreichende Information, die Dringlichkeit der Planimg und den Grad der Politisierung des Planungsgegenstandes, den normativen und nicht-normativ faktischen Umfang des Planungsspielraums, schließlich auch die Fragen der Technizität und Umkehrbarkeit der Planung und das Problem, wieweit die Planung von ihrem Gegenstand her Offenlegung i m hier gemeinten Sinn überhaupt verträgt 5 9 . 124.3 Einige allgemeine Aspekte zu: Dezision — Implikation — Explikation

Der hier entworfene Raster erschöpft keineswegs die Beziehungen von Recht und Politik. Politik liegt allem Recht voraus; alles Recht läuft i n Setzung, Konkretisierung, Kontrolle, Diskussion und Revision auf Politik hinaus. Recht ist insgesamt eine Sonderform von Politik und nach Voraussetzungen, Bedingungen, Funktionen und Inhalten politisch bestimmt. Allerdings ist Recht M i t t e l von Herrschaft, Funktion von Politik in einer charakteristischen Form, die es von den Faktoren nicht rechtlicher Politik graduell abhebt. Auch Dezision, Implikation und Explikation sind typologische Figuren, die graduell unterscheidbar und umschreibbar sind. Vielleicht können sie als Instrumente rationaler Diskussion nützlich sein. Politik kann speziell auf die Arbeitsbedingungen juristischer Methodik einwirken, indem sie punktuell auf sie „durchschlägt", sie immanent beeinflußt oder i n ihrem Rahmen programmatisch formuliert bzw. analytisch expliziert wird. Punktuell schlägt Politik auf die Rechtsarbeit dann durch, wenn die anstehende Entscheidung gegen die normative Lage getroffen w i r d (Dezision). Die hierauf folgende sekundäre Begründung erscheint dann, gemessen an den Regeln rechtsstaatlicher Methodik, als nicht regulär, somit als „nicht mehr vertretbar". Dezisionen sind inhaltlich ( = gesell89

Z u den genannten Einzelpunkten unter allgemeinen Aspekten: Kube.

12 Bezugsrahmen II: Einwirkungen des Politischen Systems

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schaftlich) i n der Hegel systemkonforme, formal ( = juristisch) systemwidrige Einzelakte ohne legale Hechtfertigung. Entscheidungen dieses Typus ergehen nicht nur i n „hochpolitischen" Fällen, wie sie sich vor allem i n der Verfassungsrechtsprechung finden, sondern auch i n „normalen" Fällen mit politischem Einschlag, also mit Wichtigkeit für mächtige gesellschaftliche Interessen. I n der Dezision schlägt die Politikbestimmtheit von positivem Hecht sozusagen ohne Rücksicht auf die spezielle Formalisierung von Politik i n Gestalt der i m Einzelfall einschlägigen Normen gegen diese durch und erzwingt eine punktuellpolitische Verbiegung der vorhandenen rechtlichen oder die Unterstellung einer nicht vorhandenen rechtlichen Formalisierung. Die beiden Gruppen von Dezision unterscheiden sich also dadurch, daß — stets bei Abweichung vom positiven Rechtszustand — i m einen Fall die Frage, u m die es geht, positiv geregelt ist, i m zweiten Fall dagegen nicht. K r i t e r i u m ist das geltende Recht und die Stellung der Entscheidung zu ihm, nicht etwa der politische Inhalt, der die Dezision punktuell steuert. Wieweit die Entscheidung Bestand hat, wieweit sie i m Instanzenzug annulliert oder bestätigt wird, hängt i n aller Regel vom Gewicht der sich zur Geltung bringenden Interessen ab. Die Vermittlung dieser Interessen ist i n nicht-richterlichen, also i n weisungsabhängigen Entscheidungssystemen, wie vor allem i n Regierung und Verwaltung, einfach. I n richterlichen kann sie dagegen wegen der Unabhängigkeit der Gerichte von Einzelweisungen nicht de jure durchgesetzt werden. Daß sie de facto dennoch zum Zug kommen kann, ist bekannt. Die unabhängigen Richter sind nicht verpflichtet oder berechtigt, einer Einzelweisung, einer mehr oder weniger deutlichen Einflußnahme zu folgen. Sie können ihr aber faktisch folgen; für diese Problematik ist der Stellenwert der Normen über die Rekrutierung der Spruchgremien wie allgemein jener über die Rekrutierung des Juristenstandes bekannt. Das einzige (begrenzte) Gegenmittel besteht i m Ausarbeiten möglichst strikter, technisch rationaler und zu maximal offener Begründimg veranlassender Methodenregeln; dazu gehört auch das Ausschalten von Leerformeln, von rhetorischen Floskeln und Suggestivargumenten, die typischerweise nicht für das konstruktive Erarbeiten der Entscheidung, sondern erst anschließend für das sprachlich möglichst eindrucksvolle Begründen der auf anderem Weg determinierten Dezision eingesetzt werden („Abwägung", „teleologische Auslegung", „Ausnahmefall" usw.). Immanent wirken die gesellschaftlichen Verhältnisse auf richterliche und nicht-richterliche Entscheidungen dort ein, wo ohne Abweichen von der Regularität juristischer Methodik, das heißt: ohne Normver-

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1 Theoretische Bezugsrahmen

stoße oder Normüberschreitungen die Rechtsfindung an die Grenzen des innerhalb der Normbereiche faktisch oder politisch „Möglichen" stößt. Es unterscheiden sich also auch Dezision und Implikation nicht von ihren politischen Inhalten her, sondern von der A r t der rechtlichen Formung und von ihrer Stellung zum positiven Recht. Dasselbe g i l t für die Unterscheidung von gesellschaftlichen und normativen I m p l i kationen: Wären ζ. B., so der oben behandelte Fall des Numerus clausus, die Widersprüche i m Ausbildungsbereich nicht nur gesellschaftliche Implikationen, sondern (primäre) normative Implikationen zu nennen, dann gäbe es detaillierte Rechtspositionen für Studienfreiheit, Wahl der Ausbildungsstätte, Redite der einzelnen auf Schaffung der tatsächlichen Voraussetzungen ihres Studiums durch den Staat und gäbe es zusätzlich Ausnahmenormen, deren generalklauselartige Tatbestände i n Einzelfällen von den genannten Rechtspositionen abzuweichen erlauben würden (etwa aus „überragenden Interessen des Gemeinwohls", aus „Erfordernissen der binnenwirtschaftlichen Stabilität"). Gesellschaftliche Implikationen wirken vor allem durch ihre sachliche Gegebenheit selbst i n das Recht hinein, das mehr oder weniger offene Spielräume läßt. I m untersuchten Beispiel waren dies die Unbestimmtheit des Sozialstaatsprinzips und des Allgemeinen Gleichheitssatzes sowie mangelnde Sanktionen bei Grundrechtsverletzungen dort, wo die Grundrechts- und damit Verfassungswidrigkeit darauf beruht, daß der Staat als faktischer Monopolist für die Bedingungen der Grundrechtsverwirklichung diese Bedingungen nicht schafft. Dagegen ist die normative Implikation eine solche gesellschaftliche Implikation, deren Wirkung nicht diffus durch die offenen Spielräume anderer Normen oder durch andere Generalklauseln hindurch erfolgt, sondern die sich unmittelbar thematisch auf normierte Generalklauseln bzw. Regeln wie etwa „Durchbrechungen" von „Prinzipien" oder auf „Ausnahmevorschriften" stützen kann. Es handelt sich dabei u m primäre normative Implikationen. Sie haben unmittelbar die Funktion, gesellschaftliche Gegebenheiten legal zu transformieren und zu stabilisieren. Sekundäre normative Implikationen haben diese Funktion erst i m Zug einer Entwicklung erhalten, die als Abweichen von dem gesetzgeberisch intendierten Zweck bestimmt werden kann. Sie hat häufig eine nur technische und damit anscheinend politisch neutrale Funktion. Die sich vor ihrem Hintergrund einrichtende Praxis entartet aber i n eine andere Richtung; i m untersuchten Fall zu § 93 a Bundesverfassungsgerichtsgesetz sogar i n die Gegenrichtung, nämlich die zu sichernde rechtsstaatliche Funktion der Herrschaftskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht in Frage zu stellen und damit i m Ergebnis nur wieder die gesellschaftlichen Machtverhältnisse durchschlagen zu lassen, statt ihnen Bindungen aufzuerlegen.

12 Bezugsrahmen II: Einwirkungen des Politischen Systems

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Programmatisch werden schließlich politische Inhalte dort formuliert, wo sich die Entscheidungsinstanz über fallbezogene Argumentation hinaus zum herrschenden Selbstverständnis des Politischen Systems oder zum tatsächlichen Zustand von einzelnen seiner Bereiche i m Zusammenhang vernehmen läßt (Explikation). Neben die „hochpolitischen" i m Sinn etwa von außenpolitisch erheblichen Fälle treten dabei ersichtlich auch innenpolitische Weichenstellungen, wie sie etwa i n Parteiverboten getroffen werden. Explikationen des Bundesverfassungsgerichts i m SRP-Urteil und i m KPD-Urteil gehören nicht zufällig hierher. Dezision, Implikation und Explikation stehen i n denselben allgemeinen Zusammenhängen wie juristische Methodik überhaupt. Bei der Dezision w i r d ein politisch erwünschtes, an der „Rechtslage" aber methodisch nicht ausweisbares Ergebnis erzielt; die Konkretisierungselemente dienen einer einigermaßen plausibel erscheinenden Ausarbeitung des rechtfertigenden Textes der „Gründe". Das Gegenmittel, nämlich eine möglichst genau ausgearbeitete rechtsstaatliche Methodik, gibt Handhaben einmal für wissenschaftliche K r i t i k ; zum andern für institutionalisierte Kontrollen, soweit das Verfahrensrecht (Instanzenzug, Verfassungsbeschwerde) sie vorsieht. Wenn wissenschaftlich begründet werden kann, daß ein Fehlurteil, daß Entscheidungswillkür m i t politischer Motivation vorliegt, dann erhält diese Feststeilling für politische Reaktionen vom rechtmäßigen Protest bis zur rechtspolitischen Bemühung u m Normrevision zusätzliche Bedeutung. Implikationen w i r k e n ohne das Moment der Dezision allein aufgrund „systemnotwendig" gegebener sachlicher Bedingungen. Implikationen, die alle Rechtsbereiche prägen, sind beispielsweise die grundsätzlich privatwirtschaftliche Organisation von Produktion und Güterverkehr oder rechtlich normierte Strukturen des Politischen Systems: so die Grundentscheidung für eine kodifizierte Rechtsordnung und eine geschriebene Verfassimg, für bürokratisch-hierarchische Behörden- und Justizorganisation, für parlamentarische Demokratie, für Grundrechte als primär liberale Abwehrrechte, für eine Verfassungsgerichtsbarkeit und so weiter. Die Implikationen sind also oft rechtlich geformt und i n der Regel mindestens zum Teil normativ abgestützt. I m Beispiel des Numerus-clausus-Urteils traten sie i m Ergebnis i n rechtsdogmatischer Stilisierung auf — als verschiedene Bedeutungsvarianten des Allgemeinen Gleichheitssatzes, der Grundrechte allgemein und des Sozialstaatsprinzips. Daß Implikationen auch außerhalb grundrechtlicher Garantien so häufig i n zumindest partiell normierter oder institutionalisierter Form anzutreffen sind, nimmt nicht wunder bei einer Gesellschaft, die i n Gestalt des kontinentalen Anstaltsstaats der bürgerlichen Epoche Europas bürokratisch und zentralisiert gesteuert wird, die also

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einer ebenso systematischen wie zentralen Normsetzung, Normausführung und Normkontrolle, einer i n diesem Sinn „rationalen", nämlich prinzipiell kalkulierbaren sozialen Steuerung unterworfen ist. Der Raster dieser Steuerung ist dabei bekanntlich nicht gleichmäßig dicht. „Politisches System" meint allgemein das Organisierte des Gemeinwesens — gleich, ob ein Teilbereich strikt durchnormiert ist w i e etwa die Verfassungsgerichtsbarkeit oder nur marginal normiert wie das Verbändewesen oder direkt überhaupt nicht, indirekt durch die gesamte Rechtsordnung hindurch festgeschrieben wie die Gegebenheit der sozialen Schichtimg. So können die als solche rechtlich nicht geformten, von der Justizforschimg verfolgten schichtspezifischen Moralhaltungen, Interpretationsmuster, Verhaltensweisen und Entscheidungsclichés der Juristen sich i m Einzelfall als Dezisionen ausdrücken; sie w i r k e n aber jedenfalls i m Zusammenhang mit Implikationen auf die juristische A r beit ein. Das Mittel, Implikationen zu begreifen, ist eine sozialwissenschaftliche Bestandsaufnahme des gesellschaftlichen Gesamtzustands, zu dem die Funktionen, Strukturen und Arbeitsweisen der Rechtsordnung m i t kennzeichnendem Stellenwert gehören. Der gesellschaftliche Gesamtzustand w i r k t auch auf den hier typologisch skizzierten Wegen ständig auf die Rechtsordnung ein. Das gilt selbstverständlich auch für j u r i stische Methodologie selber. Auch sie kann nach politischen Voraussetzungen, Faktoren oder Motiven i m Rahmen dieser Typologie bewertet werden. So haben beispielsweise sowohl der Savigny der Historischen Rechtsschule als auch der frühe positivistische Savigny als auch der spätere eigentliche Gesetzespositivismus politische Bestandteile unterscheidbarer A r t aufgewiesen: notwendige i m Sinn von m i t dem Rechtssystem gegebenen Implikationen; und Bestandteile, die beim Savigny der Historischen Rechtsschule und beim späteren Gesetzespositivismus darüber hinaus ein politisches Programm und eine ausdrückliche politische Option von Juristen i n ihrer juristischen Arbeit enthalten, die also nicht mehr als Implikationen, sondern bereits als Explikationen zu beschreiben sind. Auch normorientierte Jurisprudenz ist Rechtsarbeit und ist insgesamt ebenso als Form politischer Gegebenheit, Entscheidung oder Programmatik zu begreifen wie die Ausübung juristischer Funktionen in Gesetzgebung, Regierung, Verwaltung und Justiz. Die Erwünschtheit von Explikationen außerhalb des rechtfertigenden Argumentierens der Praxis, also für die Wissenschaft, ergibt sich daraus, daß alle juristische Arbeit unausweichlich politische Implikationen hat. Nachpositivistische Juristen sollten daraus Folgerungen ziehen und ihre Arbeit auf eine Weise offenlegen, die diesen Sachverhalt nicht versteckt, sondern die i h n verarbeitet. Da Rechtsarbeit jedenfalls nach Voraussetzungen und Folgen politisch ist, sollte sie auch politisch getan

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werden; das heißt: soll sie i n ihre fachliche Methodik, die nicht die der Politiker ist, ihre Bedingtheit und ihre Funktionen explizit aufnehmen und sie klarstellen. Das M i t t e l hierfür bietet eine Verfassungstheorie des rechtsstaatlich geformten demokratischen Sozialstaats m i t umfassend entwickelter juristischer Methodik, die von der Verfassungstheorie her zu realistischen Explikationen, zur ehrlichen Darstellung der I m plikationen und aus eigener Schlüssigkeit zur Benennung und K r i t i k von Dezisionen imstande ist. 125 „Recht" und „Politik" im bürgerlichen Rechtsstaat — Bestandsaufnahme und Prognose E i n Rückblick auf die allgemeine Frage nach „Recht und Politik" bestätigt auf jetzt genauer gefaßte A r t , daß es wissenschaftlich sinnlos wäre, beide Komplexe „wesensmäßig" oder „prinzipiell" zu trennen; daß es aber wissenschaftlich sinnvoll ist, sie zu unterscheiden und i n ihren formalen, normierten, institutionalisierten Differenzen zu t y p i sieren. Der Rechtsstaat stellt den Anspruch, Recht und Politik durch verbindliche rechtliche Formalisierung auseinanderhalten zu können; er ist durch eine möglichst exakte juristische Methodik beim Wort zu nehmen. Überall dort, wo der Rechtsstaat Recht und Politik als getrennte Bereiche ausgibt, w i r d dagegen die Aussage zur entpolitisierenden Ideologie. I n der Kampfzeit des europäischen Liberalismus lagen die politischen Funktionen seiner Begriffe und Forderungen offen zutage. Für Deutschland gilt das m i t kennzeichnender Verspätung für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts; der Frühliberalismus des V o r märz hatte auch i n der Wissenschaft ein klares politisches Bewußtsein von seinen Kampfpositionen. Deren formalistische Umdeutung begann i m Gesetzespositivismus und damit in einem Augenblick, da die politische Hauptaufgabe nunmehr auf Konservieren gerichtet war, nicht mehr auf Verändern 6 0 . Vor diesem Hintergrund erweist sich die Formalisierung des Verständnisses rechtsstaatlicher Einrichtungen als Ideologie. Das ändert nichts daran, daß die spezifische Leistung des Rechtsstaats i n Formalisierung besteht. Ideologie ist es nur, die inhaltliche Bedeutung und die politische Funktion dieser Formqualitäten zu verdrängen. Recht und Politik sind zwei von mehreren Seiten derselben gesellschaftlichen Gesamtstrukturen und Gesamtprozesse. „Politisch" ist, was zu gesellschaftlichen Herrschafts-, Sanktions- und Verteilungsvorgängen gehört; es kann rechtlich erfaßt sein und ist es auch i n aller Regel. Das „Rechtliche" ist kein Anderes, wofür man ein inhaltliches K r i t e r i u m finden müßte oder auch nur könnte 6 1 . Dazu F. Müller, Juristische Methodik, 222.11. Unrichtig erscheint die Fragestellung bei Rottleuthner I, S. 167: „Ich weiß nicht, woran man Argumenten ansehen könnte, ob sie politische oder 1 rechtliche oder »rechtsfremde sind"; vgl. auch ebd., S. 168. 61

4 Müller

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Zwar ist die Formalität des Rechtlichen sozusagen durchlöchert; die Aussagen der hier vorausgesetzten Methodik über „Konkretisierimg statt Nachvollzug", über Richterrecht, über Vorverständnis, Schichtgebundenheit und die Unausweichlichkeit wertender Entscheidungsfaktoren belegen das· 2 . Aber die sich i n dem generellen Formalitätsvorsprung und Geltungsvorsprung gesetzter Normen äußernde graduelle Unterschiedlichkeit des Aggregatzustands politischer Inhalte ist wissenschaftlich faßbar. Das Rechtliche ist eine Superstruktur des Politischen, ist eine spezifische Überformung politischer Inhalte und Vorgänge. I m bürgerlichen Verfassungsstaat gelten die A k t e rechtlicher Entscheidungsinstanzen nur dann als legitim, w e i l als legal („rechtmäßig"), wenn sie nach den Regeln der Methodik als an Rechtsnormen ausweisbare Entscheidungsnormen auftreten. Die Doppelrolle einer derart rationalen Methodik zwischen einem Mittel, die Entscheidung zu erarbeiten, und einem Instrument, eine anderweitig gefundene Entscheidungsnorm nur anschließend i n rechtfertigender Absicht zu begründen, ist dabei stets klar gewesen. Sie entspricht der Doppelbedeutung von „Rationalität" i m bürgerlichen Verfassungsstaat. Redit erscheint hier als rationale Fassung von Politik, juristische Methodik als gesteigert rationale Fassung von Recht. Rationalität ist dabei, der Grundfunktion dieses Verfassungstyps entsprechend, zweideutig zwischen Liberalisierung auf der einen, Erleichterung und Effektivierung von Herrschaft auf der anderen Seite, zwischen „Legitimität" und „Betrieb", zwischen Herrschaftsfunktionalität und (formaler) Demokratiechance. Denn es ist wiederum Ideologie, ein Verschwinden oder A b nehmen staatlicher Herrschaft oder der Herrschaftsfunktion der Rechtsordnung anzunehmen, weil der bürgerliche Verfassungsstaat ein tendenziell berechenbares Rechtswesen und eine auf Kontrollierbarkeit abzielende berechenbare Methodik (er)fordert. Das ist die Position des rechtsstaatlich geformten und politisch u m Liberalität bemühten Verfassungsstaats; i n ihrem Zeichen ist 1949 das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland angetreten. Illiberale Korrekturen an diesem Grundgesetz und mehr noch Tendenzen der Entliberalisierung i n vergleichbaren Verfassungsordnungen des Auslands werfen die Frage einer Entwicklungs'bzw. Bestandsprognose dieses Modells auf. Diese mit ökonomischen, außen- und bündnispolitischen, politikwissenschaftlichen und kulturphilosophischen Hypothesen geführte Diskussion kann hier nicht wiedergegeben werden. Die Daten, die ihr zugrundeliegen, lassen für den Geltungsbereich des Grundgesetzes rechtspolitisch fordern, die freiheitliche und demokratische Ordnung nicht minder i n ihren rechtsstaatlichen Komponenten ·* F. Müller,

Juristische Methodik, ζ. B. 314.

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zu verteidigen, damit beim Rückgang politischer Liberalität nicht zugleich audi (mit unabsehbar fortwirkenden Folgen) rechtsstaatliche Sicherungen rückgebildet bzw. zurückgenommen werden. Rechtsmethodisch ist dagegen die von der angeblich zunehmenden „Unregierbarkeit" der Verfassungsstaaten genährte pessimistische Voraussage als jedenfalls mögliche Variante i n Rechnung zu stellen: Reduktion der demokratischen und Stärkung der autoritären Elemente des Politischen Systems auch i n den Industrieländern der westlichen Verfassungsfamilie. Die juristische Methodik i m Sinn der alltäglichen Arbeitsweise der Juristen würde auf dem Weg vom liberalen zum autoritären Rechtsstaat (zunächst) nicht zwangsläufig qualitativ verändert. Eine solche Entwicklung könnte von einer Legislative, welche die K a r ten offen auf den Tisch legt, politisch verantwortet und rechtstechnisch verarbeitet werden. Die Doppeibedeutung rechtsstaatlicher Rationalität zwischen Herrschaftsfunktion und Konsenschance ist entsprechend zwischen liberaler und autoritärer (nicht: faschistischer) Politik ein Stück weit dehnbar. Als Beispiel nicht für Entwicklungsprognosen auf dieser Skala, sondern aus der gegenwärtigen Lage kann das Problem des Numerus clausus an den Hochschulen dienen: Es hieße, die Karten auf den Tisch zu legen, wenn das Grundrecht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte auf Verfassungsebene, d. h. durch klare Änderung des Normtextes von A r t . 12 Abs. 1 Grundgesetz, für den Hochschulbereich eingeschränkt würde, statt daß der Text der Verfassung Illusionen verbreitet und daß als Preis dafür die Arbeitsmethodik der m i t den daraus folgenden Problemen befaßten Juristen auf Dauer de facto korrumpiert wird. Ähnlich steht es mit dem Problem des Zugangs politischer Extremisten zum öffentlichen Dienst, also m i t der sog. Radikalenfrage. Eine entsprechende Verfassungsänderung zu A r t . 33 Abs. 2 und A r t . 3 Abs. 3 Grundgesetz hieße, aus für die verfassungsändernde Mehrheit gegebenem Anlaß ein Stück politischer Liberalität rechtsstaatlich korrekt zurückzunehmen, statt bei unveränderter Normlage zu rechtsmethodisch nicht mehr korrekt belegbaren Dezisionen zu schreiten. Für die (mögliche) pessimistische Variante des geschichtlichen Ausblicks wäre auf Dauer der Weg der Dezision, also der Zerstörimg j u r i stischer Methodenehrlichkeit, zu erwarten. Verfassung wie Gesetzgebung sind auf Konsens angewiesen. Sie müßten i n jenem Fall versuchen, jedenfalls durch Sprachfassaden möglichst viel an Konsensfähigkeit zu „retten", möglichst wenig an Legitimitätsverlust i n Normtexten auftauchen zu lassen. I n demselben Maß wäre die Rechtspraxis gehalten, die „neuen Verhältnisse" i m alltäglichen Konkretisierungsgeschäft zu rechtfertigen, die sich verbreiternde K l u f t zwischen law i n the books und law i n action durch Dezision zu verdecken. Und i n dem *

1 Theoretische Bezugsrahmen

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Maß, i n dem inhaltlich die Konsensfähigkeit der neuen Verhältnisse schwände, müßte „aktuelle Gewalt" an die Stelle von „konstitutioneller Gewalt u treten 6 3 . M i t anderen Worten: Bei einer möglichen Rückentwicklung vom liberalen zum autoritären Rechtsstaat bliebe auf Dauer nicht nur politische Liberalität, sondern — auf dem Weg über die alltäglichen Arbeitsmethoden der Juristen — auch die Rechtsstaatlichkeit auf der Strecke. Der liberale Rechtsstaat ist — gerade auch i n seiner Formalität — ein politisches Gut. N u r begrenzt und vorübergehend läßt sich diese Formalität, bei gleichzeitigem Abbau von Inhalten der demokratischen Ordnung, von ihrer historischen Bedeutimg und ihrem politischen Sinn ablösen.

13 Bezugsrahmen I I I : Die Realitätsgrundlage der juristischen Methodik 130 Fragestellungen Diese Gruppe von Fragen geht darauf, xoie weit juristische Methodik in der sozialen Tatsächlichkeit wirken kann; anders gesagt: unter welchen Voraussetzungen es auf sie tatsächlich ankommt. Diese Frage hängt unmittelbar m i t jener nach der faktischen Reichweite des Rechts und speziell der rechtsstaatlichen Legalität zusammen. Juristische Methodik ist i m Grundsatz für alle Funktionen von Belang, die normorientiert arbeiten. Soweit Funktionen nicht „juristisch" erledigt werden, das heißt ohne Bezug auf geltende Normen, ist Rechtsmethodik nicht thematisch. Die Steuerungschance der methodischen Regeln reicht damit so weit, wie (a) Herrschaft, Entscheidung, Sozialgestaltung überhaupt reguliert sind; wie

normativ

(b) diese Normen auch tatsächlich realisiert werden und wie (c) dabei rechtsstaatliche Methodik typischerweise ins Spiel kommt. „Typischerweise" heißt, umgekehrt: Welche typischen Hemmnisse für redliches Anwenden und Offenlegen methodischer Regularität sind erkennbar? Hier interessieren die Fragen zu (b) und (c); die zu (a) ist eine nach dem Umfang des positiven Normenbestands. Ein Mangel an methodischer Transparenz staatlichen Handelns dürfte i n den wenigsten Fällen am Mangel einer Normierung liegen. V i e l kennzeichnender für Gründe eines Abweichens des „Ist-Zustands" vom rechtsstaatlichen „Soll-Zustand" ist der Mangel an tatsächlicher Verwirklichung geltenden Rechts w

Dazu grundsätzlich F. Müller

V I , S. 20 f., 27 f., 28 ff.

13 Bezugsrahmen I I I : Realitätsgrundlage der juristischen Methodik

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oder ist ein Interesse daran, die eigentlichen Gründe einer Entscheidung nicht offenzulegen. Daß auch ein unentwickelter Zustand wissenschaftlicher juristischer Methodologie bei (c) einschlägig sein kann, ist einsichtig und hier nicht zu diskutieren. 131 Nichtnormieren und normatives Offenhalten Die Rolle der Rechtsordnung i n der Gesellschaft ist nicht nur dadurch eingeschränkt, daß bestimmte Fragen normativ nodi nicht behandelt sind; sondern auch und stärker dadurch, daß die Rechtsordnung bestimmte Fragen bewußt offen läßt bzw. offen halten w i l l . Der Grundsatz der Vertragsfreiheit i m Bürgerlichen Recht oder verfassungsrechtliehe Freisetzungen, Freistellungen, Aus- und Abgrenzungen 64 sprechen eine deutliche Sprache. Das „Schweigen der Verfassung" vor allem i m Bereich der Wirtschaftsordnung ist ein beredtes Schweigen; m i t anderen Worten: ist i m Stil der Tradition ein Gewährenlassen bürgerlicher Eigengesetzlichkeit einer nur durch Grundrechtsgarantien (Eigentumsfreiheit, Vereinigungsfreiheit und anderes) punktuell abgesicherten, inhaltlich aber nicht positiv festgelegten Wirtschaftsgesellschaft. Hier „weniger" zu erwarten, hieße die Funktion, hier „mehr" zu erwarten, hieße die Leistungsfähigkeit einer liberalen Verfassung verkennen. Das heißt nicht, der verfassungsgeschichtlich angezeigte Schritt von einer liberalen zu einer sozialstaatlichen Verfassung sei nicht zu versuchen. Es heißt nur: Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland hat den Sozialstaat noch nicht in den Mittelpunkt gestellt. Soweit also insgesamt die Verfassung und die außerverfassungsrechtliche Normenordnung „schweigt", ist auch die liberalisierende Wirkung einer rechtsstaatlichen Methodik m i t ihrer doppelten (einmal technischen und zum andern politischen Konsens formal ermöglichenden) Rationalität ausgeschaltet; bzw. ist sie auf diejenigen Randmarkierungen beschränkt, die — wie die Eigentumsgarantie, die Vereinigungsfreiheit i m obigen Beispiel — das Offenhalten gerade verbindlich machen sollen, um die dadurch begünstigten gesellschaftlichen Interessen abzusichern. Der geschichtliche Wandlungsvorgang von einer verändernden zu einer konservierenden Funktion rechtsstaatlicher Formqualität zeigt sich auch hier. 132 Verwirklichen von Normen Eine andere Frage geht dahin, i n welchen Fällen positive Normen auch tatsächlich verwirklicht werden, Wirklichkeit prägen können.

64

Dazu unter Aspekten der funktionalen Systemtheorie: Luhmann

III.

1 Theoretische Bezugsrahmen

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132.1 Grundfragen

Das geschieht nicht nur i n prozessual-formalisierter Durchsetzung; es geschieht „gleichrangig als Rechtsbeachtung i m Befolgen, i m Arrangement, i m Kompromiß"· 5 . Es geschieht allerdings ebenso — und dann nicht „gleichrangig" — durch Arrangements, die auf die inhaltlichen Direktiven der einschlägigen Normen keine Rücksicht nehmen, die sie nicht beachten oder ihnen direkt widersprechen. Die Frage, wieweit Rechtsnormen verwirklicht werden und wieweit somit rechtsstaatliche Methodik eine Wirkungschance hat, hängt i n dieser Gruppe von Fällen zu einem erheblichen Teil vom Verhalten der Adressaten ab··. Daß es zugleich vom Politischen System abhängt, wieweit juristische Methodik überhaupt befolgt werden kann, ob sie überhaupt ins Spiel kommt oder ob nicht informelle, außer- bzw. nebenrechtliche Regelungsmechanismen typischerweise eingreifen, legt sich nach dem Gesagten nahe; ebenso, daß diese Frage für die verschiedenen Teilrechtsgebiete· 7 nicht einheitlich zu beantworten sein dürfte. Schließlich ist es mehr als nur eine Vermutung, daß die tatsächliche Chance, geltende und den Adressaten begünstigende, berechtigende Normen auch zu realisieren, ihnen sei es prozessual, sei es informell „Geltung zu verschaffen", von den allgemeinen Durchsetzungschancen des einzelnen und damit von seiner sozialen Stellung abhängt. Das soll hier zum einen für das Strafrecht, zum andern für Grundrechte gezeigt werden. 132.2 Beispiel: Strafrecht — Norm, Sanktion, „Dunkelfeld"

Das Strafrecht bildet das Sanktionssystem par excellence. Das erfolgreiche Fortbestehen eines Sanktionssystems hängt von der Lückenhaftigkeit seiner tatsächlichen Anwendung ab. Es bräche zusammen, müßte es für alle tatsächlich vorkommenden Fälle von Normbruch die normierten Sanktionen auslösen. Es bräche durch normgemäße und dem Anspruch seiner Legitimität genügende Reaktion i n allen einschlägigen Fällen also gerade in seiner Normativität und Legitimität zuw

F. Müller, Juristische Methodik, 15.

·· Vgl. die Untersuchungen bei Wissmann, Kininger;

allg. audi Wüsten-

dörfer, z. B. S. 165; eine Skizze von Bedingungen der Effektivität von Rechtsnormen aus der Struktur des Rechtswesens und den Vorverständnissen seiner Funktionäre gibt Grimmer, S. 80 ff., 95 ff.

•7 Kininger untersucht ebd. Zivilrecht,

S. 60 ff.; Straf recht, S. 100 ff.; Ver-

waltungsrecht, S. 133 ff. Zum Auseinanderklaffen von „Rechtsideologie und Rechtswirklichkeit" anhand abstrakter Norm„geltung" im Gegensatz zu den realen Möglichkeiten und Voraussetzungen des Geltung-Versdiaffens durch die Betroffenen: ebd., S. 168 ff. — Methodisch ist der dort gewählte Maßstab verkürzt: „Unter Rechtsnorm ist nur der Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung, also die Wortnorm zu verstehen"; die „Wirklichkeit der Rechtsnorm" soll dementsprechend bei Übereinstimmen des „Wortlauts" mit der sozialen Realität gegeben sein, ebd., S. 55.

13 Bezugsrahmen I I I : Realitätsgrundlage der juristischen Methodik

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sammen. Aber nicht erst das Sanktionssystem, bereits das Normensystem wäre durch Wegfall der Lücken („Dunkelziffern", „Dunkelfeld") überfordert und seiner normativen K r a f t entkleidet. Während somit ein Normensystem lückenlose Information über alle tatsächlichen Fälle von Normbruch (abweichendem Verhalten) nicht überstünde, verträgt und erträgt es sehr wohl eine ungezählte Menge tatsächlicher Normbrüche, soweit diese nicht bekannt werden· 8 . Seine soziale Geltung als Verwirklichung der Geltungschance des Rechts beruht also auf der Selektivität der Durchsetzung dieses definitionsgemäß gerade nichtselektiven Geltungsanspruchs. 132.3 Die Abhängigkeit der Norm„anwender" und Normadressaten von sozialer Ungleichheit

Es leuchtet ein, welche entscheidende Rolle angesichts dessen die Tatsache der sozialen Ungleichheit spielen muß. Systematisch gesehen, ist das zum einen eine Frage der Abhängigkeit der Norm„anwender", das heißt der Setzer von Entscheidungsnormen. Die Abhängigkeiten sind (a) formeller Art: Abhängigkeit von (Ungleichheit verstärkender oder sie real jedenfalls nicht beseitigender) Politik im allgemeinen über die Normbindung (so für die richterlichen Funktionen m i t ihrer Unabhängigkeit von EinzelWeisungen) und i m besonderen (bei allen weisungsgebundenen Rechtsfunktionen, so bei Staatsanwaltschaft und Verwaltung); Abhängigkeit von normierten Funktionen und Strukturen (Verfahren, Verfahrenseinrichtungen, Behörden- und Gerichtsverfassimg, Kompetenzen, Kontrollen); A b hängigkeit schließlich von normierten Rollen (Statusnormen und berufsbezogenen Normen über Voraussetzungen, Ausbildung, Zugang, Karriere, Disziplinierung). Soweit ein gesellschaftliches System auf Ungleichheit beruht, Ungleichheit bestehen läßt oder konserviert, soweit wirken Ausdrucksformen der Ungleichheit wegen der Möglichkeit rechtlicher Normierung politischer Inhalte generell auf die Rechtsverwirklichung ein. Auch für die graduell am wenigsten abhängigen Funktionen, die richterlichen, summieren sich die formellen Abhängigkeiten zusammen m i t der inhaltlichen Bindung an politisch durchgesetztes und hierauf formal positiviertes Recht zu so gut wie unausweichlicher Fixierung an den gesellschaftlichen Status quo. Diese w i r d bestätigt und bestärkt 98 Hierzu Popitz, S. 151: „Kein System sozialer Normen könnte einer perfekten Verhaltenstransparenz ausgesetzt werden, ohne sich zu Tode zu blamieren. Eine Gesellschaft, die jede Verhaltensabweichung aufdeckte, würde zugleich die Geltung ihrer Normen ruinieren."

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1 Theoretische Bezugsrahmen

(b) durch informelle Determinanten, die als „Vorverständnis", „Standes"überformung, „Professionalisierung" und Schichtgebundenheit von „Haltungen" genannt worden sind 8 9 . Hierbei und bei den Bedingtheiten zu (a) handelt es sich also allein u m Abhängigkeiten der Setzer von Entscheidungsnormen, der richterlichen und nichtrichterlichen Rechtsfunktionäre und u m mögliche Abweichungen von rechtsstaatlicher Legalität und Methodik durch die hierzu bestellten Normverwirklicher selbst. Auch hier erweist sich aber, wie oben bei der allgemeinen Frage der Realisierung rechtlicher Vorschriften, das Verhalten der Adressaten, der durch positive Normen Berechtigten und Verpflichteten, angesichts der Realität sozialer Ungleichheit als komplementär. Wo die Rechtsfunktionäre nicht nur durch Normbindung und unmittelbaren politischen Druck, nicht nur durch Dienstaufsicht, Karrierebedingungen, Hierarchie, Kollegialität, Instanzenzug und Pensenschlüssel, sondern auch durch den Vorstellungshorizont und die Haltungs-Stereotypen aus Herkunft, Ausbildung und aktueller Schichtzugehörigkeit festgelegt sind, dort äußert sich die Begrenztheit durch die eigene Schichtensituation 7 0 („Klassenlage") auf der Seite der Adressaten entsprechend ihrer institutionell unterlegenen Stellung als unterschiedliche Reaktions- und Durchsetzungsfähigkeit: Menschen aus der Unterschicht sind von Normtexten, von komplizierten Regeln des Geschäftsverkehrs, von Allgemeinen Geschäftsbedingungen überfordert; sie neigen i m Konfliktsfall zum Nachgeben, sind finanziell trotz der Einrichtung des Armenrechts benachteiligt und kommen i n sehr vielen Fällen gar nicht erst i n die Lage, ihre Ansprüche gerichtlich durchzusetzen. Sie dürften i n Zivilprozessen unter- und als Angeklagte i n Strafprozessen — gemessen am allgemeinen Kriminalitätspegel aller Gesellschaftsschichten — überrepräsentiert sein 71 . Wo sie hier oder dort vor Gericht stehen oder zu agieren haben, summieren sich ungleiche Startbedingungen durch die Schicht-, Mentalitäts- und Erwartungsdifferenz zwischen ·· Vgl. F. Müller, Juristische Methodik, ζ. B. 314.7 und 8; oben im Text zu Anm. 9 und 10; zur Bedeutung der Professionalisierung richterlicher Funktionen für die tatsächliche Arbeitsweise vgl. ferner Bendix, z.B. S. 94ff., 379 ff. 70

Vgl. allg. Ciaessens / Klönne / Tschoepe, S. 301 ff.;

Offe;

Miliband,

S. 78 ff., 93; Jaeggi. — Zur Diskussion unter dem Stichwort „Klassenjustiz" vgl. für die Zeit von Weimar Fraenkel; für die Bundesrepublik Deutschland

etwa Rasehorn IV; Kaupen; Lautmann II, S. 68 ff.; Lautmann / Peters; Geffken; Rottleuthner I, S. 162 ff. Zu: Vor Verständnis und politisch-soziales

Bewußtsein der Richter: Rosenbaum, z.B. S. 66ff., 198ff.; zu den sozialen Bedingtheiten des Vorverständnisses auch schon Bendix, S. 127 ff., 140 ff., 145 ff., 351 ff., 368 ff., 379 ff. — Zu „gesellschaftlich bedingten" und „schichtbedingten Rechtsverzerrungen" vgl. Ryffel I I I , S. 339 ff., 389 ff. 71 Vor allem i m Hinblick auf Verurteilung; vgl. dazu erste empirische U n -

tersuchungen bei Blankenburg / Steffen.

13 Bezugsrahmen I I I : Realitätsgrundlage der juristischen Methodik

57

ihnen und den weit überwiegend der Mittelschicht entstammenden Richtern 72 . Daneben darf aber wiederum nicht vergessen werden, daß entscheidende Wirkungen sozialer Ungleichheit auf die A r t und Richtung der Realisierung positiven Rechts vom Verhalten der Adressaten im Vorfeld des Prozeßverfahrens ausgehen. Mitglieder privilegierter Schichten werden nicht nur eher dazu kommen, i m Z i v i l - (oder i m Verwaltungs-)Prozeß ihre Rechte durchzusetzen; sie sind auch weniger von Strafsanktionen bedroht. Das liegt i n der Regel nicht so sehr an Gegebenheiten formalisierter (normativer) A r t (Anwaltszwang, Kosten, Formen und Fristen usw.) und nicht nur am i m Zweifel möglicherweise schicht-solidarischen Vorverständnis der Normkonkretisierer, wenn auch dieser Faktor eine Rolle spielen dürfte, die nicht zu unterschätzen ist. Mitglieder privilegierter Schichten entziehen sich der Sanktion nicht nur deshalb leichter, „ w e i l man sie eher laufen läßt, sondern vor allem, weil sie die größeren Chancen haben, sich nicht entdecken zu lassen. Dunkelziffern sind käuflich erwerbbar" 7 8 . 132.4 Rechtsstaatliche Rationalität und soziale Schichtung

Zu den bisherigen Bemerkungen über die Realitätsgrundlage juristischer Methodik ist noch zweierlei klarzustellen. M i t der Simplizität des „Klassen"begriffs i m ursprünglichen marxistischen Ansatz ist den formulierten Zusammenhängen wissenschaftlich nicht beizukommen. Aber auch der diesen Ansatz kritisierende, ihn fortentwickelnde und differenzierende Begriff der sozialen Schichtung bei Max Weber, seine Bestimmimg gemeinsamer „Klassenzugehörigkeit durch die Gemeinsamkeit marktvermittelter Lebenschancen 74 , ist i n bezug auf die vertikale Eindeutigkeit der Schichtung und der dazugehörigen subjektiven Bewußtseinslagen i n Frage zu stellen: durch Hinweis auf ein historisch gesteigert entwickeltes und differenziertes Vermögen des heutigen Staates zu politischer Regulation gesellschaftlicher Widersprüche, auf die Bildung einer starken Mittelschicht, auf nicht nur marktvermittelte, sondern immer stärker auch politisch institutionalisierte Verteilung sektoraler (struktureller) Privilegierung bzw. Benachteiligung, das heißt auf überlagernde horizontale Ungleichheit als „Disparität von Lebenschancen"; ferner auf den Abbau gesellschaftlicher Konflikte durch die Wirkung von Parteien, Parlamenten und allgemeinen Wahlen als den wichtigsten Mitteln, Massenloyalität auf Dauer zu gewährleisten, und insgesamt auf die immer geringere Stimmigkeit eines subjektivierenden „Klassen"begriffs 75 . 71 Vgl. etwa die Angaben bei Rasehorn I I I und insgesamt in Anm. 70. — Einzelbeispiele zu psychologischen Bedingungen der Bildung von Vorurtei-

len bei Richtern v. a. bei Maisch. 78 Popitz, S. 157. 74 Weber, Bd. 2, S. 679 ff. 75 Zum Ganzen: Offe, S. 236 ff., 242.

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1 Theoretische Bezugsrahmen

Die zweite Klarstellung betrifft die Rückwirkimg der festgehaltenen Sachverhalte auf die vom Rechtsstaat beanspruchte Rationalität. Diese w i r d i m doppelten Sinn eingeschränkt. Die funktionelle Rationalität, weil Offenheit und Berechenbarkeit rechtlich überformter gesellschaftlicher Vorgänge unter den mangelnden Realisierungschancen positiven Rechts i n der Tat leiden. Die Frage ist nur, ob nicht diese Entwicklung einem nicht mehr den Feudalismus umwälzenden, sondern die bürgerliche Ordnung nunmehr konservierenden Verfassungsstaat durchaus entspricht, der auch sonst, vor allem auf dem Gebiet der Parteien, der Verbände, der Meinungsmedien und politökonomisch des i n wesentlichen Teilen seit langem deformierten Marktes, immer stärker von oligopolistischen bzw. oligarchischen Verhältnissen geprägt ist. Ob sich diese These i n einer derartigen Allgemeinheit halten läßt oder nicht — i n jedem Fall muß für die Konsens ermöglichende, politische Kontrolle anzielende zweite Variante bürgerlicher Rationalität eine wesentliche Einschränkung gemacht werden. Soweit i n erheblichem Umfang A b weichungen von der Realisierbarkeit methodischer Klarheit festzustellen sind und soweit auf einzelnen Rechtsgebieten die rechtsstaatlichen Forderungen vielleicht durchaus erfüllbar, aber nicht gefragt sind, laufen zentrale geschichtliche Errungenschaften und zugleich Legitimitätsbehauptungen des Verfassungsstaates leer. „Staatsgewalt" w i r d i n allen hier untersuchten Rechtsfunktionen ausgeübt, wie der Verfassungstext des Grundgesetzes richtig festhält (Art. 20 Abs. 2). Soweit die hier formulierten Befunde reichen, würde Staatsgewalt aber i n rechtsstaatlich ungenügender Form ausgeübt. Sache der Wissenschaft sollte es sein, das aufzuklären und zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen es zu verbessern sein könnte; nicht dagegen, es durch Ideologie zuzudecken, die sich wissenschaftlicher Begriffe i n nur noch rechtfertigender Absicht bedient. 132.5 Beispiel: Der Allgemeine Gleichheitssatz

Welche Möglichkeiten gibt es, den Widerspruch zwischen der bekanntlich i n allen Politischen Systemen gegenwärtigen Tatsache gesellschaftlicher Ungleichheit und der i m Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland als Aussage formulierten Norm „ A l l e Menschen sind vor dem Gesetz gleich" (Art. 3 Abs. 1 GG) real aufzulösen? 132.51 Begrenztheit

des Normbereichs?

Eine Möglichkeit bestünde darin, zu erklären, die Aussage des Normprogramms von A r t . 3 Abs. 1 GG bestimme, wie stets, nur den Regelungsbereich dieser Verfassungsvorschrift; „außerhalb" sei sie nicht einschlägig. Diese Möglichkeit ist deshalb nicht gegeben, weil A r t . 3 Abs. 1 GG zwar Verfassungsrecht ist und wegen seines rechtsstaatlich

13 Bezugsrahmen I I I : Realitätsgrundlage der juristischen Methodik

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überlegenen Ranges nicht von gleichheitswidrigen Unterverfassungsnormen aus dem Feld geschlagen werden kann; w e i l er aber zugleich statt eines Grundrechts eine Generalklausel ist. Das zeigt sich weniger an dem besonders vagen Normprogramm als vielmehr daran, daß ein sachlich bestimmbarer Normbereich nicht festzustellen ist. Gleichwohl hält diese Rechtsordnung den Allgemeinen Gleichheitssatz als Norm fest und bekräftigt i h n sogar als eine Zentralnorm dieser Verfassungsordnung von „überpositivem" Rang7®. U m so mehr muß es interessieren, wo der festgestellte Widerspruch bzw. seine Auflösung den realen Ort hat. 132.52 Realitätsgrundlage

des Gleichheitssatzes

„Das Gesetz", vor dem nach A r t . 3 Abs. 1 GG alle Menschen gleich sein sollen, regelt — wie gezeigt worden ist — nicht alles; viel vom alltäglich zu Entscheidenden regelt die positive Rechtsordnung bewußt nicht. Soweit „das Gesetz" aber positiv normiert, w i r d es — wie gleichfalls gezeigt wurde — vielfach nicht verwirklicht; und zwar auf eine A r t und Weise, die schon vorhandene gesellschaftliche Ungleichheit wiederholt und möglicherweise verstärkt. Anders als bei den speziellen Gleichheitsgeboten und Diskriminierungsverboten der Verfassung 77 hat das Normprogramm der Generalklausel A r t . 3 Abs. 1 GG dem wenig Widerstand entgegenzusetzen: Da kein Normbereich sachlich umschreibbar ist, an dem Maßstäbe für „gleich/ungleich" entwickelt werden könnten, t r i f f t die allgemeine Gleichheitsnorm als eine rein formale auf inhaltlich ungleiche Sachverhalte. Dabei ist die herrschende Interpretation dieser Norm vorausgesetzt, die sogleich noch zu untersuchen sein wird. Bei abweichendem Verständnis des A r t . 3 Abs. 1 GG i m Sinn eines positiven Gebots, i m Rahmen staatlicher Grundrechtsbindung für gleiche Chancen zu sorgen, ließen sich solche Maßstäbe i m Grundsatz aus den realen Gegebenheiten des fraglichen Sachbereichs ermitteln — und zwar mangels eines umschriebenen Normbereichs aus jedem Sachbereich, für den staatliche Grundrechtsbindung aktuell werden kann. Abgesehen von der Interpretation des Normprogramms des A r t . 3 Abs. 1 GG, ergibt sich aus dem hier schon Gesagten: Soweit überhaupt materielle Regelungen durch „das Gesetz" vorhanden sind, soweit 7β

BVerfGE 1, S. 208, 233. Dazu F. Müller I I , S. 17 ff. — Die Ausführungen im Text erschöpfen also nicht annähernd den Bestand an Gleichheitsregeln in unserer (Verfassungs-)Rechtsordnung und sind nicht als materiellrechtliche Dogmatik mißzuverstehen. Sie betreffen nur einen einzelnen, für eine methodische Technik der Problemverschiebung allerdings aufschlußreichen Aspekt des Allgemeinen Gleichheitssatzes. — Zu der im Text folgenden Unterscheidung von 14 „Sachbereich und „Normbereich" vgl. dens., Juristische Methodik, 313.2 und 313.3. 77

1 Theoretische Bezugsrahmen

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diese Hegelungen spezialgesetzlich auf inhaltliche Gleichheit abzielen und soweit sie auch tatsächlich realisiert werden, sorgt andrerseits die Haltung der Setzer von Entscheidungsnormen aufgrund ihrer „ungleichen" (bevorrechtigten) Herkunft und aktuellen Stellung bewußt (Dezision )y nicht-bewußt (Vorverständnis) oder bewußt, wenn auch ungewollt (Implikation) i n nicht wenigen Fällen für ein zusätzliches Hindernis dafür, Gleichheit wirklich werden zu lassen. A l l das zeigt bereits, daß real nicht „alle Menschen" vor dem Gesetz gleich sein können — abgesehen davon, daß sie es nicht sind; es zeigt, daß real kein Widerspruch besteht. Auch ideologisch liegt kein Widerspruch vor: Hier „sind" alle Menschen vor dem Gesetz gleich, A r t . 3 Abs. 1 GG. Zugleich weist das Beispiel darauf hin, welche wenn audi begrenzte, so doch erhebliche Wirkung eine „positive" Deutung 7 8 des Allgemeinen Gleichheitssatzes dafür entfalten könnte, den Widerspruch zwischen Ideologie und Tatsächlichkeit zunächst herauszustellen und dann allmählich zu verkleinern. 132.53 Art. 3 Abs. 1 GG als Willkür

„verbot"

W i l l man allerdings schon von der Theorie her die inhaltlichen gesellschaftlichen Konflikte ausschalten, w i l l man etwa „eine wert- und zweckneutrale Interpretation des Gleichheitssatzes" liefern 7 9 , dann w i r d der Allgemeine Gleichheitssatz auf die Funktion beschränkt, „die zureichende Begründung jeglicher Ungleichbehandlung zu fordern" 8 0 . Soll dann jede Begründung genügen? M i t anderen Worten: Wann ist sie „zureichend"? N o d i einmal also kommen die inhaltlichen Fragen wieder, obgleich sie von der möglichen Deutung als Ansprüche auf reale Chancengleichheit i n eine „negative", nur „ W i l l k ü r " abwehrende Variante abgedrängt worden sind: Wann ist eine verbale Rechtfertigung eine „Begründung"; wann liegt „ W i l l k ü r " vor und wann nicht? W i l l man die inhaltlichen Probleme nunmehr endgültig, w e i l nicht i m Bereich der Theorie, sondern i m Einzelfall der Praxis ausschalten, so braucht man nur nodi zu definieren, W i l l k ü r liege immer dann nicht vor, wenn „sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung" finden läßt 8 1 . Damit ist, wiederum als Beispiel für oben Gesagtes, m i t wünschenswerter Deutlich78

7

Vgl. etwa die Hinweise bei Scholler; neuerdings v. a. bei Hufen I I .

· Dazu Podlech I, S. 198; s. a. ebd., S. 200.

80 Luhmann I, S. 169; ebenso Podlech I, S. 198: „Anordnung eines Begründungszwanges für jede Ungleichbehandlung durch die öffentliche hoheitlich handelnde Gewalt". 81 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit E 1, S. 14, 52.

13 Bezugsrahmen I I I : Realitätsgrundlage der juristischen Methodik

61

keit das Problem auf die Frage verschoben, wessen Vernunft gefragt ist und wem etwas einleuchten muß, wenn dafür gesorgt sein soll, daß „alle Menschen vor dem Gesetz gleich" sind. Nach den Operationen des theoretischen und dogmatischen Formalisierens, Entleerens und Verschiebens materieller Gleichheitsdirektiven ist die A n t w o r t damit als eine des positiven Rechts gefunden: Die dafür zuständigen Instanzen, hier: das Bundesverfassungsgericht, stehen durch ihre verbale Bekundimg, m i t einleuchtender Gleichheit/Ungleichheit befaßt zu werden, für Gleichheit i m Sinn dieser Verfassungsordnung ein. Die unmittelbar politische Rolle der (Verfassungs-)Rechtsprechung sowohl für die Aufbereitung dieser Argumentation als „herrschende Lehre" als auch für jeden Einzelentscheid auf ihrer Grundlage ist ebenso deutlich wie eine Reihe von realen Quellen der jeweiligen Vorstellung von „Sachlichkeit", „einleuchtend", „Vernunft" i m Bewußtsein der einzelnen Richter: Herkunft und Milieu, Erziehung und Ausbildung, Status und Gratifikation, Erwartungen und Interessen. Nichts davon ist zwingend; aber vieles spricht dafür, daß es typisch ist. 132.6 Weitere Generalisierungstendenzen

M i t der Formalisierung und Generalisierung einer Norm durch die Rechtspraxis schwindet die bestimmende K r a f t rationaler juristischer Methodik; bestimmend werden auf dem Weg über die Operationen des Formalisierens und des Verschiebens inhaltlicher Direktiven „aus" den Rechtsnormen auf die Entscheidungsinstanzen schließlich die Meinungen der Entscheidenden. Das ist soeben am Allgemeinen Gleichheitssatz gezeigt worden. Nun ist A r t . 3 Abs. 1 GG ohne Zweifel bereits als Generalklausel normiert. Die Rechtspraxis hat hier lediglich Chancen, den Allgemeinen Gleichheitssatz auf rationale Weise konkreter zu fassen, weithin (noch) nicht wahrgenommen; hat also insoweit eine Generalklausel „noch mehr" verallgemeinert, als das verfassungsdogmatisch und -methodisch nötig sowie verfassungspolitisch wünschbar ist. Anders verhält es sich m i t dem „Allgemeinen" Freiheitsrecht: Hier hat die Praxis das Einzelgrundrecht eines jeden „auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit" (Art. 2 Abs. 1 GG) ohne Not zu einer Generalklausel auf „allgemeine" Handlungsfreiheit entleert. Folgerichtig waren audi die für Art. 2 Abs. 1 GG besonders formulierten Schranken, vor allem die der „verfassungsmäßigen Ordnung", zur verfassungsmäßigen „Rechtsordnung" zu generalisieren 82 . Die dem Art. 2 Abs. 1 GG noch verbleibende Wirkung deckt sich mit der des unbestrittenen ungeschriebenen Rechtsstaatsgebots vom Vorbehalt des Gesetzes bzw. m i t 82 Seit BVerfGE 6, S. 32, 36 f., 37 ff. ständige Rechtsprechung audi der übrigen obersten Gerichtshöfe des Bundes; vgl. ζ. B. noch BVerfGE 20, S. 150,

154 ff.; 34, S. 369, 381 f. — Diskussion bei Hesse I, S. 173 ff. m. Nw.en; Schmidt

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1 Theoretische Bezugsrahmen

der Tautologie, jeder belastende rechtswidrige A k t der öffentlichen Gewalt sei rechtswidrig (nach der herrschenden Praxis: zusätzlich wegen Verstoßes gegen die so verstandene „freie Entfaltung der Persönlichkeit", d. h. als angebliche Grundrechtsverletzung). Verfassungspolitisch gesehen, streicht die Praxis hier (ersatzlos) ein Einzelgrundrecht, verdoppelt (nutzlos) ein rechtsstaatliches Prinzip, das damit vom unbestritten ungeschriebenen zum geschriebenen w i r d ; sie entformalisiert dadurch gegen die ausdrückliche Systematik der constitutio (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG) und der lex scripta (§ 90 Abs. 1 BVerfGG) die V o r aussetzungen für das Sonderinstitut der Verfassungsbeschwerde m i t der Folge, daß die funktionellen Grenzen dieses Instituts verschwimmen, das Bundesverfassungsgericht m i t nach den Normtexten unzulässigen Verfassungsbeschwerden überschwemmt werden kann und schließlich, wie geschehen, auf den Erlaß einer Norm wie § 93 a BVerfGG drängt, der Gefahren für das gesamte Institut Verfassungsbeschwerde m i t sich bringt 8 3 . Wie zu A r t . 2 Abs. 1 GG so läßt sich auch sonst nicht sagen, die Richtung auf Generalisieren sei der Legislative anzulasten. Vielmehr ist dem gegenwärtigen Bundesgesetzgeber auch i n umstrittenen Materien wie dem politischen Strafrecht und dem Recht des öffentlichen Dienstes das Bemühen u m rechtsstaatlich möglichst präzise Normsetzung zu bescheinigen 84 . „Tendenzen" sind keine Gesetze; w o h l aber sind verfassungspolitische Bestrebungen und zum Teil auch Verwaltungspraktiken feststellbar, die auf rechtsstaatlich kaum mehr faßbare Generalisierung zielen8®. ω

Dazu F. Müller I I I , S. 77 ff., 79 ff. m. Nw.en. ζ. B. in den Tatbeständen des politischen Strafrechts im neuen, seit dem 1.1.1975 geltenden Strafgesetzbuch. 86 Zu: F. Müller V I , S. 30. —- Die allgemeine Politikabhängigkeit des politischen Straf rechts drückt sich audi in dem Auf und Ab im Schicksal des Artikels 143 des Grundgesetzes aus: ursprüngliche Fassung in BGBl. 1949, S. 18; seine Aufhebung durch StrafrechtsänderungsG vom 30.8.1951 und Ersetzung durch dieses Gesetz, BGBl. I 1951, S. 747; Einfügen eines neuen Art. 143 zur Frage des Einsatzes der Streitkräfte bei innerem Notstand, also einer außer-strafrechtlidien Problematik zum Thema „Recht und Politik", durch Gesetz vom 19.3.1956, BGBl. I 1956, S. 113; Aufhebung dieses Artikels durch Gesetz vom 24.6.1968 (BGBl. I 1969, S. 709 ff.) in Zusammenhang mit der Notstandsgesetzgebimg. — Allg. Schroeder, S. 175 ff., 179 ff., 1831, 185, 195, 197 ff., 202 ff.; historisch zur Bismarck-Ära (Staatsgefährdungstatbestände, Sozialistengesetze): ebd., S. 99 f., 102 ff.; zur Liberalisierung seit 1961: ebd. z.B. S. 216f., 218ff., 221 f. und seit 1968: ebd., S. 222, 224ff. Vgl. ferner zur Einzelkritik des politischen Strafrechts von 1951: Copié; ebd. zu Entstehungsgeschichte und politischem Hintergrund, S. 8 ff.; dazu auch 84

Schroeder, S. 185. —

Zur Diskussion, Problematik und Realisierung der zu den politischen Hintergründen ebd., S. 28 f., zur entwürfe ebd., S. 31 ff. Diese Entwürfe enthielten ralisierungstendenzen (vgl. den Antrag B T Drucks.

„VorbeugehaftGnam; Diskussion der Gesetzζ. T. bedenkliche GeneV/3631 und V/3633 und

13 Bezugsrahmen I I I : Realitätsgrundlage der juristischen Methodik

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132.7 Beispiel: Die Verwirklichung von Grundrechten Eine herrschende Interpretation, eine herrschende Rechtspraxis kennzeichnet auf Dauer den gesellschaftlichen Zustand, i n dem sie sich als herrschende halten kann; i n dem sie somit gebraucht wird. Die Formalisierung des Allgemeinen Gleichheitssatzes des Bonner Grundgesetzes zum unkonturierten Allgemeinen Willkürverbot ist ein Symptom. Solange und i n dem Maß, i n dem eine auch als Gleichheitsgebot verstehbare Norm auf die dargestellte A r t entkräftet wird, besteht auch für die Einzelgrundrechte die Gefahr, verkümmert zu sein zu Abwehrrechten von Bourgeois, statt als politische Rechte von B ü r gern i n der Praxis ihres alltäglichen Handelns zu wirken. Das läßt sich an der Grundrechtshandhabung durch die Staatsgewalt belegen: Methodisch und dogmatisch ist sie vielfach allein die des Polizeirechts. Praktisch sind die Grundrechte noch immer definiert durch Subtraktion dessen, was der damit zum Bourgeois degradierte Bürger nicht darf. Allgemein geht aus der 8 6 Konzeption des „Normbereichs" hervor, daß die tatsächlichen Verhältnisse i m Bereich der Rechtsregel nicht nur eine äußerliche Schranke für die Rechtsverwirklichung darstellen, sondern daß sie die Aussage über reale Normativität,

das heißt: über die

ferner die Vorlagen B T Drucks. VI/2558 und VI/3248 sowie die Begründung in B T Drucks. VI/2558, S. 3 und in B T Drucks. VI/3248, S. 3 ff., 5 ff. Zum politischen Streit vgl. die Angaben im Schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses des Bundestags, B T Drucks. VI/3561, S. 3). Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr wurde normiert mit Gesetz vom 7.8.1972 (BGBl. I S. 1361) und vom Bundesverfassungsgericht in E 35, S. 185 ff. für verfassungsmäßig erklärt. — Schließlich zu „Generalisierungstendenzen unterhalb der Normebene u in

der Frage des Zugangs Radikaler

zum öffentlichen

Dienst:

Vorlage des

Bundesrats, B T Drucks. VII/2432 und dagegen die Vorlage der Bundesregierung, B T Drucks. VII/2433. „Generalklausel"probleme ergeben sich hier, neben der Fassimg der Normtexte, v. a. aus den Verfahrensregeln. Je unklarer, neben den Maßstäben, das Verfahren, um so größer ist die Gefahr, daß „Verfassungs"feindlichkeit von der jeweils amtierenden Bürokratie als Regierungsfeindlichkeit praktiziert wird. Justiz und Verwaltung vermischen auf diesem Gebiet bisher vielfach Verfassungs- und Gesetzesrang, verfassungsrechtliche und verfassungspoiitische Aspekte und generalisieren speziell normierte Fälle (z.B. Art. 9 Abs. 2, 18, 20 Abs. 4, 21 Abs. 2 GG) zu Pauschalformeln, denen Normqualität unterstellt wird; vgl. etwa O V G Lüneburg in: Neue Juristische Wochenschrift 1973, S. 73 ff.; O V G Koblenz in: Deutsches Verwaltungsblatt 1973, S. 816 ff.; zuletzt Bundesverwaltungsgericht in: Juristenzeitung 1975, S. 412 ff. Scharfe Kritik an diesem „bitteren Beispiel", das ohne die „Mindestanforderungen methodischer Redlichkeit" und „gegen alle Regeln der Kunst mit durchsichtigen Zielsetzungen" arbeite, bei Esser I I , S. 556 f.; ebd., S. 557 f. gegen den auf einer „petitio principi!" beruhenden Radikalenbeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22.5. 1975, BVerfGE 39, S. 334 ff. — Zur rechtsstaatlich korrekten (nicht aber: einer liberalen Verfassung würdigen) Lösung des Problems vgl. hier im Text am Ende von 125. M Bei F. Müller I, z.B. S. 168ff., 184ff.; und bei dems., Juristische M e thodik, 313.1 - 3 entwickelten!

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1 Theoretische Bezugsrahmen

Aussicht auf Realitätsgestaltung durch Rechtsnormen, immittelbar mitbegründen 8 7 . Die Wirksamkeit, die praktische Geltungsqualität der Grundrechte, ihre normative K r a f t als Anregung, Ermöglichung, als rechtliche Grundlage für menschliches Handeln i n der Gesellschaft, hängen ab (a) von Methodik und Dogmatik; von der A r t der Konkretisierung der Grundrechte durch ihre Adressaten sowie durch „Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung" (Art. 1 Abs. 3 GG); und die Konkretisierung i n den Erfolgsaussichten ihrer Durchsetzung wiederum von den sachlich einschlägigen „sozialen Garantiendas heißt (b) allgemein-gesellschaftlich von den realen Möglichkeiten und A n reizen, von Grundrechtspositionen Gebrauch zu machen und sie i m Konflikts- oder Zweifelsfall auch durchzusetzen; sowie politisch vom Zustand des verfaßten Systems (Art und Grad der Demokratisierung, Grad der Mediatisierung des Volkes durch Partei- und Verbändeoligarchie, rechtsstaatliche Qualität der Judikatur und so weiter). Wie schon gesagt wurde, hängt die Chance der Realisierung von Normen negativ (Beispiel: Straf recht) wie positiv (Beispiel: Zivilrecht) nicht zuletzt vom sozialen Status der Beteiligten ab, und zwar zunächst von dem der Berechtigten. Gesellschaftlich so entscheidende Positionen wie die Grundrechte machen dabei keine Ausnahme. Das ist einsichtig, da alle Subjekte der Grundrechtsausübung bzw. Objekte der Grundrechtsbegrenzung gesellschaftliche Ungleichheit repräsentieren (die einzelnen Grundrechtsadressaten i n ihrer jeweiligen sozialen Lage) oder sie auf dem Weg über die Politik wiederholen bzw. zur Voraussetzung haben: die direkt politischen Instanzen Gesetzgebung und Regierung, der politisch unmittelbar abhängige verwaltende Bereich und die nur generell politikabhängige, i m Einzelfall von verbindlichen Weisungen freie Justiz, deren Abhängigkeit vom Politischen System auf die oben skizzierte A r t und Weise zwar mittelbar und vielfältig gebrochen, aber i m Ergebnis doch unbezweifelbar ist. Die allgemein gewährten Grundrechtsgarantien, die historisch auf bereits entwickelte gesellschaftliche Ungleichheit — auf den „zweiten Abschnitt" des Natur(!)zustands bei John Locke, dem maßgeblichen Theoretiker des liberalen Verfassungsstaats — trafen, wiederholten zumindest diese Ungleichheit; i n der historischen Realität verstärkten sie sie jedoch auch; und zwar deshalb, weil die Konkretisierungs(Verwirklichungs)chancen eben nicht zuletzt von der sozialen Stellung des Berechtigten abhängig sind. Besonders 87 So auch Hesse I, S. 87. — Zu Fragen tatsächlicher Rechtsgeltung vgl. audi Ryffel I I I , S. 243 ff.; zur Durchsetzung und Sanktionierung des Redits ebd., S. 322 ff.

13 Bezugsrahmen I I I : Realitätsgrundlage der juristischen Methodik

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durch die Formalität seiner Grundrechtsgarantien hat der Verfassungsstaat die Fähigkeit, sich politisch zu transformieren, also auch die bisher benachteiligten Schichten auf dem Weg über die Grundrechte nicht nur ideologisch, sondern real zu integrieren. Diese Fähigkeit w i r d sekundär — durch ihr Stehenbleiben bei Formalität — zugleich notwendig begrenzt. Die herrschenden Schichten drängen die benachteiligten Schichten auch dadurch zurück, daß sie sich i n Konflikten auf ihre Grundrechte berufen. De jure berufen sie sich zu Recht auf sie als auf zentrale Errungenschaften des Verfassungsstaats. De facto berufen sie sich vor allem effektiv auf sie, da sie die dominierenden Schichten sind. Sie haben damit ein legitimiertes M i t t e l i n der Hand, aufstrebende Unterschichten jedenfalls mittelfristig daran zu hindern, sich ihrerseits auf ihre Grundrechte nicht nur de jure zu Recht — das ist der Fall —, sondern auch de facto effektiv zu stützen. I n der Gegenwart setzt hier das Vorhaben ein, die liberalen Grundrechte sozial für alle effektiv zu machen: sei es i n den Aporien der Debatte u m „ D r i t t w i r k i m g " der Grundrechte gegen soziale Übermacht, die aus den Rängen „der Gesellschaft" bekanntlich weit stärker wirken kann als von seiten des Staatsapparats; sei es durch konkretisierenden Einsatz des umfassend interventionistischen Staates, der grundrechtliche Freiheiten unter heutigen Bedingungen erst zu gesellschaftlich wirksamer Freiheit machen kann 8 8 ; sei es durch partielles Uminterpretieren der Grundrechte i n „Teilhaberechte" i n Zusammenhang m i t dem Sozialstaatsprinzip und m i t einem Allgemeinen Gleichheitssatz, der hier Normwirkung zurückgewinnen könnte 8 9 . 132.8 Das Grundrecht auf Methodengleichheit Methodenregeln sind als solche nicht normativ. Dagegen verklammern methodenbezogene Regeln des positiven Rechts, wie z.B. die einschlägigen Rechtsstaatsgebote, das „Wie" der alltäglichen Normverwirklichung m i t dem Politischen System und seinen rechtlich begründeten Legitimitätsansprüchen. Die Rechtsarbeiter aller Funktionsbereiche — also auch Nichtjuristen (Fachbeamte, normsetzende Politiker usw.) — sind zum einen gehalten, i n „Bindung" an geltende Normen zu arbeiten, und zwar m i t Hilfe nicht-normativer Kunstregeln, 88 Hierzu Hesse I, z.B. S. 87, 123f., 129ff.; im einzelnen (für den Bereich der Bildungsplanung) Hufen I I . 89 Vgl. BVerfGE 33, 303, 330 ff. (Numerus-clausus-Urteil). Grundlegend in der Literatur: Scheuner; neuerdings Martens und in Richtung auf „leistungsrechtliche" Interpretation v. a. Häberle. — Die Frage, wo die Unterstellung beginnt, weil die Leistungsfähigkeit des insoweit konventionell „liberal" redigierten Grundgesetzes überspannt wird, ist kontrovers und nodi nicht ausdiskutiert. Sie bedarf vor allem auch eines erneuten Aufgreifens der Problematik des Allgemeinen Gleichheitssatzes.

5 Müller

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1 Theoretische Bezugsrahmen

nämlich der rechtsmethodischen; zum andern werden sie durch methodenrelevante (Verfassungs-)Normen zusätzlich zu einer insoweit bestimmten Methodik objektiv verpflichtet. Soweit sie selbst nicht j u r i stisch ausgebildet sind, die Regeln der Rechtsmethodik also subjektiv nicht darstellen können, w i r d die methodische Regularität ihrer Entscheidung zugleich m i t der Rechtmäßigkeit gegebenenfalls dann i n der fachjuristischen Kontrollinstanz überprüft. Solche Normen (ζ. B. Tatbestandsbestimmtheit, Begründungspflichten und sonstiges einschlägiges Verfahrensrecht, normative Beweisregeln, Analogieverbot i m Besonderen Teil des Strafrechts usw.) „binden" die Rechtsarbeiter „eine Stufe höher" darin, wie sie ihre „Bindimg" an die den Fall jeweils regierenden Normen methodisch realisieren. Die D i rektiven juristischer Methodik insgesamt sind also nur überwiegend nicht-normative Kunstregeln, zum Teil dagegen Rechtsnormen. Z u den für das Politische System wichtigsten und seine Legitimität am immittelbarsten betreffenden dieser Normen gehören die Gleichheitssätze und Diskriminierungsverbote des Grundgesetzes. A u f dem Weg über die direkte Grundrechtsbindung aller staatlichen Gewalt (Art. 1 Abs. 3 GG) verpflichten sie die staatlich bestellten Rechtsfunktionäre i n Gesetzgebung, Exekutive und Justiz auf gleichheitliches methodisches Arbeiten. Soweit — und das ist eine Tatsachenfrage des Einzelfalls — etwa „Vorverständnisse" auf die Auswahl verschiedener noch vertretbarer methodischer Möglichkeiten einwirken, dürfen sie nicht m i t Kriterien verknüpft sein, die vom Grundgesetz als gleichheitswidrig ausgeschlossen werden (z.B. i n Art. 3 Abs. 2 und 3, i n A r t . 33 Abs. 3 GG). Auch schon die davor liegende Frage, welche methodischen Möglichkeiten als noch vertretbar und welche als jedenfalls nicht mehr vertretbar anzusehen sind, entscheidet sich wesentlich audi nach den Gleichheitssätzen. Dieser normative Tatbestand läßt sich sprachlich als „Grundrecht auf Rechtsanwendungsgleichheit (Methodengleichheit)" abkürzen. Es geht dabei u m mehr und u m Konkreteres als u m die ganz allgemein gleichheitlichen Schutzwirkungen der Gesetzes/orra 90 : nämlich u m den Rechtsanspruch auf die durch korrekte und offene Methodik abgesicherte Gleichheit der Rechtsverwirklichung i m Rahmen sämtlicher Funktionen und Formen staatlichen Handelns. „ A l l e Menschen" i m Sinn von A r t . 3 Abs. 1 GG sind nicht nur oder i n erster Linie vor dem abstrakten „Gesetz" gleich, sondern auch und vor allem vor dem „angewandten" Gesetz; also nicht nur vor der Rechtsnorm, sondern vor allem vor der Entscheidungsnorm. Diese muß i m Einzelfall der entsprechenden Rechtsnorm auf eine methodische Weise zurechenbar sein, die nicht M

Dazu Denninger, S. 107 f. m. Nw.

13 Bezugsrahmen I I I : Realitätsgrundlage der juristischen Methodik

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nur den nicht-normativen Kunstregeln und den sonstigen methodenrelevanten positiven Vorschriften gerecht wird, sondern immer auch der Gesamtheit verfassungsrechtlicher Gleichheitsgebote und Diskriminierungsverbote. Jedes von außerrechtlichen Interessenstandpunkten diktierte (Ansehen der Person, Befangenheit, Parteiinteresse usw.) methodisch inkorrekte Ein- oder Ausschließen von Möglichkeiten der Lösimg des Rechtsfalls verstößt also nicht nur gegen die den Fall regierenden materiell- bzw. prozeßrechtlichen Normen — der Verstoß gegen sie kann i m Instanzenzug und/oder durch Verfassungsbeschwerde gerügt werden; und nicht nur gegebenenfalls gegen methodenrelevante Normen wie etwa Bestimmtheitspflichten und damit gegen die Pflicht zu redlicher, wahrheitsgemäßer Begründung; sondern immer dann auch gegen verfassungsrechtliche Gleichheitssätze, wenn die Entscheidung einen oder mehrere Adressaten aus Gründen benachteiligt oder bevorzugt, die das Grundgesetz als jedenfalls unzulässig bezeichnet (also etwa aus politischen oder religiösen Motiven, vgl. A r t . 3 Abs. 3, 33 Abs. 3 GG, 140 GG iVm. 136 Abs. 2 WRV).

2 Einzelfragen 21 „Rechts- und Sozialwiseenechaften" Die gegebene Skizze von Zusammenhängen nicht mehr zwischen „Recht" und „Politik", sondern genauer: zwischen juristischer Methodik und Politischem System greift über mehrere wissenschaftliche Disziplinen aus, wenn der heutige Stand wissenschaftsorganisatorischer Arbeitsteilung vorausgesetzt wird. Die hier zugrundegelegte Methodik stützt sich auf eine Theorie der Rechtsnorm, von der für die meisten Normtypen die Normbereichsanalyse als sachnotwendig und als Teil der alltäglichen Rechtsarbeit erkannt wird. Eine Analyse von Rechts-, besonders von Gerichtsentscheidungen belegt das durchweg. Wie weit allerdings die Untersuchung der Normbereiche wissenschaftlich durchgeführt w i r d und wie weit dilettantisch, das ist zum einen eine Frage der theoretischen Diskussion, der dogmatischen Einzelarbeit und der methodischen Redlichkeit, zum andern eine Frage der Juristenausbildung. 211 Zur wissenschaftsgeschichtlichen Lage Das Ganze einer wissenschaftlich gesteuerten Normsetzimg, Normkonkretisierung und Normkontrolle ist Rechtswissenschaft und Rechtspraxis. N u r müssen heute und i n näherer Zukunft, so wie die wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung nicht nur i n Deutschland tatsächlich abgelaufen ist, die angeblich nicht-juristischen Bestandteile der Rechtsarbeit, die der Gesetzespositivismus verdrängt hatte, von den Sozialwissenschaften gelernt werden. Das schließt die Aussage ein, daß audi diese sich i n anderer Richtung entwickelt haben und daß sie den vielfach euphorischen Wünschen nach-positivistischer Juristen m i t nur gedämpfter Begeisterung gegenüberstehen. Beide Gruppen von Wissenschaften müssen i n langwierigen Arbeits- und Zusammenarbeitsprozessen erst integrationsfähig gemacht werden. „Sozialwissenschaftliche Fundierung" der Rechtswissenschaft, „Kooperation" zwischen Rechts- und Sozialwissenschaften, Begründung juristischer Methodik und Dogmatik durch „Gesellschaftstheorie" sind geläufig gewordene Postulate. Sie sind als ernsthaft zu diskutierende Vorhaben aufzufassen; nicht aber als Forderungen, die man den Partnern der wissenschaftlichen Debatte schlicht abverlangen könnte. „Die" Sozialwissenschaften, „die" Gesellschaftstheorie, „die" sozialwissenschaftlichen A r -

21 „Redits- und Sozialwissenschaften"

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beitsmethoden — das sind nicht Trouvaillen, die nur aufgehoben zu werden bräuchten; nicht Fertigfabrikate, die zu übernehmen oder nicht zu übernehmen nur eine Frage des „bornierten" oder des „richtigen Bewußtseins" wäre. Sie sind ihrerseits nur Arbeitsfelder, nur Komplexe von Fragestellungen, Ansätzen und Teilergebnissen, von einschlägigen Berufen, Institutionen und Ausbildungsgängen, von Traditionsbildung und Kontrolle, von Ideologiekritik und Ideenpolitik. Als Formen von Arbeit sind auch sie an gesellschaftliche Funktionsaufteilung, Funktionsaufsplitterung, an Professionalisierung, an die gegenwärtigen Formen und Bedingungen von „Bildungswesen" oder „Ausbildungssektor" gebunden. Für eine Euphorie, die entscheidende wissenschaftliche Durchbrüche schon aus dem gesteigerten Bewußtsein vom bisher Versäumten erhofft, ist wenig Anlaß. Was gegenwärtig erreichbar sein dürfte, ist: das Bewußtsein der Gemeinsamkeit von Problemen zu schärfen; gemeinsame Fragestellungen nicht als jeweils neues Speziai gebiet von „Kooperation" und „Bindestrich-Wissenschaften" zu etablieren, sondern sie innerhalb der gewöhnlichen Arbeit von Rechts- und Sozialwissenschaftlern zu behandeln. Für die Juristenausbildung geht es also nicht u m Lehrpläne, die z. B. m i t Kriminologie und Verfassungslehre am Rand garniert werden, ihre herkömmlich scholastischen und begriffsrealistischen Dogmatiken von Strafrecht und Staatsrecht i m übrigen aber nicht ändern; sondern darum, die i n strafrechtlicher und staatsrechtlicher Konkretisierung typisch enthaltenen Sachargumente methodisch zu reflektieren und sie i m Zusammenhang einer offen ausgewiesenen Normbereichsanalyse als definierte Bestandteile der Normbehandlung zu entwickeln. Der Gesetzespositivismus hatte versucht, Jurisprudenz und Rechtsmethodik dadurch wissenschaftlich zu machen, daß er alle sozialwissenschaftlichen, das heißt nicht rein juristisch-technischen Fragen, Inhalte, Methoden hinausdrängte 91 . Er scheiterte an dem Ausmaß und der Qualität seiner Verdrängung der Inhalte, m i t denen Rechtswissenschaft und Rechtspraxis zu t u n haben, und der Funktion, die sie ausführen. Er begünstigte objektivistische Sprachfassaden i n Dogmatik und Entscheidungsbegründung, die den realen juristischen Arbeitsvorgängen nicht gewachsen sein konnten. Der positivistische Begründungsstil erstarrte zur formalistischen Lebenslüge des Juristenstandes. Er erfüllte rechtsstaatliche Ansprüche von Rationalität allenfalls i m Sinn von Herrschaftsfunktionalität — Fälle „zügig erledigen" und so fort —, verfehlte aber schon i m Ansatz und i m geschichtlichen Fortgang m i t steigender Deutlichkeit Rationalität i m Sinn tatsächlicher Transparenz und Kontrollierbarkeit der Entscheidungsvorgänge. Es kommt heute darauf an, verfassungsgeschichtlich nicht hinter den Gesetzes91

F. Müller, Juristische Methodik, 222.0 - .2.

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2 Einzelfragen

positivismus zurückzufallen, d.h. nicht hinter seinen Standard an Technizität; und zugleich das von i h m Verdrängte einzuarbeiten. Es geht also darum, unter dem Anspruch auf Normklarheit, Methodenklarheit, Generalisierbarkeit und Rechtssicherheit zugleich die sozialen Inhalte und Strukturen der Regelungsbereiche und die aus der eigenen juristischen Arbeitsfunktion i n die Rechtsarbeit hineinweisenden Faktoren theoretisch zu reflektieren, dogmatisch zu thematisieren und methodisch zu bewältigen. A l l das sind normale Aufgaben der Jurisprudenz. Daß Juristen heute meinen, sie von Nicht-Juristen lernen müssen, folgt aus der Wissenschaftsgeschichte; nicht dagegen deutet es auf eine nicht selten geargwöhnte Denaturierung der Rechtsgelehrsamkeit. Diese Denaturierung hatte schon stattgefunden; w i r beginnen allmählich damit, sie hinter uns zu lassen. I n diesem Zusammenhang w i r d deutlich, daß die hier gemachten Aussagen zur Normstruktur und zu Strukturtypen von Rechtsnormen keine Seinsaussagen sind, sondern praktische Arbeitsanforderungen an die Juristen. „Normprogramm" und „Normbereich" benennen kein verdinglichtes „etwas". „Normbereich u heißt: Sachgehalte dürfen nicht willkürlich, wahllos i n die Konkretisierungsvorgänge eingehen oder aus ihnen verdrängt werden. Ihre Behandlung bedarf, ebenso wie die Regeln der Normtextbehandlung, einer verallgemeinerungsfähigen Form. Gerade auch hierüber Regeln zu entwickeln, gehört zu den zentralen Aufgaben einer juristischen (und nicht etwa einer „sozialwissenschaftlichen") Methodik. I n diesem Sinn ist die Frage der Sache nach seit jeher entschieden, ob die Jurisprudenz eine Sozialwissenschaft „sei". Die Frage ist i m übrigen viel zu abstrakt gestellt. Gegenstand des Rechtswesens ist stets komplexes soziales Zusammenleben von Menschen, das Differenzierung, Zuordnung, Steuerung, Stabilisierung braucht. Jurisprudenz ist immer Wissenschaft und Praxis für das Soziale. Ihre Arbeitsfunktionen sind solche der Entscheidung i n vielfältigen Teilfunktionen: generelle Direktive — Einzelentscheid; Normsetzimg und Normkonkretisierung; Normkontrolle, Rechtspolitik, Normrevision. Ob Rechtsarbeit i n den Kreis der Sozialwissenschaften zu rechnen „ist", hängt also angesichts ihres Gegenstands und ihrer Arbeitsfunktionen real nicht von der Ansicht der Juristen ab. Deren T u n hat real immer Sozialbezug und Entscheidungscharakter. Wie es i n die Skala wissenschaftstheoretischer Namen einzugliedern ist, bleibt eine Frage des jeweiligen wissenschaftstheoretischen Konsenses. So gesehen, dürfte die Qualifizierung der Jurisprudenz als „normative Sozialwissenschaft" und „Entscheidungswissenschaft" praktisch brauchbarer geworden sein denn ihre ehrwürdige Benennung als „normative Geisteswissenschaft" 91 . ·* Die Berechtigung des Vorhabens, das „Nur-Juristische" des Gesetzespositivismus in Richtung auf Sozialwissenschaft und Entscheidimgswissen-

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212 „Entscheidungswissenschaft" Entsprechend der hier entwickelten Konzeption meint „Entscheidungswissenschaft" nicht die Verdinglichung und Mythisierung einer existentialistisch aufgeladenen souverän-punktuellen „Dezision"; sondern meint i m Gegenteil die wissenschaftliche Analyse tatsächlicher komplexer Entscheidungsvorgänge. Während sich die positivistische Jurisprudenz damit zufrieden gibt, Kompetenzen auszugrenzen und normative Maßstäbe für das Überschreiten normierter Entscheidungsspielräume zu fixieren, geht es einer entscheidungswissenschaftlichen Analyse der Rechtsfindungsvorgänge darum, die das Ergebnis ( m i t b e stimmenden Einzelfaktoren empirisch festzustellen, sie zu gewichten und diesen „Ist-Zustand" juristischer Methodik m i t deren rechtsstaatlichem „Soll-Zustand" kritisch zu vergleichen; zu vergleichen ferner die Konvergenz bzw. Divergenz methodischer Entscheidungsfindung und Entscheidungsdarstellung, also von tatsächlichem Erarbeiten und nach außen gerichtetem sekundären Begründen der Fallösung, d. h. des Setzens einer Entscheidungsnorm unter Berufung auf bestimmte geltende Rechtsnormen. Es stellt sich damit eine sowohl heuristische als auch die Praxis rechtsstaatlich kontrollierende Aufgabe; nicht ist dagegen behauptet, i m Sinn einer objektiven Modellkalkulation qua „Entscheidungstheorie" die „richtigen" Entscheidungen optimierend vorwegnehmen zu können. Eine solche neopositivistische Entscheidungs„theorie" müßte die Entscheidungsspielräume, die Wertungsund Konkretisierungsspielräume verfehlen, die von Rechtsnorm und Entscheidungsfall her unausweichlich zum juristischen Geschäft gehören. Durch ein mathematisierend kalkuliertes Modell sind rechtliche Entscheidungsnormen als maximal richtige nicht antizipierbar. Dagegen bieten entscheidungswissenschaftliche Bezugsrahmen i m genannten Sinn die Möglichkeit, Entscheidungsvorgänge heuristisch durchsichtiger und damit instanziell, wissenschaftlich und politisch kontrollierbarer zu machen. Solche Raster wurden vor allem i n der betriebs- und sozialwissenschaftlichen Diskussion der USA entwickelt und werden dort vielfach für Fragen der Unternehmens- und Organisationsberatung, aber auch für sozialwissenschaftliche Forschung eingesetzt. I h r Grundgedanke kann sich für eine realistischere Beschreibung und rechtsstaatlich angemessenere Kontrolle der alltäglichen juristischaft zu überschreiten, wird nicht nur von Gesetzespositivisten bezweifelt; vgl. Ryffel I I , der angesichts des „politischen" Charakters der juristischen Argumentation eine „solide Basis" in einer „Axiologie des Rechts" als „Richtigkeitslehre" erblickt und der juristischen Methodenlehre rät, „in die Redits- und Staatsphilosophie, genauer: in eine Philosophie des Politischen überzugehen" ebd., S. 574 ff.; die Zitate S. 576, 575; ausführlich hierzu: Ryffel I, z. B. S. 203 ff., 433 ff., 493 ff. — Vgl. dagegen allg. zur Rechtswissenschaft als „Teil der Sozialwissenschaft" : Rittner, v. a. S. 98 ff., 119 ff.

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2 Einzelfragen

sehen Entscheidungspraxis als brauchbar erweisen. Er besteht darin, die entscheidungserheblichen Daten, also hier: die Konkretisierungselemente aller Typen, auf die besonderen Probleme des Entscheidungsfalls hin auswählend und gewichtend zu strukturieren, Lösungsalternativen offenzulegen, Entscheidungsziele (prozessuale Begehren, Entscheidungskontinuität oder Bruch mit bisheriger Praxis, gerechte Entscheidung, Wirkung über den Einzelfall hinaus usw.) und Bedingtheiten der Entscheidung (allgemeines „Vorverständnis", Bevorzugen einer bestimmten rechtswissenschaftlichen Schule oder einer dogmatischen Einzel„theorie" usw.) sowie ihre vorherzusehenden und fortzurechnenden Folgen ausgewiesen i n den Vorgang der Rechtsfindung einzubringen. Einige erste Ansätze, solche Strukturierung auf juristisches Entscheiden umzusetzen, sind gemacht worden 9 8 . Sie machen die Grenzen entscheidungs- (bzw. spiel-)theoretischer Strategien für praktische Rechtsfindung deutlich: Die Ziele und Lösungsmöglichkeiten müssen bereits klar, die Informations- und Bewertungsprobleme bereits gelöst sein, wenn das entscheidungstheoretische Modell einsetzt. I n diesen Grenzen liefert Entscheidungstheorie „jedenfalls heuristische Faustformeln, Fragenkataloge, Lösungsstrategien" 94 , w i r k t sie also i m eingangs umschriebenen Sinn strukturierend und kann für das Gesamtunternehmen einer Strukturierenden Methodik zu gesteigert klarer und korrekter Entscheidung verhelfen. 213 Juristenausbildung Für die Juristenausbildung bieten sich Veranstaltungen an, die durch Gruppenarbeit i n Form beobachteter oder provozierter Fälle, vor allem jedoch i m Verfahren der Simulation den Vorgangs-Charakter juristischer Entscheidung empirisch aufklären und methodisch bewerten. Die dabei zu leistende Arbeit müßte alle Elemente der Normkonkretisierung erfassen, also auch — soweit indiziert — eine empirische Normbereichsuntersuchung, die gegebenenfalls fächerübergreifend zu organisieren ist. Dabei würde sich zeigen lassen, daß Normbereichsanalysen sowohl i n konkretisierender wie i n rechtspolitischer Absicht auf gleiche Weise vorzugehen haben. Die Normprogramme, die als Auswahl-, Strukturierungs- und Maßstabsdirektiven fungieren, sind i m einen Fall als Normtexte geltender Vorschriften fixiert, i m andern erst rechtspolitisch zu formulieren und alternativ zu erproben („Planspiele" zur Gesetzgebungslehre u. ä.). Methodisch eigenen sich außer Planspielen besonders Längsschnittuntersuchungen und Entscheidungsanalysen. Die ersten verfolgen das Schicksal einer Normierung und des von ihr bewältigten oder verfehlten sozialen Regelungskomplexes, 93 u

ζ. B. von Haag, Lautmann I, Priester. Schlink I, S. 343.

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meist anhand einzelner Musterfälle, durch eine bestimmte Zeitspanne. Sie erfassen dabei die Aspekte, die aus Normbereichsforschung, Rechtspolitik, Gesetzgebungslehre, Normkonkretisierung und wissenschaftlicher K r i t i k mit erneuter rechtspolitischer Debatte stammen. Der zweite Typus untersucht sachlich und/oder funktionell zusammenhängende Rechtsprechungsketten. Er arbeitet also i n jedem Fall an bereits gefällten Entscheidungen und kann insoweit nur die Darstellungsseite und damit die Begründungstwnkiion der Methodik erfassen. Das Verfahren „teilnehmender Beobachtung" dürfte dagegen für Lehrveranstaltungen unbrauchbar sein, solange die Beratungen der Gerichte geheim bleiben. Der „Ist-Zustand" juristischer Methodik kann insoweit nur an geäußerten Ergebnissen, an der Konsistenz der Begründungstexte und an entsprechend zurückhaltend erstellten Rücksdiluß-Hypothesen abgeschätzt werden 9 6 . Noch wichtiger w i r d es sein, die Juristenausbildung davon abzubringen, überwiegend dem Einüben sekundärer Rechtfertigungstechniken zu dienen; und stattdessen die Regeln juristischer Methodik für ein Ermitteln des Ergebnisses einzusetzen, das auf Vertuschen der real wirksamen Entscheidungsmotivationen nicht angewiesen ist 9 ·.

22 Sonderfunktionen der Rechtsprechung Die besondere Rolle der Rechtsprechung i m Fragenkreis „Juristische Methodik und Politisches System" ist hier schon mehrfach deutlich geworden 97 . Sie soll i n einigen Punkten noch weiter ausgeführt werden. 95 Beispiele für Entscheidungsanalysen: F. Müller V ; für Längsschnitte: F. Müller I I I , I V ; für teilnehmende Beobachtung: Lautmann I I I mit Diskussion methodischer Probleme. — Berichte über ein Planspiel bei Vogel, Kirchhof. — Allgemeiner zu Juristenausbildung und Methodik: Adomeit; zu Juristenausbildung und Politischem System: Leibfried. — Zur Frage von Rückschluß-Hypothesen über richterliche Überzeugungsbildung vgl. etwa die Fragestellungen bei Bendix, S. 94 ff., 251 ff., 315 ff; begrenzt auf das „Rechtsgefühl" bei Venzlaff; differenziert bei Weimar, S. 29 ff. 99 Nach Lautmann I I I ist „keine andere Profession, sei es in Politik, Verwaltung oder Wirtschaft" für „den Kern ihrer Tätigkeit" ähnlich abgeschirmt wie der Richterberuf, S. 27. Die Barriere zwischen Darstellen und Finden der Entscheidung soll „teilnehmende Beobachtung" überspringen; zu: Darstellungsstrategie als Verschleierungsstrategie ebd., S. 175 ff., 178 ff. — Z u diesen Fragen ferner: Haverkate. 97 Allg. zum „politischen Charakter" der Justiz bzw. zu „Justiz und Politik" etwa Rosenbaum; Milïband , S. 184 ff.; Ellwein, S. 429 ff.; Ciaessens I Klönne / Tschoepe, S. 135 ff.; Wiethölter; Wassermann I - I I I ; Litten; ferner die weiteren Angaben in Anm. 9 und 70. — Die Rede von der „politischen Funktion der Justiz" darf differenziertere Fragestellungen nicht pauschal verwischen; hierzu auch Koch I, S. 40 f., 101 u. ö. — Zu den unmittelbarsten Synthesen von Politik und Gerichtsbarkeit, nämlich zur Politischen Justiz: Kirdiheimer I , S. 96 ff.; groß angelegt in Kirchheimer I I .

2 Einzelfragen

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221 Zum politischen Standort der Rechtsprechung Die Gerichtsbarkeit ist nicht freischwebende „Streitentscheidung". Sie ist durch ihre Bindung an die jeweils normativ formalisierten I n halte der politischen Auseinandersetzung an die herrschende Politik gekettet. Sie unterliegt ferner den oben untersuchten formellen und informellen Bindungen an das Politische System und vermittelt i n dessen Rahmen Gewalt. A r t . 20 Abs. 2 GG, nach dem auch durch die Judikative „Staatsgewalt" ausgeübt wird, macht eine realistische Aussage. Es ist unausweichlich, daß dieser Grundsachverhalt sich bis i n die Strukturen richterlicher Arbeitsweise hinein auswirkt; daß die Operationen der Rechtsfindung" auch Akte der Rechtssetzung sind; daß Norm„konkretisierung" nicht eine dinghafte Verteilung der Rechtsnorm auf Einzelfälle bedeutet, sondern das Setzen von Entscheidungsnormen unter regelhafter Berufung auf abstrakte Rechtsnormen. — Dies und weitere i n den Zusammenhang gehörende Ergebnisse sind als die juristische Methodik grundsätzlich prägend hier bereits festgehalten worden. Sachlich-systematisch geht so die politische Funktion der Norm Umsetzung, herkömmlich gesagt: der „Auslegung" von „unklaren Gesetzen" bzw. der „Anwendung" von „klaren" oder von ausgelegten Normen, unmittelbar aus der Gesamtheit der Zurechnungsregeln zum Thema Entscheidungsnorm/Rechtsnorm hervor, die eine juristische Methodik ausmachen. Gleichsam i m Negativbild illustriert w i r d dieser Befund durch rechtshistorisch bekannte Konflikte, die nicht nur i n Justinians Interpretationsverbot für das Corpus Iuris, sondern — für die heutigen Rechtsordnungen noch ungleich aufschlußreicher — i n der europäischen Neuzeit i n gesetzlichen Interpretationsverboten bzw. -beschränkungen i h ren Ausdruck fanden: so i n § 47 Einl. ALR, i n den §§ 24 - 27 des AGBGB, i m Gesetz über den référé législatif i n Frankreich vom 24. 8.1790. Die den heutigen Zustand kennzeichnende Gegenreaktion, nämlich die Aufhebung solcher Verbote bzw. i m Code C i v i l ein ausdrückliches Rechtsverweigerungsverbot m i t Sanktionsandrohung gegen den Richter (Art. 4), hat nie lange auf sich warten lassen·8. Die Aufhebungen belegen die Stärke und Unausweichlichkeit des politischen Stellenwerts richterlicher (und allgemein: rechts„konkretisierender") Normverwirklichung; und das, wie die Beispiele zeigen, i n gleicher Weise unter aufgeklärt absolutistischen wie unter bürgerlichen Regimen.

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Hierzu Schumann.

22 Sonderfunktionen der Rechtsprechung

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222 „Soziale Garantien" der Normkonkretisierung Rechtsnormen sind als sprachlich gefaßte Direktiven für künftige Lagen, als Motivationsversuche für soziale Kommunikation und Steuerung, als jeweils nur auf potentielle Praxis gerichtete Ansätze zu verbindlicher Anweisung einerseits sowohl der Aktualisierung bedürftig als auch zum andern notwendig fragmentarisch. Das steht hinter der verkürzten Aussage, sie seien „interpretations"bedürftig. Als gesellschaftlich real wirkender, als „normierender" Faktor i n komplexen sozialen Situationen sind sie nur i n Gestalt von Entscheidungsnormen da. Anders gesagt: Die situationsbestimmenden, die real entscheidenden Faktoren sind natürlich die beteiligten Menschen, die sich auf Rechtsnormen berufen; nicht aber die Normen selbst. Hinzu t r i t t das Sichmotivieren-lassen der Betroffenen, der Adressaten der Entscheidung, soweit sie sich dem Verhalten der Setzer der Entscheidungsnorm fügen. Die Adressaten sind dabei ihrerseits bestimmt durch die Rechtmäßigkeit des Tuns der Normsetzer, das sich für seine eigene Rechtfertigung auf abstrakte Rechtsnormen beruft. Daher genügen Normen — i n Sprache gefaßt, als Normengruppe geordnet, als Kodifikation aufeinander abgestimmt, durch latente Gewalt gestützt, durch institutionalisierte Verhaltenserwartungen und -zwänge abgesichert — allein noch nicht, u m i n einem gewollten Sinn gesellschaftlich funktional zu sein; also etwa dafür, bestimmte dominierende Interessen, die Stabilität des gesellschaftlichen Zustands und eine Legitimationschance der herrschenden Verhältnisse effektiv zu sichern. Hinzukommen müssen stets auch soziale Garantien dafür, daß die Normen regelmäßig auf eine insgesamt i m gesellschaftlichen Rahmen bleibende A r t und Weise, i n einem von herrschenden Interessen und ihrer tatsächlichen Durchsetzungschance, i n einem vom Status quo bestimmten Sinn „interpretiert" werden; und das gerade angesichts unvorhergesehener Fälle, außerhalb bloßer Subsumtion, einschließlich „rechtsschöpferischer" Anpassung und Fortschreibung dessen, was als Momentaufnahme der politischen Kräfteverhältnisse seit dem Zeitpunkt der (vergangenen) Normsetzung als positive Rechtsnorm, vorbehaltlich einer Normrevision, gilt. Solche sozialen Garantien liegen i n der gesteuerten Typizität von Vorstellungen, Haltungen und Interessen der Setzer von Entscheidungsnormen, also etwa der Richter. Kausal setzt solche Steuerung beim Ausleseverfahren an (Verteilung der sozialen Schichten, faktischer Vorrang der Mittelschicht als Reservoir der Richterschaft, Struktur des Bildungswesens, der Zulassungsvoraussetzungen, des Qualifikationssystems, des Stipendien- und Förderungswesens usw.); ferner bei speziell normierten Auswahlverfahren (Art der Formulierung des Leistungsprinzips, „Unwürdigkeits-" oder „Extremisten"klauseln usw.), bei Karrierevorschriften, Gratifikationen exklusi-

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2 Einzelfragen

ver A r t (Beamtenstatus, Sonderprivilegien für bestimmte Berufsgruppen) und Normen der generellen Überwachimg und der punktuellen Disziplinierung für Fälle, i n denen die genannten Filter für erwünschte Haltung und prinzipielles politisches Wohlverhalten sich als nicht ausreichend erweisen. Geschichtliche und aktuelle Beispiele aus dem Bereich des Beamtentums, sämtlich diesem Moment der sozialen Garantie für grundsätzlich systemkonforme Norm„anwendung" verpflichtet, gibt es ausreichend. Die verschiedenen Arbeitsfelder der Justiz- und Bürokratieforschung haben hier eine gemeinsame Perspektive, die unmittelbar zur Erkenntnis der Binnenstruktur juristischer Methodik und ihrer „Außenbeziehung" zum Politischen System gehört. 223 „Subjektive" und „objektive" Auslegung Der hergebrachte Streit u m „subjektive" oder „objektive Auslegungstheorie", bereits als methodisch unfruchtbar klargestellt", ist auch vor diesem realen Hintergrund zu sehen. Der „Wille des Gesetzgebers", auch noch der objektivierte „ W i l l e des Gesetzes" ist stets der „ W i l l e " des „Interpreten", richtiger: des Setzers der Entscheidungsnorm. Allerdings ist dieser Normsetzer im Einzelfall bei seinem Tun nicht „frei"; und das „Pflichtgemäße" seines Entscheidens bestimmt sich nicht nach verinnerlichter Rechtsethik. Er ist gebunden — auf der dargestellten Skala zwischen „strikt formell" und „informell" — durch ein Ensemble von Direktiven. Die formalisierbaren unter ihnen untersucht die juristische Methodik als Zurechnungsregeln rechtfertigender, darstellender Funktion, die dem rechtsstaatlichen Anspruch nach zugleich die Rechtsfindungsregeln des Falles für seine anschließend zu begründende Lösung gewesen sind. Beide Funktionen sind konstitutiv für den Anspruch eines Systems („Verfassungsstaat"), das seine Steuerungsund Kontrollvorgänge i m rechtsstaatlichen Sinn normativ, also weitgehend mit Mitteln sprachlicher Kommunikation abzuwickeln unternimmt. Weil die formalisierten Direktiven für den Setzer der Entscheidungsnorm sprachlich geformt sind, ist die Rede vom „Willen des Gesetzes", wenn sie auch nicht richtig ist, so dodi nachfühlbarer als die vom „Willen des Gesetzgebers". Für das Einsichtigmachen der informellen Gebundenheiten des Setzers der Entscheidungsnorm, die sowohl von der „objektiven" als auch von der „subjektiven" Auslegungsdokt r i n verleugnet werden, ist eine juristische Methodik, welche die realen Rechtsfindungs- und Zurechnungsfunktionen ihrer eigenen Regeln wie der beteiligten Rechtsnormen aufklären w i l l , auf Ergebnisse von Nachbardisziplinen (Politische Soziologie, Organisations- und Bürokratieforschung, Sozial- und Motivationspsychologie, Entscheidungswissenschaft, Ideologiekritik u. ä.) verwiesen. w

F. Müller, Juristische Methodik, z. B. 314.3 - 4, 332.233.3.

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224 Zur rechtsstaatlichen Grenzfunktion des Wortlauts — Gewaltenteilung und juristische Methodik — Rechtsnormen und Entscheidungsnormen Derselbe Hintergrund gehört zu dem Befund, der Spielraum noch möglicher Textauslegung bilde i m Rechtsstaat eine Grenze für Konkretisierung 10°. Diese Aussage widerspricht nur scheinbar den hier gemachten Aussagen über Konkretisierung, Rechtsbildung, über das Setzen (nicht: „nachvollziehende" Finden) von Entscheidimgsnormen und so fort. Ausdrücken i n Normtexten eignet kein „Sinn", Normtexten eignet keine „Bedeutung", kein „Inhalt", die m i t dem Normsetzungsakt ein für allemal festgelegt und verdinglicht wären 1 0 1 , und das heißt: die demgemäß nur richtig gefunden oder verfehlt werden könnten. Vielmehr liegt eine Setzung zunächst nur für die Rechtsnorm vor, für das i n Sprachform autoritativ fixierte Ensemble steuernder Maßstäbe, die von den (sprachlichen) Elementen des Normprogramms und den (teils sprachlichen, teils außersprachlichen) des Normbereichs sozial zur Wirkung gebracht werden sollen — genauer gesagt: die nach den i m gesellschaftlichen Ganzen und speziell innerhalb der Rechtsordnung anerkannten Regeln, Mechanismen und Entscheidungsmustern dieser bestimmten Rechtsnorm zugerechnet zu werden pflegen. Deren Anwendung, deren Konkretisierung von Fall zu Fall besteht also nicht i m „Anwenden der Rechtsnorm" auf unvorhergesehene Fälle, wie das herkömmlich gesagt wird. Sie besteht i m Setzen neuer Normen unter Berufung auf Rechtsnormen, die dadurch i n ihrer A b straktheit nicht verändert werden. Was sich ändert, ist nur die Gesamtheit der Zurechnungsakte m i t bezug auf sie und damit die der ihnen zugerechneten und durch Rechtsprechung und Praktikerliteratur tradierten Entscheidungsnormen. Das drückt sich sehr unmittelbar darin aus, daß Juristen die Fälle nicht nur mit Hilfe von Kodifikationstexten, sondern von Lehrbüchern und vor allem von (Entscheidungsnormen rezipierenden und nach Rechtsnormtexten geordnet aufzählenden) Kommentaren angehen. Der Anspruch von Normativität der Rechtsnorm bedeutet, daß nach den anerkannten und praktizierten Regeln die Entscheidungsnormen „ihren" Rechtsnormen müssen zugeordnet werden können, soll die Einzelentscheidung rechtmäßig und nicht rechtswidrig sein. „Rechtmäßig" und „rechtswidrig" sind dabei wiederum nicht Seinsaussagen, sondern speziell formalisierte und sanktionierbare soziale Urteile, die ihrerseits regulär zu sein haben. 100 Ebd.; z.B. 321.114 mit Nw.en zu Autoren, die sich dieser Konzeption anschließen. 101 Dazu ebd.; 312.5.

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Das Feststellen der Grenzfunktion des Wortlauts ist also weder l'art pour Tart juristischer Methodologie noch eine Sünde gegen das ewige Gespräch der sogenannten geisteswissenschaftlichen Hermeneutik. Diese Grenzfunktion ist methodologisch nicht begründbar, w o h l aber normativ begründet — positivrechtlich z. B. durch das Zitiergebot und das Verbot von Verfassungsdurchbrechungen i m Grundgesetz, verfassungsgewohnheitsrechtlich durch die Gebote der Normklarheit und Tatbestandsbestimmtheit ebenso wie durch (wiederum vorwiegend positivierte) Funktionsabgrenzungen. Rechtsstaatliche Rationalität und Verbindlichkeit, also Legitimitätsanspruch und Herrschaftsfunktion rechtsstaatlicher Methodik, fordern diese Grenzfunktion. Die Grenzfunktion des Wortlauts ist demnach nicht identisch m i t der Konkretisierungsfunktion des grammatischen Elements 102. Daher ist der Widerspruch zwischen den Aussagen der hier Vorausgesetzen juristischen Methodik und dem Hinweis auf die rechtsstaatliche Grenzfunktion der Normtexte nur ein scheinbarer Widerspruch. Die Entscheidung bedient sich aller Konkretisierungselemente, einschließlich der empirisch ermittelten aus dem Normbereich. Sie klebt nicht am Wortlaut: sie beschränkt sich nicht auf Textinterpretation. Die Entscheidung muß sich nicht „aus dem Wortlaut ergeben". Sie muß lediglich m i t den noch möglichen Verständnisvarianten des Normtexts (einschließlich der Normtexte systematisch oder historisch vermittelter anderer Vorschriften) vereinbar bleiben. Die Feststellung, ein Ergebnis sei m i t diesem Spielraum nicht mehr vereinbar, muß insoweit eindeutig sein. Es handelt sich dabei nicht um „Eindeutigkeits"-Behauptungen gegenüber noch nicht interpretierten Normen, die angeblich nicht interpretationsbedürftig seien 108 . Vielmehr muß die Aussage, daß die bereits konkretisierte Norm, d . h . die nach allen Regeln juristischer Methodik auf ihre Zurechenbarkeit zur fraglichen Rechtsnorm h i n erarbeitete und geprüfte Entscheidungsnorm, gegen rechtsstaatliche Gesetzesbindung verstoße, insoweit eindeutig sein. Bleibt sie zwei- oder mehrdeutig, so kann nicht gesagt werden, der Spielraum möglicher Verständnisvarianten des Normtexts sei verlassen. Bei numerisch bestimmten Normen w i r d sich das leichter, bei den anderen entsprechend schwerer und damit auch seltener feststellen lassen. Das ist eine Frage des einzelnen Entscheidungsvorgangs. Trotz der „Bindung an das Gesetz" — letztlich an dem auf diese Weise fungierenden Normtext zu messen — gibt es sehr erhebliche Spielräume, die durch eine ausgearbeitete rechtsstaatliche Methodik maximal, das heißt aber für die politische Realität: 101 Das wird vom Bundesverfassungsgericht übersehen: BVerfGE 35, 263, 278 ff.; insoweit korrekt dagegen B G H Z 46, 74, 76. — Vgl. audi Larenz, S. 303 f., 321. iw Dazu F. Müller, Juristische Methodik, 314.2.

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insgesamt nur partiell beherrschbar sind. Methodenklarheit fordert, das wissenschaftlich Beherrschbare zu beherrschen, den Rest zu definieren. Der Hinweis auf den Wortlaut als Grenze des Spielraums der Konkretisierung beruht also nicht auf Methodologie, sondern auf methodenrelevanten Rechtsstaatsnormen, auf geltendem Recht. Er ist nicht deshalb zutreffend, w e i l methodologische Regeln dazu zwängen; sie zwingen überhaupt nicht und enthalten keine Rechtsmäßigkeitsurteile. Der Wortlaut ist nicht die Grenze der (methodisch) „möglichen", sondern die der (rechtsstaatlich) zulässigen, der „rechtmäßigen" Konkretisierung 1 0 4 . Diese methodenrelevanten Normen sind einerseits methodenbezogene Vorschriften (die rechtsstaatlichen Methodendirektiven), zum andern handelt es sich u m Funktionsverteilungen, Funktionsabgrenzungen, Kompetenz- und Kollisionsregeln sowie u m einzelne diesbezügliche Verfahrensnormen (Verweisungsvorschriften, Kompetenzkonflikte usw.). Sie ziehen zusammen eine Grenze, jenseits derer die Entscheidungsnorm, die dessenungeachtet methodisch überzeugend begründbar sein kann, der Rechtsnorm rechtmäßigerweise nicht mehr zuzurechnen sein soll. Die Rechtsnorm ist zwar nicht unantastbar, einschließlich der Grenzfunktion ihres Normtexts, aber i m Grundansatz nur von der Legislative bis zur Nichtidentität änderbar oder fortzuschreiben, nicht von Exekutive und Judikative. M i t andern Worten: Die Grenzfunktion des Normtexts markiert eine letzte Auffanglinie für das zentrale rechtsstaatliche Postulat der Verfassungs- und Gesetzesbindung (mit allen daraus sich ergebenden Vorrang-, Vorbehalts-, Kollisions-, Maßstabs- und Kontrollnormen wie A r t . 19 I und Π , 20 I I I , 31, 79 I und I I I , 93 I Nr. 1 und 2, 100 GG usw.). Jenseits dieser Grenze sollen Rechtsnormen nicht mehr durch von der Rechtsordnung bestellte Setzer von Entscheidungsnormen geändert werden können, sondern nur n o d i von dazu positivrechtlich ermächtigten Setzern von Rechtsnormen, von Gesetzgebungsinstanzen. Das ist der K e r n der Auswirkimg des Gewaltenteilungsprinzips auf die juristischen Methodik i m Rechtsstaat. Dieser K e r n hat politische Bedeutung. Gesetzgebung und Regierung sind unmittelbar politische Funktionen; Rechtsprechung und Verwaltung sind es auf indirekte A r t . Die Vermittlung ihrer Bindung an Politik besteht i n der Bindung an Normen. Juristische Methodik und allgemeiner die Rechtswissenschaft i m ganzen gehören durch die spezifischen Formqualitäten der Rechtsordnung und damit der juristischen 104 Zur Bindung des Richters an den Wortlaut des Gesetzes in der D D R und zu den dortigen Gründen für diese Auslegungslehre: Pfarr, v. a. S. 38 ff., 58 ff.; zu den Abweidlungen in der Praxis und zur Rolle der verfassungspolitischen Herkunft der zu konkretisierenden Vorschriften („bürgerliche", „sozialistische" Gesetze) s. ebd., S. 70 ff.

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Arbeitstechniken gleichfalls zu den „vermittelnden" Faktoren. Sie alle wirken mit, immittelbare Herrschaft, soweit sie als Rechtsordnung auftritt und verwirklicht wird, i n mittelbare w e i l vermittelte, i n formalisierte, standardisierte, „legalisierte und damit als legitimiert geltende Herrschaft zu übersetzen. Die zur Setzung von Entscheidungsnormen bestellte Instanz darf — nach den Regeln — nur solche Normen setzen; und diese Normen müssen nach den Gewaltenteilungs- und Normbindungspostulaten „innerhalb" der von den abstrakten Rechtsnormen umschriebenen Direktiven verbleiben. Das heißt: Sie müssen ihnen regulär ( = den Regeln entsprechend) zuzurechnen sein. Dem entspricht es, zu sagen, daß gegen die möglichen Verständnisvarianten des Normtexts nur bei dessen offenkundiger und/oder nachweislicher Fehlerhaftigkeit bzw. Mißverständlichkeit Entscheidungsnormen gesetzt werden dürfen, die dann gleichwohl als normgemäß und somit rechtmäßig gelten. Sie haben dann gleichsam i n der Übergangszeit bis zur formellen Normtextbereinigung hinreichende Aussicht darauf, der eigentlich gemeinten, nur i n der Fassimg ihres Normtexts offenkundig und/oder nachweislich sprachlich mißglückten Rechtsnorm zugerechnet zu werden. Diese Bindung an geltende Rechtsnormen zu beachten, hat für die Entscheidungsinstanzen den Vorzug, die Verantwortung für i h r Tun und Lassen von Rechts wegen abschieben zu können, sie abgenommen zu bekommen. Sich mit Aussicht auf Erfolg — weil nach eingehaltenen formalen Rechtsstaatsregeln — auf die Rechtsnorm und damit institutionell auf die Legislative zu berufen, heißt zugleich, die politische (und menschliche) Argumentations- und Rechtfertigungslast auf „die Norm" zurückschieben zu dürfen; und damit auf diejenige Instanz, welche die fragliche Rechtsnorm gesetzt hat, welche dadurch die Entscheidungsinstanz bindet und die allein die Vorschrift von Rechts wegen aufheben oder formell ändern darf. So gesehen, w i r d die eine der Lebenslügen eines formalistischen Rechtsstaatsverständnisses i n ihrer politischen Bedeutung klar: die Doktrin nämlich, daß die Entscheidungsnorm nicht gesetzt, sondern daß vielmehr die Entscheidung „gefunden" werde; daß es sich um „Subsumtion" handle, u m „Anwendung" und „Nachvollzug", u m den Willen „des Gesetzgebers" oder allenfalls um den „des Gesetzes", und nicht etwa u m den eigenen. 225 Normbindung — konstitutionelle und aktuelle Gewalt Auch i n der Justiz geht es (a) um das Ausüben und (b) u m das Rechtfertigen von gesellschaftlicher Gewalt. Diese Einsicht findet sich sprachlich i m Grundgesetz: Sein A r t i k e l 20 Abs. 2 und noch deutlicher A r t i k e l 92 bezeichnen auch die Rechtsprechung als Form von „Staatsgewalt".

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Verfassungsgeschichtlich und verfassungspolitisch liegt das Besondere des Rechtsstaats darin, bei den Operationen zu (a) und zu (b) möglichst wenig „aktuelle" und möglichst viel „konstitutionelle" Gewalt einzusetzen. Darin, möglichst weitgehend m i t sprachlich vermittelter und sprachlich kontrollierbarer, m i t spezifisch formalisierter Gewalt auszukommen, sucht der bürgerliche Rechtsstaat seine Legitimität 106. I n methodisch nachweisbarer Bindimg vermittelte Entscheidungsnormen der Justiz sind i n diesem Sinn „konstitutionell"; diese Bindung überschreitende sind nicht nur nicht legal, sondern i m systematischen Sinn auch nicht gerechtfertigt, nicht legitim. Der Sache nach ist ein rechtswidriges U r t e i l „aktuelle", das heißt „bloße Gewalt"; es ist Herrschaft eines Menschen (oder eines Kollegiums) über andere Menschen, nicht mehr Herrschaft „des" Rechts als einer den Rechtsstaat systematisch legitimierenden abstrakten Instanz. I n diesem Modell von Verfassungsstaat muß der Richter zum einen überhaupt entscheiden (Rechtsverweigerungenverbot); d.h. er darf sich nicht enthalten, Gew a l t auszuüben. Der anstaltsstaatliche Verband duldet hier keine Funktionslücken. Und der Richter muß zum andern „rechtmäßig" entscheiden; nicht aus Dezision, nicht aus „eigener", sondern nur kraft „abgeleiteter" Gewalt. Er darf — so der Anspruch des Rechtsstaats — die Gewalt nicht schaffen, er darf sie „ n u r " funktionell vermitteln. Er muß die Verantwortung schon i m Ansatz auf „das Recht" verschieben, wodurch der Rückgriff auf seine konkrete Verantwortlichkeit abgeschnitten, die Rechts„anwendung" entpolitisiert w i r d : „Teilung", „Verteilung", „Balance" der „Gewalten" als Grundvorstellung dieses verfaßten politischen Modells. Soweit die allgemeinen Direktiven. Die besonderen ergeben sich aus der jeweiligen Verfassung; für das Grundgesetz etwa aus A r t . 1 Abs. 3 und den Grundrechten, aus A r t . 19, Art. 79 Abs. 3, aus ungeschriebenen Rechtsstaatsgeboten, aus A r t . 101, 103, nicht zuletzt aus A r t . 100 (Prüfungspflichten) und so fort. I m normativen Rahmen solcher grundsätzlichen Anweisungen ist dann die Bindung an die jeweils den Einzelfall regierenden Rechtsnormen zu realisieren: Der Richter muß methodisch dartun, die von i h m gesetzte Entscheidungsnorm sei der Rechtsnorm, auf die er sich dabei beruft, korrektermaßen zuzurechnen. Die rechtsprechende „Gewalt" (Art. 92 GG) ist den Richtern anvertraut; die Richter „sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen": A r t . 97 Abs. 1 GG sagt, daß die Richter als Funktionsträger nicht etwa „frei" sind, sondern „unterworfen", und zwar konstitutioneller Gewalt. Ferner sagt Art. 97 Abs. 1 GG nicht, die Richter seien schlecht106 Dieser Gedanke und die ihn ausdrückenden Begriffe werden entwickelt bei F. Müller V I , S. 20 f., 26 ff., 28 ff.

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h i n „unabhängig"; das sind sie nur vom Nicht-Gesetz, also von der Einzelweisung i m Einzelfall. „Das Gesetz", das sie i m Einzelfall „unterw i r f t " , ist eine allgemeine Weisimg. Dennoch muß der Richter entscheiden; und muß er so entscheiden, daß der Einzelfall entschieden ist. Er muß also konstitutionelle Gewalt vermitteln, muß eine „Entscheidungsnorm" setzen. W i l l er das nicht ungebunden tun, sondern i n Bindung, so braucht er eine Weisung für den Einzelfall. Sie wird durch Methodik geliefert. M i t deren Hilfe muß der Richter dartun können, daß „das Gesetz" hier auch wirklich „anwendbar" ist; daß es auch wirklich „das Gesetz" war, das hier unter dem oben besprochenen Aspekt der Verantwortlichkeit „entschieden hat" — er selbst durfte nicht anders handeln, da er i n Bindung zu entscheiden hatte. Es ist also nach diesem Modell das Ergebnis der richterlichen Entscheidung dem „ I n h a l t " des Gesetzes i m allgemeinen zuzuschreiben und nicht personaler Gewaltausübung des Richters als eines einzelnen Menschen. Läge eine solche vor, hätte der Richter also die Bindung an die Rechtsnorm verfehlt oder gar nicht erst gesucht, so hätte er ungebunden und damit illegal und illegitim entschieden. Der legal und legitim handelnde Richter muß dartun können, daß das allgemeine Gesetz den besonderen Fall „ a k t i v " bestimmt, und zwar beim Finden der Entscheidimg wie bei der anschließenden Kundgabe der Gründe. Es muß i h m gelingen, die abstrakte Rechtsnorm als Bestimmungsgrund für seine konkrete Entscheidungsnorm darzustellen. Von derjenigen Einzelweisung für den Einzelfall, von welcher der Richter nach A r t . 97 Abs. 1 GG „unabhängig" ist, unterscheidet sich diese abstrakte Rechtsnorm durch ihre Form: Sie ist Gesetz, nicht von Mensch zu Mensch unmittelbar gehender Befehl. Sie ist also konstitutionelle und nicht aktuelle Gewalt. Das Gesetz kann unverhältnismäßig oder inkonsequent sein, es kann ungerecht und unmenschlich wirken — auch als gewalttätiges ist es Gesetz, das den Richter unterwirft. Derjenige Richter handelt „rechtmäßig" und sich selbst wie dieses Modell von Staatlichkeit „rechtfertigend", der i n Bindung an diese unpersönliche Weisung für den Einzelfall — vermittelt durch methodische Operationen — den gewaltlos nicht gelösten „ F a l l " m i t der Hilfe der Staatsgewalt i m Rücken autoritativ „regelt". Nicht weniger sagt der „Rechtsstaat"; aber mehr vermag er auch nicht zu sagen. 226 Entscheidung gegen das Postulat der Normbindung Was geschieht dann aber, wenn Dezisionen ergehen; wenn gegen die Grenzfunktion des Wortlauts oder auf andre A r t deutlich gegen die Regeln der Setzung von Entscheidungsnormen unter dem Postulat der Normbindung entschieden wird? Nicht gemeint sind damit die Fälle fortbildender, „schöpferischer" Entscheidung ohne feststellbaren Norm-

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verstoß, also praeter legem et constitutionem; sie werfen andersartige Fragen auf. Die Konformität der Entscheidung ist i n den genannten Problemfällen nicht mehr am geltenden Recht, sondern nur noch an den herrschenden Interessen und politischen Auffassungen meßbar. Ist die Entscheidung ihrem Inhalt nach politisch konform, so besteht für die sie setzende Instanz weniger die Gefahr, durch höhere Instanzen, durch die Verfassungsgerichtsbarkeit, durch wissenschaftliche K r i t i k oder durch den Gesetzgeber korrigiert zu werden. Die „ K o r r e k t u r " durch Wissenschaft kann darin liegen, u m des wissenschaftlichen Ansehens der eigenen Spruchpraxis w i l l e n zur Selbstkorrektur durch „Aufgabe der Rechtsprechung" veranlaßt zu werden; die Korrekturen durch die ü b r i gen genannten Stellen sind dagegen formeller A r t . A u f rechtsstaatliche Inkorrektheit werden i n aller Regel nur die jeweiligen Gegner der jeweils herrschenden Richtimg aufmerksam machen. Die Entscheidung hat Aussichten, toleriert oder — da als unparteilicher Spruch eines Gerichts zur Legitimierung von Herrschaftszwecken besonders geeignet — ausdrücklich begrüßt, bestätigt, nachgeahmt zu werden. I n solchen Fällen kann auf politische Erwünschtheit des Judikats so gut wie m i t Sicherheit zurückgeschlossen werden. Das Ausmaß der Erwünschtheit ist allerdings vor allem innerhalb der Wissenschaft oft erheblich umstritten; es ist aber ablesbar (unterschiedliche Beispiele bieten etwa das Konkordats-, das Numerus-clausus- und das Hochschul-Urteil des Bundesverfassungsgerichts). I n der Regel sind vom geltenden Recht abweichende Entscheidungen jedoch i n diesem Sinn politisch konform; dafür sorgen, neben informellen politischen Verbindlichkeiten, weitgehend die genannten sozialen Garantien i n der Auslese, Konditionierung und Disziplinierung der Richterschaft — von der Herkunft und Ausbildung bis zu den Normen und Praktiken der Richterwahl und Dienstaufsicht. War das Vorgehen der Entscheidungsinstanz erfolgreich, stellte aber keinen Verstoß gegen die Normbindung i m genannten Sinn dar, dann handelt es sich u m einen normalen Vorgang entweder der alltäglichen Normkonkretisierung oder — beim Einführen eines neuen Rechtsinstituts oder eines neuen allgemeinen „Grundsatzes" usw. — u m die B i l dimg von Richterrecht praeter constitutionem et legem. Die Judikatur greift i n den zuletzt genannten Fällen tatsächlich vorhandene gesellschaftliche Regelungsbedürfnisse auf, denen die Legislativinstanzen (nodi) nicht genügt hatten. Die formell zuständigen Stellen haben die Möglichkeit, durch Setzen einer Rechtsnorm entweder die Entscheidimg für die Zukunft zu beseitigen oder ihr inhaltlich zu folgen. Sie können aber auch weiterhin die Initiative bei der Rechtsprechung belassen (z. B. beim Institut der culpa i n contrahendo usw.). Hier ist nicht eine 6·

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Hegel der Zurechnung von Entscheidungsnormen an Rechtsnormen durchbrochen worden; vielmehr hat eine i m System der Gewaltenteilung generell nur zur Setzung von Entscheidungsnormen berechtigte Instanz eine allgemeine Rechtsnorm gesetzt, die i m weiteren Verlauf wie eine i m Legislativverfahren positivierte Vorschrift gelten kann. 227 Zusätzliche Legitimationswirkungen der Justiz Die Gerichte üben Staatsgewalt i n einer Form aus, die wegen ihrer Unabhängigkeit von Einzelweisungen der Regierung und der Verwaltung zusätzliche Legitimationswirkungen hat. Diese ergeben sich aus der Erwartung, eine nur generell vom Politischen System und von den dominierenden gesellschaftlichen Interessen abhängige Funktion werde, da es u m die Entscheidung von Einzel fällen geht, gesteigert gerecht i m Sinn von neutral, ohne eigenes Interesse judizieren. Das ist i n bezug auf „neutral" und „interesselos" nach dem hier Ausgeführten teilweise eine Illusion. Insoweit ist die Rechtsprechimg der Teil rechtlich vermittelter Gewalt, der am ehesten einen Schein von Legitimität erzeugen kann. Von Legitimität deshalb, weil die Sehnsucht nach einer dem Diktat der herrschenden Interessen enthobenen Gerechtigkeit so groß ist, daß die Rechtsgenossen auch nach einem Schein greifen. Und Schein deshalb, w e i l die direkten und indirekten Bindungen auch der Justiz an die dominierenden Kräfte und an das Politische System notwendig sind — notwendig für jedes konsistente System m i t wirksamer Rechtsordnung. Die sozialen Garantien der Juristen i n Praxis und Gelehrsamkeit machen gleichzeitig, aufs Ganze und auf Dauer gesehen, diesen Anschein ungefährlich. „Gerecht" kann die Entscheidung sachnotwendig nicht i m Sinn einer illusionären Neutralität sein; sondern nur i n dem Sinn, daß sie dem derzeit geltenden Recht entspricht und i n einem fairen Verfahren gefunden wurde. Beides aber, materielles Recht und Prozeßrecht, sind ihrerseits der formalisierte Ausdruck der jeweiligen Konstellation des Kräfteverhältnisses i n den gesellschaftlichen Konflikten. Das Prozeßrecht entfaltet hier aber nach den verfassungsgeschichtlichen Erfahrungen vor- und antiliberaler Prägung zusätzliche Legitimationskraft. Geordnetes Verfahren, fair t r i a l rechtfertigt Entscheidungen vor allem gegenüber den Betroffenen. Es eröffnet insgesamt die Chance, daß diese für sie eigentlich nicht Akzeptables, das autoritativ über sie verhängt wird, i m Ergebnis doch hinnehmen. Diesem Ziel dient die hierauf und nicht etwa auf reale inhaltliche M i t bestimmung des Entscheidungsvorgangs abzielende „Verstrickung i n ein Rollenspiel", die den Betroffenen für den Fall des Nicht-Akzeptierens einer formellen Entscheidung zusätzlich isoliert und negativ abstempelt 1 0 6 . 106 Luhmann I I , v. a. S. 55 ff.; entsprechend zur gesellschaftlichen Funktion von Wahl- und Gesetzgebungsverfahren ebd., S. 137 ff., zu Entscheidungs-

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Das gilt allgemein nicht i n gleichem, wohl aber i n vergleichbarem Sinn auch für die Regularität juristischer Methodik. Das heißt: Die „Betriebs"-Seite von Rationalität (Erleichterung von Herrschaft durch Verkleinerung der Reibungsverluste) und ihre „Konsens"-Seite (formale Voraussetzung für Demokratie) laufen nicht getrennt nebeneinander her; das zweite folgt, wie hier, auch aus dem ersten. Umgekehrt befördert rational geglückte Legitimation ihrerseits die Herrschaftsfunktionalität von Staatshandeln. Das Gesagte hilft, Legitimität strukturell aufzuschlüsseln; nicht aber zieht es die Berechtigung des Bedürfnisses nach Legitimität i n Zweifel. Die unmittelbare Bindung nicht-richterlicher Funktionsträger an gesellschaftliches System und politische Macht und die mittelbare Abhängigkeit der Richter von beiden schränken dieses Bedürfnis nicht grundsätzlich ein. Die Aussagen über diese Abhängigkeit sind keine wissenschaftlichen Entdeckungen, sondern zutreffende Gemeinplätze; Gemeinplätze allerdings, die i n bezug auf die Judikative vom Gesetzespositivismus nachhaltig aus dem Bewußtsein gedrängt worden waren. Es muß aber die realistische Gegenfrage gestellt werden: Was sollen Richter funktionell denn sonst tun, als Staatsmacht und durch sie transformierte gesellschaftliche Macht auszuüben — i n prinzipieller Bindung an geltende Rechtsnormen und i m übrigen unausweichlich unter dem Einfluß ihrer eigenen Herkunft, Bildung, Ausbildung, Weltanschauung und Lebensgeschichte? Die anspruchsvollste Antwort: sie sollen w i r k liche Gerechtigkeit unter den Menschen herstellen helfen, ändert an diesem Befund nichts. Denn i n der organisierten menschlichen Großgruppe ist diese Zielvorstellung 1 0 7 nicht anders als eben durch Organisation, Steuerung, Normsetzung und Normkonkretisierung und das heißt auch: durch Abstraktion von den unmittelbaren LebensVorgängen und -bedürfnissen anzustreben; also stets durch organisierte und damit für die Betroffenen immer zumindest auch fremdgesteuerte Regelung und Sanktion. Soweit Richter und andere Rechtsfunktionäre an diesen Vorgängen beteiligt sind, sind sie es i n Bindung an politische Direktiven i n Gestalt von Rechtsregeln und unter dem Einfluß herrschender Meinungen, Ideologien und schichtgeprägter „Vorverständnisse". Angesichts dessen an den Abhängigkeiten richterlicher Tätigkeit i m Grundsatz Anstoß zu nehmen, hieße von Grund auf unpolitisch denken. Ein politisches System ist ein politisches System. Dasjenige des bürgerlichen Verfassungsstaats liberaler Variante 1 0 8 nimmt sich i n der Typologie Prozessen der Verwaltung ebd., S. 201 ff. — Die Einkleidung von Akten der Herrschaft in geregelte Verfahren dient der „Zersplitterung und Absorption von Protesten", vgl. S. 89, ferner S. 87. 107 Vgl. allg. für die Frage nach der Gerechtigkeit „in den Rechtssystemen der modernen Gesellschaft": Luhmann IV. 108 Zu dieser und zu den übrigen: KiihnL

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politischer Systeme vorteilhaft aus. Seine normative Forderung nach wissenschaftlicher Rechtsmethodik i. S. der hier analysierten doppelten Rationalität, also von Kalkulierbarkeit auf der einen, von Konsensfähigkeit durch Transparenz auf der anderen Seite, verdient es, eingelöst, verteidigt und bis an die Grenzen seiner technischen und politischen Tragfähigkeit als anti-machtstaatliches, graduell humanisierendes, als „liberalisierendes" Element praktiziert zu werden. Sie erfordert daher auch bestimmte und nachdrückliche K r i t i k überall dort, wo dieser Anspruch liberaler Rechtsstaatlichkeit zur ideologischen Fassade verkommt. E i n Gegenbild wäre erst ein Gesellschaftssystem, das Richtertum als formalisierte Ausübimg von Staatsgewalt nicht mehr braucht; das die alltäglichen Gruppenkonflikte i n solidarischer Mitmenschlichkeit politisch austrägt und löst, ohne abstrahierende und formalisierende, zentralisierende und bürokratische, normierende und gewaltsame Vermittlungsinstanzen und Organisationsformen nötig zu haben 1 0 9 . Es kann aber kaum behauptet werden, dieses Gegenbild habe irgendwo die praktisch-theoretische Konkretion erreicht, die für ein diskutables Gegenmodell zum liberalen Verfassungsstaat Voraussetzung sein muß, wenn es u m Systemkritik durch wissenschaftlich belegbaren Systemvergleich gehen soll.

23 Wissenschaftliche und politische Funktionen rechtsstaatlicher Methodik Die direkt politische Wirkung einer juristischen Arbeit, die nach rechtsstaatlicher Methodik verfährt, ist die i m verfassungsgeschichtlich genauen Sinn „liberalisierende" eines Zurückdrängens machtstaatlicher Elemente, der Mäßigung und Kontrolle der Form der Ausübung von Staatsgewalt. Die entsprechenden sozialen Vorteile bestehen i n grundsätzlicher Verläßlichkeit, Berechenbarkeit, Methodenehrlichkeit. Es sind dies die technischen Vorteile der spezifisch bürgerlich-verfassungsstaatlichen „Betriebs"-Rationalität. I n diesem Licht ist auch die A u f gabe zu sehen, eine juristische Methodik wissenschaftlich auszuarbeiten und auszubauen, die rechtsstaatlichen Ansprüchen genügen kann. Die Arbeit hieran hat eine i m beschriebenen Sinn begrenzte, aber auch eine unersetzliche Funktion. Die Beziehungen zwischen Politischem System und Rechtsordnung hängen i m Grad ihrer begriffenen Differenzierung, ihrer wissenschaftlichen Trennschärfe nicht nur vom verwendeten sozialwissenschaftlichen Raster ab, sondern auch vom Zustand der Ausarbeitung der Rechtsmethodik. Diese muß durch eigene Rationali109 Z u dieser Zentralfrage der Staatstheorie, in der europäischen Moderne unter dem Signum der „Entfremdung" zuerst formuliert bei Rousseau, vgl. F. Müller V I I I , v. a. S. 28 ff., 35 ff., 55 ff., 60 ff., 66 ff., 77 ff. m. Nw.en.

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tät (Überprüfbarkeit, Diskutierbarkeit, Regularität) dafür sorgen, daß rechtsstaatliche Postulate praktisch beim Wort genommen werden können. Wo Norm und Appell an gewollter oder ungewollter Irrationalität der Rechtspraxis abprallen, an Routinehaltung, an wissenschaftlich unzureichender Ausbildung der Juristen, an entgegenstehenden Interessen, an verschleiernder Rhetorik, dort bietet die Rechtsmethodik Maßstäbe für A r t , Grad und Richtung der Abweichung vom „SollZustand" und möglicherweise auch für eine Typisierung des Methodendefizits nach Fällen, Interessen, Instanzen, Rechtsgebieten. Sie w i r k t damit als Spezial-Indikator für eine wissenschaftliche und politische Interpretation der Irrationalität bzw. Unredlichkeit juristischer Entscheidungspraxis. Sie kann zudem als Allgemetn-Indikator für den tatsächlichen politischen Gesamtzustand dienen; für den gegenwärtigen Stand der Rechtspraxis und möglicherweise auch für den Standort des Politischen Systems i m historisch erkennbaren Pendeln zwischen liberalen und autoritären bzw. „totalitären" Varianten des neuzeitlichen Verfassungsstaats. So wie sich die Trennung von Recht und Politik durch ein formalistisches Rechtsstaatsverständnis als Ideologie herausstellte, so wäre es Ideologie, durch die Rechtsförmigkeit des bürgerlich-liberalen Verfassungsstaats seine Herrschaftsrealität, durch die Formalität seiner Rechtsordnung deren Herrschafts- und Steuerungsfunktionen beseitigt zu glauben. Andrerseits sind Formalität und Rechtsförmigkeit keineswegs folgenlos. Innerhalb der fortbestehenden und i m Sinn des Vermeidens von Reibungsverlusten sogar effektivierten Herrschaftsordnung haben sie i m einzelnen liberalisierende, anti-machtstaatliche Wirkung. Umgekehrt ist nach historischer Erfahrimg jede Entwicklung zu autoritären oder „totalitären" Herrschaftsformen m i t einer Entrationalisierung verbunden, m i t einem Abbau der Form- und Verfahrensgarantien, m i t einer Einschränkung der Offenlegungspflichten und Kontrollinstanzen 1 1 0 . Aktuelle Gewalt verdrängt dann tendenziell die für liberale Phasen kennzeichnende konstitutionelle Gewalt. Auch i n der liberalen Variante des Verfassungsstaats ist Rechtswissenschaft samt ihrer Methodik professionaliertes Herrschaftswissen, M i t t e l zur Aufrechterhaltung, Durchsetzung und Rechtfertigung von Herrschaft. Diese Funktion kann aber eine unwissenschaftliche, irrationale, suggestive, auch i m Argumentationsstil bloß autoritäre Rechtskünde ebenso erfüllen, die m i t gehäuften Generalklauseln, Postulaten, (Führer-)Befehlen, m i t Verschleierung ihres eigenen Vorgehens, m i t ne Vgl. z u r Entrationalisierung von Tediniken der Rechtsarbeit im Nationalsozialismus: Rüthers; Stolleis. — Allgemein zur politischen Rolle der Methodik im neuzeitlichen Verfassungsstaat: F. Müller V I ; dort audi zur U n terscheidung von „konstitutioneller" und „aktueller" Gewalt.

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verdeckter oder unverdeckter Dezision arbeitet. A n diesem Haster lassen sich i m Sinn der oben genannten Indikator-Wirkung juristischer Methodik auch gesamtpolitische Tendenzen ablesen, so etwa i n Zeiten prae-autoritärer Politik oder i n Phasen verschärfter gesellschaftlicher Auseinandersetzungen bei Fortbestand des rechtsstaatlich i n Form gebrachten Politischen Systems. I n dem Maß soldier allmählichen Irrationalisierung verliert juristische Methodik ihre zwar begrenzte, aber unersetzliche Fähigkeit, die tatsächliche Herrschaftspraxis i m einzelnen auf Regularität, das heißt auf reguläre Normbeachtung h i n zu durchleuchten und sie damit auch einer rational begründeten politischen Kontrolle zu unterwerfen. Irrationalisiert sich Rechtsarbeit, so legt sie sich — über ihre grundsätzliche Herrschaftsfunktion hinaus — eine „überschießende" Funktion i n Richtung auf die Verdichtung, Verschleierung, Verhärtung von Herrschaft zu. Rationales Offenlegen von Herrschaftspraktiken würde nämlich i n dem Maß des schwindenden Konsenses den Widerstand der Beherrschten zu stark mobilisieren. Dezision entspricht einem staatlichen Zustand, der sich offen mehr auf aktuelle denn auf konstitutionelle Gewalt stützen w i l l , weit besser als intersubjektiv kontrollierbare Methodik. Offenlegung gibt die Chance zur Bildung von Konsens. Dort, wo er politisch nicht mehr ausreichend zu haben ist, wo daher aktuelle Gewalt tendenziell die konstitutionelle verdrängt, w i r d Offenheit nachteilig. Bei steigender Unterdrückung muß Herrschaft „fühlbarer" werden; sie hütet sich dann, so stark „einsehbar" zu werden, daß sie in Gefahr käme, nicht länger Herrschaft zu bleiben. Sowohl die Instrumentalität als auch die Grenzen der Instrumentality rationaler Methodik wie überhaupt rechtsstaatlicher Formalität erweisen sich als ineinander verschränkt 1 1 1 . Das macht den Indikator-Charakter juristischer Methodik aus. Sie weist für die Gegenwart (Dezisionen bzw. „überschießende" Explikationen der Verfassungsjustiz, erhebliche Unsicherheit der Politischen Justiz, illiberale Verwendung der elektronischen Datenverarbeitung, Reduktion freier Bürger zu konformen Bourgeois und der politischen Grundrechte zu engen „Freiräumen" gegenüber Straf- und Polizeirecht usw.) autoritäre Tendenzen nach. Hierher gehört auch eine möglicherweise recht breite K l u f t zwischen Rechtsfindung und Entscheidungsbegründung. Wenn eine ihrem Anspruch nach empirische Darstellung der Rechtsfindungsvorgänge zur chronique scandaleuse gerät 1 1 2 , so muß das nicht ausschließlich an der Chronik liegen. 111

Dazu eingehend F. Müller V I . Vgl. Seibert über Lautmann I I I . — Eine einzige Studie aus „teilnehmender Beobachtung" kann nicht repräsentativ sein. Es wird noch viel empirischer Aufklärung bedürfen, bevor hier verläßliche Sachverhalte mit Indikator-Wirkung angenommen werden können. — Nodi wichtiger als Aufklärung ist die hier geforderte Umstellung der Juristenausbildung von Rechtfertigungskunde zur Rechtserzeugungswissenschaft. llf

2 Funktionen echtsstaatier Methodik

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Daß juristische Methodik nicht nur rechtstechnische, sondern audi politische Maßstäbe liefert, war schon bei der Bestimmung ihrer eigenen Rationalität klar geworden. Die Rationalität der Rechtsordnung des bürgerlichen Verfassungsstaats ist zwischen Herrschafts- und Rechtfertigungsfunktion, zwischen „Betriebs-" und „Konsens"-Seite ambivalent. Juristische Entscheidung ist notwendig und stets institutionell autoritär; auch der liberale Staat vermittelt Herrschaft. Gibt dagegen juristische Methodik die ihr abverlangte Methodenrationalität auf, mißachtet sie die i h r mögliche Regularität, Offenheit und damit Selbstbindung und praktische Selbstkritik zugunsten irrationaler Entscheidung, zugunsten bloß sekundärer Rechtfertigung schon getroffener Dezisionen, dann ist sie auch methodisch autoritär. Dann entfällt die Möglichkeit legitimierender Wirkung der Rechtsmethode selbst und bleibt es allein bei der institutionellen Überlegenheit der entscheidenden Stelle. Deren Legitimität hängt allgemein von der Konsensfähigkeit der geltenden inhaltlichen Normen ab. Beides steht nicht beziehungslos nebeneinander. Das haben die bisher untersuchten Funktionen einer rational-rechtsstaatlichen Methodik gezeigt: Sie erlaubt die Ausarbeitung des methodischen „Soll-Zustands", sie dient als Kontrollmaßstab für den „Ist-Zustand" der Praxis der Juristen und schließlich als politische Schlüsse erlaubender Indikator für die Form gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und für die aus ihnen folgenden verfassungspolitischen Tendenzen. Die Richtung sich abspielender Veränderungen i n diesem Bereich ist eine politische Frage, mitgestaltet durch und abzulesen von Formen der Rechtsarbeit. Es handelt sich aber u m eine politische Frage, die nicht sich selbst überlassen bleiben darf, sondern die eben i n den Formen und m i t den M i t t e l n der Rechtswissenschaft und ihrer Methodik aufzuarbeiten, klarzustellen und i m Sinn der normativen K r a f t liberaler Verfassungsstaatlichkeit zu beeinflussen ist 1 1 3 . Das setzt, wie zu Beginn angemerkt, einen über die 113 Gegen den Relativismus bei Adomeit: die Wahl methodischer Argumentationsformen sei nur „eine Frage der eigenverantwortlichen politischen Positionswahl", die „nicht mit theoretischer Verbindlichkeit vorentschieden werden" könne, S. 180. Daß diese Auffassung dem rechtsstaatlichen Anspruch des Grundgesetzes widerspricht, zeigt sich unmittelbar: „Kraft positiven Verfassungsrechts", nämlich Art. 1 Abs. 3 GG, seien „allerdings die Grundrechte zu beachten", ebd. Zum einen ergibt sich daraus eine ebenso breite wie intensive Einschränkung der relativierenden These von „Eigenverantwortlichkeit"; eine Einschränkung, die Adomeit nicht verarbeitet, was der These die Schlüssigkeit nimmt. Zum andern übersieht Adomeit, daß nicht nur die Grundrechte auf die Argumentationswahl einwirken, sondern alle methodenrelevanten Normen: von geschriebenem (Art. 19 Abs. 1, 20 Abs. 3, 79 Abs. 1 G G u.a.) und ungeschriebenem Verfassungsrecht (rechtsstaatliche Forderungen der Normklarheit, Methodenklarheit, Tatbestandsbestimmtheit, Gebot der Bestimmtheit von Konkretisierungsakten in Rechtsprechung und Exekutive, Rückwirkungsverbote u.a., Verbot belastender Analogien i m Redit der Eingriffsverwaltung usw.) bis zu gesetzlichen Formalitätsvorschriften, Begründungspflichten, Verfahrensnormen.

2 Einzelfragen

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Beschreibimg juristischer Methoden und den Entwurf einer juristischen Methodik hinausgehenden Rahmen voraus, nämlich eine Verfassungstheorie des rechtsstaatlich verfaßten demokratischen Sozialstaats. Diese Verfassungstheorie hat neben der hier gegebenen Skizze des Standorts der juristischen Methodik i m Politischen System auch die hier angedeuteten historischen und aktuellen Funktionsbestimmungen des Verfassungsstaats umfassend auszuarbeiten.

24 Politische Funktionen des bürgerlichen Rechtestaate. Ziel rechteetaatlicher Methodik Gemessen am Bezugsrahmen „Funktionen — Strukturen — Arbeitsweisen" ist für eine verfassungspolitische Bewertung i n Kürze zu sagen: Der bürgerliche Rechtsstaat ist verwirklicht vor allem i n seinen Strukturen. Er bleibt hinter dem Anspruch, der i h n legitimiert, i n den Arbeitsweisen seiner Funktionsträger vielfach zurück. Er w i r d i n seinen Funktionen zunehmend unsicher i n einem nicht mehr liberalistisch „neutralen", die Gesellschaft nur gleichsam von außen sichernden und garantierenden, sondern interventionistischen Staat des von Parteiund Verbändeoligarchien geprägten Gemeinwesens der fortgeschrittenen westlichen Industriegesellschaften 114 . A u f der einen Seite war es verfassungsgeschichtlich die Funktion des liberalen Verfassungsstaats, eine der bürgerlichen Verkehrsgesellschaft dienliche technische Rationalität zu schaffen und die bürgerliche Wirtschaftsgesellschaft gegen die absolutistischen und merkantilistischen Praktiken abzuschirmen, die historisch ihr Aufkommen behinderten und verzögerten. Der Verfassungsstaat ist liberal, das heißt „unfühlbar" 1 1 * nicht, damit ihn irgend jemand nicht zu spüren bekommt, sondern zur Schonung der dominierenden Faktoren der bürgerlichen Gesellschaft; damit deren Dynamik wirtschaftlicher Entwicklung zum einen durch staatliches Handeln nicht beeinträchtigt und zum andern durch staatliches Handeln vor sonstigen Störungen, vor allem aus der Richtung der „Gesellschaft" und ihrer nicht dominierenden Faktoren, geschützt wird. Die kennzeichnende, aus dieser Doppelfunktion notwendig resultierende Formalität rechtsstaatlicher Garantien verursacht geschichtlich die be114 Hierzu F. Müller V I ; zum „Ende des liberalen Rechtsstaats" unter den genannten gesellschaf tlichen Bedingungen : Ciaessens / Klönne / Tschoepe, S. 16 ff.; zur historischen Entwicklung und Bedingtheit des Rechtsstaats eingehend: Denninger, S. 93 ff., 101 ff., 110 ff.; ausführlich zum Funktionswandel, nämlich „von der Emanzipation zur reinen Rechtfertigung des Bestehenden": Kühnl, S. 53 ff., 56 ff.; zum Selbstverständnis des liberalen Verfassungsstaats und zu den politischen Funktionen dieser Doktrin: ebd., S. 9 ff., 23 ff., 31 ff.

115

Schelling, S. 733.

24 Politische Funktionen des Rechtsstaats. Ziel der Methodik

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kannte Entwicklung, daß „Normen, die i m Sinne des liberalen' Rechtsstaates allen Reditsgenossen nur eine abstrakte gleiche Entfaltungschance einräumen, faktisch zum Klassenrecht und zum Klassenstaat" führen 1 1 6 . Die historisch und zugleich systematisch letzte Chance des liberalen Verfassungsstaats ist der rechtsstaatlich verfaßte soziale Verfassungsstaat. Soweit er noch nicht verwirklicht ist, bleibt der abstrakte Streit um seine begriffliche Vereinbarkeit m i t dem liberalen Rechtsstaat müßig. Soweit dieser Streit nicht abstrakt geführt wird, symbolisiert er politische Positionen. Die Meinung, nach der Rechtsund Sozialstaat auf Verfassungsebene nicht vereinbar seien, wünscht offenbar, der Sozialstaat möge nicht verwirklicht werden. W i r d aber der soziale Verfassungsstaat i n die „Unmöglichkeit" abgedrängt, so w i r d das i m Ergebnis nicht dem Überleben der liberalen, sondern allein dem der autoritären Variante nützen. Der normativ weithin u n gegliederte Sozialstaatsauftrag des Grundgesetzes steht geschichtlich i m Dienst der realen Freiheitlichkeit dieser Verfassungsordnung. A u f der andren Seite war es die Funktion des liberalen Rechtsstaats, durch seine den absolutistischen Staatsapparat zurückdrängenden Garantien politische Befreiung zu ermöglichen. I n der geschichtlichen A b folge einer anderen ,Dialektik der Aufklärung' beginnt diese Funktion, gerade wegen ihrer Formalität politisch befreiende Wirkung audi für die sozialen Schichten zu entfalten, die i h n für sich historisch nicht erkämpft hatten. Als Organisationsform dieser Chance innergesellschaftlichen Ausgleichs ist der Rechtsstaat geschichtlich unüberholt und aller Verteidigung wert, so sehr diese Entwicklung audi wiederum systembedingte Grenzen hat 1 1 7 . Legalität und Legitimität, das Ermöglichen von kalkulierbarem Betrieb und das Ermöglichen von tragendem Konsens durch rechtsstaatliche Formqualitäten, sind ineinander verschränkt; das heißt: sind praktisch aufeinander angewiesen und funktionell nicht gegeneinander ausspielbar. I n diese Versuchung darf auch nicht der systemtheoretische Ansatz führen, diese Formqualitäten auf „Reduktion von Komplexit ä t " 1 1 8 zu beschränken. Die Rechtsordnung reduziert i n der Tat Komplexität der realen Umwelt auf sinnvoll handhabbare und formal grundsätzlich durchschaubare Ausmaße. Aber sie t u t nicht nur das; oder: indem das geschieht, geschieht nicht allein das. Die realen Bedürfnisse nach Gerechtigkeit und Legitimität sind als politische Realität auch durch systemtheoretische Globaldeutung nicht aus der Welt zu schaffen; und sollen m i t ihr, solange diese Deutung nicht i n faktische Global"· Ryffel 117

118

Π, S. 573.

Dazu oben 12 und v. a. 13. So die Zentralthese in den Schriften Luhmanns.

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2 Einzelfragen

Steuerung übergeht, wohl auch nicht aus der Welt geschafft werden. I n jedem Fall kann Rationalität als Grundvorstellung auch des „Reduktions"-Konzepts mit der bloßen Formalität legaler bürokratischer Herrschaft, anders als Max Weber meinte, nicht schon ad acta genommen werden. Reduktionen von Komplexität sind nicht einfach auf dem Weg wissenschaftlicher Reflexion konstituierbar. Die Wissenschaft kann sie beschreiben und bewerten. Konstituiert werden sie vor allem durch politische Entscheidungen. Diese sind selbst dort von Interessen bestimmt, und zwar von den jeweils wirkungsmächtigsten, wo es wirklich — und nicht nur der rechtfertigenden Behauptung nach — u m Rationalität i m Sinn formaler und prozeduraler Transparenz, von politischem Offenlegen von Inhalten und Verantwortlichkeiten geht. Darin bestätigt sich die hier auch der Verfassungsgeschichte entnommene These von der Mehrdeutigkeit von „Rationalität" zwischen Betriebs- und Herrschaftsfunktionalität auf der einen sowie Konsensgrundlage auf der anderen Seite und von der praktischen Verbindung zwischen ihren Wirkungsvarianten. Ziel einer rationaleren, einer offeneren, rechtsstaatlicheren Rechtsmethodik ist also nicht höhere technokratische Durchschlagskraft, gesteigerte formale Effizienz, schneidigere Erledigung anstehender Fälle; ist also nicht das geräusch- und reibungslosere Funktionieren der normorientiert arbeitenden juristischen Funktionen. Nur i m einseitigen Sinn „effektiver", „funktionaler" ist ein Zustand, i n dem sich die Rechtspraxis m i t rechtsstaatswidrigen rhetorischen Manövern „die Hände frei hält"; i n dem die Regeln juristischer Methodik vorwiegend zur Technik sekundärer Rechtfertigung, nach außen gerichteter Darstellung von Entscheidungen herabgekommen sind, die auf anderem Weg gefällt wurden als auf dem Weg methodischer Bindung an geltendes Recht. Gegenüber einem solchen oder einem ähnlichen IstZustand ist der hier gemeinte Entwurf des rechtsstaatlich geforderten und den Rechtsstaat legitimierenden Soll-Zustands also insoweit gerade „dysfunktional", „effektivitäts"hemmend. Ziel einer offeneren, redlicheren Rechtsmethodik ist es, die K l u f t zwischen Wirklichkeit und Schein auf diesem begrenzten, aber wichtigen Sektor zu verkleinern, größere Chancen für gerechtere Entscheidung einer an geltenden Normen orientierten Praxis zu eröffnen und die politischen Verantwortlichkeiten für rechtlich formalisierte und vermittelte Entscheidung klarer zu machen. Erst eine Gesellschaftsordnung, die eine auf solche A r t arbeitsteilige und formalisierte Rechtsordnung nicht mehr bräuchte, wäre ein Gegenbild. Ziel dieser juristischen Methodik ist somit auch nicht eine technokratische Form dafür, „die" Sozialwissenschaften etwa i n Gestalt einer

24 Politische Funktionen des Rechtsstaats. Ziel der Methodik

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sich technisch definierenden Rechtssoziologie oder Rechtstatsachenforschung i n die Jurisprudenz einzubeziehen. Ziel ist, insgesamt für die Erhaltung legitimierender Kontinuität des rechtsstaatlich verfaßten freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaats und für seinen Ausbau zum sozialen Staat zu arbeiten; also für einen Staat m i t Grundrechten, Verfahrensgarantien, Offenheits- und Kontrollgeboten, m i t demokratischer Austragimg der Konflikte, m i t prinzipieller Begrenzung und Rechtskontrolle staatlicher Gewalt und m i t Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit als Staatszielnormen und Verfassungsgeboten bzw. -aufträgen. Daß es sich dabei u m historisch-politische Errungenschaften der Neuzeit handelt, die nicht nur verteidigenswert sind, sondern auch dringend der Verteidigung bedürfen, steht nach den geschichtlichen Erfahrungen eben dieser Neuzeit außer Frage. Die Wirkung rechtlicher Normativität hält gegenüber offener Gewalt und offenem Legalitätsbruch erfahrungsgemäß nicht stand. I m Rahmen aufrechterhaltener Legalität ist dagegen die Wirkung rechtsstaatlicher Formqualitäten und einer rationalen Methodik wiederum eine geschichtliche Erfahrung, die jede Anstrengung für einen wissenschaftlichen Ausbau und für methodisch korrekte Praxis der Verfassungsnormen dieses Politischen Systems sinnvoll macht.

3 Entwurf eines theoretischen Geeamtrahmene 31 Normetruklur Die hier vorausgesetzte Rechts(norm)theorie und Rechtsmethodik verstehen sich als „strukturierend". Normativität erscheint als m u l t i faktorieller Vorgang, „Normstruktur" dient als Stichwort für die Untersuchung des Verhältnisses von „Recht" und „Wirklichkeit" i n den alltäglichen Akten, welche die Rechtsordnung konstituieren; und i n der Begründung und Reflexion dieser A k t e durch Rechtsmethodik, Rechtsdogmatik und Rechtstheorie. Rechtsnormen werden als sachgeprägte Ordnungsmodelle verstanden, bei deren Verwirklichimg das Ordnende und das zu Ordnende einander unausweichlich ergänzen und prägen. Diese explizite Gegenposition zum formalistischen Gesetzespositivismus bezieht den Normbereich „ i n " die Rechtsnorm ein. Das heißt, als A r beitsanforderung an die Juristen formuliert, daß nicht nur die sprachlichen, sondern auch die sachlich-empirischen Elemente, die bei der Rechtsverwirklichung tatsächlich eine Rolle spielen, systematisch erfaßt und methodisch diszipliniert werden müssen. Ausgangspunkt dieser Konzeption war seit „Normstruktur und Normativität" (1966) das Vorhaben, nicht „Recht und Wirklichkeit" als akademisches Problem der Rechtsphilosophie fortzuspinnen, sondern von den tatsächlichen Konkretisierungsvorgängen ausgehend zu untersuchen, welche Faktoren diese Vorgänge i n welcher Weise prägen. Abgesehen von den vielfältigen Aufgaben und Wirkungen der Rechtswissenschaft ist j u r i stisches Handeln i n allen Funktionsbereichen stets normorientiertes Entscheiden. Die diese Entscheidungsprozesse bestimmenden Daten lassen sich nach Sprachdaten und Realdaten differenzieren; diese sind primär nicht-sprachlich konstituiert (Gegebenheiten der natürlichen und der sozialen Umwelt), werden „Gegenstand" von Recht und Rechtswissenschaft allerdings nur i n (sekundärer) sprachlicher Vermittlung; jene sind primär sprachlich begründet (sind also Interpretationshilfen für Normtexte und sonstige, ζ. B. dogmatische und theoretische Texte). Die Konzeption von Rechtsnormen, scheidungsvorgänge formuliert werden.

kann also einmal als allgemeines Strukturmodell zum andern als Strukturiertheit juristischer Entund schließlich als Arbeitsanforderung an Juristen Sie ist hier nicht näher darzustellen 119 .

" · Vgl. dazu F. Müller I durchgehend; I I , S. 9 ff.; V, S. 8 ff.; V I , S. 38 ff.; Juristische Methodik, ζ. B. 312, 313, 314, 322, 6, jeweils m. Nw.en. — Nachweise

3

etstruktur

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32 Textetruktur Recht ist notwendig an Sprache gebunden und i n einem System geschriebenen Rechts erscheinen Rechtsnormen als Normtexte, d. h. als amtlich autorisierte Wortlaute geltenden Rechts. Die Rechtsordnung bildet ein Kontinuum von Texten, die für anders nicht lösbare Konfliktsfälle sanktioniert sind durch „als solche" sprachlose Gewalt, die wiederum ihrerseits durch die zugehörigen Verfahren sprachlich vermittelt wird. Rechtsstaatliches Recht schließlich arbeitet möglichst wenig m i t aktueller und möglichst weitgehend m i t sprachlich geformter, vermittelter und kontrollierbarer konstitutioneller Gewalt 1 2 0 . Diese Form von Sprachlichkeit der Rechtsordnung entspricht dem Streben des bürgerlichen Verfassungsstaats der Neuzeit nach Rationalität. Diese ist funktionell zweideutig; sie ist doppelt wirksam, indem sie einmal Herrschaftsprozesse erleichtern hilft, zum andern die Voraussetzung für Konsens schafft. Das drückt sich i n einer doppelten Form von Sprachlichkeit der Rechtstexte aus: anordnende und rechtfertigende Texte. Redit ist (auch) Instrument von Herrschaft. Als rechtsstaatlich geformtes ist es zugleich Instrument der Begrenzung von Herrschaft. Insoweit Herrschaft inhaltlich und prozedural als Recht i n spezifischer Formalisierung auftritt, ist sie auch spezifischen Bedingungen, Brechungen, Kontrollen unterworfen. Die Formalisierung dieses Typus von Rechtsordnung erfolgt durch Sprache. Diese unterwirft die Herrschaftsvorgänge der Kommunikation, der Möglichkeit sprachlicher K r i tik, der Notwendigkeit sprachlicher Rechtfertigung. I m demokratischen Rechtsstaat nach dem Modell des Grundgesetzes sollen rechtsstaatliche Form und demokratische Politik i m Sinn eines „materiellen Rechtsstaats" zusammenkommen. Nicht dem formalistisch-autoritären Rechtsstaat m i t Zügen des Obrigkeitsstaats, wohl aber dem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat entsprechen zusätzliche (verfassungsrechtliche Sicherungen der Konsensfunktion seiner Rechtstexte: auf der Seite der anordnenden Texte Forderungen wie Tatbestandsbestimmtheit, Rückwirkungsverbote, rechtliches Gehör usw.; auf der Seite der rechtfertigenden Texte das Gebot der Methodenehrlichkeit (d. h. des Übereinstimmens von Finden und Begründen der Entscheidimg), die verschiedenen Begründungspflichten, Einzelinstitute wie das der Abweichenden Meinung bei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts usw.

zur Aufnahme und Fortentwicklung der Konzeption in Anmerkungen zu unten 3.5. 180 F. Müller V I , S. 18 ff., 29 f.

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3 Entwurf eines theoretischen Gesamtrahmens

Über solche Beispiele hinaus strukturiert sich insgesamt die Sprachform dieser Hechtsordnung nach (a) abstrakt anordnenden Texten (Wortlauten von Rechtsnormen) und die abstrakten Rechtsnormen rechtfertigenden Texten (amtlichen Begründungen von Gesetzen, „Motiven" der gesetzgebenden Gremien, Debatten und Verhandlungen, Ausschußberichten) sowie (b) nach konkret anordnenden Texten (Wortlauten von Entscheidungsnormen i n Rechtsprechung und Exekutive) und diese rechtfertigenden Texten (Entscheidungsgründen i n Exekutive und Judikative). Z u den rechtfertigenden Verlautbarungen i. S. von (a) und (b) gehören auch die Formeln, durch welche jeweils die Einhaltung der vorgeschriebenen (Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Prozeß-)Verfahren versichert wird. I m ganzen handelt es sich u m ein diesen Typus von Rechtsordnimg kennzeichnendes einheitliches Strukturprinzip, das aus der Verfassungsgebundenheit der Gesetzgebung, aus der Rechts- und Verfassungsgebundenheit aller sonstigen Staatstätigkeit und allgemein aus der Rechtsbestimmtheit staatlichen Verhaltens folgt. Für einzelne Funktionen, einzelne Verfahren, einzelne Entscheidungsarten ist dieser Grundsatz dann positivrechtlich verschieden ausgeprägt. Solche Unterschiede erklären sich hinsichtlich der normativen Bindungs- und Begründungspflichten und damit auch für die methodische Stringenz und Offenlegung aus der Verschiedenheit der Funktionen selbst. Nach dem, was hier (s. o. Kapitel 22) über die Sonderstellung und die besondere Legitimationswirkung der Justiz gesagt worden ist, w i r d verständlich, warum die richterlichen Begründungspflichten i m positiven Recht am sorgfältigsten ausgeformt sind. Legislatorische Begründungspflichten ergeben sich aus Geschäftsordnungsrecht; verfassungsrechtlich normiert sind dagegen i m Dienst der Konsenschance die Verfahren der Ausfertigung und Verkündung. Die Begründungspflicht für Akte der vollziehenden Gewalt w i r d überwiegend als Voraussetzung dafür gesehen, etwaige rechtliche Gegenwehr der Betroffenen möglich zu machen, also aus primär rechtsstaatlichen Gründen. Versteht man Demokratie als ein inhaltliches Prinzip, das sich nicht i n formalisierten Verfahren erschöpft, sondern das allgemein den realen Konsens von Beteiligten und Betroffenen anzielt, dann stehen die genannten Begründungspflichten insgesamt nicht nur i n rechtsstaatlichen, sondern auch i n demokratischen Zusammenhängen 121 . 121 Vgl. für die Legislative Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG; zu Rechtsverordnungen: ebd., Satz 2 sowie das Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen vom 30.1.1950 (BGBl. S. 23); aus der Literatur zur Gesetzes verkündung: Noll, S. 195 ff.; Krüger, S. 86 f.; Mayer-Maly, S. 58 ff.; Heydt; zu

3

etstruktur

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Parlamentsgesetze als die von demokratisch bestellten Instanzen gesetzten Normen haben sich mehrfach zu legitimieren: (a) durch ihren Inhalt i. S. der Richtigkeit, der Gerechtigkeit, der sachlichen Angemessenheit und entsprechend durch allgemeine oder überwiegende Konsensfähigkeit auf Seiten der Betroffenen; (b) durch ihren Inhalt auch i. S. sachlicher Effektivität, die hier nicht technisch verstanden wird, sondern als Verhältnismäßigkeit der M i t t e l bei gleichzeitiger Erforderlichkeit und Geeignetheit der gewählten Maßnahmen; ferner durch (c) ihre rechtsstaatlichen Formqualitäten (Normklarheit, Tatbestandsbestimmtheit, Vermeidung mißverständlicher oder mehrdeutiger Normtexte, richtige systematische Einordnung, klare Abgrenzung der Adressaten, Vermeidung von Normwidersprüchen, keine rückwirkende Belastung usw.) und (d) schließlich durch ein korrekt durchgeführtes und offen dokumentiertes Normsetzungsverfahren. Die Geltungsfähigkeit der Normen beruht wesentlich auf Anerkennimg i n dem Sinn, daß i h r gewaltsames Durchsetzen jedenfalls die Ausnahme bleiben und daß der überwiegende Fall i n einer V e r w i r k lichung der Norm durch verschiedene Arten von Akzeptieren bestehen muß. Dieses Akzeptieren möglich und wahrscheinlich zu machen, ist Aufgabe besonderer Texte. Die Normtexte selbst können den Anforderungen zu (c) entsprechen, die ihnen routinemäßig beigefügten Formeln können die Korrektheit des Entstehungsverfahrens i. S. von (d) belegen. Die institutionelle Entfremdung von Normsetzern und Normadressaten, Ausfertigungs- und Verkündungsformeln: Wild, S. 45 ff.; für Landesgesetze: ebd., S. 83 ff. — Rechtsgrundlagen für schriftliche Begründungspflichten bzw. für schriftliche Fixierung mündlicher Begründungen i m Entstehungsprozeß von Gesetzen und Rechtsverordnungen sind z.B. § 37 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 a Satz 1, Abs. 3 Satz 1, § 39 Abs. 1 Satz 1 und § 43 Abs. 1 Satz 1 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, Besonderer Teil (GGO I I ) vom 1.8.1958 (Gesetzesvorlagen der Bundesregierung); § 97 Abs. 1 GOBT, vgl. auch § 81 Abs. 1 GOBT (Gesetzentwürfe aus der Mitte des Bundestags); ferner §§ 74 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 GOBT, § 25 Abs. 2 Satz 2 GOBR (Ausschußberichte über Gesetzentwürfe in Bundestag und Bundesrat); § 61 GGO I I (Begründung von Rechtsverordnungen für die Vorlage beim Kabinett) und schließlich zur Protokollierung der Beratungen von Plenum und Ausschüssen in Bundestag und Bundesrat: §§ 73 a, 117 Abs. 1, 121 GOBT und §§ 34, 44 GOBR. — Z u den Begründungspflichten der Exekutive vgl. aus der Rechtsprechung etwa BVerfGE 6, S. 32, 44 und f.; BVerwGE 22, S. 215, 217 und 1 ; BVerwGE 38, S. 191,194. — Für die Judikative gibt es eine große Zahl von Normen zur Begründungspflicht; z.B. von Urteilen: § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO; § 267 StPO; § 117 Abs. 2 Nr. 5 V w G O ; § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG; § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO; § 60 Abs. 4 Satz 1 ArbGG; für die Verfassungsgerichtsbarkeit: § 30 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG (für Urteile und Beschlüsse); für Beschlüsse i m Straf-, Verwaltungs-, Sozial- und Finanzstreitverfahren vgl. §§ 34 StPO, 122 Abs. 2 Satz 1, 122 Abs. 2 Satz 2 VwGO, 142 Abs. 2 SGG und 113 Abs. 2 Satz 1 sowie Satz 2 FGO. 7 Müller

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3 Entwurf eines theoretischen Gesamtrahmens

die den bürgerlichen Parlamentarismus kennzeichnet und belastet, w i r d durch beides nicht beseitigt. Der wesentliche Punkt der Legitimationsfähigkeit abstrakter Normen und der realen Aussicht ihrer U m setzung i n konsensfähige Entscheidungsnormen durch korrekte rechtsstaatliche Methodik liegt i n ihrem Inhalt. A u f diesen weist der Normtext als anordnender Text mehr oder weniger zuverlässig hin. Eine größere Chance, die Konsensfähigkeit des Norminhalts den Adressaten plausibel zu machen, haben die beigefügten rechtfertigenden Texte (Berichte, Debatten, amtliche Begründung). Dasselbe gilt für das Verhältnis von anordnendem und rechtfertigendem Text bei Entscheidungsnormen (Tenor, Entscheidungsformel auf der einen, schriftliche und/oder mündliche Begründung auf der andren Seite). Die verschiedene Funktion dieser beiden Textgruppen täuscht nicht darüber hinweg, daß die Struktur analog ist. Ob Anordnung oder Konsensangebot — i n keinem Fall handelt es sich u m Vorgänge zwischen gleich und gleich i n der „Freiheit" des „Naturzustands", sondern u m staatliches Agieren und u m die durch eben diesen Staat überwiegend bereits gebundene Reaktion der Betroffenen. Teils w i r d der Konsens durch Normen und/oder Umstände nahegelegt, teils — so bei rechtskräftigen Entscheidungen — geradezu angeordnet. Als die dann wesentlich tragenden Legitimitätsfaktoren treten wieder die der rechtsstaatlich korrekten Form hervor. Überhaupt ist es kein Zufall, daß i n dieser Untersuchung der politischen Voraussetzungen und des politischen Stellenwerts juristischer Arbeitsweisen das Politische System so überwiegend als „Rechtsstaat" auftritt. Das liegt daran, daß dieser Faktor positivrechtlich i n der Tat der beherrschende ist: Er bestimmt durchweg den Komplex „Bundesstaat", formalisiert ausnahmslos dieses System von „Demokratie" und begrenzt normativ die Zielbestimmung „Sozialstaat".

33 Geltungsetruktur Nach herrschender Auffassung gewährleistet der Rechtsstaat den „Primat des Rechts" und dessen „Unverbrüchlichkeit" und weist dem Recht den „Vorrang vor allen anderen Maßstäben zu. Es bindet auch dann, wenn dies einmal unbequem wird, wenn Notwendigkeit oder Nützlichkeit i n Gestalt von ,staatspolitischen' Gründen, überwiegenden staatlichen Interessen 4 o. ä. Abweichungen von der Legalität zu fordern scheinen. Nur dann kann der Rechtsstaat seine legitimierende und stabilisierende Wirkung entfalten, wenn das Recht auch gegenüber Widerständen behauptet w i r d " 1 2 2 . Das ist gültig formuliert für den An1U Hesse I, S. 791; ebd., S. 80 f. zur „Unparteilichkeit des Rechts", die durch feste Rechtsbindung „bis zu einem gewissen Grade" gesichert werde;

33 Geltungsstruktur

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Spruch des Rechtsstaats auf Legitimität Es ist aber mißverständlich für seine (mehrdeutige) „stabilisierende" Funktion und unvollständig zur Beschreibung des Komplexes „Rechtsstaat" i n einem realen Politischen System. Für beides weist schon das oben i m Text (Kapitel 13) zur Realitätsgrundlage der juristischen Methodik Gesagte i n eine andere Richtimg: Das Verwirklichen von Normen ist systematischen Hindernissen Schicht- und funktionsspezifischer A r t konfrontiert; neben der Sanktion für Normbrüche hat auch das Nicht-Sanktionierenmüssen unentdeckt bleibender Normbrüche geradezu unersetzliche Stabilisierungswirkung; und schließlich enthält die rechtsstaatliche Ordnung eine verstreute und i n sich nicht homogene Menge von Normen, die als „ p r i märe" oder „sekundäre" normative Implikationen eine Lockerung fester Rechtsbindung und eine Parteilichkeit der Rechtsverwirklichung teils ermöglichen können, teils sogar es sollen — gegen den Rigorismus der Unverbrüchlichkeit des Redits und des Legalitätsprinzips, auf die sich der Rechtsstaat nach dem Gesetz beruft, nach dem er angetreten ist (dazu oben die Abschnitte 124.14 und 124.15). Wohlgemerkt: Nicht die Normbrüche selbst stabilisieren das Politische System, auch nicht die i m Dunkelfeld begangenen; w o h l aber die Tatsache, daß sie i m Dunkelfeld verbleiben, obwohl sie begangen wurden. Nun ist das Dunkelfeld, um noch einen Moment bei Strafrecht und Kriminologie zu bleiben, sowohl zeitlich als audi vor allem nach Deliktsgruppen eine sehr stark schwankende Größe. Wenn das oben Gesagte diskutabel ist, dann muß es gleichsam systematisch gesicherte Möglichkeiten der Rechtsordnung geben, Dunkelfelder notfalls auch zu steuern bzw. sogar zu erzeugen. Nach der bisherigen Untersuchung soll bzw. kann das die Funktion der Normen sein, die i d i als primäre und sekundäre normative Implikationen bezeichnet habe. Die für sie gegebenen Beispiele sind aber noch sehr unvollständig; und zudem scheint diese Fragestellung auf eine möglicherweise verallgemeinerungsfähige Struktur entwickelter Rechtsordnungen hinzulenken. Das gemeinte Problem kann sprachlich als das der „Geltungsstruktur" abgekürzt werden. Ich w i l l es nur kurz skizzieren 128 . Die Rechtsordnung beansprucht Geltung, i m Rechtsstaat nach dem Modell des Grundgesetzes unbedingte und gleichheitliche Geltung. A l l e Fälle, die von Normen dieser Rechtsordnung „erfaßt" werden — sowie zur „unparteiische(n) Ausübung staatlicher Gewalt", die der Rechtsstaat in diesem Maß bewirke. 123 Diese grundsätzliche Frage der Nichtgeltung bzw. einer Typologie und Systematik von Geltungshemmungen als ein Problem der politischen Rechtstheorie wird, soweit ich sehe, von den bisherigen Untersuchungen zur „Geltung von Rechtsnormen" nicht zum Thema gemacht; vgl. v. a. Schreiber; ferner z. B. Wissmann, jeweils m. Nw.en. i*

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3 Entwurf eines theoretischen Gesamtrahmens

genauer: für die den Rechtsnormen methodisch korrekt zurechenbare Entscheidungsnormen gebildet werden können — sind nach diesem Anspruch nur nach den Kriterien dieses geltenden Rechts, also normspezifisch zu bearbeiten. Innerhalb der Rechtsordnung gibt es aber eine sehr kleine Menge von Normen — normative Implikationen i m oben entwickelten Sinn —, die die Möglichkeit bieten, die sehr große Restmenge von positiven Vorschriften je nach Bedarf und Fall überhaupt nicht oder nicht i n vollem Umfang oder nicht folgerichtig-rigoros oder nicht gleichheitlich anwenden zu müssen — was „an sich" die allein rechtsstaatliche A r t der Anwendung wäre. Diese Normen machen es möglich, die anderen Normen auf die genannten Arten nicht (voll) normspezifisch bearbeiten und wirken lassen, sie nicht realisieren zu müssen. Normative Implikationen wirken als Institute der Geltungshemmung. Soweit sie reichen und i m Einzelfall (oder i n typischen Fallgruppen) realisiert werden, öffnen sie eine breite Schleuse für dann u m so unvermittelter „einschlägige" schichtspezifische und funktionsspezifische Entscheidungsdaten; daß die funktionsspezifischen ihrerseits schichtabhängig sind, ist bekannt. Die Chance, bei gleichen abstrakten Rechtsnormen diesen entsprechende gleichheitliche Entscheidimgsnormen zu erhalten, ist Schicht- und funktionsspezifisch verschieden groß; Inhaber politischer oder rechtlicher Leitungspositionen (Funktionäre des Politischen bzw. des Rechtssystems) und gesellschaftlicher Privilegienpositionen haben eine signifikant höhere faktische Aussicht auf ihnen günstige Entscheidungen als Betroffene ohne diese Qualifikation. Das liegt nach dem i n den früheren Abschnitten Gesagten nicht nur an „sekundären", sondern auch an „primären" normativen Implikationen; und es liegt nicht so sehr daran, daß — i n Einzelfällen — rechtswidrig entschieden würde; sondern, systematisch gesehen, weit mehr an den Spielräumen, die geltungshemmende Grundsatz« oder Verfahrensnormen bezüglich der Realisierung der i n Frage stehenden fallentscheidenden Normen rechtmäßigerweise (politisch: „systemkonform") offenlassen. Die reale Unverbrüchlichkeit auch der rechtsstaatlichen Ordnung steht unter generalisierbaren Vorbehalten; einige von ihnen sind, neben den schon genannten der — schichtspezifischen Brechung, der — funktionsspezifischen Brechung und — der Geltungseinschränkung durch ein ungleiches wissenschaftspraktisches Ethos der Rechtsarbeiter, vor allem — der Vorbehalt der Vereinbarkeit mit der allgemeinen Sozialstruktur (Markt oder Oligopol, Struktur der Massenmedien, plebiszitäre Möglichkeiten oder „closed shop" des Parteien- und Verbände„staates" usw.),

33 Geltungsstruktur

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— der Vorbehalt der Finanzierbarkeit durch die öffentliche Hand (besonders typisch für sozialstaatliche Normen, aber auf diese nicht beschränkt), — der Vorbehalt der Staatsraison (nicht zuletzt i m Blick auf Außenund Bündnispolitik, sonst vor allem auf Parteipolitik usw.) und eine A r t von generellem, zumindest aber sektoralem —

„Geheimdienstvorbehalt"

1U

.

Das hier Gesagte bezeichnet ein Kontinuum aus Geltung und Nichtgeltung, also eine formale Gesamtstruktur, die vielleicht als Arbeitshypothese für die hochdifferenzierten Rechtsordnungen der entwickelten Industriegesellschaften brauchbar ist. Über die inhaltliche Qualität dessen, was i m jeweiligen Politischen System — systemkonform — gilt bzw. nicht gilt bzw. von typischen Hemmungsfaktoren erfaßt w i r d oder es doch werden kann, ist damit noch nichts gesagt. Die inhaltliche Qualität des einen und des anderen hängt von der inhaltlichen Qualität des Politischen Systems ab. Während für die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland systemkonforme „Dunkelfelder" wie zum Beispiel Anlageschwindel, Steuerflucht, white-collar-Delikte, allgemeine Wirtschaftskriminalität, Subventionsbetrug u. ä. kennzeichnend sind, sind es sicherlich nicht Verbrechen gegen die Menschlichkeit; diese wiederum machten einen Hauptteil, wenn nicht das Zentrum des Feldes „Nichtgeltung" unter der nationalsozialistischen Diktatur aus. I n D i k taturen verschieben sich ferner entscheidend die subjektiven Komponenten der Täter: Sind es dort etwa halbprominente Subventionsritter oder prominente Milliardäre, die auf eigene Faust und durchaus i m Bewußtsein, „eigentlich" illegal zu handeln und zur Rechenschaft gezogen werden zu können, ihr Schäfchen letztlich unbehelligt ins Trockene bringen, so waren es hier typischerweise nicht individuelle, sondern rollenhafte Verbrechen: verfassungskausal verursachtes verbrecheri124 Vgl. hierzu als besonders bekanntes Beispiel die Abhör-Entscheidung BVerfGE 30, S. i f f . und die ihr zugrundeliegende Verfassungsänderung (Art. 10 Abs. 2 GG) und Gesetzgebung — Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vom 13.8.1968 (BGBl. I S. 949) — sowie das Einschränken der Garantien des zentralen Prozeßgrundrechts in Art. 19 Abs. 4 Sätze 1 und 2 durch Hinzufügen des Satzes 3 (Ges. vom 24. 6. 1968 — BGBl. I S. 709). — Zur allgemeinen Problematik vgl. etwa Evers; Schwagerl / Walther; die Beiträge zum Band Verfassungsschutz sowie jüngst Podlech I I I . — Ein beliebtes Instrument, Geheimdienst- und StaatsraisonVorbehalt effektiv zu kombinieren — vor allem zu Lasten der Geltung von politischem und allgemeinem Strafrecht — ist das Begnadigungsrecht; zu diesem al lg. BVerfGE 25, S. 352 ff.; vgl. ferner die politische Funktion von (v. a. selektiven) Amnestien. — Dagegen zählt zu den generell ansetzenden primären normativen Implikationen die inhaltliche Ungleichbewertung desselben (u.U. sogar höchstrangigen) „Rechtsguts": vgl. die strafrechtliche Ungleichbehandlung von Körperverletzung und Tötung innerhalb und außerhalb des Straßenverkehrs usw.

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sches Rollenhandeln, i n seinem „Einsatz" zu Zielen eines umfassenden politischen Wandels totalitär eingeplant; also nicht Delikte, erklärbar aus „einem fiktiven individuellen Tatwillen ideologisch gesteuerter Akteure", sondern „arbeitsteilige herrschaftliche Rollenverbrechen" m i t entscheidend politischer (nicht i. e. S. sozialer) Verursachimg 125 . Folgerichtig sind diktatorische Verbrechen nur dadurch zu verhindern, daß Demokratien errichtet und stabilisiert werden. Nach der hier formulierten Hypothese zur allgemeinen Geltungsstruktur entwickelter Rechtsordnungen ist auch i n Demokratien dann nicht etwa die Geltung der als „verbindlich" normierten Regeln allgemein und gleichheitlich vom System gemeint und „gewollt"; aber es verschiebt sich entscheidend die Qualität der systemkonform geduldeten Delikte. Das heißt einmal: Es vermindert sich ihr Schweregrad, am Maßstab der Humanität und der Menschenrechte gemessen; und es ändert sich zum andern die Bedingung und Art ihrer Realisierung von geplantem, politisch gezieltem „Einsatz" zum — sei es resignierenden, sei es augenzwinkernden, sei es schichtsolidarische „Haltung" bewahrenden — Gewährenlassen. Diese nicht nur graduelle, sondern qualitative Überlegenheit der Legitimität demokratischer gegenüber diktatorischen Staaten darf nicht zu dem Trugschluß verleiten, der hier als analytische Hypothese gefaßte Sachverhalt sei i m demokratischen Rechtsstaat als „wertneut r a l " aufzufassen. Der Legitimitäts-Pegel liegt i n diesem Modell auf kennzeichnende — und legitimierende! — A r t generell höher. Ein Verfassungsstaat, der sich gerade durch Rechtsqualität und Rechtmäßigkeit seines Handelns rechtfertigt, ist an seinem eigenen Anspruch zu messen: also am Ausmaß und der Gleichheitlichkeit der Realisierung der von i h m als „verbindlich geltend" geschaffenen und vertretenen Normen. Das jeweilige „systemkonforme Dunkelfeld" mindert die Legitimität. Die i n seinen Bereich fallenden Normbrüche werden nicht dadurch „weniger rechtswidrig", nicht rechtsneutral oder gar rechtmäßig, daß sie das Politische System kennzeichnen.

34 Anknüpfungepunkte Trotz der zuletzt gemachten Bemerkung w i r d diese Untersuchung nicht zur politischen Morallehre, bleibt sie eine analytische Beschreibung. Die Rechtsordnung ist nur m i t der skizzierten Gesamtstruktur 125 Dazu grundlegend: Uthoff, durchgehend; zusammenfassende Formulierungen ebd., S. 286 ff. Zur „sozialtechnisch zweckrationalen" Verhinderung diktatorischer Verbrechen ebd., S. 275 ff., 287, 291. — Allgemeiner zu den zeit-, gesellschafts- und staatstypischen Verbrechen vor dem Hintergrund der für ein politisches System kennzeichnenden politischen Kriminalität: Maihof er, v. a. S. 365 f.

34 Anknüpfungspunkte

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aus Geltung auf der einen, latenter und aktueller Geltungshemmung auf der anderen Seite stabilisierend für das Politische System i m ganzen. Sozialwissenschaftlicher Befund und (verfassungsrechtlicher Legitimitätsanspruch sind zum Teil nicht deckungsgleich. N u r ist dieser Befund klar auszusprechen, offen zu diskutieren, genauer zu erforschen und i n Richtung auf möglichst geringe Sozialschädlichkeit zu verändern. So einfach, wie sich die Rechtswelt i n den Lehrbüchern, Kommentaren und Judikaten der Juristen zu spiegeln scheint, ist sie nicht. Dort w i r d stets der Eindruck erweckt, Norm sei gleich Norm, Geltung gleich Geltung; alles komme nur auf die dogmatisch (und rhetorisch) überzeugende sprachliche Aufbereitung „der Norm" an und die Rechtsordnung habe wieder einmal funktioniert. So zögernd die Rechtspraxis zur Reflexion der von ihr unreflektiert seit jeher verarbeiteten Realdaten der Entscheidungsvorgänge, also der Normbereiche, übergeht, so unbewußt scheinen i h r die Faktoren noch geblieben zu sein, von denen die Realisierung der dogmatisch und forensisch hinreichend traktierten Normen gehemmt werden kann. Die Normen treten formal mit dem Anspruch auf, verwirklicht zu werden. Die Untersuchung hat vielleicht plausibel machen können, daß ihre tatsächliche inhaltliche Verwirklichung nicht selbstverständlich ist. Vielmehr können sowohl die Geltung fördernde als auch sie hemmende Faktoren i m Sinn einer verallgemeinerten Geltungsstruktur formalisiert werden. Soweit eine Norm dann real überhaupt „ g i l t " , also verwirklicht wird, folgt dieses ihr Gelten einem strukturierten sprachlichen Vorgang. Soweit eine Norm gemäß dieser — rechtlich normierten — Textstruktur als anordnender Text verarbeitet und m i t (sdion bestehenden sowie i m Entscheidungsvorgang noch erst hervorzubringenden) rechtfertigenden Texten angereichert wird, zeigt sich praktisch, daß über diese Sprachdaten hinaus der an der Norm orientierte Prozeß der Fallentscheidung (in aller Regel) audi Realdaten enthält. Es zeigt sich also die Normstruktur: Die Normativität einer abstrakten und generellen Rechtsregel, bei der Lösung eines Falles zur konkreten und individuellen Entscheidungsnorm fortentwickelt, geht i n Text und Textbearbeitung nicht auf. Was i n diesem Kapitel 3 als theoretischer Gesamtrahmen versuchsweise formuliert worden ist, bet r i f f t also m i t wechselnder Akzentuierung verschiedene Seiten desselben Ganzen, das hier durch die Verknüpfung „Juristische Methodik und Politisches System" zum Thema gemacht wurde. Die von der Normstruktur für Rechtstheorie, -methodik, -dogmatik und Verfassungslehre bisher ausgehenden Forschungsansätze sind nicht nur thematisch unvollständig, sondern auch empirisch noch unvollkommen. Sie sind vor allem i n Richtung auf methodisch kontrolliertes Einbeziehen empirischer Daten (und damit auch: sozialwissen-

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schaftlicher Methoden) ausbaufähig, also i m Sinn der Normbereichsanalyse. A n den Ansatz zur Textstruktur können, soweit er sich als tragfähig erweisen sollte, alle Fragestellungen anknüpfen, die sich auf Theorie und Konkretisierung der Rechtssprache beziehen, auf Rechtsinformatik, auf Begründungs- und Bestimmtheitsgebote rechtsstaatlicher Herkunft, auf Anforderungen an die Sprachgestalt von Gewohnheitsrecht und Richterrecht, auf den Zusammenhang zwischen förmlichen und informellen Kontrollinstanzen vom hierarchischen Behörden- und Gerichtsaufbau bis zum Effekt „öffentlicher" Meinung auf die Rechtspolitik, auf Beteiligungs- und Anhörungsprozeduren i n Gesetzgebungs- und Verwaltungsverfahren i m Dienst der Möglichkeit von Sach- und Sprachkongruenz bei der Normerzeugung, schließlich auf zahlreiche Einzelfragen der Interpretation (also der methodischen Behandlung der j u r i stischen Sprachdaten). Für die Verfassungslehre gehört audi dieser Ansatz zur Diskussion der geschichtlich und aktuell mehrdeutigen Rationalität des neuzeitlichen Staates kontinentaler Prägung; er steht i n enger Verbindung m i t der Untersuchung der Herrschaftssprache, d. h. der Rolle von Sprachdaten i n Herrschaftsprozessen. M i t dem Gedanken einer die Rechtsordnung als Kontinuum prägenden Geltungsstruktur schließlich können gleichfalls recht vielfältige Ansätze der Verfassungslehre und der politischen Rechtstheorie arbeiten; einige von ihnen wurden hier kurz erörtert. Es wäre ein Mißverständnis, anzunehmen, diese Themen beträfen nur die „politische", nicht dagegen die „juristische" (i. S. von rechtsdogmatische, methodologische) Seite. Die Untersuchung sollte deutlich gemacht haben, daß beide „Seiten" nicht nur irgendwie oder letztlich zusammengehören; sondern daß die Erforschung des Politischen Systems und die seiner Rechtsordnung schon vor ihrer begrifflichen Verbindung, vor jedem wissenschaftlichen „Brückenschlag" kraft Faktizität ineinander verknotet sind. Fragen wie die hier verfolgten nach Methoden, Strukturen und Funktionen, von denen die Arbeit am Recht geprägt wird, zielen darauf, die Realität der politischen Rechtsordnung zu begreifen.

35 Offene Fragen — Vorschläge für weitere Forschung Der Vorschlag einer strukturierenden Normtheorie und Rechtsmethodik ist von m i r (in einer Reihe von Arbeiten seit „Normstruktur und Normativität") wie von anderen schon vielfach kritisch erprobt, ausgebaut und präzisiert worden 1 2 6 . 121 Vgl. dazu die Nachweise bei F. Müller, 313,21, 313.3, 322.1.

Juristische Methodik, 313.1,

35 Offene Fragen — Vorschläge für weitere Forschung

105

Die hier gemachten Vorschläge einer strukturierenden „Texttheorie" des bürgerlichen Hechtsstaats und einer sektoral differenzierten Geltungstheorie der Rechtsordnung sind dagegen nodi i m einzelnen auf ihre Tragfähigkeit zu untersuchen. Teils i n Zusammenhang m i t dieser rechts- und sozialwissenschaftlichen Aufgabe, teils von ihr unabhängig bleibt i m Umkreis des Themas „Juristische Methodik und Politisches System" noch vieles näher zu prüfen; so etwa 351 zur Auffassung der Rechtsordnung als einem strukturierten Ganzen von anordnenden und rechtfertigenden Texten: (a) das Verhältnis der juristischen Methodik zu den verschiedenen Auffassungen von „Bindung" der Legislative an die Verfassung, der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt (wie übrigens aller Normadressaten) an Verfassungs- und Rechtsordnung; (b) die an bestimmten Gesetzesvorhaben und Gesetzen i m „Längsschnitt" zu untersuchenden Typen der politischen Funktion normativer „Inhalte" und (c) allgemein die gesellschaftliche Bedeutung der Positivität entwickelter Rechtsordnungen und der bürgerlich-rechtsstaatlichen Gesetzesform; 352 Politisches System und einzelne Konkretisierungselemente: Wie w i r k t sich zum Beispiel die Realität der Normentstehung i m Parlamentarismus des heutigen Verbände- und Parteienstaates auf die Brauchbarkeit des genetischen Elements, also der Gesichtspunkte aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift aus? 353 Methodenfragen und die politische Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit; so etwa: (a) Methodenehrlichkeit bzw. Methodenfehler i n bezug auf verschiedene Typen politischer Situation (parallel zu den oben entwickelten Entscheidungstypen Dezision, Implikation, Explikation); (b) Operieren m i t nicht oder kaum rationalisierbaren Formeln zwecks Abschneiden von K r i t i k und Kontrolle und methodische Gegenmittel zu solchen Operationen 1 2 7 ; (c) methodologisches und politisches Einschätzen verfassungsgerichtlicher Tenorierungspraxis und Selbstaussagen zur Bindungswirkung der eigenen Judikate 1 2 8 ; (d) rechtsstaatliche und u. U. politische Folgen aus der Tendenz des § 93 a BVerfGG, das Gericht von einläßlicher methodischer Begründung ablehnender Bescheide zu entpflichten, und aus der i h m entsprechenden Praxis der Dreierausschüsse 12e; (e) die politische Bedeutung des Instituts der Abweichenden Meinung und etwaiger sonstiger (rechtlicher und/oder poli117 Vgl. dazu, audi in Richtung auf strukturierende Methodik und auf Normbereichsanalysen, Goerlich; neuerdings vor allem Schlink I I I . 128 Zur Tenorierung: Zippelius und vor allem die differenzierten Bemerkungen bei Podledi I I ; zur Bindungswirkung eingehend Hoffmann-Riem; zur versuchten Aufwertung der Gründe z.B. die massive Position des U r teils zum Grundlagenvertrag, BVerfGE 36, S. 1 ff., 36. 12 · Dazu F. Müller I I I , S. 77 ff., 79 ff.

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tischer) Intraorgankontrollen des Bundesverfassungsgerichts vor dem Hintergrund der Problematik der Richterwahl; (f) das Verhältnis des Gerichts zur Gesetzgebung: Funktionsrespekt oder Funktionsübergriffe m i t Folgen wie Politisierung und Polarisierung der Senate, der Einzelentscheidungen und schließlich nicht nur der Ergebnisinhalte, sondern vor allem auch der Entscheidungs- bzw. Begründungsmethoden, abzulesen an einer sich zum Teil heillos verbreiternden methodologischen Diskrepanz zwischen Mehrheits- und Minderheitsvoten (z. B. i m AbhörUrteil, i m Urteil zur Fristenlösung und öfter); schließlich (g) Einzelthemen wie z.B. Methoden der Verfassungsinterpretation i m Schnittpunkt von Verfassungs- und (außenpolitisch bestimmtem) Vertragsrecht 1 3 0 . 354 Weitere genauer als bisher zu klärende Fragen sind die politischen Voraussetzungen bzw. Bedingungen der Bildung (und das heißt vor allem: der Anerkennung — in welchen Situationen?, durch wen?) von Gewohnheitsrecht und die mögliche historische Umkehr dieser Bedingungen von Anerkennung durch die Betroffenen zur Anerkennung durch beamtete Funktionäre der Rechtsordnung m i t Wirkung für nicht gefragte Betroffene; i n Zusammenhang damit neben dem Untersuchen des Verhältnisses von „Richterrecht und Verfassung" 1 8 1 die politischen Implikationen der verschiedenen historischen und der heute vertretenen Stellungnahmen zum Richterrecht und dessen eigene, von den diversen Standpunkten verschieden eingeschätzte politische Rolle; 355 die auch politische Verortung von Norm- bzw. Verfassungswandel (Änderung normativer Bestimmungswirkung ohne formalisiertes Verändern des Normtextes) 1 3 2 ; 356 allgemein die auch politischen Inhalte der heutigen Positivismusdebatte auf der einen Seite, auf der anderen die des Fortwirkens positivistischer Denkmuster, Absicherungstechniken, Rechtfertigungsformeln i n der juristischen Alltagspraxis einschließlich Lehre und Ausbildung — soweit (neben Judikatsanalysen und teilnehmender Beobachtung) hierbei juristisches Schrifttum zu untersuchen ist, handelt es sich vorwiegend u m die sog. Praktikerliteratur i m weiten Sinn (Kommentare für Praktiker, Repetitorien, Fall- und Examensanleitungen u. ä.); 357 genauere Beispiele und Ausarbeitungen zur Normbereichsanalyse, einschließlich der i n diesem Rahmen zu leistenden Unterschei180 Vgl. etwa das Konkordats-Urteil, BVerfGE 6, S. 309 ff. und oben im Text seine Behandlung unter dem Aspekt der Dezision; ferner das Urteil über den Grundlagenvertrag, BVerfGE 36, S. 1 ff.; aus der Literatur: Schuppert I, II. 181 Dazu jetzt: Ipsen. 182 Dazu in Richtung auf eine Verfassungstheorie, die sich der hier entwickelten Theorie der Rechtsnorm bedient, v. a. Fiedler, Hesse I I .

35 Offene Fragen — Vorschläge für weitere Forschung

107

dung sozialwissenschaftlich ermittelter und normorientiert vermittelter Realdaten der Normkonkretisierung von normgelösten (rechts)politischen Wünschen oder Interessen 1 ** ; 358 Untersuchungen zur alltäglichen Rechtsarbeit: Das heißt, es sollte nicht nur wie bisher überwiegend „von außen" über „die" Rolle „der" Juristen i m Politischen System räsonniert und Justiz- sowie Bürokratieforschung nur unter soziologischen Aspekten betrieben werden. Vielmehr ist die Rechtsarbeit gleichzeitig und gleichrangig nach internen Bedingungen und Techniken zu befragen und sind dann von hier aus weitere Teilantworten auf die recht verschiedenen Rollen von Juristen i n den zahlreichen formalisierten bzw. informellen Entscheidungsvorgängen (repressiv-reaktiver, präventiver, präskriptiver und prognostischer Art) zu versuchen. A u f diesem Weg sollten dann realitätsnahe Aussagen über den Anteil von Rechtsarbeit und juristischen Entscheidungstechniken am Konstituieren und Aufrechterhalten des Politischen Systems möglich sein; auf demselben Weg wäre zugleich die Tragfähigkeit theoretischer Muster wie der i n diesem Buch formulierten zu überprüfen. 359 Sowohl der Soll-Zustand wie der Ist-Zustand einer rechtsstaatlichen juristischen Methodik als auch der jeweilige Grad der (Nicht-) Übereinstimmung zwischen beiden Größen haben, wie aus alldem erhellt und wie oben i m Text begründet worden ist, unmittelbar politische Bedeutung. Normativ läßt sich das über die bekannten methodenbezogenen Rechtsstaatsgebote hinaus i n dem hier formulierten Grundrecht auf Rechtsanwendungsgleichheit ausdrücken. Genauer gesagt, handelt es sich dabei u m ein Verfassungsgebot auf gleichheitliche, methodisch korrekte und ehrliche Rechtskonkretisierung i n allen Bereichen der Rechtsarbeit; also auch i n den primär rechtserzeugenden Funktionen, die infolge der herkömmlichen Fixierung der Jurisprudenz auf Verwaltung und vor allem Justiz noch viel zu wenig i n den Blick genommen werden. Aus diesem näher zu diskutierenden „Grundrecht auf Methodengleichheit" sind gegebenenfalls materiellrechtliche, prozessuale und rechtspolitische Folgerungen zu ziehen. Diese Liste von Fragen bringt ersichtlich nur Beispiele; sie läßt sich leicht verlängern. Mehr als Skizzen zu dem umfassenden Gegenstand sind hier schon deshalb nicht möglich gewesen, weil viele der einzelnen 138 Die Literatur, die den Gedanken einer strukturierenden Normtheorie und im besonderen den der Normbereichsanalyse aufgreift, tut das bisher überwiegend entweder rechtstheoretisch oder methodologisch-rechtsdogmatisch; Nachweise bei F. Müller, Juristische Methodik, z.B. 313.1, 313.3, 322.1; sozialwissenschaftliche Ansätze z.B. schon bei Rottleuthner I I , v.a. S. 206, 262 f. und, für die Politische Theorie und die Verfassungslehre, bei Hufen I.

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3 Entwurf eines theoretischen Gesamtrahmens

Themen nach kompetenter fachübergreifender langen 1 8 4 .

Zusammenarbeit

ver-

Fachübergreifende Forschung aber, die diesen Namen verdient, und die einlöst, was i m Rahmen der Einzeldisziplinen als notwendige Sachaufgabe freier Wissenschaft herausgearbeitet worden ist, w i r d unter den inzwischen normalen Bedingungen der Arbeit an einer Massenfakultät rasch unmöglich. A u d i diese Schrift arbeitet noch nicht interdisziplinär. Sie hat aber, so hoffe ich, zur künftigen Realität solcher Forschung doch etwas mehr beigetragen als nur einen Appell. Ich habe versucht, Vorschläge zu machen, mit denen andere weiter arbeiten können.

184 Vgl. dazu in diesem Zusammenhang schon F. Müller 18 ff., 32 ff.

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REGISTER

Abhör-Urteil (BVerfGE 30,1 ff.) 22 ff., 25, 27, 29, 31,101 Fn. 124,106 Absicherungstechnik 106 s. a. Rechtfertigung, sekundäre Absolutismus 14, 90 f. Abwägimg 36 Fn. 52, 45,105 Abweichende Meinung 28, 35, 95, 105 Allgemeine Geschäftsbedingungen 56 Allgemeinplätze, argumentative 17 Amnestie 101 Fn. 124 Analogieverbot im Strafrecht 66 in der Eingriffsverwaltung 89 Fn. 113 Anhörungsverfahren 43,104 Anlageschwindel 101 Anstaltsstaat 13 f., 47, 81 Anwaltszwang 57 argumentum ad absurdum 42 Armenrecht 56 Arrangement 54 attitude groups 42 Ausbildungsfreiheit 29 ff., 46, 51 Auslegung herkömmliche s. Interpretation teleologische 45 verfassungskonforme 23 f. „Auslegungstheorie" 76 Ausnahmefall 45 Ausnahmevorschrift 46 Ausschüsse, parlamentarische 34, 96, 97 Fn. 121 Außenpolitik 19, 20, 47, 50,101,106 Beamtentum 76 Befehl 82, 87 Befangenheit 67 Begnadigungsrecht 101 Fn. 124

Begründung amtliche 34, 96, 98 von Entscheidungen und juristische Methodik 45, 47, 50, 71, 73, 76 Pflicht 66 ff., 87, 89 Fn. 113, 95, 96, 97 Fn. 121,104 positivistischer Stil 69 als rechtfertigender Text 15, 96, 98 verschleiernde 21 Fn. 26, 28 Fn. 40, 47, 53, 88 s. a. Explikation für Ungleichbehandlungen 60 i m Vorprüfungsverfahren nach § 93 a BVerfGG 38 ff., 105 Beratungsgeheimnis 73 Berechenbarkeit s. Kontrolle, Rationalität, Transparenz „Besonderes Gewaltverhältnis" 14 Beteiligung s. Mitbestimmung Beweisregeln, normative 66 Bildungsökonomie 30 f., 34 Bildungswesen 69, 75 s. a. Ausbildungsfreiheit Bindung an das Gesetz (die Verfassung) s. Normbindung Bruttosozialprodukt 30 Bündnispolitik 50, 101 Bürgerinitiativen 42 f. Bürgerliches Redit 36, 53, 64 Bürokratie 14, 43, 47, 86 Bürokratieforschung 76,107 Bürokratisierung 14,17 Bundesstaat 20, 98 Bund-Länder-Verhältnis 20 civic organizations 42 Code Civil 74

118

Register

Corpus Iuris 74 culpa in contrahendo 83 Darstellung s. Begründung von Entscheidungen Datenverarbeitung, elektronische 88 D D R 79 Fn. 104 s. a. Grundlagenvertrag decision making 33 Delikte, systemkonforme 101 f. Demokratie 41 ff., 47, 64, 96, 98, 102 s. a. Konsens; Rechtsstaat, freiheitlich-demokratischer Dezision Begriff 20 f., 44 ff., 47 und Entwicklung des Rechtsstaats 51, 87 f. Gegenmittel 28, 33, 35, 45, 47 und normative Implikation 37 f., 39 f. und Rechtsarbeiter 48, 60 durch Rechtsunterstellung 21, 24 ff., 28, 45 durch Rechtsverbiegung 21 ff., 28, 38, 45 als typologische Figur 44,105 in der Verwaltungspraxis 41 ff. Dezisionismus 21, 71 Dienstaufsicht 56, 83 Diktatur 101 f. dissenting vote s. Abweichende Meinung Dogmatik und Dezisionismus 21 Fn. 26 und Implikationen 41, 47 als Konkretisierungselement 25, 94, 103 und Normbereichsanalyse 68,103 Realitätsbezug 12, 64 und Strukturen der Rechtsordnung 13 Dreierausschuß 38 ff., 105 Dunkelfeld 541, 99, 101 f. s. a. Geltungsstruktur Dunkelziffer 13, 54 f., 57 s. a. Geltungsstruktur Effizienz 34, 40, 41, 92, 97 Eigentumsfreiheit 53 Eindeutigkeit 22, 78 Einzelinterview 10 Fn. 6

Empirie 10, 71 f., 103 f. s. a. Normbereichsanalyse Entfremdung 86 Fn. 109, 97 f. Entscheidungsanalyse 72 f. Entscheidungsarbeit s. Rechtsarbeit Entscheidungsnorm und Dezision 21 und „Entscheidungstheorie" 71 und Explikation 35 und Funktion der juristischen M e thodik 14 f. und Geltungsstruktur 99 f. und Gleichheitssatz 66 und Normbindung 78 ff., 81 f., 84 Setzen 9, 50, 55, 71, 74, 75, 76, 77, 103 als Text 96, 98 Entscheidungswissenschaft 5, 70, 71 f., 76 Entstehungsgeschichte 20, 97 Fn. 121, 105 Exekutive Begründungspflicht 96, 97 Fn. 121 und Explikation 34 und Normbindung 64, 66,105 und Normänderung 79 Organisation 26 Texte 96 Explikation Begriff 33, 35 f. und Implikationen 41 programmatische 47, 48, 88 als typologische Figur 44,105 Umfang 34 f., 40 in der Verwaltung 42, 43 f. in der Wissenschaft 48 fair trial 84 Fallanalyse 33 f. Fehlentscheidung 28 Feldforschung 10 Fn. 6 Feudalismus 58 Finanzierbarkeit 101 Formalität der Grundrechtsgarantien 65 der juristischen Methodik 17, 76 der Rechtsordnung 13, 15 f., 45, 49 ff., 53, 79 f., 81, 87 f. rechtsstaatlicher Garantien 90 ff., 97 Vorschriften 89 Fn. 113 s. a. Gesetzesform

Register Forschung, fachübergreiiende 72, 108 Freiheit 5, 28, 65, 91, 98 s.a. Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat Funktionenlehre 12, 33, 52, 96 Funktionsträger s. Rechtsarbeiter Gandhiismus 10 Fn. 6 „Geheimdienstvorbehalt" 101 Geisteswissenschaft, normative 70 Geltung und Durchsetzung 54 f., 631, 97, 99 ff., 103 als Merkmal der Rechtsordnung 15 f., 50 Geltungshemmung 100,103 Geltungsstruktur 6, 98 ff., 103 f. s. a. Dunkelfeld, Dunkelziffer Geltungstheorie 105 Gemein wesenarbeit 42 f. Generalklausel des Allgemeinen Gleichheitssatzes 59, 61 der „allgemeinen" Handlungsfreiheit 61 f. im Bürgerlichen Redit 36 als normative Implikation 36 ff., 46 und politischer Gesamtzustand 87 polizeiliche 36 f. im Straf prozeßrecht 36 f. Gerechtigkeit 84, 85, 91 ff., 97 Gerichtsbarkeit s. Justiz „gerichtsfreier Hoheitsakt" 14 Gesamtstaat 20 gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht 31 Gesamtzusammenhang, gesellschaftlicher 33, 48 s. a. Politisches System, Rechtsordnung Geschäftsordnungsrecht 96,97 Fn. 121 Gesellschaft bürgerliche 14, 90 der Bundesrepublik Deutschland 101 s. a. Politisches System, Rechtsordnung Gesellschaftsordnung s. Implikation, Politisches System, Rechtsordnung „Gesellschaftstheorie" 68

Gesetzesform 66, 82,105 Gesetzes„inhalte" 105 Gesetzespositivismus 12, 48, 49, 68 ff., 85, 94,106 Gesetzesvorlage 97 Fn. 121 Gesetzgebung und andere Funktionen 48,106 Begründungspflicht 96 f. und Explikation 34, 43 Motive 96 und Normänderung 79 und Normbindung 64, 66,105 als politische Instanz 64 politische Verantwortung 51 und Richterrecht 83 f. Verfahren 34, 84,104 Verkündungsformeln 96, 97 Gesetzgebungslehre 34, 72, 73 Gewalt aktuelle 14, 52, 81 f., 87 f., 95 konstitutionelle 14, 52, 81 f., 87 f., 95 offene 93 personale 82 s. a. Herrschaft Gewaltenteilung 13, 14, 79 f., 81, 84 Gewohnheitsrecht 15, 104,106 Gleichheitssatz als Anspruch auf Chancengleichheit 59, 60 und Generalklausel 37, 59, 61, 63 und gesellschaftliche Ungleichheit 58 ff. und Methodengleichheit 66 f. im Numerus-clausus-Urteil 29, 32, 46, 47, 65 und Sozialstaat 32, 65, 93 als Willkürverbot 59, 60 f. Gratifikation 61, 75 f. Grundgesetz 10, 50, 53, 65 Fn. 89 s. a. Grundrechte, Verfassungsrecht Grundlagenvertrag 19, 27, 106 Fn. 130 Grundrechte als Abwehrrechte 29, 47 Bindung 40, 59, 64, 66, 89 Fn. 113 s. a. Normbindimg Dogmatik 36 Fn. 52, 64 „Drittwirkung" 65 Einschränkbarkeit 32, 36 Fn. 52 als Implikation 47 Leerlaufen 32 Leistungsfähigkeit 31 f., 46, 65

120 objektive Funktion 25 soziale 29 als Teilhaberechte 29, 30, 31 f., 65 und Verfassungsgerichtsbarkeit 39 und Verfassungsstaat 14, 93 Verwirklichung 63 ff., 88 Wesensgehalt 32 und Wirtschaftsgesellschaft 53 Grundsatzentscheidung 34 Grundsatznorm 100 Gruppendiskussion 10 Fn. 6 Handlungsfreiheit, „allgemeine" 61 f. Heer 14 Herrschaft bürokratische 92 und juristische Methodik 28, 34, 52, 79 f., 87 ff. personalisierte 17 und Recht 13, 44, 50, 79 f., 87, 95 und Rechtsarbeit 14 f., 88 totalitäre 87 f. und Verfassungsrechtsprechung 18 s. a. Gewalt; Rationalität, Herrschaftsfunkt ion; Staatsgewalt Herrschaftssprache 104 Hierarchie 47, 56,104 Historische Rechtsschule 48 Hochschulorganisationsrecht 24 ff. Hochschul-Urteil (BVerfGE 35, 79 ff.) 24 ff., 27, 29, 31, 34, 36, 83 Humanität 101 f. Ideologie 10, 12, 16, 49, 50, 54 Fn. 67, 58, 60, 85, 87,102 Ideologiekritik 69, 76 Illusion 10, 41, 43, 51, 84 Implikation Begriff 31, 47 gesellschaftliche 31 ff., 37, 41 ff., 46 ff. normative primäre 36 f., 38, 39, 41, 46, 99 f., 101 Fn. 124 sekundäre 37 f., 46, 99 f. und Rechtsarbeiter 48, 60 als typologische Figur 44,105 Indikator, juristische Methodik 87 ff. Industriegesellschaft 15, 17, 42, 90, 101 Instanzenzug 47, 56, 67, 83

Register Interessen gesellschaftliche 41, 45, 53, 84, 87 herrschende 75, 83, 84, 92 materielle 43 parteiliche 67 wirtschaftliche 14 Interessenverbände 10, 42 s. a. Verbände Interpretation 9, 34 f., 70, 94,104 s. a. Verfassungsinterpretation Interpretationsverbot 74 Intraorgankontrolle 28,106 Judikative s. Justiz Jurisprudenz s. Rechtswissenschaft Jurist s. Rechtsarbeiter Juristenausbildung 5, 18, 331, 551, 68 f., 72 f., 83, 87, 88 Fn. 112,106 s. a. Rechtsarbeiter Justiz Abhängigkeit 64, 79 f., 84 f. und andere Funktionen 41, 48 und Explikation 34 f., 43 und Gewaltenteilung 81, 83 f. als Implikation 47 als Kontrollinstanz 28 Legitimationswirkungen 84 ff. Normbindung 64, 66, 79 f., 81 f., 105 Organisation 14 Politische 73 Fn. 97, 88 politischer Standort 74 und Rechtswissenschaft 107 Sonderstellung 5, 73 ff. als Staatsgewalt 74, 80 f l , 84 ff. Texte 96 s.a. Begründung, Richter, Verfassungsgerichtsbarkeit Justizforschung 12 Fn. 9, 48, 76, 107 Kampf, politischer 15 Karriere 55,56, 75 „Klassen" 57, 91 s. a. Schichtung, soziale; Schichtzugehörigkeit „Klassenjustiz" 56 Fn. 70 Kodifikation 47, 75 Kollisionsnorm 79 Kommentar 77,103 Kommunikation 75, 76, 95 Kompetenznorm 26, 38, 41 f., 55, 79

Register Konfessionsschule 20 Konflikt demokratische Austragung 93 methodologischer 25 politischer 18, 43, 57, 84, 86, 88, 89 Konformität, politische 83, 88,100 Konkordats-Urteil (BVerfGE 6, 309 ff.) 19 ff., 25, 29, 31, 83, 106 Fn. 130 Konkretisierung s. Normkonkretisierung Konsens 13, 51 f., 53, 58, 85, 86, 89, 91 f., 95 ff. Konstitutionalismus 14 Kontrolle fachjuristische 66 von Herrschaft 46, 58, 87 und juristische Methodik 28, 47, 50, 69, 71 f., 88 f., 105 politischer Faktoren 19, 28, 39 f., 43 der Rechtsarbeiter 55 und Rechtsordnung 16, 17, 18, 44, 76, 87, 93, 95,104 und Sozialwissenschaften 69 s. a. Normkontrolle Kontrollnorm 79, 93 Kostenminimierung 30, 34 Kriminologie 69, 99 Kulturphilosophie 50 Kulturpolitik 20 Längsschnittuntersuchung 34, 72 f. law in action 51 law in the books 51 Lebensgeschichte 11, 85 Leerformel 19, 45 Legalität 38, 41, 50, 52, 56, 80 ff., 91 ff., 98 Legalitätsprinzip 36 f., 39, 99 Legislative s. Gesetzgebung Legitimität des bürgerlichen Verfassungsstaats 14, 17, 50, 58, 65, 81 f., 91 f., 102 und Dezision 40 und Explikation 41 und Gleichheit vor dem Gesetz 37 f., 66,102 und Grenzfunktion des Wortlauts 78 und Justiz 84 f.

der Rechtsordnimg 13, 54, 80, 89, 98 f., 103 Lehrbuch 77,103 Leistungsanspruch 32 Liberalismus 14,16, 49, 90 Liberalität 16, 50 ff., 53, 86, 87 Locke, John 64 Lücke im Recht 13,15 in der Rechtsanwendung 54 f. Luhmann, Niklas 84 f. Fn. 106, 91 f. Fn. 118 Macht, politische 46, 85 Machtstaat 86 Marktmodell 31, 57, 58,100 Marxismus 57 Massenmedien 10, 58,100 Merkantilismus 90 Methodenehrlichkeit 49, 51, 67, 86 f., 95, 105 Methodengleichheit 65 ff., 107 Methodenklarheit 70, 79, 89 Fn. 113 Methodenvergleichung 10, 33 f. Methodik, juristische Arbeitsbedingungen 16 f., 18 ff., 44 f. Aufgabe 33, 49, 70, 92 f. Begriff 9 f. und Dezision 21 f., 28, 47 Doppelrolle 50, 53, 86 Funktionen 14 f., 86 f. gegenwärtiger Zustand 88 als geltendes Redit 65 ff. Indikator-Wirkung 87 ff. Ist-Zustand 12, 13, 521, 71, 73, 89, 92 Kunstregeln 65 ff. und Planung 43 Realitätsgrundlage 52 ff., 57 f l , 99 f. Soll-Zustand 10, 13, 52 f., 71, 89, 92 strukturierende 72, 94,104 Voraussetzungen 17 f. Wirkungschance 54 s.a. Redit, Rechtsarbeit, Rechtsordnung „Mißbrauch" 38 Mitbestimmung 251, 42, 84,104 Monopol 32 s. a. Marktmodell Morallehre, politische 102

122

Register

Nachprüfbarkeit s. Kontrolle, Rationalität, Transparenz Neutralität 84 Nichtgeltung s. Geltungsstruktur Norm s. Rechtsnorm Normänderung 16, 23, 40 f., 44, 47, 51, 70,75,80,106 Normativität 54 f., 63 f., 93, 94,103 Normausführung s. Normkonkretisierung Normbeachtung 54, 88 Normbereich 46, 59, 631, 70, 77, 94, 103 Normbereichsanalyse 9, 11 Fn. 7, 25, 31, 34, 36 Fn. 52, 68 f., 72, 73, 103 f.,

1061

Normbindung 13, 15, 16, 28, 36, 40, 551, 74, 78 f l , 81 f l , 89 Fn. 113, 92, 96, 98 f., 105 Normbruch 45 f., 541, 82 ff., 99,102 Normerzeugung s. Normsetzimg Normklarheit 70, 78, 89 Fn. 113, 97 Normkonkretisierung alltägliche 65, 83, 94 und andere Funktionen 14, 18, 41, 44, 68, 70, 85, 107 Begriff 9, 74 und Implikation 37 f. statt „Nachvollzug" 50, 77, 80 Rationalität 48 und Rechtspolitik 72,107 staatsrechtliche 69 strafrechtliche 69 s. a. Rechtsarbeit Normkontrolle 18, 28, 47, 48, 68, 70 s. a. Kontrolle Normprogramm 31, 36, 581, 70, 72, 77 Normsetzung und andere Funktionen 141, 16, 18, 41, 44, 68, 70, 85, 107 und Explikation 34 gegenwärtige 62 und Gewaltenteilung 79 f. und Implikation 37 f. und Rationalität 48 und Rechtsfindung 74, 75, 77 Verfahren 97,104 s.a. Gesetzgebung, Normänderung Normstruktur 5,16, 70, 94,103 f.

Normtext Änderung s. Normänderung Behandlung s. Interpretation Bereinigung 80 und Explikation 35 f. Grenzfunktion 77 f l , 82 Konkretisierungsfunktion 19 f., 29, 78 und Rechtsnorm 54 Fn. 67 s. im übrigen Normativität, Normbereich als Strukturprinzip der Rechtsordnung 96 ff. Normvollzug s. Normkonkretisierung Normwandel 106 Notstandsgesetzgebung 62 Fn. 85 Normverstoß s. Normbruch Numerus-clausus-Urteil (BVerfGE 33, 303 f l ) 28 ff., 34, 36, 47, 83

Obrigkeitsstaat 95 öffentliche Meinung 104 öffentlicher Dienst 62 s. a. Radikalenfrage Öffentlichkeit, politische 28, 29 Offenlegung s. Begründung von Entscheidungen, Transparenz Oligarchie 58 Oligopol s. Marktmodell operational research 33 Opportunitätsprinzip 37 „Ordnungspolitik" 11 Fn. 8 Organisationsforschung 76 s. a. Justizforschung Organisationsgewalt 14 Organisationsrecht 13,18 Ostverträge 19

Parlament 14, 57 Parlamentarismus 98,105 Parteien 10, 57, 58, 64, 90,100, 105 Parteipolitik 101 Parteiverbot 47 Persönlichkeit, freie Entfaltung 61 f. Planspiel 34, 72 f. Planung 33 f., 41 ff. Plenum 34, 97 Fn. 121

Register political question-doctrine 35 Politikwissenschaft 50 Politische Romantik 16 Politische Soziologie 11,13, 76 Politisches System Begriff 10,48 inhaltliche Qualität 101 f. Selbstverständnis 47 Standort 87 Typologie 85 f. Wirkungen 12, 16 ff., 28, 31 ff., 44 ff., 54 wissenschaftliche Bearbeitung 12, 104,105 ff. s. a. Recht; Rechtsordnung; Rechtsstaat; Verfassungsstaat, bürgerlicher Polizeirecht 361, 63 Positivismus s. Gesetzespositivismus Praktikabilität 42 Praktikerliteratur 77,106 Praxis s. Rechtsarbeit Privatwirtschaf147 Problemverschiebung, methodische 59 Fn. 77, 61 Professionalisierung 12, 17, 56, 69, 87 Projektorientierung 33 Protest 47, 85 Fn. 106 Prozeßgrundrecht 101 Fn. 124 Prozeßrecht s. Verfahrensrecht

Radikalenfrage 27, 51, 63 Fn. 85 Rationalisierung, sekundäre s. Rechtfertigung, sekundäre Rationalität Betriebsfunktion 131, 17, 48, 50, 85, 861, 89, 92 funktionelle 17, 58, 90 und Gesetzespositivismus 69 f. und Grenzfunktion des Wortlauts 78 Herrschaftsfunktion 50 f., 69, 78, 85, 89, 92, 95 s. a. Gewal, Herrschaft und juristische Methodik 28, 50 f., 53, 85, 86 ff. Legitimitationsfunktion 17, 50 f., 58, 78, 85, 89 s. a. Konsens, Legitimität Mehrdeutigkeit 5, 50 f., 58, 86, 89,

92, 95,104 technische s. funktionelle Realdaten 94,103,107 Redit geschriebenes 95 ff. materielles 10, 84 und Politik 5, 9, 151, 18, 4411, 49 ff., 104 positives 15 f., 45, 52, 58, 61, 75, 78 s. a. Formalität, Geltung „Primat 44 98 s. a. Normbindung Reichweite 52 f l , 98 ff. als Sozialsteuerung 17, 48, 52 „Unparteilichkeit 44 98 f. Fn. 122 und Wirklichkeit 18, 94 Rechtfertigung göttliche 14 politische s. Legitimität sekundäre 17, 44, 47, 73, 89, 92, 106 sprachliche 95 Rechtfertigungskunde 5, 73 rechtliches Gehör 95 Rechtmäßigkeit 77, 81 f., 102 Rechtsanwendungsgleichheit s. Methodengleichheit Rechtsarbeit Abhängigkeit 16 f., 33, 48, 55 ff., 70 alltägliche 5, 68, 94, 106, 107 und Explikation 33 ff., 41, 48 f. Funktion 141, 70 Gegenstand 9,13 Irrationalisierung 8 7 1 sozialwissenschaftliche Bestandteile 68 ff. Rechtsarbeiter Abhängigkeiten 45, 55 f. Arbeitsweisen 11 f l , 90,107 Ausbildung s. Juristenausbildung Auslese 18, 75, 83 Bindimg 15, 65 f. s. a. Normbindung Disziplinierung 18, 55, 75 f., 83 Ethos 100 und Gewohnheitsrecht 106 Rekrutierung 18, 45, 55, 75 schichtspezifische Haltungen 48, 75 soziale Garantien 75 f., 84 s. a. Richter Rechtsbeachtung s. Normbeachtung Rechtsethik 76 Rechtsfortbildung 34, 75, 82 f.

124 „rechtsfreier Raum" 14 Rechtsfunktionär s. Rechtsarbeiter Rechtsinformatik 104 Rechtskunde 87 f. Rechtsmittel 38 Rechtsnorm Adressaten 35, 37, 54, 56 f., 64 f., 75, 97 f., 105 Ausfertigung 96 Durchsetzung 54 ff., 75 f., 97, 103 Entstehung s. Normsetzung und Fall 71 f., 74, 82, 99 f. Generalisierung 61 methodenbezogene 10, 17, 65 ff., 79, 89 Fn. 113 numerisch bestimmte 78 Sprachlichkeit 75, 94 technische 36, 38, 39, 41 Theorie 5, 68, 94,104 Verkündung 96 Widersprüche 97 und Wirklichkeit 9, 94 s. a. Entscheidungsnorm, Zurechnung Rechtsordnung absolutistische 74 bürgerliche s. Verfassungsstaat, bürgerlicher demokratische s. Rechtsstaat, freiheitlich-demokratischer Funktionen 11,13 f., 17, 50, 55 und Gesellschaftsordnung 11 ff., 15, 17, 31 f., 48, 53, 92, 102 ff. und juristische Methodik 10, 13, 17, 86 ff. Positivität 105 s. a. Recht, positives und Reduktion von Komplexität 91 f. Sprachlichkeit 95 ff. ständische 37 Strukturen 11, 13 f., 17, 55 s. a. Geltungsstruktur, Normstruktur, Textstruktur Widersprüche 29 Rechtsphilosophie 18, 71 Fn. 92, 94 Rechtspolitik aktuelle 50 f. und Dezision 47 und Implikationen 40 f. in der Juristenausbildung 34, 72 f. und Methodengleichheit 107

Register als Politik 17 Realitätsbezug 12 und rechtsstaatliche Regularität 28 und Rechtswissenschaft 70 und Textstruktur 104 Rechtsprechung s. Justiz Rechtsprechungsanalyse 33, 72 f., 106 Rechtsquellensystem 14, 16 Rechtsschöpfung s. Rechtsfortbildung Rechtssetzung s. Normsetzung Rechtssicherheit 70 Rechtssoziologie 11, 93 Rechtssprache 104 Rechtsstaat autoritärer 51 f., 87, 91, 95 und Begründungspflicht 39 f., 95 f. bürgerlicher 5, 16, 81, 90 ff. und Dezision 21, 25 f., 28 freiheitlich-demokratischer 27, 36, 49, 50 f., 90, 93, 95, 98, 102 Gebote 17, 43, 61 f., 65, 78 ff., 95 ff. und Gewaltenteilung 81 f. und Grenzfunktion des Wortlauts 78 ff. liberaler 50 ff., 87, 91 materieller 95 „neutraler" 16, 90 Realität 98 f. und „Schrankenübertragung" 36 Fn. 52 und Sozialstaat 26 f., 91, 98 Vorbehalte 100 ff. s.a. Formalität, Kontrolle, Rationalität, Regularität Rechtstatsachenforschung 93 Rechtstheorie 12, 33, 94, 99 Fn. 123, 103 f. Rechtsverordnung 96 f. Fn. 121 Rechts ver weigerungsverbot 74, 81 Rechtswissenschaft Abhängigkeit 16 f., 48 Aufgabe 105 und Explikation 34 Funktion 87 ff. und Herrschaft 79 f. als Kontrollinstanz 28, 83 und Sozialwissenschaften 36, 68 ff. Wissenschaftlichkeit 5, 86 f. Regierung und andere Funktionen 48, 84

Register und Explikation 43 als politische Instanz 64 Weisungsabhängigkeit 45 s. a. Exekutive Regularität, methodische 21 f., 25, 28, 45 f., 52, 66, 77, 80, 85, 87, 88, 89 Relativismus, methodischer 89 Fn. 13 Repräsentationssystem 42 f. Revision s. Normänderung Rhetorik 17, 45, 87, 92,103 Richter soziale Stellung 75 f., 83, 85 Unabhängigkeit 45, 55, 81 f., 84 Wahl 83,106 s. a. Justiz, Rechtsarbeiter Richterrecht 15, 27, 34, 50, 83 f., 104, 106 Rolle 11, 12, 55, 107

Rousseau, Jean-Jacques 86 Fn. 109 Rückschluß-Hypothese 73 Rüdewirkungsverbote 14, 89 Fn. 113, 95, 97

Sachbereich 59 „Sachzwang" 42 Sanktion 13, 54 f., 85, 99

Savigny, Friedrich

Karl von 48

Schichtung, soziale 48, 57 Schichtzugehörigkeit 11, 12, 18, 37, 48, 50, 54, 56 f., 64 f., 75, 99 f. Schmitt, Carl 21 Fn. 26 „Schweigen der Verfassung" 53 Sein und Sollen 15 Simulation 33, 72 Situation, politische 105 Solidarität 17, 86, 102 „soziale Garantien" s. Rechtsarbeiter Sozialpsychologie 76 Sozialstaat und Freiheit 65, 91 und Grundgesetz 53, 91,101 und juristische Methodik 93 und Numerus clausus 29, 30, 32, 46, 47 s. a. Rechtsstaat Sozialstruktur, allgemeine 100 Sozialwissenschaften Begriffe 35 f. und Geltungsstruktur 105

und gesellschaftliche Entwicklung 12 Fn. 8 und Rechtsarbeit 5, 33, 48, 68 ff., 92 f. s. a. Empirie, Entscheidungswissenschaft Soziologie s. Sozialwissenschaft Sprachdaten 94,103 Staatsanwaltschaft 55 Staatsapparat 10,11 Fn. 8, 65 Staatsgewalt gemäß Art. 20 Abs. 2 GG 58, 74, 80 f. Grundrechtshandhabung 63 durch die Hochschule 26 durch die Justiz 80 ff., 84, 86 KontroUe 19, 93 s. a. Gewalt, Herrschaft Staatsraison 101 Staatszielnorm 93, 98 s. a. Bundesstaat, Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat Stabilisierung 14, 15, 46, 70, 98 f., 102 f. „Standes"überformung 12, 56 Status 9,11,12 Status quo, gesellschaftlicher 12, 55, 75 Stellung, soziale s. Schichtzugehörigkeit Steuerflucht 101 Steuerung 13, 14, 16, 17, 47 f., 57, 70, 75, 76, 85, 87, 91 f. Strafprozeß 28 Fn. 40, 56 f., 97 Fn. 121 Strafprozeßrecht 36 f. Strafrecht und Kriminologie 69, 99 politisches 62 s. a. Justiz, Politische als Sanktionssystem 54 f., 64 und Ungleichbehandlung von Rechtsgütern 101 Fn. 124 s. a. Implikation, normative Strafrechtsprechung 19, 20 „streitbare Demokratie" 23 Subsumtion 22, 75, 80 Subventionsbetrug 101 Suggestivargument 45 Systemtheorie 91 f.

126 Tatbestandsbestimmtheit 66,67,78,89 Fn. 113, 95, 97,104 teilnehmende Beobachtung 73, 88, 106 Teilrechtsgebiete 54 s. a. Bürgerliches Redit, Strafrecht, Verfassungsredit, Verwaltungsrecht Tenor (von Entscheidungen) 98 Textstruktur 6, 95 ff., 103 f. „Texttheorie" 105 Transparenz 44, 52 f., 69, 86, 92, 96 Ungleichheit, soziale 37, 55 ff., 641,

1001 Verantwortung, politische 15, 32, 43, 51, 80, 92 Verbände 42, 43, 48, 58, 64, 90, 100, 105 Verbrechen s. Delikte Vereinigungen, politische 42 Vereinigungsfreiheit 53 Verfahrensrecht im bürgerlichen Verfassungsstaat 14, 41 f., 84, 93 und Generalisierung 63 Fn. 85 methodenrelevante Rechtssätze 10, 17, 66, 89 Fn. 113 als normative Implikation 38,100 und Textstruktur 96 f. und Voraussetzungen juristischer Methodik 18, 47, 55 Verfassungsänderung s. Normänderung Verfassungsauftrag 93 Verfassungsbeschwerde 38 f l , 47, 62, 67 Verfassungsdurchbrechung 78 Verfassungsfamilie, westliche 50 f. Verfassungsgerichtsbarkeit und der Allgemeine Gleichheits· satz 60 f. Begründungspflicht 97 Fn. 121 Bindungswirkung 105 Funktionsfähigkeit 39 f 1 gegenwärtige Lage 27, 88 als Implikation 4 7 1 als Kontrollinstanz 28, 83

Register politische Faktoren 181, 31, 1 0 5 1 s. i m übrigen Dezision, Implikation Tenorierung 105 s.a. Abhör-, Hochschul-, Konkordats-, Numerus-clausus-Urteil Verfassungsgeschichte 53, 84, 90 f., 92, 93 Verfassungsinterpretation 19 f., 23, 106 Verfassungslehre s. Verfassungstheorie Verfassungspolitik 20, 23, 25, 62, 63 Fn. 85, 89, 90 ff. Verfassungsredit 10,18, 27, 41, 53 Verfassungsstaät, bürgerlicher 13 f., 17, 37, 41 f., 50, 58, 64 f., 74, 76, 81, 85 f., 86 f l , 90 f l , 93, 95,102 Verfassungstheorie 5 1 , 9, 13, 33, 41, 49, 69, 86, 9 0 , 1 0 3 1 Verfassungswandel 106 Verhältnismäßigkeit 97 Vertragsfreiheit 53 Vertragsrecht 106 Verwaltung und andere Funktionen 48 politische Abhängigkeit 64 und Rechtswissenschaft 107 Weisungsabhängigkeit 45, 55, 84 s. a. Exekutive Verwaltungslehre 13, 33, 41 Verwaltungspraxis 41 f l , 62, 63 Fn. 85 Verwaltungsprozeß 57, 97 Fn. 121 Verwaltungsrecht 36, 41 ff. Verwaltungsrechtsprechung 19, 35 Verwaltungsverfahren 96,104 Verweisungsvorschrift 79 Völkerrecht 20 vollziehende Gewalt s. Exekutive Vorbehalt des Gesetzes 14, 15, 16, 61, 79 „Vorbeugehaft" 62 f. Fn. 85 Vormärz 49 Vorrang des Gesetzes 14,15,16, 79 Vorrang der Verfassung 14, 15, 16, 79 Vorverständnis 11, 18, 35, 50, 54 Fn. 66,561,601,66,72,85

Register Wahlen, allgemeine 57 Weber, Max 14, 57, 92 Weisung 45, 55, 82, 84 „Wertordnung" 24 Wertung 50, 71 white-collar-Delikte 101 Widersprüche, gesellschaftliche 29, 31, 46, 57 Wiederaufrüstung 19 „Wille des Gesetzes" 76, 80 Willkürverbot s. Gleichheitssatz Wirklichkeit, gesellschaftliche 9, 12, 18, 29, 52 s. a. Implikation Wirtschaft 10,14, 50, 53 Wirtschaftsund Verkehrsgesellschaft s. Industriegesellschaft Wirtschaftskriminalität 101 Wissenschaft Arbeitsteilung 68 f., 108 Aufgabe 10, 58 „Soll-Zustand" 10 Fn. 5

s. a. Rechtswissenschaft, Sozialwissenschaften Wissenschaftsfreiheit 24 ff. Wissenschaftstheorie 70 Wortlaut s. Normtext

Zentralisierung 13 f., 17, 47 f. Zeugnisverweigerungsrecht 38 Zitiergebot 78 Zivilprozeß 56 f., 97 Fn. 121 Zivilrecht s. Bürgerliches Recht Zivilrechtsprechung 19 Zulassung zum Studium 29 ff., 75 Zurechnung und Geltungsstruktur 99 f. und juristische Methodik 14 f., 74, 76, 77 und Methodengleichheit 66 f. und Normbindung 78 f., 80 richterliche Technik 5, 81 und Richterrecht 83 f.