Jugendinformationsarbeit: Ein bildungssoziologischer Beitrag zu einem sozialpädagogischen Handlungsfeld [1. Aufl. 2019] 978-3-658-27657-7, 978-3-658-27658-4

Martin Auferbauer untersucht das Angebot der Jugendinformationsarbeit und begründet diesen Teilbereich der Jugendarbeit

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German Pages XIII, 257 [262] Year 2019

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Jugendinformationsarbeit: Ein bildungssoziologischer Beitrag zu einem sozialpädagogischen Handlungsfeld [1. Aufl. 2019]
 978-3-658-27657-7, 978-3-658-27658-4

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIII
Einleitung, Forschungsfragen und Aufbau (Martin Auferbauer)....Pages 1-3
Begriffsklärungen und Abgrenzungen: Jugend – Information – Jugendinformation (Martin Auferbauer)....Pages 5-19
Bedarfsfeststellungen und Legitimationen von Jugendinformationsarbeit aus sozialpädagogischen und bildungssoziologischen Perspektiven (Martin Auferbauer)....Pages 21-39
Organisatorische und rechtliche Bezüge der formellen Jugendinformation (Martin Auferbauer)....Pages 41-60
Gestaltung formeller Jugendinformationsarbeit (Martin Auferbauer)....Pages 61-95
Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien aus rezenten Jugendstudien (Martin Auferbauer)....Pages 97-178
Informationsbedürfnisse aus Sicht steirischer Jugendlicher (Martin Auferbauer)....Pages 179-233
Zusammenfassende Ableitung von Perspektiven und Innovationspotenzialen für die Jugendinformationsarbeit (Martin Auferbauer)....Pages 235-239
Back Matter ....Pages 241-257

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Martin Auferbauer

Jugendinformationsarbeit Ein bildungssoziologischer Beitrag zu einem sozialpädagogischen Handlungsfeld

Jugendinformationsarbeit

Martin Auferbauer

Jugendinformation­sarbeit Ein bildungssoziologischer Beitrag zu einem sozialpädagogischen Handlungsfeld

Martin Auferbauer Pädagogische Hochschule Steiermark Graz, Österreich

ISBN 978-3-658-27657-7 ISBN 978-3-658-27658-4  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-27658-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

für Nina und Nora

Inhalt

Einleitung, Forschungsfragen und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 Begriffsklärungen und Abgrenzungen: Jugend – Information – Jugendinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.1 Jugend: Ein Kind der Moderne kommt in der Postmoderne an . . . . . . . . 5 1.2 Information: Wissen in Aktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.3 Das Handlungsfeld der Jugendinformation – Vorschlag einer neuen Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.3.1 Formelle Jugendinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1.3.2 Nonformelle Jugendinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.3.3 Informelle Jugendinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2 Bedarfsfeststellungen und Legitimationen von Jugendinformationsarbeit aus sozialpädagogischen und bildungssoziologischen Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

Transitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jugendinformation als Unterstützung bei Entwicklungsaufgaben . . . . . . Informations- und Medienkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Informationsgesellschaften und weitere riskante Optionen . . . . . . . . . . Zusammenfassung entlang funktionalistischer und konflikttheoretischer Perspektiven auf Jugendinformationsarbeit . . . . . .

21 24 28 33 35

3 Organisatorische und rechtliche Bezüge der formellen Jugendinformation . . 41 3.1 Internationale Bezüge zu Jugendinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Jugendinformation als menschenrechtliche Verpflichtung . . . . . 3.1.2 Zugang zu Information als Teil von Indizes internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Europäische Bezüge zu Jugendinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41 41 45 47

VIII 

Inhalt

3.2.1 Auf Ebene des Europarates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Auf Ebene der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Bezüge zu österreichischen Bundesinstitutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Bezüge in der Steiermark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47 48 52 55 59

4 Gestaltung formeller Jugendinformationsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 4.1 Eine kurze Geschichte der formellen Jugendinformationsarbeit in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Eine kurze Geschichte der formellen Jugendinformationsarbeit in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Konzeptionen und Ausrichtungen der formellen Jugendinformation . . . 4.3.1 Konzeptionen und Ausrichtungen auf europäischer Ebene . . . . . 4.3.2 Konzeptionen und Ausrichtungen in Österreich . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Konzeptionen und Ausrichtungen in der Steiermark . . . . . . . . . 4.4 Angebote und Aktivitäten formeller Jugendinformation am Beispiel von LOGO-Jugendinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Mögliche Problembereiche in Zusammenhang mit Jugendinformation . . 4.6 Zusammenfassung und Diskussion der sich aus den Konzepten ergebenden Spannungsfelder und Richtungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . .

61 69 72 72 78 83 85 89 92

5 Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien aus rezenten Jugendstudien . . . . . . . . . . . . . . 97 5.1 Beschreibung der Studienauswahl und der Analysemethode . . . . . . . . . 97 5.2 Zweiter EU-Jugendbericht (2015) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 5.2.1 Die Prioritätensetzung der Europäischen Kommission für die künftige jugendpolitische Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . 99 5.2.2 Die Situation junger Menschen in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . 101 5.2.3 Zusammenfassung des EU-Jugendberichts 2015 mit Fokus auf die österreichische Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 5.3 14. Deutscher Kinder- und Jugendbericht (2013) . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 5.4 17. Shell-Jugendstudie (2015) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 5.5 Sechster Bericht zur Lage der Jugend in Österreich (2011) . . . . . . . . . . 113 5.6 Siebenter Bericht zur Lage der Jugend in Österreich (2016) . . . . . . . . . 117 5.7 Vierte Steirische Jugendstudie (2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

Inhalt

5.8 Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder . . . . . . 5.8.1 Demografie und Sozialstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8.2 Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8.3 Bildung und Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8.4 Arbeit, Arbeitslosigkeit und UnternehmerInnentum . . . . . . . . . 5.8.5 Armut und sozialer Ausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8.6 Gesundheit und Wohlbefinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8.7 Politische Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8.8 Freiwilliges Engagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8.9 Kulturelle Teilhabe und kreative Betätigung . . . . . . . . . . . . . . 5.8.10 Internet und Medienkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8.11 Krisenkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9 Übersicht über inhaltliche Ableitungen und strukturelle Empfehlungen für Jugendinformationsarbeit aus den untersuchten Jugendstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  IX 120 121 123 125 131 137 146 154 160 163 166 171 174

6 Informationsbedürfnisse aus Sicht steirischer Jugendlicher . . . . . . . . . . . 179 6.1 Datengrundlage und methodische Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Aus den Aussagen der SchülerInnen abgeleitete Themenfelder . . . . . . . 6.2.1 Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Beruf, Berufsorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Sport und Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4 Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.5 Peergruppe, FreundInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.6 Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.7 Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.8 PartnerInnenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.9 Ökonomische Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.10 Pessimistische Äußerungen, akute Problemlagen . . . . . . . . . . . 6.2.11 Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.12 Do-It-Yourself . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.13 Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.14 Natur, Tiere, Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.15 Gesundheit, Selfness und psychisches Wohlbefinden . . . . . . . . 6.2.16 School-Life-Balance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.17 Positives Erleben, optimistische Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . 6.2.18 Kritik an der Umfrage, skurrile und obszöne Antworten . . . . . 6.2.19 Internationale Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179 185 187 190 192 193 194 196 198 204 205 208 212 213 214 215 216 217 219 220 222

X  6.2.20 Substanzen und Sucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.21 Sexualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.22 Konsumgüter und Markenartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.23 Celebrities und Stars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.24 Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.25 Keine Äußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Inhalt

224 225 226 227 228 229 229

7 Zusammenfassende Ableitung von Perspektiven und Innovationspotenzialen für die Jugendinformationsarbeit . . . . . . . . . . . 235 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die drei Kontexte von Jugendinformationsarbeit. Formelle, nonformelle und informelle Jugendinformation (eigene Darstellung mit Nora Weyrers Playmobilfiguren) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Abbildung 2: Bereiche des Global Youth Wellbeing Index (n. Goldin, Payal & Perry, 2014, S. 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Abbildung 3: Zusammensetzung der Entwicklungsgruppe der Jugendstrategie und Themenfelder (n. BMWFJ, 2013, S. 21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Abbildung 4: Handlungsfelder der Steirischen Jugendstrategie (n. Land Steiermark, 2012, S. 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Abbildung 5: Aktivitäten im Rahmen von „Information – right now“ nach Ländern (ERYICA, 2013, o.S.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Abbildung 6: Strategische Ausrichtung ERYICA 2015–17 (n. ERYICA, o.J.b, S. 1) . . . . . . 78 Abbildung 7: Screenshot der Homepage von LOGO-Jugendinformation (November 2016, Ausschnitt) (LOGO, 2016, o.S.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Abbildung 8: Verteilung der Einzelanfragen an LOGO-Jugendinformation nach Themen (n. Lederer-Hutsteiner, Auferbauer, Polanz & Diwoky, 2014, S. 43) . . . . . . . . 87 Abbildung 9: Inhaltliche Übersicht der Einzelanfragen an LOGOJugendinformation nach Themen (n. Lederer-Hutsteiner, Auferbauer, Polanz & Diwoky, 2014, S. 43) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Abbildung 10: Ausprägung der Dimensionen von Lebensqualität differenziert nach Geschlecht (n. BMFJ, 2016a, S. 59) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Abbildung 11: Bildungsbeteiligungsindikatoren im DACH- sowie im internationalen Vergleich (n. Statistik Austria, 2009 zit.n. Schlögl, 2011, S. 99) . . . . 129 Abbildung 12: Durchschnittliche Arbeitslosigkeitsraten der EU-28 nach Altersgruppen (20 bis 24 Jahre sowie 25 bis 29 Jahre) und Geschlecht im Vergleich der Jahre 2011 und 2014 (n. Europäische Kommission, 2015b, S. 35) . . . . 132 Abbildung 13: Ansprechpersonen deutscher Jugendlicher in schwierigen Situationen nach Geschlecht (n. DJI, 2009 zit. n. BMFSFJ, 2013, S. 154) . . . . . . . . . 171 Abbildung 14: Überblick über das Studiendesign der Onlinebefragung steirischer SchülerInnen (n. Lederer-Hutsteiner, Auferbauer, Polanz & Diwoky, 2014, S. 29) . . 179

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Übersicht der für Jugendinformationsarbeit relevanten Aussagen der EU-Jugendstudie (2015) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Tabelle 2: Übersicht der für Jugendinformationsarbeit relevanten Aussagen der 17. Shell Jugendstudie (2015) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Tabelle 3: Übersicht der für Jugendinformationsarbeit relevanten Aussagen des 14. Deutschen Kinder- und Jugendberichts (2013) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Tabelle 4: Übersicht der für Jugendinformationsarbeit relevanten Aussagen des Sechsten Berichts zur Lage der Jugend (2011) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Tabelle 5: Übersicht der für Jugendinformationsarbeit relevanten Aussagen des Siebenten Berichts zur Lage der Jugend in Österreich (2016) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Tabelle 6: Übersicht der für Jugendinformationsarbeit relevanten Aussagen der Vierten Steirischen Jugendstudie (2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Tabelle 7: Beschreibung der Vorgehensweise bei der Kodierung in Anlehnung an das Werkzeugkastenmodell der Inhaltsanalyse von Schreier (2014) . . . . . . . . . . . . . . 181 Tabelle 8: Übersicht der von den befragten Jugendlichen genannten Themen nach Kategorie und Häufigkeit (eigene Berechnungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Tabelle 9: Dimensionen jugendlicher Informationsbedürfnisse nach Geschlecht (auf Basis eigener Berechnungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Tabelle 10: Dimensionen jugendlicher Informationsbedürfnisse nach Altersgruppen (auf Basis eigener Berechnungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Tabelle 11: Dimensionen jugendlicher Informationsbedürfnisse nach Schultypen (auf Basis eigener Berechnungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Tabelle 12: Dimensionen jugendlicher Informationsbedürfnisse nach Schicht (auf Basis eigener Berechnungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

„Also ich interesiere mich momentan für Jungs,Weitere schulen. Meine Liebingsinteressen sind mit freunden sich treffen,und sachen in unserem alter zu erledigen. Ich würde noch gerne mehr über das spätere leben erfahren. Wie das genau gemacht wird.“ [O-Ton Schülerin 329]

Einleitung, Forschungsfragen und Aufbau

Die Sichtweise, dass Jugendliche in Risikogesellschaften (Beck, 1986), Multioptions-­ gesellschaften (Gross, 1994), Informationsgesellschaften (Spinner, 1998) oder Wissensgesellschaften (Höhne, 2004; Kübler, 2009) aufwachsen, ist bereits Common Sense. Viele der in diesen Ansätzen beschriebenen Wahrnehmungen haben sich nicht nur bestätigt, sondern sind von der Realität vielfach übertroffen worden: Die Anforderungen an Jugendliche sind hinsichtlich der ihnen übertragenen Individualisierungschancen und -risiken ebenso gestiegen wie in Bezug auf die in diesem Lebensalter gestellten Entwicklungsaufgaben und Bewältigungsfallen. Dieser gesellschaftliche Strukturwandel und die damit verbundene „Freisetzung“ ist auch als „pädagogische Aufforderung“ (Böhnisch, 2003, S. 57) zu verstehen. Dementsprechend gilt es in allen Kontexten, wo mit Jugendlichen gearbeitet wird, ansprechbar und vorbereitet für deren Unterstützungs- und Informationsbedarf zu sein. Dies kann Themen wie Freizeit, Berufsorientierung, internationale Mobilität, Sexualität, körperliche und psychische Gesundheit oder rechtliche und finanzielle Belange betreffen. Der adäquate Umgang mit Informationen wird für Jugendliche immer wichtiger, um Entwicklungsaufgaben positiv bearbeiten zu können. Die Einrichtungen der Jugendinformation sollen Jugendlichen „helfen, sich in der Informationsflut zurecht zu finden“ (Cangelosi, 2011a, S. 123). Bislang gibt es jedoch kaum empirische Grundlagen hinsichtlich der konkreten Bedarfsausprägungen und keine systematische Erhebung möglicher Informationsbedürfnisse. Dass nur sehr wenig Forschung zum Thema Jugendinformation publiziert wurde, ist erstaunlich, wenn man betrachtet, wie lange dieser Ansatz der Jugendarbeit schon in Zentral- und Westeuropa verfolgt und welches Gewicht ihm rechtlich sowie institutionell zugewiesen wird. Daher soll im folgenden eine Systematisierung des Begriffs der Jugendinformation, die Klärung rechtlicher Bezüge und eine Darstellung des derzeitigen Angebots geleistet werden. Ein weiteres Ziel der Arbeit ist die Erhebung und Beschreibung möglicher inhaltlicher Gestaltung von Jugendinformationsarbeit aus mehreren Perspektiven. Neben der Betrachtung soziologischer und erziehungswissenschaftlicher Befunde soll die Inhaltsanalyse von internationalen Jugendstudien inhaltliche Ableitungen für die Praxis der Jugendinformationsarbeit und Empfehlungen zu Struktur und Angeboten von Jugendinformation liefern. Der Anstoß zu meiner Beschäftigung mit Jugendinformation und damit letztendlich zu diesem Buch erfolgte durch eine Auftragsstudie des Landes Steiermark, © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Auferbauer, Jugendinformationsarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27658-4_1

2 

Einleitung, Forschungsfragen und Aufbau

konkret der Fachabteilung für Gesellschaft und Diversität, Referat Jugend. Eine erste Studie wurde gemeinsam mit Thomas Lederer-Hutsteiner vom Institut x-sample konzipiert, durchgeführt und den AuftraggeberInnen in Form des Forschungsberichts Jugendinformation in der Steiermark. Status quo, Bedarf und Innovationspotenziale (Lederer-Hutsteiner, Auferbauer, Polanz & Diwoky, 2014) übergeben und präsentiert. Nach Abschluss der Auftragsforschung reifte die Idee einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Thema Jugendinformation, da sich herausstellte, dass es zum Thema Jugendinformation so gut wie keine wissenschaftliche Literatur gibt. Zudem gilt es den Begriff der Jugendinformation zu schärfen. Nicht zuletzt bot das Datenmaterial noch interessante Analysemöglichkeiten. Konkret sollen folgende Forschungsfragen bearbeitet werden (die Nummerierung der Forschungsfragen entspricht jeweils der Kapitelnummer): 1. Wie lässt sich Jugendinformation definieren und von anderen pädagogischen Angeboten für junge Menschen abgrenzen? Ausgehend von der Beleuchtung der Begriffe Jugend und Information soll das Handlungsfeld der Jugendinformation abgesteckt werden. In diesem Zusammenhang erfolgt auch der Vorschlag einer neuen Terminologie, um die verschiedenen Kontexte, in denen Jugendinformation erfolgt, deutlich voneinander abgrenzen zu können. 2. Welche Bedürfnisse von Jugendlichen und welche Legitimationen für Jugendinformationsarbeit lassen sich aus (sozial-)pädagogischer und (bildungs-)soziologischer Literatur ableiten? Aus verschiedenen theoretischen Zugängen sollen mögliche Legitimationen und Gestaltungsdirektiven für die Konzeption von Jugendinformation abgeleitet werden. 3. Welche Angebote der formellen Jugendinformation sind auf europäischer, österreichischer sowie steirischer Ebene vorgesehen? In diesem Zusammenhang soll dargestellt werden, welche (Selbst-)Verpflichtungen und Legitimationen hinsichtlich formeller Jugendinformationsarbeit in den jeweiligen Rechtsmaterien beziehungsweise Strategiepapieren auf internationaler, natio­ naler und regionaler Ebene formuliert sind. 4. Wie wird formelle Jugendinformation auf europäischer/österreichischer/ steirischer Ebene gestaltet? Ausgehend von einer historischen Perspektive auf die formelle Jugendinformationsarbeit auf europäischer Ebene und in Österreich sollen die konzeptionellen Ausrich-

Einleitung, Forschungsfragen und Aufbau

  3

tungen dieser Angebote diskutiert und anhand von LOGO, des Trägers der Jugendinformation in der Steiermark, dargestellt werden. Daraus sollen auch mögliche Grenzen und Problembereiche der Jugendinformationsarbeit deutlich werden. 5. Welche Informationsbedürfnisse von Jugendlichen und welche Empfehlungen zur Struktur von formeller Jugendinformationsarbeit lassen sich aus aktuellen Jugendstudien ableiten? Durch eine sekundäranalytische Betrachtung sollen aus ausgewählten Studien zur Situation Jugendlicher Impulse für die Ausgestaltung von Jugendinformationsarbeit gewonnen und systematisiert werden. Dafür werden folgende Studien und Berichte herangezogen: -- Zweiter EU-Jugendbericht (Bezug auf die Europäische Union, 2015) -- 14. Deutscher Kinder- und Jugendbericht (Bezug auf Deutschland 2013) -- 17. Shell Jugendstudie (Bezug auf Deutschland, 2015) -- Sechster Bericht zur Lage der Jugend in Österreich (Bezug auf Österreich, 2011) -- Siebenter Bericht zur Lage der Jugend in Österreich (Bezug auf Österreich, 2016) -- Vierte Steirische Jugendstudie (Bezug auf die Steiermark, 2014) 6. Welche Informationsbedürfnisse äußern steirische Jugendliche? Welche Differenzierungen ergeben sich dabei entlang von Alter, Geschlecht, Schultyp, Schicht sowie Migrationshintergrund? Die von steirischen SchülerInnen ab der siebenten Schulstufe (n=1.811) in einer Onlinebefragung geäußerten Informationsbedürfnisse sollen kategorisiert und auf Häufungen hinsichtlich Variablen wie Geschlecht, Alter, Schicht und Schultyp untersucht werden, um Aufschluss über die Verteilung und die inhaltliche Bandbreite der Themenfelder zu erhalten. Damit soll ermöglicht werden, die Planung künftiger Angebote der Jugendinformation passgenauer zu gestalten. 7. Welche Impulse zur Weiterentwicklung des Angebots der Jugendinformation lassen sich zusammenfassend ableiten? Abschließend sollen die wichtigsten Erkenntnisse aus den einzelnen Forschungsfragen zu Handlungsempfehlungen für die Weiterentwicklung von Jugendinformationsarbeit verdichtet werden.

1 Begriffsklärungen und Abgrenzungen: Jugend – Information – Jugendinformation

1.1 Jugend: Ein Kind der Moderne kommt in der Postmoderne an Lothar Böhnisch beschreibt, dass Jugend als eigenes Lebensalter erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wahrgenommen wird (Böhnisch, 2001, S. 92–97). Durch die mit Einführung von Schul- und Wehrpflicht zugenommene Reichweite und den Einfluss, den die Institutionen Schule und Militär in diesem Zeitraum auf junge, männliche Menschen in Preußen entfalten, kommt es dort auch zur verstärkten gesellschaftlichen Problematisierung dieser Gruppe. Die „Kontrolllücke zwischen Schulbank und Kasernentor“ (Münchmeier & Peukert, 1990 zit. n. Böhnisch, 2001, S. 93) sowie die steigende Anzahl proletarisch geprägter junger Männer in den sich rasch entwickelnden Ballungszentren sorgten für obrigkeitsstaatliches Misstrauen und die Befürchtung zuchtlosen und aufsässigen Verhaltens. In der juristischen und pädagogischen Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts fanden sich daher Überlegungen, wie diese jungen Männer kontrolliert werden könnten. Im Zuge dieser Konzeptionen tauchte in den 1880er Jahren der Neologismus der Jugendliche auf (Böhnisch, 2001, S.  93). Der neue Begriff wird notwendig, um den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen. Wissensvermittlung und Bildung werden durch die Entflechtung der bisherigen Einheit von Produktion und Reproduktion zunehmend institutionalisiert. Ausgehend vom Bürgertum entsteht für junge Leute ein „(Schon-)raum zum Lernen, zur Vorbereitung auf ihre künftige Stellung in der Gesellschaft“ (ebd., S. 93). Das Privileg, sich auf die Anforderungen einer sich vergleichsweise rasch verändernden Umgebung anpassen zu können, bedeutet aber gleichzeitig verstärkte materielle Abhängigkeit von der Elterngeneration in dieser Phase. In der Verschränkung von Lern- und Adaptionserfordernissen mit dem Alimentationsbedürfnis sieht Böhnisch die Wurzel zwangsläufig entstehender Generationskonflikte: „In diese Doppelbödigkeit – einerseits sich gegenüber den älteren Generationen weiterentwickeln und ihnen damit kritisch gegenüberstehen zu können und gleichzeitig von ihnen abhängig zu sein – ist der Generationenkonflikt seitdem als zentrales Charakteristikum der modernen Jugend gesellschaftlich einprogrammiert.“ (Böhnisch, 2001, S. 94) © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Auferbauer, Jugendinformationsarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27658-4_2

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Begriffsklärungen und Abgrenzungen

Nach dem Ersten Weltkrieg verstärkt sich diese Dynamik. Böhnisch beschreibt für die Weimarer Republik den starken Anteil von Jugendlichen am kulturellen und sozialen Wandel: „Die Jugend lernte die neuen Berufe, sie strömte in das nach der Weimarer Verfassung offene Bildungs- und Ausbildungssystem und wuchs in einem neuen Rhythmus von Ausbildung, Arbeit und Freizeit hinein. Das äußerte sich unübersehbar und massenhaft in bislang nicht gekannten öffentlichen Verhaltens- und Konsumstilen.“ (Böhnisch, 2001, S. 95) Diese Modernisierung geht mit der Stärkung des Individuums einher. Diese auch damals schon als individualisiert bezeichnete Jugend (ebd., S. 95) hat plötzlich deutlich mehr Gestaltungsspielräume für Festlegungen, wie etwa die Berufswahl, die Wahl des Wohnorts oder hinsichtlich Partnerschaft als die vorangegangenen Generationen. Durch diese bis dato singuläre „Generationslagerung“ erkennt Karl Mannheim Generation als soziologische Kategorie (Mannheim, 1928/1964, S. 541f.). Anstelle eines biologischen Generationsbegriffs tritt eine Sichtweise, die Generationen entlang eines historisch-sozialen Zusammenhangs erfasst. Durch die massiven politischen Umwälzungen nach 1918, den Machtverlust der bis dahin herrschenden Eliten sowie nicht zuletzt durch den Kriegstod oder die dauerhafte Verletzung zahlreicher Männer der Vätergeneration eröffnet sich auch in Österreich ein Generationszusammenhang der um die Jahrhundertwende Geborenen. Während Böhnisch mit Paul Lazarsfeld (1931) argumentiert, dass „die allgemeine Bildungs- und Berufsorientierung […] die Jugend aus ihren mittelschichtigen und proletarischen Herkunftsmilieus“ löst (Lazarsfeld zit. n. Böhnisch, 2001, S. 95), zeigt sich in der Spaltung der österreichischen Zwischenkriegsgesellschaft auch das Vorhandensein von antagonistischen Generationseinheiten.1 Diese Subgruppierungen „bearbeiten aus je unterschiedlichen Perspektiven dasselbe historisch-aktuelle Problem und sie verarbeiten es in jeweils unterschiedlicher Art und Weise, so dass erst ihr spezifisches Aufeinanderbezogensein zur Herausbildung des Generationenzusammenhangs beiträgt“ (Eisentraut, 2007 zit. n. Findenig, 2017, S. 42). Die Jugend orientiert sich an der Struktur der Gegenwart und handelt aus ihrem jeweiligen Generationendruck heraus (Böhnisch, 2001, S. 97). Dennoch muss sie wohl in multiple politische, kulturelle und ökonomische Konzeptionen differenziert werden und kann derart nicht ohne weiteres in einen „Generationentopf “ (Szydlik & Kühnemund, 2009, S. 10) geworfen werden.

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Ob es so etwas wie die von Mannheim beschriebene „Generationsentelechie“ (Mannheim, 1928/1964, S.  518), also eine der jeweiligen Generation innewohnende, allgemein geteilte Zielvorstellung, tatsächlich gibt, erscheint mir in der Betrachtung der bald neunzig Jahre Zeitgeschichte seit der Veröffentlichung von Mannheims Abhandlung mehr als fraglich.

Jugend: Ein Kind der Moderne kommt in der Postmoderne an

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Mit der Beschleunigung des sozialen Wandels ergibt sich zudem ein erschwerter Übergang von der Jugend ins Erwachsenenalter. „Jugendliche in traditionellen Gesellschaften müssen sich weniger ‚abtrainieren‘ als Jugendliche in modernen Gesellschaften (…)“ (Giddens, Fleck & Egger de Campo, 2009, S.  159). Während in traditionellen Kulturen die notwendigen Wissensbestände und Praktiken überwiegend im Zusammenleben mit der Sippe oder Großfamilie vermittelt werden, kommt es in der Moderne zur zunehmend gesamtgesellschaftlichen Relevanz weiterer Soziali­ sationsinstanzen. Ursprünglich liegt das Verhalten der Kinder und Jugendlichen näher an dem der Erwachsenen, während Insititutionen wie Schulen mit der dabei bedingten verstärkten Bezugnahme auf Gleichaltrigengruppen die Ausprägung eigener, jugendspezifischer Formen des Verhaltens begünstigen. Für Anthony Giddens et al. ist es vor allem der Prozess der formalen Erziehung, der die Jugendlichen von Erwachsenen unterscheidet. Mit der Ausweitung der Ausbildungsdauer sind auch junge Erwachsene zunehmend später in der Lage, ein Einkommen zu erzielen. Während biographische Möglichkeiten wie Auszeiten, „um zu reisen und sexuelle, politische und religiöse Bindungen zu erkunden“ (Giddens, Fleck & Egger de Campo, 2009, S. 160) zuvor nur privilegierten Gruppen vorbehalten waren, vermuten Giddens et al. eine Bedeutungszunahme dieses „Moratoriums“. Dabei beziehen sich die AutorInnen auf einen Begriff des Psychoanaytikers Erik H. Erikson, der die Übergangsphase zwischen Kindheit und Erwachsenen-Identität als „psychosoziales Moratorium“ beschrieben hat (Erikson, 1973). Dieser Entwicklungsspielraum ist für die spätere Rolle in Beruf und Familie konstitutiv und führt zum Erwachsenenstatus hin. Durch die Herausforderungen einer Generation Praktikum, die sich zunehmender Jugendarbeitslosigkeit und damit der Schwierigkeit, perspektivenreiche oder zumindest mittelfristig adäquat abgesicherte Arbeitsverhältnisse zu erreichen, ausgesetzt sieht, stellt sich die Frage, ob sich diese überwiegend positive Sichtweise des Entwicklungsspielraums der postadoleszenten Lebensphase außerhalb hochprivilegierter Milieus noch aufrecht erhalten lässt. Kritische Bezugnahmen auf dieses undifferenzierte Modell finden sich bereits bei Werner Helsper, der auf biographische Risikolagen Jugendlicher hinweist, die sich nicht ausschließlich der Klassen- und Schichtzugehörigkeit zuordnen lassen, sondern biographisch und geschlechtsspezifisch überlagert sind (Helsper, 1991, S. 14f.). Dementsprechend ist auch zu überlegen, ob sich unter den Bedingungen eines krisenhaften Arbeitsmarktes nicht ein Bedeutungswandel der Adoleszenz ergeben muss – zumindest bis zu einem gesellschaftlichen Paradigmenwechsel, nach dem Erwerbsarbeit nicht mehr eine zwingende Voraussetzung für vollständige gesellschaftliche Teilhabe darstellt. Stephan Sting beschreibt ein bis in die 1980er Jahre geltendes Strukturmuster von Jugend, das „eng an die Entwicklung der Industrie und Arbeitsgesellschaft gekoppelt ist“ (Sting, 2011a, S. 39). Jugend galt bis dahin als Medium gesellschaftlicher Entwicklung und war mit gesellschaftlichem Fortschritt und Zukunft verbunden. Sting spricht von einem „Bildungsmoratorium“, in dem Jugendliche von Verpflichtungen und Verbindlichkeiten entbunden sind, um sich für künftige Positionen zu bilden

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Begriffsklärungen und Abgrenzungen

und orientieren zu können – nicht zuletzt auch durch das „Austesten normativer Regeln und Grenzen und das Experimentieren mit neuartigen Lebensorientierungen und soziokulturellen Praktiken“ (ebd., S. 39). Die gesellschaftlichen Veränderungen um die Jahrtausendwende führen Sting zufolge zur Auflösung dieses Strukturmusters und zu einer „Entstrukturierung oder Entgrenzung von Jugend“ (ebd., S. 39). Die Pluralisierung und zeitliche Ausdehnung der Lebensphase Jugend zeigt sich in gestiegener „Heterogenität in Abhängigkeit von der Lebenslage und durch Ausdifferenzierung in Teilprozesse und Einzelphasen“, wodurch es nun nicht mehr legitim erscheint, von der Jugend und nicht weiter kontextuell spezifizierten Jugendtypen zu sprechen (ebd., S.  39). Die Anforderungen an Jugendliche verändern sich stark durch den „verschärften Bildungsdruck und Wettbewerb um Bildungsabschlüsse“, der gleichzeitig keine Garantie für das tatsächliche Erreichen einer adäquaten Position in der Gesellschaft leistet (ebd., S. 39). Über diesen Bildungsdruck gewinnen Institutionen zunehmend mehr Bedeutung in der Jugendphase. Zugleich besteht eine „Pluralität von Wert- und Lebensorientierungen“ sowie „steigende Erwartungen an Selbstständigkeit, Mobilität, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit“ (ebd., S. 39), die eine Lebensbewältigung in Form der Integration ins Erwerbsleben zunehmend riskanter werden lassen. Durch „die Verengung der Zukunftshorizonte“ (ebd., S. 40) verschieben sich Prioritäten von Jugendlichen dementsprechend vom Individuellen zum Kollektiven. Es kommt also zu einer Bewegung von „Eigensinn, Emanzipation und Selbstbestimmung“ hin zur „Suche nach Zugehörigkeiten und Integration“ (ebd., S. 40), einer stärkeren Fokussierung auf die Gegenwart und zur Konzentration auf momentane Aufgaben der Lebensbewältigung. Diese Veränderung geht einher mit einer stärkeren Kontrolle von Jugendlichen und einer Umdeutung von Jugend zu einer „Problemphase“, die sich bis in die Verschlechterung der gesundheitlichen Situation Jugendlicher niederschlägt (ebd., S.  40). Speziell an den Übergängen zwischen Schule und Ausbildung „brechen die herkunftsbedingten Ungleichheiten zunehmend auf, und es verstärken sich soziale Schließungstendenzen, die sozial benachteiligte Jugendliche mit stark eingeschränkten Optionen zur Lebensgestaltung konfrontieren“ (ebd., S.  40). Laut Hornstein (2009) sind circa 20 Prozent der Jugendlichen von Belastungen durch diese sozialen Schließungstendenzen betroffen (ebd., S. 40). Im 14. Deutschen Kinder- und Jugendbericht wird ebenfalls die Bedeutungszunahme von Institutionen für Kindheit und Jugend beschrieben: „Etwas zugespitzt könnte man sagen, dass sich im letzten Jahrhundert eine Entwicklung von einer Kindheit, die für viele Kinder durch das Anregungsmilieu der Straße geprägt war, über eine Phase der überwiegend familialen Prägung von Kindheit hin zur Institutionenkindheit vollzogen hat (…).“ (BMFSFJ, 2013, S. 243) Als unbeabsichtigte Folgewirkung dieser wachsenden öffentlichen Verantwortung steigen die gesellschaftliche Ungleichheit und Habitusdifferenzen durch selektive

Information: Wissen in Aktion

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Zugänge zu Angeboten und Qualitätsunterschiede in den einzelnen Institutionen (ebd., S. 247). In ihrem Zusammenwirken bedeuten diese Faktoren für unterprivilegierte Jugendliche einen geringeren Zugang zu Förderung, geringere Bildungsqualität sowie das Erleben von Entmutigung und Diskriminierung. In den tendenziell mittelschichtsgeprägten Bildungs- und Unterstützungssystemen wird „eine Spirale kumulativer Benachteiligung“ in Gang gesetzt, „die sukzessive zur Verstärkung der Ungleichheit führt“ (ebd., S.  247). Diese Gegensätze sind ihrerseits wiederum Teil eines größeren Ganzen, wenn man sich vor Augen hält, dass junge Menschen in Zentraleuropa geschichtlich wohl insgesamt noch nie so gut gebildet, versorgt und abgesichert waren wie heute. Die seit Entstehung des Begriffs Jugendliche immanente Problematisierung der Lebensphase ist trotz ihrer immer stärkeren Ausweitung immer noch gegeben und steht in einem ambivalenten Zusammenhang mit einer gleichzeitig stattfindenden positiven Sichtweise auf Jugendliche als dynamische und gesellschaftsbestimmende Avantgarde. Aufgabe einer wissenschaftlichen Betrachtung von Jugend (vgl. dazu Kapitel 2) muss in diesem Spannungsfeld die Objektivierung tatsächlicher Herausforderungen und Problemlagen sowie der Abbau von Dramatisierungen in Form überzogener Erwartungen beziehungsweise Befürchtungen sein. 1.2 Information: Wissen in Aktion In philosophischen Wörterbüchern finden sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts keine Bezugnahmen auf den Begriff Information (Eisler, 1899/1904; Mauthner, 1910), während es in allgemeinen („Conversations“-)Lexika sehr wohl Bezugnahmen gibt (Brockhaus, 1911; Meyer, 1905; Herder, 1855). Man darf also vermuten, dass der Begriff in der Alltagssprache sehr wohl vorhanden war, während es in der Philosophie beziehungsweise Geisteswissenschaft keinen oder zumindest keinen veröffentlichten Diskurs dazu gab. Während der Eintrag bei den Gebrüdern Herder mit „Erkundigung, richterl. Nachforschung; Rechtsgutachten, daher Informativproceß, Informativgutachten“ (Herder, 1855, S.  413) eine eindeutig juristische Schlagseite aufweist, beziehen sich Brockhaus und Meyer stärker auf die pädagogische Seite des Begriffs. Laut Meyer handelt es sich bei dem aus dem Lateinischen entlehnten Begriff Information um „Unterweisung, Auskunft“ (Meyer, 1905, S.  826). Brockhaus bietet neben einer fast gleichlautenden Begriffserklärung auch noch das Wort „Informator“, also einen „Lehrer, insbes. Hauslehrer“ an (Brockhaus, 1911, S. 859). In Karl-Heinz Hillmanns Wörterbuch der Soziologie findet sich zum Begriff Information neben einer Begriffserklärung der Hinweis, dass durch sie bei den AdressatInnen ein Gewinn an Wissen bei gleichzeitiger Beseitigung von Unkenntnis erfolgt (Hillmann, 2007, S. 371). Als spezifisch soziologische Erkenntnis erscheint die Feststellung, dass der Austausch und die Verbreitung von Informationen die „Voraussetzung für ein gegenseitig aufeinander bezogenes Handeln“ darstellen (ebd., S.  371).

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Begriffsklärungen und Abgrenzungen

Soziale Systeme werden durch Informationen miteinander verbunden (ebd., S. 371). Auf individueller Ebene ist Informiertheit Grundlage für Partizipationsmöglichkeiten und bestimmt den sozialen Status (ebd., S. 371). Erst relativ spät schafft es Information in ein Wörterbuch der philosophischen Begriffe (Kirchner & Regenbogen, 1998).2 Der lateinische Begriff informatio stand bei Cicero ursprünglich für die „Vorstellung über die Bedeutung eines Wortes“ und später für „Belehrung, Unterweisung, der gelehrte, mitgeteilte Inhalt“ (ebd., S.  316). In der scholastischen Philosophie stand Information für „die Gestaltung der Materie durch die Form“ (ebd., S. 316). In der Kybernetik, also der Theorie informationsverarbeitender Systeme, wird als Information hingegen „jedes Aggregat von Symbolen, die nach den Regeln eines Informationssystems identifiziert, erzeugt oder (…) überführt werden können“ bezeichnet (ebd., S. 316). Ausgehend von Rudolf Carnaps Ansatz zur Mathematisierung der Sprache (Logische Syntax der Sprache, 1934) wird durch Information „die Klasse aller Sätze bez[eichnet, Anm.], die von einem Satz logisch impliziert werden“ (ebd., S. 316). Auch in der von C.E Shannon (1949) begründeten Informationstheorie, also der mathematischen Theorie der Nachrichtenübertragung, geht es um die Frage, wie man mit dem Minimum an Symbolen das Maximum an Information übermitteln kann, um „formalisierte Modelle als Grundlage für die Datenvera[r]beitung, Datenübertragung und (…) für die Kommunikation“ zu entwickeln (ebd., S. 316). Dieser kybernetisch-technische Zugang zum Begriff Information hat in den letzten Jahrzehnten durch die Entwicklungen der Digitalen Revolution stark an Bedeutung gewonnen. Wie im Zuge der Industriellen Revolution etwa 200 Jahre zuvor, ergibt sich ausgehend von der Erfindung des Mikrochips und dessen konstanter Leistungssteigerung, der flexiblen Automatisierung in der Produktion sowie dem weltweiten Ausbau des Internets eine ähnlich massive Umwälzung. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen sorgen für einen insgesamt drastisch erhöhten Wissensbestand, fordern gleichzeitig aber auch einen höheren Informationsgrad der Individuen, damit diese adäquat partizipieren können (vgl. zu Informationskompetenz Kapitel 2.3 und zu Informationsgesellschaft Kapitel 2.4). Diese Umwälzungen zeigen sich nicht zuletzt auch in entstandenen Studiengängen zu Informationswissenschaft, deren AbsolventInnen „Informationssysteme entwerfen, betreiben und evaluieren. Sie setzen dazu Methoden aus dem Software-Engineering und der empirischen Sozialforschung angemessen ein“ und sollen in „IT-Unternehmen und -Abteilungen, in der Unternehmensberatung und im Bereich der neuen Medien“ gebraucht werden (Universität Regensburg, 2016, o. S.). Trotz derartiger Bemühungen gibt es keine einheitliche Definition von Information, sondern lediglich kontextabhängige Deutungen. Information kann daher die Tätigkeit des Informierens ebenso meinen, wie den Informationskanal (also zum Beispiel einen Flyer). Als Information kann aber neben der eigentlichen Botschaft 2

Andere Werke, wie das Handwörterbuch Philosophie (Rehfus, 2003), weisen hingegen keine Definitionen des Begriffs Information auf.

Das Handlungsfeld der Jugendinformation – Vorschlag einer neuen Terminologie

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auch der schlußendlich hergestellte Zustand bei der/dem AdressatIn bezeichnet werden. Wenn man auf mögliche AdressatInnen fokussiert, könnte man sagen: „Information ist die Teilmenge von Wissen, die von einer bestimmten Person oder Gruppe in einer konkreten Situation benötigt wird und häufig nicht explizit vorhanden ist.“ (Castillo & Jorzyk, 2012, o. S.) Laut Zimmermann ist Information „der (geglückte) Transfer von Wissen“, was voraussetzt, dass sich der Wissensbestand der Zielperson dadurch positiv verändert hat (Zimmermann, 1995, S. 353). In Anlehnung an Hiltrud von Spiegel könnte man Information auch als Schwerpunkt des Dreiecks aus Können, Wissen und Haltung sehen (Spiegel, 2013, S. 98–118). Der Aspekt der aktiven Veränderung und Handlungsrelevanz findet sich auch im Aphorismus des ersten deutschen Lehrstuhlinhabers für Informationswissenschaft Rainer Kuhlen: „Information ist Wissen in Aktion.“ (Kuhlen zit. n. Hammwöhner, 2004, S. 87) Eine ähnliche Sichtweise findet sich bei Hans Christoph Koller (2011). Dieser beschreibt, dass es in „transformatorischen Bildungsprozessen“ nicht nur zum bloßen Kompetenzerwerb, sondern vielmehr zu einer grundlegenden Veränderung der gesamten Person kommt (Koller, 2011, S. 109). Entlang personaler Faktoren und der jeweils geltenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind bei der Vermittlung von Informationen völlig unterschiedliche Wirkungen und Konsequenzen denkbar. Um Jugendliche adäquat und bedürfnisgerecht informieren zu können, bedarf es daher einer Bezugnahme auf die Lebensumstände und die Persönlichkeit der AdressatInnen sowie auf das Feld, innerhalb dessen die Interaktion erfolgt. 1.3 Das Handlungsfeld der Jugendinformation – Vorschlag einer neuen Terminologie In Darstellungen der Offenen Jugendarbeit finden sich zumeist keine oder nur sehr punktuelle Bezugnahmen auf Jugendinformation als Auftrag oder auf Einrichtungen der Jugendinformationsarbeit als PartnerInnen und Ressource. Im Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit werden in nicht weniger als 101 Kapiteln etwa die Ziele, Zielgruppen, Konzeptionen, Methoden, Einrichtungstypen und sogar Kooperationen diskutiert, ohne auf Jugendinformation Bezug zu nehmen (s. dazu Deinet & Sturzenhecker, 2013). Eine umfangreiche Beschreibung der Offenen Jugendarbeit für Vorarlberg kommt ohne die Nennung des Begriffes Jugendinformation aus – auch die im Bundesland an drei Standorten implementierte institutionelle Ressource wird nicht thematisiert (s. dazu koje – Koordinationsstelle für Offene Jugendarbeit, 2008). Bei Waltraud Gspurnings und Arno Heimgartners Darstellung der Offenen Jugendarbeit in Österreich (Gspurning & Heimgartner, 2016) finden sich zwar vereinzelte Bezugnahmen auf, aber keine systematische Auseinandersetzung mit Jugendinformationsarbeit. Diese wird also demnach im wissenschaftlichen Diskurs nach wie vor als eigener Bereich außerhalb der Offenen Jugendarbeit gesehen. Auch dort, wo informelle Bildungsprozesse als Chance im Kontext von Kinder- und Jugend-

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Begriffsklärungen und Abgrenzungen

hilfe gedacht werden (vgl. dazu Rauschenbach & Otto, 2008) oder verschiedene Perspektiven der Bildung beleuchtet werden (vgl. dazu Harring, Rohlfs & Palentien, 2007), muss sich nicht zwangsläufig ein Bezug auf Jugendinformation ergeben. Heike Voggenthaler ist daher Recht zu geben, wenn sie Jugendinformation als „ein Stiefkind der Jugendhilfe“ bezeichnet, das vielfältige Möglichkeiten böte (Voggenthaler, 2012, o. S.), wenn die Strukturen und Kooperationsformen im Jugendarbeitsbereich besser etabliert wären. „In Österreich wird unter Jugendarbeit generell die außerschulische Jugendarbeit – mit der Betonung auf Aktivitäten in der Freizeit – verstanden. Sie ist auf non-formales und informelles Lernen der Jugendlichen ausgerichtet“ (Häfele, 2011a, S. 379). Die Jugendarbeit ist kein zweckfreies Unterfangen, sondern hat „die Gesamtentwicklung der Kinder und Jugendlichen im Blick und fördert sie in ihrem Aufwachsen, indem sie Handlungs- und Aneignungsräume öffnet“ (Heimgartner, 2009, S.  208). Laut Josef Scheipl sollen die Lebensverhältnisse der AdressatInnen von Jugendarbeit durch die Förderung positiver Lebensumstände und die sozialpädagogische Bearbeitung subjektiver Risikolagen begünstigend mitgestaltet werden (Scheipl, 2003, S.  152). Dabei ergibt sich eine Schnittfläche, vor allem aber ein Abgrenzungsbedarf zu Angeboten der psychosozialen Beratung und Betreuung. Im Rahmen von Jugendarbeit können Auffälligkeiten und Beratungsbedarf sehr wohl wahrgenommen, aber nur eingeschränkt bearbeitet werden. Üblicherweise wird hier eine Vermittlung oder Begleitung zu anderen, spezialisierten Angeboten ausgehend vom individuellen Bedarf der/des Jugendlichen indiziert sein. Jugendarbeit bietet demnach außerhalb von verbindlichen Settings wie Schule und Arbeitsplatz gewisse Formen der Unterstützung an, die von den AdressatInnen selbst nachgefragt werden müssen. Dementsprechend muss die inhaltliche Ausrichtung der Jugendarbeit an der Nachfrage von Jugendlichen orientiert und/oder von diesen mitgestaltet werden können. Dies trifft auf alle Formen der Jugendarbeit zu. Bei Heimgartner (2009) findet sich die „klassische Differenzierung“ in Offene und Verbandliche Jugendarbeit (Heimgartner, 2009, S. 208) und die Beschreibung weiterer Bereiche, die inhaltlich ähnlich gelagert sind, aber in diese Dichotomie schwer einzuordnen sind. Dies umfasst etwa die Bereiche Schulsozialarbeit (ebd., S.  223f.) oder das Hortwesen und die Nachmittagsbetreuung (ebd., S. 217–220). In einer Zusammenfassung für den Sechsten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich umreißt Eva Häfele die „großen Handlungsfelder der Jugendarbeit“ hingegen folgendermaßen: „Verbandliche Jugendarbeit, Offene Jugendarbeit und Jugendinformation stehen im Mittelpunkt“ (Häfele, 2011b, S. 99). Auch wenn die Verbandliche und Offene Jugendarbeit traditionell mehr Gewicht und Sichtbarkeit aufweisen, folgt auch das Ministerium mitunter dieser Sichtweise der Gleichwertigkeit der Bereiche: Für das damalige Bundesministerium für Wirtschaft, Jugend und Familie stellt Jugendinformation neben Offener sowie Verbandlicher Jugendarbeit in den Überlegungen zur Jugendstrategie eine der „drei Formen von Jugendarbeit in Österreich“ dar (BMWFJ, 2013, S. 1). Im lokalen Betrachtungsrahmen zeigt sich, dass

Das Handlungsfeld der Jugendinformation – Vorschlag einer neuen Terminologie

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Jugendarbeit breit gedacht wird: An den institutionalisierten Vernetzungsveranstaltungen der Grazer Jugendzentren nehmen MitarbeiterInnen der Jugendinformationsstelle regelmäßig teil. Alexandra Cangelosi führt im bislang letzten vorliegenden Bericht zur Lage der Jugend in Österreich als „Grundaufgabe“ der Jugendinformation an, „junge Menschen mit den notwendigen Informationen für ein selbstbestimmtes Handeln und wissensbasierte Entscheidungen auszustatten“ (Cangelosi, 2011, S. 489). Dafür wurden eigene institutionelle Angebote, so genannte „Jugendinformationszentren“ als generalistische „One-Stop-Shops“ konzipiert, um Jugendlichen eine leicht zugängliche und nicht problemzentrierte Anlaufstelle zu bieten (ebd., S. 489). Diese soll bezüglich aller für sie relevanten Fragen Orientierungen anbieten, ohne jedwede Stigmatisierung der Jugendlichen aufkommen zu lassen. „Dieses Konzept dient nicht nur dazu, die erste Orientierung dadurch zu erleichtern, dass man mit allen Fragen zunächst einmal hierher kommen kann und ein hochwertiges Service geboten bekommt, sondern gehört auch zur Gewährleistung der Niederschwelligkeit des Angebotes – wenn hier alle Fragen von Freizeitangeboten bis Auslandsaufenthalten gestellt werden können und nicht nur auf bestimmte Problembereiche fokussiert wird, ist eine Stigmatisierung der Nutzer/innen dieser Einrichtung von Anfang an ausgeschlossen.“ (Cangelosi, 2011, S. 489) Das konkrete Angebot wird entsprechend der generalistischen und nachfrageorientierten Ausrichtung als sehr breit gefächert beschrieben: „Die österreichischen Jugendinfos bieten allen Jugendlichen zwischen 12 und 30 Jahren zielgruppengerechte Information zu jugendrelevanten Themen. In den Jugendinfos gibt es kostenlos Broschüren, Infoblätter, weiterführende Adressen, Tipps und Infos zu Themen wie Auslandsaufenthalte, Beruf, Bildung, Freizeit sowie Rat zu Jugendschutz, Sexualität, Wohnen, Geld und Sucht. Zusätzliche Serviceangebote sind Infoveranstaltungen, Computer- und Internetbenutzung, Jobcoaching, Babysitterbörse, Ticketverkauf, Sommer-Open-Air-Kino und die Ausstellung von Ermäßigungskarten (Jugendkarte, Internationaler Jugendherbergsausweis, Internationaler Schüler- und Studentenausweis).“ (Häfele, 2011b, S. 102) Auch für Deutschland finden sich Bezugnahmen auf Jugendinformationsarbeit: Im 12. Kinder- und Jugendbericht findet sich Jugendinformation etwa neben Jugendarbeit, schulbezogener Jugendsozialarbeit, erzieherischen Hilfen als ein Bereich der Kinderund Jugendhilfe unter den „Bildungsorten des Kinder- und Jugendalters“ (BMFSFJ, 2005, S. 165).3 In ebendiesem Bericht wird auch eine eingehende Differenzierung von Bildungsmodalitäten nach Settings und Prozessen vorgenommen: Dabei werden 3

Weitere Einlassungen zur Thematik finden sich im Bericht jedoch nicht.

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Begriffsklärungen und Abgrenzungen

Bildungsarrangements in formale (zum Beispiel Schulunterricht) und non-formale Settings (etwa in der Offenen Jugendarbeit) unterschieden (ebd., S. 97). Mit zunehmendem Alter der Heranwachsenden gewinnt die „selbstständige Aneignung von Räumen und Nutzung von Angeboten“ an Bedeutung (ebd., S. 98). Dadurch kommt es zu einer Zunahme von „Selbstbestimmung und selbst gesteuertem Lernen“. Gleichzeitig geht die Bedeutung organisierter und formalisierter Angebote für individuelle Bildungsprozesse im Übergang von Kindheit zu Jugend zurück, während ein „kompliziertes Geflecht von formalen Angeboten und informellen Prozessen“ entsteht (ebd. S. 98). „Deshalb werden formale Orte zwar nicht bedeutungslos, ihre Leistungen müssen jedoch in Bezug auf die Bedeutung im individuellen Bildungsprozess bewertet werden.“ (BMFSFJ, 2005, S. 98) Diese Bildungsangebote und bildungsrelevanten Umgebungen oder Gelegenheiten sind jedoch keinesfalls gleichverteilt, sondern mit ganz unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten gegeben beziehungsweise sozial selektiven Zugangshürden versehen. Neben „unterschiedlichen lebensweltlichen Unterstützungs- und Anregungspotenziale[n]“ sind es vor allem „die sozialen Disparitäten, die Differenzen nach Herkunft, Migration, Geschlecht und Region“, die BildungsgewinnerInnen von Risikogruppen unterscheiden (BMFSFJ, 2005, S. 98). Sowohl die weiteren Berichte des BMFSFJ (2013, S. 418), als auch die Shell-Studie (Shell Deutschland Holding, 2015, S. 14) und der Sechste Bericht zur Lage der Jugend in Österreich betonen die Abhängigkeit des Schulerfolgs von der sozialen Herkunft der Jugendlichen. Stephan Sting bedient sich der Unterscheidung zwischen formeller und informeller Bildung von John Dewey (1899/1966), um non-formelle Bildungsangebote zu ergänzen (Sting, 2010, S. 7ff.). Diese Unterscheidung „zielt darauf, den Bildungsbegriff für andere Bildungsorte als die Schule zu erschließen“ (Sting, 2010, S. 7), denn „Bildung ist mehr als Schule“ (Sting & Sturzenhecker, 2010, S. 376). Schule ist vom Modus formeller Bildung mit formaler curricularer Struktur geprägt. Non-formelle Bildungskontexte sind ebenfalls „Formen organisierter Bildung“, denen im Gegensatz zum verbindlichen Schulsetting allerdings Freiwilligkeit und „Angebotscharakter“ (Bundesjugendkuratorium, 2002 zit. n. Sting, 2010, S.  8) zukommen. Neben Formen der Nachmittagsbetreuung kommen hier die traditionell auf Freiwilligkeit im Zugang ausgerichteten Angebote der Jugendarbeit in Betracht. Informelle Bildung umfasst „lebensweltbezogene Bildungsformen, die einem Lernen aus Erfahrung in Alltagsvollzügen entspringen“ (Sting, 2010, S. 8). Diese Alltagskontexte können in Familie, Nachbarschaft, Freizeit und vor allem in der Gleichaltrigengruppe angesiedelt sein. Der Spracherwerb- und Sprachgebrauch sind nach Sting Belege für die Wirkmächtigkeit der informellen Bildung: „Im alltäglichen Sprechen eignet sich ein Kind selbsttätig Sprache an. Der Spracherwerb ist dabei vom Sprachgebrauch in der Herkunftsfamilie und im Herkunftsmilieu abhängig. Er differiert nach Muttersprache und Dialekt, nach sprachlicher Differenziertheit und Wortreichtum.“ (Sting, 2010, S. 8)

Das Handlungsfeld der Jugendinformation – Vorschlag einer neuen Terminologie

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Informelle Bildung sollte daher keinesfalls als ein Beiwerk angesehen werden, das sich beiläufig in der Freizeit Kinder und Jugendlicher mit einstellt. Vielmehr begründet sie „lebensweltliche Grundbildung“ (Büchner & Wahl, 2005 zit. n. Sting, 2010, S. 8), auf die formelle und non-formelle Bildungsinstitutionen erst aufbauen können. Angelehnt an diese Differenzierungsebenen schlage ich eine Unterscheidung der Aktivitäten im Bereich der Jugendinformation vor:4 -- Formelle Jugendinformation soll die Arbeit der dafür eigens eingerichteten Institutionen bezeichnen. -- Non-formelle Jugendinformation findet hingegen durch ProfessionistInnen anderer Institutionen statt, die als MultiplikatorInnen der formellen Jugendinformationsarbeit fungieren können. -- Informelle Jugendinformation findet unter den Jugendlichen selbst, also in Peergruppen, der Familie oder sonstigen lebensweltlichen Bezügen der jungen Menschen statt. In der folgenden Abbildung sollen die drei Kontexte symbolisch dargestellt werden: Links ist die Mitarbeiterin einer Jugendinformationsstelle direkt im Kontakt mit Jugendlichen (formelle Jugendinformation).

Abbildung 1: Die drei Kontexte von Jugendinformationsarbeit. Formelle, non-formelle und informelle Jugendinformation (eigene Darstellung mit Nora Weyrers Playmobilfiguren).

Am mittleren Bild instruiert die Mitarbeiterin einer Jugendinformationsstelle einen Lehrer und eine Mitarbeiterin eines Jugendzentrums, die in weiterer Folge in ihren jeweiligen institutionellen Kontexten mit Jugendlichen arbeiten und dabei als MultiplikatorInnen wirksam werden können. Am dritten Bild sind die Jugendlichen untereinander im Austausch, wobei etwa besprochene Medieninhalte von der Mitarbeiterin der Jugendinformationsstelle 4

An dieser Stelle besonderen Dank an Ines Findenig für ihre zahlreichen erhellenden Inputs in unserer transdisziplinären Bürogemeinschaft!

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Begriffsklärungen und Abgrenzungen

gestaltet oder beeinflusst sein könnten. Zudem wäre auch denkbar, dass eineR der beiden in einem Peer-Education-Programm der Jugendinformation tätig ist. 1.3.1 Formelle Jugendinformation In den meisten Bezugnahmen von internationalen Organisationen und Gebietskörperschaften wird auf formelle Jugendinformation Bezug genommen. Konkret gemeint sind damit die im Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos (sowie auf europäischer Ebene im Netzwerk ERYICA5) organisierten Einrichtungen, die seit den 1980er Jahren in allen österreichischen Bundesländern entstanden sind (zur Geschichte formeller Jugendinformation in Österreich s. Kapitel 4.2). In ihrem Selbstverständnis sind die Einrichtungen der Jugendinformation in erster Linie direkte AnsprechpartnerInnen für Jugendliche, in weiterer Folge aber auch für deren Angehörige sowie MultiplikatorInnen. Mit einem sehr weit formulierten Anspruch wird „kostenlose und zielgruppengerechte Information zu allen jugendrelevanten Themen“ angeboten (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2013). Als europäischer Dachverband der formellen Jugendinformationsarbeit hat sich die European Youth Information and Counselling Agency (kurz: ERYICA) entwickelt (zur Geschichte formeller Jugendinformation in Europa s. Kapitel 4.1). In ihrer Charta der Jugendinformation sprechen die VertreterInnen von ERYICA von „allgemeiner Jugendinformation“ 6 – und meinen damit die Angebote der formellen Jugendinformation mit ihrem generalistischen Anspruch und der dafür notwendigen methodischen Breite (vgl. dazu Kapitel 4.3.1): „Allgemeine Jugendinformation deckt alle Themen ab, die Jugendliche interessieren, und kann ein großes Spektrum an Angeboten beinhalten: Information, Beratung, Anleitung, Unterstützung, Hilfestellung, Betreuung und Training, Vernetzung und Empfehlung von Fachstellen.“ (ERYICA, 2004, S. 1) Als Felder, zu denen jedenfalls Angebote für Jugendliche, aber auch Vernetzung und laufender Austausch zu etablieren sind, kommen für ERYICA folgende „specialised information services“ in Betracht (ERYICA, o. J.  f, o. S.): -- Berufsorientierung, Beratung in Arbeitsfragen -- Bildungs-, Studien- und Stipendienberatung -- Gesundheitsthemen 5 6

ERYICA steht für European Youth Information and Counselling Agency (vgl. dazu Kapitel 4.1). Die Charta kennt nur den Begriff der allgemeinen Jugendinformation: Ein wie auch immer gearteter anderer Begriff (etwa spezialisierte oder spezifische Jugendinformation) als möglicher Gegensatz zur allgemeinen Jugendinformation wird von ERYICA jedoch nicht aufgeworfen.

Das Handlungsfeld der Jugendinformation – Vorschlag einer neuen Terminologie

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-- Beziehung und Sexualität -- Sozial- und Rechtsberatung sowie KonsumentInnenschutz -- Jugendprogramme, Europäische Mobilität und Austauschprogramme Formelle Jugendinformationseinrichtungen entstanden durchwegs bewusst als generalistisch ausgerichtete Angebote, die möglichst nahe an den Lebenswelten der Jugendlichen angedockt sein sollten und durch ihre niederschwellige Konzeption eine Inanspruchnahme (gerade auch von weniger begünstigten Jugendlichen) möglichst leicht machen sollten. Wie der historische Abriss in den Kapiteln 4.1 und 4.2 verdeutlichen soll, verstanden sich einige dieser ersten Fachstellen für Jugendinformationsarbeit auch als institutioneller Gegenentwurf zu höherschwelligen und problemzentrierten Beratungsangeboten mit einzelnen, segmentierten Zielgruppen. ERYICA schreibt den Einrichtungen der formellen Jugendinformationsarbeit die Funktion eines Seismographen zu, der Entwicklungen im Jugendbereich besonders früh erkennt und an flankierende Institutionen sowie an die Verwaltung weitermelden kann: „Most of the Youth Information Centres are encouraged to act as ‚seismographs‘ for the respective ministries of the individual [Bundes-, Anm.] länder.“ (ERYICA, 1999, S. 3) Jedenfalls sollen Einrichtungen der formellen Jugendinformation aber ExpertInnen für das Erkennen neuer, relevanter Informationsinhalte, für das Sichtbarmachen bestehender Lücken im bisherigen Angebot sowie in der adäquaten und zielgruppengerechten Vermittlung von Information sein. 1.3.2 Nonformelle Jugendinformation Neben den oben beschriebenen Stellen formeller Jugendinformation gibt es viele weitere institutionelle Kontexte, in denen Jugendlichen Informationen vermittelt werden. Hier kommen etwa Schulen in Betracht, die beispielsweise workshop- oder projektbezogen mit Jugendlichen arbeiten und dafür allenfalls auch externe Expert­ Innen einbinden. Dazu kommen zahlreiche weitere Einrichtungen in Betracht, die mit Jugendlichen gewissermaßen offen arbeiten und diese informieren, Jugendinformation aber nicht als primäre Zielsetzung ihres institutionellen Selbstverständnisses sehen. Dies können beispielsweise Einrichtungen sein, die das Thema Sexualität und damit verbundene Herausforderungen bearbeiten (Stellen gegen sexualisierte Gewalt, geschlechtsspezifische Beratungsstellen, AIDS-Hilfe etc.) oder die hinsichtlich weiterer Themen vor schädlichen Entwicklungen bewahren wollen (Suchtprävention, SchuldnerInnenberatung etc.). Auch Einrichtungen, die politische sowie kulturelle Teilhabe erhöhen wollen oder gewisse Fertigkeiten und Kompetenzen vermitteln, kommen hier in Frage (Einrichtungen für Beteiligung, politische Bildung

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Begriffsklärungen und Abgrenzungen

sowie für Aktivitäten im Bereich Theater, Literatur, Spiel etc.). In der Steiermark haben sich viele (aber bei weitem nicht alle) dieser Stellen im so genannten Fachstellennetzwerk selbst organisiert (s. dazu Kapitel 3.4). Nicht zuletzt kommen auch institutionelle Kontexte in Frage, die sich speziell an eine Dialoggruppe richten. Dies kann regional determiniert (in Form der Landjugend und anderer lokal ausgerichteter Gruppen) oder kulturell-religiös geprägt sein (zum Beispiel ein serbisch geprägter Fußballklub in einer österreichischen Stadt, ein afrikanischer Kulturverein oder muslimische Jugendgruppen). Derartige Gruppen sind ohne diese Gatekeeper für ProfessionistInnen wohl oft nicht erreichbar. Zudem gibt es in der Steiermark mit den sogenannten Info-Points eine Kooperationsform, wo Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit und neuerdings auch SchulsozialarbeiterInnen aktuelle Broschüren der formellen Jugendinformationseinrichtungen und ein spezielles Möbel7 zur Präsentation selbiger bekommen. Auch hier nützt die formelle Jugendinformation die Lebensweltnähe der nonformellen Jugendinformation. 1.3.3 Informelle Jugendinformation Informelle Jugendinformation meint die Kommunikation von Inhalten, ohne dass VertreterInnen von Institutionen (direkt) beteiligt sind. Hier ist an Informationen zu denken, die in der Gleichaltrigengruppe geteilt werden oder an Ideen hinsichtlich Berufstätigkeit, die durch Rollenvorbilder in der Familie determiniert sind. Möglicherweise sind diese Aktivitäten durch adäquate Medieninhalte 8 sowie durch institutionelle Peer-Education-Programme unterstützt. Eine Variante der Stützung informeller Jugendinformation durch Einrichtungen der formellen Jugendinformation wäre beispielsweise das Angebot der Info-Peers in Vorarlberg, wo SchülerInnen höherer Schulen für andere Jugendliche direkt ansprechbar sein sollen und quasi im Hintergrund von aha Vorarlberg, der lokalen Jugendinformationsstelle, unterstützt und mit Materialien sowie Schulungen ausgestattet werden: „Info-Peers geben anderen Jugendlichen Infos weiter. Sie sind Anlaufstelle für MitschülerInnen an ihrer Schule, informieren über das aha und beantworten Fragen zu Au-pair, Ferienjob, Nachhilfe usw. Das Info-Team arbeitet eng mit den MitarbeiterInnen vom aha zusammen. Seit 2013 gibt es Infoboards an diversen Schu-

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Initial war dies ein Ikea-Regal, nun fertigt das Jugendbeschäftigungsprojekt heidenpaß eigens eine Wandhalterung an – schon alleine wegen der ungleichen Steuerbelastung beider Betriebe in Österreich eine erfreuliche und volkswirtschaftlich sinnvolle Veränderung. Darauf können und sollen Einrichtungen der formellen und nonformellen Jugendinformationsarbeit Einfluss nehmen: Die professionelle Kooperation mit „externen MedienpartnerInnen“ ist eine Qualitätsdimension der formellen Jugendinformationsarbeit (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2013, S. 17).

Das Handlungsfeld der Jugendinformation – Vorschlag einer neuen Terminologie

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len, damit SchülerInnen sich über die verschiedenen Veranstaltungen, Termine und Aktionen von aha und 360 informieren können.“ (aha Vorarlberg, o. J.) Als Anreiz für die Info-Peers werden der Ausbau sozialer Kompetenzen, Partizipationsmöglichkeiten, ein Zertifikat sowie finanzielle Anerkennung geboten (aha Vorarlberg, o. J.). Die Stärke eines solchen Zugangs liegt sicherlich in der lebensweltlichen Anbindung und einer erhöhten Glaubwürdigkeit des Informationsangebotes, wenn es von (annähernd) gleichaltrigen Personen und ohne Wahrnehmung eines institutionellen Selbstzwecks kommuniziert wird.

2 Bedarfsfeststellungen und Legitimationen von Jugendinformationsarbeit aus sozialpädagogischen und bildungssoziologischen Perspektiven

Im Wissen um die Unschärfe der Abgrenzung der Disziplinen sollen im folgenden Überlegungen dargestellt werden, die in einem Kontext zu Jugend und Information stehen und aus denen mögliche Legitimationen und Gestaltungsdirektiven für die Konzeption und Durchführung von Jugendinformation abgeleitet werden können. Abschließend sollen diese Befunde im Spannungsfeld funktionalistischer und konflikttheoretischer Perspektiven auf Gesellschaft im Allgemeinen und Jugend im Speziellen diskutiert werden. 2.1 Transitionen Ausgehend von den gesellschaftlichen Umwälzungen in der Moderne gewinnt die Betrachtung der Übergänge von Kindheit zur Jugend sowie aus der Jugendphase zum Erwachsenenalter an Gewicht. Durch die zunehmend stärkere institutionelle Prägung von Kindheit und Jugend kommen auch der Eintritt in elementarpädagogische Einrichtungen sowie der Wechsel auf weiterführende Schulen und in andere Ausbildungskontexte hinzu. Weitere häufig stattfindende Veränderungen in der Familie sind die Trennung der Eltern oder ein Umzug an einen anderen Wohnort. Diese Statuspassagen werden oftmals mit dem Begriff der Transition beschrieben. Diese bedeutenden Übergänge müssen bewältigt werden, indem innerhalb relativ kurzer Zeit viele tiefgreifende Veränderungen verarbeitet werden müssen. Kinder beziehungsweise Jugendliche sind dabei „unterschiedlichen Belastungen unterworfen, da sie sich einer neuen Situation anpassen müssen“ (Vollmer, 2012, S. 272). Als „kritisches Lebensereignis“ (ebd., S. 272) kann sich ein Übergang sowohl positiv als auch negativ auf die Entwicklung des jungen Menschen auswirken. Gelingt die Anpassung an die neue Lebenssituation nicht adäquat, entstehen zwangsläufig problematische Situationen, Stress und Belastungen für die weitere Entwicklung. Wie Kinder und Jugendliche solche Übergange meistern, hängt „von ihrer psychischen Widerstandsfähigkeit ab“ (ebd., S. 272). Diese Widerstandsfähigkeit wird zumeist mit dem Resilienzbegriff beschrieben. Schwab und Fingerle (2013) unterscheiden dabei personale und soziale Schutzfaktoren. Besonders die personalen Schutzfaktoren erscheinen dabei durch pädagogische Angebote wie die Jugendarbeit positiv beeinflussbar: © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Auferbauer, Jugendinformationsarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27658-4_3

22  Jugendinformationsarbeit aus sozialpädagogischen und bildungssoziologischen Perspektiven „Zu den am häufigsten gefundenen personalen Schutzfaktoren in den empirischen Studien zählen unter anderem eine hohe Sozialkompetenz sowie ein positives Selbstkonzept, Kommunikations- und Problemlösefähigkeiten, die effektive Nutzung von eigenen Talenten und Interessen, die Fähigkeit, zielgerichtet zu planen und zu handeln, eine flexible Form der Stressbewältigung, Selbstvertrauen, eine optimistische, zuversichtliche Lebenseinstellung sowie Intelligenz. Aber auch Talente, Interessen und Hobbys können Schutzfaktoren sein.“ (Schwab & Fingerle, 2013, S. 100) Soziale Schutzfaktoren – allen voran „eine sichere Bindung“ (Schwab & Fingerle, 2013, S. 101) – liegen hingegen für die allermeisten Kinder und Jugendlichen in der Sphäre der Eltern. Damit ist die Erhöhung dieser sozialen Schutzfaktoren durch institutionelle Interventionen vor allem in den ersten Lebensjahren ein eher schwieriges Unterfangen. Während die Eltern vor allem in der frühen Lebensphase ihrer Kinder prägend sind, kommt es im Zuge von Transitionen (wie etwa durch Kinderbetreuungseinrichtungen und den Schuleintritt) auch zur Erweiterung der persönlichen Bezüge von Kindern und Jugendlichen. Nach Hurrelmann (2006) erfolgt die Persönlichkeitsbildung innerhalb verschiedener Sozialisationsinstanzen. Idealtypisch ist die primäre Sozialisationsinstanz aus Familie, Verwandtschaft und sonstigen nahestehenden Personen zusammengesetzt. Innerhalb dieser primären Sozialisation erfolgt die stärkste Prägung üblicherweise durch die Eltern (ebd, S. 33). Als sekundäre Sozialisationsinstanzen wirken Bildungseinrichtungen und damit außerfamiliäre Beziehungen, wo es auch zum intensiveren Kontakt mit der Gleichaltrigengruppe kommt. Im Jugendalter sowie im Übergang zum Berufsleben kommen tertiäre Sozialisationsinstanzen hinzu. Diese umfassen Freizeitorganisationen, Medien und Gleichaltrige (ebd., S. 35). Entlang der jeweiligen Relevanz dieser Sozialisationsinstanzen zeigt sich, wo die jungen Menschen gerade stehen: „Ein sicherer Hinweis, dass bei einem jungen Menschen das Jugendalter vor der Tür steht, ist die zunehmende Hinwendung zu einer oder mehreren Gleichaltrigengruppen. Schritt für Schritt, manchmal auch abrupt, gewinnt die Zugehörigkeit zu einer Gruppe etwa gleichaltriger junger Menschen erheblich an Bedeutung. Relativiert wird damit vor allem der bisher vorherrschende primäre Bezugsrahmen der Familie bzw. die Dominanz der Eltern.“ (BMFSFJ, 2013, S. 168) Die durchschnittliche Zeitverwendung Jugendlicher zeigt dahingehend auch „den hohen Stellenwert der Gleichaltrigenbeziehungen“ in der Jugendphase, während „umgekehrt die allein verbrachte Freizeit ganz offenbar die Ausnahme darstellt“ (BMFSFJ, 2013, S. 168). Vom Bild einer Jugendphase mit klarem Beginn- und Endzeitpunkt sollte man sich jedoch lösen. Die schon vor mehr als dreißig Jahren konstatierte „Entstrukturierung der Jugendphase“ (Olk, 1985, S. 290) sowie die Reduktion von Normalbiografien

Transitionen

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zugunsten „entstrukturierter Lebensläufe“ (Hurrelmann, 2003, S. 115) zeugt von heterogenen Bedingungen und asynchronen Verläufen. Zudem werden „Verlängerung und Diversifizierung von Übergangsprozessen [des Jugendalters, Anm.] in das Erwachsenenalter“ deutlich (BMFSFJ, 2013, S. 168). Fraglich ist daher, ob man von einer Verlängerung der Jugendphase ausgehen kann oder ob man sich an der These von Andreas Walther (2008) orientiert, wonach es sich bei jungen Erwachsenen um eine eigene Lebensphase handelt (Walther, 2008, S.  10). Während die klassische Jugendphase durch den zentralen Einfluss der Institution Schule geprägt ist, kann in der Phase des frühen Erwachsenenalters – durch die biografische Ausgangslage sowie individuell getroffene Entscheidungen – eine Mehrzahl von Institutionen relevant werden (BMFSFJ, 2013, S.  186). Die Institutionen werden „selbst optional und damit nur noch für einzelne Gruppen junger Erwachsener subjektiv relevant und objektiv Lebenslauf prägend“ (ebd. S.  186). Dafür, dass die Rolle von Familien und Institutionen hingegen auch künftig zunehmend starkes Gewicht haben wird, spricht die Wahrnehmung von „structured contradictions’’ im Sozialisationsprozess (Chisholm & Hurrelmann, 1995). Aspekte wie die Verzögerung des Auszugs aus dem Elternhaus sowie des steigenden Durchschnittsalters von Erstgebärenden und die zunehmende Verlängerung von formellen Bildungsprozessen führen zur Paradoxie, dass wichtige Passagen ins Erwachsenenalter immer später erlebt werden, trotz tendenziell früherer psychosexueller Entwicklung der Individuen. Dies führt dazu, dass sich die Verselbständigung von Jugendlichen biografisch nach hinten verschiebt und intergenerationale Abhängigkeiten zunehmen, sofern sie nicht sozialstaatlich kompensiert werden. Im 14. Deutschen Kinder- und Jugendbericht wird auf Übergangsprozesse als „kritische Phasen“ eingegangen, die besondere Aufmerksamkeit brauchen (BMFSFJ, 2013, S.  248). Nicht nur die Kinder und Jugendlichen selbst, sondern auch ihre Familien sind dabei stark herausgefordert. Dies kommt noch stärker zu tragen, wenn Eltern die wirkenden Systeme nicht von der eigenen Kindheit her kennen und/ oder unterprivilegiert sind: „Eltern sind aufgrund fehlender eigener Erfahrungen und/oder Kompetenzen als ‚Übergangsbegleiter‘ ihrer Kinder oft überfordert. So fehlt etwa Eltern mit eigener Migrationserfahrung vielfach die Möglichkeit, Chancen und Anforderungen des (Aus-)Bildungssystems realistisch einzuschätzen, und Eltern mit niedrigem kulturellen Kapital erleben sich im Umgang mit Bildungsinstitutionen vielfach ohnmächtig und überfordert.“ (BMFSFJ, 2013, S. 248) Die AutorInnen fordern daher „ein professionelles Übergangsmanagement, das nicht nur, aber doch auch vor allem, benachteiligte Gruppen mit geringen familiären Ressourcen ermutigt und befähigt, mit den institutionellen Logiken und Anforderungen umgehen zu können“ (BMFSFJ, 2013, S. 248). Als Vorstufe zu einem derartigen Angebot wäre auch schon ein leicht zugängliches, lebensweltnahes und ressourcenorientiertes Informationsangebot für Jugendliche sowie deren Eltern von großer Bedeutung.

24  Jugendinformationsarbeit aus sozialpädagogischen und bildungssoziologischen Perspektiven 2.2 Jugendinformation als Unterstützung bei Entwicklungsaufgaben Die aktuelle Ausgabe der Shell-Studie beginnt mit dem Befund, wonach die „Lebensphase Jugend von zwei großen Herausforderungen geprägt [ist]: der persönlichen Individuation und der gesellschaftlichen Integration“ (Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2015, S. 33). Damit nehmen die AutorInnen Bezug auf das Konzept der Developmental Tasks von Robert J. Havighurst (1948). In der individuellen Entwicklung Jugendlicher bestehen diese Entwicklungsaufgaben „aus der Überlagerung bereichsspezifischer Veränderungen (biologisch, kognitiv, emotional, aktional) mit zeitlich variierenden Effekten“ (Dreher, 2015, S. 10). Diese Veränderungsprozesse können also mehrere Ebenen berühren und zudem auch durch die Art der Verursachung (internal bzw. external), ihre zeitliche Erstreckung (lange bzw. kurz andauernde Prozesse) und den Grad des Bewusstseins über den Entwicklungsprozess unterschieden werden. Ob und wie diese Herausforderungen bewältigt werden können, ist abhängig von zahlreichen Faktoren wie etwa der Physis und Gesundheit der/des Jugendlichen sowie ihrer/seiner sozialen, ökonomischen und kulturellen Lebensbedingungen. Zudem findet die jeweilige eigene Entwicklung im Fluss sich verändernder gesamtgesellschaftlich determinierter Rahmenbedingungen statt. Dies hat zur Folge, dass jede neue Generation von Jugendlichen andere Rahmenbedingungen vorfindet und eigene oder zumindest differenzierte Formen der Ausgestaltung der Entwicklungsaufgaben etablieren muss. Als zentrale Entwicklungen hinsichtlich dieser Rahmenbedingungen nennen die AutorInnen einerseits „die ökonomischen Verwerfungen“, die auch zur Folge haben, dass der Spielraum öffentlicher Haushalte für eine Politik zugunsten der jungen Generation stark eingeschränkt ist (Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2015, S. 37). Während viele europäische Länder eine sehr schwierige Arbeitsmarktsituation für Jugendliche aufweisen, zeigt sich in Deutschland, dass der „Arbeits- und Ausbildungsmarkt äußert robust“ sind (ebd., S. 38). Das zweite große Thema, das hinsichtlich der veränderten Entwicklungsbedingungen konstatiert wird, lässt sich hingegen nicht nur für ganz Europa, sondern global festmachen: „Politische Konflikte“, etwa in den arabischen Ländern, in der Ukraine und durch supranational agierende terroristische Gruppen sowie eine generelle Verunsicherung – auch durch Umweltkatastrophen wie den Nuklearstörfall von Fukushima im Jahr 2011 (ebd., S.  38f.). Neben diesen ökonomischen und politischen Veränderungen sind die Lebens-bedingungen Jugendlicher aber auch durch technische, soziale und kulturelle Konstellationen von Lebensbedingungen geprägt. In jeder Altersphase werden die Heranwachsenden, „bedingt durch die körperliche Entwicklung und aufgrund von altersspezifischen sozialen Erwartungen“ mit jeweils ähnlichen Herausforderungen konfrontiert (ebd., S. 39). Folgende Entwicklungsaufgaben des Jugendalters werden von Albert, Hurrelmann und Quenzel beschrieben (ebd., S. 39):

Jugendinformation als Unterstützung bei Entwicklungsaufgaben

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--„Qualifizieren“, also sich in Schulen (aus-)bilden zu lassen, um einen Beruf ergreifen und finanziell selbständig werden zu können. --„Soziale Bindungen aufbauen“, sich einerseits von den Eltern abzulösen, um andererseits Freundschaften mit Gleichaltrigen einzugehen und eine eigene Partner­ Innenschaft „mit potenzieller Familiengründung“ 9 aufzubauen. --„Regenerieren“, indem eine eigenständige Rolle als KonsumentIn, im Wirtschaftsleben und als MediennutzerIn etabliert wird. --„Partizipieren“, also eine eigene Wertorientierung ausbilden, die eine Orientierung für das eigene Handeln leisten kann und die die Übernahme einer Rolle im politischen Prozess der Demokratie ermöglicht. Das Konzept der Entwicklungsaufgaben muss aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen konstant weitergedacht werden, da sich die tatsächlich stattfindenden Übergangsmuster im jungen Erwachsenenalter zunehmend vielfältiger darstellen. Phänomene wie gleichgeschlechtliche Paarbeziehungen, Kinderlosigkeit sowie das mehrmalige Durchlaufen bestimmter Statuspassagen gewinnen mehr und mehr an gesellschaftlicher beziehungsweise auch rechtlicher Normalität – wie zuvor etwa die nicht-eheliche Lebensgemeinschaft. Die AutorInnen des 14. Deutschen Kinderund Jugendberichts beziehen sich ebenfalls auf die Darstellung nach Hurrelmann, die der Shell-Studie zugrunde liegt, betonen dabei aber die Dynamik und sehen Ergänzungen vor allem hinsichtlich der Aspekte von Informations- und Medienkompetenz gerechtfertigt: „Diese fast schon klassischen Beschreibungen der Entwicklungsaufgaben im Jugendalter werden immer wieder ergänzt und um weitere Ansprüche fortgeschrieben. Relevant scheinen dabei vor allem Hinweise zu sein, dass der kompetente Umgang mit Medien eine spezifische Herausforderung darstellt.“ (BMFSFJ, 2013, S. 140) In ihrer Habilitationschrift Entwicklungsaufgaben und Gesundheit im Jugendalter ergänzt Gudrun Quenzel noch das „Akzeptieren körperlicher Veränderungen“ (Quenzel, 2015, S. 51). Zudem wird die Aufgabe Regenerieren gegenüber der Beschreibung in der Shellstudie um die Entspannungsstrategie Substanzkonsum erweitert (ebd., S. 122). Das Jugendalter wird als „Lebensspanne mit einer dichten Staffelung von Entwicklungsaufgaben“ beschrieben (Albert, Hurrelmann & Quenzel, 2015., S.  39), mit der Konsequenz, dass Bewältigungsprobleme für Jugendliche eine besondere Gefahr darstellen. Eine subjektiv als misslungen empfundene Entwicklungsaufgabe erhöht „das Risiko einer negativ geprägten Identitätsentwicklung und des Auf9

Trotz der in jüngerer Vergangenheit möglich gewordenen Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare haftet dieser potenziellen Familiengründung ein heteronormativer Unterton an. Auch die bewusst gewählte Option der Kinderlosigkeit gerät hier in die Nähe einer negativen Zuschreibung.

26  Jugendinformationsarbeit aus sozialpädagogischen und bildungssoziologischen Perspektiven tretens von Einschränkungen im körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefinden“ (ebd., S. 40). Hinsichtlich der gesund-heitlichen Folgen bei Bewältigungsproblemen von Entwicklungsaufgaben hält Quenzel (2013) fest, dass diese „ein vielfach größeres gesundheitliches Risiko darstellen, als der jugendliche Nikotin- oder Alkoholkonsum“ (Quenzel, 2013, o. S.). Probleme mit den Entwicklungsaufgaben schlagen sich unmittelbar belastend auf das gesundheitliche Wohlbefinden Jugendlicher nieder, haben zudem aber auch eine verfestigte negative Wirkung für spätere Lebensphasen (ebd.). Quenzel schlägt daher vor, Präventionsprogramme zu erarbeiten, in denen die Bewältigungsprobleme bei psychosozialen Entwicklungsaufgaben stärkere Berücksichtigung finden (Quenzel, 2013, o. S.). Dennoch überwiegen Programme der Verhaltensprävention gerade im Jugendalter deutlich gegenüber verhältnisorientierten Maßnahmen. Der Gedanke, dass die Perspektive der Jugendlichen selbst im Konzept der Entwicklungsaufgaben üblicherweise nicht mitgedacht wird, findet sich bei Ecarius et al. (2011). Weiters sind die einzelnen Aufgaben nicht voneinander getrennt zu betrachten, sondern durchwegs voneinander abhängig. Aspekte wie die berufliche Qualifikation oder Ablösung von den Eltern sind zudem keine dichotom ausgeprägten Sachverhalte. Beziehungen zu Gleichaltrigen schließen das Fortführen des Kontakts zu den Eltern nicht aus. Qualifikation und finanzielle Selbständigkeit sind Herausforderungen, die in den seltensten Fällen für die gesamte Lebensspanne erledigt sind, sondern die sich im Lauf der Zeit immer wieder neu stellen können. „Die Auftrennung nach ‚Entwicklungsaufgaben‘ muss in der subjektiven Wahrnehmung Heranwachsender somit höchst künstlich erscheinen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Verselbstständigung auf der Verhaltensebene (etwa indem man Probleme nun vorrangig mit Gleichaltrigen bespricht) nicht zur Auflösung des emotionalen Bezugs zu den Eltern führen muss. Für eine gelingende Reorganisation der Eltern-Beziehung trifft es viel eher zu, dass diese weiterhin als positiv und haltgebend erlebt wird, während gleichzeitig neue Beziehungen zu Gleichaltrigen aufgenommen werden.“ (Ecarius, Eulenbach, Fuchs & Walgenbach, 2011, S. 128) Wilfried Ferchhoff (2000) betont die Rolle von Jugendlichen, die auch „als produktive Gestalter ihrer Entwicklungsaufgaben“ betrachtet werden können, die gesellschaftliche Strukturen „selbstgesteuert, handlungskompetent und persönlich im Kontext tendenzieller Handlungsfreiräume erschließen“ (ebd, S. 69). Hierbei stellt sich die Frage, ob diese Spielräume im Handeln auch tatsächlich für alle Jugendlichen gegeben sind und welche Unterstützungssysteme für junge Menschen aus benachteiligten Kontexten bestehen. Davon ist nicht unbedingt auszugehen, sondern vielmehr von einer zunehmend unterschiedlichen Ausstattung der Jugendlichen mit ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital. Die Chance, Entwicklungsaufgaben zu bewältigen, ist dadurch massiv beeinflusst.

Jugendinformation als Unterstützung bei Entwicklungsaufgaben

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„Die Erwartung, dass derartige Entwicklungsaufgaben im Jugendalter quasi wie selbstverständlich zu bewältigen seien, stellt aber nur die eine Seite der Medaille dar. Auf der anderen Seite gilt es zu berücksichtigen, dass die dafür notwendigen gesellschaftlichen und institutionellen Voraussetzungen sich nicht selten als prekär und eher wenig förderlich erweisen. Die Entwicklung einer eigenen Identität stellt schon für sich genommen eine anspruchsvolle Aufgabe dar. Unter den Bedingungen hochgradig individualisierter, vermeintlicher Multioptionsgesellschaften und der ‚flüchtigen Moderne‘ (Bauman 2000) bei gleichzeitig begrenzten Ressourcen nimmt diese Anforderung fast schon paradoxe Züge an.“ (BMFSFJ, 2013, S. 140) Das Gelingen von Entwicklungsaufgaben kann auch als Erleben von Selbstwirksamkeit, also der Überzeugung, das eigene Leben und die Umgebung mitgestalten zu können, wahrgenommen werden. Die soziale Bedingtheit gelingender oder misslingender „Weltbeziehung“ des einzelnen Individuums wurde zuletzt unter dem Schlagwort der Resonanz von Hartmut Rosa beschrieben (Rosa, 2016, S. 633–670). Die weiters entstandenen Überlegungen zur Resonanzpädagogik (Rosa & Endres, 2016) könnten auch in Bezug auf Unterstützung bei Entwicklungsaufgaben über den schulpädagogischen Kontext des Klassenzimmers hinaus gedacht werden. Trotz der Bezugnahme auf die Herausforderungen einzelner Gruppen von Jugendlichen besteht insgesamt eine eindeutig positive Wahrnehmung hinsichtlich der Entwicklung von Jugendlichen (für Deutschland: Shell Deutschland Holding, 2015, S.  14f.; für Österreich: Dreher & Liebentritt, 2011, S.  3–13; für die Steiermark: Scharinger & Ehetreiber, 2014, S. 2–5). Dies ist dem Zusammenspiel pädagogischer Instanzen, der Gleichaltrigengruppe aber auch den Medien zu verdanken: „Im Ergebnis führt dies dazu, dass der Großteil der Jugendlichen die für ihr Alter charakteristischen Entwicklungsaufgaben weitgehend problemlos, unauffällig und häufig erfolgreich bewältigen. Wichtige Rollen spielen dabei nach wie vor die Familie, die Schule, die Angebote der außerschulischen Jugendarbeit, ein breites Spektrum von Unterstützungs- und Förderangeboten sowie die Gleichaltrigengruppen und nicht zuletzt häufig auch die medial vermittelten Angebote.“ (BMFSFJ, 2013, S. 140) Für Jugendliche, die zumeist gleich mehrere Herausforderungen und Auffälligkeiten sowie weniger Ressourcen aufweisen, die vielfach riskant und delinquent handeln und problematische Entwicklungsverläufe aufweisen, bedarf es einerseits gezielter Unterstützungs- und Informationsangebote. Zudem bedarf es auch ein gewissen Toleranz und Gelassenheit, dass dieses Risikoverhalten (Raithel, 2011), also das Erproben der eigenen Möglichkeiten und Spielräume sowie das Erfahren der gesellschaftlich geltenden Normen und Limitierungen, als „explorative Prozesse“ (Seiffge-Krenke, 2008, S. 48) konstitutiv für die Entwicklung der eigenen Identität erkannt werden können. Um aus Episoden des Scheiterns an Entwicklungsaufga-

28  Jugendinformationsarbeit aus sozialpädagogischen und bildungssoziologischen Perspektiven ben keine nachhaltig schädlichen Bewältigungsfallen werden zu lassen, braucht es gesellschaftlichen Ausgleich von Ressourcen- und Informationsdefiziten, der (auch) durch Jugendinformationsarbeit in unterschiedlichen Kontexten begünstigt werden kann. 2.3 Informations- und Medienkompetenz Aufgrund der Verwobenheit der beiden Kompetenzen ist es nicht überraschend, dass die beiden Begriffe Informations- und Medienkompetenz oftmals synonym verwendet werden. Sowohl Forest W. Horton jr. (2007, S. 3) als auch Alexandra Cangelosi (2011, S. 485) betonen zwar die Wichtigkeit der Unterscheidung der Begriffe Medien- und Informationskompetenz, beziehen sich in ihren Ausführungen detailliert aber nur auf zweiteres. Zudem gibt es „bis heute keine einheitliche, letztgültige Definition von Informationskompetenz“ (ebd., S.  486), dafür aber vielfache Bezugnahmen. In der Mitteilung der Europöischen Kommission „Einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens schaffen“ findet sich die Beschreibung der Wichtigkeit von Informationskompetenz (Europäische Kommission, 2001a, S. 6). Medienkompetenz wird „als Voraussetzung für eine wettbewerbsfähigere Industrie und für eine integrative Wissensgesellschaft“ bezeichnet (Europäische Kommission, 2009). In einer Publikation der UNESCO werden von Horton sechs „survival literacies“ für das 21.  Jahrhundert festgehalten (Horton, 2007, S.  3). Zu diesen Überlebenskompetenzen zählen neben den Basisqualifikationen (Lesen, Schreiben, Rechnen), Computerkenntnissen (auch im Sinne von E-Learning), kultureller Kompetenz auch Medienkompetenz sowie Informationskompetenz. Unter Medienkompetenz versteht Horton „the knowledge needed to use old and new media technology to having a critical relationship to media content in a time when the media constitute one of the most powerful forces in society“ (ebd., S. 6). Medienkompetenz wird aufgrund der gesellschaftlichen Bedeutung von Medien auch zu einer notwendigen Grundlage, um eine demokratische Gesellschaftordnung aufrechtzuerhalten (ebd., S. 6). Informationskompetenz wird hingegen als deutlich komplexerer elfstufiger Prozess beschrieben (ebd., S. 8ff.), den Alexandra Cangelosi als „den komplexen Zyklus an Fähigkeiten, die notwendig sind, um Information zu finden, zu bewerten und Nutzen stiftend zu verwenden“ zusammenfasst (Cangelosi, 2011, S. 485). Informationskompetenz ist für Cangelosi (2011, S.  500) der gewichtigere Prozess, der gewissermaßen auf einer etablierten Medienkompetenz aufsetzt: Medienkompetenz ist also die Grundlage für die Ausprägung Informationskompetenz. Diese schafft wiederum die Vor-aussetzung zur selbstbestimmten Partizipation an gesellschaftlichen Prozessen. Die Arbeit an Informationskompetenz soll daher als möglichst breiter Prozess angelegt werden und keinesfalls auf technische Skills reduziert werden:

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„Informationskompetenz umfasst weit mehr als einen versierten Umgang mit Neuen Medien und ist vielmehr Grundvoraussetzung für Jugendliche, an der Gesellschaft in selbstbestimmter und kritischer Weise teilzunehmen. Daher sollte sich die Förderung von Aktivitäten nicht zu sehr und ausschließlich auf Projekte im Bereich Internet, Neue Technologien konzentrieren, sondern die Basis für jeglichen bewussten Umgang mit Information schaffen, indem Initiativen in der weitest möglich ausgelegten Definition von Informationskompetenz unterstützt werden.“ (Cangelosi, 2011, S. 500) In manchen der Jugendstudien und -berichte finden sich Äußerungen zur Wichtigkeit von Medienkompetenz (deutlich seltener: Informationskompetenz), oftmals mit Hinweis auf die soziale Selektivität und damit einhergehende notwendige öffentliche Verantwortung: „Da Medienkompetenzen sich zunehmend zu kulturellen und beruflichen Basisqualifikationen entwickeln, gleichzeitig jedoch soziale Differenzen im Zugang zu und in der Nutzung von neuen Medien bestehen, kann auf eine systematische Integration ihres Erwerbs in die öffentliche Erziehung und Bildung nicht verzichtet werden.“ (BMFSFJ, 2005, S. 60) Die Rolle der Schule wird bei der Entwicklung von Konzepten und der Förderung von Kompetenzen in diesem Bereich als noch nicht vollständig gelingend beschrieben: „Darüber hinaus sind offensichtlich sowohl Konzepte als auch Kompetenzen von Lehrerinnen und Lehrern im Bereich Medienkompetenzförderung sowie die Ausstattung – trotz Initiativen wie ‚Schulen ans Netz‘ – noch deutlich ausbaufähig.“ (BMFSFJ, 2013, S. 181) Entlang des Phänomens der selektiven Wahrnehmung ist es naheliegend, dass gewisse Begrifflichkeiten im Alltag stärker ins Auge stechen, je länger man sich mit ihnen – etwa im Rahmen einer akademischen Qualifizierungsarbeit – befasst. Dennoch erscheint es mir bemerkenswert, dass die Schlagworte Medienkompetenz, Informationskompetenz oder auch Contentkompetenz im Kontext unterschiedlichster sozialer Probleme, die mit dem Jugendalter in Zusammenhang gebracht werden, als Lösungsansatz skizziert werden. Binnen weniger Tage erschienen in der österreichischen Tageszeitung Der Standard Interviews mit dem auf Migrationsthemen spezialisierten Soziologen Kenan Güngör sowie mit dem Leiter des Arbeitsmarktservices Johannes Kopf. In beiden Kontexten wurde Informationskompetenz quasi als Gegengift zu aktuellen Bedrohungsszenarien dargestellt. Hinsichtlich der Gefahr, dass sich Jugendliche, die Angebote der Offenen Jugendarbeit in Wien wahrnehmen, von islamistischen Terrorgruppen anwerben lassen, wird betont:

30  Jugendinformationsarbeit aus sozialpädagogischen und bildungssoziologischen Perspektiven „Güngör plädiert dafür, dass den Schülern Medienkompetenz gelehrt wird. ‚Sie besitzen das technische Wissen, aber keine Contentkompetenz‘. Es gebe zu wenig Vielfalt in der Internetnutzung, die Informationen würden nur aus dem Kreis geliefert werden, in dem sie sich aufhalten. Außerdem müsse die Schule mehr auf Themen, die Jugendliche beschäftigen, eingehen. (…) ‚Sonst passiert die Diskussion woanders.‘“ (Kroisleitner, 2016) Bezogen auf die Thematik des künftigen globalen technisch-ökonomischen Strukturwandels der Arbeit („Millionen Menschen werden ihren Job verlieren“) betont der Leiter des Arbeitsmarktservices, dass sich die Jugendlichen nicht bloß durch ITKenntnisse vor der Erwerbslosigkeit retten werden können, sondern vor allem Informationskompetenz bedürfen: „Aber es fehlt ihnen an noch viel mehr als an technischem Know-how: nämlich an der Fähigkeit, Informationen, die man im Netz findet, richtig zu beurteilen.“ (Kopf zit. n. Breit, 2016) Auch in der Zeit fand sich jüngst ein Gastbeitrag zur Medienkompetenz von Jugendlichen (Gebel, 2016). Darin wird auch auf die aktuelle US-amerikanische und deutsche Studienlage10 Bezug genommen und ein defizitorientiertes Bild gezeichnet. In einer Untersuchung unter 7.804 High-School- und College-Studierenden in den USA zeigte sich, dass mehr als zwei Drittel sogenannte Fake-News nicht von glaubwürdigen Nachrichtenkanälen und redaktionelle Inhalte nicht von Anzeigen unterscheiden konnten (Stanford History Education Group, 2016, S.  4f.). Deutsche Jugendliche werden als grundsätzlich eher informationsbegierig beschrieben: „Je nach Alter wollen 70 bis 80 Prozent der Jugendlichen wissen, was in Deutschland geschieht“ und beziehen daher eigeninitiativ Informationen aus dem Internet, aber auch aus traditionellen Medien wie Radio und Fernsehen (Gebel, 2016, S. 2). Mit zunehmendem Alter gewinnen Online-Nachrichtenportale und soziale Netzwerke an Bedeutung (Bitkom, 2014, S. 19). Das Bewußtsein für größtmögliche Objektivität und neutrale Prüfung der Inhalte ist nur für jeden zweiten 12- bis 14-Jährigen wichtig, steigt aber bis zum Alter von 19 Jahren auf immerhin zwei Drittel (Gebel, Jänger & Wagner, 2016, S. 57f.). Auch die aktuelle JIM-Studie betont für Deutschland die zunehmend starke Rolle der sozialen Medien gegenüber klassischen journalistischen Angeboten (mpfs, 2016, S. 40). Bei widersprüchlichen Aussagen vertrauen die Jugendlichen aber doch vor allem auf Tageszeitungen (ebd., S. 13), während das Internet als Alltagsinformation über das Smartphone genützt wird (ebd., S. 24).

10 Für Österreich gibt es keine reichhaltige Studienlage. Allgemeine Jugendmedienstudien wie die 4. Oö.

Jugend-Medien-Studie 2015 (Education Group, 2015) beziehen sich nur auf ein Bundesland. Dazu gibt es Studien zu einzelnen Aspekten wie Sexting oder Cybermobbing (Saferinternet.at, 2016).

Informations- und Medienkompetenz

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Aspekte der Bildungsungerechtigkeit zeigen sich auch online: In der ICILS-Studie aus dem Jahr 2013 gibt es Hinweise auf einen erheblichen social digital divide. Dies zeigt sich, indem einige wenige deutsche SchülerInnen sehr kompetent im Umgang mit Online-Information sind, während mehr als ein Drittel in den untersten Kompetenzstufen angesiedelt ist (Eickelmann, 2015, o. S.). Auch die JIM-Studie thematisiert die höhere Informations-ausstattung und Medienkompetenz der formal besser gebildeten Jugendlichen (mpfs, 2016, S. 7f.). Gebel schlägt zur Erhöhung des Medienbewußtseins der Jugendlichen vor, medienpädagogische Schulprojekte unter Beteiligung von JournalistInnen durchzuführen sowie Hintergrundinformationen zu Recherche und zum Entstehungsprozess von Nachrichten als Mediencontent stärker zu platzieren (Gebel, 2016, S.  3). Bislang hängt die Medienkompetenz deutscher SchülerInnen zu sehr vom jeweiligen sozialen Hintergrund ab, dies wird durch populistische Positionen auch als zunehmend politisch wahrnehmbare Problematik beschrieben (Gebel, 2016, S. 6). Wie bei vielen Beschreibungen wahrgenommener Defizite und problematischer Verhaltensweisen von Jugendlichen fällt auf, dass es sich hierbei um Projektionen allgemeiner gesellschaftlicher Herausforderungen auf eine einzelne Gruppe handelt. Die angesprochenen Herausforderungen betreffen keineswegs nur Jugendliche, wie die aktuellen Debatten um fake news und hoaxes in sozialen Medien zeigen. Als mögliche Lösung zur „Erhöhung der Informationskompetenz Jugendlicher“ schlägt die langjährige Vorsitzende des Bundesnetzwerks der österreichischen Einrichtungen der formellen Jugendinformationseinrichtungen ihr institutionelles Angebot vor: „Der Umgang mit Informationen wird für Jugendliche immer wichtiger. Die Jugendinformation und Projekte der Länder helfen, sich in der Informationsflut zurecht zu finden“ (Cangelosi 2011a, S. 123). Cangelosi skizziert auch den Wandel der letzten dreißig Jahre und die nicht eingelöste Hoffnung, dass die bloße Verbesserung des Zuganges zu Information die Probleme der Jugendlichen löst: „Während in den 1980er und 1990er Jahren Informationseinrichtungen ein gewisses Informationsmonopol besaßen, hat heute, zumindest theoretisch, jede/r durch das Internet freien Zugang zu allen erdenklichen Themen. Dies hat auch zu einer Veränderung der Jugendinformationsarbeit geführt: Während sich früher eine große Anzahl an jungen Menschen mit kurzen, prägnanten Fragen an die Jugendinfos gewandt haben, wird dieser Informationsbedarf heute durchaus selbstständig im Internet gedeckt. Die an die Jugendinfos herangetragenen Bedürfnisse gehen daher immer mehr in die Richtung der Orientierung in der Informationsflut bzw. der ‚Übersetzung‘ von bereits Gefundenem, der Beratung zu komplexeren Fragestellungen oder auch der Bestätigung der Qualität der selbstständig gefundenen Information. Diese Informationsgespräche brauchen mehr Zeit und beziehen immer öfter die Entwicklung von Informationskompetenz mit ein, indem beispielsweise gemeinsam weiterführende Suchstrategien entwickelt werden, Kriterien zu Beurteilung der Information besprochen und angewandt werden oder ein Diskurs über die Bedeu-

32  Jugendinformationsarbeit aus sozialpädagogischen und bildungssoziologischen Perspektiven tung der gefundenen Information für die Lebenswelt des/der Einzelnen sowie seine/ ihre Werthaltungen geführt wird. Hierfür ist die persönliche Kommunikation und das Eingehen auf die konkrete Ausgangslage des/der Jugendlichen von großer Bedeutung.“ (Cangelosi, 2011, S. 490) In dieser Beschreibung wird deutlich, dass die Arbeit der formellen Jugendinformationseinrichtungen nicht nur Informationen verteilt, sondern sich auch um die individuelle Passung und weitere Perspektiven der AdressatInnen annimmt. Die Trennung zwischen bloßer Information und persönlicher Beratung ist dabei nicht gegeben. Weiters führt Cangelosi aus, dass die Voraussetzungen und bereits vorhandenen Kompetenzen der Jugendlichen sehr heterogen ausgeprägt sind. Zudem wird aber auch deutlich, dass die an anderer Stelle von Cangelosi explizit eingeforderte Unterscheidung von Informations- und Medienkompetenz (2011, S. 485) in der praktischen Arbeit nicht leicht durchzuhalten ist: „Natürlich gibt es neben diesen Jugendlichen, die Hilfestellung eher bei der Orientierung und Bewertung der Qualität der Information benötigen, auch diejenigen, welche keinen Ansatz für eine mögliche eigenständige Recherche identifizieren können und bereits in diesen ersten Stufen der Informationskompetenz Unterstützung brauchen.“ (Cangelosi, 2011, S. 490) Bemerkenswert ist diesem Zusammenhang auch, dass die Einrichtungen der formellen Jugendinformation ihr Angebot über die Bearbeitung dieser Einzelanfragen hinaus entwickelt und Workshopangebote für Gruppen geschaffen haben, in denen Informationskompetenz entwickelt werden soll.11 Dazu gibt es zahlreiche Kooperationsprojekte etwa mit der Offenen Jugendarbeit oder Einrichtungen, die Projekte zu Beteiligung und politischer Bildung anbieten (Cangelosi, 2011, S. 493–499; Moosmann, 2007). Formelle Jugendinformationsarbeit soll dadurch die „Rolle als Navigationshelfer“ (Cangelosi, 2011, S. 490) für junge Menschen in einer zunehmend von Informationsvielfalt und Unübersichtlichkeit geprägten Gesellschaft übernehmen und damit auch die Gefahr der Ausgrenzung aus politischen und wirtschaftlichen Systemen reduzieren. Dieser gesellschaftliche Wandel, der soziale Ungleichheit und Gefährdungen wohl zunehmend verschärft soll nachfolgend kurz skizziert werden.

11 LOGO Jugendinformation hat in der Steiermark ein Gruppenangebot zur Förderung von Informa-

tions- und Entscheidungskompetenz entwickelt und bietet dies überwiegend im schulischen Kontext an („INFOkompetenz“, vgl. dazu Kap. 4.4).

Informationsgesellschaften und weitere riskante Optionen

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2.4 Informationsgesellschaften und weitere riskante Optionen Ab den frühen 1980er Jahren prägt das Schlagwort Informationsgesellschaft den Diskurs gesellschaftlicher Veränderungen mit. Erste Bezugnahmen im deutschsprachigen Raum finden sich etwa bei Kiefer (Auf dem Weg zur Informationsgesellschaft, 1982) oder Sonntag (Die Zukunft der Informationsgesellschaft, 1983). Ausschlaggebend sind dafür zum einen die wirtschaftlichen Umwälzungen hin zu einer wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaft mit einem einhergehenden Rückgang der Bedeutung von Primärsektor und Industriearbeit. Zum anderen sind es technologische Entwicklungen, die diese Veränderungen beschleunigen. Laut Hillmann handelt es sich um „hochentwickelte Gesellschaften der Gegenwart, in denen mit Hilfe moderner Informations- und Kommunikationstechniken […] eine gewaltige Zunahme der Informationsproduktion, -verteilung und -vernetzung in wachsendem Maße das Leben des Individuums, die sozialen Beziehungen […] sowie den sozialen Wandel beeinflusst“ (Hillmann, 2007,S. 371). Durch „Informationsexplosion und -revolution“ (ebd., S.  371) sowie das rasante Wachstum von Wissenschaft und Technologie kommt es zur weitgehenden Verwissenschaftlichung aller Lebensbereiche und zur „Entfaltung einer offenen Gesellschaft, [sowie] eine[r] rationale[n] Gestaltung des Zusammenlebens“ (ebd., S. 372). Als negative Konsequenzen werden die Gefahren der Freiheitseinschränkung, die totale Transparenz als „gläserner Mensch, Arbeitnehmer, Bürger, Verbraucher“ sowie die durch Produktivitätssteigerung verursachte Massenarbeitslosigkeit genannt (ebd., S. 372). Zudem besteht die Gefahr einer politischen Radikalisierung, da mehr Personen durch den raschen Wandel das Bedürfnis nach einfachen Antworten haben, die „von einem vermehrten Angebot trivialer Unterhaltung und verhaltensbeeinflussender Gewaltdarstellung“ (ebd., S.  372) auch noch medial befeuert wird. Jochen Steinbicker (2011) schließt seinen monografischen Vergleich der Beschreibungen von Informationsgesellschaften durch Drucker, Bell und Castells mit dem Befund, dass die „Identifizierung verschiedener Typen von Informationsgesellschaften noch aussteht“ (Steinbicker, 2011, S. 125). Ab den 2010er Jahren gibt es kaum noch Veröffentlichungen zu Informationsgesellschaften. Insgesamt erscheinen die verschiedenen Beschreibungen von Informationsgesellschaften sehr heterogen und gewissermaßen als Projektionsfläche für diverse zeitdiagnostische Wahrnehmungen und Befunde. Für Jugendliche sind jedenfalls die zunehmende „Mediatisierung des Aufwachsens“ (BMFSFJ, 2013, S. 181), die stärkere institutionelle Erfasstheit sowie die Herausforderung, in Multioptionsgesellschaften (Gross, 1994) mit zunehmender Enttraditionalisierung von biografischen Vorgaben heranzuwachsen, stark wirksam. Weniger vorgegebene Biographiemuster mit einhergehender Schwächung des Wohlfahrtsstaates bedeuten mehr Optionen, gleichzeitig aber auch mehr Gefahr in der Lebensbewältigung für die/den EinzelneN in der Risikogesellschaft, wie Ulrich Beck schon vor dreißig Jahren beschrieb (Beck, 1986): „Herauslösung aus historisch vorgegebenen Sozialformen und -bindungen im Sinne traditionaler Herrschafts-

34  Jugendinformationsarbeit aus sozialpädagogischen und bildungssoziologischen Perspektiven und Versorgungszusammenhänge (‚Freisetzungsdimension‘), Verlust von traditionalen Sicherheiten im Hinblick auf Handlungswissen, Glauben und leitende Normen (‚Entzauberungsdimension‘) (…)“ (ebd., S. 206). Informationsgesellschaft kann dementsprechend auch als die Summe von Anforderungen, Qualifikationen und notwendigen Kompetenzen gedacht werden, denen Jugendliche gerecht werden müssen, um gesellschaftliche Teilhabe zu erlangen. Der Stellenwert und die Wichtigkeit von Informiertheit und Informationskompetenz nehmen beständig zu – damit auch die Anforderungen an die Einzelne beziehungsweise den Einzelnen. Dort, wo es nicht im angestrebten Ausmaß gelingt, den zunehmend steigenden Anforderungen gerecht zu werden, besteht die Gefahr, wirtschaftlich abgehängt und gesellschaftlich ausgegrenzt zu werden. Soziale Medien schaffen dahingehende Filterblasen von ungeprüften Informationen, während konventionelle Medien gleichzeitig an Reichweite verlieren. Einen demokratischen und möglichst gleichen Informationszugang für alle Menschen zu gewährleisten, muss daher ein gesellschaftliches Anliegen sein, um weiterhin Gestaltungsräume für active citizenship durch Citoyennes und Citoyens zu gewährleisten und Jugendliche in entscheidenden Lebensphasen zu stützen: „Democratic societies cannot function without information; it is a prerequisite, in particular, for access to citizens’ rights, participation in civil society and freedom of choice. Young people have a special need for information. Being at a crucial phase in their lives, in transition from childhood to adulthood, they have to take important decisions that will influence their later life significantly.“ (Cangelosi, 2012, S. 1) Die Gefahr von Bildungsarmut und einhergehender Arbeitsmarktexklusion ist jedoch durch die Ausweitung des Dienstleistungssektors und dort insbesondere der wissens- und forschungsintensiven Wirtschaftszweige ungebrochen. Für den Wertschöpfungsprozess in Wissensgesellschaften wird die Produktion, Distribution sowie der adäquate Gebrauch von Informationen immer wichtiger, während material­ orientierte und körperliche Arbeit an Bedeutung verlieren. „Diese Trends setzen insbesondere die Gruppe der ‚Bildungsarmen‘ unter Druck.“ (Giesecke, Ebner & Oberschachtsiek, 2010, S. 421) Empirische Analysen für den deutschen Arbeitsmarkt zu den Effekten von Bildungsarmut auf Arbeitsmarktrisiken zeigen, dass „Marginalisierungs- und Exklusionsrisiken nach wie vor – und in Teilen sogar noch stärker als in der Vergangenheit – durch schulische und insbesondere berufliche Bildungszertifikate nachhaltig beeinflusst werden“ (ebd., S. 435). Niedrige formale Bildungsabschlüsse sorgen auch in Österreich für ein deutlich erhöhtes Arbeitslosigkeitsrisiko gegenüber formal besser qualifizierten Personengruppen. Speziell Jugendliche sind beim Versuch, in den Arbeitsmarkt einzusteigen als mögliche „Bildungsverlierer“ von den „Neue[n] soziale[n] Ungleichheiten in der Wissensgesellschaft“ (Quenzel & Hurrelmann, 2010) betroffen. Die Segmentierung der Jugend wird neben einer Erhöhung der Qualifikationsanforderungen auch durch „neue Formen des Lernens“ (ebd., S. 18) verstärkt.

Funktionalistische und konflikttheoretische Perspektiven auf Jugendinformationsarbeit

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Neue Informationstechnologien sorgen für eine Veränderung der Art des Lernens und fördern einen internationalen, kompetitiveren Markt für Bildung und Wissen (ebd., S. 18). Lernprozesse lösen sich zudem aus ihren traditionellen institutio­ nellen Wurzeln der öffentlichen Schulen und Hochschulen und verlagern sich in den informellen, außerschulischen Bereich sowie an private Bildungseinrichtungen (ebd., S. 18). Dieser Wandel schreibt aber bestehende soziale Unterschiede eher fort, als sie aufzubrechen: „Dass jeder jetzt quasi überall und eigenständig lernen kann und soll, scheint auf den ersten Blick zu einem breiteren Zugang zu Wissen zu führen – etwa wenn bei Wikipedia zu Hause und auf Knopfdruck Wissen schnell, kostenfrei und für alle zur Verfügung steht, das zuvor denjenigen vorbehalten war, die in ihren Wohnzimmern umfangreiche Enzyklopädien stehen hatten oder den Weg in die Bibliothek auf sich nahmen. Auf der anderen Seite werden diese Angebote vor allem von denjenigen genutzt, die bereits ein hohes Maß an Bildungskapital besitzen (Eurostat 2009: 98). Da auch die gesellschaftlichen Erwartungen an den Einzelnen, sich Wissen schnell und selbständig anzueignen gestiegen sind, öffnet die Verschiebung zum informellen Wissenserwerb die Schere zwischen denjenigen, die sich permanent selbständig weiterbilden und denjenigen, die dies nur selten tun, weiter.“ (Quenzel & Hurrelmann, S. 18) Jugendinformation bildet gewissermaßen eine Schnittstelle zwischen formellen und informellen Bildungsprozessen. Dadurch hat dieser kontextübergreifende Lernprozess auch Potenzial, der wachsenden Segmentierung entgegenzuwirken, indem niederschwellige Informations- und Lernangebote an Gruppen gemacht werden können, die für Bildung an sich weniger empfänglich sind. 2.5 Zusammenfassung entlang funktionalistischer und konflikttheoretischer Perspektiven auf Jugendinformationsarbeit Im 14. Deutschen Kinder- und Jugendbericht werden die Multiperspektivität der Jugendforschung sowie die Herausforderung der nicht auflösbaren Spannung zwischen den verschiedenen Ansätzen beschrieben: „Alle drei Sichtweisen [der Jugendforschung, Anm.], die eher homogenisierende und die die Heterogenität der Lebenslagen betonende sowie die sozialstrukturelle, stehen meist unvermittelt nebeneinander. In ihnen spiegeln sich nicht nur unterschiedliche Forschungszugänge, sondern auch professionelle und gesellschaftliche Verantwortlichkeiten. Während die in einem Jugendzentrum Tätigen ebenso wie die an den subjektiven Sichtweisen und szenebezogenen Handlungsmustern Interessierten in Forschung und Praxis notwendigerweise dazu neigen, die Differenzen zu betonen, ist es

36  Jugendinformationsarbeit aus sozialpädagogischen und bildungssoziologischen Perspektiven für Öffentlichkeit, Verwaltung und Politik nahezu unvermeidbar, selbst bei Anerkennung der internen Unterschiede den Blick aufs Ganze zu richten.“ (BMFSFJ, 2013, S. 140) Man kann diese homogenisierenden beziehungsweise die Unterschiede betonenden Perspektiven auch unter den Paradigmen von funktionalistischen respektive konflikttheoretischen Ansätzen zur Beschreibung von Gesellschaften beschreiben. Im Folgenden sollen beide Perspektiven kurz skizziert werden. Die abschließend dargestellte Anwendung des von Martha Nussbaum und Amartya Sen (1993) geprägten Capability Approach auf die Jugendforschung durch Zoë Clark (2015) ermöglicht eine Bezugnahme auf die Stärken sowohl des funktionalistischen als auch des konflikttheoretischen Paradigmas. TheoretikerInnen des Funktionalismus beschreiben Gesellschaften als komplexe Systeme, in denen einzelne Teile zusammenwirken und derart gesellschaftliche Stabilität und Solidarität produzieren. Dementsprechend würde es sich im Kontext der Beschreibung von Jugend anbieten, diese als Einheit zu sehen, die denselben Entwicklungsaufgaben nachkommen muss und Verantwortungsübernahme aus den Händen ihrer Elterngeneration anstrebt, um sich schlussendlich selbst zu reproduzieren – woraufhin sich der Kreislauf fortsetzt. Dieses Modell würde der organischen Analogie vieler Funktionalisten folgen, die das Wirken von Gesellschaften wie einen lebenden Organismus beschreiben. Entwicklungsaufgaben hätten dementsprechend eine bestimmte Funktion innerhalb der Gesellschaft, die dazu beiträgt, die Gesellschaft aufrechtzuerhalten. In der funktionalistischen Perspektive wird „die Wichtigkeit eines moralischen Konsensus für die Aufrechterhaltung der Ordnung und Stabilität der Gesellschaft“ betont (Giddens, Fleck & Egger de Campo, 2009, S.  43). Die daraus resultierende Ordnung und das Gleichgewicht stellen den gesellschaftlichen Normalzustand dar. Die harmonische Verbindung der aufeinander folgenden Generationen sowie der Mitglieder einer Generation untereinander (etwa in Form einer funktionalen Arbeitsteilung) passen in diese Perspektive. Émile Durkheim betonte in diesem Zusammenhang zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Wichtigkeit des Bildungssystems bei der Sozialisation (Durkheim,  1995). In Bildungseinrichtungen kommt es zu einem gemeinsamen Verständnis der kollektiv geteilten Werte der Gesellschaft und schließlich zu deren Internalisierung durch die/den EinzelneN. Dieser Prozess bildet die Grundlage zur Ausbildung einer Identität – etwa als Obersteirerin, als Europäer und als Frau beziehungsweise Mann. Die damit verbundenen sozialen Regeln werden gelernt. Auf individueller Ebene wäre eine auch nur annähernd als gelingend empfundene Teilhabe ohne diese Informationen und den Konsens darüber, welche Werte und Normen gelten, keineswegs denkbar. Aus der Perspektive des Konflikts in Gesellschaften wird hingegen die Bedeutung und Wirkmächtigkeit gesellschaftlicher Strukturen hervorgehoben. Konflikte innerhalb dieser Strukturen sowie Positionskämpfe und Machtungleichheiten prägen Gesellschaften. Die Gesellschaften sind in deutlich voneinander abgrenzbare

Funktionalistische und konflikttheoretische Perspektiven auf Jugendinformationsarbeit

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Gruppen unterteilt, die wiederum ihre Gruppeninteressen durchzusetzen versuchen. Gesellschaften werden daher von KonflikttheoretikerInnen als Schauplätze permanent stattfindender Positions- und Verteilungskämpfe gesehen. Institutionen sind Orte, wo Spannungen oftmals besonders deutlich werden, indem Machtinteressen der herrschenden Gruppen zulasten der benachteiligten, beherrschten Gruppen durchgesetzt werden können. Ivan Illich formuliert die Idee eines hidden curriculums, also den Verdacht, dass Bildungsinstitutionen (und damit wohl auch die formellen Jugendinformationsstellen) in erster Linie den Erfordernissen von wirtschaftlicher Verwertungslogik, im Sinne von Disziplin und Hierarchie, gerecht werden (Illich, 2003). In Schulen werden dominante Werte sowie die von gesellschaftlichen Eliten gebilligten Fähigkeiten und Kenntnisse weitergegeben. Diese Einflussnahme und die Ungleichbehandlung sorgen dafür, dass die gesellschaftlichen Klüfte und sozialen Unterschiede aufrechterhalten werden. Die geltende soziale Ordnung wird dadurch von den ihr Unterworfenen unkritisch zu akzeptieren gelernt. Der verborgene Lehrplan weist den Kindern ihren gesellschaftlich zugeschriebenen Platz zu und lehrt sie, dort in Stille zu verharren. Dieses Bild mag in diesem Kontext vielleicht übertrieben sein, weil Jugendinformationsarbeit im Gegensatz zu Schule kein quasi verpflichtendes institutionelles Programm darstellt. Wenn man jedoch die Idee Antonio Gramscis aufnimmt (vgl. dazu etwa Gill, 1993), wonach hegemoniale Werte eine Gesellschaft stabilisieren, so wird man nicht gänzlich abstreiten können, dass gerade formelle Jugendinformation durch ihre Nähe zur Verwaltung und die historische Entwicklung im Sinne eines Top-Down-Prozesses eine solche Hegemoniewirkung hat. Gesellschaftliche Gegenentwürfe und das Hinterfragen geltender Werte und Normen von Wirtschaft und Gesellschaft sind nicht in den Leitlinien und Grundprinzipien von Jugendinformationsarbeit verankert. Stattdessen umfasst das Angebot insbesondere auch Unterstützung bei Bewerbungen, Ferialjobbörsen und Zugänge zu EU-Jugendprogrammen (vgl. zur konkreten Ausgestaltung der formellen Jugendinformationsarbeit in der Steiermark Kapitel 4.4), die nicht zuletzt dazu dienen, die dahinterstehenden Organisationen positiv erscheinen zu lassen. Daher ist der individuelle Zugang in der formellen Jugendinformationsarbeit, der auf von Jugendlichen aufgeworfene Themen reagiert, ein wertvoller Aspekt. Auch wenn es ressourcenschonender und effizienter scheint, im Gruppensetting zu vorbereiteten Themen zu arbeiten, besteht die Gefahr einer Entwertung der Jugendinformation als Erfüllungsgehilfin einer dominanten gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Elite bei der Verfestigung ihres Machtmonopols. Gerade in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Ungleichheit bedarf es einer Fokussierung auf potenziell benachteiligte Jugendliche. Das Konzept der Entwicklungsaufgaben lässt sich im Sinne einer Generationenfolge als funktionalistischer Prozess ebenso denken, wie als Thema einer Konfliktperspektive. Aus letzterer könnte etwa die Entwicklungsaufgabe, sich zu qualifizieren, unter den aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen kritisch betrachtet werden,

38  Jugendinformationsarbeit aus sozialpädagogischen und bildungssoziologischen Perspektiven da es vor allem um die Ausbildung eines unternehmerischen Selbst (Bröckling, 2007) im Sinne einer möglichst konkurrenzfähigen Ich-AG geht: „Permanente Weiterbildung, lebenslanges Lernen, persönliches Wachstum – die Selbstoptimierungsimperative implizieren die Nötigung zur kontinuierlichen Verbesserung. Angetrieben wird dieser Zwang zur Selbstüberbietung vom Mechanismus der Konkurrenz.“ (Bröckling, 2007, S. 72f.) Zudem zeigen sich in den je nach sozialem Milieu unterschiedlichen Erwartungen an Jugendliche auch die Machtunterschiede und Heterogenitäten der Gesamtgesellschaft. Zoë Clark (2015) versucht ausgehend vom Capabilities Approach von Amartya Sen und Martha Nussbaum (1993) eine Neuausrichtung der Jugendforschung im Sinne der „Evaluation der Bedingungen der Möglichkeiten junger Menschen ein Leben führen zu können, das sie mit guten Gründen wertschätzen“ können (Clark, 2015, S. 7f.). Dafür wird nicht allein auf Ressourcenverteilungen, sondern auch auf Spielräume und Möglichkeiten geachtet: „Die UrheberInnen des Capabilities Approach zielen dabei nicht auf einen Vergleich individueller Kompetenzen oder Leistungsfähigkeit und Produktivität, sondern die Möglichkeitsspielräume, die den je Einzelnen zur Verfügung stehen (vgl. Sen, 2001; vgl. Robeyns, 2003b) werden als Gerechtigkeitskriterium herangezogen.“(Clark, 2015, S. 8) In der Denkweise des Capabilities Approach werden Menschen12 als prinzipiell voneinander abhängige soziale Wesen und „Subjekte von Gerechtigkeit“ verstanden (ebd., S. 111). Daher muss diesen Subjekten ein Recht auf Teilhabe unabhängig von ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten zugestanden werden. Mit der Zielsetzung, kritische Jugendforschung entlang der „Dimensionen sozialer Ungleichheit in der Jugendphase“ (Clark, 2015, S. 181–239) zu betreiben, beschreibt Clark die in der Jugendforschung dominanten Konzepte der Transitionen sowie des Moratoriums. Dabei kritisiert sie, dass die in den 1980er Jahren einsetzende modernisierungstheoretische Ausrichtung der Jugendforschung Jugend verstärkt als „Wahl- und Risikobiografie“ zu verstehen beginnt (ebd., S. 112). Jugendliche werden daran gemessen, inwiefern es ihnen gelingt, ein funktionales Erwachsensein zu erreichen und welchen Beitrag (sozial-)pädagogische Institutionen allenfalls beim Erreichen dieser Entwicklungsziele haben. Dabei werden laut Clark oftmals gesellschaftliche Probleme zu individuellen gemacht:

12 Oder – umfassender und weniger anthropozentristisch gedacht – überhaupt alle Lebewesen

Funktionalistische und konflikttheoretische Perspektiven auf Jugendinformationsarbeit

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„Strukturelle Ungleichheiten werden im Zusammenhang der Jugendtransitionsforschung zwar benannt, letztlich jedoch als individuelle Attribute verstanden, die vor allem als Fähigkeiten, die Risiken der Gegenwart zu managen, dechiffriert werden.“ (Clark, 2015, S. 44). Daher sollen nicht nur die Fähigkeiten und Defizite jugendlicher Individuen, sondern auch die institutionellen und strukturellen Bedingungen sowie die Chancen auf Verwirklichung von „Wohlergehen“ untersucht werden (ebd., S.  106). Dieses Wohlergehen in gegenwärtigen und zukünftigen Lebensbedingungen erfülle entlang eines „ethischen Individualismus“ einen „eigenen Zweck an sich“ (ebd., S. 107). Anders als in funktionalistischen oder ökonomistisch-konfliktperspektivischen Argumentationen sollen vor allem Möglichkeitsspielräume von Jugendlichen hergestellt werden: „Vor dem Hintergrund des Capabilities Approach ist Jugend als historisch gewachsener Bestandteil von Gesellschaft vielmehr daran zu bemessen, ob sie das Bündel realer Freiheiten junger Menschen erweitert.“ (Clark, 2015, S. 103). Die zahlreichen Bedingungsfaktoren von Verwirklichungschancen sollen zudem hinsichtlich Klasse, Geschlecht und Ethnie differenziert betrachtet werden. Diese intersektional institutionalisierten sozialen Ungleichheiten wirken fördernd beziehungsweise hemmend auf die unterschiedlichen Zukunftsentwürfe und Verwirklichungschancen von Jugendlichen. Der Ansatz, Jugend als capability zu sehen und allen Jugendlichen ein individuelles Recht auf ein gutes Leben einzugestehen, löst idealerweise die zur Erstarrung neigende Formulierung von Entwicklungsaufgaben ab. Gleichzeitig wird der Heterogenität der Bedingungen des Heranwachsens und der daraus resultierenden Ungleichheit eine gerechtigkeitsorientierte Forschungsperspektive entgegengestellt, die möglicherweise auch die Praxis der formellen Jugendinformationsarbeit anreichert. Im nachfolgenden Kapitel wird geklärt, welche (menschen-)rechtlichen Bezüge und Verpflichtungen zur formellen Jugendinformationsarbeit bestehen.

3 Organisatorische und rechtliche Bezüge der formellen Jugendinformation

Im Folgenden soll dargestellt werden, welche (Selbst-)Verpflichtungen und Legitimationen hinsichtlich formeller Jugendinformationsarbeit in den jeweiligen Rechtsmaterien beziehungsweise Strategiepapieren auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene formuliert sind. 3.1 Internationale Bezüge zu Jugendinformation 3.1.1 Jugendinformation als menschenrechtliche Verpflichtung Die UN-Konvention über die Rechte des Kindes (kurz: Kinderrechtskonvention) aus dem Jahr 1989 wurde von allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen mit Ausnahme von Somalia und den USA ratifiziert und gilt damit als erfolgreichster Völkerrechtsvertrag aller Zeiten (BMFJ, o. J.).13 Im Konventionstext finden sich zwei direkte Bezüge zur Aufgabe der Jugendinformation. Hierbei kommt der erste Absatz des Artikel 13 in Betracht, der sich auf die Freiheit und die Verfügbarkeit von Informationen bezieht: „Artikel 13 (1). Das Kind hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, ungeachtet der Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere vom Kind gewählte Mittel sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben.“ (UNICEF, 1990, o. S .) Die unterzeichnenden Staaten verpflichten sich demnach, dass die Beschaffung oder Weitergabe von Informationen nicht erschwert oder gar verunmöglicht werden dürfen. Der zweite Absatz des Artikels schränkt diese Garantien nur dort ein, wo Rechte Dritter oder Sicherheitsinteressen berührt würden: 13 Vielleicht liegt der Preis für einen so breiten Konsens in der geringen Spezifizierung der Konvention,

da den sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten völlig unterschiedlicher Länder Rechnung getragen werden muss.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Auferbauer, Jugendinformationsarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27658-4_4

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Organisatorische und rechtliche Bezüge der formellen Jugendinformation

„Artikel 13 (2). Die Ausübung dieses Rechts kann bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die erforderlich sind a) für die Achtung der Rechte oder des Rufes anderer oder b) für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sicherheit.“ (UNICEF, 1990, o. S .) Konkrete Leistungsansprüche ergeben sich aus dem Artikel 17 der Kinderrechtskonvention, welcher die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, Kindern und Jugendlichen direkt und indirekt (durch Ermutigung und Förderung von Medien) Zugang zu förderlichen Informationen bereit zu stellen: „Artikel 17. Die Vertragsstaaten erkennen die wichtige Rolle der Massenmedien an und stellen sicher, daß das Kind Zugang hat zu Informationen und Material aus einer Vielfalt nationaler und internationaler Quellen, insbesondere derjenigen, welche die Förderung seines sozialen, seelischen und sittlichen Wohlergehens sowie seiner körperlichen und geistigen Gesundheit zum Ziel haben. Zu diesem Zweck werden die Vertragsstaaten a) die Massenmedien ermutigen, Informationen und Material zu verbreiten, die für das Kind von sozialem und kulturellem Nutzen sind und dem Geist des Artikels 29 entsprechen; b) die internationale Zusammenarbeit bei der Herstellung, beim Austausch und bei der Verbreitung dieser Informationen und dieses Materials aus einer Vielfalt nationaler und internationaler kultureller Quellen fördern; c) die Herstellung und Verbreitung von Kinderbüchern fördern; d) die Massenmedien ermutigen, den sprachlichen Bedürfnissen eines Kindes, das einer Minderheit angehört oder Ureinwohner ist, besonders Rechnung zu tragen; e) die Erarbeitung geeigneter Richtlinien zum Schutz des Kindes vor Informationen und Material, die sein Wohlergehen beeinträchtigen, fördern, wobei die Artikel 13 und 18 zu berücksichtigen sind.“ (UNICEF, 1990, o. S .) Unter litera e) findet sich die Verpflichtung zur Etablierung von Regelungen hinsichtlich des Kinder- und Jugendschutzes, die aber dem Gebot der Verhältnismäßigkeit zu folgen haben und Informationszugang nicht grundsätzlich einschränken dürfen. In einer Broschüre des BMFJ (anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der

Internationale Bezüge zu Jugendinformation

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Kinderrechtskonvention) findet sich folgende zusammenfassende Interpretation des Artikel 17: „Die Staaten müssen dafür sorgen, dass die Kinder und Jugendlichen Zugang zu vielfältigen Informationen haben. In den Medien soll auf die Interessen der Kinder und Jugendlichen eingegangen werden. Gleichzeitig müssen sie vor Medien-Angeboten geschützt werden, die ihnen schaden können.“ (BMFJ, 2014, o. S .) Die Geltung der Kinderrechtekonvention in Österreich ergibt sich durch die Ratifikation des Übereinkommens. Diese ist im Jahr 1992 nach vorhergehender Genehmigung durch den Nationalrat erfolgt. Dadurch hat sich Österreich verpflichtet, die „in mehr als 50 Artikeln festgelegten Rechte der Kinder innerstaatlich durch entsprechende Gesetze und behördliche Maßnahmen zu verwirklichen.“ (BMFJ, o. J., o. S.) Dieser Verpflichtung wurde der Nationalrat am 20. Jänner 2011 mit dem Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern gerecht, womit zentrale Bestimmungen des UNÜbereinkommens in Verfassungsrang gehoben wurden. In den acht Artikeln des BVG Kinderrechte findet sich jedoch keine explizite Bezugnahme auf Informationsthematiken. Österreich ist als Signatarstaat auch dazu verpflichtet, dem Kinderrechteausschuss der Vereinten Nationen in Fünf-Jahres-Intervallen über die Umsetzung der Konvention zu berichten. Dies ist im Jahr 2012 zuletzt erfolgt (Dritter und Vierter Bericht der Republik Österreich an die Vereinten Nationen). Der Bericht nimmt Bezug auf „Zugang zu geeigneten Informationen“ als ein Unterkapitel von „Bürgerrechten und -freiheiten“. Konkret wird genannt: „118. Der Ausschuss empfiehlt, die Bemühungen zum Schutz des Kindes vor schädlichen Informationen fortzusetzen und zu vertiefen. Dazu sollen die Elternbildung und Bewusstseinsbildung der Kinder eingesetzt werden, um Kinder vor Gewalt im Internet, im Fernsehen und in Computerspielen effektiv zu schützen. Auch die internationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet soll gestärkt werden.“ (Republik Österreich, 2012, S. 25) In weiterer Folge werden Aktivitäten von MedienanbieterInnen, InternetproviderInnen und ComputerspielentwicklerInnen im Rahmen der Freiwilligen Selbstkontrolle sowie die unterschiedlichen Fortschritte der Implementierung von Vorgaben in die Jugendschutzgesetze der Länder thematisiert. Bei wohlwollender Betrachtung findet sich im Bericht eine Bezugnahme auf Jugendinformationsarbeit als gestaltenden und kompetenzfördernden Ansatz: „Das Jugendministerium informiert in Kooperation mit Saferinternet.at, dem österreichischen Netzwerkpartner des EU-Programms ‚Safer Internet‘, Kinder und Jugendliche wie auch Eltern und pädagogisch Tätige über die Chancen und Gefahren des Internet, der Mobiltelefondienste sowie der Computerspiele und vermittelt

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Organisatorische und rechtliche Bezüge der formellen Jugendinformation

Handlungsstrategien, um die Chancen nützen und die Gefahren kontrollieren zu können.“ (Republik Österreich, 2012, S. 25) Hier zeigt sich als Kehrseite der Medaille: Der Schutz vor schädlichen Informationen wird im Bericht der Republik Österreich an die Vereinten Nationen deutlich stärker betont, als das Bemühen um die Bereitstellung adäquater Informa­tionen sowie die Stärkung der Kompetenzen Jugendlicher. Ausgehend von der letzten Staaten­berichtsprüfung über die Umsetzung der Kinderrechtekonvention durch den Kinderrechteausschuss im September 2012 wurde beim nunmehrigen Bundesministerium für Familien und Jugend ein Kinderrechte-Monitoring-Board als unabhängiges Beratungsgremium eingerichtet (BMFJ, o. J., o. S.). Das KinderrechteMonitoring-Board setzt sich aus den Kinder- und Jugendanwaltschaften der Länder, VertreterInnen des Netzwerk Kinderrechte, ExpertInnen aus dem Bereich der Kinderund Jugendpsychiatrie, der Jugendchirurgie14, der Demografie, Pädagogik, Rechtswissenschaften sowie der Jugendhilfe zusammen (BMFJ, o. J., o. S.). Die Zivilgesellschaft ist durch folgende NGOs vertreten: Österreichisches Komitee für UNICEF, SOS-Kinderdorf, Österreichische Kinderfreunde, Bundesjugendvertretung, Österreichisches Institut für Kinderrechte und Elternbildung, Boltzmann-Institut für Menschenrechte, Netzwerk Kinderrechte Österreichs, Kinderbüro und Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit. Die Arbeit des Monitoring-Boards ist in zwölf Projektgruppen aufgegliedert, von denen nur eine (Projektgruppe 9 „digikids“) inhaltliche Überschneidungen mit Jugendinformationsarbeit aufweist. In ihrem Arbeitsplan betont sie neben der Forderung nach rechtlichen Regulativen immerhin den Aspekt der Kompetenzentwicklung bei den Jugendlichen selbst: „Die Digitalisierung der Lebenswelten von Kindern verlangt – neben der Kompetenz von Usern im Umgang mit den digitalen Angeboten – nach effektivem Schutz vor Übervorteilung von Kindern (z. B . durch online-gambling, online-betting) sowie nach wirksamem Schutz vor Formen der Demütigung, Beleidigung und Verleumdung und vor ähnlichen Übergriffen in die Privatsphäre von Kindern durch digitale Foren im Internet oder über Mobiltelefone, wie bspw. durch ‚Cyber-Mobbing‘, ‚Happy Slapping‘ oder ‚Grooming‘.“ (BMFJ, o. J., o. S .) Auch die Haltung des Europarats hinsichtlich Jugendinformation wird von der Ansicht charakterisiert, dass aus der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, fundamentalen Grundrechten und der Kinderrechtskonvention hervorgeht: „(…) information is a basic right and (…) young people are a special and vulnerable group“ (Cangelosi, 2012, S.  9). Adäquate Information und Beratung stellt für den Euro14 Aus den entsprechenden Dokumenten geht nicht hervor, ob es tatsächlich das Fach der Jugendchir-

urgie ist, das hier als relevant erachtet wurde, oder ob einE bestimmteR VertreterIn der Disziplin als Person im Gremium berücksichtigt werden sollte.

Internationale Bezüge zu Jugendinformation

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parat die notwendige Grundlage für Autonomie, Inklusion, aktive Teilhabe in der Gesellschaft, Mobilität sowie politische Partizipation dar und bedarf daher adäquater Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten (Cangelosi, 2012, S. 10). 3.1.2 Zugang zu Information als Teil von Indizes internationaler Organisationen Während die Indizes der UNICEF und der OECD erstaunlicherweise wenig Sensibilität für das Thema Jugendinformation aufweisen, zeigt der Global Youth Wellbeing Index (Goldin, Payal & Perry, 2014) des CSIS ein dahingehend geschärftes Profil. In den elf Teilbereichen des Better-Life-Index der OECD wird kein Bezug auf den Zugang zu Informationen genommen (OECD, 2015). Die OECD vergleicht anhand dieses Index ihre 34 Mitgliedstaaten sowie Brasilien und Russland anhand von materiellen Lebensbedingungen und Aspekten der Lebensqualität: „(…) these 11 topics reflect what the OECD has identified as essential to well-being in terms of material living conditions (housing, income, jobs) and quality of life (community, education, environment, governance, health, life satisfaction, safety and work-life balance).“ (OECD, 2015) Die drei Indikatoren des Bereiches education beziehen sich bislang ausschließlich auf formale Bildungsprozesse: -- durchschnittliche Dauer der formalen Bildung -- durchschnittliche Ergebnisse bei der Schulleistungsstudie PISA -- Prozentsatz der Personen, die mindestens einen Abschluss auf Niveau Sekundarstufe II absolviert haben Eine Ausweitung ist sowohl hinsichtlich der Indikatoren als auch der teilnehmenden Länder beabsichtigt. Die UNICEF betreibt mittels Child-Well-Being-Reports das Vorhaben, die Lebensbedingungen von Kindern international vergleichbar zu machen. Auch in der Vergleichsstudie für entwickelte, „reiche“ Länder (sie umfasst 27 europäische Staaten sowie Kanada und die USA) findet sich kein Bezug auf Zugang zu Informationen (UNICEF, 2013). Die fünf untersuchten Dimensionen sind Material wellbeing, Health and safety, Education, Behaviours and risks, Housing and environment. Education orientiert sich wiederum stark an formalen Bildungsprozessen, während die risks vor allem durch die Raten von Teenager-Schwangerschaften sowie des Konsums von Alkohol, Nikotin und Cannabis abgebildet werden sollen (UNICEF, 2013, S. 5). Diese Indikatoren, sowie auch die erhobene Rate an NEETs unter den 15- bis 19-Jährigen zeigen, dass der Begriff child von der UNICEF sehr weit gefasst ist und bis in die Adoleszenz hineinreicht.

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Organisatorische und rechtliche Bezüge der formellen Jugendinformation

Das Center for Strategic and International Studies15 in Washington, D. C. erstellte 2014 den Global Youth Wellbeing Index (Goldin, Payal & Perry, 2014). Dabei wurden dreißig sehr unterschiedliche Länder (etwa skandinavische ebenso wie subsaharische Länder) in folgenden Bereichen verglichen:

Youth Wellbeing INDEX DOMAINS CITIZEN PARTICIPATION

ECONOMIC OPPORTUNITY

EDUCATION

HEALTH

INFORMATION& COMMUNICATION TECHNOLOGY

SAFETY AND SECURITY

Abbildung 2: Bereiche des Global Youth Wellbeing Index (n. Goldin, Payal & Perry, 2014, S. 8).

Im Bereich Information and Communications Technologie (ICT) wird der Zugang zu unterschiedlichen Medien und Kommunikationstechnologien als Indikator herangezogen. Dies geschieht mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass diese Zugänge hohen Einfluss auf Ausprägungen der anderen Bereiche haben können: „(…) new media coupled with old media has become the central tools of access to and achievement in all aspects of life. ICT is a critical component of health care, education, government, transportation, finances, community building, information sharing, news gathering, and communications.“ (Goldin, Payal & Perry, 2014, S. 19) Bei aller Ähnlichkeit und Überscheidung der Indizes scheint die Bezugnahme auf den Zugang zu Kommunikationstechnologie durch das CSIS eine sinnvolle und zunehmend wichtige Ergänzung für die Indizes der OECD und der UNICEF zu sein. So wie es im Global Youth Wellbeing Index auch subjektive Einschätzungen (zum Beispiel bezüglich educational satisfaction) gibt, wäre es auch denkbar, Daten hinsichtlich der Zufriedenheit mit zugänglichen Informationen zu erheben und in den internationalen Vergleich einzubinden.

15 Das CSIS ist unter DoktorandInnen auch als neuer Arbeitgeber von Karl-Theodor zu Guttenberg

nach dessen Plagiatsaffäre bekannt geworden.

Europäische Bezüge zu Jugendinformation

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3.2 Europäische Bezüge zu Jugendinformation 3.2.1 Auf Ebene des Europarates Der seit 1949 bestehende Europarat mit seinen momentan 47 Mitgliedstaaten16 setzt sich für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein. Dieses Bemühen umfasst insbesondere die Meinungs- und Medienfreiheit, das Versammlungsrecht, Gleichbehandlung sowie den Minderheitenschutz. Diese Anliegen versucht der Europarat mittels Konventionen und Empfehlungen voranzutreiben (Europarat, 2015, o. S.). Während die Konventionen durch die Ratifikation der Mitgliedstaaten Verbindlichkeit erlangen und von unabhängigen Monitoring Boards überprüft werden, kommt den Empfehlungen lediglich der Charakter von Empfehlungen zu. Dennoch können diese von Relevanz sein, um die Wichtigkeit von Inhalten beziehungsweise den dahinterstehenden Organisationen in den einzelnen Mitglied­ staaten hervorzuheben und um eine Art von Standard guter Praxis festzuhalten. Der Europarat hat mit Stand November 2016 insgesamt 218 Konventionen verabschiedet, wovon weniger als ein Prozent einen expliziten Bezug auf Jugendliche aufweisen: Das Europäische Übereinkommen über den Reiseverkehr von Jugendlichen mit Kollektivpass zwischen den Mitgliedstaaten des Europarats aus dem Jahr 1961, das die Ausstellung von Reisedokumenten regelt sowie das Europäische Übereinkommen zur Förderung der staatenübergreifenden Freiwilligenarbeit für Jugendliche aus dem Jahr 2000 (Europarat, 2015a, o. S.). Im letztgenannten Konventionstext findet sich keine Bezugnahme auf Jugendinformationsarbeit. Im Kontext Kindheit finden sich hingegen immerhin sieben Konventionen: Neben Themen wie Sorgerecht, Adoption und Schutz vor sexueller Ausbeutung gibt es auch ein Europäisches Übereinkommen über die Ausübung von Kinderrechten, das sich allerdings in der Regelung von Anhörungs- und Beteiligungsrechten in Justizverfahren (etwa des Familienrechts) erschöpft (Europarat, 1996, o. S.). Hinsichtlich der bindenden Dokumente des Europarates zeigt sich keine Auseinandersetzung mit dem Bereich der Jugendinformation. Auf Ebene der Empfehlungen gibt es hingegen zwei sehr deutliche Bezugnahmen auf Jugendinformation. Eine Empfehlung aus dem Jahr 1990 hält fest, dass jungen Menschen ein Recht auf adäquate Information und Beratung haben, damit diese sich frei von Diskriminierung und Beeinflussung entscheiden können. Dementsprechend empfiehlt der Europarat seinen Mitgliedstaaten die Einrichtung und Förderung geeigneter Informations- und Beratungsangebote (Europarat, 1990, o. S.) (vgl. dazu auch Kapitel 4.1.). Diese Empfehlung wurde 2010 in aktualisierter Form 16 Der Europarat umfasst damit fast alle europäischen Staaten (inklusive Russland und der Türkei, die

nach der traditionellen geographischen Einordnung flächenmäßig zum überwiegenden Teil in Asien liegen, allerdings ohne Kasachstan) bis auf den Vatikan (der jedoch einen Beobachterstatus hat) und Weißrussland/Belarus, das seit 1993 aufgrund der demokratischen Defizite nicht über den Status eines Beitrittskandidaten hinausgekommen ist.

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Organisatorische und rechtliche Bezüge der formellen Jugendinformation

nochmals an die Mitgliedstaaten gerichtet. Im Zeitraum zwischen den beiden Empfehlungen kam es zudem zu einer strukturierten Zusammenarbeit zwischen dem Europarat und der 1986 gegründeten European Youth Information and Counselling Agency (ERYICA) (vgl. dazu Cangelosi, 2012, S. 3). Diese Kooperation hat zweifelsfrei zur Aufwertung der bestehenden Initiativen vor allem in den Benelux-Staaten, Deutschland und Österreich beigetragen. Noch fruchtbarer erwies sie sich jedoch wohl in Hinblick auf den Knowhow-Transfer (ERYICA, o. J.g) und den Aufbau entsprechender Strukturen in jenen Staaten Zentral- und (Süd-)Osteuropas (ERYICA, 2015b), die ab 2004 großteils der Europäischen Union beigetreten sind. 3.2.2 Auf Ebene der Europäischen Union Die Institutionen der Europäischen Union zeigten in der Vergangenheit immer wieder Bemühen, die Mitgliedstaaten (und Staaten mit dem Status als Beitrittswerber) zu einer einheitlichen Jugendpolitik anzuhalten und institutionelle Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Austausch unter jugendlichen EU-BürgerInnen fördern sollen. Im Lauf der Zeit wurden die Mobilitätsprogramme auch für Jugendarbeiter­Innen sowie Beschäftigte von Bildungseinrichtungen geöffnet. Hier sind insbesondere das mittlerweile ausgeweitete Programm Erasmus+ sowie Jugend in Aktion zu nennen. Während das erste Programm alle Initiativen der EU für allgemeines und berufliches Lernen unter der Klammer lebenslanges Lernen zusammenfasst, sollen im Rahmen von Jugend in Aktion Begegnungen von Jugendgruppen, der europäische Freiwilligendienst, Projekte für und mit Jugendlichen aus Nachbarstaaten der EU, europäische Organisationen und Partnerschaften, der Austausch zwischen Jugend und Politik sowie die jugendpolitische Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten gestärkt werden (Europäische Kommission, 2013, S. 3). Für die Mitgliedstaaten sollen durch den Austausch und die jugendpolitische Zusammenarbeit ähnliche formale, finanzielle und inhaltliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Zudem können über das Programm Jugend in Aktion Projektförderungen beantragt werden. Der inhaltliche Bogen ist dabei sehr breit aufgespannt: ein demonstrativer Katalog möglicher Themen umfasst neben „Kunst und Kultur, soziale Ausgrenzung, Umwelt, Schutz des Kulturerbes“ auch „Jugendinforma­ tionen“ (Europäische Kommission, 2013, S. 45). Das Weißbuch Jugend „Neuer Schwung für die Jugend Europas“ wurde von der Europäischen Kommission im Jahr 2001 auf Basis eines Beteiligungsprozesses (so genannte „Konsultationen“ mit Jugendlichen aus den EU-Mitgliedstaaten) sowie 17 nationaler Konferenzen verfasst und stellt gewissermaßen die Grundlage für die Ausrichtung der Jugendpolitik in den damaligen 15 Mitgliedstaaten und zwölf beitrittswerbenden Staaten dar (Europäische Kommission, 2001). Die vier wesentlichen „Botschaften“ aus den Konsultationsprozessen und den Konferenzen mit Jugendlichen werden im Kapitel 3.1 des Weißbuchs angeführt:

Europäische Bezüge zu Jugendinformation

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--„Die Jugendlichen wollen sich aktiv als Staatsbürger einbringen -- Ausdehnung und Zulassung von Experimentierfeldern -- Die Unabhängigkeit der Jugendlichen muss gefördert werden -- Europa als Hochburg der Grundwerte“ (Europäische Kommission, 2001, o. S .) Zur ersten Botschaft wird hinsichtlich der Wichtigkeit und der geforderten Qualität von Information als Grundlage für Partizipation ergänzt: „Untrennbar verbunden mit der Entwicklung dieser aktiven Wahrnehmung der Staatsbürgerschaft ist die Information, von der sich die Jugendlichen sehr viel erwarten. Sie sind sich jedoch sehr wohl bewusst, dass eine Vielzahl von Bereichen zu erfassen ist (Beschäftigung, Arbeitsbedingungen, Wohnung, Ausbildung, Gesundheit usw.) und es nicht mit einer Information über die Programme der Gemeinschaft getan ist. Deshalb erwarten sie zunächst vor allem, dass anerkannt wird, dass es hier ein Bedürfnis zu erfuellen gilt. Die Jugendlichen legen auch großen Wert darauf, dass die Informationen für alle gleich gut zugänglich sind, dass sie vor Ort verfügbar sind und hochstehende ethische Normen beachtet werden. Darüber hinaus betonen sie auch die Wichtigkeit einer Information mit menschlichem Antlitz, wobei die Jugendlichen sowohl bei der Erarbeitung der Inhalte als auch bei der Verbreitung mit einzubeziehen sind.“ (Europäische Kommission, 2001, o. S .) Um dieser Forderung gerecht zu werden, wurden im Jahr 2002 Folgemaßnahmen zum Weißbuch Jugend beschlossen, mit denen sich die Mitgliedstaaten explizit zur Umsetzung einzelner Maßnahmen „im Bereich der Partizipation und Information“ sowie zur laufenden Berichtserstattung an die Kommission verpflichten. Als Globalziel wird von der Europäischen Kommission vorgeschlagen: „Verbesserung des Zugangs zu qualitativ hochwertiger Information für Jugendliche, um sie stärker am öffentlichen Leben zu beteiligen und ihre Entwicklung zu aktiven verantwortungsbewussten Bürgern in einer erweiterten Europäischen Union zu fördern.“ (Europäische Kommission, 2002, S. 7) Dieses globale Ziel soll durch die Verwirklichung folgender drei Teilziele erreicht werden: --„Verbesserung des Zugangs der Jugendlichen zu Informationsdiensten -- Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Informationen -- Förderung der Beteiligung der Jugendlichen an der Gestaltung und Verbreitung -- von Informationen“ (Europäische Kommission, 2002, S. 7f.) Für die drei Teilziele schlägt die Europäische Kommission daher jeweils folgende „Aktionslinien“ vor (Europäische Kommission, 2002, S. 9):

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Organisatorische und rechtliche Bezüge der formellen Jugendinformation

-- Die bereits von vielen Mitgliedstaaten eingerichteten „spezielle(n) Jugendinformationsdienste“, die für die Gestaltung und Verbreitung von Informationen und Beratung zuständig sind, sollen weiter ausgebaut werden. Diese Dienste sollen „strukturierte, ganzheitliche, kohärente und koordinierte Informationen anbieten und die spezifischen Bedürfnisse der Jugendlichen berücksichtigen“. -- Die Jugendinformationsdienste sollen „eine effiziente Koordinierung und Verbindung der verschiedenen Dienste, die auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene“ bestehen, sicherstellen. Weiters sollen sie mit den auf europäischer Ebene bestehenden Informationsdiensten verbunden sein, um „die Verbreitung von Informationen über Europa auf den nationalen, regionalen und lokalen Ebenen zu verbessern“. Die Bereitstellung von Informationsdiensten vor Ort soll „kostenlos, benutzerfreundlich und auf die Gewohnheiten, die Umgebung, und die Bedürfnisse der Jugendlichen abgestimmt“ sein. -- Zudem ist dafür Sorge zu tragen, „dass auch benachteiligte Jugendliche denselben Zugang zu den Informationen haben und dass jede Form von Diskriminierung oder Ausschluss aus wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder geographischen Gründen vermieden wird“ (Europäische Kommission, 2002, S. 9). Darüber hinaus fordert die Europäische Kommission die „Entwicklung von nationalen und regionalen Jugendportalen“, wodurch es „zur Einrichtung eines Netzes von untereinander verbundenen Jugendinformationsportalen sowie zur Übertragung der Informationen über Europa auf die nationalen regionalen und lokalen Ebenen“ kommt (Europäische Kommission, 2002, S. 9).17 Die Europäische Kommission hält zudem fest: „Die Informationen, die Jugendlichen angeboten werden, sind oft von geringer Qualität, erreichen nicht immer die betroffene Zielgruppe, beziehen die neuen Technologien unzureichend ein und tragen nicht wesentlich zur Verbesserung der Beteiligung der Jugendlichen am öffentlichen Leben bei.“ (Europäische Kommission, 2002, S. 9) Daher ist es für die Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Informationen erforderlich, dass das „Personal, das im Bereich der Jugendinformation und -beratung arbeitet, eine spezielle Aus- und Weiterbildung erhalten“ müsse. Dafür soll die „Ausarbei17 Das Österreichische Jugendportal (www.jugendportal.at) wurde 2010 als nationales Pendant zum

Europäischen Jugendportal vom damaligen Jugendministerium geschaffen und wird vom Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos betreut. Das Jugendportal bietet eine „redaktionell ausgewählte, regelmäßig aktualisierte und kommentierte Linksammlung zu jugendrelevanten Themen“ (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, o. J.). Das Jugendportal verweist dabei auf 1600 verschiedene externe Quellen und zeigt sich auch zum hochsommerlichen Zeitpunkt der Abfrage als gut gewartet und sehr aktuell.

Europäische Bezüge zu Jugendinformation

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tung eines Normenkatalogs für die Jugendinformations- und -beratungsdienste, mit dem insbesondere gemeinsame Qualitätskriterien und Qualitätssicherungsmechanismen festgelegt werden sowie Verbesserung der Aus- und Weiterbildung der Personen, die in der Jugendinformation tätig sind“ sorgen (Europäische Kommission, 2002, S. 10). Die Jugendinformationsangebote sollen zudem besser mit Beratungsangeboten verbunden werden, um die Informationskompetenz zu stärken – also „um einen Lernprozess anzustoßen, bei dem die Jugendlichen die Fähigkeit zum Auffinden, Auswählen und Bewerten von Informationen entwickeln können“ (Europäische Kommission, 2002, S.  10). Hinsichtlich der Erzielung einer möglichst großen Reichweite unter den Jugendlichen wird der Einsatz „der ‚neuen Medien‘ wie Internet, Mobiltelefone, Videofilme, Kino usw.“ empfohlen. Um sicherzustellen, „dass die Jugendinformation leicht zugänglich, nicht diskriminierend und – insbesondere im Hinblick auf benachteiligte Jugendliche – auf ihre Gewohnheiten, Umgebung und Bedürfnisse abgestimmt ist“, sollen die Jugendorganisationen und einzelne Jugendliche jedenfalls „auf allen Ebenen, auf denen Jugendinformationsstrategien ausgearbeitet und umgesetzt werden, vertreten und an der Gestaltung und Verbreitung der Informationen beteiligt sein“ (Europäische Kommission, 2002, S.  10). Für die Erreichung des dritten Teilziels werden daher folgende Aktionslinien vorgeschlagen (Europäische Kommission, 2002, S. 10f.): -- Jugendorganisationen sollen auf europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene in die Entwicklung und Umsetzung der Jugendinformationsstrategien miteinbezogen werden. Zudem sollen sich auch Jugendliche bei der Ausarbeitung von Information „adäquat“ beteiligen können, um „verständliche und benutzerfreundliche, den Bedürfnissen der Jugendlichen entsprechende Informationsprodukte“ sowie „Information für spezielle Gruppen von Jugendlichen, insbesondere benachteiligte Jugendliche“ zu erstellen. -- Zudem gibt es die Empfehlung, Jugendliche als potenzielle MulitplikatorInnen und Peer-BeraterInnen zu nutzen, indem sie stärker „in die Verbreitung der Informationen für Jugendliche (insbesondere in Jugendinformationszentren, Schulen, Klubs und in den Medien) sowie in die Beratung von Jugendlichen, insbesondere derjenigen, die Schwierigkeiten beim Zugang zu Information und Beratung haben“ miteinbezogen werden sollen (Europäische Kommission, 2002, S. 10f.). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Europäische Kommission einen sehr ambitionierten Standard hinsichtlich der Jugendinformationsarbeit der Mitgliedstaaten vorgibt und dabei die Vorgaben des Europarates noch übersteigt (s. dazu Kapitel 3.2.1). Allerdings zeigt sich bei der weiteren Analyse, dass der Bezug auf Jugendinformation in den einschlägigen Dokumenten der Europäischen Union nicht durchgehend ist. So finden sich etwa in einem zentralen Papier des

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Organisatorische und rechtliche Bezüge der formellen Jugendinformation

Europäischen Rates18 aus dem Jahr 2013 (Schlussfolgerungen des Rates zum Beitrag einer qualitätsvollen Jugendarbeit zur Entwicklung, zum Wohlbefinden und zur sozialen Inklusion junger Menschen) keine Hinweise auf die diesbezügliche Relevanz von Jugendinformationsarbeit und das dafür zuständige Netzwerk ERYICA. Obwohl das dazu beitragen soll, der Exklusionsgefahr von Jugendlichen mittels qualitätsvoller Jugendarbeit zu begegnen, wird Jugendinformationsarbeit hier nicht mitgedacht (Europäischer Rat, 2013). Hinsichtlich ihrer eigenen (Mobilitäts-)Programme haben die europäischen Institutionen mit EURODESK eine eigene Struktur geschaffen, die jeweils mit Länderorganisationen kooperiert. EURODESK ist „ein europäisches Netzwerk zur Verbreitung von Europa-Informationen für Jugendliche, Jugendbetreuer/ innen und Einrichtungen in der Jugendarbeit auf nationaler und regionaler Ebene“, welches als Ziel verfolgt, „Jugendlichen und MultiplikatorInnen der Jugendarbeit den Zugang zu Europa zu erleichtern“ (BMFJ, 2014b, o. S.). Über EURODESK sollen die vielfältigen und zum Teil recht komplexen Informationen zu den Begegnungsprojekten sowie den Mobilitätsprogrammen für Lehrlinge, SchülerInnen, StudentInnen, junge Berufstätige und Personen in pädagogischen Berufen verbreitet werden. In Österreich fungiert das Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos als Nationalagentur für EURODESK und bietet über die jeweiligen Jugendinformationsangebote in den einzelnen Bundesländern Informationen und Zugang zu den Programmen der Europäischen Union (BMFJ, 2014b, o. S.). 3.3 Bezüge zu österreichischen Bundesinstitutionen Die Jugendagenden sind, als klassische Querschnittsmaterie, in der föderalistischen Struktur Österreichs nicht eindeutig der Kompetenz des Bundes beziehungsweise jener der Länder zuordenbar. Mit einem Hang zum Euphemismus kann man von einer „ressortübergreifenden Querschnittsmaterie“ (BMFJ, 2015b, S. 8) sprechen. Während die Kompetenzverteilung des Art. 12 (1) Z 1 B-VG für die Gesetze hinsichtlich „Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge“ eine Grundsatzgesetzgebung des Bundes vorsieht, die durch jeweilige Ländergesetze konkretisiert wird, liegt hingegen der Jugendschutz eindeutig in der Kompetenz der Länder. Hinsichtlich des vom B-VG nicht erfassten Erziehungswesens19, also etwa der Jugendarbeit im Allgemeinen und der Jugendinformation im Speziellen, legt eine Novelle zum B-VG hinsichtlich des Schulwesens aus dem Jahr 1962 in ihrem Art. 8 (1) lit. b fest, dass „Änderungen der Gesetzeslage bis zu einer anderweitigen bundesverfassungs18 Nicht zu verwechseln mit dem vorher besprochenen Europarat: Gemeint ist hier das Gremium der

Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.

19 Vom B-VG sehr wohl erfasst und damit klar zugeordnet sind hingegen Schulwesen und Jugendschutz,

da diese zum Zeitpunkt des Entstehens der österreichischen Verfassung zu Beginn der 1920er Jahre im Gegensatz zur Jugendarbeit vom historischen Gesetzgeber als regelungsrelevant wahrgenommen wurden.

Bezüge zu österreichischen Bundesinstitutionen

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gesetzlichen Regelung nur durch übereinstimmende Gesetze des Bundes und der Länder bewirkt werden“ können (Republik Österreich, 1962). Dementsprechend gibt es weder auf Bundes-, noch auf Landesebene gesetzliche Kodifikationen des gesamten Regelungsbestandes der Jugendarbeit, sondern allenfalls Regelungen einzelner Aspekte in flankierenden Materien. Für den Fall, dass Materien nicht ausdrücklich dem Bundesgesetzgeber zugewiesen sind, verbleiben sie per Generalklausel in der Kompetenz der Länder. Dementsprechend liegt gemäß der Einschätzung des BMFJ die Zuständigkeit für die außerschulische Kinder- und Jugendarbeit hauptsächlich bei den Ländern (BMFJ, 2014c, o. S.). In einem Länderbericht zu Österreich stellt ERYICA fest, dass dem für Jugendagenden zuständigen Ministerium lediglich eine koordinierende Rolle zukommt und die Etablierung von Jugendinformationseinrichtungen in der Verantwortung der Länder liegt. Dennoch stehen die VertreterInnen der zuständigen Landesbehörden mit dem Ministerium in regelmäßigem Austausch und haben die Schaffung von Jugendinfos bereits 1994 vereinbart: „Since the Jugendgesetz (law relating to young people) comes under the scope of regional legislation, the Federal Ministry for the Environment, Youth and Family Affairs has only a co-ordinating role. The federal government has no decisionmaking power over the setting up of local or regional Youth Information Centres, which is a responsibility of the regional government authority. At a meeting on 3 March 1994, the Permanent Conference of Länder Experts on Youth Affairs proposed that a Youth Information Centre should be established in each of the Länder.“ (ERYICA, 1999, S. 2) Im letzten Satz wird die Konferenz der jeweiligen Jugend-LandesrätInnen und VertreterInnen des Ministeriums angesprochen, der laut BMFJ jährlich stattfindet und „Austausch und Koordination“ gewährleisten soll (BMFJ, 2014c, o. S.). Trotz der überwiegenden Zuständigkeit der Länder waren die Ministerien in der Vergangenheit bemüht, Rahmenkonzepte und Strategien für die Jugendarbeit zu formulieren. In den jüngeren Publikationen dieser Art finden sich zudem durchwegs Verweise auf Jugendinformation. Diese weisen formeller Jugendinformation oftmals eine sehr bedeutende Position zu. So stellt Jugendinformation neben Offener sowie Verbandlicher Kinder- und Jugendarbeit in den Überlegungen zur Jugendstrategie des damaligen Bundesministeriums für Wirtschaft, Jugend und Familie eine der „drei Formen von Jugendarbeit in Österreich“ dar (BMWFJ, 2013, S. 1). Gemeinsam mit den Dachverbänden der beiden anderen Angebote sollte das Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos das damalige BMWFJ in den acht definierten Feldern der Jugendstrategie unterstützen, um so für Jugendliche und andere Stakeholder wirksam zu werden. Die nachfolgende, aus dem Papier des Ministeriums entnommene Abbildung verdeutlicht die Rolle des Bundesnetzwerks der Jugendinformationsstellen in

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Organisatorische und rechtliche Bezüge der formellen Jugendinformation

der Entwicklungsgruppe und stellt die acht Handlungsfelder dar, die den Schwerpunkt der Jugendstrategie bilden:

JUGENDSTRATEGIE Ein Netzwerk entsteht

BMWJF/ENTWICKLUNGSGRUPPE (Bundes-Jugendvertretung und Bundesnetzwerke der Offenen Jugendarbeit und Jugendinformation)

PARTIZIPATION (Jugendliche und Stakeholder)

Allgemeine und berufliche Bildung

Beschäftigung und Unternehmergeist

Gesundheit und Wohlbefinden

Teilhabe

Freiwilligentätigkeit

Soziale Jugend in der Eingliederung Welt

Kreativität und Kultur

Abbildung 3: Zusammensetzung der Entwicklungsgruppe der Jugendstrategie und Themenfelder (n. BMWFJ, 2013, S. 21).

In der aktuellen Jugendstrategie des BMFJ findet sich hingegen keine direkte Bezugnahme auf Jugendinformation. Dies hat wohl auch mit der Struktur des Papiers zu tun, da die Formulierung anhand konkret genannter Ziele erfolgte und weniger Bezug auf die dafür erforderlichen Strukturen genommen wurde (BMFJ, 2014d). Sehr wohl findet sich jedoch in der aktuellen „Geschäfts- und Personaleinteilung“, also der Organisationsstruktur des BMFJ, eine klare Zuständigkeit für „nationale und internationale Jugendinformation“. Diese ist in der Abteilung 5 des Ministeriums verankert (BMFJ, 2015, o. S.). Auf der Homepage des BMFJ sollen Factsheets „einen kompakten Überblick über unterschiedliche Themenbereiche zu Jugendpolitik“ liefern. Einer der neun bisher veröffentlichten Factsheets widmet sich der Jugendinformationsarbeit (BMFJ, 2015a). In diesem Papier wird eingangs die Notwendigkeit von Jugendinformationsarbeit „für die aktive Teilhabe an der Gesellschaft“ festgehalten; dies geschieht mit Verweis auf die Wichtigkeit von „Informationskompetenz“ und den „kritischen Umgang mit Informationen“ in einer „Zeit des Informationsüberflusses“ (BMFJ, 2015a, S.  1). Mit der erfolgten Einrichtung einer Jugendinformationsstelle pro Bundesland, die in manchen Fällen noch durch regionale Stellen außerhalb der Landeshauptstadt ergänzt werden, geht das Bundesministerium von einer flächendeckenden Versorgung der

Bezüge in der Steiermark

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Jugendlichen mit diesem „Service“ aus. Die insgesamt 27 Jugendinforma­tionsstellen (hier sind die regionalen Stellen mitgezählt) werden „hauptsächlich durch die jeweiligen Bundesländer (Landesjugendreferate) finanziert und sind Teil der Landesverwaltung oder in Vereinen organisiert“ (BMFJ, 2015a, S. 1). Des Weiteren wird die Rolle des Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos als nationaler und internationaler Ansprechpartner definiert und seine Aufgabe als Koordinationsstelle für österreichweit durchgeführte Projekte, einschlägige Fortbildungsaktivitäten sowie Qualitätssicherungsmaßnahmen konkretisiert (BMFJ, 2015a, S. 2). Zudem fungiert das Bundesnetzwerk als Auftragnehmer des BMFJ für die Plattform www.jugendportal.at. Diese Seite richtet sich in erster Linie an in Österreich lebende Jugendliche zwischen 12 und 26 Jahren und bietet redaktionell ausgewählte, regelmäßig aktualisierte und kommentierte Linksammlungen zu jugendrelevanten Themen (Österreichisches Jugendportal, 2015). Die Schaffung dieses Portals (zur organisatorischen und inhaltlichen Ausrichtung s. Kapitel 4.2) ist die Konsequenz aus einer Vorgabe der EU-Kommission (s. dazu Kapitel 3.2.2). Über das Jugendportal wurde zudem zwischen August und September 2015 die Befragung von rund 1.700 Jugendlichen abgewickelt, um einen Better Life Index Jugend zu erstellen, der im 7. Bericht zur Lage der Jugend in Österreich enthalten ist (siehe dazu Kapitel 5.6). 3.4 Bezüge in der Steiermark Laut Einschätzung des BMFJ ist der/die jeweilige Landesjugendreferent/-in 20 „für die Umsetzung der Jugendpolitik und die Förderung der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit zuständig“ (BMFJ, 2014c). Als Kernaufgaben der Jugendreferate wurden von der Konferenz der LandesjugendreferentInnen folgende Bereiche definiert (BMFJ, 2014c, o. S.): -- Jugendförderung (Förderung und Beratung von Initiativen und Kommunen) -- Kompetenzzentrum (Forschung und Evaluation zu Jugendthemen fördern) -- Jugend in allen Politikbereichen (Vernetzung und Dialog fördern) -- (Mit-)Gestaltung (Lebensräume von Jugendlichen gestalten (lassen), adäquate Angebote schaffen) Auf der Homepage des BMFJ werden für jedes Bundesland „Highlights und Aktivitäten“ angegeben, die die jeweiligen Schwerpunktsetzungen verdeutlichen sollen. Für die Steiermark werden „Jugendbeteiligung, Jugendschutz“ sowie die „Stärkung regionaler Jugendarbeit“ gehighlighted. Als Aktivitäten werden die sechs Felder der 20 Damit sind die LandesrätInnen als politisch verantwortliche Personen gemeint, nicht die oftmals

gleich bezeichneten FunktionsträgerInnen der Verwaltung.

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Organisatorische und rechtliche Bezüge der formellen Jugendinformation

Steirischen Jugendstrategie angeführt (BMFJ, 2014e, o. S.). Die Strategische Ausrichtung der Kinder- und Jugendarbeit 2020 aus dem Jahr 2012 definiert sechs Bereiche der außerschulischen beziehungsweise nonformalen Bildung im Rahmen von Kinder- und Jugendarbeit in der Steiermark: Experimentierfelder erkennen & nutzen Lebenswelten Talente erkennen & einen passenden Beruf finden

Informationen bewerten & Entscheidungen treffen

Bildungs- & Berufsorientierung

Jugendinformation und -beratung

Handlungsfelder der Kinderund Jugendarbeit Eine Meinung haben, sich einbringen & mitentscheiden

Etwas riskieren & Gefahren richtig einschätzen

Gesellschaftspolitische Bildung & Partizipation

Jugendschutz & Prävention Den eigenen Gedanken kreativen Ausdruck verleihen Jugendkultur & kreative Ausdrucksformen

Abbildung 4: Handlungsfelder der Steirischen Jugendstrategie (n. Land Steiermark, 2012, S. 6).

Die Kinder- und Jugendarbeit beruht „auf einem breiten Spektrum an Fachinstitutionen und qualitätsvollen Einrichtungsstrukturen“. Diese sind „ein ergänzender Entwicklungsbereich für Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 6 und 26 Jahren im außerschulischen Bereich“ (Land Steiermark, 2012, S. 5). Die „Vielfalt der Kinder und Jugendlichen in der Steiermark“ schafft den Bedarf verschiedener Zugänge, „um die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher Altersgruppen, Interessen, schulischer Bildung etc. zu adressieren“. Die Orientierung an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen „unterschiedlicher Altersgruppen, Interessen, schulischer Bildung etc.“ trägt auch dazu bei „die Vorgaben des Landes Steiermark zur Umsetzung

Bezüge in der Steiermark

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von Gender Mainstreaming und Diversität zu erfüllen“ (ebd., S.  5). Auch vor dem Hintergrund der Herausforderungen des demografischen Wandels, der Abwanderung in gewissen Regionen sowie „in budgetär herausfordernden Zeiten“ bedürfe es einer klaren Prioritätensetzung: „(…) nach erwähnten Themenfeldern und regionalen Gesichtspunkten werden zukünftig die Förderungen der steirischen Kinder- und Jugendarbeit ausgerichtet“ (Land Steiermark, 2012, o. S.). Für das Handlungsfeld Jugendinformation und Beratung wird vom Land Steiermark folgende Zielsetzung definiert: „Alle steirischen Kinder und Jugendlichen haben ausreichenden Zugang zu Informationen, wissen über den Umgang mit diesen Informationen Bescheid und können Information beurteilen. Dadurch sind sie in der Lage, je nach Alter selbstbestimmt und eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen, um ihre Zukunft entsprechend ihrer Interessen und Neigungen zu gestalten.“ (Land Steiermark, 2012, S. 10) Um diese Anforderung zu erfüllen, werden im Strategiepapier mehrere Handlungslinien vorgegeben, die hier zusammenfassend dargestellt werden sollen (Land Steiermark, 2012, S. 10): -- Alle Aktivitäten in diesem Bereich sollen auf Basis der österreichweiten Standards der Jugendinformation sowie zu erarbeitender handlungsspezifischer Qualitätskriterien erfolgen. -- Zielgruppe sind alle jungen Menschen – unabhängig vom Bildungsgrad, sozialen Umfeld und regionaler Herkunft. -- Internes Wissensmanagement in der Kinder- und Jugendarbeit soll verstärkt werden, um bislang personengebundenes Wissen für alle MitarbeiterInnen zugänglich zu machen. -- Eine Optimierung der bestehenden Angebote soll entlang der zu untersuchenden Präferenzen21 hinsichtlich der Kommunikationswege von Jugendlichen erfolgen. -- Regionale Bedürfnisse sollen anhand der Wahrnehmungen der regionalen JugendmanagerInnen erhoben werden. -- Besonderer Fokus soll auf die Schaffung von Angebotszugängen für Kinder und Jugendliche in besonderen Lebenslagen (mit Herausforderungen etwa hinsichtlich Mobilität, Sprache und Zugang zu Medien) gerichtet werden. -- Ein breites Basisangebot soll durch jährliche Schwerpunktthemen ergänzt werden. -- Alle publizierten Informationsbroschüren sollen qualitativ geprüft werden. -- Zu den jährlichen Schwerpunktthemen sowie zu Informationskompetenz sollen Schulungen für die AkteurInnen im Handlungsfeld angeboten werden. -- Kooperationen mit MultiplikatorInnen aus der Elternbildung, Familienberatung, Schulen, Hortwesen und Gemeinden sollen aufgebaut werden. 21 Dieser Vorgabe folgend wurde die Auftragsforschung zur Jugendinformation in der Steiermark verge-

ben (Lederer-Hutsteiner, Auferbauer, Polanz & Diwoky, 2014).

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Organisatorische und rechtliche Bezüge der formellen Jugendinformation

In einigen dieser Ziele sowie im Bestreben, über finanzielle Schwerpunktsetzungen Veränderungen in der Angebotslandschaft herzustellen, zeigt sich die Fokussierung auf einen Jugendinformationsbegriff, der vor allem auf Angebote der formellen Jugendinformation – also LOGO Jugendinformation – abzielt. Verknüpfungen zu anderen Angeboten einer nonformellen Jugendinformation, wie beispielsweise zur AIDS-Hilfe, die ebenso wie AnbieterInnen der institutionalisierten Jugendinformation Broschüren herausgibt und Workshops mit Jugendlichen veranstaltet, aber aus Budgetmitteln der Gesundheitsressorts gefördert wird, werden hier nicht angedacht beziehungsweise verfolgt. Die Orientierung der Vernetzung scheint sich in erster Linie nach der Finanzierungslogik und weniger stark nach gemeinsamen Zielgruppen und geteilten Arbeitsansätzen zu orientieren. In der Steiermark ergibt sich viel Austausch innerhalb des Steirischen Fachstellennetzwerkes für Jugendarbeit und Jugendpolitik, das ein historisch gewachsener Zusammenschluss verschiedener, hauptsächlich durch das Landesjugendreferat geförderter Stellen ist. Das Fachstellennetzwerk besteht aus mittlerweile 17 Fachstellen. Gegründet wurde es im Jahr 2000 als „informelle, überparteiliche und interinstitutionelle Arbeitsgemeinschaft“ und definiert sich als „Qualitätszirkel zur Optimierung der in der Steiermark geleisteten Kinder- und Jugendarbeit und Kinder- und Jugendpolitik“ (Steirisches Fachstellennetzwerk, 2011, o. S.). Neben LOGO, der steirischen Fachstelle für Jugendinformation, umfasst das Fachstellennetzwerk folgende Bereiche: -- Angebote der geschlechtersensiblen Jugendarbeit (Fachstelle für Burschenarbeit, Mafalda, Frauengesundheitszentrum) -- Themenspezifische Fachstellen (beispielsweise VIVID hinsichtlich Suchtprävention, ISOP hinsichtlich Migrationsthemen und Hazissa hinsichtlich der Prävention sexueller Gewalt) -- Interessensvertretungen von Kindern und Jugendlichen (Kinderbüro sowie Kinder- und Jugendanwaltschaft) -- Den steirischen Dachverband der Offenen Jugendarbeit (der hinsichtlich der Kommunikations- und Vernetzungsmöglichkeiten mit seinen Mitgliedsorganisationen von hoher Relevanz für die Jugendinformationsarbeit ist) -- Sowie Fachstellen, die für einen bestimmten methodischen Zugang stehen (wie die Fachstelle für Kinder-, Jugend- und BürgerInnenbeteiligung beteiligung.st, die Jugend-Literatur-Werkstatt oder der Landesverband für außerberufliches Theater). Neben dem offensichtlichen Potenzial der Vernetzung und des Austausches im Fachstellenetzwerk 22 wird aber auch deutlich, dass Angebotsbereiche wie etwa die Kinder- und Jugendhilfe, diverse gesundheits- oder auch freizeitorientierte Institutionen nicht im Netzwerk erfasst sind. Allerdings ist es fraglich, ob eine überschau22 Diese Vernetzung wurde mit der Konzentration zahlreicher Fachstellen am gemeinsamen Standort

Karmeliterplatz noch zusätzlich begünstigt.

Zusammenfassung

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bare Struktur, gleichwohl sie Lücken aufweist, für die Vernetzung im Sinne der Verbesserung des Jugendinformationsangebotes nicht dienlicher ist als eine Struktur, die zwar breiter ist, dafür aber aufgrund ihrer Größe weniger intensiven Austausch ermöglicht. Bei den meisten Angeboten, die innerhalb des Fachstellennetzwerkes vereint sind, ergibt sich ein direkter (durch Weitergabe von Information an Jugendliche) oder indirekter Konnex (durch Multiplikationsfunktion oder Bereitstellung von Methoden-Knowhow) zur Jugendinformation. Aus dieser Sicht ist die Vernetzung der institutionalisierten Jugendinformationseinrichtung mit anderen relevanten Playern sicher günstig, solange sie sich nicht in diesem Kreis erschöpft, sondern auch weitere Zugänge miteinbezogen werden. Hier wäre beispielsweise an Institutionen zu denken, die Jugendliche in schwierigen Lebenslagen adressieren oder mit Jugendlichen in bestimmten Kontexten arbeiten (wie etwa Schulsozialarbeit). Für den Angebotsbereich Jugendinformation (ohne Geschäftsführung und Verwaltung, Checkit.Card, EU.Info, Eso.Info und stationäre Angebote der Offenen Jugendarbeit) sind bei LOGO acht MitarbeiterInnen operativ tätig, wobei aus der Homepage nicht hervorgeht, wie vielen Vollzeitäquivalenten23 dies entspricht (LOGO Jugendmanagement, o. J.a., o. S.). Die Zahl von acht MitarbeiterInnen (und fünf Vollzeitäquvalenten) erscheint recht gering, wenn es darum geht, alle steirischen Jugendlichen direkt zu adressieren. Denkt man jedoch stärker an die Erreichung von MultiplikatorInnen, die Gestaltung von Medien, die Kommunikation über soziale Medien und die Arbeit mit Gruppen von Jugendlichen, so wird man eine optimistischere Einschätzung hinsichtlich des Erreichens der Ziele von formeller Jugendinformationsarbeit treffen. 3.5 Zusammenfassung Sowohl auf der Ebene der Menschenrechte (speziell durch die Kinderrechtskonvention), des materiellen Europarechts, des österreichischen Bundesrechts als auch des steirischen Landesrechts und darauf basierender Verwaltungsakte finden sich Bezüge und Vorgaben zu Jugendinformationsarbeit. Insbesondere der Europarat erweist sich dabei als ein Promotor der institutionalisierten Jugendinformationsarbeit. Durch die Kooperation mit dem europäischen Jugendinformationsnetzwerk ERYICA erfolgte zudem eine Stärkung des diesbezüglichen Erfahrungsaustausches und der Kooperation auf europäischer Ebene. Aber auch die EU zeigt hier eine große Wirksamkeit: Mit den Erweiterungsrunden ab dem Jahr 2004 kam es auch zu einem sukzessiven Auf- und Ausbau von Institutionen der formellen Jugendinformation in den neuen Mitgliedsländern. Die in der jüngeren Vergangenheit mit den Jugendagenden betrauten Ministerien haben formelle Jugendinformationsar23 Der informellen Auskunft einer Mitarbeiterin zufolge teilen sich acht Personen bei LOGO Jugendin-

formation fünf Vollzeitäquivalente.

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Organisatorische und rechtliche Bezüge der formellen Jugendinformation

beit auf dieselbe Stufe wie die zahlenmäßig deutlich bedeutendere Offene sowie die Verbandliche Jugendarbeit gestellt. Auch die Steiermärkische Landesregierung und die Verwaltungsebene betonen in den konzeptionellen Festlegungen die Rolle der formellen Jugendinformation, konkret in Form der Einrichtung LOGO, durchgängig. Diese rechtlichen Verankerungen und Selbstverpflichtungen der unterschiedlichen Gebietskörperschaften begünstigen die längerfristige Planung im Feld der Jugendinformationsarbeit. Sie sind aber auch ein Beleg, dass dieses Angebot – im Gegensatz zu vielen Einrichtungen Offener Jugendarbeit – ein Resultat von Entscheidungsprozessen der Wirkrichtung Top-down ist, wie auch der gleich anschließende Abriss der Geschichte der Jugendinformationsarbeit verdeutlichen soll.

4 Gestaltung formeller Jugendinformationsarbeit

Ausgehend von einer historischen Perspektive auf die formelle Jugendinformations­ arbeit auf europäischer Ebene und in Österreich sollen die konzeptionellen Ausrichtungen dieser Angebote diskutiert werden. Die Beschreibung der konkreten Tätigkeiten von LOGO in der Steiermark soll deutlich machen, wie formelle Jugendinformation ausgestaltet sein kann. Abschließend sollen mögliche Grenzen und Problembereiche der Jugendinformationsarbeit diskutiert werden. 4.1 Eine kurze Geschichte der formellen Jugendinformationsarbeit in Europa 24 Als Beginn der formellen Jugendinformationsarbeit, in der Informationsbereitstellung als spezielle Form der Jugendarbeit erfolgt, kommen finnische Initiativen in Betracht: Diese wurden bereits in den 1950er Jahren eingerichtet, um der Binnenmigration finnischer Jugendlicher vom Land in die Städte Rechnung zu tragen (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2015). Alexandra Cangelosi beschreibt weiters, dass die Jugendinformationsarbeit ab den späten 1960er Jahren in Flandern aufgenommen wurde. Der Arbeitsansatz breitete sich danach recht schnell nach Deutschland, die Niederlande, Frankreich und in weitere Länder aus (Cangelosi, 2012, S. 1). In einer weiteren Quelle wird das 1961 gegründete „Young People’s Consultation Centre“ in London als Vorläuferin der Jugendinformationseinrichtungen genannt: „Probably the first ‚walk-in‘center for young people in Europe, where young people could directly approach a professional with their issues.“ (ERYICA, o. J., o. S.) Trotz der problemzentrierten und psychiatrischen Ausrichtung dieser Einrichtung war die Intention, das Angebot so zu gestalten, dass der Zugang für die Jugendlichen möglichst unmittelbar und niederschwellig angelegt ist: „(…) the center was designed in a way that young people would feel as little inhibition as possible to enter and receive immediate attention and help in order to prevent serious social and psychological harm in later stages of their lives.“ (ERYICA, o. J., o. S.)

24 Wer ausgehend von der Formulierung dieser Überschrift annimmt, dass ich vom Buch Eine kurze

Geschichte der Menschheit von Yuval Noah Harari immer noch tief beeindruckt bin, liegt richtig.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Auferbauer, Jugendinformationsarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27658-4_5

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Gestaltung formeller Jugendinformationsarbeit

Zudem sollte sichergestellt werden, dass das Angebot nicht als stigmatisierend empfunden wurde. Dabei wurde auch auf die in der Einrichtung verwendete Terminologie sowie eine möglichst nicht abschreckende Namensgebung der Institution geachtet: „We chose (…) a name which would be neutral and all-compassing, and avoided any words which would give the impression of a clinic or of illness.“ (Halpin, 1967 zit. n. Faché, 2012, S. 202). Dadurch sollte gewährleistet werden, dass gerade jene Jugendliche, welche hohen Beratungsbedarf haben, diese Services auch in Anspruch nehmen und nicht von der äußeren Form und Anmutung der Angebote abgeschreckt werden. Die der Jugendinformation zugrundeliegende Idee war es, junge Menschen zu unterstützen, wenn sie mit komplexen Fragen und Situationen konfrontiert werden. Die Innovation der ersten „generalist youth information services“ sei gewesen, nicht länger ausschließlich auf die persönliche Situation jeder jungen Person zu fokussieren,25 sondern einem holistischen und zielgruppenorientierten Ansatz folgend, alle möglichen Interessensgebiete abzudecken. Cangelosi zufolge liegt der Grund für das Entstehen dieser generalistischen Jugendinformationsservices im Bedarf der Jugendlichen: „One of the reasons those services were introduced was the demand from young people for access to reliable, neutral and accurate information on all areas concerning them; information that was comprehensive and reflected the reality of their lives.“ (Cangelosi, 2012, S. 1) Damit wird die Notwendigkeit lebensweltnaher und somit für die jungen Menschen auch relevanter Jugendinformation ebenso festgehalten, wie der Forderung nach Neutralität und Verständlichkeit der Inhalte nachgegangen. Nicht erklärt werden kann damit jedoch aber der Zeitpunkt des Entstehens der Einrichtungen – die Notwendigkeit und das Verlangen Jugendlicher nach adäquaten Informationen war sicherlich auch schon zu einem früheren Zeitpunkt gegeben. Mancherorts wird das Entstehen der ersten Jugendinformationszentren auch „als Folge der 68er-Bewegung“ beschrieben (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2015), konkret werden die Gründungen in Gent 26 (1966), München (1967), Paris (1968) und schließlich Wien (1973) genannt (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2015). Hinsichtlich der Ausrichtung bestanden schon in dieser Pionierphase Auffassungsunterschiede, ob die Zentren nur Information (wie es für Frankreich beschrieben wird) oder auch Beratung anbieten sollen, wie es vor allem im deutschsprachigen Raum propagiert wurde (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2015, o. S.). Allen genannten Einrichtungen dieser frühen Phase ist 25 Diese individuelle Betrachtung birgt sicherlich ein höheres Risiko einer problemzentrierten Deutung

bis hin zur Pathologisierung des Verhaltens der/des Jugendlichen durch die ProfessionistInnen.

26 Zentrum für Jugendinformation und Beratung „Info Jeugd“ (ERYICA, o. J., o. S.)

Eine kurze Geschichte der formellen Jugendinformationsarbeit in Europa

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trotz dieser unterschiedlichen Orientierung jedoch gemein, dass sie sich von bisherigen Beratungs- und Unterstützungsangeboten kritisch distanzieren wollten. Sie entstanden vor dem Hintergrund einer ablehnenden Haltung der damals etablierten Unterstützungsstrukturen, waren also „inspired by a fundamental criticism against the then established, traditional youth assistance“ (ERYICA, o. J., o. S.). Zudem sollten sich die neugeschaffenen Angebote durch ihre thematische Offenheit und Unkompliziertheit im Zugang positiv abheben: „Their criticism concerned, among other things, the bureaucratic method (e. g. waiting lists, by appointment only), the official character of the assistance (start the counselling by asking the person’s name, address, age, daily work, etc.), the psychiatricmedical model of assistance, etc.“ (Faché, 2012, S. 203) Im Laufe der 1970er und 80er-Jahre breitete sich die Jugendinformationsarbeit über ganz Westeuropa aus und wurde sukzessive zu einem „integral part of youth work in many countries“ (Cangelosi, 2012, S. 2). Die geschaffenen Angebote waren inhaltlich ähnlich ausgerichtet, unterschieden sich aber jeweils durch die lokalen Anforderungen: „Youth Information centres that offered similar services tailored to their specific realities were soon to follow in various European countries.“ (ERYICA, o. J., o. S.) Im Austausch der ProfessionistInnen auf den ersten internationalen Tagungen zeigte sich, dass „unabhängig von einander [sic] ähnliche Strukturen entstanden waren“ (Bundesnetz-werk österreichische Jugendinfos, 2015, o. S.). Zudem kam es zur gemeinsamen Weiterentwicklung der Konzepte auf nationaler und lokaler Ebene sowie zum Zusammenschluss in einem europäischen Netzwerk: 1986 wurde die European Youth Information and Counselling Agency (ERYICA) gegründet.27 „ERYICA brought together practitioners from different countries and aimed to develop youth information in Europe through cooperation and the exchange of experience.“ (Cangelosi, 2012, S. 2) Als Beispiel für den Austausch innerhalb des Netzwerks kann eine Summer-School im andalusischen Mollina im Jahr 1996 herangezogen werden, die von ERYICA und dem spanischen Jugendinformationsnetzwerk INJUVE organisiert wurde. An diesem Training für JugendinformationsmitarbeiterInnen aller Ebenen nahmen circa 200 Personen teil. Im folgenden Jahr veranstaltete die finnische Partnerorganisation eine internationale Weiterbildung mit dem Titel „how to use the Internet 27 Diese Gründung wird auch als Resultat eines Top-Down-Prozesses beschrieben, der 1985 auf einer

Europarats-Konferenz der MinisterInnen für Jugendagenden in Strasbourg seinen Ausgang nahm. Auf dieser Konferenz war Jugendinformation eines der zentralen Themen. „As a result of one of the recommendations of this ministerial conference, the Council of Europe established in 1986 the Committee of Experts of Youth Information in Europe“ (ERYICA, o. J.). Die ExpertInnen dieser Arbeitsgruppe schlossen sich dann in weiterer Folge zum Netzwerk ERYICA zusammen.

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Gestaltung formeller Jugendinformationsarbeit

to inform young people“ und legte somit bereits früh den Grundstein für das Selbstverständnis, dass das Internet ein Potenzial für die Jugendinformationsarbeit bietet (Boes, 2012, S.  196). Neben dem Austausch und der Weiterentwicklung der Angebote liegt eine Aufgabe von ERYICA sicherlich auch im Lobbying, um mittels gesetzlicher Grundlagen die dauerhafte Ausstattung mit Ressourcen sicherzustellen. Vor dem Hintergrund solcher Bemühungen ist auch die Empfehlung des Europarates aus dem Jahr 1990 zu sehen. In dieser Empfehlung halten die für Jugendagenden zuständigen MinisterInnen der damals rund 40 Mitgliedstaaten fest, dass jungen Menschen ein Recht auf adäquate Information zukommt: „(…) young people have a right to full, comprehensible and reliable information, with­out reservations, and to counselling on all problems concerning them in all sectors, without exception, so that they may have complete freedom of choice, without any discrimination or ideological or other influence“ (Europarat, 1990, o. S .) Daher wird den Regierungen der Mitgliedstaaten von dem bis heute sogenannten Ministerkomitee28 des Europarates empfohlen, geeignete Informations- und Beratungs­angebote zu schaffen beziehungsweise zu fördern. Diese Angebote sollen den folgenden Anforderungen gerecht werden: -- Das Angebot soll auf die direkten Anfragen und spezifischen Bedürfnisse der jungen Menschen hin beraten und informieren. -- Das Angebot soll möglichst vielseitig ausgerichtet sein und auf verschiedenen Quellen basieren. -- Die Informationen müssen zuverlässig sein und sollen in verständlicher Form vermittelt werden. -- Das Recht auf Anonymität soll gewahrt bleiben. -- Das Angebot sollte ohne Diskriminierung einzelner Gruppen für alle jungen Menschen zugänglich sein und einen nicht-kommerziellen Charakter aufweisen. -- Das Angebot soll die Unabhängigkeit junger Menschen fördern. -- Durch nationale und international vergleichende Erhebungen soll sichergestellt werden, dass die Bedürfnisse der jungen Menschen berücksichtigt werden und die Angebote und Strukturen laufend dahingehend weiterentwickelt werden. (Europarat, 1990) Im Jahr 1993 verabschiedet ERYICA die erste Version der Jugendinformationscharta. Diese umfasst die Grundwerte, Prinzipien und Handlungsanleitungen für Jugendinformation. Mit dieser Charta wurde auch dem Umstand Rechnung getragen, dass Jugendinformation als Teil der Jugendarbeit nun auch in den zentral- und 28 Das Sichtbarmachen der im Komitee vertretenen Frauen scheint kein Anliegen des Europarates zu

sein.

Eine kurze Geschichte der formellen Jugendinformationsarbeit in Europa

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osteuropäischen Ländern des bis 1991 bestehenden Warschauer Pakts zunehmend Verbreitung fand (Cangelosi, 2012, S. 2). Im Jahr 2004 wurde diese Charta aktualisiert (s. dazu Kapitel 4.3). Ab dem Jahr 1997 kommt es zu einer verstärkten Kooperation zwischen ERYICA und dem Europarat, um gemeinsam folgende vorab definierte Ziele zu verfolgen: -- Entwicklung und Förderung der europäischen Zusammenarbeit hinsichtlich Jugendinformationsangeboten -- Förderung der Gleichheit europäischer Jugendlicher hinsichtlich der Zugangsmöglichkeiten zu benötigten Informationen -- Organisation von Weiterbildungen und Trainings für die in der Jugendinformation tätigen ProfessionistInnen, um ein hohes Niveau des Angebots abzusichern -- Besondere Unterstützung der zentral- und osteuropäischen Staaten bei der Erreichung der diesbezüglichen Ziele. (Cangelosi, 2012, S. 3) Hinsichtlich der letzten beiden Punkte unterstreicht Cangelosi die Herausforderung bei der gänzlich neuen Schaffung der Angebote in einigen Staaten, aber auch bei der Ausweitung in Staaten mit einer mehr als dreißigjährigen Tradition dieser Arbeit. Diese Herausforderungen liegen in der Fassung konkreter Kriterien der Fachlichkeit – ihnen kann am ehesten durch Ausbildung und Austausch begegnet werden: „The partnership started work at a time when youth information was already established in many countries in Europe but still was a rather new profession that needed to define concrete criteria and become more professional. The partnership responded to those demands with training and by creating a forum for professional exchange.“ (Cangelosi, 2012, S. 3) Mit Aufkommen des Internets als mehr und mehr allgemein zugänglicher Informationsquelle verändert sich die Rolle der Jugendinformation. Zur Informationsvermittlung kommt die Aufgabe der Begleitung und Orientierungshilfe für Jugendliche, die sich vorwiegend selbst informieren, hinzu: „The profession had to redefine its tasks and role and become more and more a service focusing on orientation and guidance.“ (Cangelosi, 2012, S. 3) Spätestens hier wird deutlich, dass neben der Vermittlung von Inhalten auch die Vermittlung von (Informations-)Kompetenzen erforderlich ist, damit Jugendinformation tatsächlich den gesetzten Ansprüchen gerecht werden kann. Dieser Herausforderung versuchte ERYICA mit der Neufassung der Jugendinformationscharta im Jahr 2004 (ERYICA, 2004) und mit den Prinzipien für Online-Jugendinformation im Jahr 2009 (ERYICA, 2009) zu begegnen (vgl. dazu Kapitel 4.3.1). Dadurch sollte einerseits die Wichtigkeit von Qualitätsrichtlinien für die Vermittlung von Infor-

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Gestaltung formeller Jugendinformationsarbeit

mationen in online-Settings festgeschrieben werden und andererseits klargestellt werden, dass Jugendinformation im Zeitalter des Internets eine „ever-growing role“ zukomme (Cangelosi, 2012, S. 3). Dieser zunehmenden Wichtigkeit der Jugendinformation soll auch die 2010 erfolgte Überarbeitung der Empfehlung des Europarates aus dem Jahr 1990 Rechnung tragen. Dies wird einerseits dadurch begründet, dass durch die zunehmenden Mengen an verfügbaren Informationen neue Bedürfnisse bei jungen Menschen entstanden seien sowie andererseits, dass sich die Exklusionsgefahr junger Menschen deutlich erhöht habe: „Guidance and counselling is even more important today than for previous generations, due to the fact that social inclusion of young people is now a lengthier and more complex process.“ (Europarat, 2010, o. S .) Um „youth information and counselling“-Strukturen als Unterstützungsmaßnahmen hinsichtlich dieser neuen Bedürfnisse zu etablieren, empfiehlt der Europarat seinen Mitgliedstaaten unter anderem folgende Maßnahmen: -- Förderung der Entwicklung von Strukturen, die auf die neuen Informationsbedürfnisse junger Menschen ausgerichtet sind -- Einbindung junger Menschen, um deren Kompetenzen für die Jugendinformationsarbeit zu nützen sowie eine Weiterqualifizierung dieser Personen zu ermöglichen -- Erhöhung des Bewusstseins hinsichtlich der Risiken aber auch der Möglichkeiten, die neue Kommunikationsmittel bieten -- Erleichterung des Internetzugangs speziell für junge Menschen mit eingeschränkten Chancen, wie etwa Jugendliche mit Behinderungen (Europarat, 2010, o. S.) Durch die Kooperation zwischen ERYICA und dem Europarat wurden zuerst die Ausbildungsambitionen verstärkt. Da es in den wenigsten Ländern formale Ausbildungen im Bereich der Jugendinformation gibt, kommt dieser Aufgabe eine zentrale Rolle zu. Diese Train-ings sind auch für die Qualitätssteigerung relevant: Durch den damit verbundenen Austausch von Wissen und Erfahrungen, sowie die gemeinsame Entwicklung von Zukunftsstrategien anhand von Evidenzen und best-practiceModellen soll das Angebot an Information und Beratung in den teilnehmenden Ländern gehoben werden. Besonders unterstützt werden sollten jene Länder, die Jugendinformationsarbeit neu aufgenommen haben: Hier wurden und werden ProfessionistInnen zu speziellen Seminaren eingeladen und politische EntscheidungsträgerInnen sowie NGO-VertreterInnen mit niederschwellig aufbereiteten (und zudem in mehreren Sprachen verfügbaren) Informationen (ERYICA, 2013a) animiert, in ihrem Verantwortungsbereichen Initiativen für Jugendinformation zu setzen oder zu unterstützen (Cangelosi, 2012, S. 5f.). Auch wenn es laut Cangelosi kein

Eine kurze Geschichte der formellen Jugendinformationsarbeit in Europa

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vereinbartes Ziel der Kooperation zwischen ERYICA und dem Europarat ist, so trägt die Partnerschaft doch zu einer erhöhten Sichtbarkeit von Jugendinformation bei – „especially on a political level“ (Cangelosi, 2012, S. 6). Diesem Gedanken trägt auch die im Jahr 2012 gemeinsam gestartete Jugendinformationskampagne „Information – right now!“ Rechnung. Diese zweijährig angelegte Kampagne sollte „das Bewusstsein für die Bedeutung von Jugendinformation bei jungen Menschen, Entscheidungsträgern und Medien schärfen und – schlussendlich – den Zugang zu Information als ein Grundrecht junger Menschen herausstellen“ (Piesche, 2012, o. S.). Die Übersicht der Verortung der Projektaktivitäten von ERYICA im Rahmen dieser Kampagne (vgl. die folgende Abbildung) lässt aber bezweifeln, dass es gelungen ist, dieses Bewusstsein gerade in Osteuropa zu stärken – obwohl es von ERYICA und dem Europarat als erforderlich beschrieben wurde. Im Bereich der baltischen Staaten, Weißrusslands, der Ukraine, Rumäniens, Bulgariens sowie der Türkei war die Kampagne gänzlich inaktiv, während es eine hohe Konzentration in West- und Zentraleuropa gab. Auffällig ist hier vor allem der vergleichsweise hohe Aktivitätsgrad in den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens:29

Abbildung 5: Aktivitäten im Rahmen von „Information – right now“ nach Ländern (ERYICA, 2013, o.S.). 29 Boes erklärt die rasche und umfassende Etablierung von Jugendinformationsstrukturen am Westbal-

kan zwischen 2007 und 2009 mit dem „proactive and strategic approach ot the ERYICA office“ und der wertvollen Unterstützung des bereits bestehenden slowenischen Partners MISSS (Boes, 2012, S. 198).

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Gestaltung formeller Jugendinformationsarbeit

Neben der augenscheinlichen Herausforderung hinsichtlich der Ausweitung des Angebots in den osteuropäischen Staaten30 stellt sich auch die Frage, wie Jugendinformation in Zukunft organisiert sein soll. Für Boes steht fest, dass der Bedarf an Jugendinformation auch künftig gegeben sein wird, wobei es der Offenheit bezüglich neuer Kommunikationskanäle bedarf: „After 40 to 50 years of experience, one thing is very clear: the young people of tomorrow will need the possibility of having face-to-face-contact and a tailor-made answer to their question (…). Therefore they will need the services of youth information just like the generations before them, only probably transformed into new ways and forms.“ (Boes, 2012, S. 198f.) ERYICA versucht dieser Pluralisierung der Kommunikationskanäle durch das interne Netzwerk SHEryica31 gerecht zu werden. Innerhalb dieses Netzwerks können die MitarbeiterInnen der Mitgliedsorganisationen verstärkt in Austausch treten und Materialien teilen. Auf dieser Plattform soll neben dem Transfer von guter Praxis auch die Konsultation spezifischer Expertise innerhalb der professionellen Community des Jugendinformationsnetzwerkes ermöglicht werden (ERYICA, o. J.a, o. S.). Für das Jahr 2009 beschreibt ERYICA den Verbreitungsgrad von Jugendinformation in Europa folgendermaßen: „(…) there were 25 European countries maintaining a national network of ‚generalist‘‚ youth information centres, plus a significant number of countries in the process of establishing such a network“ (ERYICA, o. J.c). Nach den aktuellsten verfügbaren Zahlen, die ERYICA im Mai 2015 veröffentlicht hat, besteht das Netzwerk aus 24 Mitgliedsorganisationen.32 Dazu kommen fünf assoziierte Mitglieder sowie vier mit dem Status einer kooperierenden Organisation.33 Im Jahr 2009 wurden 7.500 lokale beziehungsweise regionale Jugendinformationszentren gezählt, in denen mehr als 13.000 MitarbeiterInnen tätig waren. Im Jahr 2005 wurden in diesen Zentren insgesamt circa 23 Millionen Besuche registriert, wobei diese Zahl andere Kommunikationswege wie beispielsweise Anfragen 30 Für das Jahr 2015 hat ERYICA ein regionales Meeting in Tiflis geplant, in dessen Rahmen mit Reprä-

sentantInnen aus zehn osteuropäischer Staaten an der Entwicklung beziehungsweise dem Ausbau von Jugendinformationsstrukturen gearbeitet werden soll (ERYICA, 2015a, S. 11). 31 Das eher holprige Kompositum SHEryica (aus share und ERYICA) geht nach meinem Dafürhalten nicht ganz auf, sondern wirkt irreführend, indem es gedanklich eher auf die Fährte eines mädchenund frauenspezifischen Angebotes lenkt. 32 Diese repräsentieren aber nicht immer einen nationalen Zusammenschluss (wie das Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, IJAB für Deutschland oder das Forum för Ungdomsinformasjonskontor für Norwegen), sondern fallweise „nur“ eine Region (wie beispielweise die katalanische ACJ oder die immerhin fünf belgischen Mitglieder). 33 Bei den assoziierten und kooperierenden Organisationen handelt es sich durchwegs auch um Einrichtungen oder Verbände der Jugendinformation, wobei den assoziierten Organisationen nur ein Informations-, aber kein Mitbestimmungsrecht zukommt. Der Status der kooperierenden Organisationen ist für eine dreijährige Initialphase von neu gegründeten Institutionen vorgesehen.

Eine kurze Geschichte der formellen Jugendinformationsarbeit in Österreich

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per Telefon oder online nicht beinhaltet (ERYICA, 2015b). Nachfolgend soll die Entwicklung der Jugendinformationsarbeit in Österreich skizziert werden. 4.2 Eine kurze Geschichte der formellen Jugendinformationsarbeit in Österreich Laut einem Befund des Bundesministeriums für Frauen und Jugend wird Jugendinformationsarbeit als generalistisch ausgerichtetes Angebot im Rahmen von ladenartig ausgerichteten Komm-Strukturen seit den 1980er Jahren betrieben: „Das Angebot einer allgemeinen Jugendinformation besteht in Österreich seit bald 30 Jahren. Dieses beschränkt sich nicht auf spezielle Themen, sondern bietet den jungen Menschen bei allen Fragen einen ersten Anknüpfungspunkt, in Form eines ‚one-stop-shops‘.“ (BMFJ, 2013, S. 18) Tatsächlich besteht das Angebot zumindest an einzelnen Standorten schon länger: Im Jahr 1973 wurde in Wien durch das dortige Jugendamt das erste Jugendinformationszentrum eingerichtet. Dieses wird aber bereits Mitte der 1980er Jahre wieder geschlossen, da es dann eine Orientierung hin zu höherschwelligen „Beratungs- und Therapieeinrichtungen“ gab: „Während in Westeuropa zwischen 1982 und 1987 hunderte Informationsstellen eröffnen, werden in Österreich bis Mitte der 80er die damals schon bestehenden Zentren geschlossen.“ (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2015, o. S.) Einen gewissen Widerspruch stellt dar, dass aus demselben Dokument des Bundesnetzwerks zudem hervorgeht, dass bereits 1987 ein erstes österreichweites Treffen zum Zweck des Austausches unter den „in Österreich bestehenden Jugendinfomationszentren (Graz, Kirchdorf, Linz34 , Salzburg, Wien35)“ stattfindet. Die 1990er Jahre sind „in Österreich von Aufbau36 , Erfahrungsaustausch und Weiterentwicklung geprägt“. Um die Jahrtausendwende37 gibt es in allen Bundesländern Jugendinformationsservices. Diese betreiben Austausch und gemeinsame Studienreisen, veröffentlichen gemeinsame Broschüren38 und verfügen nicht zuletzt über 34 Die Jugendinformationsstelle in Linz wurde 1985 gegründet (Bundesnetzwerk Österreichische Ju-

gendinfos, 2015, o. S.)

35 Die Jugendinformationsstelle in Wien wurde 1987 (wieder-)gegründet; bis 1989 „Jugend in Wien“,

dann „Jugend-Info Wien“ (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2015, o. S.)

36 1991: Akzente Jugendinfo Salzburg; 1992: aha Vorarlberg; 1993: InfoEck Tirol; 1995: LOGO ju-

gendINFORMATIONsservice Steiermark; 1997: Jugendinfo Burgenland, 1998: Jugendinfo Kärnten (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, o. J.) 37 2001: TOPZ Jugendinfo Niederösterreich (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, o. J.) 38 Im Jahr 1999 kommt es zur „Erstausgabe der österreichweiten Informationsprodukte ‚Praktika, Workcamps, Au-Pair im Ausland‘ und ‚Ferien- und Nebenjobsuche‘“ (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2015)

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Gestaltung formeller Jugendinformationsarbeit

eine einheitliche Telefonnummer39 (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2015, o. S.). Ab 1993 kommt es zu regelmäßigen, halbjährlichen Treffen der LeiterInnen der einzelnen Jugendinformationsstellen im Rahmen der „ARGE JugendinfoLeiterInnen und -Leiter“ (später „ARGE Jugendinfos“ und ab 2010 schließlich „Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos“). 1996 – also zehn Jahre nach der Gründung von ERYICA – tritt diese Vereinigung dem europäischen Dachverband bei und übernimmt einen Sitz in dessen Vorstand (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2015, o. S.). Diese Aktivitäten werden sehr stark von Vorarlberg aus betrieben, wo zu dieser Zeit auch noch das Büro der Bundeskoordination angesiedelt ist (ERYICA, 1999, S. 2). Aus einem Länderreport von ERYICA über Jugendinformation in Österreich aus dem Jahr 1999 geht hervor, dass Jugendinformationseinrichtungen beinahe flächendeckend in allen Bundesländern verbreitet sind. Das Entstehen der Einrichtungen in allen Landeshauptstädten kann unter anderem auch mit den neuen Perspektiven hinsichtlich internationaler Mobilitätsprogramme erklärt werden, die sich nach dem EU-Beitritt Österreichs im Jahr 1995 den jungen Menschen bieten. Die bestehenden Verwaltungsapparate wären mit der Kommunikation und Administration dieser Angebote überfordert gewesen: „Most Youth Information Centers were first created because the distribution of official information (youth exchange programs, youth identity cards, etc.) through administrative channels came to be impossible.“ (ERYICA, 1999, S. 3) Die Aufgabenfelder – im Kontinuum zwischen bloßer Information und Beratung angeordnet – variieren aber durch die unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten und Jugend(hilfe-)gesetze: „The purpose of the Youth Information Centers is to give young people information on issues which interest them, and to help them to enter into contact with other services which are relevant to their needs. Counselling activities, however, vary among the Länder according to regional needs.“ (ERYICA, 1999, S. 1) Für das Jahr 1997 wird österreichweit eine Anzahl von 45 bezahlten MitarbeiterInnen angegeben, dazu kommen noch Zivildienstleistende sowie PraktikantInnen und freiwillig Engagierte (ERYICA, 1999, S. 2). In den Nullerjahren kommt es zu einer Intensivierung der österreichweiten Zusammenarbeit. Als Meilensteine dieser Kooperation werden genannt:

39 Bestehend aus der Landeshauptstadtsvorwahl und 1799; damals noch relevant: aus ganz Österreich

zum Ortstarif erreichbar. „Aufgrund der Neuregulierungen im Rufnummernbereich existiert diese [Telefonnummer, Anm.] heute leider nicht mehr.“ (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2015)

Eine kurze Geschichte der formellen Jugendinformationsarbeit in Österreich

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-- Der Lehrgang Jugendinformation, durchgeführt in Kooperation von der ARGE Österreichische Jugendinfos und dem Jugendministerium in den Jahren 2001, 2003 und 2008 -- Erste Bemühungen zur Entwicklung gemeinsamer Qualitätsstandards, etwa durch eine Qualitätssicherungsklausur im Jahr 2001 und ein gemeinsames Qualitätspapier im Jahr 2002, die 2008 in einem Qualitätskriterienkatalog (mit zumindest einer Überarbeitung; zuletzt aktualisiert 2013) münden (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2013) (s. dazu Kapitel 4.3.2) -- Tagungen auf nationaler und internationaler Ebene zum Thema Jugendinformation (2003, Salzburg: „Visions in Youth Information“; 2008, Salzburg: „European Youth Forum“ mit ERYICA, EURODESK40 und EYCA41) -- Übernahme von EU-Jugendagenden in Österreich durch das Bundesnetzwerk Österreichischer Jugendinfos als nationaler EURODESK-Partner ab 2004 -- Erstellung vergleichbarer Statistiken durch Dokumentation mit einem einheitlichen Erhebungstool ab 2009 (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2015) Das ab 2010 bestehende Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos ersetzt die zuvor bestehenden ARGEs. Seit diesem Zeitpunkt wurden folgende Aktivitäten im Rahmen der Jugendinformationsarbeit gesetzt: -- Übernahme der European Youth Card-Lizenz durch das Bundesnetzwerk und damit Erlangung der Befugnis, Ausweise für Jugendliche und junge Erwachsene zum Zweck des Altersnachweises zu erstellen (2010); damit auch Beitritt zur European Youth Card Association (EYCA) -- Beauftragung des Bundesnetzwerks als österreichischer EURODESK-Partner, dadurch auch Beauftragung zur Wartung und Aktualisierung des nationalen Jugendportals42 ab 2010 (s. dazu detailliert im Kapitel 4.3.1) -- Gemeinsame Weiterbildungen mit den PartnerInnenorganisationen aus dem deutschsprachigen Raum (ab 2011) -- Thematische Ausweitung hinsichtlich Sicherheit im Internet durch Mitgliedschaft des Bundesnetzwerks im Beirat von saferinternet.at und Setzung von inhaltlichen Angeboten wie beispielsweise dem Facebook-Check, wo Jugendli-

40 EURODESK ist eine international ausgerichtete Nonprofit-Organisation, die 1990 im Umfeld der

EU-Institutionen gegründet wurde. Neben der Abwicklung der Europäischen Jugendportalagenden fungiert EURODESK als „support organisation to the Erasmus+ programme (2014–2020)“ und bietet somit den Zugang zu den internationalen Mobilitätsprogrammen der EU (EURODESK, o. J.). 41 Die European Youth Card Association (EYCA) koordiniert europaweit die Ausweiserstellung für Jugendliche und junge Erwachsene. 42 Zuerst unter der Domain www.oesterreichisches-jugendportal.at verfügbar, dann glücklicherweise doch auf www.jugendportal.at verkürzt.

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Gestaltung formeller Jugendinformationsarbeit

che hinsichtlich der Wahrung ihrer Privatsphäre sensibilisiert und geschult werden sollen -- Ab 2012 Setzung von inhaltlichen Jahresschwerpunkten über das Bundesnetzwerk (2012: Informationskompetenz und Leistungen der Jugendinformation im Internetzeitalter) -- Beitritt zum Netzwerk Kinderrechte Österreich, um zur Förderung der Umsetzung der UNO-Kinderrechtskonvention beizutragen (2012) -- Ab 2012 Beteiligung an der europaweiten Kampagne von Europarat und ERYICA Information – right now! (s. dazu ERYCA, 2013) unter dem Titel „Information – Jetzt erst Recht“, um auf das Recht junger Menschen auf adäquate Information hinzuweisen Obwohl der Inhalt der (Sub-)Seite des Bundesnetzwerks ausdrücklich am 20. Februar 2015 aktualisiert wurde, findet sich statt Informationen, die den Zeitraum nach 2012 betreffen, nur ein lapidares „to be continued“ (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2015, o. S.). Laut einem Factsheet Jugendinformation des BMFJ wurden im Jahr 2014 bei den österreichweit 27 Jugendinformationsstellen (eine Jugendinformationsstelle pro Bundesland und fallweise zusätzlichen regionalen Filialen) 95.269 Gesamtkontakte verzeichnet. In diesen Kontakten wurden 142.143 Anfragen gestellt. Die meisten Anfragen entfielen auf die Bereiche Arbeit, Internationales und Bildung. Für die Online-Angebote der Österreichischen Jugendinfos wird angegeben, dass diese „jährlich von rund einer Million Besucher/innen genutzt“ (BMFJ, 2015a, S. 2) werden. Zutreffend dürfte aber vielmehr sein, dass eine deutlich kleinere Zahl von Personen circa eine Million Klicks auf den Seiten produziert hat. Sehr ähnliche Zahlen finden sich auch in einer Kurzbeschreibung der Jugendinformationsarbeit, die direkt vom Bundesnetzwerk Österreichischer Jugendinfos verfasst wurde (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2013, S. 2). Im Folgenden soll dargestellt werden, mit welchen Konzepten und nach welchen Ausrichtungen formelle Jugendinformationsarbeit auf den verschiedenen Ebenen gestaltet wird. 4.3 Konzeptionen und Ausrichtungen der formellen Jugendinformation 4.3.1 Konzeptionen und Ausrichtungen auf europäischer Ebene Das Akronym ERYICA steht für European Youth Information and Counselling Agency. Diese 1986 gegründete Organisation, die unabhängig ist, jedoch seit 1987 eng mit dem Europarat kooperiert (Cangelosi, 2012, S.  2f.), setzt sich aus „national youth information coordination bodies and networks“ 43 zusammen. ERYICA hat 43 Dabei kann es sich um staatliche Stellen oder um NGOs handeln.

Konzeptionen und Ausrichtungen der formellen Jugendinformation

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es sich zur Aufgabe gemacht, Kooperationen im Feld zu begünstigen sowie Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung zu betreiben. Folgende Visionen formuliert ERYICA auf ihrer Homepage: --„to foster co-operation in the field of youth information work and services; -- to develop, support and promote quality general youth information policy and practice at all levels; -- and to ensure that the information needs of young people and the principles of the European Youth Information Charter are respected.“ (ERYICA, o. J.d, o. S.)

ERYICA formuliert damit ihre Vision in der Bewahrung des Rechtes junger Menschen auf umfassende und verlässliche Information, um ihnen bei Entscheidungen zu helfen sowie ihre Autonomie und aktive Teilhabe in einer demokratischen Gesellschaft zu fördern (ERYICA, o. J.d, o. S.). Diese Vision soll auf Basis der 16 Prinzipien der Europäischen Jugendinformationscharta sukzessive realisiert werden. Diese Charta wurde 2004 von der Generalversammlung beschlossen und in der Folge von der damaligen ARGE – Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Jugendinfos sowie 49 weiteren regionalen beziehungsweise nationalen Dachorganisationen unterzeichnet. Die Charta ist in mehr als dreißig Sprachen verfügbar, im Folgenden wird auf die deutschsprachige Fassung Bezug genommen (ERYICA, 2004, o. S.). In der Einleitung wird von „allgemeiner“ Jugendinformation gesprochen, die all jene Themen abdecken soll, die Jugendliche interessieren. Dementsprechend groß kann das Spektrum an Leistungen und Interaktionen sein: „Information, Beratung, Anleitung, Unterstützung, Hilfestellung, Betreuung und Training, Vernetzung und Empfehlung von Fachstellen“ (ERYICA, 2004, o. S.). Diese Angebote können von „Jugendinformationszentren oder von Jugendinformationsdiensten, die in anderen Strukturen angesiedelt sind“ geleistet werden oder „durch Nutzung elektronischer und anderer Medien“ in Anspruch genommen werden.44 Die folgenden Prinzipien sollen für alle Formen der Jugendinformation angewandt werden und stellen die Basis „zur Errichtung von Mindeststandards und (zur) Durchführung qualitätssichernder Maßnahmen“ dar, damit Jugendinformation umfassend, schlüssig und koordiniert erfolgen kann (ERYICA, 2004, o. S.). Die Prinzipien 1 bis 3 sowie 6 und 7 beziehen sich auf die Zugänglichkeit von Jugendinformation: Sie soll ausnahmslos allen Jugendlichen offen stehen. Es darf keine Einschränkung der Zugänglichkeit anhand von Geschlecht, Herkunft, Religion, Lebenssituation oder sozialem Stand geben. Benachteiligten Gruppen und Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen soll mit positiver Diskriminierung („besondere Berücksichtigung“) begegnet werden. Des Weiteren sollen die Rahmen44 Der Weg über MultiplikatorInnen (zum Beispiel LehrerInnen und JugendarbeiterInnen, die von Ju-

gendinformationsanbieterInnen mit Inhalten adressiert werden und diese dann in ihre jeweiligen Zielgruppen weiterkommunizieren können) wird in der Charta überraschenderweise nicht angesprochen.

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Gestaltung formeller Jugendinformationsarbeit

bedingungen (beispielsweise hinsichtlich Atmosphäre und Öffnungszeiten, keine Erforderlichkeit von Terminvereinbarung etc.) sowie die Kostenlosigkeit und Anonymität der Angebote für die Jugendlichen die Inanspruchnahme erleichtern. Hinsichtlich des Informationsangebotes wird gefordert, dass -- dieses laufend den Bedürfnissen der Jugendlichen angepasst wird und alle Lebensbereiche der Jugendlichen umfasst (Prinzip 4). -- dieses die Eigenständigkeit der Jugendlichen fördert und ihnen bei der Entwicklung ihrer Fähigkeiten, Informationen auszuwerten und zu nutzen, hilft (Prinzip 5). -- dieses von „speziell dafür geschultem Personal in professioneller Form zur Verfügung gestellt“ wird (Prinzip 8) und dementsprechend „vollständig, aktuell, präzise, zweckmäßig und benutzerfreundlich“ aufbereitet ist (Prinzip 9). -- Objektivität45 durch „den Pluralismus und die Verifizierung der genutzten Quellen“ gewährleistet (Prinzip 10) und kein religiöser, politischer, ideologischer oder kommerzieller Einfluss (Prinzipien 11 und 16) auf die Informationen genommen wird. Zudem soll auch kein „Sponsor“ 46 Einwirkung auf die Inhalte nehmen können. -- dieses durch kreative und innovative Methoden eine möglichst große Zahl an Personen erreicht (Prinzip 12). Zudem sollen Jugendliche am Angebot partizipativ mitwirken können. Dies soll auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene ermöglicht werden und kann unter anderem folgende Gestalt annehmen: „Feststellung des Informationsbedarfs, Aufbereitung und Bereitstellung von Informationen, Leitung und Auswertung von Informationsdiensten und -projekten sowie Peer-Group-Aktivitäten“ (Prinzip 13). Die TrägerInnen von Jugendinformationsarbeit sollen speziell in ihrem Wirkungsgebiet mit anderen Jugendeinrichtungen und allen Strukturen, die mit Jugendlichen arbeiten, vernetzt sein und kooperieren (Prinzip 14). Jugendliche sollen durch Jugendinformationsarbeit nicht nur Zugang zu Informationen im Internet erhalten, sondern auch befähigt werden, diese zu nutzen (Prinzip 15). Das letztgenannte Prinzip der Charta, das auf Informationskompetenz abzielt, weist besonders auf die Herausforderungen hin, die sich mit der Verbreitung des Internets für die Jugendinformationsarbeit ergeben. Die Einrichtungen der Jugendinformationsarbeit haben sich schon ab Ende der 1990er Jahre intensiv mit neuen Informationstechnologien auseinandergesetzt. Diese Erfahrungen flossen in die Prinzipien für Online-Jugendinformation (ERYICA, 2009) ein, die im Jahr 2009 45 Man ist verleitet einzuschränken, dass es sich nur um höchstmögliche Objektivität handeln kann. 46 Im Vergleich bezieht sich das englischsprachige Originaldokument auf „Each source of funding for

youth information work“ (ERYICA, 2004a, o. S.), also nicht nur auf Firmen, sondern auch öffentliche Stellen und SubventionsgeberInnen.

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von der 20. ERYICA-Generalversammlung verabschiedet wurden. Dieses Papier hat verbindlichen Charakter und soll die bestehenden Regelungen spezifisch ergänzen. „Online-Jugendinformation ist ein wesentlicher Bestandteil der Jugendinformationsarbeit“ und muss daher in allen Prinzipien zuerst der Charta für Jugendinformation entsprechen. Zudem bedürfe es aber aufgrund der „besonderen Eigenschaften“ ergänzender Richtlinien (ERYICA, 2009, o. S.): Online-Jugendinformation soll „präzise, auf dem neuesten Stand und verifiziert“ sein. Daher soll immer klar ersichtlich sein, wann die Information erstellt beziehungsweise aktualisiert wurde (Prinzip 1).47 Die Inhalte müssen auf die Bedürfnisse junger Menschen ausgerichtet sein. Diese Bedürfnisse sind regelmäßig zu bestimmen und die Inhalte zu evaluieren (Prinzip 2). Bei allen Inhalten muss erkennbar sein, wer diese zur Verfügung stellt und die Quellen der Finanzierung der dahinterstehenden Organisation transparent gemacht werden (Prinzip 10). Externe Inhalte müssen kostenfrei sein und „eine Übersicht über die verschiedenen bestehenden Möglichkeiten bieten“. Die Kriterien, nach denen die Auswahl dieser Inhalte erfolgt, „werden öffentlich bekannt gemacht und sind verständlich“ (Prinzip 3). Alle Inhalte sind mit eindeutigen Quellenangaben zu versehen (Prinzip 9). Urheberrechte dritter Parteien sind dabei zu respektieren (Prinzip 15). Bei Inhalten, die in partizipativen Verfahren von oder mit Jugendlichen erarbeitet wurden, liegt die Verantwortung für die Korrektheit bei der Jugendinformationsorganisation (Prinzip 7). Online-Jugendinformation soll verständlich sein, in einer für Jugendliche ansprechenden Art und Weise präsentiert werden (Prinzip 4) und von allen AnwenderInnen – auch solchen mit besonderen Bedürfnissen48 oder SprecherInnen von lokalen Minderheitssprachen – in Anspruch genommen werden können (Prinzip 5). Bei interaktiven Online-Angeboten – wie beispielsweise der Möglichkeit für Jugendliche, Fragen zu stellen – soll deutlich gemacht werden, in welchem Zeitraum eine Reaktion der Einrichtung zu erwarten ist und von welcher natürlichen Person diese Antwort schlussendlich verfasst wurde (Prinzip 6). Online-Jugendinformationsdienste sollen für jungen Menschen eine Orientierungshilfe sein und sie beim Ausbau ihrer Informations- und Internetkompetenzen unterstützen (Prinzip 11)49. Das beinhaltet beispielsweise Informationen, „wie sie sich auf sichere und verantwortungsvolle Weise im Internet verhalten können“ (Prinzip 12). Online-Jugendinformations-dienste sollen „ein sicheres Umfeld für junge Men47 Leider wird diesem Prinzip auf der eigenen Homepage (www.eryica.org) nur sehr lückenhaft entspro-

chen, was in der vorliegenden Arbeit durch mehrere Literaturangaben o. J. belegt werden kann.

48 Den Kriterien der Barrierefreiheit im Internet wird www.eryica.org durchwegs gerecht: Es kommt

für Personen mit Einschränkungen nur zu vereinzeltem Informationsverlust (etwa durch fehlende Bildbeschreibungen für Menschen mit Sehbehinderung). 49 Hier ist fraglich, wie diese Förderung durch das reine Online-Angebot erfolgen soll. In der Praxis der steirischen Jugendinformation zeigt sich, dass es dafür Einzelangebote (wie den Facebook-Check, wo einE MitarbeiterIn von LOGO mit einer Person deren Accounteinstellungen bespricht) oder Workshops im real life braucht.

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schen“ darstellen (Prinzip 13), das beinhaltet konkret die Möglichkeit, eigene, öffentlich bereitgestellte Daten jederzeit ändern oder löschen zu können. Generell soll die Privatsphäre der NutzerInnen respektiert und geschützt werden (Prinzip 14). Fachkräfte der Jugendinformation selbst sollen Vorbildfunktion hinsichtlich ihrer Informationskompetenz einnehmen und über laufende Trends50 und Nutzungsgewohnheiten ihrer Zielgruppe, aber auch Entwicklungen der einschlägigen Gesetzgebung auf dem Laufenden sein (Prinzip 16). Hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung bezieht sich ERYICA in der Jugendinformationscharta auf „allgemeine Jugendinformation“ (ERYICA, 2004) beziehungsweise auf „Generalist Youth Information“ (ERYICA, 2004a). Dieser Zugang soll – im Gegensatz zu specialised information services – eine Bandbreite von verschiedenen Aktivitäten gewährleisten, die von einer „wide variety of information actors“ angeboten werden (ERYICA, o. J.e, o. S.). Der generalistische Zugang von ERYICA habe sich seit den 1960ern bewährt, werde von allen ERYICA-Organisationen in derzeit mehr als 30 Ländern vertreten und zeichne sich durch seine KlientInnenzentriertheit aus: „Essentially, it is a user-centred approach.“ (ERYICA, o. J.e, o. S.). Den Jugendinformationseinrichtungen kommt als „starting-point“, wo von Jugendlichen Fragen und Bedürfnisse artikuliert werden (ERYICA, o. J.e, o. S.), eine Brückenfunktion zu spezialisierten Angeboten zu, indem diese Jugendlichen entweder dorthin weitervermittelt werden oder die Expertise der SpezialistInnen von MitarbeiterInnen eingeholt und weitergegeben wird. Die Kunst der generalistisch ausgerichteten, formellen Jugendinformationseinrichtungen ist also: „(…) to develop and maintain good knowledge of the local and national specialised information services, in order to allocate material useful as resource when dealing with enquiries of young people. Furthermore, the center (service) continually develops contacts and co-operation with relevant youth-related services in its locality to be able to offer the best possible and most comprehensive service to its users.“ (ERYICA, o. J.f, o. S .) Als Felder, zu denen jedenfalls Vernetzung und laufender Austausch zu etablieren sind, kommen folgende specialised information services in Betracht (ERYICA, o. J.f, o. S.): -- Berufsorientierung, Beratung in Arbeitsfragen -- Bildungs-, Studien- und Stipendienberatung -- Gesundheitsthemen -- Beziehung und Sexualität -- Sozial- und Rechtsberatung sowie KonsumentInnenschutz -- Jugendprogramme, Europäische Mobilität und Austauschprogramme 50 Mit September 2015 war ERYICA selbst beispielsweise auf Instagram, Facebook, und Twitter vertre-

ten und recht aktiv im Teilen von Inhalten.

Konzeptionen und Ausrichtungen der formellen Jugendinformation

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Zu den Angeboten und Services von ERYICA zählt auch ein Schulungssystem für neue und bestehende MitarbeiterInnen der Jugendinformation beziehungsweise für MultiplikatorInnen aus dem Feld der Jugendarbeit: Das Basismodul YIntro wendet sich an angehende ProfessionistInnen der Jugendinformation, während Jimmy51 sich an JugendarbeiterInnen als mögliche MultiplikatorInnen von Jugendinformation und Webbie sich an internetaffine Jugendliche richtet. Die curriculare Gestaltung von YIntro ist aufschlussreich, um zu erfahren, welche Kompetenzen die/der idealtypische MitarbeiterIn der Jugendinformation für ERYICA haben soll. Der Kurs besteht aus vier Bereichen (Areas): Background and Principles of Youth Information, Youth Information in Practice, The Art of Working with Young People in a Youth Information Setting und Continuous Professional Development in Youth Information Work (ERYICA, o. J.g, o. S.). Jedem der vier Bereiche sind wiederum jeweils drei bis sechs Sessions zugeordnet. Für das zweite Feld, das die Praxis der Jugendinformation darstellen soll, umfasst dies (ERYICA, o. J.g, o. S.): -- Identifikation von Informationsbedürfnissen junger Menschen -- Erschließen von Information(-squellen) -- Unterscheidung von qualitätsvoller Information -- Organisation der eigenen Jugendinformation -- Gestaltung von Jugendinformationsprodukten und -medien -- Vermittlung von Information an junge Menschen Neben den praxisorientierten Inhalten werden Kernbegriffe, Prinzipien, Entwicklung und aktuelle Strukturen der Jugendinformation (Area 1), Interventionsformen, Kompetenzen, Haltungen und Werte von MitarbeiterInnen der Jugendinformation (Area 2) sowie Netzwerkarbeit, PR Projektmanagement, sowie (Selbst‑)Evaluation und Monitoring (Area 4) thematisiert (ERYICA, o. J.g, o. S.). Als Ergebnis der Ausbildung sollten TeilnehmerInnen neben dem Wissen über die Basics der Jugendinformation, ihrer Methoden und dem Bewusstsein über die eigene Rolle in der Jugendinformationsarbeit auch einen klaren Plan für die Implementierung weiterer Schritte haben, der sich aus den gemeinsam durchgeführten, angeleiteten Reflexions- und Selbstevaluationsschritten in der Ausbildung ergibt (ERYICA, o. J.g, o. S.). Als Arbeitsschwerpunkte für das Jahr 2015 hat ERYICA neben der Weiterverfolgung der internen Ausbildungsaktivitäten und der Weiterentwicklung der Kommunikationsstrategie folgende Themen gesetzt (ERYICA, 2015a, S. 1): -- Förderung von Mobilität und Online-Partizipation -- Annäherung an den formalen Bildungssektor -- Kooperation mit afrikanischen Jugendinformationsinitiativen 51 Der Name Jimmy soll phonetisch eine Nähe zu Youth Information und mediator (im Sinne von Ver-

mittlerIn) herstellen.

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Gestaltung formeller Jugendinformationsarbeit

Diese Ziele korrespondieren mit einem übergeordneten Konzept der strategischen Ausrichtung für die Jahre 2015 bis 2017 (ERYICA, o. J.b, o. S.) und sollen durch spezifische Aktivitäten, Projekte, Veranstaltungen sowie durch die enge Zusammenarbeit mit verbundenen Organisationen verfolgt werden. Die strategische Ausrichtung basiert auf vier Säulen: Qualität und Ausbildung, Forschung und Innovation, Strategie und internationale Beziehungen sowie Partizipation und Empowerment. Auf Basis dieser vier Säulen soll die Formulierung der Jahresschwerpunkte erfolgen sowie die Durchführung und Evaluation erleichtert werden:

+

As part of its stratecig plan 2015–2017, ERYICA identifies four stratecig Directions, which shall ease the definition of each annual Work Programme, facilitate the implementation and monitoring of activities and projects according to the overall strategy, and simplify the preparation of mesurable and comparable Activity Reports.

Quality &

Research &

Training

Innovation

Participation & Empowerment

Policy & International Relations

Abbildung 6: Strategische Ausrichtung ERYICA 2015–17 (n. ERYICA, o.J.b, S. 1).

Für jede Säule werden im Strategiepapier fünf bis sieben konkrete Subziele formuliert. Diese sollen für ERYICA, aber auch für die nationalen/regionalen Mitgliedsorganisationen unmittelbar handlungsanleitend sein, um Jugendinformationsangebote durch Ausbildung und Forschung qualitativ weiterzuentwickeln, die Angebote mit anderen Organisationen besser zu vernetzen sowie den Grad der Partizipation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen weiter auszubauen. 4.3.2 Konzeptionen und Ausrichtungen in Österreich Das Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos hat im Jahr 2011 den Qualitätskriterienkatalog der Österreichischen Jugendinfos herausgegeben, der 2013 nochmals überarbeitet wurde (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2013). Ihrem Selbstverständnis nach stehen die „Jugendinfos“ „Jugendlichen als erste Anlaufstelle für all ihre Fragen zur Verfügung“. Das Angebot sei „mit insgesamt 27 Stellen52 in allen Bun52 Vor allem das Jugendservice des Landes Oberösterreich und InfoEck – Jugendinfo Tirol setzen auf Regio-

nalstellen in allen beziehungsweise ausgewählten Bezirkshauptstädten, während dies in strukturell

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desländern ein flächendeckendes Service für junge Menschen zwischen 12 und 26 Jahren“. Neben den Jugendlichen53 und jungen Erwachsenen als Primärzielgruppe „zählen auch Erziehungsberechtigte, Familienangehörige, Lehrende, JugendarbeiterInnen und alle Anderen, die an Jugendthemen interessiert sind, zu den Zielgruppen“ (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2013, S.  2). Die neun österreichischen Jugendinformationseinrichtungen geben sich selbst folgende Zielvorgaben, wobei sie sich implizit und explizit (letzter Punkt der Aufzählung) an den oben beschriebenen Prinzipien von ERYICA orientieren: „Die Österreichischen Jugendinfos: -- richten sich nach Bedürfnissen und Interessen der Jugend. -- bieten kostenlose und zielgruppengerechte Information zu allen jugendrelevanten Themen. -- bereiten Sachthemen leicht verständlich auf. -- vermitteln Jugendliche direkt an auf ihr Anliegen spezialisierte Stellen. -- nutzen Kommunikationskanäle, die den Lebenswelten junger Menschen angepasst sind. -- bieten Orientierung und Information als Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben. -- vermitteln jungen Menschen Informationskompetenz. -- unterstützen junge Menschen bei der Umsetzung eigener Projekte. -- handeln nach den Grundsätzen der ‚Europäischen Charta der Jugendinformation‘ und der ‚Prinzipien für Online-Jugendinformation‘“ (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2013, S. 2) Hinsichtlich des Qualitätsanspruchs steht für das Bundesnetzwerk die angebotene Information im Zentrum. Diese sei dann qualitativ hochwertig, wenn sie folgenden Kriterien gerecht wird: Korrektheit, Aktualität, Klarheit, Verständlichkeit, Nutzbarkeit und Anpassung an die Bedürfnisse, Ressourcen und die Lebenssituation der betreffenden Person (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2013, S. 6). Aus diesen Anforderungen an Informationen werden Vorgaben für die vier Teilbereiche Recherche, Aufbereitung, Dokumentation und Informationsvermittlung (interne und externe Kommunikation) sowie für den Strukturellen Rahmen und Ressourcen abgeleitet. Entlang dieser Anforderungen werden im Qualitätskatalog Qualitätsstandards vorgestellt, die „quantifizier- und messbare Maßnahmen, Prozesse und Abläufe sowie Ressourcen, die für die Umsetzung der Aufgaben der Jugendinformation notwendig sind“, beschreiben (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2013, S. 8). Die Reflexion im Zuge der Selbstevaluation anhand der Kriterien des Kataloges soll es ermöglichen, „Arbeit kontinuierlich zu beschreiben, auszuwerten und zu verbessern“ (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2013, S. 9). Für die Teilbereiche werden insgesamt 41 Qualitätskriterien formuliert, die 179 spezifizierende Subziele aufvergleichbaren Bundesländern wie der Steiermark gar nicht der Fall ist. 53 Einer juristischen Definition folgend müsste man zudem auch noch von Kindern sprechen.

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weisen. Diese umfassende Darstellung einer idealtypischen Jugendinformationsarbeit ist sicherlich dienlich, um neue Angebote zu konzipieren, läuft durch ihre Detailliertheit aber auch Gefahr, dass einzelne Aspekte nur oberflächlich diskutiert und schnell abgehakt werden. Bei manchen Kriterien stellt sich zudem die Frage, inwieweit diese für den Zugang der Selbstevaluation günstig formuliert sind und von den ProfessionistInnen überhaupt selbst beantwortet werden können. Im Folgenden werden die Kriterien beschrieben, die formelle Jugendinformationsarbeit beachten sollen, um den Bedürfnissen der Zielgruppen gerecht zu werden. „Die Jugendinfos richten sich bei der Aufbereitung der Informationen nach den Bedürfnissen ihrer Zielgruppen. a) Sie wählen das für die Zielgruppen passende und dem Thema entsprechende Medium aus. b) Sie bereiten die Infos in einer für die Zielgruppen verständlichen und benutzerfreundlichen Struktur auf. c) Bei der Erstellung von Texten achten die Jugendinfos auf - zielgruppengerechte Formulierungen - kurze, lesbare Sätze - sparsame Verwendung von Fremdwörtern, Erklärung wo nicht vermeidbar - bewusster Umgang mit aktuellen Sprachcodes d) Bei der Gestaltung von Medien achten die Jugendinfos auf ein zielgruppengerechtes Design.“ (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2013, S. 14) Die Erreichung der Kriterien der Adäquatheit für bestimmte Zielgruppen könnte wohl von deren Mitgliedern besser beurteilt werden, als über den indirekten Weg der Einschätzung der ProfessionistInnen. Zudem stellt sich bei einigen Kriterien die Frage, inwieweit die aus zugrundeliegenden konzeptionellen Präferenzen erwachsenen Vorgaben als abgesichert „ideal“ und erstrebenswert angesehen werden können: „Die Jugendinfos legen ihrer Interaktion mit den Zielgruppen eine professionelle Servicehaltung zugrunde. a) Sie begreifen ihre Zielgruppen als KundInnen. b) Sie begegnen ihren KundInnen freundlich, wertschätzend und mit Respekt. c) Sie gehen im Rahmen ihres Auftrags und ihrer pädagogischen Leitsätze auf dieWünsche und Bedürfnisse der KundInnen ein.“ (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2013, S. 18) Auch wenn die Orientierung an den Bedürfnissen der jungen Menschen und der freundliche, wertschätzende Umgang sicher allgemein als erstrebenswert und sinnvoll erachtet werden kann, bleibt dennoch die Frage offen, ob der KundInnenbegriff im Bereich Jugendinformation und Jugendberatung besonders glücklich gewählt ist. Der Begriff der Kundin beziehungsweise des Kunden kann hierbei wohl nicht die

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alleinige Kategorie sein: Schließlich gibt es im Bereich der allgemeinen Jugendinformation regional immer nur einen quasi monopolistischen Anbieter und somit keine marktförmige Auswahlmöglichkeit für KundInnen. Zudem sind die Angebote für die Jugendlichen grundsätzlich nicht entgeltlich, was das Bild marktförmiger Beziehungen auch nicht zu stärken vermag. Diese Einwände sollen aber nicht die Bedeutung des Kriterienkatalogs an sich schmälern. Für die zentralen Fragen, welchen Zielsetzungen Jugendinformation gerecht werden soll und vor allem, wie die konkrete Praxis der Jugendinformationsarbeit begünstigt werden kann, gibt es konkrete Handlungsanleitungen. So wird für ein zentrales Ziel der Jugendinformation, die Informationskompetenz der Jugendlichen zu erhöhen, festgehalten: „Die Jugendinfos gestalten die Informationsvermittlung mit dem Ziel, die Informationskompetenz des/der Kunden/in zu erhöhen. a) Sie zeigen die unterschiedlichen Möglichkeiten und Entscheidungshilfen auf, anstatt nur vorgefertigte Infopakete weiterzugeben. b) Sie machen die Auswahl der weitergegebenen Informationen transparent. c) Sie weisen auch auf Alternativen zum gefragten Bereich und auf themenübergreifende Zusammenhänge hin. d) Sie bieten Informationen und/oder Workshops zum Thema ‚Informationskompetenz‘ an.“ (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2013, S. 22) Bei den Jugendlichen soll auf der personalen Ebene die Informationskompetenz erhöht werden – sowohl im Kerngeschäft, der Vermittlung von konkreten Informationen und Entscheidungshilfen, als auch in flankierenden zusätzlichen Angeboten wie Workshops. Neben der Unterscheidung zwischen dem Service der Information und der Kompetenzvermittlung bedarf es einer weiteren Differenzierung, nämlich jener auf dem Kontinuum zwischen bloßer Information und tiefergehender Beratung. Diese ist für das Bundesnetzwerk ein Aspekt der Jugendinformationsarbeit, der allerdings „nur im Rahmen eines klar definierten Auftrags“ angeboten wird: „Die Jugendinfos bieten Beratung in der Informationsvermittlung nur im Rahmen eines klar definierten Auftrags an. a) Sie definieren den Beratungsauftrag (ggf. auch den psychosozialen Beratungsauftrag) ihrer Einrichtung und kommunizieren ihn intern und extern. b) Sie stellen sicher, dass ihre MitarbeiterInnen über die dafür erforderlichen Kompetenzen verfügen. c) Sie stellen sicher, dass notwendige Raum-, Personal- und Zeitressourcen vorhanden sind. d) Sie verweisen an im Rahmen des Auftrags der Jugendinfo existierende organisationsinterne ExpertInnen (z. B . EFD, Aupair). e) Sie sind mit relevanten Fachstellen und Einrichtungen vernetzt.

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f) Sie unterstützen ihre KundInnen dabei, weiterführende Beratung in Anspruch zu nehmen und verweisen sie an die entsprechenden Fachstellen und Einrichtungen. Sie vermitteln, falls es die Situation erfordert, direkt an die entsprechenden Fachstellen und Einrichtungen (z. B . bei Krisen).“ (Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos, 2013, S. 22) Auch wenn man dem Umstand, dass Beratung als letztes der 41 Qualitätskriterien genannt wird, keine symbolische Bedeutung zumessen will, zeigt sich eine gewisse Distanz der Jugendinformationseinrichtungen zum Beratungsangebot. Während andere Aspekte in den Qualitätskriterien recht kleinteilig beschrieben und dadurch vom Bundesnetzwerk mit einer gewissen Verbindlichkeit festgeschrieben wurden, bleibt der Beratungsauftrag von Jugendinformationseinrichtungen gänzlich offen. Ob und wie Beratung angeboten wird, soll von der regionalen Jugendinformationsstelle entschieden werden. Tatsächlich gibt es nur in den Jugendinformationsstellen in Wien und Oberösterreich MitarbeiterInnen, die psychosoziale Beratung durch darauf spezialisierte MitarbeiterInnen anbieten. Beispielhaft für organisationsinterne Expertise der Jugendinfos werden der Europäische Freiwilligendienst und Aupair angeführt; für den Krisenfall wird jedenfalls von einer Vermittlung an andere Fachstellen und Einrichtungen ausgegangen. Bei allem Verständnis für die österreichweiten Unterschiedlichkeiten in der Dichte des Beratungsangebotes, welche regionale Schwerpunktsetzungen sinnvoll machen können, zeigt sich, dass psychosoziale Beratung keine zentrale Methode von Jugendinformationseinrichtungen ist. Obwohl es einige Überlegungen zur Zielgruppendifferenzierung gibt, ist es doch erstaunlich, dass das ganze Dokument der Qualitätskriterien ohne eine einzige konkrete Bezugnahme auf besonders vulnerable Gruppen auskommt. Hier wäre speziell an Jugendliche mit Behinderungen oder jene, wo Migrationsprozesse besondere Herausforderungen mit sich bringen, zu denken.54 Neben der Rolle der österreichweiten Koordination der Jugendinformationsstellen ist das Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos auch Trägerin des Österreichischen Jugendportals. Diese Einrichtungen wurden in allen EU-Staaten anhand einer Empfehlung der EU-Kommission eingerichtet (s. dazu Kapitel 4.3.1). Die Jugendportale sollen die Orientierung bei der Suche im Netz erleichtern und Jugendliche unterstützen. Zu allen Themen des Jugendportals können direkt über die Website auch Fragen an die Jugendinformationsstelle im jeweiligen Bundesland gestellt werden. Die zu erwartende Beantwortungsdauer wird mit „innerhalb von zwei Werktagen“ angegeben (Österreichisches Jugendportal, 2015, o. S.). Zudem können externe Personen Links vorschlagen, die von der Redaktion geprüft werden und im Falle einer Aufnahme auf das Portal als 54 Eine Google-Recherche mit den Suchworten Jugendinfo und UMF (unbegleitete minderjährige

Flüchtlinge) führte im Jänner 2016 eindeutig vor Augen, dass diese Gruppe ganz offensichtlich nicht als KundInnen der Jugendinfos gedacht wird. Mit Dezember 2016 hat sich dieses Bild dann doch verändert (s. dazu Kapitel 4.4).

Konzeptionen und Ausrichtungen der formellen Jugendinformation

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von einer/einem UserIn vorgeschlagen gekennzeichnet werden. Des Weiteren wird von den BetreiberInnen auch versucht, über ein sogenanntes „Jugendteam“ Jugendliche und junge Erwachsene für eine kontinuierliche Mitarbeit zu gewinnen. Ein weiterer Ansatz, Jugendliche zur Partizipation zu animieren, liegt in der Möglichkeit, über ein Feedback-Formular Kommentare, Anregungen und Ideen zum Österreichischen Jugendportal abzugeben (Österreichisches Jugendportal, 2015, o. S.). 4.3.3 Konzeptionen und Ausrichtungen in der Steiermark In der Steiermark ist LOGO seit Mitte der 1990er Jahre mit der Jugendinformationsarbeit betraut. Die Abteilung für Bildung und Gesellschaft des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung sowie das Amt für Jugend und Familie der Stadt Graz werden als FördergeberInnen der LOGO Jugendmanagement GmbH angeführt (LOGO Jugendmanagement, o. J., o. S.). Für die einzelnen Angebotsbereiche von LOGO – neben der Jugendinformation auch noch damit verbundene Aktivitäten, wie die checkit-Jugendcard, die auf Sekten- und Extremismusprävention ausgerichtete ESO.INFO, die EU.INFO und die Jobbörse – sind keine Konzepte veröffentlicht. Zudem ist LOGO auch in anderen Bereichen, etwa als Trägerstruktur von Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit tätig. In einer auf prezi.com verfügbaren Präsentation aus dem Jahr 2015, die von einer Mitarbeiterin von LOGO erstellt wurde, werden Eckpunkte der Arbeit dargestellt und Ausblicke auf aktuelle Herausforderungen vorgenommen (Schriefl, 2015). LOGO versteht sich demnach in der Verpflichtung der Kinder- und Jugendrechte sowie der Europäischen Charta der Jugendinformation (s. dazu Kapitel 3.1.1) (Schriefl, 2015, S. 4). LOGO fungiert als lokaler Partner beziehungsweise als Bindeglied zu den europäischen Strukturen ERYICA (s. dazu Kapitel 4.1), EURODESK55, EYCA56 sowie von Erasmus+/Jugend in Aktion (Schriefl, 2015, S. 5). Jugendinformationsarbeit adressiert die Zielgruppe der Jugendlichen zwischen 12 und 26 Jahren mit den Themen „Arbeit, Bildung, einfach weg57, Rat & Hilfe, Freizeit, Jugendarbeit“. Als theoretischer Bezugsrahmen werden die Entwicklungsaufgaben nach Hurrelmann angegeben: Qualifikation, Ablösung und Bindung, Regeneration sowie Partizipation (Schriefl, 2015, S.  6). Für Schriefl ist Jugendinformationsarbeit durch die Segmentierung der Jugendlichen herausfordernder 55 EURODESK „is an international nonprofit association created in 1990“. Neben der Abwicklung der

Europäischen Jugendportalagenden fungiert EURODESK als „support organisation to the Erasmus+ programme (2014–2020)“ und bietet somit den Zugang zu den internationalen Mobilitätsprogrammen der EU (EURODESK, o. J., o. S.). 56 European Youth Card Association (EYCA), die europaweit die Ausweiserstellung für Jugendliche und junge Erwachsene koordiniert. 57 Damit werden internationale Mobilitätsangebote wie Sprachaufenthalte, Au Pair, Auslandspraktika et cetera zusammengefasst.

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Gestaltung formeller Jugendinformationsarbeit

geworden; als Illustration für die Heterogenität werden die Sinus-Milieus herangezogen (Schriefl, 2015, S.  7 und 13). Informationskompetenz und Entscheidungskompetenz sollen als gemeinsames Querschnittsthema in allen Aktivitäten angelegt sein. Als weiterer Schwerpunkt soll Gesundheitskompetenz (die „Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, die der Gesundheit förderlich sind“ ) vermittelt werden (Schriefl, 2015, S. 8). Folgende in der laufenden Arbeit relevante Themen werden genannt: -- Sexualität und Neue Medien -- Politische Bildung -- Freizeitaktivitäten -- Mikroförderungen58 -- Berufsinformation/Berufseinstieg -- Internationale Netzwerke und Beziehungen -- Kommunikationswege (Schriefl, 2015, S. 9f.) Die Kommunikation von LOGO mit den Jugendlichen erfolgt auf drei Schienen (Printmedien, online und persönlich), die jeweils weiter differenziert sind. Hier wird deutlich, wie breit die Kommunikation von LOGO ist: Neben der Informationsweitergabe in der Kontaktstelle am Grazer Karmeliterplatz, Workshops beispielsweise in Schulen oder Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit sowie den Informationen, die online verfügbar sind, gibt es nach wie vor ein stark dimensioniertes Programm an Printmedien. Das so genannte checkit-Magazin, welches Jugendinformationsinhalte mit Beiträgen der Jugendredaktion (also beteiligten Jugendlichen) kombiniert, erscheint viermal jährlich mit einer Auflage von 61.000 Stück. Zielgruppe sind die rund 60.000 steirischen Jugendlichen, die eine checkit-Jugendausweiskarte in Anspruch genommen haben. Zudem wird ein monatlicher Newsletter an rund 40.000 AbonnentInnen59 versandt (checkit Magazin, o. J., o. S.). Die hohe Reichweite dieses für Jugendliche kostenlosen Angebots hat jedoch auch ihren Preis: Zum einen verkauft die Agentur Corporate Media Service, die das Magazin produziert, layoutet und vertreibt, Inserate, zum anderen erhält sie wohl auch Zugang zu den Adressdaten der Jugendlichen. Auch wenn in der Datenschutzerklärung des Unternehmens angegeben wird „Die Daten, die wir von Ihnen erhalten haben, werden nicht an Dritte weitergegeben.“ (checkit Magazin, o. J.a, o. S.), so bleibt dennoch der schale Beigeschmack, dass Daten von Jugendlichen an eine Tochtergesellschaft der Styria 58 Damit werden Förderungen in der Höhe von € 500.- angesprochen, um die Jugendliche für konkre-

te Projekte einreichen können. Das Bundesnetzwerk Österreichischer Jugendinfos koordiniert diese Initiative des BMFJ auf der Plattform www.eureprojekte.at (BMFJ, 2015a). Insgesamt stehen dafür € 100.000.- zur Verfügung (Pöllauer, 2014), was umgelegt bedeutet, dass pro Bundesland ca. 22 Projekte gefördert werden können. 59 Die Differenz zwischen den beiden Gruppengrößen dürfte sich durch fehlende oder unrichtige Angaben von Email-Adressen erklären lassen.

Angebote und Aktivitäten formeller Jugendinformation

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Media Group (Corporate Media Service, o. J., o. S.) und somit an das drittgrößte österreichische Medienunternehmen weitergegeben werden.60 In der Präsentation wird ein besonderer Fokus auf Soziale Medien gelegt, dennoch bleibt festzuhalten, dass es LOGO nur in einem sehr geringen Ausmaß gelingt, Jugendliche via Facebook, Youtube, Google+ und anderen Sozialen Medien zu erreichen: So wurden beispielsweise die mit Jugendlichen konzipierten und gedrehten Spots zu den einzelnen Angebotsbereichen, die unter einem eigenen Kanal zusammengefasst wurden, im Zeitraum von zwei Monaten im Schnitt nur jeweils circa hundertmal angeklickt.61 Bemerkenswert ist dennoch die Bandbreite der Kanäle, auf denen AnbieterInnen formeller Jugendinformationsarbeit, wie LOGO, versuchen, mit Jugendlichen in Kontakt zu treten. Dementsprechend kann man das erste der drei selbstgesteckten Ziele für die weitere Arbeit deuten: „Anpassungsfähig bleiben“ meint in diesem Zusammenhang sicher auch die Herausforderung, mit zunehmend heterogenen Jugendlichen auf sich immer mehr diversifizierenden Kanälen zu kommunizieren. Weiters soll die „Netzwerkarbeit mit Fokus auf NEETs“ und die „regionale Ausgewogenheit“ der Angebote hergestellt beziehungsweise beibehalten werden, um stärker den Bedürfnissen von benachteiligten Jugendlichen gerecht zu werden. Die bessere Bezugnahme auf die Jugendinformationsarbeit in pädagogischen und sozialen Ausbildungsgängen soll durch Verankerung in den jeweiligen Curricula sichergestellt werden (Schriefl, 2015, S. 14). 4.4 Angebote und Aktivitäten formeller Jugendinformation am Beispiel von LOGO-Jugendinformation Zur Illustration der inhaltlichen und methodischen Bandbreite von formeller Jugendinformationsarbeit soll nachfolgend das Angebot von LOGO-Jugendinformation kompakt dargestellt werden. Da bislang keine systematischen, wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zur Methodik von Jugendinformationsarbeit außerhalb von einzelnen Bachelorarbeiten62 existieren, soll auf diese Weise ein kompakter Einblick in die inhaltliche und methodische Vielschichtigkeit dieses Arbeitsfeldes ermöglicht

60 Eine Weitergabe an andere Gesellschaften innerhalb des Unternehmens wäre wohl keine untersagte

Weitergabe an Dritte im Sinne der Datenschutzerklärung.

61 https://www.youtube.com/playlist?list=PL78GWbegDEr_KoO3X1J6RNy3oaDrs5Vk8; Zeitraum 22.

Juli bis 24. September 2015

62 Eine Bachelorarbeit des FH-Lehrgangs für Management Internationaler Geschäftsprozesse gibt Emp-

fehlungen für die „Social-Media-Relations von Jugendinformationsstellen am Beispiel der LOGO JUGEND.INFO“ ab (Weissensteiner, 2014). Dabei wird eine Strategie zur Reichweitenerhöhung vorgeschlagen: Anhand der POST-Methode (People, Objectives, Strategy, Technology) von Charlene Li und Josh Bernoff sollen mehr Jugendliche über Social Media erreicht werden.

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Gestaltung formeller Jugendinformationsarbeit

werden. Auf der Startseite des Webauftritts63 von LOGO-Jugendinformation wird in erster Linie auf die „Infothek“ Bezug genommen. Damit ist der Bereich im Erdgeschoß des sogenannten Karmeliterhofes (wo zahlreiche weitere Institutionen mit Jugendbezug untergebracht sind) gemeint, der Jugendlichen zu bestimmten Öffnungszeiten zugänglich ist. Aspekte der Niederschwelligkeit (Kostenlosigkeit, Anonymität, keine Voranmeldung, keine Einschränkung auf bestimmte Alters-64 oder Dialoggruppen etc.) werden direkt angesprochen, um eine Vertrauensbildung zu begünstigen:

Abbildung 7: Screenshot der Homepage von LOGO-Jugendinformation (November 2016, Ausschnitt) (LOGO, 2016, o.S.).

Neben dem Gesprächsangebot wird auf zahlreiche Broschüren verwiesen, die den InteressentInnen zugänglich gemacht werden. Weiters werden „INFOmedien“ zum Download oder zur Bestellung angeboten. Verschiedene inhaltliche Bereiche (Arbeit, Bildung, Freizeit, Rat & Hilfe etc.) werden im Menü dargestellt und in Unterkategorien vertieft. Das saisonale Angebot einer Do-it-yourself Geschenkeaktion (in Kooperation mit einem sozialökonomischen Jugendbeschäftigungsprojekt) verweist auf den nicht-problemzentrierten Zugang von LOGO-Jugendinformation. Als weitere Angebote von LOGO-Jugendinformation werden noch angeführt: --„Vorträge & Workshops -- Persönliche Checks & Beratungen 63 Für das Jahr 2012 wurden Zugriffe auf der Homepage von mehr als 53.000 UserInnen registriert

(Lederer-Hutsteiner, Auferbauer, Polanz & Diwoky, 2014, S. 49).

64 Lediglich die direkte Ansprache in der zweiten Person Singular deutet auf eine Fokussierung auf Ju.

gendliche hin. Dies wirkt jedoch auf interessierte Angehörige oder institutionelle MultiplikatorInnen per se sicher nicht abschreckend

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Angebote und Aktivitäten formeller Jugendinformation

-- Infoveranstaltungen & Beratungen -- Börsen65 & Plattformen“ (LOGO, 2016, o. S .) Diese Angebote wurden in einer Tätigkeitsanalyse von LOGO-Jugendinformation detailliert beschrieben (Lederer-Hutsteiner, Auferbauer, Polanz & Diwoky, 2014, S. 39–53). Dabei zeigten sich für das Jahr 2012 insgesamt 11.749 Kontakte, die sich in 1.583 Einzelanfragen, 9.475 Gruppenanfragen sowie 691 als Laufkundschaft66 verbuchte Kontakte unterteilen (ebd., S. 40). Fast zwei Drittel der Einzelkontakte erfolgten persönlich, wobei hier eine rückläufige Tendenz besteht. Eine zunehmend große Zahl von Kontaktaufnahmen verteilt sich annähernd gleichmäßig auf telefonische und schriftliche Anfragen (etwa über Email und Social Media) (ebd., S. 41). In der Altersverteilung zeigt sich, dass die stärkste Gruppe die 15- bis 18-jährigen sind. Immerhin ein Drittel der Kontakte entfällt auf Personen über 18 Jahre, von denen wiederum circa die Hälfte VertreterInnen von Institutionen und damit potenzielle MultiplikatorInnen sind (ebd., S. 42). Thematisch zeigt sich für das Jahr 2012 eine Dominanz der Themen Arbeit und Internationales, die gemeinsam fast drei Viertel aller Einzelkontakte bestimmen: 45 % 40 % 35 % 30 % 25 % 20 % 15 % 10 % 5% 0%

In

te r

Ar be it na tio na le s Se rv ice s Le be n Fr ei ze it Bi ld un g So ns tig es

2011 2012

Abbildung 8: Verteilung der Einzelanfragen an LOGO-Jugendinformation nach Themen (n. Lederer-Hutsteiner, Auferbauer, Polanz & Diwoky, 2014, S. 43).

65 Hier ist die Ferialjobbörse von LOGO hervorzuheben, die im Jahr 2011 1.672 Stellen gelistet hat und

auf die jährlich mehr als 50.000 mal online zugegriffen wird (Lederer-Hutsteiner, Auferbauer, Polanz & Diwoky, 2014, S. 49). 66 Darunter werden unspezifische Kontakte subsummiert: „Anfragen zu Öffnungszeiten von Logo! Jugend. Info, die nicht das Angebot betreffen, wie z. B. Auskünfte über andere Vereine und Abteilungen des Landes, Auskünfte über den Karmeliterhof, Weiterverbinden von Telefonanrufen sowie Personen (z. B. Eltern, Freunde), die Anfragende begleiten.“ (Lederer-Hutsteiner, Auferbauer, Polanz & Diwoky, 2014, S. 39)

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Gestaltung formeller Jugendinformationsarbeit

Die sechs inhaltlichen Kategorien und die Sammelkategorie Sonstiges sind in sich noch nach Subthemen unterteilt. Diese Subthemen werden von LOGO folgendermaßen beschrieben: Themengebiet

Subthemen

Arbeit

Arbeitssuche, Ferien- und Nebenjobs, Lehre, Praktikum Inland, anderes

Bildung

Bildungs- und Berufsorientierung, Erster Bildungsweg, Lern-/Nachhilfe, Zweiter Bildungsweg, anderes

Freizeit

Aktivferien in Österreich, Engagement, Events/Veranstaltungen, Jugendeinrichtungen, Jugendkarten, Kreativität, Lokal- und Regionalinfos, Sport, anderes

Internationales

Aktivferien im Ausland (organisiert), Au Pair, EU-Programm Jugend in Aktion (Erstinfos), Freiwilligendienste, Internationale Institutionen und Themen, Jobben im Ausland, Reisen (individuell, nicht organisiert), anderes

Leben

Beziehung/Familie (familiäre Probleme, Freundschaft), Geld, Gesundheit, Gewalt/Krise, Neue Medien, Präsenz- und Zivildienst, Recht, Sexualität, Spiritualität, Wohnen, anderes

Services

Internet, Ausstellen von Karten/Ausweisen, anderes

Sonstiges

Aktionen/Projekte, Wir über uns, anderes

Abbildung 9: Inhaltliche Übersicht der Einzelanfragen an LOGO-Jugendinformation nach Themen (n. Lederer-Hutsteiner, Auferbauer, Polanz & Diwoky, 2014, S. 43).

Hinsichtlich der als Gruppenanfragen verbuchten Kontakte entfällt 2012 circa die Hälfte auf Anfragen bei Messeständen, jeweils ein Viertel auf Workshops in Schulen und Angebote in den Räumlichkeiten von LOGO am Karmeliterplatz. Lediglich ein Prozent entfällt auf Aktivitäten in Jugendeinrichtungen (ebd., 2014, S. 45). Im Jahr 2012 wurden insgesamt 3.367 Jugendliche mit sechs unterschiedlichen Workshopangeboten erreicht (ebd., 2014, S. 46): -- Bewerbungstraining (48 Workshops, 1.140 TeilnehmerInnen) -- Sicher im Netz!? Gefahren im Internet und sicherer Umgang (46 Workshops, 1.190 TeilnehmerInnen) -- INFOkompetenz: Workshop zu Informations- und Entscheidungskompetenz (19 Workshops, 349 TeilnehmerInnen) -- Knapp bei Kasse: Vortrag zum Umgang mit Geld (16 Workshops, 323 TeilnehmerInnen) -- Alles rund um die Lehre: Einführung in das Thema Lehre (14 Workshops, 288 TeilnehmerInnen) -- Einfach weg! ab 18: Möglichkeiten für junge Menschen, um Auslandsaufenthalte zu machen (3 Workshops, 77 TeilnehmerInnen)

Mögliche Problembereiche in Zusammenhang mit Jugendinformation

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Mehr als die Hälfte der durchgeführten Workshops fand in Haupt- und Neuen Mittelschulen statt, ein weiteres Vierel in AHS und BMHS. In PTS und Berufsschulen fanden deutlich weniger Workshops statt. Nachvollziehbarerweise unterscheiden sich die Angebote nach Schultypen – und damit auch nach Alter und weiteren Determinanten. Auffällig ist hier, dass fast alle Knapp bei Kasse-Workshops in Berufsschulen durchgeführt wurden. Dies deckt sich mit dem Befund, dass ökonomische Belastungen von SchülerInnen der PTS und der Berufsschule im Zuge der Online-Befragung hochsignifikant öfters als von den übrigen SchülerInnen genannt wurden (vgl. dazu Kapitel 6.2.9). Workshops in Jugendzentren und anderen außerschulischen Jugendeinrichtungen finden nur in einem untergeordneten Ausmaß statt. Seit der Berichtslegung wurde das Angebot Jugend.Info On Tour installiert, wo Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit jeweils mit einem thematischen Anliegen aufgesucht werden (LOGO, 2016, o. S.). Im Jahr 2012 fanden zudem sieben Workshops mit Erwachsenen statt. Hier dominierte das Format Sicher im Netz!?. Insgesamt wurden auf diese Weise 95 Personen erreicht (Lederer-Hutsteiner, Auferbauer, Polanz & Diwoky, 2014, S.  49). Mittlerweile wurde mit internetbasierten Formaten („Webinar“) für diese Zielgruppe ein neues Format geschaffen: „Hilfe mein Kind will ins Ausland!“ schafft eine Verbindung von Eltern und einschlägigen ExpertInnen (LOGO, 2016, o. S.). Inhaltlich wurde das Workshop- und Projektangebot mit „XUND und DU“ sowie „Gesundheitskompetenz im Setting professioneller außerschulischer Jugendarbeit“ zudem um partizipative, gesundheitsorientierte Angebote erweitert (LOGO, 2016, o. S.). Ebenfalls relativ neu im Angebot – und sicherlich eine Reaktion auf sich verändernde Gegebenheiten – sind Informationen zum Thema „Flucht und Asyl“, die einerseits Möglichkeiten zum Engagement für geflüchtete Menschen aufzeigen sollen und andererseits einen Überblick der Unterstützungsangebote für insbesondere junge Flüchtlinge leisten (LOGO, 2016, o. S.). Der Frage, ob neben dieser pragmatischen Adaptionsfähigkeit auch Limitierungen der Jugendinformationsarbeit bestehen, soll im folgenden Kapitel nachgegangen werden. 4.5 Mögliche Problembereiche in Zusammenhang mit Jugendinformation Was mögliche Probleme und Grenzen von Jugendinformation betrifft, so kommen zunächst Instanzen der non-formellen Jugendinformation in Frage, die einer anderen institutionellen Logik verpflichtet sind, aber dennoch Kontakt mit Jugendlichen herstellen, um Informationen bereitzustellen und dabei auch einen Imagegewinn zu erzielen. In diesem Zusammenhang besteht auch die Gefahr der Vermischung von verschiedenen Aufgabenbereichen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang die Initiative eines Richters für Strafsachen des Landesgerichtes Graz: Dieser bot in einer McDonald´s-Filiale über einen längeren Zeitraum regelmäßig an einem Nachmittag pro Woche „Beratungsgespräche“ (Kleine Zeitung, 2009, S. 27) sowie Workshops in Bildungseinrichtungen an. Dieses Engagement und der Versuch, ein nahe

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Gestaltung formeller Jugendinformationsarbeit

an der Lebenswelt Jugendlicher angedocktes Angebot zu schaffen, sind durchaus ehrenwert. Dennoch bleibt die Herausforderung bestehen, dass ein Richter, dem im Zuge des Strafverfahrens die freie Beweiswürdigung zukommt, nicht zwingend der optimale Ansprechpartner in Sachen Information und Beratung für Jugendliche sein dürfte. Dies ist umso eher der Fall, wenn Jugendliche Straftaten begangen haben. Der Umstand, als BeschuldigteR in einem Strafverfahren auf den Richter treffen zu können, dem man sich in einem Beratungsgespräch anvertraut hat, erscheint in Bezug auf den Verfahrensausgang nicht gerade förderlich. Während sich MitarbeiterInnen der Jugend(sozial-)arbeit aus Gründen der Parteilichkeit mit der Frage des Entschlagungsrechtes vor Gericht67 auseinandersetzen und betonen, dass sie bei allfälligem strafrechtlich relevantem Verhalten der Jugendlichen nicht der Anzeigepflicht unterliegen (Steirischer Dachverband der Offenen Jugendarbeit, 2017), ergibt sich für Jugendliche in der Beratung durch ein Organ der Strafrechtspflege möglicherweise das Risiko einer nachteiligen Situation. Eine ähnliche Thematik besteht bei Workshop-Angeboten, die durch Organe der Sicherheitspolizei (in Form der JugendkontaktbeamtInnen) durchgeführt werden. Im Rahmen solcher Angebote werden unter anderem Aspekte der Sucht-, Gewalt oder allgemeinen Kriminalitätsprävention behandelt (wienXtra, 2015, S. 8). Hier darf nicht vergessen werden, dass PolizeibeamtInnen einer Anzeigepflicht unterliegen, sobald sie Kenntnis von möglichen strafrechtlich relevanten Handlungen erlangen, ansonsten ergibt sich die Problematik eines potenziellen Amtsmissbrauchs. Außerhalb des primärpräventiven Bereichs erscheint der Einsatz von VertreterInnen derartiger Institutionen also keineswegs adäquat, da allenfalls schon strafbare Handlungen gesetzt wurden. Eine Anzeige beziehungsweise Kriminalisierung der Jugendlichen bedeutet nicht per se eine Verbesserung der Situation, sondern wird durch das Label der Devianz wohl oftmals gegenteilige Folgen wie Verlust des Schul- oder Ausbildungsplatzes, (zusätzliche) Schwierigkeiten mit Erziehungsberechtigten und dergleichen mehr haben. Zudem wäre auch zu bedenken, inwieweit nicht die Gefahr besteht, dass ProfessionistInnen, die überwiegend mit repressiven Aufträgen befasst sind, mit Furchtappellkonzepten und Defizitorientierung auf Jugendliche zugehen und damit in Konflikt mit den Prinzipien vieler evidenzbasierter Präventionsprogramme stehen, die etwa Ressourcenorientierung und Selbstwertstärkung vorsehen. Die Workshops des vorhin erwähnten „Drogenrichters“ beinhalten „drastische Fallbeispiele“ und „dramatische Konsequenzen“, wie auf der Homepage einer Privatschule berichtet wird (Sacré Coeur, 2009, o. S.). Damit erscheint nicht gerade gesichert, dass im Rahmen derartiger Angebote die beispielsweise von der deutschen Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geforderte Einbettung in „Kompetenzvermittlung und andere handlungsorientierte Methoden“ (Dierks, Walter & Schwartz, 2001, S. 122) gegeben ist. 67 Hierbei gibt es keine eindeutige Rechtsmeinung, ob JugendarbeiterInnen zu den anerkannten Einrich-

tungen zur psychosozialen Beratung und Begleitung im Sinne der Strafprozessordnung zählen.

Mögliche Problembereiche in Zusammenhang mit Jugendinformation

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Eine weitere Problematik kann sich durch die Beeinflussung der Inhalte von Jugendinformation ergeben. Hier wäre denkbar, dass politische EntscheidungsträgerInnen auf Angebote der (institutionalisierten) Jugendinformation einwirken. Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass dies ohne weiteres möglich und von den handelnden Personen überhaupt beabsichtigt ist, so ergibt sich durch die Finanzierung aus öffentlichen Geldern mitunter auch ein Verhältnis, das von vorauseilendem Gehorsam bis hin zur Abhängigkeit geprägt sein kann. Diese Gefahr einer möglichen Beeinflussung wird auch vom europäischen Netzwerk ERYICA immer wieder in den Raum gestellt; hier zum Beispiel im Länderbericht über Österreich: „As far as the independence of the Youth Information Centres is concerned, all Youth Information Centres in Austria globally adhere to the European Youth Information Charter. Certain limitations may intervene depending on the structures that support the Centres.“ (ERYICA, 1999, S. 3) Zudem bleibt offen, inwieweit die gesellschaftliche Ordnung im Rahmen von Jugendinformation in Frage gestellt und weiterentwickelt werden kann. Die weitgehend marktförmige Organisation unserer Gesellschaft und die damit verbundene Bewertung von Individuen anhand ihrer (potenziellen) Chancen auf diesen Märkten bedingt wohl auch, dass Jugendinformationsstellen eher Bewerbungscoaching und Praktikums-/Ferialjobbörsen anbieten, als Raum für Utopien und die Auseinandersetzung mit alternativen Formen des Zusammenlebens und Wirtschaftens zu sein. Ivan Illichs und Antonio Gramscis Ideen zu dominanten Werten und Hegemonie können in Bezug auf Jugendinformationsarbeit so weitergedacht werden, dass gerade die formelle Jugendinformation das spätkapitalistische System stützt und die auf Ungleichheit basierende soziale Ordnung aufrechterhält, beziehungsweise zu deren Reproduktion beiträgt (vgl. dazu auch Kapitel 2.3). Durch die Nähe zur Verwaltung und den Top-Down-Prozesses bei der Entwicklung der Angebote darf nicht angenommen werden, dass formelle Jugendinformationsarbeit großes Potential für die Entwicklung oder Verbreitung eines alternativen gesellschaftlichen Gegenentwurfs in sich trägt. In der Europäischen Jugendinformationscharta der Dachorganisation der Institutionen formeller Jugendinformationsarbeit (ERYICA) wird gefordert, dass die angebotenen Informationen „frei von jeglichem religiösen, politischen, ideologischen oder kommerziellen Einfluss“ zu sein haben. Allfällige PartnerInnen oder SponsorInnen von Jugendinformationsarbeit dürfen „in keiner Form Einwirkung nehmen, die das Jugendinformationszentrum oder den Jugendinformationsdienst an der Anwendung der Prinzipien dieser Charta hindert“ (ERYICA, 2004, S. 2f.). Gleichzeitig agieren ERYICA und ihre Organisationen vielfach als AuftragnehmerInnen von EU-Organisationen und stellen für viele Jugendliche den Zugang zu den EU-Programmen her. LOGO fungiert in der Steiermark als lokaler Partner beziehungsweise als Bindeglied zu den europäischen Strukturen EURODESK, EYCA sowie des EU-Pro-

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Gestaltung formeller Jugendinformationsarbeit

gramms Erasmus+/Jugend in Aktion. Angesichts der spürbaren Desintegrationsbewegungen in der EU (mit dem Brexit als bisherigem Höhepunkt68) ist die Frage offener denn je, ob diese institutionelle Eingliederung aus EU-skeptischer Perspektive nicht auch eine politisch-ideologische Haltung ist. Die Kooperation mit kommerziellen MedienpartnerInnen (gerade auch jenen im Bereich Social Media, die von zentraler Wichtigkeit in der Erreichung Jugendlicher sind) stellt eine Gratwanderung dar, weil eine gewisse Form der Einflussnahme oft Teil des Geschäftsmodells ist. Zudem sind die dabei entstehenden und die hochgeladenen Daten nicht mehr ausschließlich unter Kontrolle der NutzerInnen. Dennoch nützen die ProfessionistInnen der Jugendinformationsarbeit neue Kommunikationskanäle und Informationstechnologien durchaus bewusst. Dies zeigt sich einerseits in der schon sehr früh erfolgten Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen, die sich für Jugendinformationsarbeit über das Internet ergeben in den Prinzipien für Online-Jugendinformation (ERYICA, 2009) und andererseits in der Vielzahl der Social-Media-Plattformen, über die Jugendinformation gestreut wird. 4.6 Zusammenfassung und Diskussion der sich aus den Konzepten ergebenden Spannungsfelder und Richtungsfragen In der von ERYICA herausgegeben Europäischen Jugendinformationscharta (ERYICA, 2004) findet sich keine Bezugnahme auf eine Präferenz hinsichtlich des Rechtsstatus von Jugendinformationseinrichtungen. Tatsächlich existieren auf europäischer Ebene und in Österreich verschiedene Formen parallel: Mancherorts sind die Jugendinformationsdienste eigenständige Organisationen, die von der öffentlichen Hand subventioniert werden, während diese Aufgaben andernorts direkt von den Verwaltungsabteilungen organisiert werden. Ähnlich wie bei Aufgaben der Jugendhilfe gibt es aber eine Tendenz zur Beauftragung privater Trägerstrukturen. In Österreich werden die Jugendinformationsagenden in drei Bundesländern (Burgenland, Kärnten, Oberösterreich) direkt über die Landesjugendreferate abgewickelt, während in den übrigen Bundesländern dafür Organisationen gegründet beziehungsweise bestehende Strukturen beauftragt wurden. Für beide Modelle lassen sich Vermutungen hinsichtlich möglicher Vor- und Nachteile anstellen: Für Strukturen der öffentlichen Verwaltung spricht deren Bindung an das Legalitätsprinzip und die sich daraus ergebende Verlässlichkeit, während solchen Strukturen andererseits auch das Vorurteil geringer Innovationskraft und mangelnder Serviceorientierung anhaftet. Eine weitere Herausforderung besteht hinsichtlich der genutzten Informationskanäle im Bereich der Neuen Medien: Viele Einrichtungen der Jugendinformation 68 Die Mehrheit der BritInnen unter 60 Jahren sieht dies hingegen wohl eher als Tiefpunkt an.

Zusammenfassung und Diskussion

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sind neben ihren eigenen Webauftritten auch auf Plattformen wie Facebook, Instagram oder auch Youtube präsent. Das erscheint vor dem Hintergrund, dass junge Menschen über diese Kanäle gut erreicht werden können, sehr sinnvoll. Gleichzeitig stellt sich aber die Problematik, dass man sich in ein schwer auflösbares Spannungsfeld zwischen dem Geschäftsmodell (unter anderem: Daten zu sammeln und zu verwerten) der Firmen, die hinter diesen Plattformen stehen, und den Prinzipien für Online-Jugendinformation (ERYICA, 2009) begibt. Einrichtungen der Jugendinformation können hinsichtlich der Möglichkeit, dass Jugendliche ihre Daten jederzeit wieder löschen und verändern können, keine Garantie abgeben, wenn sie auf externen Plattformen agieren. Damit sind derartige Angebote kein „sicheres Umfeld“ hinsichtlich der Privatsphäre, wie es ERYICA in mehreren Prinzipien explizit fordert. In der Praxis scheint es so, als ob von den Organisationen ein Mittelweg beschritten wird: Grundsätzlich wird Präsenz auf Facebook gezeigt, allerdings oftmals mit dem Ziel, auf eigene Plattformen weiterzuverweisen. Zudem ist auffällig, dass auch regelmäßig aktualisierte Seiten der Organisationen vergleichsweise sehr wenige Follower aufweisen. So entfielen auf ERYICA im September 2015 weniger als 1.900 Likes. Dieser Wert konnte bis Dezember 2016 auf vergleichsweise immer noch geringe 2.750 Personen gesteigert werden, die den Inhalten folgen. Erstaunlich ist die Entwicklung von LOGO Jugendinformation, die im selben Zeitraum von knapp mehr als 500 auf fast 2.500 Follower anstieg. Dennoch sind diese Zahlen in Anbetracht möglicher NutzerInnen und KooperationspartnerInnen in beiden Fällen doch recht bescheiden ausgeprägt. Im Ausbildungsangebot von ERYICA ist mit Jimmy ein Modul speziell für JugendarbeiterInnen, die in ihren Kontexten als MultiplikatorInnen für Jugendinformation wirksam(er) werden sollen, vorgesehen. Diese Maßnahme soll schwellensenkend wirken, indem auch Jugendliche „with fewer opportunities“ erreicht werden, die nicht von sich aus den Zugang zu Jugendinformationsangeboten finden (ERYICA, o. J.h). Dies entspricht einer Forderung, die auch bei Cangelosi zu finden ist: „Youth information needs to bring together two professions to be able to meet those aims and provide the best possible service for young people – namely youth work and information/knowledge management.“ (Cangelosi, 2012, S. 7) Die Arbeit an der Schnittstelle zwischen Jugendinformation und Jugendarbeit ist sicher noch nicht zufriedenstellend gelöst: Gerade Angebote der Offenen Jugendarbeit erreichen oftmals Jugendliche, die durch ihre herausfordernde Lebenssituation einen besonders hohen Informations- und Beratungsbedarf hätten, diesen aber bislang nicht decken. Jugendinformation hätte an sich die Ressourcen und das Knowhow, diesen Bedarf abzudecken, erreicht aber die Jugendlichen nicht direkt. Es bedarf also des Ausbaus der Kommunikation zwischen den beiden Angeboten und idealerweise auch die Verschränkung der Inhalte in den jeweiligen Aus- und Weiterbildungen – was bislang leider nicht ausreichend geschieht: Auch bei eingehender

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Gestaltung formeller Jugendinformationsarbeit

Recherche finden sich keine Hinweise auf geplante oder durchgeführte Jimmy-Schulungen in Österreich.69 Die formelle Jugendinformation in der Steiermark hat sich nicht zuletzt deswegen explizit das Ziel gesetzt, Jugendinformation in den Curricula sozialer und pädagogischer Ausbildungen zu verankern (Schriefl, 2015, S. 14). Während dies bei tertiären Bildungseinrichtungen wohl das Bohren recht dicker Bretter bedeuten dürfte, zeigt sich am Beispiel des Grundkurs Jugendarbeit vom Institut für Freizeitpädagogik (ifp) in Wien, dass durch Kooperationen ein direktes Einwirken möglich werden kann. Hinter dem ifp steht mit wienXtra jener Träger, der in Wien auch die institutionalisierte Jugendinformation anbietet. Durch die Kooperation mit der Wiener Magistratsabteilung 13 ist es möglich, dieses Ausbildungsangebot anzubieten und so in der Konzeption und Auswahl der ReferentInnen Verbindungen zur Jugendinformationsarbeit zu schaffen (Institut für Freizeitpädagogik, 2015). Die angehenden JugendarbeiterInnen – als potentielle MultiplikatorInnen etwa im Bereich der Offenen Jugendarbeit – können Jugendliche dann im Bedarfsfall auf die Jugendinformationsangebote weiterverweisen oder sich immer wieder selbst updaten. Hinsichtlich des Spannungsfeldes zwischen Informations- und Beratungsarbeit zeigt sich speziell in den Qualitätskriterien des Bundesnetzwerks Österreichischer Jugendinfos, dass Informationstätigkeit deutlich stärker gewichtet wird als Beratungsangebote. Besonders herausfordernde Zielgruppen, beziehungsweise Jugendliche in Krisen werden nur anhand ihrer Weitervermittlung an andere Fachstellen thematisiert. Einrichtungen der Jugendinformation gehen oftmals Partnerschaften mit Medienunternehmen ein, um ihre Zielgruppe(n) besser erreichen zu können. Dies beginnt schon beim Einrichten eines Profils auf Facebook, Twitter oder Instagram. Beim Eingehen von Kooperationen mit Unternehmen besteht freilich die Gefahr, dass diese Unternehmen die dabei gewonnenen Daten sammeln, analysieren, verkaufen oder auf sonstige Weise für ihre Zwecke nützen. Jugendinformationseinrichtungen, die andererseits auch sehr aktiv dabei sind, Jugendliche auf die Risiken im Internet hinzuweisen, sind dabei quasi in einer Zwickmühle zwischen Reichweite und Schutz der Daten ihrer Zielgruppe. Da die Einrichtungen der Jugendinformation aber oftmals medienpädagogische Aufträge verfolgen, scheint es ratsam, auf diesen Plattformen präsent zu sein, um Kompetenz im Onlinesetting zu erwerben und für die Jugendlichen zu verkörpern. Hinsichtlich einer allfälligen Weitergabe von Adressdaten und sonstigen personenbezogenen Daten erscheint besondere Vorsicht geboten – neben der besonderen Verantwortlichkeit als Einrichtungen mit vorwiegend öffentlicher Finanzierung steht auch die Glaubwürdigkeit als neutrale Instanz auf dem Spiel! Offen bleibt auch, wie Jugendliche von Angeboten der Jugendinformation adressiert werden: Orientiert man sich dabei eher am Bild einer Kundin/eines Kunden, 69 In einem informellen Gespräch erhielt ich die Information, dass eine solche Schulung geplant war,

aber aufgrund des zu geringen Interesses unter JugendarbeiterInnen nicht stattfand.

Zusammenfassung und Diskussion

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die/der gewissermaßen mit Informationsservice bedient wird, oder geht es dabei um Beratung und Unterstützung im Sinne einer Starthilfe zu selbstwirksamen Handeln? Für beide Ansätze finden sich Belege in der Praxis der Jugendinformation. Die Gewichtung der beiden Aspekte wird wohl auch von den Eigenschaften und Erwartungen der jeweiligen Dialoggruppe sowie der Thematik abhängen. Um einen Beitrag zur Klärung dieser (Aus-)Richtungsfrage zu leisten, soll im Anschluss der Frage nachgegangen werden, welche Themenfelder sich in Jugendstudien auf europäischer Ebene sowie im deutschen Sprachraum wiederholt finden lassen. Zudem soll neben inhaltlichen Ableitungen auch möglichen strukturellen Empfehlungen für die Gestaltung von Jugendinformationsarbeit nachgegangen werden.

5 Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien aus rezenten Jugendstudien

5.1 Beschreibung der Studienauswahl und der Analysemethode Durch eine sekundäranalytische Betrachtung sollen aus ausgewählten Studien zur Situation Jugendlicher Impulse für die Ausgestaltung von Jugendinformationsarbeit gewonnen werden. Dafür wurden Studien analysiert, die sich der Zielsetzung verschrieben haben, die Lebenssituation von Jugendlichen möglichst ganzheitlich zu erheben und zu beschreiben – Studien, die sich auf einen speziellen Aspekt (wie beispielsweise Sexualität oder Medienkonsum) beziehen, wurden nicht berücksichtigt. Die Auswahl der Studien erfolgte entlang des untersuchten Feldes: Neben einem Überblick über die europäische Situation sollen auch Aufschlüsse aus deutschen Studien gewonnen werden, da einerseits strukturelle Ähnlichkeiten zu Österreich bestehen und andererseits hierzulande eine traditionelle Orientierung an deutschen Entwicklungen besteht. Die gesamtösterreichische Perspektive wird zudem noch durch regionale Erkenntnisse aus der Steiermark ergänzt. Konkret wurden folgende Studien und Berichte herangezogen: -- Zweiter EU-Jugendbericht (Bezug auf die Europäische Union, 2015) -- 14. Deutscher Kinder- und Jugendbericht (Bezug auf Deutschland 2013) -- 17. Shell Jugendstudie (Bezug auf Deutschland, 2015) -- Sechster Bericht zur Lage der Jugend in Österreich (Bezug auf Österreich, 2011) -- Siebenter Bericht zur Lage der Jugend in Österreich (Bezug auf Österreich, 2016) -- Vierte Steirische Jugendstudie (Bezug auf die Steiermark, 2014) Studien dieser Art werden in der Regel von der öffentlichen Hand veranlasst und dementsprechend von Bundesländern, Nationalstaaten sowie der Europäischen Insti­tutionen finanziert. Die prominenteste Ausnahme ist hier wohl die in Fünfjahresintervallen erscheinende Jugendstudie der deutschen Shell-Holding, wo ein privates Unternehmen als Maßnahme der Corporate Social Responsibility Jugendforschung betreiben lässt. Aber auch die Steirische Jugendstudie geht seit der Reduktion der Förderung durch das Land Steiermark einen eigenen Weg: Die durchführende ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus – eine steirische Fachstelle für Gewaltprävention, Menschenrechtsbildung und Antidiskriminierungsarbeit – sucht © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Auferbauer, Jugendinformationsarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27658-4_6

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

für die Umsetzung jeweils UnterstützerInnen, die sich mit eigenen Fragestellungen und finanzieller beziehungsweise organisatorischer Unterstützung beteiligen. Dadurch wird einerseits ein Monitoring im Zeitverlauf möglich, indem ein Kern an Themen kontinuierlich abgefragt wird, andererseits wird durch die Themen der unterstützenden Organisationen der inhaltliche Fokus erweitert. Bei der vierten und bisher letzten Ausgabe waren daher Arbeiter- und Wirtschaftskammer sowie der Landesschulrat für Steiermark als PartnerInnen engagiert. Bei der Analyse der Studien wurde systematisch nach Inhalten gesucht, die Aufschluss über mögliche Informationsbedürfnisse geben und/oder Aussagen über mögliche Formen treffen, wie Informationen sinnvoll kommuniziert werden können, um Jugendliche auch tatsächlich zu erreichen. Im Folgenden werden die Vorgehensweise sowie die zentralen Erkenntnisse und Einschätzungen aus den einzelnen Studien kompakt dargestellt (vgl. Kapitel 5.2 bis 5.7). Anschließend erfolgt eine übergreifende Darstellung der Studieninhalte anhand von wiederkehrenden Themenfeldern (vgl. Kapitel 5.8). Berücksichtigt wurden dabei Inhalte, die zumindest in vier der sechs untersuchten Studien thematisiert wurden.70 Folgende Themen zeigten sich durchgängig in mehreren der untersuchten Studien und werden in den Kapiteln 5.8.1 bis 5.8.11 dargestellt: -- Demografie und Sozialstruktur -- Familie -- Bildung und Ausbildung -- Armut und sozialer Ausschluss -- Gesundheit und Wohlbefinden -- Politische Partizipation -- Freiwilliges Engagement -- Kulturelle Teilhabe und kreative Betätigung -- Internet und Medienkompetenz -- Krisenkompetenz In einem abschließenden Schritt (vgl. dazu Kapitel 5.9) soll ein Überblick über die aufgeworfenen Inhalte und mögliche Implikationen für die Ausrichtung von Jugendinformationsarbeit erfolgen.

70 Die Ausnahme zu dieser Regel findet sich in Kapitel 5.8.11 zur Krisenkompetenz, das sich lediglich

aus dem EU-Jugendbericht, dem Sechsten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich und der Vierten Steirischen Jugendstudie speist, aber auf für die Jugendlichen besonders schwerwiegende Sachverhalte Bezug nimmt.

Zweiter EU-Jugendbericht (2015)

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5.2 Zweiter EU-Jugendbericht (2015) Im September 2015 wurde von der Europäischen Kommission der zweite EUJugendbericht vorgelegt. Der erste Jugendbericht der EU erschien im Jahr 2012 mit der Absicht, in Dreijahresintervallen wiederholt Bericht zu legen. Der EU-Jugendbericht soll einen „umfassenden Überblick über die Situation junger Menschen in Europa“ bieten und darstellen, „welche Maßnahmen im Zeitraum 2013 bis 2015 getroffen wurden“ (Europäische Kommission, 2015, o. S.). Durch den Bericht sollen folgende Ziele erreicht werden: -- Bewertung der Fortschritte hinsichtlich der in den vergangenen Arbeitszyklen festgelegten Prioritäten -- Ermittlung bewährter Verfahren im Sinne von good practices -- Schaffung einer Grundlage zur Festlegung neuer Prioritäten für den nächsten Arbeitszyklus, der bis 2018 anberaumt ist (Europäische Kommission, 2015, o. S.) Entsprechend dieser Zielsetzungen ist der EU-Jugendbericht strukturiert: Der erste Teil besteht aus einer Mitteilung der Kommission, die die wichtigsten Ergebnisse des letzten Dreijahreszyklus darstellt und Prioritäten für die nächsten Jahre vorschlägt (Europäische Kommission, 2015a). Es folgt ein sehr umfangreiches sogenanntes „Arbeitsdokument“ (Europäische Kommission, 2015b), das einen Überblick über die Situation junger Menschen in den EU-Staaten entlang von statistischen Vergleichsdaten bieten soll. Der dritte Teilbereich ist ein Dokument mit kompakten Zusammenfassungen beziehungsweise Darstellungen aller auf nationaler und EUEbene im Zeitraum 2013 bis 2015 getroffenen Maßnahmen. Die Angaben zu den nationalen Aktivitäten beruhen auf den nationalen Berichten der 28 Mitgliedsstaaten (Europäische Kommission, 2015c). Diese drei Dokumente sollen nachfolgend jeweils kurz skizziert werden. 5.2.1 Die Prioritätensetzung der Europäischen Kommission für die künftige jugendpolitische Zusammenarbeit In diesem Dokument, das gewissermaßen die Formulierung der Policy hinsichtlich der Jugendpolitik der EU darstellt, wird eingangs betont, dass in das „Human- und Sozialkapital“, das die 90 Millionen jungen Europäerinnen und Europäer71 zwischen 15 und 29 Jahren darstellen, investiert werden müsse. Diese Personen seien „einer der größten Trümpfe, über die Europa für die Zukunft verfügt“. Durch „die Krise“ seien junge Menschen besonders stark betroffen. Die wachsende „Kluft zwi71 Hier ist zu kritisieren, dass begrifflich zwar ein weiter Rahmen gesteckt wird, mit „Europäerinnen und

Europäern“ zumeist aber lediglich EU-BürgerInnen gemeint sind.

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

schen denjenigen mit mehr Chancen und denjenigen mit geringeren Chancen“ sorge für zunehmenden Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben und berge „die Gefahr eines Ausstiegs, einer Marginalisierung oder sogar einer Radikalisierung“ junger Menschen (Europäische Kommission, 2015a, o. S.). Aus diesem Grund sahen sich die Kommission und die Mitgliedsstaaten verpflichtet, „die Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen, ihre Integration in den Arbeitsmarkt, ihre soziale Inklusion und Teilhabe zu verbessern“. Dafür brauche es eine verstärkte und systematischere Zusammenarbeit „in einer ganzen Bandbreite von Politikbereichen“. Konkret genannt werden „Beschäftigung, allgemeine und berufliche Bildung, Nichtdiskriminierung, Sozialpolitik, Bürgerschaft (einschließlich Unionsbürgerschaft) und Jugend, aber auch […] Kultur, Sport und Gesundheit“ (ebd., o. S.). Demnach soll also sehr breit – mit spezifischen Bildungs- und Beschäftigungsprogrammen, aber auch indirekt über Förderung von Kultur- und Sportinitiativen – „die Beschäftigungsfähigkeit und die soziale Inklusion junger Menschen“ und damit die Teilhabe von Jugendlichen gefördert werden. Mit den Maßnahmen sollen „mehr und unterschiedlichere junge Menschen zur Mitwirkung befähigt werden, insbesondere diejenigen, die von Ausgrenzung bedroht sind“ (ebd., o. S.). Die Ausweitung der Aktivitäten soll demnach besonders auf exklusionsgefährdete Jugendliche fokussieren. Hier kommen etwa folgende Gruppen in Betracht (ebd., o. S.): -- Arbeitslose und unfreiwillig teilzeitbeschäftigte junge Menschen, deren Anzahl zwar seit 2013 wieder rückläufig ist – dennoch sind EU-weit circa zehn Prozent (8,7 Millionen Menschen) der unter Dreißigjährigen arbeitslos.72 -- NEETs: Erweitert man die Zahl der offiziell als arbeitslos geltenden jungen Menschen um diejenigen, die noch nie im Erwerbsleben gestanden sind und momentan auch in keinen Schulungs- oder Ausbildungsmaßnahmen sind, so erhöht sich die Zahl auf 13,7 Millionen Menschen. -- Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung sind für 27 Millionen junge Menschen in der EU nach Zahlen von EUROSTAT zumindest akut gegeben, wenn nicht schon realisiert. Somit ist fast ein Drittel der jungen EU-BürgerInnen in der persönlichen Entwicklung bedroht. Die Europäische Kommission erachtet arbeitsmarktpolitische Maßnahmen als „wesentlich, jedoch nicht immer ausreichend“. Es bedürfe jedenfalls auch der Moderni­ sierung und Intensivierung der allgemeinen und beruflichen Bildung sowie einer „außerhalb der Schule ansetzenden Jugendpolitik“, die Jugendlichen helfen kann „die richtige Mischung von Kompetenzen zu erwerben, die sie fürs Leben und den Beruf benötigen“ (ebd., o. S.). Somit bezieht die Europäische Kommission mit Bezug auf 72 Wobei es vor allem in den (abwertend) als PIIGS-Staaten bezeichneten Ländern (also jenen Staaten,

die von der Wirtschaftskrise besonders stark betroffen waren und sind) besonders hohe lokale Konzentrationen von Jugendarbeitslosigkeit gibt.

Zweiter EU-Jugendbericht (2015)

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ihre Study on Value of youth work in the EU (2014) klar Stellung für den Ausbau außerschulischer Jugendarbeit, auch wenn konstatiert werden muss, dass die dafür auf Ebene der Nationalstaaten verwendeten Mittel rückläufig sind (Europäische Kommission, 2015a, o. S.). Um künftig mehr Jugendliche zu erreichen, setzt sich die Europäische Kommission neben Aktionswochen vor allem für den Ausbau von Online-Plattformen wie dem Europäischen Jugendportal ein, das von den 1.200 Informationsfachleuten des EURODESK-Netzes betrieben wird (Europäische Kommission, 2015a). Diese Tätigkeiten werden in Österreich über das Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos koordiniert und sollen künftig ausgebaut werden. Konkret angedacht ist die Verbesserung des Austausches von ProfessionistInnen mittels eines 2016 zu installierenden „Jugend-Wiki“, das „aktuelle Informationen über nationale Strategien, Rechtsvorschriften und Programme im Jugendbereich anbieten“ soll und der „neue europäische Jugendanzeiger“, der einen „benutzerfreundlichen Online-Zugang“ zu statistischen Daten über die Lebenssituationen Jugendlicher bieten soll. Die Stärkung der Rolle von Jugendinformation richtet sich also in erster Linie auf den Austausch von ProfessionistInnen und die Verfügbarkeit von statistischen Daten mittels neuer Plattformen. Ob diese Vielzahl von Plattformen den gewünschten Austausch von guter Praxis und evidenzbasierten Programmen tatsächlich vorantreibt, muss bezweifelt werden. Die im Rahmen von Mobilitätsprogrammen wie Erasmus+ möglichen Förderungen gemeinsamer Projekte und wechselseitiger Besuche von ProfessionistInnen der Jugend(informations)arbeit werden von der Europäischen Kommission nicht gesondert erwähnt, stellen aber wohl zumindest eine sinnvolle Ergänzung zu den OnlineAustauschformaten dar. Auffällig ist, dass sich im Dokument keine Bezugnahme auf das schon bestehende Austauschnetzwerk SHEryica (vgl. dazu Kapitel 4.1) findet, das auf der Ebene der formellen, europäischen Jugendinformationsarbeit bereits besteht. 5.2.2 Die Situation junger Menschen in Europa Die meisten der in diesem Bericht verwendeten Daten sind Sekundärdarstellungen der Untersuchungen von Institutionen der EU und der OECD, wie etwa Eurobarometer, Eurofound73 (v. a. hinsichtlich Lebensqualität und Arbeitszufriedenheit) und EUROSTAT. Die zentralen Aspekte des Berichts sind in auch in einer Infografik der Europäischen Kommission kompakt dargestellt (Europäische Kommission, 2015d). Insgesamt gibt es ca. 90 Millionen junger menschen zwischen 15 und 29 jahren in der EU. Hervorgehoben werden die Zahlen der unbeschäftigten Jugendlichen (8,7 Millionen), der sogenannten NEETs (13,7 Millionen) und der armuts- sowie ausschlussgefährde73 Eurofound ist eine Agentur der EU zum Ziel der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen.

Dies soll gelingen, indem den Mitgliedsstaaten und Institutionen Wissen zur Verfügung gestellt wird, um die Gestaltung der Sozial- und Arbeitspolitik zu verbessern (Eurofound, o. J.).

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

ten jungen Menschen in Europa, wobei letztere Gruppe fast ein Drittel aller jungen Menschen in Europa umfasst (27 Millionen, Europäische Kommission, 2015d). Personen mit Migrationsbiografien weisen diesbezüglich ein deutlich erhöhtes Risiko auf, hier steigt die Gefährdung auf fast fünfzig Prozent. Hinsichtlich formaler Bildungsabschlüsse zeigt sich, dass mehr als vier Fünftel der jungen EU-BürgerInnen einen Abschluss der Sekundarstufe II und ein Drittel einen tertiären Bildungsabschluss erworben haben. Der Grad sozialer Teilhabe wird durch freiwilliges Engagement und aktive Teilhabe in Vereinen und Verbänden (25 beziehungsweise 50 Prozent der jungen EU-BürgerInnen) dargestellt (Europäische Kommission, 2015d). 5.2.3 Zusammenfassung des EU-Jugendberichts 2015 mit Fokus auf die österreichische Situation Die Europäische Kommission fordert von den Mitgliedsstaaten eine klare Fokussierung auf exklusionsgefährdete Jugendliche und die verstärkte Förderung junger Menschen in möglichst vielen Politikbereichen – vor allem im Bereich Bildung und Beschäftigung sowie in Kultur und Sport (Europäische Kommission, 2015a). Weiters soll eine verstärkte Förderung des (Online-)Austauschs von ProfessionistInnen der Jugendarbeit und die Sammlung von Vergleichsdaten über die Lebensbedingungen von jungen EU-BürgerInnen gewährleistet werden. Die Abwicklung des Austausches soll über die nationalen EURODESK-PartnerInnen, also über Jugendinformationsnetzwerke erfolgen und wertet diese Strukturen daher auf. Hinsichtlich der sozialen Situation von österreichischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist festzuhalten, dass diese zwar insgesamt vergleichsweise guten Lebensbedingungen ausgesetzt sind. In den letzten Jahren ergaben sich aber in durchwegs allen untersuchten Dimensionen Verschlechterungen. Dies betrifft insbesondere die Armutsgefährdung von Personen unter 16 Jahren und jenen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt. Zudem besteht gerade in Österreich aber auch das Risiko, trotz Erwerbsarbeit armutsgefährdet zu sein. In der Gruppe der Armutsgefährdeten beziehungsweise der manifest Armen sind Personen, die nicht in Österreich geboren wurden, stark überrepräsentiert. Österreich liegt im absoluten Spitzenfeld der EU-Staaten, was das Politikinteresse, die Wahlbeteiligung und das parteipolitische Engagement junger BürgerInnen betrifft. Bei der Involvierung in die Aktivitäten von Sport-, Jugend-, Freizeit- und Kulturorganisationen liegt Österreich durchwegs leicht über dem EU-Schnitt. Am meisten Jugendliche werden von Sportvereinen erreicht. Dreißig Prozent nahmen an derartigen Angeboten teil. Aktivitäten von Kulturorganisationen erreichten hingegen nur ein Zehntel der jungen ÖsterreicherInnen. Diese geringer ausgeprägte Teilhabe wird mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation, die junge Menschen besonders stark trifft, erklärt. Die Involvierung junger Menschen im Internet liegt für Österreich im Durchschnitt der 28 EU-Mitgliedsstaaten. Bemerkenswert

14. Deutscher Kinder- und Jugendbericht (2013)

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ist dabei, dass es Hinweise auf einen relativ gering ausgeprägten digital divide entlang des formalen Bildungsniveaus gibt: Österreichische Jugendliche mit niedrigem formalen Bildungsniveau haben vergleichsweise hohe Computerkompetenz. Umweltund Klimaschutzthemen haben im Alltag eine hohe Relevanz für junge Menschen. Eine direkte Involvierung in entsprechende NGOs ist aber nur für einen sehr kleinen Teil gegeben. In der Zusammenschau zeigen sich also durchgehend erfreuliche Ergebnisse, was die gesellschaftliche Einbindung österreichischer Jugendlicher auf vielen Ebenen im Vergleich zu anderen EU-Staaten betrifft. Die auch in Österreich wachsende Gruppe der armuts- und ausschlussgefährdeten Jugendlichen wird Jugendpolitik und Jugendarbeit aber künftig vor Herausforderungen stellen. 5.3 14. Deutscher Kinder- und Jugendbericht (2013) Der „Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinderund Jugendhilfe in Deutschland“ (kurz: Kinder- und Jugendbericht) wird durch eine von der Bundesregierung beauftragte ExpertenInnenkommission in jeder Legislaturperiode schriftlich herausgegeben. Die Berichtslegung an die gesetzgebenden Instanzen ist gesetzlich bindend vorgeschrieben. Die Berichtsteile der ExpertInnen werden durch Stellungnahmen der Regierung ergänzt. Dadurch müssen die von ExpertInnen aufgeworfenen Fragen oder gar Probleme im Rahmen der Stellungnahme durch die Regierung behandelt oder zumindest kommentiert werden. Der 14. Kinder- und Jugendbericht trägt den Titel „Kinder- und Jugendhilfe in neuer Verantwortung“ und soll einerseits die Lebenssituationen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland analysieren sowie andererseits Vorschläge zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendpolitik und zur Gestaltung der Kinder- und Jugendhilfe unterbreiten (BMFSFJ, 2013, S. 34f.). Dabei liegt der Fokus speziell auf dem Jugendalter: „Nachdem in den vergangenen Jahren zahlreiche Verbesserungen zum Schutz und zur Förderung der Entwicklung in der (frühen) Kindheit in Kraft getreten sind, gilt es nun, diese Investitionen in den Folgejahren des Aufwachsens nachhaltig zu sichern und mit der Fortsetzung einer altersgemäßen Förderung darauf aufzubauen. Mit der Entwicklung einer Eigenständigen (sic!) Jugendpolitik rückt die Bundesregierung nunmehr die Altersphase Jugend verstärkt in den Fokus.“ (ebd., S. 4) Der Altershorizont des Berichts reicht bis zur beruflichen Integration und zur eigenen Familiengründung und trägt damit dem Verständnis von Kinder- und Jugendpolitik als Querschnittsaufgabe, zu der alle Politikfelder beizutragen haben, Rechnung. Ziel sind weitere Schritte „auf dem Weg in eine kinder- und jugendgerechte Gesellschaft“ (ebd., S.  4). Konkret soll die Politik der Bundesregierung darauf ausgerichtet sein, „Risiken und Gefährdungen zu minimieren, förderliche Rahmenbedin-

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

gungen für ein gesundes Aufwachsen zu schaffen sowie die Teilhabechancen junger Menschen und ihre aktiven Beteiligungsmöglichkeiten auszubauen“ (ebd., S. 4). Neben der Orientierung an der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen ist zu erkennen, dass die Erreichung der drei Ziele ohne adäquate Informationsvermittlung an Kinder und Jugendliche nicht denkbar ist. Der zentrale Aspekt des Berichts ist das „Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung“, also die Wahrnehmung einer zunehmenden Präsenz von Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe – womit, entgegen der in Österreich üblichen Terminologie, Kinder- und Jugendarbeit mitgemeint sind – beim Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland: „(…) auch begegnen die Heranwachsenden einer stetig wachsenden Zahl von pädagogischen Profis – Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und Lehrern, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen –, die sich von Berufs wegen vormittags wie nachmittags um Kinder kümmern, sie betreuen, beaufsichtigen, erziehen, beraten, unterrichten, trainieren und therapieren.“ (ebd., S. 37) In zunehmend mehr Lebensbereichen der Kinder und Jugendlichen (und damit deren Familien) kommt es zu Einflussnahmen von ProfessionistInnen. Dies gehöre zu den „Selbstverständlichkeiten des Aufwachsens zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ und stoße in der Regel auf das Wohlwollen der Eltern (ebd., S. 37). Die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland hat sich insgesamt durchaus expansiv entwickelt und wird mit circa einer dreiviertel Million Beschäftigten74 beziffert (ebd., S. 48). Das Wachstum in den letzten Jahren ist vor allem auf den Ausbau von Kindertagesbetreuungseinrichtungen zurückzuführen. Die personellen Ressourcen von Kinder- und Jugendarbeit wurden hingegen zwischen 1998 und 2013 um mehr als ein Drittel reduziert (ebd., S. 48). Das Ausmaß und die Gestaltung der Arbeit von ProfessionistInnen in pädagogischen Berufen sowie die Abgrenzungen zwischen familiären und institutionellen Aufgabenzuschreibungen sei kein „naturwüchsiger Prozess“, sondern eine politische Gestaltungsaufgabe und bedürfe daher „eines aktiven politischen Handelns“ (ebd., S. 49). Die im Bericht beschriebene Zunahme der öffentlichen Verantwortung für das Aufwachsen zeigt sich in zahlreichen Prozessen, die früher „im Nahraum der Familie“ abliefen und nun durch Institutionen (mit-)geprägt werden. Dies bedeutet aber nicht zwingend den Verantwortungsverlust von Familien, da sich diese Verantwortung nicht mathematisch aufsummieren lässt, stattdessen wird von einer Erweiterung ausgegangen: „Wenn staatliche Institutionen oder Akteure der Zivilgesellschaft Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen übernehmen, wird die familiale Verantwortungsübernahme ergänzt, erweitert und manchmal sogar erst ermöglicht.“ (ebd., S. 37) 74 Damit umfasst sie ein ähnliches Ausmaß an Arbeitskräften wie die deutsche Automobilindustrie.

14. Deutscher Kinder- und Jugendbericht (2013)

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Damit seien weder die Familien aus ihrer Verantwortung entlassen, noch versuche der Staat paternalistisch in die Familien einzugreifen – es entwickeln sich neue Verschränkungen und Mischungsverhältnisse von öffentlicher und privater Verantwortung. Mit dieser Entwicklung ergeben sich auch neue Herausforderungen in der Kommunikation und Abstimmung zwischen Eltern(teilen) und ProfessionistInnen. Als Beispiele für den jüngst erfolgten Ausbau von Hilfen werden die Kindertageseinrichtungen, Ganztagesschulen und das Angebot früher Hilfen für Familien mit Neugeborenen und Kleinkindern genannt (ebd., S.  38). Besonders beim Ausbau der Ganztagesschulen wird deutlich, wie stark sich dadurch die Lebensrealität von Jugendlichen, aber auch die Rolle von Kinder- und Jugendarbeit, verändern. Trotz der verstärkten Institutionalisierung bleibt die Familie dennoch „das mit Abstand einflussreichste Soziotop“ für Kinder und Jugendliche (ebd., S. 38). Zudem stehen die Themen Familie, Kindheit und Bildung seit Jahren im Zentrum öffentlicher Kontroversen und politischer Debatten sowie von Wahlkämpfen: Man könne sagen, dass „die Politik die Kinder entdeckt (und die Jugendlichen dabei partiell vergessen)“ habe (ebd., S.  39). Bei aller Heterogenität der dabei stattfindenden Auseinandersetzungen zeichnet sich ab, dass Kinder vermehrt wie ein „öffentliches Gut“ und als Wirtschaftsfaktor – vor allem entlang ihrer zu erwartenden künftigen Beitragsleistung im Pensionssystem – betrachtet werden (ebd., S. 39). Dieser Sichtweise stellen die AutorInnen des Kinder- und Jugendberichts entgegen, dass Kindheit nicht nur dem Erwerb arbeitsmarktrelevanter Kompetenzen (ausgehend von einem reduzierten Bildungsbegriff) dienen darf. Die soziale Kluft zwischen Kindern und Jugendlichen ist durch den elterlichen Hintergrund gegeben: „Während der weitaus überwiegende Teil der Heranwachsenden auf eine einigermaßen sorgenfreie Zukunft blicken kann“, ist im Herkunftskontext von einem Drittel zumindest ein Risikofaktor wie Armut, niedrige formale Bildung oder Arbeitslosigkeit gegeben (ebd., S.  40). Während sich diese Problemlagen in manchen Milieus zu verfestigen drohen und etwa in Familien mit rezenten Migrationserfahrungen oft kumuliert vorliegen, zeigen sich am oberen Rand der Einkommensskala deutliche Verbesserungen. „Diese Kluft charakterisiert die Lebensverhältnisse des Kindes- und Jugendalters heute deutlicher als noch vor zwei oder drei Jahrzehnten.“ (ebd., S. 40). Trotz der regionalen Unterschiedlichkeit des deutschen Schulsystems, die dem Föderalismus geschuldet ist, besteht ein eindeutiger Trend zu Ganztagesschulformen: „Inzwischen machen mehr als die Hälfte aller Schulen Deutschlands Ganztages-Angebote“, die den Großteil des Alltags von mehr als einem Drittel der SchülerInnen prägen (ebd., S. 42). Die AutorInnen sehen diese „fundamentalen Veränderungen“ – in Hinblick auf die zeitlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Familien sowie auf die Kinder-, Jugendarbeit und das Vereinswesen – aber als nicht ausreichend politisch gesteuert und konzeptionell unterfüttert an. „Es fehlt so etwas wie eine Leitidee, die Sinn und Ziele dieses Ausbaus greifbar werden ließe.“ (ebd., S. 42) Die Beziehung der Kinder- und Jugendhilfe zur Schule sei Gegenstand jahrzehntelanger Debatten und die Einschätzungen der Beteiligten über eine allmählich

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

stattfindende Verbesserung des Miteinanders gehen weit auseinander. Die AutorInnen machen jedoch eine Veränderung des Kooperationsklimas aus: „Dennoch ist eine gewisse Pragmatik und eine Entspannung des Verhältnisses zu beobachten, was sich auch an der Ausweitung und der Ausdifferenzierung der schulbezogenen Angebote der Kinder- und Jugendhilfe festmachen lässt (…). (…) Unter diesen neuen Bedingungen kann Schule zu einem Ort multiprofessioneller pädagogischer Kompetenz werden.“ (ebd., S. 42) Für Schulen bieten sich durch Kooperationen mit der Kinder- und Jugendhilfe „neue Chancen“, indem die „unterschiedlichen Bildungsorte, Bildungsaufgaben und Bildungsmodalitäten“ in ein neues Verhältnis gesetzt werden (ebd., S. 42) und den veränderten mediatisierten Umgebungen, in denen Jugendliche aufwachsen, Rechnung getragen wird. Die Angehörigen der „Generation online“ leben zunehmend digital vernetzt: „Die mediale und außermediale Welt der Jugendlichen amalgamiert zusehends.“ (ebd., S. 43) Soziale Netzwerke bieten den Jugendlichen zahlreiche Verwirklichungsmöglichkeiten und sind „relevant für die Bewältigung zentraler Entwicklungsaufgaben, zu denen das Streben nach Autonomie, die Gestaltung sozialer Beziehungen sowie die Verwirklichung von Selbstbestimmung und Teilhabe zählen“ (ebd., S. 43). Gleichzeitig geht die Nutzung sozialer Netzwerke auch mit zahlreichen Schwierigkeiten einher, woraus sich mit der Kompetenz selbstbestimmten Verfügens Jugendlicher über ihre Daten gewissermaßen eine neue Entwicklungsaufgabe stellt. Aus Sicht der Kommission sind im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe künftig unter anderem folgende Herausforderungen zu bewältigen, um dazu beizutragen, dass „Bildungspotenziale aktiviert, Benachteiligungen abgebaut, Gefährdungen begrenzt, die Selbstständigkeit von Kindern und Jugendlichen gefördert und ihre Teilhabechancen verbessert werden“ (ebd., S. 50): a) „Die Rolle als Sachwalter junger Menschen übernehmen“ b) „Das Bildungsverständnis erweitern“ c) „Bildung im Sinne einer umfassenden, stetigen Verbesserung der Handlungsfähigkeit mit dem Ziel einer selbstbestimmten Lebensführung“ begreifen d) „Eine befähigende Medienbildung etablieren“ Ad a) „Die Rolle als Sachwalter junger Menschen übernehmen“, indem Jugendliche auf das breite Spektrum biografischer Wahlmöglichkeiten und die zunehmende Fragilität der Strukturen vorbereitet werden. Es braucht neben Familie und Schule Orte „umfassende[r] Kompetenzentwicklung“, um gute Zukunftsperspektiven in einer globalisierten Wissensgesellschaft zu ermöglichen (ebd., S.  49). „Aufwachsen aktiv gestalten“ ist in Anbetracht der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auch zu einer politischen Gestaltungsaufgabe geworden (ebd., S. 49f.). Die Herausforderung „Mit allen Familien kooperieren“ unter-

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streicht die Notwendigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe, die eigenen Ressourcen von Familien zu nützen und deren Wertsysteme zu berücksichtigen, um „Die Ungleichheiten mindern“ und „Den Umgang mit Heterogenität verbessern“ zu können (ebd., S. 50). Ad b) „Das Bildungsverständnis erweitern“ soll dazu führen, dass nicht nur die Schulen mit ihrem formal ausgerichteten Angebot, sondern auch Vereine und AkteurInnen der Kinder- und Jugendarbeit in lokalen Kooperationen Bildungsangebote setzen. Bildung im Sinne einer „umfassenden, stetigen Verbesserung der Handlungsfähigkeit des Einzelnen“ braucht die Kooperation dieser unterschiedlichen Institutionen. „Eine Schlüsselfrage ist, wie es gelingen kann, dass diese unterschiedlichen Institutionen trotz ihrer Eigenlogiken und ihrer spezifischen Schwerpunkte an gemeinsamen Zielen arbeiten.“ (ebd., S. 50). Ad c) „Bildung im Sinne einer umfassenden, stetigen Verbesserung der Handlungsfähigkeit mit dem Ziel einer selbstbestimmten Lebensführung“ (ebd., S. 418) ist die Grundlage für die institutionelle Gestaltung gelingender Bedingungen des Aufwachsens. Ad d) „Eine befähigende Medienbildung etablieren“ sollte ein konkretes gemeinsames Ziel sein, damit Kinder und Jugendliche mit den Herausforderungen möglichst reflexiv umzugehen lernen (ebd., S.  50). Das Ziel einer solchen medienpädagogischen Anstrengung soll es sein, Jugendliche „in ihrem derzeitigen und künftigen Leben (…) jeweils altersangemessen für einen kritischen und selbstbestimmten Umgang mit den medialen Erfahrungen sowie für autonome Handlungsmöglichkeiten in diesem Kontext zu befähigen“ (ebd., S.  393). Neben dem Schutz der Kinder und Jugendlichen in ihrer aktuellen Lebensphase geht es dabei auch um die Vermeidung einer sich verstärkenden sozialen Kluft im Sinne einer Digitalen Ungleichheit. Durch die zunehmende Ausweitung von Bildungsprozessen auf nahezu die gesamte Lebensspanne ist es zudem wichtig, dass alle beteiligten Institutionen „entlang des Lebenslaufs kooperieren“ (ebd., S. 50), um einer der zentralen Zielsetzungen der AutorInnen gerecht zu werden: „Der Abbau von sozialer Ungleichheit bleibt eine zentrale Aufgabe der Institutionen der Bildung, Betreuung und Erziehung. Diese dürfen dabei ihren Anteil an institutionell erzeugter Ungleichheit nicht unterschätzen.“ (ebd., S. 418) Bezugnehmend auf die abschließende Empfehlung der Kommission, die Jugendpolitik insgesamt zu stärken und nach der Forcierung von Maßnahmen für Kinder nun einen Schwerpunkt auf die Lebensphase Jugend zu legen (ebd., S. 51), skizziert die deutsche Bundesregierung ihre Vorhaben. In der ersten „Entwicklungsphase

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

einer Eigenständigen Jugendpolitik“ sollen laut Bundesregierung zunächst in folgenden drei Anwendungsfeldern gemeinsame Positionen und Lösungswege erarbeitet werden (ebd., S. 10): -- schulische und außerschulische Lern- und Bildungsorte -- Übergangsgestaltung von der Schule in den Arbeitsmarkt -- Beteiligungschancen und -anlässe im politischen und öffentlichen Raum Durch die verstärkte Zusammenarbeit von Bund und Ländern soll dafür gesorgt werden, dass es zu Entwicklungen in den folgenden drei Bereichen kommt (ebd., S. 19f.): -- neue Lernfelder für Jugendliche und Fachkräfte erschließen -- Partizipation: neue Zielgruppen erreichen, neue Formate entwickeln -- Anerkennung nichtformaler Bildung: Entwicklung von Gütekriterien zu Zertifizierungs- bzw. Nachweisinstrumenten Es zeigt sich also ein zunehmendes Bewusstsein für die Wichtigkeit außerschulischen Lernens und nichtformaler Bildung sowie das Wissen um die Herausforderung, Partizipationsprozesse so zu gestalten, dass sie von einer möglichst breiten Gruppe Jugendlicher wahrgenommen werden. Die laufenden Transformationen des Arbeitsmarktes fordern zudem besonderes Augenmerk auf die Transitionsphase zwischen Schule und Arbeitswelt. Für alle genannten Themenfelder sind adäquate Kommunikations- und Informationskanäle zu Jugendlichen beziehungsweise jungen Erwachsenen notwendig. Durch die „zunehmend mediatisierte Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen“ räumt die Bundesregierung „ein eigenes Politikfeld ein, das Jugendschutz, Medienkompetenz und Erziehungsverantwortung in eine altersgerechte Balance bringt und Teilhabechancen“ erhöhen soll (ebd., S. 14). Dafür brauche es eine breite Vernetzung aller involvierten Bereiche, um Medienkompetenz zu fördern. Im Rahmen der Entwicklung einer eigenständigen Jugendpolitik bildet das Themenfeld Schulische und außerschulische Lern- und Bildungsorte künftig einen Schwerpunkt. Hierfür soll auch der Ausbau von Ganztagesschulen unter dem Aspekt der Kooperation mit der Jugendhilfe (und damit auch der Jugendarbeit) sowie der verstärkten Partizipation von SchülerInnen umgesetzt werden (ebd., S. 18). Neben der Einbindung ins Bildungssystem gilt es für die Jugendarbeit „neue Angebotsformate für neue Zielgruppen zu finden und die Angebote im Sozialraum der jungen Menschen so zu verankern, dass diese einen niedrigschwelligen Zugang erhalten“ (ebd., S. 18). Angebote formeller Jugendinformationsarbeit sollten demnach stärker an den Schulkontext angelehnt sein und könnten die Formate entwickeln beziehungsweise neben ihrer direkten Wirksamkeit auch mögliche MultiplikatorInnen befähigen und unterstützen.

17. Shell-Jugendstudie (2015)

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5.4 17. Shell-Jugendstudie (2015) Die Shell-Jugendstudie wird seit 1953 regelmäßig durchgeführt. Aktuell liegt die 17. Ausgabe vor (Shell Deutschland Holding, 2015). Der Mineralölkonzern Shell beauftragt dafür unabhängige Institutionen und Einzelpersonen. Wie bei den letzten drei Ausgaben liegt die Autor-Innenschaft bei Matthias Albert, Klaus Hurrelmann und Gudrun Quenzel. Die Durchführung des empirischen Teils erfolgte durch die Firma TNS Infratest aus München, die wiederum zur transnationalen Kantar Group – dem zweitgrößten Meinungsforschungskonzern der Welt – gehört. Die Shell Jugendstudie setzt sich zum Ziel, nicht nur ein aktuelles Bild der Jugendgeneration zu liefern, sondern auch „Denk- und Diskussionsanstöße“ zu geben. „Als Langzeitberichterstattung ermöglicht sie es, Entscheidern eine Grundlage für gesellschaftliches und politisches Handeln bereitzustellen.“ Als Begründung für das langfristige Engagement in Sachen Jugendforschung gibt die Shell Deutschland Holding „die Möglichkeit (…), gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen“ 75 an (Shell Deutschland Holding, 2015b, S. 2). Die aktuelle Ausgabe der Shell-Studie bezieht sich auf eine repräsentativ zusammengesetzte Stichprobe von 2.558 Jugendlichen im Alter von 12 bis 25 Jahren, die jeweils auf Grundlage eines standardisierten Fragebogens zu ihrer Lebenssituation, ihren Einstellungen und Orientierungen befragt wurden. Im Rahmen einer ergänzenden qualitativen Studie wurden zudem vertiefende Interviews mit 21 Jugendlichen dieser Altersgruppe durchgeführt (Shell Deutschland Holding, 2015b, S. 6). Seit der Studie aus dem Jahr 2002 wird das Attribut des Pragmatismus in der Beschreibung Jugendlicher verwendet: Ausgehend von zuvor dominierenden postmaterialistischen Werten wie Selbstverwirklichung und Lebensgenuss „hin zu einer Synthese dieser Werte mit traditionellen Vorstellungen, zu denen beispielsweise Wohlstand, Fleiß, Sicherheit und Ordnung zählen“ (Shell Deutschland Holding, 2015b, S. 2). Die 17. Ausgabe sieht diese „pragmatische Generation im Aufbruch“, was sich dadurch äußert, dass eine sicherheitsorientierte Haltung in Bezug auf Schule und Beruf sowie auf FreundInnenkreis und Familie vorherrscht (Shell Deutschland Holding, 2015, S. 14). Parallel dazu zeigen sich aber eine verstärkte Experimentierfreude, mehr Interesse an aktuellen, gesellschaftspolitischen Themen und ein stärker werdendes Bedürfnis, an Gestaltungsprozessen mitzuwirken. Berufstätigkeit soll dementsprechend gleichermaßen ein Mittel zur Absicherung eines selbständigen Lebens 75 Die Corporate Social Responsibility eines derartigen Mineralölkonzerns kann jede Form der Behüb-

schung dringend gebrauchen. Im Nigerdelta gelang es Shell in den letzten Jahren leider ganz und gar nicht, ausreichend gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen: Die Vereinten Nationen kritisierten Shell wiederholt wegen der „Disasters and Conflicts“ in Ogoniland (UNEP, 2014). Die desaströsen gesundheitlichen Folgen des Engagements in Nigeria durch unterbliebene Maßnahmen gegen die fortlaufende Kontaminierung ganzer Landstriche bleiben unverändert bestehen, während Shell hofft, in den Ländern, wo das Erdöl verbraucht wird, Imagepflege durch Förderung der Jugendforschung betreiben zu können.

110 

Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

sein wie Ausdruck der Selbstbestimmung, der Sinnstiftung und des gesellschaftlichen Nutzens (Shell Deutschland Holding, 2015b, S. 3). Generell zeigen die jungen Menschen in Deutschland eine zunehmend zuversichtliche Haltung hinsichtlich ihrer persönlichen Zukunft (Shell Deutschland Holding, 2015a, S. 1). Bei genauerer Betrachtung des insgesamt gestiegenen Optimismus der Jugendlichen – 61 Prozent blicken positiv in die eigene Zukunft – zeigt sich eine soziale Differenz:76 „Jugendliche aus der sozial schwächsten77 Schicht teilen diese steigende Zuversicht nicht“ (Shell Deutschland Holding, 2015b, S. 3). Von diesen Jugendlichen äußert sich nur ein Drittel optimistisch hinsichtlich ihrer eigenen Perspektiven, während es in der obersten Schicht drei Viertel sind. Dieser Unterscheid zeigt sich – wenn auch etwas schwächer ausgeprägt – auch in der Einschätzung der gesamtgesellschaftlichen Zukunft. Insgesamt beurteilt erstmals seit den 1990er Jahren eine Mehrheit der Jugendlichen die gesellschaftliche Zukunft positiv (ebd, S. 3). Dass die soziale Herkunft wie schon in den vorangegangen Shell Jugendstudien bei der Einschätzung der Zukunft weiterhin von zentraler Bedeutung ist, spricht für den Realismus der deutschen Jugendlichen, wenn man die folgende Aussage in Betracht zieht: „In Deutschland hängt der Schulerfolg so stark wie in keinem anderen Land von der jeweiligen sozialen Herkunft der Jugendlichen ab.“ (Shell Deutschland Holding, 2015, S. 14) Hinsichtlich der (künftigen) Berufstätigkeit wiegen Sicherheits- und Sinnstiftungsmotive schwerer als Gehalts- und Karriereoptionen (Shell Deutschland Holding, 2015b, S. 4). Work-Life-Balance sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden als wichtig, aber schwer erreichbar angesehen. Dies zeigt sich auch in der Frage nach dem Kinderwunsch, der man eine Indikatorfunktion für gesellschaftliche Veränderungen beimessen kann: Hier gibt es einen Rückgang von 69 Prozent (2010) auf 64 Prozent (Shell Deutschland Holding, 2015, S.  15). Besonders stark spürbar ist dieser Trend bei männlichen und älteren Jugendlichen. Schichtbezogen zeigt sich, dass im oberen Schichtterzil mit drei Viertel ein deutlich stärkerer Kinderwunsch geäußert wird, während die Ausprägung im unteren Terzil nur knapp über der Hälfte liegt (Shell Deutschland Holding, 2015b, S. 4). 76 Seit der Ausgabe aus dem Jahr 2002 werden fünf soziale Schichten unterschieden, die über den fami-

liären Bildungshintergrund und die für die Jugendlichen verfügbaren materiellen Ressourcen definiert werden. „13 % der Jugendlichen gehören demnach zur oberen Schicht und 25 % zur oberen Mittelschicht. Mit 29 % bilden die Jugendlichen aus der Mittelschicht die größte Teilgruppe. Der unteren Mittelschicht sind 22 % der Jugendlichen zuzuordnen, und der unteren Schicht als der sozial schwächsten Schicht gehören 11 % an.“ (Shell Deutschland Holding, 2015, S. 14) 77 Ich teile bezüglich der Formulierung sozial schwach die kritische Ansicht des deutschen Kabarettisten Hagen Rether. Die unreflektierte Gleichsetzung von sozialer und ökonomischer Schwäche ist abzulehnen: „Da nennt man Leute sozial schwach. Die sind doch nicht sozial schwach; die sind ökonomisch schwach. Meiner Erfahrung nach sind oft die ökonomisch Starken sozial schwach.“ (Rether, 2015 zit. n. kabarett-zitate.tumblr.com)

17. Shell-Jugendstudie (2015)

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Generell gesehen gilt den deutschen Jugendlichen die „Familie als höchstes Gut“ (ebd., S. 4): 92 Prozent der Jugendlichen geben an, ein sehr gutes oder zumindest passables Verhältnis zu ihren Eltern zu pflegen (Shell Deutschland Holding, 2015, S. 15). Seit 2002 steigt auch die Anzahl der Jugendlichen, die meinen, sie würden ihre Kinder ähnlich erziehen, wie sie selbst erzogen wurden. 2015 liegt dieser Wert bei fast drei Viertel der Jugendlichen, wobei die Zustimmung bei Jugendlichen aus der untersten Schicht deutlich geringer ausfällt. Eine vertrauensvolle Partnerschaft (89 %), gute FreundInnen (85 %) sowie „ein gutes Familienleben“ (72 %) stellen dementsprechend wenig überraschend die Top3-Positionen des Wertesystems deutscher Jugendlicher dar (Shell Deutschland Holding, 2015b, S.  6). Wichtiger als in vorangegangenen Studien war den befragten Jugendlichen 2015 die Bereitschaft zu umweltbewusstem Verhalten. Aspekte wie Macht oder ein hoher Lebensstandard verloren hingegen eher an Bedeutung. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen erachtet zudem den 2015 erstmals abgefragten Wert Die Vielfalt der Menschen anerkennen und respektieren wichtig (ebd., S. 6). Während das politische Interesse und die Beteiligung an politischen Aktivitäten zunehmen, bleibt eine skeptische Haltung gegenüber den politischen Parteien bestehen. Diese Skepsis betrifft auch Konzerne, Banken und Kirchen. Dieses Misstrauen steht der Inanspruchnahme von Dienstleistungen der Konzerne jedoch nicht zwingend entgegen (ebd., S. 6).78 Polizei, Gerichten sowie Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen bringen die Jugendlichen hingegen das größte Vertrauen entgegen (ebd., S.  4). Hinsichtlich der als am wichtigsten wahrgenommenen Politikfelder dominieren Kinder und Familie (55 %), Bildung, Wissenschaft und Forschung (46 %) sowie Soziale Sicherung und Rente (42 %). Alle drei Themenfelder gewannen zudem im Vergleich zu früheren Befragungen an Gewicht. Während die Themen Arbeitsmarkt und Wirtschaftliche Rahmenbedingungen 2015 als weniger wichtig erachtet werden, nehmen Umwelt- und Naturschutz sowie Innere Sicherheit an Bedeutung zu (Shell Deutschland Holding, 2015a, S. 5). Man kann daraus also schließen, dass die Bereiche, die Jugendliche ganz unmittelbar berühren (beispielsweise die eigene Familie, Bildung und Ausbildung sowie Absicherung im Alter) als besonders wichtig eingeschätzt werden. In der Betrachtung des Freizeitverhaltens deutscher Jugendlicher zeigen sich sehr traditionelle geschlechtsspezifische Unterschiede: „Mädchen sind geselliger, Jungen hingegen technikaffiner.“ (Leven & Schneekloth, 2015, S. 115) Das Internet spielt in der Freizeit eine zunehmend größere Rolle. Die AutorInnen beschreiben eine „Online-Vollversorgung“ der deutschen Jugendlichen: 99 Prozent verfügen über Internetzugang. Die Online-Präsenz hat sich zudem seit 2006 fast verdoppelt und liegt durchschnittlich bei 18,4 Stunden pro Woche, die Jugendliche online verbringen 78 So wie auch – an sich ökologisch eher bewusst agierende – Personen im Kontext der Erstellung dieser

Arbeit entgegen besseren Wissens reichlich Kaffee aus Aluminiumkapseln konsumiert haben und sich damit in einen nicht auflösbaren Widerspruch zu ihrer grundsätzlichen Haltung begeben haben.

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

(Shell Deutschland Holding, 2015, S. 6; Leven & Schneekloth, 2015, S. 115). Zwischen 2002 und 2015 hat sich die Aktivität Im Internet surfen hinsichtlich ihrer Beliebtheit unter den 12 bis 25-Jährigen in Deutschland verdoppelt und rangiert nun knapp hinter Sich mit Leuten treffen und Musik hören auf dem dritten Platz. An fünfter Stelle (hinter dem rückläufigen Fernsehen) folgt Soziale Medien nutzen (Facebook, Twitter, Chat Foren usw.) (Leven & Schneekloth, 2015, S. 113).79 Im Internet zu surfen ist unter den männlichen Jugendlichen eine der bevorzugten Freizeitbeschäftigungen (60 Prozent zählen es zu ihren fünf beliebtesten Tätigkeiten), während es unter Mädchen und jungen Frauen mit 44 Prozent doch deutlich schwächer ausgeprägt ist. Hinsichtlich der Präferenz nach Altersgruppen zeigen sich keine Unterschiede (Leven & Schneekloth, 2015, S. 114). Über die Problematiken im Internetgebrauch sehen sich die Jugendlichen als informiert an und teilen kritische Positionen wie die Einschätzung, dass Konzerne wie Google und Facebook mit persönlichen Daten „viel Geld verdienen würden“ (Shell Deutschland Holding, 2015b, S. 6). Am Beispiel der Social Networks zeigt sich das Phänomen, dass Wissen um Missstände und eine kritische Haltung alleine noch nicht ausreichend sein müssen, um eine Verhaltensmodifikation herbeizuführen: „Obwohl mehr als die Hälfte der Jugendlichen angibt, häufig oder gar sehr häufig Facebook zu nutzen, fällt das Vertrauen in dieses Unternehmen sehr gering aus.“ (Shell Deutschland Holding, 2015b, S. 6) Hinsichtlich der Frage „Was braucht diese Generation an Unterstützung durch die Gesellschaft?“ benennen die AutorInnen als die drei wichtigsten Prioritäten (Quenzel, Hurrelmann & Albert, 2015, S. 385f.): -- Partizipation an politischen Entscheidungen ermöglichen -- Allen Jugendlichen Verwirklichungschancen bieten (und Chancenungleichheiten abbauen) -- Karriere und Kinder wirklich vereinbar machen Hinsichtlich der Konzeption und Durchführung von Jugendinformationsarbeit lässt sich festhalten, dass die Bereitstellung adäquater Informationen und eine dadurch begünstigte Erhöhung spezifischer Kompetenzen – besonders für Jugendliche in herausfordernden Lebensumständen – von spezieller Wichtigkeit sind.

79 Zudem sind viele weitere der 19 abgefragten Dimensionen zunehmend auch als Onlineaktivitäten zu

denken: Musik hören (54 %), Fernsehen (51 %), Playstation, Nintendo spielen, Computerspiele (21 %), Bücher lesen (22 %), Videos/DVDs anschauen (16 %), Shoppen, sich tolle Sachen kaufen (15 %), Etwas Kreatives, Künstlerisches machen (9 %) sind ebenfalls Aktivitäten, die zunehmend stärker durch das Internet geprägt sind.

Sechster Bericht zur Lage der Jugend in Österreich (2011)

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5.5 Sechster Bericht zur Lage der Jugend in Österreich (2011) Die Sektion Familie und Jugend des damals bestehenden Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend hat 2011 den Sechsten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich herausgegeben (BMWFJ, 2011). In diesem Bericht wurde Jugend aus Sicht der Wissenschaft (Berichtsteil A) und der Jugendarbeit (Berichtsteil B) beleuchtet. Derart soll „eine umfassende Perspektive auf Prozesse und Anforderungen des Aufwachsens in der österreichischen Gesellschaft entworfen“ und Jugendpolitik als „Querschnittsmaterie“ erkennbar werden (Dreher & Liebentritt, 2011, S. 1). Im Teil A wird der Begriff Jugend eingangs multiperspektivisch beleuchtet und die Zusammenhänge Jugend-Bildung-Arbeit, Interessen-Werte-Beziehungen sowie Gesundheit-riskantes Verhalten-Delinquenz beschrieben. Im zweiten Teil, Jugendarbeit in Österreich – Leistungen und Angebote, werden die Strukturen der Jugendarbeit in Österreich, ihre Zugänge und Methoden, ihre Bezüge zu Information-Bildung-Arbeit sowie der Konnex zur Jugendhilfe dargestellt. Abschließend erfolgen Empfehlungen und Maßnahmen der Sachverständigenkommission, die die „Ziele einer zukunftsorientierten Jugendpolitik“ folgendermaßen festschreibt (BMWFJ, 2011, S. 589–591): -------

Unterstützung bei der Identitätsbildung Unterstützung bei der Auseinandersetzung mit Körper und Sexualität Unterstützung bei der Aneignung einer Geschlechterrolle Unterstützung beim Aufbau sozialer Beziehungen Unterstützung bei Bildungsprozessen und bei der Ausbildungs- und Berufswahl Unterstützung bei der Entwicklung von Zukunftsperspektiven

In allen genannten Zielen lässt sich der Wert von adäquaten Informationen für Jugendliche erkennen, die ihnen von neutraler Stelle ohne ökonomisches Eigeninteresse oder politische Gesteuertheit der Informationsstelle zukommen sollten. Dementsprechend argumentiert die Sachverständigenkommission auch, dass Kindern und Jugendlichen durch die Kinderrechtskonvention (vgl. dazu Kapitel 3.1.1) – neben den Survival, Provision 80 und Protection Rights – auch Development und Participation Rights zukommen. Das Aufgabengebiet der Development Rights soll dem Recht auf angemessene Entwicklung und Bildung Rechnung tragen, während die Participation Rights „umfassende Rechte auf freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, Mitsprache und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Lebensbereichen“ (ebd., S.  592) bedeuten. Das UN-Kinderrechte-Komitee legt den Signatarstaaten dahingehend eine besondere Berücksichtigung potentiell benachteiligter Gruppen ans Herz:

80 Damit ist die Verpflichtung des Staates, ausreichende Versorgung (in Form von Gesundheitsvorsorge,

Wohnversorgung etc.) zu garantieren, gemeint.

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

„Der Staat muss das Bestmögliche für seine Kinder und Jugendlichen unternehmen und umfassende rechtliche, wirtschaftliche und soziale Maßnahmen zur Verfügung stellen, damit junge Menschen, die keine Lobby haben, in Zukunft kein Nachsehen haben.“ (UN-Kinderrechte-Komitee zit. n. BMWFJ, 2011, S. 593) Diese umfassende Adressierung Jugendlicher ohne Lobby soll sich an deren Stärken, Ressourcen, Chancen und Bedürfnissen orientieren: „Durch die Bereitstellung von Gelegenheitsstrukturen für jugendgemäße Erfahrungen und Erlebnisse und die Initiierung von darauf bezogenen Reflexionsprozessen ist mehr zu erreichen als durch Sanktionen und Regeln, Disziplinierung und Repression.“ (BMWFJ, 2011, S. 593) Durch diesen bedürfnis- und lebensweltorientierten Zugang und die parteiliche Haltung soll die Herausbildung von Eigenverantwortung, die Vermeidung von Pauschalierungen und die Ermöglichung von Partizipation gewährleistet werden (ebd., S.  593f.). Dafür braucht es auch ein verändertes Selbstverständnis der jugendrelevanten Institutionen im Sinne von Niederschwelligkeit im Zugang und Passgenauigkeit der Angebote: „Bei der Auseinandersetzung mit ihren Bedürfnissen und Problemstellungen finden Jugendliche häufig keinen Zugang zu Beratungs- und Hilfsangeboten. Deshalb müssen Zugangshürden zum Hilfssystem abgebaut werden, um die Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten durch Jugendliche zu verbessern. Die Hilfsangebote müssen zu dem Zweck den differenzierten Bedürfnissen Jugendlicher entsprechen.“ (ebd., S. 601) Dies betrifft nicht zuletzt auch die Jugendarbeit: „Traditionelle Jugendarbeitsformen erreichen nur einen Teil der Jugendlichen.“ (ebd., S. 602) Jugendarbeit sollte daher stärker Gesundheits- und Bildungsthemen aufgreifen, beziehungsweise bestehende derartige Angebote stärker sichtbar machen und Kooperationen vertiefen – im Gegenzug braucht es dafür adäquate gesetzliche und finanzielle Rahmenbedingungen. Jugendinformation wird von der Sachverständigenkommission als „breit ausgebautes Feld“ wahrgenommen (ebd., S.  603). Die in vielen politischen Überlegungen und zahlreichen Dokumenten festgehaltenen „hohen Erwartungen“ an das Feld werden betont, gleichzeitig wird vor „naiven Vorstellungen über die Wirkungen dieser Leistungen“ gewarnt: „Jugendliche benötigen nicht nur Informationen, sondern vor allem Informationskompetenz.“ (ebd., S.  603). Dementsprechend soll die Fähigkeit zum angemessenen Umgang mit Informationen gefördert werden und das bereits vorhandene Wissen der Jugendlichen ernst genommen werden. Zudem tragen „viele Aktivitäten und Projekte der außerschulischen Jugendarbeit ebenfalls zur Ausweitung der Informationskompetenz von Jugendlichen bei“ (ebd., S.  603). Dieser Aspekt der

Sechster Bericht zur Lage der Jugend in Österreich (2011)

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Arbeit wird von den Beteiligten aber nicht ausreichend wahrgenommen und dokumentiert – und dementsprechend von der Öffentlichkeit auch nicht gewürdigt. Die skeptische Grundhaltung der Mitglieder der Sachverständigenkommission hinsichtlich der möglichen Qualität von Beratung und Information und damit der Chance, in diesem Feld wirksam werden zu können, zeigt sich stellenweise recht deutlich: „Einzelnen Erkenntnissen der Jugendforschung zufolge wissen Jugendliche aufgrund ihrer sozialen Primärerfahrungen zum Teil mehr über die heutige und zukünftige Welt als ihre Berater/innen.“ (ebd., S. 603) Die Anpassung und Weiterentwicklung der Angebote und jugendspezifischen Hilfestrukturen – insbesondere den nach Inhalten und Zielgruppen sehr breit geforderten Jugendinformationseinrichtungen – muss demnach einer Fülle von Kriterien folgen, die hier in geraffter Form dargestellt werden sollen (ebd., S. 604): ------

Ein Freiraum dient als Kontaktschiene für die selbstbestimmte Inanspruchnahme. Freiwilligkeit, Anforderungsarmut und Niederschwelligkeit im Zugang. Jugendliche werden als ExpertInnen ihrer Lebenswelt respektiert. Ressourcenorientierung, Partizipation und Selbsthilfe werden ermöglicht. Bereichsübergreifende Kooperationen im örtlichen bzw. regionalen Jugendnetzwerk sowie proaktives Schnittstellenmanagement mit allen relevanten PartnerInnen finden laufend statt (bereichsübergreifende Planung und Budgetierung, Sozialraumorientierung); externe ProfessionistInnen werden in den Regelbetrieb und die Teamarbeit eingebunden. -- Prävention gilt als grundlegendes Arbeitsprinzip, Hilfeangebote werden aufbauend gestaltet. -- Beziehungsabbrüche sollen durch bewusste Kontinuität vermieden werden. -- Der Abbau von möglicher Stigmatisierung ist Ziel der Begleitung und der Angebote. -- Peers werden als stützender Rahmen durch gruppenbezogene Methoden (z. B. Peer Education und Peer Counseling) eingebunden.

Inhaltlich besteht für Jugendarbeit generell und Jugendinformationsarbeit im Speziellen eine Fülle von Aufgaben. Dies ergibt sich auch aus dem Umstand, dass andere kinder- und jugendrelevante Institutionen die unterschiedlichen Ausgangslagen ihrer AdressatInnen nicht ausreichend ausgleichen können, um die Lebens- und Entwicklungschancen aller Jugendlichen zu verbessern: „Nach heutigem Forschungsstand scheint das österreichische Bildungswesen keine Chancengleichheit sicher zu stellen, weder sozial, noch geschlechtsspezifisch und schon gar nicht im Hinblick auf den Migrationshintergrund.“ (Lassnig, 2011, S. 151; zugleich BMWFJ, 2011, S. 604)

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

Drei Themen für den außerschulischen Bereich kristallisieren sich im Bericht heraus: a) Bildungs- und Berufsorientierung b) Financial Literacy c) Health Literacy Ad a) Da das österreichische Bildungssystem in seiner Komplexität für „bildungsferne Gruppen“ (aber auch Menschen mit Migrationserfahrung) unübersichtlich ist, bedarf es besonderer Bemühungen zur Bildungs- und Berufsorientierung (BMWFJ, 2011, S. 605). Empirische Befunde legen zudem nahe, dass gerade diese bildungsfernen Jugendlichen das Schulsystem oftmals ohne klare berufliche Perspektive verlassen. „Gleichzeitig senkt das Erkennen des Wunschberufes und das Ergreifen einer kompetenz- und begabungsadäquaten Berufsausbildung das Risiko, bildungsfern zu werden.“ (ebd., S. 605) Bestehende diesbezügliche Angebote werden oftmals nicht wahrgenommen: „Für bildungsferne Jugendliche stellt die Kontaktaufnahme mit öffentlichen Institutionen oft eine Hürde dar. Daher braucht es im Bereich der Bildungs- und Berufsberatung niederschwellige Angebote.“ (ebd., S. 606) Solche Angebote sollten daher möglichst lebensweltnah konzipiert sein und entsprechend informellen Charakter aufweisen. Ad b) Da „das wirtschaftliche Wissen und die wirtschaftlichen Kompetenzen der Jugendlichen mangelhaft sind, sollten Themen wie Konsum- und Finanzierungserziehung (…) mit den Zielgruppen der 12- bis 18-Jährigen verankert werden“ (ebd., S. 605). Zudem bedarf es Qualifizierungs- und Weiterbildungsangeboten, um die Kompetenzen zu Financial Literacy von ProfessionistInnen zu stärken. Ad c) Die Familie ist auch für Jugendliche „ein wichtiges Umfeld für gesundheitsbezogene Erfahrungen, Einstellungen und Verhaltensweisen“ (ebd., S. 607). Dort, wo ökonomische und soziale Herausforderungen bestehen, steigt die Gefahr, dass Jugendliche hinsichtlich Health Literacy nicht adäquat gefördert werden können. Ebenso ist nicht umfassend davon auszugehen, dass Schule „durch ihre Formen der Alltagsgestaltung (z. B. im Hinblick auf Bewegung, Ernährung, Wechsel von Arbeit und Erholung, Schulklima, räumliche Umgebung)“ (ebd., S.  606) ausschließlich positiv in Hinblick auf das Einüben gesundheitsrelevanter Einstellungen und Praktiken der Jugendlichen wirkt. Dementsprechend wäre speziell hinsichtlich benachteiligter Gruppen ein Einwirken über Jugend(informations)arbeit auf die Health Literacy von zentraler Bedeutung. Wie auch im deutschen Kinder- und Jugendbericht wird die Wichtigkeit der Vernetzung zwischen den verschiedenen Bereichen betont: „Kooperationen zwischen der

Siebenter Bericht zur Lage der Jugend in Österreich (2016)

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Schule und der Jugendarbeit sollten verstärkt werden, um die Schule zu einem positiven, entwicklungsförderlichen Lebensort zu entwickeln.“ (ebd., S. 606) Der Ausbau der Schulsozialarbeit kann dahingehend einen wesentlichen Beitrag leisten, indem sie präventiv agiert und im Interventionsfall als Schnittstelle fungieren kann, die „die unterschiedliche[n] Ressourcen in Schule, Polizei, Jugendamt und Jugendarbeit vernetzt“ (ebd., S. 606). Zudem soll eine Öffnung der Schule zur Lebenswelt der Jugendlichen forciert werden, etwa indem „Sportvereine oder Initiativen im Kulturbereich“ mit den zunehmend bestehenden Formen von Ganztagesschulen kooperieren (ebd., S. 606). Es besteht dabei aber wohl keine Notwendigkeit, sich in der Entscheidung entweder auf Bewegungs- oder kulturelle Angebote zu reduzieren. Zudem sollte auch angedacht werden, Angebote und Kompetenzen der Offenen Jugendarbeit in Ganztagesschulen zu integrieren. 5.6 Siebenter Bericht zur Lage der Jugend in Österreich (2016) Der Siebente Bericht zur Lage der Jugend in Österreich ist in drei Dokumente gegliedert: -- Teil A: Wissen um junge Menschen in Österreich (BMFJ, 2016), -- Teil B: Better-Life Index Jugend (BMFJ, 2016a) sowie -- Teil C: Österreichische Jugendstrategie (BMFJ, 2016a). Ausgehend von einer „sekundäranalytische[n] Aufbereitung aktueller Jugenddaten in Österreich, in der neben den statistischen Daten zu den Lebensbedingungen Jugendlicher auch rezente Jugendstudien berücksichtigt werden“ (BMFJ, 2016, S.  10) wird eine Betrachtung von Lebensqualitätsindikatoren 16- bis 30-jähriger Jugendlicher in Österreich vorgenommen. Dafür wird in Teil B eine Sekundäranalyse basierend auf Daten der jährlichen Erhebung EU-SILC 2013 (inklusive dem Sondermodul Well-Being) und den Dimensionen von Lebensqualität, wie sie im Projekt „Wie geht´s Österreich?“ der Statisitk Austria verwendet wurden, vorgenommen und der Better-Life Index Jugend gebildet (BMFJ, 2016a, S. 7). Dem multidimensionalen Konstrukt Lebensqualität wird dabei durch die Summierung von zehn Lebensbereichen mit jeweils mehreren Indikatoren Rechnung getragen. Im Rahmen einer österreichweiten Online-Umfrage im Rahmen von EU-SILC 2013 wurden konnten Datensätze von 1.748 Personen erhoben werden (BMFJ, 2016a, S. 37). Weiters wurde eine online-Umfrage über die Homepage des Österreichischen Jugendportals „und teilweise auf der Straße (an Orten, an denen sich Jugendliche typischerweise im Sommer aufhalten, wie z. B . im Schwimmbad) mit Hilfe von tragbaren Computern durchgeführt“. Hierbei konnten 1.691 Personen zwischen 15 und 30 Jahren aus allen Bundesländern erreicht werden (BMFJ, 2016a, S. 40). Abschließend war eine iterative Workshopreihe zur Festlegung von Berechnungvorschriften des Index aufgebaut,

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

was in diesem Fall bedeutet, dass die Ergebnisse eines Workshops wiederum als Input für den nächsten Workshop verwendet werden konnte (BMFJ, 2016a, S. 41). Eingeladen waren zu den Workshops einerseits VertreterInnen folgender Einrichtungen und Organisationen: -- Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos -- Bundesweites Netzwerk Offene Jugendarbeit -- Kinder- und Jugendanwaltschaften -- Liga für Kinder- und Jugendgesundheit -- LBI Gesundheitsforschung -- NEBA Jugendcoaching -- Österreichische Bundesjugendvertretung -- VertreterInnen aus dem Bereich Risikopädagogik -- Suchtpräventionsstellen der Länder Komplementär zu den Workshops mit ProfessionistInnen der Jugendarbeit wurden auch solche mit jugendlichen ExpertInnen durchgeführt. Dadurch sollten Jugendliche als RepräsentantInnen von Teilgruppen der Jugendpopulation, die über andere Erhebungsschritte schwer erreicht werden können, zu Wort kommen. Konkret wurden Workshops mit -- „regionaler Benachteiligung, -- sozio-ökonomischer Benachteiligung, -- körperlicher und/oder geistiger Beeinträchtigung, -- jugendlichen Migrant/innen erster Generation und -- hochbegabten Jugendlichen geplant“. (BMFJ, 2016a, S. 41).

In Summe wurden über diese Workshops und Einzelgespräche 28 Personen erreicht (BMFJ, 2016a, S. 41). Aus der folgenden Abbildung gehen die zehn Dimensionen von Lebensqualität, wie sie im Bericht operationalisiert wurden, hervor. Hier wurden die unterschiedlichen Ausprägungen nach einer binären Geschlechterordnung dargstellt. Weitere Differenzierungen beziehen sich auf „Subgruppen und Risikofaktoren“ wie Urbanisierungsgrad, Migrationshintergrund, Bildungsabschlüsse, Haushaltseinkommen sowie Gesundheitsstatus der Befragten (BMFJ, 2016a, S. 58–68). Der dritte Teil des Siebenten Jugendberichts (BMFJ, 2016b) stellt ein reines Strategiepapier dar und soll aus diesem Grund gleich in der Tabelle 1, die dieses Kapitel abschließt, unter den Empfehlungen für die Durchführung von Jugendinformationsarbeit dargestellt werden.

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Vierte Steirische Jugendstudie (2014)

8.5 8.3 8.6 8.3 7.0 6.8

8.6 7.2

8.9 8.0 7.8 7.9

6.3

8.4 8.4 8.2 8.2 7.1

6.9 7.0

männlich weiblich

M

at er ie lle

Le be Pr nsb od e uk din tiv gu e A ng e un ktiv n d itä Ar te be n Ge it su nd he it So Bi zia l du le ng Be zie hu ng en Fr ei Qu ze a it lic litä Si ch he t d er n er O h g ei W r e t oh gan sel ne is lsc n ati ha u o W n ft oh d nen nu na m tür ge lic bu he W Su ng oh b lb jek efi tiv nd es en

9.0 8.0 7.0 6.0 5.0 4.0 3.0 2.0 1.0 0 .0

Abbildung 10: Ausprägung der Dimensionen von Lebensqualität differenziert nach Geschlecht (n. BMFJ, 2016a, S. 59).

5.7 Vierte Steirische Jugendstudie (2014) Die Vierte Steirische Jugendstudie zeichnet ein grundsätzlich „positiv-optimistisches Bild der steirischen Jugend, welches in Kontinuität zu den bisherigen drei Jugendstudien steht“ (Scharinger & Ehetreiber, 2014, S. 2). Nach der ersten derartigen Erhebung im Jahr 2007 folgten drei weitere Durchgänge im Intervall von ungefähr zwei Jahren. Durchgeführt werden die Studien von der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus. War die erste Studie noch vom Land Steiermark hauptfinanziert (ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus, 2007), so ist die vierte Studie in Kooperation mit dem Jugendressort der Stadt Graz sowie Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer Steiermark entstanden. Neben der Kofinanzierung waren diese Institutionen eingeladen, sich mit Fragestellungen für ihren Interessensbereich einzubringen. Durch eine Medienkooperation mit der Kleinen Zeitung wurde eine breite Dissemination der Studienergebnisse mit einer fünfteiligen Artikelserie realisiert. Die Befragung von 2.225 steirischen Jugendlichen aller Schultypen (inklusive dualer Ausbildung) führt die Autoren zur Einschätzung einer adaptiven, optimistischen und in ihrem persönlichen Umfeld an sozialen Werten orientierten Generation – „allen Krisen zum Trotz“: „Die steirischen Jugendlichen leben weiterhin mit hohem Optimismus in einem pragmatischen Hightech-Biedermeier (Internet und Web 2.0) mit sozialer Nahraumorientierung und prosozialen Werthaltungen.“ (Scharinger & Ehetreiber, 2014, S. 2)

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

Hinsichtlich der eigenen persönlichen und beruflichen Zukunft herrscht unter den Jugendlichen eine sehr optimistische Haltung. Die Einschätzung der gesamtgesellschaftlichen Zukunft fällt hingegen deutlich weniger positiv aus. Die Einschätzung der allgemeinen Entwicklung weist einen positiven Trend auf: Die Jugendlichen sind signifikant zuversichtlicher als in allen bisherigen Steirischen Jugendstudien (ebd., 2014, S. 2). Dennoch ergibt sich eine Veränderung im „Wertefundament der steirischen Jugend“ hin zu einer größeren Ernsthaftigkeit: Gute FreundInnen, Spaß, viel Freizeit und Partys rangieren zwar immer noch auf den vorderen Plätzen, die Bedeutung von familiären Strukturen und der eigenen Gesundheit hat allerdings stark zugenommen und zahlreiche „Funfaktoren“ überholt: „Das Werteranking weist Gesundheit vor Ehrlichkeit, Familie, Treue, Freundschaft und Spaß auf den Spitzenpositionen aus.“ (ebd., 2014, S. 3) Die größten Zuwächse auf der jugendlichen Werteskala seit der letzten Studiendurchführung erzielen überwiegend als idealistische zu bezeichnende Positionen:81 Toleranz, Engagement für andere, Demokratie und Umweltschutz (ebd., S. 3). Der Stellenwert von Bildung und beruflicher Ausbildung steigt von einem bereits hohen Ausgangsniveau kontinuierlich weiter an. Insofern ist es wirklich erfreulich, dass die Jugendlichen ihre momentane (Aus-)Bildungsinstitution überwiegend sehr positiv beschreiben: „Jeweils zwischen 80 % und 85 % gaben ihrem jeweiligen Schultyp – APS, AHS, BMS/BHS und LBS – die Schulnoten Sehr gut und Gut!“ (ebd., S. 2) Die Autoren beschreiben auf der Werteebene zudem einen „deutlichen female shift“, wonach sich die Werte und subjektiven Perspektiven von männlichen Jugendlichen jenen der weiblichen Jugendlichen immer mehr anpassen (ebd., S. 3). Jugendliche mit Migrationshintergrund weisen in ihren Werthaltungen nur geringe Unterschiede zu den übrigen Befragten auf (ebd., S.  3f.). Die meisten dieser „Nuancen“ – etwa in Bezug auf Sparsamkeit, Ausbildung und viel Geld verdienen – sind zudem wohl eher über die Klassenlage als über kulturelle Unterschiede zu erklären. 5.8 Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder Im Folgenden werden zehn Themenfelder dargestellt, die in zumindest vier der sechs untersuchten Jugendstudien behandelt werden. Das Kapitel 5.8.11 Krisenkompetenz ist lediglich aus drei Studien gespeist, wurde aber aufgrund der inhaltlichen Relevanz in der Arbeit behalten. 81 Dass zudem Sparsamkeit in der Bedeutung für Jugendliche ebenso gestiegen ist wie Markenkleidung

(ebd., S. 3) darf als Beleg für die heterogenen Lebensbedingungen steirischer Jugendlicher gesehen werden.

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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5.8.1 Demografie und Sozialstruktur Im Kapitel 2 Demography des EU-Jugendberichts finden sich Darstellungen zu Altersstruktur und Migrationsbewegungen innerhalb der EU. Ein auffälliger Aspekt ist dabei die Unterschiedlichkeit der Migrationssalden der EU-Staaten: Während viele osteuropäische Staaten eine starke Abwanderung von jungen BürgerInnen aufweisen und nordeuropäische Staaten sowohl Zuzug als auch Abwanderung verzeichnen, zeigt sich in Österreich ein recht starker Zuzug von EU-BürgerInnen bei gleichzeitig sehr geringer Mobilität der österreichischen BürgerInnen zwischen 15 und 29 Jahren (Europäische Kommission, 2015b, S. 12). Diesen innereuropäischen Migrationsströmen dürften oftmals ökonomische Hintergründe zu Grunde liegen. So zeigen sich eine hohe Abwanderung von jungen Menschen aus den baltischen Staaten und ein vergleichsweise hoher Zuzug in die BENELUX-Staaten sowie den deutschsprachigen Raum. Andererseits gibt es etwa auch unter jungen FinnInnen und SchwedInnen eine hohe Mobilität, die wohl nicht zwangsläufig wirtschaftlichen Motiven geschuldet ist. Im 14. Deutschen Kinder- und Jugendbericht wird demografisch skizziert, dass der Anteil junger Menschen in den kommenden Jahrzehnten weiter sinken wird (BMFSFJ, 2013, S. 62).82 Damit gehen für die AutorInnen zwei Entwicklungen einher, die sich auf die Prozesse des Aufwachsens auswirken: Auf der einen Seite werden junge Menschen im politischen Raum, im öffentlichen Leben sowie als KonsumentInnengruppe an Bedeutung einbüßen. Andererseits stellen sie im Ausbildungs- und Beschäftigungssystem ein knappes Gut dar, was sich unter anderem in den „Diskussionen um den wiederholt behaupteten Nachwuchs- und Fachkräftemangel“ (ebd., S.  137) zeigt. Dies hat zu Folge, dass sich Bildungseinrichtungen um sie ebenso stärker bemühen werden müssen wie „ein sich verändernder Arbeitsmarkt, der auf junge und gut ausgebildete Fachkräfte angewiesen ist“ (ebd., S. 62). In Anbetracht dieser sich abzeichnenden Entwicklungen ergeben sich wohl verbesserte Möglichkeiten der Unterstützung von Kindern und Jugendlichen: „Damit wird es deutschlandweit deutlich besser möglich sein, aufgrund der damit verbundenen ‚demografischen Dividende‘ den bislang eher quantitativ vorangetriebenen Ausbau des Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsangebots auch unter qualitativen Gesichtspunkten zu modernisieren und zu verbessern.“ (BMFSFJ, 2013, S. 62) Auch in der Shell-Studie zeigt sich, dass der demografische Wandel von den befragten Jugendliche zunehmend entspannter gesehen wird: Nur 13 Prozent sehen darin ein sehr großes Problem, während es 2006 noch doppelt so viele waren (Schneekloth, 82 Bei genauerer Betrachtung zeigt sich für Deutschland ein sehr uneinheitlicher demografischer Wandel,

wo Regionen mit deutlicher Bevölkerungszunahme anderen gegenüberstehen, wo eine negative Dynamik besteht (BMFSFJ, 2013, S. 81f.). Ähnliche Szenarien bestehen für Österreich beziehungsweise die Steiermark, wo sich urban geprägte Gebiete stark entwickeln, während ländliche Regionen von zunehmender Abwanderung betroffen sind.

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

2015, S.  191). Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern schätzen die Jugendlichen in Hinkunft überwiegend als stabil ein: Weniger als ein Drittel vermutet, dass es sich verschlechtern könnte (ebd., S. 192). Bei den abgefragten Top-Prioritäten, in denen die Gesellschaft nach Einschätzung der Jugendlichen aktiv werden müsse, nennen 42 Prozent den Bereich Soziale Sicherung/Rente und betonen damit den großen Wert, der „auf eine soziale Absicherung im Sinne einer generationenübergreifenden Lösung gelegt“ wird (ebd., S. 193). Im Sechsten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich beschäftigt sich ein Beitrag mit dem demografischen Wandel und seinen Auswirkungen auf das soziale Sicherungssystem sowie auf die Generationenbeziehungen (Biffl, 2011). Dabei werden Veränderungen in der Bevölkerung unter Bezug auf Veränderungen der Altersstruktur und bundesländerspezifische Zuwanderungsraten verdeutlicht. Der Bevölkerungszuwachs von etwa zehn Prozent seit den frühen 1990er Jahren ist „im Wesentlichen die Folge einer Netto-Zuwanderung aus dem Ausland“ (Biffl, 2011, S. 83). Diese Zuwanderung erfolgt für Österreich nicht gleichmäßig. So wächst Wien stärker und wird in Zukunft das „demographisch jüngste Bundesland“ (ebd., S. 84) sein, während die Steiermark und Kärnten bevölkerungsärmer und tendenziell älter werden. Insgesamt steigt der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund, wie MigrantInnen der zweiten Generation (die 2009 rund ein Viertel aller Personen in dieser Gruppe ausmachen). Diese Gruppe erfordert besonderes Augenmerk, weil sie im Schulsystem bislang nicht adäquat adressiert wird: „Der Zahl der Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist besonderes Augenmerk zu schenken, da das Erstausbildungssystem oft nicht in der Lage ist, den Jugendlichen die Förderung angedeihen zu lassen, die notwendig wäre, um mit den Einheimischen im Schulerfolg gleich zu ziehen. In der Folge haben sie Schwierigkeiten, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und ihre Potenziale zu entfalten.“ (Biffl, 2011, S. 84) Dazu kommen noch junge Erwachsene, die den größten Teil der Zuwanderung ausmachen. „Die Zuwanderung aus dem Ausland konzentriert sich auf Jugendliche zwischen 20 und 24“ (ebd., S. 85).83 Diese Gruppe zu adressieren stellt eine besondere Herausforderung dar, da sie von den Bildungseinrichtungen noch weniger erreicht wird und wohl selten Angebote der Jugendarbeit in Anspruch nimmt. Obwohl der Anteil der 15- bis 19-Jährigen in den letzten Jahren einem „relativ abrupten Einbruch“ zufolge abnimmt, ist nicht zu erwarten, „dass die Verknappung der Jugendlichen automatisch mit einer Verbesserung ihrer Erwerbschancen Hand in Hand gehen wird“ (ebd., S.  86). Dies hat neben der konjunkturellen Situation auch mit der arbeitsrechtlichen Situation84 zu tun, die das Arbeitslosigkeitsrisiko Jugendlicher verstärkt: „In 83 Seit der Berichtslegung hat sich dieser Anteil zudem noch durch die steigende Anzahl junger Asylwer-

berInnen erhöht.

84 „Senioritätsregeln und Beschäftigungsschutzmaßnahmen wie LIFO (last in – first out)“ (ebd., S. 86)

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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der Folge ist die Arbeitslosenquote der Jugendlichen im Schnitt längerfristig (seit Mitte der 1980er Jahre) stärker gestiegen als die der Gesamtwirtschaft.“ (ebd., S. 88) Besonders betroffen sind hierbei „gewisse Jugendgruppen, etwa ethnische Minderheiten und Migrant/innen der ersten und zweiten Generation, [diese] haben ein erhöhtes Risiko am Rande der Erwerbsgesellschaft zu verbleiben“ (ebd., S. 89). In Anbetracht des überproportional gestiegenen Arbeitslosenrisikos von Jugendlichen im Allgemeinen und migrantischen Jugendlichen sowie jenen mit geringeren Kompetenzen im Speziellen stellt die Sicherung der sozialen Durchlässigkeit des Bildungssystems eine zentrale Herausforderung dar, um die sozialen Sicherungssysteme aufrecht zu erhalten. Demografisch bedingt besteht zudem die Gefahr, dass Investitionen in Bildung nicht adäquat ausgebaut werden und infrastrukturelle Einrichtungen für Kinder und Jugendliche zunehmend rückgebaut werden, was unter anderem die Abwanderung aus ländlichen Gebieten zusätzlich verstärkt (ebd., S. 90f.). Auch im Siebenten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich wird auf die demographische Situation Jugendlicher Bezug genommen: „Mit Stichtag 1.1.2016 stellten 1.607.298 Menschen im Alter von 14 bis 30 Jahren genau 18,5 % der österreichischen Bevölkerung von 8.700.471 Personen. Der Anteil der weiblichen Personen an der Jugendpopulation betrug 48,5 %, während in der Gesamtbevölkerung Frauen mit 50,9 % die Mehrheit stellen, was in erster Linie auf die höhere Lebenserwartung der weiblichen Bevölkerung zurückzuführen ist.“ (BMFJ, 2016, S. 10) Durchschnittlich besteht ein Jahrgang in dieser Altersgruppe also aus mehr als 100.000 Personen, wobei aber seit einigen Jahren eine Abnahme von Menschen pro Jahrgang gegeben ist, wodurch davon auszugehen ist, dass der Anteil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den nächsten Jahren weiter zurückgehen wird (BMFJ, 2016, S. 10). 5.8.2 Familie Im Zweiten EU-Jugendbericht finden sich auffällig wenige Bezugnahmen auf Familie:85 Konkret beschrieben wird der Einfluss des elterlichen Hintergrunds bei Bildungsungleichheit (Europäische Kommission, 2015b, S.  25f.) und Geschlechtssowie kulturelle und ökonomische Unterschiede beim Auszug aus dem elterlichen Haushalt (ebd., S. 207f.). Laut der 17. Shell-Studie hat Familie für deutsche Jugendliche „nach wie vor einen hohen Stellenwert“, sie gilt als „emotionaler Heimathafen“ (Shell Deutschland Holding, 2015, S.  15). Die eigene Familie ist für die Befragten im Vergleich zur 85 Tatsächlich fällt der Begriff „family“ auf den 288 Seiten der Berichtsteile kein einziges Mal.

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

Erhebung aus dem Jahr 2010 (76 Prozent) aber nicht mehr so zentral für das Lebensglück (63 Prozent).86 Zudem ist auch die Zustimmung zur Aussage, dass man eigene Kinder für eben dieses Lebensglück brauche (von 43 auf 41 Prozent) leicht zurückgegangen. Dieser Trend ist insbesondere bei den männlichen Jugendlichen stärker ausgeprägt (Shell, 2015a, S. 2). Davon unabhängig stellt die Herkunftsfamilie einen ganz zentralen Wert für Jugendliche dar: dieser „sichere Heimathafen“ (Shell Deutschland Holding, 2015, S. 15) zeigt sich auch darin, dass mehr als 90 Prozent der Befragten ein gutes oder sehr gutes Verhältnis zu den eigenen Eltern beschreiben. Hinsichtlich der Erziehung möglicher eigener Kinder fungieren die Eltern für fast drei Viertel der Befragten als positives Vorbild. Diese positive Wahrnehmung hat sich in den letzten Jahren stets verstärkt (2002: 69 Prozent, 2006 und 2010: 72 Prozent; ebd., S. 15), ist allerdings stark schichtabhängig: „Bei den Jugendlichen aus der untersten Schicht (46 %) ist diese Zustimmung erneut am geringsten.“ (ebd., S. 15) Auch im Sechsten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich zeigt sich der hohe Stellenwert, den die Familie – neben dem Freundeskreis – einnimmt: „Fragt man 14- bis 24-Jährige [sic!] Jugendliche/junge Erwachsene nach der Wichtigkeit verschiedener Lebensbereiche so liegen der Freundeskreis und die Familie mit rund 70 Prozent an oberster Stelle. Beide stehen für die soziale Nahwelt und erfahren heute hohe Wertschätzung. Es sind attraktive Lebensräume für junge Menschen in einer komplexen Welt87, denn diese bieten Überschaubarkeit, emotionale Geborgenheit und das Aufgehobensein in kleinen sozialen Netzwerken.“ (Kromer, 2011, S. 184) Dabei gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede: Mädchen und junge Frauen stellen im Ranking die Familie gleichwertig neben ihren Freundeskreis (73 % zu 72 %), während die männlichen Befragten die Familie hingegen als etwas weniger wichtig (64 % zu 71 %) erachten. Dies wird durch „geschlechtsspezifische Sozialisationsbedingungen trotz des Wandels des Geschlechterverhältnisses in den letzten Jahrzehnten“ (Kromer, 2011, S. 186) erklärt. Das Familienklima wird von den Jugendlichen überwiegend als sehr gut beschreiben (ebd., S. 186), wobei auch hier unterschiedliche Perspektiven entlang des Geschlechts vorliegen: Das Verhältnis zu (Stief-)Müttern wird deutlich positiver beurteilt als jenes zum (Stief-)Vater (91 % beziehungsweise 80 % schätzen die Beziehung als sehr gut oder gut ein). Zudem zeigt sich, dass männliche Jugendliche die Beziehung zu ihren Eltern insgesamt etwas weniger positiv bewerten, da sie sich von ihren Müttern stärker abgrenzen als Mädchen, dies aber nicht 86 Die Werte aus dem Studienbericht und den Infografiken unterscheiden sich hier unerklärlicherweise

leicht: 63 Prozent (Shell Deutschland Holding, 2015, S. 15) im Bericht und 64 Prozent in der Grafik (Shell Deutschland Holding, 2015a, S. 2). 87 Die angesprochene, als stark zunehmend wahrgenommene Komplexität der Welt zeigt sich auch im kontinuierlichen Bedeutungszuwachs des Lebensbereichs Arbeit, der „als Indiz für zunehmende Veränderungen und Verunsicherungen am Arbeitsmarkt gesehen werden“ (Kromer, 2011, S. 185) sollte.

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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durch eine bessere Beziehung zu den Vätern kompensieren können (ebd., S. 186). Bemerkenswert ist zudem, dass mit steigendem Alter der Jugendlichen keine wesentlichen Veränderungen im Verhältnis zu den Eltern festzustellen sind (ebd., S. 186): Trotz zunehmender Selbständigkeit der Jugendlichen bleibt die Verbundenheit mit dem Elternteil oder den Eltern stabil. Laut dem Siebenten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich lebten 2015 1.484.900 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in Familien. Davon entfallen 86,6 Prozent auf Paarfamilien und 13,4 Prozent auf Einelternfamilien (BMFJ, 2016, S. 18). Von den insgesamt 199.400 Kindern und Jugendlichen in Haushalten von Alleinerziehenden lebten wiederum 184.900 bei ihren Müttern und 14.500 bei ihren Vätern (ebd.). Österreichs Jugendliche und junge Erwachsene verlassen den elterlichen Haushalt vergleichsweise spät: Es zeigt sich, dass 97,3 Prozent der männlichen Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren noch in einer Familie leben, dieser Wert sinkt auf 70,4 Prozent für die Altersgruppe der 20- bis 24-jährigen Männer und auf 33,6 Prozent für die 25- bis 29-Jährigen (ebd.). Weibliche Personen verlassen den elterlichen Haushalt durchschnittlich gesehen früher als Männer: So leben noch 94,2 Prozent der 15- bis 19-jährigen jungen Frauen mit ihrer Familie, aber nur mehr 56,4 Prozent der 20- bis 24-Jährigen und gar nur mehr 16,8 Prozent der 25bis 29-Jährigen (BMFJ, 2016, S. 18). In der Vierten Steirischen Jugendstudie wird mehrfach auf Familie Bezug genommen: Familie rangiert nach Gesundheit und Ehrlichkeit auf dem dritten Platz des „Werterankings“ (Scharinger & Ehetreiber, 2014, S. 3). Auch in den Erwartungen an künftige ArbeitergeberInnen zeigt sich ein hoher Stellenwert der Familie: „Familienfreundlichkeit“ des Unternehmens ist den Befragten wichtiger als Gewinnbeteiligung, positives Firmenimage oder Aufstiegsperspektiven (Scharinger & Ehetreiber, 2014, S.  6). Für die Berufsentscheidung sind „Gespräche mit den Eltern“ die wichtigste Entscheidungsgrundlage, deutlich vor den Angeboten von ExpertInnen der Berufsorientierung oder von LehrerInnen (Scharinger & Ehetreiber, 2014, S. 6). Erfreulicherweise zeigt sich auch: „Das familiale und schulische Zusammenleben ist eindeutig gewaltärmer geworden seit den 1970er Jahren“ (Scharinger & Ehetreiber, 2014, S.  29). Neunzig Prozent der Jugendlichen gaben an, nie Opfer von Gewalt durch Erwachsene geworden zu sein und knapp achtzig Prozent wurden ihrer Angabe zufolge „nie Opfer von Gewalt durch andere Jugendliche“ (Scharinger & Ehetreiber, 2014, S. 29). 5.8.3 Bildung und Ausbildung In Kapitel 3 Education and Training des EU-Jugendberichts wird überwiegend auf formale Bildung Bezug genommen. Hier zeigt sich eine deutliche Zunahme beim Erwerb von Bildungsabschlüssen der Sekundarstufe II im Vergleich der Jahre 2011 und 2014, die im EU-Schnitt mit über 80 Prozent angegeben wird. Auch für Öster-

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

reich zeigt sich eine leichte Steigerung und ein Wert von 90 Prozent für das Jahr 2014 (Europäische Kommission, 2015b, S. 16), was deutlich macht, dass auch im Rahmen des dualen Ausbildungssystems erworbene Lehrabschlüsse in die Statistik miteinfließen. Dementsprechend wird für Österreich auch kein Unterschied nach Geschlechtern ausgewiesen (Europäische Kommission, 2015b, S. 17), obwohl bekanntermaßen ein Überhang von weiblichen Jugendlichen unter den MaturantInnen besteht. Erst bei der Betrachtung der tertiären Bildungsabschlüsse wird das bessere Abschneiden von jungen Frauen im österreichischen Bildungssystem deutlich: Sie erlangen in einem höheren Ausmaß Abschlüsse als ihre männlichen Alterskollegen. Dies entspricht dem europäischen Gesamtbild, wobei der Geschlechterunterschied88 in Österreich deutlich geringer ausgeprägt ist als in anderen EU-Staaten (Europäische Kommission, 2015b, S. 18). Nach einer Darstellung von PISA-Daten der einzelnen EU-Staaten folgt im Bericht ein Vergleich hinsichtlich der Teilnahme in nonformalen Bildungskontexten und Jugendarbeit. Als Kriterium gilt hierfür: „Non-formal education and training covers any organized and sustained learning activities that do not take place within the framework of the formal education system.“ (Europäische Kommission, 2015b, S. 22) Gemäß dieser weiten Definition ergibt sich ein sehr großer Rahmen infrage kommender Institutionen: Hier ist an alle Formen der Jugendarbeit ebenso wie an berufspädagogische Maßnahmen zur (Wieder-)Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu denken. Dementsprechend uneinheitlich zeigt sich die Situation der EU-Staaten, was die Ausprägung in den einzelnen Ländern betrifft. Als gemeinsame Tendenz für diesen Sektor kann allerdings festgehalten werden, dass die Institutionen im Vergleich der Jahre 2011 bis 2014 insgesamt leicht an Reichweite gewonnen haben und dass sie sowohl im EU-Schnitt als auch in Österreich – was wohl überraschend sein mag – etwas mehr junge Frauen als Männer erreichen (Europäische Kommission, 2015b, S. 23). Im 14. Kinder- und Jugendbericht wird intensiv auf Schule Bezug genommen, da dieser Institution eine ganz zentrale Rolle im Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen zugesprochen wird: „Die Schule ist das am stärksten weichenstellende und universellste institutionelle Gefüge des Jugendalters, nicht nur weil sie als Thema und Lebensinhalt vom Grundsatz her uneingeschränkt für alle junge Menschen in dieser Altersphase von funda-

88 Im Rahmen der Statistik dürften Berufsbildende Höhere Schulen zu den tertiären Bildungseinrich-

tungen gezählt werden, was wohl eine Erklärung für den vergleichsweise gering ausgeprägten Geschlechterunterschied darstellt.

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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mentaler Bedeutung ist, sondern auch weil dieses Lebensjahrzehnt sie zeitlich stärker in Anspruch nimmt als alles andere 89.“ (BMFSFJ, 2013, S. 157) Dennoch wird dem Bericht (und dem Kommentar der deutschen Bundesregierung) ein breites Bildungsverständnis zugrunde gelegt, das sich nicht ausschließlich an schulischer Bildung orientiert: „Bildung für junge Menschen ist jedoch weit mehr als Schule und spielt sich zu wesentlichen Teilen auch außerhalb des curricularen Wissenserwerbs an schulischen und außerschulischen Bildungsorten ab.“ (BMFSFJ, 2013, S. 9) Neben dem Elternhaus und der Schule tragen auch die auf unterschiedliche Entwicklungsphasen ausgerichteten Angebote der Kinder- und Jugendhilfe zur Bildung bei. Durch die Förderungen des Bundes wird „ein breites Spektrum politischer, kultureller und sportlicher Angebote sowie die Jugendverbandsarbeit ermöglicht“ (ebd., S. 9). In Hinkunft plant die deutsche Bundesregierung eine Fokussierung auf Lösungswege in drei wichtigen Anwendungsfeldern zu erarbeiten, die alle Jugendlichen fördern soll „ohne dabei spezielle Bedarfslagen benachteiligter junger Menschen zu vernachlässigen“ (ebd., S. 10): -- schulische und außerschulische Lern- und Bildungsorte stärken -- Übergangsgestaltung von der Schule in den Arbeitsmarkt -- Beteiligungschancen und -anlässe im politischen und öffentlichen Raum Als Beispiel, wie diese Ziele in einem zielgruppenübergreifenden Ansatz miteinander verschnitten werden können, nennen die VertreterInnen der Bundesregierung Modellprojekte des „Service Learning – Lernen durch Engagement“: Hierbei soll durch bürgerschaftliches Engagement Integration, das Gemeinwohl und Wissens­aneignung gefördert werden (ebd., S.  13). Interessant erscheint in diesem Zusammenhang auch eine kritische Anmerkung zu den standardisierten Kompetenztestungen (wie etwa PISA). Diese werden in der Schule während des Unterrichts durchgeführt und beziehen sich inhaltlich fast ausschließlich auf Schulfächer, weswegen diese oft auch als „Schulleistungsstudien“ bezeichnet werden. Dennoch seien sie „kein robuster Beleg dafür, dass die hierbei festgestellten Leistungen überwiegend oder gar ausschließlich in der Schule und durch den Unterricht erworben wurden“ (ebd., S. 158). Die in den Tests gewonnenen Resultate seien vielmehr das Resultat eines ungeklärten Bündels „unterschiedlicher Einflüsse auf die Bildungsprozesse junger Menschen in der Verschränkung verschiedener Lernsettings, [und] zielen mithin auf die Potenziale und Hürden unterschiedlichster Gelegenheiten zum Wissens- und 89 Gemeint ist wohl, dass die Schule das Lebensjahrzent in Anspruch nimmt – nicht umgekehrt, wie es

die Formulierung zum Ausdruck bringt.

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

Kompetenz­erwerb“ (ebd., S. 158) ab. Daher müssen auch andere Bildungsorte und -gelegenheiten – außerschulische, institutionelle Angebote ebenso wie familiales Lernen – zur Erklärung von diesbezüglichen Erfolgen und Niederlagen ins Blickfeld gerückt werden (ebd., S. 158). Anhand des Dilemmas der sogenannten „PISA-Risikoschüler“ 90 zeigt sich die Problematik der mangelnden Chancengleichheit (nicht nur) des deutschen Schulsystems: Nahezu zwanzig Prozent der getesteten Jugendlichen weisen ein Kompetenzniveau auf, „das sich im Alter von 15 Jahren auf der Stufe der vierten Grundschulklasse bewegt und dauerhafte Schwierigkeiten im Blick auf die persönliche und berufliche Zukunft sowie bei den Herausforderungen einer eigenständigen Lebensführung erwarten lässt“ (ebd., S. 158). Durch die dabei „zutage tretenden viel zu hohen sozialen Disparitäten“ zeigt sich „eine besondere jugendpolitische Herausforderung, die auch deutlich über den Horizont der Schule hinausweist und die Verstrickungen von Bildung-, Familien- und Sozialpolitik in den Vordergrund rückt“ (ebd., S. 158). Potenzielle VerliererInnen im Bildungssystem bedürfen besonderer, auch außerschulischer Unterstützungssysteme sowie „einer besseren Verzahnung von Schule, Familie und Kinder- und Jugendhilfe“ (ebd., S. 168). Im Schulkontext kann zu solcher Unterstützung sicherlich auch durch Ganztagesschulfomen beigetragen werden. Diesbezüglich zeigt sich in Deutschland ein sehr starkes Wachstum seit der Jahrtausendwende: Im Jahr 2012 ging bereits jedes dritte Kind (bei großen Unterschieden nach Alter, Schulart und Bundesland) in eine solche Schulform (ebd., S. 166). Für das Ende des Jahrzehnts wurde von der Bertelsmann-Stiftung bereits im Jahr 2012 prognostiziert, dass sich zumindest in der Primar- und Sekundarstufe ganztägige Schulkonzepte flächendeckend durchsetzen werden (ebd., S. 166). Unklar scheint noch, welche Erwartungen an ein solches Schulsystem hinsichtlich der Einbindung von partizipativ gestalteten jugendkulturellen, sportlichen und zivilgesellschaftlichen Angeboten gestellt werden dürfen. Kurz gesagt: „Dem Ausbau der Ganztagesschulen in Deutschland fehlt so etwas wie eine sinnstiftende Leitidee.“ (ebd., S. 166) In der aktuellen Ausgabe der Shell-Studie wird die Wichtigkeit der sozialen Herkunft für den Bildungserfolg besonders stark betont. Dieser hänge „so stark wie in keinem anderen Land der Welt“ vom sozialen Hintergrund der Jugendlichen ab (Shell Deutschland Holding, 2015, S. 14). Während der Optimismus von Lehrlingen und Studierenden, die eigenen beruflichen Wünsche verwirklichen zu können, generell gestiegen ist (78 bzw. 82 Prozent), sind Jugendliche aus der unteren Schicht weit weniger zuversichtlich (46 Prozent im Vergleich zu 81 Prozent bei den Jugendlichen aus der oberen Schicht). Auch in der oberen Mittelschicht zeigt sich ein Rückgang zur letzten Ausgabe (62 Prozent im Jahr 2010, aktuell 53). In der Gesamtbe90 Entlang des erhöhten Anteils von männlichen Jugendlichen drängt sich die maskuline Formulierung

auf, obwohl mit dem außerhalb des sachlichen Diskurses vielfach verwendeten Begriff PISA-Opfer auch eine gut eingeführte geschlechtsneutrale Variante zur Verfügung stünde.

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Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

trachtung finden sich also Hinweise für ein zunehmendes Auseinanderklaffen der Erwartungen von Jugendlichen entlang ihrer Schichtzugehörigkeit. Während Bildungsaspirationen früher oft vom Geschlecht abhingen, scheint sich diese Lücke wieder zu schließen: „Junge Männer sind ehrgeiziger geworden.“ (Shell Deutschland Holding, 2015, S. 15) Im Sechsten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich werden Bildungspartizipation (Schlögl, 2011) und Bildungsferne (Niederberger, 2011) der österreichischen Jugendlichen thematisiert. Zur Bildungspartizipation kann festgehalten werden: „Die Beteiligung an schulischen, beruflichen und hochschulischen Bildungsgängen hat sich in der zweiten Republik kontinuierlich gesteigert.“ (Schlögl, 2011, S. 98) Die Bildungsbeteiligung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist stark altersabhängig: Sie beträgt bei 15- bis 19-Jährigen 82 Prozent, während sie bei den 20- bis 29-Jährigen nur noch 20 Prozent ausmacht, da diese oftmals schon im Arbeitsleben stehen. Weder in Ausbildung noch in Beschäftigung sind lediglich 3,6 Prozent der 15- bis 19-Jährigen (Statistik Austria zit. n. Schlögl, 2011, S. 99): Indikator

Österreich

Deutschland

Schweiz

EU-19

OECD

Bildungsbeteiligung der 15- bis 19-Jährigen (in %)

82,0

88,6

83,5

84,9

81,5

Bildungsbeteiligung der 20- bis 29-Jährigen (in %)

20,0

28,5

22,1

25,1

25,1

3,6

2,2

2,8

2,9

3,0

15- bis 19-Jährige, die nicht in Ausbildung und nicht erwerbstätig sind (in %)

Abbildung 11: Bildungsbeteiligungsindikatoren im DACH- sowie im internationalen Vergleich (n. Statistik Austria, 2009 zit.n. Schlögl, 2011, S. 99).

Im Vergleich mit Deutschland und der Schweiz sowie mit dem Schnitt der EU-19 zeigt sich, dass Österreich bei der Bildungsbeteiligung durchwegs etwas schlechter abschneidet. Insbesondere der Anteil der sogenannten NEETs, also jener jungen Personen, die weder in Ausbildung noch Erwerbsarbeit involviert sind, fällt deutlich erhöht aus. Der Bericht des Autors fokussiert auf das formale Bildungswesen, das durch regionale, geschlechts-, migrations- und schichtspezifische Disparitäten geprägt ist. Hervorgehobene Geschlechtsspezifika sind beispielsweise der niedrige Anteil von Mädchen in gewerblich-technischen berufsbildenden höheren Schulen und deren Konzentration auf wenige (überwiegend schlechter entlohnte) Lehrberufe (ebd., S. 109). Jugendliche mit Migrationshintergrund haben eine deutlich unterrepräsentierte Quote in Berufsbildenden Höheren Schulen sowie in der

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

dualen Ausbildung (ebd., S. 110) 91. Letztgenannte Gruppe hat zudem ein deutlich erhöhtes Risiko der Bildungsferne. Definitorisch wird dabei von folgenden Kriterien ausgegangen: Jugendliche, die im Alter zwischen 15 und 24 Jahren höchstens über Pflichtschulabschluss verfügen und sich in keiner formalen weiterführenden Ausbildung befinden (Niederberger, 2011, S. 119). Die Einflussfaktoren für Bildungsferne sind vielschichtig und korrelieren miteinander zum Teil signifikant. Die folgenden zehn Einflussfaktoren sind nach der Stärke ihres Einflusses gereiht (Schlögl, 2011, S. 128): -- Ausbildungsabbruch (meist aus finanziellen Gründen) -- Wunschausbildung konnte nicht ergriffen werden (meist keine entsprechende Lehrstelle verfügbar) -- nicht-deutsche Muttersprache -- mangelnde Nutzung aktiver Informationskanäle (Lesen, Internet, FreundInnen) -- schulische Probleme (Prüfungsangst, Lerninhalte werden als uninteressant und langweilig angesehen) -- intuitives Entscheidungsverhalten (hängt eng mit mangelnder Unterstützung durch das soziale Umfeld zusammen) -- niedriges Bildungsniveau der Eltern -- wenig Sport, wenig Vereinsengagement -- mangelnde soziale Unterstützung durch Freunde und Angehörige -- urbaner Wohnort Bereits an vierter Stelle erfolgt ein Faktor, der durch die Gestaltung adäquater Angebote beeinflussbar erscheint: „Das Nutzen aktiver Informationskanäle fördert Bildungsnähe. Vor allem männliche Jugendliche haben hier Aufholbedarf.“ (Niederberger, 2011, S. 128) Dementsprechend wird empfohlen, Informationsangebote gerade für diese Gruppe niederschwellig und lebensweltnah zu konzipieren: „Für bildungsferne Jugendliche stellt die Kontaktaufnahme mit öffentlichen Institutionen oft eine Hürde dar. Daher braucht es gerade im Bereich Bildungsangebote sowie Bildungs- und Berufsberatung niederschwellige Angebote. Möglicher Ansatzpunkt sind Info-Points in Schulen (…) oder auch in Jugendzentren, wo diese institutionellen Barrieren durchbrochen werden und Beratungsgespräche den notwendigen informellen Charakter aufweisen.“ (Niederberger, 2011, S. 130) Weitere Ergebnisse zur Analyse von Verhaltens- und Einstellungsdifferenzen zeigen, dass bildungsferne Jugendliche mit durchwegs allen Aspekten des täglichen Lebens 91 Dies dürfte den Hintergrund haben, dass diese Jugendlichen oftmals dem Druck ausgesetzt sind,

schnell Geld zu verdienen und daher oftmals Hilfsarbeit dem eingangs niedriger entlohnten Lehrverhältnis vorziehen.

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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(so etwa auch mit der Wahrnehmung des Freundeskreises) signifikant unzufriedener sind als bildungsnahe Gleichaltrige (Schlögl, 2011, S. 124) und daher neben ihren Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt sicherlich auch ein drastisch erhöhtes Risiko für die Ausprägung psychosozialer Schwierigkeiten aufweisen. Im Siebenten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich wird hinsichtlich der Bildungs- und Berufsentscheidungen Jugendlicher am Ende der Schulpflicht festgehalten, dass der Einfluss der Familie bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund stärker ist als bei autochthonen ÖsterreicherInnen (Biffl, Skrivanek & Zentner, 2014 zit. n. BMFJ, 2016, S.  26). Dies „wäre grundsätzlich nicht problematisch, wären Migrant/innen nicht schlechter über das Bildungssystem in Österreich und die damit verbundenen Herausforderungen für Jugendliche informiert“ (BMFJ, 2016, S. 26). Im Vierten Steirischen Jugendbericht zeigt sich eine Einschätzung des Bildungssystems, die in ihrer eindeutig positiven Ausprägung der öffentlichen Wahrnehmung von Schule und Bildungspolitik zu widersprechen scheint: Alle Schultypen (inklusive Berufsschulen) werden von 80 bis 85 Prozent der Befragten mit den Schulnoten Sehr gut oder Gut beurteilt (Scharinger & Ehetreiber, 2014, S.  2). Auch das Image ihres jeweiligen Schultyps wird von den Jugendlichen ähnlich hoch wie die erlebte Ausbildungsqualität bewertet. Während die (damals) von der Bundesregierung vorgeschlagene Ausbildungsverpflichtung bis 18 Jahre von Jugendlichen von fast 80 Prozent der Jugendlichen begrüßt wird, stoßen Zentralmatura und Ganztagesschule auf starke Ablehnung.92 Zwei Drittel der Befragten wünschen sich, dass die „weiterführende Schulwahl erst mit 14 Jahren“ zu treffen ist, favorisieren damit also ein Gesamtschulmodell (ebd., S. 3). Die Differenziertheit der Aussagen sehen die Autoren „als Auftrag für eine verstärkte und echte Jugendbeteiligung“ im Zuge der Bemühungen um eine Bildungsreform (ebd., S. 3). 5.8.4 Arbeit, Arbeitslosigkeit und UnternehmerInnentum In Kapitel 4 Employment and Entrepreneurship des EU-Jugendberichts wird deutlich, dass Jugendarbeitslosigkeit in den letzten Jahren ein zunehmend stärkeres Problem in der Europäischen Union wurde. Hier sind steigende Raten bei beiden Geschlechtern und Altersgruppen zu verzeichnen. Aus dem Bericht geht weiters hervor, dass 15- bis 24-Jährige deutlich stärker betroffen sind als die über 25-Jährigen, was deutlich macht, dass vor allem der Einstieg in den Arbeitsmarkt schwieriger wurde.

92 Hier stellt sich die Frage, wie belastbar diese Aussagen sind: Würde man beispielsweise nach einer für

alle SchülerInnen gleich fair gestalteten Maturafragestellung oder nach Schultypen mit integriertem Sport- und Kulturangebot fragen, könnte man wohl deutlich höhere Zustimmung erwarten.

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

9.0 8.0 7.0 6.0 5.0 4.0 3.0 2.0 1.0 0 .0

8.9 7.5

7.3

6.2

6.1 5.0

5.7

2011 2014

4.8

Male Female Male Female 25–29 20–24

Abbildung 12: Durchschnittliche Arbeitslosigkeitsraten der EU-28 nach Altersgruppen (20 bis 24 Jahre sowie 25 bis 29 Jahre) und Geschlecht im Vergleich der Jahre 2011 und 2014 (n. Europäische Kommission, 2015b, S. 35).

Zudem steigt auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen in allen Altersgruppen und bei beiden Geschlechtern deutlich an (Europäische Kommission, 2015b, S. 37), wobei dieses Risiko bei niedrigerem formalem Bildungsgrad93 deutlich erhöht ist (Europäische Kommission, 2015b, S. 38). Betrachtet man zudem die Verteilung nach Ländern, so fällt auf, wie stark der Unterschied zwischen den hauptbetroffenen Staaten Südeuropas und dem weniger betroffenen zentraleuropäischen Raum ausfällt. Nachfolgend ist die europaweite Verteilung der Arbeitslosigkeit der 15- bis 24-Jährigen wiedergegeben, die für den deutschsprachigen Raum sowie für einige skandinavische Staaten eine deutlich niedrigere Rate aufweist, während vor allem die südeuropäischen Länder besonders stark betroffen sind (Europäische Kommission, 2015b, S. 35). Österreich liegt also hinsichtlich der Arbeitslosigkeit, aber auch in Bezug auf unfreiwillige Teilzeitarbeit (ebd., S. 45), die Quote von jungen ArbeitnehmerInnen mit befristeten Arbeitsverhältnissen (ebd., S. 46f.) sowie mit besonders belastenden Arbeitsbedingungen wie etwa Schicht-, Nacht- und Wochenendarbeit (ebd., S. 47) deutlich besser als der Schnitt der EU-28. Dennoch ist ersichtlich, dass es auch in Österreich im Zeitraum zwischen 2011 und 2014 in allen genannten Dimensionen zu einer Verschlechterung der Situation gekommen ist. Im 14. Deutschen Kinder- und Jugendbericht wird zudem deutlich, dass sich das Arbeitslosigkeitsrisiko bei jungen Menschen mit Migrationsbiographie deutlich erhöht: Während 8,5 Prozent der Jugendlichen deutscher Herkunft von Arbeitslosigkeit betroffen sind, liegt das Risiko bei Jugendlichen mit Herkunft aus der Türkei 93 Um nicht der Gefahr zu erliegen, die Arbeitslosigkeit stärker als persönliches Versagen denn als struk-

turelles Problem zu erfassen, muss aber darauf hingewiesen werden, dass der Umstand, beispielsweise in Mazedonien zu leben, ein vielfach höheres Risiko der Arbeitslosigkeit mit sich bringt als der Umstand, in Deutschland oder Österreich nach der Pflichtschule keinen weiteren Bildungsabschluss erworben zu haben.

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und arabischen Staaten bei 12,6 Prozent (BMFSFJ, 2013, S. 202). Als Hauptgrund dafür wird angesehen, dass diese Jugendlichen „deutlich seltener in eine betriebliche Berufsausbildung“ kommen und dieser Nachteil vom Bildungssystem in keiner Weise abgefedert wird (Braun, 2012 zit. n. BMFSFJ, S.  202). Trotz der generell „gute[n] Chancen auf eine gelingende Verselbstständigung“ Jugendlicher und der im Europavergleich niedrigen Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland, „bleibt jedoch ein kleinerer Teil von Abgehängten und Bildungsverlierern“, der besonderer Unterstützungsmaßnahmen bedarf (BMFSFJ, 2013, S.  415). Diese auszubauenden „Hilfen zur Erziehung und Hilfen für junge Volljährige“ sollten Nachqualifizierung, Stabilisierung und Orientierung gewährleisten. In der 17. Shell-Studie zeigt sich, dass der Übergang von Schule hin zu Ausbildung beziehungsweise Beruf oftmals kein abrupter Vorgang ist, sondern sich durch Nebenjobs überlappend gestalten kann: „Seit 2002 geht durchgängig etwa ein Drittel der Jugendlichen, die noch zur Schule gehen, studieren oder in der Berufsausbildung sind, zusätzlich einer zeitlich begrenzten, bezahlten Erwerbsarbeit nach.“ (Leven, Quenzel & Hurrelmann, 2015, S. 73) Entlang des Bildungsgefälles – und damit nach der sozialen Schicht – zeigen sich auch Schwierigkeiten bei der Berufswahl beziehungsweise beim Erreichen des Wunschberufs: Während 2015 die Hälfte der Jugendlichen aus der unteren Schicht nicht den erforderlichen Schulabschluss für ihren jeweiligen Wunschberuf geschafft haben, sind es unter den Jugendlichen aus der oberen Schicht nur zehn Prozent (ebd., S.  74).94 Dementsprechend bestehen auch Unterschiede hinsichtlich des Optimismus, den angestrebten Wunschberuf auch ergreifen zu können: Insgesamt erwarten 73 Prozent der Jugendlichen, ihren Wunschberuf ergreifen zu können – Jugendliche aus der untersten Schicht sind dabei mit 46 Prozent aber eklatant weniger zuversichtlich als die Gleichaltrigen aus der oberen Schicht mit 81 Prozent: „Die im schulischen Bereich erkennbaren Unterschiede der sozialen Chancen setzen sich also beim Eintritt in die berufliche Laufbahn spürbar fort.“ (ebd., S. 75) Zudem bestehen besondere Herausforderungen hinsichtlich der Unterstützung bei der Berufsorientierung. Obwohl die Angebote „in den letzten Jahren immer mehr verstärkt“ (ebd., S.  73) wurden, halten sie der laufenden Ausdifferenzierung von Berufen und Studiengängen nicht stand, sodass es „auch für Lehrkräfte und Berufsberater fast unmöglich geworden [ist], die Übersicht zu bewahren“ (ebd., S. 73f.). Dieser Umstand belastet die ohnehin tendenziell überfordernde Aufgabe Jugendlicher, eine berufliche Richtungsentscheidung zu treffen. JedeR zweite Jugendliche hält eine adäquate Work-Life-Balance für schwer erreichbar (ebd., S. 77). Dies ist aber nicht die wichtigste Erwartung Jugendlicher an die künftige Berufstätigkeit: 94 Dieser Unterschied hat sich zudem im Lauf der letzten Erhebungen verschärft (Leven, Quenzel &

Hurrelmann, 2015, S. 74).

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

Die Aspekte, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben (für 71 Prozent sehr wichtig), sowie Möglichkeiten, eigene Ideen einzubringen (52 Prozent) werden höher bewertet. Sinnstiftung, also Möglichkeiten, etwas zu tun, dass ich sinnvoll finde, wird ähnlich hoch wie die Work-Life-Balance bewertet (ebd., S. 77). Die Einkommenshöhe (33 Prozent), Viele Kontakte zu anderen Menschen (31 Prozent), die Möglichkeit, sich um andere zu kümmern (29 Prozent) und Das Gefühl etwas zu leisten (24 Prozent) sind hingegen von nachrangiger Wichtigkeit. Zudem zeigen die Erhebungen, dass Berufs- und Familienorientierung in dem Sinn zusammenhängen, dass „Jugendliche mit besonders positiven Empfindungen zu Familie und Kindern“ auch „beruflich anspruchsvoll und fordernd“ sind (Leven, Quenzel & Hurrelmann, 2015, S.  95). Diese als Durchstarter 95 bezeichneten Jugendlichen haben einen besonders stark ausgeprägten Kinderwunsch (71 Prozent; ebd., S. 94), empfinden Familie als überdurchschnittlich wichtig für das eigene Lebensglück und äußern höhere Ansprüche an ihre zukünftige berufliche Tätigkeit, während Distanzierte deutlich weniger hohe Ansprüche an das Berufsleben stellen (dafür hat die Einkommenshöhe bei dieser Gruppe mehr Gewicht) (ebd., S. 95) und mit 53 Prozent den mit Abstand am geringsten ausgeprägten Kinderwunsch der vier gebildeten Typen haben (ebd., S. 94). Ein möglicher Erklärungsansatz dafür könnte, neben Schichtspezifika, auch die Altersstruktur sein, da in der Gruppe der Distanzierten junge Personen überrepräsentiert sind und sich allfälliger Kinderwunsch sowie das Vorhandensein konkreter Erwartungen an die künftige Berufstätigkeit erst im Lauf der Zeit manifestieren und ausbilden können. Im Sechsten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich wird im Kapitel zu Arbeitsmarktbedingungen und Beschäftigung auf die „vergleichsweise günstige Situation für die große Mehrheit der österreichischen Jugendlichen am Arbeitsmarkt“ (Lassnigg, 2011, S.  133) verwiesen. Trotzdem bestehen zahlreiche Herausforderungen, die einen Teil der Jugendlichen betreffen, der „aufgrund von Benachteiligung unverschuldet mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen hat (Stichworte Chancengleichheit und Ausgrenzung)“ (ebd., S. 133). Als dafür hauptverantwortlich sieht Lassnig das Bildungssystem, das bestehende Chancenungleichheiten nicht auszugleichen vermag. Lassnig fasst den Forschungsstand hinsichtlich der relevanten „Problemlagen für die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktbedingungen der Jugendlichen“ folgendermaßen zusammen: --„Dynamik im Qualifikations- und Kompetenzbedarf, Höherqualifizierung und Flexibilität -- Druck, mehr zu lernen und Ausgrenzungsrisiko bei fehlenden Qualifikationen/ Kompetenzen 95 Die männliche Bezeichnung durch die AutorInnen wird dem Umstand nicht gerecht, dass in dieser

Gruppe junge Männer (39 Prozent) deutlich seltener zu finden sind, als „aufstiegsorientierte junge Frauen“ (61 Prozent) (Leven, Quenzel & Hurrelmann, 2015, S. 90).

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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-- Veränderungen betreffen [den, Anm. ] Eingangsbereich in Beschäftigung/Arbeitsmarkt besonders stark -- Liberalisierungen betreffen die Jugendlichen besonders direkt (atypische/prekäre Arbeit) -- mehr Wahlmöglichkeiten bei größerer Unsicherheit -- Veränderungen der Geschlechterverhältnisse und Familienstrukturen -- Migrationserfahrungen/-hintergrund führen zu Benachteiligungen -- Integration in das Beschäftigungs- und Erwachsenenleben hat sich verlängert -- soziale Sicherung im männlichen „Ernährer-Modell“ greift oft nicht -- demografische Veränderung hat widersprüchliche Auswirkungen (Knappheit-Belastung)“ (ebd., S. 133) Diese Dynamiken tragen dazu bei, dass 18 Prozent der 15- bis 24-Jährigen zumindest einmal von registrierter Arbeitslosigkeit betroffen sind. Diese dauert im Schnitt 80 Tage und damit kürzer als bei den über 25-jährigen Erwerbstätigen, wo Phasen ohne Beschäftigung im Schnitt circa hundert Tage dauern (ebd., S. 136). Anhand der oben dargestellten Dynamiken wird deutlich, dass es sich um strukturelle Veränderungen handelt, die die Berufschancen Jugendlicher beeinflussen. Trotzdem erfolgen Interventionen vor allem auf der Individualebene: „Obwohl klar ist, dass wirtschaftliche und gesellschaftliche Faktoren eine Rolle spielen, setzen die Interventionen einen Fokus auf individuelle Defizite, die wenn möglich ausgeglichen werden sollen.“ (ebd., S. 149) Daher stellt sich die Frage, ob diese Strategie ausreichend ist, da es eine „Zahl an Jugendlichen, bei denen diese Maßnahmen nicht greifen“ gebe (ebd., S.  149). Lass-

nig nennt als mögliche präventive Maßnahmen Veränderungen im Bildungswesen – vor allem hinsichtlich der Reduktion sozialer Segregation, etwa indem „die institutionelle Trennung der Kinder und Jugendlichen nach der vermuteten Leistungsfähigkeit, die im Alter von 10 Jahren beginnt“ zugunsten einer gemeinsamen Sekundarstufenausbildung beendet wird (ebd., S. 149). Als zweiten Ansatzpunkt braucht es einen grundlegenden Paradigmenwechsel, der von einem

Defizitmodell hin zu einem Interessensmodell führt, indem verstärkt auch Aktivitäten außerhalb des formalen Bildungs- sowie Erwerbsbereichs berücksichtigt werden. Lassnig empfiehlt, „die Jugendlichen in ihrem gesamten Interessenspektrum zu sehen“ (ebd., S. 149) und im Rahmen von Beteiligungsprojekten oder Freiwilli-

genarbeit gewonnene Kompetenzen stärker zu berücksichtigen sowie solche Felder informellen Lernens (also die Jugendarbeit) zu stärken, damit mehr Jugendliche derartige Erfahrungen machen können:

„In diesen Bereichen findet wertvolles informelles Lernen statt, das durch die Kommunen wie auch durch Nichtregierungsorganisationen unterstützt werden muss. In diesen Bereichen können auch wichtige Grundkompetenzen erworben werden, die so

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

viel nachgefragt werden aber in der Schule nur zweifelhaft vermittelt werden können, nicht zuletzt auch Kreativität und unternehmerisches Handeln.“ (ebd., S. 150) Neben der Stärkung der außerschulischen Lernfelder für Jugendliche braucht es auch „mehr Wissen im Bereich von Jugendarbeitsmarkt und -beschäftigung“, also eine systematische Auseinanderesetzung damit, wie sich die Beschäftigungsmöglichkeiten in Zukunft entwickeln, damit solide „Grundlagen für Information und Beratung“ entstehen (ebd., S. 150). Ein Wissensüberhang der entsprechenden ProfessionistInnen scheint für Lassnig derzeit noch nicht durchgängig gegeben zu sein: „Es gibt Positionen im Bereich der Jugendforschung, denen zufolge viele Jugendliche aufgrund ihrer sozialen Primärerfahrungen mehr über die heutige und zukünftige Welt wissen, als ihre Berater/innen.“ (ebd., S. 150) Handlungsbedarf sieht Lassnigg zudem hinsichtlich der Evaluierung von Arbeitsmarkt-maßnahmen auf ihre tatsächliche Wirksamkeit hin sowie der Sicherstellung leicht zugänglicher Förderungssysteme für Jugendliche, die Gefahr laufen, zwischen den Systemen verlorenzugehen (ebd., S. 150f.). Laut Siebentem Bericht zur Lage der Jugend in Österreich haben die Familien insbesondere hinsichtlich der Bildungs- und Beschäftigungsperspektiven junger Menschen eine zentrale Rolle. Daher bedarf es verstärkter Anstrengungen, durch entsprechende Angebote der Elternbildung Familien – insbesondere jene mit Migrations­biografien – zu stärken. Konkretes Ziel dieser Bemühungen muss es sein, das Wissen über die Möglichkeiten und die Vielfalt des österreichischen Bildungssystems in die familialen Netzwerke zu bringen (BMFJ, 2016b, S.  102). Zudem ist die Jugendarbeitslosigkeit in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen: Im Jahresdurchschnitt 2015 lag die Jugendarbeitslosigkeit der 15- bis 24-Jährigen bei 10,6 % (BMFJ, 2016, S.11). Damit liegt der Wert immer noch deutlich unter dem EU-Schnitt, weist allerdings eine negative Tendenz auf. In der Vierten Steirischen Jugendstudie wurde – bedingt durch die Kofinanzierung durch die Wirtschaftskammer Steiermark – auch erhoben, inwiefern Jugendliche sich vorstellen können, in den nächsten zehn Jahren selbst ein Unternehmen zu gründen (Scharinger & Ehetreiber, 2014, S.  6). Dabei zeigt sich, dass das für 17 Prozent eine anstrebenswerte Option darstellt, während eine circa gleich große Gruppe von Jugendlichen diese Idee für sich ausschließt. Im diesbzüglichen Antwortverhalten zeigen sich keine signifikanten Unterschiede nach dem Geschlecht. Mit der Rolle als UnternehmerIn verbinden die Befragten vor allem Motive der Selbstverwirklichung und erst in zweiter Linie gesellschaftliche Verantwortung, wie die nachfolgende Rangreihe der meistgenannten Beweggründe zeigt: Unternehmersein macht Spaß (51 Prozent), man ist als Unternehmer sein eigener Chef (49 Prozent), kann seinen Lebenstraum realisieren (48 Prozent), arbeitet mit interessanten Menschen

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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zusammen (46 Prozent), kann seine Fähigkeiten in bare Münze verwandeln (45 Prozent) und sichert Arbeitsplätze (43 Prozent). Nach Schultypen betrachtet sind Lehrlinge am ehesten bereit, in zehn Jahren selbst ein Unternehmen zu gründen (27 Prozent), am wenigsten sind es die AHSSchülerInnen (12 Prozent). Auch regional bestehen erhebliche Unterschiede: In Graz (20 Prozent), Obersteiermark Ost (19 Prozent) und dem Steirischen Zentralraum ohne Graz (18 Prozent) gibt es ein deutlich gründungsfreundlicheres Klima als in der Südweststeiermark (14 Prozent) und der Region Obersteiermark West (11 Prozent) (ebd., S. 6). Auf Wunsch der Arbeiterkammer Steiermark wurden die Jugendlichen befragt, auf welchen Grundlagen sie ihre Entscheidung für den zukünftigen Beruf beziehungsweise für weiterführende Ausbildungen treffen. Die Ergebnisse sind dabei jenen aus dem Jahr 2011 sehr ähnlich (ebd., S.  6) und können in drei Gruppen unterteilt werden: Am häufigsten erfolgt die Entscheidung Jugendlicher in ihrem persönlichen Umfeld – durch Gespräch mit den Eltern bei gleichzeitig eigenständiger Entscheidung der Jugendlichen (86 Prozent), durch Gespräch mit FreundInnen (77 Prozent) und eigenständige Recherchen im Internet (75 Prozent). Informationen von ExpertInnen sind hingegen nur zweitrangig ausschlaggebend: Gespräche mit Expert­ Innen (52 Prozent), Lektüre von (Fach-) Medien (41 Prozent) sowie das Gespräch mit den LehrerInnen (40 Prozent). JedeR fünfte Jugendliche hat eine potenziell problematische Entscheidungsgrundlage für die Karriereplanung: „Mit Sorge erfüllt uns jenes jeweilige Fünftel an Jugendlichen, die ihre Berufsentscheidung auf Vorbildern aus Film und Fernsehen gründen (23 %), die Entscheidung ganz allein treffen (22 %) oder deren Eltern den Beruf für ihre Kinder bestimmen (20 %).“ (Scharinger & Ehetreiber, 2014, S. 6) 5.8.5 Armut und sozialer Ausschluss Im fünften Kapitel („Social Inclusion“) des EU-Jugendberichts findet sich eine Darstellung des Durchschnittsalters zum Zeitpunkt des Auszugs aus dem elterlichen Haushalt. Auch wenn hier sicherlich kulturelle Faktoren eine gewisse Rolle spielen, wird der Zusammenhang zwischen der Anspannung der Arbeitsmarkt­situation in den einzelnen Ländern (vgl. dazu auch Kapitel 5.8.4 sowie Europäische Kommission, 2015b, S. 35) und einem erhöhten Alter beim Auszug deutlich. Für Österreich zeigt sich, dass junge Männer später von zu Hause ausziehen als Frauen (Euro­päische Kommission, 2015b, S. 57), was wohl stärker kulturellen Motiven als ökonomischen Notwendigkeiten geschuldet ist. Hinsichtlich des Zusammenhanges zwischen dem Umstand, bei den Eltern zu wohnen und der Gefahr von Armut beziehungsweise sozialem Ausschluss ist zu sagen, dass europaweit betrachtet junge Personen, die selbständig wohnen (müssen)

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

viel stärker gefährdet sind als jene, die bei ihren Eltern/Elternteilen wohnen. Erst in der Gruppe der über 25-Jährigen zeigt sich, dass die Gefährdung der selbständig Wohnenden geringer ist als bei jenen, die bei ihren Eltern wohnen (Europäische Kommission, 2015b, S. 59). Dies kann als Beleg für die vielfach vorhandene Unfreiwilligkeit der spät erfolgenden Selbständigkeit beim Wohnen betrachtet werden. Auch ein Arbeitsplatz bedeutet nicht zwangsläufig Schutz vor Armut beziehungsweise Armutsgefährdung. In den meisten EU-Ländern zeigt sich ein Anstieg der diesbezüglichen Rate bei den 15- bis 29-Jährigen von 2010 auf 2013 (Europäische Kommission, 2015b, S.  70.). Bei genauerer Betrachtung der Armuts­ gefährdungsrate von 15 bis 29-Jährigen Berufstätigen fällt auf, dass Österreich mit einer Armutsgefährdung von mehr als zehn Prozent aller jungen Berufstätigen im Jahr 2013 knapp über dem EU-Schnitt liegt. Die vergleichsweise geringe Jugendarbeitslosigkeit in Österreich dürfte mitunter also auch zum Preis von nicht ausreichend dotierten Arbeitsverhältnissen erkauft sein. Generell sind junge Männer von dieser Problematik etwas stärker als junge Frauen betroffen (Europäische Kommission, 2015b, S. 71). Dies dürfte neben dem tendenziell geringeren Qualifikationsniveau von Männern auch mit dem Strukturwandel der Wirtschaft einhergehen, in welchem manuelle Tätigkeiten sukzessive entwertet werden beziehungsweise derartige Jobs verstärkt abgebaut werden. Betrachtet man die Armuts- und Ausschlussgefährdung nach Ländern und Altersgruppen differenziert, so zeigt sich, dass entgegen des Trends der meisten EUStaaten die Altersgruppe der unter 16-Jährigen fast zu einem Viertel und damit stärker gefährdet ist, als junge Erwachsene bis 29 Jahre oder die Gesamtbevölkerung (Europäische Kommission, 2015b, S. 60). Daran zeigt sich wohl eine vergleichsweise stark ausgeprägte Kinderarmut in Österreich.96 Auch wenn die österreichischen Zahlen im europäischen Vergleich relativ niedrig erscheinen mögen, zeigt sich dieselbe Problematik der verstärkten Gefährdung von jungen ÖsterreicherInnen auch in der Darstellung der schweren materiellen Deprivation, wo nicht nur Einkommensparameter, sondern auch die tatsächliche Versorgungssituation beleuchtet werden. (Europäische Kommission 2015b, S. 63). Hier wird ersichtlich, dass unter 16-jährige ÖsterreicherInnen öfter von Mangelversorgung betroffen sind als die übrige Bevölkerung. Deutschland weist hierbei eine geringfügig höhere, aber altersunabhängige Deprivationsrate auf. Im 14. Deutschen Kinder- und Jugendbericht stellt sich dies anders dar: Hier ist es die Gruppe der 21- bis 30-Jährigen, die mit annähernd 20 Prozent das größte Armutsrisiko aufweist. Zudem nehmen die Armutsgefährdung, die Entwicklung dauerhafter Armutsrisiken und Niedrigeinkommen junger Menschen in Deutschland stärker zu als in der Allgemeinbevölkerung (BMFSFJ, 2013, S.  94f.). Diese 96 Dem steht der Befund einer Studie der Sozialökonomischen Forschungsstelle der Volkshilfe entgegen,

die die Armutsgefährdung der unter 17-Jährigen mit knapp über 15 Prozent – und damit deutlich unter dem EU-Schnitt von 21 Prozent – beziffert (Fabris et al., 2013, S. 56).

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Gefährdungslagen von Kindern und Jugendlichen sind nicht nur für die aktuelle Lebenssituation ein unangenehmer Umstand, sondern führen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu verfestigtem Ausschluss: „Diese Risikolagen bestimmen nicht nur die aktuellen ungleichen Teilhabechancen Jugendlicher, sondern reproduzieren sich während der Jugendphase über unterschiedliche Prozesse (Schulleistungen, außerschulische Interessen und Freizeittätigkeiten, Zugehörigkeiten, Mediennutzung, Ausbildung der eigenen Persönlichkeit, Bewältigung der alterstypischen Entwicklungsaufgaben etc.), mit der Folge, dass die soziale Herkunft und die familialen Muster gerade in Deutschland im hohen Maße auch die ungleichen Teilhabechancen im späteren Erwachsenenalter prägen.“ (BMFSFJ, 2013, S. 140) Auf europäischer Ebene wird eine enorme Bandbreite des Mangels deutlich, die in Bulgarien, Mazedonien, Rumänien und Ungarn breite Teile der Bevölkerung umfasst, während in Skandinavien und den BENELUX-Staaten „nur“ bis zu fünf Prozent der BürgerInnen betroffen sind. Weitere materielle Deprivationsaspekte wie stark mangelhafte Wohnbedingungen oder starke Überbelegung des Wohnraums spielen für junge Menschen in Österreich eine vergleichsweise geringere Rolle (Europäische Kommission, 2015b, S. 67). Betrachtet man die Armuts- und Ausschlussgefährdung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen entlang des Kriteriums des Geburtslandes, so wird deutlich, dass in Österreich eine besondere Verschärfung des Risikos für MigrantInnen besteht. Diese Ungleichheit ist in allen Ländern feststellbar, die Differenz zwischen den beiden Gruppen ist in Österreich jedoch besonders stark ausgeprägt (Europäische Kommission, 2015b, S. 75). Hinsichtlich möglicher Zugangshürden zu medizinischer Versorgung liegt der Anteil von jungen Menschen in Österreich noch etwas geringer als bei der Gesamtbevölkerung. In beiden Gruppen handelt es sich um Raten, die bei 0,3 Prozent der Bevölkerung liegen. Die diesbezügliche Situation lässt sich also nicht mit der osteuropäischen Situation vergleichen, wo in manchen Staaten an die zehn Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben. In praktisch allen EUStaaten haben junge Menschen im Schnitt weniger Zugangshürden zum Gesundheitssystem als ältere Personen. Im Schnitt der EU-28 zeigt sich ein über die letzten Jahre recht stabil liegender Ausschluss von circa 1,5 Prozent der 16- bis 24-jährigen Bevölkerung vom Gesundheitssystem. Interessanterweise sind junge Frauen davon stärker als Männer betroffen (Europäische Kommission, 2015b, S.  68f.), was in Anbetracht der zu vermutenden Begleitprobleme dieses Phänomens (Involvierung in Sexarbeit, erschwerter Zugang zu Kontrazeptiva, psychische Belastungen etc.) besondere Vulnerabilität schafft. In der 17. Shell Jugendstudie zeigt sich unter den Jugendlichen eine zunehmend stärkere Akzeptanz für Zuwanderung und damit eine mögliche Reduktion des sozialen Ausschlusses dieser Personen. Zuwanderung stellt in einer globalisier-

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ten Welt „einen Teil der Wirklichkeit dar, mit der sich jede Nation auseinandersetzen muss“, zudem wird „die Zuwanderung von jungen und hinreichend qualifizierten Personen aus dem Ausland (…) für Deutschland inzwischen als notwendige Voraussetzung zur Gestaltung der Effekte des demographischen Wandels“ beschrieben (Schneekloth, 2015, S.  183). Hinsichtlich der Akzeptanz zeigen sich bei den befragten Jugendlichen erhebliche Ost-West-Unterschiede,97 dennoch gibt es seit 2006 einen einheitlichen Trend zur erhöhten Akzeptanz von Zuwanderung (Shell, 2015a, S. 5). Noch höher fällt die Zunahme der Akzeptanz für die verstärkte Aufnahme von Flüchtlingen auf: Hier sprechen sich 60 Prozent für eine höhere oder gleich hohe Aufnahme aus, während 32 Prozent weniger Flüchtlinge aufgenommen haben wollen (Schneekloth, 2015, S. 187). Auch hinsichtlich sozialer Randgruppen zeigt sich eine tendenziell entspanntere und inklusivere Haltung bei deutschen Jugendlichen. Gruppenbezogene Vorurteile haben sich etwas reduziert, wie die Antworten auf Fragen nach der Ablehnung gewisser Personen als mögliche NachbarInnen belegen (Shell, 2015a, S. 6). Grundsätzlich mehr Vorbehalte weisen Jugendliche mit niedrigeren Bildungsabschlüssen, aus den neuen Bundesländern (unabhängig von der Bildungsposition und der eigenen sozialen Lage) sowie jene auf, die sich als eher rechts oder rechts positionieren (Schneekloth, 2015, S.  185). Eigene Diskriminierungserlebnisse der deutschen Jugendlichen sind leicht rückläufig: 41 Prozent sehen sich nie Diskriminierung ausgesetzt, 46 Prozent ab und zu und 13 Prozent oft. Wahrgenommene Benachteiligungen erfolgen zumeist wegen des Alters (speziell bei 15–17-Jährigen) und aufgrund des Äußeren (männliche und weibliche Jugendliche gleichermaßen) (Schneekloth, 2015, S. 188). In der Gruppe nichtdeutscher Jugendlicher und solcher mit Migrationshintergrund kam es zu einer Zunahme von Diskriminierungserfahrungen (2015: 18 Prozent oft und 49 Prozent ab und zu). Andere mögliche Motive (soziale Herkunft, Religion, politische Überzeugung, Engagement, regionale Herkunft) spielen eine untergeordnete Rolle (Schneekloth, 2015). Im Sechsten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich wird auf Einkommen, Armut und Lebensbedingungen von Jugendlichen in Österreich eingegangen (Till, 2011). Dabei zeigt sich, dass Armut auch ein Jugendthema ist: Ein Viertel aller armutsgefährdeten Menschen in Österreich sind Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 10 und 27 Jahren (ebd., S. 170) 98 . Konkret bedeutet dies, dass immerhin 13 Prozent der jungen Menschen von Einkommensarmut gefährdet sind, was eine leichte Erhöhung zum Armutsrisiko der Gesamtpopulation darstellt (ebd., S. 170). Mädchen und junge Frauen haben mit 15 Prozent ein höheres Gefährdungsrisiko, als Burschen und junge Männer (11 Prozent). Außerordentlich hoch ist die 97 Die von Zuwanderung deutlich geringer betroffenen Bundesländer (vor allem die seit mehr als 25

Jahren als „neu“ bezeichneten) legen hier mehr Ablehnung an den Tag.

98 Spezifischere Aussagen hinsichtlich eines enger gefassten Jugendalters lassen sich aufgrund der Daten-

basis leider nicht machen.

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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Gefährdungsquote bei Jugendlichen in Wien, wo ein Viertel betroffen ist, während in kleinen, stark agrarisch geprägten Gemeinden mit sechs Prozent deutlich weniger Jugendliche armutsgefährdet sind (ebd., S. 171). 99 Die Gruppe, die unter finanzieller Deprivation100 leidet, ist mit 17 Prozent zudem noch etwas größer. Als manifest arm sind fünf Prozent zu bezeichnen (ebd., S. 171): In dieser Gruppe sind Personen erfasst, „die sowohl armutsgefährdet, als auch finanziell depriviert sind“ (ebd., S. 169). Hinsichtlich des Alters bestehen dabei keine auffälligen Unterschiede, sehr wohl aber hinsichtlich der Lebensform: So haben allein lebende Jugendliche und junge Erwachsene sowie Jugendliche und junge Erwachsene, die bereits selbst Eltern sind, ein besonders hohes Armutsrisiko (ebd., S. 173). Der Umstand, Kind einer alleinerziehenden Person zu sein, verdoppelt das Risiko der Armutsgefährdung nahezu (ebd., S.  173). Naheliegender Weise ist Armutsgefährdung vererblich: Jugendliche und junge Erwachsene aus unteren sozialen Schichten weisen ein deutlich höheres Armutsrisiko auf: „Bei Jugendlichen, deren Eltern Hilfsarbeiter oder Hilfsarbeiterin sind, ist das Gefährdungsrisiko fünfmal höher.“ (ebd., S. 176) Fast erwartungsgemäß gibt es auch erhöhte Gefährdungslagen in der ersten und zweiten Zuwanderungsgeneration:101 „Wenn ein oder beide Elternteile die österreichische Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung erhalten haben, ist die Gefährdungsquote (28 %) vier Mal höher als bei Jugendlichen, deren Eltern in Österreich geboren sind (7 %).“ (Till, 2011, S. 176) Das geringste Armutsrisiko haben Jugendliche, die selbst schon erwerbstätig sind und noch im elterlichen Haushalt leben. Zudem sind Personen, die mit beiden Elternteilen leben, welche noch dazu in Österreich geboren wurden und einen hohen Bildungsabschluss aufweisen, deutlich weniger von Deprivation betroffen (ebd., S. 174). Im Berichtsteil zur Verschuldung Jugendlicher (Schoibl, 2011) wird eingangs auf die gesamtgesellschaftliche Veränderung des Konsums von Bedarfsorientierung hin 99 Dieser eklatante Unterschied könnte auch das Resultat von Wanderungsbewegungen armutsgefährde-

ter Personen beziehungsweise Familien in urbane Zentren sein.

100 Wenn ein Haushalt bei mindestens zwei der folgenden Merkmale von deutlichen Benachteiligungen

betroffen ist, gilt dies als finanzielle Deprivation (Till, 2011, S. 169):

- unerwartete Ausgaben zu tätigen - einmal pro Monat Freunde oder Verwandte einzuladen - jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch, Geflügel oder vergleichbare vegetarische Speisen zu essen - neue Kleidung zu kaufen - regelmäßige Rechnungen rechtzeitig zu bezahlen - die Wohnung angemessen warm zu halten - notwendige Arztbesuche zu tätigen 101 Überraschenderweise gilt dies auch fast in gleichem Maß für Zuwanderung aus EU-Staaten: „auch

diese Gruppe ist einem dreimal höheren Risiko ausgesetzt als Jugendliche mit in Österreich geborenen Eltern“ (Till, 2011, S. 176)

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

zu einem symbolischen oder distinktiven Verhalten hingewiesen, dem sich Jugendliche in der Regel nicht entziehen können: „Im Zuge der Modernisierung der westlichen Gesellschaften hat sich in den vergangenen 50 Jahren auch das Konsum- und Finanzverhalten generell verändert. Nicht das Primat des (Über)Lebensnotwendigen dominiert die Motivation für den privaten Konsum. Der symbolische (Marken-)Gehalt gibt dem Konsum eine qualitativ neue Funktionalität auf den Dimensionen Identität, emotionaler Befindlichkeit und (nicht zuletzt) sozialer Positionierung.“ (Schoibl, 2011, S. 155) Statt Sparguthaben genügt im Spätkapitalismus der perspektivische Nachweis der individuellen Bonität, um den gewünschten Standard an Konsumgütern durch Fremdgeld (wie Kredite, Überziehungsrahmen, Ratenzahlungen oder Leasing) zu realisieren. Diese zunehmend stärker verbreitete gesellschaftliche Praxis wird für Schoibl „jedoch nur eher unzureichend durch eine gezielte Qualifizierung bezüglich Finanzierungsformen, unterschiedlichen Formen der Fremdgeldfinanzierung und der Modalitäten zur Bewältigung von Verschuldung abgefedert“ (ebd., S.  155). Seit den 1970ern kann eine zunehmende Privatverschuldung der österreichischen Haushalte beobachtet werden. Für das Jahr 2006 ist von „265.000 ÖsterreicherInnen“ auszugehen, die Schwierigkeiten haben, ihren „Zahlungsverpflichtungen nachzukommen“ (EU-SILC, 2006 zit. n. Schoibl, 2011, S. 155). In einschlägigen Beratungsstellen fällt auf, dass die AdressatInnen zunehmend jünger werden. So war bereits im Jahr 2006 „jede/r Fünfte der überschuldeten Klient/innen der Beratungsstellen in Oberösterreich jünger als 25 Jahre“ (Lehner, 2007 zit. n. Schoibl, 2011, S.  155). Man darf annehmen, dass sich diese Dynamik in den letzten zehn Jahren sicher nicht entspannt hat. Zudem führt der biografisch frühe Einstieg in Schuldenkarrieren oft zur „Verfestigung von problematischem Finanzgebahren“ wie etwa massiver Überschuldung (Schoibl & Rünzler, 1998 zit. n. Schoibl, 2011, S. 155). Obwohl der Konnex „von Konsum- und Finanzkompetenz Jugendlicher und der Ver- bis Überschuldung der Privathaushalte in Österreich (…) tatsächlich nur ansatzweise wissenschaftlich erschlossen“ ist (Schoibl, 2011, S.  156), darf man vermuten, dass eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konsumverhalten, Information über mögliche Gefährdungen und ein Verstärken von Financial Literacy präventive Wirksamkeit entfalten könnten. Besonderes Augenmerk verdienen dabei Jugendliche, die etwaige Gefährdungsmerkmale aufweisen, da entsprechende Kompetenzen nicht zufallsverteilt auftreten, sondern von biografischen Prägungen abhängen: „Konsumverhalten und Finanzkompetenz der Jugendlichen sind wesentlich davon abhängig, ob und inwieweit sie in Kaufentscheidungen der Familie eingebunden werden bzw. über die finanzielle Situation ihrer Eltern Bescheid wissen.“ (Lehner, 2007 zit. n. Schoibl, 2011, S. 157)

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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Jugendliche, deren Eltern selbst auch „einen eher sorglosen Umgang mit Geld“ aufweisen, verschulden sich im Jugendalter deutlich öfter (Schoibl, 2011, S. 157). Ein weiterer Erklärungsansatz liegt laut Lehner (2007) im defizitären Erziehungsverhalten, wenn Konsumangebote (auch) dafür eingesetzt werden, um die Kinder zu beschäftigen und/oder ruhig zu stellen (ebd., S. 157). Schulische Inhalte sind dahingehend bislang wohl nicht sehr wirksam: Nur ein knappes Drittel von befragten SchülerInnen gab an, dass sie im Unterricht „eine gezielte Auseinandersetzung mit Geld, Schulden, Finanzierungsformen etc.“ erlebten (Lehner, 2007 zit. n. Schoibl, 2011, S. 157). Das Schuldenrisiko dürfte grundsätzlich nicht geschlechtsspezifisch gelagert sein, allerdings ist die Verschuldung von jungen Männern tendenziell höher als die von gleichaltrigen Frauen (Schoibl, 2011, S.  159). Besonders gefährdet, in eine Überschuldungsdynamik zu gelangen, sind Jugendliche folgender Gruppen102 (ebd., S. 159): -- Jugendliche mit Migrationshintergrund: „51 % der Vorarlberger/innen mit türkischem/exjugoslawischem Hintergrund haben aktuell einen Kredit zu bedienen (gegenüber einem Anteil von 20 % bei den Österreicher[/]innen); weiters haben 37 % der jungen Migrant/innen aktuell ihr Konto überzogen – bei den Österreicher/innen ist das demgegenüber nur bei jeder Sechsten (17 %) der Fall.“ (Schoibl, 2005 zit. n. Schoibl, 2011, S. 159) -- Jugendliche aus finanziell benachteiligtem Elternhaus:103 Der finanzielle Status der Eltern hat laut Lehner (2007) direkten Einfluss auf das Schuldenrisiko von Jugendlichen, als verschuldete junge Erwachsene überproportional häufig aus Haushalten mit angespannten Finanzen stammen (Schoibl, 2011, S. 159): -- Jugendliche mit prekärem Erwerbsstatus -- Jugendliche, die schon früh Verschuldung eingehen -- Jugendliche mit einem kompensatorischen Konsumverhalten, sowie -- Jugendliche, die sich früh aus dem Elternhaus ablösen wollen/müssen. Regional bestehen bereits präventive Angebote. Diese entstanden aus der Praxisfeststellung von Schuldnerberatungsstellen, dass die Zielgruppe zunehmend jünger wird. Schoibl erwähnt hierbei den „Finanzführerschein“, der „inzwischen im Bundesland Vorarlberg zum Regelangebot in den Pflichtschulen zählt. In partnerschaftlicher Umsetzung werden in altersspezifisch gestalteten Workshopreihen die Schüler/innen auf einen rationalen und wissensgeleiteten Umgang mit Geld vorbereitet.“ (ebd., S.  160).

102 Die beschriebenen Szenarien treten zudem wohl oft gehäuft auf, indem sich mehrere der beschrieben

Gruppenmerkmale in einer Biografie vereinen.

103 Jugendliche, die aus stationären Angeboten der Jugendhilfe kommen, haben üblicherweise wohl eine

ähnliche Gefährdung.

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

Auch in Oberösterreich gibt es mit dem „Schuldenkoffer“ 104 entsprechende Präventionsmaterialien und Kooperationen zwischen Beratungseinrichtungen und Lehrkräften (Lehner, 2007 zit. n. Schoibl, 2011, S.  160). Sowohl in der fehlenden Flächendeckung als auch in der Konzentration auf das schulische Setting liegen dabei aber Probleme, gerade die gefährdeten Gruppen ausreichend mit den nötigen Informationen zu adressieren: „Kritisch ist in der Gesamtschau dieser Bemühungen um Konsum- und Finanzerziehung jedenfalls festzuhalten, dass diese Bildungs- und Präventionsprogramme in Österreich noch keinesfalls flächendeckend eingesetzt werden. Dazu kommt, dass die Konzentration auf die schulische Verbreitung derselben dazu führt, dass Jugendliche aus bildungsfernen Milieus sowie Schul- und Ausbildungsabbrecher/innen mit diesen Angeboten kaum bzw. nicht erreicht werden. Insbesondere Jugendliche, die ein übergroßes Schulden- und Überschuldungsrisiko aufweisen, bleiben damit von der Prävention ausgeschlossen.“ (Schoibl, 2011, S. 160) Neben der evidenzbasierten Planung und formativen Evaluation von daraus abgeleiteten Präventionskonzepten brauche es auch strukturelle Maßnahmen, die den Bankensektor zu einheitlichen Standards verpflichten (Schoibl, 2011, S. 162). Bestehende Angebote der Primärprävention sind auszuweiten und um sekundärpräventive Angebote zu ergänzen, die bereits akut gefährdete Jugendliche adressieren. Hierbei sollten Erfahrungen aus der Suchtprävention herangezogen werden und lebensweltnahe Settings bespielt werden: „Als Beispiele für Ansätze und Angebote der sekundären Prävention kann hier auf die Entwicklung von integrierten Ansätzen der Jugendsozialarbeit in offenen Handlungsfeldern, in der Peerberatung in schulfernen Milieus, der sozialen Gruppenarbeit in der Offenen Jugendarbeit und nachgehenden Angeboten der Eventbegleitung verwiesen werden.“ (ebd., S. 162f.) Um die Relevanz dieser Präventionsansätze zu unterstreichen ist anzumerken, dass die Schuldenproblematik nicht isoliert zu betrachten ist, sondern andere Lebensbereiche massiv negativ beeinflussen kann: Neben der psychischen und damit gesundheitsrelevanten Belastung durch Schulden bergen diese auch das Risiko einer Benachteiligung am Arbeitsmarkt, sobald eine Lohnpfändung im Raum steht. Zudem kann das Vorhandensein von vergleichsweise geringen Konsumschulden bei Jugendlichen ein Gefühl der Ohnmacht und der empfundenen Sinnlosigkeit weiterer Anstrengungen hinsichtlich (Aus-)Bildung hervorrufen. Auffällig ist zudem,

104 Dieser Schuldenkoffer hat deutlich weniger mediale Öffentlichkeit erhalten als der seinerzeitige „Sex-

koffer“, ein Unterrichtsbehelf zum Sexualkundeunterricht.

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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dass das Thema Spielsucht bei Schoibl nicht diskutiert wird, obwohl es hinsichtlich Überschuldung sicherlich einen Risikofaktor darstellt. Laut Siebentem Bericht zur Lage der Jugend in Österreich beträgt die Zahl der armuts- oder ausgrenzungsgefährdeten Personen in Österreich rund 1,6 Millionen Menschen, wobei mehr als ein Viertel dieser Gruppe in der Altersgruppe der 10- bis 29-Jährigen zu finden ist (EU-SILC, 2014 zit. n. BMFJ, 2016, S.  12). Das Gefährdungsrisiko für die Gruppe der 10- bis 29-Jährigen liegt bei 21,6 Prozent und ist damit etwas höher als für den Bevölkerungsdurchschnitt (19,2 Prozent) (BMFJ, 2016, S. 12). Das Armutsgefährdungsrisiko von Jugendlichen mit gesundheitlichen Einschränkungen liegt in etwa im Durchschnitt in dieser Altersgruppe (BMFJ, 2016, S.  51), während Aspekte der Arbeitsmarktferne oder niedrige Bildungsabschlüsse stark zur Erhöhung dieses Risikos beitragen und sich zudem in Nachteilen bei der Wohnsituation, dem Erwerbsleben und der Gesundheit niederschlagen (BMFJ, 2016, S. 52–56). In der Vierten Steirischen Jugendstudie zeigt sich, dass körperliche Gewalt – als eine mögliche Ebene massiver Ausgrenzung – kein aktiv erlebtes Alltagsphänomen darstellt: Der Anteil jener Jugendlichen, die angaben, nie Opfer von Gewalt geworden zu sein, erhöhte sich seit 2007 von 70 auf 75 Prozent. Der Anteil der Jugendlichen, die oft oder sehr oft Gewaltopfer wurden, liegt hingegen konstant niedrig bei drei bis vier Prozent (Scharinger & Ehetreiber, 2014, p. 4f.). Hinsichtlich der verbalen Gewalt „in Form gewalttätiger Kommunikationsmuster“ ergab sich seit 2011 ein Anstieg von 9,6 auf 16 Prozent der Jugendlichen, die angaben, „(sehr) oft mit verletzenden verbalen Übergriffen konfrontiert“ worden zu sein. Auch wenn immerhin 51 Prozent der Jugendlichen äußern, nie von verbaler Gewalt betroffen gewesen zu sein (ebd., 2014, S.  5), sollte dieser Bereich nicht unterschätzt werden, da etwa durch Social Media mit einer Häufung und Intensivierung dieser Problematik zu rechnen ist. Zudem haben immerhin rund vierzig Prozent der Jugendlichen in ihrer Schulklasse Phänomene von Mobbing und Bullying beobachtet (ebd., 2014, S. 5). Entlang von Genderperspektiven zeigt sich, dass das Thema Gewalt nach einem geschlechtssensiblen Zugang verlangt: „Wie in allen Gewaltstudien ist Gewalt aus der Täterrolle bei den jungen Männern häufiger verbreitet als bei jungen Frauen.“ (ebd., S. 5) Neben der Notwendigkeit von Angeboten der Burschenarbeit wird auch der Bedarf nach Angeboten deutlich, von denen Jugendliche mit Migrationshintergrund profitieren, da „wie bereits in den bisherigen Jugendstudien festgehalten [werden muss], dass Jugendliche mit Migrationshintergrund bei Gewalthandlungen häufiger als Opfer, aber auch häufiger als TäterInnen auftreten“ (ebd., S. 5). Diese Bemühungen müssten auch die Aufnahmegesellschaft adressieren, die solchen Jugendlichen oftmals „mit Animositäten und Ressentiments“ begegnet und ihnen „zu geringe Teilhabemöglichkeit an Bildung, Arbeit, Politik und Kultur“ einräumt (ebd., S. 5).

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

5.8.6 Gesundheit und Wohlbefinden In Kapitel 6 Health and Well-Being des EU-Jugendberichts wird vor allem die Ausprägung gesundheitsgefährdender Verhaltensweisen in den Bereichen Rauchen, Alkoholkonsum, Drogen, sexuelles Risikoverhalten, körperliche Inaktivität sowie die Selbstmordstatistik dargestellt und verglichen. Demnach liegt der Schwerpunkt in defizit- und problemorientierten Vergleichen (Europäische Kommission, 2015b, S. 77–90), lediglich eine Dimension des Ländervergleichs – der Mental Well-Being Index – ist positiv ausgerichtet (ebd., S. 90f.). In diesem von der WHO entwickelten Index werden fünf Fragen zur psychischen Verfassung zusammengefasst. Hinsichtlich des mentalen Wohlbefindens zeigt sich, dass junge Menschen – trotz steigender Belastungen durch die Gefahr sozialer Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit105 sowie die Herausforderungen des Statusübergangs – in fast allen untersuchten Ländern laut dem Mental Well-Being Index der Weltgesundheitsorganisation höhere psychische Gesundheit aufweisen als die Durchschnittsbevölkerung (WHO zit n. Europäische Kommission, 2015b, S. 91). Österreich liegt bei allen drei dargestellten Altersgruppen über dem Durchschnitt der EU-28, wobei zudem auffällt, dass die Werte der drei Populationen in Österreich fast deckungsgleich sind, während sie in anderen Staaten zum Teil erheblich divergieren. Ein Aspekt, bei dem in Österreich hingegen Handlungsbedarf besteht, wird durch die Selbstmordrate unter männlichen Jugendlichen aufgeworfen: Hier zeigt sich, dass der Wert doch deutlich über dem Durchschnitt106 liegt Jahr (Europäische Kommission, 2015b, S. 93). Vergleicht man die Werte zudem mit Nachbarstaaten wie Deutschland und Italien, so stellt sich die Frage, welche institutionellen Rahmenbedingungen dort zu einer deutlich niedrigeren Suizidrate beitragen. Erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass die Suizidrate junger Österreicherinnen deutlich unter dem EU-Schnitt liegt. Während die Shell-Studie das Thema Gesundheit nicht gesondert aufgreift, findet sich im 14. Deutschen Kinder- und Jugendbericht ein interessanter Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Gesundheit und familialen Ressourcen. Die Familienkonstellation hat entlang des familiären Wohlstandes einen erheblichen Einfluss auf die gesundheitliche Lage: „Im Vergleich mit der „klassischen“ Kleinfamilie ist eine alleinerziehende Vaterschaft bzw. eine alleinerziehende Mutterschaft mit einem höheren Risiko für eine niedrige Gesundheitseinschätzung, eine geringere Lebenszufriedenheit, multiple wiederkeh105 Erschütternd ist in diesem Zusammenhang die fünfzigprozentige Steigerung der Suizidrate unter

griechischen Jugendlichen im Vergleich von 2007 und 2012, die sicherlich mit der ökonomischen Situation in Zusammenhang gebracht werden muss. 106 Dieser Durchschnittswert ist durch nord- und/oder osteuropäische Staaten sowie Irland mit sehr hohen Werten recht stark verzerrt.

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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rende Gesundheitsbeschwerden sowie einer unterdurchschnittliche mentale Gesundheit belastet (…).“ (Erhart & Ravens-Sieberer, 2008 zit. n. BMFSFJ, 2013, S. 150) Unterschiede werden durch „häufigere Probleme in der familiären Kommunikation sowie eine schwächere elterliche Unterstützung in schulischen Aspekten bzw. als Nachwirkungen einer elterlichen Partnerschaftsproblematik“ erklärt (BMFSFJ, 2013, S. 151). Auch hinsichtlich des Gesundheitsaspekts im Ernährungsverhalten werden ähnliche Zusammenhänge beschrieben (ebd., S. 151). Der Sechste Bericht zur Lage der Jugend in Österreich räumt dem Thema Gesundheit viel Platz ein, wobei kritisch anzumerken ist, dass die Gesundheitsthematik schon von der Kapitelbenennung her (Kapitel 5: „Gesundheit – riskantes Verhalten – Delinquenz“) in einem tendenziell problematisierenden Kontext beleuchtet wird. Die Gesundheit der Jugend in Österreich als Grundlage für politische Maßnahmen wird ausgehend von der WHO-Definition von Gesundheit als „körperliches, geistiges und soziales Wohlbefinden“ (WHO, 1948 zit. n. Dür, Griebler & Hojni, 2011, S. 275) als zentraler gesellschaftlicher Produktivfaktor dargestellt, dessen Förderung an den Schnittstellen zwischen Menschen und sozialen Systemen ansetzen muss. Dafür werden im Berichtsteil mehrere bestehende Studien zur Einschätzung des Gesundheitsverhaltens Jugendlicher (HBSC Studie 2006, österreichische Gesundheitsbefragung 2006/07, European Social Survey, Kärntner Jugendgesundheitsbericht 2006, Studie zur Gesundheit von Lehrlingen 2001) vergleichend dargestellt. Als Ergebnis zeigt sich, dass sich subjektive Gesundheit und Lebensqualität der 11bis 29 Jährigen auf einem mittleren bis hohen Niveau befinden (Dür, Griebler & Hojni, 2011, S.  276f.). Eine passagere Beeinträchtigung der Lebensqualität zeichnet sich zwischen dem 13. und 15. Lebensjahr ab: Hier muss eine suboptimale Passung zwischen den Lebensrealitäten im familiären sowie im Schulkontext mit den Herausforderungen des Erwachsenwerdens sowie in der Gleichaltrigengruppe vermutet werden. Neben dieser vorübergehenden Reduktion der wahrgenommenen Lebensqualität zeigt sich, dass junge Frauen ihren Gesundheitszustand insgesamt als schlechter wahrnehmen: „In allen Altersgruppen, aber verstärkt nach dem 13. Lebensjahr, stufen die Mädchen bzw. Frauen ihre Gesundheit signifikant schlechter ein als Burschen bzw. junge Männer.“ (Dür, Griebler & Hojni, 2011, S. 277) Während die 11- bis 15-Jährigen vor allem psychosomatische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Nervosität äußern, berichten die 15- bis 29-Jährigen zunehmend auch von körperlichen Beschwerden (vor allem im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule), während psychische Belastungen zurückgehen: „Dies weist darauf hin, dass nach der Pubertät die anhaltenden einseitigen Belastungen durch überwiegend sitzende Tätigkeiten in Schule, Freizeit und Beruf, gepaart

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

mit zu wenig ausgleichender Bewegung ihre ersten Auswirkungen zeigen.“ (Dür, Griebler & Hojni, 2011, S. 278) Das Bewegungsverhalten reduziert sich ab dem 13. Lebensjahr drastisch: Bei den 15-Jährigen entspricht nur mehr jedeR zehnte Jugendliche dem empfohlenen Ausmaß von gesundheitsfördernder körperlicher Betätigung, bei den über 15-Jährigen üben drei Viertel nur mehr einmal pro Woche sportliche Bewegung aus (ebd., S. 281). Auch das Ernährungsverhalten verschlechtert sich mit zunehmender Ablösung vom Elternhaus, von einem ohnedies schon geringen Ausgangsniveau: „Gesund ernähren sich nur ca. 20 % bis 30 % der unter 15-Jährigen, indem sie täglich Obst und Gemüse zu sich nehmen. Dies nimmt jedoch zwischen dem 11. und 15. Lebensjahr mit zunehmendem Alter ab. (…) Hierin zeigt sich ein Effekt, der durch die Ablösung vom Elternhaus und die freiere Gestaltung des Essens bedingt ist.“ (Dür, Griebler & Hojni, 2011, S. 282) Hinsichtlich Nikotinkonsum zeigt sich, dass „Österreichs Jugendliche (…) bereit (sic!) sehr früh ihre ersten Erfahrungen mit dem Tabak“ machen. Auch beim Alkohol ist „das Einstiegsalter (…) mit durchschnittlich 13 Jahren bereits sehr niedrig und verschärft sich noch in seiner Problematik, da die Jugendlichen bereits mit 14 Jahren das erste Mal „ernsthaft“ betrunken waren und jeder [gemeint sind hier aber auch weibliche Jugendliche, Anm.] 5. 13- bis 15-Jährige mindestens zweimal diese Erfahrung gemacht hat“ (ebd., S. 283). Allen derartigen Lebensstilentscheidungen ist gemeinsam, dass das im frühen Jugendalter etablierte „Konsumverhalten über die Adoleszenz hinaus in das Erwachsenenalter übernommen wird“ (ebd., S. 283). Vielversprechende Ansatzpunkte der Gesundheitsförderung im Jugendalter werden im Ausgleich ungünstiger familiärer Schichteffekte sowie in Maßnahmen zur Verbesserung der physischen und sozialen Bedingungen in der Umwelt gesehen. Dieser Setting Approach, „der individuelle mit strukturellen Maßnahmen verbindet“, kann „über die Familien aber auch vor allem über Einrichtungen für Jugendliche (Gastbetriebe, Jugendzentren, Jugendorganisationen) erreicht werden“ (ebd., S. 283). Konkret wird empfohlen: -- Für Familien der unteren Einkommensstufen sind leichtere Zugänge zu Einrichtungen der Kinderbetreuung von besonderer Bedeutung, da sie Alltagsstress und ökonomischen Druck von der Familie nehmen. -- Für Jugendliche sind „sozialarbeiterisch betreute Einrichtungen auf Gemeindeebene von Bedeutung“. In diese Richtung könnten auch Sport- und Freizeitvereine entwickelt werden, die in Gesundheitsförderungsmaßnahmen der Gemeinde einzubeziehen sind bzw. TrägerInnen solcher Maßnahmen werden.107 107 Dafür gibt es zahlreiche Beispiele, wie das sehr positiv evaluierte Projekt Weekend Night Sports, das in

der Steiermark von der Sportunion unter Einbindung lokaler Jugendarbeitsstrukturen mit Mitteln

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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-- spezielle Maßnahmenpakete für Jugendliche etwa hinsichtlich der Dimensionen Verkehr und Arbeitslosigkeit -- Schule kommt bei der Gesundheit der Jugendlichen eine Schlüsselrolle zu, „da sie nicht nur unmittelbare Wirkungen auf die Gesundheit hat, sondern im Sinne des Lernens und Einübens (health literacy; gesundheitsbezogene Alphabetisierung) auch langfristige Wirkungen für das Gesundheitsverhalten im späteren Leben“ entfaltet. -- Lehrlinge sind über die Berufsschulen nicht ausreichend zu erreichen, sondern sollten direkt an ihrem Arbeitsplatz angesprochen werden. „Hier empfiehlt sich der systematische Auf- und Ausbau betrieblicher Gesundheitsförderung mit einem speziellen Fokus für die jüngsten Arbeitnehmer/innen.“ -- Wie auch für die Gesamtbevölkerung gilt bei Jugendlichen, dass eine „umfassende, kongruente Gesamtpolitik am erfolgreichsten sein wird, die nicht einzelne Maßnahmen hier und dort, sondern eine konzeptuell zusammengehaltene Gesundheitspolitik macht“ (ebd., S. 289). Suchterkrankungen stellen in Österreich „eine gravierende Gesundheitsbelastung“ 108 dar (Sting, 2011, S. 309). Das epidemiologische Ausmaß unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist dabei aber nur schwer abschätzbar, zumal derartige Phänomene oftmals überproportional im Kontext des Jugendalters thematisiert werden und damit auf diese Gruppe problematisierend projiziert werden: „Neue Verhaltensphänomene im Bereich des Substanzkonsums, des Mediengebrauchs oder der sozialen Praktiken, die sich in der Gesamtbevölkerung ausbreiten, werden schnell mit einem auf Kinder und Jugendliche bezogenen Problemdiskurs verknüpft.“ (Sting, 2011, S. 309) Die oftmals auffälligen Konsumpraktiken109 Jugendlicher sowie die Vermutung, dass im Jugendalter eine Festlegung des Lebensstils erfolgt, bilden die Legitimation besonderer Schutz- und Kontrollmaßnahmen für die als besonders gefährdet erachteten Jugendlichen (ebd., S. 309). Grundsätzlich darf man – trotz der schwierigen Abgrenzung von bloßem Konsum und manifestierter Sucht – davon ausgehen, dass Sucht kein spezifisches Phänomen des Jugendalters ist. Trotz alarmistischer Debatten um binge drinking Jugendlicher und zunehmenden Alkoholkonsum junger Frauen liegt der akute Handlungsbedarf nicht auf dieser Gruppe:

des Fonds Gesundes Österreich realisiert wurde. 108 „Nach Schätzungen sind ca. 850.000 Österreicher/innen von einer Nikotinabhängigkeit, 350.000 von

einer Alkoholabhängigkeit, 10–60.000 von pathologischem Spielverhalten („Spielsucht“) und 20–30.000 von einer Opiatabhängigkeit betroffen (vgl. Seyer u. a. 2008).“ (Sting, 2011, S. 309) 109 Mitunter wohl durch den bloßen Umstand bedingt, über keine Raumressourcen zu verfügen, über die autonom verfügt werden kann.

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

„Die Bevölkerungsgruppe mit den höchsten Raten an Alkoholabhängigkeit sind die 50–59-jährigen Männer (vgl. Seyer u. a . 2008, 9).“ (Sting, 2011, S. 310) Dennoch gibt es „Indizien dafür, dass sich das Bedürfnis nach Rauscherfahrungen bei Jugendlichen im Kontext des gesellschaftlichen Wandels verstärkt“ (ebd., S.  313). Sowohl beim Alkohol- als auch beim Tabakkonsum zeigt sich zudem eine Vorverlagerung des ersten Kontaktes mit den diversen Substanzen. Dieser frühere Einstieg wird „durch die biographische Vorverlagerung der Jugendphase“ erklärt (ebd., S. 310). Im internationalen Vergleich sind der Alkoholkonsum österreichischer Jugendlicher (ebd., S. 311) sowie der Anteil von RaucherInnen unter Jugendlichen sehr hoch: „Unter den 41 an der HBSC-Studie beteiligten Ländern steht Österreich bei den 15-Jährigen an dritter Stelle (Currie et al. 2008, 121).“ (Sting, 2011, S. 310) Eine besonders vulnerable Gruppe stellen jene geschätzt 18 Prozent der Jugendlichen dar, die aus alkoholbelasteten Familien stammen (ebd., S.  311). Neben der nahezu flächendeckend vorhandenen Erfahrung mit Alkohol110 „spielt der Konsum illegaler Drogen eine relativ geringe Rolle“ (Sting, 2011, S.  311). Mehrere Studienergebnisse legen nahe, dass es sich dabei meist um Probierkonsum handelt (ebd., S. 311), der selten ins Erwachsenenalter fortgeführt wird und noch seltener problematische Formen annimmt. „Die am häufigsten konsumierte illegale Droge ist Cannabis“ (ebd., S.  311), wobei sich laut ÖBIG (2008) „das Substanzenspektrum beim Experimentierkonsum verbreitert hat“ (Sting, 2011, S. 312). Zu substanzungebundenen Suchtformen (z. B. pathologisches Spielverhalten oder Internetgebrauch) lagen bis 2011 in Österreich „noch keine substantiellen Untersuchungen“ vor (ebd., S. 312). Eine schon ältere Studie geht von für die Schweiz von „3,2 Prozent internetsüchtigen Jugendlichen und einer doppelt so großen Gruppe diesbezüglich gefährdeter Jugendlicher“ aus (Hahn & Jerusalem, 2001 zit. n. Sting, 2011, S. 312). Eine später erfolgte Untersuchung für die Steiermark kommt hingegen auf eine deutlich geringere Rate111 von internetsüchtigen und diesbezüglich gefährdeten Jugendlichen (Lederer-Hutsteiner & Hinterreiter, 2012). Suchtprävention wurde in Österreich in den letzten Jahrzehnten professionalisiert und umfasst ein Spektrum verschiedener Zugänge: „Am meisten verbreitet sind in Österreich Aktivitäten zur Lebenskompetenzförderung, die auf die Stärkung von Selbstwert und Selbstwirksamkeit, auf die Förderung sozialer und kommunikativer Kompetenzen sowie auf Widerstandsfähigkeit 110 „97 % der Österreicher/innen ab 14 Jahren sind alkoholerfahren.“ (Sting, 2011,S. 310) 111 Eine repräsentative Befragung unter 2.186 steirischen SchülerInnen aus dem Jahr 2012 geht hingegen

von deutlich niedrigeren Prävalenzen aus: „Insgesamt sind 0,8 % der SchülerInnen als internetsüchtig und weitere 2,6 % als internetsuchtgefährdet zu bezeichnen. Somit ergibt sich bei 3,4 % der SchülerInnen eine mehr oder wenige (sic!) dysfunktionale Internetnutzung.“ (Lederer-Hutsteiner & Hinterreiter, 2012, S. 12)

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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und Bewältigungsfertigkeiten zielen. Lebenskompetenzprogramme werden bereits im Kindergarten- und Volksschulalter eingesetzt; es finden sich aber auch Umsetzungen für das Jugendalter. (Sting, 2011, S. 316) Die Konzentration dieser Bemühungen auf das Schulsetting wird als problematisch erachtet, da sie sehr selektiv wirksam seien und gerade „Heranwachsende in sozial benachteiligter Lebenslage mit einem erhöhten Risiko der Ausbildung selbst- und fremdschädigender Verhaltensweisen“ kaum erreichen (Bauer, 2005 zit. n. Sting, 2011, S.  316). In der Offenen Jugendarbeit sowie im außerschulischen Bereich generell „sind derartige Präventionsangebote wenig beliebt und werden in Österreich auch kaum umgesetzt“ (ebd., S. 316f.). Jugendadäquate Suchtprävention sollte „eine stärkere Zielgruppendifferenzierung vornehmen und den Erfahrungshintergrund der Jugendlichen berücksichtigen“, indem „eine Abkehr vom ‚klinischen Blick‘ bei Jugendlichen mit ‚normalem‘, entwicklungsadäquatem Konsumverhalten zugunsten übergreifender entwicklungs- und bildungsbezogener Thematisierungsformen“ erfolgt (ebd., S.  320). Dies könnte in Form von positiven, kompetenz- und erlebnisorientierten Ansätzen wie „risflecting“ erfolgen, „das auf die entwicklungsfördernde Integration von Rausch- und Risikoerfahrungen und auf die Förderung einer verantwortungsvollen Genusskultur zielt“ (ebd., S.  319; vgl. dazu auch Koller, 2005). Solche Zugänge stärken zudem „eine Enttabuisierung und breitere Beschäftigung mit dem Thema Rausch in der pädagogischen Arbeit mit Jugendlichen“ (Sting, 2011, S. 320). Diese Entstigmatisierung braucht es auch für die spezifischen Präventionskonzepte „für die kleine Gruppe der Problemkonsument/innen“ und die verstärkte Etablierung von Unterstützung spezifischer Zielgruppen, wie etwa Jugendlicher mit Migrationserfahrung (ebd., S. 320). Hinsichtlich jugendlicher Sexualität wird, ähnlich wie bei der Suchtthematik, festgehalten, dass der diesbezügliche Forschungsstand in Österreich „immer noch spärlich“ sei (Neudecker & Valtl, 2011, S. 295). Die vorhandenen Hinweise lassen den Schluss zu, dass „der Großteil der heutigen Teenager Sexualität verantwortungsbewusst lebt – sogar verantwortungsbewusster als die Generationen zuvor“ (Neudecker & Valtl, 2011, S. 304). Der Mangel an Studien zur Jugendsexualität in Österreich besteht hingegen für Deutschland nicht, wo breit angelegte quantitative Studien auch Aussagen über Entwicklungen und Trends ermöglichen. Großteils fokussieren diese Studien zur Jugendsexualität jedoch stark auf das Alter und die Erfahrungen beim ersten Geschlechtsverkehr, was mitunter kritisch als „verkürzte Sichtweise“ angesehen wird (Kromer, 1999 zit. n. Neudecker & Valtl, 2011, S. 297). Die Mehrheit der Jugendlichen schätzt sich selbst zwar „in sexuellen Angelegenheiten als aufgeklärt ein“, das konkret abgefragte Wissen über Verhütung und mögliche Risiken bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr ist jedoch in mehreren deutschen Studien als nicht flächendeckend vorhanden erwiesen (Neudecker & Valtl, 2011, S. 299). Als Instanzen der Aufklärung und Information zum Thema Sexualität werden zahlreiche Quellen genannt – die meisten sind dabei im persönlichen Umfeld der Jugendlichen angesiedelt:

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

„Für beide Geschlechter sind Gespräche die wichtigste Aufklärungsquelle, gefolgt von Zeitschriften bei Mädchen und der Schule bei Burschen. Burschen sammeln ihre Kenntnisse häufiger als Mädchen durch eigenes Ausprobieren, Fernsehen und sexualpädagogische Vorträge – vor allem aber durch Pornografie (41 % der Jungen vs. 5 % der Mädchen). Die wichtigsten Gesprächspartner/innen sind für beide Geschlechter Freund/innen (75 % der Befragten) sowie die eigene Mutter (45 % der Mädchen, 24 % der Jungen). Eine wichtige Rolle spielen für je rund 20 % auch der derzeitige Partner bzw. die Partnerin sowie Lehrer/innen. Die Väter sind nur für 18 % der männlichen und 8 % der weiblichen Befragten von Bedeutung, was v. a . bei den Jungen ein starkes Defizit an männlichen Leitfiguren deutlich werden lässt. (Neudecker & Valtl, 2011, S. 299) Neben – mehr oder weniger tauglichen – medialen Inhalten werden als außerfamiliäre Instanzen LehrerInnen und AnbieterInnen sexualpädagogischer Inhalte genannt, was nahelegt, die Schule als Instanz der sexuellen Aufklärung keinesfalls zu unterschätzen. Das Informationsbedürfnis Jugendlicher wird als sehr stark beschrieben: „84 % der Befragten wünschen sich mehr Information, vor allem über sexuelle Praktiken, Geschlechtskrankheiten, Beziehung und Schwangerschaftsabbruch – gerade jene Themen, die in der schulischen Sexualpädagogik unterrepräsentiert sind.“ (ebd., S.  299). Hinsichtlich Verhütung scheint die Information überwiegend gut zu gelingen: So „lässt sich feststellen, dass der Anteil nicht oder unsicher verhütender Jugendlicher rückläufig ist“ (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2006 zit. n. Neudecker & Valtl, 2011, S. 301). Zudem gehen die Zahlen von sehr junger Mutterschaft zurück: „Im Jahr 2008 waren nur 7 Mütter der 77.742 in Österreich geborenen Kinder unter 15 Jahren (sic!) alt (0,009 %).“ (Statistik Austria, 2009 zit. n. Neudecker & Valtl, 2011, S. 302) Auch der Anteil der 15- bis 19-jährigen Mütter nimmt ab, liegt dabei aber immer noch höher als etwa in Deutschland, Frankreich oder der Schweiz (United Nations Population Fund, 2008 zit. n. Neudecker & Valtl, 2011, S. 302). Hinsichtlich der abgebrochenen Schwangerschaften lassen sich keine genauen Angaben machen, es kursieren Schätzungen, wonach knapp zwei Prozent der 15- bis 19-Jährigen eine Abtreibung vornehmen ließen. Besonders betroffen von einer möglichen Teenage-Schwangerschaft112 sind „Mädchen, die eine schlechtere Schulbildung haben, sozial benachteiligt sind oder früh sexuell aktiv werden“ (ebd., S. 302). Hinsichtlich der Betroffenheit Jugendlicher durch sexualisierte Gewalt fehlen für Österreich aussagekräftige und repräsentative Studien (ebd., S. 302). Sexualpädagogische Angebote sollten speziell für drei Gruppen Jugendlicher spezifisch weiterentwickelt und angeboten werden (ebd., S. 303f.):

112 Diese sind einer deutschen Studie zufolge zu neunzig Prozent ungeplant (Mathiesen et al., 2009 zit. n.

Neudecker & Valtl, 2011, S. 302)

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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-- Jugendliche aus den ländlichen Regionen, da diese von den bisher bestehenden Angeboten nicht ausreichend erreicht werden. „Hier eröffnen sich v. a . durch die Nutzung Neuer Medien aktuelle Chancen.“ -- Jugendliche mit Migrationshintergrund sind oftmals in konflikthaften Situationen, wenn sie aus Kontexten stammen, in denen noch traditionelle Sexual- und Geschlechterordnungen vorherrschen. Sie „übernehmen diese Ordnungen oder fügen sich ihnen (…). Oder sie übernehmen die Werte oder Vorstellungen ihrer deutschen Peers und geraten dann in heftige innere oder familiäre Konflikte“. (Schmidt, 2005 zit. n. Neudecker & Valtl, 2011, S. 303) Daher bedarf es eines kultursensiblen Vorgehens, um diese Spannungen abzubauen und die betroffenen Personen stärken zu können. -- Mädchen, die früh sexuelle Erfahrungen machen, weisen im Vergleich eine Summe an weniger positiven Erlebnissen und Einschätzungen auf.113 „Sie stellen eine besonders vulnerable Gruppe dar, die noch besser erforscht werden muss, damit deutlich wird, wie sie am besten unterstützt werden kann.“ (ebd., S. 304)

Neben einer stärkeren wissenschaftlichen Fundierung und Evidenzbasierung der Angebote bedarf es auch einer kontinuierlichen und gesicherten öffentlichen Finanzierung. Dies ist bislang nicht immer der Fall und führt zum Abbruch bewährter Angebote und hoher Fluktuation der MitarbeiterInnen (Schmied & Riedl, 2008 zit. n. Neudecker & Valtl, 2011, S.  305). Eine verstärkte Investition in Sexualpädagogik „verhindert nicht nur Teenager-Schwangerschaften und Geschlechtskrankheiten, sondern dient dazu, die gesamte Entwicklung junger Menschen nachhaltig zu unterstützen“ (ebd., S. 304). Um diese ganzheitliche Unterstützung der Entwicklung zu realisieren, sollten sinnvollerweise auch mehrere Kompetenzbereiche miteinander verknüpft werden: „Sexualpädagogische Bemühungen bedürfen einer ganzheitlichen Konzeption: In Anbetracht der Bedeutung von Sexualität in den Medien für die Aufklärung ist die Vermittlung von Medienkompetenz (z. B . das Unterscheiden verlässlicher und nicht verlässlicher Quellen) von hoher Bedeutung. Das mediale Überangebot an Sexualität macht es auch erforderlich, Heranwachsende dabei zu unterstützen, nicht nur fremde und unrealistische Normen zu übernehmen, sondern eigene Werthaltungen zu entwickeln.“ (Neudecker & Valtl, 2011, S. 305) Im Siebenten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich wird festgehalten, dass das Jugendalter, „was die generelle Gesundheit betrifft, nicht als Problemalter aufzufassen“ sei (BMFJ, 2016, S. 13). Im Vergleich zu den Erwachsenen weisen die Jugendlichen 113 Sie „kannten ihren ersten Sexualpartner im Vergleich zu älteren Mädchen häufiger kaum oder nicht, halten

im Nachhinein den Zeitpunkt des ersten Geschlechtsverkehrs eher für zu früh, informieren ihre Mütter seltener darüber, verhüten häufiger durch bloßes ‚Aufpassen‘, haben ein schlechteres Körperempfinden und waren häufiger noch nicht bei der Frauenärztin bzw. beim Frauenarzt (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2006) und empfinden häufiger negative Gefühle in Bezug auf das ‚erste Mal‘ als ältere Mädchen (Weidinger/Kostenwein/Drunecky, 2001).“ (Neudecker & Valtl, 2011, S. 303f.)

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

in den Datenanalysen im Mittel bessere Werte auf – dies zeigt sich auch in Bezug auf das Risiko einer Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit (BMFJ, 2016, S.101). Gleichzeitig sind aber einige Problembereiche auszumachen, wie etwa die im Jugendalter erhöhte Unfallgefahr, eine höhere Tendenz zu Rauschtrinken, Allergien und Untergewicht (BMFJ, 2016, S. 13). Außerdem können in Bezug auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität Risikogruppen identifiziert worden wie (naheliegender Weise) Jugendliche mit chronischen Krankheiten, Jugendliche mit Migrationshintergrund, Jugendliche die keinen Sport machen und Jugendliche mit starken Gewichtsabweichungen von der Norm (Über- wie Untergewicht). All diese Faktoren sind mit einer niedrigen gesundheitsbezogenen Lebensqualität assoziiert (ebd.). Herausforderungen für die Jugendinformationsarbeit zeigen sich zudem im Bereich Gesundheitskompetenz. Die sogenannte Health Literacy von SchülerInnen wurde durch die individuelle Einschätzung der eigenen Kompetenz hinsichtlich bestimmter Aufgaben erfasst. Dabei zeigt sich ein uneinheitliches Bild der Zustimmungsraten: Die Jugendlichen sehen sich am wenigsten dazu in der Lage, herauszufinden, an wen man sich bei psychischen Herausforderungen wenden kann. Während etwa jede fünfte Schülerin oder Schüler Schwierigkeiten hat, hilfreiche Informationen bei psychischen Problemen zu finden ist es nur für etwa fünf Prozent schwierig, Informationen über ungesunde Lebensweisen zu verstehen oder compliant bei einer allfälligen Medikamenteneinnahme zu sein (BMG 2015 zit. n. BMFJ, 2016, S. 102). 5.8.7 Politische Partizipation Im siebenten Kapitel (Participation in democratic life) des EU-Jugendberichts wird dargestellt, dass circa ein Drittel der jungen EU-BürgerInnen an Politik interessiert ist. In den einzelnen Mitgliedsstaaten zeigen sich jedoch erhebliche Unterschiede (Europäische Kommission, 2015b, S.  95). Auffällig ist das augenscheinliche Politikdesinteresse in vielen osteuropäischen Staaten. Bedauerlicherweise liegen für den Ländervergleich nicht ausreichend Daten vor, um der Hypothese nachgehen zu können, ob die Wirtschaftskrise in besonders betroffenen Ländern zu einer Politisierung der Jugend führte. Zumindest im Fall Spaniens zeigt sich eine Verdoppelung des Politikinteresses (Europäische Kommission, 2015b, S. 95). Besonders ausgeprägt und vergleichsweise konstant ist das Politikinteresse bei den jungen SkandinavierInnen, den NiederländerInnen, BritInnen und Deutschen. Für Österreich liegt lediglich ein Wert aus dem Jahr 2002 vor: Damals gab die Hälfte der Befragten an, sich für Politik (sehr) zu interessieren. Dieser Wert lag damals im absoluten Spitzenfeld. Daten zum Wahlverhalten österreichischer Jugendlicher aus den Jahren 2011 und 2014 zeigen ebenso das hohe politisches Interesse junger ÖsterreicherInnen: Nur junge SchwedInnen und BelgierInnen nehmen in ähnlich starkem Ausmaß an kommunalen, regionalen, nationalen oder EU-Wahlen teil (Europäische Kommission, 2015b, S. 98). Dementsprechend ist es auch nicht verwunderlich, dass Schwe-

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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den und Österreich besonders hohe Aktivität Jugendlicher im Umfeld von politischen Parteien verzeichnen. Im Bericht wird von „Membership of political parties“ gesprochen, das dazu dargestellte Datenmaterial bezieht sich jedoch offensichtlich nicht auf Parteimitgliedschaft, sondern lediglich auf Teilnahme an Aktivitäten von politischen Parteien, wie aus der Legende der dazugehörigen Abbildung (Europäische Kommission, 2015b, S. 100) deutlich wird. Unabhängig davon, wie die Schere zwischen Überschrift und angegebenem Fragewortlaut geschlossen werden kann, ist festzuhalten, dass Österreich (wiederum neben Schweden) besonders heraussticht, was die Erreichung junger Menschen durch politische Parteien betrifft – trotzdem ist parteipolitisches Engagement nur bei einem Zehntel der jungen Menschen gegeben. Dazu zeigt sich, dass die Werte in Österreich sowie in den meisten anderen EU-Ländern zwischen den Jahren 2011 und 2014 jeweils erheblich divergieren, während der EU-Schnitt nur ganz leicht zunimmt. Hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses werden keine nach Staaten differenzierten Werte dargestellt, jedoch wird angemerkt, dass junge Frauen in der EU generell weniger oft von politischen Parteien erreicht werden: „(…) they are 50 % less likely to become active in such organisations than men of the same age“ (Europäische Kommission, 2015b, S. 100). Weiters werden im Bericht zusätzliche Formen des Ausdrucks politischen Willens dargestellt: Teilnahme an öffentlichen, politischen Demonstrationen, Boykott von Waren, Unterzeichnen einer Petition, Anbringen beziehungsweise Tragen von Aufklebern oder Buttons politischer Kampagnen (ebd., S.  102–104). Während für Österreich leider keine derartigen Zahlen vorliegen, zeigt sich ein durchaus heterogenes Bild entlang der verschiedenen Artikulationsformen, nämlich dass junge Menschen einzelner Länder ein höheres politisches Aktions­potenzial entfalten: „Some countries appear to register higher levels of youth participation in these activities than others. In general, young people in Germany, Denmark, Ireland, Spain, France, the Scandinavian countries (Finland, Sweden, and Norway) and Iceland 114 tend to engage more in these modes of political participation than their peers in the rest of Europe.“ (Europäische Kommission, 2015b, S. 103) Interessanterweise zeigt sich eine hohe Teilnahme an den genannten Aktivitäten neben den skandinavischen Staaten (inklusive Dänemark) auch in Irland und Spanien, wo die Finanzkrise und damit einhergehende soziale Probleme für Jugendliche besonders deutlich spürbar wurden. Zu Beginn des Kapitel 10 des EU-Jugendberichts (Youth and the World) wird zudem auf Aktivitäten eingegangen, die Jugendliche im Alltag setzen, um die Umwelt zu schützen und den Klimawandel zu bekämpfen. Dabei zeigt sich bei den 114 Die Aufzählung ist nicht nur nach geografischen Kriterien, sondern auch nach inhaltlichen Gesichts-

punkten ohne Dänemark nicht korrekt.

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

16- bis 30-Jährigen im Schnitt der EU-28, dass nur ein Prozent der Befragten keinerlei derartige Maßnahmen ergreift, während Mülltrennung sowie Reduktion des Wasser-115 und Energieverbrauchs im eigenen Wohnbereich sehr populär sind. Drei Viertel der Jugendlichen trennen systematisch Abfälle und zwei Drittel achten zu Hause auf Sparsamkeit bei Wasser und Strom (Europäische Kommission, 2015b, S. 126). Während also ein großer Teil der jungen EuropäerInnen im Alltag Handlungen zum Klima- und Umweltschutz setzt, zeigt sich eine vergleichsweise geringe Aktivität in einschlägigen NGOs. Nur knapp mehr als drei Prozent der 15- bis 30-Jährigen haben sich in einem derartigen Kontext engagiert, wobei die Zahlen sogar ganz leicht rückläufig sind (Europäische Kommission 2015b, S. 127). Für Österreich zeigt sich dabei ein höherer Wert und eine Steigerung von 2011 auf 2014, dennoch wird nicht einmal jedeR zwanzigste junge ÖsterreicherIn von einer solchen NGO für Aktivitäten erreicht. Für Menschenrechts- und Entwicklungszusammenarbeitsorganisationen zeigt sich ein durchaus ähnliches Bild. Diese erreichten 2013 im Durchschnitt etwas mehr als vier Prozent der jungen EU-BürgerInnen und circa fünf Prozent der jungen ÖsterreicherInnen (Europäische Kommission, 2015b, S. 128). Generell zeigen sich bei den Themen Umwelt- und Klimaschutz sowie Menschenrechte/Entwicklungszusammenarbeit keine größeren Geschlechterunterschiede: Beide Themenkomplexe erreichen in etwa gleich viele junge Männer wie Frauen (ebd., S. 129). Hinsichtlich des Alters der von NGOs erreichten Personen zeigt sich eine deutlich höhere Erreichbarkeit von jungen Erwachsenen im Vergleich zu Personen unter 20 Jahren (ebd., S. 129). In der aktuellen Shell-Studie wurden für Deutschland ähnliche Dimensionen der Teilnahme an politischen Aktivitäten außerhalb von etablierten politischen Insti­tutionen wie im EU-Jugendbericht (Europäische Kommission, 2015b, S. 102– 104) abgefragt. Dabei zeigte sich, dass 56 Prozent der Befragten schon an einer oder mehreren diesbezüglichen Aktivitäten teilgenommen haben: 34 Prozent haben die Aktionsform Aus politischen, ethischen oder Umweltgründen bestimmte Waren nicht mehr gekauft gewählt, mehr als ein Viertel hat Onlinepetitionen (27 Prozent) sowie Unterschriftenlisten (26 Prozent) unterzeichnet, 23 Prozent haben an einer Demonstration teilgenommen. 14 Prozent sind themenbezogen Aufrufen gefolgt, zehn Prozent engagieren sich in BürgerInneninitiativen, vier Prozent in politischen Gruppen und Parteien, drei Prozent waren bei Blockaden oder Besetzungen aktiv (Schneekloth, 2015, S. 198). Diese Aktionsformen wurden erstmals erhoben, wodurch sich keine Aussagen hinsichtlich einer allfälligen Veränderung machen lassen. Was das allgemeine Politikinteresse betrifft, so zeigt sich seit 2002 eine kontinuierliche Steigerung des Ausgangswertes von 30 Prozent (Shell, 2015a, S. 5). 2015 liegt der Anteil der Jugendlichen in Deutschland, die sich selbst als politisch interessiert bezeichnen bereits bei 41 Prozent. Mit Blick auf die besonders hohen Werte jugendlichen 115 Die mit Abstand wirkungsvollste Verhaltensweise, um den Wasserverbrauch zu reduzieren, nämlich

auf den Konsum von Fleisch und tierischer Produkte zu verzichten, wurde leider nicht abgefragt.

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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Politikinteresses in den Jahren um die deutsche Wiedervereinigung spricht Schneekloth von einer Trendwende hin zur „Repolitisierung“ der deutschen Jugendlichen (Schneekloth, 2015, S. 155). Ältere, männliche und besser gebildete Jugendliche bezeichnen sich nach wie vor tendenziell öfters als politisch interessiert (Shell, 2015, S. 5; Schneekloth, 2015, S.  159). Das artikulierte politische Interesse hat jedoch in allen gesellschaftlichen Schichten zugenommen: Besondere Zugewinne zeigen sich dabei bei Gruppen, deren Interesse bis dato schwach ausgeprägt war (beispielsweise Jugendliche mit niedrigen oder mittleren Bildungsabschlüssen). Auch die Schere zwischen männlichen (47 Prozent) und weiblichen politikinteressierten Jugendlichen (35 Prozent) schließt sich zunehmend (Schneekloth, 2015, S. 160f.). Informationen über Politik suchen Jugendliche vor allem online (29 Prozent), im Fernsehen (28 Prozent) und Tageszeitungen (16 Prozent), während fast zwei Drittel der Jugendlichen angeben, sich nicht aktiv Informationen zu beschaffen (ebd., S.  163). Hinsichtlich der als relevant erachteten Politikbereiche dominieren Kinder und Familie, Bildung, Wissenschaft, Forschung sowie Soziale Sicherung, Rente, während das Thema Arbeitsmarkt sehr stark an Bedeutung verloren hat. Auch wenn die verschiedenen Aspekte wohl zu komplex miteinander verflochten sind, um ernsthaft einzeln abgefragt und gereiht werden zu können, zeigt sich eine überwiegende Kontinuität in der Zuschreibung der prioritären Bereiche durch die Jugendlichen (Shell, 2015a, S. 4). Im 14. Deutschen Kinder- und Jugendbericht wird politische Beteiligung als „zentrale[r] Bereich benannt, in den sich junge Menschen im Verlaufe der Übergänge in das Erwachsenenalter integrieren müssen“ (BMFSFJ, 2013, S.  227). Die Analyse der politischen Partizipation Jugendlicher beschränke sich in der Regel zumeist auf institutionalisierte Formen der politischen Partizipation, während „jugendkulturell ausgeprägte Formen von Protest, Beteiligung und widerständiger Raumaneignung junger Menschen weitgehend ausgeblendet“ (ebd., S. 228f.) werden. In jugendkulturellen Praxen der Ästhetisierung und Identitätsbehauptungen seien jedoch oftmals auch politische Aufladungen enthalten (Wächter, 2011), die von der Jugendforschung nicht immer als solche erkannt werden. Für die AutorInnen stellt sich daher die Frage, ob „die im öffentlichen Diskurs dominante Behauptung des sich angeblich beschleunigenden Trends einer ‚Politikverdrossenheit‘ unter Jugendlichen“ haltbar ist (BMFSFJ, 2013, S. 228). Anhand der Studienlage „erweisen sich Bildung und Elternhaus als die stärksten Einflussfaktoren auf das politische Interesse junger Menschen“ (BMFSFJ, 2013, S. 228). Zudem ist kein linearer Rückgang des Politikinteresses messbar, sondern vielmehr eine diesbezügliche Verstärkung seit der Jahrtausendwende. Dies zeigt sich zwar nicht in so punktuellen Befunden wie der Entwicklung von Mitgliedszahlen von Parteien, jedoch in der Einschätzung des Vertrauens in einzelne wahlwerbende Gruppen, wo Jugendliche differenzierte und positivere Einschätzungen abgeben als Erwachsene (BMFSFJ, 2013, S. 229). In Hinblick auf das politische und zivilgesellschaftliche Engagement zeigt die Studienlage eine konstant hohe Beteiligung Jugendlicher:

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

„Insgesamt gibt es keinerlei empirische Anzeichen dafür, dass sich junge Menschen von öffentlichen Belangen und Politik abwenden und sich in zunehmendem Maße aus dem öffentlichen Raum zurückziehen würden.“ (BMFSFJ, 2013, S. 231) Auch im Sechsten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich wird die Politische Partizipation von Jugendlichen in Österreich thematisiert (Zeglovits & Schwarzer, 2011). Dabei wird mit aktiver BürgerInnenschaft ein „sehr weite[r] Begriff politischer Partizipation“ herangezogen, der sich nicht nur in öffentlichen oder sonstigen Wahlen erschöpft, sondern „von einem sehr weiten Politik- bzw. Demokratiebegriff ausgeht, sodass unterschiedliche Phänomene in das Blickfeld rücken, die auf den ersten Blick nicht als politisches Handeln und politische Aktivität gelten würden, z. B . politisches Konsumverhalten“ (ebd., S. 255). Diese aktive BürgerInnenschaft soll speziell für Jugendliche folgende Dimensionen umfassen (Torney-Purta et al., 2008 zit. n. Zeglovits & Schwarzer, 2011, S. 256): -- „politisches Wissen im engeren Sinne und ‚civic competencies‘ im weiteren Sinne, -- die Fähigkeit, politische Kommunikation interpretieren zu können, -- Vertrauen in politische Institutionen, -- politische Selbstwirksamkeit, -- demokratische Werte und Einstellungen zur Demokratie sowie -- die politische Teilnahme im schulischen Kontext“ 116

Eltern, FreundInnen, Schule und Medien werden als die „vier Haupteinflussfaktoren in der politischen Sozialisation, die die Grundsteine für die aktive Teilnahme oder Nicht-Teilnahme legen“, genannt (Zeglovits & Schwarzer, 2011, S. 256). Während Schule einerseits ein Kanal der Wissensvermittlung ist, kann dort andererseits mitunter auch Demokratie erlebt und persönliche politische Erfahrung gesammelt werden. Medien nehmen hingegen eine für die Informationsvermittlung bedeutende Rolle ein. Für den Erwerb politischen Wissens braucht es neben der Informatonsvermittlung auch Fähigkeiten zur Einordnung und Deutung, die oftmals vom persönlichen Umfeld mitgeprägt werden. In der Selbsteinschätzung ihres Informationsniveaus sind Jugendliche durchaus „selbstkritisch“ (GfK_Austria, 2007 zit. n. Zeglovits & Schwarzer, 2011, S. 261). Hier stellt sich die Frage, ob und auf welche Weise zusätzliche Instanzen, wie beispielsweise Angebote der Jugendarbeit oder der Jugendinformation, stärker wirksam als lebensweltnahe Informationsquellen und Impulsgeber für die Auseinandersetzung mit politischen Fragen fungieren könnten. Die Teilhabe Jugendlicher an politischen Prozessen könne auf drei Wegen gefördert werden, indem man:

116 Gleichermaßen mitzudenken wären hier sicherlich auch betriebliche Kontexte sowie alle Formen der

Jugendarbeit.

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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„(i) die Jugendlichen in ihren Kompetenzen stärkt, etwa durch politische Bildung, (ii) ihr Interesse weckt oder (iii) sie ganz einfach fragt bzw. diejenigen Organisationen und Institutionen stärkt, die das üblicherweise tun, wie etwa die Einrichtungen der schulischen und außerschulischen Jugendarbeit, oder Vereine im traditionellen Sinn, Gewerkschaften, soziale Bewegungen, aber auch Kampagnen und Initiativen“ (Zeglovits & Schwarzer, 2011, S. 257) Diese verstärkte Involvierung ist auch durch die Herabsetzung des Wahlalters gelungen (ebd., S.  270).117 Auch die Ergebnisse der damals aktuellen österreichischen Studien zur politischen Partizipation von Jugendlichen weisen auf einen positiven Effekt dieser Maßnahme hinsichtlich der Steigerung des politischen Interesses hin (ebd., S.  259–269). Die Wahlbeteiligung der 16- bis 18-Jährigen wird als ähnlich hoch angenommen wie „im gesamten Elektorat“, wobei SchülerInnen eine höhere Beteiligung angeben als Lehrlinge und junge Erwerbstätige (ebd., S.  270). Jugendliche mit Migrationshintergrund werden ebenfalls als tendenziell politisch weniger interessiert beschrieben (ebd., S. 271). Für diese beiden Gruppen „kommt der außerschulischen Jugendarbeit (…) eine ganz besondere Bedeutung zu“, da sie über Schule und Medien weniger stark erreicht werden (ebd., S. 271). Im Siebenten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich wird festgehalten, dass „das Interesse Jugendlicher an Politik in den letzten Jahren keine grundlegenden Änderungen erfahren“ hat (BMFJ, 2016, S. 13). Damit scheint die Festsetzung einer vergleichsweise geringen Ausprägung gemeint zu sein: In der Erhebung unter 15bis 30-Jährigen ÖsterreicherInnen zeigen sich nur 9 Prozent als sehr interessiert und weitere 23 Prozent als interessiert, 41 Prozent hingegen als kaum interessiert und 28 Prozent als gar nicht interessiert (ebd.). Trotzdem seien „die Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht politisch inaktiv, sie nutzen aber offenbar andere Partizipationsangebote als Wahlen oder Abstimmungen. So sind Petitionen oder Boykotte aber auch die Mitarbeit in Organisationen interessante Angebote für junge Menschen.“ (ebd.) Gegenüber institutioneller Politik scheint eine hohe Skepsis zu bestehen, die mit steigendem Alter der Jugendlichen weiter zunimmt (Kritzinger, Zeglovits & Oberluggauer, 2013 zit. n. BMFJ, 2016, S. 67). Als positiv wird hingegen wahrgenommen, dass die „Teilnahme Jugendlicher an schulischen oder außerschulischen Aktivitäten Einfluss auf das persönliche Interesse an Politik“ zeigt, wodurch die StudienautorInnen die Bedeutung von Politischer Bildung für die Aufrechterhaltung des demokratischen Bewusstseins und der Partizipationsbereitschaft begründet sehen (BMFJ, 2016, S. 13). Wie bereits in den Vorgängerstudien der Vierten Steirischen Jugendstudie „bleibt das Interesse der steirischen Jugendlichen an Politik bescheiden“ (Scharinger & Ehetreiber, 2014, S. 7). Vierzig Prozent der Jugendlichen interessieren sich für Politik – der Wert liegt damit auf dem gleichen Niveau wie in der aktuellen Shell-Studie (Shell 117 Auch die Einführung des Schulfaches Politische Bildung (im Rahmen von Geschichte/Sozialkunde)

für die achte Schulstufe wird als förderlich erachtet (Zeglovits & Schwarzer, 2011, S. 271).

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

Deutschland Holding, 2015a, S. 5), wo aber im Gegensatz zu den steirischen Ergebnissen eine zunehmende Tendenz festzustellen ist und dieser Wert als hoch erachtet wird. Ein knappes Viertel der steirischen Jugendlichen ist ausdrücklich desinteressiert an Politik. Mehr als ein Drittel hat (eher) nicht vor, an den nächsten Wahlen teilzunehmen (ebd., S.  7). Ein nicht unerheblicher Teil der Jugendlichen (19 Prozent) würde einen Alleinherrscher dem derzeitigen Modell der (repräsentativen) Demokratie vorziehen. Gleichzeitig steigen aber auch das Vertrauen der Jugendlichen bezüglich der zugeschriebenen Lösungskompetenz eines demokratischen Systems, die Akzeptanz für die Herabsetzung des Wahlalters und vor allem das positive Europa-Bewusstsein (von 38 Prozent im Jahr 2009 auf 64 Prozent, ebd., S. 7), was als Anzeichen einer steigenden Polarisierung unter den Jugendlichen gedeutet werden kann. Diese Kluft zwischen politikaffineren Jugendlichen und solchen, die sich vom demokratischen System gar nicht vertreten fühlen und sich dementsprechend nicht beteiligen wollen, gilt es zu verringern. 5.8.8 Freiwilliges Engagement Im achten Kapitel (Voluntary Activities) des EU-Jugendberichts wird deutlich, dass die Teilnahme junger österreichischer Menschen an organisierten freiwilligen Aktivitäten im EU-Vergleich durchschnittlich ausgeprägt ist. Etwa ein Viertel der jungen Menschen zeigt ein solches formales freiwilliges Engagement. In Ländern wie Dänemark, den Niederlanden und Irland, wo besonders hohe Ausprägungen erreicht werden, beteiligen sich an die circa 40 Prozent der 15- bis 30-Jährigen in Freiwilligenorganisationen (Europäische Kommission, 2015b, S. 109). Die Altersgruppe der 15- bis 30-Jährigen ist hierbei wohl ein zu breiter Ausschnitt: Während freiwilliges Engagement am unteren Ende der Altersgruppe noch durch Zugänge in Ausbildungsinstitutionen oder im Rahmen von Offener und Verbandlicher Jugendarbeit begünstigt werden kann, besteht bei den knapp 30-Jährigen durch Erwerbsarbeit und oftmals auch familiäre Verpflichtungen ein ganz anderes Zeitbudget. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass es bei jungen Menschen über alle 28 EU-Staaten hinweg betrachtet eine Abnahme des freiwilligen Engagements mit fortschreitendem Lebensalter gibt (Europäische Kommission, 2015b, 109). Hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung der Aktivitäten überwiegen die Bereiche Charity, humanitarian and development aid und Education, training or sport, in denen ungefähr 40 Prozent der Befragten tätig sind oder waren. Kunst- und Menschenrechtsaktivitäten sowie Religion sind für 12 bis 15 Prozent der Befragten relevante Inhalte. Politische Gruppen sowie Tier-, Umwelt- und Klimaschutzorganisationen sind für jeweils knapp zehn Prozent der Rahmen des freiwilligen Engagements. 98 Prozent der aktiven Jugendlichen waren in ihrem eigenen Land tätig und nur zwei Prozent verknüpften freiwilliges Engagement mit Auslandserfahrungen. In einzelnen EU-Staaten wie dem vereinigten Königreich, Irland, Luxemburg und

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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Bulgarien sind in manchen Jahren immerhin bis zu sechs Prozent der jungen Menschen im Ausland aktiv gewesen (Europäische Kommission, 2015b, S. 111). In der 17. Shell Jugendstudie zeigt sich, dass persönliches Engagement (Aktiv sein für soziale und politische Zwecke oder ganz einfach für andere Menschen im Alltag) leicht rückläufig ist: Die Werte jener, die sich nie engagieren, nehmen zu (2015: 28 Prozent), während diejenigen, die sich oft derart einbringen, auf 34 Prozent zurückgegangen sind (Schneekloth, 2015, S.  193). Zurückzuführen sind diese Zahlen besonders auf den Rückgang des Engagements bei jüngeren Jugendlichen und solchen, die in Bildungseinrichtungen (Schulen und Universitäten) sind (ebd., S. 195f.). Dies wird mit dem zunehmenden Zeitmangel, den gerade auch Jugendliche mit höheren Bildungsambitionen erleben, erklärt. Daher ergibt sich die Herausforderung, entsprechende Angebote leichter zugänglich zu machen und auch so zu gestalten, dass diese besser an formale Bildungsangebote angekoppelt werden können (etwa durch Service Learning/Lernen durch Engagement sowie durch Anrechenbarkeit als Praktikum und dergleichen). Im 14. Deutschen Kinder- und Jugendbericht wird ausgeführt, dass freiwilliges Engagement meist eine organisatorische Anbindung aufweist und in der Regel gemeinschaftlich-kooperativ ausgeübt wird. Ähnlich wie politische Partizipation eröffnet freiwilliges Engagement Jugendlichen Möglichkeiten der Mitgestaltung des örtlichen bzw. überörtlichen Gemeinwesens und bietet vielfältige Lern- und Kompetenzerwerbsmöglichkeiten (BMFSFJ, 2013, S. 231). Freiwilliges Engagement bezieht sich dabei auf außerfamiliäre und gemeinwohlorientierte Tätigkeiten. Die zweite Einschränkung ist dahingehend wichtig, um „die dunkle Seite der Zivilgesellschaft“ (Roth, 2004 zit. n. BMFSFJ, 2013, S. 231) abzugrenzen. Hierbei kämen Spielarten eines freiwilligen Engagements in „kriminellen Vereinigungen, mafiaähnlichen Netzwerken und rechtsextremistischen Kameradschaften und Gruppierungen“ in Betracht (BMFSFJ, 2013, S. 231). Das freiwillige Engagement Jugendlicher118 ist konstant hoch ausgeprägt. In der Betrachtung der Zeitpunkte 1999 und 2009 gab es nur geringe Rückgänge, sodass etwas mehr als ein Drittel in der Definition des Freiwilligen-Surveys als engagiert gelten darf (ebd., S.  233). Zudem zeigt sich, dass speziell die 20- bis 24-Jährigen dem freiwilligen Engagement eine sehr wichtige Rolle in ihrem Leben einräumen, was „die These von einem Strukturwandel des Engagements hin zu einem unverbindlicher werdenden, zeitlich befristeten Engagement“ in Frage stellt: Drei Viertel der freiwillig Engagierten sind regelmäßig tätig (ebd., S. 233), knapp achtzig Prozent können sich vorstellen „ihr ehrenamtliches und freiwilliges Engagement noch auszuweiten und weitere Aufgaben zu übernehmen, wenn sich etwas Interessantes bietet“ (ebd., S. 235). Auffällig ist der merkbare Rückgang des freiwilligen Engagements bei Studierenden (ebd., 2013, S.  235). Diese Entwicklung dürfte sich durch die zuneh118 Durch starke Zuwächse bei den SeniorInnen gelten diese nun als die aktivste Altersgruppe hinsicht-

lich freiwilligen Engagements (BMFSFJ, 2013, S. 232).

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

mende Verschulung und intensivere Taktung der Studiengänge noch verschärfen. Große Potentiale hinsichtlich freiwilligen Engagements bestehen bei Jugendlichen mit geringen Bildungsabschlüssen sowie mit Migrationshintergrund: deren soziale Benachteiligungslage wirkt sich hemmend auf freiwilliges Engagement aus (ebd., S. 237). Weibliche Jugendliche sind im freiwilligen Engagement leicht überrepräsentiert, in der Phase zwischen 20 und 35 Jahren fallen sie jedoch leicht zurück, was mit der stärkeren zeitlichen Beanspruchung entlang traditioneller Familienrollen erklärt wird (ebd., S. 237f.). Hinsichtlich der Tätigkeitsfelder, die für junge Menschen die höchste Attraktivität aufweisen, zeigt sich eine Nähe zum persönlichen Lebensumfeld. In Sport, Musik und Kultur, Bildung und Schule, Feuerwehr und Rettungsdiensten sowie zuletzt vermehrt im kirchlichen Bereich sind junge Menschen besonders aktiv. Gemessen an der Gesamtbevölkerung sind sie hingegen im sozialen und Gesundheitsbereich, der beruflichen Interessenvertretung, bei lokalen bürgerschaftlichen Aktivitäten sowie in Politik und Parteien unterrepräsentiert (ebd., S. 234). Im Sechsten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich wird der Anteil der 15bis 19-Jährigen, die sich formell freiwillig engagieren, mit 31,4 Prozent angegeben (Heimgartner, 2011, S.  424) und liegt damit über dem EU-Schnitt (Europäische Kommission, 2015b, 109). Österreichische männliche Jugendliche engagieren sich dabei stärker als weibliche Gleichaltrige (Differenz 11,2 Prozent). Zudem ist „in Gegenden mit geringem Urbanisierungsgrad“ der Anteil beteiligter Jugendlicher stärker ausgeprägt als in urbanen Räumen (Differenz 16,6 Prozent) (Heimgartner, 2011, S. 424). Bei der Betrachtung nach Altersgruppen fällt – wie auch im EU-Schnitt – auf, dass das freiwillige Engagement nach dem 19. Lebensjahr abnimmt. Das größere Engagement in den Regionen wird durch strukturelle Unterschiede erklärt, da „(…) in Städten verschiedene Leistungen hauptamtlich abgedeckt werden, die am Land mit freiwilligem Engagement erbracht werden (z. B . Freiwillige Feuerwehr)“ (ebd., S.  424f.). Als Erklärung für die Abnahme bei den über 19-Jährigen dürfen wachsende Verpflichtungen durch Ausbildung, Berufstätigkeit, (eigene) Familie sowie auch Wohnortswechsel vermutet werden. Hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung des freiwilligen Engagements dominieren in Österreich folgende Bereiche: Kunst, Kultur, Unterhaltung und Freizeit (9,1 Prozent der 15- bis 29-Jährigen beteiligen sich in diesem Bereich), Katastrophenhilfs- und Rettungsdienste (8,2 Prozent), Sport und Bewegung (7,5 Prozent) sowie kirchlicher und religiöser Bereich (5,1 Prozent) (ebd., S.  425). Die zentralen Motive für das freiwillige Engagement sind, dass es Spaß macht, um Menschen zu treffen und Freunde gewinnen, um etwas dazuzulernen sowie um anderen zu helfen. Das Motiv, über freiwilliges Engagement die eigene berufliche Karriere zu befördern, ist leicht gestiegen aber insgesamt immer noch weniger bedeutend (ebd., S.  426). Neben dem positiven Effekt, den das freiwilliges Engagement auf die berufliche Entwicklung haben kann, erwähnt Heimgartner auch die Gefahr, „durch freiwilliges Engagement in prekäre Lebensverhältnisse zu schlittern“ (ebd., S. 425). Diese Problematik möglicher Selbstausbeutung gelte es im

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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Auge zu behalten. Finanziell unterstützte Formen des sozialen Engagements könnten hier ein struktureller Beitrag zur Verbesserung der Situation sein.119 Noch höher liegen die Zahlen, die der Siebente Bericht zur Lage der Jugend in Österreich wiedergibt: Demnach ist fast jedeR zweite ÖsterreicherIn freiwillig engagiert, „wobei die Beteiligungsquote an der Freiwilligenarbeit bei der Gruppe der 15- bis 29-Jährigen bei 43 % liegt“ (BMASK, 2015 zit. n. BMFJ, 2016, S.  69). Die größten Ausprägungen von freiwilligen Engagement im formalen Bereich sind bei Sportund Bewegungsorganisationen (29 %), Katastrophenhilfs- und Rettungsdiensten (27 %), sowie im Umwelt-, Natur- und Tierschutz (22 %) gegeben (ebd.). 5.8.9 Kulturelle Teilhabe und kreative Betätigung In Kapitel 9 des EU-Jugendberichts (Culture and Creativity) wird die Teilnahme junger EU-BürgerInnen an verschiedenen Kultur- und Freizeitaktivitäten dargestellt. Dabei zeigen sich EU-weit recht ähnliche Zugänge, wobei junge Menschen in Österreich vergleichsweise stark in solche Aktivitäten eingebunden sein dürften (Europäische Kommission, 2015b, S. 115–117). Noch aufschlussreicher als die Teilnahmeraten sind wohl die Gründe für das Nichtteilnehmen an kulturellen Veranstaltungen. Hier zeigt sich, dass der Besuch von Konzerten und Kinos oftmals an finanziellen Hürden scheitert, während der Besuch von Theatern, Museen und Ballett vor allem aus mangelndem Interesse nicht erfolgt (ebd., S. 119). Das Nichtvorhandensein derartiger Angebote ist für circa zehn Prozent der Befragten der ausschlaggebende Grund. In den seltensten Fällen (zwischen einem und vier Prozent) scheitert es hingegen an fehlenden Informationen. Geld-, Zeit- und Interessemangel sind also deutlich ausschlaggebender für die Nichtteilhabe junger Menschen an kulturellen Veranstaltungen als Informations- oder Angebotsmangel (Europäische Kommission, 2015, S. 119). Der Besuch von Einrichtungen der Jugend(kultur-)arbeit sowie von Sportvereinen weist im EU-weiten Vergleich große Unterschiede auf. Am stärksten nachgefragt sind Sportvereine (Europäische Kommission, 2015b, S. 117). Hier zeigt sich, dass ein knappes Drittel aller jungen EU-BürgerInnen in den letzten 12 Monaten in diesem Kontext aktiv war. In Österreich liegen die Werte geringfügig über dem Durchschnitt. Die Länder mit der höchsten Aktivitätsausprägung sind Belgien, Deutschland, Dänemark, Irland, Frankreich und die Niederlande, wo 2011 an die 60 Prozent aller Jugendlichen erreicht werden konnten. Im EU-Schnitt ist von 2011 auf 2014 ein leichter Rückgang zu verzeichnen, dieser Trend zeigt sich auch in Österreich (ebd., S. 117). Bei der Nutzung von Jugendclubs, organisierten Freizeitaktivitäten und Jugendorganisationen aller Art zeigt sich ein ähnliches Bild: Die Nutzung geht von 2011 119 Eine andere Welt ist möglich: Idealweise könnte durch ein bedingungsloses Grundeinkommen die

Entfaltung von Engagement verbessert werden, indem das Primat der Erwerbsarbeit dadurch zugunsten von zivilgesellschaftlich wertvoller Arbeit in den Hintergrund rückt.

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

auf 2014 sowohl im EU-Schnitt als auch in Österreich zurück, wobei Österreich 2014 im EU-Schnitt liegt (Europäische Kommission, 2015b, S. 118). Im Jahr 2011 nützte noch mehr als jedeR fünfte Jugendliche beziehungsweise junge Erwachsene in Österreich ein solches Angebot, während es im Jahr 2014 nur mehr circa 17 Prozent waren. Konstant gut besucht werden diese Angebote in Belgien, Irland, Luxemburg und dem Vereinigten Königreich, wo ungefähr ein Viertel aller Jugendlichen erreicht wird (ebd., S. 118). Auch bei Kulturorganisationen zeigt sich ein drastischer Rückgang der Inanspruchnahme. Vom Spitzenwert der EU im Jahr 2011 mit 21 Prozent kam es zu einer Halbierung der Zahl von in Österreich durch Kulturorganisationen erreichten Personen. Auch im EU-Schnitt wurde 2014 nur mehr jedeR zehnte junge EU-BürgerIn in einer solchen Institution aktiv. Die Länder, in denen es konstant gelingt, immerhin knapp jedeN FünfteN zu erreichen, sind Belgien, Tschechien und Luxemburg (ebd., S. 118): Die teilweise sehr starke Abnahme der Teilhabe junger EU-BürgerInnen wird von den VerfasserInnen des Berichts mit der dramatischen Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation speziell für junge Menschen in der EU erklärt, die alle Lebensbereiche erfasst: „It seems likely that the economic crisis affecting the European continent over recent years, which has exacted a high economic and social price in several countries, has played a part. Plummeting levels of employment and the growing financial insecurity suffered by many Europeans, in particular the younger generation, have meant that many do not have the means to enjoy cultural events. As discussed in the chapter on Social Inclusion, the last few years have seen a dramatic worsening in the social conditions of significant segments of the youth population, which reflects in all areas of life.“ (Europäische Kommission, 2015b, S. 118) Hinsichtlich der Geschlechtsverteilung der NutzerInnen derartiger Angebote liegen keine detaillierten Zahlen auf Ebene der Staaten vor. Man darf aber annehmen, dass die EU-Durchschnittszahlen von der Tendenz her auch für Österreich gelten. Während die Sportvereine eindeutig mehr männliche Personen erreichen (36 Prozent der jungen EU-Bürger und nur 21 Prozent der jungen Frauen), nähert sich das Geschlechterverhältnis bei den Jugend- und Freizeitorganisationen an (18 Prozent der jungen Männer und 14 Prozent der jungen EU-Bügerinnen). Bei Kulturorganisationen ist die Reichweite zwar deutlich geringer, dafür das Geschlechterverhältnis mit jeweils 10 Prozent der jungen EU-BürgerInnen ausgeglichen (ebd., S. 119). Zur kulturellen Teilhabe Jugendlicher gibt es für Österreich keine empirisch gestützten Aussagen. Ausgehend von den vermuteten ungleichen Zugangschancen Jugendlicher zu kulturellen Angeboten beschreibt Eva Häfele im Sechsten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich die Wichtigkeit und mögliche Ansatzpunkte von Kulturarbeit im Kontext der Jugendarbeit:

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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„Kulturarbeit in der Jugendarbeit verfolgt generell das implizite Ziel, die Teilhabe der Jugendlichen an der Gesellschaft und ihren kulturellen Angeboten zu erweitern. Gleichzeitig sollen durch spezielle Angebote Randgruppen erreicht werden, deren kulturelles Kapital entfaltet, denen aber ebenso kulturelles Kapital zur Verfügung gestellt werden soll.“ (Häfele, 2011, S. 472) Wer zu diesen Randgruppen gehört, lasse sich mangels entsprechender Daten nicht exakt bestimmen. Vier Ungleichheitsebenen werden von der Autorin „plausibel vermutet“: -- sozialräumliche Ungleichverteilung: „Die wenigen Großstädte verfügen über ein konzentrierteres und kontinuierlicheres Angebot als semiurbane Ballungsräume, und die immer noch über ein besseres als viele ländliche Gebiete.“ (Häfele, 2011, S. 472) -- Bildung als abhängige Variable der sozialen Schicht und eines allfälligen Migrationshintergrunds -- Gender, denn „Mädchen sind bei der Nutzung kultureller Angebote aktiver“ (Institut für Jugendkulturforschung, 2007 zit. n. Häfele, 2011, S. 472) -- Jugendliche mit speziellen Bedürfnissen und dem Bedarf einer barrierefreien Umgebung finden schwerer Zugang zu kulturellen Angeboten. Häfele regt daher an, die Kooperationen von „klassischen Kultureinrichtungen“ mit Einrichtungen der Verbandlichen und Offenen Jugendarbeit zu verstärken, um „den Zugang zu neuen Zielgruppen zu gewinnen (Audience Development)“ (Häfele, 2011, S. 474). Idealerweise werden durch die bessere Vernetzung auch „gemeinsam Angebote für Jugendliche entwickelt und Wege zu deren Vermittlung gefunden“ (Häfele, 2011, S. 474). Neben dem Ausbau der Kulturarbeit für Jugendliche mit Migrationshintergrund muss die interkulturelle Kompetenz der Orte für Freizeit, Bildung- und Kultur – von Museen über Verbände bis zu Jugendzentren – gestärkt werden, damit „der kulturelle Horizont migrantischstämmiger Jugendlicher erweitert“ und „deren eigenes kulturelles Kapital in neuen Umgebungen entwickelt werden“ kann. Dies soll auch „durch vermehrte Zusammenarbeit mit migrantischen (Kultur-)Vereinen geschehen, die sich für Jugendliche engagieren“ (Häfele, 2011, S. 474). Die Rolle der JugendarbeiterInnen beziehungsweise der (ehrenamtlichen) MitarbeiterInnen in der verbandlichen Jugendarbeit soll durch „kulturpädagogische Basisausbildung“ (abzielend auf „Methoden der Programmentwicklung und der Programmumsetzung in neuen sozialen Handlungsfeldern“) ebenso gestärkt werden wie die der Jugendlichen. Diese sollen die erworbenen Kompetenzen mit einer „formellen Bestätigung“ 120 nachweisen können (Häfele, 2011, S. 475).

120 Vorbilder dafür sind der britische Arts Award und der deutsche Kompetenznachweis Kultur.

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

5.8.10 Internet und Medienkompetenz Die Nutzung des Internets ist für die allermeisten EU-BürgerInnen eine Selbstverständlichkeit im Alltag geworden. Von 2011 auf 2014 ist der Anteil jener, die das Internet täglich nützen, von 80 auf knapp 90 Prozent gestiegen (Europäische Kommission, 2015b, S.  121). Österreich lag 2011 knapp über dem EU-Durchschnitt, 2014 hingegen knapp darunter. Rumänien liegt als einziges Land eklatant unter den Werten der übrigen EU-Staaten, hat aber einen starken Zuwachs: 2011 nützten 50 Prozent das Internet täglich, 2014 waren es bereits zwei Drittel. Neben den skandinavischen Staaten (Island und Norwegen liegen im gesamteuropäischen Vergleich mit über 95 Prozent voran) haben die baltischen Staaten die höchsten Raten beim täglichen Internetgebrauch (ebd., S. 121). Während der Gebrauch von Computern von 2011 auf 2014 leicht zurückgeht, steigt die tägliche Nutzung des Internets an, was durch die stärkere Verbreitung von Smartphones und Tablets erklärt werden kann. Diese zunehmende Tendenz zeigt sich auch in der Differenzierung nach formalen Bildungsabschlüssen in allen Gruppen ähnlich (Europäische Kommission, 2015b, S. 122). Neben der Frage nach der bloßen Nutzung von Computer und Internet wurde auch nachgefragt, ob komplexere Anwendungen wie etwa das Anlegen einer .zipDatei, das Erstellen und Verschieben von Dateien, das Installieren eines Modems oder Eingaben in einer Programmiersprache vorgenommen wurden. Hier zeigen sich auf Länderebene stärkere Unterschiede als bei der Angabe der Nutzungsfrequenz: Circa zwei Drittel der jungen BürgerInnen der baltischen Staaten, Finnlands und Portugals gaben 2014 an, fünf oder mehr dieser Anwendungen durchgeführt zu haben. Die jungen ÖsterreicherInnen liegen mit 51 Prozent knapp über dem EU-Schnitt (Europäische Kommsission, 2015b, S. 121). Differenziert man auch hier wieder nach drei Gruppen formaler Bildungsabschlüsse, so zeigt sich für Österreich ein relativ geringer digital divide (Europäische Kommsission, 2015b, S. 123). Personen, deren höchster Bildungsabschluss die Sekundarstufe I ist, weisen im europäischen Vergleich einen recht hohen Wert auf: Fast die Hälfte dieser Personen hat über reine AnwenderInnenkenntnisse hinausgehende Kompetenzen. Bei der höchsten Bildungskategorie, die auf Absolventinnen tertiärer Bildungseinrichtungen Bezug nimmt, liegt der Wert bei knapp über 60 Prozent und damit deutlich hinter den diesbezüglich führenden Ländern wie etwa den baltischen Staaten (Europäische Kommsission, 2015b, S. 123). 121 Im Vergleich zum EU-Schnitt weisen junge Menschen in Österreich also ein deutlich homogeneres Niveau der Computerkenntnisse auf, während dieses andernorts stärker vom formalen Bildungsniveau determiniert wird: 121 Für die skandinavischen Staaten liegen leider keine Zahlen hinsichtlich der Gruppe des tertiären Bil-

dungssektors vor, was mit der recht niedrig angesetzten Obergrenze der untersuchten Population (bis 24 Jahre) zu tun haben könnte.

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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„On average, almost twice as many young individuals who have attained a high level of formal education possess good computer skills compared to individuals with a lower level of attainment.“ (Europäische Kommission, 2015b, S. 122) Hinsichtlich der kreativen Schöpfung und Gestaltung eigener Inhalte im Internet liegen keine Zahlen auf nationaler Ebene vor. Es zeigt sich jedoch, dass diese Aktivitäten in einem deutlich höheren Ausmaß von Jugendlichen und jungen Erwachsenen als von älteren Bevölkerungsgruppen betrieben werden Europäische Kommission, 2015b, S. 124). Die 17. Shell-Jugendstudie widmet sich dem Thema Freizeit und Internet sehr ausführlich (Leven & Schneekloth, 2015, S.  111–151). Nahezu alle deutschen Jugendlichen sind demnach im Internet aktiv. Die „Online-Vollversorgung“ der deutschen Jugendlichen stellt sich wie folgt dar: 99 Prozent verfügen über Internetzugang, im Schnitt ist jedeR JugendlicheR 18,4 Stunden pro Woche online (Shell, 2015, S.  6; Leven & Schneekloth, 2015, S.  115). Bisher bestehende Schichtunterscheide hinsichtlich des Zugangs zum Internet sind 2015 so gut wie nicht mehr feststellbar: Hatten 2002 nur 38 Prozent aus der unteren Schicht Zugang zum Internet, so sind es 2015 schon 97 Prozent (in der oberen Schicht stieg der Wert von 84 auf 100 Prozent) (Leven & Schneekloth, 2015, S. 121). Hinsichtlich des Nutzungsverhaltens wurde von den AutorInnen mittels Clusteranalyse eine Typologie etabliert, die Nutzungsausmaß und präferierte Inhalte berücksichtigt. Auf diese Weise soll veranschaulicht werden, dass „Heranwachsende sehr unterschiedlich mit den aktuellen Möglichkeiten des Internets umgehen“ (Leven & Schneekloth, 2015, S. 149). Infonutzer (25 Prozent) greifen vorwiegend auf Wissensinhalte zu, während Medienkonsumenten (24 Prozent) überwiegend Unterhaltung im Internet suchen. Selbstdarsteller (12 Prozent) nutzen hingegen in erster Linie die Möglichkeiten von Social Media und sind auf Interaktion orientiert. Dazu gibt es noch eine Abgrenzung zwischen Gelegenheitsnutzern (19 Prozent), die das Internet seltener (11,2 Stunden pro Woche) und anlassbezogen verwenden, sowie digitalen Bewohnern (20 Prozent), die eine deutlich höhere Nutzungsdauer (fast 25 Stunden pro Woche) und vielfältige Anwendungszusammenhänge aufweisen (Leven & Schneekloth, 2015, S. 149f.; Shell, 2015a, S. 3). Geschlecht, Alter und Bildung sind die wesentlichen Parameter bei der Charakterisierung des Nutzungsverhaltens. So sind Info-Nutzer eher weiblich, besser gebildet und tendenziell älter, während bei den Medienkonsumenten jüngere, männliche Personen überwiegen (Leven & Schneekloth, 2015, S. 147). Gelegenheitsnutzer sind überwiegend unter den jüngeren Befragten zu finden, aber auch unter denjenigen mit kritischen Positionen zu Social Media. Die Selbstdarsteller sind hingegen tendenziell älter und weisen niedrige und mittlere Bildungsabschlüsse auf. Hinsichtlich ihrer Grundhaltung zu Social Media äußern sie sich oftmals kritisch, wollen aber auf ihre dortige Präsenz nicht verzichten (Leven & Schneekloth, 2015, S. 148f.). Hinsichtlich dieser kritischen Perspektive lässt sich festhalten, dass die Befragten

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

sich allfälliger Risiken und der Eigeninteressen der beteiligten Konzerne durchwegs bewusst sind. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich auch die jüngsten Befragten durchaus oft kritisch äußern und sich in ihren Positionen nicht maßgeblich von älteren Jugendlichen unterscheiden (Shell, 2015a, S. 3). Offen bleibt aber, ob es den Jugendlichen auch gelingt, ihr „eigenes Nutzungsverhalten so zu gestalten, dass mögliche „Fallen im Internet“ umgangen werden können“ (Leven & Schneekloth, 2015, S. 151). Trotz der hohen Zustimmung zu kritischen Positionen zeigt sich nämlich, dass 90 Prozent der Jugendlichen auf soziale Netzwerke zugreifen (mehr als drei Viertel davon zumindest wöchentlich). Für 86 Prozent der Jugendlichen ist das Internet eine zumindest wöchentlich genützte Informationsquelle für alltagsnahe Fragen. Finanzielle Risiken, die etwa bei Online-Banking und dem Kauf von Produkten übers Internet realisiert werden könnten, spielen hingegen aufgrund der eher gering ausgeprägten Nutzung eine untergeordnete Rolle (Shell, 2015a, S. 3). Im 14. Kinder- und Jugendbericht wird die „Mediatisierung des Aufwachsens“ thematisiert. Damit ist die zunehmende Bedeutung des medialen Wandels für Identität, Alltag und Kultur Jugendlicher gemeint (BMFSFJ, 2013, S.  181). Während öffentliche Debatten über die Nutzung digitaler Medien durch Jugendliche oft von kulturpessimistischen Szenarien der Gefährdung und völlig veränderter Lebensgestaltung geprägt sind, weisen die AutorInnen auf die auch in der Vergangenheit stets vorhandene „Skepsis älterer Generationen gegenüber innovativem und distinktionsorientiertem Handeln der nachwachsenden Generationen“ in medienbezogenen Projektionen hin (ebd., S.  181). Eine tatsächliche Veränderung besteht hingegen in der Verlagerung von Peerkommunikation in soziale Netzwerke.122 Diese wird zunehmend nicht mehr in Dyaden, sondern in Form von Netzwerken geführt und ist mit der Gefahr des Kontrollverlusts über eigene Daten verbunden. Die sich bietenden Ausdrucksformen sind dabei sehr weit gefasst, auch wenn die Strukturen der sozialen Netzwerke gewisse Rahmungen und Einschränkungen vorgeben. Ein weiterer interessanter Aspekt ist der Widerspruch zwischen der vermutlich wieder häufiger vorkommenden physischen Präsenz Jugendlicher im Elternhaus,123 während „einer öffentlichen Inszenierung über das Profil und [der] Kommunikation im sozialen Netzwerk“, die stark nach außen gerichtet ist (ebd., S. 182). Auch dieser Widerspruch war wohl schon in den Zeiten des Festnetzanschlusses ähnlich gelagert. Generell 122 Dahingehend wird eine „Konvergenz von innermedialem und außermedialem Handeln“ (BMFSFJ,

2013, S. 181) sowie eine „Online-offline-Hybridität“ (Hugger, 2009 zit. n. BMFSFJ, 2013, S. 181) bei Jugendlichen thematisiert, wodurch die oben beschriebenen Fälle übertrieben skeptischer und Differenzen konstruierender Wahrnehmung der älteren Generationen auch gleich von den AutorInnen angesteuert wird. So war es beispielsweise auch früher üblich, dem Sitznachbarn im Unterricht eine Nachricht auf Papier zu schreiben, ihn nach der Schule am Festnetztelefon anzurufen, um ihn danach am Fußballplatz zu treffen – die selbstverständliche Nutzung verschiedener Kommunikationskanäle prägt unseren Alltag schon länger, ohne dass die beteiligten Personen deswegen in völlige Verwirrung gestürzt wären. 123 Gerne als Neobiedermeier bezeichnet, auch wenn bislang keine Wiederkehr Metternichs und keine neuen Karlsbader Beschlüsse als Anlass für diesen Rückzug ins Private sichtbar sind.

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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finden sich wenige Belege dafür, dass sich das Handeln in sozialen Netzwerken von bisherigen Praxen stark abhebt: „Insgesamt verweisen die bislang vorliegenden empirischen Daten darauf, dass sich identitätsbezogenes Handeln innerhalb der Netzwerke zunächst ähnlich abbildet wie auch außerhalb: Der Aufbau und das Verhandeln von Beziehungen findet einen weiteren – öffentlichen – Raum, in dem Jugendliche einerseits ähnliche Erfahrungen machen wie außerhalb des Netzes, andererseits verändert sich die Qualität dieser Erfahrungen insofern, als eine ungleich größere Öffentlichkeit an vielen Interaktionen beteiligt ist (…).“ (BMFSFJ, 2013, S. 182) Die größere Öffentlichkeit führt dabei nicht zu grundsätzlich anderen Verhaltensformen, sondern eher zu einer Verstärkung dieser im Sinne einer „more polished performance of conventional practices“ (Davies & Merchant, 2009 zit. n. BMFSFJ, 2013, S. 182). Neben der Nutzung von sozialen Netzwerken stellt die Suche nach Unterstützung bei Onlineberatungsangeboten oder in (Selbsthilfe-)Foren für viele Jugendliche einen wichtigen Teil ihrer Nutzungs- und Teilhabeformen innerhalb des Internets dar. Zentrale Themen, zu denen Unterstützung gesucht wird, stellen dabei vor allem „die Aspekte Sexualität, Schule/berufliche Ausbildung sowie die Veränderung der Beziehung zu den Eltern, also ‚klassische‘ Entwicklungsaufgaben“, dar (ebd., S.  182). Hinsichtlich der Fähigkeit, aus diesen Angeboten auch tatsächlich profitieren zu können, zeigt sich anstelle eines früher vorhandenen digital divides ein social divide: Für bestimmte Gruppen unter den Jugendlichen stellt das Internet ein Medium der Erweiterung von Teilhabemöglichkeiten in Form von Beteiligungsformen, Interessensorganisation, Wissensmanagement und Bildungsmöglichkeiten dar. Andere verbleiben ressourcenbedingt in relativ eingeschränkten Kontexten und realisieren „lebensweltlich sinnvolle aber bildungsinstitutionell vielfach weniger anschlussfähige Nutzungsweisen“ (BMFSFJ, 2013, S . 183). Während früher soziale Unterschiede schon die Zugangsmöglichkeiten zum Internet determinierten, zeigen sich die Disparitäten nun stärker in der Art der Nutzung. Digitale Ungleichheit – entlang von Faktoren wie kulturellem und sozialem Kapital – muss also mit (medien-)pädagogischen Angeboten entschärft werden, um eine wachsende reale Ungleichheit zu verhindern oder zumindest abzumildern. Die Kinder- und Jugendnetzpolitik der deutschen Bundesregierung setzt sich zum Ziel, junge Menschen dabei unterstützen, zu mündigen Nutzerinnen und Nutzern heranzuwachsen, die selbstbestimmt, verantwortungsbewusst, kritisch und kreativ mit dem Medium umgehen, seine Möglichkeiten nutzen und mediale Angebote einschätzen können, sich bestehender Risiken bewusst sind und Konsequenzen des eigenen Handelns im Netz beurteilen können (ebd., S. 8). Hauptanliegen der im Dezember 2011 vorgelegten Handlungsempfehlungen ist es, Gegensätze zwischen Eigenverantwortung und gesetzlichem Schutz zu überwinden. Hierzu bedarf es einer am Alter und an den konkreten Bedürfnissen der Zielgruppen – Kinder,

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

Jugendliche, Eltern und ProfessionistInnen – orientierten, integrierten Struktur von Kompetenzförderung, Stärkung der Medienerziehung und Jugendmedienschutz. „Neben dem Kinderschutz im Internet sind Jugendliche in der Medienbewertung aktiv, Eltern werden informiert und es werden netzbasierte Verfahren zur gesellschaftlichen Beteiligung junger Menschen entwickelt und erprobt.“ (ebd., S. 8) Das staatliche Handeln ist also immer noch von einem Schutzgedanken geprägt, zunehmend aber auch von der Haltung, Kompetenzentwicklung bei Jugendlichen zu fördern. Dazu bedarf es aber noch spezifischer Förderung benachteiligter Jugendlicher. Während sich im Sechsten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich keine spezifischen Expertisen zu Internet und Medienkonsum finden lassen, weist die siebente Ausgabe darauf hin, dass digitale Medien ein „absolute Selbstverständlichkeit für Jugendliche“ darstellen (BMFJ, 2016, S. 12). Fast 95 Prozent der Personen von 14 bis 29 Jahren in Österreich besitzen ein Smartphone, zudem haben auch etwa ebenso viele der 14- bis 19-Jährigen angegeben, am Vortag das Internet benützt zu haben (TRacts, 2014 sowie Mediaanalyse, 2014 zit. n. BMFJ, 2016, S.  63). Angesichts der weit verbreiteten Nutzung digitaler Angebote durch Jugendliche und junge Erwachsener, stellt sich die Frage nach den dafür notwendigen digitalen Kompetenzen. Hierbei geht es um die Fähigkeiten, Informationen zu beschaffen, zu bewerten und einzuordnen, aber auch darum, „Performanzkompetenz aufzubauen, also die Fähigkeit, digitale Medien auch zur Selbstpräsentation und zur Weitergabe von Informationen nutzen zu können, aber auch die Notwendigkeit sich von digitalen Angeboten unabhängig machen zu können und sich bewusst mit den negativen Auswirkungen der Allgegenwart (…) des World Wide Web auseinanderzusetzen.“ (BMFJ, 2016, S. 65) Die zentrale Wichtigkeit von Medienkompetenz wird auch durch Studienergebnisse belegt, die zeigen, „dass bereits etwa ein Drittel der Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren selbst schon einmal Fotos oder Videos mit sexuellem Inhalt auf das Handy zugeschickt bekommen hat, also mit dem Thema Sexting konfrontiert war“ (Safer Internet zit n. BMFJ, 2016, S. 13). In der Vierten Steirischen Jugendstudie wird die eher wenig kühne These vertreten, dass „die Bedeutung von Internet und Web 2.0 im Zeitraum zwischen 2007 und 2014 kontinuierlich gewachsen“ sei (Scharinger & Ehetreiber, 2014, S. 3). Die neuen Medien haben „mittlerweile alle Arbeits-, Bildungs-, Freizeit- und Lebenswelten erobert und durchdrungen“ und sind damit unverzichtbar und identitätsstiftend geworden (ebd., S. 3). Die daraus entstehende Dynamiken und die Wirkung auf die gesamte jugendliche Lebenswelt sind jedoch „erst ansatzweise abschätzbar“ (ebd., S. 3). 5.8.11 Krisenkompetenz Im 14. Deutschen Kinder- und Jugendbericht wird aus der AID:A-Studie des DJI (2009) zitiert, dass sich Jugendliche in schwierigen Situationen in den allermeisten Fällen an Personen aus ihrem persönlichen Umfeld wenden (BMFSFJ, 2013,

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Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

S.  154). Auf der Suche nach Rat und Unterstützung kommen FreundInnen oder die/der PartnerIn am stärksten in Betracht. Ebenfalls relevant sind in solchen Situationen die Eltern(-teile), wobei hier eine Differenz entlang der Geschlechterrollen sichtbar wird. Mütter werden deutlich stärker angesprochen als Väter. Auch männliche Jugendliche wenden sich eher an ihre Mutter als an den Vater. Insgesamt nennen weibliche Jugendliche mehr Ansprechpersonen, was vermuten lässt, dass sie im Krisenfall auch tatsächlich mehr Unterstützung erfahren. Lediglich zehn Prozent der Jugendlichen würden sich an LehrerInnen wenden, sieben Prozent an ÄrztInnen – während mehr als drei Viertel bei FreundInnen oder der/dem PartnerIn Rat und Unterstützung suchen und allenfalls vorhandene Geschwister eine zentrale Rolle spielen können. Dies zeigt, dass der institutionelle Kontext in solchen Situationen bestenfalls die zweite Wahl von Jugendlichen darstellt und für viele gar keine adäquate Option in einer Krisensituation darstellen zu scheint (ebd., S. 154). Für die Arbeit mit MuliplikatorInnen im Rahmen von Jugendinformationsarbeit spricht also viel für die Fokussierung auf Peers. VertreterInnen von Institutionen zu adressieren scheint nur für spezielle Kontexte (etwa jene, die mit besonders belasteten Zielgruppen arbeiten) sinnvoll, wie aus folgender Abbildung ersichtlich ist: Rat und Unterstützung gesucht1 bei verschiedenen Personen/Personengruppen nach Geschlecht (2009, Mehrfachnennungen, 13- bis 17-Jährige; N=2.829; Daten gewichtet; Angaben in Prozent)

Freunde/Bekannte 68 70 68

Mutter2 39

Vater2 Geschwister2

33 14 13

Verwandte/andere Verwandte 9

Lehrer/in, Erzieher/in 6

Arzt, Ärtztin Therapeut/in Pfarrer/in, Priester, Imam Es gab keine schwierigen Situationen Bei Niemandem Rechtsanwalt

88

77

Fester Freund/feste Freundin/Partnerin

11

82

53 44

weiblich männlich

8

4 3 1

4 1 3 1 2 0 1

1 Frage: Bei welchen Personen hast Du/haben Sie in den letzten 12 Monaten in schwierigen Situationen Rat und Unterstützung gesucht? 2 Ergebnisse nur für Befragte, bei denen die genannten Personen/ die genannte Person vorhanden waren.

Abbildung 13: Ansprechpersonen deutscher Jugendlicher in schwierigen Situationen nach Geschlecht (n. DJI, 2009 zit. n. BMFSFJ, 2013, S. 154).

Im Sechsten Bericht zur Lage der Jugend in Österreich beschreibt Heinz Schoibl mögliche Hürden der Inanspruchnahme von Unterstützung bei der Bewältigung von Risiken und/oder Krisen (Schoibl, 2011a). Ausgangspunkt ist die Wahrneh-

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

mung, dass gerade jene Jugendlichen mit akut hohem Unterstützungsbedarf von den ProfessionistInnen möglicher Unterstützungssysteme erreicht werden: „Die Neigung von problembelasteten Jugendlichen in existenziellen Krisen, Hilfe von außen zu suchen bzw. zuzulassen, ist erfahrungsgemäß, gelinde gesagt, enden wollend.“ (Schoibl, 2011a, S. 542) Als mögliche Gründe für dieses Dilemma werden individuelle Hürden von strukturellen Barrieren unterschieden. Auf Seiten problembelasteter Jugendlicher kommen als Hürden, Unterstützungsangebote nicht oder erst spät in Anspruch zu nehmen, insbesondere in Betracht (ebd., S. 542): -- Informationsmangel, der insbesondere bildungsferne Jugendliche betrifft -- fehlendes Problem- und Risikobewusstsein -- Scham sowie Angst vor sozialer Kontrolle und Stigmatisierung durch Kontaktaufnahme zum Hilfesystem124 -- fehlendes Knowhow im Umgang mit institutionellen Hilfeangeboten -- kontraproduktive Strategien mit Selbsthilfeabsicht (Laiendiagnosen, Eigenmedikation, Beschaffungskriminalität etc.) Daneben bestehen Schoibl zufolge oftmals strukturelle Barrieren in den Institutionen: Diese seien nicht auf Prävention ausgerichtet, zu hochschwellig im Zugang (etwa durch Verbindlichkeiten und Auflagen wie Terminvereinbarung oder Problemeinsicht), defizitorientiert und tendenziell entmündigend oder stigmatisierend. Zudem sei das Hilfesystems nicht auf „Mischprobleme“ eingestellt, die starre Zuständigkeitslogiken überfordern und Schnittstellenprobleme schaffen würden (ebd., S. 542f.). Zudem kommt es oftmals zum Aufeinandertreffen schwer kompatibler Erwartungshaltungen der Jugendlichen und der ProfessionistInnen: „Niedrige Frustrationstoleranz auf der Seite der Jugendlichen und hohe Verbindlichkeit bzw. Entwicklungs- und Veränderungsanforderungen auf der Seite der sozialpädagogisch / therapeutisch ausgerichteten Einrichtungen für Kinder und Jugendliche stehen in einem nur zu oft unüberwindlichen Konflikt zueinander.“ (Schoibl, 2011a, S. 543) Um gerade besonders vulnerable Jugendliche besser zu erreichen, Fallverläufe zu verbessern sowie Betreuungsverweigerung und Beziehungsabbrüche zu vermeiden, formuliert Schoibl folgende „Anforderungen an jugendspezifische Hilfestrukturen“ (ebd., S. 551):

124 Hier wäre wohl auch noch die Angst Jugendlicher, die Kontrolle über den weiteren Verlauf ihres Pro-

blems zu verlieren, mitzudenken.

Darstellung der in den Studien wiederkehrenden Themenfelder

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-- Freiraum125 als Kontaktschiene für die selbstbestimmte Inanspruchnahme weitergehender Hilfen sorgt für größtmögliche Niederschwelligkeit im Zugang. -- Freiwilligkeit und Respekt – die Jugendlichen werden als ExpertInnen ihrer Lebenswelt gesehen, Unterstützung ist dementsprechend partizipativ und auf Selbsthilfe hin ausgelegt. -- Hilfsangebote sind aufbauend gestaltet, möglichst präventiv und auf Abbau von Stigmatisierung ausgerichtet. -- Orientierung an Ressourcen und Stärken der Jugendlichen, nicht an allfälligen Defiziten -- Einbindung der Peers als stützender Rahmen durch gruppenbezogene Methoden wie Peer Education und Peer Counseling -- Professionalität in Bearbeitung und Begleitung Kontinuität, Vermeidung von Beziehungsabbrüchen -- proaktives Schnittstellenmanagement; bereichsübergreifende Kooperation im jugendrelevanten Netzwerk, Prinzip der kurzen Wege und Einbindung externer ProfessionistInnen in Regelbetrieb und Teamarbeit In der Vierten Steirischen Jugendstudie wird das Bild einer Jugend mit „optimistischen und positiven Haltungen“ gezeichnet, welche ein „resistentes Muster gegen Krisen“ darstellen (Scharinger & Ehetreiber, 2014, S.  4). Dieser Optimismus erweist sich in Anbetracht globaler und zunehmend verschärft wahrgenommener Krisen- und Konfliktphänomene als „erstaunlich stress- und krisenresistent“: Die seit 2008 verschärfte Weltwirtschafts- und Finanzkrise konnte dieses robuste Interpretations-, Werte- und Handlungsmuster der steirischen Jugend im Umgang mit Krisen offenkundig ebenso wenig erschüttern, wie dies die aktuellen Bedrohungen durch steigende Arbeitslosigkeit, Krieg oder Terrorismus vermögen. (Scharinger & Ehetreiber, 2014, S. 4) Während die Autoren die subjektiven Gründe der Jugendlichen für diese optimistische Haltung offen lassen126 , sehen sie die jugendliche Lebenswelt „insgesamt betrachtet imprägniert mit Optimismus, mit positiven Zukunftsbildern, mit einem sehr sympathischen und sozialen Wertemuster, mit einem krisenfesten Pragmatismus und einer großen Wertschätzung ihrer Lebensbedingungen in der Gemeinde, in der Steiermark, in Österreich, aber auch in der EU“ (ebd., S. 9). Im anschließenden Kapitel sollen die zentralen Erkenntnisse aus den elf identifizierten Themenfeldern dargestellt und Implikationen für die Struktur von Jugendinformationsarbeit abgleitet werden. 125 Also anforderungsarme aber zugleich ressourcenstarke Räume oder Umgebungen, die von Jugendli-

chen unverbindlich und selbstbestimmt genützt werden können.

126 Als mögliche Hypothesen werden „vitale Verdrängungsmechanismen, pure Ignoranz, ein reflektierter

pragmatischer Umgang sowie lösungsorientierte, kollektiv geteilte mentale Modelle mit vitalen Attributionsstilen von Handlungsursachen“ angedacht (Scharinger & Ehetreiber, 2014, S. 4).

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

5.9 Übersicht über inhaltliche Ableitungen und strukturelle Empfehlungen für Jugendinformationsarbeit aus den untersuchten Jugendstudien Hinsichtlich des durchgängigen Befundes einer „Mediatisierung des Aufwachsens“, besteht die Empfehlung des Ausbaus von Angeboten, die auf gesteigerte Medienund Informationskompetenz abzielen sollen. Diese Angebote sollen niederschwellig ausgerichtet sein, damit möglichst alle Personen (insbesondere diejenigen mit Gefährdungsmerkmalen oder aus sogenannten Randgruppen) erreicht werden. Vorgeschlagen wird diesbezüglich die Einbindung von MitarbeiterInnen der Jugendarbeit in die sich inhaltlich erst allmählich ausrichtenden Ganztagesschulen. Für die Steiermark zeigt sich eine skeptische Haltung von SchülerInnen gegenüber der Einführung von Ganztagesangeboten bei gleichzeitig guter Bewertung der aktuellen Schulsituation. Umso mehr bedarf es der partizipativen Formulierung von Konzepten oder „Leitideen“, wie es im 14. Deutschen Kinder- und Jugendbericht heißt. Trotz der „vergleichsweise günstige[n] Situation für die große Mehrheit der österreichischen Jugendlichen am Arbeitsmarkt“ bestehen zahlreiche Herausforderungen, die vor allem jenen Teil der jungen Menschen betreffen, der „aufgrund von Benachteiligung unverschuldet mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen hat (Stichworte Chancengleichheit und Ausgrenzung)“ (Lassnigg, 2011, S.  133). In vielen Arbeitsmarktdimensionen zeigt sich eine vergleichsweise gute Positionierung Österreichs im europäischen Vergleich. Gleichzeitig kam es in den vergangenen Jahren durchgängig zu einer Verschlechterung der Situation. Österreichische Kinder und Jugendliche wiesen schon zuvor ein im Vergleich zur Gesamtbevölkerung erhöhtes Armutsrisiko sowie öfters materielle Deprivation auf. Diese Ausschlussgefährdung erhöht sich durch den erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt weiter. Eine ähnliche Polarisierung zeigt sich auch bei politischem Interesse und politischer Beteiligung: Die Kluft zwischen zunehmend oder zumindest konstant politikaffinen Jugendlichen und solchen, die sich vom demokratischen System gar nicht vertreten fühlen und sich dementsprechend nicht beteiligen wollen, gilt es zu verringern. Durchgängig geäußerte Imperative für die Ausrichtung jeglicher Art der Jugendinformationsarbeit sind daher die Fokussierung auf Randgruppen und die Unterstützung von besonders herausgeforderten Jugendlichen. Die folgende Tabelle soll einen kompakten Überblick hinsichtlich -- der jeweiligen methodischen Vorgehensweise, -- inhaltlicher Ableitungen für die Praxis der Jugendinformationsarbeit -- sowie Empfehlungen zu Struktur und Angeboten von Jugendinformation leisten.

Übersicht über inhaltliche Ableitungen und strukturelle Empfehlungen

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Tabelle 1: Übersicht der für Jugendinformationsarbeit relevanten Aussagen der EU-Jugendstudie (2015). Studie (Jahr); Untersuchungsgebiet

Zweiter EU-Jugendbericht (2015); EU-28 (fallweise auch Daten für weitere OECD-Staaten)

Untersuchte Altersgruppe; Methode

Grundsätzlich 15 bis 29 Jahre (fallweise auch abweichend); Vergleich der EU-Staaten anhand von statistischen Daten

Inhaltliche Ableitungen für die Praxis der Jugendinformationsarbeit

Berücksichtigung von Jugendaspekten in möglichst allen Politikbereichen Armut(-sgefährdung) als wachsende Gefahr: Ein Drittel (bei Migrationshintergrund sogar die Hälfte der Jugendlichen) ist betroffen oder gefährdet. Österreichs bislang vergleichsweise gute Position nähert sich zunehmend dem EU-Schnitt an. Ein Viertel der Jugendlichen engagiert sich freiwillig. Fünfzig Prozent der jugendlichen EU-BürgerInnen sind in Vereinen oder Verbänden organisiert. Österreichische Jugendliche liegen hinsichtlich der Parameter der politischen Beteiligung weit über dem EU-Schnitt. Internetaktivität österreichischer Jugendlicher liegt im EU-Schnitt, zudem geringer digital divide entlang des Bildungsniveaus. Junge EU-BürgerInnen ziehen verstärkt nach Österreich. Österreichische Jugendliche sind weniger mobil als viele gleichaltrige EU-BürgerInnen.

Empfehlungen zu Struktur und Angeboten von Jugendinformation

Förderung des Austausches der ProfessionistInnen der Jugend(informations)arbeit (v.a. über Online-Portale). Adressieren von ausschlussgefährdeten Gruppen vor allem durch den Ausbau außerschulischer Angebote in den Bereichen Bildung/Beschäftigung, Kultur und Sport. Vereine und Verbände haben zwar eine vergleichsweise hohe Reichweite, ausschlussgefährdete Jugendliche bedürfen aber besonderer Aufmerksamkeit, um von den Angeboten erreicht zu werden. Einbindung Jugendlicher in politische Prozesse gelingt in Österreich überdurchschnittlich gut; Ausdehnung auf Ausschlussgefährdete als Herausforderung. Das Internet bietet sich als in Österreich vergleichsweise sozial wenig selektives Medium für Jugendinformation besonders an.

Tabelle 2: Übersicht der für Jugendinformationsarbeit relevanten Aussagen der 17. Shell Jugendstudie (2015). Studie (Jahr); Untersuchungsgebiet

17. Shell Jugendstudie (2015); Deutschland

Untersuchte Altersgruppe; Methode

12 bis 25 Jahre; standardisierter Fragebogen (n=2.558), vertiefende Interviews (n=21)

Inhaltliche Ableitungen für die Praxis der Jugendinformationsarbeit

Jugendliche aus unterprivilegierten Milieus sind generell skeptischer und pessimistischer, auch was ihre familiäre Situation sowie berufliche Zukunft betrifft. Wachsendes Politikinteresse (auch von bisher weniger politikaffinen Gruppen) ist adäquat aufzugreifen und mit Informations- und Medienkompetenzinhalten zu koppeln, um möglichst vielen Jugendlichen Partizipation an politischen Entscheidungen zu ermöglichen. Freiwilliges Engagement muss speziell für Jugendliche in Bildungszusammenhängen leichter vereinbar gestaltet werden (z. B. durch Kooperationen mit Schulen). Chancenungleichheiten abbauen, um allen Jugendlichen Verwirklichungschancen zu bieten. Berufs- und Bildungsorientierungsangebote für Jugendliche aus benachteiligten Milieus stärken. Kritische Haltungen von Jugendlichen hinsichtlich Social-Media aufgreifen und diese zu einem adäquaten Umgang begleiten.

Empfehlungen zu Struktur und Angeboten von Jugendinformation

Erhebung bestehender Benachteiligungssituationen von Jugendlichen, um diese bearbeitbar zu machen. Verschneidung von Informations- und Partizipationsangeboten als Chance erkennen. Verzahnung von Ausbildungsinhalten mit Möglichkeiten, sich zu engagieren (Service Learning/Lernen durch Engagement stärken, Anrechenbarkeit als Praktika u.dgl.). Verstärktes Adressieren von ausschlussgefährdeten Gruppen als zentrale Herausforderung, konsequente Kooperation in Netzwerken. Angebote zur Medien- und Risikokompetenzsteigerung Jugendlicher hinsichtlich Social Media.

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

Tabelle 3: Übersicht der für Jugendinformationsarbeit relevanten Aussagen des 14. Deutschen Kinder- und Jugendberichts (2013). Studie (Jahr); Untersuchungsgebiet

14. Deutscher Kinder- und Jugendbericht (2013); Deutschland

Untersuchte Altersgruppe; Methode

Schwerpunkt Jugendliche und junge Erwachsene bis zur beruflichen Integration und familiären Reproduktion; Sekundärstatische Daten und „Anhörung“ von ExpertInnen

Inhaltliche Ableitungen für die Praxis der Jugendinformationsarbeit

Ein Drittel der Jugendlichen ist im eigenen Herkunftskontext zumindest mit einem der Risikofaktoren Armut, niedrige formale Bildung oder Arbeitslosigkeit konfrontiert. Befähigende Medienbildung als zunehmend wichtige Aufgabe, die nur von Herkunftskontext, Bildungseinrichtungen und Jugendarbeit im Verbund geleistet werden kann. Ganztagesschulformen werden ausgeweitet, allerdings oftmals ohne entsprechende „Leitidee“. (Medien-)Kompetenz in sozialen Netzwerken als neue Entwicklungsaufgabe (und als besondere Herausforderung für benachteiligte Jugendliche). Für potentielle BildungsverlierInnen sind außerschulische Lernorte besonders wichtig. Politisches Interesse und Beteiligung nehmen durchwegs zu (wenngleich stark abhängig von der sozialen Herkunft).

Empfehlungen zu Struktur und Angeboten von Jugendinformation

Reduktion des Anteils institutionelle erzeugter Ungleichheit durch spezielle Förderung ausschlussgefährdeter Jugendlicher Kooperation von Einrichtungen der Jugend(informations)arbeit mit Schulen im Ganztagessetting als Chance Als MultiplikatorInnen kommen in erster Linie Peers in Betracht, weniger ProfessionistInnen aus institutionellen Kontexten. Freiwillig engagierte Jugendliche sind idR gerne bereit, ihr Engagement auszuweiten, wenn dies ihrem Interesse entspricht und könnten als Peers fungieren. Fokussierung auf sozial benachteiligte Jugendliche ist in einigen Feldern erforderlich (v.a. bei medienpädagogischen Angeboten und Angeboten hinsichtlich politischer Partizipation. Niederschwellige und lebensweltnahe Angebote sind zu verstärken.

Übersicht über inhaltliche Ableitungen und strukturelle Empfehlungen

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Tabelle 4: Übersicht der für Jugendinformationsarbeit relevanten Aussagen des Sechsten Berichts zur Lage der Jugend (2011). Studie (Jahr); Untersuchungsgebiet

Sechster Bericht zur Lage der Jugend in Österreich (2011); Österreich

Untersuchte Altersgruppe; Methode

Keine einheitliche Alterseinschränkung der Gruppe; Beiträge aus der Perspektive von WissenschafterInnen (Teil A) sowie von PraktikerInnen der Jugendarbeit (Teil B)

Inhaltliche Ableitungen für die Praxis der Jugendinformationsarbeit

Fokussierung auf benachteiligte Gruppen (insbesondere MigrantInnen erster und zweiter Generation), da diese im Bildungssystem oftmals nicht ausreichend erreicht werden. Jugendinformationsarbeit kann präventiv hinsichtlich Bildungsferne wirken. Bildungs- und Berufsorientierung lebensweltnah und niederschwellig anbieten, um Abbrüche und „Bildungsferne“ zu vermeiden (mangelnde Nutzung von Infokanälen ist ein zentraler Risikofaktor). Kompetenzsteigerung hinsichtlich Gesundheitskompetenzen und Financial Literacy werden von ExpertInnen als notwendig erachtet; dafür braucht es nach den ungleich verteilten Gefährdungslagen zielgruppenspezifische Zugänge. Bildungs- und Berufsorientierung forschungsbasiert zukunftsfit machen und verstärkt an MultiplikatorInnen anknüpfen. Armut(-sgefährdung) Jugendlicher ist regional stark unterschiedlich verteilt und betrifft Städte besonders stark. Zunehmende Verrschuldung Jugendlicher bedarf gezielter Informationsund Präventionsarbeit, um nachhaltige Schuldenkarrieren zu vermeiden. Ressourcenschwache Jugendliche sind dabei besonders zu adressieren. Jugendliche zwischen 12 und 14 Jahren, sowie junge Frauen generell, schätzen ihre Gesundheit/Lebensqualität schlechter ein. Differenz zwischen Selbsteinschätzung hinsichtlich sexueller Aufgeklärtheit und tatsächlich vorhandenem Wissen bzw. gelebter Praxis. Weibliche Jugendliche sind im formellen, freiwilligen Engagement deutlich unterrepräsentiert. Kulturelle Angebote sind für männliche Jugendliche sowie jene aus den Regionen, aus sozial benachteiligten Verhältnissen, mit niedrigen Bildungsabschlüssen, mit Migrationshintergrund und mit Behinderungen erschwert zugänglich. Unterstützungs- und Informationsangebote sind oftmals gerade für die Gruppen, die sie am dringendsten brauchen würden, zu hochschwellig gestaltet.

Empfehlungen zu Struktur und Angeboten von Jugendinformation

Jugendliche mit Migrationsbiografie sind stärker zu adressieren. Fokussierung auf Bildungs- und Berufsorientierung, Financial und Health Literacy. Abbau von Zugangshürden bei Angeboten der Jugend(informations)arbeit. Vernetzung zwischen Jugendinformation und spezialisierten Einrichtungen stärken. Schulsozialarbeit als mögliche Schnittstelle für Beratungs- und Informationsangebote zum Schulbereich nutzen. Besonders für bildungsferne Jugendliche sind niederschwellige und lebensweltnahe Strukturen zu etablieren – auch als sekundärpräventives Angebot zur Financial Literacy. Angebote hinsichtlich Schuldenprävention sowie Zugänge zu kostenlosen Angeboten sind besonders für Jugendliche in Ballungszentren und solche mit Migrationshintergrund erforderlich. Dabei ist das Schulsetting nicht zwingend geeignet, um besonders gefährdete Jugendliche zu erreichen. Stattdessen bedarf es der Schaffung lebensweltnaher und niederschwelliger Angebote. Über geäußerte körperliche Beschwerden kann ein Zugang zu ganzheitlichen Gesundheitsmaßnahmen gefunden werden, die auch psychische Aspekte beinhalten können. Bestehende Angebote konsequent mit Gesundheitsförderungsaspekten erweitern und bereichern. Verknüpfung von sexualpädagogischen Inhalten und Medienpädagogik, um trotz des Überangebotes von medialer Sexualisierung eigene Werthaltungen entwickeln zu können. Tendenziell eher weiblich dominierte Interessensfelder (wie Soziales, Umwelt und Bildung) bieten noch Raum für Beteiligung und könnten über Informationsangebote zugänglich gemacht werden Kulturelle Angebote sollten sich entlang der Überlegungen des Abbaus intersektionaler Benachteiligung öffnen. Jugendinformation könnte die dafür notwendige Vernetzungsarbeit begünstigen. Konsequente Orientierung an Erfahrungen aus der niederschwelligen Jugendsozialarbeit, um Jugendliche aus belasteten Verhältnissen besser zu erreichen

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Ableitung von Informationsbedürfnissen und Kommunikationsstrategien

Tabelle 5: Übersicht der für Jugendinformationsarbeit relevanten Aussagen des Siebenten Berichts zur Lage der Jugend in Österreich (2016). Studie (Jahr); Untersuchungsgebiet

EU-Jugendstudie (2015); EU-28 (fallweise auch Daten für weitere OECD-Staaten)

Untersuchte Altersgruppe; Methode

16 bis 30 Jahre bei der Sekundäranalyse der Daten von EU-SILC 2013 (n=1.748); 15 bis dreißig Jahre bei der eigens durchgeführten Online-Befragung (n=1.691); Gruppendiskussionen/Workshops und Interviews mit Jugendlichen sowie VertreterInnen jugendrelevante Einrichtungen (n=28)

Inhaltliche Ableitungen für die Praxis der Jugendinformationsarbeit

Konkreter Informations- und Unterstützungsbedarf ist geboten hinsichtlich Bildungs- und Beschäftigungssituation/-perspektive junger Menschen, Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung sowie Gesundheit (hier speziell das Rahmen-Gesundheitsziel „Gesundheitskompetenz der Bevölkerung stärken“). Die Health Literacy Jugendlicher ist besonders in Bezug auf psychische Krankheiten niedrig ausgeprägt. In Bezug auf Bildungs- und Berufsentscheidungen Jugendlicher zeigt sich, dass der Einfluss der Familie bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund (noch) stärker ist als bei autochthonen ÖsterreicherInnen. Dies sollte als Auftrag für die Kooperation mit Eltern bzw. relevanten MultiplikatorInnen gesehen werden, um Wissen über die Möglichkeiten und die Vielfalt des österreichischen Bildungssystems in die familialen Netzwerke zu bringen. Das Internet ist nicht nur ein Medium für Jugendinformation, sondern sorgt auch für vielfältige neue Herausforderungen in Bezug auf Medienkompetenz

Empfehlungen zu Struktur und Angeboten von Jugendinformation

Die Bereitstellung von zielgruppensensiblen Informationen soll als Kernaufgabe der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit ausgebaut werden, indem diese als qualifizierter Multiplikator der Jugendinformation dient. Dafür ist die Zusammenarbeit von Jugendinformation und Jugendarbeit auszubauen. Formales, non-formales und informelles Lernen sollen im Setting ganztägiger Schulformen gekoppelt werden, indem die außerschulische Kinder- und Jugendarbeit eingebunden werden. Durch die enge Kooperation von Schule und Jugendarbeit sollen junge Menschen bei der Entwicklung von persönlichen und sozialen Kompetenzen bestmöglich gefördert werden. Als mögliche, Ansatzpunkte bieten sich Health Literacy und die Steigerung des Wohlbefindens an. Weiters ist anzustreben, dass die Expertise der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit auch in der Aus- und Weiterbildung für den formalen Bildungssektor verstärkt wahrgenommen wird.

Tabelle 6: Übersicht der für Jugendinformationsarbeit relevanten Aussagen der Vierten Steirischen Jugendstudie (2014). Studie (Jahr); Untersuchungsgebiet

Vierte Steirische Jugendstudie (2014); Steiermark

Untersuchte Altersgruppe; Methode

Steirische SchülerInnen aller Schultypen; quantitative Befragung (n=2.225)

Inhaltliche Ableitungen für die Praxis der Jugendinformationsarbeit

Hohe Zufriedenheit mit den selbst besuchten Bildungsinstitutionen bei gleichzeitiger Ablehnung von deren zeitlicher Ausdehnung durch Ganztagesschulformen. Leichte Zunahme von verbaler Gewalt; vierzig Prozent kennen Mobbingphänomene aus ihrer Klasse. Jugendliche mit Migrationshintergrund sind bei Gewalt generell häufiger Opfer und TäterInnen. Informationen aus dem persönlichen Umfeld sind für die Berufs-bzw. Ausbildungswahl deutlich wichtiger als Angebote von ProfessionistInnen. Circa ein Fünftel der Jugendlichen wird dabei fremdbestimmt oder gar nicht beraten. Die Gruppe der Jugendlichen, die ausdrücklich politikdesinteressiert bzw. antidemokratisch eingestellt sind, wächst und ist 2014 bei einem Fünftel der steirischen Jugendlichen festzumachen.

Empfehlungen zu Struktur und Angeboten von Jugendinformation

Stärkung des Bewusstseins für positive Aspekte von Ganztagesschulformen. Information und konsequente Beteiligung Jugendlicher sowie VertreterInnen der Jugendarbeit bei Adaptionen des Bildungssystems. Geschlechtssensible Anti-Gewaltarbeit stärken. Ohne Alarmismus auch Jugendliche mit Migrationshintergrund und/oder aus benachteiligten Settings adressieren. Berufsinformation muss speziell für Kinder/Jugendliche aus weniger leistungsstarken Elternhäusern möglichst früh erfolgen. MultiplikatorInnen und Eltern müssen dabei ebenfalls adressiert werden. Demokratische Strukturen sind nicht für alle Jugendlichen per se erstrebenswert, sondern müssen lebensweltnah vermittelt und gelernt werden.

6 Informationsbedürfnisse aus Sicht steirischer Jugendlicher

6.1 Datengrundlage und methodische Vorgehensweise Im Auftrag der Steiermärkischen Landesregierung (konkret des Referats Jugend) wurden 2013 bis 2014 „Status quo, Bedarf und Innovationspotenziale“ der Jugendinformationsarbeit für die Steiermark untersucht (Lederer-Hutsteiner, Auferbauer, Polanz & Diwoky, 2014). Dafür wurden neben einer standardisierten Onlinebefragung unter 2.016 steirischen SchülerInnen ab der siebenten Schulstufe auch weitere, qualitativ ausgerichtete Methoden eingesetzt. So wurden Interviews mit ExpertInnen des steirischen Fachstellennetzwerks (n=15), mit österreichischen und internationalen ExpertInnen der Jugendinformationsarbeit (n=6) sowie fünf Fokusgruppen mit Jugendlichen (vorwiegend aus belasteten Kontexten) und zwei Gruppendiskussionen mit regionalen ProfessionistInnen durchgeführt (Lederer-Hutsteiner, Auferbauer, Polanz & Diwoky, 2014, S.  25–27). Da im folgenden Daten aus der standardisierten Onlinebefragung analysiert werden, soll vorab ein Überblick über das Befragungsdesign gegeben werden: Grundgesamtheit

Steirischen Schülerinnen und Schüler ab der siebten Schulstufe aus öffentlichen und privaten Schulen

Stichprobe

Klumpenstichprobe auf Basis von Schulklassen geschichtet nach Bezirk, Schultyp und Schulstufe; Ziehung der Schulklassen nach Zufallsprinzip

Anzahl der gezogenen Schulklassen

106 Schulklassen

Teilnahmequote

101 Schulklassen (95%)

Anzahl der beteiligten Schulen

74 Schulen aus zwölf unterschiedlichen Schultypen

Stichprobengröße

Unbereinigte, ungewichtete Stichprobe: n=2.016; bereinigte, gewichtete Stichprobe: n=1.811

Datengewichtung

Datengewichtung auf Basis von SchülerInnenzahlen (Gewichtung nach Schultyp, Alter und Geschlecht)

Befragungsmethode

Gruppenweise Onlinebefragung in den EDV-Räumen der Schulen, supervidiert durch Lehrpersonen

Befragungsinstrument Standardisierter Fragebogen Erhebungszeitraum

1. bis 25. Oktober 2013

Abbildung 14: Überblick über das Studiendesign der Onlinebefragung steirischer SchülerInnen (n. Lederer-Hutsteiner, Auferbauer, Polanz & Diwoky, 2014, S. 29).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Auferbauer, Jugendinformationsarbeit, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27658-4_7

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Informationsbedürfnisse aus Sicht steirischer Jugendlicher

Aus der Grundgesamtheit aller zwölf steirischen Schultypen ab der Sekundarstufe (ohne Schulen für allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege sowie die Bundessportakademie, da diese nicht zwingend auf das Jugendalter fokussieren) wurde eine Zufallsstichprobe gezogen. Diese Schulen wurden in weiterer Folge kontaktiert und in 101 von 106 Fällen auch für die Teilnahme gewonnen. Die im Zuge der Onlinebefragung erhobenen Daten wurden – nach entsprechender Datenpflege und -gewichtung – im Studienbericht unter vielfältigen Gesichtspunkten ausgewertet (s. dazu Lederer-Hutsteiner, Auferbauer, Polanz & Diwoky, 2014, S. 100–161). Im Rahmen der standardisierten Online-Befragung wurde einem Fragenblock zur wahrgenommenen Relevanz von bestimmten Themenfeldern eine offen gestellte Frage mit folgendem Wortlaut vorangestellt: „Denke nun bitte an Deine aktuelle Lebenssituation und an Themen, die Dich derzeit beschäftigen. Welche Themen beschäftigen Dich derzeit am meisten? Zu welchen Themen suchst Du derzeit nach Informationen, die Du in Deinem jetzigen und zukünftigen Leben brauchen kannst? Nimm Dir bitte Zeit und schreib alles auf, was Dir dazu einfällt (auch die Dinge und Themen, die Dir vielleicht unwichtig vorkommen, für Dich aber trotzdem eine Bedeutung haben).“ (Frage 21 des Fragebogens, Lederer-Hutsteiner, Auferbauer, Polanz & Diwoky, 2014, S.106) Diese Frage sollte ursprünglich sicherstellen, dass zu den 32 geschlossen abgefragten Themenfeldern (s. dazu Lederer-Hutsteiner, Auferbauer, Polanz & Diwoky, 2014, S. 123) von den SchülerInnen möglichst ohne Beeinflussung und Lenkung durch das Befragungsinstrument auch weitere Aspekte zu ihrer Lebenssituation artikuliert werden können. Bei Durchsicht der Antworten zeigte sich sehr deutlich, dass die in diesem Zusammenhang getätigten Aussagen nicht nur für die Überprüfung der Vollständigkeit der angebotenen geschlossenen Antwortkategorien taugen. Sie geben vielmehr auch Aufschluss über die gemeinsamen Erfahrungsräume steirischer SchülerInnen, zugleich aber ebenfalls über die unterschiedlichen Bedingungen des Heranwachsens und daraus resultierender Informationsbedürfnisse. Eine vertiefte Analyse der von Jugendlichen selbst aufgeworfenen Inhalte und die Untersuchung allfälliger Zusammenhänge mit unabhängigen Variablen, um Gruppenmerkmale für die Schaffung oder Adaption entsprechender Angebote beschreibbar zu machen, ist im Studienbericht nicht erfolgt – auch weil die ursprünglich nur zur Kontrolle der Vollständigkeit der geschlossen abgefragten Themen vorgesehene Frage von den teilnehmenden SchülerInnen unerwartet engagiert beantwortet wurde. Daher ergab sich die Idee, diese Daten näher zu betrachten und im Sinne einer Inhaltsanalyse zu strukturieren und auszuwerten. Man könnte das Vorgehen als summative qualitative Inhaltsanalyse bezeichnen, da im Folgenden versucht wird, das Antwortverhalten der SchülerInnen induktiv zu kategorisieren, um eine Rangreihe der Themenfelder, zu denen sie Informationen suchen, erstellen zu können. Der Begriff der summativen, qualitativen Inhaltsanalyse wurde von Hsiu-Fang Hsieh

Datengrundlage und methodische Vorgehensweise

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und Sarah E. Shannon (2005) beschrieben: „A summative content analysis involves counting and comparisons, usually of keywords or content, followed by the interpretation of the underlying context“. (Hsie & Shannon, 2005, S. 1277) Dabei erschöpft sich das Vorgehen nicht – wie bei einer reinen Quantifizierung – im bloßen Auszählen einzelner Schlagworte, sondern es bedarf eines interpretativen Vorgehens: „A summative approach to qualitative content analysis goes beyond mere word counts to include latent content analysis.“ (Hsie & Shannon, 2005, S. 1283) Während konventionelle quantitative Inhaltsanlysen nach der Definition von Schlüsselwörtern die „Auszählung ihrer Auftretenshäufigkeit in einem zuvor festgelegten Textkorpus“ vorsehen (Schreier, 2014, o. S.), zielt die summative, qualitative Inhaltsanalyse darauf ab, unter Einbeziehung des Kontextes weitere latente Bedeutungen, Synonyme und Verwendungsweisen dieser Begriffe zu identifizieren und darzustellen. Für Schreier stellt diese Art der Inhaltsanalyse „eine interessante induktiv-explorative Variante der Anwendung quantitativ-inhaltsanalytischer Techniken“ (Schreier, 2014, o. S.) dar. Dieser explorative Zugang zum Material erscheint mir hier sinnvoll, da das Analysematerial einerseits zwar sehr umfangreich ist und die ganze Bandbreite steirischer SchülerInnen ab der siebenten Schulstufe repräsentiert, andererseits aber insofern nur beschränkt belastbar ist, als entlang der Methode der Datenerhebung keinerlei Möglichkeit zur Nachfrage und zur Herstellung eines gemeinsamen Verständnisses der Aussage mit den SchülerInnen gegeben ist. Dieses Zurückgeworfensein auf die bloße Texteingabe der Schülerin beziehungsweise des Schülers ermöglicht lediglich eine Exploration, welche Themen auf welche Weise angesprochen werden und ob von bestimmten Gruppen eine signifikant gehäufte Bezugnahme darauf erfolgt. In Anlehnung an das Werkzeugkastenmodell von Margit Schreier (2014) lassen sich folgende Eckpunkte der Vorgehensweise bei der vorgenommenen Inhaltsanalyse des Materials festhalten: Tabelle 7: Beschreibung der Vorgehensweise bei der Kodierung in Anlehnung an das Werkzeugkastenmodell der Inhaltsanalyse von Schreier (2014). Schritte der Inhaltsanalyse

„Werkzeuge“/Optionen

Festlegen der Forschungsfrage

Welche Themenfelder werden von den Befragten angesprochen? Welche Auffälligkeiten ergeben sich entlang der kontrollierten unabhängigen Variablen?

Auswahl des Materials

1.811 Fragebögen fanden Eingang in den bereinigten Datensatz. 1.248 davon haben die offen gestellte Frage durch Texteingabe beantwortet. Diese Texte wurden kodiert. Die Gruppe der Personen, die diese Frage nicht beantworteten, wurden entlang derselben unabhängigen Variablen untersucht (vgl. dazu Kapitel 6.2.25).

Erstellen des Kategoriensystems

Entlang einer induktiven Strategie wurden durch Subsumtion und Zusammenfassung 24 thematische Kategorien gebildet.

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Informationsbedürfnisse aus Sicht steirischer Jugendlicher

Probekodierung

Die ersten 300 Kodiereinheiten dienten insofern der Probekodierung, als danach das induktiv gebildete Kategorienschema revidiert wurde. Alle 1.248 Analyseeinheiten fanden Eingang in die Hauptkodierung.

Evaluation und Modifikation des Kategoriensystems

Laufende Kodierbesprechung mit einer in den Prozess und die Art des Analysematerials eingedachten Erziehungswissenschafterin

Hauptkodierung

Die Analyse der Kodiereinheiten (ein bis 361 Worte) zeigte, dass die meisten Aussagen mehrere Kategorien berührten: Durchschnittlich konnte jede Äußerung in 2,13 Themenfeldern kodiert werden. Dementsprechend wurden 2.652 Kodierungen vorgenommen. Bei Zuordnungsschwierigkeiten beziehungsweise in den Kodierbesprechungen nicht auflösbarem, unterschiedlichem Textverständnis wurden die betroffenen Kodiereinheiten ausgelassen (